Martin Buber Werkausgabe: Band 13 Schriften zur biblischen Religion [2 Teilbände ed.] 9783641248628

Band 13 der MBW enthält neben den beiden gewichtigen monographischen Kommentaren »Der Glaube der Propheten« und »Moses«

197 107 7MB

German Pages 1335 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Teilband 1
Vorbemerkung
Danksagung
Einleitung
Mose
Biblisches Führertum
Bemerkungen zu Jesaja
Biblischer Humanismus
Zu Jecheskel 312
Genesisprobleme
Zum Einheitscharakter des Jesajabuches
Die Erwählung Israels
Abraham der Seher
Falsche Propheten
Der Glaube der Propheten
Vorwort
Einleitung
Der Geschichtssang der Debora
Zum Ursprung hin
Der Gott der Väter
Heiliges Ereignis
Die großen Spannungen
Der Gott der Leidenden
Moses
Vorwort
Sage und Geschichte
Israel in Ägypten
Legende des Anfangs
Der brennende Dornbusch
Göttliche Dämonie
Mose und der Pharao
Passah
Das Wunder am Meer
Sabbat
Die Murrenden
Die Schlacht
Jethro
Der Adlerspruch
Der Bundesschluss
Die Worte auf den Tafeln
Der eifernde Gott
Der Stier und die Lade
Der Geist
Das Land
Der Widerspruch
Der Baal
Das Ende
Anmerkungen
Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus
Recht und Unrecht
Vorwort
Gegen das Lügengeschlecht
Der Riß
Gericht über die Richter
Das Herz entscheidet
Die Wege
Die Opferung Isaaks
Die Führungskraft der Schrift
Antwort [an meine Kritiker]
Philosophical Interrogations
Anhang: Unveröffentlichte Archivmaterialien
[Über Name und Ort Gottes]
Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas
Jeremia, ein Künder für unsere Zeit
Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung A)
Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung B)
Zweierlei Jesaja
Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnamen in Ex. 3,13 vorhanden?
Über Prophetie
Teilband 2
Kommentar
Editorische Notiz
Diakritische Zeichen
Einzelkommentare
Mose
Biblisches Führertum
Bemerkungen zu Jesaja
Biblischer Humanismus
Zu Jecheskel 312
Genesisprobleme
Zum Einheitscharakter des Jesajabuches
Die Erwählung Israels
Abraham der Seher
Falsche Propheten
Der Glaube der Propheten
Moses
Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus
Recht und Unrecht. Deutung einiger Psalmen
Die Opferung Isaaks
Die Führungskraft der Schrift
Antwort [an meine Kritiker]. Zur Bibel-Interpretation
Philosophical Interrogations
[Über Name und Ort Gottes]
Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas
Jeremia, ein Künder für unsere Zeit
Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹? (Fassung A)
Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung B)
Zweierlei Jesaja
Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnahmen in Ex. 3,13 vorhanden?
Über Prophetie
Biblischer Humanismus in dunkler Zeit: Martin Bubers Kommentare im Kontext jüdischer Auseinandersetzungen mit Bibelkritik und Antisemitismus
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Glossar
Stellenregister
Sachregister
Personenregister
Recommend Papers

Martin Buber Werkausgabe: Band 13 Schriften zur biblischen Religion [2 Teilbände ed.]
 9783641248628

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Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und Bernd Witte

Gütersloher Verlagshaus

Martin Buber Werkausgabe 13.1 und 13.2 Schriften zur biblischen Religion Text (13.1) und Kommentar (13.2)

Herausgegeben von Christian Wiese unter Mitarbeit von Heike Breitenbach Eingeleitet von Michael Fishbane Kommentiert von Christian Wiese und Heike Breitenbach unter Mitarbeit von Andreas Losch Mit einem Essay von Christian Wiese

BibliografischeInformation Information der Deutschen Deutschen Nationalbibliothek Bibliografische Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation Nationalbibliothek verzeichnet diesebibliografische Publikation in Die der Deutsche Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte in derDaten Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Gefördert von der Heinrich Heine Universität.

Gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen.

Gefördert von der Israel Academy of Sciences and Humanities.

Copyrightin©zwei 2019Teilbänden, Gütersloherdie Verlagshaus, Gütersloh, Dieser Band erscheint nur geschlossen zu beziehen sind. in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München 1. Auflage Der Inhalt dieses©E-Books urheberrechtlich geschützt und enthält Copyright 2015 by ist Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, technische Sicherungsmaßnahmen gegenGmbH, unbefugte Nutzung. in der Verlagsgruppe Random House München Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Dieses Werk einschließlich aller seiner Verbreitung Teile ist urheberrechtlich geschützt. Verarbeitung, Vervielfältigung, oder öffentliche Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist ist ohne Zustimmung des Verlages und strafbar. Das giltnach insbesondere für untersagt und kann straf-unzulässig und zivilrechtliche Sanktionen sich ziehen. Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter Systemen. enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns nichtBielefeld zu eigen machen, sondern Umschlaggestaltung: Initdiese GmbH, lediglich auf deren Stand zumSatzWeise ZeitpunktGmbH, der Erstveröffentlichung verweisen. Satz: Trier Druck und Einband: Memminger MedienCentrum AG, Memmingen Umschlaggestaltung: Init Kommunikationsdesign Printed in Germany GmbH, Bad Oeynhausen Satz: SatzWeise GmbH, Bad Wünnenberg ISBN 978-3-579-02694-7 ISBN 978-3-641-24862-8 www.gtvh.de www.gtvh.de

MBW 13 (02689) / p. 5 / 18.3.2019

Inhalt Teilband 1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

Biblisches Führertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

Bemerkungen zu Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

Biblischer Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

Zu Jecheskel 312 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

Genesisprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

Zum Einheitscharakter des Jesajabuches

99

Die Erwählung Israels

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Abraham der Seher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Falsche Propheten

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Der Glaube der Propheten . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . Der Geschichtssang der Debora . . . Zum Ursprung hin . . . . . . . . . 1. Der Landtag zu Sichem . . . . 2. Am Sinai . . . . . . . . . . . 3. JHWH und Israel . . . . . . . Der Gott der Väter . . . . . . . . . Heiliges Ereignis . . . . . . . . . . Die großen Spannungen . . . . . .

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. . . . . . . . . . . 1. Göttlicher und menschlicher König . 2. JHWH und der Baal . . . . . . . . . 3. Der Kampf um die Offenbarung . .

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MBW 13 (02689) / p. 6 / 18.3.2019

6

Inhalt

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Die Wendung zum Kommenden 1. Um die Gerechtigkeit . . . 2. Um die Liebe . . . . . . . 3. Die theopolitische Stunde . Der Gott der Leidenden . . 1. Gegen das Heiligtum 2. Die Frage . . . . . . 3. Das Mysterium . . .

Moses . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . Sage und Geschichte . . Israel in Ägypten . . . . Legende des Anfangs . .

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Der brennende Dornbusch Göttliche Dämonie . . . . Mose und der Pharao . . . Passah . . . . . . . . . . . Das Wunder am Meer . . . Sabbat . . . . . . . . . . . Die Murrenden . . . . . .

. . . . . . Jethro . . . . . . . . . . Der Adlerspruch . . . . Der Bundesschluss . . . Die Schlacht

Die Worte auf den Tafeln Der eifernde Gott . . . . Der Stier und die Lade Der Geist . . . . . . . Das Land . . . . . . . Der Widerspruch . . .

. . . . . . . Das Ende . . . . . . . Anmerkungen . . . . Der Baal

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226 226 238 252 280 280 304 321

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351 353 357 364 377 382 398 402 410 414 419 425 429 432 438 446 454 473 478 491 500 509 517 521 526

MBW 13 (02689) / p. 7 / 18.3.2019

7

Inhalt

Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus . . . . . . . . . . . . . 539 Recht und Unrecht . . . . . . Gegen das Lügengeschlecht . Der Riß . . . . . . . . . . . Gericht über die Richter . . Das Herz entscheidet . . . . Die Wege . . . . . . . . . .

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541 545 550 554 560 571

Die Opferung Isaaks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Die Führungskraft der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Antwort [an meine Kritiker]. Zur Bibelinterpretation . . . . . . . 585 Philosophical Interrogations . . . . . . . . . . A. The Bible . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. The Biblical View of History . . . . . . . . C. The Ontic Status of the Mythical Image . .

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591 591 595 599

Anhang Unveröffentlichte Archivmaterialien [Über Name und Ort Gottes]

. . . . . . . . . . . . . . . . 603

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604

Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 Jeremia, ein Künder für unsere Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung A)

. . . . . . 652

Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung B)

. . . . . . 661

Zweierlei Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnamen in Ex. 3,13 vorhanden? . . . . . . . . . . . 713 Über Prophetie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717

MBW 13 (02689) / p. 8 / 18.3.2019

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Inhalt

Teilband 2

Kommentar Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 Diakritische Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731 Einzelkommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 Biblischer Humanismus in dunkler Zeit (Essay) . . . . . . . . . . 1207 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1261 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1265 Glossar

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1289

Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1293 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1311 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1317

Gesamtaufriss der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1337

MBW 13 (02689) / p. 9 / 18.3.2019

Vorbemerkung Der vorliegende Band ist der vierzehnte, der nach der Übernahme der Arbeit an der Martin Buber Werkausgabe durch die Heinrich Heine Universität Düsseldorf publiziert werden kann. Er ist nach den neuen Editionskriterien gestaltet, wie sie erstmals in Band 9 der MBW angewandt und im vorliegenden Band in der Editorischen Notiz als Einleitung zum Kommentar erörtert werden. Dieser Band versammelt Bubers Arbeiten zur Exegese der Hebräischen Bibel. In Auseinandersetzung mit der dominierenden christlichen, insbesondere der protestantischen Bibelwissenschaft, aber auch mit der traditionellen jüdischen Bibelexegese, entwickelt Buber in seinen bibelexegetischen Arbeiten seine theopolitische Vorstellung der Geschichte Israels, eines »Königtums Gottes«, das keinen menschlichen Herrscher kennt. Die biblischen Quellen dienen Buber zur näheren Bestimmung seines Konzepts einer Theokratie und als Grundlage für die geschichtliche Realität einer Königsherrschaft Gottes. Durch Moses begründet, so Buber, gerät diese in den Krisen der Richterzeit in Verfall und führt zu einer Monarchie, deren Herrscher Verhältnisse zulassen, in denen die göttlichen Satzungen nicht mehr befolgt werden. Dieser Zustand wird durch die Propheten artikuliert, denen die große biblische Monographie Bubers, Der Glaube der Propheten, gewidmet ist. Kurz darauf widmet sich Buber in Moses (hebr. 1945, dt. 1948) den zentralen Ereignissen der jüdischen Religion, die im Buch Exodus überliefert sind: dem ägyptischen Exil, dem Zug durch die Wüste und der Offenbarung am Sinai, in der mit der Überreichung der Gesetzestafeln jenes »Königtum Gottes« begründet wurde. Buber verteidigt darin, nicht zuletzt gleichsam gegen Siegmund Freuds provokanten Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939) als auch gegen die protestantischen Bibelwissenschaften gerichtet, die Historizität der durch Moses bewirkten religiösen Erfahrung des Volkes Israel. Zu diesem Zweck entwickelt Buber ein ebenso originelles wie philologisch gestütztes Konzept, um die Realität eines den überlieferten biblischen Quellen zugrundeliegenden Offenbarungsereignisses zu belegen. Begleitet werden diese beiden gewichtigen Monographien in diesem Band von kleineren Essays und Vorträgen Bubers, in denen sich bereits mit »Biblisches Führertum« (1928) die Notwendigkeit der Zurückweisung von Vorurteilen einer gegenüber dem Judentum zunehmend feindseligeren Umwelt abzeichnet, während Abraham der Seher (1939) das Spezifische des jüdischen Glaubens bestimmt und gleichsam begriffliche

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Vorbemerkung

Grundlagen für die größeren Untersuchungen Bubers schafft. Die Psalmendeutung Recht und Unrecht (1952) behandelt nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Vernichtung des europäischen Judentums die fundamentale Frage nach dem Übel in der Welt. Abgeschlossen wird der Textteil dieses Bandes durch eine umfangreiche Sammlung bislang unveröffentlichter Archivmaterialien. Der Aufsatz »Die Opferung Isaaks« ist später in Gottesfinsternis (jetzt in MBW 12) aufgenommen worden und die »Antwort. Zur Bibelinterpretation« ist ein Teilabschnitt von Antworten Bubers an seine Kritiker aus dem ihm gewidmeten Band der Library of Living Philosophers, die ebenfalls in MBW 12 abgedruckt worden sind. Da beide Texte im Kontext bibelexegetischer Arbeiten eine besondere Kommentierung erfordern, wurden sie zusätzlich in diesen Band aufgenommen. * Die Israel Academy of Sciences and Humanities, deren erster Präsident Martin Buber war, hat im Jahre 2012 die Arbeit an der Werkausgabe als ein »highly important project« anerkannt und fördert sie seitdem mit einem jährlichen Beitrag. Ein Projekt wie diese Werkausgabe wäre ohne eine großzügige finanzielle Förderung nicht möglich. Wir danken insbesondere der Gerda Henkel Stiftung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für ihre nachhaltige Unterstützung des Gesamtprojekts der Martin Buber Werkausgabe. Zudem hat die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V. durch einen Druckkostenzuschuss das Zustandekommen dieses Bandes gefördert. Nicht zuletzt sei der Heinrich Heine Universität Düsseldorf gedankt, die das Projekt logistisch und administrativ betreut. Düsseldorf, im Januar 2019

Paul Mendes-Flohr, Bernd Witte

MBW 13 (02689) / p. 11 / 18.3.2019

Danksagung It is with pleasure and gratitude that I wish to extend heartfelt thanks to the following individuals who, singly and together, have helped to bring Volume 13 of the Martin Buber Werkausgabe to its scholarly completion – with precision and care for the writings of Martin Buber. First and foremost let me thank Professor Bernd Witte and Professor Paul MendesFlohr, heads of the Arbeitsstelle, for their invitation to compose the Introduction, and to Tanja Krajzewicz and Professor Witte for its translation. Technicalities regarding all details related to manuscripts, places of publication or presentation, and much more, were due to the combined labors of the »Mitarbeiter der Arbeitsstelle«: Simone Pöpl, Kerstin Schreck and Arne Taube (who also assisted in the redaction of the Introduction, and was the kind and efficient intermediary in all dealings with the Arbeitsstelle). To them all I (and all those who shall benefit from this volume) owe a permanent debt of thanks. In conclusion, I wish to acknowledge the honor of participating in this lasting legacy of Martin Buber, and his many contributions to world culture and a believing humanism. Chicago, Januar 2019

Michael Fishbane

Ich danke den Herausgebern der Martin Buber Werkausgabe, Paul-Mendes-Flohr und Bernd Witte, dafür, dass sie mir die Herausgabe der biblischen Schriften Martin Bubers anvertraut haben, und für ihre nicht unbeträchtlich strapazierte Geduld im Verlaufe dieses aufwendigen Editionsprojekts. Insbesondere die langjährige intellektuelle Verbindung und persönliche Freundschaft mit Paul Mendes-Flohr ist mir in hohem Maße wertvoll – der Dank für seine Unterstützung, sein Vertrauen und die Inspiration, die sein Werk für mein Denken und Schreiben besitzt, lässt sich kaum in angemessene Worte fassen. Herzlichen Dank möchte ich auch Michael Fishbane für seine erhellende, gedankenreiche Einleitung zu diesem Band aussprechen, zu der die Kommentare zu den einzelnen Schriften Bubers und mein Essay am Schluss des Kommentarteils in einem inneren Dialog stehen. Besonderer Dank gebührt meiner Mitarbeiterin Heike Breitenbach, die – mit ihrer reichen Kenntnis der Schriften und des Nachlasses Martin Bubers und mit minutiösen Recherchen – zur Präzision und Aussagekraft des Kommentarteils beigetragen hat. Die vielen Korrespondenzen

MBW 13 (02689) / p. 12 / 18.3.2019

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Danksagung

und Gespräche zwischen Frankfurt und Jerusalem in den Jahren der Zusammenarbeit gehören für mich mit zur Geschichte dieses Bandes. Andreas Losch danke ich für seine vorbereitende Mitarbeit an einigen der Einleitungen zu den Einzeltexten Bubers, den Mitarbeitenden der Martin Buber Arbeitsstelle, Arne Taube und Simone Pöpl, für ihre Unterstützung bei der Vollendung der kleinteiligen editorischen Arbeiten. Mein Dank gilt auch dem Gütersloher Verlagshaus, namentlich Herrn Diedrich Steen, für die professionelle Betreuung des Projekts. Bubers Schriften zur biblischen Religion nehmen eine zentrale Stellung in seinem Gesamtwerk ein, stehen sie doch in einem engen inneren Zusammenhang zu nahezu allen Facetten seines Denkens. Die Arbeit an der Edition dieser Texte war daher auch ein intellektuelles Abenteuer, das mir viele Erkenntnisse und neue Zugänge zum geistigen Erbe des Philosophen eröffnet hat. Im Kontext meiner Wirksamkeit als Inhaber der nach Martin Buber benannten Professur für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt ist das von nicht geringer Bedeutung und zugleich Verpflichtung zur weiteren kritischen Auseinandersetzung mit der fortdauernden religiösen, philosophischen und politischen Aktualität der hier versammelten Essays und Kommentare. Meine Forschungen zu Bubers Schriften zur Bibel stehen im intellektuellen Zusammenhang des von mir geleiteten interdisziplinären LOEWE-Forschungsschwerpunkts »Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten« an der Goethe-Universität Frankfurt und der Justus-Liebig-Universität Gießen, der vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wird. Bubers biblisches Denken, einschließlich des kritischen Dialogs mit der zeitgenössischen protestantischen Forschung, der es auszeichnet, stellt ein besonders aussagekräftiges Beispiel für die Forschungen dieses interdisziplinären und interreligiösen Projekts dar. Frankfurt a. M., im Januar 2019

Christian Wiese

MBW 13 (02689) / p. 13 / 18.3.2019

Martin Buber und die Hebräische Bibel Eine Einleitung in sein Werk Martin Buber – vielfältig begabt und von proteischer Wandlungsfähigkeit – erscheint uns geradezu als eine Art Renaissance-Mensch, durch den die großen Formen und Inhalte der Weltkultur für ihn selbst und seine Generation mehrfach wiedergeboren und neu formuliert wurden. Wir zehren noch immer von seinem Vermächtnis und seinem Modell eines engagierten Lebens: von seinem Umgang mit Worten und Texten, mit Menschen und Bewegungen und vor allem mit dem lebendigen Gott, der jeden Menschen in den Höhen und Tiefen seines Lebens anzusprechen vermag. Die Texte und ihre Aussagen waren für Buber mehr als bloße Zeichen auf einer Seite Papier. Für ihn enthüllten sie die Stimmen von Schriftstellern und Völkern, die mit der lebendigen Realität in all ihren Formen und Ausdrucksweisen in Verbindung standen. Seine ursprüngliche Inspiration hatte er von seinem großen Mentor Wilhelm Dilthey (18331911) erhalten, weshalb er Literatur und Kultur nicht nur als ästhetische oder institutionelle Kategorien auffasste, sondern als tiefgründige menschliche Ausdruckweisen. Es war für ihn stets aufs Neue eine Herausforderung, sich auf das Wechselspiel ihrer Gezeiten einzulassen und sich von der humanistischen Überzeugung tragen zu lassen, dass die Stimmen in ihrer ursprünglichen Vitalität gehört werden können – im Interesse eines Verständnisses, das nicht von einem rein ästhetischen Kunstbegriff ausgeht oder die kognitive Leistung in den Mittelpunkt stellt, sondern das darauf abzielt, die den Stimmen der Vergangenheit innewohnende geistige Kraft zur Umgestaltung neu zu entfalten. Deswegen waren für Buber »Renaissance« und »Humanismus« nicht historische Fachbegriffe in denen eine Epoche oder ein Phänomen der Vergangenheit zum Ausdruck kam, sondern Wertbegriffe des Lebens und der kreativen Erneuerung. Während Buber einerseits ganz und gar in der europäischen Kultur zuhause war, war er gleichzeitig voll und ganz Jude. Mit der Kulturkrise des späten neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts beschäftigte er sich in einer Weise, die das Universelle und das Einzigartige kreativ miteinander verband. In dieser Hinsicht war seine lebenslange Befassung mit den Quellen des Judentums Ausdruck seines Willens, eine radikale geistige Erneuerung des Judentums zu bewirken, das beispielhaft die Austrocknung und Krankheit der damaligen europäischen Kultur verkörperte, insbesondere dessen Formen der Entfremdung und Entwur-

MBW 13 (02689) / p. 14 / 18.3.2019

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Einleitung

zelung, die darauf zurückzuführen waren, dass es von seinen Quellen, seiner spirituellen Nahrung abgeschnitten war. Aus dieser Einsicht rief Buber zu kultureller Erneuerung auf und er hat dies verschiedentlich als überzeugter Befürworter einer »Renaissance« und eines »Humanismus« zum Ausdruck gebracht. Ihren literarischen Niederschlag fand diese Überzeugung zum ersten Mal 1903 in einem Aufsatz, der bezeichnenderweise den Titel »Jüdische Renaissance« trug, in dem er sich für eine Rückkehr zu den Quellen der jüdischen Kultur aussprach, zu ihrer Sprache und ihren Texten, um das jüdische kulturelle Leben zu erneuern. So steht von Anbeginn an die hebräische Sprache im Zentrum seiner Überlegungen – als eine Nationalsprache, die die kulturellen Erinnerungen und Sehnsüchte des Volkes verkörpert, so dass sie ihren Charakter sogar in einem säkularen Kontext erneuern konnte. 1918 betont er in einer seiner bedeutenden Reden über das Judentum erneut: »Nicht der Hebraismus, sondern der hebräische Humanismus […] muß der Kern einer jüdischen Regenerationsbewegung sein.« 1 1933, unmittelbar vor dem Ausbruch des kulturellen und physischen »Kriegs« gegen die Juden, schrieb Buber seinen bemerkenswerten Essay »Biblischer Humanismus«, in dem er seine Zeitgenossen aufforderte, ihre »Urkräfte« zu erneuern, indem sie sich »von der Stimme, die in der hebräischen Bibel zu ihnen redet, […] anreden« lassen und »ihr mit [ihrem] Leben Rede steh[en]«. 2 Von einer solchen auf Hebräisch »erschallenden« Stimme könne dann »eine ›konkrete Umgestaltung‹ unseres gesamten und nicht nur unseres inneren Lebens allein« ausgehen. Erneut greift Buber 1941 dieses Thema auf, zu einem Zeitpunkt also, als die Ermordung der europäischen Juden bereits im Gange war, wenn er von einem »hebräischen Humanismus« spricht, der es dem jüdischen Volk ermöglichen würde, seinen Geist von innen her zu erneuern, indem es sich den alten Quellen zuwendet und so das ihnen innewohnende »Menschenbild« wiederentdeckt. Wie die italienische Renaissance müsse auch die jüdische sowohl eine nationale wie eine individuelle Bewegung sein, deren Ziel die »konkrete Umgestaltung des gesamten [inneren und äußeren] Lebens« 3 sei. Im Zentrum von Bubers kreativer Vision stand die hebräische Bibel. In 1. 2. 3.

Der heilige Weg. Ein Wort an die Juden und an die Völker, Rütten & Loening: Frankfurt a. M. 1919, S. 73; 1923 aufgenommen in Reden über das Judentum. Gesamtausgabe; jetzt in: MBW 11.1, S. 125-156, hier S. 151. Biblischer Humanismus, Der Morgen, 9. Jahrgang, Heft 4, Oktober 1933, S. 241245, hier S. 242; jetzt in diesem Band, S. 82. Hebräischer Humanismus, Neue Wege, 14, 1941, S. 1-11, hier S. 4; jetzt in: MBW 20,S. 147-158, hier S. 151.

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der Tat finden sich die wichtigsten Maximen dieser Vision bereits in der frühesten Reihe der Reden über das Judentum (1911). Darin entfaltet er das Ideal eines bedingungslosen Dienstes am »Unbedingten« 4 , der sich in Akten der Entscheidung, durch »das Streben nach Einheit« äußere. 5 Der monotheistische Gehalt des Judentums wird in die Forderung nach Einheit der Seele umgeformt, so heißt es: »An dem großen Prozeß des Judentums wirkt jeder mit, der die Einheit seiner Seele gewinnt« 6 . Buber appelliert weiter an seine jungen Zuhörer mit den Worten von Moses (Dtn 18,13): »Nur wenn du ungeteilt bist, hast du Teil an Jahwe deinem Gott« 7 . Ein Jahrzehnt später betont er in seiner einflussreichen Rede Cheruth von neuem, dass man dem »Absolute[n]« mit seinem »ganzen Wesen« dienen soll, »mit dem Geist« und der »Seele« und »mit dem Willen durch Bewährung des Unbedingten im tätigen Leben«. 8 Das ist sicherlich als direkte Anspielung auf die biblische Kernverkündigung in Dtn 6,4 zu lesen, dass man diesen Herrn lieben soll mit seinem ganzen Herzen (biblisch: Verstand), mit seiner ganzen Seele und mit seiner ganzen Kraft (oder: seinem Vermögen). Aber Bubers Interesse erschöpfte sich nicht in einzelnen biblischen Schlagwörtern, sondern es erstreckte sich schließlich auf die Gesamtheit der Hebräischen Bibel – zunächst in einer Studiengruppe, die sich auf seine Initiative hin zusammenfand und in der die Schrift gelesen und diskutiert wurde, damit man durch ihre »Sprache und ihr Schrifttum« umgestaltet werde. Ein Jahrzehnt später, wurde sein eigenes Leben durch die Begegnung mit der lebendigen »Gegenwart« eines persönlichen Gottes umgestaltet, der den Menschen in den Geschehnissen ihres Lebens begegnet wie er in poetischer Ausdrucksweise in seinem philosophischen Hauptwerk Ich und Du 1923 formuliert. Erst nachdem er selbst eine innere Wandlung durchgemacht hatte, war Buber imstande auf Lambert Schneiders (1900-1970) »providentielle Anregung«, wie es Gershom Scholem (1897-1982) nennt, 9 einzugehen, die Hebräische Bibel neu zu übersetzen. Obwohl Buber und sein Freund und Mitstreiter Franz Rosenzweig (1886-1929) ursprünglich nur vorgehabt hatten, die Überset4. 5. 6. 7. 8. 9.

Vgl. Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911, S. 64 f.; jetzt in: MBW 3, S. 240. Drei Reden über das Judentum, S. 44; jetzt in: MBW 3, S. 231. Drei Reden über das Judentum, S. 52; jetzt in: MBW 3, S. 235. Drei Reden über das Judentum, S. 49; jetzt in: MBW 3, S. 233 Cheruth. Eine Rede über Jugend und Religion, Wien: Verlag R. Löwith 1919, S. 7; jetzt in: MBW 8, S. 109-127, hier S. 112. »An einem denkwürdigen Tage«, in: Judaica [1], Frankfurt a. M. 1963, S. 207-216, hier S. 207. [Die Rede Scholems bei der Feier anlässlich der Vollendung von Bubers Übersetzung der Schrift 1961.]

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zung Luthers zu revidieren, kamen sie schnell überein, dass das nicht der richtige Ansatz sei, und so beschäftigten sie sich unmittelbar mit dem lebendigen Gotteswort, wie es sich (für sie) in der Schrift aussprach. Damit begann im Jahr 1925 ihre fruchtbare geistige Zusammenarbeit, die bedingt durch Rosenzweigs frühen Tod 1929 nur einige Jahre währte. Bis zur Fertigstellung des Werkes im Jahr 1961 setze Buber die Arbeit mit unermüdlicher Hingabe und enormer kreativer Energie allein fort. Während seiner langen Beschäftigung mit der Bibel entwickelte Buber sowohl im Austausch mit Rosenzweig als auch eigenständig seine Leitwortstil-Konzeption: Die Textaussage werde wesentlich durch den wiederholten Gebrauch von Schlüsselworten bestimmt. Beider Annahme, dass der in schriftlicher Form überlieferte Text ursprünglich als mündlicher Vortrag angelegt war (was sich besonders im Wortklang und in der Rhythmik der Satzteile widerspiegelt), das literarische Phänomen der dialogischen Realität, das uns in allen Gattungen der Schrift begegnet, (sehr klar erkennbar in den persönlichen und nationalen Wechselreden, wie z. B. in den prophetischen Texten oder in der Sinaioffenbarung, aber auch in den historischen Berichten), sowie ein feinfühliges hermeneutisches Verständnis für die mythischen Formulierungen der Bibel, die ihr eine gewisse anthropomorphe Struktur und Realität geben, machen die Eigenart von Bubers und Rosenzweigs Schriftverständnis aus. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Bibel für Buber den lebendigen Anruf Gottes an die Totalität der menschlichen Existenz exemplifiziert, der seinen Ausdruck – häufig in dramatisierter Form – in einzelnen Episoden, Erzählungen und Persönlichkeiten findet. Unter anderem dadurch vermittelt der Text einen Eindruck von direkter göttlicher Ansprache: Die Ansprache Gottes als »Du«, als Gegenüber, die an die Individuen und Gruppen im Verlauf ihres Lebens ergeht. Der eigene Umgang mit dem lebendigen, gegenwärtigen Wort Gottes sei die immanente und lebendige dialogische Dimension jeder Existenz. Im Gegensatz dazu führe das Versagen, auf den Ruf zu antworten, ob nun durch bewusste Nichtbeachtung oder Gewohnheit, zu einer kulturellen Verdummung oder zu erstarrten, geradezu götzendienerischen Formen des Gottesdienstes. Buber sah in der institutionalisierten Religion eine große Gefahr. Nur die im »Wort« wie im »Dialog« zum Ausdruck kommende Erfahrung gebe den dynamischen Charakter von Gottes immer neuer Welt-Gegenwart wieder. Denn obwohl die dialogischen Momente in der literarischen Bildwelt der damaligen Zeit formuliert wurden, zeigen sich darin noch immer die Spuren der ursprünglichen, auslösenden »Ereignisse«. So drückt sich in den wichtigsten Texten der Bibel, sowohl den narra-

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tiven wie den gesetzlichen, in unterschiedlicher Weise ein inhärentes »Du« als direkte persönliche Ansprache aus, und der den biblischen Schriften innewohnende Geist kann sich den Hörern mitteilen, wenn sie die Texte achtsam lesen. Dies kann ebenfalls mit Hilfe der Darstellung paradigmatischer Persönlichkeiten geschehen. Denn in der Abfolge von Lebensereignissen erweist sich die Fähigkeit Einzelner und ganzer Kulturen, mit ihrem Handeln Antwort auf die existenziellen Geschehnisse zu geben, die ihnen von Gott als Aufgabe gestellt wurden. »Glauben« ist so für Buber die andauernde Bereitschaft zur Antwort angesichts der Forderungen des göttlichen »Du«, die sich in Gestalt von dem, was einem widerfährt, und von Personen, die einem begegnen, mitteilen. Die Aufgabe der Bibelübersetzung sei es demnach, den Kontakt mit dem wirklichen Leben durch die Wiederaufnahme der gesprochenen Sprache und des existenziellen Dialogs, der sich darin manifestiert, wiederherzustellen. Genau aus diesem Grund sind die Übersetzungen gleichzeitig so widerständig und so aufschlussreich. Dadurch, dass die Übersetzung in Atemeinheiten eingeteilt ist, will sie den inneren Puls des empfänglichen Lesers/Hörers ansprechen, so dass er selbst einen neuen Lebensstrom spürt. Als ein geistiges Dokument, das jenseits politischer Machtinteressen und kultureller Götzenverehrung steht, spielte während der zwanziger Jahre die Hebräische Bibel als Quelle religiöser Erneuerung eine zentrale Rolle in Bubers pädagogischen Überlegungen. Daraus resultierte dann die hohe Bedeutung, die er ihr in den dreißiger Jahren einräumte, als er Bibelkurse für Erwachsene in ganz Deutschland einrichtete, mit denen er zu »geistigem Widerstand« gegen den Totalitarismus anregen und gleichzeitig eine assimilierte Generation mit den Reichtümern ihres kulturellen Erbes, das nun von den Nationalsozialisten verunglimpft wurde, wieder vertraut machen wollte. Ein bedeutender Ableger dieses Unternehmens waren die Publikationen in der Reihe der »Bücherei des Schocken Verlags«, deren erster Band den Titel Die Tröstung Israels trug und eine Übersetzung Aus Jeschajahu, Kapitel 40 bis 55 war. 10 In derselben Reihe erschien als Band 51 eine Auswahl von 23 biblischen Psalmen, die Leid und geistigen Widerstand zum Thema haben. 11 Mit dem Beginn von Bubers intensiver Beschäftigung mit dem biblischen Text wurde ihm die Bibel zunehmend zur Quelle für soziale und politische Ideen, wie sich besonders in seinen Studien über das, was er »Theopolitik« 10. Die Tröstung Israels. Aus Jeschajahu, Kapitel 40 bis 55, Hebräisch mit der Verdeutschung von Martin Buber und Franz Rosenzweig, Berlin 1933. 11. Aus Tiefen rufe ich Dich. Hebräisch und Deutsch, Dreiundzwanzig Psalmen in der Urschrift mit der Verdeutschung von Martin Buber, Berlin 1936.

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nannte, zeigt und sich in umfangreichen Ausarbeitungen in seinem diesbezüglichen Hauptwerk Königtum Gottes niederschlug, 12 sowie in seinen Ideen über religiöse Führerschaft, die zum ersten Mal in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren für die jüdischen Siedler in Palästina und dann für die Bürger des Staates Israel formuliert wurden. Von besonderer Bedeutung für Buber war schließlich das Buch Hiob, das ihm half, seine Reflexionen über die jüdische nationale Tragödie des Zweiten Weltkriegs zu formulieren. Sie sind vor allem in Der Glaube der Propheten im Teil »Der Gott der Leidenden« zu finden, der sich mit den Lehren des Deuterojesaja beschäftigt. 13 Ähnlich äußert sich Buber noch einmal in den fünfziger Jahren, als er die Hoffnung verbreiten wollte, dass der im Sturm sich »verbergende« Gott wieder zu einer lebenden Präsenz werden könne, irgendwie doch noch immer erkennbar, sogar nach der Katastrophe, die das jüdische Volk kurz zuvor ereilt hatte. 14 Wegen der außerordentlichen Menge und Tiefe von Bubers Schriften zur Bibel ist deren umfassende Darstellung nicht möglich. Deswegen wurden hier als Zugang zu dem übergreifenden Thema drei Herangehensweisen gewählt. Erstens, die Bibel und das Wort des Dialogs – ein vielfältig wiederkehrendes und dynamisches Element in Bubers Werk, das sich in sehr unterschiedlichen Formen im Verlauf der Jahrzehnte manifestierte. Zweitens, der Zugang über zentrale Gestalten wie Abraham oder Moses, die den Charakter des biblischen Lebens und seiner Werte beispielhaft verkörpern. Und drittens, der Zugang über die biblische Sprache. Hier geht es vor allem um die Schlüsselworte und -phrasen, an denen aufzeigt wird, wie spezifische Begriffe wie z. B. »Bewährung«, die Buber immer wieder in seiner Bibelübersetzung und seinen Schriften zum Thema verwendet, von seinen persönlichen theologischen und dialogischen Wertvorstellungen geprägt sind. Jeder der folgenden Teile dieser Einleitung behandelt eine dieser Herangehensweisen. Sie sind insofern unabhängige Einheiten, Teile des vielfältigen Spektrums, das Bubers Lebenswerk und bleibendes Erbe seiner Beschäftigung mit der Bibel ausmacht. Der erste Teil trägt den Titel »Biblischer Dialog: Martin Buber als Bibelinterpret«; der zweite Teil heißt »Moses, der Mann Gottes« und der dritte »Bewährung durch das Leben: Bubers dritte Alternative«.

12. Königtum Gottes, Berlin: Schocken Verlag 1932; jetzt in: MBW 15, S. 93-241. 13. Der Glaube der Propheten, Zürich: Manesse Verlag 1950; jetzt in diesem Band, S. 137-350. 14. Vgl. insbesondere die letzte seiner Reden in An der Wende, Köln: Jakob Hegner 1952, »Der Dialog zwischen Himmel und Erde«; jetzt in: MBW 20, S. 345-353.

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Biblischer Dialog: Martin Buber als Bibelinterpret Charakteristisch für Martin Bubers literarischen und religiösen Genius war die Art und Weise, wie er traditionelle Lehren durch eigene existentielle Erfahrung verwandelte. Ähnlich wie Rilke, der einmal von dem Bereich des »rohen Lebens« sprach, der als Grundlage einer einzigen dichterischen Zeile vonnöten sei, betrachtete Buber es als hermeneutischen Imperativ, auf die Worte der alten Texte zu hören und sie kraft persönlicher und aktiver Rezeptivität umzubilden. Am Ende von Ich und Du bemerkt er in Hinblick auf prophetisches Hören: »Lauten heisst umlauten.« 15 Der folgende Text 16 illustriert beispielhaft den Zusammenhang zwischen wahrem Lernen und verwandeltem Leben: »Rabbi Eleazar sagte: Als der Herr der unrechten Taten der Generation der Sintflut und der Generation des Turmbaus zu Babel gewahr wurde, verbarg er das Licht des ersten Schöpfungstages vor ihnen. – Für wen verbarg er es? – Für die zukünftigen Gerechten. – Wo verbarg er es? – In der Tora. – Wenn das so ist: Was werden die Gerechten tun, die etwas von dem verborgenen Licht in der Tora finden? – Sie werden es in ihrer Lebensweise zeigen.« Jeder, dem der gnostische und eschatologische Charakter dieser chassidischen Lehre geläufig ist, wird Buber für seine Fähigkeit bewundern, eine mythische Homilie über die Geheimnisse der Erlösung in eine dialogische Unterweisung für das Hier und Jetzt umgestaltet zu haben. 17 Dieser Diskurs ist so kraftvoll, dass sogar der heutige Mensch noch immer etwas von der darin enthaltenen Wahrheit verspürt: ein verloren gegangener Lichtstrahl der Schöpfung, der die dunkle Leere aufhellt; ein flüchtiges Fragment von Hoffnung, das an Maimonides’ Darstellung des fragmentarischen Zeugnisses der Offenbarung erinnert, das die unvoll15. Ich und Du, Leipzig: Insel-Verlag 1923, S. 135; jetzt in: MBW 4. 16. Der kleine Text ist Or ha-ganuz, Tel Aviv: Schocken Verlag 1946, dem hebräischen Pendant zu Die Erzählungen der Chassidim, vorangestellt. 17. Die ursprüngliche rabbinische Quelle erscheint als anonyme Beraita in GenR III,6. Vgl. die einschlägige Diskussion bei Alexander Altmann, Gnostic Themes in Rabbinic Cosmology, in: Essays in Honor of the Very Rev. Dr. J. H. Hertz, hrsg. von Isidore Epstein u. a., London 1942, S. 28-32.

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kommenen Sterblichen in dieser Welt erfahren können. Was aber ist dieses alte Licht? Oder, um die Frage nach Art eines Midrasch zu stellen: Womit lässt sich dieses »Licht der Schöpfung« – das nach wie vor in den Geheimnissen der Schrift bewahrt ist – vergleichen? Für Martin Buber dürfte die Antwort klar gewesen sein: Das welterbauende Licht der Anfänge ist vergleichbar mit der welterbauenden Rede Gottes; diese Rede der erzählenden Stimme von Genesis 1 bringt eine vorstellbare Welt ins Sein; sie ruft die Menschheit durch die immer wieder erneuerte Stimme Gottes, die in der Bibel zu hören ist, zu authentischem Dasein auf. Biblisch gesprochen: Im Anfang war für Buber das göttliche Wort; nicht als erste Schöpfung oder hypostasierter Logos, sondern vielmehr so, wie die alten jüdischen Targume aus Palästina die Anfangsworte der Genesis wiedergeben: »Durch das Wort (d. h. durch die Rede) wurde die Welt erschaffen.« Sprache ist demnach eine dynamische, göttliche Realität, eine immer wieder erneuerte Kraft, die am Ursprung der Schöpfung steht. Für Martin Buber eröffnet die göttliche Rede, die die Welt in wirkliches Sein ruft, einen »Dialog zwischen Himmel und Erde« – dessen später Antwortgeber oder Gesprächspartner wir heute sind. In der Tat schrieb Buber einmal »Im Anfang war die Zwiesprache« 18 . Dementsprechend ist die Bibel als eine Sammlung von Sprechakten der großartige literarische Ausdruck dieses unaufhörlichen Dialogs zwischen Gott und den Menschen: ein Zeugnis nicht nur für dessen irdische Triumphe, sondern auch für sein allzu menschliches Scheitern. Für die Anrede der Bibel offen zu sein, bedeutet somit, uns unserer unvermeidlichen Beteiligung an diesem Dialog – mit der darin enthaltenen großen Verantwortung und seinen Forderungen – bewusst zu sein. Entsprechend ist die Dringlichkeit des »Bibellesens«, wie Bubers Unternehmen oft genannt worden ist, nichts Geringeres als ein welterneuerndes Geschehen. Denn sich auf ein authentisches Bibellesen einzulassen, bedeutet, vom bloßen Lesen zur »Gesprochenheit« des Textes vorzudringen – und von da aus zur »Gesprochenheit« unseres eigenen Lebens. Und darin liegt ein neuer menschlicher Anfang – in und durch das Wort. In einem frühen Essay, der von dem für die Jahrhundertwende typischen Geist des »Orientalismus« geprägt ist, stellt sich Buber den »Juden des Altertums« so vor: Er sei ein menschlicher »Typus«, den er aus den stummen Ruinen der modernen abendländischen Zivilisation wiederherzustellen hoffte: »Der Jude des Altertums«, so Buber, »[war] mehr Ohrenmensch als Augenmensch und mehr Zeitmensch als Raummensch. Von 18. Ms. Arc. 350 02 57 (Materialien zu Zwiesprache).

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allen seinen Sinnen trägt sein Gehör am meisten dazu bei, sein Weltbild zu formen.« 19 Für Buber ist dieser Ohrenmensch-Zeitmensch (im Gegensatz zu dessen Gegenüber, dem Augenmensch-Raummensch) besonders wertvoll, denn er lebt in der Menschlichkeit der Zeit, einer Zeit, in der sich das Leben periodisch und nicht durch allumfassende Visionen oder Verallgemeinerungen entfaltet. Zeit ist darüber hinaus eine Modalität für das Reden und Hören, für Ansprache und Antwort. Demnach hört und antwortet der Ohrenmensch-Zeitmensch, um bei dieser phänomenologischen Kennzeichnung zu bleiben, auf die Stimme der Stunde, antwortet und verändert sich mit den Aufgaben der Zeit. Er ist kein passiver Zuschauer, sondern ansprechbar und aufmerksam auf die Anforderungen des Augenblicks. Nun hat dieser »Jude des Altertums«, so Buber, uns ein literarisches Zeugnis seines Lebens hinterlassen, das im Hören auf den Ruf der Stunde bestand: die Hebräische Bibel oder Miqra, was in rabbinischem Hebräisch »Ausruf« bedeutet. »Meinen wir ein Buch?«, so fragten Buber und Rosenzweig. »Wir meinen die Stimme. Meinen wir, daß man lesen lernen soll? Wir meinen, daß man hören lernen soll. […] Zur Gesprochenheit wollen wir hindurch, zum Gesprochenwerden des Worts.« 20 Die Aufgabe beim Studium der Bibel besteht also darin, die Sprache der Bibel zu durchdringen und ihrer »Gesprochenheit« Aufmerksamkeit zu schenken. Denn gerade darin liegt die großartige Unterweisung des Textes begründet. In dem späteren Aufsatz »Biblischer Humanismus« ist Buber auf den Gegensatz von Ohrenmensch-Zeitmensch und Augenmensch-Raummensch zurückgekommen, wenn auch unter anderen Begriffen und mit dem Anliegen, die Besonderheit der Bibel als eines Textes hervorzuheben. Für ihn ist dieser Text ein Dokument, das den lebendigen Geist der Begegnung zwischen Gott und Menschen in der Zeit zum Ausdruck bringt – ihr Zusammentreffen und ihre Antworten. Die in der Bibel enthaltenen Worte umschließen damit dieses Geheimnis des Primats der Sprache. Insofern als diese »große Urkunde […] auf ordnendem und richtendem Wort gegründet« ist, wird sie »die normativen Urkräfte« des Einzelnen, der es befolgt, wiederbeleben und so eine »konkrete Umgestaltung unseres gesamten […] Lebens« 21 bewirken – 19. Vgl. [Einleitung] in: Jüdische Künstler, hrsg. von Martin Buber, Berlin: Jüdischer Verlag 1903, S. [7-12], hier S. [7]: jetzt in: MBW 7, S. 488-491, hier S. 488. 20. Buber, Der Mensch von heute und die jüdische Bibel. Aus einer Vortragsfolge (November 1926), in: ders. u. Franz Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 13-45, hier S. 45; jetzt in: MBW 14, S. 38-55, hier S. 55. 21. Biblischer Humanismus, S. 241 f.; jetzt in diesem Band, S. 83.

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unserer Leben, die in der Lage sind, auf die Anforderungen und Entscheidungen des Augenblicks zu antworten. »Nur ein Mensch, der tun und hören will, was der Mund des Unbedingten ihm gebieten wird, ist ein bibelwürdiger Mensch. Ein hebräischer Mensch kann nur der sein, der sich von der Stimme, die in der hebräischen Bibel zu ihm redet, anreden läßt und ihr mit seinem Leben Rede steht.« 22 Natürlich kann man in Bubers Formulierung »nur ein Mensch, der tun und hören will, was der Mund des Unbedingten ihm gebieten wird«, eine Anspielung auf die Antwort der Israeliten auf die Sinaioffenbarung hören: »wir wollen tun und hören« (Ex 24,7). Buber will, dass alle Menschen sich unter diesen großen Imperativ stellen: den Imperativ eines Lebens in dialogischer Antwort auf die Stimme, die aus dem Augenblick heraus spricht. Und die Urkunde, die diese Erneuerung des Menschseins und die »Ver-antwort-ung« wahrhaft lehren kann, ist die Bibel – eben weil das »Wort der hebräischen Bibel […] seine Reinheit nicht in der Gestalt, sondern in der Ursprünglichkeit« hat, »in der Unmittelbarkeit, in der Gesprochenheit« liegt seine »ganze biblische Mächtigkeit« 23 . Durch die Sprache wird ein »Geschehen, und zwar […] ein Geschehen in der Gegenseitigkeit« 24 geschaffen. Sie ist konkretes Wort für den »Ohrenmenschen«, der konkret als »Zeitmensch« lebt; nicht wie in den stilisierten und formalen Werken der griechischen Antike, das »abgelöst [e] und ausgeformt[e]« Wort 25 , das den Kunstsinn des »Augenmenschen« erfreut. Damit setzt die Bibel vom Sinai her die Urkräfte von Antwort und Verpflichtung für diejenigen frei, die darin die Stimme göttlicher Unterweisung hören. »Unverändert und ungedämpft«, so Buber, »bewahrt das biblische Wort den dialogischen Charakter der lebendigen Wirklichkeit.« 26 Buber hat in seinem Wirken als Erzieher die »Unmittelbarkeit« in der »Gesprochenheit« der Bibel herausgestellt, damit ihre Urkräfte den Menschen ansprechen und ihn als Menschen der Bibel erneuern können – für die Aufgaben, die das Leben für ihn bereit hält. Aus diesem Grund sind seine Übersetzungen des biblischen Texts ein Versuch, dem Kern der rauhen Gesprochenheit so nahe wie möglich zu kommen. Und tatsächlich sind diese Übersetzungen ganz bewusst gegen den Strich gewöhnlichen Geplauders gebürstet, um im Leser das Geheimnis der Sprache und ihre transformierende Wirkung zu wecken. Hör hin – und du wirst hören, 22. 23. 24. 25. 26.

Ebd. Biblischer Humanismus, S. 244; in diesem Band, S. 84. Biblischer Humanismus, S. 245; in diesem Band, S. 85. Biblischer Humanismus, S. 244; in diesem Band, S. 84. Ebd.

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wie die Veränderlichkeit hebräischer Verbformen durch entsprechende deutsche Verbindungen pulsiert, um das Geheimnis der gesprochenen Sprache zum Tönen zu bringen. Höre genauer hin – und du wirst die geheimnisvollen Zusammenhänge lebendiger Sprache erspüren: die Zusammenhänge zwischen Konkretem und Metaphorischem, zwischen Verbalem und Nominalem und die zwischen dem äußeren Text der Rede und der Tiefenstruktur der Wortbeziehungen. Die Konkretheit von Bubers Übersetzungen zerbricht »die Macht der Trägheit, der Geläufigkeit, des Drüberweglesens« 27 unserer üblichen Lektüre. Und die Betonung der in den hebräischen Wörtern wurzelnden Konkretheit führt gar zu einem Bruch mit den Voraussetzungen des westlichen Bewusstseins. So hoffte Buber beispielsweise, dass der aufmerksame Leser aufgrund der Tatsache, dass das hebräische Wort ruach in Numeri 11 sowohl den »Geist« der Gnade Gottes als auch den natürlichen »Wind«, der durch Gott entfacht wird, bezeichnet, hinter den griechischen Dualismus von Geist und Natur zurückhören und die tiefe Einheit der geschaffenen Welt, wie sie der hebräischen Sprache eingeschrieben ist, erkennen würde. Im Buch Numeri sind also »Braus« und »Geistbraus« zwei Flügelspitzen des einen Wind-Geistes, der über den Wassern schwebt und der Menschheit den Atem ihres tiefsten Seins schenkt. 28 Neben diesen Fragen beschäftigen sich Bubers Arbeiten zur Bibel damit, die tieferliegenden Klangbilder herauszuarbeiten, die den Text an seinen am weitesten führenden Stellen der Unterweisung zu einer Einheit werden lassen. So lässt Buber nicht zu, dass der Leser sich mit einfachen oberflächlichen Beobachtungen zufrieden gibt, sondern taucht ihn tiefer in die »suprapoetische« Einheit eines Textes hinein – in eine Einheit, die gewisse rein analytische Aussagen willkürlich und in einem tieferen menschlichen Sinne wenig aufschlussreich erscheinen lässt. 29 Es geht darum, die Bibel »aus dienendem Wissen um die urhebräische Sprachseele, aber nicht als Literaturwerk, sondern als des Wirkens des Absoluten am jüdischen Volksgeist fundamentale Urkunde« zu lesen. 30 Und so wird der Leser wiederholt dazu ermahnt und herausgefordert, zum Hörer zu werden – zu einem Ohrenmenschen, der achtgibt auf die 27. Buber, Zur Verdeutschung der Preisungen, in: Ders. u. Franz Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 168-183, hier S. 171; jetzt in: MBW 14, S. 86-94, hier S. 87. 28. Vgl. Buber, Der Mensch von heute und die jüdische Bibel, S. 33-38; jetzt in: MBW 14, S. 38-55. Vgl. auch Bubers Anmerkungen zu Natur und Geist in: Israel and the World, New York: Schocken Books 1963, S. 172. 29. Cheruth, S. 17-19; jetzt in: MBW 8, S. 117 f. 30. Cheruth, S. 33; jetzt in: MBW 8, S. 125.

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Wiederholung von Klängen und Wendungen, die den tieferen Zusammenhang des Textes herstellen. Auf diese Weise wird der Hörer der Texte zu einem Hörer, der sensibilisiert ist für die oszillierenden Sprachrhythmen in all ihren menschlichen Atemeinheiten, ihrer Zusammenhanglosigkeit und Hoffnungsfülle. Wenn er hört, dass ein Psalm zuerst und vor allen Dingen »ein Aufschrei und nicht Gedicht« und »Prophetenrede Anruf und nicht formgerechte Allokution« ist, 31 wird der moderne Mensch im biblischen Sinne unterwiesen. Das bedeutet: Er wird nicht einfach über Faktenwissen unterrichtet, sondern er wird umgestaltet durch das tiefere Wissen darum, dass das Wort, das einem im Leben gegeben wird, nicht ein Logos ist, der ewig besteht oder den man besitzen kann. Das Wort ist vielmehr ein Wort, das »ins Sein kommt«. Denn »das einzige Sein des Wortes ist sein Gesprochensein« 32 . Biblische Sprache ist daher kein »Gebild«, sondern unmittelbares »Geschehen«. 33 Die Worte der Bibel als gesprochenes Geschehen unterweisen uns somit im dialogischen Charakter der Wirklichkeit. Und die menschlichen und geschichtlichen Ereignisse, über die die Bibel berichtet, belehren uns in entsprechender Weise. Als das große Zeugnis für den »Dialog zwischen Himmel und Erde«, so Buber, dokumentiert die Bibel sowohl die Auswirkung des Unbedingten auf das Leben in Israel als auch die Antwort Israels. Gott fordert das ganze Leben, und er will die unbedingte Unterwerfung unter und die Antwort des Menschen an ihn in der Gesamtheit seines Lebens. »Ganz sollst mit Ihm deinem Gott du sein« (Dtn 18,13) hat Buber so verstanden: »Du, der du angesprochen und erwählt bist als ein ›Du‹ : Lebe authentisch mit deinem Gott durch unbedingte Antwort auf Sein Wort, das (durch den Mund von Menschen) die Welt täglich neu erschafft; und lebe ohne selbstsüchtigen Götzendienst. Denn ›Höre Israel, Er unser Gott, Er Einer!‹« 34 Der ursprüngliche und grundlegende Ausdruck für Israels Bewegung hin zur Einheit unter Gott ist für Buber das Königtum Gottes. Israel erfuhr Gottes führende Gegenwart erstmals zur Zeit des Exodus und proklamierte ihn (am Sinai) in Bundesfreude als König in Jeschurun. Der Sinaibund symbolisiert damit die Realität der Herrschaft Gottes über das gesamte Leben Israels. Dieser Bund ist jedoch kein Vertrag, keine 31. 32. 33. 34.

Biblischer Humanismus, S. 244; in diesem Band, S. 84. Biblischer Humanismus, S. 245; in diesem Band, S. 85. Ebd. Vgl. Darkhe ha-dat be-artzenu, Machbarot la-sifrut, 2. Jg., Heft 1, Mai 1942, S. 3440, (im Sammelband Ha-ru’ach ve-ha-mitzi’ut, S. 118-126); dt. Übers. »Religion in unserem Land« jetzt in: MBW 20, S. 159-166.

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objektive Verfassung. Er ist vielmehr »die Aufnahme in ein Lebensverhältnis« 35 , eine die »gesamte Volksexistenz umfassende[n] Herrschaft Gottes«. 36 Was Gott in der »Adler-Rede« in Ex 19 von Israel verlangt, ist Buber zufolge die »uneingeschränkte Anerkennung der faktischen Gottesherrschaft über die ganze Volksexistenz«. 37 Nach Bubers Verständnis zerfiel diese Theokratie des Bundes, dieser ursprüngliche Ausdruck des Lebens und Glaubens Israels, mit dem Tod Josuas. Die Theokratie wurde schließlich ersetzt durch einen König aus Fleisch und Blut. Mit dem Aufstieg Davids brach der Dialog mit einem über alles herrschenden Gott ab, der Vorbilder und Führer des Volkes Israel wie Abraham und Mose hervorbrachte. Es blieb lediglich die Hoffnung – die in der Symbolik der Gestalt Davids verkörperte messianische Hoffnung – auf eine echte Umkehr in bedingungsloser Antwort auf Gott allein. Für Buber setzte mit dieser Verschiebung von der göttlichen zur menschlichen Königsherrschaft die tiefe Dialektik der Geschichte ein. Wie die gebrochene Sprache der Schrift treffend zum Ausdruck bringt, ist der Verlauf der äußeren Geschichte die Geschichte von fehlgeschlagenen, beeinträchtigten und unvollkommenen Antworten an Gott. Dennoch ist das wahre Zentrum der israelitischen Religion die sich stets wiederholende Anstrengung – in der Mühsal der Zeit –, das Geheimnis und die Herrschaft Gottes jenseits aller »dogmatischer Verkapselung« 38 zu bewahren. Moses beginnt diesen Kampf gegen alle Versuche, Gott »haben« oder »gebrauchen« zu wollen. Seine Bürde schultern auch die ihm nachfolgenden Propheten. Sie sind es, die mit dem Nachdruck und der Kraft ihres Lebens wiederholt das Ideal der göttlichen Königsherrschaft verkünden. Diese wahren Diener der Einheit Gottes nehmen für das Königtum Gottes Leiden auf sich. Immer wieder werden sie verschmäht und zum Schweigen gebracht; die Gemeinschaft will von dem Ruf der Propheten nichts wissen und ignoriert Gottes immer wieder von neuem ergehende Ermahnung, sie mögen sich vom Götzendienst »abwenden«. Das Volk ist taub für den Ruf des Königtums Gottes: die herausfordernde Stimme des Augenblicks, die es, in Gestalt des prophetischen »Anderen«, dazu auffordert, in gegenseitiger Freiheit mit Gott zu leben. Für Buber ist der wahre Prophet weder der Welt überdrüssig noch apokalyptisch. Im Gegensatz zu den aus Verzweiflung hervorgehenden Ratschlägen und den 35. 36. 37. 38.

Moses, Zürich: Gregor Müller Verlag 1948, S. 152; in diesem Band, S. [382]. Moses, S. 270; in diesem Band, S. 512. Moses, S. 160; in diesem Band, S. 445. Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde, Merkur, 8. Jg., Heft 12, Dezember 1954, S. 1101-1114, hier S. 1106; jetzt in: MBW 15, S. 380-393, hier S. 385.

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Behauptungen, über Vorherwissen zu verfügen, schenkt das prophetische Wort neue Richtung und neue Freiheit. Indem er die Gnosis verworrener Sicherheiten in all ihren kulturellen Ausprägungen in Frage stellt, bezieht der Prophet in den Abgründen der Geschichte eindeutig Stellung. Er ist der Prototyp des dialogischen Menschen, der, trotz der Verzweiflung und der Anstrengungen des Augenblicks, sein ganzes Sein Gott in Freiheit und Verantwortung zuwendet. 39 Damit lehrt Buber ein Verständnis vom Schöpfergott, der seine Welt für denjenigen, der sich ihm wirklich öffnet, täglich erneuert. Der Mensch muss sich im konkreten Leben behaupten – gegen die Versuchungen des Geheimwissens oder Schweigens. Wenn er dies tut, lebt er im Vertrauen, in der emuna. Von daher besteht für Buber das Herzstück des biblischen Glaubens genau in dieser vertrauensvollen Hinwendung zu Gott, der ein Gegenwärtiger war und ein solcher zu sein versprochen hat. In der Tat, so Buber, spricht Gott als Schöpfer den Menschen genau hier durch seine Schöpfung in gelebter Konkretheit an, eben dann, wenn dem Menschen bewusst ist, dass er als »Du« angesprochen wird – und das ist Offenbarung. Dieses Verständnis von Offenbarung als Anrede und Antwort in der Unmittelbarkeit des Lebens ist jedoch keine Gesetzesoffenbarung. Für Buber wird Gott als anredende Gegenwart gegenwärtig, die weder allgemein noch abstrakt ist. Aus diesem Grund und auch, weil Gott seine Gegenwart in jedem Moment wieder neu offenbart, lehnte Buber eine ein für alle Mal ergangene Offenbarung ab. Auch am Sinai, als Gott zum ersten Mal in Bundesfreude zum König proklamiert wurde, gab es keine allgemeine Offenbarung. Sogar damals, so argumentiert er, wurde die Eine Gegenwart von allen verspürt – von allen und jedem, ganz individuell. Aber mehr noch: Dieses vertrauensvolle Antworten auf Gott am Sinai erneuert die vor-sinaitischen Antworten Moses und der Väter, wie es auch die Zusage Gottes erneuert, auch in Zukunft eine lebendige Gegenwart zu sein, wie er es für vergangene Generationen war. Für Buber ist diese erneuerte Zusage der Kern des Bundes. Denn auch wenn er einräumt, dass das Gesetz durch Mose am Sinai gegeben wurde, betont er mit Nachdruck, dass die Sinaioffenbarung nicht Gesetz ist, sondern ganz und gar Offenbarung von Gegenwart. Entsprechend kann Buber, wenn ihm entgegengehalten wird, dass das Gesetz in der Schrift de facto ein 39. Vgl. Biblisches Führertum, Kampf um Israel. Reden und Schriften (1921-1932), Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 84-106, hier S. 102 f.; in diesem Band S. 58-69, hier S. 68.

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Absolutum sei, nur antworten, dass für ihn »als gläubiger Denker, als gläubig-denkerischer Diener der Wahrheit in der Schrift«, der den Text in direkter Begegnung und nicht als »Objekte einer Forschung« hört, das Gesetz innerhalb der Tora nur ein Zusatz sei. 40 Zwar räumt er ein, dass viele der biblischen Gesetze die Königsherrschaft Gottes bezeugen, dennoch hält er aber daran fest, dass die Tora im Wesentlichen Unterweisung auf dem Lebensweg ist und nicht ein Gesetz, das über diesem stünde. Wenn aber die Tora Unterweisung auf dem Weg ist, und wenn sie in jedem Augenblick durch die authentische Antwort der Menschen auf die Herausforderungen der Stunde erneuert wird, könnte man fragen: Ist Gott nur »der Gott eines Augenblicks, ein Augenblicksgott?« Ist spirituelle Kontinuität oder Tradition überhaupt möglich? Eine positive Antwort auf diese Fragen zeichnet sich in Bubers Auslegung der Schrift ab – eine Antwort, die in jedem dieser irdischen Momente der Unterweisung ein Glied in der Kette spiritueller Kontinuität erkennt. Daher, so Buber, verstand Mose die Offenbarung im Dornbusch als erneute Manifestation des alten Gottes der Väter, wenn auch in neuer Gestalt. Dadurch vertiefte sich seine unmittelbare, momentane Erfahrung der Gegenwart Gottes, weil er in ihr eine tiefergehende geschichtliche Kontinuität erkannte. Die Kette der biblischen Führungsgestalten weist die beständige Gegenwart Gottes in jedem historischen Augenblick aus. Denn auch sie erkennen in Gottes offenbarender Gegenwart ihnen gegenüber die erneute Manifestation des Gottes des Sinai-Bundes. Doch was für Mose und die Propheten eine unumstößliche Überzeugung war, galt nicht in gleicher Weise für ihre Zeitgenossen. Letztere erkannten in den an sie ergangenen Verheißungen und Forderungen nicht so einfach die Stimme des alten Gottes der Väter und des Bundes. Die Turbulenzen ihres geschichtlichen Lebens und die in Routine erstarrte Fron des Alltags verhärteten ihre Herzen gegenüber jeder neuen Antwort. Wie Buber sehr genau wusste, haben auch dem modernen Menschen die Zwänge des Lebens und die im besten Fall bruchstückhaften Gottesbegegnungen tief ins Herz geschnitten. Aus diesem Grund spricht Buber wiederholt von der »Gottesfinsternis« unserer Zeit. Eine Reihe von Aussagen, die aufgrund ihres Stellenwerts innerhalb seiner Ausführungen zur Bibel hierher gehören, basieren auf seiner Überzeugung, dass

40. Vgl. Antwort [an meine Kritiker], in: Martin Buber. Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 1963, S. 589-639, hier S. 624 f.; in diesem Band, S. [529 f.]

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das gesamte Korpus der Bibel in unserer Zeit der scheinbaren Abwesenheit Gottes ein paradoxes Zeugnis für Gott ablegt. Als Buber nach den schrecklichen Ereignissen des Holocaust 1952 zu Juden sprach und ihr Gefühl thematisierte, es sei zu einem Bruch mit dem historischen Gott Israels gekommen, mahnte er seine Glaubensgenossen, standhaft zu sein. Dabei betonte er: Wenn sie an ihrer Erinnerung der Gegenwart Gottes, wie sie in der Hebräischen Bibel bewahrt ist, festhalten könnten, könnten sie auch nach einer so dunklen Zeit noch immer darauf hoffen, ihren zornigen, liebenden Gott zu erkennen. Das Zeugnis der ganzen Bibel würde dann aufgrund der früheren Realität des Dialogs zwischen Gott und Israel die schmerzvolle Hoffnung auf einen erneuerten Kontakt mit Ihm offen halten. 41 Bereits in der dunklen Stunde des Jahres 1942 hatte Buber von der Notwendigkeit eines Leidens in Geduld gesprochen. Auch in der Verzweiflung, so Buber, müsse der dialogische Mensch – um seines Ganzseins mit dem Gott allen Seins willen – sagen: »[Auch!] Das ist mein Gott und ich verherrliche ihn.« 42 Buber nimmt hier eine bemerkenswerte Transformation der ekstatischen Proklamation, wie sie im ursprünglichen biblischen Kontext von den alten Israeliten bei der Befreiung von ihren historischen Fesseln in Ex 15,2 vorgetragen wurde, zu einem Gebetsruf vor, in dem sich der Rat verbirgt, in einer Zeit der Verzweiflung religiöse Reife zu zeigen. Das ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie biblische Überlieferung in eine lebendige Unterweisung verwandelt werden kann. Es bekundet die harten und dennoch behutsamen Forderungen, denen der dialogische Mensch sich unterwerfen muss: den schmalen Grat spiritueller Standhaftigkeit, der dialogisches Leben ist. Beinahe wie eine biblische Randbemerkung zu den vorangegangenen Lebenserfahrungen, jetzt aber vorgebracht als Interpretation der schwierigen Passage im Buch Exodus (Ex 4,24-26), in der Mose vom Herrn bei seiner Rückkehr nach Ägypten angegriffen wird, erklärt Buber das Ereignis als Teil der inneren spirituellen Biographie Moses. 43 Nach seiner Beauftragung musste er erst noch geprüft werden vor dem Einen, der da sein würde, wie Er da sein würde. Der Mann Gottes, so Buber, muss erst die Realität, dass Gott der Ursprung aller Dinge ist – der guten wie der schlechten –, durchleben. Erst dann 41. Der Dialog zwischen Himmel und Erde, in: An der Wende. Reden über das Judentum, Köln u. Olten: Jakob Hegner 1952, S. 85-107, hier S. 88 f.; jetzt in: MBW 20, S. 345-353, hier S. 346. 42. Vgl. »Religion in unserem Land«, jetzt in: MBW 20, S. 165 (Darkhe ha-dat be-artzenu, S. 39). 43. Vgl. den Abschnitt »Göttliche Dämonie« in Moses; im vorliegenden Band, S. 398401.

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kann er ein wahrer »Gesandter« (oder Prophet) in der Geschichte sein. Selbstverständlich kann man einen solchen Gott nicht auf kognitivem Weg erkennen. Aber man kann ihm und seiner unumschränkten Einheit treu bleiben, indem man standhaft die Gesamtheit der Erfahrungen, wie sie einem begegnen, durchlebt. Diese Lehre findet sich in seinem Buch Moses, das er 1945 publizierte. Auf bemerkenswerte Art und Weise ist sie in den eher meditativen Reflektionen über das Thema in Ich und Du vorweggenommen, die eine ganze Generation (und einen Krieg) vorher abgefasst wurden. Bubers Arbeiten zur Bibel sind dadurch motiviert zu zeigen, was Vertrauen auf Gott bedeutet, das für ein authentisches dialogisches Leben Voraussetzung ist. Aus diesem Grund erweisen sie sich als eine tiefgründige Verbindung zwischen Studium und persönlicher Verwandlung. Diese seine Vorgehensweise ist in der Tat ein Beispiel für sein Ideal des »dienenden Wissens«. In einer tiefgreifenden und subtilen Anspielung auf den Gottesnamen, den er mit »Ich werde dasein, als der ich dasein werde« 44 übersetzt, erklärt Buber, dass der Mensch, der die Unterweisung der Bibel hört, entsprechend im Angesicht des Textes »da sein« wird 45 – aufmerksam und hörend. Das Studium steht demnach im Dienst des Lebens. Es ist eine Ausbildung im menschlichen Hören. Wenn wir tiefgründiger »lesen-hören«, so glaubt er, werden wir uns der Aufgaben, die das Leben stellt, authentischer annehmen. Denn genau wie das Leben widerstehen alle Texte – und der Text der Bibel tut dies am urbildlichsten – »dogmatischer Verkapselung«. Das Wort eines Textes kann nicht »besessen« werden, denn es gibt keine »Umfassung« oder Einhegung des lebendigen Wortes. Vielmehr treten wir in einen Text so ein, wie wir in einen Dialog eintreten – allmählich und bruchstückhaft; und wir bauen eine Interpretation dialektisch auf – durch Korrekturen, Rückfragen und Antworten. Dieser Prozess vollzieht sich selbstverständlich als der berühmte hermeneutische Zirkel; und seine lebendige Dynamik ist, wie wir jetzt sehen, eine dialogische. In beiden Fällen, im Leben und im Studium, ist Bereitschaft die einzige Voraussetzung: die Bereitschaft zu hören und sich verändern zu lassen, abzulehnen und zu diskutieren, sich selbst zu finden und den anderen zu finden. Darum ist die Bibel Buber zufolge für den Menschen von heute ein 44. Das Buch Namen, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Berlin: Lambert Schneider [1926], S. 15, Ex 3,14. Vgl. auch die nachfolgende Übersetzung mit »Ich bin da« (ebd.). 45. Der Mensch von heute und die jüdische Bibel, in: Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 13-45, hier S. 20 f.; jetzt in: MBW 14, S. 38-55, hier S. 42

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schwieriges Buch. Sie ist ein Buch, gegen das sich der heutige Mensch sträubt, einfach aus dem Grund, »weil er der Offenbarung nicht standhält« – und weiter führt Buber aus: »Der Offenbarung standhalten heißt die Entscheidungsfülle des Augenblicks aushalten; heißt für den Augenblick antworten: ihn verantworten.« 46 Weil er vor solcher Verantwortung flieht, flieht der heutige Mensch vor der Bibel. Jemanden an diesen Text heranzuführen, bedeutet ihm die Erneuerung menschlicher Sprache und Entscheidung nahe zu legen. Hier gibt es keine »Bewältigung des Geheimnisses«, sondern einzig eine »Unmittelbarkeit zu ihm«. 47 Das Wort erfüllt sich »nicht im Gebild, sondern in der Bewährung«. 48 Bewährung aber gibt es nicht in der Dauer, wie sie dem Werk, dem Gebild zugehört, es gibt sie nur im faktischen Augenblick. Der biblische Humanismus kann sich nicht, wie der abendländische, über die Problematik des Augenblicks erheben; er will zum Standhalten in ihr, zur Bewährung in ihr erziehen. Diese Wetternacht hier, diese niederzuckenden Blitze, diese Androhung des Verderbens: entflieh dem nicht in eine Welt des Logos, in keine der vollkommenen Gestalt, halte Stand, höre im Donner das Wort, gehorche, erwidre! Diese furchtbare Welt ist die Welt Gottes. Sie fordert dich an. Bewähre dich als Gottes Mensch in ihr! 49

Buber schreibt seine Texte um des Durchhaltens in den Schrecknissen der Zeit willen. Er lehrt das Bibellesen mit dem Ziel, dass Menschen dialogische Menschen bleiben – trotz des Machtwillens und der Flut des Bösen in unserer Welt. Dies gilt besonders für seine Ausführungen über die Psalmen. Denn die Psalmen, so glaubt er, verleihen der menschlichen Stimme konkreten Ausdruck, die um emuna oder dialogische Standhaftigkeit in Zeiten der Verzweiflung kämpft. Entsprechend erweise es sich im Leben des Menschen, ob er ein Diener des lebendigen Wortes sei – durch Bewährung, wie er im obigen Zitat von 1933 sagt. Doch eine solche Bewährung des Selbst, eine solche durch die Bibel inspirierte Standhaftigkeit im Angesicht des Bösen muss in jedem Augenblick von Neuem gewonnen werden. Und so lehrte Buber seine Auffassungen wiederholt – jedoch nie mit so viel Menschlichkeit, wie er die Bibel und die Psalmen in den 1930er Jahren in Deutschland lehrte. In einem heroischen Akt geistigen Widerstands beschäftigte er sich mit dem Bibellesen und bewies dialogische Standhaftigkeit in den dunklen Wirren der Geschichte. Indem er sich auf die spirituellen Ressourcen seiner lebenslangen Bibelunterweisung 46. 47. 48. 49.

Der Mensch von heute und die jüdische Bibel, S. 22; jetzt in: MBW 14, S. 43. Biblischer Humanismus, S. 245; in diesem Band, S. 85. Ebd. Ebd.

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stützte, bekundete er emuna durch Bewährung. Viele Menschen hörten Buber Bibel lesen und erneuerten dadurch ihren eigenen Einsatz für den Vorrang und die Notwendigkeit des Dialogs in unserer Welt. In unserer heutigen Zeit, in der der kulturelle Wert der Schrift keineswegs selbstverständlich ist, bieten Bubers Lehren die Chance zu einer ähnlichen Erneuerung. Zumindest war dies seine hermeneutische Hoffnung. Konfrontiert mit akademischer Kritik an seiner Methode und seiner Emphase – das heißt: konfrontiert mit dem Bestreben, die Schrift als Ansammlung historischer Fakten statt lebendiger Unterweisung zu lesen – könnte Buber auch hier in der Art und Weise antworten, wie er auf Gershom Scholems harsche Kritik an seinen chassidischen Untersuchungen geantwortet hat. Scholem erinnert sich: Buber hörte mit großer Ernsthaftigkeit und großer Anspannung zu. Als ich fertig war, schwieg er für sehr lange Zeit. Dann sagte er langsam und betonte dabei jedes Wort: »Wenn das, was Sie jetzt sagen, stimmen würde, mein lieber Scholem, dann hätte ich 40 Jahre absolut vergebens über den Chassidismus gearbeitet, denn in diesem Fall interessiert mich der Chassidismus überhaupt nicht. 50

50. Vgl. Scholem, Martin Bubers Auffassung vom Judentum, in: Ders., Judaica 2, Frankfurt a. M. 1982, S. 133–192, hier S. 186.

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»Moses«, der Mann Gottes »Wie klein erscheint der Sinai, wenn der Moses darauf steht!«, stellt Heinrich Heine in seinen »Geständnissen« von 1854 51 fest. Und er war nicht der Einzige mit dieser Ansicht. Die alles überragende Gestalt des Mose hat Generationen kreativer Schriftsteller von der Antike bis zum heutigen Tag fasziniert und eindrucksvolle Darstellungen dieses Mannes Gottes und seines Lebens inspiriert. Ein altes rabbinisches Sprichwort sagt: »Jede Generation hat ihre Interpreten, jede Generation ihre Weisen.« Dies trifft auch auf die Darstellungen des Mose zu. Jede Generation hatte ihre Interpreten, und jede Generation hat Mose im Lichte ihrer eigenen Vorstellungen und Interessen porträtiert. Man denke nur an das stoisch-philosophische Leben Moses des großen jüdischen Denkers Philo von Alexandria (ca. 10 v. Chr.-45 n. Chr.); an die Darstellungen des Mose auf den Fresken der antiken Synagoge von Dura-Europos; an die mittelalterlichen jüdischen »Chroniken Moses, unseres Lehrers« und den »Midrasch über den Tod des Mose«; und natürlich an den gewaltigen »gehörnten Mose« des Michelangelo – selbst das Erbe einer antiken künstlerischen Konvention. In jüngerer Zeit hat Achad Haam (1856-1927) sein Programm des spirituellen Zionismus durch einen einflussreichen Aufsatz mit dem Titel »Moses« (1904) befördert 52 ; bedeutende Vorstöße der modernen Exegese stellten Mose und seine Leistungen in ihren Mittelpunkt (z. B. die Aufsätze von Hermann Gunkel (1862-1932) von 1913 und 1930 und die Bücher von Hugo Gressmann (1877-1927) von 1913 und Paul Volz (1871-1941) von 1907 und 1932 53 . Arnold Schönberg (1874-1951) begann 1928 mit der Arbeit an seiner unvollendet gebliebenen Oper Moses und Aron und Sigmund Freud (1856-1939) publizierte 1939 Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Im September 1944 schloss Martin Buber seine eigene Arbeit

51. Geständnisse, in: Geständnisse, Memoiren und Kleinere autobiographische Schriften, hrsg. von Gerd Heinemann, Düsseldorf 1982, S. 41, in: Heinrich Heine, Historischkritische Gesamtausgabe der Werke, hrsg. von Manfred Windfuhr. 52. Moses, der Prophet, in: Moses [mit Beiträgen von Adolf Gelber, Henry George, J. G. Herder und Achad Ha-Am], Berlin 1905, S. 87-104. 53. Hermann Gunkel, Einträge zu »Moses« und »Mosessegen, Moseslied und Heerlied« in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 1913, Sn 516–526 u. 533–535, 2. Aufl. 1930; Hugo Gressmann, Mose und seine Zeit, Göttingen 1913: Paul Volz, Mose. Ein Beitrag zur Untersuchung über die Ursprünge der israelitischen Religion, Tübingen 1907, der als Mose und sein Werk, Tübingen 1932, als 2. völlig neu bearbeitet Auflage erschien.

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mit dem Titel Moses ab. Das Buch erschien 1945 auf Hebräisch. Die englische 54 und deutsche Ausgabe folgten rasch (1946 und 1948). Buber fand erst relativ spät im Leben Zugang zur Bibel. Als er begann, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, war er bereits in ganz Europa als Übersetzer und Ausleger von Volkstraditionen aus aller Welt – seine frühen Wiedergaben chassidischer Erzählungen eingeschlossen – und als mystischer Denker und Befürworter eines spirituellen Zionismus bekannt. Im Rückblick auf diese frühen Jahre und seine Wendung zur Bibel veröffentlichte Buber 1952 ein Gedicht mit dem Titel »Bekenntnis des Schriftstellers«. 55 Ich bin einst mit leichtem Kiele Ums Land der Legende geschifft, Durch Taten, Werke und Spiele, Unlässig den Sinn nach dem Ziele Und im Blut das berückende Gift – Da ist einer auf mich niedergefahren, Der faßte mich an den Haaren Und sprach: Nun stelle die Schrift. Von Stund an hält die Galeere Mir Gehirn und Hände in Gang, Das Ruder schreibt Charaktere, Mein Leben verschmäht seine Ehre Und die Seele vergißt, daß sie sang. Alle Stürme müssen stehn und sich neigen, Wenn grausam zwingend im Schweigen Das Wort des Geistes erklang. Hau in den Fels deine Taten, Welt! In der Flut ist Schrift erstellt. … Mit diesen Worten tat Martin Buber die Beweggründe und das Schicksal seiner literarischen Arbeit kund. Diese frühen Jahre, so sagte er 1956, seien eine Zeit der »Bereitschaft« gewesen, »für eine mir durch schriftliche und mündliche Überlieferung erschlossene große Glaubenswirklichkeit Zeugnis abzulegen«. 56 Mit der Jähheit eines prophetischen Auftrags, 54. Die Ausgabe von 1958 hat als Untertitel The Revelation and the Covenant. 55. Neue Schweizer Rundschau, Neue Folge, 20. Jg., Heft 3, Juli 1952, S. 144; jetzt in: MBW 7, S. 98. 56. Der Chassidismus und der abendländische Mensch, Merkur, 10. Jg., Nr. 10, Oktober 1956, S. 933-943, hier S. 933; jetzt in MBW 17, S. 304-314, hier S. 304.

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die an den Propheten Ezechiel erinnert, erfuhr Buber sich selbst als jemanden, der beim Schopfe ergriffen und zu dem gesagt wird: »Nun stelle die Schrift!« Von da an widmete er sich der Aufgabe, »Zeugnis abzulegen« für die Glaubenswirklichkeit, wie sie sich in der Bibel offenbart. Während er selbst in unmittelbarer Nähe zur Hebräischen Bibel aufgewachsen sei, so berichtet er, hätten frühe Erfahrungen mit deutschen Übersetzungen das Buch für ihn geradezu verschlossen. 57 Erst Jahre später, in der Trauer nach dem Tod Theodor Herzls (1860-1904), entdeckte er das lebendige Wort der Schrift neu. Sein Vorhaben von 1913, gemeinsam mit einer interkonfessionellen Gruppe von Theologen die Bibel frei von traditionellen und stilistischen Lasten neu zu übersetzen, wurde nie in die Tat umgesetzt. Eine neue Gelegenheit ergab sich mit einem Angebot des Verlegers Lambert Schneider. Buber begann 1925 gemeinsam mit seinem Freund Franz Rosenzweig damit, »die Schrift zu stellen«. Aber nur Buber lebte lange genug, um diese Aufgabe nach vielen Unterbrechungen im Jahr 1961 zu vollenden. Die kulturelle Leistung dieses Werks war beispiellos; allerdings konnte Gershom Scholem in seiner oben erwähnten Rede »An einem denkwürdigen Tage« anlässlich des Abschlusses dieses Werks von humanistischer und spiritueller Gelehrsamkeit nicht anders, als auf die Ironie hinzuweisen, dass es die deutschen Juden, für die das Werk gedacht war, nicht mehr gab und dass das Bemühen um eine lebendige Sprache, die ihre Hörer mündig machen sollte, ein Hirngespinst geworden sei. Während des Krieges und danach waren die Sprache und das Bild des Menschen trivialisiert, wenn nicht völlig entheiligt worden. Moses war nicht Bubers erste Monographie oder Abhandlung über die Bibel. Voraus gingen ihr eine Arbeit über das Entstehen des jüdischen Messianismus mit dem Titel Königtum Gottes (1932), die Aufsatzsammlung Die Schrift und ihre Verdeutschung (1936) und seine hellsichtige Untersuchung Der Glaube der Propheten (1944), die Grundgedanken des dritten Teils der geplanten Arbeit über den Messianismus ausarbeitete. Als ein spätes, ausgereiftes Werk bietet Moses die Gelegenheit einer Rückschau auf Bubers anhaltendes Bemühen um die Schrift. Denn in diesem Buch kommen seine methodologischen Voraussetzungen in Bezug auf biblische Traditionen und deren Rückgewinnung, seine Einstellung gegenüber Sprache und Stilistik der Bibel und seine Ansichten über die Lehren der Bibel und deren bleibenden Wert unverstellt zum Ausdruck. Bezeichnenderweise haben diese drei Dimensionen 57. Diese Informationen stammen aus einem Text, der zu Bubers Lebzeiten nur hebräisch erschien. Vgl. das Manuskript Arc. Ms. Var. 350, 03 46a »Warum und wie wir die Schrift übersetzten«; jetzt in: MBW 14, S. 170-185; hier S. 172 f.

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der Arbeiten Bubers zur Bibel strukturelle Parallelen zu den drei grundlegenden Bereichen, denen sich die antiken wie die modernen hermeneutischen Studien gewidmet haben: (1.) die theoretische Beschäftigung mit den Methoden und Voraussetzungen textueller oder kultureller Interpretation; (2.) die praktische Beschäftigung mit den Strategien von Textinterpretation und historischer Rekonstruktion; und (3.) das kulturelle Anliegen der Relevanz älterer Texte für und deren Anwendung auf neue Lebenserfahrungen und -aufgaben. Aber bedeutender als die Gemeinsamkeiten wiegen die Unterschiede. Denn wenn Bubers Aufgaben als Leser und Ausleger antiker Texte teilweise durch eine lange Tradition der wissenschaftlichen Forschung vorgegeben waren, so betrachtete er die drei genannten Bereiche der hermeneutischen Untersuchung nicht als voneinander getrennte Arbeitsgebiete. Die Trennung von Theorie und Praxis und der sogenannten objektiven historischen Forschung von der beständigen (subjektiven) Lehre eines Textes war nicht seine Methode. Dies, so glaubte er, seien falsche und tendenziöse Dichotomien. Im Gegensatz zur westlichen Hermeneutik im Allgemeinen war Buber bemüht, Forschung, Lektüre und Lebensunterweisung miteinander zu verflechten. Dies ist die Voraussetzung und der immer wiederkehrende Ausdruck seines Lebenswerks, die stets berücksichtigt werden müssen. Für Martin Buber sind große Werke wie die Bibel authentische Urkunden der menschlichen und religiösen Wirklichkeit, die ihrer literarischen Abfassung stets vorausgeht. Diese etwas romantische Überzeugung, dass die zentrale Erfahrung, die einem Text zugrunde liegt, in allen seinen späteren Wiedergaben bewahrt bleibt und von einem disziplinierten und aufmerksamen Leser auch in späteren Zeiten durchdrungen werden kann, ist eine Grundvoraussetzung seiner Arbeit. Aus diesem Grund war er selbst in seinem »Vorwort« zu Moses äußerst kritisch gegenüber jenen Gelehrten, die die Bibel lediglich als Aneinanderreihung literarischer Handlungsstränge begreifen, die weit von der konkreten Glaubenswirklichkeit, von der sie sprechen, entfernt sind, oder die bestenfalls hoffen, die literarischen Kernstücke, von denen aus sich eine Erzähltradition entfaltet hat, rekonstruieren zu können. Dies waren und sind die Grundhaltungen der sogenannten literarisch-dokumentarischen und der traditionsgeschichtlichen Herangehensweisen an den biblischen Text. Selbstverständlich bestritt Buber nicht, dass die Umarbeitungen epischer oder anderer Traditionen uns oftmals mehr über die Generationen verraten, die das Material überliefern, als über die literarischen oder historischen Kerne, die diese anhaltenden Antworten hervorgerufen haben.

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Doch er spürte, dass es nicht nur in die falsche Richtung gehe, sondern auch phantasielos sei, die Dinge auf diese Weise anzugehen. Denn erstens war er der Meinung, andere Forscher seien schlicht »wissenschaftlichen Schulmeinungen verhaftet« und wiederholten ihre kritischen Patentlösungen immer wieder, ohne sich auf das Risiko »unbefangener […] kritischer Forschung« einzulassen. 58 Darüber hinaus fühlte er, dass die alten Sagen trotz des »fortdauernde[n] Kristallisationsprozess[es]« ihre ursprünglichen Erfahrungsstrukturen bewahrten, und als »neuen geschichtlichen Zusammenhang begründend« wirkten. 59 Der deutsche romantische Volkskundler Jacob Grimm (1785-1863) bezeichnete 1813 Momente wie diese als solche »objektiver Begeisterung«; 60 und mit seinem eigenen Lehrer Wilhelm Dilthey glaubte auch Buber, er könne sich intuitiv und ideenreich mit diesen frühen Erfahrungen identifizieren. Um Bubers eigene romantische Terminologie zu benutzen, die er in anderen Kontexten gebraucht: Ein solches Wiedererleben großer Momente geschichtlichen Enthusiasmus’ in der Phantasie sei eine Art von literarischem Erlebnis – oder eine dynamische, enthusiastische Erfahrung durch Texte, die über große Momente des menschlichen Geistes berichten. Das Ergebnis, so nahm Buber an, würde ein wahres Verstehen dieser Momente und eine wechselseitige Erneuerung des Lesers sein, der diese Stufe der Vorstellungskraft zu erreichen in der Lage sei. Und so war Buber in Moses bestrebt, hinter die literarischen »Kristallisationen« der hebräischen Sage hin zu den konkreten geschichtlichen Erfahrungen der religiösen Ursprünge Israels vorzudringen. Er glaubte sich in diesem Bestreben unterstützt durch die sprachlichen Eigentümlichkeiten der Schrift selbst. Buber verstand das rabbinische Wort für Bibel, Miqra, in genauester Wörtlichkeit als »das Laut-zu-Lesende«. Damit meinte er weniger ein Ausrufen oder Lesen der geschriebenen Schrift als vielmehr den erhaltenen Aufschrei der ursprünglichen Gesprochenheit der Ereignisse – so, wie sie zum ersten Mal in der sich »spontan bildenden Erinnerung« ihrer menschlichen Zeugen ausgesprochen worden waren, und wie sie fortdauernd ausgesprochen worden sind und ausgesprochen werden durch die lebendige Überlieferung, bis das gegenwärtige Zeugnis sich gefestigt hat. Der Leser muss von daher aufmerksam auf jede Sprachgestalt hören, bis er intuitiv die ursprünglichste hört und er damit die Stimme der göttlichen Gegenwart »hört«, wie sie in der Geschichte zu den alten Israeliten spricht. Als Hil58. Moses, S. 7; im vorliegenden Band, S. 353. 59. Vgl. die Diskussion, ebd., S. 19 f.; im vorliegenden Band, S. 360. 60. Vgl. Gedanken über Mythos, Epos und Geschichte, in: Kleinere Schriften IV, S. 74 (ursprünglich in: Deutsches Museum, III, 1813, S. 53.

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fe für dieses Hören wird dem Leser-Hörer geraten, den wiederkehrenden Wörtern und Mustern in der Schrift Beachtung zu schenken. Für Buber sind die »Leitwörter« oder Schlüsselwörter Hinweise auf die tiefere Bedeutung des Textes – Hinweise nicht nur für das Verständnis seiner literarischen Bedeutung und Tradition, sondern auch auf die ihm zugrunde liegenden Lebenserfahrungen. Das ist das grundlegende Prinzip aller Arbeiten Bubers zur Bibel, und es hat viele Leser unserer heutigen Zeit in hohem Maße beeinflusst. Was Buber 1952, kurz nachdem er Moses geschrieben hatte, über die Psalmen sagte, verlieh seiner frühen und fortwährenden Annahme bezüglich der Stilistik der Bibel Ausdruck: »Die Wiederkehr der Motivworte ist ja ein grundwichtiges Kompositionsgesetz der Psalmen, dessen Bedeutung sowohl eine dichterische – rhythmische Entsprechung von Lautwerten – als auch ganz besonders eine hermeneutische ist: Der Psalm deutet sich selbst, indem er durch Wiederholungen auf das zu seinem Verständnis Wesentliche hinweist.« 61 Bezeichnenderweise geht die Wiederkehr von Leit- oder Schlüsselwörtern im biblischen Text nicht immer konform mit den vorherrschenden kritischen Theorien darüber, wie ein Text aus unterschiedlichen »Dokumenten« entstanden ist. Aus diesem Grund muss der Bibelleser »über sie [die Quellenscheidungen der modernen Wissenschaft] hinaus zu tieferen Scheidungen und Bindungen vordringen […]«, wie Buber in seiner einflussreichen Cherut-Rede 1918 vor jüdischen Jugendlichen in Wien sagte. 62 Denn um es noch einmal zu betonen: Literarische »Urkunden« sind für Buber nicht der Ausgangspunkt seiner Bibelkritik – die Sprache ist es, die Sprache der Erfahrung, die in den Leitwörtern und dem »LeitwortStil«, der sich um sie herum entwickelt, aufbewahrt sind. So weist beispielsweise in Moses, in der »Erzählung davon, wie Mose zu seinen Brüdern ausging«, das »dreimal wiederkehrende ›er sah‹ … und das zweimal reimhaft wiederkehrende ›seine Brüder‹ […] auf das Wesentliche hin«. 63 Der biblische Text ruft also sein eigenes Interpretationsschema auf und drängt den Leser dazu, auf die einzigartige Poetik eines bestimmten Abschnitts zu achten. Ist er darauf eingestellt, kann der Leser dann die »tieferen Bindungen« zwischen diesem Abschnitt und anderen, an anderer Stelle befindlichen Abschnitten des biblischen Korpus erkennen. Moderne Literaturtheorie vorwegnehmend, entwickelte Buber so eine eigene Auffassung der in der Bibel vorhandenen Intertextualität – durch die Wörter in einem Textabschnitt auf andere, die sich an anderer Stelle be61. Recht und Unrecht. Deutung einiger Psalmen, Klosterberg-Basel: Benno Schwabe & Co 1952, S. 65; im vorliegenden Band, S. 572 62. Cherut, S. 33; jetzt in MBW 8, S. 125 f. 63. Moses, S. 52; im vorliegenden Band, S. 380.

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finden, anspielen oder diese transformieren. Darum sollte die Bibel als komplexes System sprachlicher Dynamiken gelesen werden. Bei all dem war Bubers Ziel weder eine ästhetische noch eine ahistorische Beurteilung der »literarischen Strukturen« der Bibel um ihrer selbst willen. Vielmehr bestand das Ziel der kritischen Aufmerksamkeit, die er der biblischen Sprache schenkte, darin, das Glaubensleben des alten Israel auf angemessene Weise zu durchdringen, um eines historischen Verständnisses willen, das von einer Selbsterneuerung des Lesers untrennbar ist. Buber konnte also mit den Programmen sogenannter objektiver, historisch-philologischer Wissenschaft, die seiner Meinung nach den bleibenden Sinn des Textes verdunkeln, nichts anfangen. Noch war er an einer persönlichen Subjektivierung des Textes interessiert, die dessen konkrete, geschichtliche Andersheit verschleiert oder ignoriert hätte. Für ihn zielten beide Herangehensweisen auf ein- und dasselbe – sofern sie denn richtig verfolgt würden. Und er glaubte fest daran, dass seine eigenen hermeneutischen Vorannahmen und Lesestrategien zu diesem Ziel führen würden. Das Verhältnis von »historischem Verständnis« und »persönlicher Verwandlung« ist freilich ein kompliziertes. Und bei bedeutenden Menschen des Geistes wie Martin Buber können die Grenzen oftmals völlig verfließen. Dies gilt meiner Meinung nach auch für Bubers Moses. So wie es möglich ist, im »Mose« in Sigmund Freuds Der Mann Moses und die monotheistische Religion den Autor selbst zu entdecken, kann man im Moses Martin Buber und sein Denken wiederfinden. Vielleicht ist der Grund hierfür die intuitive Methode, die hier eine wichtige Rolle spielt. Denn sie eignet sich – unbeabsichtigt – für das, was man »hermeneutische Übertragung« nennen könnte, die Projizierung des eigenen Lebensprogramms (und mehr) auf den Text. Vielleicht haben wir es hier aber auch einfach mit Geistesgröße zu tun, mit einem gewaltigen Intellekt, der alle Räume des Textes ausfüllt. Wie auch immer: Buber glaubte, dass der dialogische Gedanke, wie er in Ich und Du zum Ausdruck kommt, von den tiefen Wahrheiten der Bibel untermauert würde, und dass durch das Studium der Bibel (und des Chassidismus) sein eigenes Denken zugleich genährt und verfeinert würde. Wer weiß? Wir können allenfalls auf die bemerkenswerte Affinität des strukturellen Gegensatzes von »Ägypten« und »Israel« in Moses mit dem, der uns in allen anderen seiner Schriften begegnet, hinweisen. Für Buber sind Ägypten und sein pharaonischer Beamtenapparat die Verkörperung der »Ich-Es«-Modalität der menschlichen Existenz. Dieser Staat mit seiner unpersönlichen Zivilisation, die von Routine und Technik am Laufen gehalten und durch Magie und Wahrsagung manipuliert

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wird, kennt nur ein Ziel, Kontrolle über die Götter auszuüben, dem göttlichen Geheimnis Form zu verleihen und für alle Menschen starre Strukturen in Gesetze zu fassen. Das ist weit entfernt von Israel und Mose, wie sie idealtypisch in Moses gezeichnet werden, denn diese Nation und ihr Führer sind ein Beispiel für die »Ich-Du«-Modalität der menschlichen Existenz. Israel wird unmittelbar von Gott ins Dasein »gerufen«, und alle erkennen als Gemeinschaft die Forderung nach »ausschließlicher Herrschaft« an, 64 die diese sich äußernde Gegenwart Gottes an sie stellt. In der »Aufnahme in ein Lebensverhältnis«, das nicht starr ist und das von Israel verlangt, in Freiheit die immer wieder neuen Aufgaben des Alltagslebens anzugehen, besteht der Bundesschluss. Nicht eine Reihe von Rechtsbestimmungen, sondern die Voraussetzung einer »lebendigen Beziehung« 65 zwischen Gott und Volk ist für Buber der Bund. Er ist das historische Unterpfand der Bereitschaft Israels, auf die Stimme oder Gegenwart Gottes in der Geschichte zu antworten. Mose ist der vollkommene Ausdruck dieser Bereitschaft, die »Herrschaft des Geistes« 66 über sein Leben anzunehmen und auf die Einheit allen Lebens unter Gott hinzuarbeiten. Die Willensschwachen im Volk hingegen wünschen sich, nach Ägypten zurückzukehren; dies ist die Sünde des Versuchs, »Gott haben« zu wollen, »über ihn durch ein sakrales System verfügen [zu] können« 67 . Die Spannung zwischen Mose und dem aufständischen Volk ist somit für Buber die Spannung zwischen denen, die ihr ganzes Leben der Königsherrschaft Gottes unterwerfen, und denen, die selbstgemachten Götzen dienen. Die Zurechtweisung des Volkes durch Mose wird von späteren Propheten fortgeführt, während gleichzeitig weiterhin der Wunsch des Volkes nach einem kontrollierbaren Gott besteht, was seinen Ausdruck unvermeidlich darin findet, das Leben in voneinander getrennte und kontrollierbare Sphären aufzuspalten – »Politik«, »Religion«, »Ethik« etc. Buber verstand die biblische Erzählung dahingehend, dass sie der Menschheit ein Gegen-Gebot auferlegt, das darin besteht, die Vernetzung der einzelnen Lebensaufgaben miteinander zu erkennen und auf deren persönliche und gemeinschaftliche Vereinigungen unter Gott hinzuarbeiten. In Moses und in Bubers Denken überhaupt dient das vertrauensvolle »Israel« des Bundes dem Einen wahren Gott der »offenen Zukunft«, wohingegen das »Ägypten« der Pharaonen den Götzen dient, die ein vorherbestimmtes Schicksal in Aussicht stellen. Diese Polarität 64. 65. 66. 67.

Moses, S. 193; im vorliegenden Band, S. 465. Vgl. Moses, S. 192; im vorliegenden Band, S. 465. Vgl. Moses, S. 158; im vorliegenden Band, S. 444. Moses, S. 188; im vorliegenden Band, S. 462.

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führt Buber 1954 in seinem Aufsatz »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« genauer aus. Und so führt bei Buber ein richtiges historisches Verständnis der Bibel zu einer persönlichen Verwandlung. Durch die Worte des Textes wird man zu seiner authentischen »Gesprochenheit« geführt – und das bedeutet zu verstehen, wie die göttliche Gegenwart den Einzelnen in und durch die Ereignisse des Lebens anspricht, ihn zur völligen Hingabe an die göttliche Einheit herausfordert und ihn in all seinem Tun nach Heiligkeit und Harmonie streben lässt. Wenn er all dem Beachtung schenkt, wird der Leser nicht so sehr neue Erkenntnisse »haben« oder durch dieses oder jenes Gebot herausgefordert werden. Viel tiefer führt es, wenn sich die Linien dieser verschiedenartigen Lehren miteinander verbinden, um den Leser in seiner Beziehung zur Existenz und zu anderen Menschen zu verändern. Somit ist die Bibel nicht so sehr ein alter Text, der unseren heutigen Bedingungen angepasst werden muss. Als wahrer Text, das heißt als ein Text, der in Wahrheit davon spricht, wie Gott in der jeweiligen Zeit seine Gegenwart an die Einzelnen adressiert, ist die Bibel ewiger Text. Richtig gelesen, ist sie mithin ein Text, der die Beziehung des Menschen zur Sprache und zu den Menschen und schließlich zu den Herausforderungen, die die Freiheit an den heutigen Menschen stellt, erneuern kann. In alldem spricht Martin Buber mit prophetischem Nachdruck. Er schrieb Moses 1944, in einer Zeit geschichtlicher Gräuel. »Dass Mose ihn so wahrnimmt [als erscheinenden, anredenden und offenbarenden Gott] und ihm als einem solchen dient, das ist es, was diesen Mann als lebendig wirkende Kraft in alle Zeiten gestellt hat und so wieder neu in unsere, vielleicht wie keine frühere seiner bedürfende Zeit stellt.« 68 Sicher: Man kann Moses als Antwort auf die Zeit lesen. Als Werk, das auf Bubers Lehren aufbaut, die das Ziel haben, durch die Bibel eine Stellungnahme über den wahren Führer, das wahre Reich und über Israels einzigartigen Beitrag zur Kultur zu artikulieren. In der Tat: Wir wollen nicht den dämonischen Führer vergessen, der zu jener Zeit tobte und tötete um eines anderen »Reiches« willen und gegen die jüdische Kultur, die wie er sagte, der Welt den »Fluch des Berges Sinai« gegeben habe. 69 Doch bei Moses handelt es sich nicht lediglich um eine moralische Predigt gegen die historische Tyrannei, mit der Bibel als Alibi oder Rechtfertigung – in der Art eines alten rabbinischen Midrasch. Jedenfalls ist er nicht nur das. Denn Moses ist – vielleicht – auch ein eher in68. Moses, S. 13; im vorliegenden Band, S. 365. 69. Vgl. die Erinnerungen Hermann Rauschnings, Ein Gespräch mit Hitler, in: The Ten Commandments. Ten Short Novels on Hitler’s War Against the Moral Code, hrsg. von Armin L. Robinson, New York 1944, S. xiii.

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direkter Midrasch: einer, der im Prozess der historischen Forschung ein neues Verständnis Gottes in der Geschichte anrät. Er enthält eine verantwortungsvollere Auffassung von Wissenschaft, die diese in das Geschehen miteinbeziehen will, und ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein von der Macht der Sprache. Dies sage ich mit allem gebührenden Respekt. Denn wie jeder große Midrasch transzendiert Bubers Exegese der Bibel ihren Gegenstand, was zur Folge hat, dass der Leser zu einem Verständnis und einer Hingabe gelangt, die über den Text hinausgehen. In Abwandlung eines alten rabbinischen Spruchs könnte man sagen: »Die abstrakte midraschische Lesart von Texten ist nicht die Hauptsache, sondern vielmehr die Verwandlung dieser Texte – durch einen Midrasch – in Kraftquellen zur Erneuerung persönlichen und zwischenmenschlichen Lebens.« 70 Ob aus Bubers Methode tatsächlich exakte historische Erkenntnis erwächst, mag dann nicht der wahre oder letzte Maßstab sein, der an sein biblisches Œuvre anzulegen ist. Die Besonderheit seines Werks liegt vielmehr in der Art und Weise, die Bibel zu lesen, die Buber lehrte: eine Art und Weise, die den Leser nicht loslässt und ihn tief in seiner Menschlichkeit berührt. Sie fordert, immer neu zu unterscheiden zwischen »selbstbewußtem Vorhandensein und wahrhaftem Existieren« – wie Buber selbst einige Jahre nach der Abfassung von Moses sein übergreifendes exegetisches Anliegen beschrieb. 71 Die Vorstellung, der nachhaltige Wert von Bubers exegetischen Lehren könne in seiner Fähigkeit liegen, Menschen von heute in ihrem Selbstverständnis anstatt in abstraktem Geschichtswissen zu unterweisen, ist vielleicht paradox – eben weil die Unterweisung des Menschen im Prozess historischer Forschung empfangen wird. Wenn es aber ein Paradox ist, dann nur so, wie es alle midraschischen Paradoxa sind. Denn die Wahrheit des Midrasch ist nicht die Wahrheit von historischen Informationen oder von Textanalysen. Sie ist die Wahrheit der Kraft von Schriftworten, die den Leser in eine authentische Beziehung mit dem Geheimnis der Welt hineinziehen, einer Welt, die durch Sprache und durch persönliche Beziehungen von Angesicht zu Angesicht konstituiert wird, die Gesprochenheit erforderlich macht. Es ist dies Bubers fortbestehendes Erbe, uns dies auf so subtile Weise gelehrt zu haben. Jenseits von allem Dogmatismus und starren Geboten ist die Bibel für Martin Buber die geborgene und für immer hörbare Sprache des lebendigen Gottes. Sie ist eine Lehre, die auf einen unendlichen Weg verweist. Und das ist auch die Lehre des Midrasch. 70. Vgl. mAv I,17 (BT, Bd. IX, S. 667) 71. Vgl. Recht und Unrecht, S. 8; in diesem Band, S. 544.

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Bewährung durch das Leben: Martin Bubers dritte Alternative Eine Lehre aus dem Talmud (bSan 119b) bringt die Herausforderung, die Martin Buber für das zeitgenössische religiöse Bewusstsein darstellt, plakativ zum Ausdruck. Sie lautet: Wer immer mit all seiner Kraft mit Amen antwortet, für den werden die Tore des Paradieses geöffnet. Wie gesagt ist (Jes 26,2): »Öffnet die Tore, dass komme das gerechte Volk, das Treue hält (shomer emunim).« Sage nicht: shomer emunim [wie geschrieben], sondern: she’omerim amen, (die), die Amen sagen!

In diesem Midrasch reformuliert Resch Lakisch auf kraftvolle Weise eine alte Liturgie, die beim Betreten des Tempel gesprochen wurde, und die Jesaja wieder aufgreift, um ein neues theologisches Argument anzubringen: dass nämlich Gerechtigkeit sich dadurch auszeichnet, dass man in die gemeinsamen Gebete einstimmt – eben dies ist das Tor zum Paradies. In dem Vorgang wird die prophetische Unterweisung, die zunächst an das Volk erging, nun an Einzelne gerichtet; und der alte »Akt« der Treue wird als Sprachereignis wiederhergestellt – in der Tat ein »Sprechakt«. Buber würde dem wohl zustimmen, denke ich, denn auch er verstand »Treue« oder emuna als Akt des Lebens, verwirklicht durch den zustimmenden und bejahenden Logos, d. h. durch die immer wieder neue Antwort des Einzelnen auf den göttlichen Logos der Wirklichkeit – in der Fülle seiner oder ihrer jeweiligen Kraft. Der Refrain dieser »dialogischen Handlungen« ist das Gespräch des vertrauenden Lebens, denn solches »Ja-Sagen« erneuert unsere Haltung zur Welt. Religiöse Wirklichkeit ist damit gegenwärtig in der konkreten Immanenz des alltäglichen Lebens, in dem anhaltenden Amen-Sagen. Nur dieser Akt der Bestätigung oder Zustimmung, die mit aller Kraft zum Ausdruck gebracht wird, öffnet die Tore des Paradieses – jetzt und für immer. Damit sollte deutlich werden, dass Martin Buber mit seiner bedeutenden Lehre von der göttlichen Immanenz eine radikale Neukonfiguration von Offenbarung und religiösem Handeln vorgelegt hat. Für ihn ist Offenbarung kein einmaliges Geschehen, das sich ein für alle Mal, in illo tempore, ereignet; sie ist vielmehr ein Moment des hic et nunc, hier und immer wiederkehrend gegenwärtig. Oder, wie er es in Ich und Du ausdrückt: »Das wovor wir leben, das worin wir leben, woraus und worein wir leben, das Geheimnis: es ist geblieben, was es war. Es ist uns gegenwärtig geworden.« 72 Folgt man Buber, so könnte man sogar sagen, dass 72. Martin Buber, Ich und Du, S. 128.

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dieses unaussprechliche Geheimnis uns persönlich gegenwärtig wird in der Wirklichkeit unseres Lebens: Es wird zu »eine[r] Gegenwart als Kraft« 73 . Hier werden keine unveränderlichen Inhalte empfangen, nichts enträtselt und keine »Entschleierung des Seins« vorgenommen. Vielmehr, so fügt Buber hinzu, können wir nur hingehen, auf immer neue Weise entsprechend den Forderungen des Augenblicks, und diese Gegenwart als Kraft bewähren. 74 Allerdings – und das ist das große »Jedoch« – kann diese Bewährung nicht als ein geltendes Sollen tradiert werden, sie ist nicht vorgeschrieben, sie steht auf keiner Tafel verzeichnet, die über allen Köpfen hinweg aufzurichten wäre. Zu bewähren vermag den empfangenen Sinn jeder nur mit der Einzigkeit seines Wesens und in der Einzigkeit seines Lebens. Wie uns zur Begegnung keine Vorschrift führen kann, so führt auch aus ihr keine. Wie es zum Zu-ihrkommen nur der Akzeptanz der Gegenwart bedarf, so in einem neuen Sinn im Aus-ihr-gehen. Wie man mit dem bloßen Du auf den Lippen in die Begegnung gelangt, so wird man mit ihm auf den Lippen aus ihr zur Welt entlassen. 75 Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass dieser Hinweis eine hermeneutische Neuformulierung einer früheren Aussage ist. Buber bestreitet nicht nur, dass Offenbarungen im Jetzt und Hier als ein unpersönlicher Inhalt auf andere übertragen werden könnten; er sagt auch, dass es keine »Tafel« gibt, die einem anderen »vor-geschrieben« oder »ein-geschrieben« werden kann. In dieser Formulierung kann man gewiss die unumwundene Zurückweisung der luchot, der Tafeln des Sinaibundes, hören, auf die die Vorschriften für das ganze Volk auf- oder eingeschrieben waren. Stattdessen ist Offenbarung für Buber eine direkte Begegnung mit der göttlichen Gegenwart in und durch den lebendigen Logos der Wirklichkeit. 76 Man kann dem Augenblick nur durch die Verbalisierung der Gegenwärtigkeit begegnen, die das Selbst anspricht. Dieses Du-Sagen ist somit ein grundlegendes Anerkennen der spezifischen personalen Gegenwart, die sich im Augenblick offenbart. Deren neutralere Variante ist das »Amen«, das wie die alte Äußerung Israels am Sinai: na’aseh venishma`, »wir tuns, wir hörens« (Ex 24,7) ein gemeinschaftliches Zeugnis ist. Das bedeutet: Wir tun und hören die Gebote der Stunde durch aufmerksame Ansprechbarkeit.

73. 74. 75. 76.

Ebd., S. 127. Ebd., S. 128. Ebd. Vgl. Bubers Behandlung dieses Themas in dem Kapitel »Die Worte auf den Tafel« in: Moses.

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In einem aufschlussreichen Abschnitt in Ich und Du führt Buber diesen Punkt näher aus: Auch die Lebensstruktur der reinen Beziehung, die »Einsamkeit« des Ich vor dem Du, […] [kann] [i]n Wahrheit […] zu raumzeitlicher Stetigkeit nur auferbaut werden, indem sie sich an der ganzen Materie des Lebens verleiblicht. Sie kann nicht bewahrt, nur bewährt [werden] […]. Der Mensch kann der Beziehung zu Gott, deren er teilhaftig geworden ist, nur gerecht werden, wenn er nach seiner Kraft, nach dem Maß jedes Tages neu Gott in der Welt verwirklicht. Darin liegt die einzige echte Bürgschaft der Kontinuität. 77

Die Aufgabe besteht dann darin, Sinai in jedem Augenblick zu erneuern; die »Proben« und das »unvermeidliche Versagen« des Lebens zu überwinden, und zwar durch den entschlossenen »Aufstieg zur Bewährung« 78 . Dieses Leitwort, »Bewährung«, ebenso wie das Thema des »Bewährens« war bereits lange Zeit vor der Endfassung von Ich und Du Bestandteil von Bubers Denken. Beinahe alle oben angeführten Zitate tauchen in ähnlichen Formulierungen in seinen Lehrhaus-Vorlesungen vom 5. und 12. März 1922 auf. 79 Aber bereits in der Rede Cheruth, die Buber 1918 im Kontext der Zionistischen Jugendtage hielt, finden wir diesen Begriff. Darin artikulierte Buber Überlegungen zur jüdischen geistigen Erneuerung und kritisierte vor allem diejenigen, die religiöse Wahrheit als begriffliche Abstraktion darstellten. Vielmehr sei diese Wahrheit eine lebendige Kraft, die sich in und durch das Handeln von Einzelnen und von Gemeinschaften, die ihr Leben in die Bewährung stellen, realisiere: »im Leben des religiösen bewährenden Menschen, im Leben der religiösen bewährenden Menschengemeinschaft«. 80 Viele Jahre später beschäftigte sich Buber in »Biblischer Humanismus« erneut mit dem Thema der geistigen Wiedergeburt. Seiner Ansicht nach beruht dieser »Humanismus« zum Teil auf der Erneuerung der in der Hebräischen Bibel schlummernden »normativen Urkräfte«, denn in diesem Text ist die Stimme Gottes noch immer zu hören; und in diesem Hören kann ein Mensch erneuert werden, »der tun und hören will, was der Mund des Unbedingten ihm gebieten wird«. 81 Daraus folgt:

77. Ich und Du, S. 131 f. 78. Ebd., S. 120. 79. In der Vortragsreihe »Religion als Gegenwart« (Arc. Ms. Var. 350 02 29); jetzt in: MBW 12, S. 87-160, hier S. 143 u. 151 (siebenter und achter Vortrag). 80. Cherut. Eine Rede über Jugend und Religion, S. 18; jetzt in: MBW 8, S. 118. 81. Buber, Biblischer Humanismus, S. 242; in diesem Band, S. 82. Man beachte die Anspielung auf Ex 24,7.

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Humanismus geht von dem Geheimnis der Sprache aus und auf das Geheimnis der menschlichen Person zu. Die Wirklichkeit der Sprache soll im Geist der Person wirkend werden. Die Wahrheit der Sprache soll sich in der Existenz der Person bewähren. Das hat humanistische Erziehung gemeint, solang sie lebendig war. 82

Diese heroischen Worte schrieb er 1933. Ich werde an späterer Stelle noch einmal auf diesen Aufsatz zurückkommen. Doch jetzt, da wir einige Beispiele zusammengetragen haben, in denen uns das Schlüsselwort »Bewährung – bewähren« begegnet ist, lohnt es sich, einen Abstecher zu seiner Bedeutung und seinem Gebrauch zu machen. Ein aufschlussreicher Ort, an dem wir entsprechende Beispiele finden können, ist Bubers Übersetzung der Hebräischen Bibel, die er zusammen mit seinem Freund Franz Rosenzweig in einem stimmgewaltigen und nuancierten Deutsch verfasste. Untersucht man die mehr als hundert Stellen, an denen der Stamm zedek im biblischen Text vorkommt – insbesondere die Verteilung von Nomina wie zedek, zadik, zedakah, zedakot oder zidkot, Begriffe, die in der Regel mit »Gerechtigkeit«, »Gerechter«, »Rechtschaffenheit«, »gerechtes/rechtschaffenes Handeln« bzw. »gerechtes/siegreiches Handeln Gottes« wiedergegeben werden – so wird deutlich, dass Buber und Rosenzweig in ihrer Bibelübersetzung durchweg Varianten des Verbs »bewähren« oder des Nomens »Bewährung« verwendet haben (obwohl sie auch wortspielerische und lehrhafte Varianten wie »Wahrheit«, »Wahrhaftigkeit« oder »Wahrspruch« gebrauchten). Die bewusste Präzision dieser Verteilung bestätigt sich durch eine beinahe beiläufige Bemerkung der Übersetzer in ihrem Essay »Die Schrift und ihre Verdeutschung« von 1936. In einer Anmerkung zu »wurzelverschiedenen« Wörtern (biblische Wörter mit Wortstammvarianten), führen Buber und Rosenzweig aus, dass zedek den »Wahrspruch« eines Falles, d. h. wörtlich einen Urteilsspruch oder das von außen kommende Aussprechen einer Wahrheit, bedeutet, während das Wort zedaka auf die Verinnerlichung einer bestimmten Wahrheit im Verlauf des persönlichen Lebens weist. 83 Das ist das Phänomen der »Bewährung«, das zuvor als »Bekundung der Übereinstimmung an der persönlichen Lebensführung« erklärt wurde, angesichts des Stammes zadak und seiner wahrheitskonnotierten Bedeutung genauso gut aber auch mit »Beglaubi82. Ebd. 83. Martin Buber/Franz Rosenzweig, Über die Wortwahl in einer Verdeutschung der Schrift, in: Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 135-167, hier S. 156 f.; jetzt in: MBW 14, S. 68-85, hier S. 79.

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gung« oder sogar mit »Rechtfertigung« übersetzt werden kann. Für die Autoren ist das Verhältnis zwischen zedek und zedakah dann das zwischen einem konkreten Diktum und dessen Verwirklichung durch den Menschen. Mit einem Wort: seine Bestätigung im Leben. Trotz dieser philologischen Präzision bleibt die Tatsache, dass Buber und Rosenzweig diejenigen Passagen, in denen zedaka mit »Bewährung« wiedergegeben wird, grundlegend transformieren. Als Beispiel sollen zwei Stellen angeführt werden: Zunächst Dtn 6,25: u-zedakah tihjeh lanu ki nischmor la’asot et kol ha-mitzwah ha-zot lifnei JHWH eloheinu. Das übersetzen sie folgendermaßen: »Und Bewährung wirds uns sein, / wenn wir drob wachen, all dieses Gebot zu tun, / vor Seinem unseres Gottes Angesicht«. 84 Wie jeder Bibelwissenschaftler weiß, ist dieser Vers berüchtigt für seine Schwierigkeit. Zum einen, was die genaue Bedeutung des Nomens zedaka betrifft, das dem theologischen Pragmatismus des Deuteronomistischen Geschichtswerks gemäß das verheißene quid pro quo für die Einhaltung des Gesetzes ist, und dementsprechend auch die Bedeutung »Sieg« oder »Erfolg« haben kann. Zum anderen auch hinsichtlich der besonderen Eindringlichkeit der Aufforderung, »all« dieses Gebot (mitzwa) zu tun »vor unseres Gottes Angesicht«. Im Großen und Ganzen hat die rabbinische Tradition diesen hermeneutischen Knoten hier – wie auch an anderer Stelle – zerschnitten, indem sie zedaka als Verdienst verstand, mit dem Gott diejenigen belohnt, die Seinen Dienst wahrhaftig verrichten. 85 In ihrer eindrucksvollen Lesart wenden Buber und Rosenzweig sich jedoch von jeder Bedeutung eines konkreten, äußerlichen Nutzens ab, der dem Gläubigen gut geschrieben würde. Mit dem Begriff »Bewährung« zeigen sie in der Tat eine grundverschiedene theologische Sichtweise auf, dass ein in unmittelbarer Antwort auf Gottes Gegenwart gelebtes Leben die objektive Wahrheit dieses Zusammentreffens durch die völlige Subjektivität dieses Leben beweist. Das heißt, das Leben eines Menschen »bewährt« oder authentifiziert nicht nur die Begegnung mit dem göttlichen Geheimnis, soweit er dazu in der Lage ist, sondern in diesem und durch dieses Leben wird auch das eigene Leben bewährt und authentisch gemacht. Ein zweites Beispiel für diese ungewöhnliche existentielle Hermeneu84. Das Buch Reden (Die Schrift V), Berlin: Verlag Lambert Schneider [1927], S. 36. 85. Der Targum Onkelos verwendet hier das aramäische zakhu (»Verdienst«). Abraham ibn Ezra zitiert eine anonyme Überlieferung, die den Vers so versteht, dass er auf eine Belohnung für lobenswerten/verdienstlichen Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gesetz »hinweise«. Ibn Ezra selbst jedoch versteht den Satz so, dass er besage, die Heiden würden sehen, dass die Befolgung der Gebote einen Menschen »gerecht« mache.

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tik ist Jes 1,27: zijon be-mischpat tippade ve-schaveiha bi-zdaka. Diesen Vers übersetzen sie so: »Zion wird durch Recht abgegolten, / seine Umkehrenden durch Bewährung.« 86 Wieder wurden hier ein komplizierter Textabschnitt und dessen exegetische Geschichte entscheidend umgestaltet. Liest man genau, kann man erkennen, dass das Toponym »Zion« sein Gegenstück findet in dem Nomen schaveiha, das eine Eigenschaft der Bewohner der Stadt beschreibt, und dass das juristische Nomen mischpat (»Recht«) ergänzt wird durch den Begriff zedaka (Bewährung). Das heißt: Zwei Bezugnahmen auf Orte werden ergänzt durch zwei Begriffe für »Gerechtigkeit«, nämlich die Wörter mischpat und zedakah, die regelmäßig als Hendiadyoin (Zwillingsformel) begegnen. Die beiden Halbverse sind durch das Verb tippade miteinander verbunden, so dass die zweite Vershälfte (ve-schaveiha bi-zdaka) die Bedeutung vermitteln kann, dass die Bewohner Zions (auch) durch Taten der zedaka erlöst werden können, also durch Taten der Gerechtigkeit. Der Prophetenspruch schließt somit mit dem quid pro quo, das das Verderben abzuwenden verspricht, das durch das herrschende Unrecht ausgelöst und das zu Anfang des Kapitels detailliert dargestellt wurde. Es ist nun von Bedeutung, dass die rabbinische Tradition schon vor langer Zeit das Nomen schaveiha mit »die Bußfertigen Zions« und nicht mit »seine Bewohner« oder Ähnlichem wiedergegeben hat 87 . Eben diese Lesart hat Buber und Rosenzweig eine eindrucksvolle neue theologische Option geboten: Indem sie schaveiha als ein vom Verb abgeleitetes Nomen interpretierten, gingen sie noch einen Schritt weiter und verstanden zedaka ebenfalls als ein derartiges Nomen – und gaben es mit »Bewährung« wieder. Das wesentliche Ergebnis besteht darin, dass der ursprüngliche Ballast des Satzes – insbesondere das Verhältnis zwischen den Begriffen mischpat und zedaka, »Gerechtigkeit« und »Rechtschaffenheit« – umgewandelt wurde, so dass der Satz nun so verstanden wird, dass er kumulativ von objektiven Rechtsvorgängen (mischpat) hin zu deren persönlicher Realisierung oder Bestätigung im eigenen gelebten Leben, das heißt zur »Bewährung«, fortschreitet. Der Ausdruck ve-schaveiha (»die Umkehrenden«) ist also ausschlaggebend für die neue Bedeutung des Ganzen. Diese besteht darin, dass Zion durch Taten von mischpat erlöst wird, und dass diejenigen, die umkehren oder Reue zeigen, erlöst werden, indem sie sich im persönlichen Handeln bewähren bzw. diese Gerechtigkeit in die Tat umsetzen. Somit gibt es zusätzlich zu 86. Das Buch Jeschajahu (Die Schrift X), Berlin: Verlag Lambert Schneider [1930], S. 11. Die Lutherübersetzung von 1912 hat hier: »Zion muß durch Recht erlöst werden und ihre Gefangenen durch Gerechtigkeit«. 87. Vgl. den Kommentar von Raschi zur Stelle.

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der menschlichen Hinwendung zu Gottes Gegenwart, die Buber zufolge die weltliche Seite der Reue ist, eine Art von Erlösung, die in der bloßen Begegnung mit der lebendigen Gegenwart Gottes besteht. In einem außergewöhnlichen Wortspiel in Ich und Du schreibt er, dass wir zwar »das Geheimnis« seiner Gegenwart »erkannt« haben, aber »Wir haben keine Erkenntnis von ihm«. »Erlösung haben wir verspürt, aber keine ›Lösung‹«. 88 Buber schließt dann mit den Worten: »Wir können nur gehen und bewähren.« 89 Derjenige, der angemessen auf das Gebot der Stunde antwortet, der sich ihm voll und ganz zuwendet, beglaubigt oder erweist sich selbst und die göttliche Wahrheit, die ihn angesprochen hat, als echt. Die hermeneutische Übersetzung von Jes 1,27 bestätigt diese neue Theologie der persönlichen »Bewährung«. An dieser Stelle müssen wir nach dem Kontext dieses Verständnisses von Bewährung bzw. Bewahrheitung fragen. Wenn ich diese Frage stelle, heißt das nicht, dass ich vorhabe, die möglichen Wurzeln des Begriffs Bewährung in einem philosophischen Lexikon zu recherchieren, sondern ich will vielmehr dessen Stellung innerhalb des theologischen Diskurses untersuchen. Ein Blick auf einen weiteren Vers wird dies verdeutlichen. Bei diesem Vers, der für das westliche religiöse Bewusstsein von enormer Bedeutung ist, handelt es sich um Gen 15,6. Darin bezeichnet der Erzähler Abrams Vertrauen auf Gottes Verheißung mit folgenden Worten: vehe’emin ba-JHWH ve-jachscheveha lo tzedaka. – »Er [Abram] aber glaubte oder vertraute dem Herrn / das achtete Er [der Herr] ihm [Abram] als tzedeka.« Wie in Dtn 6,25 wird hier ein theologisches quid pro quo formuliert; hier aber ist es konkret ein Akt des Glaubens oder Vertrauens auf eine göttliche Verheißung, der tzedaka für das Individuum zur Folge hat. Was aber ist tzedaka? Bezeichnenderweise umgeht die Buber/Rosenzweig-Übersetzung die antiken Übersetzungen (Targume) und die mittelalterliche jüdische Tradition, die tzedaka als eine Art theologisches Verdienst verstehen, das Abrams himmlischem Konto zugerechnet wird. 90 Das würde aber bedeuten, dass Glaube ein »Ding« sei, eine Grö88. S. 128. 89. Ebd. 90. Der aramäische Begriff, den der Targum verwendet, ist wiederum zekhu (»Verdienst«); dieser Tradition folgen Raschi (der zedaka mit zekhut glossiert) und Seforno. Ibn Ezra bezieht sich auf Dtn 6,25 und auf das rechtliche Hendiadyoin (er nennt mischpat und zedakah »Brüder«, d. h. hier Synonyme). Nachmanides widerspricht Raschis Interpretation und ist nicht der Meinung, dass Abram ein Mann von solch geringem Glauben gewesen sein sollte, dass er eine Belohnung gebraucht hätte. Darum interpretiert er die Bemerkung dahingehend, dass Abram »aufgrund

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ße mit einem erkennbaren – gar unpersönlichen – Inhalt. Doch wie wir gesehen haben, lehnt Buber eine solche Onto-Theologie entschieden ab, die unveränderlichen Glauben, unveränderliche Dogmen und eine unveränderliche Gottesvorstellung beinhaltet. Für ihn ist Glaube (emuna) eine Treue (bzw. ein Treusein) zu einem Augenblick der Begegnung mit dem göttlichen Geheimnis. 91 Dementsprechend lässt die Buber/Rosenzweig-Übersetzung bei der Wiedergabe des Verbs chaschav bzw. des Nomens zedakah Luthers einflussreiche Verwendung des Begriffs »Glaube« zur Bezeichnung des Glaubens Abrams ebenso außer Acht wie die Wörter »rechnen« und »Gerechtigkeit«. Stattdessen übersetzen sie: »Er aber vertraute Ihm; / das achtete er ihm als Bewährung.« 92 Das Besondere hieran ist, dass, während emuna sich normalerweise in zedakah, also in der »Bewährung« bekundet, in diesem Fall Abrams subjektive Haltung eines beständigen Vertrauens von Gott als objektiver Akt seines sich als Treu-Erweisens erachtet wird – dies war nämlich der einzige »Akt«, den es zu vollziehen galt. Vor diesem Hintergrund ist die theologische Neuerung, die in Bubers Verwendung von »Bewährung« als Übersetzung von zedakah liegt, gesichert. Es ist dabei nicht einfach ein Begriff, der eine anhaltende existentielle Bestätigung der Wahrheit Gottes in der Welt betont, oder einer, der gegen eine Onto-Theologie mit ihrer Vorstellung einer in der Vergangenheit ergangenen unveränderlichen »Offenbarung«, die allen Gläubigen die »Wahrheit« vermittelt, Stellung bezieht. Es ist all dies und noch mehr. Erinnern wir uns: Paulus hat im Römerbrief wiederholt Gen 15,6 zitiert, um seine Lehre von der »Rechtfertigung« aus dem Glauben zu untermauern – d. h., von einer »Gerechtigkeit durch Glauben« oder, wie er in Röm 3,21 schreibt, von einer »Gerechtigkeit, die vor Gott gilt« »ohne Zutun des Gesetzes« (chōris nomou dikaiosunē theou) –, eine Lehre, die Werke der Gerechtigkeit (Phil 3,5-6 spricht von kata dikaiosunēn tēn en nomō) durch eine Gerechtigkeit durch Glauben ersetzt. Bubers theologische Alternative ist damit deutlich. Gegen jegliches religiöses Aufrechnen oder Rechtfertigung vor Gott durch (unveränderliche) gerechte Taten auf der einen Seite oder durch Glauben (an ein bestimmtes »Ding«) auf der anderen lehrt Bubers Verwendung von »Bewährung« die Herausforderung einer lebendigen emuna im Verlauf seiner Gerechtigkeit« an Gottes Macht, seine Verheißung zu erfüllen geglaubt habe. Vgl. auch die Kommentare von Radak (R. David Kimchi) und Hizkuni zur Stelle. 91. Zu einer ausführlicheren Erörterung von Bubers Gottesvorstellung vgl. Paul Mendes-Flohr, Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, Kap. 10. 92. Das Buch Im Anfang (Die Schrift I), Berlin: Verlag Lambert Schneider [1925], S. 51.

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des Lebens in der Weise, dass sich die Treue zu der Anrede durch Gottes Gegenwart allein durch konkretes Handeln in der Welt erweist. »Bewährung« (ob tzedaka oder dikaiosunē) ist also weder das Befolgen der Mose-Tora noch der Glaube an das Sühnopfer Jesu Christi. »Bewährung« ist vielmehr ein sich durch ein Leben in der lebendigen Gegenwart Gottes als Treu-Erweisen. Nicht Werke oder Glaube also, sondern Bewährung durch eine getreue Verwirklichung der göttlichen Wahrheit in der jeweiligen Stunde. Das ist Martin Bubers dritte Alternative. Nach diesen Ausführungen muss ich betonen, dass ein solches theologisches Konstrukt nicht so sehr eine neue Versöhnung zwischen klassischem Judentum und Christentum oder gar eine Art postmoderne Hinwendung zu einer immanentistischen Theologie ist. Es ist vielmehr all dies und noch mehr, und dieses »Mehr« liegt in Bubers prononcierter Rückbesinnung auf eine radikale biblische Lesart. In seiner späten Monographie Zwei Glaubensweisen (1950) ist Buber in diesem Punkt sehr eindeutig. Darin bezeichnet er das alte Israel als Ur-Manifestation eines authentischen religiösen Vertrauens, worin die Menschen durch alle Prüfungen des Lebens hindurch fest in ihrer Beziehung zu Gott stehen. Das große Vorbild dieser »Beständigkeit im Vertrauen« ist Abraham. Buber zufolge war er der Erste in einer Genealogie des Vertrauens, der die Religiosität der Propheten von Mose bis Jesus kennzeichnet. Paulus hingegen ist kein Glied dieser Kette. In Bubers Konstrukt ist der Mann aus Tarsus die Manifestation der zweiten Glaubensweise, in der »Glaube« (Pistis) und nicht »Vertrauen« das Schlüsselwort ist und der Mensch als Einzelner »bekehrt« und nicht »sich« in einer Gemeinschaft und Beziehung »findet« und hält. Als Prototyp einer »unerschütterlichen Standhaftigkeit« »vertraute« Abraham Gott »weiter«, und Gott »erachtet« diese Glaubenshaltung »als Bewährung«. 93 Damit bildet Gen 15,6 das Kernstück von Zwei Glaubensweisen. Und so erläutert Buber später auch die spirituelle Modalität von »Bewährung«, wenn er schreibt: »zedaka [ist] die Bekundung der Uebereinstimmung zwischen Getanem und Gemeintem an der persönlichen Lebensführung, die Bewährung (welcher Begriff sodann, als Betätigung seines Wohlwollens, auf Gott übertragen wird).« Doch: »Welchem Getanen letztlich der Charakter einer Bewährung zukommt, kann naturgemäß weder der Einzelne noch seine Gemeinschaft entscheiden, sondern Gott allein, eben durch sein ›Erachten‹, in dem allein alles Menschliche als das offenbar wird, was es ist.« 94 93. Vgl. Zwei Glaubensweisen, Zürich: Manesse 1950, S. 42 f.; jetzt in: MBW 9, S. 226. 94. Ebd., S. 227.

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Diese Ausführungen haben insofern einen eschatologischen Anklang, als der wahre Wert oder die wahre Gültigkeit irdischer Taten nur in der vollkommenen Perspektive Gottes erkannt wird, und nicht in der Fülle des irdischen Lebens, in der wir nur je unseren Anteil an der Wirklichkeit unter Beweis stellen können, die uns in eben diesem Moment offenbart wird. Ein ähnlicher Ton hallt in der brillanten Schlusssequenz von Rosenzweigs Stern der Erlösung nach. Auch hier hören wir, dass die ganze Wahrheit nur in der endgültigen Verwirklichung der Ewigkeit erfüllt wird, wo »alles ein Licht [ist]« und nicht mehr einzelne »Strahlen«. Vor dieser göttlichen Erleuchtung und Bestätigung von »Allem« gibt es nur »das Be-währen der Wahrheit« 95 – die Bestätigung der Wahrheit des Teils der Wahrheit, der uns jetzt und hier mitgeteilt wird. Für Christen wird dies theologisch in eine »Gestalt der Bewährung« 96 übersetzt, die eschatologisch in die Welt hineinreicht und für alle Zeit Raum und Zeit mit den Strahlen des Feuers der Wahrheit erfüllt, für alle Zeit diese Wahrheit in den Sprachen der Völker wiederfindet. Im Gegensatz dazu, so Rosenzweig, befolgt der Jude das »Gesetz der Bewährung«, 97 denn er bewahrt ein beständiges Zeugnis der Wahrheit Gottes durch die glaubende Hingabe an die Mitte des Feuers und weigert sich bis zum Ende der Zeit, diese Flamme aufs Spiel zu setzen. In dieser Theologie sind die Mitzwot (Gebote) die immer wieder erneuerte Verwirklichung des eschatologischen Siegels, das dem Herzen Israels am Sinai eingeprägt wurde. Und es ist die dialogische Wahrheit jenes großen Augenblicks, der die Menschen in allen »sinaitischen« Erneuerungen des Lebens treu bleiben. Für Rosenzweig ist jüdisches Leben authentisch, weil es ein Warten in Vertrauen ist und nicht ein Erwachen von Liebe vor ihrer Zeit. Es gibt in Der Stern der Erlösung also »zwei Weisen« von Bewährung, zwei Theologien, die in ewiger Spannung zueinander stehen, auch wenn jede für sich eine gültige Verwirklichung der ganzen Wahrheit Gottes ist. Buber dachte anders. Auch wenn er von »zwei Glaubensweisen« sprach, erkannte er nur eine Art von Bewährung an: die lebendige Verwirklichung der ewigen Offenbarung Gottes, beglaubigt durch den Weg Abrahams. Für ihn ist dieser Patriarch der Prototyp des wahren Glaubens. Der Weg des Paulus führt an einen anderen Ort.

95. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt a. M. 21930, III, S. 153. (Ausgabe 1921, S. 476). 96. Ebd., S. 177. (Diese Randtitel fehlen in der ersten Ausgabe!) 97. Ebd., S. 197. (Diese Randtitel fehlen in der ersten Ausgabe!)

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Diese Gedankengänge führen zu einem abschließenden Nachdenken über Bubers Lehre von der »Bewährung«. In ihr ist das Thema des »Ausharrens« absolut zentral. Ich komme hier darauf zu sprechen, weil oft und in anmaßender Weise behauptet worden ist, Bubers »Ich-Du«-Theologie biete einen billigen Gnadenerweis in dem Sinn an, dass Gottes Gegenwart vermeintlich für den wachen und aufmerksamen Menschen einfach zu haben sei. Entsprechend wurde auch behauptet, Bubers Schriften ließen keine zusammenhängende oder intensive Beschäftigung mit dem Bösen (wie radikal und real auch immer) erkennen. Die vorangehenden Ausführungen über die »Bewährung« legen andere Schlüsse nahe. Sie beweisen im Gegenteil, dass Buber das ganze Gewicht seiner Lehre darauf gelegt hat, den modernen Menschen dazu anzuleiten, inmitten der Prüfungen des Lebens standhaft zu bleiben, die Abwesenheit Gottes und die Herrschaft des »Es« zu ertragen durch die unerschütterliche Treue zu den Wahrheiten der Gegenwart Gottes, die sich in seltenen Momenten wahren Hörens offenbaren – sei es, wenn Personen als Personen sprechen, wenn Ereignisse das Gebot der Stunde aussprechen oder, wenn die Bibel als unterweisende »Stimme« neu verstanden wird. Solche emuna ist spirituelle Integrität de profundis. Buber verlieh diesem Ideal 1933 in seinem Aufsatz »Biblischer Humanismus« Ausdruck, als er in den dunklen Nächten der Geschichte standhaft an den Wahrheiten des Dialogs festhielt. Wie schon bemerkt, pries Buber die Hebräische Bibel als eines der Mittel, die Unmittelbarkeit in der Welt wiederherzustellen, eben deshalb, weil »das biblische Wort den dialogischen Charakter der lebendigen Wirklichkeit [bewahrt]« 98 . Und weiter erklärt Buber: »Personhaft und volkhaft erfüllt sich das Wort nicht im Gebild, sondern in der Bewährung.« Die Rede Gottes wird also durch denjenigen zur Vollendung gebracht, der sie lebt. Die große Aufgabe eines biblischen Humanismus besteht entsprechend darin, den Menschen dazu zu »erziehen«, in den Worten der Schrift »standhaft« zu bleiben, um sich darin zu bewähren. Dieser heroische Weg weicht dem Bösen nicht aus, sondern widersteht ihm mit der spirituellen Entschlossenheit, für die Möglichkeiten des Augenblicks gegenwärtig zu bleiben – welchen Augenblicks auch immer. Hören wir uns das ergreifende Ende des Aufsatzes an. – Wir hören hier (mit dramatischer Ironie und Schaurigkeit) hinter den satanischen Lauten des Nazi-Kampfes die Anklänge an die Sinai-Theophanie:

98. Biblischer Humanismus, S. 244; in diesem Band, S. 84.

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Diese Wetternacht hier, diese niederzuckenden Blitze, diese Androhung des Verderbens: entflieh dem in keine Welt des Logos, in keine der vollkommenen Gestalt, halte Stand, höre im Donner das Wort, gehorche, erwidre! Diese furchtbare Welt ist die Welt Gottes. Sie fordert dich an. Bewähre dich als Gottes Mensch in ihr! 99

Und dies tat Buber. Die katastrophale Krise der Hoffnung in jenem Zeitalter des Bösen bot ihm die Gelegenheit, seine jüdischen Glaubensgenossen zur Standhaftigkeit zu ermahnen. Exemplarisch hierfür ist seine eindrucksvolle Anthologie mit dem Titel Aus Tiefen rufe ich Dich. 100 Dreiundzwanzig Psalmen der Bibel bilden dieses Werk des geistigen Widerstands – eine Zahl, die sicher das Ideal des Vertrauens, wie es in Psalm 23 ausgedrückt ist, symbolisiert. Doch da ist noch mehr. Denn diese Anthologie ist auch gekennzeichnet durch das Ideal der Bewährung. Der einsame Mensch in der Geschichte wird ermutigt, standhaft in dem Glauben zu bleiben, dass das Böse vergehen wird und dass Vertrauen der Weg ist, den Gott unterstützt. »Denn du bist nicht eine Gottheit, / die Lust hat am Frevel«, so der Beter von Psalm 5, darum gilt: »ein Arger darf nicht bei dir gasten«. Der Zaddik (der Bewährte) wird durch diese emunah umgestaltet und damit sozusagen durch Gottes Gnade beschützt »wie mit einem Schilddach krönst du ihn mit Gnade«. 101 Die Menschen werden also gerechtfertigt durch ihren Mut, in unserer Welt der lebendigen Gegenwart Gottes gegenüber treu zu bleiben, und diese Bewährung ist ein Weg des Leids und der Versuchung. *** Ich möchte mit der Erinnerung an den Patriarchen Abraham und einer chassidischen Lehre über seine Versuchung schließen. Buber bezeichnete sie als dialogische Unterweisung. Nicht als Unterweisung die Details betreffend, sondern vielmehr als eine Ermahnung, den dialogischen Weg an oberste Stelle zu setzen. Paradoxerweise ist es eine Unterweisung über und durch den Abgrund der Krise. Hören wir: Man fragte Rabbi Schmelke: »Warum wird die Opferung Isaaks so verherrlicht? Hatte doch unser Vater Abraham damals schon eine so hohe Stufe der Heiligkeit erreicht – was wunder, daß er sogleich erfüllte, was das Gotteswort von ihm heischte?«

99. Ebd., S. 245; jetzt in diesem Band, S. 85. 100. Aus Tiefen rufe ich Dich. Dreiundzwanzig Psalmen in der Urschrift mit der Verdeutschung von Martin Buber, Berlin: Schocken 1936 (Bücherei des Schocken Verlags 61). 101. Ebd., S. 22-25 (Vers 5 u. 13b).

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Er antwortete: »Wenn der Mensch versucht werden soll, werden alle Stufen und alle Heiligkeit von ihm genommen. Alles Erreichten entkleidet, tritt er vors Angesicht des Versuchenden.« 102

Nisajon (Versuchung) ist also das Feldzeichen des Glaubens. Es ist Leben als Bewährung, in dem die Zäsur die stille Rede Gottes verbirgt. Für Buber ist das Tora. Alles andere ist Kommentar.

102. »In der Versuchung«, in: Die Erzählungen der Chassidim, Zürich: Manesse 1949; S. 316; jetzt in: MBW 18.1, Nr. [340].

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In den Tagen, in denen dieses Heft zusammengestellt wurde, bekam ich drei Druckschriften in die Hand: die erste, das Büchlein »Österreich und der Mensch« von Robert Müller, erstand ich in einem Laden, die zweite, Hans Blühers »Die Intellektuellen und die Geistigen«, schickte mir der Verfasser, die dritte, Kürnbergers Sätze vom »Größenschauer« enthaltend, lag dem Brief eines Freundes bei. In allen dreien fand ich Worte über Mose. Ich will sie hintereinander hersetzen. 1. Robert Müller schreibt in seinem sehr gescheiten, sehr eindringlichen, sehr malerischen Büchlein: »So war das große Reformwerk, die Tat des Scheiks Moses und seiner Araber, kluger, tapferer Männer, die nach all dem Kummer und der glücklosen Unsittlichkeit, so sie unter Menschen gesehen hatten, eine neue Menschheit begründen wollten, so war denn das Reformwerk der Menschheit wieder einmal vereitelt worden.« Er ist sicherlich malerisch, dieser kluge Scheik, wie es auch die verzückten Derwische sind, als die man heute die Propheten abzuschildern liebt. Aber es ist eben eine durchaus zweidimensionale Betrachtungsweise. Denn da es keinem Derwisch je beigefallen ist, Worte zu sprechen, die der Rede Jesajas nicht etwa an Größe, sondern an Art zu vergleichen wären, so scheint es zur Erkenntnis jesajanischen Wesens mehr auf das Underwischhafte an ihm als auf das (recht spärliche) Derwischhafte anzukommen. Nicht anders ist es mit Mose. Was aber zuinnerst ist es, das Mose nicht etwa auf eine andere Stufe, sondern in eine andere Welt als alle klugen und tapferen Scheiks erhebt? 2.

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In der ernsten, strengen, aus erlebtem Geist formulierenden, auch im Irren achtunggebietenden Schrift Blühers heißt es: »Der politische Typus des geistigen Menschen findet seine Verherrlichung in einer Religion, in der nichts gilt, als die Tat: im Judentum …

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Aber das Judentum ist nicht in einem so vollkommenen Maße eine höchste Ausgestaltung des politischen Menschen, wie der Brahmanismus eine des sakralen ist. Das hat einen sehr tiefen Grund: das Judentum ist bild-feindlich. Der böse Zufall wollte es, daß jener Moses von der großen Sinai-Vision nur jene moralistischen Fragmente zurückbehielt, die seitdem als Zehn Gebote ihr Wesen treiben.« Das Wort »Zufall« darf hier wohl kaum ernst genommen werden. Aber auch Willkür kann es nicht sein, was zugrunde liegt. Wie tief die Wurzeln dieser Dinge hinabreichen, fühlt, wer aus den biblischen Worten das Sinai-Erlebnis zu erschließen sucht, wie es noch dem Niederschreibenden gewaltige Gegenwart war: trotz Wolke, Rauch und Feuer nicht eine Vision, sondern eine Audition. Die Zehn Gebote sind keine »moralistischen Fragmente«, denn jedes von ihnen ist durchschüttert von dem ihre Reihe eröffnenden »Ich bin«; ohne das »Ich bin« wären sie Scherben, mit ihm sind sie die ewigen Tafeln. Aber die Bildfeindlichkeit des Judentums ist eine Wahrheit. Was ist es, darin sie begründet ist? Was redet aus dem Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen?

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3. Über Kürnberger den Aufrechten brauche ich wohl nichts zu sagen. Er schreibt: »›Herr, ich stottere mit der Zunge. Herr, ich bin der Rede nicht mächtig. Herr, schicke meinen Bruder Aaron.‹ So wehrte sich Moses gegen Gott – im Schauer des Menschen vor seiner eigenen Größe … Durch alle Fugen seiner Seele riß das schmerzliche Wachsen ins Ungeheure; er hätte sich gerne die Kraft, die ihn zu sprengen drohte, verleugnet. In tausend Ausflüchten widerspricht er seinem Gott; – aber aus allen Ausflüchten hören wir heraus: du bist der Mann und kein anderer, der die Tat tun wird.« Kürnberger weist hier auf die Stellen der Bibel hin, die im Zentrum der Mose-Geschichte stehen. Zweimal sagt Mose zu Gott, er könne zum Volke nicht reden. Beidemal antwortet Gott, Aaron werde für ihn reden. Und beidemal erscheint in Gottes Antwort ein wundersames Gleichnis. »Und er soll für dich zum Volke reden, und also: er wird dir ein Mund sein und du wirst ihm ein Gott (Elohim) sein.« Und wieder: »Ich habe dich zu einem Gott über Pharao gesetzt, und Aaron, dein Bruder, wird dein Prophet (Nabi) sein.« Und vorher heißt es: »Ich werde mit deinem Munde sein.«

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Es gibt aber zwei andere Stellen der Bibel, an denen das gleiche Erlebnis sich äußert, das sind die, an denen Jeremija von seiner Berufung berichtet. Auch er weigert sich erst zu predigen, da berührt Gott seinen Mund und spricht zu ihm: »Siehe, ich habe meine Worte in deinen Mund gelegt.« Und wieder: »So sollst du mein Mund sein.« Und auch bei der Berufung Jesajas klingt das Gleichnis an. »Elohim« heißt die einsprechende Macht, »Nabi« der aussprechende Mensch, der Mensch, der sich als den Mund Gottes erlebt. Die Stimme redet nicht zu ihm (das Judentum kennt keine private Offenbarung), sondern durch ihn, sie braust durch ihn in die Welt, an das Volk hin. Er will sich ihrer erwehren, er ringt mit ihr, und daß er es tut, das ist seine hohe Jakobiden-Legitimität, die kein Scheik und kein Derwisch hat. Aber die Stimme ist ihm übermächtig; »du hast mich ergriffen und übermannt«, sagt Jeremija. Das ist der Sinn der »Bildfeindlichkeit« des Judentums, daß es im Zeichen der Stimme stand, von der Zeit, da sein Mythos die Welt aus dem Wort entstehen ließ, bis in die Zeit, da ein Jude den Völkern verkündete, im Anfang sei das Wort gewesen. Mose, der Bildner des Judentums, lehnte das Bild ab, weil er ein Gefäß der Stimme war und sein Geist Gefäße der Stimme zeugen wollte. Diese aber sind allem Bild entzogen und auf das Wort gesammelt; sie sehen nur den »Rücken« Gottes, aber sie sind voll seiner Rede.

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Biblisches Führertum (Dieser Vortrag ist 1928 in München gehalten worden) Ich denke, Sie erwarten nicht von mir, daß ich Ihnen sogenannte Charakterbilder biblischer Führer entwerfe. Das wäre ein unmögliches Unterfangen, denn der Bibel geht es nicht um Charaktere, nicht um Individualität, und man kann aus ihr keine Charaktere und keine Individualitäten holen; sie zeichnet etwas anderes, nämlich Menschen in Situationen. Es kommt ihr auf die Unterschiedenheit dieser Menschen gar nicht an, es kommt ihr auf die Unterschiedenheit der Situationen an, in denen der Mensch, der kreatürliche Mensch, der eingesetzte Mensch besteht und versagt. Aber es kann sich auch nicht darum handeln, von dem biblischen Bericht etwa zurückzugehen auf ein geschichtlich zuverlässigeres Bild, auf geschichtliche Daten, aus denen etwa ein geschichtlich brauchbares, geschichtlich standhaltendes Bild zusammenzusetzen wäre. Auch dies ist unmöglich. Nicht etwa, als ob die biblischen Gestalten ungeschichtlich wären. Ich glaube, daß wir am Anfang einer neuen Ära der Bibelwissenschaft stehen, in der, wie die vergangene es sich angelegen sein ließ, die Ungeschichtlichkeit der Bibel zu erweisen, ihre Geschichtlichkeit erwiesen werden wird. Damit meine ich nicht, daß, wie die Bibel diese Personen zeichnet und diese Vorgänge berichtet, sie geschichtlich seien. Aber ihre Zeichnung und ihr Bericht sind die organische, notwendige, legitime Art, das was war, was geschah, zu berichten. Ich habe nichts dagegen, daß man diese Berichte als Mythen und Sagen bezeichnet, wenn man nur festhält, daß Mythen und Sagen in ihrem Kern Erinnerungen sind, wirkliche Erinnerungen, die wirklich mitgeteilt werden. Was für eine Art von Gedächtnis ist es, das sich in diesen Berichten ausspricht? Ich sage nochmals: Gedächtnis; nicht Phantasie, sondern Gedächtnis. Es ist ein organisches, ein organisch-bildnerisches Gedächtnis. Wir kennen es heute noch dadurch, daß in unsere Zeit in manchmal geradezu unwahrscheinlich anmutender Weise die Existenz großer Dichter hineinragt, die eben dieses organische Gedächtnis besitzen. Wenn Sie etwa unter Erzählern zu unterscheiden suchen zwischen einem großen und einem ansehnlichen, sehr talentvollen Erzähler, geschieht das am besten, indem Sie sich ansehen, wie der eine und wie der andere die Ereignisse seines Lebens aufnimmt. Der große Erzähler läßt die Ereignisse, wie er sie erfährt, in sich hineinfallen, unbekümmert, vertrauend, gläubig. Und das Gedächtnis tut das, was seine Sache ist: es bildet organisch, ohne Willkür, ohne Phantasie, das, was so in es gefallen ist, zur gültigen Gestalt

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des Berichts, der Erzählung, – an der dann freilich noch sehr viel bewußt zu arbeiten sein wird, aber das Entscheidende ist in der Unwillkürlichkeit des bildnerischen Gedächtnisses geschehen. Der andere registriert, verzeichnet in dem, was er auch Gedächtnis nennt, was aber etwas ganz anderes ist, er konserviert, während sie geschehen, die Ereignisse, um sie unverändert hervorziehen zu können, wenn er sie braucht. Nun, er wird sie gewiß einigermaßen unverändert und einigermaßen brauchbar aus dem Spiritus hervorziehen und dann das damit anfangen, was er anzufangen weiß. Ich sagte, die großen Dichter zeigen uns in ihrer Art an, wie es sich mit der Entstehung von Mythen und Sagen verhält. Jeder, auch der – wie man zu sagen pflegt – phantastischste Mythus ist Gebild um einen Erinnerungskern, um einen Kern organisch-bildnerischen Gedächtnisses. Es ist nicht so, daß Menschen denen so etwas widerfahren ist wie die Führung aus Ägypten, dann nachträglich Vorgänge ausspännen, mit ihrer Phantasie Elemente hineinsännen, an die sie sich nicht erinnern, das »ausschmückten«, was geschehen ist, sondern was geschehen ist arbeitet, der Vorgang selber weiterwirkend arbeitet in den Seelen, aber diese Seelen, diese Gesamtseele ist so beschaffen, daß ihr Gedächtnis bildnerisch, mythenbildnerisch ist und die Arbeit, die der bibelschreibende Mensch dann zu tun hat, sich an dem Produkt dieses Gedächtnisses vollzieht. Nirgends ist ein Punkt, an dem man eine Willkür, das Eingreifen von Fremdem feststellen könnte; es geht mit rechten Dingen zu. Da es so ist, können wir das Geschichtliche und das Biblische nicht voneinander lösen. Die Mächtigkeit der Bibelschreibung, die aus diesem bildnerischen Gedächtnis stammende, ist so groß, die elementare Natur dieses Gedächtnisses so gewaltig, daß man aus der Bibel eine sogenannte geschichtliche Materie gar nicht gewinnen kann. Sie wäre nichtig, umrißlos, bedeutungslos. Die »historische Materie« ist aber auch deshalb nicht ausschmelzbar, weil hier im Gegensatz zur sonstigen sakralen Geschichtsschreibung der Völker keine profane Paralleldokumentation da ist, an der man die heilige Urkunde berichtigen könnte, keine Historiographie mit anderer Tendenz, als die diesem bildnerischen Gedächtnis einwohnende ist, das eben unter einem Gesetz steht. Dieses Gesetz will ich versuchen, an den Beispielen, von denen ich heute handle, klarzumachen. Vergegenwärtigen Sie sich aber zunächst, damit Ihnen noch präziser deutlich werde, was ich meine, den Aspekt, unter dem eines der Völker, mit denen Israel in geschichtliche Berührung und Auseinandersetzung gekommen ist, eine der biblischen Führerpersonen betrachtet haben mag. Stellen Sie sich etwa vor, wie eines der Völker, mit deren Königen

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nach Genesis XIV – ein Kapitel, dessen geschichtlicher Charakter mir außer Zweifel zu stehen scheint – Abraham kämpfte, diesen Abraham angesehen hat. Zweifellos war er für dieses Volk eine geschichtliche Figur in dem Sinn, in dem wir heute von Geschichte zu sprechen gewohnt sind. Aber es war nicht mehr Abraham. Das, was uns an Abraham wichtig ist, was ihn zu einer biblischen Person, zu einem »Vater« macht, das, um dessenwillen die Bibel uns von Abraham erzählt, das ist in diesem Aspekt gar nicht mehr enthalten, die Bedeutung der Gestalt ist dahin. Oder nehmen Sie etwa die Ägypter und Mose und stellen Sie sich vor, wie ein ägyptischer Geschichtsschreiber Mose und seine Sache charakterisiert hätte. Da bleibt nichts Eigentliches übrig; es ist ein Skelett, das an Stelle der lebendigen Person steht. Es kann uns also nur darum zu tun sein, auf die Bibel einzugehen, auf die Bibel hinzuweisen, hinzuweisen auf das, was die Eigentümlichkeit des biblischen Führers ist, so, wie die Bibel, eben ohne Willkür, ihn erzählt, ihn meint, stehend unter dem Gesetz ihrer Geschichtskonzeption, ihres Geschichtslebens, das allem unähnlich ist, was wir Geschichte zu nennen gewohnt sind. Aber aus diesem Geschichtsgesetz, aus dieser biblischen Art, Führer und Führertum zu sehen, die allen anderen Arten, Führer und Führertum zu sehen, unähnlich ist, aus der sind wir, aus der ist das Judentum geworden. Wenn ich nun nach dem Wesen des biblischen Führertums frage, muß ich jene Gestalten ausschalten, die eben nicht in diesem eigentlichen Sinne biblische Führer sind, und das sind kennzeichnenderweise alle Gestalten, die als Fortsetzer einer andern erscheinen, alle Personen, die nicht neu berufen, erwählt, beauftragt werden, wie die Bibel sagt: von Gott unmittelbar, sondern die in eine begonnene Handlung eintreten ohne persönliche Berufung, – entweder so, daß der Inhaber des Auftrags, der ihn nicht zu Ende führen darf, sein Amt dem Jünger übergibt, den ihn anwehenden Geist dem andern, seinem Nachfolger, nun gleichsam zuwehen, auf sein Haupt hinüberwehen läßt, oder daß ein erwählter, berufener, urgesalbter König einen Sohn zeugt, der ihm nachfolgt, ohne eine andere Salbung als die nun schon übliche, offizielle zu empfangen, nicht also mehr die Salbung, die den Menschen ergreift und verwandelt. Gestalten also wie Josua oder Salomo beziehe ich in diese Betrachtungen nicht ein, weil die Bibel sie mit der Geschichte gemeinsam hat. Es sind allgemein-geschichtliche Gestalten. Josua ist ein großer Heerführer, ein großer Landnehmer, aber eine geschichtliche Figur wie irgendeine, nur daß eben die besonderen religiösen Bindungen hinzukommen, jedoch nicht so, daß die Person durch sie charakterisiert wäre. Salomo ist

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ein orientalischer König, nur eben sehr weise, und er tut seine Tat, er baut den Tempel, aber wir sehen nicht, daß er von dieser Tat selbst gefärbt, bestimmt wäre. Es ist eben dies, daß hier ein Vollzug einer begonnenen, intendierten Handlung von einem andern, von einem Jünger, einem Nachfolger übernommen wird. Die Handlung Moses, die er nicht zu Ende führen darf, übernimmt Josua; die Handlung Davids, die er nicht zu Ende führen darf, übernimmt Salomo. Ich erinnere daran, was im zweiten Buch Samuel zwischen David und Gott gesprochen wird über die Absicht des Tempelbaus und das Verbot, ihn auszuführen. »Er ist nicht deine Sache«, verweist ihn Gott, wie er Mose verwiesen hatte: »Es ist nicht deine Sache, das Volk, das du herausgeführt hast, nun auch in das Land zu bringen«. Das Werk wird, und zwar im Zusammenhang mit der besonderen inneren und äußeren Situation dieses Menschen ihm entzogen; ein anderer hat nichts weiter zu tun, als es zu Ende zu führen. In diesem biblischen Aspekt des Führertums stehen also nur die Erwählten, die Beginnenden. Es gibt auch innerhalb einer Folge von Geschlechtern – wie etwa die, die wir die Patriarchengeschlechter nennen – ein Neubeginnen; es ist sehr deutlich bei Jakob zu sehen, mit dem etwas Neues anfängt, wie es insbesondre die Namenverleihung zeigt. Den Grundzug dieses biblischen Führeraspekts möchte ich zunächst negativ kennzeichnen. Er greift über Natur und Geschichte hinaus. Beide, Natur und Geschichte, sind für den bibelschreibenden Menschen aus Gott, und zwar beide so, daß die biblische Kosmogonie sie getrennt erzählt: im ersten Kapitel die Weltschöpfung als Entstehung der Natur, dann im zweiten dieselbe Weltschöpfung als Entstehung der Geschichte. Beide sind aus Gott, aber nun greift das biblische Geschehen, greift Gott über beide hinweg, nicht etwa so, daß sie – Natur und Geschichte – von ihm ignoriert würden, sondern sie werden je und je durchstoßen von der Hand Gottes, die in das Geschehen greift und nun so wählt, so herausholt, so sendet, so gebietet, wie es nach den Gesetzen der Natur und der Geschichte zu wählen, zu senden, zu gebieten nicht ansteht. Ich will hier nur an zwei besonders deutlichen Dingen zeigen, was damit gemeint ist. Zunächst: es sind die Schwachen und Geringen, die ausgewählt werden. Von der Natur aus sind die Starken, die, die sich durchsetzen können, befähigt und also berufen, die geschichtlichen Taten zu tun. In der Bibel aber sind die, die erwählt werden, oft gerade die jüngeren Söhne, von Abel an über Jakob, über Josef, über Mose bis zu David hin, unter Verwerfung, manchmal sehr nachdrücklicher Verwerfung der älteren, oder sie sind unecht geboren, oder sie sind von geringem Stand usf. Und tritt einmal ein Starker, wie Simson, ohne all diese Beschränkungen auf, so ist seine Kraft nicht die seine, sie ist nur verliehen, nicht

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einmal geschenkt, sondern wirklich geliehen, und er verscherzt sie, er vertut sie in der Art, wie erzählt wird, um sie nur noch zum Sterben wiederzuerlangen. Ein andersartiger, aber nicht weniger beredter Ausdruck dessen, was mit dieser eigentümlichen naturwidrigen Erwählung gemeint ist, ist der Kampf und Sieg Gideons, den die Bibel das Sonderbarste tun läßt, was ein Feldherr je getan hat: er hat ein Heer von zehntausend Mann und reduziert es Mal um Mal, bis nur noch dreihundert um ihn sind, mit denen er nun kämpft und siegt. Es ist stets das Gleiche. Die Intention Gottes wird, wie die Bibel ja an einer Stelle selbst sagt, nicht mit der Kraft, nicht mit der Gewalt vollzogen, sondern »mit meiner ruach«, ein Wort, das wir kaum übersetzen können; mit »Geist« ist es jedenfalls nicht übersetzt, am ehesten könnte man es übersetzen: »mit dem Wehen von mir aus«, »mit dem, was sich von mir aus bewegt«. Daß die Führer zumeist Schwache, Geringe in der einen oder anderen Weise sind, ist »wider die Natur«. Wie sie ihr Führertum vollziehen, ist »wider die Geschichte«. Die Geschichte ist in der Auswahl der Vorgänge, die ihr wichtig scheinen, bestimmt von dem Moment des Erfolgs. Die »Weltgeschichte« ist die Geschichte der Erfolge, und die erfolglosen Helden, die ihres sehr sichtbaren Heldentums wegen nicht von ihr ausgeschlossen werden können, dienen nur gleichsam als Folie. Ja, die Besiegten gehören dazu; aber wenn Sie einmal genau zusehen, wie die Sieger und die Besiegten von der »Weltgeschichte« behandelt werden, wird es unverkennbar, um was es ihr geht. Gewiß, man nimmt den Krösus mit zum Cyrus, Herodot kann ihn brauchen, man nimmt den Widukind mit zum Karl, aber dem Kern der Historie gelten nur die Sieger. Sie singt den überwältigten Helden eine leise Nänie nach, aber laut preist sie die sich Behauptenden, die ihre Sache Durchsetzenden, die Erfolgreichen. So die geläufige Geschichte, die wir mit dem Geschehen, mit dem wirklichen Geschehen der Welt zu identifizieren gewohnt sind, obwohl sie nur auf dem eigentümlichen Prinzip der Auslese, der Auswahl durch den Geschichtsschreiber, durch das sogenannte geschichtliche Bewußtsein beruht. Die Bibel kennt diesen Eigenwert des Erfolges nicht. Im Gegenteil, sie ist in Pflicht genommen, wenn sie den Erfolg meldet, zugleich mit strenger Ausführlichkeit die Erfolglosigkeit zu melden, die damit verbunden ist. Wenn man die Geschichte Moses ansieht, ist in den einen großen Erfolg sehr viel Erfolglosigkeit gemischt, so viel, daß es, wenn man die einzelnen Vorgänge, aus denen seine Geschichte zusammengesetzt ist, aneinanderreiht, eine Erfolglosigkeit nach der andern ist, durch die hin

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die Linie seines Erfolges geht. Ja, Mose führt das Volk aus Ägypten; aber jede Station dieser Führung ist ein Versagen. Wo immer er mit diesem Volk zu tun bekommt, wird er von ihm überwunden, mag dann Gott auch eingreifen und das Volk bestrafen. Und die eigentliche Geschichte dieser Führung ist nicht die Geschichte der Ausfahrt, sondern die des Gangs durch die Wüste. Aber auch die persönliche Lebensgeschichte Moses selbst weist nicht herüber nach der Jugend und nach dem, was aus ihr gewachsen ist, sondern sie weist hinüber nach dem Tod, nach dem Tod des Erfolglosen, den freilich sein Werk überdauert, aber in neue Erfolglosigkeit, neue Enttäuschung und stets neues Versagen hinein – und doch auch in eine Hoffnung über dieses Versagen hinaus. Oder betrachten wir das Leben Davids. Soweit es uns berichtet wird, besteht es im Wesentlichen aus zwei großen Fluchterzählungen: vor der Thronbesteigung die vielfältige Erzählung der Flucht vor Saul und nach der Thronbesteigung – mit einer Unterbrechung, die zeitlich und ihrem profan-geschichtlichen Gewicht nicht gering ist, aber im Bericht sich recht karg ausnimmt – die breit ausgemalte Geschichte der Flucht vor Absalom. Und auch da, wo die Bibel den Triumph erzählt, wie etwa beim Einzug der Lade in Jerusalem, ist dieser Triumph – ganz unähnlich der Sprache der »Weltgeschichte« – deutlich als eine Schande im Weltsinn charakterisiert. Das, was seine Frau, die Michal, zu David davon sagt, wie er sich vor seinem Volk nicht geschämt habe, das ist die Sprache der, profanen, d. h. der Geschichte. Vor der Geschichte gilt so ein Königsgebaren nicht, und mit Recht nicht, wie sie, die Geschichte, nun einmal ist. Und schließlich gipfelt diese Verherrlichung der Erfolglosigkeit in der großen Reihe der Propheten, deren Dasein schlechthin die Erfolglosigkeit ist. Sie leben, sie atmen in der Erfolglosigkeit, es ist ihre Sache, zu kämpfen und nicht zu siegen; es ist ihre Grunderfahrung, es ist die Grunderfahrung biblischen Führertums, was einer von ihnen, der namenlose Prophet, dessen Reden in dem zweiten Teil des Jesajabuches bewahrt sind, in der Ich-Person den »Knecht Gottes« von Gott sagen läßt: »Er machte meinen Mund einem scharfen Schwert gleich – / und hat im Schatten seiner Hand mich versteckt doch! / er machte mich zu einem blanken Pfeil – / und hat in seinem Köcher mich verborgen doch!« Diese Existenz im Schatten, im Köcher, das ist das letzte Wort des führerischen Menschen in der biblischen Welt; das Eingetansein in die Erfolglosigkeit, in das Dunkel, auch da, wo man in der Öffentlichkeit, im Angesicht des Volkslebens steht. Im Dunkel wird die Wahrheit verborgen und wirkt doch an ihrem Werk, freilich auf eine ganz andere Art als die, die die Weltgeschichte als das Wirkende kennt und preist.

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Es gibt fünf Grundformen des biblischen Führertums; nicht etwa nach der Verschiedenheit der Persönlichkeiten, der Charaktere – ich sagte schon, daß nicht davon die Rede ist –, sondern nach der Verschiedenheit der aufeinanderfolgenden Situationen, der großen Stadien in der Geschichte des Volkes, die die Bibel meint, der Stadien in dem Zwiegespräch zwischen Gott und dem Volk. Denn dies versteht die Bibel unter Geschichte: ein Zwiegespräch, in dem der Mensch, das Volk angeredet wird und versagt und im Versagen doch immer wieder sich erhebt und zu antworten versucht; die Geschichte der Enttäuschungen Gottes, aber eine Geschichte der Enttäuschungen, die ein Weg ist, so daß von Enttäuschung zu Enttäuschung, über sie alle hin der Weg, der Weg des Volkes, der Weg des Menschen, ja, der Weg Gottes durch die Menschheit führt. Ich sage, es sind fünf Grundformen nach den aufeinanderfolgenden Situationsstadien dieses Zwiegesprächs: zum ersten der Patriarch; zum zweiten der Führer im ursprünglichen Sinn, der auf der Wanderschaft Führende; zum dritten der sogenannte Richter; zum vierten der König, aber natürlich nicht der Nachfolger, nicht der König, der in der Dynastie steht, sondern der Stifter der Dynastie, der Berufene, der Urgesalbte; zum fünften der Prophet. Es sind verschiedene Formen des Führertums den verschiedenen Situationen gemäß. Zunächst der Patriarch. Das ist ein geläufiger, aber nicht ganz zutreffender Begriff. Es ist keine Herrschaft, die hier ausgeübt wird, und genau genommen kann man hier noch nicht von Führung sprechen; es gibt ja noch kein Volk, das geführt wird. Es ist ein Gehen; der Weg, auf dem geführt werden soll, fängt eben mit diesen Menschen an. Sie sind Väter. Ihre Sache ist, ein Volk zu zeugen. Es ist dieser eigentümliche Punkt in der biblischen Geschichte, wo Gott gleichsam seinen ersten Plan mit der ganzen Menschheit einengt und sich nun ein Volk zeugen lassen will in der Berufung, das ihm bestimmte Werk an der Vollendung der Schöpfung, am Kommen des Reichs zu tun. Die Väter dieses Volks sind die Menschen, von denen ich rede. Sie sind Väter, nichts anderes; Patriarch sagt schon zu viel. Sie sind die wirklichen Väter, die, aus denen dieser Stamm, dieses Volk hervorgeht, und wenn Gott zu ihnen spricht, wenn Gott sie segnet, ist es immer das eine: immer geht es um Zeugung und Geburt, immer um Werden eines Volkes. Und in der großen Geschichte, die in der Mitte der Patriarchenerzählung steht, Geburt und Opferung Isaaks, geht es in einer paradoxen Weise eben darum. Die Paradoxie dieser Geschichte hat Kierkegaard sehr schön in den ersten Abschnitten seines Buches »Furcht und Zittern« dargestellt. Diese paradoxe Geschichte von dem Geborenwerden und beinahe Getötetwerden des Zweiten in der Reihe zeigt, um was es geht: um Zeugung, aber um Zeugung eines zur

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Verfügung stehenden Volkes; um Zeugung, aber um Zeugung im Auftrag. Nun ist dieses Volk da, und dieses ist in der Knechtschaft. Ein Mann bekommt den Auftrag, es hinauszuführen. Das ist der, den ich im ursprünglichen Sinn als den Führer bezeichnet habe – ich sagte ja schon, Josua setzt nur fort –, im eigentlichsten Sinn als den Führer, der eben der Handlung, die Gott ausspricht: »Ich trug euch auf Adlerflügeln und ließ euch kommen zu mir« auf die menschliche Weise als Werkzeug dient. Von seiner Geschichte habe ich schon gesprochen. Aber in ihrer Mitte steht der Vorgang, da Mose nach dem Überschreiten des Schilfmeers den Gesang anstimmt, dem das Volk einstimmt und der eine Königsproklamation ist. Die Worte, die diesen Gesang beenden, »König bleibt Er in Weltzeit und Ewigkeit«, sagen es; das Volk hat sich hier Gott selber zum König gewählt, das heißt, es hat aus der gemein-semitischen Überlieferung des Gotteskönigtums, mit der aber nie unbedingter Ernst gemacht worden war, eine Wahrheit des gelebten Lebens gebildet. Um sie ist es seinen Führern so ernst, daß sie, nachdem das Land erobert ist, das »Geschichtswidrige« unternehmen, ohne Herrschaft eine Gemeinschaft aufzubauen, ohne einen anderen Herrscher als eben Gott. Es ist der Versuch der primitiven Theokratie, von dem das Buch der Richter erzählt und der in Anarchie ausartet, wie an den Beispielen, die im Schlußteil dieses Buches stehen, gezeigt wird. Das ist die dritte Grundform des Führertums, der sogenannte Richter. Sie ist zu verstehen aus dem Versuch des Volkes, – wir sagen: des Volkes, aber gemeint ist immer: einer führenden Schar inmitten des Volkes, die von dem Verwirklichenwollen der Königsproklamation bestimmt ist und das Volk dazu zu bestimmen sucht. Dieser Versuch mißglückt immer wieder. Immer wieder fällt das Volk, in der Sprache der Bibel ausgedrückt, von Gott ab. Wir können es aber auch geschichtlich ausdrücken: das Volk zerfällt immer wieder; es ist ein und dasselbe. Der Versuch, eine Gemeinschaft unter keiner Herrschaft als der Gottes zu errichten – wir können auch das geschichtlich, wenn Sie wollen soziologisch ausdrücken: der Versuch, eine Gemeinschaft auf reiner Freiwilligkeit zu errichten, mißglückt immer wieder. Das Volk fällt ab. Immer wieder erfolgt nun eine Invasion eines der benachbarten Völker, und das, geschichtlich betrachtet, zerfallene, uneinige Israel hält nicht stand. Aber im Überwältigtsein unterwirft es sich erneut dem Willen Gottes, faßt erneut den Willen zu Gottes Herrschaft, und von neuem erfolgt ein göttlicher Auftrag, wieder ist je und je ein Führer da, den der Geist ergreift, wie er Mose ergriff. Dieser Führer mit dem Auftrag zur Befreiungstat ist der »Richter« oder vielmehr der »Rechtschaffer«: er schafft dem Volke,

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das ja nun, nachdem es zu Gott umgekehrt ist, wieder recht hat gegen seinen Feind, dieses Recht in der Wirklichkeit, indem er jenen besiegt. Das ist der beinahe tragisch zu nennende Rhythmus – wenn das Wort »tragisch« nicht doch der biblischen Sprache unadäquat wäre – des Richterbuches. Aber in diesem Buch bereitet sich auch ein Neues. Immer tiefer wird die Erfahrung des Versagens, des Nichtzustandebringens jener gemeinten, naiven, primitiven Theokratie, immer stärker das Verlangen nach einem menschlichen Königtum. Das Buch selbst ist in seinem Hauptteil antimonarchisch geschrieben. Die Könige der Völker defilieren in einer von dieser Tendenz aus bestimmten Weise und die Tendenz gipfelt in jener ironischen Fabel Jotams. Aber in seinen Schlußkapiteln muß das Buch die Enttäuschung bekennen: weil das Volk so ist, wie es ist, weil die Menschen so sind, wie sie sind. Und so wird nun unter Samuel das Königtum gefordert. Und es wird von Gott zugestanden. Ich sagte es schon: der Weg führt durch die Enttäuschungen. So wird denn die Forderung des Volks gleichsam von oben ergriffen und eingeheiligt: in der Königssalbung vollzieht sich eine Verwandlung des Menschen zum Träger eines Auftrags, aber nicht mehr wie beim Richter eines einmaligen Auftrags, mit dessen Vollzug die Führung endigt, sondern eines statthalterischen Auftrags, der über die einzelne Tat, ja über das Leben des einzelnen Menschen hinwegführt. Salbung bedeutet auch Beginn einer Dynastie, wenn der König nicht von Gott verworfen wird wie Saul. Das Königtum ist ein neues Stadium jenes Zwiegesprächs, ein neues Stadium des Versuchens und Versagens, nur daß der Bericht nun die Last des Versagens nicht mehr wie im Buch der Richter auf das ganze Volk, sondern auf den König legt. Es sind nicht mehr die Geführten, sondern es ist der Führer selbst, der versagt, der dem Auftrag nicht standhält, die Salbung nicht mit seiner Person realisiert, – ein Urproblem der religiösen Geschichte. Alle Geschichte der großen Religionen und alle große Geschichte überhaupt hängt mit diesem Problem zusammen: Wie hält der Mensch dem, was hier Salbung genannt wird, stand? Die Geschichte der Könige ist die Geschichte des Nichtverwirklichens der Salbung durch die Gesalbten. Daraus allein ist die Entstehung des Messianismus, der Glaube an den Gesalbten, der die Salbung erfüllt, zu erfassen. Nun aber, in dieser Situation des versagenden Königtums ersteht der neue, der in der biblischen Geschichte letzte Führertypus, der »geschichtswidrigste« von allen, der Prophet, eingesetzt gegen den König, gegen die Macht, mehr noch, gegen die Geschichte, gegen das, was das Volk sein geschichtliches Leben nennt. Wenn Gott zu Jeremja sagt: »Ich

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gebe dich zur ehernen Mauer wider all das Land«, so ist es in Wirklichkeit so: der Prophet steht nicht bloß gegen die Machthaber, sondern gegen das Volk selbst. Der Prophet ist der Mensch, der, wie er gegen seine eigenen natürlichen Instinkte, die ihn an die Gemeinschaft binden, gestellt ist, sich gegen das So-weiter-leben-wollen des Volkes stellt, das für das Volk ganz natürlich mit dem Weiterlebenwollen überhaupt identisch ist. Die Leidenserfahrungen des Propheten, der ebenso natürlicherweise nicht bloß von den Machthabern, sondern auch vom Volk als dessen Feind behandelt wird, wie es solch einem Menschen nun einmal geschichtlich zukommt, sammeln sich dann in jenem Bild des Knechtes Gottes, seines Leidens und Sterbens um der Intention Gottes willen, einem Bild, unter dessen Schatten wohl auch Jesus gestanden hat. Wenn nun die Bibel über diese tatsächlichen Erscheinungsformen des Führertums hinausblickt in eine, die nicht mehr in der Zerrissenheit, nicht mehr im Versagen steht, wenn sie die Konzeption des messianischen Führers gestaltet, meint sie damit nichts anderes, als daß endlich die Antwort erfolge, daß aus dem Menschentum selbst das Wort, das mit dem Wesen gesprochene Wort komme, das dem Wort Gottes erwidert. Es ist eine irdische Erfüllung, die ersehnt wird, eine Erfüllung auf dieser Erde, eine Erfüllung in und mit dieser Menschheit. Eben dies aber ist die Erfüllung, nach der die Hand Gottes mitten durch das von ihm Erschaffene, durch Natur und Geschichte vorstößt. Das meint der messianische Glaube, der Glaube an den wirklichen Führer, an das Zurechtkommen des Zwiegesprächs, an das Ende der Enttäuschungen Gottes. Und wenn ein apokryphes Evangelienfragment Gott zu Jesus sagen läßt: »In allen Propheten habe ich dich erwartet, auf daß du kommest und ich in dir ruhe, denn du bist meine Ruhe«, so ist dies die späte Ausgestaltung einer echt jüdischen Konzeption. Der biblischen Frage nach dem Führertum geht es um Größeres als um sittliche Vollkommenheit. Die biblischen Führer sind Entwürfe des dialogischen Menschen, des Menschen, der mit seinem Wesen im Zwiegespräch Gottes mit der Welt steht und diesem Zwiegespräch standhält. Von diesem Zwiegespräch ist das Leben der Menschen, auf die ich hingewiesen habe, erfüllt, ob es nun Intervention ist, wie das Gespräch Abrahams mit Gott um Sodom oder Moses mit Gott nach der Sünde des Volkes am goldenen Kalb, oder ob es die mit Ergebung endende Wehr des Menschen gegen das ihm Entgegendringende, das ihn bezwingen will, ist, wie wir es von Mose bis zu Jeremja dokumentiert finden, oder ob es das Ringen um Sinn und Aufgabe ist, wie wir es aus jener Unterredung Davids mit Gott kennen – in allen Arten erfolgt immer wieder ein Eintreten des Menschen in den Dialog; ein unvollkommenes

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Eintreten, das sich aber eben doch nicht entzieht, eben doch in der Welt des Dialogs auszuharren sich anschickt. Alles Geschehen wird hier als Dialog erfahren: was dem Menschen widerfährt, als Zeichen, was der Mensch zu tun versucht und was ihm je und je mißrät, als Versuch und Verfehlen einer Antwort, als das stammelnde Versuchen der Verantwortung, so gut man eben vermag. Weil es so ist, bedeutet das biblische Führertum immer ein Geführtsein. Diese Menschen sind insofern Führer, als sie sich führen lassen, d. h. als sie das ihnen Zugereichte annehmen, das ihnen Anvertraute verantworten, das ihnen Aufgetragene nun von sich aus, mit der Spontaneität ihres Wesens, in der »Autonomie« ihrer Person verwirklichen. Von da aus können wir uns den Lebensgang dieser Führer verdeutlichen. Fast immer sehen wir eine Herausholung des Menschen aus der Gemeinschaft. Der Mensch wird von Gott aus der Gemeinschaft gehoben, von seinen natürlichen Zusammenhängen abgeschnitten, von Abraham bis Jeremja muß er fort aus dem Land, in dem er eingewachsen war, hinüber, dahin, wo er den Namen Gottes auszurufen hat, gleichviel, ob das nun eine räumliche Wanderschaft ist wie die Abrahams oder mitten im Volk ein Einsamwerden wie das der Propheten. Es ist immer eine tiefe, und zwar wachsende, von Stadium zu Stadium, von Situation zu Situation wachsende Problematik in dem Verhältnis dieser Menschen zur Gemeinschaft. Sie sind entweder aus ihrer natürlichen Gemeinschaft gehoben oder sind wider ihre natürliche Gemeinschaft gesetzt, sie kämpfen mit ihr, sie erfahren den Gegensatz, den Widerspruch des Lebendigen, den Widerspruch der menschlichen Existenz an dieser Gemeinschaft, von ihr aus. Das steigert sich zum Äußersten eben am Propheten. Das große prophetische Leid, das uns von einem einzigen, eben Jeremja, in einer kleinen Zahl im höchsten Sinn autobiographischer Sprüche bewahrt worden ist, ist die letzte Form dieser Problematik. Aber diese immer erweiterte Spannung zwischen Führer und Gemeinschaft, die immer tiefere Verdunkelung des Führers, die immer größere Erfolglosigkeit; die immer größere Geschichtswidrigkeit des Führers im Sinn der uns geläufigen Geschichte, das bedeutet vom biblischen Aspekt aus gesehen zugleich die wachsende Überwindung der Geschichte. Von dem biblischen Aspekt aus ist das, was wir Geschichte zu nennen gewohnt sind, nur die Außenseite der Wirklichkeit. Sie ist das große Versagen, das sich dem Dialog Versagen, nicht das Versagen im Dialog, wie es der biblische Mensch tut, sondern das sich dem Dialog Versagen, das in den Dialog nicht Eintreten; dieses große Sich-Versagen ist sanktioniert in der großartigen Sanktionsform der sogenannten Geschichte. Der biblische Aspekt verwirft diese Flächenwirklichkeit immer gewaltiger, am

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gewaltigsten in der Prophetie; er verkündigt, daß der Weg, der wirkliche Weg von der Schöpfung zum Reich, nicht auf der Fläche der Erfolge, sondern in der Tiefe der Erfolglosigkeiten gegangen wird. Das wirkliche Werk vom biblischen Aspekt aus ist das spätverzeichnete, das unverzeichnete, das anonyme Werk. Das wirkliche Werk wird im Schatten, im Köcher getan. Die offizielle Führung versagt mehr und mehr, die Führung fällt mehr und mehr dem Geheimnis zu. Der Weg führt durch das Werk, das die Geschichte nicht registriert und nicht registrieren kann, das nicht dem Wirkenden zugeschrieben wird, sondern irgend einmal in spätem Geschlecht als getan auftaucht ohne seinen Namen, das heimliche Wirken des heimlichen Führertums. Und wenn der biblische Schreiber den Ausblick tut auf die messianische, endgültige Überwindung der Geschichte, sieht er, wie die äußere Geschichte versinkt, vielmehr, wie beide, die Außengeschichte und die Innengeschichte, miteinander verschmelzen, wie das Geheimnis, zu dem das Führertum geworden war, aus dem Dunkel hervortritt und die Flächen der Geschichte überleuchtet, wie der Sinn der biblischen Geschichte sich in der ganzen Wirklichkeit erfüllt.

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Bemerkungen zu Jesaja. 17 ‫ושממה כמהפכת זרים‬ Diejenigen Modernen, die erkannt haben, daß der Schluß des Verses nur auf Sodom gehen könne, sowohl der Ausschließlichkeit des biblischen Gebrauchs von ‫ מהפכה‬als terminus technicus für jene klassische Katastrophe wegen als im Zusammenhang mit V. 9, glauben ‫ סדם‬lesen zu müssen, weil »‫ זרים‬hart hinter ‫ אכלים‬nicht in ganz anderem Sinn angewandt werden konnte« (Dillmann-Kittel). Dieser Einwand beruht auf einer Verkennung der Verwendung antithetischer Wiederholung im biblischen Stil (über die an anderer Stelle ausführlich zu handeln sein wird). Das Wort ‫ – זרים‬ein religiöses Gegenstück zum ethnischen βάρβαροι – weist ja, zum Unterschied von ‫נכרים‬, stets über die Einzelnen, von denen die Rede ist, hinaus auf die Gesamtheit der Fremdw e l t , der im religiösen Sinn Unzugehörigen, hin. Unser Vers will sagen: Die Verödung eures Landes, die euch von seiten der Fremdwelt widerfährt, ist jener zu vergleichen, die in der Vorzeit eben der Fremdwelt – im Gegensatz zu eurem Urvater und seinen Anverwandten – von Gott selber aus widerfahren ist, der sich nun der Fremdwelt als Werkzeug der Vernichtung gegen euch Abtrünnige bedient.

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22-5 ‫והיה באחרית הימים‬ Der Sinn des wichtigen Abschnitts kommt erst dann voll zur Geltung, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ‫ לכו ונעלה‬V. 3 und ‫ לכו ונלכה‬V. 5 einander entsprechen und sich aufeinander beziehen. Der Verheißung »Einst werden alle Völker zum Zion strömen« folgt, gleichsam als Folgerung: »So laßt uns, das Haus Jaakobs, nicht länger uns versäumen!« Anklingen muß hier: Wir sind ja so weit vom Zion abgeirrt! Hieran, wie äußerlich an die Worte ‫ – בית יעקב‬die emphatisch zu verstehen sind: wir sind es ja, nicht einer der ‫גוים‬, sondern eben das Haus Jaakobs! – knüpft der einen neuen Abschnitt, die Rede an Gott, eröffnende V. 6 an. 78 f. ‫כי ראש דמשק ארם‬ Kaminkas ingeniöse Erklärung (Monatsschrift 73. Jg., S. 471 f.) kann – ganz abgesehen von der durch keinen Beleg zu erhärtenden Gleichset-

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zung von ‫ ובעוד‬mit ‫ – ועוד ב‬zumindest für die uns vorliegende Redaktion des Kapitels deshalb nicht zutreffen, weil durch die Auffassung des ’‫ אם לא תאמינו וגו‬als einer zitierten Sentenz die ganze Erzählung ihres Angelpunkts beraubt wird. Nur wenn man diesen Satz als prägnante Apostrophierung (deutsch etwa: »Vertraut ihr nicht, bleibt ihr nicht betreut«) versteht, wird es deutlich, welche Betrachtung von Schuld und Strafe dem Folgenden zugrunde liegt. Aber wir sind ja für die Auslegung des ’‫ אם לא תאמינו וגו‬glücklicherweise nicht auf diese Stelle allein angewiesen; II Chr. 2020, in einem Bericht von selbständiger Tradition und erheblicher Sprachkraft, finden wir die gleiche Paronomasie wieder, aber in positiver Wendung: »Vertraut IHM eurem Gott und ihr werdet betreut.« Wie immer man über das literarische Verhältnis der beiden Stellen zueinander denken mag, aus dem eindeutig religiösen Charakter der zweiten geht mit fast unanzweifelbarer Sicherheit hervor, daß auch die erste keine profane Sentenz anführt, sondern eine Glaubensforderung von schicksalhafter Bedeutung ausspricht. Daß der Spruch von den 65 Jahren auf eine alte Orakelrede zurückgeht, deren Erfüllung nun nah bevorsteht, ist immer noch die weitaus wahrscheinlichste Erklärung. Aber wie ist seine Einflechtung zwischen die beiden Aussagen über Damaskus und Samaria zu deuten? Die Schwierigkeit mindert sich, wenn wir die beiden konzessiv nehmen, der Prophet also sagt, daß der überlieferte Spruch gelte, »mag auch noch Damaskus Haupt Arams sein …« und »mag auch noch Samaria Haupt Efrajims sein«. Aber immer noch bleibt problematisch, daß der Spruch ja nur für Israels Sturz (»über 65 Jahre stürzt Efrajim aus dem Volksein«, vgl. zum Verb 516, zur Präpositionalkonstruktion 231), nicht auch für den Arams eine Zeit bestimmt. Der verwandte Vers 173 führt uns zu der Vermutung 1 , daß die an unsrer Stelle angeführte Orakelrede analog aus zwei Teilsprüchen, nur in umgekehrter Reihenfolge, bestand, deren erster, Aram behandelnder vom Propheten weggelassen werden durfte, weil der Wortlaut der ganzen Rede allgemein bekannt und der Israel betreffende Teilspruch situationsmäßig der gewichtigere, weil erfüllungsnähere war.

1.

Ueber den Zusammenhang unserer Stelle mit Kap. 17 hat S. Grünberg (Exeget. Beiträge I 14 ff.) eine beachtenswerte Hypothese geäußert, die aber den Spruch von den 65 Jahren nicht erklärt.

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819 f. ’‫דרשו אל האבות וט‬ Das schwierige Stück bis ‫ ולתעודה‬kann einem eindeutigen Verständnis nahegebracht werden, wenn man den Zusammenhang mit V. 16 festhält und sodann die dialogische Struktur von V. 19 durchschaut. Die »Bezeugung« und »Weisung«, die über die Katastrophe hinausdeutet, soll vorerst geheim bleiben, sie soll in den »Lehrlingen« des Propheten »eingeschnürt« und »versiegelt« sein auf den Tag, auf den er »harrt« und »hofft«; aber sie dürfen auch jetzt schon auf sie hinzeigen und zu ihr hinleiten, ohne ihr Geheimnis preiszugeben, – und zwar dann dürfen, ja sollen sie es tun, wenn man sie auffordert, die Geister nach dem Schicksalsweg zu befragen. Jesaja führt die Rede der solchermaßen Auffordernden an: »Beforscht die Elben (das ist die mythologisch richtige Bezeichnung für die Totengeister) und die Wisserischen!« und entgegnet ihr mit der Frage: »– Die Zirpenden, die Murmelnden?!« (= So etwas soll befragt werden?!), er läßt die Auffordernden dagegen vorbringen: »Soll nicht ein Volk seine Götter beforschen?« und antwortet wieder mit der entrüsteten, endgültig abweisenden Frage: »Für die Lebenden die Toten?!« – aber die solchermaßen Abgewiesenen sollen eben auch auf die noch verborgene Weissagungswahrheit hingeleitet werden, die die sechs ersten Verse des 9. Kapitels verkündigen. Denn wer so fragt, wird bald der Verzweiflung verfallen (V. 20b-22) und die unzuverlässigen Götzen verwünschen (‫ במלכו‬geht nicht auf den irdischen König, sondern auf den »Molech«).

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95 ‫אל גבור אבי עד‬ Die vielberedete Schwierigkeit von ‫ אל גבור‬und ‫ אבי עד‬überwindet sich, wenn man ‫ פלא‬in den richtigen Zusammenhang einstellt. Jud 1318 antwortet der Gottesbote dem Manoach auf die Frage nach seinem Namen: Warum doch fragst du nach meinem Namen, ‫( והוא פלאי‬das ‫ א‬des ’‫ כ‬ist durch Ps 1396 hinreichend unterstützt)! Er begnügt sich also nicht damit, die Frage – wie Gen 3229 – zurückzuweisen, er begründet die Zurückweisung damit, daß der Name, nach dem gefragt wird, ein »Entrücktes« sei, etwas Transzendentales. Ebenso ist ‫( שמו פלא‬appositionelle Konstruktion) zu verstehen: der folgende – nicht vierfache, sondern dreifache – Name ist geheimnisvoll, in seinem Sinn und Wesen nicht (oder noch nicht) zu erfassen. Der Vers ist etwa so zu übersetzen: »Seinen Namen, einen entrückten (eigentlich: ein Entrücktes), ruft man: Ratsmann Gottes, Held des Ewigvaters, Fürst des Friedens.«

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1027 ‫וחבל על מפני שמן‬

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Man hat den Schluß des Verses emendieren zu müssen geglaubt (»es bleibt nur der Weg der Konjektur«), weil das Bild »eine unvollziehbare Vorstellung« und »außerdem nach dem Vorhergehenden, da das Joch schon abgenommen ist, höchst überflüssig und störend« (Dillmann-Kittel) sei. Die Bedenken verlieren ihre Beweiskraft, wenn man in ’‫וחבל וגו‬ nicht eine Aeußerung des Propheten selber, sondern ein umlaufendes Sprichwort erblickt, das er in dem Sinne zitiert, daß man es dann, ‫ביום‬ ‫ההוא‬, auf den Fall anwenden würde; dann würde man sagen: »Am Nackenfett kann ein Joch zermürben«, d. h.: Hier sehen wir wieder einmal, daß der alte Spruch recht behält, daß nämlich »Hartnäckigkeit« die stärkste Feindesgewalt überwindet. Solche Sprichwort-Zitate werden gewöhnlich durch ‫ כי‬eingeleitet, vgl. z. B. 2820, oder den herrlichen Mütterspruch II Sam 1414; oder auch durch ‫על כן‬, so II Sam 58, wo ‫יאמרו‬ nicht dazu gehört, sondern den Anfang des zitierten Spottspruchs bildet, der sich von der erzählten Begebenheit herleitet: »Daher heißts: ›Ein Blinder, ein Hinkender sprechen: Der kommt uns nicht ins Haus!‹« – d. h. sie führen so großsprecherische Rede im Mund, aber in Wirklichkeit haben sie gar keine Macht zur Abwehr. – An unserer Stelle wird das Zitat, wie 78b, durch ein bloßes ‫ ו‬eingeleitet, wie es der Zusammenhang erfordert. 2313 ’‫הן ארץ כשדים וכו‬

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Die größte Schwierigkeit des stark umstrittenen Verses besteht bekanntlich darin, daß in einem vom phönizischen Mutterland oder seiner zyprischen Kolonie handelnden Text unvermittelt von einer ‫ ארץ כשדים‬die Rede ist, von welchen ‫ כשדים‬zum Ueberfluß der Rätselsatz ‫זה העם לא‬ ‫ היה‬ausgesagt zu werden scheint. Die Lösung des Problems dürfte gefunden werden, wenn man danach forscht, welche Bedeutung etwa die ‫ כשדים‬für die Vorgeschichte Zyperns – daß das ‫ הן‬sich auf dieses rückbezieht, ist ja von vornherein das weitaus Wahrscheinlichste – gehabt haben. Natürlich kann es sich nicht um den aramäischen Stamm handeln, der das neubabylonische Reich begründete; aber – so verfehlt ein Rückschluß von dem späten Wortgebrauch wäre, wie er uns bei Berossos entgegentritt, für den schon vor der Sintflut Chaldäer regieren – dürfen wir nicht annehmen, daß Jesaia auch eine einst herrschende, ebenfalls semitische Bevölkerung des babylonischen Landes, die Akkader, mit dem geläufigen Volksnamen bezeichnet hat, zumal anscheinend

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kein anderer zur Verfügung stand? Von den Akkadern aber wissen wir, daß sie auf die Kultur Zyperns, das sie wohl unter Sargon I. eroberten, einen entscheidenden Einfluß gewonnen haben; und andererseits wissen wir, daß die Phönizier erst spät nach Zypern gekommen sind. So wird es verständlich, daß Jesaia von der Insel sagt: »Das ist ja ein Chaldäerland« (sc. eigentlich, ursprünglich) und daran den Hinweis knüpft: »jenes Volk (sc. die Phönizier!) war damals (sc. als die »Chaldäer« Zypern beherrschten) noch gar nicht da.« Und jetzt, so heißt es weiter, ist Zypern den Phöniziern schon wieder entrissen (so daß sie dort also keine Zuflucht finden können: »auch dort wird dir nicht Ruh«) oder – wenn wir das Folgende als Perfecta prophetica verstehen dürfen – wird es demnächst werden, und zwar durch Assyrien, das es zu Flottenstützpunkten bestimmt (‫)יסדה לציים‬, Wachttürme aufrichtet usw. Die Assyrer nehmen gleichsam die Oberherrschaft der Akkader über die Insel wieder auf. – Wir wissen von Sanheribs Feldzug gegen den nach Zypern geflohenen Phönizierkönig Lulî nicht genug, um die geschichtlichen Tatsachen im einzelnen vergleichen zu können; immerhin wissen wir (Taylor-Zylinder II 35), daß Lulî »aus Furcht vor dem Herrschaftsglanz« Assyriens auf Zypern starb. Eine Abhängigkeit Zyperns von Assyrien aber hat schon einige Jahre früher bestanden, wie der Bericht der Larnaka-Stele Sargons II. über die Unterwerfungsgesandtschaft der sieben zyprischen Könige beweist. (Fortsetzung folgt)

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Wenn man V. 18 mit 269, sowie mit 1311 zusammenhält, ergibt sich, daß an diesen (und wohl auch an anderen) Stellen ‫ תבל‬als »Symbolwort« für ‫ בבל‬steht und Babylons weltbeherrschende Bedeutung ausdrücken soll, also etwa mit »Weltburg« wiederzugeben ist. So wird der schwierige Vers durchsichtig genug: ‫ ישועות‬ist weder »Wohlstand« noch »Heil«, sondern wie gewöhnlich die Befreiung aus feindlichem Joch, von der gesagt wird, daß sie von denen, die »Wind gebaren«, ungetan blieb, und parallel damit geht das Schlußglied des Verses, das nicht eine in der Tat äußerst »künstliche« (Duhm) Umschreibung einer Mitteilung über unzulängliche Bevölkerungszunahme enthält, sondern die Feststellung, daß Babel ungefällt geblieben ist, daß die Fremdherrschaft fortdauert: »Wir waren schwanger, wir wanden uns, und wie wir gebaren, wars Wind: Befreiung am Lande blieb ungetan, ungefällt die Sassenschaft Weltburgs.« Dies ist die Situation, von der aus das Lied 2612-19 zu verstehen ist. Es ist das dritte von vier Stücken eines prophetischen Tagebuchs, das sich von seiner Umgebung durch den persönlichen Ton und das Einzel-Ich, das zuerst Gott, dann das Volk anredet, abhebt. (Mit dem Danklied V. 16, das der Zeit nach der vollzogenen Befreiung zugedacht ist, ist es nicht zu verbinden.) Das erste Stück (7-10) ist keineswegs »Dank« und »Rückblick« (Kittel), sondern spricht einfach und unmittelbar die Sehnsucht des Sprechers nach dem Gericht Gottes über das ungerechte Weltreich und nach der eben darin, im kommenden Gericht, erwarteten göttlichen Offenbarung (’‫ )יראה גאות ה‬aus. Das zweite (11-14), das an das Zu-sehen-bekommen von V. 10 mit dem Nicht-hinschauen-wollen von V. 11 anknüpft, stellt die ersehnte Gottestat in den Zusammenhang der Geschichtserfahrung Israels ein: Alle Erdenherren, die uns – deren einziger Herr du, Gott, bist und bleibst – meistern wollten, hast du heimgesucht, ausgetilgt, zu »Gespenstern« gemacht. Die Motivworte »Tote« und »Gespenster« nimmt das dritte Stück auf, wie das des »Heimsuchens« das vierte (nebenbei gesagt, ist die Komposition des Buches Jesaja nicht zu erfassen, wenn man sich nicht mit diesem Prinzip der Wiederaufnahme von Motivworten von Stück zu Stück vertraut macht.) Dieses dritte Stück nun – das alles andere eher als »unbehilflich ange-

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legt« (Duhm) ist – beginnt durchaus nicht, wie von dem einen Teil der Erklärer angenommen wird, mit einem Dank für Vermehrung des Volkes und Erweiterung seiner Grenzen, worauf dann in V. 16-18 ein Rückblick auf früheren Notstand folgte, noch, wie andere meinen, mit einer Fortsetzung des »Rückblicks«, sondern, der Situation gemäß, mit dem Aufschrei zu Gott, er habe nun dem Volk – an Leiden! – »noch zugefügt«, indem er es »fernbrachte nach allen Enden der Erde« 1 ; aber – so schließt sich V. 16 zwanglos an – »in der Drangsal suchen sie dich auf: Zauberzwang ward deine Züchtigung ihnen!« Nun folgt V. 17 f. das Bild von der Windgeburt: Wir haben erkannt, daß wir hier aus Eignem nichts vermögen. Nur Gott selber vermag das Tote auferstehen zu lassen, Israel ein neues Leben zu schenken. »Denn dein Tau ist ein Tau der Lichtkräfte: aufs Land (I. ‫ )ולארץ‬der Gespenster lasse (ihn) niederfallen!« Es wird also durchaus nicht erklärt, die Erde werde die Schatten »ans Licht bringen« (Guthe) oder »gebären« (Duhm), wie hier überhaupt nicht von individueller Auferstehung geredet wird. Vielmehr wird den »ohne Wiederbelebung« toten Gewaltherren Israels, die zu »Gespenstern« »ohne Auferstehn« geworden sind (V. 14), die kommende göttliche Wiederbelebung Israels gegenübergestellt, dessen Land jetzt noch ein »Land der Gespenster« s c h e i n t , aber vom Lichttau Gottes zu einem neuen Leben im Lichte erweckt werden soll. Wir erkennen in Jes 2619 den Urkeim von Ez 37. Daran schließt sich dann sinnreich das vierte Stück, in dem der Prophet das Volk zum Ausharren im »Versteck« aufruft, »bis der Groll vorüberschritt«. Aus der Vergegenwärtigung des Gedankengangs ergibt sich eine von den herrschenden Hypothesen stark abweichende Folgerung für die Datierung. Nur in der Spätzeit des ersten Reiches gab es Versuche einer Befreiung von Babel, die sich als Windgeburten erwiesen. Der geschichtliche Hintergrund unseres prophetischen Tagebuchs ist die Situation nach einem mißglückten Abfall von »Weltburg«, auf den eine Deportation (in V. 15 hyperbolisch dargestellt), aber dann auch eine Atempause (V. 20) gefolgt ist, in der der Sprecher vor neuen Unternehmungen warnt und auf Gottes selbeigne Rettungstat harren heißt, – somit die Situation der ersten Regierungsjahre Zedekias.

1.

Von den Neueren hat diese letzteren Worte nur Ehrlich – der aber die ersten emendieren zu müssen glaubt – richtig verstanden, vgl. seine »Randglossen« IV 93.

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272-6 ’‫’ביום ההוא וכו‬

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Das so vielfältig mißverstandene Stück ist eine Wechselrede mit Chor, und zwar ein Neck-Dialog zwischen dem Weinbergsbesitzer, Gott, und dem Weinberg, Israel, mit Nachgesang der »herzugekommenen« Zeugen, der Völker. Am Text braucht, wenn man nur in V. 2 mit LXX und Trg ‫ ֶחֶמד‬liest, in V. 4 mit LXX und Trg Syr ‫ חָמה‬vokalisiert, nichts weiter geändert zu werden. In dem ersten Weinberglied (51-7), einem Monolog mit Vorgesang, berichtete der Besitzer von der bittern Enttäuschung, die ihm sein sorgsam umgegrabener, entsteinter, bepflanzter Weinberg bereitet hatte, und kündigte die Strafe an: die Schirmhecke des Weinbergs soll entfernt, seine Wand eingerissen werden, er soll nicht mehr geschneitelt, nicht mehr behackt werden, in Dorn und Distel soll er schießen. Das Lied redete von der unmittelbaren Gegenwart des Propheten aus. Das zweite Weinberglied dagegen redet von einer zukünftigen Zeit aus, der Heilszeit, »jenem Tag«, und zwar redet es von dieser Zukunft aus retrospektiv über die Gegenwart des Propheten, die aber nicht mehr die gleiche wie in Kap. 5, sondern eine spätere und bessere ist: der Weinberg wird nun von seinem Besitzer wieder beschützt und gepflegt, aber noch hat er seine Wand, die hier »Mauer« heißt, nicht wiederbekommen und ringsum ist Feindschaft und Bedrohung. Von dieser Uebergangszeit handelt rückschauend der Dialog. Er wird »an jenem Tag« »wechselgesagt« (»singen« bedeutet ‫ענה‬ niemals, sondern an den in Betracht kommenden Stellen stets Wechselsingen oder einen Wechselgesang anstimmen); und angesungen (‫ לה‬vgl. Nu 2117, wo der Brunnen ebenfalls nicht »besungen«, sondern angesungen wird) wird dasselbe Israel, das – nur eben in einem früheren Stadium seiner Geschichte – als Weinberg eine der Dialogpersonen ist. Als Weinberg, und zwar als »begehrlicher« Weinberg, denn diese Assoziation soll ‫ כרם חמד‬hier offenbar scherzhafterweise mit erwecken. »Dialog« ist keine ganz zutreffende Bezeichnung; es ist eine Wechselrede, in der jeder der beiden Partner nicht zu dem andern, sondern von dem andern redet. In V. 3 spricht der Besitzer von seiner erneuten Pflege des ihm wieder teuren Weinbergs. Aber dieser antwortet (V. 4) mit einer Klage: er habe keine Mauer mehr, sei daher trotz des Bewachtseins bedroht: »wer gäbs, ich wäre (sc. wieder wie in der schlimmen Zeit; unter Bezugnahme auf 56) Distel und Dorn, wenn doch (sc. noch) Krieg ist!« Das solle er sich lieber nicht wünschen, erwidert der Besitzer, denn dann würde er auf ihn losschreiten und ihn sogleich in Brand setzen. »Dann zeige er lieber stark

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sich«, ruft der Weinberg, »als meine trotzige Wehr, er mache Frieden mir, Frieden mache er mir!« Das bedeutet: möge dann doch mein Herr seine Kraft lieber gegen meine Feinde richten und ihrem Kampf gegen mich ein Ende machen! So spricht in der Wechselrede Israel von den es befehdenden Völkern. Aber »an jenem Tag«, an dem das retrospektive Lied gesungen wird, ist ja schon (vgl. 24 und 94) Friede zwischen allen Völkern, die Völker kommen alle zum Zionsberg (23, vgl. auch 256-8, wo übrigens ‫ בלע המות‬im Zusammenhang nichts anderes meint, als daß der Tod z w i s c h e n d e n V ö l k e r n , ihr gegenseitiges Todspenden, »verschlungen« wird) und sie sind es, die dort den Chorus des Wechselgesangs bilden. Denn ‫ הבאים‬als abgekürzte Fassung von ‫ הבאים בימים‬anzusehen, wie alle nichtemendierenden Kommentatoren tun, ist durch keine Belegstelle, durch keinerlei Analogie zu stützen; ‫ הבאים‬bedeutet vielmehr als »Personenangabe« (ursprünglich wohl an den Rand geschrieben, um zu verhüten, daß spätere Generationen, die den Zusammenhang nicht mehr innehaben, den Vers mißverstehen) die Gekommenen, Herzugekommenen, – die Völkerscharen nämlich, die auf dem Zion dem vorgetragenen Neckgespräch zwischen Gott und seinem Weinberg lauschen und an dieser Stelle, wo sie gleichsam selber aufgerufen werden, den entgegnenden Friedens- und Segensruf (die positive Ergänzung zu ‫ וחרפת עמו יסיר‬258) anstimmen: »Wurzel breite Jaakob, knospe, blühe Jissrael, daß sie das Antlitz der Welt erfüllen mit Gedeihen.«

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2815 und 18 ‫ חזות‬und ‫חזה‬ Um ‫ חזה‬und ‫ חזות‬zu verstehen, bedarf es nicht der Vorstellung eines Zitierens der Todesgottheit (Duhm), mit welcher »Erscheinung« ein Vertrag abgeschlossen werde; es handelt sich einfach um einen »Einschauvertrag«, ein »Einschaublatt«, das dem drohenden ‫( שוט שוטף‬den wir trotz Barth mit »Geißelgießbach« übersetzen: ein geißelgleich auf den sich ihm Entgegenstellenden niederstürzender Gießbach ist ein durchaus einwandfreies Bild) gewissermaßen als Geleit- und Schutzbrief entgegengehalten wird.

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3011 ’‫סורו מני דרך וכו‬ Der Sinn ist nicht »gebt eure Richtung auf« (Duhm), sondern ‫ דרך‬mit dem Parallelwort ‫ ארח‬sowie ‫ קדוש ישראל‬sind Zitate aus der geläufigen

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Prophetenrede. Wendet euch von dem »Weg«, wird den Propheten zugerufen, schafft uns vom Antlitz fort den »Heiligen Jissraels«, – d. h. verschont uns mit diesen euren steten Redewendungen! Darauf erwidert nun (V. 12) der Heilige Israels selber: »Weil ihr d i e s e R e d e verachtet habt …« 3315 ‫נער כפיו וכו׳‬

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Innerhalb der üblichen Auffassung ist ‫ נער כפיו‬ein seltsamer Ausdruck, denn ‫ נער‬bedeutet sonst gar nicht schütteln (diesen Sinn nehmen die Lexika bekanntlich nur um unserer Stelle willen an), sondern nur abschütteln, ausschütteln; auch ‫ עצם עיניו‬scheint, nach 2910 zu schließen, nicht ein bloßes Zumachen der Augen, sondern Gewaltsameres zu meinen; die ‫אטם‬-Konstruktion endlich wird an der einen der beiden Stellen, an denen sie noch vorkommt, Ps 585, ausdrücklich mit Taubheit assoziiert, an der andern, Ps 2113, klingt immerhin das Sich-taub-stellen an. Wir glaubten daher 2 die Uebersetzung wagen zu dürfen: »Der eher seine Hände lahmschüttelte (eigentlich: abschüttelte) als daß er anfaße eine Beschenkung, der eher sein Ohr taubstopfte als daß er anhörte einen Blutplan, der eher seine Augen stumpfpreßte als daß er zusähe dem Bösen«. Einem so Gearteten steht es doch wohl eher zu, »in der Erhabenheit anzuwohnen«, also sozusagen Gottes Nachbar zu sein (vgl. V. 5), als dem bloßen Nichtsünder der üblichen Auffassung. So ist die Ausdrucksform zwar pathetisch, aber nicht »geschraubt« (Duhm) zu nennen. 3321 ‫כי אם שם אדיר וכו׳‬

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Wer vermeidliche Emendationen gern vermeidet, wird zum Verständnis dieses Verses am besten davon ausgehen, daß die beiden ‫ אדיר‬hier schwerlich nichts miteinander zu tun haben dürften; ich möchte es geradezu als hermeneutische Maxime formulieren, daß biblische Wortwiederholung grundsätzlich, also wo das sich nicht untunlich erweist, als absichtlich und sinnhaft anzusehen ist. Es ist daher schon deshalb wenig wahrscheinlich, daß das erste ‫ אדיר‬auf ‫ ה׳‬zu beziehen sei. Dazu kommen stilistische Momente: auf den unjesajanischen Charakter eines 2.

Obgleich alle diese Bemerkungen auf die gemeinsame Uebersetzungsarbeit mit Franz Rosenzweig zurückgehen, möchte ich gerade für diese besonders hervorheben, daß ich sie seinen Aeußerungen zu verdanken habe. (Dasselbe gilt für die Bemerkungen zu 22-5, 819 f., 95, 2815 u. 18 und 3011.)

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‫ = כי אם‬sondern hat man schon hingewiesen; das ‫ שם‬nimmt sich trotz V. 20, als auf den Wohnort des Sprechers bezogen, wunderlich aus; vor allem aber würde die appositionelle Stellung von ‫ הי‬durchaus gegen den Stil gehen; ganz abgesehen davon, daß ‫ אדיר‬sonst nirgends von Gott gebraucht wird (das charakteristische Philisterwort I Sam 48 soll ja besagen, daß für sie Gott eine der Götzenmächte ist; Jes 1034, das einige Erklärer heranziehen, wird von ihnen mißverstanden: ‫ באדיר‬kann, wie schon bemerkt worden ist, nicht für ‫ ביד אדיר‬stehen, wir übersetzen: mit seiner Herrlichkeit, d. h. mit seinen Zedern, vgl. Perles, Analekten I 75). Aber auch die Auffassung von ‫ מקום נהרים‬als Prädikat oder Prädikativum in dem Sinn, daß Gott der Stadt »statt Ströme breiter Flüsse« sei, ist, wie Kittel mit Recht betont, aus Stilgründen abzuweisen. Das weitaus Einfachste 3 ist doch wohl, ‫ שם‬auf Assyrien und beide ‫ אדיר‬auf Sanherib zu beziehen. Es ergibt sich dann die Bedeutung: »Denn ist dort ein Mächtiger: mit uns ist ER!« Und nun lasse man das ‫ לנו‬vorauswirken und darf das Folgende so verstehen: »eine Gegend (sc. ist somit unser, ist somit die unsre da es sich so verhält) von Strömen, von breitarmigen Läufen, die bleibt unbegangen von Ruderflotten, Schiff des Mächtigen, nicht kann sie befahren« (‫ בי‬und ‫ יעברנו‬gehen nicht auf den metaphorischen »Strom«, sondern eigentümlicher-, aber nicht unmöglicherweise auf die reale »Gegend«). Nicht Gott also wird mit Strömen verglichen, sondern es wird in unmittelbarer Bildsprache gesagt, eine Stadt, die er beschütze, sei – wie unzulänglich auch sonst ihr natürlicher und technischer Schutz sein möge – sicherer als Sanheribs Hauptstadt hinter ihrem Wasserbollwerk, denn über dieses unser Stromnetz (metaphorisch: die göttliche Befestigung und Verteidigung) könne auch die Flotte des mächtigsten Feindes, für Jerusalem die Sanheribs, nicht fahren (metaphorisch: keine feindliche Macht könne hier etwa ausrichten); versuche sie es, so widerfahre ihr das in V. 23 beschriebene Schicksal (die Flotten-Metapher wird folgerichtig durchgeführt). Der dazwischenstehende V. 22 verstärkt noch die Gegenüberstellung Gottes und des assyrischen Königs: »denn ER, Rechtschaffer uns, ER, Gesetzstifter uns, ER, K ö n i g uns, er befreit uns!«

3.

Die Anregung hierzu verdanke ich einer Aeußerung von A. Kaminka, der aber anders konkludiert.

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Als 1913 ein von mir versammelter und geleiteter kleiner Kreis pädagogisch interessierter Juden den Plan eines jüdischen Landerziehungsheims beriet, dessen Ausführung dann der Weltkrieg vereitelt hat, stellte ich das Lehrprogramm der zu errichtenden Anstalt unter den Begriff eines hebräischen Humanismus. Damit wollte ich sagen, daß, wie das Abendland eine Reihe von Jahrhunderten lang der Sprache und dem Schrifttum der Antike die menschenbildnerischen Kräfte abgewann, in unserm Erziehungsbau der Mittelraum der Sprache und dem Schrifttum des klassischen Israel gebührt als den Mächten, denen wir ein neues zentrales Wirken ermöglichen müssen, damit sie aus dem Stoff des gegenwärtigen Lebens und seiner Aufgaben den Menschen einer neuen jüdischen Würdigkeit gestalten. Als ich 16 Jahre später auf dem XVI. Zionistenkongreß knapp aussprechen wollte, was ich in dem gegenwärtigen Erziehungssystem des jüdischen Palästina vermisse, was ich ihm wünsche, fand ich wieder keinen anderen Namen dafür als den eines »hebräischen Humanismus im realsten Sinn«. In diesen neu hinzugefügten drei Worten »im realsten Sinn« sind die Erfahrungen eingefaßt, die ich in drei Jahrzehnten mit der nationaljüdischen Bewegung gemacht hatte. Sie hatte das Volk als solches aktiviert, die Sprache als solche erneut, ohne innerhalb beider, innerhalb der Geschichte, innerhalb der Literatur mit seherischer Erkenntnis und Forderung zwischen echten und falschen Werten zu scheiden, ohne dem Überkommenen Ordnung und Gericht zu entnehmen. Sie hatte verkannt, daß die Urform dieses Volkes aus ordnender und richtender Tat entstanden, die große Urkunde dieser Sprache auf ordnendem und richtendem Wort gegründet war, und daß eine f o r m a l e »Renaissance« ein aufgeblasenes Unding ist, daß vielmehr von der W i e d e r g e b u r t d e r n o r m a t i v e n U r k r ä f t e die Zukunft der auf dem alten Heimatboden neu beginnenden Gemeinschaft abhängt. Hebräischer Humanismus heißt Gestaltung eines hebräischen Menschen, und ein hebräischer Mensch ist etwas ganz anderes als ein hebräisch sprechender Mensch. Konrad Burdach hat in einer bedeutenden Abhandlung 1 , die das Grundwesen des abendländischen Humanismus bestimmen will, mit hoher Berechtigung auf einen Spruch aus Dantes »Gastmahl« hingewiesen: »Eines jeden Dinges höchstes Verlangen, das ihm vom Anbeginn die 1.

Über den Ursprung des Humanismus; abgedruckt in dem Buch »Reformation, Renaissance, Humanismus« (1918).

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Natur eingepflanzt hat, ist es, zu seinem Urgrunde zurückzukehren.« Im Anschluß an dieses Wort erblickt Burdach in der »Rückkehr zum menschlichen Urgrund, und zwar nicht in spekulativem Denken, sondern in einer k o n k r e t e n U m g e s t a l t u n g des gesamten inneren Lebens« das Ziel der geistigen Bewegung, die wir Humanismus zu nennen gewohnt sind. Der Humanist nimmt die Antike nicht in ihrer Gesamtheit als historische Materie hin, er nimmt das von ihr auf, was seiner Art nach jene »Rückkehr« zu fördern ihm tauglich erscheint. So fühlt Goethe in Rom »in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten« sich »durchaus auf den Menschen in seinem reinsten Zustand zurückgeführt« 2 . Auch ein hebräischer Humanismus kann nur einer seherischen Auslese entspringen, die aus dem Judentum den hebräischen Menschen herausschaut, als den jüdischen Menschen in seinem reinsten Zustand. So wird unser Humanismus auf die Bibel hingeleitet. Ein hebräischer Mensch ist zwar nicht ein biblischer Mensch, denn die »Rückkehr«, die hier gemeint ist, kann naturgemäß nicht ein Streben nach der Wiederholung oder Fortsetzung eines längst Gewesenen bedeuten, sondern nur eins nach dessen Erneuerung in echt gegenwärtiger Erscheinung; wohl aber ist ein hebräischer Mensch nur einer zu nennen, der ein b i b e l w ü r d i g e r Mensch ist. Unsere Bibel aber besteht aus Weisung, Mahnung und Zwiesprache mit dem Weisenden und Mahnenden. Nur ein Mensch, der tun und hören will, was der Mund des Unbedingten ihm gebieten wird, ist ein bibelwürdiger Mensch. Ein hebräischer Mensch kann nur der sein, der sich von der Stimme, die in der hebräischen Bibel zu ihm redet, anreden läßt und ihr mit seinem Leben Rede steht. Selbstverständlich decken sich die beiden Begriffe nicht. Selbstverständlich gilt von dem Satz, daß jeder hebräische Mensch bibelwürdig sein müsse, die Umkehrung nicht. Der hebräische Mensch ist der, der sich von der Stimme, die in der hebräischen Bibel zu ihm redet, in deren hebräischer Sprache anreden läßt. Das ist der Sinn des biblischen Humanismus. Humanismus geht von dem Geheimnis der Sprache aus und auf das Geheimnis der menschlichen Person zu. Die Wirklichkeit der Sprache soll im Geist der Person wirkend werden. Die Wahrheit der Sprache soll sich in der Existenz der Person bewähren. Das hat humanistische Erziehung gemeint, solang sie lebendig war. Biblischer Humanismus geht von dem Geheimnis der hebräischen Sprache aus und auf das Geheimnis des hebräischen Menschen zu. Die Erfüllung jener in diesem ist es, was die biblisch-humanistische Erzie2.

Vgl. Burdach a. a. O. 201.

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hung meint. Sie will den Juden von heute zu seinem Urgrund zurückführen. Sein Urgrund aber ist da, wo er die Stimme des Unbedingten hebräisch erschallen hört. Dem biblischen Humanismus ist es um eine »konkrete Umgestaltung« unseres gesamten – und nicht unseres inneren Lebens allein zu tun. Diese konkrete Umgestaltung kann nur von einer Wiedergeburt der normativen Urkräfte aus erfolgen, die zwischen Recht und Unrecht, Wahr und Falsch scheiden und denen das Leben sich unterwirft. Die Urkräfte sind uns im Wort, im biblischen Wort überliefert. Auch wer wie ich das biblische Wort nicht an die Stelle der Stimme treten zu lassen, es nicht als ihre absolute, zureichende, unwandelbar gültige Aussprache anzuerkennen vermag, auch dem muß es gewiß sein, daß wir das Normative nicht anders wahrhaft wiedererlangen können, als indem wir uns dem biblischen Wort erschließen, darin es eben als Urkraft erscheint: Urkraft, vermöge derer eine Gemeinschaft ein ihr Kundgetanes vernimmt und annimmt, Urkraft, vermöge derer der Führer dieser Gemeinschaft ihr, ohne es sich selber irgend zuschreiben zu können, vielmehr als ein Offenbartes kundtut, was sie vernehmen und annehmen soll. Wir sind nicht mehr Gemeinschaft, die dessen mächtig ist, aber wenn wir uns dem biblischen Wort auftun, wenn der Einzelne sich von ihm in sein persönliches Leben treffen läßt, das Walten des Normativen in sich aufnimmt, dann dürfen wir hoffen, daß die so – verschieden und doch gemeinsam – Ergriffenen wieder zur Gemeinschaft in jenem Ursinn zusammenwachsen. Unter biblischem Wort aber ist hier nicht dessen Gehalt, sondern das Wort selber zu verstehen. Die eigentliche Wirkung tut nur das ursprüngliche Wort im Geheimnis seiner Gesprochenheit: wenn man es so nachspricht, daß es jetzt und hier gesprochen ist. Das biblische Wort ist übersetzbar, weil es einen Gehalt hat, mit dem es an den Menschen ergeht. Es ist unübersetzbar, weil es ein Sprachgeheimnis hat, mit dem es an Israel ergeht. Im Zentrum eines biblischen Humanismus steht der Dienst an dem unübersetzbaren Wort. *

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Die Bezeichnung eines Humanismus habe ich für unsere pädagogische Provinz gewählt, weil auch hier den Tiefen der Sprache der Baustoff für die Struktur der Person abgewonnen werden soll. Aber mit dem Beiwort »biblisch« wird doch alles von Grund aus anders. Denn das ist von Grund aus andere Sprache nicht nur, es ist von Grund aus anderes Sprechen und anderer Spruch.

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Das Wort der griechischen Antike ist abgelöst und ausgeformt. Es wird dem Block des faktischen Gesprochenwerdens enthoben, mit dem Meißel der Denkkunst, der Redekunst, der Dichtkunst behauen, in das Reich der Gestalt versetzt. Es würde als roh und unbrauchbar, als barbarisch gelten, wenn ihm Unmittelbarkeit anhaften bliebe. Erst wenn es reine Gestalt wurde, gilt es. Das Wort der hebräischen Bibel hat seine Reinheit nicht in der Gestalt, sondern in der Ursprünglichkeit; wo es einer Bearbeitung unterlag, die sich als Kunst wußte, verunreinigte sie es. Das biblische Wort hat da seine ganze biblische Mächtigkeit, wo es in der Unmittelbarkeit, in der Gesprochenheit verblieben ist. Daß ein Psalm Aufschrei und nicht Gedicht, daß Prophetenrede Anruf und nicht formgerechte Allokution ist, das gehört wesentlich zur Biblizität des biblischen Wortes. In der Bibel verwandelt sich die Stimme des sprechenden Menschen nicht, sie bleibt wie sie ist, und doch erscheint sie als aller Beiläufigkeit entrückt, sie ist eben ursprünglich. Darum aber auch ist es im Bereich dieses Wortes möglich geworden, daß die vermenschte Gottesstimme, in menschlichem Idiom ertönend, von Menschenlettern eingefangen, doch nicht wie der Part eines Gottes in den Epiphanien der griechischen Tragödie v o r uns redet, sondern z u uns. Weil das Wort der griechischen Antike bearbeitetes, gehämmertes Wort ist, weil es Werk ist, tendiert es zum Monologischen. Die Luft des einsamen, bildnerischen Geistes umgibt es auch noch auf der Tribüne. Es tut der Haltung des athenischen Rhetors keinen Abbruch, daß er seine Reden entwirft und einübt; ein Prophet, der das täte, wäre ausgewischt. In der sokratischen Ironie birgt sich ein elementares Unbewegtbleiben im Verkehr; wo in der Bibel ein Gedanke sich äußert, blickt der Sprecher sorgend auf den Hörer. Wen immer der tragische Chor anredet, Menschen oder Götter, letztlich ist es Anrede nicht, der schicksalkündende Gesang erfüllt sich in sich selber; der Psalmenchor, der gebetet hat: »Erlöse uns deiner Huld zu willen!«, horcht nun in der Stille, ob er erhört worden ist. Unverklärt und ungedämpft bewahrt das biblische Wort den dialogischen Charakter der lebendigen Wirklichkeit. Und wie die Artung des Wortes hier und dort grundverschieden ist, so wird das Wort hier und dort grundverschieden erkannt, Grundverschiedenes wird von ihm gelehrt oder berichtet. Der Logos der Griechen i s t ; er ist ewigseiend (Heraklit); und wenn der Prolog des hellenisierenden Johannes-Evangeliums wie die hebräische Bibel mit einem »Im Anfang« beginnt, läßt er sogleich das völlig unhebräische »w a r das Wort« folgen. Im Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte ist das Wort nicht, es geschieht, es wird gesprochen. Hier gibt es kein »Wort«, das nicht ge-

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sprochen wird; das einzige Sein des Wortes ist sein Gesprochensein; aber alles Sein der seienden Dinge kommt vom Gesprochensein, Gesprochenwerden des Urworts her: »er selber sprach, und es ward«. Die Griechen lehren das Wort, die Juden berichten es. Die Verschiedenheit des Wesens überträgt sich in die der erzieherischen Wirkung. Der abendländische Humanismus empfängt die Sprache als G e b i l d , und so geht er auf »eine Befreiung der eigentlich bildnerischen Kräfte des Menschen« (Burdach) aus; das »geistige Imperium«, das er errichten will, »darf man das Apollinische heißen«. Bildnertum ist über die Welt gesetzt; bildnerisch ist die höchste Macht des Geistes, zum Gebild will sie die Person, zum Gebild die Polis vollenden. Ein anderes muß das Gesetz eines biblischen Humanismus sein. Er empfängt die Sprache als G e s c h e h e n , als das Geschehen in der Gegenseitigkeit; so muß er denn auf ein Geschehen, und zwar auf ein Geschehen in der Gegenseitigkeit abzielen. Er meint nicht die in sich beschlossene Person, sondern die offene; nicht die Gestalt, sondern die Beziehung; nicht die Bewältigung des Geheimnisses, sondern die Unmittelbarkeit zu ihm; nicht den Denker und Meister des Worts, sondern seinen Hörer und Vollstrecker, seinen Beter und Künder. Und er meint nicht den vollkommenen Bau der Polis, nicht das freie und beherrschte Zusammenspiel der Glieder eines Staatsleibes, sondern die »Eda«, die gegenwärtige Gemeinschaft all dieses Volks untereinander, zwischen Mensch und Mensch die echte Unmittelbarkeit der »Gerechtigkeit« und der »Liebe«, der »Holdschaft« und der »Treue«, – diese Eda aber als »Eda Gottes«, denn sich als Gemeinschaft erfüllend leistet das Volk dem Anspruch seines Herrn die rechtmäßige Antwort, es erfüllt das Wort. Personhaft und volkhaft erfüllt sich das Wort nicht im Gebild, sondern in der Bewährung. Bewährung aber gibt es nicht in der Dauer, wie sie dem Werk, dem Gebild zugehört, es gibt sie nur im faktischen Augenblick. Der biblische Humanismus kann nicht, wie der abendländische, über die Problematik des Augenblicks erheben; er will zum Standhalten in ihr, zur Bewährung in ihr erziehen. Diese Wetternacht hier, diese niederzuckenden Blitze, diese Androhung des Verderbens: entflieh dem in keine Welt des Logos, in keine der vollkommenen Gestalt, halte Stand, höre im Donner das Wort, gehorche, erwidre! Diese furchtbare Welt ist die Welt Gottes. Sie fordert dich an. Bewähre dich als Gottes Mensch in ihr! So spräche sich im biblischen Humanismus eine Wiedergeburt der normativen Urkräfte Israels aus.

MBW 13 (02689) / p. 86 / 18.3.2019

Zu Jecheskel 312. D. H. Müllers Bedenken (Ezechiel-Studien 162) gegen Luzzattos sonst allgemein angenommene Emendation ‫ ברום‬scheint mir trotz Jech 104 vertretbar. An Gründen für eine tendenziöse Textänderung werden angeführt: 1. von Geiger, Urschrift 318, man habe »den Ausdruck, es sei ein mächtiges Geräusch entstanden, da sich erhoben die Herrlichkeit Gottes von ihrem Orte, als etwas zu grob sinnlich« empfunden. Aber da es sich ja lediglich 1 um den seiner Stärke nach bereits 124 gekennzeichneten Schall handelt, der bei jeder Bewegung der Cheruben (zu dem dort hervorgehobenen Flügelrauschen kommt hier noch das Dröhnen der Räder) entsteht, konnte in dem Wortlaut der Luzzattoschen Konjektur ein anstößiger Anthropomorphismus gar nicht gefunden werden. 2. Merx, Jahrb. f. protest. Theol. IX 75 vermutet, von der nachbiblischen Gottesbezeichnung ‫ מקום‬ausgehend, die er irrtümlich als eine von »Gottheit« im Attributsinn auffaßt (dagegen schon Toy SBOT XII z. St.), man habe befürchtet, die Wendung würde im Sinn einer Trennung JHWHs von seiner Gottheit mißverstanden werden. Dieses Argument ist zwar von der Frage nach dem Alter des Terminus aus nicht zu widerlegen (wie Toy a. a. O. versucht, seltsamerweise so, als ob es sich um das Vorkommen des Terminus zur Zeit Jecheskels und nicht vielmehr zur Zeit der Fixierung des kanonischen Textes handelte), vgl. hierzu neuerdings Marmorstein, The Old Rabbinic Doctrine of God, 92 f.; im übrigen aber ist es ohne Gewicht, da – abgesehen davon, daß die von Merx herangezogene Zitierungsweise unseres Verses b. Chag. 13b nichts für seine Auffassung beweist – erstens das Nomen mit Possessivsuffix ja als Gottesbezeichnung denkunmöglich ist und zweitens die klassischen Stellen Jes 2621 und Mi 13 – auf die ich noch zurückkomme – jede Befürchtung dieser Art sinnlos machen. An Gründen gegen den mas. T. führen Luzzatto und der von ihm offenbar unabhängige Hitzig z. St. (für den ersteren vgl. schon den Brief vom 12. I. 1838, ‫ שד"ל אגרות‬411) folgende an: 1. ‫ רעש‬wird sonst nie von Rede gebraucht. 2. Von den ‫ חיות‬wird sonst keine Rede angeführt.

1.

An ein Erdbeben ist m. E. nicht zu denken, da dann auch schon 14 Ähnliches zu erwarten wäre; aber ein Erdbeben wäre erst recht unbedenklich, – schon im Deboralied bebt die Erde unter JHWHs Schritt.

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3. Es fehlt ‫לאמר‬. 4. Die Wendung ‫ ממקומו‬wird von Luzzatto ‫ קשה וסתומה מאד‬genannt. Das trifft zweifellos insofern zu, als die Erklärungsversuche von ‫רד״ק‬ und Abarbanel von ihm mit Recht als ‫ רחוקים ורחוקים‬bezeichnet werden und auch sonst kein annehmbarer vorliegt (geistvoll, aber von Syntax und Stil aus abwegig ist der von Elieser von Beaugency, der den Ort selber den Abschiedsgruß an die Majestät sprechen heißt). Ergibt sich aber daraus, daß ‫ ברום‬gelesen werden muß? Ich glaube es nicht. Eins steht nur freilich (von den Gründen 1-3 z u s a m m e n g e n o m m e n her) fest: die ‫ חיות‬können die Worte nicht sprechen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß sie überhaupt nicht gesprochen sein können. Sie können nämlich vom Propheten selbst gesprochen sein. An sich ist ja die Konstruktion keine wesentlich andere als ‫ברוך ה’ מציון‬ (Ps 13521), wo zwar von Duhm u. and. ‫ בציון‬gelesen wird, aber ohne Berechtigung, denn es geht hier im Zusammenhang darum 2 , daß die Lobpreisung eben vom Zion selbst aus zu dem aufsteigt, der dort »einwohnt«, d. h. je und je Wohnung nimmt (‫ שכן‬hat in solchen Wendungen seinen dynamischen Charakter ebenso bewahrt wie z. B. in ‫שכני סנה‬, das freilich Morgenstern, Biblical theophanies, Zt. f. Assyriol. XXV 149 unbegreiflicherweise versteht: der den Dornbusch »dauernd bewohnt«!). Die Schwierigkeit wird erst durch ‫ ממקומו‬bereitet. An den zwei andern oben angeführten Stellen, wo es auf Gott bezogen vorkommt, bedeutet es (wie aus der Micha-Stelle klar hervorgeht) nicht etwa den Himmel, wie I Könige 830, sondern den Tempel, der ja nach der oben erwähnten Stelle als ‫ מקום‬mit dem himmlischen ‫ מקום‬in einer besonderen Verbindung steht. Der Priester Jecheskel hat, wenn auch nicht den anscheinend späten Psalm selbst, so doch den sicherlich vorexilischen liturgischen Ruf ‫ברוך ה’ מציון‬, den dessen Abgesang aufgenommen hat, tief im Sinn; und das ‫ ממקומו‬Michas, noch mehr aber das gewaltige daran anklingende seines eigenen namenlosen Zeitgenossen, dessen Einfluß sich in Jech 37 kundgibt, des Verfassers von Jes 267-271 (vgl. meine Datierung MGWJ 74, 341), muß sich ihm eingeprägt haben. Sie alle reden vom Berg des Heiligtums. Er aber weilt i m E x i l , und da, im Exil, anders als Jesaja in seiner Berufung, dem sich ein verklärter ‫ היכל‬zeigte, hat er die Erscheinung geschaut, die im Sturmwind z u i h m k a m . Ihr »Ort« in diesem Augenblick war eben der seine, an demselben Euphratkanal, im dem etwas weiterhin die Verschleppten Israels, seine Gefähr2.

‫ בציון‬würde im Zug des Parallelismus auf ‫ ’ה‬bezogen werden. statt auf den Akt des Segnens.

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ten, »sitzen«. Nun da er dessen gedenkt, wie sie sich nach der furchtbaren Anrede wieder von ihm entfernte – nur der Anblick: die »Hand« hält ihn seither gefaßt (V. 14) –, unterbricht er seinen Bericht mit dem Ruf, in dem er Gott »von dem Orte aus« preist, an dem er ihm erschien. Nicht bloß in Zion, auch hier gibt es Nabitum (2,5), denn wie dort gibt es nun auch hier das Schauen des Kabod und das Vernehmen der Stimme. Hier auch ist, je und je, ein ‫ מקום‬Gottes, und von dem aus soll er je und je gepriesen werden, heute von hier, wie vordem und dereinst von Zion aus. Das ist exilische Prophetie.

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In der Einleitung zu seinem Genesiskommentar hat Hermann Gunkel die Unterscheidung der drei »Quellenschriften« J, E und P in der Genesiserzählung als ein gemeinsames Ergebnis der alttestamentlichen Wissenschaft von anderthalb Jahrhunderten bezeichnet, auf das die Nachkommen stolz sein dürften: »Man vermag gegenwärtig die Quellenschriften in vielen Fällen bis auf den Vers, in einigen bis auf das Wort zu bestimmen.« So konnte es dann Otto Procksch in seinem Kommentar unternehmen, die Quellenschriften gesondert zu übertragen und zu erläutern. Gegen die These, insbesondere gegen die Unterscheidung eines »jahwistischen« und eines »elohistischen« Erzählers erhob sich mancher Widerspruch, doch ist »die Pentateuchwissenschaft unbeirrt bei ihrem Dogma geblieben« (Volz). In den letzten Jahren sind, in Ausgangspunkt, Zielsetzung und Methode verschieden, aber einander gerade deshalb in wesentlichen Punkten ergänzend, drei Bücher erschienen, die zusammengenommen einen Angriff von so bedeutender Stärke gegen die Quellenscheidungslehre darstellen, daß deren unbefangene Anhänger nunmehr eine Revision werden erwägen müssen. Es sind dies: »Der Elohist als Erzähler. Ein Irrweg der Pentateuchkritik?«, von Paul Volz und Wilhelm Rudolph 1 , »Das erste Buch der Tora, Genesis«, übersetzt und erklärt von B. Jacob 2, und »La questione della Genesi«, von Umberto Cassuto 3. Die mit einem Exkurs von Rudolph über die Josephsgeschichte verbundene Arbeit von Volz ist die sorgfältige, von einem zuverlässigen wie philologischen so auch ästhetischen Gewissen bestimmte kritische Analyse einer Reihe von für die Quellenfrage wichtigen Genesiskapiteln. Jacobs Kommentar ist ein Novum: in keinem andern unseres Zeitalters, auch nicht in dem Luzzattos, ist die Sprache des Pentateuchs so ernstgenommen und so gründlich erforscht worden, in keinem andern, auch nicht in dem Dillmanns, ist die ganze bisherige Exegese so umfassend und einheitlich verwertet worden; die Schranken des bewundernswürdigen Werkes sind da, wo die eigentliche Interpretation aufhört und eine teleologische, zuweilen homiletisch anmutende Auslegung beginnt. Cassuto hat sich eine systematische Aufgabe gesetzt, er geht nicht von den Texten, sondern von den Problemen aus; dabei bewährt er ein außerordentliches intuitives und gedanklich 1. 2. 3.

Alfred Töpelmann, Gießen, 1933. Schocken Verlag, Berlin, 1934. Felice Le Monnier, Florenz, 1934.

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fruchtbares Verständnis für drei Dinge, die gewöhnlich unerkannt bleiben oder vernachlässigt werden: die tektonische Komposition der Erzählung, die paronomastischen und leitmotivischen Eigentümlichkeiten des Stils 4 und die weitgespannten Beziehungen zwischen vätergeschichtlicher und volksgeschichtlicher Darstellung; mit produktiver Klarheit weist er auf die Fragenkomplexe hin, die sich auftun, wenn man sich mit dem Prozeß der Traditionsformungen und den darin waltenden Tendenzen befaßt 5 . Alle drei Werke kämpfen mit mannigfachen, aber gleich trefflichen Waffen gegen die massive Fiktion, daß Erzählung von so großer Gestalt aus dem Zerlegen von Quellenschriften und Neuverheften der Stücke entstehen könne. »Die Quellenscheidung«, sagt Volz (zu Kap. 28, aber es kann von den meisten gelten), »zerreißt die schöne Erzählung künstlerisch und sachlich, sie zerstört den sinngemäßen, kunstvollen Aufbau, sie zerreißt gerade die feinsten und tiefsten innerlichen Zusammenhänge. Sie ist durch und durch unpsychologisch.« Daß dem so ist, legt jedes der drei Bücher in unvoreingenommener, streng sachlicher Untersuchung, jedes auf seine Weise dar. Wie die drei im einzelnen vorgehen, wie sie einander teils berichtigen, teils ergänzen, und was dabei etwa doch noch an Fragen offen bleibt, will ich an ein paar Beispielen darlegen. In Kap. 15 (das Cassuto leider nicht analysiert) begründet Gunkel die Quellenscheidung damit, daß es v. 5 Nacht ist, v. 12 und 17 aber erst die Sonne untergeht. Volz sieht dem gegenüber nach dem Vorgang Wellhausens v. 1-6 und v. 7 ff. als zwei selbständige Erzählungen an. Er verkennt aber dabei den einheitlichen »prophetischen« Stil des Kapitels, zu dem die »Betäubung«, ‫תּרדמה‬, ebenso gehört wie die »Schau«, ‫מחזה‬, und die Feuererscheinung am Schluß ebenso wie das ‫ היה דבר ה’ אל אברם‬am Anfang, und der in diesem mittleren der sieben Berichte der Offenbarungen an Abraham – und einzig in ihm – dadurch begründet ist, daß nur hier Gott einen bestimmten Abschnitt der künftigen Volksgeschichte ansagt. Jacob hingegen nimmt an, daß der g a n z e Vorgang »ein inneres Erlebnis war und das Schauen nicht mit leiblichen Augen geschah«; auch das Zerstücken der Tiere sei »nur Vision«; aus der Schau 4.

5.

Ich habe mich gefreut, einiges in meinen Vorträgen und Vorlesungen von 1926-1928 und gleichzeitigen Aufsätzen Rosenzweigs (eine Sammlung unserer einschlägigen Arbeiten unter dem Titel »Die Schrift und ihre Verdeutschung« wird vorliegen, wenn dies erscheint) in dieser Richtung Vorgebrachte bei Cassuto, der anscheinend unabhängig von uns – er zitiert jedoch Rosenzweigs Aufsatz »Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen« von Anfang 1928, der unsere Auffassung des biblischen Leitwortstils in nuce enthält – zu verwandten Resultaten gelangte, wiederzufinden. Zu diesen Begriffen vgl. mein »Königtum Gottes« 37 ff.

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falle dann Abraham – zur Zeit des Sonnenuntergangs – in den Tiefschlaf. Aber soll es wirklich die Meinung des Textes sein, daß der schauervolle Bundesschluß zwischen Gott und dem zum Vater eines Gottesvolkes Erwählten nur im »innern Erlebnis« geschehe? Die Begebenheit ist vielmehr dreifach gegliedert. Erst die »Schau« deren Schauplatz zunächst unbestimmt, wohl der vertraute des vorangegangenen Wachzustandes ist, dann aber bricht die Dynamik der Vision durch: hinausgedrängt (das ‫ ויוצא‬von v. 5 knüpft paronomastisch an das ‫ יצא‬von v. 4 an) wird Abraham aufs freie Feld, es ist Nacht, er schaut den Sternenhimmel: »So wird dein Same sein« (zum Bild des Staubes 1316 bedarf es der Schau nicht, wohl aber zu diesem, das über die gegenwärtige Wirklichkeit nicht bloß quantitativ hinausführen soll; der Zusammenhang der beiden Stellen ist ein urmidraschischer). Von dem aus der Schau erwachenden, nicht von dem noch ihr unterworfenen Menschen heißt es, daß er JHWH vertraute: in der Vision kann man nicht existentiell Vertrauen fassen, das kann nur der seiner ganzen organischen Bewußtheit mächtige Mensch. – Dann, in voller Wachheit, der objektive Vorgang des Bundesschlusses. Und nun empfängt, in eine regungslose Betäubung – nicht in bewußtlosen Tiefschlaf (wozu 221 die ‫ תרדמה‬erst durch das anschließende ‫ויישן‬ wird 6 ) – versenkt, Abraham die Ansage von Unheil und Heil und erblickt die den Bundesschluß vollendende Feuererscheinung. Die zweite der beiden Hagargeschichten behandelt Gunkel als elohistische Variante. Um beide Erzählungen zu vereinigen habe der Redaktor die Ermahnung durch den Engel zur Rückkehr (169) eingefügt. Als Redaktorenarbeit seien die Verse 9 f. kenntlich »durch den schleppenden Stil, das dreimalige ‫«ויאמר לה מלאך ה׳‬, und der Befehl, sich wieder unter Sara zu demütigen, widerspreche dem Worte, daß JHWH von ihrer Demütigung gehört hat. Volz verweist dagegen auf Smends Auffassung, wonach die zweite Geschichte eine »Umdichtung« der ersten sei, »motiviert durch den moralischen und transzendentalen Monotheismus des Verfassers und den damit zusammenhängenden religiösen Anspruch Israels«. Volz kann sich damit begnügen, denn ein Umdichter sei eben kein Erzähler, er habe keinen eigenen Stoff, sondern schaffe gegebenen Stoff seiner Zeit entsprechend um; dieser »hatte die Aufgabe, für den Unterricht oder für den gottesdienstlichen Gebrauch Parallelstücke zu den jahwistischen Erzählungen zu schaffen«. Anders Jacob und Cassuto. Sie sehen beide den Z u s a m m e n h a n g der beiden Geschichten. Das 6.

Auch I Sam 2612 ist Schlaf die F o l g e der Betäubung; Jes 2910 ist Betäubung, nicht Schlaf gemeint; auch das Verb hat mehrfach diese Bedeutung (Danielstellen, aber auch Jn 15: Jona schläft nicht, erst in der Anrede des Kapitäns wird das doppelsinnige Verb in diesem Sinn verwendet).

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Motiv des Engelsbefehls ergibt sich, wenn man den Zusammenhang der ganzen Abrahamserzählung ernst nimmt: Ismael »soll als Sohn Abrahams nicht nur in dessen Hause geboren werden, sondern auch die Beschneidung erfahren« (Jacob). Und die dreimalige Wiederholung wird als das genaue Gegenteil eines »schleppenden Stils« erkannt: sie ist »der wirksame Ausdruck der Feierlichkeit der Gottesbotschaft, die all ihre Größe verliert, wenn sie auf die bloßen Verse 11-12 reduziert wird« (Cassuto). Ich vermute darüber hinaus, daß die dreifache Wiederholung etwas situationsmäßig Wichtiges dem Leser oder Hörer einhämmern soll: der erste Mensch, dem ein »Bote« erscheint, ist eine Magd und eine Ägypterin; Gott, der »den Ger liebt«, gibt zwar, um der notwendigen Auslese-Ausscheidung willen, Sara recht (2112), aber er nimmt sich der von ihr Bedrückten an: sie soll sich nur vorerst noch unter deren Hände »drücken«, sie kann getrost sein, er, Gott, der ihren »Druck« gehört hat 7 , kümmert sich um sie und um die Frucht ihres Leibes. Und die zweite Geschichte zeigt, wie er es tut: nachdem der Knabe herangewachsen ist; hier erst kann die Verheißung des wilden, mächtigen »Wildesel«-Sohns in Erfüllung zu gehen beginnen, – er wird ein großer Bogenschütz (das ‫ קשת‬von v. 16 gehört zur Gattung der paronomastischen Unterstreichungen); aber jenes Motiv »ägyptische Magd« klingt noch im letzten Wort der zweiten Geschichte, ‫מצרים‬, nach. Doch nicht genug daran: erst wenn man zu der zweiten die erste Geschichte hinzunimmt, bekommt man eine merkwürdige Parallele zu Kap. 22, die nicht absichtslos sein kann. Dort der hingeworfene Ismael, hier der gefesselte Isaak; dort die Mutter: »Ich kann nimmer zusehn, wie das Kind stirbt«, hier der Vater, der »seinen Sohn hinmetzen« soll; dort und hier ruft der Gottesbote zur Rettung »vom Himmel her zu« und schließt mit der Verheißung; so weit geht der Parallelismus von 2114-21 und 22, nun aber muß 16 herangezogen werden: dort der Ortsname »Brunn des Lebenden Michsehenden«, hier der Ortsname »JHWH sieht«. Die beiden »Varianten« der Hagargeschichte, 16 und 218-21, mögen verschiedenen Traditionen entstammen: der »Redaktor«, der sie so zu Stadien eines von Gott beschützten Fremdlebens und zu einem Gegenbild der Akeda zusammengeschlossen hat, ist ein großer Autor, wenns je einen gab. Das 22. Kapitel – über dessen wechselnde quellenkritische Behandlung Volz-Rudolph nachzulesen ist – weist Gunkel der »Hauptmasse« 7.

Auf den leitwortlichen Zusammenhang zwischen dem ‫ וענו‬von 1513 und der dreifachen Wiederkehr des Wortstammes in 16 haben Cassuto und ich unabhängig voneinander hingewiesen; meine Ausführungen stehen in dem Vortrag »Leitwortstil in der Pentateuch-Erzählung« (von Anfang 1927), aufgenommen in »Die Schrift und ihre Verdeutschung«.

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nach E zu. Volz zeigt in genauer Analyse, daß die dafür vorgebrachten Gründe nicht zulangen. Mit Recht führt er die Begründung mit der angeblichen empfindsamen Stimmung der Erzählung auf einen circulus vitiosus zurück: man schließe aus eben solchen Stücken, daß E der Empfindsame sei, und dann schreibe man ihm, weil er es ist, solche Stücke zu; mit Recht sagt Volz, man könne sich eine zurückhaltendere, herbere Erzählungsweise als die von Kap. 22 nicht denken. Ich muß aber darüber noch hinausgehen. An den Stellen, die Gunkel für gemütbestimmt hält, verkennt er das Motiv des Erzählers: v. 5 werden die Sklaven nicht aus dessen »Zartgefühl« zurückgelassen, um nicht Zeugen des Schrecklichen zu sein, sondern weil es ihnen nicht zukommt, dem äußersten Geheimnis – von Abraham aus: dem des Vollzugs, vom Erzähler aus: dem der Erlösung – beizuwohnen; v. 6 sind die Lasten so nicht deshalb verteilt, »daß sich Isaak nicht schneide oder verbrenne« (!), sondern nach der Verteilung von Aktivität und Passivität in der bevorstehenden Handlung, – das Holz ist das Passive; v. 6-8 hat der Erzähler nicht »Tränen im Auge« über das »ahnungslose« »kluge Kind«, sondern auf seine strenge große Art bringt er durch den Refrain, also durch das besondere Mittel der Bibel, das zu sagen, was nicht auf andere Weise gesagt werden soll, zum Ausdruck, daß nach Abrahams zwar orakelhafter, aber nicht undurchsichtiger Antwort Isaak nunmehr w e i ß und also zwei Wissende jetzt ‫יחדו‬, einig, weitergehen. Auch darin hat Volz recht, daß das Reden des Engels vom Himmel nicht das Geringste für E beweist; nur daß in dem Unterschied zwischen 181 einerseits, 2117 und 2211 andererseits noch etwas anderes als »künstlerische Freiheit und Vielfältigkeit« waltet: der Bote steigt herab, wenn es gilt, mit dem Menschen ein rechtes Gespräch in Frage und Antwort zu führen. Weit schwieriger, ja eins der schwersten exegetischen Probleme überhaupt ist der Wechsel der Gottesnamen in diesem Kapitel. Volz zeigt, daß Gunkels Hypothese der namenändernden Überarbeitung von v. 11 und 14 unhaltbar ist; er vermutet, der Verfasser habe eine alte Vorlage vor sich gehabt, die von einem El-Numen handelte und in der das Menschenopfer durch das Tieropfer abgelöst wurde. Aber es wäre nicht einzusehen, warum er aus Respekt vor einer solchen Vorlage die Vereinheitlichung des Gottesnamens unterlassen hätte. Hier setzt nun Jacobs die bekannte aggadische Darstellung ausbauende Deutung ein: ‫ האלהים‬von v. 1 ist nicht Gott, sondern ein »übereifriger« untergebener Versucher wie der ‫ שטן‬im Hiobsprolog; derselbe ist v. 3 8 und 9, derselbe aber auch mit dem "‫ מלאך ה‬in v. 11 und 15 ge8.

Wo Jacob aber, offenbar versehentlich, nicht »der Elohim« wie v. 1 und 9, sondern »Er, Gott« übersetzt.

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meint. Dieser kühnen und geistvollen Interpretation stehen aber so gewichtige Schwierigkeiten entgegen, daß sie abgelehnt werden muß. Zunächst ein sprachliches Moment. »Er heißt«, schreibt Jacob, »ha-Elohim, d. i. der für dieses Amt vorhandene und bestimmte, wie I K 2221 ‫«הרוח‬. Aber wie sich für eine solche Bedeutung von ‫ האלהים‬kein direkter Beleg anführen läßt, so ist auch die allgemein mißverstandene Könige-Stelle anders zu erklären: in der Himmelsschar der Botenkräfte, die den Thron umgeben, steht auch ‫הרוח‬, d e r W i n d ; er ist nicht für das Amt, in die falschen Künder zu fahren und durch sie betörend zu wirken, bestimmt, aber er bietet sich dazu an; warum gerade er? weil eben Michas Erzählung sagen soll, daß es nur Wind, nicht Geist ist, was aus dem Mund der Hofpropheten redet; Zidkijahu meint freilich, er habe den Geist, aber was er hat, ist der Wind. (Die Stelle gehört zu denen, die i m D i e n s t d e r B o t s c h a f t mit dem Doppelsinn eines Wortes »spielen« oder vielmehr Ernst machen.) Ein schwerwiegendes Bedenken erhebt sich aus dem Gebrauch des Wortes ‫ אלהים‬in dem Kapitel selbst. Zwischen den zwei ersten und dem dritten ‫ האלהים‬steht v. 8 ein ‫אלהים‬, das der Erzähler Abraham sprechen läßt. Jacob findet das Wort »mehrdeutig«: »Was für einen Elohim meint Abraham?« Darauf gibt es nur e i n e Antwort: er kann keinen anderen meinen als der Erzähler, wenn der knapp davor und danach dasselbe Wort mit dem Artikel gebraucht, denn dieser Erzähler ist einer und kein Vernebler: wenn er dazwischen eine Person in direkter Rede dieselbe Gottesbezeichnung, wenn auch artikellos (wie es in der Rede zwischen Vater und Sohn natürlich ist: »Gott« = unser Gott), verwenden läßt, kann dies nur mit demselben Sinn geschehen, denn sonst wird der Leser verwirrt und abgelenkt. Ist es aber denkbar, daß Abraham hier einen, wenn auch noch so botenhaften, »Satan« meint, der »s i c h « das Lamm ersehen werde? Wenn er weiß, daß es ein Versucher, daß das Ansinnen nur eine Versuchung ist, wird damit nicht der ganze harte Entscheidungssinn des Vorgangs hinfällig? Und wenn er es nicht weiß, wenn er nur an irgendeinen »Untergebenen« denkt, kann er im Sinn haben, daß Isaak ihm, ‫לו‬, dem Untergebenen, als Opfer zugedacht sei? Jacob betont zu v. 2, daß »ein Elohim f ü r s i c h kein Opfer fordern kann« – soll Abraham darüber anderer Ansicht gewesen sein, und zwar hinsichtlich seines Kindes? Aber noch bedenklicher wird die Deutung, wenn man sich den Zusammenhang der ganzen Abrahamserzählung vergegenwärtigt. Dieser letzte der sieben Offenbarungsberichte entspricht genau dem ersten: nicht bloß durch das ‫לך לך‬, das – wie Jacob selbst hervorhebt – sich nur an diesen beiden Stellen findet, sondern auch durch die Art der Zielangabe für diesen Gang: er soll vor sich hin oder »für sich heraus« (Jacob) gehen,

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das Wohin wird ihm zur rechten Zeit gezeigt (121, 222); und ferner auch durch das geboterfüllende, wortlose ‫( וילך‬124, 223). Anfang und Ende eines Wegs der Erprobung und Bewährung, von der Lösung der natürlichen Vergangenheitsbindung bis zur Lösung der natürlichen Zukunftsbindung, der Bindung an den verheißenen, geschenkten, nun wieder abgeforderten Alterssohn, an den die Verheißung die Zukunft des erwählten »Samens« gebunden hat! Soll es die Meinung des Erzählers sein, daß am Anfang dieses Wegs Gott, an seinem Ende – mit der gleichen Rede! – ein »Hinderer« handle? In dem mittleren Offenbarungsbericht steht das zentrale Wort von Abrahams »Vertrauen«; es gilt vorwärts und rückwärts für die ganze Strecke; und der am Anfang der Stimme des Unbekannten – der ihm erst in Kanaan sich »zu sehen geben« wird – folgte, folgt am Ende der Stimme des Vertrautgewordenen: dem er vertraut. Er hört; er weiß, wen er hört. Und den er hört, der läßt am Ende dieses Wegs nicht, wie in dem späten Hiobsgleichnis, einen Untergebnen sich an der ausgesetzten gehorchenden Seele versuchen; nicht die Zweifelsucht eines Dieners darf sich solcher Erschütterungen unterfangen, der Herr selber will aus seinem irdischen Knecht nun auch das Letzte an Bereitschaft hervorholen und zu leibhafter Wirklichkeit werden lassen, und so »versucht« er ihn: »offenbar machen, was in einem Menschen ist« (Jacob), das in der Tat bedeutet es, wenn Gott einen versucht. Und wenn er, nachdem die Kreatur sich auch hier noch, am äußersten Rande des Daseins, bewährt hat, sagt (v. 12): ‫ עתה ידעתי‬so meint er, dem Ursinn des Urworts ‫ ידע‬gemäß, die Leibwerdung des Innersten für einen andern: jetzt habe ich das Geheimnis deines Wesens in der leibhaften Wirklichkeit des Weltgeschehens unmittelbar berührt. Mit seinem ‫במה אדע‬, wie kann sich dies Künftige, Unfaßbare m i r verleiblichen, so daß ich es zu fassen, damit zu schaffen bekomme? hatte Abraham in der mittleren Offenbarung nach dem »Zeichen« Gottes verlangt, – hier bestätigt Gott, daß der Mensch sein vollkommnes Zeichen hergegeben hat. So kann denn das ‫ האלהים‬dieses Kapitels nicht anders verstanden werden als das von 1718 (das nach Jacob für das Tetragrammaton steht) 9 . – Für die Differenzierung der beiden Gottesnamen in diesem Kapitel aber genügt es von der (u. a. von Cassuto S. 52 hervorgehobenen) Tatsache auszugehn, daß Elohim hier als der das Opfer Fordernde, JHWH als der es Erlassende erscheint. Meines Erachtens 9.

So auch das von 206 17, in dem Jacob ein Daimonion sieht: nur Gott selbst kann Abraham, nachdem er sich so als Fürsprecher (1823 ff.) bewährt hat, als ‫ נביא‬d. h. als beglaubigten Sprecher zwischen Menschheit und Gottheit (in beiden Richtungen!), der also wirksam zu ‫התפלל‬, sich mittelnd einzusetzen (hier noch nicht zu »beten« verallgemeinert) vermag, proklamieren (v. 7).

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brauchte der Erzähler hier gleichsam eine Spannung in Gott selbst, die er nicht besser als durch solche Verteilung der beiden Namen zum Ausdruck bringen konnte. So vielfältig sonst die Gründe für die jeweilige Verwendung des einen oder des andern sind – man findet sie größtenteils in tief schürfender Argumentation bei Cassuto in dem Abschnitt »Die Gottesnamen«, S. 1-92, dargelegt –, und so unerkennbar sie zuweilen geworden sind, hier sind sie deutlich genug. Dabei mag die Vermutung von Volz modifiziert zutreffen. Daß der Erzählung eine antimolechistische Tendenz innewohnt, habe ich anderwärts gezeigt 10 ; es galt wohl auch zu berichten, wie gerade auf dem Tempelberg, von dem vielleicht ein alter El-Kinderopferkult überliefert war, das stellvertretende Opfer als das Opfer JHWHs eingesetzt worden ist. (Daß etwa gar an dem Namen Morija eine Volksetymologie gehaftet hat, die ihn auf ‫ – מורי יה‬vgl. Jes 3020, Hi 3622 – zurückführte und mit dieser Begebenheit in Verbindung brachte: JHWH als der, der Abraham im stellvertretenden Opfer »unterwies«, darf nur eben als Möglichkeit vermerkt werden.) Diese wenigen Beispiele aus der Abrahamsgeschichte müssen hier genügen, um zugleich die große Förderung der Exegese durch die neuen Arbeiten und den gegenwärtigen Problemstand erkennen zu lassen. Für die erstere möchte ich aber doch noch aus jedem der Bücher einen besonders charakteristischen und wertvollen Abschnitt anführen. Bei Volz gebe ich der Analyse des 27. Kapitels den Vorzug 11 . In genauer Prüfung und Verwerfung der quellenkritischen Beanstandungen zeigt sie, »daß durch die Quellenscheidung das Kunstwerk Gen 27, das zu den größten Kunstwerken der gesamten uns bekannten Erzählungsliteratur gehört, kläglich zu schanden gerichtet wird, und daß seine wirksamsten Stellen jämmerlich verstümmelt werden«. Ich habe bereits Cassutos Methode erwähnt, Abschnitte der Vätergeschichte, in denen Orts- und Völkernamen eine bedeutende Stellung einnehmen, von der Volksgeschichte aus zu verstehen, auf die sie mit einer eigentümlichen Tendenz, als Vorverwirklichungen gleichsam, hin10. »Königtum Gottes« 101 f. 11. Das ‫ ויברכהו‬in v. 23 braucht freilich nicht als Glosse angesehen zu werden, doch auch Eerdmans’ und Jacobs Erklärung als Begrüßung wirkt nicht befriedigend, schon weil ein echter Erzähler das zentrale Verb seiner Geschichte nicht mittendurch einmal in andrer unprägnanter Bedeutung verwendet. Man wird es am besten mit Cassuto S. 329 ff. als »spannungmildernde« Vorwegnahme verstehen, auf die erst der eigentliche Bericht folgt. Es ist dies ein Beispiel für einen epischen Parallelismus, der mehrfach in der Bibel einen Vorgang entweder wie hier erst andeutend, und dann ausführlich, oder aber umgekehrt erst ins Einzelne gehend und dann nochmals kurz zusammenfassend erzählen läßt.

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weisen; es liegt hier etwas wie eine Modernisierung des aggadischen ‫סימנים‬-Begriffs vor. Außer an den Wanderungen der Patriarchen hat Cassuto diese Methode mit besonderm Erfolg am 14. Kapitel erprobt. Man liest seine Ausführungen (S. 365 ff.) am besten nach Jacobs scharfsinniger Kommentierung des Kapitels und zu deren Ergänzung 12 . Innerhalb von Jacobs Werk, aus dem in allen seinen Teilen der kritische Leser einen noch größeren Gewinn ziehen wird als der Lernende – kein anderer Genesiskommentar ist so reich an anregender Kraft – hat mir, nach der unvergleichlichen Erörterung der Flutgeschichte, worin die bislang wohl stärkste Position der Quellenscheidungstheorie erschüttert wird 13 , den bedeutendsten Eindruck die Erklärung des 36. Kapitels gemacht. Wie hier in minutiöser, das ganze heranziehbare Material voll auswertender Untersuchung die verwickelten Genealogien geklärt, ihre scheinbaren Widersprüche getilgt, die tragende Tendenz erhellt wird, das ist meisterliche Arbeit. Mit Recht sagt Jacob selbst: »Für die Mühe, die die Erklärung dieses schwierigen Kapitels gekostet hat, sind wir belohnt worden durch eine klare Erkenntnis s e i n e r A b s i c h t e n .« Wie man sieht, ist es die t e n d e n z k r i t i s c h e Forschungsweise, die die quellenkritische verdrängt 14 . Es gilt aufzuzeigen, welche Absichten auf Auswahl und Anordnung des Traditionsguts, darüber hinaus aber, welche auf die Traditionsformung selbst eingewirkt haben. Auch Traditionen wachsen nicht wild, auch hier walten Prozesse der Auslese, die von Grundtendenzen bestimmt sind, – von Grundtendenzen, die in verschiedenen traditionsbildenden Kreisen verschiedene, jedenfalls von verschiedner Gewichts- und Betonungsverteilung sind. Die Sonderung der traditionsbildenden Kreise ist eine soziologisch erfaßbare. Die Wirklichkeit, die der Unterscheidung von J, E und P zugrundegelegt werden kann, ist hier zu finden; es handelt sich um Typen der Traditionsformung und Traditionsbearbeitung: den frühhöfischen, sagenfreudigen, auch die frische Überlieferung sagenkräftig gestaltenden, der die Urgeschichte als Vorgeschichte dieses gotterwählten Staatswesens sieht; den frühprophetischen, wohl von kleinen begeisterten Volksgruppen getragenen, der, damit das Erwählungsbewußtsein die fordernde Botschaft nicht überwuchre, diese immer wieder das Gefüge der Traditionen 12. Zu dem, was Cassuto hier und 70 f. über die Malkizedek-Episode sagt, verweise ich auf deren Behandlung in meiner Arbeit über den Leitwortstil in der PentateuchErzählung (»Die Schrift und ihre Verdeutschung«). 13. Das Wichtigste davon war schon in Jacobs Vortrag vom Oxforder Orientalistenkongreß »Die biblische Sintfluterzählung« (Berlin, Philo Verlag, 1930) mitgeteilt worden. 14. Vgl. »Königtum Gottes« XV f., 39 f.

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durchdringen läßt; und den frühpriesterlichen, der darüber wacht, daß die festen Voraussetzungen des eingesetzten Kults, die Genealogien, die Chronologien, die Vorschriftsordnungen, unverändert bewahrt werden, aber so, daß auch hier Stoffauswahl und Komposition von dauernder Tendenz aus bestimmt sind. Gewiß setzt sich diese soziologische Typendifferenzierung, mehr oder weniger abgewandelt, aber jedenfalls noch als Tendenzenscheidung wirksam, in manchen biblischen Büchern auch in die Autorschaft selbst hinein fort, und etwa das Richterbuch ist zwar nicht aus Quellen gemischt, aber aus von verschiedener Tendenz beherrschten Schriften zusammengesetzt, von denen zudem die erste mannigfaches schon geformtes, zum Teil schon dichterisch »fertiggewordnes« Traditionsgut zu einem Ganzen verbunden hat; aber die Autorschaft der Genesis-Erzählungen ist nicht von solcher Art. Was für einem Kreis auch hier ein Autor entstammt, er wird gerade dadurch, daß er sich über die Sonderungen hinweg der verschiedenartigen Traditionen als seiner nunmehrigen Gestaltungsmaterie bemächtigt und sie in seine Sicht einbewältigt, zum »biblischen« Autor – im Sinn einer werdenden Einheitsfunktion; auch er nicht tendenzfrei in seiner Gestaltung, aber sich zu einer umfassenderen Tendenz erhebend, die man als eine synthetische oder besser als die bibelstiftende bezeichnen mag. Ich stelle mir diese Autorschaft nicht als etwas Einmaliges, sondern als ein fortschreitendes Werk immer umfassenderer Verbindung und Vereinheitlichung vor; die Einheitsfunktion, die sich am Richterbuch erst spät ausgewirkt hat 15 , setzt hier schon früh voll ein, und der einzelne Autor handelt, Stück in Stück der Überlieferung verfugend, im Glaubensdienst einer faktischen Ureinheit, an deren worthafter Wiedergabe er arbeiten will; in dem für die Komposition des ganzen Buches Verantwortlichen vollendet sich dann diese Autorschaft, die nicht zufällig anonym geblieben, sondern die Anonymität selber ist; und wie jeder Autor hier Redaktor war, so ist dieser Redaktor in einem hohen Sinn der Autor der Genesis zu nennen.

15. Doch stand schon jede der beiden Haupt-Teilschriften unter dem Stilgesetz der Vereinheitlichung, das zwischen den einzelnen Stücken und Abschnitten durch Wiederholung Beziehungen schafft; vgl. »Königtum Gottes«, 2. Kapitel, passim.

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Der in Armand Kaminkas Abhandlung über den Propheten Jesaja** dargelegten Ansicht, daß das Jesajabuch das Werk eines einzigen Verfassers sei, vermag ich zwar nicht beizupflichten, – schon deshalb nicht, weil ich die beiden Kyros-Stellen nicht wie er für Interpolationen halten kann. Aber seine Hinweise auf die sprachliche und stilistische Verwandtschaft der beiden Teile des Buches verdienen volle Beachtung. Die Frage nach dem inneren Zusammenhang der Teile ist noch unerledigt; sie ist neu zu stellen. Im folgenden sei ein Hinweis darauf gegeben, daß »Deuterojesaja« sich selbst als einen nachgeborenen Jünger Jesajas angesehen und bezeichnet hat und daß daher die Vereinigung seiner Kundgebungen mit denen seines Meisters zu einem »Jesajabuch« in der rechtmäßigen Linie der Tradition lag. Vorausgeschickt muß werden, daß, wie Franz Rosenzweig und ich in unserem Buch »Die Schrift und ihre Verdeutschung« (1936) dargelegt haben, die Wiederkehr seltener Wörter in der Schrift jeweils daraufhin betrachtet werden muß, ob ihr nicht eine bestimmte Absicht, die Bezugnahme einer Stelle auf eine andere zugrundeliegt. Diese Verwendung von »Leitworten« gibt uns auch den Schlüssel zum Problem des Jesajabuchs. In der Vorschau der künftigen Volkskatastrophe erklärt der Prophet 8, 16, es gelte nunmehr (so sind die Infinitivi absoluti zu verstehen), »die Bezeugung einzuschnüren, die Weisung zu versiegeln in meinen Lehrlingen«, ‫ְבִּלֻמָּדי‬. Die Verheißung der Volksbefreiung, wie sie uns in 9, 1–6 bewahrt ist, soll nicht öffentlich umlaufen und »als Stein des Anstoßens« (8, 14) die Menge zu falschem, den Antrieb zur Umkehr niederhaltendem Optimismus verleiten. Wie eine Urkunde verschnürt und versiegelt wird (man denke an Hiob 14, 17, wo der »Frevel« wie ein Gerichtsakt »in der Verschnürung zugesiegelt« ist), so soll es mit der Botschaft geschehen, und der Verwahrungsort sind die lebendigen Jünger. Erst wenn einzelne von den Verzweifelnden, »Morgenrotlosen« (v. 20) sie bestürmen, die Wahrsagegeister zu befragen, sollen sie, nachdem sie solch ein Ansinnen zurückgewiesen haben, die Losung ausgeben »Zur Weisung hin! zur Bezeugung hin!«, d. h. sie sollen so viel von der in ihnen versiegelten Botschaft eröffnen als not tut, um die in »nachttiefer * **

Aus der demnächst im Verlag des Wiener Maimonides-Instituts erscheinenden Festschrift zum 70. Geburtstag Armand Kaminkas. Revue des Etudes Juives Bd. 80 u. 81, Sonderdruck Paris 1925, und Ha-Tekupha Bd. 22, 23 u. 25.

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Zum Einheitscharakter des Jesajabuches

Bangnis« (v. 22) Befangenen, nach einem Wort des Heils Verschmachtenden vor dem Sprung in den Abgrund eines hoffnungsbaren Nihilismus zu retten. Daran knüpft, fast zwei Jahrhunderte später, der namenlose Prophet an, den man als Deuterojesaja bezeichnet. Man muß sich, um dies zu erkennen, vergegenwärtigen, daß das Wort ‫( ִל מּ וּ ד‬Lehrling) in dieser seiner substantivischen Bedeutung n u r im Jesajabuch vorkommt, und zwar das eine erwähnte Mal im ersten, dreimal im zweiten Teil. Geläufig dürfte der adjektivische Gebrauch im Sinn von »eingeübt, eingewöhnt« gewesen sein; wir kennen zwar auch ihn nur aus zwei Jeremjastellen (2, 24 und 13, 23), die aber volkstümlich genug und gar nicht nach Neubildung klingen. Anders Jesaja 8, 16: hier gibt der ältere Prophet in entscheidender Stunde, in der er die Summe der ihm einst in der Berufung (6, 9 f.) angekündigten Erfahrung zu ziehen scheint, eine feierliche Erklärung in bezug auf einen ihm verbundenen Kreis ab, den er offenbar als den Kern des verheißenen »umkehrenden Restes« (7, 3; 10, 21 f.), des aus dem Volksstumpf aufsprießenden »Samens der Heiligung« (6, 13) ansieht; und so gibt er – an einem geläufigen Wort einen Bedeutungswandel vollziehend – diesem Kreis einen Namen, der dessen Verbundenheit mit ihm, dem Sprecher, aussagt. Daran nun knüpft 50, 4 der Nachfahr seines Geistes an, indem er das vielleicht in diesem Sinn seither nie wieder gebrauchte Wort so nachdrücklich und wiederholend verwendet, daß es sogleich an den allbekannten Spruch des Meisters gemahnen muß; er will damit sagen, daß er, der Spätling, sich den Jüngern zurechnet und ihnen zugerechnet werden will: »Gegeben hat E R , mein Herr, mir eine Lehrlingszunge. Daß ich wisse, den Matten zu erquicken mit Rede, weckt er sie am Morgen. Am Morgen weckt er das Ohr mir, daß ich wie die Lehrlinge höre.« Ihm, dem mehrere Geschlechter nach Jesaja Lebenden, gewährt es Gott, das Wort der »versiegelten« jesajanischen Botschaft so zu vernehmen, als hätte er im Kreise der Limmudim geweilt; und Gott gewährt ihm, das Wort der Botschaft den »Matten«, im Exil Verzweifelnden mit so erquickender Frische zuzusprechen wie einer der Limmudim, in die der große Lehrer die Weisung und die Bezeugung gelegt hatte, um eben so sie zu bekunden. Denn nun ists an der Zeit: jetzt erst, in der babylonischen Verbannung, sieht der namenlose Prophet die von dem fernen Meister vorgeschaute Volkskatastrophe erschienen, jetzt erst, in der Tat des Völkerherrn Kyros, die er ankündigt, sieht er die damals erschaute Volksbefreiung erscheinend: der Rest kehrt um, der Rest kehrt heim. Das einst Verheißene, nun

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ist es da: »Das Frühre, hier ists gekommen« (42, 9). Jetzt wird die versiegelte Urkunde aufgetan. Zugleich aber wird eine neue Verheißung im Geheimnis empfangen und nur in der Andeutung erschlossen (»Neues meld ich nun an«): das Leidensgeheimnis des Gottesknechts, der den Weltstämmen zum Licht (49, 6) und zur Heilung (53, 5) gegeben wird, damit Gottes Freiheit werde bis an den Rand des Erdreichs (49, 6). Geschlecht um Geschlecht muß der Knecht wiederkehren, durch viele »Tode« (53, 9) muß er gehen, bis sein Werk vollbracht ist. Dann aber bedarf es keines Lehrlingtums bei Menschen mehr, dann gibt es keine Scheidung mehr in Lehrende und Lernende, dann ist alles Volk Gottes zu Kündern, dann sind (54, 13) »all deine Söhne« zu Gotteslehrlingen ( ‫ ) ל מ ו ד י ה ׳‬geworden. So haben denn die Männer, welche die Worte Jesajas und die seines nachgeborenen namenlosen Schülers, der anscheinend selber namenlos hat bleiben und nur als ein Limmud Jesajas hat fortleben wollen, zu einem Buch vereinigten, einer großen geistesgeschichtlichen Wirklichkeit für alle Zeit den abschließenden Ausdruck verliehen.

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Die Erwählung Israels Eine Befragung der Bibel 1 In den Weissagungen des Amos, des Mannes, der Samaria unterm wolkenlosen Geschichtshimmel den vernichtenden Sturm ansagte, stehen zwei Sprüche (32 und 97), die einander zu widersprechen scheinen. Man hat daher in der Bibelwissenschaft gern einen von beiden – entgegen der offenkundig ursprünglichen und gemeinsamen Sprache beider – als unecht bezeichnet, zuweilen auch – entgegen der eindeutigen AussagesatzForm – den ersten als Fragesatz erklärt. In Wahrheit ergänzen sie einander, ja jeder von beiden hat seine Wahrheit erst im Zusammenhang mit dem andern. Die Darlegung muß mit dem zweiten beginnen. »Seid ihr mir nicht wie die Äthiopensöhne, / Söhne Jiſsraels?! / Habe ich nicht Jiſsrael heraufgeführt vom Lande Ägypten – / und die Philister von Kaftor / und Aram von Kir?!« Als Geschichtsvolk hat Israel nichts vor irgendeinem andern voraus. Sie alle sind, wie es, Wanderer und Siedler gewesen, alle sind sie aus einem Land der Not und Unfreiheit in ihre jetzige Heimat »herauf«gekommen und allen, auch den feindlichen Nachbarvölkern, schritt auf ihrem Weg schutzmächtig der eine Gott, der Befreier und Führer der Völker, voran, lenkte ihren Schritt, lieh ihnen Macht, ließ sie Boden eines in seinen Sünden verfallenen, geschichtsverlorenen Volkes »ererben« 1 . Mochte manches von ihnen die führende Gewalt empfinden und sie unter einem Stammesgottnamen anbeten, mochten andre nur dumpf und unbestimmt verspüren, was an ihnen geschah, das begründende Schicksal der Frühzeit ist ihnen gemeinsam. Geschichtlich hat Israel – das lehrt dieser nationale Universalismus des ersten Schriftpropheten – nichts vor den anderen voraus. Aber: »Nur euch habe ich auserkannt / von allen Sippen des Erdreichs, / darum ordne euch ich zu / alle eure Verfehlungen.« »Erkennen«, ‫ידע‬, bedeutet in seinem prägnanten biblischen Sinn (durch den der Gebrauch des Verbs zur Bezeichnung der Liebesverbindung zwischen Mann und

1.

Man muß den unzweifelhaft echten, geradezu notwendigen Vers 98 mit 210 und beide mit I. M. 1516, einem spezifisch »prophetischen« Vers (das ganze Kapitel hat frühprophetisches Gepräge) zusammenhalten.

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Weib erst ermöglicht ist) das Herausholen des erkannten Wesens durch das erkennende aus der Fülle der Geschöpfe und das Stiften einer besonderen und ausschließlichen Beziehung zwischen beiden 1 . Was für eine Beziehung hier gemeint ist, sagt uns der mit »darum« beginnende Nachsatz: sein Inhalt wird durch eben diese Beziehung begründet. »Zuordnen«, ‫פקד‬, bedeutet in seinem prägnanten Sinn, daß jemandem das ihm Gebührende – gleichviel, Gutes oder Schlimmes, Lohn oder Strafe – gegeben und so gleichsam die Welt in diesem einzelnen Fall geordnet wird. »Nur« Israel ist von Gott in eine solche Beziehung zu ihm gesetzt, daß es sich daran verfehlen kann und daß alle seine Verfehlungen von ihr aus gerichtet und geahndet werden. Auch die anderen Völker müssen, wie wir in der großen Strafrede 13-23 hören, für ihr im Völkerleben begangenes, ihr geschichtliches Unrecht büßen; aber ihre »Abtrünnigkeit«, ‫פשע‬, besteht darin, daß sie, zu friedlichem Miteinanderleben in die neuen Länder gesetzt, in eitler Willkür einander Böses tun, – nur Israel kann sich zugleich an Gott verfehlen dadurch, daß es seine Weisung (Tora) verwirft (24), denn nur es hat sie empfangen. Nur ihm ist auf seiner Wanderschaft Offenbarung geschehen, in der es erfuhr, daß die es führende Gewalt nicht sein Gott, sondern Gott ist, der »Gott der Scharen« (neunmal bei Amos), der die Scharen der Weltkräfte führt, wie er die Scharen Israels führt, der als Schöpfer auch den Menschengeist schafft und als Offenbarer ihm ansagt, was seine Absicht ist (413). Diese Offenbarung aber ist Israel nicht als unverbindliche Kundgebung eines Sachverhalts widerfahren, sondern als Eingehen in eine Brit mit diesem Gott, in einen Bund, in eine Bindung, in eine unbedingt verbindliche Verbindung mit ihm. Geschichtlich hat Israel nichts vor den andern voraus, übergeschichtlich hat es vor ihnen diesen Bund, diese Gebundenheit voraus, diese unbedingte Verbindlichkeit in allem Tun und Lassen, und dieses daraus Folgende: daß alle Verfehlung an der Brit ihm »zugeordnet« wird. Das ist die Erwählung Israels. Und aus der Unbedingtheit des Gerichts über die gehäufte Verfehlung führt nur der Anruf an ein neues Geschlecht hinaus: »Hasset das Böse, / liebet das Gute, / stellt im Tor die Gerechtigkeit auf, / vielleicht erbarmt E r , Gott der Scharen, sich / des Überrestes Joſsefs.«

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Vgl. Jer. 15.

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2 Da Gott (II. M. 3) aus dem brennenden Sinaidorn 1 den Hirten Mose anruft, eröffnet er ihm zuerst (v. 6), daß er der Gott der Väter ist, dann aber beginnt er die Aussendungsrede mit den Worten (v. 7): »Gesehn, gesehn habe ich die Gebeugtheit meines Volks (ammi), das in Ägypten ist«, und er schließt sie mit den Worten (v. 10): »Hole mein Volk, die Söhne Jiſsraels, aus Ägypten!« Die Wiederholung am Anfang und am Ende der Rede hebt die Bedeutung des Wortes als »Leitworts« 2 hervor. Zum erstenmal nach den Verheißungen an die Väter läßt die Schrift hier Gott vom Volke reden, zum erstenmal überhaupt also als von etwas bereits Vorhandenem. Noch ist der Bund nicht geschlossen, noch ist das Volk nicht »zu ihm« (185) gekommen, die Begegnung ist nicht geschehen, und doch nennt er es schon vorwegnehmend das seine, schon bindet er sich an es. Das Dornbuschgespräch aber geht weiter, und auf das erste Leitwort, ammi, folgt, noch weit stärker hervorgehoben, ein zweites. Auf den Einwand Moses (v. 11), er sei für solchen Auftrag zu schwach und gering, antwortet Gott (v. 12): »ki ehje immach, ich ja werde bei dir dasein«. Dieses »ehje im« als Zuspruch des unmittelbaren Bei-Stands Gottes kehrt zweimal wieder (Kap. 4, v. 12 u. 15), und dazwischen (314) wird noch dreimal das Wort ehje zur Erschließung des Sinnes des geheimnisvollen Gottesnamens 3 ausgesprochen: Er, der euch das Ehje zuspricht, der euch verspricht, er werde dasein bei euch, er, der bei euch ist, wo immer ihr seid, er eben ist der Gott der Väter, dessen Namen Abraham altärebauend über das Land Kanaan hin ausrief. Aber in entscheidender Weise wird der Zuspruch eingeschränkt, daß keine Sicherung aus ihr abgeleitet werde. Ehje ascher ehje, heißt es: »ich werde dasein, als welcher (oder: je wie) ich dasein werde«. Gott wird dasein, aber die Weise und das Werk seiner jeweiligen Gegenwart behält er seinem Willen vor. Ihr, mein Volk, braucht nicht zu verzweifeln, sagt Gott Israel an, denn ich bin bei euch. Aber ihr dürft euch nicht verantwortungsvergessen darauf verlassen, daß ihr mein Volk seid und daß ich bei euch bin. Denn sowie ihr es tut, schon seid ihr mein Volk nicht mehr und mein Bei-euch-sein wird zu verzehrendem Feuer. So geschieht es denn 1. 2. 3.

Der Berg wird vorerst (V. 1) nur Chorew genannt, sein heutiger Name soll erst später genannt werden, aber er soll aus der fünfmaligen Bezeichnung des Dornbusches als ſs’ne (‫ ;סנה‬nur noch V. M. 3316 in ähnlicher Intention) deutlich anklingen. Über den Begriff des Leitworts vgl. die Ausführungen bei Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung. Vgl. Rosenzweigs Aufsatz »Der Gottesname« im obengenannten Buch und meine Darlegung im 5. Kapitel meines Buches »Königtum Gottes«.

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auch nach jeder Verfehlung des Volkes. Und gleich nach der ersten, der Sünde am goldenen Kalb, mit durchdringend deutlicher Aussprache. Nicht mehr »mein Volk«, sagt Gott in der rechtenden Rede an Mose (327–10) 1 , sondern »dein Volk« (v. 7) und verächtlich »dieses Volk« (v. 9): es ist sein Volk nicht mehr, und die göttliche Gegenwart bedeutet nunmehr Vernichtung (v. 10). Erst durch Moses an den Verheißungsschwur gemahnendes Bitten mit ihrem wiederholten »dein Volk« (v. 11 und 12) läßt Gott sich zur Teilschonung (v. 14, vgl. v. 35) bewegen, und der Erzähler darf Israel wieder (v. 14) Gottes Volk nennen. Und wieder ist es der Künder – der Interpret des großen Zwiegesprächs zwischen Gottheit und Menschheit, das Geschichte heißt –, der die Botschaft in ihrer vollständigen Gestalt ausspricht. Das letzte Kind aus jener anbefohlenen Ehe Hoseas mit der Buhlerin, in der sich die Ehe Gottes mit »dem Land« (Hos. 12) zeichenhaft darstellt, wird »Lo-ammi«, »Nicht-mein-Volk«, genannt, denn, so lautet das Gotteswort, das die Namengebung gebietet: »Ihr seid nicht mein Volk und ich bin nicht Ehje euch 2 .« Der Satz bezieht sich auf die beiden Leitworte der Dornbuschreden. Ihr »ammi« wird durch dieses »lo ammi«, ihr »ehje« durch dieses »lo ehje« aufgehoben: ihr seid nicht mehr mein Volk, und so ist mein unaufhebbares Da-sein kein führendes und schützendes Beieuch-sein, kein Bei-Stand mehr. In der göttlichen Entgegnung auf die ungeheuren Verfehlungen des Volkes wird das »ehje« Gottes, seine Bindung, durch sein »ascher ehje«, seine furchtbare Freiheit, gelöst und unwirksam gemacht. Und dennoch – auch Hosea endet wie Amos mit einer (unzweifelhaft echten) Heilverheißung. »Kehren lasse ich Heilswiederkehr meinem Volk Jiſsrael«, schließt Amos (914) und »ich will ihre Abkehrungen heilen« Hosea (145). Die entscheidende Voraussetzung spricht Hosea (143) aus: »Kehret um zu Ihm!« 3

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Die Bezeichnung »mein Volk« ist nicht die höchste, die wir finden. Wieder kündet ein Prophet (Hos. 111) den Sinn der Auszugsgeschichte: »Aus Ägypten rief ich meinen Sohn herbei.« 1. 2.

Vgl. »Die Schrift und ihre Verdeutschung« S. 262 ff. Die Übersetzung »und ich bin für euch nicht da«, wie sie auch noch in meiner eigenen Verdeutschung steht, wird weder der Sprachform noch dem Parallelismus des Satzes gerecht.

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Auch dieses Gotteswort nimmt auf eins der Auszugsgeschichte selbst (II. M. 422) Bezug: »Mein erstgeborener Sohn ist Jiſsrael.« Was bedeutet diese »Erstgeburt«? Will man das Bild so verstehen, daß die Völker Gottes Kinder seien, so kann Israel, das bei der Völkertrennung nach dem Turmbau noch gar nicht vorhanden war, doch nicht als erstgeboren gelten. Es kann also nur eine Gnadenhandlung Gottes gemeint sein; denn Gott kann nicht bloß durch einen göttlichen Adoptivakt einen Menschen zu seinem »Sohn« erheben (II. Sam. 714; Ps. 27), sondern er kann ihn auch zu seinem »Erstgeborenen« machen (Ps. 8927), mit besonderem Amt und Recht, und so auch sein Volk. Aber noch einmal: was bedeutet dieser Akt Israel gegenüber, welches Amt und Recht verleiht es ihm? Auch hierfür liegt uns die prophetische Erklärung vor. »Ein Ausgeheiligtes (kodesch, ein für Gott Ausgesondertes)«, heißt es bei Jeremija (23),»ist Jiſsrael Ihm, / sein Anfangsteil von der Ernte! / Alle die ihn verzehren, müssen es büßen, / Arges kommt über sie.« »Anfangsteil«, reschit, heißt die Abgabe an Gott vom Anbeginn des Ertrags an Korn, Most, Öl; sie ist ein aus dem Ganzen zu heiligem Zweck Ausgesondertes, ein Ausgeheiligtes. Was bedeutet es, daß der Prophet Israel als ein solches bezeichnet? Wir müssen in die Tiefe des Bildes schauen, um es recht zu verstehen. Man bringt Gott, was man zuerst geerntet hat, und das ist Israel. Warum gilt es als zuerst geerntet? Es muß ein besonderer Sinn darin sein. Wenn man etwas mit besonderem Grund zuerst erntet, dann doch wohl deshalb, weil es zuerst gereift ist. War denn aber Israel in seiner Frühzeit, von der der Prophet redet, schon gereift, gab es innerhalb der Völkerwelt – denn nur diese kann das ganze Wachstum sein, von dessen Ertrag gesprochen wird – bereits diesen einen Teil, der würdig war, Gott dargebracht zu werden? Die ganze Geschichte des Auszugs zeugt dagegen. Es kann offenbar nicht das Bisherige sein, was die Bezeichnung Israels als kodesch, als reschit begründet, sondern nur seine ihm in seiner Frühzeit kundgegebene Bestimmung. Israel ist seiner – bisher von ihm verfehlten – Bestimmung nach ausgeheiligter Anfangsteil; es ist von Gott erwählt, um das zu werden. Diese Erwählung aber ist nicht erst am Horeb geschehen. Wie den Jeremija im Mutterleib, so hat Gott Israel auserkannt, als es noch nicht entstanden war. Die Zeit, in der es gepflanzt wurde, ist das Zeitalter nach der Völkertrennung. Da wird es gepflanzt, um reschit zu werden: um beginnend und bereitend die Absicht der Menschensaat zu erfüllen. Da wird das noch ungeborene Israel zum »erstgeborenen Sohn« erhoben, mit einem Amt und einem Recht, zu dessen Verständnis wir von hier aus vordringen können.

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Im Anfang ist der Mensch eingesetzt, um, zur Ausweisung seiner Vertretungsbefugnis mit göttlichem Gepräge ausgestattet, im Namen Gottes die Erde und alles Lebendige zu regieren (I. Mos. 127 f.): Die Gabe des zelem (127) und die Belehnung mit der statthalterlichen Gewalt gehören zusammen. Gott will über die Erde durch den Menschen herrschen; die zweite Schöpfungsgeschichte stellt dies dar, indem sie nicht Gott, sondern den Menschen den Tieren ihre rechtmäßigen, wesenäußernden und wesenbegründenden Namen geben läßt (219 f.). Aber der Mensch ist ungehorsam und untreu und wird aus seinem statthalterlichen Sitz verstoßen. Sein Amt wird ihm jedoch nicht entzogen; der Weg der Mühsal, auf den er geschickt wird (317 ff.), soll ihn offenbar dazu führen, es erfüllen zu lernen. Aber auch die zweite Voraussetzung dafür, die Eintracht miteinander, verfehlen die Menschen im Exil; die Geschichte beginnt mit einem Brudermord, und die Erde füllt sich mit Unbill (611). Die Flut spült dieses Geschlecht hinweg, aus den Bewahrten soll eine neue Menschheit erstehn; aber sie versagt, wie die erste. Wohl tun sich nun die Menschen zusammen, aber nur zu Trotz und Empörung gegen den Herrn, der ihnen das Amt zugedacht hatte, hier an seiner Statt zu walten. Was sie wollen, ist offenkundig; nicht auf Erden statthalterlich Dienst leisten, sondern im Himmel Sitz nehmen und selber, vermöge magischer Gewalt (das ist der »Namen« von 114), die Welt regieren. Diese ihre verkehrte Eintracht wird nun zerstört, die einheitliche Schar wird in sprachverschiedene Völker zerspalten und so über den Erdboden verstreut. Keine Menschheit als solche ist nun mehr möglich; wie mit dem Brudermord die Menschengeschichte, so hat mit dem Turmbau die Völkergeschichte begonnen; nicht mehr aus Menschen, nur noch aus Völkern kann sich hinfort, wenn überhaupt, eine Menschheit zusammenschließen. Auch jetzt wird dem Menschen sein Amt nicht entzogen; aber er wird es eben erst dann erfüllen können, wenn sich die Völker, ihre unaufhebbare Sonderung bewahrend, doch zu einer Menschheit zusammenschließen, die in menschlichem Statthaltertum Gottes Herrschaft auf Erden verwirklicht. Wie soll dieses Neue entstehen? Ein Volk muß den Völkern die Gott gehorsame Eintracht vorleben. Aus einer bloßen Nation, aus biologischgeschichtlicher Einheit eines goj (vgl. gwija: Leichnam, Körper), muß es zu einer Gemeinschaft, zu einem wahren am (vgl. im: gesellt zu … ; umma: Seite an Seite) werden, dessen Mitglieder nicht bloß durch Abstammung und Schicksal miteinander zusammenhängen, sondern auch durch gerechte und liebende gegenseitige Lebensteilnahme einander

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verbunden sind. Dies aber kann es nur als am elohim, als Gottesvolk, in dem alle dadurch einander verbunden werden, daß sie gemeinsam einer göttlichen Mitte der Gemeinschaft verbunden sind; die der Mitte entbehrende Scheingemeinschaft (I. Mos. 116) muß zerfallen. Denn Menschen werden nicht Brüder, es sei denn, sie werden Kinder Eines Vaters. Jener Brudermord und jener Turmbau können nur beide zusammen erkauft und überwunden werden. Dieses den Völkern voranlebende Volk aber kann keins von den zersprengten sein, keins von ihnen ist tauglich zum neuen Werk. Ein neues Volk muß erstehen. In der Weltstunde nach dem Turmbau holt Gott durch seinen Ruf (I. Mos. 121) den Mann Abram aus seinem Land, seiner Verwandtschaft und seinem Vaterhaus, aus allen Bindungen an Volk und Völkertum in ein neues Land, daß er da ein neues Volk zeuge. Was es soll, wird ihm gesagt, indem das Volk, das aus ihm kommen soll, in seiner, Abrams, Person angeredet wird (122): aus der Segnung, mit der es gesegnet ist, soll ein Segen werden. »Werde ein Segen!« – der unerhörte Imperativ, von vierfacher Wiederkehr des gleichen Wortstammes umbraust, der Imperativ, an den die Segnung geknüpft ist, steht erst als Rätsel vor uns; aber im Selbstgespräch Gottes (1819) enträtselt es sich. Abraham wird, das weiß Gott, der ihn »kennt«, seiner Nachkommenschaft, dem aus ihm kommenden Volke gebieten, den Weg des voranschreitenden Gottes einzuhalten (hier wird, entscheidend für alle Zukunft, das Prinzip der Nachahmung Gottes aufgerichtet), indem es, das Volk, Bewährung und Gerechtigkeit übt. Das heißt ein Segen für die Völkerwelt werden, indem man als wahres Volk, als Gemeinschaft ihr voranlebt. Der Prophet an der Wende der Zeiten sinnt (Jesaja 1924) dem übermächtigen Imperativ nach. Israel ist noch kein Segen geworden. Aber er, Jesaja, wiederholt den Imperativ nicht. Was immer er vom Volke fordert, die Erfüllung des Segenwerdens erwartet er von der Gnade. »An jenem Tage« wird zwischen den beiden Weltreichen das kleine Israel »ein Segen inmitten des Erdlands« werden. In später, nachexilischer Stunde kommt wieder über einen Propheten (Secharja 813) das aufrührende Gedächtnis jenes Befehls an Abram. Nicht ein Segen: ein Fluch ist Israel unter den Nationen geworden. Aber die Erwählung muß sich erfüllen. Das Gotteswort tritt über die Lippen des Künders: »… so will ich euch befreien – / ihr sollt ein Segen werden!« Unser Glaube kennt keine »Werkheiligkeit«. Er lehrt die geheimnisvolle Begegnung von Menschenumkehr und göttlichem Erbarmen.

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Mit den Worten aus dem Dornbuschfeuer »Mein Volk – ich werde bei dir sein« bestätigt Gott seinen Bund mit den Vätern als Vätern des nun gewordenen Volkes. Er hatte einst in der letzten seiner Kundgebungen an die Väter, in der letzten an Jakob zugesagt (I. Mos. 464): »Ich selber / ziehe mit dir nach Ägypten hinab, / und ich selber / führe dich wieder herauf, ja herauf!« Auch dies war zum Volk in Jakob gesprochen, nun erst soll es Wirklichkeit werden. Nun soll Israel, aus Ägypten geholt, an »diesen Berg« kommen und hier in endgültigem Bundesschluß »dem Gotte dienstbar werden« (II. Mos. 312); es soll aus dem Dienst (awoda) der Bedrücker in den Dienst (awoda) des Befreiers treten. Israel lagert am Sinai, dem Berg gegenüber (192). Gegenüber stehen einander der Gott und sein Volk. Mose »steigt zu dem Gotte auf« (193). Und nun ruft ihm Gott die allumfassende Botschaft zu. Das heißt er ihn »dem Hause Jakobs« sagen: »Selber habt ihr gesehen, was ich an Ägypten tat, / und ich trug euch auf Adlerflügeln / und ich brachte euch zu mir. / Und nun: / höret, hört ihr auf meine Stimme / und wahrt meinen Bund, / dann werdet ihr mir ein Sonderschatz / aus allen Völkern. / Denn mein ist die Erde all, / ihr aber, ihr sollt mir werden: / ein Königsbereich von Kohanim, / ein heiliger Goj.« Zum Wortbestand des Spruchs sind einige Erklärungen unerläßlich 1 : 1. »Zu mir«, ‫אלי‬, bedeutet nicht »zu meiner Wohnstätte« (das würde anders ausgedrückt), sondern: zur Begegnung mit mir; Gott war ja in Ägypten gegenwärtig bei Mose (vgl. z. B. 522), aber die Begegnung mit dem Volke sollte erst am Sinai erfolgen. 2. Sonderschatz, ‫סגלה‬, ist ein aus dem allgemeinen Sippeneigentum zu besonderer Verfügung und Verwendung herausgehobenes Besitztum. 3. Mamlacha (‫ )ממלכה‬ist nicht »Königreich« oder gar »Regierung«, sondern bezeichnet die unmittelbare Herrschaftssphäre des Königs, in der er seinen Willen kundgibt. 4. Kohanim (‫ )כהנים‬bedeutet hier nicht »Priester«, sondern (wie z. B. I. Sam. 181; I. Kön. 45) die zur unmittelbaren Verfügung des Königs »bereitstehenden« Diener, seine Adjutanten, durch die er seinen Willen kundgibt 2 . 5. Von den Völkern wird hier nicht im biologischen, sondern im soziologischen Sinn, als von ammim, geredet, denn in diesem Sinn wird Israel aus ihnen erwählt, aber kadosch, heilig, soll es als goj, d. h. mit seiner ganzen biologisch bedingten Leiblichkeit werden (Franz Ro1. 2.

Zur Begründung vgl. Königtum Gottes, 2. Aufl., S. 124 ff., 268 ff. In unserem Abschnitt umfaßt der Begriff Kohanim (II. M. 1922), als die, die »nahtreten« dürfen, offenbar die 70 Ältesten mit, wie sich aus Kap. 24 (V. 1 f., 9) ergibt; Priester gibt es in diesem Stadium der Erzählung noch nicht.

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senzweig war daher sogar geneigt hier zu übersetzen: »ein heiliger Leib«, was aber fremdartige Assoziationen hervorrufen könnte); wo man später von unserer Stelle ausgeht (wie mehrfach in V. Mos.), scheut man die Mißverständlichkeit des Mysteriums und sagt »am kadosch«. 6. Für kadosch ist von den Stellen über die Nachahmung der Heiligkeit Gottes (III. M. 1144f. u. a.) auszugehen; es bezeichnet hier ein Abgehobensein, das aber nicht als Getrenntsein verstanden werden darf: wie Gott von der Welt abgehoben und doch ihr gegenwärtig und in ihr wirksam ist, so sei Israel in seinem Verhältnis zur Völkerwelt, eben als ‫ברכה‬, als »Segen«. Nach der vollzognen Befreiung hatte Israel Gott den Befreier zu seinem ewigen König ausgerufen (II. Mos. 1518). Diese Botschaft am Sinai nun ist seine Königsproklamation. Er proklamiert: Ich bin der König der Welt, euch aber habe ich mir zu meinem unmittelbaren Königsbereich erwählt. Ihr sollt daher mein Königtum über euch errichten, aber als meine Boten und Helfer, um dadurch zu beginnen, die Menschenwelt mir zum Königreich zu bereiten. Zu solcher Verfügung und Verwendung habe ich mir euch als einen Sonderschatz aus meinem Welteigentum erkoren. Aber das seid ihr nur, wenn und solang ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund wahrt. Königsboten, die nicht auf die Stimme des Königs hören, sind keine mehr. Wo mein Volk meinen Bund verrät, bin ich ihm nicht mehr verbunden. In dem gewaltigen Urmidrasch, den die Bibel darstellt, hat besonders das Buch Deuteronomium es sich zur Aufgabe gesetzt, den Adlerspruch zu erläutern. In vier Predigten und Gesetzeseinleitungen (41–40; 71-11; 141 f.; 2616–19) deutet es den Spruch und besonders den »Sonderschatz«Begriff aus: Ein Einziges und Unvergleichliches ist dies, sagt es, daß Gott sich euch herausgeholt, sich dieses Volk (goj) aus den Eingeweiden eines Volkes (goj), aus dem Innern des Völkertums gerissen hat, euch aus dem Eisenschmelzofen Ägyptens geholt hat, wo ihr geschmolzen wurdet um zu tauglichem Metall zu erstehen, und sich nun euch zum Eigentumsvolke 1 nahm und euch unter sein Gesetz stellte. Aber nicht um eurer Ansehnlichkeit und Gewichtigkeit willen hat er euch erwählt, denn ihr seid gering 2 , sondern aus gnadenhafter Liebe. Sich zu Söhnen hat er euch erhoben, ihr seid ihm und er euch zugesprochen, mit hohem Völkeramt hat er euch betraut (das, nicht Rang bedeutet eljon 2619 wie 281). 1. 2.

am nachala (420). Die nachala-Stellen drücken eine andere, exklusivere, partikularistischere Deutungstendenz aus als die segulla-Stellen, die die Sprache des Originalspruchs beibehalten. 77: nicht quantitativ gemeint vgl. 95 f.

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All dies aber ist daran gebunden, daß ihr in seinen Wegen geht, – daß ihr ihm nachfolgt. Gegen Ende des Buches aber wird (3211 f.) im Liede gesagt, wie das Tragen »auf Adlerflügeln« zu verstehen sei. Im Adlerhorst hocken die eben flügge gewordenen, aber noch flugunkühnen Jungen. Da stört der Adler sein Nest auf, erregt die Jungen zum Flug, schwebt mit leichtem Flügelschlagen über ihnen, der Gottadler über den Völkern, wie einst im Anfang der Schöpfung sein Geistbraus über den Wassern geschwebt hatte 1 . Dann aber breitet er seine Flügel aus und setzt eins von den Jungen auf seine Schwinge, trägt es hinweg, um es, es in die Luft werfend und auffangend, den freien Flug zu lehren. Wozu wohl das eine? Wozu anders, als daß es den andern voranfliege! 6

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Nur an zwei – inhaltlich miteinander verknüpften – Stellen der Bibel erscheint die Erwählung ohne die Verpflichtung. Beide sind in Bild und Sprache einigen der erwähnten deuteronomischen Stellen so verwandt, daß es nahe liegt, sie aufeinander zu beziehen, und zwar, da eine Eliminierung alles auf Gebot und Gesetz Hinweisenden allzu unwahrscheinlich ist, umgekehrt an eine deuteronomische ergänzende Berichtigung jener zu denken. Gott sendet Natan zu David, um ihm darzulegen, warum nicht er berufen sei, das Heiligtum in Jerusalem zu bauen. An der Natanrede (II. Sam. 7), einer der stärksten und wichtigsten Gottesreden der Schrift, ist mit das Merkwürdigste dies, daß sie (und sie allein) die beiden Leitworte der Dornbuschrede, »mein Volk« und »ich werde bei dir sein« vereinigt wiederaufnimmt (ammi dreimal: Vers 7, 10 und 11; ehje immcha: Vers 9). In seiner unmittelbaren Antwort an Gott geht David auf das dreimalige ammi mit dreimaligem ammcha (v. 23 f.) ein und ruft: »Wer ist wie dein Volk (am), wie Jiſsrael, / ein einziger Stamm (goj) auf Erden, / daß Gottheit daranging, ihn sich zum Volk (am) auszulösen! … Errichtet hast du dir dein Volk Jiſsrael, / dir zum Volke auf Weltzeit!« Des In-Pflicht-genommenseins am Sinai, des Bindungscharakters der Brit wird in dieser unbekümmerten königlichen Verherrlichung des Volkes mit keinem Worte gedacht. Der Bau des Tempels ist vollendet, in großem Umgang die Lade ins 1.

Die Verbalform ‫ מרחף‬bedeutsamerweise nur an diesen zwei Stellen (das Verb überhaupt nur noch einmal).

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Heiligtum gebracht, Salomo spricht (I. Kön. 822–53) das weitgespannte Gebet, in dem er für alle, auch die Fremden, die je nach diesem Haus zugewandt beten werden, Erhörung erfleht, zuletzt aber auch 1 für das in irgendeiner Zukunft unter dem Zorne Gottes besiegte Israel, wenn es aus dem Exil, vollkommne Herzensumkehr vollziehend, zu diesem Land und zu diesem Haus gewandt beten werde. Und er schließt (v. 50 ff.) mit der Bitte an Gott, dem Volk dann zu vergeben. »Denn dein Volk, dein Eigentum (nachala) sind sie, / die du führtest aus Ägypten, mitten aus dem Eisenschmelzofen. / … Denn du selbst hast sie dir zu Eigentum aus allen Völkern des Erdlands ersondert, / wie du durch Mosche, deinen Knecht, geredet hast, / als du unsre Väter aus Ägypten führtest, / mein Herr, Du!« Die salomonische Rede kennt zum Unterschied von der davidischen auch die Sündigkeit des Volks, »all ihre Abtrünnigkeiten, damit sie dir abtrünnig wurden« (v. 50); aber das bedeutet für sie nicht das Zerreißen des Bundes zwischen Gott und Volk durch das Volk, sondern nur die allgemeine unvermeidliche menschliche Sündigkeit, »denn kein Mensch ist der nicht sündigt« (v. 46). Auf beide Reden zusammen antwortet mit großer Berichtigung und Ergänzung besonders das vierte Deuteronomiumskapitel. Erst klingts wie Wechselgesang zum Davidsgebet (v. 7): »Denn welcher große Stamm (goj) ist, / der Gottheit hätte, nah ihm / wie Er unser Gott, wann all zu ihm wir rufen!« Sogleich danach aber wird gesagt, was in der Königsrede fehlt: »Und welcher große Stamm ist, / der Gesetze und Rechtgeheiße hätte, wahrhaft / wie all diese Weisung …« Dann taucht ein salomonisches Motiv auf (v. 20): »Euch aber nahm Er und führte euch / aus dem Eisenschmelzofen, aus Ägypten, / ihm zu einem Eigentumsvolk zu werden …« Aber auch hierauf folgt (v. 23) die berichtigende Ergänzung: »Hütet euch, / ihr möchtet sonst Seinen eures Gottes Bund vergessen / den er mit euch schloß!« Und wieder klingts wie Wechselgesang zum Davidsgebet (v. 34): »… Oder ob Gottheit versucht hat zu kommen, / sich einen Stamm aus dem Innern eines Stammes zu nehmen, / … allwie Er euer Gott für euch tat in Ägypten!« Aber wieder wird das dort Vermißte ausgesprochen (v. 40): »… wahre seine Sätze und seine Gebote!« Man darf sich nicht bundessicher fühlen, wenn man den Bund nicht erfüllt; Gott ist ein verzehrendes Feuer (v. 23). Erwählt ist Israel nur, wenn es mit seinem Leben als Gemeinschaft die Erwählung verwirklicht. 1.

Die Verse V. 44–53, um die es sich handelt, sind offenbar später als das Vorhergehende; doch kommt es in dieser Darstellung auf die literarkritischen Fragen nicht an.

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Auch hier ist es ein Prophet, der die Botschaft in ihrer letztgültigen, geschichtsgerechten Gestalt ausspricht. In einer Stunde, da nach der verhängnisvollen Schlacht bei Megiddo die Führer das Volk mit dem Hinweis auf den Tempel als auf die unbedingte Sicherung des Volkslebens beruhigen, tritt Jeremija, der sonst auf dem Marktplatz zu predigen pflegte, an hohem Festtag in den Tempelhof und spricht zum überraschten Volk und zur Priesterschaft seine Rede gegen den Tempel (Jer. 71–15; vgl. 261–6). Da kommen sie von all ihren schlimmen Geschäften zum Heiligtum und verlassen sich darauf, daß Gottes Name über diesem Hause gerufen ist: so könne ihnen doch nichts Übles widerfahren! Gott aber gewährt keine Sicherung. Ist das Haus, dem sein Name einwohnt, zur Räuberhöhle geworden und keine Umkehr geschieht, dann wird er es der Vernichtung hingeben, wie er einst in der Richterzeit in einer Stunde der Sündenreife das Heiligtum von Silo der Vernichtung hingab: »Fortwerfen will ich euch von meinem Antlitz hinweg.« Nur eben der, der erwählt hat, kann so verwerfen. Bald wird der Schrei erschallen (819): »Ist Er nicht mehr in Zion, / ist sein König nicht mehr darin?« Gott, der König Israels, verläßt seinen Thron und gibt ihn der Vernichtung preis, weil Israel mit seinem Königtum nicht Ernst gemacht hat. Es hat nur die sichernde Königsmacht gekannt und nicht die Hingabe des eignen gelebten Gemeinschaftslebens an die Wahrheit des Königsbundes. Aber Israel ist nur erwählt, wenn es die Erwählung verwirklicht. Und doch – das ist das trostreiche Paradox unserer Existenz – nie kann der Verwerfer aufhören, der Erwähler zu sein. Neuer Bund soll einst zwischen Gott und dem Haus Israel geschlossen werden (3130–33), der den Widerspruch der störrischen oder lässigen Herzen überwindet. »Ich gebe meine Weisung in ihr Innres, / auf ihr Herz will ich sie schreiben, / so werde ich ihnen zum Gott, / und sie werden mir zum Volk.«

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Abraham der Seher 1 Ich will hier nicht davon reden, was hinter der biblischen Erzählung von Abraham steht, sondern davon, was in ihr steht. Das neunzehnte Jahrhundert war überzeugt, es müsse hinter ihr etwas ganz anderes stehen, etwa der Mythos eines Gottes, von dem hier als von einem Menschen erzählt wird, oder die Geschichte eines Stammes, personifiziert in einem Einzelschicksal. Inzwischen hat man gemerkt, daß es widersinnig ist anzunehmen, aus dem Mythos von den Taten eines Gottes sei diese Erzählung von dem Leben eines Menschen mit menschlichen Schwächen und Nöten entstanden, deren Grundmotiv das Verhältnis dieses Menschen zu einem ihm unbedingt überlegenen Gotte ist. Und man hat weiter gemerkt, daß es widersinnig ist anzunehmen, durch Ausschmückung eines Berichts von den Eroberungen eines Stammes sei diese Erzählung von dem Leben eines wandernden Hirten entstanden, die offenbar darauf angelegt ist, die Frage nach der Entstehung eines Stammes zu beantworten. Das neunzehnte Jahrhundert war sicher, eines könne auf keinen Fall der Erzählung von Abraham zugrunde liegen, nämlich eine Familienüberlieferung über einen Stammvater, denn kein Volk bewahre dergleichen auf; aber wir wissen jetzt, daß z. B. von den arabischen Stämmen in Moab jeder nicht bloß seinen Ursprung von einem Stammvater ableitet, sondern auch eine Überlieferung über ihn besitzt, gewiß, eine sagenhafte, die aber darum keineswegs eine erdichtete zu sein braucht; und das jüdische Volk ist nun einmal das, anscheinend einzige, Beispiel eines Volkes, das, als es Volk wurde, seine Existenz als Stamm nicht aufgab und nicht vergaß, sondern im Kern Stamm blieb und mit dem Wesen eines Stammes auch das Gedächtnis eines Stammes bewahrte. Das neunzehnte Jahrhundert war ferner überzeugt, die Erzählung von den Vätern müsse in viel späterer Zeit entstanden sein, weil es in Palästina literarische Urkunden aus jener Zeit nicht gebe, und bedachte nicht, daß sich bei manchen orientalischen Völkern mündliche Überlieferung Jahrhunderte lang erhält; überdies folgern heute die Erforscher der im nordsyrischen Ugarit aufgefundenen mythologischen Texte aus verschiedenen Umständen, der Kern der Vätergeschichte dürfte weit früher niedergeschrieben worden sein, als man bisher annahm. Kurz, das neunzehnte Jahrhundert hielt es für ausgeschlossen, daß dieser Mann Abram oder Abraham eine wirkliche geschichtliche Person gewesen sei; heute ist manchen Gelehrten die Einsicht aufgegangen, daß, wie es

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Woolley, der Entdecker der Kultur von Ur, in seinem Buch über Abraham ausdrückt, in der Erzählung, wie sie ursprünglich erzählt wurde, ein gehöriges Substrat von buchstäblicher Wahrheit enthalten war, oder, wie Böhl vorsichtiger formuliert, daß »die Annahme einer historischen Grundlage als die wissenschaftlich besser begründete Hypothese erscheint«. Die einen fassen Abraham als Scheich aus der Frühzeit eines halbnomadischen Stammes auf, die andern als Kultstifter und Führer einer religiösen Gemeinde, eine Zweiheit der Auffassungen, in der das Doppelbild der jüdischen Tradition, des »Vaters der Nation« und des »Vaters der ganzen Welt«, in wissenschaftlicher Gestalt wiederkehrt; jene und diese aber sehen wieder, was das vergangene Jahrhundert zu sehen verlernt hatte, einen lebendigen Menschen. Von diesem Stande der Forschung, diesem modernen Realismus aus ist die Frage neu zu stellen, wie die biblische Geschichte selbst, in der beide Auffassungen in einer völligen Einheit verschmolzen sind, diesen Menschen versteht und verstanden wissen will. Uns ist zwar nicht eine geschichtliche Wirklichkeit gegeben, aber die Urkunde ihrer Betrachtung. Was hinter der biblischen Erzählung steht, wird, da uns andere Quellen nicht gegeben sind, die Wissenschaft stets nur vermuten können; was in ihr steht, aus ihr zu erschließen ist uns gewährt. Man mag einwenden, aus der biblischen Erzählung sei doch keine einheitliche Anschauung herauszuholen, da sie bekanntlich aus zahlreichen Stücken verschiedener Bücher, der sogenannten »Quellen«, in verschiedenen Zeiten entstanden und von verschiedenen Tendenzen bestimmt, zusammengesetzt sei. Aber auch diese dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert teure Theorie hat in unserer Zeit schwere Erschütterungen erfahren. Man beginnt zu merken, daß ein Buch wie dieses Buch Genesis nicht wie eine schlechte Zeitung mit Hilfe von Schere und Kleister hergestellt worden sein kann. Viele Ausdrücke und Wendungen, die als sprachliche Unterschiedsmerkmale dieser und jener Quelle galten, erweisen immer deutlicher ihren Sinn und ihre Absicht innerhalb eines wohlgeordneten Ganzen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß dieses Ganze das fertige Werk eines einzigen frühen Verfassers sei. Auch für mein Ohr tönen aus dem Chor dieser Erzählung die Stimmen verschiedener Erzähler hervor. Schon die ältesten Erinnerungen werden in verschiedener Absicht bewahrt und demgemäß in verschiedener Tonart vorgetragen worden sein. Erst recht werden sich spätere Ausgestalter und Aufzeichner in der Behandlung des Stoffes und im Stil der Darstellung voneinander unterscheiden: Propheten erzählen naturgemäß anders als Hofbeamte, es geht ihnen um anderes, ein Prophet, der am Hof angestellt ist, bekommt wieder einen anderen Stil als ein freier, und ein Priester,

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soweit wirklich auch solche erzählt haben, ist vollends ein Ding für sich. Aber trotzdem hat die Erzählung einen erstaunlich einheitlichen Charakter, nur daß die Einheit keine ursprüngliche, sondern eine gewordene ist. Alle Erzähler, d. h. alle Bearbeiter der Überlieferung, stehen hier nämlich, unbeschadet der besonderen Tendenzen und Eigentümlichkeiten eines jeden, in einer gemeinsamen geistigen Atmosphäre, die ich als die urbiblische, d. h. als die biblische Atmosphäre vor der Bibel, bezeichnen möchte. Ihnen allen, die zu dieser Geschichte der Anfänge – Anfang der Welt, Anfang des Menschengeschlechts, Anfang Israels – beigesteuert haben, ging es, jedem auf seine Weise, letztlich um eins: dem Volk zu zeigen, wie sein Gott, ehe es noch als Volk da war, ihm Ziel und Weg bereitete. Die Hofbeamten werden dabei die Absicht gehabt haben, das Volk zu ermutigen, in den Kriegen als Krieger seines Gottes auszuharren, die Propheten die Absicht, das Volk zur inneren Umkehr zu seinem Gott und zu dessen Gebot des gerechten Lebens aufzurufen; aber entscheidend war das Gemeinsame, jeder wollte an diesem Gemeinsamen, an dieser Urbibel teilhaben, jeder kannte, was schon Gestalt gewonnen hatte, und knüpfte in offenkundiger oder heimlicher Weise daran an. Und schließlich treten, wahrscheinlich aus dem Kreis der Erzähler selbst, und meiner Überzeugung nach für das Buch Genesis nicht später als in der Spätzeit des Salomonischen Reiches, die Männer auf, die man die Redaktoren zu nennen pflegt, große, von der urbiblischen Anschauungseinheit begeisterte Männer, und gehen ans Werk, diese Einheit in der Mannigfaltigkeit der überkommenen Erzählungen auszuprägen, die Männer oder der Mann. Nun wird, soweit es nicht schon früher geschehen war, Erzählung an Erzählung, nicht selten durch in beiden wiederkehrende, in ihrer Umgebung seltene Wörter gebunden, und alle zusammen werden zu einer mitunter, so gerade in der Geschichte Abrahams, geradezu symmetrisch gegliederten Architektur gefügt. Erst durch das Verständnis dieser tektonischen Einheit, des Werks eines groß komponierenden religiösen Bildnertums, wird es uns ermöglicht zu erkennen, wie die Bibel diesen Abraham verstanden wissen will. Um dahin zu gelangen, müssen wir zunächst fragen, welchen Platz die Erzählung von Abraham in dem Aufbau der Geschichte der Anfänge einnimmt, und sodann, wie sie selbst aufgebaut ist. Wir werden dabei Wesentliches finden, das nicht aus der Bearbeitung und Ausgestaltung der Überlieferung, sondern nur aus dieser selbst stammen kann. Die Bibel sagt uns, wie sie Abraham versteht; aber im Kern dieses Verständnisses steht ein Gedächtnis.

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Das Buch Genesis will »Toledot«, »Erzeugungen« erzählen. Es ist ihm darum zu tun, die Toledot des Volkes Israel aus den Toledot des Menschengeschlechts und diese aus den Toledot des Himmels und der Erde herauszuentwickeln. Die Kosmogonie, die Entstehung der Welt, wird um der Ethnogonie, der Entstehung eines Volkes willen erzählt. Wir sollen den Sinn seines Ursprungs bis in den Sinn des Weltursprungs, bis in die Absicht des Schöpfers mit seiner Schöpfung zurückverfolgen. Gewiß, die Bibel trägt keine theologischen Sätze über diese Absicht und diesen Sinn vor, sie erzählt nur, aber was sie erzählt, ist Theologie, die biblische Theologie ist eine erzählte Theologie. Man kann die Bibel nicht wirklich aufnehmen, wenn man sie nicht so aufnimmt: als eine Lehre die nichts ist als Geschichte, als eine Geschichte die nichts ist als Lehre. Wir erfahren die Weltgeschichte als Geschichte Israels; und eben darin, nur darin und nicht außerhalb davon, empfangen wir die Lehre, wozu es die Welt gibt und wozu es Israel gibt, beides in einem. Das Buch Genesis beginnt mit zwei Schöpfungsberichten, die, gleichviel wann und wie der eine, wann und wie der andere entstanden ist, einander genau ergänzen, wie Natur und Geist, wie das Gefühl des Menschen, als Spätgeborener am Rande des Kosmos, und das Gefühl des Menschen, als Frühgeborener in der Mitte seiner Welt zu hausen. Am Schluß des ersten Schöpfungsberichts steht ein doppelter Segen: an die ersten Menschen und an den Sabbat, am Schluß des zweiten Berichts steht ein doppelter Fluch: an die ersten Menschen und an den Erdboden. Zwischen beiden steht die Sünde. Mit dem Segen ist der natürliche Mensch eingesetzt, mit dem Fluch der geschichtliche Mensch, mit beiden zusammen das Doppelwesen und das Doppellos des Menschen. Die so in die Welt und die Weltgeschichte gesandte erste Menschheit scheitert. Aber nicht an einer Sünde gegen Gott. Die Sünde gegen Gott hat nur zur Vertreibung aus dem Paradies geführt, die Sünden der Menschen gegen einander, der Weg des Unfriedens, der mit dem Brudermord beginnt und damit endet, daß sich die Erde mit »Gewalttat« füllt und sie, die Erde selber, durch die Taten der Menschen »verderbt« wird, führt zur Sintflut. Wieder steht, wie im Beginn der Schöpfung, das Wasser über der Erde. In ihm bewahrt, wird die zweite Menschheit auf die Erde eingesetzt. Sie empfängt den gleichen Segen wie die erste, den der natürlichen Fruchtbarkeit, der Toledot, des Werdens der Geschichte auf dem Wege der Natur; aber jetzt wird der Segen zum Unterschied vom ersten an das Verbot der Gewalttat gebunden, wird dem Menschen gesagt, was dort

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nur erzählt worden war: daß er im Bilde Gottes geschaffen ist und durch die Gewalttat dieses Bild verletzt. Und nun scheitert auch die zweite Menschheit, sie aber an einer Sünde gegen Gott. Das Merkwürdigste an dieser Sünde ist, daß die Menschen mit ihr das Gegenteil von dem anstreben, womit sie vorhin gesündigt hatten. Die erste Menschheit hatte, vom Brudermord angefangen, statt zusammenzuhalten, Mensch von Mensch getrennt; die zweite will zusammenhalten – auf eine falsche Weise. Jene hatte das Ziel, Menschheit zu werden, durch die Gewalttat verfehlt; diese will in einer Stadt beisammenbleiben, will sich nicht zerstreuen lassen, will gemeinsames Werk tun, will Menschheit sein – indem sie sich gegen Gott auflehnt. Das gemeinsame Werk zentriert im Turm, dessen Spitze in den Himmel, gegen den Himmel weist: daß dies die Absicht ist, wird in dem »Heran!« deutlich, mit dem der Himmel ihr »Heran!«, ihren Kriegsruf beantwortet. Die Strafe wiederholt die Sprache der Schuld. Schon Adam und Eva hatten für die Sünde am Baum der Erkenntnis dadurch büßen müssen, daß ihnen der Zugang zum Baum des Lebens abgeschnitten wurde. Ihre Nachkommenschaft wurde zum Lohn für die gegenseitige Vernichtung der Vernichtung preisgegeben, und dafür, daß sie »die Erde verderbten«, kam die Flut, »die Erde zu verderben«. Der zweiten Menschheit widerfährt nun eben das, was sie verhüten wollte, ohne daß es ihr gedroht hätte: die Zerstreuung. Es gibt keine Vernichtung mehr; das war der Erde im »Weltzeit-Bund« »mit allen lebenden Wesen« zugesichert worden; was jetzt als Strafe für die verkehrte Sammlung kommt, ist die Zersprengung, auf das »Sonst werden wir zerstreut« antwortet das Gottes Tat berichtende »zerstreute« und nochmals »zerstreute«, und der in großartiger Entsprechung zwischen Oben und Unten aufgebaute Abschnitt, der mit »aller Erde« begann, endet mit dem in dreifachem Refrain, der dem Hörer und Leser einhämmern soll, um was es geht, wiederholten »übers Antlitz aller Erde«. Schon im vorhergehenden Abschnitt, der Völkertafel, war vierfach, in drei Verben, erst »trennten sich«, dann »zerstreuten sich«, dann »wurde zerspalten« und dann wieder »trennten sich« angekündigt worden, was nun geschieht. Die einheitliche Menschheit, die keine war, weil sie es gegen Gott sein wollte, wird zu Völkern »zersprengt«, die einheitliche Erde zu Ländern und die einheitliche Sprache [»Lippe«] zu Sprachen [»Zungen«]. Das deutlichste Merkmal der neuen Situation ist, daß nun keiner den andern versteht. Und inmitten dieser verwandelten Menschenwelt, der Völkerwelt, steht die unvollendete, unvollendbare Stadt, Babel, die Stadt des »Gemenges«, der Verwirrung. Das ist die Situation des Menschengeschlechts, in der Abram geboren ist, in der er mit seiner Sippe auf Kanaan zu wandert und in der er nun den Ruf Gottes

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empfängt. Nur aus dem Sinn dieser Situation können wir den Sinn dieses Rufes verstehen, nur aus dem Ausgang des ersten und des zweiten Segens den Sinn des dritten, der auf den Ruf folgt und der so ganz anders klingt als die beiden fast gleichlautenden ersten. Die wesentliche Voraussetzung ist: nachdem die Menschen Mal um Mal, in zwei Weltaltern, die göttliche Absicht, sie aus eigenem Willen, aus freiem Gehorsam zu einer wirklichen Menschheit zusammenwachsen zu lassen, vereitelt haben, soll nun ein dritter Anfang kommen. Aber dieser dritte Anfang kann nicht mehr, wie die beiden ersten, die Einsetzung einer einzigen Sippe bedeuten, aus der das Menschengeschlecht entstehen oder sich erneuern soll, denn es kann einerseits keine Vernichtung mehr geben, die alles Schuldige und daher Unbrauchbare hinwegräumt, und anderseits gibt es nun keine einheitliche Menschenschar mehr, sondern die Vielheit der Völker. Der neue Weg kann nur von dieser Tatsache ausgehen. Sein Ziel kann nicht mehr eine spaltungslose Menschheit, sondern nur eine ihre Spaltungen überwindende und über ihnen sich vereinigende sein, nur der Zusammenschluß der Völker zu einer Menschheit, als zu einem Volk aus Völkern. Wie aber kann das Ziel erreicht werden? Damit die Vielheit der Völker zur Einheit eines Völkervolks gelange, muß ihr erst kundgetan werden, wie ein wirkliches Volk, als das Einssein einer Vielheit verschiedener Menschen, aussieht. Kundgetan kann so etwas nicht durch das Wort, sondern nur durch das Leben werden – das Leben eines in Stämmen aufgebauten wahren Volkes. Aber von diesen Produkten eines Zerfalls taugt keins dazu, es mit seinem Leben kundzutun. Ein neues Volk muß kommen, und zwar eins, das nicht durch den natürlichen Prozeß der Toledot allein entsteht, sondern an dessen Geburt die Offenbarung, die Verheißung und das Gebot von oben mitwirken: an seinem Anfang muß sein Ziel stehen, damit es seine Aufgabe am Ziel der Menschheit erfülle. Dies ist es, was geschieht. Der Mann Abram wird ausgesondert und ausgesandt. Er wird aus der Völkerwelt geholt und muß seinen eigenen Weg gehen, der für ihn und seine Nachkommen immer neue Absonderung bedeutet. Als er aus dem Vaterhaus tritt, kommen noch Verwandte mit ihm; daß er im neuen Lande sich auch von ihnen trennt, hat seinen eigentlichen Sinn darin, daß sie sich nicht wie er von den Völkern absondern, sondern mit ihnen verschmelzen wollen. Im nächsten Geschlecht geschieht Sonderung in seiner eigenen Sippe und im nächsten wieder, und über jeder stehen Gottesworte. Dann endlich ist ein Geschlecht da, in dem keine Sonderung mehr zu geschehen braucht. Aber eben dieses Geschlecht gerät in einen neuen »Eisenschmelzofen« [Dt 4, 20; I Kö 8, 51], aus dem es »herausgeführt« werden muß, »ein Volk aus dem Innern eines Volkes« [Dt 4, 34]; wie

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der Stammvater aus dem einen der zwei großen Stromreiche, zwischen denen sich Israels Staatsgeschichte abspielen sollte, so es aus dem zweiten, um zunächst das zu werden, als was allein es jene Kundgebung wirken kann: »ein Volk, das einsam wohnt und unter die Nationen nicht gerechnet wird« [Nu 23, 9]. Diese ganze Geschichte, dieser Weg von Ur Kasdim zum Sinai, ist eine Folge von Aussonderungen und Absonderungen, Ereignisse der Geschichte – Sippengeschichte und Volksgeschichte –, aber die Offenbarung steht über ihnen und gibt ihnen ihren Sinn, weist ihnen ihr Ziel. Denn das Ziel all der Absonderung ist eine künftige Verbundenheit. Von diesem Ziel wissen die Propheten zu sagen. Aber die Erzählung vom Anfang des Weges, von der Herausholung Abrahams, entspricht auch in eigentümlicher Weise der entscheidenden Erfahrung des prophetischen Menschen, seinem eigenen Herausgeholtwerden aus seiner natürlichen Umgebung. Wenn Abraham zu Abimelech sagt: »Als mich die Gottmächte hinwegirren ließen aus meinem Vaterhaus«, müssen wir daran denken, was Amos dem Priester antwortet: »JHWH hat mich von hinter den Schafen genommen«. Aber wie viel früher klingt Abrahams Rede! Wohl, es ist seltsam, daß in dem gleichen Abschnitt, und nur in ihm, Abraham ein Künder – d. h. ein redender Mittler zwischen Himmel und Erde – genannt wird. Ein früher Prophet, einer aus der Epoche des großisraelitischen Reiches etwa, mag für diese Gestalt der Erzählung verantwortlich sein. Aber wir würden gründlich irren, wenn wir meinten, er projiziere lediglich seine Art und seine Erfahrung in die Urzeit hinein. Gleichviel, wie es um den Begriff des Propheten steht, prophetische Existenz ist so alt wie Israel, dergleichen kommt nicht mitten in der Geschichte einer Gemeinschaft hinzu, sondern ist in seiner ursprünglichen Art so alt wie diese Geschichte. Und ohne die Urerfahrung des Herausgeholtwerdens, d. h. ohne die Gewißheit eines Menschen der Urzeit, das, was er tut, ohne es zu wollen, tue er, weil der Gott es will, gäbe es den Glauben Israels nicht.

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3 Ich habe darauf hingewiesen, daß die Erzählung von Abraham durchaus nur aus ihrem Platz im Zusammenhang der biblischen Geschichte, zwischen der Erzählung vom Scheitern der einheitlichen Menschheit und der Erzählung vom Werden des Volkes Israel im Schatten von Berufung und Verheißung zu verstehen ist. Dieser sein Platz im Zusammenhang bestimmt Stoffauslese und Stoffbearbeitung, Komposition und Stil, Bil-

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dersprache und Wortwahl. Die Schrift sagt, wo sie erzählt, ihre Lehre nicht, indem sie sie als Lehre vorträgt, sondern mit den Mitteln der Erzählung, ohne die durch die Gestalt der Erzählung gezogenen Grenzen zu überschreiten. Die Mittel der Erzählung aber verwendet sie in einem Ausmaß, das die Weltliteratur bis heute ihr nicht abgelernt hat, und sie arbeitet mit so unvordringlichen, wenn auch deutlichen Bezügen und Verknüpfungen, daß eine vollkommene Aufmerksamkeit dazu gehört, um ihre Absicht zu erfassen, – eine so vollkommene Aufmerksamkeit, daß sie bis an unser Geschlecht noch nicht erfüllt worden ist und daß es uns Spätlingen vorbehalten blieb, Übersehenes, Vernachlässigtes, ungenügend Gewürdigtes in seiner Bedeutsamkeit zu zeigen. Der Platz, den die Erzählung von Abraham im Zusammenhang der biblischen Geschichte einnimmt, stellt ihr eine dreifache Aufgabe. Sie hat erstens ihre Verbindung nach rückwärts sichtbar zu machen, also darzustellen, wie Abraham als neuer volksgestaltiger Anfang sich im Verhältnis zu der alten gescheiterten völkerlosen Menschheit ausnimmt. Sie hat zweitens den Weg abzuschreiten und uns, ihre Leser, abschreiten zu lassen, den die göttliche Berufung und Verheißung durch das Leben Abrahams von Haran bis zum Berge Moria geht, und hat dabei die Ankündigung des Weges aufleuchten zu lassen, den die aus Abraham hervorgehenden Stämme zur Volkwerdung und zum Empfang der zweiten, ans gewordene Volk gerichteten Berufung und Verheißung, von Beerseba also über Ägypten zum Berge Sinai gehen werden. Sie hat drittens im Bilde von Ereignissen des Lebens Abrahams, als im »Zeichen«, die Geschichte des Volkes Israel anzusagen und also, wie seine persönliche Berufung ein Vorbote der Volksberufung ist, so auch seine Biographie überhaupt als eine Vorwegnahme der Volksgeschichte, gleichsam als eine gelebte Weissagung, erscheinen zu lassen. Die erste dieser Aufgaben erfüllt die Schrift durch inhaltliche und sprachliche Bezüge zur Erzählung von dem Begründer der eben gescheiterten zweiten Menschheit, von Noah; die zweite erfüllt sie durch den in strenger Architektonik aufgebauten Bericht von den sieben Offenbarungen an Abraham; die dritte erfüllt sie durch die Hindeutungen auf Dasein und Geschichte des Volkes, die in der Erzählung der Begebenheiten des Lebens Abrahams außerhalb des Berichts von den Offenbarungen enthalten sind. Ich beginne mit der Rückverbindung. Der ersten, in der Sintflut untergegangenen Menschheit braucht die Schrift Abraham nicht gegenüberzustellen, sondern nur der zweiten, der eben, in deren Mitte er lebt, wenn auch nicht in ihrer ursprünglichen einheitlichen Form, sondern in der zur Völkerwelt verwandelten. Nur diesem zweiten Anfang braucht Abraham gegenübergestellt zu werden, weil nur dieser, wie der dritte, auf einer Erwählung begründet ist. Die

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Gegenüberstellung geschieht dadurch, daß Abraham mit eben jenem erwählten Mann, mit Noah, der zweite Erwählte also mit dem ersten verglichen wird, sein Wesen mit dem Wesen jenes und die Kundgebung an ihn mit der Kundgebung an jenen. Diese Vergleichung aber wird nicht als solche, nicht lehrhaft vorgetragen, sondern sie bedient sich der in dem Wortbestand der Sprache selbst, in deren Bildern und Ausdrücken gegebenen Mittel, die nur unsere Aufmerksamkeit aufzunehmen braucht; sie bietet sich also nicht unserem diskursiven Verstande, sondern unserer Anschauung dar. Noah ist die erste Person, der die Schrift Epitheta beilegt. Sie sagt von ihm, er sei »in seinen Geschlechtern«, in den Generationen also, die sein Leben umfaßt, »bewährt« und »ganz« gewesen. Beides sind Begriffe der Übereinstimmung, der erste einer Übereinstimmung zwischen »Innen« und »Außen«, zwischen einer »Wahrheit« und einer »Wirklichkeit«, zwischen der Richtigkeit einer Sache und ihrer Anerkennung, zwischen einer Gesinnung und einem Verhalten, der zweite einer Übereinstimmung zwischen den Teilen und Eigenschaften eines Wesens, somit einer Wesenseinheit und Wesensvollständigkeit. Der Grundtypus für den ersten Begriff ist der Freispruch des Unschuldigen vor Gericht, der die Übereinstimmung zwischen dem wahren Sachverhalt und der äußeren Geltung herstellt, der Grundtypus des zweiten ist das heile, fehlerlose Opfertier, die Kreatur »aus einem Stück«. Die Schrift selbst erläutert den ersten Begriff durch die Parallele »der Treue hält« [Jes 26, 2], den zweiten durch das Gebot, ganz mit seinem Gott zu sein [Dt 18, 13]. Beide Epitheta werden Noah in einer einfachen Aussage beigelegt; als Drittes aber kommt die Mitteilung hinzu, er sei »mit dem Gott einhergegangen«. Diesen Ausdruck kennen wir schon [Gen 5, 22, 24] von Henoch, Noahs Urahn, her, der bis zu seinem Ende »mit dem Gott einherging«, dann aber, statt wie seine Väter und seine Nachkommen zu sterben, in einer ihm eigentümlichen Weise verschwand, »denn Gott hatte ihn genommen«. Eine Metapher für frommen, Gott wohlgefälligen Lebenswandel ist der nur bei diesen zwei Männern vorkommende Ausdruck nicht, wie überhaupt in solchen frühen Erzählungen Bilder aus der religiösen Sphäre nicht Umschreibungen moralischer Begriffe bedeuten. Gottes Teilnahme an den Geschicken der Menschenwelt wird im Bilde einer Bewegung gesehen, von dem Einhergehen Gottes oder der Gottesstimme im Garten Eden [Gen 3, 8] bis zum Einhergehen Gottes inmitten des Lagers Israel [Dt 23, 15]; und die Gemeinschaft von Menschen aus der völkerlosen Urzeit, von Menschen also, die keine über ihr Leben hinausreichende Aufgabe hatten, mit Gott wird im Bild ihres Begleitens Gottes in dieser seiner Bewegung gesehen.

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Die drei Wörter, »Bewährung«, »Ganzheit«, »Einhergehen« finden wir nun in der Geschichte Abrahams wieder, und wie Noah nur durch diese drei gekennzeichnet wird, so treten ihnen auch hier keine anderen zur Seite. Aber sie erscheinen in einer eigentümlich veränderten Gestalt. Zu einer einheitlichen Aussage über das Wesen des Mannes werden sie nicht wie dort verwendet. Das erste Wort finden wir in der mittleren und in der Tat zentralen der sieben Offenbarungen. Da wird Abrahams Vertrauen ihm von Gott »als Bewährung« geachtet; es wird also nicht von Abraham wie von Noah ausgesagt, er sei ein bewährter Mann gewesen, sondern nur eine einzelne Eigenschaft oder Haltung von ihm gilt in den Augen Gottes als Bewährung. Das zweite Wort in Verbindung mit dem dritten steht hier vollends nicht in der Form der Aussage, sondern in der des Befehls. Gott gebietet Abraham anscheinend, das zu werden, was Noah von selber war! Das scheint doch die Rangordnung der beiden zu verkehren. Man hat dem Rätsel schon früh nachgeforscht, und die jüdische Tradition war auf der rechten Spur, als sie die Lösung in den Worten »in seinen Geschlechtern« fand: nicht absolut, sondern nur im Verhältnis zu seinen verderbten oder fragwürdigen Geschlechtern sei Noah bewährt und ganz gewesen. Daß die Schrift hier wirklich sich selbst erklären will, wird darin offenkundig, daß das in der Erzählung [6, 9] von Noah Ausgesagte an der entscheidenden Stelle der Gottesreden an Noah [7, 1] variiert wird: »denn dich habe ich als vor mir bewährt in diesem Geschlechte gesehen«. Solche Wiederholungen zeigen sehr oft in der Schrift an: Hier merke auf, von hier aus wirst du verstehn. Nur muß man die Einsicht der rechten Deutung noch vertiefen. Noah ist, obgleich er als »Mann des Ackers« [9, 20] den Bodenbau erneuert und den Acker vom Fluch befreit, wirklich der an »seine Geschlechter« Gebundene. Er empfängt keine Aufgabe, die über sie hinausreicht, keine geschichtliche Aufgabe. Auch das Verbot des Blutvergießens, das ihm zuteil wird, ist ein allgemeines; nichts wird von ihm gefordert, das er und gerade er für künftige Geschlechter zu vollbringen hätte; nicht, daß er, wie Abraham, mit seinem Leben das Leben eines Volkes vorbereite, das der Völkermenschheit zum Vorbild des Gemeinschaftslebens werden soll. Bei Abraham kommt es nicht auf sein von Gott sozusagen vorgefundenes Wesen, sondern auf sein Tun und sein Werden an. Sein Vertrauen, das Gott ihm als Bewährung achtet, daß er Gott nämlich vertraut, ehe dieser die Verheißung erfüllt, weist in bedeutsamer Weise auf das so ganz andere »Vertrauen« des Volkes hin, die Gott erst vertrauen, nachdem Mose die Zeichen getan hat [Ex 4, 31], und dann wieder, nachdem sie durchs Schilfmeer geführt und die Ägypter darin versenkt worden sind [14, 31]: daß das Volk das nicht erfüllt, was Abraham vorweggenommen hatte,

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macht uns in einer stillen, aber unüberbietbar starken Weise das Versagen des Volkes der Aufgabe gegenüber spürbar. Und bedeutsam ist auch jene zweite Selbsterläuterung der Schrift, daß das Wort an Abraham »Sei ganz« [Gen 17, 1], das zu Beginn des Abschnitts steht, in dem ihm das Bundeszeichen Israels als das Israel von den Völkern scheidende geboten wird, als Wort an das Volk »Ganz sollst du mit JHWH deinem Gotte sein« [Dt 18, 13], in einem Abschnitt wiederkehrt, der das Prophetentum gegen das Zauberwesen des Volkes stellt; nur diese beiden Male steht das Adjektiv in der Schrift in einem persönlichen Gebot, und die zweite Stelle erscheint dadurch als auf die erste zu beziehen. Man darf vermuten, daß in solchen Fällen die Redaktoren der Schrift absichtlich davon abgesehen haben, weitere Ausdrücke der gleichen Art aufzunehmen, um nicht den Eindruck des gegenseitigen Bezugs zu verwischen. Eine stärkere Abwandlung empfängt das dritte der drei kennzeichnenden Worte in der Erzählung von Abraham. »Mit dem Gott ging Noah einher«, hat es dort geheißen; nun aber hören wir das Wort an Abraham: »Geh vor mir einher!« Wie wichtig es der Schrift ist, erkennen wir daraus, daß Abraham nach der Vollbringung seines Wegs der Erprobung und Bewährung das Vollbrachte eben so ausdrückt [24, 40], er sei vor Gott einhergegangen, und Jakob weiß von seinen Vätern [48, 15] nur eben dies zu sagen. Doch auch diese Wendung ist nicht als Metapher für »Gott ergeben sein« zu verstehen, sondern konkreter und präziser. Heißt aber »mit Gott einhergehen« ihn begleiten, so hat »vor ihm einhergehen« eine andere Bedeutung. Wenn ein Führer zu den Geführten wie Samuel zu Israel sagt [I Sam 12, 2], er sei vor ihnen einhergegangen, und nun gehe der von ihm gesalbte König vor ihnen einher, so sehen wir das Bild des Heereszugs und des Feldherrn an seiner Spitze. Wenn aber das Verhältnis das umgekehrte ist, wenn etwa Gott [2, 30, 35] zu Eli sagt, bisher seien die Männer des Hauses Elis vor ihm einhergegangen, nun aber, da dieses Haus von ihm abgefallen sei, wolle er sich einen getreuen Priester bestellen, der vor dem Gesalbten Gottes einhergehen soll, sehen wir vor uns das Friedensbild des Herrschers, der, ehe er selbst eine Stadt seines Reiches besucht, einen Herold vorausschickt, der sein Kommen ansagt und ihm den Weg bereitet. Dies eben ist Abrahams Amt. Aber wir müssen noch genauer erfassen, was ihm aufgetragen ist. Wir hören von ihm, daß er, das Land durchfahrend, zu Sichem und zu Bethel Altäre baut und den Gottesnamen ausruft, daß er später zu Beerseba eine Tamariske pflanzt und den Gottesnamen ausruft. Als Gebet ist dieses Rufen nicht zu verstehen, als Predigt an die Heiden erst recht nicht; für die letztere Bedeutung gibt es keinen Beleg, aber auch die erste ist nicht die ursprüng-

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liche, wie schon daraus zu ersehen ist, daß die Schrift mit eben diesem Ausdruck [Ex 33, 19; 34, 5] Gott selber seinen Namen ausrufen läßt. Das Ausrufen, wie wir es in der Zeit vor der Reichsgründung, von Abraham bis Gideon, mehrfach mit dem Bau eines Altars verbunden und zuweilen als Ausrufung eines neuen Namens [Gen 21, 23; 23, 20; Ex 17, 15; Ri 6, 24] finden, bedeutet eine Proklamation. Wer eine Stadt erobert, dessen Name wird, wie wir aus einem Worte Joabs [II Sam 12, 28] wissen, darüber ausgerufen; eine etwas schwierige Psalmstelle [49, 12] erklärt sich daraus, daß die Namen der Grundherren über ihren Liegenschaften ausgerufen wurden. Von Gott hören wir, daß über dem Ort und über der Gemeinschaft, darin er als Herr Wohnung nimmt, sein Name ausgerufen wird: über der Lade [II Sam 6, 2], über dem Tempel [I Kö 8, 43 u. a.], über Jerusalem [Jer 25, 29], über ganz Israel [Dt 28, 10 u. a.]. Abraham zieht, als Herold Gottes, ihm, dem König des künftigen Israel, voraus, er durchzieht die Provinz des Gottesreichs, in der der Herr einst Wohnung nehmen wird, und proklamiert sie durch Ausrufung des Namens Gottes als dessen Besitz und Residenz. Noah erscheint vor dem Hintergrund einiger Geschlechter einer völkerlosen Menschheit, Abraham vor dem aller Geschlechter eines Volkes, dem geboten ist, als »Volk Gottes« die Völker zum Berge Gottes zu bringen, daß sie sich hier zur Menschheit verbünden [Jes 2, 1-5]. Noah steht an seinem Platz in der Natur, ein aus der Flut Geretteter, ein »Mann des Ackers«; Abraham geht als Erster einen Weg in die Geschichte, ein Ausrufer der Herrschaft Gottes. 4 Die sieben Offenbarungen an Abraham sind sowohl untereinander als mit den Erzählungen, die zwischen ihnen stehen, sorgfältig und bedeutsam verknüpft. Jede der Offenbarungen und jede der anderen Erzählungen steht an ihrer Stelle im Ganzen und kann an keiner anderen stehen. Die Offenbarungen erscheinen als Stationen eines Weges von Erprobung zu Erprobung und von Segen zu Segen; keine von ihnen kann umgestellt werden, ohne das Ganze zu erschüttern. Durch keine Quellentheorie läßt sich dieses Gefüge erklären, das sehr mannigfaltig in Charakter und Stil und doch von einer einheitlichen großen Anschauung zusammengehalten ist. Wenn man z. B. die so grundverschiedenen beiden Berichte des Bundesschlusses, das 15. und das 17. Kapitel, verschiedenen Quellenschriften zuteilt, so ist damit ebensowenig wie bei den beiden Schöpfungsberichten klargestellt, wie es zugeht, daß sie einander auf das ge-

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naueste ergänzen, jedes die wesentlichen Motive enthält, die dem andern fehlen, und der zweite, ganz aktive, der die Namensänderung und die Verleihung des Bundeszeichens enthält, nicht anderswo als nach dem ersten, ganz visionären stehen kann, der die Schau, Schau zu den Sternen und Schau in die Geschichte, und die Feuerserscheinung zwischen den Opferstücken schildert. Erst beide zusammen ergeben das vollkommene Gegenstück zum Noahbund: dort und hier wird Vieh und Vogel dargebracht, aber dort ist es ein Bund mit allem Lebenden, hier mit einem künftigen Stamme, dort und hier wird Lebenserhaltung in der Zukunft zugesprochen, aber dort allgemeine im öffentlichsten Zeichen, dem des Regenbogens, hier volkhafte im intimsten Zeichen, dem der Beschneidung, dort geht es um die Erde, hier um die Zeugung Israels. Das ist nicht Redaktion, sondern Komposition größter Art, und dergleichen kann nicht an Auszügen aus Schriften, sondern nur an der ganzen reichen und plastischen Materie der erzählerischen Überlieferung vollzogen werden. Und ebenso verhält es sich mit der Verknüpfung zwischen den einzelnen Offenbarungen und den zwischen ihnen stehenden Erzählungen. Man teilt z. B. die Fürbitte Abrahams für Sodom in der sechsten Offenbarung und die Erzählung von seinem Aufenthalt bei Abimelech zwei verschiedenen Quellenschriften zu; aber eben die Fürbitte motiviert, daß Gott nun von Abraham sagt [Gen 20, 7]: »Er ist ein Künder, er wird für dich einstehen«: durch die kühne Fürbitte ist er in Gottes Sinn zum Künder aufgestiegen, der, wie zwischen Oben und Unten, so auch zwischen Unten und Oben mittelt; Gott hat gleichsam erkannt: »Ja, der Mann ist ein Prophet geworden«, und er spricht es nun aus. Das ist keine nachträgliche Auslegung, es ist Urgehalt der Selbstdeutung in der biblischen Komposition. Der große prophetische Kompositor will sagen, so, durch das Erbarmen eines Menschen und sein unerschrockenes Eintreten der Gottheit gegenüber für den Gegenstand seines Erbarmens sei die Prophetie entstanden; und er sagt es, indem er aus der Überlieferung vom Erzvater den geeigneten Stoff auswählt und ihn in der geeigneten Weise anordnet. Warum aber konnte er das? Weil die Überlieferung selber es so darbot, daß man es aus ihr durch Auswahl und Anordnung herausholen konnte. Die sieben Offenbarungen sind sieben Stationen eines Menschenwegs vom Beginn der gegenseitigen Beziehung zwischen diesen Menschen und Gott bis zu ihrer Vollendung. In der ersten [12, 1-3] schickt Gott diesen Menschen aus dem Haus in das Land, das er ihn »sehen lassen« wird, als in seine Aufgabe, er verheißt ihm, daß ein Volk aus ihm werden soll, und segnet ihn auf den Weg. Die zweite [12, 7] geschieht schon in dem neuen Land, schon nach-

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dem Abram darin gewandert ist; nun erst, wie er ihm nun erst das Land verspricht, das er ihm zeigt [»dieses Land«], gibt Gott ihm auch sich selbst zu »sehen«, – als dem ersten Menschen in der Schrift; auch dies erläutert die Schrift selber, wenn sie Gott dem Mose die Bitte, ihn seine Glorie sehen zu lassen, dadurch erfüllen läßt, daß er vor ihm die göttlichen Eigenschaften ausruft, die unmittelbar das Handeln des Menschen betreffen. Die dritte Offenbarung geschieht, nachdem Abraham sich von Lot getrennt hat, so daß nunmehr keine andere Tendenz im Verhältnis zu den Völkern die seine stört; wieder wird vom Sehen gesprochen, und zwar nun vom Sehen des ganzen Landes, denn nun erst [13, 15] wird Abraham »das ganze Land« verheißen, das er ganz durchwandern soll, um es mit seinem Fuß für sein Volk in Besitz zu nehmen, wie es Josua in seiner Rede vor dem Landtag zu Sichem, an Abrahams erstem kanaanäischem Wohnsitz, in eben dieser Bedeutung von Gott aussprechen läßt [Jos 24, 3]: »Ich ließ ihn durchs ganze Land Kanaan gehen«; und in der dritten Offenbarung geht es so durchaus um Land, um »Erde«, daß notwendigerweise auch der »Staub der Erde« zum Gleichnis der Volksmehrung wird: nur in Verbindung mit diesem Land wird das Volk seine Aufgabe erfüllen können. Die vierte Offenbarung, die zentrale, wird an die vorhergehende Erzählung von Abrams Feldzug gegen die Könige durch ein Wortspiel verknüpft, durch das Zusammenklingen des Wortes miggen, lieferte im Schlußteil der Erzählung [Gen 14, 20] mit dem Wort magen, Schild, im Anfangsteil der Offenbarung [15, 1], – zwei Wörter, die nur das eine Mal im Buch Genesis stehen, und das erste von ihnen nur dreimal in der Schrift; die Absicht dieser Verknüpfung geht einem deutlich auf, wenn man daran denkt, daß, wie in der dritten Offenbarung das Sehen der Erde, so in der vierten das Sehen des Himmels den Stoff zum Gleichnis gibt: in der zwischen beiden stehenden Erzählung wird im Spruch Malkizedeks und im Gegenspruch Abrams Gott als der »Stifter von Himmel und Erde« bezeichnet. In dieser mittleren der sieben Offenbarungen wird das »Sehen«, das in den drei ersten wiederkehrte, zur prophetischen »Schau« erhöht, wie der ganze Abschnitt im Stil der prophetischen Vision abgefaßt ist. Nun erst wird dem greisen Abram unmittelbar der Erbe verheißen, nun erst im Hindurchgehen der Flamme zwischen den Tierstücken der Bund im Sinnbild angesagt; dazwischen aber steht, und nur hier in der Erzählung von Abraham, ein Ausblick in eine bestimmte Zeit der Volksgeschichte, in das ägyptische Exil. Und damit zusammenhängend wird erst hier der Vorgang des Anfangs in seiner vollen Bedeutung kundgetan: nicht erst aus Haran durch den Ruf,

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sondern schon aus Ur hat, ohne daß Abram es wußte, Gott ihn geholt, um ihn ins Land zu bringen, und diese Herausholung wird als der Vorläufer der Herausholung Israels aus dem ägyptischen Exil deutlich: das Wort Gottes, er sei es, der diesen Mann aus der Völkerwelt »herausgeführt« habe, weist auf den Anfang des Dekalogs hin, wo Gott dem Volke sagt, er sei es, der es aus dem Innern eines Volkes »herausgeführt« habe. In der Ansage des Exils hieß es, die Ägypter – die nicht mit Namen bezeichnet werden – würden Israel »bedrücken«; in dem nun folgenden Abschnitt wird erzählt, wie die »ägyptische Magd« von Sara »bedrückt« wird – dreimal kehrt der in der Umgebung sonst nicht vorkommende Wortstamm wieder, um uns den Zusammenhang zwischen den Vätergeschichten und der Volksgeschichte einzuprägen. Die flüchtende Magd, heimgesandt vom Gottesboten – sie ist der erste Mensch der Schrift, den ein solcher Bote aufsucht –, ruft Gott mit einem neuen, nur hier vorkommenden Namen an: weil sie [man denkt unwillkürlich an Mose, der, als Gott ihm seine Eigenschaften mitteilt, Gott »von hinten sah«] »hinter ihm« hersah, nennt sie ihn den Gott des Sehens. Vierfach kehrt hier der Wortstamm wieder. Er leitet auch zu dem Anfang der nächsten, der fünften Offenbarung, über, wo Gott sich nun zum zweitenmal von Abram »sehen läßt«: nun, an der Schwelle des hundertsten Jahrs, gibt er ihm endgültig den Auftrag, als sein Herold vor ihm einherzugehen und darin ganz zu sein, nun gibt er ihm einen neuen Namen, indem er in den alten einen Buchstaben aus der Mitte seines eigenen Namens wirft, nun verheißt er ihm das Umfassendste: daß er zum Vater einer Völkermenge werden soll, was, wie schon früh erkannt worden ist, [Jerusalemischer Talmud, Traktat Bikkurim I 3.] nicht mehr auf Israel, sondern auf die kommenden Völkermenschheit geht, die durch Israel werden soll; daß Israel aber der Weg zu ihr ist, das wird dadurch ausgesprochen, daß nun das Bundeszeichen verliehen wird, das die Zeugung, das Volkwerden durch die Zeugung, heiligt. Und wieder mit einem »Sehenlassen« beginnt der Bericht der sechsten Offenbarung. Für die Begegnung von Gott und Mensch, wie sie auf dem bisherigen Wege immer stärker hervortrat, erscheint nun das vertraulichste Bild, das der biblischen Erzählung möglich ist: drei Menschen kommen zu Abraham, er sieht hin, sie stehen über ihm [18, 2], er lädt sie ins Haus, sie essen an seinem Tisch, während er »über ihnen steht« [V. 8], sie sprechen zu ihm, aber nicht im Plural, sondern im Singular, als spräche Gott allein. So verheißen sie ihm für dieses Jahr den Sohn. Die Männer, anscheinend zwei von den drei, gehen von dannen, Abraham geleitet sie; Gott, der zurückblieb, spricht zu sich selber, und darauf folgt

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sein Gespräch mit Abraham. Zwischen dem Selbstgespräch aber und dem Gespräch ist eine Beziehung gestiftet, die die Begegnung von Gott und Mensch zur Entsprechung von Gott und Mensch steigert. Im Selbstgespräch sagt Gott, er wisse, daß Abraham seinen Söhnen gebieten werde, den Weg Gottes zu hüten, und das ist wieder keine Metapher, sondern »der Weg Gottes« bedeutet den wirklichen Weg, den Gott durch die Geschichte der Welt geht, und Israel soll, wie immer wieder von der Lehre und von den Propheten gefordert wird, auf diesem Weg in seine Fußstapfen treten; als das Wesen dieses Wegs bezeichnet Gott hier, »Wahrheit und Gerechtigkeit zu tun«. Im Gespräch aber sagt Abraham das kühnste Menschenwort der Schrift, kühner als irgendein Wort des mit Gott rechtenden Hiob, größer als sie alle, weil es das Wort des Fürbitters ist, der sich in der Absicht seiner Fürbitte auch vor Gott selbst nicht mehr fürchtet, sondern furchtlos seine Person einsetzt: »Der die ganze Erde richtet, soll der nicht Gerechtigkeit tun?« Durch die Wiederkehr der Wortverbindung »Gerechtigkeit tun« – auch sie kommt in dem Buch nur in diesem Abschnitt vor – wird die Entsprechung Gottes und des bewährten Menschen, die Gemeinsamkeit des Wegs, zu ihrem stärksten Ausdruck gebracht. Nun ist der Weg zum Kündertum vollendet, nun kann Abraham von Gott zum Künder erhoben werden. Aber damit ist der Weg der Offenbarungen, der Weg der Erprobung und des Segens, der Weg der Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott noch nicht vollendet. Auf die Erzählung von der Geburt Isaaks folgt zunächst die von der Fortschickung Ismaels, die um der Aufgabe Israels willen von Gott gebilligt wird: die Trennung von Lot geschah als von einem, der sich mit Sodom verschwägern wird, die Trennung von Ismael als von einem, dessen Hand wider alles sein wird. Nun wird nur noch die Entstehung von Beerseba berichtet als des Ortes, an dem die siebente Offenbarung geschehen und von dem Abraham zum Berge Moria gesandt werden soll, um hier die höchste Probe zu bestehen und den höchsten Segen zu empfangen. Die tätige Hingabe Abrahams, die nach der mittleren Offenbarung sich kundtut, wie um jenen Augenblick des Zweifels mitten im Vertrauen (»woran mag ich erkennen?«) tätig zu sühnen, erreicht hier ihren Gipfel. Anderseits läßt Gott sich hier nicht am Anfang, wie am Anfang der zwei vorhergehenden Offenbarungen, von Abraham »sehen«, und zum erstenmal in einer der Offenbarungen wird er nicht JHWH sondern Elohim genannt: es ist der verhüllte Gott, der sich erst dann offenbaren wird. Dies ist aber zugleich der zweite Eckpfeiler dieser großen Architektur. Er hat zur Grundlage dieselben Motive wie die erste. In der ersten und in der letzten der Offenbarungen schickt Gott, dort der noch Unbekannte, hier [22, 2] der vertraut Ge-

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wordene, Abraham mit dem gleichen Rufe aus: »Geh vor dich hin!« – mit einem Satz, der überhaupt nur diese beiden Male in der Schrift zu finden ist. Dort ruft er ihn so an, um von ihm – am Anfang der Erprobungen – zu fordern, daß er sich von der Vergangenheit, von der Welt der Väter scheide, hier – am Ende der Erprobungen –, daß er sich, entgegen der ihm von ebendiesem Gott gegebenen Verheißung, von der Zukunft, der Welt der Söhne scheide. Beidemal sagt Gott dem Menschen nicht, wohin er ihn schickt; hernach, unterwegs will er ihm das Land zeigen, das sein Ziel ist, will er ihm den Berg ansagen, der sein Ziel ist; ins Ungewisse schickt Gott den Menschen aus dem Leben der Erinnerung, ins Ungewisse aus dem Leben der Erwartung, nur daß der Mensch dort weiß, er geht in die Verheißung, und daß er hier weiß, er geht in die, soweit er sehen kann, Aufhebung der Verheißung, und zwar durch seine eigene Tat, die unmenschliche Tat, die er auf Gottes Geheiß tun soll. Aber hier wie dort antwortet Abraham auf die Forderung nicht mit einem Wort, sondern mit einer Handlung, der gleichen hier wie dort: »und er ging«, heißt es hier wie dort. Und nun tut sich das Leitwort »sehen«, das uns durch alle Stationen dieses Gottes- und Menschenwegs begleitete, in seiner ganzen Tiefe und Bedeutung auf. Noch öfter als in irgendeinem früheren Abschnitt kehrt es in diesem wieder. Abraham sieht den Ort, wo die Tat vollzogen werden soll, von fern. Auf die Frage des Sohns antwortet er, Gott werde sich das Lamm zum Opfer ersehen. Im erlösenden Augenblick hebt er die Augen und sieht den Widder. Nun aber ruft er über dem Altar als den Namen, der dieses Ortes, des Berges Moria, unvergängliches Wesen ansagt: JHWH sieht. Der Erzähler aber bezieht es darauf, daß man zu seiner Zeit zu sagen pflegte: »Auf JHWH’s Berg wird gesehen«. Gott sieht den Menschen und der Mensch sieht Gott. Gott sieht Abraham und erprobt ihn mit seinem Sehen, als den Bewährten und Ganzen, der vor ihm einhergeht und nun, am Ende des Wegs, auch diesen Ort, den Tempelberg, mit seiner Tat für Gott erobert; Abraham sieht Gott mit dem Blick seiner Tat und erkennt ihn, wie Mose ihn, die Glorie »von hinten« sehend, erkennen wird, als den Gnädigen und Barmherzigen. Schon die ägyptische Magd hatte den Gott gepriesen, der sie sieht und »hinter dem« sie hersieht; nun aber erschließen sich uns unmittelbar die Gegenseitigkeit des Sehens zwischen Gott und Mensch. Die gegenseitige Beziehung des Fordernden, der nur um zu segnen fordert, und des Opfernden, der im Augenblick der höchsten Opferbereitschaft den höchsten Segen empfängt, erscheint hier als die Gegenseitigkeit des Sehens: Gott sieht die innerste Wirklichkeit der Menschenseele, indem er sie durch sein Erproben hervorholt, der Mensch sieht den Weg Gottes, darauf er in dessen Fußstap-

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fen treten darf. Der Mensch sieht, und er sieht auch, daß er gesehen wird. Wenn das Mitteln zwischen Oben und Unten und zwischen Unten und Oben die eine große Eigenschaft des Propheten ist, so ist dieses Sehen die andere. Jene war in Abrahams Fürbitte für Sodom zur Vollkommenheit gediehen und Gott hatte ihn zum ersten Künder berufen. Nun aber erscheint uns, am Ende des Wegs, an dessen Stationen Erde und Himmel und Gott selber gesehen wurden, die Vollkommenheit des Sehens, als ein Sehen und ein Gesehenwerden in einem. »Den Künder von heutzutag rief man vormals Seher«, lesen wir in der Erzählung von Samuel und Saul [I Sam 9, 9]. Auch dem Sinn nach ist »der Seher« der ältere der beiden Begriffe. Zum Künder wird Abraham, aber Seher ist er im Grunde schon da, wo Gott sich von ihm zum erstenmal, zum erstenmal von einem Menschen überhaupt in der Schrift, »sehen läßt«. Als Seher geht er nun den Weg zur Vollkommenheit des Sehens. Nun, da wir mit ihm an dessen Ende stehen, schließen sich uns die Zeichen all der Erzählungen vom Sehen zu einem mächtigen Leitwort zusammen, das die Schrift, gerade weil es so wesentlich ist, nicht aussprechen, sondern von uns ablesen lassen will: Abraham der Seher. Dreierlei führt die Bibel auf Abraham zurück, das eine offenkundig: die Herkunft des Volkes, das zweite durch den Zusammenhang mit der Vorgeschichte: die Aufgabe dieses Volkes am Werden einer Völkermenschheit, das dritte durch die Andeutungen der Erzählung selbst: die Geburt der Prophetie. In der Erzählung von Abraham scheinen sich drei Überlieferungen zu vereinigen: die vom Volk bewahrte Überlieferung einer Sippe über ihren Ahnen, die von der Lehre bewahrte Überlieferung über eine göttliche Kundgebung des Wegs an dessen Anfange, und die vom Prophetenstand bewahrte Überlieferung über die Urzeit der prophetischen Gabe.

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Falsche Propheten Als Chanania das Joch vom Halse Jeremias nimmt, es zerbricht und dem Volke erklärt, so werde nach zwei Jahren Gott das Joch Nebukadnezars vom Halse aller Völker zerbrechen, geht Jeremia schweigend von dannen. Erst als Gott dann ihn mit einer Botschaft an Chanania schickt, geht er zu ihm und sagt ihm, was er ihm zu sagen hat. Immer wieder, wenn ich an diese Stelle komme, werde ich von neuem erschüttert und belehrt. Jeremia ist unter den Propheten der, der sich vom Mutterleib an zu seinem Amt auserlesen weiß – der Schwere der Geschichtsstunde und ihrer Entscheidungen gemäß. Er hat verspürt, daß die Hand Gottes seinen Mund berührt und ihn damit befähigt, Gottes Worte zu sprechen. Er hat von Gott selber gehört, er habe ihn »über die Völker, über die Königreiche« bestellt, ihm also werde jeweils das göttliche Urteil, das sich in der Geschichte verwirklichen soll, mitgeteilt. Und nicht genug daran: das Joch, das Chanania zerbrach, hatte Jeremia auf das Geheiß Gottes seinem Halse aufgeladen zum Zeichen, daß die Völker in dieser Geschichtsstunde durch Gottes Willen Nebukadnezar, dem sonderbaren »Knechte« Gottes, untertan seien. Und dennoch, trotz alledem, schweigt er, da das Joch zerbrochen ward, und geht. Er geht, um auf das Wort Gottes zu horchen. Warum geht er? Offenbar doch, weil er, trotz allem, nicht Bescheid weiß. Jeremia hat ihn reden hören, wie einer redet, der Bescheid weiß. Aber er, Jeremia, weiß, trotz allem, nicht Bescheid. Gewiß, Gott hat vor einer Stunde zu ihm gesprochen. Aber jetzt ist eine andere Stunde. Geschichte geschieht, und Geschichte bedeutet, daß eine Stunde nicht der anderen gleicht. Gott handelt in der Geschichte, und Gott ist nicht ein Apparat, der, einmal aufgezogen, so lange gleichmäßig läuft bis er abgelaufen ist, sondern er ist ein lebendiger Gott. Auch das Gotteswort einer Stunde, dem man dadurch gehorcht, daß man sich ein Joch um den Hals legt, darf man nicht als ein Plakat dranhängen. Gott hat eine Wahrheit, die Wahrheit, aber er hat kein System. Seine Wahrheit äußert sich in seinem Willen, aber sein Wille ist kein Programm. Gott hat einen Willen für die Menschenwelt dieser Stunde, aber die Menschenwelt ist von ihm ebenfalls mit einem Willen begabt, mehr noch, sie ist von ihm in einem hinreichenden Maße mit der Macht ausgestattet, diesen Willen auszuführen, sie kann sich also in dieser Stunde ändern, und Gott, der sich um sie, um ihren Willen und um ihre möglichen Änderungen innig bekümmert, kann, wenn sie sich ändert, seinen Willen für sie ändern. Das heißt: die geschichtliche Wirklichkeit kann eine andere geworden sein. Man darf sich nicht auf sein Wissen verlas-

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sen. Man muß fortgehn und von neuem horchen. Jeremia weiß nicht Bescheid. Er weiß, daß er nicht Bescheid weiß. Dergleichen erzählt uns Sokrates von sich. Aber Jeremia unterscheidet sich von Sokrates dadurch, daß er dazu noch weiß, er könne von Zeit zu Zeit etwas erfahren. Auch Sokrates vernimmt zuweilen, wie er uns erzählt, die Stimme des Daimonion; aber es sagt ihm immer nur, was er nicht zu tun hat. Die Stimme, von der Jeremia etwas erfährt, sagt ihm, was er zu tun und was er zu sagen hat. Wenn man einmal die Stimme Chananias hört und die Stimme Gottes nicht hört, vielleicht weil »die Stimme des verschwebenden Schweigens« (I. Könige 19, 12) von jedem Chanania übertönt werden kann, tut man gut fortzugehen und zu horchen. Chanania weiß Bescheid. Er weiß die Wahrheit nicht, weil er Bescheid weiß. Was bedeutet das? Er sagt, Gott habe gesprochen, er werde das Joch des Königs von Babel zerbrechen. Woher weiß er das? Er sagt nicht, Gott habe zu ihm gesprochen. Er, der falsche Prophet, lügt nicht. Chanania ist kein Lügner, er sagt die Wahrheit, die er weiß; das Schlimme ist nur, daß er keine weiß und keine wissen kann, weil er nie verstanden hat, was das heißt, fortzugehen und zu horchen. Man hat ihn mit Recht eine Karikatur Jesaias genannt. Mehr noch, er ist ein Papagei Jesaias. Jesaia hatte Gottes Willen verkündigt, Assurs Joch vom Halse Judas weg zu zerbrechen (10, 27). Daraus schließt Chanania, Gott habe versprochen, das Joch Babels zu zerbrechen; denn die Lage ist doch die gleiche. Aber die Lage ist nicht die gleiche. Als Jesaia das Wort gesprochen hatte, war Israel eine geschichtliche Aufgabe zugedacht, nicht was man eine religiöse Aufgabe zu nennen pflegt, sondern eine das ganze Volksleben durchdringende innerpolitische und außenpolitische Aufgabe; es wurde von der Generation Hiskias erwartet, daß sie diese Aufgabe annehme und erfülle; es sah aus, als ob sie sie annehmen und erfüllen wollte. Das ist nicht geschehn. Von der Generation Josias, die sie annahm, war die Aufgabe den geänderten geschichtlichen Voraussetzungen nach nicht mehr zu erfüllen. Was sich aus dem Mißglücken ergab, hat zu der Lage geführt, von der aus und für die Jeremia die Forderung ausgesprochen hat, nunmehr das Schicksal anzunehmen und es durch vollkommene Umkehr in seinem letzten Sinn zu erfüllen, also das Joch Babels auf sich zu nehmen und in der Unfreiheit die neue Freiheit, die wahre Freiheit zu bereiten. Später, nach der Katastrophe, nach dem Beginn des Exils, hat Jeremia demgemäß einem sich wandelnden Geschlechte selber das Zerbrechen des Jochs Babels von seinem Halse weg verheißen; so war es wahr geworden. Aber Chanania wußte von alledem nichts. Für ihn war Gott ein prinzipientreuer Mann, der sich durch sein Jesaia gegebenes Versprechen festgelegt hatte. Er hatte zugesagt, er wolle »diese Stadt«

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schützen; so lassen ihn nun, in dieser ganz anderen Geschichtsstunde, die falschen Propheten sagen, er wolle Israel »an diesem Ort« einen wahren Frieden geben. Chanania weiß nicht, daß es so etwas, eine ganz andere Geschichtsstunde, gibt. Er weiß nicht, daß es Schuld gibt, Schuld, durch die man die Aufgabe einer Stunde versäumt; darum weiß er nicht, daß etwas, was war, nun nicht mehr ist. Er weiß freilich auch das nicht, daß es Umkehr gibt, durch die man eine Möglichkeit, die eben noch nicht bestand, empfängt. Er kennt die geschehende Geschichte nicht. Er kennt nur das rollende Rad, nicht die Waage und das Zünglein an der Waage, das wie ein Menschenherz zittert. Chanania ist ein aufrichtiger Patriot; Patriot sein heißt seiner Überzeugung nach so wie er sein. Seiner Überzeugung nach fehlt es Jeremia an Vaterlandsliebe; denn wie könnte er sonst seinem Volke zumuten, den Hals unters Joch zu legen? Aber Jeremia hat die konkrete Sorge um das, was ist: »Warum soll diese Stadt eine Ruine werden?« (Jeremia 27, 17). Chanania hat keine solche Sorge; dafür hat er seinen Patriotismus, der solche Sorgen nicht gestattet. Was er Vaterland nennt, ist ein politischer Begriff; Jeremias Vaterland ist eine Menschensiedlung, lebendig und sterblich. Sein Gott will nicht, daß sie sterbe. Unterm Joch will er sie am Leben bewahren. Chanania hält sich für einen großen Politiker, denn es gelingt ihm seiner Überzeugung nach, in der Stunde der Gefahr die Widerstandskräfte des Volkes aufrecht zu halten. Tatsächlich aber gelingt es ihm nur, eine Illusion aufrecht zu erhalten, mit deren Zusammenbruch die ganze Kraft des Volkes zusammenbrechen wird. Jeremia will Israel eben davor retten. Es gibt keinen anderen Weg zum Heil als den steilen und steinigen über die Erkenntnis der Wirklichkeit. Die Füße bluten, und der Schwindel droht, aber es ist der Weg. Die wahren Propheten sind die eigentlichen Realpolitiker, denn sie verkündigen ihre politische Botschaft von der ganzen geschichtlichen Wirklichkeit aus, die zu schauen ihnen gegeben wird. Die falschen Propheten, die Illusionspolitiker, reißen mit der Macht ihres Wunsches einen Fetzen aus der geschichtlichen Wirklichkeit und weben ihn in ihre bunte Illusion ein. Wenn sie ihre Suggestionswirkung ausüben wollen, zeigen sie die prächtigen Farben vor; und wenn man sie nach dem Wahrheitsgehalt fragt, ziehen sie den Fetzen nach oben. Die falschen Propheten haben es durch ihre Illusionspolitik schon in den Tagen Hiskias verhindert, daß die zuständigen Menschen sich der ungeheuren Aufgabe ganz bewußt wurden und sich entschlossen, sie wirklich anzunehmen und das Volk zu ihrer Erfüllung zu erziehen. Sie haben von Jesaias Botschaft nur die Verheißung ohne die in jeder pro-

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phetischen Heilsbotschaft eingeschlossene Bedingung für ihre Dauer populär gemacht, sie haben aus der sicheren Verheißung für ein seine Aufgabe erfüllendes Israel die unbedingte Verheißung der Sicherheit für alle Zeit gemacht. Als nun in Folge der Herrschaft dieser Illusion alles gekommen ist, wie es gekommen ist, wirken sie der Betretung des jetzt noch offenen Wegs, das Schicksal anzunehmen und es dadurch zu verwandeln, durch die Anpassung alter und Herstellung neuer Illusionen entgegen, die verblenden, Wege vorgaukeln, wo keine sind, und den einzigen offenen übernebeln. Davor steht Jeremia mit seinem ohnmächtigen Wort. Wie arm ist die eine Wirklichkeit den tausend Träumen gegenüber. Die falschen Propheten sind nicht gottlos. Sie beten den Gott »Erfolg« an. Sie bedürfen selber immerzu des Erfolgs und erlangen ihn, indem sie ihn dem Volk verheißen; aber sie sind auch ehrlich um den Erfolg für das Volk beflissen. Die Sucht nach dem Erfolg beherrscht ihre Herzen und bestimmt, was daraus aufsteigt; das ists, was Jeremia »den Trug ihrer Herzen« nennt: sie trügen nicht, sie werden getrogen und können in keiner anderen Luft atmen als in der dieses Trugs. Die wahren Propheten kennen den kleinen aufgeblasenen Götzen Erfolg durch und durch; sie wissen, daß zehn Erfolge, die nichts als Erfolge sind, eine Niederlage ergeben können, hingegen zehn Mißerfolge, wenn der Geist sich in ihnen bewährt, einen Sieg. Sie selber können, so wie sie zum Volke reden, zumeist keinen Erfolg erringen, alles, was erfolgssüchtig ist im Volk, widerstrebt ihnen; aber wenn sie in die Grube geworfen werden, steht alles in Flammen, was es noch an Seele in Israel gibt, und in aller Stille beginnt die Umkehr, die mitten in der tiefsten Not zur Erneuerung führen wird. Der falsche Prophet lebt vom Traum aus und verfährt, als ob der Traum die Wirklichkeit wäre. Der echte Prophet lebt vom wahren Worte aus, das er vernimmt, und muß es behandeln lassen, als ob es nur für irgendeine »ideologische« Sphäre, »Moral« oder »Religion«, aber nicht für die Wirklichkeit des öffentlichen Lebens Geltung hätte. Wir haben in dieser Stunde keinen Jeremia. Wir haben auch keinen Micha ben Jimla. Aber Chanania oder seinem etwas weiter rechtsstehenden Gesinnungsgenossen Zidkija, dem Sohn Kenaanas mit dem Hörnerpaar aus Eisen oder Pappe auf der Stirn und eitel Wind im Munde begegnest du an jeder Straßenecke, in glänzender und in unscheinbarer Gestalt, – es ist immer derselbe. Sieh ihm ins Gesicht wie einer, der sagt: Ich kenne dich! Er wird das Auge nicht niederschlagen. Aber wenn er das nächstemal wieder seinen Traum träumt, wird er sich mitten darin vielleicht von

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deinem Blick getroffen fühlen und aufschrecken. Und wenn er das nächstemal wieder seinen Traum als das Wort Gottes erzählt, wird er sich vielleicht verheddern und innehalten. Wohl nur einen Augenblick lang. Aber solche Augenblicke der anfangenden Besinnung sind wichtig.

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Im Sommer 1938, bald nachdem ich das Lehramt für Sozialphilosophie an der Universität Jerusalem angetreten hatte, erhielt ich von Prof. Gerardus van der Leeuw in Groningen die Aufforderung, für ein von ihm geplantes holländisches Sammelwerk »Die Religionen der Welt« die Religionsgeschichte Israels zu bearbeiten. Die Pflichten des auch dem Fach nach für mich neuen Amtes (Lehrauftrag und Professur an der Universität Frankfurt a. M. – bis 1933 – hatten auf Religionswissenschaft gelautet) machten es mir schwer, der Einladung Folge zu leisten. Daß ich es nach einigem Zögern doch tat, war durch die Tatsache veranlaßt, daß ich unter den vorgesehenen Mitarbeitern sowohl der einzige Nichtholländer wie der einzige Nichtchrist war: das machte den symbolischen Charakter des Auftrags evident und gebot die Annahme. So ging ich an die Arbeit, die ich – weil es mir innerhalb des religionsgeschichtlichen Bereichs um Glaubensgeschichte im besondern geht – »Der Glaube Israels« benannte, und schrieb sie in verhältnismäßig kurzer Zeit nieder, mußte aber, am Schlusse angelangt, merken, daß sie für ihren Zweck viel zu umfangreich geworden war. Ein Freund unternahm es, sie zu kürzen 1 , und der so entstandene Text wurde abschnittweise nach Amsterdam gesandt, wo er übersetzt werden sollte. Den letzten Abschnitt, der das Leidensmysterium behandelt, erhielt ich von der Post als unbestellbar zurück: inzwischen war Holland von den Heeren Hitlers besetzt worden. Ich war nun gewiß, daß das Sammelwerk, wenn überhaupt, dann jedenfalls ohne meinen Beitrag erscheinen würde; merkwürdigerweise ist er – wie ich erst nach Kriegsende erfuhr – in der unter dem deutschen Regime publizierten Erstauflage enthalten (in der zweiten von 1948 steht nun auch der Schlußabschnitt). Ich hatte aber, noch während der Abfassung, die ungekürzte Fassung hebräisch bearbeitet, und zwar so, daß sie sich ausgesprochenerweise auf die Darstellung des prophetischen Glaubens – unter Einschluß seiner spezifischen Vorgeschichte – bis zum Ende des babylonischen Exils beschränkte; das Buch erschien in Tel-Awiw 1942 (die 1949 in New York veröffentlichte englische Ausgabe ist daraus übersetzt worden). Nun bearbeitete ich auch den deutschen Text dem hebräischen entsprechend. Ich lege ihn nunmehr vor. *

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Ich benütze diese späte Gelegenheit, um Dr. Moritz Spitzer meinen Dank auch öffentlich auszusprechen.

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Ich habe mir, wie gesagt, eher eine spezielle glaubensgeschichtliche als eine umfassende religionsgeschichtliche Aufgabe gesetzt – weshalb zum Beispiel das Problem des »primitiven« Prophetentums (das man als das vorpersönliche bezeichnen kann) hier nur beiläufig behandelt, das der »Kultpropheten« nur gestreift wird. Man wird aber meine Ansicht über das erstere in dem Kapitel »Um die Theokratie, 2. Das zweite Stadium« meines Buches »Königtum Gottes« (2. Auflage, Berlin 1936) dargelegt finden. Die Erörterung des zweiten würde eine gesonderte Behandlung erfordern; es sei hier nur angedeutet, daß mir die eigentliche – freilich an der Hand des spärlichen Materials nur sehr unvollständig zu beantwortende – Frage dahin gerichtet erscheint, welcher Art und welchen Verlaufs die Versuche waren, die vom Hof und von der Priesterschaft aus zur Zähmung der prophetischen Glaubensgewalt unternommen worden sind; die Vergleichung mit Institutionen anderer semitischer Völker 2 kann uns nur Formen zeigen, die von jenen Instanzen in der Kultur der Umwelt vorgefunden und zweckentsprechend verwendet worden sind, und ohne solche Betrachtung von Zwecksetzung und Mittelgebrauch wird man gerade der geschichtlichen Perspektive nicht gerecht. Einige religionsgeschichtlich vergleichende Bemerkungen über die wesentliche Gestalt der israelitischen Propheten sind in dem ersten Teil meines Vortrags »Sinnbildliche und sakramentale Existenz im Judentum« (EranosJahrbuch 1934, in etwas veränderter Fassung in mein demnächst auch in deutscher Ausgabe erscheinendes Buch »Die chassidische Botschaft« aufgenommen) enthalten.

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* Es ist immer wieder darauf hinzuweisen, daß der Glaube Israels nur dann in seiner Wirklichkeit begriffen werden kann, wenn man sich die doppelte Gotteserfahrung dieses Volkes in aller Konkretheit vergegenwärtigt. Die eine Erfahrung, die es als Volk macht, ist die der Wandernden: unser Gott geht uns voran, wir gehen ihm nach, der Weg ist sein Weg, es ist an uns, ihm auf seinen Wegen zu folgen. Es ist ein herausholender, führender, wegweisender Gott, dessen Schritt zwischen dem einen rechten und den unzähligen falschen Wegen scheidet; und dies bleibt er – dadurch von allen wanderschaftanführenden westsemitischen Stammesgöttern entscheidend abgehoben – bis in alle Höhen des religiösen Ethos hinein, als welche im westsemitischen Bereich nur hier kundbar 2.

S. insbesondere Haldar, Associations of Cult Prophets among the Ancient Semites (1945).

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geworden sind. Die zweite, von dieser freilich unlösbare Erfahrung macht das Volk in seinen Einzelnen, in den »Kündern«: den Künder, den Nabi, redet sein Gott an und redet durch ihn das Volk an. Er spricht durch ihn je und je seine »Weisung« (thora), seine Wegweisung aus, die ja der jeweiligen Interpretation durch den Menschenmund bedarf. Er holt den von ihm Berufenen aus der natürlichen Ruf-Taubheit des Menschen heraus, immer neu »weckt er ihm das Ohr« (Jesaja 50, 4), daß er als treuer »Lehrling« das zu Vernehmende vernehme. Mitten aus dem brennenden Dornbusch des geschichtlichen Geschehens redet die Stimme zu ihm; er hat sie zu dolmetschen, hat es zu deuten, je und je als Stationen des Wegs, an denen das Volk diesen betreten oder erneut verfehlen kann. Der Nabi redet durchaus als ein um dieser seiner Rede willen Angeredeter. Er redet nicht, wie in der Spätzeit Israels der Apokalyptiker, der an erscheinende Engel rhetorisch ausgearbeitete Fragen zu richten und ebensolche Auskünfte zu erhalten pflegt, in sein Buch hinein, ohne zu wissen, zu wem er redet: der Nabi redet zum Volk, das die unmittelbare göttliche Anrede nicht zu vernehmen vermag oder sie nicht ertrüge (vgl. Exodus 20, 19). Er, der Künder, spricht das Wort immer wieder zu diesen bestimmten Menschen da vor ihm, in denen sich Israel darstellt; und wenn er es dann etwa niederschreibt (vielfach tun es andere und oft wohl erst am Ende einer langen mündlichen Ueberlieferung, um das ursprüngliche Wort vor den immer mehr drohenden Entstellungen zu bewahren), geschieht das wieder für bestimmte Menschen – immer in einer bestimmten, historisch gegebenen und als solche deutbaren Situation. Was er von der Zukunft zu sagen hat, ist an diese Situation alternativisch gebunden. Er darf seinen Auftrag nicht – wie es der Apokalyptiker in seinen Exaltationen zwischen Vision und Literatur wagt – darin erblicken, er solle, über die Zeit erhoben, den kommenden Aeon »enthüllen«: er sagt ein latentes Schicksal an, und zwar von der alternativischen Dynamik der gegenwärtigen Stunde aus und zugleich auf sie hin. In der Zeitdimension, die das Wort ihm auftut, gibt es keine festgelegte und als solche vorhersagbare Zukunft: in seiner Rede steht er immer in dem Punkte der Zeit, wo sich das Schicksal entscheidet, an welcher Entscheidung die Menschen da vor ihm durch ihre Entscheidung teilhaben. Mit seinem Sprechen des Worts stellt er sie vor die Entscheidung zwischen dem Weg und den Wegen. Und wenn er mit der äußersten Genauigkeit ein zeitlich fixiertes und unabdingliches Verhängnis anzukündigen scheint, es bleibt noch Raum für das trotz allem hoffende »Wer weiß!« der Niniviter (Jona 3, 9), Raum für die Umkehr des Menschen von seinen Wegen zum Wege Gottes – und für dessen »Umkehr« zur Gnade. So wird das Verständnis der Prophetie Israels

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letztlich nur ermöglicht durch das – freilich mit Notwendigkeit stets nur ahnungsartige – Wissen um das biblische Geheimnis des faktisch erschaffenen und damit freigegebenen Menschen als der mit ihren Entscheidungen in die Entscheidungen des Gotteswegs mit hereingenommenen Kreatur und der auf ihn wartenden Gnade. Dieses Geheimnis gewinnt eben in der Prophetie seinen äußersten paradoxen Ausdruck: der iranischen zahlenmäßigen Zeitbestimmung der Phasen im Weltkampf zwischen Licht und Finsternis und des dereinstigen endgültigen Sieges des Lichts, ihr und allen Fristansetzungen der Apokalyptik steht hier das völlig ziffernlose Mysterium der messianischen Zukunft unreduzierbar gegenüber.

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Jerusalem, im Sommer 1950 Martin Buber

Aus technischen und anderen Gründen ist die Transkription semitischer Wörter nach Möglichkeit vereinfacht worden. 15

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Die Aufgabe dieses Buches ist, eine Glaubenslehre, die zu ihrer vollendeten Gestalt bei einigen Schriftpropheten von den letzten Jahrzehnten des Nordreichs bis zum Ende des babylonischen Exils gelangt ist, sowohl im Gang ihrer Geschichte als auch in ihrer Vorgeschichte darzustellen. Es ist die Glaubenslehre von der Beziehung zwischen dem Gott Israels und Israel. Ihre Anfänge sind nicht bei den frühen Schriftpropheten zu finden. Diese bringen überhaupt keine neue Lehre, sie gestalten nur eine empfangene Lehre nach den wechselnden Situationen und deren Anforderungen aus. Aber wo sind die Anfänge dieser Lehre? Wir können unsere Untersuchung nicht mit den Urstadien des israelitischen Glaubens, das heißt mit einem von der Forschung im allgemeinen als problematisch behandelten Gegenstand, beginnen. Um einen gesicherten Ausgangspunkt zu gewinnen, müssen wir versuchsweise bei dem ersten Stadium einsetzen, von dem eine als Ausdruck ihrer Epoche unanzweifelbare Urkunde zu uns gelangt ist. Wir haben diese zu befragen, was der Glaube Israels in jener Zeit gewesen sei, und sodann zu prüfen, ob dieser Glaube bereits den Wesenskern der prophetischen Lehre enthalte oder nicht. Wird die Antwort darauf eine bejahende sein, dann wird es uns obliegen, Schritt um Schritt zurückzugehen, um zu finden, in welchen früheren Epochen wir die Existenz eines so beschaffenen Glaubens, wiewohl freilich in einem primitiveren Stande, voraussetzen können, und uns so fortzutasten, bis wir ein Stadium erreichen, das wir als das des Ursprungs ansehen dürfen. Auf allen diesen Stufen werden wir etwas nicht bloß über das Werden jener Glaubenslehre, sondern auch über ihr Wesen ermitteln. Damit wird die erste Teilaufgabe erfüllt sein. Nun können wir uns der zweiten und größeren zuwenden: auf dem Weg der Glaubensgeschichte Israels von ihren Anfängen vorzuschreiten und zu erforschen, wie sich auf diesem Weg jener Kern der prophetischen Lehre zur vollständigen Form entfaltet. Wir finden dabei, daß an jedem Merkstein, der den Namen einer Person trägt, diese als nabi, als »Künder« oder Prophet, bezeichnet ist. Wohl soll dieser Titel jene Personen als Mittler charakterisieren, die das Wort der Botschaft vom Himmel zur Erde bringen und das Wort der Bitte von der Erde zum Himmel heben. Darüber hinaus aber waltet hier offenbar eine bestimmte Tendenz der Schriftpropheten, die in hohem Maße an der Abfassung oder Redaktion der Erzählungen über jene Personen beteiligt waren. Es ist die Tendenz, uns die großen Gestalten der Vergangenheit, aus deren Munde die prophetische Glaubenslehre in einem ihrer Vorstadien überliefert ist, als Menschen von prophetischer Art zu offenbaren. Diese Ten-

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denz aber bedeutet im Grunde, wie wir im Fortgang unserer Untersuchung sehen werden, nicht eine nachträgliche Umfärbung der Wirklichkeit, sondern die Erkenntnis geistesgeschichtlicher Tatsachen. Und nun beginnt die historische Darstellung der prophetischen Glaubenslehre selber in ihren wesentlichen Kundgebungen. Diese Darstellung ist eine historische, weil sie jede dieser Kundgebungen an ihren besondern Platz stellt und zeigt, wie die ihr vorangehende auf sie und sie auf die ihr nachfolgende einwirkt. Es ist uns hier nicht um diese oder jene individuelle Prägung, sondern um den Weg des Glaubens zu tun. Im zweiten Teil hatten wir zu berichten, wie mit der Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Potenzen im Niederlassungslande die Lehre dieses Glaubens in die »großen Spannungen« und damit in eine innere und äußere Problematik eintrat, zugleich aber, wie sie sich in diesem ihrem Ringen erweiterte und vertiefte. Und da wir hierher gelangt sind, ist es uns aufgegeben, die »Wendung zur Zukunft«, das heißt die Prophetie im engeren Sinn, die sich mit der Zukunft befaßte, zu schildern. Es ist das Widerstreben der Stunde gegen die prophetische Glaubenslehre, das das Herz des Propheten der Zukunft zuwendet, als die diese Lehre verwirklichen wird. Doch ist das Verhältnis des Propheten zur Zukunft nicht ein voraussagendes. Prophezeien heißt, die Gemeinschaft, an die das Wort gerichtet ist, unmittelbar oder mittelbar vor die Wahl und Entscheidung stellen. Die Zukunft ist nicht etwas gleichsam schon Vorhandenes und daher Wißbares, sie hängt vielmehr wesentlich von der echten Entscheidung ab, das heißt von der Entscheidung, an der der Mensch in dieser Stunde teilhat. Wenn der Prophet das Heil als ein Künftiges verkündet, setzt er die »Umkehr« der Gemeinschaft, ihre positive und völlige Entscheidung, in diesem Geschlecht oder in einem der kommenden, voraus. Ich betone das Wort »Gemeinschaft«, weil es auch da, wo zu Einzelnen geredet wird, auf die Verwirklichung im Gesamtleben der Gemeinschaft ankommt. Naturgemäß vollzieht sich hier eine Wandlung, wie sie sich in der Mitte des zweiten Teils vollzog: dort durch die Entstehung des Staats, hier durch dessen Krisis und Katastrophe. Aus den Leidenstiefen der Gemeinschaft taucht die Erscheinung ihres Gottes als eines Gottes der Leidenden auf. Wie wir dem Propheten und seiner Glaubenslehre zuzuschreiben haben, daß der Führergott von Halbnomaden als der Gott eines Agrarstaats erschlossen wird, ohne daß an seinem Wesen ein Anflug von dem der lokalen Götter Kanaans haften bliebe, so auch daß er nun, da er sich als Gott der Leidenden zeigt, in seiner Weltübermacht nicht verkürzt wird. Im zweiten Teil führt uns ein Abschnitt über die Gestalten der Propheten hinaus: in dem »Kampf um die Offenbarung« gibt sich der Ein-

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fluß der frühen prophetischen Glaubenslehre in der didaktischen Erzählung von der Urzeit der Welt zu erkennen. Ebenso führt uns im dritten Teil ein Abschnitt über die Prophetie hinaus: er weist auf, wie »die Frage«, die Frage der leidenden Gemeinschaft nach dem Sinn ihres Leidens, die prophetische Glaubenslehre in sich aufnimmt und wie sie ihren persönlichsten Ausdruck in der didaktischen Dichtung und im Psalm gewinnt. Die Verwertung der biblischen Texte für unseren Zweck ist dadurch ungemein erschwert, daß wir sie großenteils nicht zu datieren vermögen. Insbesondre innerhalb der Reihe der erzählenden Bücher wissen wir nicht, inwiefern die Zeitfolge ihrer Abfassung der Zeitfolge des in ihnen Berichteten entspricht. Das heißt aber, wir können mit sprachgeschichtlichen und literaturgeschichtlichen Mitteln nicht feststellen, ob die Darstellung eines frühen Stadiums der Religion das Gepräge einer ihm nahen Epoche trägt, oder aber einer späten, die ihren eigenen Charakter oder ihre eigenen Träume in jene Frühzeit nur »projiziert« hat. Der große Versuch der modernen Wissenschaft, die einzelnen erzählenden Bücher, vornehmlich die des Pentateuchs, als ein Geflecht aus Stücken von »Quellenschriften« zu erweisen, die man einigermaßen zu datieren unternimmt, hat nicht zu einer Ueberwindung dieser Schwierigkeit geführt. Zunächst ist es keineswegs gelungen, die Existenz mehrerer in sich zusammenhängender Schriften zu erweisen, von denen Teile, Abschnitte, Sätze miteinander verschränkt worden seien; was wirklich zu erkennen ist, sind mehrere Grundtypen der literarischen Traditionsbearbeitung, von verschiedenen Bearbeitungstendenzen bestimmt. Die wichtigsten sind: erstens ein wesentlich hofprophetisch fundierter, dem es um die gottgewollte Vorgeschichte des großisraelitischen Reiches zu tun ist, zweitens ein wesentlich freiprophetisch fundierter, dem es um die Vorgeschichte des Waltens des Gottesgeistes durch die von ihm Ergriffenen zu tun ist, und drittens ein wesentlich priesterlich fundierter, dem es um die Vorgeschichte der Heiligtümer, der heiligen Institutionen und der heiligen Bräuche zu tun ist. All dies sind, wie gesagt, Typen und Tendenzen der Bearbeitung einer bereits schriftlich gewordenen Tradition, immerhin noch verhältnismäßig frühe Typen und Tendenzen, die selbst wieder eine weitere Geschichte haben. Aber wären es sogar wirklich eindeutig datierbare Quellenschriften (wozu dann ebenfalls datierbare Einschaltungen und Redaktionen kämen), so wären damit eben doch nur Schichten der literarischen Entwicklung, nicht solche der religiösen, festgestellt. Um über die letzteren etwas zu erfahren, müssen wir uns mit dem Problem der Tradition selber befassen.

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Ist das wissenschaftlich möglich? Wie ist es möglich? Beginnen wir damit, eine notwendige Abgrenzung vorzunehmen. Glaubensgeschichte Israels wird in der Bibel naturgemäß erst von den »Vätern« an erzählt. Das Vorausgehende kann für unsere Absicht nur den Wert einer Aeußerung israelitischer religiöser Anschauung, israelitischer Vorstellungen von der Urzeit der Schöpfung und der frühesten Begebenheiten zwischen Gottheit und Menschheit haben; mit der Wanderung der Terachiden beginnt aber ein Teil der Erzählung, dem gegenüber die Frage erlaubt und geboten ist, ob er nicht auch in irgendeinem Maße den direkten Wert eines Berichts über glaubensgeschichtliche Vorgänge habe, ob nicht somit von da an eine doppelte Betrachtung und Auswertung der erzählenden Texte angemessen sei, eine, die sie in ihrem Charakter als Ausdruck der Tendenzen in der Bearbeitung der Tradition behandelt und an die Datierungsprobleme gebunden ist, und eine, die sie in ihrem Charakter als Bericht behandelt und von Datierungsproblemen relativ unabhängig ist, wenn und soweit die Texte geschichtsnahe Tradition enthalten. Gegen diese Fragestellung kann nicht eingewandt werden, daß es sich »nur um Sagen« handle. Geschichtssang und Geschichtssage sind vielfach, so auch im Nahen Orient sehr oft, die natürlichen Formen einer volkstümlichen mündlichen Bewahrung »historischer«, das heißt für den Stamm lebenswichtiger Ereignisse. Sie sind mitsammen die überwiegende Art der Festhaltung geschehender Geschichte, solange das Stammesleben stärker ist als die Staatsordnung; sobald diese stärker wird, pflegt die Ausbildung annalistischer Geschichtsschreibung im Auftrag der Regierungsgewalt jene in den Schatten zu stellen. Beide Arten, die Heldensage (in Liedversen oder in rhythmisierender »Prosa«) und die Königschronik, wollen nicht abbilden, sondern verherrlichen, was geschah. In der Sage wächst in aller Unschuld die verherrlichende, verklärende, verwandelnde Funktion von Erzähler zu Erzähler, von Erzählergeschlecht zu Erzählergeschlecht, bis die »feste Form« rezipiert ist und nun durch ein auf sie gelegtes Tabu (das, wie z. B. in der Geschichtssänger-Kaste der schriftlosen Aschanti, bis zur Todesstrafe für die kleinste Aenderung im Text und Vortrag gehen kann) gesichert wird. Kann man denn aber aus einem solchen Gebild einen Geschichtsgehalt ausschmelzen, wenn »objektive« Parallelberichte fehlen? Man kann es in einem gewissen Maße, vor allem durch Nachprüfung des sozial-kulturellen Hintergrunds; wo in dem Erzählten die jener Zeit, von der erzählt wird, eigentümliche Stufe der Wirtschafts- und Zivilisationsentwicklung deutlich hervortritt, da ist der geschichtliche Kern nicht fern; dasselbe gilt für die Nachprüfung geographischer, politischer und anderer Angaben. In

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besonderer Weise aber kann ein geistesgeschichtlicher, vornehmlich ein religionsgeschichtlicher Gehalt ausgeschmolzen werden. Hier handelt es sich ja nicht mehr um die Authentizität eines äußeren Ereignisses; wir fragen danach, ob es die religiöse Handlung oder Haltung, die religiöse Beziehung, von der berichtet wird, in der Zeit, von der berichtet wird, gegeben hat. Diese Frage kann nur mit innerreligionsgeschichtlichen Mitteln entschieden werden. Womit wir hier zu vergleichen haben, das sind frühere und spätere Stadien der religiösen Entwicklung; wir haben zu ermitteln, ob das Erzählte geschichtlich verstanden werden kann, wenn wir es als Entwicklungsglied an diese zeitliche Stelle setzen. Dazu kommt jedoch in bestimmten Fällen, die zumeist solche von außerordentlicher Bedeutung sind, ein anderes Kriterium hinzu, freilich eins, das nur mit äußerster Vorsicht und Sorgfalt angewandt werden darf: es steht nämlich gleichsam an der Grenze der Wissenschaft, es kann nicht ohne Intuition, worunter ich wissenschaftliche Intuition verstehe, zur Geltung kommen und ist daher in besonderer Weise ein Gegenstand der wissenschaftlichen Verantwortung. Ich meine das Kriterium, das in der Kategorie der Faktumseinzigkeit im strengen Sinn begründet ist. Es gibt Vorgänge, Zustände, Gestalten, Aeußerungen, Taten in der Geschichte der Religion, deren Einzigkeit von solcher Art ist, daß sie nicht als erdacht, erdichtet, erfunden, sondern nur als tatsächlich zu fassen sind. Nur eine spekulative Behandlung kann zu anderem Urteil führen; die wissenschaftlich-intuitive, das heißt nach der einer Urkunde zugrunde liegenden Konkretheit forschende und zu ihr auch vordringende Methode nähert sich hier dem leibhaften Faktum. Wir erfahren damit selbstverständlich nicht den Verlauf einer geschichtlichen Begebenheit; aber wir erfahren, daß in einem bestimmten Zeitalter, in einem bestimmten Stammes- oder Volkskreis ein unserer Einsicht nach im strengen Sinn einziges Verhältnis eines Glaubenden zum Geglaubten in einem bestimmten, ebenfalls als einzig zu bezeichnenden Stadium faktisch erschienen ist und sich in faktischem, faktisch fortwirkendem Ereignis verkörpert hat. Diese Methodik, deren Wesen ich hier nur andeuten konnte, hat uns in der Glaubensgeschichte Israels überall da zu leiten, wo uns der Text eine Tradition darbietet, die wir für geschichtsnah halten dürfen. Solchen Texten gegenüber ist es unsere Aufgabe, zunächst soweit als angängig unter die Schichten der verschiedenen Traditionsbearbeitungen und ihrer Sondertendenzen zu dringen, also eine nicht »quellenkritische«, sondern traditionskritische Arbeit zu leisten; freilich darf, was wir an Gemeinsamem vorfinden, noch nicht mit der Einheit der Tradition selbst verwechselt werden, da über die Sondertendenzen hinaus wieder und

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wieder eine (wohl unter prophetischer Führung) religiös bestimmte Kompositionstendenz, Einheitstendenz, eine spezifisch biblische Tendenz waltet, die von späteren Stadien der Glaubensentwicklung aus einen einheitlichen Grundsinn auszuprägen oder vielmehr der Intention nach wiederherzustellen sucht und die in der letzten Redaktion nur kulminiert. Man muß daher mit besondrer Sorgfalt jeder Tradition gegenüber zwischen ihrer fundamentalen Einheit, von der die verschiedenen Bearbeitungen gemäß den verschiedenen Tendenzen ausgegangen sind, und der »biblischen« Vereinheitlichung unterscheiden; diese aber darf man nicht als das späte Produkt einer aller geschichtlichen Einsicht baren Theologie behandeln, sondern es ist von Fall zu Fall nach Möglichkeit zu prüfen und zu klären, ob und wieweit ihr Werk von einer ursprünglichen Einheit beeinflußt gewesen sein mag, die sich ungeachtet der verschiedenen Bearbeitungstendenzen erhalten hat – Tendenzen, die vielfach schon in der Entstehungszeit der Tradition wirksam gewesen sind. Und nachdem wir uns unserm Vermögen nach dieser genähert haben, ist ihr glaubensgeschichtlicher Gehalt und ihr Platz im Werden der Religion zu ermitteln. In unserer Darstellung können nur Ergebnisse dieser Methodik dargeboten werden; von der Forschungsarbeit selbst ist anderswo Mitteilung geschehen und wird hoffentlich weiter geschehen.

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Das Lied der Debora 3 (Richter 5) ist fast allgemein als ein echter Geschichtssang anerkannt, das heißt als ein uns überliefertes spontanes Sich-Aussprechen, Sich-Aussingen des Menschen, der eine ungeheure historische Begebenheit erlebt hat und nun das Ungeheure rhythmisch bewältigen, es fassen, äußern, überliefern muß. Von einer verwandten, wenn auch sehr viel niedriger stehenden, unmittelbaren gesungenen Geschichtsdichtung, der der Afghanen in ihrem Aufstand gegen England vor etwa einem Jahrhundert, ist mit Recht gesagt worden, sie sei »le cri même de l’histoire« 4 . Der Sänger des Deboralieds ist dem Ereignis nicht bloß nah, er ist noch mitten drin in dessen aktuellem Vollzug, er ruft die Handelnden an, er segnet und flucht nicht um eines vormals Geschehenen willen, sondern mitten aus dem noch ungestillten Sturme des Geschehenen hervor. Seine eigenen hart dröhnenden Rhythmen empfindet er wie ein Schreiten durch den Vorgang, die singende nephesch, die Atemseele, hebt und senkt sich schwer wie der Fuß des Schwerbewaffneten; so ist jener umstrittene Ausruf (V. 21) zu verstehen, da ihm die Begeisterung den Atem zu verschlagen droht: »Tritt voran, meine Seele, mit Macht!« Dieser Geschichtssang ist ein religiöser. Ein Gott wird um eines Sieges willen gepriesen. Diese Art religiöser Lyrik kennen wir z. B. aus akkadischem Schrifttum: man dankt Marduk für Siege der Babylonier über Elam, Aschur für Siege der Assyrer über Elam und Babel, man besingt »die Waffen des Gottes« und »das Heer des Gottes«. Aber das Deboralied ist von allen religiösen Siegesliedern der Weltliteratur, die ich kenne, qualitativ verschieden. Seine Wesenseigentümlichkeit erscheint bereits unserem ersten Blick darin, daß hier ein besonderes dichterisches Formmittel einer durchaus religiösen Intention dient. Dieses Mittel ist die Wiederholung. Der frühe Gesang der Debora ist doch schon ein formmächtiges Lied: die stärkste seiner Formen ist der Refrain. Und diese Form ist offenbar nicht eine, die aus ästhetischer Motivation entstanden und dann auch in den Dienst religiöser Absichten gestellt worden wäre, sie ist, soweit wir urteilen können, vielmehr religionsgeboren. Es ist ja bekannt, daß manche frühe lyrische Form aus magischer Zwecksetzung hervorgeht, die dem Ungebundenen, Dämonischen ein Gebundenes und Bindendes entgegenrückt: das Geheimnis der Gestalt erscheint als ein Bannendes. Die 3. 4.

Ich verweise zur Deutung dieses Liedes auf meine Verdeutschung und auf mein Buch »Königtum Gottes« (2. Aufl. 1936) Kap. 8. James Darmesteter, Chants populaires des Afghans (1890) Einleitung CXCIX.

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bemerkenswerteste Formengruppe der Bibel, die Gruppe der Wiederholungsformen – Alliteration, Assonanz, Paronomasie, Leitwort, Leitsatz, Refrain usw. – hat im wesentlichen die Bedeutung, das im Sinn der religiösen Botschaft Wichtigste hervorzuheben, jeweils jenes Grundmotiv oder jene Grundmotive des Glaubens anzuzeigen, um die sich alle anderen schichten und die der die Botschaft Empfangende als zentral, mit auf sie zentralisierter Aufmerksamkeit und Andacht aufzunehmen hat 5 . Ein schönes Beispiel dafür ist der Refrain im Deboralied. Sieben Verszeilen, darunter die erste, enden mit dem Namen Israel, sieben 6 Verszeilen, darunter die zweite, enden mit dem Namen JHWH. Dazu treten ein Satzteil-Refrain und zwei Satzrefrains. Der erstere baut nur in zwei Versen, 3 und 5, einen Wortrefrain aus: »JHWH Gott von Israel«. Die beiden Satzrefrains treten stärker hervor. Der eine verknüpft, umschließend, V. 2, also den Anfangsvers des ersten Teils des Liedes, mit V. 9. Zuerst heißt es: Da Wildlocken wild wuchsen in Israel, (d. h. da man gelobte, das Haupthaar wild wachsen zu lassen, bis der Feind besiegt war) da Volk willig sich hergab, segnet JHWH! Und dann: Mein Herz, hin zu den Führern von Israel! Ihr im Volk euch willig Hergebenden, segnet JHWH! Der zweite Satzrefrain verknüpft V. 13 mit V. 23, also dem Schlußvers des zweiten Teils des Liedes. Da heißt es zuerst: Da stieg hinab, was entrann 7 , mit den Edlen das Volk, – JHWH! steig hinab 8 mir unter den Helden! Und dann, am Schluß dieses Gedichtteils: Denn sie kamen nicht zu Hilfe dem JHWH, Zu Hilfe dem JHWH unter den Helden. Der nun folgende letzte Teil des Liedes, der den Kampfplatz verläßt und zwei abseitige Vorgänge, einen den Sängern und seinen Hörern wohlbekannten und einen nur vorgestellten, ausmalt, ist refrainlos. Dafür aber schließt er mit einem Vers, der mit dem Namen JHWH auch das Grundmotiv des zweiten Satzrefrains, das des »Heldentums«, wiederauf-

5. 6. 7. 8.

Vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung (1936), passim. Die Worte »amar mal’akh JHWH«, »sprach der Bote (›Engel‹) JHWHs«, in V. 23 sind ein erklärender Einschub, der den Zusammenhang sprengt. D. h. was der Gefangenschaft (V. 12) zu entgehen vermocht hatte. Gesenius im Thesaurus hat hier eine archaische Imperativform sehen wollen; ich lese red.

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nimmt und das Lied wahrhaft zu seiner Vollendung bringt (hier ist nur noch der Name des Gottes zu hören): Schwinden werden so all deine Feinde, o JHWH! Die ihn aber lieben, sind wie der Sonne Ausfahrt in ihrer Heldenkraft. Alle Refrains des Liedes wirken in vollkommener Klarheit und Eindeutigkeit zusammen, um darauf hinzuweisen, was der Antrieb des Gesanges und der Sinn des besungenen Sieges ist: die Verbundenheit des Gottes JHWH mit dem Volk Israel. Diese Verbundenheit läßt sich, den Hinweisen des Liedes folgend, in folgende Theologeme fassen: 1. JHWH ist der Gott Israels. Israel ist das Volk des JHWH (V. 11; mit diesen so hervorgehobenen Worten schließt der erste Teil des Gedichtes). 2. Wenn Israel als Israel handelt und vollführt, ist JHWH zu »segnen«, der sich »an seiner Bauernschaft in Israel« bewährt (V. 11). 3. JHWH führt Israel, er zieht selber dessen Scharen voran, wie es in der Prosaerzählung heißt, wo Debora zu Barak spricht (4, 14): »Zieht nicht JHWH dir voran?« Sie müssen sich aber auch von ihm führen lassen, ihm »zu Hilfe kommen«. 4. Alles kommt darauf an, JHWH zu »lieben«. Die Voraussetzung dieser Sätze ist, daß Israel hier nicht einfach als eine ethnologische Einheit zu verstehen ist, sondern als eine religiös-aktive, die aber eben doch volkhaft und nicht kirchenhaft ist: zu Israel als Volk des JHWH gehören jene Stämme, die zu diesem Gott und diesem Volk halten, die sich willig hergeben, die zu Hilfe kommen. Die Rüge an die passiven Stämme (V. 15b-17) bedeutet die Scheidungs- und Entscheidungsfrage, wer zu dem JHWH liebenden Israel und wer zu den Feinden JHWHs gehöre 9 . Und andererseits ist es die Voraussetzung jener Sätze, daß JHWH die Macht hat, und zwar die ausschließliche Macht. Alle, die ihn hassen, sind verloren; die ihn lieben aber, denen gibt er – was der Sonne gegeben ist. Die Ausfahrt der Sonne ist hier nicht nur ein dichterischer Vergleich, sondern ein Hinweis auf die kosmische Herrschaft des Gottes. Der sein Volk führt, führt auch »die Sterne in ihren Bahnen« (V. 20). So deutlich, als es in der Begriffs- und Ausdruckssphäre dieses Liedes möglich war, ist hier gesagt, daß dieser Volksgott ein weltmächtiger Gott ist. Eine »monotheistische Idee« ist hier nicht konzipiert und nicht ausgesprochen, aber faktisch, in der Tatsächlichkeit des gelebten Lebens, gibt es für den Menschen dieses Liedes nur den einen Gott, und kann es nur den einen geben. 9.

Doch ist der Anfang von V. 8 kaum so zu verstehen, wie man ihn gewöhnlich interpretiert, nämlich daß das Volk sich neue Götter gewählt habe; er bedeutet wohl: »Wird Gott neue erwählen?« d. h.: Will Gott sich neue Völker statt dieses ungetreuen erwählen?

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Daß dieser Gott im Wetter herbeikommt, in einer Wetterwolke vom Süden her (V. 4), die sich über den Wagenpark des Feindes entlädt, bedeutet nicht, daß er, wie der Hadad der Syrer, »ein Wettergott«, sondern daß er der Gott auch des Wetters ist, ebenso wie er nicht, wie der Aschur der Assyrer, »ein Kriegsgott« ist, sondern nur eben auch Krieg führt, seine Feinde bekämpft und sie überwindet. Er, »der auf den finsternden Wolken reitet«, wie es in dem zum Teil dem Deboralied nachgedichteten 68. Psalm (V. 5) heißt, genau wie in den in Ugarit (Ras Schamra) aufgefundenen mythischen Epen der phönizische Regengott Alijan-Baal auf ihnen reitet (die sprachlichen Bezeichnungen sind nahezu identisch), ist kein Regengott, sondern der Gott, der auch regnen läßt. Und er kommt nicht, wie man zu erklären pflegt, vom Horeb her, wo er wohne, davon ist hier gar nicht die Rede, sondern er kommt mit dem kommenden Wetter und tritt aus dem Wetterdunkel, um die Scharen seines Volkes in den Kampf zu führen. Daß er aber sie zu führen kommt, das erscheint dem Sprecher des Liedes als eine neue Offenbarung, die ihn an die im Wetterdunkel vom Sinaiberg her gemahnt, wo der Bund zwischen JHWH und Israel geschlossen worden ist. »Die Berge wankten vor JHWH«, ruft er – und unterbricht sich, schreit auf (das ist keine Glosse, sondern wesentlicher Bestandteil des Liedes): »Ein Sinai ist dieser [dieser Berg Tabor, vgl. 4, 6] vor JHWH, dem Gott von Israel.« Wieder hat sich der führende Gott offenbart. Wie mag ihn der Sänger sich vorstellen, diesen Gott, wie er an der Spitze der Heerschar, in der vordersten Reihe der »Helden«, »hinabsteigt«, vom Tabor zu dem von der Kavallerie der Kanaanäer besetzten Kisontal? Er sagt es nicht, offenbar darum, weil man eben dies keinem Kind in Israel zu sagen brauchte, vielmehr alle, den Liedspruch hörend, dasselbe Bild sahen. Es ist dasselbe, das wir aus der unverkennbar echten (kein Volk erdenkt sich dergleichen äußerste geschichtliche Demütigung) Erzählung von der Katastrophe bei Eben ha-Eser (I Samuel 4) kennen: »die Lade des Bundes des JHWH der Heerscharen, des Cherubenthroners« (V. 4), die im Kampf voranzieht. Aus einem späteren Lied (II Samuel 22, 10 f.; Psalm 18, 10 f.) ist uns ein anderes Bild gegenwärtig: das des Herrn der – wie im 68. Psalm auf den dunkelnden Wolken – auf dem cherubgestaltigen obersten Donnergewölk reitet, das Wetterdunkel unter seinen Füßen geballt. Vom Wolkenbruch steigt er herab auf die wartende Lade, um auf den einander zugewandten Flügeln der zwei Cheruben zu thronen und da, unsichtbar, allen sichtbar, sein Volk in den Sieg zu führen, während auf sein Geheiß »vom Himmel her« (Richter 5, 20) das Wetter sich auf die Feinde entlädt und den vom Fußvolk Israels in der Abenddämmerung überraschend angegriffenen Wagen-

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lenkern, die im überschwemmten, alle Bewegung behindernden Lehmboden die Schlachtreihen umzuordnen versuchen, die ersten Sterne, groß und unheimlich aus den zerstiebenden Wolkenfetzen tretend, den Blick beirren und den Rückzug in wilde Flucht und Verderben wandeln 10 . In einem nur wenig späteren Lied verwandter Gesinnung und Bildsprache, das lange Zeit danach als Rahmenlied mit dem sogenannten Segen Mose verknüpft worden ist (Deuteronomium 33, 2-5, 26-29), heißt es an der Stelle des Geschichtsrückblicks, die dem Zeitalter der Taborschlacht entspricht (V. 26), in einem Anruf an das Volk, das hier mit einem preisenden Heilsnamen, als »Jeschurun« (von jaschar, gerade, rechtschaffen) angeredet wird: Nichts gleicht dem Gott, o Jeschurun, Der überm Himmel zur Hilfe dir reitet, In seiner Hoheit über die Dünste. »Dir zu Hilfe«, heißt es hier, »ihm zu Hilfe« im Deboralied. Nichts gleicht ihm, JHWH – das ist das Grundgefühl dieser von den Taten ihres Gottes begeisterten Sänger –, der mir, Israel, zu Hilfe kommt und mir gebietet, daß ich, Israel, ihm zu Hilfe komme, damit er mich führe. Im Schlußvers des Liedes aber (V. 29) heißt es: Selig du, Israel! wer gleicht dir, Volk, das befreit ward von JHWH, dem Schild deiner Hilfe, Und der das Schwert deiner Hoheit ist! Nichts gleicht JHWH; und nichts gleicht Israel, weil es das Volk JHWHs ist. Der himmlischen Hoheit JHWH entspricht die irdische Israels: weil JHWH ihm Schild und Schwert ist. Und das Lied schließt, nachdem es angesagt hat, daß die Feinde Israels »schrumpfen« müssen – wie am Schluß des Deboralieds die Feinde JHWHs »schwinden« müssen – mit der Verheißung an Israel, in der wieder ein Wort des Deboralieds, ein Wort jenes Anrufs an die eigne Seele (»Tritt voran, meine Seele, mit Macht!«) wiederkehrt: Du aber, über ihre Höhen trittst du voran. Der so auf seinem Weg (derekh) Vorantretende (dorekh) weiß sich geführt. Der erste Teil des Liedes (V. 2-6) greift auf die Vorgeschichte dieses Verhältnisses von Gott und Volk zurück. In Worten (V. 2), die unmittelbar auf das Deboralied (V. 4) hinweisen, wird die Theophanie vom Sinai besungen, mit der dort die Tabortat nur verglichen ward.

10. Zum geschichtlichen Vorgang vgl. Garstang, The Foundations of Bible History, Joshua Judges (1931) 298 ff.

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Zum Ursprung hin 1. Der Landtag zu Sichem

Daß der Glaube und das Glaubensverhältnis, die sich im Deboralied äußern und im Bekenntnis »JHWH der Gott Israels« ihre verdichtetste Sprachform haben, nicht im Zeitalter des Liedes entstanden sein können, bedarf keiner Darlegung; alles weist auf Früheres, längst Gefestigtes, unfraglich Gewordenes hin. Wir müssen mit der Frage nach der Entstehung den Geschichtsweg rückwärts abschreiten. Der erste Schritt bringt uns zu einem Text, der sich freilich von jenem in jedem Belange wesentlich unterscheidet. Das Lied ist seiner archaischen Sprache wegen in großen Teilen schwer verständlich, er dagegen ist sprachlich durchaus klar; andererseits ist jenes sowohl in seiner Datierung fast unanfechtbar, als auch in seiner Gestalt offenbar nahezu unverändert erhalten, er aber ist literaturgeschichtlich schwer zu erfassen und besteht – von einigen Ueberarbeitungen abgesehen – aus zwei verschiedenartigen Stücken: einem Geschichtsüberblick, der in seinem größten Teil leicht als ein Musterstück jener Predigerschule zu erkennen ist, deren spätere Entwicklung man als »deuteronomistisch« zu bezeichnen pflegt, und einem traditionsechten Bericht über ein großes Ereignis. Dieser Text ist die Erzählung von Josuas Landtag zu Sichem (Josua 24, 1-28). Ihr traditionsechter Teil berichtet die Einberufung (V. 1), das Gespräch mit den Vertretern des Volkes, dem eine nicht mehr wiederherzustellende »Gottesrede« (vgl. V. 27) vorausgegangen sein muß, und den Bundesschluß (V. 25-27), der anscheinend mit der Begründung eines zentralen Heiligtums des Stämme-Verbandes in Sichem, ebenda wo Josua einer durchaus glaubwürdig anmutenden Tradition nach schon früher (8, 30) einen Altar für »JHWH der Gott Israels« erbaut hatte, verknüpft ist. Das Zwiegespräch zwischen Josua und Volk stellt sich uns, wenn wir es von späten Elementen (wie V. 17 und 18a) freimachen, als ein dialogischer Religionsakt von einzigartigem Gepräge dar. Josua fordert das Volk auf, JHWH zu fürchten, ihm »in Einfalt und Treue« zu dienen (V. 14b ist zweifelhaft); wollten sie das nicht, so sollten sie »heute« (V. 15) sich andere Götter wählen, jene aus der Vorzeit der Stämme, als »die Väter« noch in Mesopotamien, in Haran lebten, oder die Götter der kanaanäischen Umgebung; »ich aber und mein Haus wollen JHWH dienen«. Das Volk verschwört sich, es wolle JHWH nicht verlassen, um »anderen Göttern« zu dienen; »auch wir wollen JHWH dienen, denn er ist unser Gott«. Aber Josua verweist es ihnen: so wie sie es meinen, könnten sie JHWH nicht dienen, denn er sei »heilige Gottheit«, ein »eifernder«, Ausschließ-

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lichkeit fordernder, halben, zeitweiligen Abfall ebenso wie ganzen, entschiedenen, mit Vernichtung strafender Herr. Das Volk beharrt auf seiner Erklärung. Nun heißt Josua sie die Fremdgötter, die unter ihnen sind, beseitigen; »und neigt euer Herz zu JHWH, dem Gott von Israel«. Jetzt erst erscheint im Zwiegespräch, wie schon am Anfang der Rede (V. 2), dieser Refrainspruch des Deboralieds: jetzt erst, da »alle Stämme Israels« sich um den Dienst JHWHs geeint haben, ist die Bezeichnung wieder ganz rechtmäßig geworden. Und dem stimmt das Volk abschließend ein (V. 24): »JHWH unserm Gott wollen wir dienen, auf seine Stimme wollen wir hören.« Nun erst (V. 25) »stiftet Josua dem Volk einen Bund« und »legt ihm Satzung und Recht auf«, wie es – nur diese beiden Male kommt die Wendung vor – nach dem Zuge durchs Schilfmeer (Exodus 15, 25) von Mose berichtet wird, beide Male, ohne daß etwas über den Inhalt des Aufgelegten mitgeteilt würde (zu vermuten ist dort: die Wanderregeln des Wüstenzugs, hier: die Bundesregeln für das Bundesheiligtum, für die Bundesfeste und Bundesversammlungen 11 ). Und er richtet unter der Terebinthe, die im Heiligtum steht, einen Felsblock als bezeugenden Malstein auf. Was hier im Dialog berichtet wird, ist eine geschichtliche Lebensentscheidung des Volkes, aus der die JHWH und Israel verbindende Formel »JHWH Gott Israels« aufsteigt. Bedeutet das, dies sei die geschichtliche Stunde, in der zugleich die Stämme zu Israel verbunden und Israel an JHWH gebunden worden ist? Fängt hier erst das Glaubensverhältnis von Gott und Volk an? Etwelche haben das gemeint und die Ansicht ausgesprochen, der Bund Josuas bedeute in Wahrheit den Anfang und sei zu allererst abgehalten worden 12 . Das ist unhaltbar. Von dem sakramentalen Wesen eines Bundesschlusses zwischen Gott und Volk, wie er uns in der Erzählung vom Blutbund am Sinai (Exodus 24, 8) entgegentritt, ist hier nichts berichtet; wir befinden uns hier nicht wie dort in der Atmosphäre der Geburt einer heiligen Handlung, die als objektives, Gegenseitigkeit begründendes Geschehen zwischen Oben und Unten erscheint, sondern in der einer kollektiven menschlichen Glaubensentscheidung, die keines besondern sakramentalen Aktes, sondern lediglich der gewohnten sinnbildlichen Bezeugung bedarf. Es wird hier aber auch überhaupt kein Bund zwischen Himmel und Erde mit beiderseitiger Bindung geschlossen, sondern der Selbstbindung des Volkes wird der Charakter der Bundespflicht verlie-

11. Vgl. mein »Königtum Gottes« 157 ff. 12. Bin Gorion, Sinai und Garizim (1926) S. 405.

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hen, wobei Josua keineswegs, wie man meint , »in Vertretung und im Namen des Volkes« handelt; die Konstruktion »für jemand einen Bund stiften« bezeichnet in der Schrift fast ausnahmslos eine Tätigkeit des überlegenen Partners oder seines Vertreters. Was hier vorliegt, kann nur die erste jener Bundeserneuerungen sein, wie sie uns mit besonderer Deutlichkeit der »Bundesschluß« des Königs Josia (II Könige 23, 3) vorführt: das Volk, das sich gegen den Bund verfehlt oder ihn gebrochen hat, wird neu in seine Pflicht genommen, der Gott, der ihn treu wahrte, braucht nicht neu in ihn einzutreten, er nimmt nur die Erneuerung an, indem er sie durch seinen Vertreter, hier durch den König, »vor JHWH« (wie Josua 24, 1 »vor dem Gott«) rechtskräftig entgegennehmen und damit vollziehen läßt. (Anders ist die Sprachform bei einem religiösen Staatsakt wie II Könige 11, 17, wo, wie wir es aus altarabischen Urkunden von Bundeserneuerungen kennen, der König, als zwischen Gott und Volk gestellt, beglaubigt werden soll.) Von da aus ist auch zu einer anderen, heute von einigen maßgebenden Gelehrten 14 vertretenen Auffassung des Vorgangs Stellung zu nehmen. Danach hätte der größte Teil des Volkes JHWH »bis dahin überhaupt noch nicht gekannt, mithin den Wüstenzug überhaupt nicht mitgemacht«, er sei »vielmehr einst im Lande geblieben« und habe »erst unter dem Eindruck der wunderbaren Führungen der Mose-Josua-Schar, des Ephraimstammes, sich ebenfalls dem Gotte dieses zugewendet«; dieser Teil sage nun feierlich seinen »übernommenen religiösen Traditionen« ab und entscheide sich für JHWH, wodurch er sich zugleich dem in Sichem zentralisierten Bundeskult anschließe. Nur so sei es zu erklären, daß das Volk Israel hier, als hätte es nie am Sinai gestanden, »als ein zum guten Teile noch götzendienerisches« erscheine, »das die ausländischen Götter, die in seiner Mitte sind, erst entfernen muß«. Zu diesen abzuschaffenden Göttern gehörten aber auch »alle Vätergötter Israels«: mit jenen »anderen Göttern«, denen nach V. 2 und 14 die Väter einst dienten, seien deren Sondergötter, ihre »Elim«, gemeint. Aber im Text ist nicht allein nichts von einer solchen Zweiteilung des Volkes zu bemerken (denn es geht doch nicht an, die Formel »ich und mein Haus« auf alle Stämme, die den Wüstenzug mitmachten, wären es auch nur wenige gewesen, anzuwenden); nicht allein gehen all seine Antworten im Zwiegespräch von »dem Volk« als solchem aus, sondern in der ersten dieser Antworten erklärt es (V. 16): »Fern sei es uns, JHWH zu 13. Noth, Das Buch Josua (1938) 108. 14. Vgl. insbesondere Sellin, Geschichte des israelitisch-jüdischen Volkes I (1924) 98 f.; Noth, Das System der zwölf Stämme Israels (1930) 66 ff.; Steuernagel, Jahwe und die Vätergötter, in: Festschrift für Georg Beer (1935) 63 ff.

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verlassen, um anderen Göttern zu dienen«; also hat es schon bisher zu JHWH gehalten. Und Josua nimmt darauf Bezug (V. 20), da sein »Wenn ihr JHWH verlasset und Fremdgöttern dient …« bedeutet: ihr verlasset JHWH auch dann, wenn ihr neben ihm Fremdgöttern dient – worauf das Volk antwortet: »Nicht (so), sondern (eben) JHWH (allein) wollen wir dienen«. Es geht nicht an, solche für Bestand und Zusammenhang des Gesprächs wesentliche Sätze wie dieses »Fern sei es uns, JHWH zu verlassen« als sekundär zu streichen. Unzweideutig wird hier gesagt, daß »das Volk« seinem Bewußtsein nach schon bisher, und zwar als Ganzes, zu JHWH gehalten hat; wogegen im Folgenden (V. 19) dargelegt wird, daß das für Josua kein wahrer Dienst JHWHs war: weil er nicht ausschließlich war, weil er der Forderung des »heiligen« und »eifernden« Gottes nicht entsprach. Was sie zu Josua sagen, bedeutet: Wir bekennen uns doch zu JHWH. Was Josua zu ihnen sagt, bedeutet: Zu JHWH kann man sich nicht bekennen, indem man auch andere Mächte anerkennt – entscheiden müßt ihr euch, wem ihr anhangen wollt, ihnen oder ihm; euch einbilden, ihr könntet beides zugleich, dürft ihr von diesem Augenblick an nicht mehr. Mit diesen »Anderen« können freilich nicht andere Götter im genauen Sinn, nicht »Elim« gemeint sein; denn dann könnte das Volk nicht so entschieden in Abrede stellen, es habe andere Götter im Sinn. Was also ist damit gemeint? Wodurch also hat sich das Volk gegen den Bund so verfehlt, daß er erneuert werden muß? Das Volk weiß nichts davon, daß es andere Götter angebetet hätte, weil es als Volk keine anderen hatte. Es hatte seinem Bewußtsein nach wirklich keine anderen, denn es hatte außer JHWH keine gemeinsam. Auch kein einzelner Stamm hatte andere gemeinsam; alle nehmen, soweit wir sehen, an der allgemeinen Deklaration uneingeschränkt teil. Aber in den Sippen gibt es Sippengötter, Hausgötter, Privatgötter, deren Vorhandensein nicht ins öffentliche Bewußtsein tritt. Es sind Gebilde, wahrscheinlich Masken aus Holz – die uns in Ugarit-Texten wiederbegegnende Bezeichnung tharaph, biblisch nur im Plural, th’raphim, vorkommend, scheint in späteren biblischen Texten als das »Faulende« gedeutet zu werden –, mit denen sich freilich bequemer umgehen läßt als mit dem Unsichtbaren; sie sind Glückbringer, Kraftmehrer, Orakelspender, in allen Lebenslagen leicht zugänglich, und die Frauen führen sie aus dem Vaterhaus der Sippe ihres Mannes zu. Es ist ihr Wesen, daß sie keine wirklichen Götter mit Namen, Persönlichkeit, Mythos und Kult sind, sondern durchaus Nebengötter. Sie waren Nebengötter im babylonischen, im syrischen Kulturkreis, in denen, durch die Israel gegangen ist; sie sind aus der »Fremde« mitgebracht worden; jetzt sind sie

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Nebengötter in Israel. Und eben als solche sind sie zu »beseitigen«. Wie solch eine Beseitigung vor sich geht, schildert eine Vätersage (Genesis 35, 2-4): alle »Fremdgötter« werden dem Oberhaupt der Sippe übergeben und von ihm mitsammen unter einem heiligen Baum vor der Stadt Sichem verscharrt, ebendemselben, unter dem Josua den Malstein aufrichtet. Auch hier, in der Sage, bedeutet die Handlung den Anfang einer neuen Situation. In der Geschichtserzählung bezeichnet sie eine Konzentration, die historischen Charakter hat. Religion und Politik sind hier, wie überhaupt in Israel in der Blütezeit seiner selbständigen Art, nicht zu trennen. Weil die Privatgötter die Sammlung des Volkes um JHWH beeinträchtigen, behindern sie die Konstituierung und Betätigung eines einigen, geschichtlich einig handelnden »Israel«. Besonders deutlich wird das in einem (dem älteren Teil der josuanischen Erzählung auch sprachverwandten) gut erhaltenen Stück einer im übrigen stark überarbeiteten Erzählung aus der Zeit der Philisternot unter Samuel (I Samuel 7, 3), wo dieser »dem ganzen Haus Israel« gebietet, zu JHWH mit dem ganzen Herzen umzukehren, die Fremdgötter (»und die Astarten« ist Zusatz) aus ihrer Mitte hinwegzuschaffen, ihre Herzen JHWH »zuzubereiten« und ihm allein zu dienen. Daß Josua das gleiche tut, ist Ausdruck und Konsequenz seiner Erfahrung als Volksführer und Feldherr (gleichviel, ob ihm, wie der biblische Text annimmt, alle Stämme oder nur eine kleinere Gruppe 15 unterstand). Die Landnahme ist bisher nur zu einem Teil geglückt, weil keine lebenswirkliche, aktuelle Volkseinheit der Stämme bestand, sondern ihr Leben von Sippeninteressen überzogen und Sippengöttern anvertraut war. Das Volk kann sich in der Geschichte nur behaupten, wenn es in voller Ausschließlichkeit »das Volk JHWHs«, wenn er in voller Ausschließlichkeit »der Gott Israels« geworden ist. Darum geht es schon hier, wie hernach im Deboralied, um die Entscheidung zu JHWH und zu Israel in einem. Der Stämmeverband, dem Josua die organisative Gestalt gibt, kann nur das Heiligtum JHWHs zum Mittelpunkt, nur seine Feste zu Formen seiner Zusammenkunft haben. Einen neuen Gott hat Josua den Stämmen nicht gegeben, auch nicht einem Teil von ihnen. Nicht er hat JHWH und Israel zusammengebracht. Wir müssen mit unserer Frage einen weiteren Schritt nach rückwärts in der Geschichte tun. Er führt uns zu dem Mann, als dessen Nachfolger in der biblischen Erzählung Josua erscheint.

15. Vgl. Alt, Josua, im Sammelbuch »Werden und Wesen des Alten Testaments« (1936) 1 ff.

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Wir haben bei der Befragung des Deboralieds gefunden, daß die Glaubensformel »JHWH der Gott Israels« von seiten des Gottes die Führung, das »Voranziehen« einschließt, von seiten des Volkes aber das »Sichwillighergeben«. Dieses Sichselbsthergeben gilt beiden zugleich, dem Volk und dem Gott. Man kann sich nicht zu Israel entscheiden, ohne sich zu JHWH zu entscheiden. Denn Israel gibt es nur als faktisches »Volk JHWHs«, das JHWH »zu Hilfe kommt« und JHWH »segnet«, und was nicht in diesem Sinn zum Volk JHWHs gehört, gehört nicht zu Israel. Was »zwischen den Pferchen« sitzenbleibt (Richter 5, 16), steht nicht in der Gemeinschaft, die Israel heißt. Als der eigentliche »Feind« JHWHs, für dessen Ohren offenbar auch jene Ansage des Schwindenmüssens der Feinde bestimmt ist, gilt hier der Partikularismus. Von hier aus wurden wir auf die Tradition des Geschichtsaktes zurückverwiesen, in dem JHWH als der Gott Israels proklamiert und vom Volk die radikale Entscheidung für ihn und gegen den Partikularismus gefordert worden ist. Auf dem Landtag zu Sichem ist von einem Partikularismus der Stämme nicht die Rede; der Protest Josuas ist gegen den Partikularismus der Sippen gerichtet, deren Einfluß den entschiednen Eintritt der Stämme in die Gemeinschaft und die von ihr geführten »Kriege JHWHs« behindert. Und zwar greift er ihn lediglich von der religiösen Seite her an; er wendet sich gegen die Sippengötter als gegen das Element, das die Erfüllung einer von Israel seinem Gott gegenüber übernommenen Bundespflicht bislang gestört hat, so daß nun eine Erneuerung des Bundes unerläßlich geworden ist; die Grundlage dieser Erneuerung aber kann nur eins von beiden sein: radikale Abschaffung der Sippengötter oder radikale Ausschaltung all jener Gruppen, die ihnen – gleichviel, ihnen neben JHWH oder ihnen allein – fernerhin anhangen. Von diesem Geschichtsakt der Bundeserneuerung aus werden wir auf einen des Bundesschlusses zurückverwiesen. Aus dem aus Traditionen verschiedener Art und Stufe zusammengelöteten 24. Kapitel des Buches Exodus läßt sich eine uralte Ueberlieferung herauslösen. Unter dem Berg Sinai baut Mose einen Altar, um den er zwölf Malsteine als die Sinnbilder der Stämme versammelt. Opfer wird dargebracht, und vom Opferblut sprengt Mose die eine Hälfte an den Altar, so daß der Anteil des Gottes gleichsam den Gott selber berührt, die andere hält er erst im Becken bereit, bis das Volk sich auf »die Urkunde des Bundes« verpflichtet hat, dann sprengt er sie »auf das Volk« und spricht den sakramentalen Handlungsspruch. »Da, das Blut des

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Bundes, den JHWH mit euch schloß.« Und nun steigt er mit den Vertretern Israels den Berg hinan. Da »sehen sie den Gott Israels« (die Stelle ist wohl der älteste Text, in dem diese Bezeichnung steht, die eben durch den vollzogenen Bundesschluß ihren Sinn empfängt). Der nun folgende Bericht darüber, was sie tatsächlich sehen, scheint zu bedeuten: sie sehen den von allem Wetterdunkel (20, 21) befreiten »Kern des Himmels« aufgetan, »ein Werk aus saphirnen Fliesen«, und sehen, daß der Himmel dem Gott »zu Füßen« ist. So schauen sie die Gottheit, und schauend genießen sie das heilige Mahl, essen und trinken. Die gemeinsame Schau wird hier als ein Folgevorgang des Bundesschlusses berichtet. Der Erzähler weiß, warum er die siebzig Alten nicht »JHWH«, sondern »den Gott Israels« schauen läßt. Das Volk hat sich mit seinem Spruch »Alles, was JHWH geredet hat, wir tun’s, wir hören’s« auf den Bund verpflichtet, es hat »das Blut des Bundes« empfangen: der Gott, den nun seine Vertreter schauen, ist »der Gott Israels«. Wir sind rückwärts schreitend bis zur Anfangserscheinung der Glaubensformel vorgedrungen. Aber ihr Ursprung selber kann nicht in einem erzählenden Text gefunden werden, eine direkte Aeußerung muß es sein, die ihn uns erschließt. Doch auch ein Lied, auch ein Zwiegespräch zwischen einem menschlichen Führer und dem Volk kann nur als Widerhall verstanden werden; eine überlieferte Anrede des Gottes selber muß es sein. Kennen wir eine, die wir glauben so verstehen zu müssen, dann gibt es eine Probe, durch die wir zu erkennen vermögen, ob wir sie recht verstanden haben. Ist sie das, als was wir sie verstehen, die Erschließung des Ursprungs, dann dürfen wir erwarten, die großen Glaubenselemente, die uns im Deboralied begegneten, das Voranziehen und die »Liebe«, und das, welches uns in der Rede Josuas begegnete, das »Eifern« gegen den »Dienst« »anderer Götter«, hier wiederzufinden. Nachdem man in der Literarkritik so weit gegangen war, die Entstehung des Dekalogs »im Kreis der Schüler Jesajas« zu suchen 16 oder ihn gar in die exilisch-nachexilische Zeit zu versetzen 17 , ist die besonnen kritische Wissenschaft unserer Zeit zu der Einsicht gelangt, es sei innerhalb von Exodus 20 durch Entfernung späterer Zusätze ein Urdekalog zu erschließen, »dessen Inhalt nichts enthält, was gegen seine Abfassung in der Zeit des Mose spricht« 18 . Zu diesem Urdekalog wird V. 2 vollständig gezählt, der »im Munde des Mose wohl denkbar« 19 sei, ferner V. 3 voll16. Mowinckel, Le décalogue (1927) S. 160; vgl. derselbe, Zur Geschichte des Dekalogs, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N.F. XIV (1937). 17. So Hoelscher, Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion (1922) 129. 18. Ludwig Köhler, Der Dekalog, Theologische Rundschau I (1929) 184. 19. A. a. O. 179.

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ständig, dagegen das in V. 4 und 5 ausgesprochene »Bilderverbot« nur in einer verkürzten Form. Aber die vorgeschlagene »Du sollst dir kein Bild machen; du sollst ihnen nicht huldigen und dich nicht zu ihren Diensten verleiten lassen« ist sprachlich sehr unwahrscheinlich; der Plural ist nur vom biblischen Text aus zu erfassen; und der zweite Teil von V. 4 ist als notwendig, also als keine bloße Erweiterung und Ergänzung zum ersten zu erkennen, wenn man nur die richtige Satztrennung vornimmt 20 : »Mache dir kein Schnitzidol! und alle Gestalt [th’muna ist nicht Abbild, sondern immer die wirkliche Gestalt, die ›Gattungsform‹], die im Himmel droben, die auf Erden drunten, die im Wasser unterhalb der Erde ist, wirf dich ihnen nicht hin, laß in ihren Dienst dich nicht nehmen.« (Woraus sich freilich ergibt, daß es sich in dem zweiten und weitaus längeren Teile gar nicht um ein »Bilderverbot« handelt, sondern um das Verbot, irgendein Naturgebild anzubeten – aber auch JHWH selber in der Gestalt eines Naturgebildes.) Hier läßt sich nicht leicht etwas ablösen. Aehnliches gilt aber auch für V. 5b: der vielberedete Satz, der besagt, die Sünde des Vaters werde nur so vielen Geschlechtern mit »zugeordnet«, als er selber noch erlebe, ist als die einheitliche Begründung der Verbote von V. 3-5 (so ein »denn« nach drei »nein« ist echter biblischer Frühstil 21 ) von solcher Wucht, daß er dem Urbestand nicht wohl fern sein kann 22 . Und hier, in diesem Satz, finden wir offenbar auch beisammen den Ursprung des »eifernden Gottes« Josuas und den der JHWH »Liebenden« des Deboralieds. »Fürchtet ihn«, sagt Josua, und wenn es im Dekalog nicht ausdrücklich gesagt ist, klingt es aus V. 5 doch stark genug hervor, aber im nächsten Vers wird doch, wie am Schluß des Deboralieds, gesagt: »Liebet ihn!« Der Ursprung der Forderung Josuas, den »anderen Göttern« zu entsagen, denen dienen JHWH verlassen heiße, erscheint uns in V. 3, der in wörtlicher Uebersetzung lautet: »Nicht sei dir anderes Göttertum mir ins Angesicht.« Anderes Göttertum – so ist am ehesten dieser mit einem Verbum im Singular konstruierte Plural zu übersetzen. Damit wird alles umfaßt, was irgend Menschen sich zu Göttern machen können. Israel, und damit jedem Einzelnen in ihm 23 , wird gesagt – nicht daß es keine 20. Vgl. Dillmanns Kommentar zur Stelle; die Konstruktionen in Deuteronomium 4, 16, 25 und 5, 8 beruhen auf Falschdeutungen unserer Stelle. 21. »Deuteronomistisch« ist dieser Stil keineswegs, sofern man darunter die Art der im Buch Deuteronomium stark vertretenen Predigerschule versteht; aber auch in diesem Buch gibt es einen sehr alten Kern, der von den späteren Teilen stilistisch deutlich absticht. 22. Vgl. aber mein Buch »Moses« (1948) 206 ff. 23. Vgl. Volz, Mose und sein Werk, 2. Auflage (1932) 26.

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anderen Götter gebe: ein Aussagesatz dieser Art würde an dieser Stelle dem intentionalen Sinn und Zusammenhang des großen Wortgefüges widersprechen; sondern Israel wird gesagt, daß es keine anderen Götter geben dürfe. Keine anderen für es; aber nur von ihm, dem Angeredeten, ist eben die Rede, alle Realität, um die es hier geht, ist die Realität der Beziehung zwischen JHWH und Israel. Israel darf nichts haben, was sozusagen seinem Gott ins Angesicht da wäre (die Wendung jemandem »ins Angesicht dasein« ist nicht fern von so drastischen wie »jemandem ins Angesicht Wohnung nehmen«, Genesis 16, 12, »jemandem ins Angesicht fallen«, 25, 18), kein Werk von Menschenhand und kein Gebild der Natur, auch nicht solche, die als Darstellung oder Kundgebung JHWHs selber angesehen werden. JHWH will auch nicht, daß er selber als Bild sich als Wesen im Wege stehe. Daher verbietet er auch in einem selbständigen, in Mißverständnis geratenen Spruch (V. 7), seinen Namen zum »Wahn«, das heißt zum Fiktiven, Eingebildeten, Nichtigen, »hinzutragen« (vgl. Psalm 24, 5: »Wer seine Seele nicht hintrug zum Wahn«), sei es dadurch, daß man irgend etwas Scheinhaftes, nicht wirklich Daseiendes mit seinem Namen belegt, sei es, daß man diesen zu magischer Scheinhandlung, zu Zauber und Beschwörung verwendet. All dies entströmt aber dem ersten und obersten Satz, in dem auch die Glaubensformel »JHWH der Gott Israels« ihren Ursprung hat: »Ich [eigentlich: ich-selber] bin JHWH dein Gott, der ich dich aus dem Land Aegypten, aus dem Sklavenhaus führte.« JHWH beginnt seine Rede an Israel mit einem Satz, der, aus der Sprache der Anrede in die der reinen Aussage übertragen, lauten würde: Ich bin JHWH der Gott Israels. Von diesem Worte leitet sich die Glaubensformel des Bundes ab, die wir im Deboralied vernommen haben. Was darauf folgt, spricht die Grundlage des Bundes aus: JHWH hat Israel von Aegypten, dem Lande der Fron, herausgeführt. »Und danach habe ich euch herausgeführt«, spricht auch in einem anscheinend echten Satz der Landtagrede (Josua 24, 5) JHWH ein nachgeborenes Geschlecht an. Er ist der Gott, der herausholt und führt. So weiß es auch die Auszugssage, die ihn (Exodus 13, 21) vor dem Volke einhergehen läßt, ebenso wie Spruch und Lied der Debora. Wir sind auf unserem Weg nach rückwärts an einem Anfang angelangt. Von hier an beginnt der Bund zwischen Gott und Volk, Sprache und Geschichte des Bundes. Aber ist dies auch der Anfang des Grundverhältnisses selber, das solchermaßen seinen sakramentalen, sprachlichen und geschichtlichen Vollzug gewinnt? Sind in dem Faktum der Führung aus Aegypten, die hier der Gott sich zuspricht, JHWH und Israel einander erstmals begegnet? Hat das Volk dadurch, daß es diese Herausholung und Führung angesagt erhielt und dann wahrnahm und

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glaubte, überhaupt erst von JHWH erfahren? Ist alles, was von der Identität dieses Gottes mit dem »Gott der Väter« gesagt wird (Exodus 3, 6, 13, 15, 16; 6, 3 f., 8), nur nachträgliche Harmonisierung? Wo kommt dieser Gott her, und was hat er mit Israel zu schaffen? Es ist die schwerste Frage der israelitischen Glaubensgeschichte, an die wir hier geraten. Ausweichen können wir ihr nicht.

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In der Wissenschaft unserer Tage 24 herrscht die Ansicht vor, Mose habe den Gott JHWH am Sinai »entdeckt«, weil der eben ursprünglich der Gott des Sinai, ein Berggott des dort hausenden und viehweidenden Keniterstammes sei. Das Volk Israel hätte bis dahin den Namen dieses Gottes nicht oder nur gerüchtweise gekannt, darum seien, obgleich der »jahwistische« Erzähler diesen Namen dauernd im Buche Genesis verwende, in der vormosaischen Epoche im Gegensatz zu den späteren mit diesem Namen in seinen Kurzformen (Jah, Jahu) zusammengesetzte Eigennamen nicht zu finden. Darum auch erscheine JHWH in der biblischen Erzählung dem Mose nicht in Aegypten, wo er sein müßte, wenn Israel von Haus aus sein Volk sei, sondern am Berg, auf dem er wohne und an dem ihn der kenitische Stamm, unter dem Mose im Exil weilt, eben von je angebetet habe. Daß er sich Mose auch als Gott der Väter kundgebe, entstamme nicht der ursprünglichen Ueberlieferung, sondern der literarischen Bearbeitung: einer der Erzähler, deren Schriften auch hier verwoben seien, der Elohist (oder der »jüngere Elohist«), lege dem Gott diese Selbstbezeichnung in den Mund, um ihn sich dadurch mit dem aus der Vätertradition bekannten identifizieren zu lassen. Aber die Brüchigkeit der Bearbeitungen zeige sich, wenn Mose (Ex 3, 13) den Gott nach seinem Namen fragt, mit der Begründung, daß das Volk, zu dem er geschickt wird, nicht wissen werde, wie der Gott seiner Väter heißt; und die Brüchigkeit der Verschmelzung der Bearbeitungen zeige sich, wenn in einem anderen Gespräch, das der spätesten Quellenschrift, der priesterlichen, angehöre, JHWH dem Mose mitteile (6, 3), er habe den Vätern diesen Namen nicht kundgetan. Der Sachverhalt werde vollends offenbar, wenn Mose Schwiegervater ihn besuche, seinen eignen, von Israel übernommenen Gott JHWH verherrliche (18, 10 f.) und unter seiner 24. Vgl. besonders Budde, Die altisraelitische Religion (1912) 7 ff.; Greßmann, Mose und seine Zeit (1913) 163 ff.; Galling, Die Erwählungstraditionen Israels (1928) 57 ff.; Alt, Der Gott der Väter (1929) 10 ff.

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Leitung das erste Dankopfer des befreiten Volkes dargebracht werde (V. 12). Nun erfolge der Bundesschluß, dessen es nicht bedurft hätte, wäre JHWH von früher her Israels Gott gewesen; es handle sich eben um einen großen Volks-»Uebertritt«, das älteste Beispiel eines solchen, das wir kennen. Die Keniter, die sich nun Israel anschließen, seien fortan im Volk die strengsten Eiferer für ihren angestammten Herrn (II Könige 10, 15 f.; Jeremia 35). Dieser selber aber bleibe bis zu einem gewissen Grade seinem Berge verhaftet, darum weigere er sich (Exodus 33, 3), das Volk durch die Wüste zu geleiten, und überlasse es einer bangen Ungewißheit. Darum lasse ihn das Deboralied von seinem Wohnsitz herbeiziehen, darum pilgere Elia zum Horeb, um ihn aufzusuchen. Und sogar noch einer der Schriftpropheten, Hosea, wisse es nicht anders, als daß JHWH erst von Aegypten her Israels Gott sei. Wir können die Glaubensgeschichte Israels in ihrem inneren Zusammenhang nicht verstehen, wenn wir nicht erkennen, daß alle diese Bedenken einer unbefangenen Prüfung nicht standhalten 25 . Von einem Berggott der Keniter wissen wir aus außerbiblischen Quellen schlechthin nichts, und das wenige, was wir daraus etwa über ihre Religion erschließen können, weist nirgends irgendeine Aehnlichkeit mit JHWHs Art und Bereich auf. JHWH wohnt gar nicht auf dem Sinai (ein fester Wohnsitz wird durch ein anderes Verb als das hier gebrauchte, schakhan, bezeichnet: durch jaschab, eigentlich »sitzen«), sondern jeweils »nimmt er Wohnung« darauf. In Aegypten, wohin er nach der Vätersage mit Jakob und den Seinen gezogen ist (Genesis 46, 4), läßt ihn die Erzählung verweilen, wenn er dort handelt; sonst meidet der »Heilige« das unheilige Land und steigt nur jeweils vom Himmel hinab (Exodus 3, 8). Er zieht mit dem Volke nach Kanaan; auch nachdem er ihm vergeben hat, daß es seine Führung sich hat sinnlich greifbar machen wollen, zieht er ihm wieder voran, sein Antlitz auf den Weg gerichtet (33, 14) 26 . Aber freilich gibt er sich auch noch zuzeiten einem Liebling von da aus kund, so dem Elia, als der, des Eiferns müd, in »die« Höhle (I Könige 19, 9) – die bekannte, wo einst (Exodus 33, 22) Mose die höchste Offenbarung empfangen hatte – kommt, um zu sterben. Der Keniter Jethro sagt (18, 11): »Jetzt weiß ich, daß JHWH größer ist als alle Götter.« Von seinem angestammten Gott kann er, sein Priester, doch wohl nicht sagen, jetzt erst habe er erkannt, daß er der größte ist! 25. Eine ausführliche Widerlegung der wichtigsten ist in dem Vorwort zur 2. Auflage meines »Königtum Gottes« (S. XXX ff.) zu finden. Vgl. auch meinen »Moses« 138 ff. 26. Vgl. Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, 262 ff.

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Und das Opfer bringt nicht er dar, sondern er gibt (das besagt der Terminus, vgl. Leviticus 12, 8) die Tiere her, damit zu seinen Gunsten dem JHWH ein Opfer dargebracht werde. Der Bundesschluß geschieht, weil der Bund die Gottesherrschaft und die Gottesordnung begründet. Ein loses kultisches Verhältnis soll durch ein festes, das ganze Volksleben umfassendes ersetzt werden. In dieses kann erst ein befreites, freies Israel eintreten. Erst dadurch, daß es sich zu JHWH als zu einem bekennt, dem es »tuend und hörend« nachfolgen will, wird es faktisch zu seinem Volk, wird er faktisch zu Israels Gott. Das meint Hosea, wenn er Mal um Mal JHWH sagen läßt (Hosea 12, 10; 13, 4): »Ich, JHWH, bin dein Gott vom Land Aegypten her« und die Adoptivkundgebung des Gottes dem Pharao gegenüber (Exodus 4, 22) »Mein erstgeborner Sohn ist Israel« in dem Wort wiederaufnimmt (Hosea 11, 1): »Aus Aegypten rief ich meinen Sohn herbei.« Denn ein Volk, das »Religion« hatte – eine Religion dieses Gottes oder nur eine, in der er seinen Platz hatte –, ist damals zu einem geworden, das Gemeinschaft mit seinem Gott hat, als Volk Gemeinschaft mit ihm hat, wie von den Vätern erzählt wird, daß sie als Personen Gemeinschaft mit ihm hatten. Das Gespräch am brennenden Dornbusch, das man als aus drei bis vier und noch mehr Quellenschriften zusammengeflossen behandelt, erweist sich, wenn man es von ein paar Zusätzen freimacht, als ein großes Gebild aus einem einzigen Guß 27 . Die Irrigkeit der Zuteilung an verschiedene Quellenschriften sei an einem für uns entscheidend wichtigen Beispiel dargelegt. Nachdem der anredende Gott seinem Erwählten gesagt hat, wer er ist, tut er ihm Anlaß und Absicht der Botschaft kund, mit der er ihn senden will. Diese Teilrede beginnt und endet, der straffen und sinnreichen Komposition des Ganzen gemäß, mit zwei einander entsprechenden Sätzen, die das gleiche beherrschende Motivwort – ’ammi, mein Volk – wiederholen und mit dem gleichen, die Richtung des Handelns weisenden geographischen Namen, Aegypten, schließen: »Gesehn, gesehn habe ich das Elend meines Volkes, das in Aegypten« und »Führ heraus mein Volk, die Söhne Israels, aus Aegypten!« Man verfehlt Gestalt und Sinn der Rede, wenn man, wie es zu geschehen pflegt, den ersten Satz dem Jahwisten (oder dem »zweiten Jahwisten«) und den anderen dem Elohisten zuteilt. Aber wem immer sie angehören, ich kann mir keine stärkere Widerlegung der Theorie vorstellen, daß JHWH und Israel bislang nichts miteinander zu schaffen gehabt hätten, als dieses 27. Ueber die Abwechslung der Gottesnamen darin vgl. Cassuto, La questione della Genesi (1934) 82 ff.

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doppelte »Mein Volk« am Eingang und am Ausgang des Sendungsspruchs. JHWH spricht hier mit der stärksten Betonung (solche Wiederholung bedeutet wie gesagt im biblischen Stil Betonung) aus, daß Israel auch jetzt schon sein Volk ist, wiewohl er sich jetzt, vor der Offenbarung ans Volk, noch nicht als dessen Gott, sondern als der der Volksahnen bezeichnet. Von diesem Spruch aus läßt sich die Behauptung nicht rechtfertigen, die Nennung des Gottes der Väter im ersten Gotteswort (V. 6) sei erst von dem elohistischen Schriftsteller in die Erzählung eingetragen, also traditionsfremd. Man versuche nur, an die Stelle dieser Anrede die eines dem Volk unbekannten Gottes als Einleitung zur Sendung zu setzen, etwa »Ich bin der Gott dieses Berges« oder auch »Ich bin JHWH« (wie 6, 2), und aus der vom Atem der Geschichtsoffenbarung und des Geschichtsglaubens durchwehten Botschaft wird etwas Künstliches und Nichtssagendes. Dagegen steht nun aber der gewichtige Einwand 28 : wenn sich der Mose erscheinende Gott sogleich in seinem ersten Wort selbst als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bezeichnete, so bedürfte es hinterher nicht der Mitteilung eines Namens; Mose Erwartung, seine Volksgenossen würden nach dem Namen des ihn beauftragenden Gottes fragen, wenn er zu ihnen mit der Botschaft käme: »Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt« (V. 13), sei ein Widerspruch in sich selbst. Der Einwand nötigt zu erneuter genauer Erfassung des Textes 29 . Die Frage des Volkes, die Mose erwartet, lautet: mah sch’mo? Das pflegt man zu übersetzen: »Wie ist sein Name?« oder auch: »Wie heißt er denn?« Wenn man aber in biblischem Hebräisch einfach erfragen will, wie einer heiße, fragt man mit »mi« (wer, welcher): wer bist du? oder sogar (Richter 13, 17): welcher ist dein Name? Die Frage mit »was« geht auf das Wesen 30 ; »was« mit »Name« verbunden weist, wo es sonst vorkommt, entweder auf eine Bedeutung hin, die durch das Aussprechen der Antwort hervortritt (so Genesis 32, 28 die beschämende Bedeutung – vgl. 27, 36, Hosea 12, 4 –, die durch die Aenderung des Namens ausgetilgt werden soll), oder auf ein Geheimnis (so Sprüche 30, 4, wo es sich ja nicht darum handelt, daß der Angeredete nicht den Namen, sondern daß er nicht das Wesen des Weltbegründers kennt). Mose meint, das Volk werde von ihm verlangen, ihnen den Namen des Gottes so zu erschließen, so zugänglich zu machen, daß sie ihn wirksam anrufen und beschwören könnten. Daraus geht nicht hervor, daß sie den 28. Alt a. a. O. 12. 29. Vgl. Königtum Gottes 82 ff.; Moses 70 ff. 30. Ewald, Lehrbuch der hebräischen Sprache § 325.

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Namen bisher nicht gekannt hätten, sondern daß sie einen nicht anrufbaren kannten. Nicht anrufbar war der ihnen geläufige Name Jah oder Jahu oder Jahuwa, dann etwa, wenn dahinter entweder die Ausgestaltung des ursemitischen Pronomens ja, »er«, als »Tabuwort« für den Gott stand 31 , mit dem auf diesen nun gleichsam hingedeutet werden konnte, oder eine Exklamation, ein »numinoser Urlaut« 32 , mit dem der Gott ebenfalls nicht anzureden war – weshalb denn auch vor dieser Zeit kein oder kaum ein Eigenname damit zusammengesetzt worden ist. In der Antwort, die Mose empfängt, wird – offenbar unter Anlehnung an das letzte phonetische Entwicklungsstadium jenes Wortes oder Lauts, so daß das Neue nur als Verdichtung, nicht als Aenderung erscheint – jenes ganz mündliche, eigentlich noch der Gebärde zur vollen Existenz bedürfende Elementarwort zum formreifen Verb geprägt: JHWH, »der dasein« wird, heißt der Gott. Was hier geschieht, ist gleichsam die Rationalisierung des überlieferten irrationalen Ausrufs. Mose bringt in die Glaubensgeschichte Israels keinen neuen Gottesnamen, wie er keinen neuen Gott hineinbringt; der Gott wird faßbarer, der Name deutbarer. Der Gott selber erschließt seinen Namen, indem er ihn in die erste Person versetzt: »Ich werde dasein« (ehjeh). Aber er setzt noch etwas hinzu: »als der ich (eben) dasein werde« (ascher ehjeh), das heißt, wie immer, in welcher Erscheinung immer ich dasein werde. Das wird in ähnlicher Sprachform gesagt, wie in der später (33, 19) folgenden Ergänzung, die dem Textzusammenhang nach als weitere Erklärung des Namens zu verstehen ist: »Ich gnade, wem (immer) ich gnade, ich erbarme mich, wessen (immer) ich mich erbarme.« Und der meisterliche Erzähler sorgt, mit dem biblischen Stilmittel der Verdeutlichung durch Wiederholung, dafür, daß wir nicht »sein«, lat. esse, sondern »dasein«, gegenwärtig sein, lat. adesse, verstehen, indem er diesem »Ich werde dasein« ein »Ich werde dasein bei dir« (3, 12) vorausschickt und ein zweimaliges »Ich werde dasein bei deinem Mund,« (4, 12, 15) nachfolgen läßt. JHWH sagt hier nicht, daß er unbedingt oder daß er ewig sei, sondern daß er – ohne sich auf irgendeine bestimmte Erscheinungsweise festzulegen (»als der ich eben dasein werde«), und sich damit auch allen Beschwörungen schlechthin versagend – bei seinem Volke bleiben, mit ihm gehen, es führen wolle. Mit denselben Worten »Ich werde dasein bei dir« spricht er in der Vätersage (Genesis 31, 3) Jakob seinen Beistand, sein schützendes Mitgehen zu. 31. Vgl. Hans Bauer, Die Gottheiten von Ras Schamra, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge X (1933) 94. 32. Vgl. Rudolf Otto, Das Gefühl des Ueberweltlichen (1932) 203 ff., 326 f. sowie Königtum Gottes 233 ff., Die Schrift und ihre Verdeutschung 190 ff., Moses 75 f.

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Und so erhellt sich uns auch der andere Spruch (Exodus 6, 2 f.), der als Beweis dafür angeführt wird, daß die vormosaische Zeit diesen Gott nicht gekannt habe und die Identifizierung ein literarisches Erzeugnis sei. In Aegypten, im Augenblick, da das zuerst glaubensbereite Volk in den Zweifel verfällt, redet – in einem seinem Stil nach größtenteils unverkennbar späten Text, der aber kompositionell an der rechten Stelle steht – der Gott seinen Sendling mit den nun erst, nach der Erschließung des Namens, erzählungslogisch möglichen Worten an: »Ich bin JHWH« und fährt fort, in einem Satz, der mich immerhin älter dünkt als was auf ihn folgt: »Ich gab mich dem Abraham, dem Isaak und dem Jakob zu sehen als den El Schaddaj, aber meinem Namen JHWH nach bin ich ihnen nicht kundgeworden.« Es heißt nicht, der Gott habe ihnen diesen Namen nicht kundgegeben, sondern er habe sich ihnen diesem Namen nach, hinsichtlich dieses Namens nicht zu erkennen gegeben, ihnen also nicht eröffnet, was dieser Name von ihm sagt, ihnen diesen Namen nicht erschlossen; dies ist vielmehr erst jetzt geschehen 33 . Jene »hatten« den Namen bereits, aber nur dem Laut, nicht dem Sinn nach. Dagegen scheinen sie eine andere Bezeichnung, Schaddaj – wohl kein Name, sondern ein Epitheton –, die wir nicht mehr zuverlässig verstehen, als eine sinnhafte besessen zu haben 34 . Unser Weg nach rückwärts hat uns zum Dunkel einer Vorzeit gebracht, das forschend aufzuhellen uns nicht gewährt ist, weil die uns vorliegenden Texte nicht unmittelbar, wie die bisher besprochenen, als glaubensgeschichtliche Dokumentationen zu erfassen sind. Da wir aber nunmehr von dieser Vorzeit auszugehen haben, müssen wir versuchen, dem problematischen Material einen Traditionsgehalt abzugewinnen, der uns die vermutungsweise Rekonstruktion einiger Ursprungszüge ermöglicht.

33. Vgl. den Kommentar des Ibn Esra. 34. Sie als eine »willkürliche Setzung« der Priesterschrift – so zuletzt Ludwig Köhler, Theologie des Alten Testaments (1936) 29 – anzusehen verbietet m. E. doch der sinnlich starke, urtümliche Vers des Jakobsegens (Genesis 49, 25).

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Wir hatten die drei großen Glaubenselemente, die uns teils im Deboralied, teils in der Josuarede begegnet waren: das führende Mitgehen des Gottes, das »liebende« Sichhergeben im Volk, die eifernde Forderung der Entscheidung, am Eingang des Dekalogs beisammen wiedergefunden. Finden wir sie auch schon in der Vätersage wieder? Wir finden sie wieder, freilich aus dem geschichtlichen Leben der Nation in ein nicht geschichtslos zu nennendes, aber recht eigentlich vorgeschichtliches Leben von Personen übertragen. Den Abraham holt der Gott aus seiner Umwelt, bringt ihn in das Land, das er ihn »sehen lassen« will (Genesis 12, 1), und »läßt ihn durchs ganze Land Kanaan gehen« (Josua 24, 3), er will »sein Schild« sein (Genesis 15, 1). Und ebenso zieht er mit Jakob auf all seine Fahrten (28, 15; 31, 3) und zuletzt noch nach Aegypten hinab (46, 4). Auch der Gott der Vätersage ist ein führender Gott. Und der Geführte gibt sich ihm vertrauend (15, 6) hin, er »geht« auf seinen Ruf (12, 4) bis in die äußerste Probe, wo das Verheißene und Geschenkte ihm abgefordert wird und er wieder wortlos »geht« (22,3), um das Auferlegte zu tun. Wir verstehen es, daß der große namenlose Prophet einer späten Zeit (Jesaja 41, 8) jenes Wort des Dekalogs und des Deboralieds von den Gott »Liebenden« wiederaufnimmt, um Abraham zu kennzeichnen. Dazu waltet auch hier jene Atmosphäre der Entscheidung; das Grundmotiv der josuanischen Landtagsrede, das Geheiß, die Fremdgötter hinwegzuschaffen (Josua 24, 23), kehrt hier (Genesis 35, 2) wörtlich wieder. Ist das die »Projektion« eines späten »nomadischen Ideals« 35 in die Frühzeit, diese Bilder der wandernden Hirten, denen ihr Gott sich gesellt, um sie zu geleiten? Ist es nicht vielmehr echter, ursprünglicher, unerfindlicher Nomadenglaube? Aber es gibt hier auch ein anderes, das wir dort nicht kennengelernt haben. Wenn diese Männer auf ihren Reisezügen haltmachen, pflanzen sie einen Baum oder errichten Malstein oder Altar und rufen darüber einen Gottesnamen aus, zuweilen den JHWHs, dann aber wieder einen, der aus der allgemeinsten gemein-semitischen Gottesbezeichnung, El, 35. Vgl. Budde, Das nomadische Ideal im Alten Testament, Preußische Jahrbücher 1896, 57 ff. (The Nomadic Ideal in the Old Testament, The New World IV, 1895, 726 ff.); Flight, The Nomadic Idea and Ideal in the Old Testament, Journal of Biblical Literature, XLII (1923) 209 ff.; McCown, The Wilderness of Judea and the Nomadic Ideal, Journal of Geography XXIII (1924) 333 ff.; Humbert, La logique de la perspective nomade, Marti Festschrift (1925) 158 ff.; Albright bei Lovejoy und Boas, Primitivism and Related Ideas in Antiquity (1935) 428 ff.

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und einem Zusatz gebildet ist, wie El-beth-el, Gott des Gotteshauses (35, 7), oder El-olam, Gott der Urzeit (21, 33). Wir kennen den Vorgang von Mose, der (Exodus 17, 15) über einem Altar »JHWH-mein-Banner«, und von Gideon, der (Richter 6, 24) über einem Altar »JHWH-Friede« ausruft (danach finden wir dergleichen charakteristischerweise nicht mehr); aber das »El« ist der Vätersage eigentümlich. Man sucht vielfach dies und manches andere Analoge als verbliebene Spuren einer »El-Religion« zu verstehen, die in der Zeit Moses durch den JHWH-Glauben verdrängt worden sei; man nimmt an, »daß die ältesten Erzähler der Genesisgeschichten von Jahwe nichts wußten oder wissen wollten« 36 . Wir müssen, um auf dieses Anliegen zu erwidern, nach dem geschichtlichen Wahrheitsgehalt der biblischen Auffassung vom Kommen der »Väter«, vom Kommen Abrahams nach Kanaan fragen. Das für das Bringen der Erstlinge ins Heiligtum vorgeschriebene Gebet beginnt (Deuteronomium 26, 5) mit einem stark alliterativen Memorialvers, der etwa so wiederzugeben ist: »Ein abgesprengter Aramäer mein Ahn.« Das ist Hirtensprache mitten im Bauerngebet; der zufriedene Bauer erzählt von seinen armseligen Hirtenanfängen: da ist, wie ein Schaf von der Herde abgesprengt wird (Jeremia 50, 6; Ezechiel 34, 4, 16; Psalm 119, 176), der Ahnherr von seiner Horde abgesprengt worden. Dieser Ahnherr ist, wenn man den älteren Memorialvers für sich betrachtet, nicht Jakob, wie der weitere Gebetstext es versteht, sondern Abraham 37 . »Abgesprengte Schafe«, heißt es an der Jeremiastelle, »das war mein Volk: ihre Hirten haben sie abirren lassen.« Mit dem gleichen Wort sagt Abraham (Genesis 20, 13) – auch dies ein erratischer Block mitten in einer literarisch späteren Erzählung – dem Philisterkönig von seinem Leben: »Es war, als mich Gottmächte abirren ließen vom Haus meines Vaters …« So berichtet er, wie er vom Göttlichen überwältigt worden ist. Wir werden daran erinnert, wie der älteste Schriftprophet (Amos 7, 15) dem Priester Auskunft gibt, daß der Gott ihn einst aus seiner Umwelt herausgeholt habe: »JHWH hat mich von hinter den Schafen genommen.« Aber Abrahams Spruch klingt altertümlicher, altertümlicher auch als die Erzählung von der Berufung (Genesis 12) selber, nicht in der Sprache bloß, sondern im Inhalt: sein Hirt hat ihn abirren lassen. Und doch weiß er, daß das Abirren ein Geführtwerden ist, er vertraut (15, 6) und vernimmt, da er vertraut, den Spruch: »Ich bin JHWH, der ich dich aus Ur 38 herausführte.« Der anscheinend aus einer sehr alten 36. Greßmann, Sage und Geschichte in den Patriarchenerzählungen, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N.F. XXX (1910) 28. 37. Vgl. den Kommentar des Raschbam. 38. Den Zusatz »der Chaldäer« halte ich für eine Glosse, die aus einer Zeit stammt,

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Fassung der Erzählung übernommene Spruch spiegelt den Eingang des Dekalogs, nur daß statt des emphatischen Ich (anokhi), mit dem dort der Gott seinen unmittelbaren Verkehr mit dem Volk eröffnet, hier das unbetonte (ani) steht, einen vertrauten Umgang fortsetzend; wie das Gebot an Jakob, die Fremdgötter hinwegzuschaffen, das ans Volk durch Josua vorwegnehmen soll, indem die persönliche Form der kollektiven vorausgeschickt wird, so soll hier die Geschichtsoffenbarung an den Einzelnen die Geschichtsoffenbarung an Israel vorwegnehmen. Und der Gott sagt hier, was den in der bisherigen Erzählung verwerteten Traditionen fremd zu sein scheint: daß nicht erst die zweite, selbständige Wanderung, die von Haran nach Kanaan, sondern auch schon die erste, inmitten der Sippenschar unternommene, die von Ur nach Haran, sein, JHWHs, Werk war. Die ganze Hidschra Abrahams ist ein »religiöses« Faktum. Was mag der historische, der religionshistorische Gehalt von alledem sein? Hat es einen, kann es einen haben? Wenn es einen hat, wie etwa ist er beschaffen? Hier sind wir aufs Tasten angewiesen. Aber was wir ertasten, hat leibliche Gestalt. Als eine Welle der schon um die Wende des 3. und 2. vorchristlichen Jahrtausends die syrische Steppe nord- und westwärts durchbrandenden semitischen Wanderung zieht die Sippe der Terachiden mit ihrem Anhang, an Zahl wohl einem kleinen Stamme gleich, aus dem »chaldäischen« Ur, dem Zentrum südbabylonischer Kultur 39, nach Haran im nördlichen Mesopotamien. Es sind Halbnomaden, die mit ihren Kleinviehherden zeltend von Weide zu Weide ziehen, zwischendurch den Boden jahrelang bebauen, ohne seßhaft zu werden 40 , aber auch mit den Städten Erzeugnisse tauschen und zuweilen an ihren Toren kampieren, friedfertig und kampfbereit, wie es diesem hohen Wirtschaftstypus eigen ist, der »die pastoralen mit den militärischen Tugenden vereinigt« 41 . Die Terachiden ziehen von einem Kulturzentrum nach einem andern, in dessen Nähe sie sich niederlassen. nachdem die Chaldäer nach Ur gekommen waren. Ein Späterer scheint die Bezeichnung »Ur der Chaldäer« im Munde des Gottes als Anachronismus empfunden und die Korrektur vorgenommen zu haben, die der Septuaginta-Uebersetzung »aus dem Land der Chaldäer« zugrunde lag. (Danach auch 11, 28, 31, 50.) 39. Trotz der im Lauf der Zeiten immer wieder dagegen vorgebrachten Bedenken sollte m. E. die Identität des biblischen Ur mit der uns aus den Ausgrabungen bekannten südbabylonischen Stadt nicht angezweifelt werden. 40. Vgl. Alt, Erwägungen über die Landnahme der Israeliten in Palästina, Palästinajahrbuch XXXV (1939) 33. 41. Toynbee, A Study of History III (1934) 14.

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Die beiden Städte, Ur und Haran, sind die beiden Brennpunkte des babylonisch-syrischen Mondkults. Der Name der Stadt Haran, in der Terach stirbt, bedeutet Weg, aber auch Karawane, bezeichnet also wohl den »Ort, wo die Karawanen sich treffen und von wo sie ausziehen« 42 ; der Mondgott von Haran heißt auch Bêl-Harrân, was man als Herr des Wegs, des Kreuzwegs, verstehen darf. Im Hymnus heißt der Mondgott »der den Weg eröffnet«. Er ist »der Pfadfinder, der Erleuchter im genauen Sinn, der Karawane, die, um die Glut der Sonne zu vermeiden, die Nacht hindurch über die Steppe geht«, der »Gott der mesopotamischen Nomaden« 43 . Am Nil war es offenbar der Sonnengott Amon, der als Weggott galt und der seinen Gesandten sein Bild, »der Amon des Wegs« genannt, als himmlischen Gesandten mitgab 44 ; am Euphrat war es der Mondgott. Er scheint dabei unter der babylonischen Göttermenge auch etwelche Helfer zu haben; zumindest hören wir aus Ur 45 von einer kleinen Nebengöttin, die die besondere Funktion hatte, Wanderer in der Wüste zu beschützen. Man mag es »rationalistisch« nennen, was ich meine: mich dünkt es etwas Ungeheures in der Religionsgeschichte zu sein, daß einmal ein wandernder Aramäer – die biblische Tradition nennt ihn Abram – den von seiner Umwelt angenommenen Glauben an »the planet of way for the wayfaring Semitic race« 46 verlor und den Glauben an Einen gewann, der kein »Naturgott« war. Kein Naturgott, sondern ein Schutzgott – aber nicht ein Sippenfetisch, sondern ein großer, zugleich verborgener und offenbarer Schutzgott, nicht der Terachiden, sondern der seine, Abrams, und der seiner neuen, »abgesprengten« Sippe und aller, die sich ihm anschließen. Ein Gott, der schützend mitgeht, nicht in Mondnächten bloß, sondern auch in mondlosen und auch an Wintertagen, in der Zeit des Jahres, da der Nomade der mesopotamischen Steppe tags zu wandern vorzieht. Ein Gott, dessen Licht nicht erlischt. Ein Gott, dem man vertraut, weil man von ihm angeredet worden ist. Es ist ein Gott, der einem sagt, daß er einen führt. Aber wohin führt er einen? Nicht wohin man kommen wollte. Er schützt, wie er schützen will, und er führt, wohin er führen will. Er führt einen, wohin er einen schickt. Er bringt einen sicher nach Haran, man läßt sich hier nieder, man will hier bleiben, aber er will es anders, er schickt einen hinweg, führt einen hinweg – vom Vaterhaus hinweg in 42. 43. 44. 45. 46.

Schrader, Die Keilinschriften und das Alte Testament, 3. Auflage (1903) 29. Dhorme, Abraham dans le cadre de l’histoire. Revue biblique XXXVII (1928) 509. Erman, Die Literatur der Aegypter (1923) 225 f., 235. Woolley, Abraham (1936) 104, 226. Doughty, Travels in Arabia Deserta I, 13. Kapitel.

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die Fremde: in die Fremde, die er verheißt. Er macht einen zum Nomaden des Glaubens. Wenn wir glaubensgeschichtlich die Stunde der Offenbarung an Abraham ermitteln wollen, so kann diese nicht erst in Haran gewesen sein, sondern vorher, wie es in dem alten Bericht (Kernbestand von Genesis 15) vom Bundesschluß zwischen den Tierstücken der Ruf des Gottes andeutet (V. 7). Aber die Stunde der Entscheidung ist in Haran. Hier erst, die Trennung von der Welt der Väter gebietend, erweist sich dieser Gott als der Herausholende. Die »Propheten« haben ihn hernach als diesen erkannt, von Mose bis zu Jeremia. Aber auch hier haben wir es nicht mit der »Projektion« einer prophetischen Erfahrung zu tun, sondern mit ihrem frühen, schlichten Anfang. Das Herausholen gehört zum Wesen dieses Gottes von Anfang an wie das Führen. Die ganze Hidschra Abrahams ist ein »religiöses« Faktum, aber ihr zweiter Teil ist es in einem besonderen Sinn. »Religiöse Ueberzeugungen sind eine der großen Ursachen der Wanderung. Sie können Leute aller Gesellschaftsgrade bewegen und können unter nahezu allen Arten politischer oder wirtschaftlicher Bedingungen wirksam sein 47 «. Der Glaube wird dadurch konstitutiv, daß er zur Trennung nötigt 48 . Der mitgehende Gott geht nicht mit den Terachiden, sondern mit dem von ihm Erwählten und ihn Erwählenden. Er scheidet ihn von ihnen ab und stellt ihn in seine, des Gottes, mitgehende Gegenwart. Dieser Gott wird aus dem Schutzgott einer Person zu dem einer Schar werden und aus dem zum Volksgott und zum Völkergott, aus dem Gott einer Biographie zum Gott der Geschichte; aber dies, diese »Korrelation« von Führung und Hingabe, Offenbarung und Entscheidung, Liebe und Liebe, diese Unbedingtheit zwischen ihm und dem Menschen bleibt. In der alttestamentlichen Wissenschaft unserer Zeit setzt sich allmählich die Einsicht durch, daß die Väter »ihre Stellung in der israelitischen Sagenüberlieferung primär ihrer Funktion als Offenbarungsempfänger und Kultstifter verdanken« 49 . Insbesondere Abraham wird als »der Begründer und Vorgänger« einer religiösen Bewegung (die ich freilich nicht eine spiritualistisch-monotheistische nennen würde) erkannt, »welche im Zusammenhang mit jener großen Völkerwanderung in der 1. Hälfte des 2. Jahrtausends aufkam« 50 . Man beginnt die Spuren einer frühen Glaubens- und Kultgemeinschaft, die sich im Text trotz der übermächtigen Tendenz zur Konstruktion einer ausschließlichen Sippenlinie er47. 48. 49. 50.

Huntington, The Pulse of Progress (1926) 266 über die Wanderung Abrahams. Vgl. Winckler, Abraham als Babylonier (1903) 25 f. Alt, Der Gott der Väter 52. Boehl, Das Zeitalter Abrahams (1931) 42.

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halten haben, wieder ernst zu nehmen: die in Haran »gewonnenen« »Seelen« (12, 5) sind die Schar der »Eingeweihten« (14, 14) 51 . Sammlung und Weihung der Urgemeinde lassen sich als das Werk des Stifters ahnen. Wie ist der Name ihres Gottes? Wir können aus den Texten nicht mehr erschließen, wie Abraham ihn ansprach. Vielleicht: »mein El«; denn es war eben wirklich sein El, der El, der sich ihm offenbart hatte und ihn führte. Vielleicht auch: »mein Elohim«, denn mit diesem Pluralsingular allein, in dem gemeinsemitisch »die Summe des Göttlichen verdichtet ist« 52 , konnte er ausdrücken: »Du alles, was mir göttlich ist!« Daß er, von ihm redend, die Bezeichnung »El Schaddaj« gebrauchte, deren Etymologie wir wie gesagt nicht kennen (man meint: »der Gebirgler«, aber es könnte auch zu verstehen sein: »der Hochgereckte« 53 ), die aber auf ein Geheimnis der Beziehung zwischen Gott und Sippe hinzudeuten scheint (an allen Genesisstellen steht der Name in Verbindung mit der Vermehrung der Sippe durch den Gott), können wir, wie gesagt, da das Wort in einem sicherlich alten Vers des Jakobssegens steht, für wahrscheinlich halten. Und annehmen dürfen wir, daß er, wenn er auf ihn gleichsam mit der Stimme zeigen, begeistert ihn ausrufen wollte, jenes »Tabuwort« 54 , jenen »Gott-Schrei« 55 , jenes »Stammeln« 56 Jah oder Jahu oder Jahuwa 57 , »Er!« oder »Der!« oder »Der ist’s!« oder »O er!« erschallen ließ. Dieser Elementarlaut war anscheinend manchen Semitenstämmen gemeinsam, um auf eine nicht zu nennende Gottheit geheimnisvoll und enthusiastisch hinzudeuten. Anrufbar war der Gott nicht mit diesem Laut, der doch auf ihn nur in der dritten Person hinwies, aber aus51. Yahuda, Die Sprache des Pentateuchs I (1929) 282 versteht unter chanikhim die drei V. 13 genannten Bundesgenossen Abrahams; aber von Verbündeten kann nicht gesagt werden, daß sie »herausgeleert« werden, gleichviel ob der Ausdruck sich ursprünglich auf Pfeile bezieht, die aus dem Köcher geschüttet werden (was ich für wahrscheinlich halte), oder, wie wir an anderen Stellen finden, auf ein Schwert, das aus der Scheide gezogen wird. Auch die Lesart des Samaritaners »er musterte« paßt schlecht zu Bundesgenossen. 52. Dhorme, L’évolution religieuse d’Israel I (1937) 360. 53. Doch greift man auch schon wieder auf die Bedeutung »Gewaltwesen« zurück (s. Nyberg, Studien zum Religionskampf im AT, Archiv für Religionswissenschaft XXXV, 1938, 350). 54. Bauer, Die Gottheiten von Ras Schamra 84. Vgl. auch Hehn, Die biblische und die babylonische Gottesidee (1913) 248. 55. Rosenzweig, Der Ewige, in Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung 207; vgl. G. R. Driver, The Original Form of the Name Jahweh, Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft, N.F. V (1928) 24. 56. Schleiff, Der Gottesname Jahu, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft XC (1936) 700. 57. Vgl. Friedrich Delitzsch, Wo lag das Paradies (1881) 166; König, Ja-u und Jahu, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N.F. XX (1915) 45, sowie die Meinungsäußerung Mowinckels bei Otto, Das Gefühl des Ueberweltlichen 326 f.

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rufbar war er damit. Dies (nicht ein Gebet) ist es denn auch, was gemeint ist, wenn die Erzählung die Väter – mit demselben Ausdruck, mit dem JHWH selber Exodus 33, 19 und 34, 5 seinen Namen ausruft – nach der Erbauung eines Altars oder Pflanzung eines heiligen Baums das Tetragramm ausrufen läßt (Genesis 12, 8; 13, 4; 21, 33; 26, 25). Zeichen errichtend verkünden die Empfänger der Offenbarung den El, der sich ihnen offenbart hat, den Kommenden, dem sie jetzt ausrufend »vorangehen« (17, 1; 24, 40; 48, 15), wie der Herold dem nahenden König (vgl. I Samuel 2, 35). In der dritten dieser Ausrufungen ist der Name JHWH mit der Gottesbezeichnung El-ʿ olam verknüpft, was als »Gott der Urzeit« oder besser noch als »Gott der Dauer« zu verstehen ist 58 – eine Bezeichnung, die gut an den Schluß dieser Geschichte von dem Bundeseid mit dem nachbarlichen Fürsten paßt. Keineswegs ist das Tetragramm ein späterer Zusatz: der Ruf hat hier die Form der Identifizierung, das heißt, der eigene, mitgebrachte, mitgehende Gott wird nicht etwa bloß mit dem an diesem Ort bekannten, an ihm vorgefundenen El gleichgesetzt, nicht bloß in ihm wiedererkannt, sondern die Absorption der begegnenden Macht durch die mitgekommene wird in der Ausrufung des Tabuwortes kundgetan: der Gott, der die Herrschaft antritt, hatte sie – das wird ausgerufen – in Fremdgestalt schon von je. Noch nachdrücklicher erfolgt diese Identifizierung in der, im wesentlichen (namentlich in den Verssprüchen) sicherlich alten Erzählung (14,18 ff.), wo Melchisedek, König von Salem und Priester des El-ʿ eljon, des »oberen« oder »hohen« Gottes, dem siegreichen Abram im »Königstal« Brot und Wein darreicht und ihn »dem El-ʿ eljon, Stifter von Himmel und Erde« segnet. Abram aber erwidert (in der uns vorliegenden Fassung spricht er es zum König von Sodom, ursprünglich gewiß zu Melchisedek, der Schluß der ursprünglichen Rede ist nicht erhalten): »Erhoben habe ich meine Hand zu JHWH dem El-ʿ eljon, Stifter von Himmel und Erde!« (zu ergänzen ist etwa, als Replik zu V. 20: »Gesegnet sei JHWH der Elʿ eljon!«). Gesagt wird damit: Der, dem ich diene, ist auch dein El, aber überdies ist er »Er« (Jahu)! Daß dieser sakrale Gegenseitigkeitsakt uns in der Form einer Episode erhalten geblieben ist, ist wohl der davidistischen Tendenz zuzuschreiben, »die urweltliche Anwartschaft Jerusalems auf den Rang der kultischen Weltmitte zu erweisen« 59 , aber die 58. In Ugarit wird El, der oberste Gott, »König, Vater der Jahre« genannt. 59. Die Schrift und ihre Verdeutschung 235. Ob der Erzähler bzw. die Tradition selber mit »Salem« schon Jerusalem meinte, ist hier unerheblich; entstammt die in Ps 76, 3 zum Ausdruck kommende Gleichsetzung erst einer späteren Tendenz, so kann es kaum eine andere als eben die davidistische sein.

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Tradition nimmt sich religionsgeschichtlich durchaus echt aus. Urheber von Himmel und Erde zu sein, kennen wir aus altorientalischer und anderer Glaubenslehre als frühe Gotteskonzeption. Ebender »Stifter«-Bezeichnung begegnen wir, freilich ins Geschlechtliche gewandelt 60 , in einem Text von Ugarit als Epitheton der Ascherath, der Gemahlin des obersten Gottes, die die »Stifterin« oder Hervorbringerin der Götter genannt wird, und die spätgriechischen Nachrichten von dem phönikischen Eljun als dem Vater des Himmels und der Erde erscheinen uns in diesem Lichte als glaubhaft. Die »Zeugungen des Himmels und der Erde« kehren in der biblischen Schöpfungsgeschichte (Genesis 2, 4) entsexualisiert wieder, und man darf wohl in dem Spruch »Dies sind die Zeugungen des Himmels und der Erde: da sie geschaffen wurden« eine Polemik gegen die Sexualkosmogonie der Kanaanäer erblicken. Am deutlichsten wird die Absicht, wenn von Hagar, zu der eben noch der »Bote JHWHs«, eine primitive Hypostase des göttlichen Eingriffs, sprach, in wunderlich anmutender Umständlichkeit erzählt wird (16, 13), sie habe »den Namen JHWHs, des zu ihr Redenden, gerufen: ›Du bist El-roi!‹« Es muß so ausgedrückt werden, damit die Identifizierung, um die es geht, als solche erkannt werde. Der Erzähler rückt hier keineswegs JHWH in eine von einem Gott der »vormosaischen El-Religion« handelnde Sage ein, sondern er läßt ihn den El annektieren, indem er durch sein eignes Erscheinen und Handeln diesen »Gott des Sehens« als identisch mit ihm erweist, der mit der flüchtigen ägyptischen Magd, einem Mitglied seiner Gemeinschaft, in die Wüste wandert und sich von ihr sehen läßt. Der Gottesname weist auf ein Inkubationsnumen hin: wer sich an dem Brunnen des Gottes schlafen legte, bekam etwas zu »sehen«. Der primitive Revelationsbericht erzählt dagegen, wie der Schutzgott sich hier als solchen kundgetan hat; sowie dergleichen umläuft, wird alles Frühere von der zeitlich-fixierten Ueberlieferung absorbiert, und der Brunnen ist fortan der seine. Wir kennen aus der babylonischen und der ägyptischen Religiosität die Neigung, den Glauben an die Suprematie eines Gottes dadurch zum stärksten Ausdruck zu bringen, daß man die anderen Götter als seine Erscheinungsformen versteht. Ernst ist damit hier und hier in dem ungeheuren Pantheon nicht gemacht worden und konnte nicht gemacht 60. In geschlechtlicher Bedeutung finden wir das Verb auch in biblischen Texten, und zwar sowohl in einem so frühen wie Genesis 4,1 als in einem so späten wie Deuteronomium 32,6 (wo freilich diese Bedeutung nur noch hindurchklingt). Es ist anzunehmen, daß das Verb ursprünglich – zum Unterschied von den differenzierten Verben für Zeugung und Geburt – die Hervorbringung des Kindes durch seine Eltern bedeutet.

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werden. Erst in der Glaubensatmosphäre eines einsamen, ausschließlichen, jenseits der Pantheone die Seinen fordernden und führenden Gottes konnte die Identifizierung zur Wirklichkeit werden. Ein kommender Gott wie dieser konnte keinen Welt- und Lebensbereich, den er betrat, als seiner Herrschaft fremd anerkennen; wer den Platz besetzt hielt, wurde abgesetzt oder als sein eigner Platzhalter, ja als er selber, erwiesen. Der »El«, das im allgemeinen nicht streng individuierte, bei den Ostsemiten zur Allgemeinheit eines »Himmelswesens überhaupt« verflüchtigte, bei den Westsemiten von einer verstreuten Machtsubstanz zu einem nicht scharf umrissenen personhaften Machtwesen 61 verdichtete Numen, das einem überall erscheint, wo eine Mächtigkeit waltet (seine persönlichste Ausgestaltung, der etwas lässige phönizische Gottesherr, wie wir ihn in Ugarit kennenlernen, der »Vater der Menschheit«, steht offenbar außerhalb dieser geschichtlichen Sphäre), bot sich solcher Uebermacht eines El, der ganz Person war und für die Seinen die eine göttliche Person, die eben »bei ihnen« wesende, war, besonders leicht dar. (Erst mit einer eigentümlichen Abart der Elim, mit den Bealim oder »dem Baal«, ist es zu einem langen und harten Kampf gekommen: weil hier dem einsamen Gott, der ohne eine Gefährtin nach Kanaan gekommen war, die eigenwillige, seiner Führung wesensmäßig widerstrebende Geschlechtlichkeit gegenübertrat.) Von der Identifizierungstendenz aus, die nicht eine Sache der literarischen Bearbeitung, sondern eine der Tradition selbst ist, erklärt sich auch die seltsame, von altersher umstrittene Stelle (31, 53), wo Laban den Friedensbund, den er mit Jakob schließt, so bekräftigt: »Der Gott Abrahams und der Gott Nahors mögen zwischen uns richten, der Gott ihres Vaters!« Die letzten Worte sind nicht später Zusatz, dem Bedenken gegen das »Heidentum« solch einer Vertragsformel entsprossen, sondern der Aramäer soll, da man ihn doch nicht einfach zu JHWH sich bekehren lassen kann, zumindest bekennen, daß die beiden Götter, verschieden benannt, eigentlich einer sind, der eben, den schon der Ahn gemeint hatte. Zu Unrecht sieht man das als späte theologische Subtilität an; es ist eine Sonderart frühen religiösen Nachdenkens. Wie sich die Gestalt solchen primitiven »Universalismus« im Erneuerungsstreben einer Spätzeit – in der Hand eines großen Theologen und großen Dichters – wandelt, ist dem Büchlein von Jona abzulesen. Albrecht Alt hat in seiner Schrift über den Gott der Väter aus einer 61. Brockelmann, Allah und die Götzen, Archiv für Religionswissenschaft XXI (1922) 120 f., sieht auch den vorislamischen Allah als wesensgleich an »mit jener Gottheit«, die in der israelitischen Tradition als El-ʿ olam und El-ʿ eljon der Erzvätersagen fortlebt.

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Vergleichung der Bezeichnungen Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs mit ähnlichen auf späten ostjordanischen Inschriften der Nabatäerzeit den Schluß gezogen, auch bei jenen bedeute wie bei diesen die Bezeichnung »der Gott des X«: der von X als dem Ersten verehrte Gott, der sich, bisher unbekannt, jenem offenbart hat und daher nun auch von dem Kreise aller sich dem Ersten Anschließenden als dessen Gott bezeichnet wird. Mit Recht betont Alt 62 , hier sei »schon in der ersten Anlage der Keim zu einer ganz anderen Entwicklung gegeben als bei den Orts- und Naturgöttern: kein Haften des Göttlichen an einem kleineren oder größeren Stückchen Erde, wohl aber eine Bindung an menschliches Leben, erst an ein Individuum, dann durch dieses an eine ganze Gruppe«; mit Recht hebt er »die Beziehung dieses Gottes zu genealogisch zusammengeschlossenen Verbänden, zu Sippen und Stämmen« hervor und weist darauf hin 63 , daß »der Zug zum Sozialen und zum Historischen« den Lebensverhältnissen nomadischer Stämme entspricht. Aber zu Unrecht meint er in den drei Sonderbezeichnungen – Schild Abrahams, Schreck Isaaks, Recke Jakobs – drei Götter, die Götter dreier Offenbarungen erblicken zu müssen. Wenn Laban in der (auch von Alt herangezogenen) Erzählung neben dem Gott Abrahams einen Gott Nahors zu nennen weiß, so ist daraus wohl nicht zu entnehmen, daß auch Nahor Empfänger der Offenbarung eines neuen Gottes gewesen sei. Zwei wesensverschiedene Arten der Gottesbezeichnung haben die gleiche Form: die Bezeichnung nach dem Ersten und die Bezeichnung nach einem, der zwar den Gott überliefert bekommen, aber doch seine persönliche Beziehung zu ihm als eine für ihn selber und für seinen Kreis grundwichtige Tatsache in einem neuen Beinamen ausspricht. Alt führt eine Grabinschrift aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert an, in der ein Mann namens Abedrapsas sich zu dem ihm angestammten »Gott des Arkesilaos« bekennt, der aber auch ihm selber erschienen sei. Eine Bezeichnung »Gott des Arkesilaos und Gott des Abedrapsas« wäre im Mund eines Späteren nicht unangemessen gewesen. Isaak bekennt sich zum Gott Abrahams, der aber auch in besonderer, biographisch fundierter Weise sein Gott ist und heißt, und so fort. Es sind nicht drei Götter, es ist ein Gott, ein großer Weggott, der den Weg durch das Leben seiner Gläubigen geht, ehe er den Weg durch das Leben »seines Volkes« gehen wird. Eben der, der dann als »Der da ist« verkündigt wird, ist es, auf den jetzt der Elementarlaut »Der!« hinzeigt: er sitzt nicht auf dem Sinai und wartet, auch jetzt schon geht er, führt, ist gegenwärtig. 62. Alt, Der Gott der Väter 41. 63. A. a. O. 46.

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Wir wissen von der glaubensgeschichtlichen Lage der »ägyptischen« Zeit nichts und dürfen aus zusammenhanglosen Aeußerungen (wie Ezechiel 20, 7 f.) nur vermuten, daß es ein Zustand religiösen Verfalls war, aus dem Mose die Stämme aufgerührt hat. Wir können nur so vorgehen, daß wir die Auszugszeit unvermittelt neben die Väterzeit stellen. Wenn wir aus der Atmosphäre der Vätertradition, wie wir sie uns hypothetisch zu vergegenwärtigen versucht haben, in die der Auszugstradition versetzt werden, tritt uns auf den ersten Blick ein Neues entgegen, von dem sich aber bald ergibt, daß es nicht eine Wandlung des beteiligten Gottes, sondern nur eine der beteiligten Menschen bedeutet. Der Gott ist, wie wir ja bereits gesehen haben, seinem Wesen nach nicht anders als der urzeitliche, aber sein menschlicher Partner ist wesentlich verändert, und somit ist die gemeinsame Situation eine ganz andere, und somit ist die Sphäre des göttlichen Handelns so sehr eine andere geworden, daß man leicht auch den Charakter dieses Handelns als verschieden ansieht und damit die Identität des Handelnden verkennt. Das Neue auf der Menschenseite ist, daß es hier »Volk« gibt. Nicht notwendig schon »ein Volk« im strengen Sinn, aber Volk. Das heißt: nicht mehr eine um die Offenbarungsempfänger und deren Sippe gesammelte Schar wie dort, sondern ein Etwas, das – gleichviel, ob es »alle« Stämme umfaßt oder nur etliche, wogegen die anderen in Kanaan geblieben oder vorher dahin zurückgekehrt sind – eben »Israel« genannt wird und zu dem der Gott sich als zu »seinem Volke« bekennen kann. Wir wissen nicht, ob »Israel« ursprünglich ein Volksname oder der Name eines »heiligen Bundes« ist, zu dem sich die Stämme unter Mose vereinigen 64 , indem sie sich ihrem sakralen Rufe nach »Israel« benennen, das ist wahrscheinlich nicht »Gott streitet«, sondern »Gott herrscht« 65 . Aber wenn »Israel« ursprünglich dies bedeutet, dann hat diese Gemeinschaft infolge besonderer geschichtlicher Voraussetzungen, im Augenblick des Auszugs – das heißt im Augenblick, wo wir sie historisch wahrzunehmen vermögen – bereits jenen Grad der Selbstverständlichkeit im Verbundensein trotz aller Differenzen erreicht, für den wir das Wort »Volk« auch da gebrauchen dürfen, wo noch nicht alle Merkmale des Begriffs gegeben scheinen. Und wenn »Israel« schon ursprünglich ein Volksname ist, so gibt es das Volk aktual doch erst jetzt, nicht in Aegypten, sondern erst im Auszug aus 64. Sachsse, Die Bedeutung des Namens Israel (1922) 91; Noth, Das System der zwölf Stämme 90 ff. 65. Noth, Die israelitischen Personennamen (1929) 207 f.; Buber, Königtum Gottes 193, 252 f.; Moses 166 f.

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Aegypten, und erst jetzt hat sein Name sich vollkommen in seinem Sinn dargestellt, als »das sichtbare Programm der Gottesherrschaft« 66 . Und an diesem Volk, als an einer in seinen Augen schlechthin bestehenden Einheit, handelt nun der Gott, ebenjener, den die Väter als mitgehenden Schutzgott entdeckten, geschichtlich. Die Wandlung, die wir, nunmehr in der natürlichen Zeitrichtung vorschreitend, an ihm wahrzunehmen vermeinen, ist die Wandlung der Situation zur geschichtlichen, und Mose Größe ist, daß er diese Situation empfängt und ausschöpft. Kein Zustrom von außen ist zu erkennen; nach Kenitischem zu suchen erübrigt sich; von dem ägyptischen Aton, den etwelche als »monotheistisch« heranziehen möchten, hat JHWH nichts angenommen; mag ihm sonst einzelnes angeflogen sein, so hat es sein Wesen nicht berührt. Er wird als Geschichtsgott kund, weil er Gott Israels wird, das es eben erst jetzt gibt, das er eben erst jetzt »finden« kann (Hosea 9, 10), und weil dieses Israel eben jetzt in die Geschichte eintritt. Er offenbart sich ihm: das vorgeschichtlich Verborgene wird geschichtlich offenbar. Wir gehen glaubensgeschichtlich nicht von einer Art Gott zu einer anderen Art, sondern faktisch von dem verborgenen, dem »sich verbergenden« zu dem sich offenbarenden. Forschen wir beim ältesten Schriftpropheten, Amos, nach, welche Traditionen über dieses Handeln JHWHs er unbedingt voraussetzt, welche Erinnerungen daran also er als den gemeinsamen Bestand des Volksgedächtnisses in jedem seiner Hörer vorzufinden weiß, so ergeben sich uns alsbald die zwei: die Führung – aus Aegypten und durch die Wüste – (2, 10; 3, 1; 9, 7) und jene Aneignung, die der Sprecher mit einem an die Vermählung (Genesis 4, 1) anklingenden, aber später auch zur Bezeichnung der elementaren Berufung und Bindung des Propheten verwendeten (Jeremia 1, 5) Wort, »ich erkannte euch« (Amos 3, 2) ausdrückt. Das erste, das jeder zu bereden pflegte und jeder zu verstehen meinte – »Ich habe euch heraufgeführt« (2, 10) – enthüllt Amos (9, 7) als etwas, was gar nicht Israel eigentümlich, sondern die Grundtatsache des geschichtlichen Umgangs dieses führenden Gottes mit den Völkern ist. Absichtlich werden die beiden Nachbarvölker genannt, die – das eine in der Frühzeit, das andere in der unmittelbaren Vergangenheit – ganz Israel oder doch Juda am heftigsten bekämpft hatten: an diesen euch schmerzlichsten Beispielen sollt ihr sehen, daß dieser euer Gott, dessen geschichtlichen Handelns an euch ihr euch brüstet, eben durchaus so, wesensmäßig so geschichtlich an den Nationen handelt, indem er ihre Wanderungen in ein selbständiges Los lenkt und führt. Das zweite aber, 66. Volz, Mose 88.

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nach Ausdruck und Sinn ungeläufig, aber im Volksgedächtnis den Vorgängen der Offenbarung und des Bundesschlusses entsprechend, enthüllt Amos als die übergeschichtliche, »nur« Israel allein unter den Völkern eigentümliche Erwählung zum unbedingten Gebundensein: »darum« – und nun folgt das eiserne Verb aus dem Dekalog – »ordne euch ich zu alle eure Verfehlungen«; offenbart hat sich JHWH keiner anderen »Sippe des Erdbodens« als diesem Israel, ihm aber eben als sich, als den »eifernden Gott«. Und Amos’ Zeitgenosse Hosea, ein Mann, der nichts Allgemeines voraussetzt, sondern das Intime unmittelbar ausspricht, läßt JHWH sein »Eifern« durch seine Erfahrung mit Israel in der Wüste erklären: ich habe geliebt (11, 1), ich bin verraten worden (9, 10; 11, 2; 13, 6). Jene semitischen Völker, die ihren Stammesgott mit dem Beinamen Malk, das ist ursprünglich Berater, Entscheider, Führer, später erst König, bezeichneten, scheinen damit nicht erst die Orakelgewalt aus der Zeit der Seßhaftigkeit, sondern die Führung einer frühen Wanderschaft und Landnahme ausgedrückt zu haben; es sind Nomadengötter, Führergötter des Stammes, die durch den politischen Bedeutungswandel des Wortes selber zu »Königen« werden; dem Typus, wenn auch nicht der Bezeichnung, begegnen wir in der Botschaft Jephthas an den »Ammoniter«- (vielmehr Moabiter-) König, in der er ihn darauf verweist, sein Gott Kamos habe ebenso wie JHWH andere Völker »enterbt«, um dem von ihm geführten Volk Land zu geben (Richter 11, 23 f.). Der Amosspruch vom Führen der Aramäer lehnt solche Auffassung ab: die Völker wissen nicht, wer ihr Befreier ist, jedes nennt den seinen mit anderem Namen, jedes meint einen für sich zu haben, wir aber kennen den Einen, denn wir sind von ihm »erkannt«. Das ist der nationale Universalismus des prophetischen Glaubens. Die mosaische Zeit hat diese gläubige Schau auf die Völkergeschichte freilich noch nicht, aber sie liefert die gläubige Grunderfahrung, durch die sie ermöglicht wird. Was uns hier erhalten ist, darf man nicht als »Historisierung« eines Mythos oder eines Kultdramas, nicht als Versetzung eines ursprünglich Zeitlosen in die geschichtliche Zeit ansehen 67 : ein großer Geschichtsglaube entsteht nicht durch Umdeutung des Außergeschichtlichen, sondern durch Erfahrung eines geschehenden Ereignisses als eines »Wunders«, das heißt als einer nur im Bereich göttlicher Tat zu erfassenden Tatsache. An uns ereignet sich etwas, das wir unsrer Welt nicht zuzuschreiben vermögen; soeben hat es sich ereignet, wir können es nicht verstehen, wir können es nur glauben (Exodus 14, 31). Es ist 67. Vgl. Königtum Gottes 119 ff. (gegen Mowinckel, Psalmenstudien II).

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heiliges Ereignis. Wir bekennen, was geschah (15, 1, 21): »Singen will ich dem JHWH, / Denn er erhob sich erhaben, / Das Roß und seinen Lenker / Schleuderte er ins Meer.« 68 In diesem sicherlich gleichzeitigen Liedspruch ist die Befreiung als heiliges Ereignis ausgesagt. Ein späteres, aber nach Bildhaftigkeit und Sprache sehr altes, dem Deboralied nahestehendes Gedicht, das Rahmenlied des Mosesegens, besingt in seiner ersten Hälfte (die zweite hat die Landnahme zum Gegenstand) eine Reihe von Gotteserscheinungen in der Wüste 69 , mit der vom Sinai her beginnend; dem schwierigen Text ist abzugewinnen, daß erst die »Heiligen« des Volkes sich, JHWH »zu Füßen lagernd« (vgl. Exodus 24, 10), um ihn scharen, daß es sodann aus den Reden des Gottes die »Weisung« (thora) empfängt, die Mose entbietet, daß so »die Gemeinde Jakobs« JHWHs »Erbteil« wird, daß endlich die Häupter der Stämme zusammentreten und JHWH zum Melekh ausrufen. Was hier an heiligem Ereignis besungen wird, läßt sich aus der Erzählung nur unvollständig rekonstruieren. Daß die Proklamation fehlt, ist wohl aus einer Scheu zu erklären, die durch den von den Propheten bekämpften Einfluß der nachbarlichen Melekhkulte, das Eindringen des Kindesopfers, hervorgerufen worden ist; erst Jesaja nennt (6, 5) JHWH unmittelbar »den Melekh«, nachdem er mit unüberbietbarer Wucht die Unreinheit des Volkes in Gegensatz zu ihm gestellt hat. Aber wir besitzen noch einen andern Widerhall der Ausrufung: den Schlußvers des Meerlieds (Exodus 15, 18), der zwar nicht wie der Eingang ereignisnah, jedoch gewiß »nicht allzu lange nach dem Ereignis, das es besingt, gedichtet ist« 70 . Hier wird triumphierend verkündigt, die Melekhschaft des Gottes werde ewig währen. Das läßt sich weder vom Staatsbegriff des Königtums aus verstehen noch vom späteren Begriff eines kosmisch-kultischen Königtums des Gottes aus, sondern nur eben von dem Bewußtsein der wandernden Stämme von ihrem göttlichen Führer aus: es ist die Herrschaft dieses Führers über sein Volk, die ausgerufen wird. So haben wir, den zwei Amossprüchen gemäß, zwei Vorgangsreihen vor uns. Die eine umfaßt die Führung aus Aegypten und durch die Wüste nach Kanaan, die andere die Offenbarung, den Bundesschluß, die Er68. Vgl. Moses 108 ff. 69. Die Deutung auf den Landtag zu Sichem ist abwegig; nichts in dem Josuabericht rechtfertigt diese Hymnik der großen Theophanie. 70. Sellin, Einleitung in das Alte Testament, 7. Auflage (1935) 22. Daß es sich um einen späteren Psalm handle (so z. B. Hans Schmidt, Das Meerlied, Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft N.F. VIII 1931, 59 ff.), läßt sich nicht dadurch begründen, daß darin kaum anders als in anderen Psalmen von dem Schilfmeerereignis die Rede sei: kein Psalm ist so auf dem einen Ereignis und seinen Wirkungen aufgebaut.

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richtung einer Volksordnung unter der Führung des Melekh. Die erste Reihe besteht um der zweiten willen. So sind die Worte »zu mir« in der ersten, der Erzählung von der Gewitteroffenbarung noch vorausgeschickten, Sinaibotschaft (19, 4) zu verstehen 71 . JHWH trägt das Volk, wie der Adler zuweilen auf seinen Schwingen ein Junges trägt (eine späte Ausgestaltung des Bildes Deuteronomium 32, 11), zur Offenbarungsstatt: wird es auf die Stimme, die es nun vernehmen wird, hören und den Gottesbund, in den es nun eintreten wird, wahren, dann soll es JHWH, dem die ganze Erde gehört, unter all den Völkern, die sein sind, ein »Sondergut« werden: ihm, dem König, ein ihn zunächst umgebender, ihn unmittelbar bedienender »Königsbereich« (wie II Samuel 3, 28) von »Adjutanten« (kohanim wie II Samuel 8, 18 = »die Ersten zur Hand des Königs« I Chronik 18, 17 u. a.), ein für ihn ausgesonderter (»heiliger«) Volkskörper (das bedeutet goj). Der Spruch stammt wohl erst aus der Zeit des großisraelitischen Reiches 72 und ist schon von dem staatlichen Bedeutungswandel des Melekhbegriffs bestimmt; aber eine überlieferte Grundanschauung von dem Sinn der Auszugs- und Bundesschlußvorgänge scheint sich in ihm verdichtet zu haben. JHWH handelt als Melekh im Führersinn, dann aber tut er sich im Bunde als Melekh im Herrschaftssinn (und erst in der literarischen Bearbeitung: im Staatssinn) kund. So, durch heiliges Ereignis, entsteht die glaubensgeschichtlich entscheidende Kategorie des »heiligen Volksleibes« als Bild und Forderung, um sich nach vielfältigem Versagen des Volkes zu messianischer Verheißung und Erwartung zu wandeln. Beide Vorgangsreihen verschmelzen in denkwürdiger Weise in dem großen Sacrum, dem größten wohl, das »Nomadenglaube«, genauer: der Glaube landsuchenden Volks an den göttlichen Führer der Landsuche, je hervorgebracht hat, der Lade 73 . Sie kann keiner späteren Zeit entstammen als dieser, der noch der ganze sinnbilderzeugende Impetus des heiligen Abenteuers innewohnte. Sie kann auch, trotz mannigfacher religionsgeschichtlicher Parallelen zu dem einen oder dem andern Bestandteil der Lade 74 , kaum irgendwoher entlehnt sein, denn gerade in 71. Vgl. Moses 148 ff. 72. Der bedeutsame Spruch ist später vielfältig homiletisch ausgearbeitet worden (vgl. Deuteronomium 4, 20; 7, 6; 14, 2; 26, 19; I Könige 8, 53); doch läßt er sich in seinem konzentrierten Stil von alledem durchaus unterscheiden. Seine Vorstellung von dem Gott, dem die Erde gehört und der sich aus allen Völkern eines wählen kann, ist glaubensgeschichtlich früher als Amos’ universaler Befreier-Gott. 73. Vgl. Eerdmans, De godsdienst van Israel (1930) I 56 ff.; Volz Mose, 100 ff.; Klamroth, Lade und Tempel (1933) 30 ff.; Sellin, Alttestamentliche Theologie (1933) I 30 ff.; Buber, Königtum Gottes 228 ff.; Moses 214 ff. 74. Vgl. Martin Dibelius, Die Lade Jahves (1906).

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der Vereinigung dieser Bestandteile liegt ihr Wesen. Sie trägt den Cherubensitz des Herrn, der darauf thronend den Wanderzug und den Kriegszug (hier sind beide noch unlösbar verbunden) anführt; und sie ist ein Schrein, die Tafeln enthaltend, welche »das Zeugnis« oder richtiger »die Vergegenwärtigung« heißen, weil in ihnen der Bund gegenwärtig geblieben ist und durch sie sich stets vergegenwärtigt, weshalb die Lade auch »die Lade des Bundes« genannt wird. Keins von beiden dürfte fehlen; das Sacrum ist die sichtbare Einheit der beiden Gottesfunktionen: des Führers, der jetzt, in der geschichtlichen Situation, auch »ein Kriegsmann« (Exodus 15, 3) geworden ist, und des Offenbarers, dessen Offenbarung, einmal geschehen, nie mehr unoffenbar werden darf, sondern in den Stein gehauen oder auf die Rolle geschrieben bleiben muß. Doch auch ihr kommt kein Haften an einem Ort, sondern die Bewegung zu: die Tafeln gehören in die Lade, die Lade aber ist grundsätzlich beweglich, beweglich im Zelt und außer ihm, die Tragstangen dürfen ja nie herausgezogen werden (25, 15). Auch nachdem die Lade im festgegründeten Tempel in Jerusalem steht, werden sie nicht entfernt (I Könige 8, 8); aber das ist nun nur noch Pietät einer Tradition und einer Symbolik gegenüber, unmittelbar weiß man von dem führenden Gotte nichts mehr. Der wüstengeborene Doppelruf (Numeri 10, 35 f.) an den Herrn der mit dem Lager aufbrechenden und der mit dem Lager haltmachenden Lade »Erhebe dich, JHWH!« und »Kehre ein, JHWH!« und der »Melekhjubel« darüber, daß Israels Gott »bei ihm ist« (23, 21), ertönen nicht mehr. Man hat noch seinen Sondernamen, JHWH Zebaoth, der JHWH der Scharen (des Volksheers und des himmlischen, von denen schon das Deboralied sagt), im Munde, aber man weiß nicht mehr wirklich, was das heißt – bis Amos es wieder lehrt. Das Paradox, auf dem das Sacrum der Lade gegründet ist (alles »Heilige« hat paradoxen Grund), ist, daß ein unsichtbarer Gott als kommend und gehend wahrgenommen wird. Der Tradition nach, soweit wir sie noch zu erkennen vermögen, muß die Lade ins »Zelt der Begegnung« – nicht das in der Wüste unvorstellbare, dessen Zusammensetzung beschrieben wird, aber das Führerzelt (»das Zelt« von Exodus 33, 7 ff.) – nach der Sühnung des Jungstier-Dienstes gebracht worden sein. Das Stierbild, das nichts anderes sein will als ein Bild ebendes Gottes, »der euch aus dem Land Aegypten heraufgeführt hat« (32, 4), wird hergestellt, um die Führung dauernd sinnlich wahrnehmbar zu machen. In der Vergebung wird gewährt (33, 14, 17), daß sein »Antlitz« mitziehe. Das bedeutet, daß eine Sichtbarkeit zugestanden wird, die keine ist; nicht die eines »Schnitzbildes« oder einer »Gestalt« (20, 4), sondern, wie in der Schau der Alten (24, 10), die eines Ortes. Das ist die Stunde, in der das

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Sacrum geboren wird. Später hat man sich das in seiner Wirklichkeit schon damals nicht mehr Rekonstruierbare durch die Vorstellung des »Kabod«, der vom Unsichtbaren ausstrahlenden feurigen Gotteswucht, faßbarer zu machen gesucht, die, wie sie auf dem Berg »Wohnung nahm« (24, 16), nunmehr jeweils die »Wohnung« des Zeltes »füllt« (40, 34). In Wahrheit widerspricht es dem Sinn des Zeltes, daß der Kabod es füllt und Mose »nicht ins Zelt kommen kann« (V. 35). Das wahre Zelt – einst das Führerzelt Moses, jetzt das des Gottes – ist eben dadurch gekennzeichnet, daß Mose zur »Begegnung« mit dem Gott hineingeht (33, 7) und »jeder, der JHWH sucht«, sein Ansuchen Mose übergeben kann, damit der es mit dem Gott berede. Zur Führung gehört das göttliche Wort im Gespräch: Auskunftsspruch und Initiativspruch. Der Auskunftsspruch geht später vom Gotteswort auf das dinghafte UrimOrakel über und vom Nabi, dem »Künder«, als den die frühsten Schriftpropheten den Mose aus der Tradition kennen (Hosea 12, 13), auf den Priester. Aber der Initiativspruch, der eigentliche Führerspruch, der nicht Antwort, sondern Auftrag und Befehl ist, ergeht auch weiterhin nur an den Propheten, den »die Hand« ergreift und entsendet. Könige regieren, Priester walten ihres Amts, aber der machtlose und unbeamtete Mann des Geistes vernimmt das Wort seines Führers. Außer der tragbaren Gottesstätte ist ein anderes noch aus dem Leben des wandernden in das des seßhaften Volkes eingegangen, und dies so tief, daß es seine Seßhaftigkeit überdauert und alle seine nachmaligen Wanderschaften mitgemacht hat, ewig neue Begehung des Erstmaligen: das Passahfest 75 . Ein wohl uraltes Nomadenfest ist hier durch das heilige Ereignis zu dem Geschichtsfest kat exochen umgeprägt worden, aber es ist eben der Aufbruch, der in der Feier wiederkehrt, der Anbeginn der Wanderschaft; aus dem geschichtslosen Nomadenfest ist das geschichtliche geworden. Die Hüften gegürtet, die Sandalen an den Füßen, den Stab in der Hand, in der Hast des Aufbruchs soll man das Opfermahl verzehren (Exodus 12, 11). Man tut, was einst getan wurde, man mimt es nicht bloß; indem man es mimt, tut man’s. In jeder Geschichtsferne, in jeder Heimatlichkeit erregt sich in dieser Nacht der Antrieb der gottgeführten Wanderung wieder, und Geschichte geschieht. Man erzählt sich die Festlegende, sie, die »kein literarisches Produkt von spätem Ursprung sein kann«, sondern »Tatsachen enthält«, »feste Tradition, die aus dem Grunde der geschichtlichen Ereignisse herausgewachsen ist« 76 . 75. Vgl. insbesondere Pedersen, Passahfest und Passahlegende, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N.F. XI (1934) 161 ff. und meinen »Moses«, 101 ff. 76. Pedersen, a. a. O. 168.

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Aber man erzählt nicht etwas, was sich eben damals und dort begeben hat. »In der Passahnacht, die mit dem Stab in der Hand, in Wandertracht und ›flüchtiger Hast‹ verbracht wird, wächst die Schar der zum Mahle Versammelten in jedem Jahre und in aller Welt mit jenen ersten Kultteilnehmern zu einer unlösbaren Einheit zusammen, die sie einst in Aegypten durchlebt haben« 77 . Wie man, den Bund im Leben wahrend, ihn als einen weiß, den »JHWH unser Gott mit uns am Horeb geschlossen hat«, »nicht mit unseren Vätern«, sondern »mit uns selber, diesen hier heut, uns Lebendigen allen« (Deuteronomium 5, 2 f.), so erfährt man, Führung berichtend und Geführtsein meinend, an sich selber die Geschichtstat des Führers. In seiner Nachfolge durchwacht man die Nacht, für ihn, ihm ergeben: »Eine Nacht des Wachens war das für JHWH, sie aus dem Land Aegypten zu führen, und das eben ist diese Nacht: für JHWH wachen, allen Söhnen Israels für ihre Geschlechter« (Exodus 12, 42). B’rith, Bund, zwischen JHWH und Israel, bedeutet biblisch die Erstreckung der Führung und der Nachfolge auf den Gesamtbereich des Volkslebens. Das Grundverhältnis, das sich sinnlich darin darstellt, daß der Gott – gleichviel in welcher Erscheinungsform (Feuersäule usw.), oder auch ohne irgendeine (Lade, »Antlitz«) – der Wanderschar vorangeht und sie hinter ihm her, wissend, daß sein Weg der rechte ist, wird nun als ein allumfassendes angesprochen und im Bundesschluß sakral als ewige Bindung gestiftet. Der Gegenseitigkeitscharakter dieser Bindung wird verkündigt, ist aber schon von der zunehmenden Ahnung überschattet, daß ein Bund mit einem solchen Gott keinen Rechtsvertrag, sondern ein Sichhergeben an die Macht und die Gnade bedeutet. Der höchste Ausdruck dafür ist in jenen beiden Sprüchen JHWHs (3, 14 und 33, 19) enthalten, die sich durch die Satzkonstruktion (zwei gleiche Verbalformen durch ascher, das in solchem Fall: wer immer, als wer immer, wen immer, wem immer usw. bedeutet, miteinander verknüpft) als zusammengehörig erweisen und von denen der eine besagt, der Gott sei zwar immer gegenwärtig, aber jeweils so, wie es ihm gefalle, das heißt, er lasse sich auf keine Erscheinungsformen beschränken und beschränke sich selber auf keine, und der zweite, er wende seine Gnade dem zu, wem er sie eben zuwenden wolle, und lasse sich kein Kriterium vorschreiben und schreibe sich selber keins vor. Aber eben damit hängt auch jenes Element zusammen, das man die »Dämonie« JHWHs genannt hat 78 und dessen Grauen wir unüberwindlich verspüren, wenn er »im Nachtlager« auf den eben erst erwählten und entsandten Mose 77. Hempel, Das Ethos des Alten Testaments (1938) 43. 78. Vgl. Volz, Das Dämonische in Jahwe (1924), und meinen »Moses« 82 ff.

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stößt und ihn zu töten trachtet (4, 24). Das ist kein Rudiment, kein aus einem älteren Polydämonismus wie durch ein Versehen in diese reinere Sphäre geratener »primitiver Unhold«, sondern es gehört zur Grundform der frühbiblischen Religiosität, ohne die man auch die spätere nicht verstehen kann. Der Gott fordert den erwählten Menschen oder dessen Teuerstes an, er überfällt ihn, um ihn dann, als einen »Blutsbräutigam«, einen ihm blutmäßig Angelobten, Angetrauten freizugeben. Dies ist die älteste Offenbarung der Gnade: die echte Gnade ist eine Todesgnade, eine Begnadigung – der Mensch schuldet, urschuldet sich dem Gott. Sinnreich ist hier wie bei Jakob (Genesis 32) der Vorgang mit einer vordem anbefohlenen Wanderschaft verknüpft: der Wanderer hat die gefährliche Begegnung zu bestehen, um die endgültige Gnade des Führergottes zu finden. Die Konzeption der Nachfolge steigert sich – nicht mehr mosaisch, aber noch frühbiblisch – zu der einer Nachahmung des Gottes, und zwar in der Ausdeutung der größten von Mose gestifteten Institution, des Sabbats. Auch dieser scheint nicht aus dem Nichts geschaffen zu sein, wiewohl noch unklar ist, woher er stammt 79 . Gewiß ist, daß die dargebotene Materie von einer gewaltigen Glaubensmächtigkeit ergriffen, umgeschmolzen und zu einem unzerstörbaren Gebild gläubigen Lebens gestaltet worden ist. Es läßt sich keine spätere Zeit als die mosaische denken, in der dies geschehen sein kann. Man hält vielfach den »ethischen« Dekalog (Exodus 20) für später als den »kultischen« (34), aber dieser mit seinen Ernte- und Wallfahrtsfesten entspricht dem Ritual eines Bauerntums, jener ist noch »zeitlos«, von keiner bestimmten Organisationsform menschlicher Gesellschaft geprägt 80 ; der »kultische« erweist sich näherer Prüfung »als ein sekundäres Mischgebilde«, der »ethische« hat in seinem Kernbestand ursprünglichen, »apodiktischen« Charakter 81. Das in ihm enthaltene Sabbatgebot ist, auf die knappe ursprüngliche Fassung – etwa von »Gedenke« bis »deinen Gott« – zurückgeführt, das Gebot eines dem JHWH geheiligten (das heißt nicht kultisch geregelten, sondern von aller Befehlsgewalt außer der des einen Herrn befreiten) je siebenten Tages, an dem nicht, wie an den andern, »alle Arbeit« verrichtet wird; das bedeutet für den Wanderhirten, der sein Vieh nicht unversorgt lassen darf, daß er alle »Beschäftigungen, die er heute tun und morgen lassen kann«, aufschiebt, die Bebauungsarbeit in den Oasen unterbricht, nicht zu neuen 79. Vgl. Moses 117 ff. 80. Vgl. Oesterley und Theodore H. Robinson, A History of Israel I (1932) 96, und meinen »Moses« 174 ff. 81. Alt, Die Ursprünge des israelitischen Rechts (1934) 52.

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Weideplätzen aufbricht usw. . Erst in der Seßhaftigkeit wird der Sabbat zum strengen Ruhetag. Unter den ihn begründenden und ausdeutenden Sprüchen, die nun einsetzen (an Gebotvarianten sind im Pentateuch sieben zu finden), sind zwei von besonderer Bedeutung: Exodus 23, 12 und 31, 12 ff. Man pflegt sie verschiedenen »Quellenschriften« aus sehr verschiedenen Zeiten zuzuteilen, aber ein ganz seltenes (sonst nur noch einmal, in der offenbar zeitgenössischen Absalomerzählung, II Samuel 16, 14, vorkommendes) Verb, das etwa »verschnaufen« bedeutet, verknüpft die beiden, die »soziale« und die »religiöse« Begründung, im biblischen Wiederholungsstil, so daß beide auf einander bezogen und durch einander erläutert erscheinen. Der eine gibt als die Absicht der Sabbatruhe an, daß das Vieh raste und die arbeitspflichtigen Menschen, der Sklave und der fremde Lohnarbeiter, »verschnaufen«, sie alle, die die Woche über arbeiten müssen. Der andere Spruch aber, das am feierlichsten abgefaßte unter den Sabbatgeboten und das einzige, das die Uebertretung mit Todesstrafe belegt, gehört im Kernbestand seines ersten Teils (V. 1315 in knapperer Fassung) jener Reihe von Rechtssätzen des »apodiktischen Stils« an, von der Albrecht Alt, der sie in ihrem gattungsmäßigen Unterschied von allen späteren, von kanaanäischem Recht beeinflußten »kasuistischen« Formulierungen grundlegend untersucht hat, mit Recht sagt, »daß die Voraussetzungen für das Aufkommen dieser Gattung sofort gegeben waren, als die Bindung an Jahwe und in ihrer Folge die Institution der Bundesschließung und Bundeserneuerung zwischen ihm und Israel ins Leben trat« 83 . Diesem Teil aber ist ein zweiter, offensichtlich nachträglich ausbauender, beigefügt, in dem der Sabbat als »ewiger Bund« und »Zeichen auf ewig« bezeichnet wird, »denn ein Tagsechst machte JHWH den Himmel und die Erde, aber am siebenten Tag feierte er und verschnaufte«. Der krasse Anthropomorphismus spannt den Gott mit dem arbeitsmüden Sklaven zusammen, auf den das träge Herz des unabhängigen Menschen in der am stärksten aufreizenden und aufrüttelnden Weise hingelenkt werden soll; aber er führt zugleich der Gemeinschaft den höchsten Sinn der Nachfolge ihres Führers vor Augen: jeder, der zur Substanz Israels gehört – und die Knechte, einschließlich der fremdstämmigen, gehören dazu –, soll ungehindert JHWH nachahmen können. »Die apodiktisch formulierten Sätze«, sagt Alt 84 , »haben es weit überwiegend mit Dingen zu tun, um die sich das kasuistische Recht über82. Rudolf Kittel, Geschichte des Volkes Israel I, Beilage I. 83. Alt a. a. O. 69. Zur Untersuchung der Gesetzes-Stilarten vgl. auch Jirku, Das weltliche Recht im Alten Testament (1927). 84. Alt a. a. O. 47.

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haupt nicht kümmerte und seiner profanen Art nach gar nicht kümmern konnte. Denn teils geht es hier direkt um die sakrale Sphäre des Verkehrs mit der göttlichen Welt, … teils um heilige Zonen im Zusammenleben der Menschen … Religion, Sittlichkeit und Recht liegen hier noch ungeschieden ineinander.« Und weiter 85 : »im apodiktischen Recht Israels wirkt eine noch völlig ungebrochene aggressive Kraft, die schlechthin jedes Lebensgebiet dem unbedingten Herrschaftsanspruch des Willens Jahwes für sein Volk unterwerfen will und daher keine profane oder neutrale Zone anzuerkennen vermag.« Alles ist hier »volksgebunden israelitisch und gottgebunden jahwistisch« 86 . Dies entspricht unserer Einsicht, daß JHWH als »Gott Israels« nicht der Herr einer in sich geschlossenen kultischen Glaubensordnung wird, sondern der einer alle Lebensbereiche umfassenden Volksordnung, ein Melekh also, und zwar einer, der mit seinem Melekhtum – zum Unterschied von anderen Stammesgöttern – Ernst macht. Ich meine keineswegs, allzuweit über Alts vorsichtig abgewogene These hinausgehend, daß die ganze Reihe dieser rhythmisch gebauten Sätze, die sich dem Volksgedächtnis einhämmern sollen und in denen oft das Ich des sprechenden Gottes und das Du des angeredeten Israel wiederkehren, sinaitisch sei; aber auch denen, die unverkennbar schon den Geruch des Feldes an sich tragen, ist anzumerken, daß der feurige Atem vom Sinai her sie noch unmittelbar angeweht hat. Sie sind Stücke einer Volksordnung unter Gottesherrschaft. Wie hier mit »Gottesherrschaft« nicht eine abgelöst-religiöse, sondern eine in aller Realität des Gemeinschaftslebens sich auswirkende Herrschaft des Gottes gemeint ist, so mit »Volksordnung« nicht die Ordnung einer unbestimmten Gesellschaft, sondern eines ganz bestimmten Volkes. Was wir im Deboralied und anderen alten Texten »Volk JHWHs« genannt finden, dem könnte auch ein Profanbegriff, etwa »wahres Volk«, das heißt Volk, das den Sinn des ’am, der Volksgemeinschaft, verwirklicht, nah kommen, wenn er es auch freilich durchaus nicht zu erreichen vermag. Das »soziale« Element in den apodiktischen Gesetzen kann nicht von der Aufgabe aus verstanden werden, gesellschaftliche Verhältnisse zu bessern, sondern nur von der, ein wahres Volk zu stiften, als den Bundespartner des Melekh, was die anwesenden Stämme nur erst dem Tun des Gottes nach, nicht ihrem eigenen nach sind. Wenn etwa geboten wird (22, 21), Witwe und Waise nicht zu bedrücken, oder (22, 20; 23, 9) den ger, den »Gastsassen«, nicht zu placken, so geht es hier freilich um die einzelnen abhängigen, ungesicherten, der Macht des 85. Alt a. a. O. 70. 86. Alt a. a. O. 60.

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Mächtigen preisgegebenen Menschen, aber das Ziel, um dessentwillen solches geboten wird, ist nicht das Individuum, sondern das »Volk JHWHs«, das werden soll, aber nicht werden kann, wenn der soziale Abstand den Zusammenhang der Volksglieder auflockert und die Unmittelbarkeit ihres Umgangs miteinander zersetzt. Der Melekh JHWH will keinen Haufen regieren, sondern eine Gemeinschaft. Wie in einem Wurzelgeflecht, kündigt sich hier die breitästige prophetische Forderung der gerechten Gemeinschaft an, der in der Verheißung eines Zusammentritts der Völker zu einem Bund des Menschenvolks unter der Mittlung des »Knechts« aus Israel (Jesaja 42, 6) der hohe Wipfel erwächst. Von hier aus läßt sich erkennen, daß auch das Agrargesetz mit seinen Verordnungen über ein periodisches Erlöschen der Nutznießungsrechte der Sippen an dem ihnen durch das Los zugeteilten Boden nebst Schulderlaß im Sabbatjahr und über einen periodischen Ausgleich alles Bodenbesitzes im Jobeljahr nur der uns vorliegenden literarischen Fassung (Leviticus 25) nach spät ist, seinem Gehalt nach aber eine »Uebertragung der patriarchalischen Verhältnisse der Wüstenzeit auf die Agrarverhältnisse Palästinas« darstellt und darauf abzielt, daß »der unbedingte Zusammenhang des Volkes« in dem Bewußtsein des gemeinsamen Besitzes an Grund und Boden fortlebe 87 . Dieser gemeinsame Besitz ist seinem Wesen nach Gotteseigentum, wie wir es aus altarabischen Parallelen 88 kennen, und das unverkennbar frühe Wort »Mein ist das Land, denn Gäste und Beisassen seid ihr bei mir« (V. 23) äußert den uralten Anspruch des göttlichen Führers von Landsuche und Landnahme auf den ganzen Siedlungsboden 89 . So läßt ja schon die Vätersage, wie wir sahen, über den vorweg okkupierten Plätzen in Kanaan den Namen des Gottes als des wahren Eigentümers ausrufen, wie über den Latifundien (Psalm 49, 12) die Namen ihrer Besitzer ausgerufen wurden. Eigentum des Gottes und Besitz des Volkes als solchen am Boden gehören hier in ursprünglicher Einheit zusammen, die als ewiger Bestand gemeint ist, wogegen allem individuellen Anrecht nur eine bedingte und zeitweilige Geltung zukommt.

87. Jirku, Das israelitische Jobeljahr, Reinhold-Seeberg-Festschrift (1929) 178. Vgl. Alt a. a. O. 65 f. (sowie Erwägungen über die Landnahme 36 f.), der aber nur die Bestimmungen über das Sabbatjahr auf die Frühzeit zurückführt und vermutet, daß in diesem Jahr eine vollständige Neuverlosung der Ackeranteile an die einzelnen Sippen stattfand, wofür es auch aus unserer Zeit halbnomadische Parallelen gibt; vgl. auch Kennett, Ancient Hebrew social life and custom (1933) 77. 88. Vgl. Königtum Gottes 56 ff. 89. Vgl. Eerdmans, Alttestamentliche Studien IV (1912) 121 ff., Ramsay, Asianic Elements in Greek Civilization (1927) 496 f.; Kugler, Von Moses bis Paulus (1922) 49 ff.

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Innerhalb der alten Volksordnung, wie sie sich aus den apodiktischen Rechtssätzen erschließen läßt, finden wir die sakrale Sphäre des Verkehrs mit der göttlichen Welt im wesentlichen »nur im Sinne der Fernhaltung aller Handlungen, die anderen Göttern und Geistern als Jahwe gelten oder einen Mißbrauch des ihm selbst Zugehörigen und darum Heiligen wie seines Namens oder des Sabbats bedeuten würde« 90 . Nur ein einziges knappes Opfergesetz (Exodus 20, 24 ff.) läßt sich in seinem von Zusätzen 91 abgelösten Kernbestande hier anreihen. Die Worte »An jedem Ort, wo ich meines Namens gedenken lasse, werde ich zu dir kommen und dich segnen«, sind aus der echten Art des alten Wandergottes gesprochen, der sich auf keinem Berg und in keiner Tempelburg festhalten läßt. Opfer scheinen, von der nomadischen Darbringung der HerdenErstgeburt (13, 12; 34, 19) abgesehen, in der Wüste nur bei außerordentlichen Anlässen (Anschluß der Keniter, Bundesschluß am Sinai) vollzogen worden zu sein, ein fester Opferkult mit spezifizierten Opferregeln scheint gar nicht bestanden zu haben; Amos folgt darin (5, 25) offenbar einer zuverlässigen Tradition, die er radikalisiert. Zu diesem Melekhbund von Gott und Volk, zu diesem Führen und Sichführenlassen gehört aber noch etwas, noch einer: der Mittler. Die Offenbarung, der Bundesschluß, die Gesetzsprechung, die Befehlserteilung geschehen durch die »übersetzende« Rede eines sterblichen Mannes; was Israel JHWH zu fragen oder zu bitten hat, wird durch innere oder äußere Rede dieses Einzelnen vorgebracht; die Menschenart, die solchermaßen das Wort von oben nach unten und von unten nach oben trägt, wird biblisch nabi, Künder, genannt. So nennt Hosea (12, 14) den Mose. In den älteren Teilen des Pentateuch wird er nicht direkt so bezeichnet; in einer merkwürdigen Erzählung (Numeri 12) stellt ihn ein alter, in sie eingebauter Versspruch (V. 6-8a) anscheinend über die Nebiim: sie kennen den Gott nur durch die Schau, zu Mose aber, seinem »Knecht«, redet er »von Mund zu Mund« (nicht etwa von Mund zu Ohr, sondern wirklich von Mund zu Mund; vgl. aber auch Exodus 33: »von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann zum Gefährten redet«), und zwar nicht in Rätselreden, die der Mensch erst deuten muß, sondern so, daß das Empfangen der Rede »Anschauung« des Gemeinten ist. Eben dies aber entspricht dem Begriff des Nabi, wie ihn auch der Pentateuch an einer jüngeren Stelle (Exodus 7, 1; vgl. 4, 16) kennt, wo der einsprechende »Gott« auf den aussprechenden »Künder« gleichsam angewiesen ist. Aus welcher Zeit der Terminus stammt, ist verhältnismäßig unwichtig, 90. Alt a. a. O. 47. 91. Ein solcher ist z. B. die Nennung der zwei Opferarten in V. 24.

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wichtig jedoch, daß die Sache so alt wie Israel ist. Wenn die aus dem Sagenmaterial streng und folgerichtig komponierte Erzählung den Abraham erst, in eigentümlich vielfältiger Wiederholung des Motivworts »sehen«, eine Reihe von Visionen erfahren läßt, bis er zum unerschrockenen, mit JHWH rechtenden (Genesis 18, 25) Mittler zwischen Unten und Oben erwächst und nun (20, 7) von dem Gott als Nabi anerkannt wird, soll offenbar die in Prophetenkreisen herrschende Anschauung vom Alter der Prophetie zum Ausdruck gebracht werden; die zeitliche Folge Seher-Künder erinnert an einen alten wortgeschichtlichen Vermerk, der mehr als Wortgeschichte aussagt (I Samuel 9, 9). Jedenfalls läßt sich kein Zeitalter der israelitischen Glaubensgeschichte historisch begreifen, ohne diese Menschenart mit ihrem Berufen- und Beauftragtwerden, mit ihrem Verkündigen und Vermitteln darin wirksam zu sehen. Was immer Mose sonst ist und tut, sein Nabitum, sein Dienst am Wort, ist der überlieferte Kristallkern seines Wesens und Werks. Gewiß, er »prophezeit« nicht, das Prophezeienlassen gehört eben einer späteren, veränderten Situation zwischen Gott und Volk an, aber er tut, was der Nabi in dieser frühen, ungebrochenen Situation zu tun hat: er vertritt den Herrn, gibt dessen Botschaft aus, er gebietet in seinem Namen. Von da aus tut sich eine Geschichtsproblematik auf, die historisch – geisteshistorisch und politischhistorisch – von unvergleichlicher Bedeutung ist (ihre noch größere theologische bleibe hier unberührt) 92 . Der Melekh führt das Aufgebot der Volksmannschaft, den qahal 93 , durch den von ihm berufenen »Charismatiker«, den Träger der Begnadungsmächtigkeit. Aber dieses Charisma ist nicht, wie das der altorientalischen Könige, auf dem Mythos der Zeugung oder Adoption durch den Gott, sondern auf dem ganz unmythischen Geheimnis der personhaften Berufung gegründet und pflanzt sich nicht fort. Man muß nach dem Tod seines Trägers warten, bis die Ruach, der Sturmhauch (»Geist«) des Gottes, in einen neuen eindringt. (Von einem Weitergeben des sichtbaren Charismas, des »Glanzes«, oder eines Teils davon an einen Mann, »in dem Geist ist«, weiß die Schrift nur einmal – Numeri 27, 15 ff. –, von Mose zu seinem »Diener« Josua zu erzählen; die Fragwürdigkeit der Stelle wurde später durch die Einschaltung der priesterlichen Urim als entscheidender Führergewalt, V. 21 f., noch erheblich vermehrt.) Dadurch entsteht eine Diskontinuität des Auftrags und damit der faktischen Führung, die sich bei den ohnehin zu einem ungebundenen Par92. Vgl. Königtum Gottes 143 f. 93. Vgl. Rost, Die Vorstufen von Kirche und Synagoge im Alten Testament (1938) 7 ff.

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tikularismus der Sippen und Stämme neigenden Halbnomaden in der Zeit der Landnahme verhängnisvoll auswirkt, den JHWH-Bund lockert und die »israelhafte« Aktionskraft schwächt. Josuas Versuch, durch die Beseitigung der Sippengötzen und Begründung einer Amphiktyonie der Stämme um einen rein kultisch gemeinten Mittelpunkt der Einheit des Volkes die Kontinuität zu sichern 94 , gelingt nur zum Teil, wie das Deboralied zeigt: der Melekh, der das ganze Leben der Gemeinschaft bestimmen will, läßt sich nicht durch einen Kultgott ersetzen, zu dem man nur alljährlich zur Festzeit opferbringend zu wallfahren braucht. Die sinaitische Begeisterung für den unbedingten Führergott erwacht neu und spricht sich in Tat und Lied des Deborakreises aus. Aber die wachsenden Schwierigkeiten, die noch unvollständige Landnahme durchzuführen und gegen die feindlichen Nachbarvölker zu behaupten, rufen dieser theopolitischen Leidenschaft entgegen eine »realpolitische« Bewegung hervor, die auf das aus den Großstaaten bekannte erbliche Charisma, auf die dynastische Bürgschaft der Kontinuität abzielt. Der Widerstand der Melekhtreuen erhebt sich am stärksten unter Gideon, dessen Ablehnung der Krone als geschichtsecht angesehen werden darf 95 . Aber eine nationale Katastrophe begibt sich, die das Volk fast als Niederlage des Führergottes selber verstehen muß: auf dem Schlachtfeld von Ebenhaeser, das ist »Stein der Hilfe«, erbeuten die siegreichen Philister die dem israelitischen Heer voranziehende Lade des Bundes. Von dieser Stunde datiert die Wende der israelitischen Glaubensgeschichte.

94. Vgl. Königtum Gottes 157 f., 287 f. 95. Vgl. Königtum Gottes 3 ff.

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Die grossen Spannungen 1. Göttlicher und menschlicher König

Die Zeit zwischen Mose und Samuel ist religionsgeschichtlich wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß JHWH nicht bloß in der Schlacht selber als »Herzog«, auf dem Palladium thronend, voranzieht, sondern auch selber jeweils den Feldherrn kürt und ermächtigt: sein Sturmhauch, die Ruach, fährt auf den Mann seiner Wahl nieder, packt ihn, dringt in ihn ein, »bekleidet sich mit ihm« (Richter 6, 34), und dessen Schwert ist fortan JHWHs eignes (das bedeutet der Kampfruf der Gideonschar 7, 20 »Schwert JHWHs und Gideons«, das heißt, beide haben Ein Schwert), wie sein Krieg JHWHs eigner gegen »seine Feinde« ist (vgl. I Samuel 18, 17; 25, 28). Dieser Typus des »großen Richters«, der erst seinem Volke nach außen »Recht schafft«, dann aber auch im Innern die ins Wanken geratene Rechtsordnung wiederherstellt (beides wird mit demselben Verb bezeichnet), weicht in der Philisterbedrängnis dem schon vom Deboralied her bekannten Kriegsnasiräer 96, dem JHWH für dessen Krieg Angelobten, den die Ruach »stößt« (Richter 13, 25) und zu wundersamen Berserkertaten befähigt, wie die Sage es liebevoll im Bilde Simsons ausmalt. Als aber die Guerilla der Daniten von den militärisch und technisch weit überlegenen Philistern niedergeworfen wird, Dan wandern muß und die Bedrohung des Ganzen brennend spürbar wird, unternimmt die einzige damals bestehende, bisher aber rein kultische Zentralinstanz, die Priesterschaft von Silo, anscheinend unter Wahrung der Form des alten Richteramtes, den Versuch, außerhalb der Ruach-Charismatik die Gottesherrschaft als Hierokratie zu materialisieren und durch Ausnutzung der anerkannten Orakelautorität und der Lade als kriegerischer Mächtigkeit die Stämme stärker zu einigen, um sie gegen die Philister ins Feld zu führen. Die Katastrophe von Eben-ha-eser, an deren Geschichtlichkeit, wie gesagt, nicht zu zweifeln ist, macht durch den Verlust der Lade der ganzen priesterlichen Unternehmung und allen Grundlagen einer priesterlichen Politik ein Ende: der Kabod – nicht eigentlich die »Ehre«, sondern die Strahlung der »Gotteswucht« über der Lade – ist in die Verbannung gegangen (I Samuel 4, 21 f.). Nun aber setzt die Ruach-Tendenz in verwandelter Gestalt neu ein. Im jetzigen Zustand der Texte hat die Person Samuels 97 etwas Schillerndes und Unbestimmtes; 96. Vgl. Schwally, Semitische Kriegsaltertümer I. (1901) 69. 97. In den Abschnitt dieses Kapitels, der die samuelische Zeit behandelt, habe ich einige Ausführungen aus meinem noch unveröffentlichten Buch »Der Gesalbte« (Das Kommende, Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des messianischen Glau-

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wenn man die Erzählung aber, statt sie an Quellenschriften zu verteilen, als eine einheitliche behandelt und von den späteren Zusätzen befreit, erhalten wir das, wenn auch stellenweise verstümmelte, Bild einer glaubensgeschichtlich bedeutenden Gestalt. Unpriesterlicher »Diener« der Lade (3, 1, 3), wie Josua im Zelte »dient« (Exodus 33, 11), wird er zum Unterschied von ihm von JHWH selber im Raum der Lade berufen, und zwar in einem Zeitabschnitt, da die Glaubensleidenschaft des Ruachempfangs dem gleichmäßigen Walten des Priesterorakels Platz gemacht hat und »das Wort JHWHs selten geworden ist«, denn »keine Schauung bricht durch« (I Samuel 3, 1). Dieser zweifellos alte Vers bezeichnet in der Glaubensgeschichte Israels eine Wende; so wird von der Mühsal einer Geburt geredet. JHWH überwindet die Sterilität des Auskunftsorakels durch eine neue Initiative, die die kommende Katastrophe der Lade zum Gegenstand hat; nur so kann der ebenfalls unverkennbar frühe V 11 verstanden werden: der Herr der Lade sagt ihre Verschleppung und Entweihung an, und Samuel ist von ihm dazu ausersehen, in der ladenlosen Zeit an Stelle der verurteilten Priesterschaft, ohne das Ephod des Orakelsprechers, als freier Nabi die göttliche Stimme zu tragen. Man fragt sich, warum Samuel, als einige Zeit nach der Katastrophe, aus welchen Ursachen immer, die vielleicht ihres Inhalts beraubte Lade wieder zugänglich ist (7, 1), sie nicht heimholt. Wir wittern das dem Erzähler Unsagbare: Samuel darf es nicht tun. Kein anderer als JHWH selber hat seine Lade nehmen lassen; nun hat er sie aus der Philistergewalt geholt, aber dem Volk Israel will er sie nicht, noch nicht zurückgeben, denn er will nicht, daß man sich seiner bediene, statt ihm zu dienen. Was er, der Führer, will, ist, daß man auf ihn höre. Der Spruch »Hören ist besser als Schlachtopfer« (15, 22) klingt wie ein echtes Samuelwort. Gottesführung ohne Lade, das ist in der Stunde der von ihm angekündigten Katastrophe Samuels »Idee«. Es ist die jeremianische; aber hier, nicht erst vier Jahrhunderte später, ist die Stunde ihrer Geburt. Die Priesterschaft, die das Unheil verschuldet hat, muß ausgeschaltet werden. Samuel pflegt keinen Verkehr mit ihr und billigt ihr keine Tätigkeit zu. Die Lade hatte ihren Sitz in einem von Priestern verwalteten Heiligtum; als ihr »Diener« hat der junge Samuel einst in ihrer »Großhalle« (hekhal) geschlafen, aber ebenda ist ihm der Zusammenbruch angesagt worden. Keine Lade – so wird denn das vermutlich bisher ans Priesterzentrum gebundene Gemeinschaftsopfer ihm entzogen: große Notopfer bringt er selber, Samuel, dar (7, 9), sonst läßt er die Schlachtung anbens, 2. Band) aufgenommen. Die literarkritische und exegetische Begründung meiner Auffassung ist dort gegeben.

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scheinend, statt von einem Leviten, von einem hierzu bestellten Funktionär vollziehen, dem wir nur hier begegnen (9, 23). Keine Lade – so denn kein Pilgern zum dinggebundenen Orakel mehr: selber von Ort zu Ort wandernd (7, 16 f.), ist der Gottesmensch da, zu dem JHWH redet, und der zu sagen vermag, was dessen führender Wille ist 98 . Man kann JHWHs Hand nicht zwingen, auch gegen die Philister nicht; das Andauern ihrer Uebermacht gehört in sein Handeln und Planen auf Israel zu. Man hat ihm gesündigt; man muß bekennen und beten, man darf es. Das ist der Hintergrund des echten Kernbestandes in dem vielfach überarbeiteten 7. Kapitel, wo Samuel nach Nabi-Art sich als Mittler zwischen Volk und Gott einsetzt (V. 5). Er selber, der »zum Künder Betraute« (neeman l’nabi, 3, 20), ist es, auf den die – jetzt durch spätere Zusätze in ihrer Bedeutung entstellte – Bezeichnung »Priester, der getreu ist« (kohen neeman, 2, 35) der Eliden-Weissagung geht. Der wahre Nabi, so versteht es der frühe Erzähler, ist der wahre, weil der treue, Priester 99. Daß Samuel in der Stunde nach der Katastrophe, die eine Katastrophe auch des Glaubens ist, die Autorität erringt, verdankt er zunächst seiner religiösen Idee, die ihm ermöglicht, die um der Lade JHWHs willen Verzweifelnden an JHWH festzuhalten, sodann aber wohl einem tragenden Kreis, von dem uns hier nichts gesagt wird, den wir aber mit jenen frühen »Nebiim« gleichsetzen dürfen, die der den Nebiim seiner eigenen Zeit abholde (Amos 7, 14) Amos neben den Kriegsnasiräern als eine große Gottesgabe der Frühzeit nennt (2, 11 f.), als die Menschenart, die spätere Generationen schweigen hießen (von Dingen des öffentlichen Lebens schweigen, so ist es zu verstehen) und damit verderbten; sie kommen von der Glaubensbewegung her, die in der nachjosuanischen Zeit gegen die nur-kultische Zentralisierung des Amphiktyonenbundes das kämpferische Ernstmachen mit JHWH dem Gott Israels und Israel dem Volke JHWHs im ganzen Umfang des Gemeinschaftslebens forderte – eine Gesinnung, deren unmittelbare Aeußerung wir aus dem Deboralied kennen. Nur von hier aus können wir auch jene unbestreitbar mit Samuel zusammenhängende »Bande« von Nebiim (I Samuel 10, 5) im rechten Lichte sehen, die bei Saiten- und Flötenspiel von der heiligen Höhe ins Land hinausziehen (die Bamoth, die heiligen Höhen, sind hier kennzeichnenderweise nicht priesterlicher, sondern nebiischer Bereich). Was 98. Der Vorgang des Loswerfens (10, 20 ff.) gehört nicht der ältesten Traditionsschicht der Erzählung an; auch hier jedoch assistiert offenbar kein Priester. 99. Erst in dem jetzigen, durch tendenzhafte Ergänzung entstandenen Zustand der Erzählung erscheint das Wort als auf eine neue, die alte ablösende Priesterdynastie, die der Zadokiden, gemünzt.

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die Bande zur Musik tut, was also hier hithnabbe, sich als Nabi verhalten oder betätigen, bedeutet, darf man sich nicht als aus undisziplinierten Gebärden und unartikulierten Lauten bestehend vorstellen; die Kampfbegeisterung pflegt im Volk früher Kulturen nicht durch dergleichen, sondern durch den zwar ekstatischen und das ganze Menschenwesen beanspruchenden, aber zugleich rhythmisch streng gebundenen, mit rhythmischen Bewegungen aller Glieder zusammenwirkenden Vortrag leidenschaftlich eintöniger Gesänge oder Sprechgesänge aufgerührt zu werden, der in der Tat zuweilen so kontagiös wie manche primitiven Gemeinschaftstänze wirkt, aber nicht in einen regellosen Taumel, sondern in eine musikgestaltige, rhythmisch beschwörende Einheit aus kündender und aufrufender Gebärde, kündendem und aufrufendem Laute reißt. Diese Einheit geht im Schwellen der Ekstase in eine rhythmisch gebändigte Vorgestalt des heiligen Kampfes selbst über. Man wird verstehen, mit welcher Kraft ein solcher Kreis den Nabi Samuel emporzutragen vermochte. Gewiß hat der Singular Nabi nicht den gleichen Bedeutungsinhalt wie der wohl ältere Plural; aber Samuel, »der Nabi«, hat mit der Kollektivität der Nebiim das Grundwichtige gemeinsam, daß er wie sie der Einwirkung JHWHs in einer besonderen Weise ausgesetzt ist. Beim Priester, wie bei seinem Gegenbild, dem Zauberer und Beschwörer, geht die entscheidende Bewegung von der menschlichen Person in den Bereich des Gottes (oder der Geister und Mächte) hin, beim Nabi und bei den Nebiim besteht sie darin, daß aus dem Bereich des Gottes etwas auf den Menschen niederfährt, Dabar oder Ruach, Logos oder Pneuma, Wort oder Geist. Diese beiden sind nicht streng geschieden. Der Dabar ersetzt die Ruach nicht, sondern tritt zu ihr. Wer biblisch in der Vollmacht steht, hat erst die Ruach erfahren, dann den Dabar empfangen. Dort erhält man den Antrieb, hier den Gehalt. Wo die Nebiim kollektiv erscheinen, da herrscht, wie in der Erzählung von der Geistergießung über die Aeltesten (Numeri 11), die Ruach allein. Nabi ist ursprünglich die Bezeichnung nicht für einen Stand, sondern für einen Zustand, und zwar im wesentlichen für einen Gemeinschaftszustand, der die der Ruach ausgesetzten Menschen jeweils erfaßt, zusammenbringt und über Land treibt. Damit aber kann nicht eine qualitative Trennung zwischen den kollektiven Nebiim und dem personhaften »Nabi« gemeint sein 100 . Auch er steht, wenn er nicht zum Sprechen, sondern zu einem Tun berufen wird, unter der Einwirkung der vorwortlichen Macht. Hinwieder ist auch den kollektiven Nebiim der Dabar nicht fremd. Wohl erschließt 100. Wie besonders Jepsen, Nabi (1934) meint.

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sich ihnen nicht das neue Wort, das sich, um vernommen zu werden, erst das personhafte Ohr erlesen und »entblößen« (I Samuel 9, 15) muß; aber was sie zur Musik sprechen oder singen, ist nirgends als Schreie oder als Gelall bezeichnet, es sind Worte, und wir dürfen annehmen, daß diese nicht in glossolalischem Gewirr sondern in erinnertem Gefüge aufsteigen: es ist vor allem andern wohl alter, in mündlicher Treue bewahrter Dabar, den sie in ekstatisch beharrlichem Gleichmaß sprechen oder singen. Auch diese Pneumatiker dienen dem Logos. Nur aus dem Zusammenwirken von Nabi und Nebiim in der Zeit der Katastrophe erklärt es sich, daß Samuel da die Priesterschaft verdrängt und die priesterliche Leitung durch die prophetische, das gebundene Orakel durch das freie und anscheinend auch das den Priestersitzen verhaftete Gemeinschaftsopfer durch ein von Bama zu Bama wanderndes ersetzt. Trotz solchen Zusammenwirkens hat die samuelische glaubensgeschichtliche Wende keine geschichtlich dauernde Gestalt gewonnen, seine primitive Kultreform ist gescheitert, seine Führerschaft ist geschichtlich nur eine Episode geworden. Das Verlangen der »Realpolitiker« nach einer dynastischen Sicherung wuchs an, bis Samuel und die Seinen ihren Widerstand aufgeben und einen menschlichen König einsetzen mußten (das ist nicht spätere »Quelle«, sondern gehört zum Kernbestand der Erzählung). Zu verstehen ist dies daraus, daß sie außer etwa einem geringen, im jetzigen Text ungeheuerlich aufgebauscht erscheinenden 101 Teilerfolg, nichts gegen die Philister auszurichten vermochten. Den Sieg hat Samuel nicht erbetet, und ein kriegerischer Charismatiker im Sinn der alten Stammeshelden ist er gewiß nicht gewesen. Wenn wir das 8. Samuelkapitel von den seinen Sinn arg entstellenden Zusätzen befreit haben, lesen wir an dessen Anfang, alle Aeltesten Israels seien zu Samuel nach Rama gekommen und hätten von ihm gefordert: »Setze uns einen König ein, uns zu richten, allen Völkern gleich.« Daß »richten« hier in seiner alten Bedeutung »jemandem sein Recht verschaffen, ihm zu seinem Recht verhelfen, ihm sein Recht erfechten« zu verstehen ist, geht aus der erneuten und genauer begründeten Forderung V. 20 f. hervor. Man hält diese, um sie glaubensgeschichtlich voll zu erfassen, am besten neben den Deboraspruch (Richter 4, 14). »Zieht JHWH nicht aus vor dir her (jaza l’phanekha)?« – so redet Debora den Barak an. »Nein, sondern ein Melekh soll über uns sein, daß auch wir werden wie alle Völker, Recht verschaffen soll uns unser Melekh, auszie101. Die Verse 13 f. lassen sich mit der zu Anfang von Kap. 13 herrschenden Situation nicht in Einklang bringen. Sie sind ein Zusatz, der ursprünglich nur das »bis hierher« von V. 12 zeitlich vorgreifend und auf Sauls (V. 13) und Davids (V. 14) Siege hinweisend ausdeuten wollte.

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hen soll er vor uns her (w’jaza l’phanenu) und unseren Kampf kämpfen« – so reden die Aeltesten Israels Samuel an. Er hatte ihnen zur Antwort auf ihre erste Forderung das Wort JHWHs überbracht, er verstehe sie so, daß sie ihn, JHWH, als der bisher ihr Melekh war, »absetzen« wollten, aber er wolle ihnen willfahren, »nur daß« ihnen die Rechtsbindung des Königs, der über sie regieren werde, seine »Richtschnur« 103 , anzusagen sei; gemeint ist damit nicht, was V. 11-18 folgt (das ist ein späterer, wohl ebenso wie Deuteronomium 17, 15 ff. einem der von salomonischer Zeit an aufkommenden Pamphlete entnommener Zusatz), sondern die 10, 25 zur Verlesung gelangende Verfassung, die den im Namen JHWHs Gesalbten als nagid (10, 1), als »Vorangestellten«, Herrschaftsvertreter, als nach oben verantwortlichen, von oben absetzbaren (15, 23) Statthalter binden soll, so daß es eben doch kein Königtum wie das »aller Völker« wird, sondern unter dem Titel eines Melekh ein Vikariat des wahren. Sie aber, die Volksvertreter, verstehen nicht, was ihnen gesagt wird, sie erneuern und begründen genauer ihre Forderung. Ihr Ruf will von der geschichtlichen Situation aus verstanden werden: es ist die unverwindbare Erinnerung an die Katastrophe der Lade und des von ihr geführten israelitischen Heers und das Bewußtsein der Vergeblichkeit der seitherigen Befreiungsversuche, die daraus spricht; dahinter steht die Enttäuschung an Heiligtümern und Gottesmännern, wo es um den Krieg gegen die Philister geht. Sie sind von der Lade enttäuscht worden, und sie sind vom Geist enttäuscht worden. Das Volk ruft nach dem charismatischen Feldherrn, und zwar nicht nach einem ungesicherten, wie es die großen Richter waren, sondern mit Sicherung gegen Tod und Interregnum, mit vererblichem, dynastischem Charisma, »wie es alle Völker haben«. Nur noch in solcher leiblicher, biologisch verfestigter Machtgestalt kann das Volk sich von der Gnade die Rettung erhoffen. Die Ruachherrschaft JHWHs hatte zu innerer Unordnung und äußerer Ohnmacht geführt, weil Israel nicht wirklich das »Volk JHWHs« geworden war. Nun aber wird in sakramentaler Salbung, das heißt Einsetzung mit Ermächtigung und Dauerauftrag (die sakramentale Salbung mit Oel bedeutet Erhaltung einer bestimmten Substanz oder Kraft für die Dauer), das zweite Organ, das statthalterliche »Königtum«, gestiftet. Wie wir im alten Orient Bund zwischen Gott und Volk kennen 104 , aber nur in Israel das Unterfangen, damit Ernst zu machen, so begegnen wir 102. Die scriptio defectiva legt nah, daß ursprünglich der gegenwärtige Philisterkrieg gemeint war. 103. Vgl. Numeri 9, 14 die »Richtschnur« oder Verfassung des Passahfestes. 104. Vgl. Königtum Gottes 124.

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in Aegypten, Babylonien, Südarabien der Konzeption des Königs als Vikar des Gottes 105 , aber nur in Israel der Verwegenheit, sie ganz wirklich und lebenbestimmend, als echte Verantwortung zu verstehen. In jener ersten Epoche wurde vom Am, von der Volksgemeinschaft, gefordert, daß es ein wahres Am, in dieser zweiten vom Nagid, vom Vorangestellten, daß er ein wahrer Nagid werde. Jenes und dieses ist nicht in schriftprophetischer Auseinandersetzung, sondern mit der Stiftung selbst erfolgt. Die schriftprophetische Auseinandersetzung ist nicht elementare Aktion, sondern Reaktion auf die Nichtrealisierung des Gemeinten durch das Volk, durch die Könige. Die frühe Schriftprophetie der Amos und Hosea bedeutet die Reife des Protestes. Sie fängt nicht an, sie erinnert sich an den Anfang und rechtet um das, um was es dort ging. Wer sie aus den Luftwurzeln unfundierter Vorstellungen, statt aus den Erdwurzeln erinnerter Tatsachen wachsen läßt, hält schließlich ein Gewächs in Händen, das er Prophetie nennt, das aber nichts weiter als religiöse Literatur ist. Das Bild, das durch die ganze Königszeit Israels geht: der Prophet mit dem König rechtend, ist weder von allgemein-religiösen Postulaten noch von speziell-historischen Situationen aus zureichend zu verstehen, obgleich beides mitwirkt. Das wesentliche Verständnis gewinnen wir erst, wenn wir die zumeist unausgesprochene und keines Ausspruchs bedürftige theopolitische Voraussetzung dieser prophetischen Haltung erkennen: den statthalterlichen Auftrag, den die Könige nicht vollziehen. Die »Richtschnur des Königs«, die mit der Erwählung und Salbung Sauls verknüpft ist und ihn zum Gehorsam seinem ihn beauftragenden und ermächtigenden göttlichen Oberherrn gegenüber verpflichtet, kommt zwar in der Geschichte der Folgezeit nicht mehr vor, aber sie steht gleichsam sinnbildlich am Anfang, und das weitere, sowohl die literarische Kritik des Geschichtsschreibers als die politisch-faktische der Propheten, will von der Grundtatsache aus betrachtet werden, daß dieses Königtum in der Stiftungsstunde konstitutiv an den Gotteswillen gebunden und ihm verantwortlich gesprochen worden ist. Es ist mit Recht gesagt worden 106 , daß keine Ursache besteht, an der geschichtlichen Basis der Auffassung zu zweifeln, wonach »der König als Vollstrecker des Gotteswillens und Samuel als der Künder und Hüter dieses Willens« gilt. Ist dem aber so, so darf auch angenommen werden, daß dieses Grundverhältnis als das fundamentale Prinzip des israelitischen König105. Das. 49 f. 106. Weiser, I Samuel 15, Zeitschrift für die alttestamentl. Wissenschaft, N.F. XIII (1936) 22 f.; vgl. auch Alt, Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina (1930) 22 ff.

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tums überhaupt in das Bewußtsein der Männer eingegangen ist, die in der Staatszeit den einst in der Wüste offenbarten unbedingten Anspruch JHWHs auf die Führung der Gemeinschaft, nun also auf die Oberhoheit im Staate vertraten. Daß sie sich lange nicht haben entschließen können, die Bezeichnung melekh auf den Gott anzuwenden, liegt auch daran, daß sie ihnen durch ihren profanen Gebrauch in der gewandelten Bedeutung untauglich geworden zu sein scheinen mußte; melekh ist eben jetzt der König in der Königsburg in all seiner Unzulänglichkeit, wie soll man Gott so nennen? Dazu kommt aber, wie gesagt, daß in einem illegitimen heterodoxen Kult im Hinnomtal einem Gott, vorgeblich JHWH selber, als Melekh nach der Weise der nachbarlichen Melekhgötter Kinderopfer dargebracht wurden 107 , bis in später Zeit JHWH sich gegen die Entweihung seines Namens verwahren mußte (Jeremia 32, 35). Erst Jesaja stellt in der Stunde der Berufung (6, 5) »den Melekh«, den wahren, JHWH der Heerscharen, dem mit Aussatz geschlagenen »Melekh« Usia (V. 1, vgl. II Könige 15, 5, II Chronik 26, 16 ff.) gegenüber, als den verratenen und zürnenden Herrn. So ziehen sie, diese zumeist unbeamteten, nur eben berufenen Männer, deren Vollmachtshandlung der Königsalbung dennoch bei allen Dynastiegründern in Israel (mit Ausnahme Omris) berichtet wird und noch in nachexilischer Zeit fortwirkt (Nehemia 6, 6 f.), die unbotmäßigen Statthalter auf dem Thron zur Rechenschaft. Nacheinander wiederholen Samuel zu Saul (I Samuel 15, 17), Nathan zu David (II Samuel 12, 7), Ahia zu Jerobeam (I Könige 14, 7) das Gotteswort: »Ich habe dich zum Melekh gesalbt« oder »Ich habe dich zum Nagid gemacht«. Vierhundert Jahre lang tritt einer nach dem andern vor den Fürsten und hält ihm den gebrochenen Bund vor, bis Jeremia, kurz vor dem Zusammenbruch, das ungerechte und daher unrechtmäßig gewordene Königshaus dem Untergange weiht (Jeremia 22, 6 ff.). Was hier als der Sinn jener Königsbindung an den den Auftrag erteilenden und hierzu Macht verleihenden göttlichen Oberherrn erscheint, das ist bereits lange zuvor in einem höchst denkwürdigen Dokument ausgesprochen, an dessen Altertümlichkeit zu zweifeln der keineswegs archaisierende, sondern echt archaische Stilcharakter 108 nicht erlauben sollte, den sogenannten letzten Worten Davids (II Samuel 23, 1-7). Aus dem »Gesalbten« des Gottes redet »die Ruach JHWHs«. »Der Gott Israels spricht: / ›Mir ist‹ – der Fels Israels ist’s, der redet – ›ein Herrscher über die Menschen, gerecht, / ein 107. Vgl. Königtum Gottes 97 ff. 108. Lagarde hat in seiner Psalmenvorlesung erklärt, wenn irgendetwas, so sei dieser Liedspruch David zuzuschreiben.

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Herrscher in Gottes Furcht, / und wie Morgenlicht strahlt es auf, / Sonne er eines Morgens, / da vor Glanze nicht Nebeldunst blieb.‹« »Mir ist …«, sagt der Gott Israels: solch einen Herrscher »hat« er, er hat ihn im Sinn 109 . Hier bricht die messianische Konzeption aus ihrer geschichtlichen Hülle. David hat die Lade, die Samuel nicht heimholen wollte, »in Freuden« nach Jerusalem gebracht (6, 12). Damit aber waren nicht nur die Irrfahrten der Lade, sondern auch ihre Führung zu Ende. Kurz vorher hatte er ohne die Lade die Führung unmittelbar erfahren: JHWH hatte ihm, jenen Spruch der Debora an Barak wiederholend, angesagt (5, 24), er wolle, durch die Wipfel der Balsambäume rauschend, gegen die Philister ihm voranziehen (jaza JHWH l’phanekha). Nun, da ihm JHWH »Ruhe geschafft hat von all seinen Feinden ringsum« (7, 1), ist die Führung zu Ende. Kriege werden noch geführt, aber von der Führung hören wir nichts mehr, »der Krieg JHWHs«, das »für Israel Kämpfen«, das mit dem Auszug begann (Exodus 14, 14, 25) und in den Schlachten der Landnahme als kosmische Tat empfunden wurde (Josua 10, 14; Richter 5, 20), ist nun, mit der Sicherung des verheißenen Landes, zu Ende; erst in ferner Zukunft, im Zeitalter des Neubeginns nach der Heimkehr aus dem Exil, vernehmen wir noch ein letztes Mal (Nehemia 4, 14) das urzeitliche Wort. In der Botschaft, die JHWH nach der Heimbringung der Lade David durch Nathan den Nabi sendet, gedenkt er (II Samuel 7, 6) der Zeit, als er bei dem Volke »da war (ehjeh), miteinhergehend in Zelt und Wohnstatt«. Er erinnert ihn daran (V. 8), wie er ihn – auch ihn, wie vormals den Mose, wie nachmals den Amos – »von hinter den Schafen fortnahm«, damit er Nagid über sein, JHWHs, Volk, über Israel werde, und wie er seither (V. 9) »bei ihm da war«, wohin immer er ging; nun aber habe er Israel »eingepflanzt« (V. 10), nun könne es nicht mehr wie zur Zeit, da er Richter über es entbot, bedrückt werden, nun habe er David »Ruhe geschafft« (V. 11) und wolle ihm nun »ein Haus machen«. Das ist die Rede, auf die als auf einen Bundesschluß auf ewig jene »letzten Worte« Bezug nehmen (23, 5). Sich selbst kann er mit jenem »gerechten Herrscher« nicht meinen, ihn kann der Verfasser der Worte damit nicht gemeint haben. Die »Ruhe« ist da und das »Haus« ist da, aber es fehlt jenes Königtum der Gerechtigkeit, wie es in dem kleinen Fürstenspiegel beschrieben wird, der mit der Ueberschrift »An Salomo« oder »Des Salomo« unter die Psalmen (72) geraten ist. Von der Königsbindung ist in der Geschichte Salomos – zum Unterschied von David, der Rede stand und bereute – nichts mehr zu merken. Sie endet damit, daß 109. Diese Interpretation August Klostermanns (1887) ist nicht überholt worden.

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JHWH erst ihm einen »Widersacher« nach dem andern »erstehen läßt« (I Könige 11, 14, 23) und dann (V. 29 ff.) einen Propheten aussendet, um den Rebellen zu ermächtigen, der das Reich Israel entzweireißen wird. Durch ihre Aneinanderreihung und Darstellung der Begebenheiten äußert die Erzählung alle Kritik, die geäußert werden sollte. Von Mose zu Samuel ist glaubensgeschichtlich nur ein Schritt, von Samuel zu Salomo, dem Sohne seines Schützlings, ist ein weiter Weg. Die Selbstsicherheit des Weihespruchs (8, 12 f.) nach dem Bau des Tempels, den Salomo »zum Sitz für die Ewigkeit« errichtet zu haben sich rühmt, des Tempels, in dem nun die Lade zur Ruhe gebracht ist, droht den Anblick des seiner Zeltwanderung eingedenken Führergottes selber zu verstellen. Doch auch anderswoher scheint seinem Bild eine Verschattung zu nahen. 2. JHWH und der Baal Die Kontroverse, ob die von Aegypten nach Kanaan wandernden Hebräer »Polytheisten« oder »Monotheisten«, oder wie die schulmäßigen Begriffe sonst lauten, gewesen seien, ist müßig. Sie waren dem JHWH, ihrem Befreier, dem Führer ihres Zuges, mit einer gewiß nicht bei allen gleichmäßigen, aber bei einem Teil des Volkes zur Leidenschaft gesteigerten Ausschließlichkeit ergeben; was irgend als von ihm, dem Mitgehenden, ihnen zubereitet zu empfinden war, wurde als seine Gabe empfangen. Aber wenn sie einem beachtenswerten Ding begegneten, das offenbar nicht erst von ihrem Schutzgott ihnen auf den Weg hergebracht oder hergeschickt worden war, sondern sich schon vorher an diesem Platz befunden hatte, irgendeinem seltsam geformten Buschwerk etwa, einem ungewöhnlich steilen Felsblock, erging es ihnen nach gemeinsemitischer Art (die nur ein besonderes Residuum der frühmenschlichen Art überhaupt ist): sie nahmen eine an diesem Ort hervorbrechende Mächtigkeit wahr und grüßten sie, den El dieser Erscheinung. Oder wenn einen, ohne daß er sich etwa an JHWH vergangen hätte, urplötzlich, mit der jähen Grausamkeit des Wüstenwindes, ein rätselhaftes Fieber überfiel und an ihm zu zehren begann, nahm er eine ihm zugeflogene »dämonische« Macht wahr und beschwor den Sched. (Ich sage »wahrnehmen«; denn es geht hier keineswegs nur um eine Art, Gegenstände und Begebenheiten zu interpretieren, sondern um eine, sie wahrzunehmen, um etwas sinnlich Primäres und Selbstverständliches.) Aber wenn sie von jenem Ort weiterzogen oder wenn jenes Uebel vorbei war, ging

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sie jene Bewegung nichts mehr an, und sie waren ungehemmt bereit, das wunderliche – freundliche oder boshafte – Wesen zu vergessen. Dazu kamen noch allerhand Fetische und Amulette, die einem bewußt wurden, wenn man sie »brauchte«, aber die einem sonst naturgemäß nie in den Sinn kamen. Glauben und Dienst gab es nur, wo es Kontinuität gab, Beständigkeit der vorgestellten Person und des Umgangs mit ihr. Erst nach immer neuen Ueberwindungen immer neuer elementarer Widerstände lernen diese kindlichen Menschen, die alles Ungewohnte, was ihnen widerfährt, mit undifferenzierter Heftigkeit erfahren, ihren Gott und sein Handeln auch in Bezirken wiederzuerkennen, die ihm fremd sein zu müssen schienen. Die Besitznahme des ganzen Lebens durch JHWH ist in der Stunde des Offenbarungsbundes in stürmisch voreilender Volksentscheidung feierlich proklamiert worden; ihr faktischer Vollzug geschieht langsam, stufenweise, durch Rückschritte unterbrochen, auf die wieder Fortschritte folgen, bis wirklich das Leben der Gemeinschaft dem »lebendigen Gott in ihrer Mitte« (Josua 3, 10) untertan ist. Es gibt aber einen Bereich der neuen, siedelnden Existenz, der wesensmäßig dem Wesen des kommenden Gottes widerstrebt. Das ist der zentrale Daseinsbereich des primitiven Bauerntums: das Geheimnis der erdhaften Fruchtbarkeit, dessen staunender Entdeckung die Erfindung des Ackerbaus entstammt. Staunend stehen die Einwanderer vor den Segnungen pflanzlicher Vermehrung, die nicht wie die der Herdentiere aus dem vertrauten Vorgang ihrer Paarung sich hinlänglich verstehen läßt, sondern deren wesentlicher Antrieb sich im Schoße der Erde ereignet. Da nämlich begatten sich männliche und weibliche Macht, Baal und Baalath, »Eigner« und »Eignerin«, zahllose Götterpaare, zumeist nur durch die Ortsbezeichnungen voneinander geschieden: der Erguß des Wassers – Regen, Quell oder Grundwasser – befruchtet den Erdboden, und ein reiches Wachstum entsprießt ihm 110 ; noch im Talmud und sogar in spätarabischer Rechtssprache wird das keiner künstlichen Bewässerung bedürfende Feld (arabisch nur das von Grund- oder Quellwasser getränkte) das Feld oder Haus des Baal genannt. Auch dies ist nicht Interpretation eines Naturprozesses, sondern die angestammte Art, ihn wahrzunehmen. Aber der Mensch ist nicht passiver Zeuge der Mächtevermählung; durch sakrale Begattung, in der Mann und Weib die sich vermischenden Götter nachahmen und gleichsam mit ihnen identisch werden, kann er Kraft und Wirkung der göttlichen Befruchtung unmittelbar steigern. Solche ortgebundenen Fruchtbarkeitsgeister 110. Vgl. Königtum Gottes 65 f., 205 ff. Der dort angeführten Literatur ist insbesondere hinzuzufügen: Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina II (1932) 31 f.

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sind auf der Kulturstufe Kanaans zur Zeit der israelitischen Einwanderung überall verbreitet; aber im entwickelteren syrischen Gemeinwesen tendieren die individualitätslosen Baale dazu, sich zu einem persönlichen Gott namens Baal zu verdichten, der sowohl als Gott eines städtischen Zentrums in wohlbewässerter Gegend als auch als regenspendender Gott auftreten kann, der im Himmel seinen Wolkensitz hat. In dieser zweiten Art haben wir jetzt in den mythologischen Texten von Ugarit den phönizischen, mit dem vorphönizischen Wettergott Hadad identifizierten Baal, auch Alijan genannt, näher kennengelernt. Wir lesen, wie er, der als Alijan »der Herr der tiefen Quellen« genannt wird und in den Gründen der Erde haust, als himmlischer Baal »die Schleusen der Wolken öffnet« und wie er – der wie sein Vater El als Stier erscheint – eine kuhgestaltige Göttin auf der Weide »liebt« und mit ihr einen Jungstier zeugt. Die in Kanaan einfallenden hebräischen Nomaden finden die Baale nicht bloß in der Vorstellung der eingeborenen Bevölkerung, sondern gleichsam leibhaft vor: es bedarf nur eines Hinweises, und schon sehen auch sie, in die große Oase dieses Landes vordringend, »unter jedem saftigen Baum« die Götterpaare ihr Wesen treiben. Und diese da vergißt man nicht wieder, man kann sie nicht vergessen, denn sie sind ja zu Hause, wo man siedelt, sie sind wahrhaftig die »Eigner« dieses Ackers, um den man pflügend wirbt, und es kann einem nicht glücken, wenn man ihnen nicht so dient, wie sie es wollen. Man gibt JHWH damit ja keineswegs auf, in Zeiten der Feindesnot kehrt man sich ihm zu und vertraut sich seiner bewährten Führung an, aber um Bauernmagie kann man sich an den alten Wandergott eben nicht wenden. Nach der biblischen Erzählung (Numeri 25, 1 ff.), die Hosea (9, 10) bestätigt, läßt sich das Volk noch vor dem Betreten kanaanäischen Bodens, in der Steppe von Moab, von den Landestöchtern betören, mit ihnen dem »Baal der Schluft« zu dienen, und »sie werden Greuel wie das, was sie lieben«. Aber die Verwebung der Sexualriten mit dem Rhythmus der Bauernarbeit lernen sie erst dem Volk Kanaans des Sohns Hams ab, jenes Kanaan, der in der Geschichte vom Rausche Noahs (Genesis 9, 18 ff.) immer wieder genannt wird, obwohl er damit nichts zu tun hat 111 , und zuletzt mit dreifachem Fluch belegt wird, obgleich er nichts verbrochen hat; es geht hier eben nicht um den Mann, sondern um das Volk, und das durch dreimalige Wiederholung unterstrichene Motivwort »die Blöße des Vaters« finden wir in den Gesetzesabschnitten (Leviticus 111. Vgl. zum Folgenden Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung 58 ff., sowie meinen »Moses« 280 f.

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18 und 20) wieder, deren einleitende Rede gebietet, nicht »nach dem Tun des Landes Kanaan, wohin ich euch bringe«, zu tun, die von den Sexualverfehlungen handeln und deren erstes Einzelverbot (18, 7) mit den Worten »die Blöße deines Vaters« (nur noch hier in der Bibel) beginnt. Die Genesis- und die Leviticusstelle sind paronomastisch aufeinander bezogen, und es ist die Promiskuität der kanaanäischen Sexualkulte, vor der zwischen den Zeilen gewarnt wird; sie ist mit der »Verfehlung des Amoriters« (Genesis 15, 16) gemeint, die noch in späten Traditionen (Testament Judas 12) als »Brauch der Amoriter« wiederkehrt, durch sie »wurde das Land unrein« (Leviticus 18, 25, 27) und »spie seine Insassen aus« (V. 25); Israel soll sich hüten, daß das Land nicht auch es ausspeie (V. 28). Dies ist eines der Zeugnisse dafür, wie tief in die biblische Komposition – an der nicht erst nachexilisch, sondern im Lauf der Königszeit immer wieder gearbeitet wird – der Protest gegen den Baalsdienst hineingewirkt ist. Von den Sexualriten selbst wird nie anders als so, scheu und andeutend gesprochen; man sagt »Höhen« und meint, was auf ihnen geschieht; man gebraucht wunderliche, sozusagen technische Ausdrücke, wie »sich dem Baal verjochen« (Numeri 25, 3), womit ein Paar gemeint ist, das in der gemeinsamen Funktion wie ein Ochsenpaar aneinandergeheftet dem Baal dient, oder einen konventionellen, wie wenn von den Kanaanäerinnen gesagt wird (Exodus 34, 16), daß sie »ihren Göttern nachhuren und deine Söhne ihren Göttern nachhuren lassen«. Die sakrale Orgiastik der syrischen Tempelprostitution wird im Gesetz unmittelbar nur in einem knappen Hinweis erwähnt (Deuteronomium 23, 18), und in der Erzählung erfahren wir erst aus dem Bericht über die radikale Reform des Königs Josia (II Könige 23, 7), ein halbes Jahrhundert vor dem Zusammenbruch, daß sie unter seinem Vorgänger mit ihren »Weihemädchen« und »Weiheknaben« bis in den Tempel JHWHs eingedrungen war. Dieser extreme »Synkretismus« hatte freilich offenbar mehr höfischen als volkstümlichen Charakter; aber überall, wo die Könige entweder JHWH als Baal darstellten, wie es anscheinend Jerobeam I. mit seinem Stierbild intendierte 112 , oder den großen phönizischen Baal einführten, wie Ahab und die Späteren, meinten sie, zu Recht oder zu Unrecht, die Volksneigung zu den kleinen, lokalen Baalen ausnutzen zu können. Bis zu Ahabs Unternehmung finden wir freilich nirgends, daß der Baalismus sich dem JHWH-Kult zur Seite stellt. Die Baale wurden zwar gründlich rezipiert, aber als die notwendigen religiösen Requisiten eines erfolgreichen Ackerbaus behandelt, für den eben JHWH, der Wanders- und 112. Vgl. aber hierzu meinen »Moses« 214 ff.

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Kriegsmann, wesensmäßig nicht zuständig sei; an seine Verehrung sollte damit nicht gerührt werden. Man wollte sich nach wie vor als Volk zu JHWH allein bekennen, die Fruchtbarkeitsspender kannte man nur, und zwar privat und intim. Diese vorgefundenen Lokalgötter boten sich für solch eine Aufteilung des Lebens ebenso dar wie die alten mitgebrachten Sippenfetische; auch sie waren partikulär, jedermann kannte nur den seines Ortes, und so gingen sie in das allgemeine Bewußtsein gar nicht ein; die Gemeinschaft konnte mit gutem Nationalgewissen JHWH-Gemeinschaft bleiben. Die JHWH-Treuen haben es sehr schwer, gegen diese Haltung – die eben nur Haltung ist und gar nicht zu Bekenntnis übergeht – anzukämpfen. In einer Zeit feindlicher Bedrängnis braucht man nur die Altäre der baalischen Ortsgötter niederzureißen (Richter 6, 28), und es ist getan: sowie der Befreiungskrieg ausgerufen wird, ist nur noch JHWH aktuell, jene werden, wie die Augenblicks-Elim auf der Wanderschaft, alsbald vergessen. Aber sowie der Friede mit der Regelmäßigkeit des Bodenbaus wiedergekehrt ist, hat JHWH einen schweren Stand gegen die überall umherwimmelnden, anonymen, ungreifbaren kleinen Gewalten. Er kann der wirkliche Herr des Volkes, der Gott Israels im alten unbedingten Sinn nur bleiben, indem er sich des Bereichs der neuen, agraren Lebensform bemächtigt; aber wie soll das geschehen, ohne daß er sein Eigentlichstes einbüßte? Der Betrieb des kanaanäischen Landbaus ist in der unüberwindlich scheinenden Selbstverständlichkeit seiner Traditionen mit den Mythen und Riten der Geschlechtlichkeit verknüpft; er aber, JHWH, ist durchaus, mit der Intransigenz des Wesens selbst, der Geschlechtlichkeit überlegen, er kann nicht dulden, daß sie, die, wie alles natürliche Leben, der Heiligung durch ihn bedarf, heiliggesprochen werde. Für einen Kompromiß ist kein Raum gegeben. Wer JHWH baalisiert, läßt Astarte in den Tempel ein. Im Jerusalem des siebenten Jahrhunderts werden wir der mit ihr wesensidentischen Anath 113 , der »Königin des Himmels«, noch als tempelfremder, nur dem privaten Frauenkult vertrauter Rivalin JHWHs begegnen (Jeremia 44, 17 ff.), aber in der jüdischen Nilkolonie Elephantine des fünften – die in manchem an die Zustände in Jerusalem vor der josianischen Reform erinnert – bereits als offizieller Gefährtin eines zum Baal zusammengeschrumpften »Jaho«. Von den wirklich dem JHWHDienst treuen Kreisen wird die Unvereinbarkeit von JHWH-Wesen und Baalswesen schon früh erkannt. Erst wird JHWH, als der einzige wahre Herr des Landes, auch in Sauls und Davids Familie mit dem Titel Baal 113. Vgl. insbesondere Vincent, La religion des Judéo-Araméens d’Eléphantine (1937) 622 ff.

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bezeichnet, wie damit gebildete Eigennamen bezeugen; diese Sitte ist aber offenbar nur von kurzer Dauer, wiewohl erst Hosea die tiefe Gefahr der Verquickung ausspricht. Die Losung »JHWH gegen Baal« muß demgemäß das religiöse Fundament des westsemitischen Bodenbaus erschüttern wollen: das Fruchtbarkeitsgeheimnis der Begegnungen von Wasser und Erde muß entsexualisiert werden. Natürliche Bodentränkung ist keine Vermählung einströmenden männlichen Elements mit empfangendem weiblichen, sondern Gabe des gebenden Gottes, des Herrn über alle Fruchtbarkeit – das ist, aus der Sprache des Glaubens in die der Glaubensgeschichte übersetzt, der Bekenntniskern der Tat Elias des Thisbiters, der ein Jahrhundert nach David und ein Jahrhundert vor Hosea lebte. Der zweite, positive Teil des Satzes, aus dem der erste folgt, war freilich schon aus davidischer Zeit im Josefsspruch des Jakobsegens überliefert (Genesis 49, 25), wo die göttliche b’rakha der naturhaften Fruchtbarkeit als »Segnungen des Himmels von droben, Segnungen der Urflut, die drunten lagert, Segnungen von Brüsten und Schoß« zugesprochen wird – ein Spruch, dessen Gewicht wir ermessen können, wenn wir bedenken, daß noch in einem so jungen Stück wie das 28. Deuteronomiumskapitel (V. 4, vgl. 18 und 51) der Verfasser, offenbar ohne sich überhaupt noch etwas dabei zu denken, schreibt: »Gesegnet die Frucht deines Leibes, die Frucht deines Bodens, die Frucht deines Viehs, der Wurf deiner Rinder, die Astarten deiner Schafe«, wobei mit dem letzten, geläufigen Ausdruck natürlich die Trächtigkeit gemeint ist, die man in Kanaan eben als Gabe der Astarte anzusehen pflegte. Wie Salomo für seine sidonische Gemahlin einen Kult der sidonischen Astarte eingerichtet hatte (I Könige 11, 1, 5, 8), so Ahab für seine Tyrerin einen des tyrischen Baal, der seiner lokalen Würde nach Melkart, »Stadtkönig«, heißt; nur daß er, obgleich er seinen Kindern Namen gegeben hatte, die auf Verehrung JHWHs hinwiesen, auch selber dem Fremdling huldigte (16, 31) und damit eine bis dahin unerhörte Verletzung seiner Pflicht als Gesalbter des israelitischen Gottes beging. Man hat diesen phönizischen Baal gegen die kanaanäischen Fruchtbarkeitsspender als wesensmäßig verschieden abgrenzen wollen; inzwischen haben wir ihn in Ras Schamra als ihren echten, nur eben unvergleichlich gewaltigeren Bruder kennengelernt, und der Erzähler selbst wirft ihn wohl nicht ohne Absicht mit ihnen zusammen (18, 18), wie denn auch hier die Verirrung des Baalismus mit jenem »Tun des Amoriters« gleichgesetzt wird (21, 26). Ja, es ist eben diese Verdichtung der unzähligen kleinen Ortsgötter in dem flutungs- und begattungsmächtigen »Herrn der Erde«, die den frontalen Kampf gegen das Baalswesen ermöglicht und ausgelöst hat.

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Elia aus der Ostjordansteppe, eine durch den Schleier der Sage erkennbare große geschichtliche Gestalt, in der Erzählung von Ahab ohne Elternnamen erscheinend und ohne Grab verschwindend, geht durch die verfallsgezeichnete städtische Kultur als der streitbare und unbeugsame Nomade, langhaarig, im härenen fellumgürteten Mantel, an den Enkidu des Gilgameschepos gemahnend, nur daß diesen die Tempeldirne betört, an ihn aber keine Verführung des Baalswesens rührt. Alles, was von ihm erzählt wird, ist mit Gehen, mit Wanderschaft verknüpft; Gottes Stimme, Engelsstimmen heißen ihn wieder und wieder aufstehen und gehen; der Sturmhauch JHWHs trägt ihn hinweg, man weiß nicht wohin (18, 12); die Hand JHWHs kommt über ihn und treibt ihn zum Lauf an (V. 46). Er ist mit seinem Leben auf den Wüstenzug und auf die Sinaioffenbarung bezogen: als ihm »unter einem einsamen Ginsterbusch« (19, 4) der Wunsch zu sterben kommt und ein Engel ihn atzt, geht er vierzig Tage und Nächte, den vierzig Jahren des Wüstenzuges gemäß, gleichsam den Weg zurück zum Berg der Offenbarung, und da empfängt er eine Offenbarung, die zwar nicht ihren Inhalt, aber ihre ebenfalls offenbarende Gestalt darin hat, daß der eifernde Sinaigott dennoch nicht in Sturm und Feuer, sondern in dem »dünnen Schweigen« west, das Elia, obgleich es nicht Flüstern oder Säuseln, sondern eben, Schweigen ist, »vernimmt« (V. 12); und auch dies geht in eine Aussendung über. Durch den Schleier der Sage erkennt man den Mann der heiligen Unruhe, zwischen Botschaftserfüllung und der an der Welt verzweifelnden Suche nach seinem Gott. Dann aber zerreißt der Schleier, und im klaren geschichtlichen Licht steht er Ahab gegenüber (21, 17 ff.), in der rechten geschichtlichen Haltung des Künders JHWHs zum »König von Israel« (V. 18), und rechtet mit ihm um das große Unrecht, das er begangen hat, im Namen des wahren Herrschers und auf Grund der von ihm auferlegten Bindungen den ungetreuen Statthalter verfluchend. Hier hat der harte theopolitische Sachverhalt allen Versuchen der Tradition, ihn legendär zu verklären, widerstanden. Nicht so in der Erzählung von Dürre, Karmelkampf und Regenguß (Kap. 17 f.), mit der die Eliageschichte (ursprünglich wohl ein Buch, dessen Anfang fehlt) beginnt. Ihre Sprache ist die der Legende, aber ein religionsgeschichtlicher Gehalt läßt sich unschwer rekonstruieren, wenn man die rein sagenhaften Züge entfernt und die übrigen wesentlichen Vorgänge sinngemäß ordnet. Es geht darum, zu erweisen, daß das Baalswesen keine Macht über das Himmelswasser und über die Fruchtbarkeit der Erde hat: mit seinem ersten Spruch (17, 1) an Ahab verkündigt Elia eine lange Dürre, erst auf ein von ihm überbrachtes Wort JHWHs hin werde es wieder Tau und Regen geben. Nach jahrlanger Dürre sagt er

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dem König (18, 1) ihr Aufhören an, dem Volke aber ruft er zu (V. 21), sie dürften nun nicht länger vermeinen, auf den beiden Gabelzweigen zugleich hüpfen zu können (das von Ursprünglichkeit strahlende Bild meint den Vogel, der auf dem Ast vorantrippelt, bis wo der sich zu zwei Zweigen gabelt, nun aber den einen Fuß auf den einen, den andern auf den andern setzt und so meint, weiterkommen zu können). Nur eins von zweien könne wahr sein: entweder sei JHWH »die Gottheit« oder der Baal sei es; nur einer von beiden könne die Macht haben (welche Macht, das ist in einem Agrarland nach einer langen Dürre selbstverständlich); wessen Macht sich erweise, dem sollten sie nachfolgen. Und nun, nachdem die Nebiim des Baal vergeblich ihre ekstatische Magie geübt haben, »heilt er den zerscherbten Altar JHWHs« (V. 30), opfert 114 , ruft seinen Gott an und verbleibt abseits in hockender Haltung, das Antlitz zwischen den Knien, ohne noch einmal zu rufen, bis im Wolkenbruch »ein großer Erguß« niedergeht (V. 45) und das Volk, sich zu Boden werfend, aufschreit: »JHWH ist die Gottheit!« Der Führergott der Urzeit, dessen »Eifern« Elia mit dem seinen (19, 10, 14) nachahmt und dem er mit all seinen Gängen und Läufen dient, ist als der Gott des wasserspendenden Himmels und der getränkten und »hervorbringenden« (Genesis 1, 11) Erde erwiesen und im Bekenntnis ausgerufen. Damit ist zugleich vollbracht, was Elia sinnbildlich ausgesprochen hatte, indem er zuerst (I Könige 18, 31 f.) zum Wiederaufbau des Altars zwölf Steine »nach der Zahl der Stämme der Söhne Jakobs« verwandte, »zu dem JHWHs Wort geschehen war, sprechend: Israel soll dein Name sein«, dann aber im Refrainwort-Spruch betet (V. 36): »JHWH, Gott von Abraham, Isaak und Israel! heute werde erkannt, daß du Gott bist in Israel!«: da das Volk um JHWH vereint ist, gibt es wie aus den Steinen den einen Altar, so aus den Stämmen das eine Israel wieder – es kann eins nur als JHWHs Volk geben. Das Geheimnis des Ackers ist dem Baalswesen entrissen und seinem rechtmäßigen Eigner, dem Nomadengott, der ein Bauerngott geworden ist und doch geblieben ist, was er war, zuerkannt worden; was Hosea einst (Hosea 2, 10) aussprechen wird: daß die pflanzliche Fruchtbarkeit nicht das Werk einer baalischen Vermählung, sondern Gabe des einen Gebenden ist, das ist hier schon getan. Das sich zur Ausschließlichkeit JHWHs bekennende Volk bekennt damit, die Macht der Geschlechts114. Es ist wohl der Beachtung wert, daß der Ausdruck »vor JHWH stehen«, mit dem Elia und nach dessen Vorbild Elisa sein Amt bezeichnet, sonst nur (zumeist mit dem Zusatz »um zu dienen«) auf das Priestertum oder auf den der Priesterschaft entstammenden Jeremia angewandt wird. Samuels kultische Prärogativen sind zu vergleichen. In solchen Zeiten der Krisis steht der Prophet an des Priesters Stelle.

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magie sei gebrochen. Beim Baal bleibt hinfort nur der Hof und dessen Anhang, nicht mehr, als sich auf den Befehl des Rebellen Jehu, des von Elia (ursprünglich wohl so, vgl. I Könige 19, 16) zum König Gesalbten, zu einem »großen Schlachtfest« im »Haus des Baal« versammeln und auf seinen Befehl niedergemetzelt werden (II Könige 10, 18 ff.) – ein Gemetzel, das die Legende später dem Elia zugeschrieben hat (I Könige 18, 40). Auch im Südreich wird bald (II Könige 11, 18) der Baalkult ausgetilgt. Jehus Genosse in dem Vernichtungswerk ist Jonadab Sohn Rechabs (II Könige 10, 15, 23), ein Keniter, derselbe, der nach einer kostbaren Mitteilung aus der Spätzeit des Südreichs (Jeremia 35, 6 f.) seinen Söhnen – offenbar eine alte Tradition des vom Sinai her Israel verbündeten Nomadenstammes zum »ewigen« Vermächtnis umschmiedend – entbietet, keine Häuser zu errichten, kein Saatfeld zu bestellen, keinen Weinberg zu pflanzen, sondern über das bebaute Land, die Adama, hin in Zelten zu »gasten«. Aus der Haltung ihres Stammvaters im Jehu-Aufstand läßt sich die religiöse Fundierung dieser Ueberlieferung einer Gruppe entnehmen, die man je nachdem »reaktionär« 115 oder »revolutionär« 116 nennen mag: JHWH ist ihnen der Gott der Wüste, und man kann ihm nur in der Lebensweise ungebundner Nomaden rechtmäßig dienen. Dieses »nomadische Ideal« – das sich im Grunde mit der Annahme einer Existenz von Baalen als Spendern der Bodenfrucht, deren Verführungen man eben entgehen müsse, durchaus verträgt – ist Elia fremd, wie es auch Hosea fremd bleiben wird, für den die von ihm geweissagte Vertreibung des Volks in die Wüste keine Wiederkehr eines goldenen Zeitalters, sondern Strafe, Zucht und erst nach der dadurch bewirkten Umkehr Erneuerung des Bundes bedeutet. Die Rechabiten wollen JHWH auf seinen Urbereich beschränken: er ist Nomade, also ist die Seßhaftigkeit vom Uebel; er ist Nomade, also muß er Nomade bleiben. Elia dient seinem Gott als Nomade, aber er hat kein nomadisches Ideal. Er zeigt die Nichtigkeit des Baal, der die Herrschaft über das Kulturland usurpiert. Er zeigt, daß die oberen Wasser in der Hand JHWHs sind. Nicht Baal, sondern er ist der »Herr der Erde«, nicht Baal, sondern er der »Wolkenreiter« 117 . Wie Abraham, vor dem Gott als Herold einhergehend und über Altären seinen Namen ausrufend, das Land für ihn in Besitz nimmt, so nimmt er für seinen Herrn, für den er »eifert«, die fruchtbare Erde mitsamt dem fruchtbarkeitbewirkenden Himmel über ihr in Besitz. Der große Nomade dient seinem Gott durch Landnahme für ihn. 115. Eduard Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme (1906) 136 f. 116. Oesterley-Robinson, A History of Israel I 350. 117. Dieselbe Bezeichnung wird in den Ugarit-Texten für den Baal und Ps 68, 5 für JHWH gebraucht.

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3. Der Kampf um die Offenbarung

Wir haben gesehen, daß der in den Zeiten der Wanderung und der Landnahme im wesentlichen, trotz aller Entgleisungen und Abirrungen, intakt gebliebene JHWH-Glaube mit zunehmender Konsolidierung der neuen wirtschaftlichen und politischen Lebensbedingungen einer doppelten schweren Problematik verfiel. Einerseits verliert durch die Einsetzung eines Königtums der große Melekhgedanke die schlichte Urform seines Realismus, seine alle Funktionen der Volksexistenz unmittelbar umfassende Gewalt; an deren Stelle tritt nun aber die Bindung des nur zum Statthalter Eingesetzten an den göttlichen Oberherrn und dessen Verfassung. Anderseits ergibt sich aus den Grundvorstellungen des kanaanäischen Bodenbaus, die die Ankömmlinge zusammen mit den Regeln und Bräuchen landwirtschaftlicher Arbeit als etwas gar nicht Bekenntnismäßiges, sondern ganz Natürliches und Selbstverständliches in sich aufnehmen, eine Rivalität, die gerade der mangelnden einheitlichen Person eines Nebenbuhlers wegen kaum zu bekämpfen ist, bis aus Gründen der Staatsraison eine Vereinheitlichung unter ausländischer Flagge vorgenommen wird und nun eine Auseinandersetzung größten Stils erfolgt. Nach beiden Seiten erscheint, nach der ersten schon in den Anfängen des Staatswesens, nach der zweiten erst unter Jehu von Israel und Joas von Juda, die Problematik überwunden. Nach beiden vertieft sie sich erst nach diesen anscheinenden Ueberwindungen zu einer abgründigen Kluft, die die Voraussetzung für eine neue Phase des Kampfes um JHWH, für den Kampf durch das Wort als solches, durch kämpferische Schrift und kämpferische Rede wird. Hier ist zunächst der erste dieser glaubensgeschichtlichen Zusammenhänge zu betrachten. Das neu eingesetzte Königtum wehrt sich gegen den Ernst der ihm auferlegten statthalterlichen Bindung und Verantwortung. Die Symbolik des Auftrags und der Ermächtigung, die der Salbung innewohnt, nimmt es an, aber es lehnt sich gegen den Realismus auf, der auf Grund dessen ihm Befehle erteilen und es zur Rechenschaft ziehen zu dürfen vermeint. Es versucht sogleich, wie uns in der Erzählung von der Verwerfung Sauls exemplarisch dargestellt wird, die Verfügungsgewalt über den sakralen Bereich des öffentlichen Lebens an sich zu reißen: es will vor allem den Krieg nicht den prophetischen Kundgebungen des Gotteswillens unterstellen, sondern ihn als des Königs eignen Krieg führen, in dem JHWH nur institutionell, durch die Priesterschaft (I Samuel 14, 3, 18), vertreten ist: der König vollzieht selber an Samuels Statt das Gemeinschaftsopfer (13, 9; 14, 35) und lehnt es ab, seine Entschließungen durch den heiligen

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Bann bestimmen zu lassen (15, 9). Samuel teilt nicht bloß Saul die Verwerfung mit, sondern manifestiert auch, indem er vor der Salbung Davids selber ein Gemeinschaftsopfer darbringt (das in allem Ernst und nicht ein Vorwand ist 16, 5 gemeint), daß sein Anspruch darauf fortbesteht. Aber dies, wenn es historisch ist – wir wissen von alledem nicht, ob es sich so begeben hat, aber es läßt sich kaum eine repräsentativere Darstellung des geschichtlichen Prozesses denken –, war der letzte selbständige religionspolitische Akt des Propheten. Zwischen Samuel und dem Altarwiedererbauer Elia hat, soviel wir wissen, kein Prophet das Gemeinschaftsopfer vollzogen und nach Elia keiner mehr. David vollzieht es (II Samuel 6, 17) bei der Heimbringung der Lade, Salomo (I Könige 8, 62 f.) bei der Einweihung des Tempels, Jerobeam I. (12, 32) bei der Stiftung des Sezessions-Heiligtums. Dann hören wir nichts mehr davon, aber nur, weil die eingeordnete Priesterschaft nunmehr regulär ihres Amtes waltet; freilich rebelliert auch sie zuweilen (II Könige 11), aber offenbar nur, um den JHWH-Kult gegen den Baalskult durchzusetzen, nicht um die ungerechte Staatsführung des Statthalters Gottes zu ahnden – dies tut einzig der unbeamtete Prophet. Das frühe Königtum sucht die Nebiim, die es in allem Ernste als verantwortlich ansehen und sich nicht scheuen, es gegebenenfalls ganz real zur Verantwortung zu ziehen – eine Tatsache, die es naturgemäß als latente Dauerrevolution betrachtet –, dadurch unschädlich zu machen, daß es sie beamtet, sie an den Hof zieht, sie rezipiert: entweder individuell, wie David, dem sich Nathan immerhin auch beamtet nicht fügt (erst Salomo weiß anscheinend ihn sich gefügig zu machen), oder kollektiv, wie Ahab mit seinen »vierhundert« JHWH-Nebiim (I 22, 6). Denen aber stellt sich wieder der Unfügsame, Unerschrockene entgegen und (V. 17) schleudert dem König das Wort ins Gesicht, das das ungetreue Statthaltertum nun nicht mehr, wie Samuel den Saul, in einer einzelnen Person verwirft, sondern als solches bis auf weiteres als nichtig erklärt, das Wort, das auch Hosea nicht wird überbieten können: »Ich sah ganz Israel / auseinandergesprengt an den Bergen / wie Schafe, die keinen Hirten haben / und JHWH sprach: / ›Die haben keinen Herrscher mehr.‹« Messen wir den Weg von Salomo zu diesem Zeitgenossen Elias etwas genauer ab. In Salomos Tempelweihespruch (I Könige 8, 12 f.) spricht sich die bei David noch durch die persönliche Intensität seines Glaubensverhältnisses niedergehaltene, nun aber fessellose Tendenz des frühen Königtums, JHWH auf die Herrschaft im kultischen Bereich zu beschränken, rückhaltlos aus. Er scheint in der griechischen Uebertragung der Siebzig, wo er mit den Worten »JHWH hat die Sonne am Himmel kundgetan« be-

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ginnt, vollständiger erhalten zu sein. Wenn man ihn aus seiner spröden archaischen Fassung erschließt, besagt er etwa, an dem Himmel habe Gott die Sonne zur Kundgebung gesetzt, er selber aber habe (die vom Rhythmus bestimmte Wortfolge muß verändert werden: amar ba-’araphel li-schkon) einst, im Wetterdunkel überm Sinai (Exodus 20, 21), gesprochen, er wolle »Wohnung nehmen«, auf der Erde nämlich, und zwar »inmitten der Söhne Israels« (29, 45, vgl. I Könige 6, 13); nun habe ihm denn Salomo das erwünschte »Söllerhaus« erbaut, als Stätte seines »Sitzens« auf ewig. Aber JHWH hatte weder überm Sinai noch sonst je gesagt, er wolle einen festen Sitz haben, sondern nur, er wolle (jeweils) Wohnung nehmen, einwohnen: indem er sich zu den Cheruben auf der Lade niederläßt. Mit Recht hat man gesagt 118 , daß in der Polarität des Laden und des Tempelgedankens die Spannung zwischen dem freien Gott der Geschichte und dem gebundenen Gott natürlicher Gegebenheiten einen klassischen Ausdruck erhalten hat. Genauer ausgedrückt: der Herr des Himmels wird anerkannt und der Kultherr auch; kein Platz bleibt für den Führer des Volks, den Salomo in der Tat nicht brauchen kann. JHWH soll auf unverbindliche Würden reduziert werden: die kosmischen Sphären werden ihm überlassen und das Innerste des Tempelbaus, für die Regierung des israelitischen Staates aber hat er seinem Gesalbten Vollmacht erteilt und sich damit der Einflußnahme begeben. Um seinen unverkürzten Anspruch auf die Führung des ganzen Gemeinschaftslebens geltend zu machen, hat JHWH nun, nachdem mit Samuels Scheitern der Versuch einer Machterhebung des Prophetentums selbst mißglückt ist, keinen anderen Vertreter mehr als den machtlosen Propheten. Als solcher gibt jener unfügsame, unerschrockene Mann, Micha Sohn Jimlas, auf die salomonische Reduktion die nachgeborene Antwort: den beiden Königen von Israel und Juda, die auf zwei Thronen auf dem weiten Tennenplatz vor dem Tor in Samaria sitzen. Den Gott, den sein Zeitgenosse Elia als den wirklichen uneingeschränkten Herrn von Himmel und Erde gezeigt hatte, den sieht er, auf seinem Himmelsthron sitzend, und alle Heerschar des Himmels umsteht ihn zur Rechten und zur Linken. Dieser Himmelsgott aber ist der Gott der Geschichte. Er tut vor den Augen des Schauenden keine kosmischen Werke, sondern er sendet einen seiner Geister, den Windgeist (ha-ruach in I Könige 22, 21 bedeutet einfach »der Wind«, ein echt biblisches Wortspiel), um die Hofpropheten Ahabs, statt mit Geist, mit Wind zu erfüllen und durch ihren Mund Ahab zu betören und in den Untergang zu jagen. Das Paradox der Lage besteht darin, daß Micha im 118. Klamroth, Lade und Tempel 60.

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ausdrücklichen Auftrag seines Gottes (V. 14 und 19) dem König zwar zuerst nur indirekt, die Heilsweissagung durch Persiflierung brandmarkend, dann aber unmittelbar und rückhaltlos diesen Sachverhalt eröffnet. JHWH »betört« (V. 20), aber er betrügt nicht: der Betörte erfährt von ihm, daß es Betörung, daß der gesandte Geist, dem er vertraut, ein Lügengeist ist; dem Menschen wird nun doch die Entscheidung zugeworfen. Das ist die echte prophetische Situation. Hundert Jahre vor den Anfängen der Schriftpropheten steht in dieser Vision, deren Wortlaut mir nicht minder echt klingt als der der verwandten Berufungsvision Jesajas, ihr Typus hier schon deutlich vor uns. Es ist aber zu fragen, ob denn nicht schon früher eine Antwort auf die salomonische Reduktion gegeben worden ist. An Protesten, die dem »Sultan« die durch ihn nicht erfüllte Königsbindung entgegenhielten, hat es offenbar, wie schon angedeutet, nicht gefehlt. Das deuteronomische Königsgesetz geht meines Erachtens seinem Kern nach (17, 1417) auf ein antisalomonisches Manifest zurück: nur in der Chronik der Regierung Salomos finden wir alle Elemente dieser Kritik wieder, die »Rosse«, die »Weiber« und die »Schätze«; es ist auch die Zeit, in der die gerügte Verbindung mit Aegypten beginnt; und nach Rehabeam, dem Sohn der Ammoniterin, gibt es keinen König in Juda mehr, der seiner Mutter nach ein »Ausländer« (V. 15) genannt werden könnte. Das Königsgesetz zitiert die Volksforderung von I Samuel 8, 5: wie alle Völker; und der samuelischen Grundhaltung entsprechend (10, 24) spricht es von der Wahl durch JHWH als von der unbedingten Voraussetzung des israelitischen Königtums – ein Glaubenselement, dem wir in der Geschichtserzählung nur in Bezug auf Saul und David begegnen. Auch der I Samuel 8 eingeschaltete kritische Spruch (V. 11-17) über die Vorrechte, die das Königtum sich zusprechen werde, der in seiner Sprache stark an ein Stück der Erzählung von Saul und David erinnert (einerseits 8, 12, 14 und anderseits 22, 7), scheint verwandten Kreisen zu entstammen. Und schließlich steht in dem alten Kern der überarbeiteten Gottesrede an David durch Natan (II Samuel 7, 5 ff.) der ursprüngliche Teil der Verse (12-15) über seinen »Samen« (persönlich wie Genesis 4, 25, vgl. auch den erläuternden Zusatz I Chronik 17, 11), den JHWH als seinen eigenen Sohn behandeln und wie einen eigenen Sohn bestrafen werde, dieser Bestrebung nah: dem Königtum, das die altorientalische vollmachtartige Gottessohnschaft des Königs als des von Gott Adoptierten für sich in Anspruch nehmen möchte (vgl. Psalm 2, 7), wird entgegengehalten, hier könne es nur einen Sohn geben, der dem Vater verantwortlich ist und von ihm zur Verantwortung gezogen wird. Wie in der Erzählung von der Einsetzung des Königtums das Volksverlangen

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nicht abgelehnt, aber dessen Ziel in der Gewährung in seinem Wesen verwandelt wird, so geschieht es hier dem Verlangen des Davidhauses. Die göttliche Oberhoheit, der in der Einsetzung enthaltene Auftrag, die Pflicht, über seine Erfüllung dem Auftraggeber Rechenschaft abzulegen, das sind die glaubensmäßigen Voraussetzungen der prophetischen Haltung zum König, wie sie auch hier zum Ausdruck kommt. Die Glaubenswelt, die in der ungeteilten Ganzheit eines der Gottheit nachfolgenden Gemeinschaftslebens gegründet ist, wehrt sich gegen eine Zweiteilung, die der Religion den mythischen und den kultischen Bereich, den Himmel und den Tempel überläßt, die Wirklichkeit des öffentlichen Menschentags aber den Sondergesetzen der Politik, der staatlichen und der wirtschaftlichen, unterstellt. Der Führergott, der »im Zelte mitgehend da war«, will nicht in ein »Zedernhaus« gesperrt werden, mit andern Worten: er will nicht, daß man ihm mit sakralem Dienst genug tun zu können vermeine. Man vergleiche die freie große Sprache des Hauptteils dieser Rede mit der matten Phraseologie der den salomonischen Tempelbau sanktionierenden Sprüche (I Könige 6, 12 f.; 9, 3 ff.), und man wird nicht einen Augenblick im Zweifel sein können, was echtes Zeugnis des Kampfs um die Offenbarung und den Bund, und was bestellte hoftheologische Literatur ist. Aber der Kampf darf ja nicht bloß dem Widerstand des Königtums als solchem gelten. Dieser Widerstand stützt sich ja auf eine allgemeine glaubensgeschichtliche Tendenz negativen Charakters, die freilich eine gewisse Produktivität auf den Gebieten religiöser Kultur fördert. Die Tendenz, die ich meine, besteht, wie ich schon angedeutet habe, darin, daß man durch die Verselbständigung von Mythos und Ritus und durch eine von der persönlichen und öffentlichen Lebenshaltung unabhängige Pflege der mythisch-ritualen Sphäre die faktische Gottesführung und die aus ihr sich ergebende faktische Menschenverantwortung zu entwirklichen sucht. Die kosmische Erweiterung des Gottesbegriffs, die Verfestigung der Vorstellung, daß der Schutzgott, der auf den Zügen mitging, kein anderer als der mächtige Himmelsgott selber war, wird nun zur praktischen Irrealisierung seiner Autorität ausgenützt. Er ist der große Himmelsherr, der altorientalische kosmische Mythos 119 wird ihm wie ein herrlicher Krönungsmantel umgetan, nicht Marduk, sondern er ist es, der den Chaosdrachen bezwang. Zugleich aber wird die Ferne zwischen Himmel und Erde dahin verstanden, daß man sich damit begnügen darf, die Himmelsordnung symbolisch nachzubilden, wie der Tempel einem himmlischen entspricht, im übrigen aber der König als der 119. Vgl. insbesondere Gunkel, Schöpfung und Chaos (1895).

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irdische Vertreter der Himmelsmacht auszustatten ist. Daß auch er sich zu verantworten hat, wäre man wohl auch symbolisch auszudeuten bereit, wie in Babylon am Neujahrsfest der König symbolisch gerichtet wird: selbstverständlich wird der Priester, dessen Funktion es ist, ihn sinnbildlich zu rügen und zu demütigen, am Tage nach dem Fest es nicht wagen, wegen eines von ihm begangenen Unrechts ihn zur Rechenschaft zu ziehen – wie es das Amt des unbeamteten israelitischen Propheten ist. Dazu kommt noch, daß das Opfer, dem ursprünglich der Sinn innewohnt, sich selber dem Gott darbringen zu wollen, sich aber durch das Tier ablösen lassen zu dürfen (daher der auch den Hethitern 120 bekannte Ritus, daß der, für den geopfert wird, seine Hand auf den Kopf des Tieres stemmt, um sich mit ihm zu identifizieren 121 ), sich immer mehr zu einem vielfältigen Kult ausgestaltet, durch den auch ohne alle Intention der persönlichen Hingabe die Schuld des Menschen JHWH gegenüber abgetragen werden kann: man läßt »das Aufsteigende« (’olah, der Name des Brandopfers) den Vorschriften gemäß im Rauch zum Himmel aufsteigen, und die Sühnung ist getan, man hat sein Gottesverhältnis bis auf weiteres erledigt. Und das Königsopfer ist naturgemäß das mächtigste. Man versteht von hier aus die Heftigkeit des Kampfs der Propheten gegen den Opferdienst, versteht aber auch, warum die älteren Texte, einschließlich derer der ersten Schriftpropheten, vom kosmischen Mythos, der sich sicherlich schon früh an JHWH geheftet hat und sich in der Tat unvergleichlich eignete, um dessen Bewältigung aller chaotischen Gewalten im Weltgeschehen unmittelbar auszudrücken, folgerichtig schweigen und erst Jesaja, in einer Zeit, da er glauben darf, die negative Wirkung des Mythos nicht mehr scheuen zu müssen, ihn aufnimmt. Aber auch der Kampf gegen die Entwirklichungstendenz in ihrer ganzen Breite beginnt schon früh: in einem Werk von außerordentlicher glaubensgeschichtlicher Bedeutung, das nicht einer späteren Zeit als der des salomonischen Reiches entstammen kann. Ich meine damit die älteste Komposition der Urgeschichte, von der Schöpfung des Menschen nicht etwa bloß bis zum Turmbau, aber auch nicht weit darüber hinaus, sondern bis zur Darbringung Isaaks, denn hier erst darf die Linie, die sich vom Anfang aus zieht, unterbrochen werden, hier erst hat der Erzähler das erste Ziel erreicht, die erste Antwort auf die Frage »Um wessentwillen?« empfangen und gegeben. 120. Friedrichs, Aus dem hethitischen Schrifttum II (Der Alte Orient 1925) 11 f.; Gustavs, Kultische Symbolik bei den Hethiten, Zeitschr. f. d. alttest. Wiss., N.F. IV (1927) 139 f.; vgl. auch Pettazzoni, La confessione dei peccati II (1935) 214 ff. 121. Vgl. Königtum Gottes 100 f., 247 ff.

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Dieses Werk ist nicht, wie man gewöhnlich annimmt, aus drei »Quellenschriften« zusammengefügt. Man beginnt zu erkennen 122 , daß das kritische Dogma einer ganzen Wissenschaftsepoche weder dem sprachlichstilistischen noch dem erzählerisch-kompositionellen noch auch dem ideellen Tatbestand gerecht wird, und ganz besonders nicht im Buche Genesis, von dessen Kritik es seinen Ausgang genommen hat. Was man als den oder die Jahwisten kennt, ist eine Grundschrift, weit umfassender, als man vermeinte. Beschränken wir uns auf das Werk, von dem die Rede ist (die Fortsetzung hat zum Teil einen lockeren, weit weniger auf Entsprechungen, sinnreiche Wiederholungen, symmetrische Bauglieder intendierten Charakter, zum Teil – Josefsgeschichte – gehört sie einem ganz anderen epischen Typus an), so sehen wir eine zusammenhängende Erzählung vor uns, die freilich einerseits eine Reihe etwas späterer erzählerischer Zusätze, meist von abweichender Tendenz getragene, aufweist (sie gehören zusammen einem geistig-literarischen Typus an, der dem entspricht, was man als die elohistische Quelle zu bezeichnen pflegt, bilden aber keine Einheit), anderseits mehrfach von andersartigen nichterzählerischen oder nur halb-erzählerischen Stücken, wie Lehrvorträge, Genealogien, Gesetzbegründungen, unterbrochen wird (sie gehören dem Typus an, der dem entspricht, was man die Priesterschrift nennt, bilden aber ebenfalls keine Einheit). Diese Erzählung geht darauf aus, die Erwählung und Bewährung Abrahams, das heißt, die Urerwählung und Urbewährung Israels, von ihren urzeitlichen Voraussetzungen her zu berichten. Vorhandener Traditionsstoff in verschiedenen Graden der Bearbeitung, wie er wohl schon unter Samuel von den Nebiimkreisen in ihren Sprechgesängen zu kleineren, nur mündlich bewahrten epischen Zusammenhängen vereinigt wurde, wird unter dem Gesichtspunkt des waltenden Zwecks ausgelesen, geordnet, ergänzt, gestaltet, umgeformt, komponiert. Alle Arbeit dient der einen Absicht: die eine große Linie vom Bereiche »Eden« zum Bereiche »Moria« zu ziehen, die Linie, innerhalb derer jeder Punkt seinen bestimmten Stellenwert hat. Diese Absicht aber ist von der ungeheuren Aufgabe beherrscht, gegen die Ansprüche eines verselbständigten Mythos und eines verselbständigten Rituals das unabdingbare Recht der Offenbarung und ihren unverkürzbaren Sinn im Geheimnis des Ursprungs zu verankern, das heißt alles Schaffen, Stiften, Segnen, Gebieten, Rechten, Strafen, Erwählen, Beistehen und Bundschließen der Urgeschichte als ein Offenbaren zu erweisen. Das kann 122. S. besonders Volz und Rudolph, Der Elohist als Erzähler (1933); B. Jacob, Das erste Buch der Thora (1934); Cassuto, La questione della Genesi (1934); vgl. auch Buber, Genesisprobleme, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 1936, 81 f.

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der Absicht gemäß nicht durch Aufstellung theologischer Sätze geschehen, gegen die man andere theologische Sätze vorbringen könnte: die Lehre darf nichts sein als erzählte Geschichte allein. Mit dem Gelingen der Absicht hat der namenlose Autor dem Geschichtsglauben Israels seine wichtigste Urkunde gegeben; sein Werk ist das Fundament eines erzählten Glaubenssystems geworden. Auf Abraham, den Stammvater des vom Erzähler erzählerisch angeredeten Israel, auf seine Berufung um Israels willen und auf seine nach manchem Aufstieg und Niedergang vollzogene Erfüllung der Berufung – im Gegensatz zu dem hernach nicht erfüllenden Israel! – zielt alles ab. Einsetzung einer Menschheit, göttlicher Segen, menschliches Versagen, das Gericht der Vernichtung, Bewahrung einer zweiten Menschheit, göttlicher Segen, menschliches Versagen, das Gericht der Völkertrennung, all dies bereitet die Erwählung vor – nicht mehr wie vor der Flut die Erwählung einer zu rettenden Sippe, sondern in der neuen Situation einer Völkerwelt die Erwählung eines neuen Volkes, das es noch nicht gibt, das erst erzeugt werden soll. Der aus der Völkerwelt Herausgeholte empfängt den dritten Segen, der nicht mehr wie jene beiden ein rein naturhafter, naturhaft begabender, Fruchtbarkeit verheißender ist, sondern ein dialogischer, einer, der Volkswerden verheißt und zugleich Volkspflicht erheischt, das kommende Volk in dessen Vater anredend die Volkspflicht erheischt, »ein Segen zu werden«: ein Segen für die Völkerwelt. Der Erzähler ist der erste, der, ohne ein Wort über das hinaus zu sagen, was er zu erzählen hat, dem Volk die unerfüllte Forderung vorhält; in später Zeit noch werden Propheten den Spruch wiederaufnehmen, aber nicht als Forderung mehr, der eine (Jesaja 19, 24) mit weltgeschichtlichem Türmerblick als messianische Verheißung, der andre (Sacharia 8, 13) mit dem ungebrochenen Mut des trotz allem geschichtlichen Anschein Glaubenden als messianischen Trost. Für den Erzähler ist der Spruch die Wende seiner Erzählung: nach dem Weg der frühen Menschheit in ihren Zerfall berichtet er den des Erwählten bis zur äußersten Hingabe an seinen Gott und bis zum Empfang des letzten, alles zusammenfassenden und bestätigenden Segens (Genesis 22, 17 f.). So stellt sich mit diesem Werk den Kosmogonien der Völker, die unlöslich mit Theogonien verknüpft sind, eine Kosmogonie entgegen, die, völlig theogoniefrei, ihrem Wesen nach Anthropogonie ist, genauer: Entstehungsgeschichte des gläubigen Menschen. Das Leben dieses Menschen mitsamt seiner kosmogonischen Vorgeschichte setzt der Erzähler einem Hof und einem Patriziat vor Augen, die das Gottesverhältnis ins Mythische und Rituale allein abzubiegen und es damit seiner Verbindlichkeit zu berauben bestrebt sind.

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Von ebenda ist auch sein, ebenfalls rein erzählerisch gestaltetes Gottesbild zu verstehen. Der Erzählung geht im biblischen Text der Abschnitt vom Siebentagewerk voraus, ein in seinem Urgehalt altes, in seiner literarischen Gestalt jüngeres Stück, das man immerhin »priesterlich« nennen mag und das man sich recht wohl, wie das babylonische Weltschöpfungsepos, als kultischen Vortrag am Neujahrsfest denken kann. Er wird abgeschlossen durch jenen denkwürdigen Satz (2, 4a), der sich wie ein ironischer Gegenspruch zu allen Sexualkosmogonien ausnimmt: »Dies sind die Zeugungen des Himmels und der Erde: da sie erschaffen worden sind.« Nun aber setzt unsere Erzählung, mit jenem Vortrag jetzt in einer großartig intuitiven Weise verknüpft, mit der Umkehrung der Reihenfolge ein: »Am Tag, da JHWH, Gott, Erde und Himmel machte …« Die Erde steht hier an erster Stelle, denn es geht um sie, um den auf ihr eingesetzten Menschen. An dem Gott, von dem hier geredet wird, ist uns das Wichtigste, daß er der Gott der Erde, der Gott ihrer Geschichte, der Menschengeschichte ist. Wir erfahren alsbald (V. 5), daß er noch nicht regnen ließ, daß er also der Herr auch des Regens ist, aber auch das wird ja nur des Menschen wegen berichtet. Das Wesentliche an der Erde ist, daß sie die adamah, den bebaubaren Boden, umfaßt, und das Wesentliche an diesem, daß er Adams, des Menschen, des aus ihm Gebildeten, bedarf und seiner harrt, um von ihm bebaut, »bedient« zu werden. Die Erde ist im tiefsten Ernst vom Menschen abhängig: sein Ungehorsam bringt den Fluch über den Ackerboden (3, 17). Wenn der Mensch »seinen Weg verderbt« (6, 12), »verdirbt« die Erde, durch seine Schuld »verderbt« Gott nun so Erde wie Menschen, das heißt, er bringt das Verderben über beide (9, 11). Das ist nicht die Sprache eines Späteren, sondern die echte Sprache unseres Erzählers, der es liebt, den Zusammenhang zwischen den Vorgängen durch solche Wiederholungen zum stärksten Bewußtsein zu bringen. Aber wieder übernehmen die Späteren, Gesetzessprecher, Propheten, Prediger, Psalmisten die Grundvorstellung, wiewohl mit verändertem Ausdruck: der Mensch »versündigt das Land«, auf dem er lebt (Deuteronomium 24, 4), die Erde »verrenkt sich unter ihren Insassen« (Jesaja 24, 5, vgl. Numeri 35, 33; Jeremia 3, 1, 9; Psalm 106, 38). Der Erzähler sagt seinem Volke damit implicite, daß die Geschicke des Ackerbodens nicht von Göttervermählungen und den diese beeinflussen sollenden Riten, sondern von dem Lebensverhältnis Israels zu JHWH abhängen. Aber explicite sagt er, daß das menschliche Schicksal sich vom Dialog zwischen Gott und Mensch aus entscheidet, dem Dialog, gegen dessen lebensausfüllende, weltausfüllende Wirklichkeit keine Zeremonie aufkommen kann.

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Auf die Erzählung von der Sünde und der Verfluchung folgt die von den beiden Opfern (Genesis 4, 1 ff.). Es ist dem Erzähler nicht bloß um den Bericht über den Brudermord zu tun, mit dem für ihn die eigentliche, nachparadiesische Menschengeschichte beginnt; er will vom Opfer reden, von dessen Wesen und von dessen Unwesen. Beide Darbringungen sind allem Anschein nach objektiv tadelfrei; aber JHWH blickt auf Kain und seine Gabe nicht. Daß das Nichtblicken aus der mangelnden Intention des Opfernden zu erklären ist, ergibt sich daraus, daß, als nun die noch unbestimmte Leidenschaft, die sich bald zur Mordlust bestimmen wird, aufflackert (V. 5), JHWH in einem dunkeln, aber doch einigermaßen aufzuhellenden Spruch (V. 7) zuerst die Alternative ausspricht, ob Kain es mit seiner Handlung »gut meine« oder nicht, dann aber die Seelenlage eines Opferers, der es nicht »gut meint«, mit einem verschlossenen Eingang vergleicht: statt dem Gott geöffnet zu sein, dem er in der Gabe sich selber darbringen soll, sperrt sich seine Seele gegen ihn zu, und das Opfer ist keins; vor diesem verschlossenen Eingang aber lauert auf einen Augenblick, wo man doch eindringen könnte, die Sünde, als weiblicher Dämon gedacht, dessen Verlangen, wie das des Weibes nach dem Manne (3, 16), nach dem sich Verschließenden steht, der aber, wie das Weib vom Manne, von ihm, sowie er sich dem Gotte öffnet, gemeistert werden kann. Daß JHWH vom Menschen nur die Intention der Selbstdarbringung verlangt, wird – an einem äußersten Beispiel – vollends klar in der andern Erzählung vom Opfer, mit der das Werk schließt (Kap. 22). Die Melekhgötter der westsemitischen Stämme lieben das Kindesopfer 123 ; wenn man sich in außerordentlicher Lage, etwa in schwerer Gefahr (II Könige 3, 27), ihre Gunst erkaufen will, zahlt man ihnen mit dem Erstgeborenen. In Israel, wo noch von vor dem Auszug aus Aegypten (Exodus 13, 2, 13) alle Erstgeburt JHWH zugeeignet und die Abgeltung der menschlichen angeordnet war, taucht immer wieder die Neigung auf, auch JHWH nicht als JHWH, sondern wie einen beliebigen Melekhgott zu behandeln und seinen Beistand durch Darbringung eines Kindes zu erwerben (Micha 6, 7). Die Propheten werden es im heftigsten Protest ablehnen, daß solches dem Gott wohlgefällig sei: er fordre überhaupt nur Gerechtigkeit und Liebe. Nicht so unser Erzähler. Obgleich auch er diese Forderung kennt (denn das mit dem unerschrocken rechtenden Spruch Abrahams Genesis 18, 25 durch das Motivwort schaphot, richten, verknüpfte Selbstgespräch JHWHs 18, 17 ff., in dem sie steht, ist ihm nicht abzusprechen), läßt er JHWH wirklich das Kindesopfer fordern, und zwar 123. Zum Folgenden vgl. Königtum Gottes 68 ff., 93 ff., 211 ff.

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in der grausamsten und absurdesten Gestalt, da mit dessen Vollzug die Erfüllung seiner eigenen Verheißung vereitelt würde; und er läßt so viel vom Vollzug geschehen, daß die Intention vollkommen wirklich werde, aber auch nur sie; nun aber verzichtet JHWH nicht schlechthin auf das Opfer, wie später der Gott der Propheten, sondern er gewährt dem Menschen, das Aeußerste ablösen zu dürfen, es also in diesem Ersatz doch dem Gotte zu geben, er gewährt ihm die unersetzliche Erfahrung, daß er dies getan hat, und so schickt er selber ihm das Opfertier zu. Alles fordert dieser Gott vom Menschen, und alles gewährt er ihm, sogar das Gefühl, dem Gott etwas, alles geben zu können. Wer aber, ohne sich in Wahrheit ihm hergeben zu wollen, intentionslose Opfer auf seinem Altare häuft, vergeht sich an ihm. Dies ist es, was der Erzähler hier seinem Volke, vor allem aber dem König und den Herren zu sagen hat. Aber er greift noch über das Volk hinaus. Wohl auch den Hof, an dem es von ausländischen Königsgemahlinnen wimmelt, von denen jede ihren Gott mitgebracht und eine Höhe bei Jerusalem für dessen Dienst angewiesen bekommen hat, aber zugleich auch die ganze Völkerwelt redet er an, wenn er erzählt (11, 1 ff.), wie JHWH selber und kein andrer der Urheber all der Völkervielheit ward. Er hatte eine einheitliche Menschheit gemeint und gewollt, und nachdem die erste für die die Erde füllenden Gewalttaten der einen an den andern (6, 11) die Strafe empfangen hatte, eine zweite eingesetzt. Diese nun hält zum Unterschied von jener zusammen, ja sie will beisammen bleiben, aber nur um sich als Einheit gegen Gott aufzulehnen. Sie wollen eine Stadt mit einem Turm erbauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und da, dicht am Himmelstor (28, 17) 124 , wollen sie – so müssen wir verstehen, um den Zusammenhang zu erfassen (hier an »Nachruhm« oder dergleichen zu denken zerstört das urweltlich große Bild) – den »Namen«, den sie sich »machen«, das heißt eine gewaltige Namensmagie, dem Herrn der Blitze lähmend entgegenhalten, damit es ihm nicht gelinge, sie in die Flucht zu schlagen und über die ganze Erde hin zu zerstreuen. Nun aber läßt der Erzähler in einem höchsten Aufgebot seines fast symmetrisch bauenden Entsprechungsstils JHWH von oben auf das Getümmel da unten in ebender Sprache, aber in einer Sprache, die Tat geworden ist, antworten: auf ihren Kriegsruf mit ebendem (11, 3, 4, 7), auf das »Bauen« (V. 4, 5, 8) und »Machen« (V. 4, 6a, 6b) der Stadt (V. 4, 8) niederfahrend mit dem Akt, der eben die »Zerstreuung« (V. 4, 8) über »die ganze Erde« (V. 1, 4, 8, 9a, 9b: Refrain), die sie befürchteten, bewirkt, indem ihre 124. Jakob meint damit den Ort, wo die Leiter das Firmament berührte, wogegen der Stein, auf den Gott trat (V. 11, 13), dadurch zum »Gotteshaus« geworden ist.

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eine gemeinsame »Sprache« (V. 1, 6, 7a, 7b, 9) in all die Sprachen und damit das eine Erdvolk in all die Völker zerspalten wird, und an Stelle des »Namens« (V. 4, 9), den sie sich machen wollten, steht nun der Name der Stadt, deren Bau sie nicht vollendet haben: Babel, »Wirrwarr«, ist sie genannt. (Nicht als kennte der Autor die Etymologie von Bab-ilu, Gottestor, nicht: er stellt ihr die seine als die wahre entgegen.) Hier ist in der größten Weise das geschehen, was man »die Historisierung des Mythos« genannt hat 125 . Wir wissen durch die Ausgrabungen, wo der Stufenturm des Tempels von Babylon stand, der »Haus der Grundfeste Himmels und der Erde« hieß, wir kennen aus den Keilschrifttexten seine Gestalt und seine Bauart, die mit der in der Bibel erzählten übereinstimmt, wir lesen im Weltschöpfungsepos »Als droben« den Mythos seiner Erbauung durch Götterhände, und wenn wir in Königsannalen der Assyrerzeit bei Restaurationen des Turms wiederholt die Formel finden, seine Spitze solle an den Himmel reichen, so ist anzunehmen, daß hier Mal um Mal eine uralte, mythische Formel wieder aufgenommen wird – die unserem Erzähler bekannt war. Nun aber macht dieser aus all dieser Herrlichkeit, in der Kult und Kultur Babylons gipfeln, offenbar auf Grund einer von ihm aufgenommenen israelitischen Sage einen Aufruhr gegen JHWH, den wahren Herrn Himmels und der Erde, von diesem durch die Handlung seiner Niederfahrt, der keine menschliche Machtkonzentration standhält, bezwungen; und er stellt den Bericht dieses Vorgangs in den Zusammenhang seiner Geschichte der Urzeit ein, an eben der Stelle, wo er seiner bedurfte, um darzutun, wie aus einer einheitlichen Menschheitszelle die vielfältige Völkerwelt mit all ihrem Widerstreit hervorgegangen ist. Dieser Epiker hat schon den kühnen Geschichtsblick der Schriftpropheten, und wie sie, unterfängt er sich, die Historien der Völker bis in das eine göttlich-menschliche Geschichtsgeheimnis hinein zu durchschauen. Und wie wir bei Amos (9, 7) zwischen den Zeilen gesagt bekommen, daß, wie immer dies oder jenes Volk seinen geschichtlichen Befreiergott nennt, all die Götter einer sind, einer, dessen wahrer Name Israel anvertraut ist, so bekommen wir hier zwischen den Zeilen gesagt, daß all die Völker, um deren Gunst zu erwerben der Herrscher Israels und die Seinen JHWH untreu werden, ihren Ursprung in seiner Tat haben und völlig in seiner Hand sind. Um dies sein wesentliches Anliegen so auszusprechen, daß es den, den es angeht, ins Herz trifft, scheut sich dieser Erzähler, der auch sonst einem unbefangenen Anthropomorphismus ergeben ist, nicht, hier einen besonders krassen walten zu lassen, und sein Entsprechungsstil mit seinen 125. Vgl. insbesondre Weiser, Glaube und Geschichte im Alten Testament (1931) 23 ff.

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wuchtigen Wiederholungen hämmert sich dem Leser oder vielmehr Hörer (das ganze Werk ist für den lauten Vortrag bestimmt) noch stärker als sonst ein. Diese Beispiele müssen hier genügen, um ein allbekanntes und doch noch nicht hinlänglich bekanntes Werk in seiner glaubensgeschichtlichen Bedeutung als die große vorprophetische Urkunde des Kampfs um die Offenbarung zu kennzeichnen. Wie danach den Schriftpropheten, so ist es auch diesem strengen und freien Erzähler darum zu tun, daß zwar JHWH als Weltenherr erkannt, aber nicht an einen fernen Himmel entrückt werde: der Mensch soll wissen, daß er nicht im irdischen Leben sein eigenes Regiment etablieren und den droben kultisch abfinden kann. Der Gott des Alls ist der Gott der Geschichte. Er ist der mit seinem Geschöpf, dem Menschen, mit seinem Erwählten, Israel, auf dem schweren Gang durch die Geschichte mitgehende Gott. Er offenbart sich in der Geschichte; nicht als stellte er sie her, sondern mitgehend fordert er den Menschen an, daß er in der ganzen Breite des geschichtlichen Lebens ihm liebend diene, und eifernd läßt er den sich versagenden Menschen in der aus seinem eigenen Tun hervorgehenden Geschichte sein Schicksal erfahren. Das Werk des großen Erzählers, der vermutlich dem hofprophetischen Kreise entstammte (seine Haltung ist prophetisch, nicht priesterlich), aber sich dessen opportunistischer Wendung nicht fügte, hat die Wirkung, die er im Sinne hatte, nicht getan. In Salomos Nachfolger scheint das letzte Bewußtsein der statthalterlichen Funktion erloschen und einem kalten Tyrannenwillen gewichen zu sein; wir hören von ihm noch, daß er, als das von Salomo umworbene Aegypten all den Tempelprunk geraubt hat, mit eitlem Prunkersatz kultisch repräsentiert. Sogleich nach dem Abfall des Nordreichs stellt Jerobeam im offiziellen JHWH-Kult seine baalisierenden goldenen Jungstiere auf, und bald danach bauen die Omriden, um dem Bündnis mit den Phöniziern die religiöse Weihe zu geben, einen Tempel des tyrischen Baal dem Heiligtum JHWHs an die Seite. In Juda hält man sich überwiegend an das Vorgeschriebene. Elias Eifertaten rühren offenbar das Volksgefühl mächtig auf. Jehus Revolution wirkt wie die grausame politische Folgerung aus einer veränderten inneren Lage. Aber bei Elisa mit seinen »Kündersöhnen« – die nicht wie die Nebiim einer früheren, der samuelischen Krisenzeit, deren Gemeinschaft anscheinend Elia so erneuern wollte, über Land ziehen, sondern gemeinschaftlich siedeln – erscheint, soweit wir die Wirklichkeit unter dem hier besonders dicht gewobenen Schleier der Legende zu erkennen vermögen, der elianische Geist schon sektenhaft verkapselt. Von den Königen hören wir außer schematischen Formeln nichts, offenbar

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weil nichts zu sagen war; welches Unrecht sie im stillen taten und welches sie duldeten, erfahren wir erst von den Schriftpropheten. Der Baalismus ist gestürzt, aber, wie uns ebenfalls durch deren Protest überliefert ist, gedeihen nicht bloß die alten Sexualriten erst recht im Schatten des Tempels: man sucht mit JHWH selber wie mit einem großen Baal umzugehen, von dem man sich durch die Opfermenge die Fessellosigkeit des profanen Lebens erkauft. In dieser »stillen« Zeit zwischen dem elianischen Umsturz und dem Weheruf des Amos (5, 18; 6, 1) vereinigt sich der doppelte Widerspruch, zwischen wahrer und fiktiver Gottesmacht (Macht JHWHs und Macht der Götzen, einschließlich des menschlichen Königsgötzen) einerseits, zwischen wahrem und fiktivem Gottesdienst (Lebensdienst dem JHWH als JHWH, das heißt dem Daseienden, mit dem ganzen Dasein geleistet, und leerer Kultdienst dem JHWH als Götzen, sei es als Baal oder »Molekh«, dargebracht) anderseits zu einer abgründigen Kluft, auf die, eben als auf den Abgrund, mit dem Wort hinzuweisen nun der Beruf der Berufenen wird.

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Die Wendung zum Kommenden 1. Um die Gerechtigkeit

Wenn wir die erste Rede des Buches Amos (1, 3-2, 11) verstehen wollen, müssen wir uns die Situation vergegenwärtigen, in der sie gesprochen sein kann. Die Reden dieses Propheten sind unverkennbar echte Reden, und »kein Prophet redet in die blaue Luft« 126 , vielmehr redet jeder – zum Unterschied von den späteren Apokalyptikern – in die volle Aktualität einer bestimmten Situation hinein; er nimmt sie nicht etwa bloß zum Ausgangspunkt, sondern wirft das Gotteswort befehlsgemäß in diese Aktualität, und nur indem wir selber in sie einzudringen versuchen, können wir die Konkretheit des Wortes erfassen. Der Ort ist offenbar der Platz vor dem königlichen Heiligtum zu Bethel, der Wallfahrtsstätte der Ephraimiter, wo Jerobeam I. einst das Jungstierbild aufgerichtet hat. Die Zeit ist offenbar innerhalb der Regierung seines Namensvetters Jerobeam II., nahezu zwei Jahrhunderte danach, jene Hochstunde, da Israel, nach der Rückeroberung des lange Zeiten von den Syrern besetzt gehaltenen Ostjordanlands bis an die alten Grenzen des davidischen Reiches, festlich versammelt, JHWH für die Siegsverleihung dankte. Da Amos die Nachbarvölker Israels nacheinander anredet, und so, daß jede Anrede nach Form und Sinn ein bestimmter Teil des Ganzen ist, dürfen wir annehmen, »daß Vertreter dieser Völker am Feste anwesend sind« 127 . Mitten ins Getriebe tritt nun dieser Mann, ein Schafzüchter vom Rand der judäischen Wüste, hält den Abgesandten die Sünden ihrer Völker – die Sünden der Völker wider einander – vor und sagt ihnen die Gottesstrafe an. Er beginnt jede Anklage mit dem Wort: »So hat JHWH gesprochen«, er schließt mit: »JHWH hat’s gesprochen.« Er hat die Kunde des Worts empfangen und kündet sie. Es ist das Wort des Gerichts. Wer so Gericht über die Völker hält dafür, daß eins »mit dem Schwert seinen Bruder jagt« (1, 11), daß eins »des Bruderbunds [mit dem andern] nicht gedenkt« (V. 9), daß eins des Lebens, der Freiheit, der Ehre des andern nicht schont, kann einzig der Herr der Völker sein. Nicht etwa bloß dieser Völker hier, die Amos jetzt anzureden eben Auftrag und Anlaß hat, sondern aller. In einem andern Spruch (9, 7) ist gesagt, daß JHWH es ist, der jedes einzelne von ihnen in seine jetzige Heimat »heraufgebracht« hat: er ist der Stammesgott, der Volksgott, der Führergott jedes einzelnen, und weil er das ist, ist er der altsemitischen 126. L. Köhler, Theologie des Alten Testaments 62. 127. A. a. O.

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Grundvorstellung gemäß sein Richter. Die führenden und richtenden Volksgötter aller Völker sind als identisch offenbart. Das ist eine andere Identifizierung als jene, die die »Väter« vollzogen, als sie in jedem El, der ihnen auf ihren Wanderungen in Kanaan als die an einem Ort überlieferte Macht entgegentrat, ihren eignen Schutzgott, den sie auf der großen Wanderschaft erkannt hatten, wiedererkannten; aber sie ist letztlich ihr wesensgleich, diese Wiedererkennung JHWHs in dem Volksgott jedes Volkes, mit dem Israel geschichtlich zu tun bekommen hat, und sie ergibt sich aus jener wie eine geschichtliche Situation aus den vorhergehenden. Das Wesentliche, das eigentlich Offenbarende aber ist, um was JHWH diese Völker richtet, deren Gott er ist, obgleich sie ihn nicht, wie Israel, mit seinem rechten, seine Art kundgebenden Namen zu nennen, ihn nicht zu erkennen wissen: nicht um eine Verfehlung gegen ihn, sondern um eine gegeneinander. Jedes von ihnen nennt, unter dem ihm bekannten Namen, den Einen seinen Vater; wie Israel sich als Kind JHWHs weiß (Exodus 4, 22 f., Hosea 2, 1), so etwa Moab als Kind seines Stammesgottes, der in der Geschichte sein Volksgott geworden ist (Numeri 21, 29, wo die pluralische Sprachform nur eben die Gesamtheit als solche bezeichnen soll). Das ist kein Begriff naturhafter Zeugung – von einer Gefährtin hören wir bei Stammesgöttern erst, wenn sie baalisiert sind –, sondern er drückt ein Adoptionsverhältnis aus: JHWH nennt Israel seinen Erstgeborenen, weil es, so jung es unter den Völkern ist, als erstes von ihm adoptiert wurde. Er nun, der eine – das ist hier in der prophetischen Botschaft zwar nicht explicite gesagt, aber eingeschlossen –, will, daß die Völker einander Brüder seien; er ahndet an ihnen, daß sie es nicht sind. Auch aus der Bemessung der Strafe blickt zuweilen der Führergott durch: er hat die Aramäer aus Kir (vermutlich = Ur) in ihr jetziges Land geführt (9, 7), er wird sie nach Kir zurückverbannen (1, 5). Von JHWH als Richter zwischen Völkern lesen wir schon in der ihrem Kern nach alten Kundgebung Jephthas an den König der »Ammoniter« (vielmehr: Moabiter), wo zwar zunächst (Richter 11, 24) dem Adressaten zum Bewußtsein gebracht wird, Israel folge in seiner Landnahme seinem Führergott wie Moab dem seinen, dann aber (V. 27) an JHWH, »den Richter«, appelliert wird, daß er zwischen beiden Völkern entscheide. Aber erst bei Amos erwächst die Vorstellung zu der des Herrn der Geschichte, der zwar die sündigen Völker, wie die Amoriter (2, 9), im Kriege ausrotten läßt, die »sündigen Königreiche« (9, 8) vernichtet, aber den Frieden meint, und der will, daß eine brüderliche Ordnung zwischen 128. Vgl. Baudissin, Kyrios als Gottesname im Judentum III (1929) 387 ff.

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seinen Völkern herrsche. Von jener tiefsten »Amoriter«-Verderbnis 129 abgesehen, wird an den Völkern nur dies geahndet, daß sie durch schändliches, verräterisches Betragen gegeneinander die von Gott gemeinte Ordnung verhindern. Nun aber (der matte, saftlose Sonderspruch an Juda 2, 4 f., der das Weitere als lediglich an das Nordreich gerichtet stempeln soll, wird mit Recht fast allgemein als unecht angesehen) wendet sich der Redende plötzlich von den Abgesandten der Völker, die er bisher apostrophiert hat, der israelitischen Menge selber zu (V. 6 ff.). Es sollte nicht verkannt werden, daß alles, was hier und an den analogen Stellen zu Israel gesprochen wird, an das ganze Volk und nicht an das des Nordreichs allein gerichtet ist. Diese Anklage aber unterscheidet sich durchaus von der Strafrede an die Völker. Wenn man sie mit allem verknüpft, was Amos sonst Israel vorhält, wird das vollends deutlich. Es zeigt sich hier, was es bedeutet, daß JHWH zwar geschichtlich nicht mehr für Israel getan habe als für eins der andern Völker, die er geführt hat, und daß es an ihn keinen größeren Geschichtsanspruch habe als etwa die Aethiopier am Rand der Kulturwelt (9, 7), weil ihm von der Tiefe der Geschichte aus ein Volk wie das andere gilt, daß er aber nur es »erkannt«, nur ihm sich zu erkennen gegeben, nur es unter das Joch der schenkenden und fordernden Offenbarung gestellt habe und daher nur an ihm alle seine Verfehlungen ahnde (3, 2). In der Offenbarung ist ihm zugedacht worden, daß es ein wirkliches Volk, ein Gottesvolk werde, daß es unter den Völkern zuerst, vorangehend, das wahre Volksein verwirkliche, Sein eines wahren Volkes, das heißt einer lebendigen Einheit der Vielen und Vielfältigen; dazu ist ihm das Volksgesetz, die »Weisung« (thora) gegeben worden, darin dem sozialen Unrecht gesteuert und den Hindernissen, die sich immer wieder zwischen den Volksgenossen durch die fortschreitende soziale Differenzierung aufzutürmen drohen, durch die rhythmische, fast naturhaft rhythmische soziale Wiederkehr, Wiederausgleich des Bodenbesitzes und Wiederherstellung der allgemeinen Freiheit, entgegengetreten wird. Nun rechtet der Offenbarer und Gesetzgeber mit Israel um seine Verfehlungen gegen den Gotteswillen. Ein Volk wollte er haben, seinen »Erstgeborenen« als den ihm geweihten »Anfangsteil« seiner Menschenvolk-Ernte; das ist erst bei Jeremia (2, 3) ausdrücklich geäußert, aber es kündigt sich schon bei Amos (6, 1, vgl. V. 6) an, wo mit bittrer Ironie darauf hingedeutet wird, daß die als Anbeginn Gemeinten sich in Jerusalem wie in Samaria sorglos und sicher mit dieser Würde 129. Vgl. das im Abschnitt »JHWH und der Baal« über die »Verfehlung des Amoriters« Gesagte.

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brüsten und auf sie verlassen. Das Volk, das er als Anfangsteil haben wollte, hat aus dieser seiner heiligen Bestimmung nichts andres abzuleiten gewußt als den Anspruch auf Geschichtsversorgung, für den es durch einen wohlausgestatteten Kult mit gehäuften Opfern und kunstreichem Saitenspiel (5, 22 f.) einen hinreichenden Preis zu zahlen vermeint; sein Leben, sein ganzes Gemeinschaftsleben hat es der Führung seines Gottes entzogen. Statt des brüderlichen Zusammenlebens eines Gottesvolks, wie es im Auftrag geboten war, hat sich eine eigensüchtige, um nichts als um die eigene Sucht wissende Schar faul und grausam über alles hingewälzt; wenn der Arme, den sie wegen eines unbezahlten Paars Sandalen versklaven (2, 6, vgl. 8, 6), schon im Staub liegt, treten sie noch nach seinem staubbedeckten Haupt (2, 7a). Durch diese Zersetzung des Volkskörpers wird mit Notwendigkeit der Dienst der Gottheit zersetzt; nicht weniger als durch den schamlosen Umgang von Vater und Sohn mit der geweihten Dirne (V. 7b) wird der heilige Gottesname entweiht, wenn man sich auf gepfändeten Gewandtüchern vorm Altar niederläßt oder von dem beim Schuldner beschlagnahmten Wein eine Libation darbringt und dann selber davon säuft – im Tempel, der, durch solches Unwesen geschändet, nun nicht mehr JHWHs Haus, sondern nur noch das »ihres Gottes« heißen darf (V. 8): denn kann der Gott dieses entheiligten Heiligtums noch er, JHWH, sein? Und in ebendiesem Augenblick, an dieses »ihres Gottes« anknüpfend, setzt in der Gottesrede mit dem emphatischen Ich, anokhi, ich selber, ein Neues ein (V. 9 ff.): der Akt des geschichtlichen Erinnerns, des Ins-Gedächtnis-Rufens, und die Rede geht alsbald in direkte Ansprache über. Der Versammlung Israels wird ins Gedächtnis gerufen, wie er, der redende Gott, einst ein, wie sie jetzt, verrottetes Volk, das ihnen entgegentrat, »von vor ihnen weg« vertilgte, um ihnen dessen Land zu geben, damals, als er sie von Aegypten »herauf« und vierzig Jahre durch die Wüste geführt hatte (V. 10) – jene vierzig, wir wissen es, die not waren, um das in Aegypten entartete Israel zu erneuern. Darum auch, um der steten Erneuung im Gottesvolkstum willen, hatte er ihnen dann – nicht etwa Mahner wie diesen seinen Sprecher jetzt aus einer andern Gegend gesandt, sondern ihnen aus ihren eigenen ihnen vertrauten Söhnen Künder erstehen lassen (V. 10), um ihnen immer wieder die lebendige Weisung nahzubringen und sie zum rechten Leben aufzurufen, und Nasiräer, nicht zwar um sie zur Askese anzueifern, die dem Volk zuzumuten der prophetischen Glaubensführung fernliegt, aber um das Bild einer reinen, gottgeweihten Lebenshaltung ihnen immer wieder vor die Augen zu stellen. Sie aber fielen ihm in den Helfersarm, sie verführten die Nasiräer zum Rausch und zwangen die Künder zu schweigen (wir,

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die wir das Buch Amos kennen, müssen hier denken: wie man alsbald hier, in Bethel, unternehmen wird, den Sprecher dieser Worte zum Schweigen zu bringen). So sind sie denn – das etwa muß man mindestens ergänzen – sich selbst überlassen geblieben und sind in den Stand der Verworfenheit geraten, in dem sie jetzt sind. Im Text folgt auf die Geschichtserinnerung unmittelbar die Strafansage. Wir aber empfinden eine uns beunruhigende Lücke, ohne daß unsere Phantasie sie anders als notdürftig zu füllen vermöchte. Immerhin, einen Anhalt bietet uns der Umstand, daß mit ganz ähnlichem Tonfall in einem kurzen Fragment (5, 21-26; 27 gehört nicht hierher) von jenen vierzig Jahren in der Wüste die Rede ist. Da fragt JHWH das Volk (V. 25), ob sie ihm denn auch damals vorschrifts- und regelmäßige Opfer gebracht hätten; ob sie denn damals (V. 26) einen der opferheischenden Götzen »als ihren König« getragen hätten und nicht vielmehr über der Lade den Unsichtbaren, der sein Volk getreulich führe und dafür zum Lohn weder ein Befriedungsmahl aus Mastochsen (V. 22) noch ein Liedergeplärr (V. 23) begehre, sondern das eine nur (V. 24), »daß wie die Wasser Gerechtigkeit dahinrolle und Bewährung wie ein urständiger Bach«, das heißt, im Gegensatz zu all den in der Regenszeit aufsprudelnden, dann aber wieder schnell austrocknenden Wadis des Landes Kanaan, ein Bach, der von der Urzeit her strömt und nie versiegt. Hier haben wir, wenn nicht dem Wortlaut, so doch wohl dem Sinn nach, was uns an jener Lücke fehlt: die Verbindung vom Einst zur Gegenwart, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge. Sie wollen sich durch Opfergaben und Psalmenspiel loskaufen; JHWH aber hat beides weder damals, als er das Volk durch die Wüste führte, gefordert, noch fordert er es jetzt. Beides (auch dies sagt Amos nicht, wir müssen und dürfen es anderswoher heranbringen, um seine Botschaft zu verstehen) gewährt er dem Menschen, der im Opfersinnbild ihm nahzukommen (die späte, zusammenfassende Opferbezeichnung, qorban, das heißt etwa das Nahen, stammt offenbar von dieser Grundvorstellung), im Gebetswort von ihm gehört zu werden begehrt. Was er fordert, ist »Gerechtigkeit« und »Bewährung«. Diese Einheit von Gerechtigkeit und Bewährung, rechtem Urteil und rechter Handlung ist weder ein »ethischer« noch ein »sozialer«, sondern ein religiöser Grundbegriff, aber keineswegs deutet, wie man von einer anderen Seite aus meint, Amos mit seinem Wassergleichnis auf das göttliche Gericht hin. Wenn wir die vorezechielischen Texte, in denen er vorkommt, nebeneinanderstellen, finden wir durchweg, daß er entweder von Gott als dem das Recht auf Erden oder in Israel Einsetzenden (nicht als dem Strafenden) ausgesagt wird (Hosea 2, 21; Jesaja 1, 27; 28, 17; 33, 5; Jeremia 9, 23; Psalm 99, 4), oder von seinem Gesalb-

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ten (II Samuel 8, 15; Jeremia 22, 3, 15), wobei auch noch besonders auf JHWH als den Ursprung dieser Einheit hingewiesen wird (I Könige 10, 9; Jesaja 9, 6; Jeremia 23, 5; 33, 15), oder auch von anderen Menschen, insofern sie »den Weg JHWHs hüten« (Genesis 18, 19), das heißt ihm nachfolgen, oder das von JHWH ihnen Eingepflanzte zur Frucht bringen (Jesaja 5, 7). Demgemäß ist er auch an den drei Amosstellen (außer 5, 24 noch 5, 7 und 6, 12) zu verstehen. Die anscheinend gemeinsemitische Vorstellung des gerechten Stammesgottes, wie sie uns aus einer Reihe von Namen und Epitheta von Göttern entgegenblickt 130 , ist in Israel zu einem unerhörten Glaubensernst erwachsen. Der vitale Realismus, mit dem hier die religiöse Führung das Verhältnis von Gott und Mensch betrachtet, tritt auch in der Gewißheit hervor, daß die göttliche Gerechtigkeit in einer menschlichen fortwirken will und daß das Schicksal des Menschen davon abhängt, ob er sich diesem Willen ergibt oder versagt. JHWH »stiftet Gerechtigkeit« und »tut Gerechtigkeit und Bewährung in Jakob« (Psalm 99, 4), er verlobt Israel sich in Wahrspruch und Gerechtigkeit an (Hosea 2, 21), »weil er diese begehrt« (Jeremia 9, 23). Er setzt den König als seinen Statthalter ein, um an seiner Statt Gerechtigkeit und Bewährung zu üben (I Könige 10, 9; Jesaja 9, 6). Der Gott fordert, daß man ihm nachfolge, daß man »JHWHs Weg hüte«, auf dem er geht (Genesis 18, 19). Die Einheit von Gerechtigkeit und Bewährung ist in israelitischer Anschauung einer der Grundbegriffe des göttlich-menschlichen Verhältnisses. Es geht um eine Nachahmung Gottes, und zwar um der menschlichen Auswirkung seines Wirkens willen. Die Gerechtigkeit strömt vom Himmel nieder und will nun auf Erden, durch das Medium des Erdenmenschen, des Erdenvolks, fortströmen, wie die Wasser zwar in all den Brechungen und Spaltungen, die sie durch das Endliche, das Unzulängliche erfährt, dennoch unversieglich, wie ein urständiger Bach. Das Menschenvolk aber versagt sich dem Gottesstrom, sie weigern sich, ihn ins Leben einrieseln zu lassen, so daß die Wasser sich stauen, bis sie zerstörend niederstürzen und die Gerechtigkeit zum Gericht wird. Das bedeutet das Wort des Amos (6, 12, vgl. 5, 7), daß Israel die Gerechtigkeit in Schierling verwandle und die Frucht der Bewährung in Wermut. So müssen denn ihre Festreigen, womit sie, die Bewährungslosen, dem Gott dienen zu können vermeinten, in Trauer verwandelt werden, und all ihre Gesänge, mit denen sie sein Wohlgefallen erreichen wollten, in Leichenklage (8, 10). 130. Vgl. Baudissin, Kyrios III 398 ff. Für die von H. Zimmern (ebenda IV 50 f.) angenommene sumerische Herkunft der Vorstellung habe ich keinen Anhalt finden können.

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»Ich mache es unter euch stocken, gleichwie der Wagen stockt, der sich mit Garben gefüllt hat« – so hebt (2, 13) der letzte Spruch der großen Bethelrede an. Was bedeuten solche Ansagen und auch die späteren der Vernichtung noch? Man pflegt in Amos den Propheten des Gerichts schlechthin zu sehen und daher die Stellen, die von der Möglichkeit der Errettung reden oder gar eine spätere Heilszeit verheißen, ihm entweder abzusprechen oder ins Negative auszudeuten. Damit verkennt man das eigentümliche Wesen der israelitischen Prophetie. Amos lehnt es zwar ab (7, 14) der nach der Konsolidierung unter Elisa wieder zu feiler Wahrsagerei entarteten Nebiimzunft seiner Zeit anzugehören, aber er weiß, daß dies, was er im Auftrag JHWHs tut, das »Künden« (3, 8), eben die Sache des Nabi von der Urzeit her (2, 11) ist, wiewohl es jetzt in seinem Munde, ohne daß er’s wollte und wußte, die neue Gestalt, statt der des Rufs und Sprechgesangs die der festen zusammenhängenden Rede angenommen hat. Deshalb ist doch, was er zu sagen hat, seinem innersten Wesen nach dasselbe geblieben, wie jenes »Bis wann … ?« des Elia (I Könige 18, 21) oder jenes »JHWH hat Böses über dir geredet« des Micha ben Jimla (22, 23), gesprochen zum König von Israel in einem Augenblick, da es diesem offenbar noch möglich ist, dem Unheil zu entgehen. Der israelitische Prophet redet in die volle Aktualität einer bestimmten Situation hinein. Er sagt fast nie (es gibt Ausnahmen, die aber nur sozusagen den Endrand der Prophetie bezeichnen) ein eindeutig feststehendes Stück Zukunft voraus. JHWH übergibt ihm nicht ein fertiges, mit künftigem Geschehen beschriebenes Schicksalsbuch, das er vor seinen Zuhörern aufzurollen hätte. Dergleichen geben vielmehr jene »falschen Propheten« vor, wie sie schon dem Micha ben Jimla gegenüberstehen (V. 11 ff.) und dem König weissagen: »Zieh hin, es wird dir gelingen!« Nicht daß sie Heil prophezeien, macht ihre eigentliche »Falschheit« aus, sondern daß hinter dem, was sie prophezeien, keine Frage, keine Alternative steht. Diese Haltung ist der Mantik der Völker näher als der echten israelitischen Prophetie. Der echte Prophet tut kein unabänderliches Verhängnis kund; er redet in die Entscheidungsmächtigkeit des Augenblicks hinein, und zwar so, daß gerade seine Unheilsbotschaft an diese Entscheidungsmächtigkeit rührt. Das unformulierte Urtheologumenon der Paradiesgeschichte über das göttlich-menschliche Verhältnis, daß nämlich der erschaffene Mensch im Einhauch seines Schöpfers mit wirklicher Entscheidungsfähigkeit ausgestattet worden ist, so daß er dem gebietenden Willen JHWHs wirksam zu widerstreben vermag, dieser geheimnisvolle Glaubenssatz erhebt sich nun zu einer unheimlich praktischen Gewalt. Was wir in unserer Darstellung vom Deboralied zurück zu Abraham

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und von ihm an wieder voran bis zu Elia verfolgt haben, die göttliche Forderung der menschlichen Entscheidung, das zeigt sich uns hier auf der Höhe des Ernstmachens. Der Mensch kann sich in einem gegebenen Augenblick, in jedem gegebenen Augenblick wirklich entscheiden und nimmt damit in einer nach Art und Maß unvorstellbaren Möglichkeitssphäre an der Entscheidung über das Geschick des nächsten Augenblicks teil. An dieses entscheidungsmächtige Sichentscheiden des Menschen appelliert die prophetische Unheilsansage. Die Alternative, die hinter ihr steht, ist in sie nicht aufgenommen; nur so kann das Wort an das Innerste der Seele rühren, kann vielleicht zum Aeußersten der Tat aufrühren: zur Umkehr. In einem literarisch späten, aber vermutlich einer alten Sage frei nachgedichteten Büchlein, der Erzählung von Jona, die sich geradezu wie ein episches Paradigma für Wesen und Auftrag der Propheten ausnimmt, wird uns der Sachverhalt, den ich meine, mit unzweideutiger Klarheit vorgeführt. JHWH schickt den Jona mit einer Unheilsbotschaft nach Ninive, Jona versucht aber, sich dem Auftrag zu entziehen, weil er weiß (4, 2), daß dieser »gnädige und barmherzige Gott« bereit ist, »sich des Bösen gereuen zu lassen« – beides Zitate aus den Dialogen zwischen JHWH und Mose nach der Volksversündigung am Sinai (Exodus 32, 12, 14; 34, 6) –, wenn das Volk umkehrt, Jona aber findet kein Gefallen daran, ein Prophet zu sein, dessen Prophezeiung keine ist. Unterm Wirken der Gotteshand muß er die Botschaft ausrichten. Es ist eine reine Unheilsbotschaft ohne Einschränkung, mehr noch, eine zeitlich befristete, nach unabänderlichem Verhängnis klingende. Aber gerade dies bringt das Volk von Ninive dazu, daß sie »umkehren« (3, 8), denn sie sagen sich (V. 9): »Wer weiß, Gott mag umkehren und sich’s gereuen lassen.« Menschliche und göttliche Umkehr entsprechen einander; nicht als könnte man diese durch jene hervorrufen, solche ethische Magie liegt dem biblischen Denken fern, aber – »wer weiß«. Von dieser Grundanschauung aus ist, wie alle echte vorapokalyptische israelitische Prophetie, so auch die des Amos zu verstehen; man muß sich nur von dem theologischen Schema des »Gerichtspropheten« ab und dem lebendigen, mittlerischen Menschen zuwenden. Amos empfängt den furchtbarsten Auftrag und weiß – er, der Lebendige, zum Unterschied von dem konstruierten Jona – nicht, daß der Auftrag eine Frage, einen Aufruf zur Entscheidung birgt. Dennoch weigert er sich anscheinend lange, die Botschaft als Verhängnis aufzufassen. In seinen Visionsberichten, dem einzigen wohl, was er selbst niedergeschrieben hat, hat er es uns überliefert (7, 1-6), wie er zweimal JHWH um Vergebung für das Volk angegangen und wie dieser beidemal gewährend »es sich hat ge-

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reuen lassen«. Zwischen diesen und den folgenden Visionen, nach denen er keine Fürbitte mehr wagt, liegen offenbar die Reden, in denen er Israel unmittelbar zur Umkehr aufrufen darf, aber erfolglos bleibt. »So hat JHWH«, ruft er da (5, 4), »zum Haus Israel gesprochen: ›Suchet mich und lebet!‹« Und wieder, vermutlich nach einer Zeit vergeblicher Arbeit auf den Spruch zurückgreifend und ihn erläuternd (V. 14 f.): »Suchet das Gute, nimmer das Böse, damit ihr lebet und JHWH, der Gott der Heere, derart dasei mit euch, wie ihr zu sprechen pflegt! [›Gott ist mit uns‹ ist der Spruch, den die Ahnungslosen im Munde führen.] Hasset das Böse, liebet das Gute, richtet im Tor die Gerechtigkeit auf, vielleicht wird (dann) JHWH, der Gott der Heere, den Ueberrest Josefs begnaden.« Das sind Worte, die Amos abzusprechen und einem Epigonen zuzuteilen nicht angeht; und doch führt eine Verbindungslinie von dieser alternativischen Sprache zu dem großen Entscheidungsaufruf des Deuteronomiums (30, 15), wo »das Leben und das Gute« und »der Tod und das Böse« zur Wahl vor Israel hingelegt werden; anderseits aber spiegelt sich dieses zitternde »vielleicht« noch in jenem »wer weiß« der Niniviten im Buche Jona. Nicht dem ganzen Volk bietet nun der Prophet wie vorher das Leben an, weil er nicht mehr vom Volk die Umkehr erwartet; kehrt aber ein »Rest« um, so wird er vielleicht Gnade finden. Hierher führt die Linie von den Siebentausend der elianischen Sage – eine symbolische Zahl, die keineswegs erst aus der Zeit nach dem Untergang des Nordreichs stammen kann, sondern im Munde Elias durchaus möglich ist – (I Könige 19, 18), die als Rest verbleiben, weil sie nicht vor dem Baal gekniet haben, und von hier führt sie weiter zu Jesaja, der (Jesaja 7, 3, vgl. 10, 21) seinen Sohn Rest-kehrt-um nennt. Die Entwicklung der Alternativik ist unverkennbar: Elia redet von der Schar, die sich bereits als treu bewährt hat, Amos meint die ihm Unbekannten, von denen er hofft, daß sie vor dem angesagten Gericht umkehren und als der Ueberrest Josefs der Vernichtung entrinnen werden. Leise sagt sich hier die Wendung zum Kommenden an. Aus der Zeit nach diesem Erläuterungsspruch stammt wohl die Vision des Richtbleis (Amos 7, 7 ff.), das an eine Mauer angelegt wird, um zu prüfen, wie weit sie »aus dem Lot gewichen« ist, wie der alte Maurerausdruck sagt. JHWH als Maurer prüft mit seinem Bleilot unerbittlich den Schaden, um zu entscheiden, ob man die schief gewordene Mauer noch ganz oder teilweise retten kann oder völlig einreißen muß. Er will dem Volk Israel nichts mehr »übergehen«. Und das darauffolgende Strafwort spricht das bisherige Ergebnis aus: die Heiligtümer müssen zerstört, die ungetreue Dynastie ausgetilgt, der obere Teil der Mauer muß abgetragen werden.

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Und nun – so dürfen wir die Abfolge erschließen – setzt wieder eine uns ganz erhaltene große Rede ein (4, 4-13), in der die Natur- und Geschichtskatastrophen der Zeiten, deren die Generationen überdauerndes Gedächtnis das Volk noch bewahrt hat, bis zur letzten, deren Zeuge das jetzt lebende Geschlecht war, dem Erdbeben – das Amos, der vom Hügel seiner Heimatstadt zwischen den Bergen durch aufs Tote Meer sah, mit dem »Umsturz« Sodoms und Gomorras vergleicht – (V. 11, vgl. 1, 1), als Aufrufe zur Umkehr gedeutet werden: »ihr aber seid nicht zu mir her umgekehrt«, wird in fünffacher Wiederholung den Hörern eingehämmert. Daran jedoch schließt sich die Ansage der kommenden, äußersten, unbeschriebenen und unbeschreiblichen Heimsuchung als – dies dürfte in diesem Zusammenhang nicht verkannt werden – des letzten Aufrufs zur Umkehr an (V. 12): »bereite dich deinem Gott entgegen, Israel!« Die Begegnung mit JHWH steht bevor. Jeder Hörer weiß es: wem er, ohne ihn zu begnaden, sein Antlitz zu sehn gibt, stirbt. JHWH ruft das Volk zur Umkehr auf, die ihn zur Gnade aufrufen soll. Aber dies ist nicht, wie man meint, das Ende der Rede. Sie endet (V. 13) mit einer jener »Doxologien«, die man Amos abzusprechen pflegt, weil man ihre Absicht mißversteht, die immer darauf geht, den Herrn der Schöpfung mit dem der Heimsuchungen und Vernichtungen, den Gott der Natur also mit dem der Geschichte, zu identifizieren. Er, der die Berge bildet, schafft auch die Ruach – womit hier nicht der Wind, sondern der geheimnisvolle Anhauch gemeint ist, der im Anfang der Schöpfung (Genesis 1, 2), dennoch auch er erschaffen, flügelspreitend über den Wassern schwebt, in die geschichtlich gewordene Welt aber hineinstürmt und den »Mann des Geistes« so begeistet, daß das Volk ihn einen Rasenden schimpft (solch einen Volksspruch führt Hosea 9, 7 an); durch diesen Mann des Geistes »sagt er [nun] dem Menschen an, was sein Sinnen [genauer: sein Selbstgespräch] ist«. Auch hier noch kein undialogisches Verhängnis: JHWH unterredet sich mit sich selber, und aus diesem Gespräch kann im äußersten Augenblick, wenn es der Augenblick der Umkehr ist, ein Gespräch mit dem Menschen werden. Freilich, das Unheil hebt an: er, dessen Name JHWH, »Er-wird-dasein«, ist, der Gott der Gewaltenheere, »macht nun aus Morgengrauen Dunkel und schreitet über die Höhen der Erde«. Und wieder nach vergeblicher Erwartung folgt die vorletzte Vision, nun erst auf »das Ende für mein Volk Israel« (8, 2) hinweisend, an jenem im Bilde der Pest geschauten – Tag, da die Gesänge im Tempel sich in ein Heulen verwandeln: »Genug! die Leichen allerorten! zusammenwerfen!« – auch das wird zuletzt durch ein »Still!« des Entsetzens zum Schweigen gebracht. Von dieser Vision aus ist der Pestspruch (6, 8-10) zu erfassen, an dessen Schluß ebenfalls dieses »Still!« ertönt. Jetzt erst spricht Amos

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auch den schlichten, keine Alternative mehr andeutenden Spruch vom Untergang (5, 2): »Gefallen ist, steht nicht mehr auf die Maid Israel, ist hingestoßen auf ihren Boden, und da ist keiner, der sie erstehn läßt.« Und nun schaut er die letzte Vision (9, 1 ff.): da steht vorm Tempel, den Altar davor hoch überragend, JHWH selber und heißt auf den Säulenknauf schlagen, daß die Dachschwellen schüttern, und heißt diese abhauen, den Versammelten allen aufs Haupt. Das geht nicht, wie man meint, auf ein Erdbeben (das von 1, 1 hat schon stattgefunden, vgl. 4, 11), dafür ist es zu groß und zu einfach; es ist ein Sinnbild des umfassenden Verderbens. Was von den Schuldigen zunächst (wohl nach dem feindlichen Ueberfall) am Leben bleibt, wird, wohin es auch flüchten möge, vom göttlichen Zorn ereilt, und noch unter denen, die von den Feinden in die Gefangenschaft geführt werden, wird JHWHs Schwert todbringend wüten (9, 4). Von dieser Vision, die uns Leser nötigt, an den uns geschichtsbekannten Fall Samarias nach dreijähriger Belagerung durch die Assyrer, wenige Jahrzehnte danach, und an die Verschleppung des Großteils seiner Bevölkerung nach Mesopotamien zu denken, ist anscheinend eine große Rede des Propheten ausgegangen, von der wir meines Erachtens in 6, 1-7, 11-14 und 5, 27 versprengte Bruchstücke besitzen. Hier kehrt (6, 11) das Bild des Hauszerschlagens (hier des Zerschlagens eines »großen« und eines »kleinen« Hauses, was wohl auf Tempel und Königspalast zu deuten ist) mehr sinnlich als sinnbildlich wieder, so daß wir an eine Zerstörung durch den Eroberer zu denken geneigt sind; hier wird Mal um Mal (5, 27; 6, 7, 17) die Verbannung in die Ferne angesagt. Dies wohl ist die Rede, nach der (7, 10 ff.) der Priester von Bethel sowohl dem König über die aufrührerische Weissagung Bericht erstattet als auch den Propheten unmittelbar, zwar in ironisch wohlwollender Form, aber mit unmißverständlicher Entschiedenheit auffordert, sich aus diesem doppelt autoritativen Bereich von königlichem Heiligtum und Königshaus (man denkt an das große und das kleine Haus) eilig hinweg und in seine Heimat Juda zurückzubegeben, wo er sich mit so beredten Künsten recht wohl sein Brot verdienen könne. In seiner Antwort sagt Amos, daß echtes Künden kein menschlicher Beruf, sondern Berufung des Gottes ist, der einen von seinem Gewerbe hinweg, »von hinter den Schafen nimmt« und mit seiner Botschaft zum Volke schickt. Menschenwille, der dem Wort Einhalt zu tun versucht, ist der göttlichen Strafe verfallen. Die Antwort endet mit ebendenselben Worten, die der Priester dem König angegeben hatte: Ja, verschleppt, von seinem Boden verschleppt wird Israel werden. Ob Amos’ öffentliche Tätigkeit in Samarien damit zu Ende war, wissen wir nicht. Aber aus dieser Zeit, nach der Ansage der Verbannung, könnte

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der (zumeist, aber ohne hinreichende Begründung, als unecht bezeichnete) Spruch von der Siebung des Volks durch die Völkerwelt (9, 9) stammen: der »Ueberrest« soll auch in der Versprengung, gerade in ihr, bewahrt werden. Ebenso der Spruch, der vielleicht als Vermächtnis an einen vertrauten Kreis zu verstehen ist (8, 11 f.), von den kommenden Tagen – wir dürfen ergänzen: der Rat- und Richtungslosigkeit –, da im Lande ein Hunger und Durst nach dem jetzt vertriebenen Gotteswort aufkommen wird, der dann nicht mehr gestillt werden kann. Und schließlich scheint mir der echte Kern des Heilsspruchs am Schluß des Buches (9, 11, 13, die 5 ersten Worte von 14 und die 3 letzten von 15) hierher zu gehören, der oft und grundlos in spät- oder nachexilische Zeit verlegt wird. Er ist an einen einzelnen Hörer gerichtet, wie die Schlußworte »JHWH dein Gott hat’s gesprochen« beweisen, vielleicht als Abschiedsspruch an einen auf den Wanderungen im Nordreich gewonnenen und nun dort zurückbleibenden Jünger. Was hier für eine künftige Zeit verheißen wird, ist die Wiederaufrichtung der »fallenden Hütte Davids«, das heißt – im Gegensatz zu der dem Untergang geweihten samarischen Sonderherrschaft – des israelitischen Gesamtbaus in seiner ursprünglichen, davidischen Gestalt. Man darf, um das Bild nach Sinn und Herkunft zu verstehen, nicht vergessen, daß hier der Schafhirt vom Schafhirten redet: solche »Hütten« (ßukkot) aus Strauch- und Zweigwerk hat einst der Sage nach (Genesis 33, 17) Jakob für seine Herden hergestellt; David hat sein Reich als Hütte für seine Herde gebaut, nur eine solche Volkshütte verdient wieder zu erstehen »wie in den Tagen der Vorzeit«. Ihre Erneuung wird nach uralter orientalischer Anschauung 131 als eine Segenszeit für die ganze Natur verheißen. »Wiederkehr lasse ich kehren meinem Volk Israel«, so schließt die Gottesrede. Hier entfaltet sich für Amos in einer nicht mehr öffentlichen Lehre das Wort vom »Ueberrest«. Dem Volke hatte er (5, 18 ff.) dessen falsche Heilsgewißheit scharf verwiesen, die im Volk – anscheinend von altersher – verbreitete Sicherheit, es stehe ein »Tag JHWHs« bevor, der eitel Licht und Herrlichkeit für Israel sein werde: wohl werde ein Tag JHWHs kommen, das heißt ein Tag, an dem er rückhaltlos waltet, aber das werde für dieses sündige Reich ein Tag der Finsternis sein, da die Sonne am Mittag untergeht (8, 9). Nun aber verkündigt er über diesen hinaus seinen Getreuen einen anderen »Tag«, an dem JHWH die Wiederkehr kehren läßt. Wie sollte es auch anders sein – so denkt wohl der Mann vom Wüstenrand – mit einem Gott, der vierzig Jahre mit seinem Volk durch 131. Vgl. Dürr, Ursprung und Ausbau der israelitisch-jüdischen Heilandserwartung (1925) 102 f.

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die Wüste gegangen ist: er geht auch weiter mit, mitten durch die Verwüstung, die das Werk seines eignen Gerichts ist. »Amos ist«, so lese ich in einem neuen Kommentar 132, »dem Monotheismus nahegekommen, hat ihn aber doch noch nicht erreicht. Denn für ihn gibt es neben Jahwe noch andere, freilich auf niederer Stufe als er stehende Götter (5, 26).« Also weil Amos dem Volk sein Götzentum vorhält und sie fragt, ob sie denn damals die Bilder ihrer Gestirngötter, »die sie sich gemacht haben«, durch die Wüste getragen hätten (oder nicht vielmehr seine, JHWHs, Bundes- und Zeugnislade), oder auch – wie der Kommentator versteht – ihnen ansagt, sie würden diese Bilder, die sie sich gemacht haben, mit sich ins Exil zu tragen haben, darum war er kein »Monotheist«. Dergleichen Bemerkungen scheinen mir geeignet, die Frage nach dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des vielbesprochenen »Monotheismus« erheblich zu entwerten. Amos hat – ohne ein neues Urelement dem Gottesverhältnis Israels zuzubringen, das eben in einer anderen Zeit gestiftet und konstituiert war – mit seinem Wort die Ausschließlichkeit eines Menschenvolks zu seinem Gott als zu dem Befreier, Führer und Richter der Völker, dem Herrn der Bewährung und Gerechtigkeit so unter die göttliche Forderung und Ahndung selber gestellt, wie, soviel uns bekannt ist, keiner vor ihm in der menschlichen Geschichte. Ob er diesen oder jenen -ismus erreicht hat, mag dahinstehn; aller Anspruch solcher Unterscheidungen wird nichtig, wenn er sich demgegenüber geltend machen will, was hier ist: ein Mensch, ausgeliefert der Einzigkeit seines Gottes.

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2. Um die Liebe

Nicht viele Jahre, nachdem Amos in Bethel des Landes verwiesen worden war, wohl in der letzten Lebenszeit ebendes Königs, an den der Priester seinen Bericht gesandt hatte, geschah einem unfern von Bethel, vermutlich an der südlichen Grenze des Nordreichs ansässigen, noch unvermählten jungen Bauern etwas Unerhörtes. Er hatte gewiß als Knabe den harten Reden des judäischen Künders gelauscht (vgl. z. B. Hosea 4, 15 mit Amos 5, 5); er hatte erfahren, daß die Propheten der eiserne Meißel sind, mit dem JHWH, damit seine Gerechtigkeit »wie Licht aufgehe« 133 , Israel wie einen Stein behaut, wiewohl es lebendige Substanz ist, die von den furchtbaren Worten »verschlagen« wird (Hosea 6, 5); er hatte sich 132. Von Th. H. Robinson (im Handbuch zum Alten Testament I Reihe, 14. Bd., 1938). 133. Zu lesen ist: mischpati k’or jeze, meine Gerechtigkeit wird wie ein Licht aufgehen.

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bereit gemacht, seinem Herrn als Sprecher zu dienen. Nun aber, da das Erwartete begann (1, 2), war es ganz anders, als er erwartet hatte. Wohl wurde er angefordert, das zu werden, wofür erst seinem nachgeborenen Jünger Jeremia das Bild gegeben ist: »wie ein Mund« JHWHs (Jeremia 15, 19); aber nicht sein Mund allein wurde dazu angefordert, sondern die ganze Person und das ganze persönliche Leben. Mit allem, was er war und lebte, bis ins Intimste hinein, sollte er wie ein Mund werden: sein persönlichstes Schicksal sollte, vors Angesicht des Volkes gestellt, aussprechen, was Gottes war – seine Ehe mit einem buhlsüchtigen Weibe JHWHs Ehe mit diesem Land, seine verratene Liebe die verratene Liebe JHWHs, seine Lossagung von der Ungetreuen die göttliche Lossagung, sein Erbarmen mit ihr das göttliche Erbarmen. Wir besitzen nur fragmentarische Zeugnisse des Vorgangs in dem Hoseabuch (das anscheinend nur etliche beim Untergang Samarias gerettete Fetzen aus dem ursprünglichen Bestande aneinandergeheftet umfaßt), ein Fragment im »Er«-Stil (1, 2-9) und ein notdürftig zusammengeflicktes im »Ich«-Stil (3, 1-5), in das aber beim Flicken ein Satz aus einem verlorenen Ich-Bericht (V. 2), der, in den Er-Stil übertragen, an eine bestimmte Stelle der Anfangserzählung (in den Vers 1, 3 hinein) paßt, sinnstörend und irreführend geraten ist 134 ; dazu kommt eine Rede (2, 4-25), die auf das Fehlende immerhin wohl hinweist. Aus alledem ergibt sich dem unbefangenen Blick, daß hier weder von Allegorie noch von einem bloß innerlichen, ekstatischen Erlebnis die Rede sein kann. Aber auch wer das grausame Gotteswort »Nimm dir ein buhlsüchtiges Weib« (wozu etwa zu ergänzen wäre: »das ich dir zeigen werde«) als eine nachträgliche Interpretation ansieht, womit Hosea seine privaten Erfahrungen als göttliche Schickung zu verstehen suche, verkennt mit solcher psychologischen Verdünnung das »tödlich faktische« Wesen des Wortes. Und schließlich geht es auch nicht an, das 1. und das 3. Kapitel als parallele Darstellungen des gleichen Ereignisses aufzufassen, da dann sowohl das berufende Gotteswort als die Rede des 2. Kapitels fast all ihren biographischen Hintergrund verlieren. Wir können diesen zwar aus den uns verbliebenen Trümmern nicht rekonstruieren; aber was wir vor uns haben, genügt, um zu erkennen, wie hier ein Nabi vor den Augen der Menge, von ihr jetzt und später als närrisch und wahnwitzig verschrien (9, 7), sein Schicksal zeichenhaft als das dem Gotte Widerfahrende lebte. Gott liebt, 134. In ihrem jetzigen Zusammenhang ist die Stelle vom Redaktor offenbar so verstanden worden, daß die verstoßene Frau Tempeldirne geworden ist und vom Heiligtum losgekauft werden muß (vgl. Budde, Der Abschnitt Hosea 1-3, Theologische Studien und Kritiken 1925, 68, und Hans Schmidt, Die Ehe des Hosea, Ztschr. f. d. alttest. Wiss. 42. Bd., 267 ff.).

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und er leidet um seine verratene Liebe. »Auf, weiter noch liebe ein Weib, von einem Gesellen geliebt und ehebrecherisch«, sagt er zu Hosea (3, 1), »wie JHWH (er stellt sich in der dritten Person vor seinen Künder wie ein Modell zum Nachzeichnen) die Kinder Israel liebt« –, das heißt mit einer ebenso leidenden Liebe. Und Hosea tut, was ihm geboten wurde. Das bedeutet aber keineswegs, daß er, wie manche es verstehen möchten 135 , mit dem Gott »mitfühlt«; es ist vielmehr seine eigene Liebe und sein eigenes Leid, die er zu fühlen bekommt, aber indem er sie fühlt, erfährt er zugleich, daß er damit dem Gott nachfolgt. In seinem eignen Gefühl prägt sich das göttliche aus, so stark, daß er jeweils aus den Zügen des eignen Geschicks den Verlauf der Beziehung zwischen JHWH und Israel ablesen kann, wie wenn ein Stigmatisierter, die Wundmale an seinen Händen betrachtend, die des Gekreuzigten kennenlernt. Doch trägt der Vergleich nicht weit: die Stigmata bilden nur ihr Urbild nach, in der Ehe des Propheten aber erscheint uns der Mensch selber mit den Geheimnissen seines Bluts und seiner Seele, der doch auch eben dadurch mit den Geheimnissen Gottes verbunden wird und diese nun eben deshalb zeichenhaft verkörpern, verleiblichen kann. Dergleichen ist nur von der israelitischen Glaubenswelt aus zu verstehen, wo Blut und Seele des theomorphen Menschen um seine Ebenbildlichkeit wissen, die allein ihm die Nachahmung Gottes möglich macht. Aber noch ein anderes Problem wird uns durch die Gottesrede gestellt, mit der das uns erhalten gebliebene Stück des Ich-Berichts beginnt. Sie ist in dem Stil abgefaßt, den ich den einhämmernden nenne; viermal kehrt in dem einen Satz das Verb wieder, auf das es ankommt, das Verb »lieben«, und jedesmal in einer andern Relation: rechtschaffene Liebe eines Mannes zu seinem Weib, buhlerische Liebe, die den Bund zerreißt, göttliche Liebe JHWHs zu Israel und die »Liebe« der Baale zu den ihnen vom Volk dargebrachten Traubenkuchen. Das erstemal aber steht das Verb im Imperativ: »Liebe!« Ein seltener und seltsamer Spruch: kann man denn Liebe gebieten – nicht in allgemeinem Gebot, wie wir es im Pentateuch wiederholt in Bezug auf Gott und den Mitmenschen finden, sondern in so besonderem? Wenn Amos sagt: »Hasset das Böse und liebet das Gute«, nehmen wir das Wort, weil von so Allgemeinem die Rede ist, unbedenklich hin (vgl. auch Sacharia 8, 19); aber einen bestimmten Menschen, wo das Lieben eben ganz konkret wird, lieben sollen? Das Wort kann nur zu einem gesprochen sein, der schon liebt. Er liebt, liebt die Ungetreue immer noch, kann sich dieser Liebe nicht erwehren, aber er will diese Liebe nicht, durch die er sich erniedrigt wähnt, das Persön135. Vgl. insbesondre Heschel, Die Prophetie (1936) 76 ff.

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liche ist in dieser Stunde stärker als die imitatio dei, und das Persönliche ist Widerstreit und Scham; da hinein fällt das Gotteswort: »Liebe weiter, du darfst sie lieben, du sollst sie lieben; eben so liebe ich Israel.« Von der Sphäre Gottes, des ewig Liebenden, aus wird dem Gefühl des Menschen sein Recht wiedergegeben. Hosea verschwendet das kostbare Wort »Liebe« nicht. Jedenfalls sagt er in dem uns erhaltenen Buch alles Wesentliche über die Liebe Gottes je nur ein einziges Mal. Es sind drei Dinge. Das erste: es ist eine heischende Liebe. JHWH bekennt, daß er Israel damals, als es jung war und er es liebgewann (11, 1), als seinen Sohn von Aegypten herbeirief und es »an Stricken der Liebe« zu sich zog (V. 4); sie aber entfernten sich von ihm (V. 2). Das zweite: es ist eine zornige Liebe. JHWH versichert (9, 15), er habe einen Haß gegen Israel gefaßt, er wolle es aus seinem Hause treiben, er könne es fortan nicht mehr lieben. Und das dritte: es ist eine gnädige Liebe. JHWH verheißt (14, 5): »Ihre Abkehr werde ich heilen, freiwillig werde ich sie lieben.« Das sind Reden jenes »eifernden Gottes« vom Sinai, ebendesselben, dasselbe Heischen (Exodus 20, 3-5a), Zürnen (V. 5b) und Gnaden (V. 6) wie dort, in die Sprache einer großen Liebesgeschichte, einer Geschichte von Schuld und Läuterung übertragen. Freilich, sehr anthropomorph ist all dies; aber ich vermute, Hosea würde, wenn er es uns in unserer Begriffssprache zu erklären hätte, sagen, die Theomorphie des Menschen sei nur dadurch bewahrt worden, daß Gott immer wieder so anthropomorph wurde. In Hoseas Gebrauch des Verbs »lieben« ist etwas merkwürdig: es wird nie, auch nicht fordernd, für das Verhältnis Israels zu JHWH verwendet. Was wir in frühen und späten Texten von den Gott Liebenden lesen, im Dekalog (Exodus 20, 6), in deuteronomischen Mosereden (mehrfach), in literarischen Josuareden (Josua 22, 5; 23, 11), im Deboralied (Richter 5, 31) und sonst, hier, beim »Propheten der Liebe« fehlt es durchaus. Die Gegenseitigkeit von Liebe JHWHs zu Israel und Liebe Israels zu JHWH ist in den wohl von ihm beeinflußten Abschnitten des Deuteronomiums (insbesondere 10, 12, 15) intensiv ausgesprochen; bei ihm selber fehlt der sprachliche Ausdruck dafür. JHWH klagt hier Israel zwar Mal um Mal an, daß es sich hurerisch von ihm abkehre; aber er sagt nicht, er fordere oder erwarte von ihm, daß es ihn liebe. Liebe ist bei Hosea kein Begriff der Gegenseitigkeit zwischen Gott und Mensch. Was das bedeutet, läßt sich an einem andern Begriff noch genauer klarmachen, den Hosea anscheinend aus dem Dekalog (Exodus 20, 6) übernommen hat und den er – im Gegensatz zu Amos, bei dem er fehlt – gern gebraucht: dem kaum übersetzbaren Begriff cheßed, der ursprünglich wohl das zwischen einem Herrn und seinen Leuten herr-

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schende Verhältnis des Wohlwollens und der Bundesgemäßheit bezeichnet und daher am ehesten noch mit Huld oder Holdschaft (der »Holde« ist im alten deutschen Recht der Lehnsmann) wiederzugeben ist. JHWH führt in seiner Huld das von ihm aus Aegypten erlöste Volk (Exodus 15, 13), der Getreue, der für ihn streitet, wird sein chaßid, sein Holder genannt (Deuteronomium 33, 8). Aber eigentlichen Cheßed kann natürlich der Untergebene dem unbedingt Ueberlegenen nicht erweisen. Wie Amos’ Doppelbegriff »Bewährung und Gerechtigkeit«, den Hosea abwandelt und mit »Huld und Erbarmen« verknüpft (2, 21), so ist auch diese »Huld« nicht eigentlich ein Gegenseitigkeitsbegriff. Wohl fordert JHWH, der »Huld und Treue« übt (Genesis 24, 27; Exodus 34, 6), von Israel eben diese (Hosea 4, 1), und insbesondere Cheßed (6, 6; 10, 12), diesen auch mit Gerechtigkeit verbunden (12, 7), aber nicht als etwas, was ihm erwiesen werden soll, sondern als ein allgemeines frommes Wohlwollen, das sich allem gegenüber bekundet, und zwar als eines, das nicht bloß stimmungshaft und flüchtig wie Morgengewölk und wie der früh vergehende Tau (6, 4) erscheint – denn solchen Gefühlhaften und Unzuverlässigen kommt es zu, daß sie selber das Schicksal des Morgengewölks und des früh vergehenden Taus erleiden (13, 3). Auch hier geht es um eine Nachfolge, die der Auswirkung Gottes in der Welt dient: sein Cheßed an Israel soll sich in Israels Cheßed an allem fortsetzen und auswirken. Auch hier also zwar nicht ein Begriff der Gegenseitigkeit von Gott und Volk, aber einer der Verbindung von Gott und Volk: göttliche und menschliche, göttlich-menschliche Tugend. All diese Begriffe der Verbundenheit durch das Gute, das von Gott ausströmt und durch das Volk sich verbreiten soll, sind in dem Gnadenwort der Sinnbildrede (2, 21 f.) feierlich zusammengefaßt: »Ich verlobe dich mir auf ewig, ich verlobe dich mir in Wahrspruch und Gerechtigkeit, in Huld und Erbarmen, ich verlobe dich mir in Treue, erkennen sollst du JHWH.« Dieses letzte, das »Erkennen«, ist bei Hosea der eigentliche Begriff der Gegenseitigkeit im Verhältnis zwischen Gott und Volk. Erkennen bezeichnet hier nicht das Erfahren eines Objekts durch ein Subjekt, sondern intimen Kontakt der beiden Partner eines zweiseitigen Vorgangs; daß auch die geschlechtliche Verbindung von Mann und Weib ein Erkennen genannt wird, klingt bei Hosea, dessen Anschauung vom Bild der Ehe beherrscht ist, zweifellos mit an. In dem Erwählungsspruch des Amos (3, 2) sagt JHWH, er habe von allen Sippen der Erde nur Israel erkannt; dieses »Erkennen« ist der Kontakt durch Offenbarung und Bundesschluß. Eine Gegenseitigkeit tritt bei Amos in diesem Wortbereich nicht hervor. Anders bei Hosea. Er nimmt das Amoswort wieder auf: »ich habe dich in der Wüste erkannt«, sagt JHWH zu Israel (Hosea

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13, 5); aber dem wird der Ausdruck der Gegenseitigkeit vorausgeschickt: »einen Gott außer mir erkennst du nicht« (V. 4); der Ring ist geschlossen. Damit jedoch dieser letztere Satz nicht relativistisch verstanden werde, als ob jedes Volk seinen besondern Gott hätte, den es erkennen könne, folgt ein Spruch, in dem Amos’ Lehre von JHWH als dem die Völker »heraufführenden« Gott (Amos 9, 7) verdichtet erscheint: »es gibt keinen Befreier als mich«; jenes »nur euch« des Amos wird hier durch ein »nur ich« ergänzt. Nur JHWH ist der zu erkennende Gott; nur Israel hat er sich zu erkennen gegeben. Seinem Kontakt mit dem Volk durch die Offenbarung entspricht der Kontakt des Volkes mit ihm durch den Offenbarungsempfang. Aber es will ihn nicht mehr erkennen; der Offenbarungsempfang, der Generation um Generation immer wieder neu geschehen soll, hat ausgesetzt. »Kein Erkennen Gottes ist mehr im Land« (4, 1), »JHWH erkennen sie nicht« (5, 4). Sie meinen, sie könnten sich durch Opferspenden der Hingabe ihrer Person zum Empfang des Gottesbundes entziehen; JHWH aber will nicht Schlachtmähler, sondern Erkennen Gottes (6, 6). So muß denn sein Volk »verstummen, weil sie ohne Erkenntnis sind« (4, 6). Er entzieht sich ihnen, er kehrt »an seinen Ort«, in seinen Himmel zurück, bis sie sich schuldig wissen und »nach seinem Angesicht verlangen« (5, 15) und zu einander sprechen: »Erkennen wollen wir, nachjagen der Erkenntnis JHWHs« (6, 3). In diesem Wort »Verlangen nach dem Angesicht JHWHs« (vgl. auch 3, 5) hat sich ebenso wie in dem verwandten »Aufsuchen JHWHs« (Amos 5, 4, 6; Hosea 10, 12) eine wichtige Bedeutungsabspaltung gegen den alten Sinn »eine Orakelstätte aufsuchen« vollzogen: man sucht den Gott nicht auf, um von ihm etwas zu erfahren, sondern um mit ihm Fühlung zu bekommen, um ihn zu erkennen. Das ist schon deutlich geworden in der Antithese des Amos (5, 5 f.): »Suchet nicht Bethel auf … suchet JHWH auf und lebet!« Bei Hosea entfaltet es sich noch mehr, von seinem Begriff des Erkennens aus. Von der Erwählung der Väter redet Hosea ebensowenig wie Amos: beiden ist es nicht um die Vorgeschichte des Volkes, nur um den Anfang seiner Geschichte zu tun, um die Gegenwart damit zu konfrontieren. Dagegen unterscheidet sich Hosea von Amos in seinem Blick auf die Befreiung aus Aegypten. Er sieht in ihr nicht wie sein Vorgänger nur eine der göttlichen Völkerführungen, die erst durch die Offenbarung aus der geschichtlichen Allgemeinheit hervortritt, sondern einen Akt der Liebe, ein Rufen an das zum Sohn angenommene Volk (11, 1). Den Terminus einer »Erwählung« Israels kennt er ebensowenig wie ein anderer der frühen Schriftpropheten, aber die beiden Leitworte des Dornbuschgesprächs, mit dem das Handeln JHWHs an dem Volk Israel beginnt, das Wort ’ammi, »mein Volk« (Exodus 3, 7, 10), und das Wort ehjeh, »ich werde

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(bei dir) dasein« (V. 12, 14; 4, 12, 15), die beiden Worte, mit denen, ehe der Bund geschlossen wird, ja ehe noch die Begegnung von JHWH und Israel geschieht, der Gott sich an das Volk bindet, brennen dem Mann, der sich tief in die Auszugsgeschichte versenkt hat, in seinem Herzen. Dem letzten Kind aus der anbefohlenen Ehe gibt er den Namen Lo-’ammi, »Nicht-mein-Volk«, denn – so lautet das Gotteswort, das die Namengebung gebietet (1, 9) – »ihr seid nicht mein Volk und ich nicht Ehjeh euch«. Es heißt nicht »ich werde für euch nicht da sein« (höchstens könnte man, in einer absonderlichen, sonst unbelegten Ausdrucksweise, verstehen: ihr werdet mich nicht haben), sondern gemeint ist: ich, JHWH, habe mich, als ich euch durch Mose (in jener Namenserschließung, deren zentrale Bedeutung Hosea kennt, vgl. den Begriff des »Gedenkens« des Tetragramms bei ihm 12, 6 mit Exodus 3, 15) sagen ließ: »Ehjeh hat mich zu euch geschickt« – damals habe ich mich euch als den Ehjeh, als das Ich, das bei euch da sein wird, zugesprochen, nun aber dürft ihr hinfort nicht länger euch darauf verlassen, an mir den bei euch Daseienden im Sinn des Beistands, des Schutzes, der Führung zu besitzen; wohl werde ich da sein, aber für euch bin ich kein Daseiender mehr, denn ihr seid nicht mehr mein Volk 136 . Dem ehjeh wird das begleitende ’immakh, »bei dir«, der göttlichen Bindung entzogen, und nun enthüllt sich das ehjeh ascher ehjeh, »ich werde dasein, wie immer ich (je und je) dasein werde« als die furchtbare Kundgebung der göttlichen Freiheit: das Da-sein wird zur Gegenwart des »verzehrenden Feuers« (Exodus 24, 17). Der Mächtigkeit der Erwählung entspricht die der Verwerfung – und ihr wieder die einer neuen, auf die vollkommene Umkehr des Volkes (3, 5) abzielenden Verheißung (die einem späteren Stadium der Prophetie Hoseas zu entstammen scheint) der Wiederkehr (2, 25): »Ich werde zu Nicht-mein-Volk sprechen: ›Mein Volk bist du‹, und er wird sprechen: ›Mein Gott!‹« Wenn in der Betrachtung der Erwählung die Geschichtssicht Hoseas im Vergleich zu der des Amos an Weite verloren und an Intensität gewonnen hat, scheidet er sich von ihm mit dem nächsten Schritt in einer denkwürdigen Weise. Amos weiß Befreiung und Offenbarung nur als JHWHs Werk an Israel, sozusagen nur von oben nach unten; von einer Bewegung von unten her ist bei ihm nichts wahrzunehmen, bis dann Undank, Untreue, Verkehrung der göttlichen Gaben erfolgt. Hosea sieht den Augenblick, da in der Sinaiwüste dem Gotte das zu »seinem Volk« erwachsene Israel gegenübertritt, als eine echte Begegnung. JHWH »findet« Israel in der Wüste (9, 10), und was er findet, mutet ihn an, wie 136. Vgl. van Hoonackers Kommentar zur Stelle.

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wenn ein Wanderer in der Wüste Weintrauben fände, Köstliches also, wo er es durchaus nicht erwartet hatte. Und mehr noch: er sieht die am Berg lagernden Scharen, »eure Väter«, an, und sie erscheinen ihm wie die Erstlinge eines Feigenbaums »in seinem Anfang«, das heißt eines, der zum erstenmal Früchte trägt. Dieser (keineswegs zu streichende) Zusatz weist über den im ersten Bild gegebenen allgemeinen Vergleich hinaus: Gottes großer Feigenbaum, das Menschengeschlecht, trägt zum erstenmal Frucht, als dessen Erstling erkennt er jene Scharen Israels. Hier ist der Ursprung jenes theologisch weiter ausholenden jeremianischen Wortes (Jeremia 2, 3) von Israel als dem Anfang der Gottesernte. Was Hosea uns zeigt, ist die freudige Begegnung des Pflanzers mit dem ersten Fruchtsegen des gepflanzten Baums. Aber nur einen Augenblick dauert dieser Zusammenklang von JHWH und Israel an: sowie dieses die Sphäre des Baal betritt, verfällt es ihm, und alsbald ist all die Frische und Köstlichkeit dahin, sie »werden Greuel wie ihr Lieben«. Und der verratene Gott leidet wie sein verratener Prophet. Die Sünde Israels besteht bei Amos im wesentlichen in der Ungerechtigkeit, darin also, daß sie, statt der menschlichen Auswirkung der göttlichen Gerechtigkeit und Bewährung auf Erden zu dienen, sie unterbinden und verkehren. Hosea verschiebt nicht bloß den Hauptton von der gläubigen, gottesdienstlichen Gerechtigkeit und Bewährung zum Mitmenschen auf die gläubige, gottesdienstliche »Huld« zu ihm, er bringt auch das Amos fremde Prinzip der Gegenseitigkeit hinzu. Israel wird (10, 12) auf den Weg seiner Geschichte ausgesandt mit dem Auftrag, »sich zur Bewährung« zu säen, »nach Geheiß der Huld« zu ernten und sich einen Neubruch zu brechen: an der Zeit sei es, JHWH zu suchen, »bis er kommt und Bewährung euch weist«; denn ohne seine Weisung (thorah), die schon bestehende und die »kommende«, gibt es kein Vollbringen der Bewährung. Es ist nicht beiläufig, daß Hosea zum Unterschied von Amos die Ueberlieferung des zwischen JHWH und Israel geschlossenen und in einer Thora niedergelegten Bundes nachdrücklich aufnimmt (6, 7; 8, 1; vgl. 8, 12) und dessen Bruch ihm im Bild des Ehebruchs erscheint. Hier kommt es nicht bloß darauf an, daß der Mensch dem Gotte nachfolge wie ein Jünger dem Meister, ihn nachahme, die Linie seines Handelns nach eigenem Vermögen fortsetze, sondern daß er dadurch, daß er ihn »erkennt«, in die Gegenseitigkeit zu ihm trete, daß er das göttliche Erkennen seiner menschlich erwidere. Damit hängt es zusammen, daß bei Hosea, wieder zum Unterschied von Amos, der Baalismus der große Gegenstand seiner Anklage ist. Darunter ist aber weder der vorelianische Kult der lokalen Fruchtbarkeitsgeister noch der von Elia besiegte und von Jehu ausgerottete des tyrischen Wettergottes

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zu verstehen, sondern der Synkretismus, der beide abgelöst und JHWH selber zu baalisieren, seinen Dienst als einen Baalsdienst zu begehen unternommen hat. Dieser Synkretismus bedeutet zunächst, daß man sich JHWH, den vorangehenden Führergott, den Gott der Züge und Kämpfe, den Gott der stürmenden Ruach, nunmehr baalisch an einer Kultstätte haftend vorstellte, sodann daß man ihm, dem der Geschlechtlichkeit Ueberlegenen, über sie Herrschenden und sie Heiligenden, die alten Sexualriten in den Umkreis seines eigenen Heiligtums brachte und auch gar ihn selber als den Gatten des Landes ansah. Beides mitsammen verhindert, indem das Angesicht des Gottes durch die wesensfremden Bilder verstellt wird, das »Erkennen«. Von hier aus ist der Kampf Hoseas gegen die Kultstätten, insbesondre die des samarischen »Kalbes« (8, 5 f.; 10, 5; 13, 2), und gegen all die »heilige« Hurerei zu verstehen, wie er etwa in dem Ausruf »Mit den Weihemädchen opfern sie!« (4, 14) zusammenfassenden Ausdruck gewinnt. Er muß unablässig wider den ausgearteten Opferkult streiten, in dem das Opfer aus einem Zeichen der äußersten Hingabe zu einem Loskauf von aller wirklichen Hingabe, von allem Cheßed und von allem Erkennen geworden ist. »Wenn Ephraim Altäre mehrte, zum Sündigen sind sie ihm geworden – Altäre zum Sündigen!« (8, 11). Je fruchtbarer ihm sein Boden wird, je mehr es JHWH zu danken hat, um so mehr Altäre baut Israel, auf den Hügeln, unter den Bäumen (4, 13), statt seinem Gott dadurch den Dank zu erstatten, daß es für ihn lebt; so wird er denn »ihren Altären das Genick brechen« (10, 2), denn ob man auch seinen Namen darüber ausruft, durch die intentionslose Art des Kults sind sie Baalsaltäre. Ungetreues Volk und ungetreue Priesterschaft werden gleicherweise verworfen (4, 9). Dann, in der Stunde des beginnenden Zusammenbruchs, werden sie, wie sie einst (Exodus 10, 9; 3, 18) »mit ihren Schafen und ihren Rindern« in die Wüste zogen, um JHWH ihrem Gott zu opfern, wieder (Hosea 5, 6) »mit ihren Schafen und ihren Rindern« hinausziehen, um ihn an reiner Stätte aufzusuchen und zu versöhnen, »aber sie werden ihn nicht finden – er hat sie abgestreift«. Erst wenn sie einst wahrhaft zu JHWH umkehren und nicht mehr Opfertiere, sondern »Worte«, die Worte des Erkennens und Bekennens, auf ihre Suche mitnehmen, um »die Farren mit ihren Lippen zu bezahlen« (14, 3), werden sie, die Verwaisten, Erbarmen finden (V. 4). – Und wie gegen den entseelten und entarteten Kult, so kämpft Hosea gegen die Baalisierung JHWHs selber. Das aber tut er, indem er auf ihre Grundvorstellung in eigentümlicher Weise eingeht. Zwar gebraucht er von Gott (zum Unterschied von Amos, bei dem es nicht zu finden ist) gern das Verb racham, sich erbarmen, das auf die Mutterschaft, den Mutterschoß, zurückgeht; aber das

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Bild JHWHs als des Gemahls des Landes nimmt er auf und gestaltet es, mit der Gewalt, die die persönliche Erfahrung ihm leiht, zu solch einem Bilde einer göttlich-menschlichen, leidenschaftlichen und leidenden Seele, setzt mit so schlichter Kraft statt des Landes (obgleich eben dieses, 1, 2, als das Weib genannt werden muß) das Volk handelnd ein, hebt alle Begebenheiten der Beziehung: Vermählung, Kinderzeugung, Treubruch, Verstoßung, Versöhnung, so offenkundig und gleichmäßig in die Sphäre des Symbols (wobei sie, eben durch den Anteil seiner Eigenerfahrung, doch ganz sinnlich-lebendig bleiben), daß es für einen echten Hörer oder Leser Hoseas kaum noch möglich gewesen sein kann, zum Naturismus zurückzukehren. Die Baalisierung JHWHs erscheint überwunden, wo als sein Weib Israel gedacht, wo also sein Gemahltum nicht als naturhaft, sondern als geschichthaft vorgestellt wird. Obgleich es »das Land« ist, das von JHWH in seinem Anfangsspruch (1, 2) als das ungetreue Weib bezeichnet wird, ist dieser Ehebund weder in Kanaan geschlossen noch kann es Kanaan sein, wo er dereinst erneut werden soll. Der Bauer Hosea – er ist so mit dem Leben des Ackers und des Dorfes vertraut, daß an seinem Bauerntum nicht zu zweifeln ist – ist zwar nicht rechabitisch gesinnt. Wenn sein Gott der Ungetreuen vorhält (2, 10), nicht die Baale, sondern er selber sei es, der ihr Korn, Most und Oel gespendet habe, so werden diese mit der bäuerlichen Selbstverständlichkeit als große Güter des Lebens behandelt, und nur darum geht es, daß erkannt werde, der Herr des sie hervorbringenden Bodens sei kein anderer als der aus der Wüste mitgekommene Volksgott, der eben über das Kulturland wie über die Wildnis herrsche. Aber für den naturnahen Menschen des syrisch-kleinasiatischen Völkertums und seiner Ausstrahlungen verflicht sich wie durch einen leiblichen Zwang die vegetative Fruchtbarkeit mit dem von ihm an sich selber erfahrenen Geheimnis animalischen Zeugens und Gebärens, das ihm zu Gottesvermählungen gesteigert erscheint, die übermenschlicher und doch menschlicher Nachahmung und Verstärkung bedürfen. Dieser Verführung des vegetativen Lebens ist Israel, wie Hosea (9, 10) mit dem stärksten Akzent berichtet, schon bei der ersten Berührung mit agrarischer Kultur erlegen und hat ihr seither nicht zu widerstehen vermocht, die Sünde vom Baal-Peor setzt sich in all dem baalischen Treiben fort, und darum knüpft an sie JHWHs Fluch an, der das Volk selber mit Unfruchtbarkeit schlagen will (V. 11): »Ephraim [hier klingt die Herkunft dieses Namens aus dem Stamm parah, fruchten, an, wie 13, 15 und 14, 9], wie ein Vogel entfliegt ihre Mächtigkeit nun, weg Geburt, weg Mutterleib, weg Empfängnis!« Es ist eben leichter, die Vielfältigkeit der Geschichte einem einzigen Gott zuzuschreiben als die Vielfältigkeit der Natur. Wiewohl Hosea kein

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»nomadisches Ideal« hat, erlegt es sich ihm auf, daß das Volk wieder in eine einfältigere Natur, in die Wüste geführt werden muß, um geläutert den neuen und nun ewigen Bund mit seinem Gott zu schließen. In der Wüste, »im ausgeloderten Lande«, hat er es vormals erkannt (13, 5); dereinst, nach dem Vollzug der grimmigen Strafe, wird er es aus der Verbannung holen und es wieder in Zelten wohnen lassen »wie in den Tagen der Begegnung« (12, 10; nach diesem Wort mo’ed, das vereinbarte Begegnung bedeutet, heißt das heilige Zelt der Wüstenwanderung Zelt der Begegnung), und da, in der Wüste, wird er Israel »zu Herzen reden« (2, 16), bis es ihn, wie ein Weib den Gatten anruft, aber nicht mehr »mein Baal« (ba’al hier = Gemahl) – denn er ist kein Baal –, sondern: »mein Mann!« (V. 18). Hier dürfen wir in die Tiefe der Baalisierung blicken. All die »Hurerei« bedeutet letzten Endes nichts anderes, als daß Israel den wirklichen JHWH um des baalisierten willen verließ. Die kleinen Baale, in den häuslichen Kulten fetischartig verehrt (13, 2), sind nie Rivalen JHWHs gewesen, und auch der große tyrische, den die Staatsraison nach Samaria brachte, ist nur als Nebengott von Elia angefochten worden. Eher waren noch die Muttergöttinnen zentral bedenklich, eben weil sie, JHWH nahe rückend, an seiner Baalisierung mitwirkten. Verdrängt aber wurde JHWH nie durch einen anderen als durch sein Zerrbild; zu diesem fiel das Volk ab, wenn es abfiel, zu dem JHWH-Baal oder zu dem JHWHMolekh, von dem übergeschlechtlichen Gott zum Gatten der Muttergöttin, von dem gerechten und von seinem Reich Gerechtigkeit fordernden Königsgott zu dem grausamen, Menschenopfer heischenden Königsgötzen. Untreu ist das Volk, weil es JHWH, statt ihn zu erkennen, vergötzt und, statt ihm als dem Gott des Cheßed durch eigenen Cheßed zu dienen, seinen Dienst mit heiliggesprochener Buhlschaft durchsetzt. Das ist es, was aus dem Innersten seines Grimmes spricht: sein eigner Name wird entweiht. Das sagt schon Amos (2, 7); für Hosea wird es, ohne daß er noch einmal diese Worte gebraucht, zum Grundthema seiner Prophetie. Die ganze Geschichte Israels, von dem Betreten des Kulturlands an bis zum Augenblick, in dem der Prophet redet, erscheint hier als eine Kette von Entweihungen. Hosea ist geschichtserfüllt, von der Geschichte Israels erfüllt wie kein andrer Prophet, und alles, was ihm das Gedächtnis der Zeiten zubringt, gibt sich als Verrat an der Liebe JHWHs kund, alles, Geschichte und Gegenwart mitsammen, fängt sich im Blickpunkt des anklagenden Gottes: »All ihres Bösen gedenke ich, jetzt umringen ihre Handlungen sie, sie sind meinem Angesicht gegenwärtig« (7, 2). Die Unzucht von Baal-Peor und die baalische Unzucht von heute sind eins. In

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Gibea, wo einst (Richter 19) das Entsetzliche geschah, ist Israel »stehengeblieben« (Hosea 10, 9). Alles Geschichtliche deckt seine Schändlichkeit auf. Jehus Bluttat, nach deren Ort, Jesreel, Hosea seinen Erstgeborenen benennen soll (1, 4), kann sich nicht darauf berufen, im Eifer für JHWH begangen worden zu sein, die jesajanische Vorstellung von der Gottesrute, die mehr tut, als ihr befohlen war, und deshalb zerbrochen wird, kündigt sich schon hier an, die Dynastie muß »verabschiedet werden«; der Königsmord aber, durch den sich diese Ansage erfüllt, und der nächste, der bald auf ihn folgt, werden zu einem Bild des Grauens (7, 3 ff.), darin die Mörder, die »ihre Richter fressen«, und die Könige, die auch im Fallen JHWH nicht anrufen, nur verschiedene Seiten des einen großen Sündenstandes darstellen. Hosea erfährt die Wirren nach dem Tode Jerobeams II. nicht bloß als eine Fortsetzung alles dessen, was in der Königsgeschichte Israels verderbt und unselig war, sondern all das geht in das gegenwärtige Geschehen mit ein und sagt sich darin aus. Der Prozeß zwischen JHWH und dem ungetreuen Königtum wird hier in Samaria vor dessen Zusammenbruch durch Hosea ausgetragen, wie in einem späteren Zeitalter durch Jeremia in Jerusalem vor dessen Zusammenbruch. Man hat vor kurzem 137 die meisten Königsstellen bei Hosea dadurch zu erklären versucht, daß da gar nicht vom menschlichen König, sondern von dem in Stiergestalt verehrten Gott Melekh oder Molekh (dem sogenannten »Moloch«) die Rede sei. Auf diesen können jedoch kaum mehr als zwei Stellen (10, 7, 15) direkt bezogen werden. Wohl aber ist für Hosea offenbar die Absicht bestimmend, den in Samaria Thronenden mit seinem Patron, dem Jungstier-Melekh im Tempel zu Bethel, dem Zerrbild JHWHs, zusammenzukoppeln. Ein Wort wie »Die haben Könige gemacht, aber nicht von mir her« (8, 4) wird, wenn der gegenwärtige Textzusammenhang als der ursprüngliche anzusehen ist, am besten von beiden zusammen verstanden, dem Afterkönig im Tempel und dem auf dem Thron, der in dessen Namen (er meint aber: »im Namen JHWHs«!) regiert. Und wenn die Prüfung, die Hosea dem wieder aufgenommenen Weibe auferlegt, daß sie »viele Tage« weder mit andern noch mit ihm Umgang pflege (3, 3), damit begründet wird (V. 4), daß die Söhne Israels »viele Tage« »ohne König und ohne Fürst« dasitzen sollen, so kann auch dies im Zusammenhang kaum vom menschlichen König allein verstanden werden, sondern am ehesten so, daß Israel in dieser langen Zwischenzeit weder JHWH noch seinen Widerpart zum Melekh und weder einen echten Statthalter des Gottes noch einen der angemaßten Fürsten haben wird (und ebenso, wie sich aus dem Folgenden ergibt, 137. Nyberg, Studien zum Hoseabuch (1935).

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weder echten noch falschen Kult); und dann klärt sich uns der zu Unrecht angezweifelte Schlußsatz des Ich-Berichts (V. 5): »Danach werden umkehren die Söhne Israels und verlangen nach JHWH ihrem Gott und David ihrem König«: der wahre Gott und sein rechtmäßiger Vertreter sollen wiederkehren. Hosea weiß sich als den Künder der Umkehr. Ein Prophet war Mose, durch den Israel aus Aegypten geführt und gehütet wurde (12, 14). Heute hat der Prophet nicht mehr zu führen und zu hüten. Einsam, als rasend verschrien, weil er ein Mann der Ruach ist (9, 7), findet er »Vogelstellerschlingen auf all seinen Wegen« (V. 8), aber er ist »als Späher seinem Gott zugesellt« 138 – nicht bloß, um nach dem sich ankündigenden Unheil, sondern auch um nach den Menschen zu spähen, die sein Wort zur Umkehr bringt. Auch hier geht Hosea von Amos aus, der dem Volk vorhält (Kap. 4), daß es nach keiner der Katastrophen umgekehrt sei; aber auch hier entfernt er sich von ihm. Er steht in einer andern geschichtlichen Situation: er sagt nicht in einer Stunde des Triumphes das kommende Unglück an, sondern er sieht es hereinbrechen, zuerst in den inneren Wirren, dann in der fruchtlosen Tributleistung an Assyrien, in dem Abfall von ihm, in dem syrisch-ephraimitischen Krieg und seinen Folgen, der assyrischen Invasion, der Losreißung Galiläas, der Deportation eines großen Volksteils nach Assyrien. In jeder Phase der geschehenden Geschichte, immer wieder das Gericht ansagend, ruft er doch auch aus der immer noch entscheidungsmächtigen Aktualität des Augenblicks unmittelbar zur Umkehr auf, und zwar, solange noch politische Entscheidungen getroffen werden können, zu einer das politische Gebiet umfassenden: zum Aufgeben aller Bündnisillusionen. So fordert er zur Zeit der Tributleistung an Assyrien von den Umkehrenden die Einsicht: »Assyrien wird uns nicht helfen, auf Pferden werden wir nicht reiten« (14, 4). Wie das Unheil fortschreitet, stellt er fest, daß sie »bei alledem« nicht zu JHWH umkehren (7, 10), daß sie sich weigern umzukehren (11, 5), aber nur noch stärker ruft er auf (14, 2): »Kehre um, Israel, zu JHWH deinem Gott heran!« Aber er ruft nicht bloß zur Umkehr auf, er verheißt sie auch unmittelbar (3, 5). Daß er sie so verheißt, was Amos nie tut, liegt daran, daß er eine göttliche Zusicherung hat und ausspricht, derengleichen wir bei Amos nicht hören: »Ich werde ihre Abkehrung heilen« (14, 5). Auch dieses Wort wird Jeremia (3, 14, 22) zu vollkommener Dialogik ausgestalten. »Kehret um, abgekehrte Söhne, ich werde 138. Das den Zusammenhang unterbrechende Wort »Ephraim« ist Anrede, was freilich nur in der mündlichen Aeußerung deutlich war, in ihrer Aufzeichnung aber sogleich mißverständlich wurde.

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eure Abkehrungen heilen«, so spricht JHWH die gegenseitige Bewegung aus, und das Volk antwortet: »Da sind wir, gekommen sind wir zu dir.« Nicht bloß die Wunden, die der strafende Gott schlägt, muß er selber heilen (Hosea 6, 1), sondern auch noch die Abkehr, die er so bestraft hat, denn sie ist eine Erkrankung. Freilich steht es so damit, daß erst der Kranke anfangen muß, ehe der Arzt eingreifen kann: der Kranke muß sich seinem Arzt zuwenden. Umkehren heißt nicht hinter die getane Sünde zurückgehen, das ist unmöglich, sondern sich mit dem ganzen Wesen Gott zuwenden, um ihn zu erkennen. Man kehrt nicht zu sich um, sondern zu dem, den man verlassen hat. Dann steht man zwar noch durchaus nicht wieder im Bund, den erneuert Gott, nicht wir, aber man steht vor seinem Angesicht; man hat ihn nicht, aber man hat auch den Baal nicht mehr, man steht in der Prüfung der »vielen Tage«. »Gefallen ist, steht nicht mehr auf, die Maid Israel, da ist keiner, der sie erstehn läßt«, heißt es bei Amos (5, 2). Die Umkehrenden des Hosea (6, 2) vermeinen nicht, dem Fall, dem Tod zu entgehen; aber sie glauben über ihn hinaus: »nach einem Tagepaar belebt er uns wieder, läßt erstehn uns am dritten Tag, daß wir in seinem Angesicht leben«. Ob die drei Tage mit der – vielleicht auf eine gemeinsemitische Vorstellung zurückgehenden – Wiederbelebung des Adonis und anderer »sterbenden und auferstehenden« Götter zusammenhängen 139 , ist ungewiß und unwichtig: es sind Gottestage, wie lange die dauern, weiß man nicht, die drei Tage der Todesprüfung entsprechen den »vielen Tagen«. Die Wendung der Zukunft, die bei Amos esoterisch anhob, verstärkt sich und geht in die öffentliche Rede ein. JHWH verheißt dem erstehenden Israel einen zwiefachen Bund (2, 20 ff.). Der eine ist der Friedensbund, den er für Israel mit allem Getier und mit aller Völkerwelt stiftet, der andre der neue Ehebund, in dem er sich selber Israel auf ewig in den großen Prinzipien, die das Verhältnis zwischen Gottheit und Menschheit in seiner Doppelseitigkeit konstituieren, angelobt. Diese Verheißung ist in einen dialogischen Zusammenhang eingefügt. In der Wüste, in der die innere Wandlung geschieht und von der die Wandlung aller Dinge ausgeht, »willfährt« die Frau dem Gatten »wie in den Tagen ihrer Jugend« (V. 17), er aber, JHWH, »willfährt« (V. 23 f.) nun nicht ihr allein, sondern der Welt, indem ein Strom des Willfahrens sich von ihm zum Himmel, von dem zur Erde und von der mit all ihrem Fruchtsegen auf Jesreel ergießt. Alles wandelt sich: wie aus »Ihr-wird-Erbarmen-nicht,« nun »Ihr-wird-Erbarmen« und aus »Nicht-mein-Volk« nun »MeinVolk« wird, so wird Jesreel, einst nach dem Ort einer Bluttat mit diesem 139. Vgl. Baudissin, Adonis und Esmun (1911) 403 ff.

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Fluchnamen belegt, nun aus dem Sinn dieses Namens offenbart als »Den-Gott-sät«. Er steht hier für ein neues Geschlecht. Mit einer neuen Saat besät JHWH das Land. Und am Ende des Buches wird das dialogische Wort »willfahren« wiederholt. JHWH heilt die Abkehr Israels, denn sein Zorn »hat sich abgekehrt« (14, 5). Er will wie der Tau für Israel sein, und »heimkehren sollen sie, heimisch« im Schatten des Libanon (V. 8) und »aufblühn wie die Rebe«. Denn »ich bin’s, der willfahrt hat« (V. 9). Der Augenblick aber, in dem der Zorn sich wendet und die Gnade erwacht, gibt JHWH so als einen gegenwärtigen kund (11, 8): »Wie soll ich drangeben dich, Ephraim, dich ausliefern, Israel! … Mein Herz dreht sich an mir um, mitsammen wallen meine Mitleiden auf.« Jenes »Selbstgespräch« des Amos (4,13), das dem Menschen »mitgeteilt« wird, hat sich hier, beim Propheten des Cheßed, entfaltet: es ist der Augenblick einer göttlichen Umkehr.

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3. Die theopolitische Stunde

Der Bericht Jesajas über seine Berufung (Kap. 6), die zur selben Zeit geschah, als Hosea im Nordreich weissagte, folgt auf zwei kleine Sammlungen unpolitischer, das heißt keine außenpolitischen Forderungen und keine außenpolitische Kritik enthaltenden Aeußerungen (Kap. 2 und Kap. 3-5 in ihrem Kernbestand), die größtenteils aus der Frühzeit des Propheten stammen; auf diesen Bericht aber folgt zunächst die Erzählung von seiner wichtigsten politischen Handlung (Kap. 7), vermutlich aus einer eigenen Aufzeichnung übertragen, sodann der Rest seiner politischen »Denkschrift« (8-9, 6) – der er anscheinend später, nach Niederschrift des Visionsberichts, diesen vorausgeschickt hat –, an die sich nun wieder überwiegend Politisches anschließt. Offenbar steht also der Berufungsbericht deshalb nicht am Anfang des Buches, sondern an diesem seinem Platz, weil er zum rechten Verständnis jener Erzählung und jener Denkschrift unerläßlich ist und wer sie liest, sich immer wieder an ihn erinnern soll. Der Redaktor, gewiß ein Schüler Jesajas, will anscheinend nach Kräften dazu beitragen, eine in sich undeutliche Haltung seines Meisters deutlich zu machen. Wodurch? »Im Todesjahr des Königs Usia … den König, JHWH der Heere, haben meine Augen gesehen« (6, 1, 5) – nur hier nennt Jesaja selber seinen Gott »den König«, der hier zum erstenmal überhaupt so, mit Namen und Titel bezeichnet wird, und zwar nicht etwa als König der Welt oder dergleichen, sondern als der König, was in diesem Zusammenhang offenbar

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bedeutet: der wahre König, unser wahrer König. Das hieße also: nicht der auf dem Thron, sondern der, den meine Augen jetzt sehen, ist der wahre König. Aber man muß diesen sicherlich nicht bald nach der Vision, von dem jungen Jesaja, sondern viel später von dem reifen aufgezeichneten Bericht, in dem jedes Wort an seinem Orte von seiner Notwendigkeit getragen ist, noch tiefer befragen. »Im Todesjahr des Königs Usia« ist zu verstehen: vor seinem Tode, da die das Buch einleitende Angabe, Jesaja habe schon unter Usia »geschaut«, nicht angezweifelt zu werden braucht. Und doch hat Usia, wie wir wissen, damals nicht mehr regiert, sondern er wohnte als Aussätziger im Isolierhaus (II Könige 15, 5). In einem im übrigen anscheinend historisch zuverlässigen und wertvollen Abschnitt der Chronik, der auch hierin wohl einer, wenn auch vielleicht tendenziös überarbeiteten, Sondertradition folgt, wird erzählt (II Chronik 26, 16 ff.), Usia sei vom Aussatz befallen worden, weil er sich das Recht anmaßte, selber im Tempel zu opfern, das heißt, weil er in dem seit den Anfängen des Königtums andauernden Kampf um die sakrale Oberhoheit, der nach anfänglichen Erfolgen der Könige sich zugunsten der Priesterschaft gewandt hatte, einen neuen Vorstoß unternahm. Der Aussatz ist nach biblischer Anschauung die an einem Wesen oder einem Gegenstand ausbrechende Unreinheit dieses Wesens oder Gegenstands; Unreinheit aber bedeutet biblisch die Verstörung des Verhältnisses zwischen Gott und Welt an einer bestimmten Stelle. Am Eingang seines Berichtes von der Vision, die er am Tempel JHWHs, in den Usia hatte eindringen wollen, schaute, gedenkt Jesaja des entthronten unreinen Mannes, ehe er den thronenden Gott als den dreimal Heiligen preisen hört: so stehen sich auch hier, und hier mit einer furchtbaren, wiewohl verhüllten Gegensätzlichkeit, der wahre König und sein den Königstitel nunmehr nur noch usurpierender ungetreuer Statthalter gegenüber. Der schauende Jesaja befindet sich offenbar in der Vorhalle des Tempels und blickt in die Tiefe des Tempelraums bis ins Dunkel des Allerheiligsten, in dem die Lade, der Thronschrein JHWHs, steht. Da aber wird das Dunkel zu Licht, weitet sich der begrenzte Raum ins Ungeheure, das Dach ist abgetragen, an der Stelle der Lade erhebt sich ein himmelan ragender Thron, so groß, daß die Gewandsäume des darauf Sitzenden den Tempel füllen. Jesaja sagt: »Ich sah den Herrn«, aber dieses Sehen ist offenbar dem gleich, das uns von den Aeltesten auf dem Sinai berichtet wird, die »den Gott Israels sahen« (Exodus 24, 10): wovon als von dem wirklich Gesehenen etwas gesagt wird, ist dort, was »unter seinen Füßen« ist, hier »seine Säume«. Und wie das zu verstehen ist, spricht der Wechselruf der Seraphen in seiner zweiten Hälfte aus: wie die Gewand-

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säume Gottes den Tempel »erfüllen«, so »erfüllt« seine ausstrahlende »Wucht« (kabod) die Erde, wörtlich: Füllung der ganzen Erde ist sein Kabod. Eine Ueberlieferung sagt (Exodus 40, 35, eine Stelle, die, gleichviel wie man sie literargeschichtlich datiert, religionsgeschichtlich zweifellos vorjesajanisch ist), sein Kabod habe einst, wenn er sich in der Wolke auf das in der Wüste wandernde Zelt niederließ, die »Wohnung« gefüllt, während die umhüllende Wolke darüber »wohnte«; jetzt aber vernimmt Jesaja: nicht den irdisch-himmlischen Tempel allein, den er schaut, sondern die ganze Erde fülle der Kabod. Wenn wir »Gott sehen«, sehen wir seine Ausstrahlung, die zu fassen die Welt gerade groß genug ist. Die Welt faßt den Kabod, der sie füllt, weil er eben nichts anderes ist als die die Welt füllen sollende und sie füllende Ausstrahlung Gottes. Das Wesentliche an diesem Teil des Seraphenrufs ist die Zeitform der Gegenwart. Nicht erst dereinst wird, wie in späteren, wohl schon von iranischer Religiosität beeinflußten »eschatologischen« Texten, »der Kabod JHWHs die ganze Erde füllen« (Numeri 14, 21b 140, Psalm 72, 19): jetzt schon und immer füllt er sie, wie die Säume den Tempel füllen; aber ihn sieht nur, wem gegeben wird, ihn zu sehen. Das ist hier der Prophet. Erst nach späteren Texten (35, 2; 40, 5) wird ihn einst die ganze Schöpfung sehen. Jesaja sieht ihn, indem er die »Säume« sieht. Mehr sehen auch die Seraphen nicht, die ihr Antlitz verhüllen. Eben dies aber, seiner andern Seite nach, spricht die erste Hälfte des Wechselrufs aus: »Heilig heilig heilig ist JHWH der Heere.« Dieses »heilig« ist ein Begriff, den man nicht begreifen kann, wenn man der Sinnbestimmung nicht alsbald eine Einschränkung beifügt; »heilig« heißt vorexilisch: abgesondert, aber nicht abgetrennt; abgesondert, und doch mitten im Volk (»ein Heiliger in deinem Innern«, Hosea 11, 9); abgesondert – und ausstrahlend. In dieser Doppelheit von Abgelöstsein und Verbundensein ist die eigentümliche Mächtigkeit begründet, die sich in diesem Begriff ausspricht: JHWH ist völlig weltmächtig, weil er zwar unbedingt von der Welt gesondert, aber in keiner Weise ihr entzogen ist. Und eben deshalb bietet dieser Begriff die Möglichkeit, eine neue und höchste Forderung der Nachahmung Gottes durch ihn auszudrücken: daß Israel heilig werde, weil sein Gott heilig ist (Leviticus 11, 44 f.; 19, 2; 20, 7, 26), wie es schon an jener alten Stelle vom »heiligen Volk« (Exodus 19, 6) und den von ihr abgeleiteten (Deuteronomium 7, 6; 14, 2, 21; 26, 19; 28, 9), an den letzteren mehr als Verheißung denn als Forderung, ausgesprochen ist. Israel soll, dies ist gemeint, sich zwar absondern (vgl. den alten Bileamspruch Numeri 23, 9), aber nicht, um sich der Völker140. Ein später Einschub, offenbar durch die alte Kaboderwähnung V. 22 veranlaßt.

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welt zu entziehen, sondern um durch seine Lebensform ausstrahlend auf sie einzuwirken. Bei Jesaja finden wir das Attribut »heilig« nicht auf das Volk angewendet; aber in einem umstrittenen Stück (4, 2-5) steht der sicherlich jesajanische Spruch (V. 3): »Es wird geschehen: was als Rest blieb in Zion, was übrigblieb in Jerusalem, ›heilig‹ wird von ihm gesprochen.« An dem »umkehrenden Rest« (7, 3; 10, 21 f.), der dem Unheil entrinnt, wird es sich bewähren, daß das Volk auch der Heiligkeit Gottes nachfolgen kann. Dies, daß JHWH auch noch mit seinem für unsere Erkenntnis Höchsten und Eigensten, mit seiner Heiligkeit, für Israel da ist, so daß es auch hierin seinen Zustrom empfangen, ihm nacheifern und seinem Wirken die menschliche Auswirkung zur Verfügung stellen darf, mit anderen Worten: die Heiligung Israels durch den heiligen JHWH (vgl. Exodus 31, 13) ist die Wurzel der Jesaja so teuren Gottesbezeichnung, um derentwillen er verspottet wird (5, 19; 30, 11) und mit der er den Spott in großer Bewußtheit erwidert (30, 12, 15): »der Heilige Israels«. Wie die »Gerechtigkeit« bei Amos und die »Huld« bei Hosea, so ist auch dieser dritte und größte ein Grundbegriff des göttlich-menschlichen Verhältnisses, das seinen Hauptsinn darin hat, daß JHWH durch die Selbständigkeit des von ihm als selbständig geschaffenen Menschen wirken und sein Erdenwerk durch sie fortführen lassen will. In einem Menschenalter hat der Glaube Israels diese drei Grundbegriffe seines Gottesverhältnisses entwickelt, die erst mitsammen zu äußern vermögen, was jenes Da-sein des »Daseienden« für das Israel, »bei dem« er da ist, zu bedeuten hat. Wenn in der Offenbarung an Mose im Dornbuschgespräch der Name JHWH erschlossen wird, so wird er in der an die drei Propheten entfaltet. Da vom Wechselruf der Seraphen die Schwellenlager erbeben und der feurige Atem dieser »Brandwesen« sich mit dem vom Räucheraltar aufsteigenden Qualme mischt, ruft Jesaja (V. 5): »Weh mir, denn ich bin vernichtet, denn ich bin ein Mann von unreinen Lippen und bin seßhaft inmitten eines Volkes von unreinen Lippen – denn den König, JHWH der Heere, haben meine Augen gesehen!« Man pflegt dies so zu erklären, Jesaja brauche als JHWHs Bote reine Lippen – aber er ist noch gar nicht sein Bote und weiß nicht, daß er es werden soll! –, oder aber, er möchte in den Lobpreis einstimmen und könne das nur mit reinen Lippen tun – aber das heißt die Furchtbarkeit des Gesanges und das Entsetzen dieses Sichvernichtetfühlens durchaus verkennen! –, wenn man es nicht gar vorzieht, das Wort »Lippen« zu streichen und nur eine allgemeine Unreinheit zu belassen, womit man der sinnlichen Aktualität des Vorgangs ein wichtiges Element geraubt hat. Wir lernen es verstehen, wenn wir uns das Gegenüber des aussätzigen, unreinen Königs und des dreimal heili-

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gen Gottes voll vergegenwärtigen. Im Gesetz (Leviticus 13, 45) wird in einer Anordnung, deren Alter man gewöhnlich weit unterschätzt, weil man sie literarisch statt volkstümlich betrachtet, verfügt: »Der Aussätzige, an dem der Schade ist, seine Kleider seien zerfetzt, sein Kopfhaar sei entfesselt, den Lippenbart verhülle er, ›Unrein! unrein!‹ rufe er.« Die Lippen sollen bis über den Schnurrbart offenbar deshalb verhüllt werden, damit in dem aus dem Leibe des Kranken aufsteigenden Hauch, der sie immer wieder unrein macht, die Unreinheit seiner Substanz sich nicht seiner Umwelt mitteile und sie verunreinige (wie umgekehrt bei den Trauerbräuchen, Ezechiel 24, 17, 22, damit die unreine Substanz des Toten nicht eingeatmet werde; sodann auch sinnbildliche Haltung des Isolierten, Micha 3, 7). Der Prophet identifiziert sich mitsamt seinem unbotmäßigen, ungetreuen Volk mit dem unbotmäßigen, ungetreuen König: wie dieser unrein ist, so ist auch Israel, so ist auch dessen Sohn Jesaja unrein; und seine Lippen empfindet er wie die des Volkes als das im Hinblick auf den Umgang mit Gott und der Welt spezifisch Unreine, weil durch sie der unreine Atem sich ausbreitet und in diesem Augenblick sich sogar in die von heiligem Rauch geschwängerte Luft des Heiligtums mengt. Erst die Handlung des Seraphen, der, selber wohl von Feuersart, mit dem Glühstein vom goldnen Altar Jesajas Lippen und damit sein Inneres ausläutert und so seine Versündigung sühnt, meint die Lippen auch als das mögliche Gefäß der Gottesbotschaft. Denn um sich im Augenblick der Frage zu entscheiden, ob er der Bote der ihm noch unbekannten Botschaft sein wolle, ist dieser Jüngling aus den führenden Kreisen der Residenz in den Raum dieser Vision beschieden worden. Die Frage ist nicht an ihn gerichtet, die ganze Initiative wird ihm überlassen. Es geht hier anders zu als sonst in Prophetenberufungen, wo die Berufenen sich etwa gar, wie Mose und Jeremia, der Sendung entziehen wollen und überwältigt werden: hier will Gott dem Menschen etwas schon übermäßig Schweres zumuten, selber soll der begehren, daß ihm die Last aufgeladen werde. Die Frage, die Micha ben Jimla hörte (I Könige 22, 20), wandte sich an die himmlischen Scharen; aus deren Mitte traten die Dienstbereiten vor. Nicht so hier; die Seraphen sind keine Boten; der Herr spricht nicht zu ihnen, sondern zu sich selber; er will aber, daß der hierher berufene Mensch es höre: er »sagt dem Menschen an, was sein Selbstgespräch ist« (Amos 4, 13). Ungefragt bietet sich Jesaja als Sendling an und wird ausgesandt. Die Botschaft aber, die er nun empfängt, ist das Furchtbarste von allem. Er hat, so wird ihm aufgetragen, »diesem Volk da« zu sagen, es möge nur horchen, aber es solle nichts verstehen, es möge nur ausschaun, aber es solle nichts erkennen. Und damit es auch wirklich so komme, damit das Volk nicht doch etwa sehe,

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was zu sehen ist, höre, was zu hören ist, verstehe, was zu verstehen ist, damit es also die Zeichen des Zeitgeschehens nicht wahrnehme und richtig deute, damit es dadurch »nicht umkehre und ihm Genesung werde«, wird Jesaja weiter aufgetragen, das Herz »dieses Volks da« zu »verfetten«, seine Ohren »schwer zu machen« und seine Augen zu »verkleben«. Das ist ein sehr seltsamer Befehl. Nicht weil JHWH das Volk verstocken will, so schwer es uns wird, das zu fassen, sondern weil der Prophet dies doch offenbar durch die Reden erzielen soll, die Gott ihm eingeben wird. Es wird ihm ja nicht gesagt, es würde ihm mit diesen Reden doch nichts anderes als das »Verfetten« gelingen, sondern es wird ihm befohlen, eben dies zu tun. Und hinwieder soll er doch nicht, wie jener Windgeist des Micha ben Jimla, seine Hörer mit trügerischen Versprechungen verführen, sondern Gottes wahrhafte Sprüche weitergeben. Wenn man hier also jedes Wort so ernst nimmt, wie es genommen werden will und muß, kann man nicht umhin zu fragen, was für Prophetie das sein werde, die ihrem Inhalt und Wesen nach so zu wirken geeignet ist – mit anderen Worten: welche Prophetie solcher Art wir in Jesajas uns erhaltenen Reden finden. Die Straf- und Unheilsansagen können es nicht sein; denn mag es denen auch nicht glücken, das Volk aufzurühren und zur Umkehr zu bewegen, mag es, wieder und wieder auf den Sinn der geschichtlichen Schläge hingewiesen, dennoch »nicht umkehren zu dem, der es schlug« (9, 12) – auf solches Mißglücken angelegt sind sie gewiß nicht, als Ausführung eines Befehls, die Herzen zu verfetten, kann man sie gewiß nicht ansehen, vielmehr tragen sie in entscheidungsmächtiger Stunde echte göttliche Drohung, echte Vorzeigung der sich bereitenden Katastrophen mit gewaltigem Wort zu ihren Hörern hin. Was also kann zugleich wahre Verkündigung und so geartet sein, daß es die Ohren der Menge beschwert und ihre Augen verklebt? Es kann nichts anderes als eine große Heilsbotschaft sein, ein so neuer, starker, heller Heilston, daß er für die vielen, die nur nach Sicherung des Volksbestandes, nach Beschwichtigung der Unruhe ihrer Seele, nach Bestätigung ihrer Illusionen verlangen, alle Ansage des Unheils übertönt. Wir stehen hier an der Schwelle der jesajanischen Verheißung – und an der des tragischen Widerspruchs in Jesajas prophetischer Laufbahn. Wird er dem Volk die Heilsbotschaft als Gift reichen? Wird er seinem Gott den Gehorsam versagen? Sein Weg kann keiner von beiden sein, und nur ein tragischer und widerspruchsvoller. Das erste Stadium dieses Wegs erfahren wir in der Erzählung von der Begegnung mit dem König Ahas, das zweite im Rest der Denkschrift, das dritte noch später. Es war Erklärung und Rechtfertigung vor den kommenden Geschlechtern, als er auf der Höhe seines Lebens den Bericht über diese erste und einzige

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Vision niederschrieb und an den Anfang der wohl lange Jahre zuvor aufgezeichneten Denkschrift stellte. Da er den Auftrag empfängt, das Herz des Volkes zu verstocken, fragt Jesaja (V. 11): »Bis wann, Herr?« Das kann nur bedeuten: für welche Zeit, bis zu welcher Frist gilt dieser furchtbare Auftrag? Er erhält die Antwort: Bis das Volk auf ein Zehntel reduziert (V. 13) und der Boden verwüstet ist. Das ist eben dasselbe, was Jesaja aus der ihm, wie manche Stellen zeigen, vertrauten Weissagung des Amos kannte, wo (Amos 5, 3) nur ein Zehntel als Rest bleibt. Was für eine Bewandtnis es mit diesem Rest hat, kann man nur verstehen, wenn man den Schlußsatz nicht, wie es oft ohne zureichenden Grund geschieht, entweder streicht oder um sein an Sinn und Farbe Wichtigstes, seine letzten Worte, verstümmelt 141 . Man darf aber auch nicht herauslesen, der Rest müsse »wieder der Vertilgung anheimfallen«. Wie damit die richtige Deutung eines so zentralen Spruchs nicht verfehlt werde, steht eben derselbe höchst seltene (außerjesajanisch nur noch in einer schwierigen und jedenfalls keine Interpretation vorschreibenden Bileamweissagung, Numeri 24, 22, vorkommende) Ausdruck in der vom Redaktor des Buches dem Visionsbericht vorangeschickten kleinen Sammlung von Reden Jesajas in unzweideutigem Zusammenhang. In der Parabel vom Weinberg (5, 1-7), in der Gott als der fürsorgliche Winzer und Israel als der undankbare Weinberg erscheint, der seinem Herrn, der alles für ihn getan hat, statt Trauben Herlinge trägt, heißt es in der Strafansage (V. 5), JHWH wolle »seine Schirmhecke entfernen, daß er zur Abweide wird, seine Wand einreißen, daß er zum Trottplatze [für Kleinvieh, vgl. 7, 25] wird«. Von Vernichtung kann hier nicht die Rede sein; und wie um ein Mißverstehen vollends unmöglich zu machen, ist ein anderes Stück diesem vorangestellt, in dem die Aeltesten und Oberen so angeredet werden (3, 14): »Abgeweidet habt ihr den Weinberg, der Raub des Gebeugten ist in euren Häusern 142 .« Was Jesaja am Schlusse seines Visionsberichts als den Willen Gottes verkündigt, besagt: dann, wenn das Volk reduziert und das Land wieder zum Abweiden hingegeben ist, wird geschehen, was zuweilen beim Fällen einer Eiche oder Terebinthe geschieht: ein Stumpf bleibt im Boden, 141. Vgl. hierzu neuerdings Engnell, The Call of Isaiah (1949) 46 ff. 142. Das Verb bedeutet eben nicht bloß brennen, verbrennen, sondern auch etwas irgendwoher hinwegräumen (so 4, 4, wo auch nicht von Vertilgung die Rede ist), sodann abweiden. Und doch finden wir, daß ein Kommentator wie Duhm zwar 5, 5 übersetzt: »daß er verfällt dem Abweiden«, aber 6, 13 ebendenselben, so überaus seltenen Ausdruck: »so muß es wieder ins Feuer«. Solchen Gewaltsamkeiten gegenüber muß des Verdienstes Buddes gedacht werden, der Mal um Mal (vgl. insbesondre das Büchlein »Jesaias Erleben«, 1928, 22 ff.) auf den sprachlichen Sachverhalt hingewiesen hat.

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nach einer Zeit schießt aus dem Stumpf ein Trieb auf, und aus dem Trieb wird der neue Baum. Diesen Stumpftrieb nennt Jesaja hier – wie der Rest 4, 3 als »heilig« bezeichnet wird – den »Samen der Heiligung«. Das ist eben nicht mehr die natürliche Fortpflanzung und Erhaltung des Volkes: es ist Auslese durch Abtragung, Wiederbelebung durch Auslese, Heiligung durch Wiederbelebung. Wenn wir nach Jahrhunderten, achtzig Jahre nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil, die Metapher wiederfinden (Esra 9, 2), ist sie zu einem glatten Terminus des Selbstgefühls geworden; bei Jesaja erscheint sie als ein erstmals Geschautes. Heiligung ist für ihn die wirkende Bewegung der Heiligkeit Gottes zur Welt, zum Menschen; wenn er »Berg der Heiligung« sagt (11, 9), meint er den Ort, wo wirklich Heiligung Israels durch JHWH geschieht, dessen »Angesicht zu schauen« es kommt – bis die Verderbnis des Volkes die Verbindung zerreißt und die sinnleer gewordene Wallfahrt Gott widerlich wird (1, 12). So bedeutet hier »Same der Heiligung« eine des – ausscheidenden und bewahrenden – persönlichen Eingriffs Gottes wegen besondere, durch Tod zum Leben führende Art der Fortsetzung des Volkstums, an dem in dieser seiner wiedergeborenen Gestalt das Werk der Heiligung geschieht. Das will Jesaja nun im lebendigen Zeichen vor das Volk hinstellen, da er, offenbar noch nicht auf göttliches Geheiß wie später (8, 3), dem Sohne, der ihm geboren wird, den Namen »Restkehrt-um« gibt. Er hat es unmittelbar erfahren, daß dieser Rest, der »zum heldischen Gott« umkehrt (10, 21), aus einer Vernichtung, die entschieden ist, als die von deren Flut getragene göttlich-menschliche »Bewährung« hervorgehen wird (V. 22). Die Dialektik des angesagten Vorgangs ist wach in ihm. Wer wird von der Flut verschlungen werden, wer wird die Planke des Glaubens erfassen? Der Knabe geht durch die Gassen Jerusalems als ein leiblicher Anruf zur Entscheidung. Wenn die Passanten, die das Kind mit dem allen bekannten wunderlichen Namen ansehen, »nicht erkennen«, was zu erkennen ist, ist es gewiß nicht deshalb, weil sein Vater ihnen die Augen »verklebt« hätte. Heil und Unheil sind in dem Zeichen so gemischt, daß es wohl den Weg zur Rettung zeigen, aber gewiß niemanden verleiten kann, sich einer billigen Zuversicht zu ergeben. Die Aeußerungen dieser Zeit, die frühesten Reden, scheinen freilich, soweit wir sie als solche zu unterscheiden vermögen, weit stärker auf das Gericht als auf ein mögliches Entrinnen hinzudeuten. Aber auch ihre Wirkung auf zugängliche Herzen kann gewiß keine Verstockung sein; steht doch im Hintergrund aller Unheilsweissagung eine verhüllte Alternative. Und nun – nicht mehr als einige Jahre sind seit der Berufung vergangen – ist die Stunde da, für die Jesaja, wie er uns durch die Voranstellung

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des Visionsberichtes kundgibt, damals ausgerüstet worden ist. Damaskus und Samaria, die sich nach langen Kämpfen verbündet hatten, haben ihre Armeen vereinigt und gehen gegen Juda vor. Dem Hof und dem Volk beben die Herzen, »wie die Bäume des Waldes vor dem Windbraus beben«. Der junge König Ahas beschließt, die Hilfe einer an solchen Gelegenheiten zum Eingreifen interessierten Großmacht, Assyriens, anzurufen. Aber angesichts der wachsenden Gefahr tut er auch (die Stelle II Könige 16, 3 kann sich kaum auf einen anderen Zeitpunkt beziehen), was westsemitische Könige und Machthaber in solchen Stunden zu tun pflegen (vgl. 3, 27): er »führt seinen Sohn durchs Feuer dar« – worunter entweder das wirkliche Opfer des Erstgebornen oder dessen Ersatz durch eine Symbolhandlung, das weihende Führen durch oder über das Feuer im Tale Hinnom, verstanden werden kann 143 ; auf jeden Fall ist es Molochisierung des Melekh JHWH, die äußerste Entweihung des Namens des wahren Gotteskönigs durch den greulichen Dienst des Aberkönigs, der mit seinem Namen angerufen wird. Da dies geschehen ist, aber ehe noch die Gesandtschaft nach Assyrien abgeht, entsendet JHWH den Jesaja mit einer Botschaft zu Ahas und gebietet ihm, seinen erstgeborenen Sohn Rest-kehrt-um mitzunehmen. An der Hand des Vaters stellt der Knabe leibhaft den göttlichen Protest gegen das Erstgeborenenopfer und zugleich die göttliche Mahnung dar: jetzt beginnt es sich zu entscheiden, wer dem Rest angehört, der zu mir umkehrt und den ich bewahre. Es kann ein Häuflein Treugebliebener, es kann ganz Juda sein – jetzt beginnt es sich zu entscheiden. Der Knabe spricht in einer lautlosen großen Sprache die Entscheidungsmächtigkeit der Stunde aus. Noch ist es Zeit, umzukehren; alle, die umkehren, sind der Rest. Jesaja soll das Kind mit sich nehmen als das sichtbare Wort der fordernden Gnade seines Gottes. Die Entscheidung, zu der Ahas aufgerufen werden soll, ist: den Bündnisplan aufzugeben. Mit dieser Sendung beginnt Jesajas Kampf gegen die Bündnispolitik – erst die mit Assyrien, später die mit Aegypten –, gegen die bei wechselnden Zielpunkten gleichbleibende Sucht (30, 1), »Ratschluß auszumachen und nicht von mir her, Verwebung zu weben und mein Geist ist nicht dabei«, der Kampf, der einen gewichtigen Teil seiner Tätigkeit ausmacht. Man hat diese Haltung vielfach für eine zwar religiös bedeutsame, aber von der geschichtlichen Wirklichkeit aus gesehen unkluge, »utopische« erklärt. Aber die Welt des prophetischen Glaubens ist eben die geschichtliche Wirklichkeit, und zwar die mit dem kühnen und durchdringenden Blick des zu glauben Wagenden gesehene. Was hier waltet, ist freilich eine Politik besondrer Art, eine Theopolitik, der es da143. Vgl. Königtum Gottes 69 f., 211, 222 ff.

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rum zu tun ist, in einer bestimmten historischen Situation ein bestimmtes Volk der göttlichen Herrschaft einzuordnen, so daß es der Erfüllung seiner Aufgabe näher gebracht wird, der Anfangsteil des Gottesreichs zu sein. Man vertraut dem Herrn dieses Reichs, daß er die ihm ergebene Gemeinschaft schützen werde; aber in einem damit vertraut man auch auf die innere Mächtigkeit und die Beeinflussungskraft einer Gemeinschaft, die in sich selbst und auf die Umwelt zu die Gerechtigkeit zu verwirklichen sich unterfängt. Bündnisse sind für ein solches Volk religiös falsch, weil sie es in Abhängigkeiten ziehen, die der einen rechten zuwidergehen; aber sie sind in einem damit auch politisch falsch, weil sie es in fremde Machtkämpfe verwickeln, in denen es, zumal wenn es wie das kleine Israel zwischen zwei Riesensystemen zu leben hat, seine Selbständigkeit verlieren und schließlich zugrunde gehen muß. Jesaja beginnt seine Rede an Ahas, da er ihm »am Ende der Rinne des oberen Teichs« gegenübertritt, mit dem Wort (7, 4): »Hüte dich und halte dich still.« Mehr als zwei Jahrzehnte danach, als er in einem schon weit vorgeschrittenen Stadium der damals angekündigten Verwicklung nicht mehr den Bund mit Assyrien, sondern den mit Aegypten gegen Assyrien zu bekämpfen hatte, hat er den Gehalt jener Weisung erläutert (30, 15): »So hat der Herr JHWH, der Heilige Israels, gesprochen: ›In Abkehr und Ruhe werdet ihr befreit werden, im Stillehalten und in Zuversicht wird eure Macht sein‹, ihr aber wart’s nicht gewillt.« Das ist ein zuverlässiges politisches Programm für das in jener Geschichtszeit Kanaan bewohnende Volk. Und es ist kein bloß negatives Programm, wenn man die ganze prophetische Lehre von der gerechten Ordnung des Gemeinschaftslebens dazunimmt: eben wenn man diese Ordnung verwirklicht, hat man im Stillehalten eine geradezu magnetische Macht. Aber auch diese Haltung ist, als theopolitische, eine Auswirkung des Gotteswillens durch eine erwählte Menschenschar, ja eine Nachahmung einer göttlichen Haltung. In einem noch etwas späteren Stück, aus noch kritischerer Zeit stammend, da dem Propheten doch offenbar wurde, daß Jerusalem die schwere Bedrohung durch das assyrische Heer noch überdauern werde, tut ihm JHWH kund, wie er dem Völkerkampf, der das kleine Juda zu ersticken droht, zusieht (18, 4): »Ich halte mich still und blicke nieder auf meine Veste [den Zion, vgl. 4, 5], wie klare Glut überm Licht, wie Taugewölk in der Ernteglut.« Israel soll sich still halten, wie JHWH sich still hält. Dann wird, wie es in einer Jesaja gewiß nicht abzusprechenden messianischen Weissagung heißt (32, 15 ff.), aus der Höhe ein Geist über das Volk gegossen werden, »die Wüste wird zum Garten, als Wald wird der Garten geachtet, in der Wüste [von einst] wohnt Gerechtigkeit, im Garten siedelt Bewährung, die Tat der Bewährung wird Frie-

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de, der Dienst der Bewährung Stillehalten und Zuversicht«. Nur an diesen vier Stellen finden wir das Verb des Stilleseins bei Jesaja. Sie schließen sich zum Kern seiner theopolitischen Lehre zusammen. Um sie recht zu verstehen, muß man sich erneut vergegenwärtigen, was für ihn »Heiligkeit« bedeutet: Absonderung und Ausstrahlung zugleich. Das »Stillehalten« ist die Heiligkeit als die »politische« Haltung Gottes und seines Volkes. Seit Samuels Zeit haben immer wieder der ungetreue Statthalter Gottes und der unbeamtete Anwalt der Gottesherrschaft einander gegenübergestanden; aber hier erst geht es ganz unmittelbar um das Eigentliche, um das Reich. Doch kommt Jesaja zunächst nicht wie jene als Mahner und Forderer. Er hält dem König nicht wie jene seine Schuld vor. Er spricht zu ihm nicht als zu einer Person, sondern als zum König von Israel, der jetzt die dem göttlichen Regiment gemäße politische Entscheidung nicht verfehlen soll. Darum sagt er ihm, wenn er sich hüte und stillehalte, das heißt nicht eine Großmacht herbeirufe und sich dadurch zum Werkzeug ihrer Händel und zu einem leichten Ball im Wettspiel der Erdengewalten mache, brauche er sich »vor diesen zwei qualmenden Fackelstummeln«, denen die Kraft nicht mehr innewohne, Jerusalem mit Brand zu überziehen, nicht zu fürchten. Denn sie seien dem Verlöschen nah. Ihrem Plan, Juda »aufzubrechen«, stelle JHWH sein Wort entgegen (V. 7): »Das wird nicht bestehn, das wird nicht geschehn«, und bei diesem Wort sei die Macht. Damaskus’ Haupt heiße Rezin, und Samarias Haupt heiße Pekach, aber – so ist damit Ahas zu verstehen gegeben – wer Jerusalems Haupt ist, weißt du, wenn du glaubst, wenn du vertraust. Und nun wird unvermittelt in die Entscheidungsmächtigkeit der Stunde der entscheidende Spruch der göttlichen Alternative in seiner negativen, das heißt in seiner prophetischen, Form geworfen (V. 9): »Wenn ihr nicht vertraut, dann bleibt ihr nicht betreut.« Man bekommt die Gewalt dieses Zentralspruchs der israelitischen Prophetie noch stärker zu spüren, wenn man seine Bearbeitung durch den Chronisten (II Chronik 20, 20) in der positiven Form danebenstellt, die sich zu Unrecht auf die Propheten beruft: »Vertraut auf JHWH euren Gott, und ihr bleibt betreut«; nicht bloß ist jenes unbedingte »Vertrauen« noch größer als das etwas Selbstverständliches hinzusetzende und dadurch die Wucht des Verbs abschwächende »auf JHWH vertrauen«, sondern vor allem geht in der Bearbeitung die unheimliche Tatsächlichkeit verloren, daß Volk und Fürst den ihnen von dem Herrn der Geschichte gewährten Bestand nicht mehr haben, sowie sie nicht mehr vertrauen, das heißt, sowie sie das Band, den Bund zerreißen. Wer sich mit den Mächten einläßt, sagt sich von der Macht der Mächte, der ermächtigenden und entmächtigen-

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den, los und büßt ihren Beistand ein; wer vertrauend stillehält, gewinnt eben darin die politische Einsicht und Kraft, um der Gefahr standzuhalten. Der Ungläubige, so hat es Jesaja schon früh verkündigt (5, 19), spottet über die Langsamkeit Gottes, auf den er, der »Politiker«, nicht warten kann: »Er beeile, beschleunige seine Tat, damit wir’s sehen, es nahe, komme der Ratschluß des Heiligen Israels, daß wir’s erkennen!« Ihnen entgegen setzt er in einer späteren Weissagung (28, 14 ff.), in der das Unheil des »Geißelgießbachs« und das Heil des überdauernden, weil erprobten, »köstlichen Eckblocks« in einem angesagt werden, das für die Endgültigkeit ausgeprägte Wort (V. 16): »Der Vertrauende will nicht beschleunigen.« Kleine Politik ist ein Monolog; große Politik ein Gespräch mit dem »stillhaltenden« Gott. Damaskus und Samaria waren in jener Stunde von Assur, der »Rute« des Gotteszorns (10, 5), bedrohter als Juda von ihnen; wenn aber dieses, statt zu vertrauen und stillzuhalten, die Rute herbeirief, geriet es selber unter ihren Schlag. Ahas antwortet nicht; er will sich anscheinend nicht für gefragt halten. Und nun (daß König und Prophet zunächst »stumm auseinandergegangen« 144 wären, entspricht nicht dem Drängen der Situation: schon in der nächsten Stunde kann die Gesandtschaft abgehen!) fordert JHWH durch den Mund Jesajas, aber der Bedeutung dieses Schritts gemäß hier – und nur hier – als der zu einem Dritten Redende bezeichnet, Ahas auf, sich ein »Zeichen« zu heischen, das er sich aus irgendeinem Bereich zwischen der obersten und der untersten Seinssphäre wählen dürfe. Und bedeutsamerweise wird ihm gesagt, er solle das Zeichen »von JHWH seinem Gotte her heischen« (auch dieses »deinem Gott« steht in einer Aeußerung Jesajas nur dieses eine Mal): trotz allem ist JHWH sein Gott und will es sein. »Zeichen«, oth, bedeutet in keiner einzigen authentischen, außerlegendären prophetischen Aeußerung, die sich nicht auf Ereignisse früherer Zeiten, sondern auf Gegenwärtiges und Bevorstehendes bezieht, ein Wunder. Was insbesondere Jesaja mit dem Begriff meint, wissen wir daraus, daß die symbolische Handlung seines Nacktgehens (zum Bilde der Juda von seinem assyrischen Verbündeten her drohenden Gefangenschaft, Kap. 20) ein Zeichen genannt wird (V. 3), und daß er seine Söhne oder seine Jünger oder beide als Zeichen in die Welt gestellt sieht (8, 18). Natürlich kann auch ein Zeichen wunderbar, es kann ein pele, das heißt ein all unserer Fassung und Einreihung »Entrücktes« sein; wenn aber jemandem für etwas, was Gott ihm ansagt, ein Zeichen gegeben oder angekündigt wird, so bedeutet das nichts anderes, als daß er 144. So Procksch, Jesaia I (1930) 118.

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eine sichtbare, körperliche Bürgschaft, ein Pfand gleichsam, erhält oder erhalten soll. Der Gehalt des Gotteswortes wird an etwas Leibliches gebunden, das ihn darstellen, an ihn gemahnen und immer neu ihn vergewissern soll. Ueber diesen allgemeinen Sachverhalt geht unsere Stelle darin hinaus, daß hier, und nur hier, dem Angesprochenen freigestellt wird, den Bereich zu bestimmen, aus dem das Zeichen genommen werden soll. Es trifft also nicht zu, daß es sich hier »schlechthin um ein Wunder« 145 handle, und all die weitgehenden Folgerungen, die daran geknüpft worden sind, sind hinfällig. Ahas soll sich nicht mit dem Wort begnügen, er soll nach einer Verleiblichung verlangen, in deren Gestalt die bindende Kraft der Verheißung in der körperlichen Menschenwelt verbleibt. Der König aber weiß, daß er dadurch selbst gebunden, also zum Aufgeben seines Rettungsplans genötigt wäre. Er lehnt ab; er wolle JHWH nicht versuchen. Er ist fromm: er war fromm, als er für JHWH – keinen andern doch! – seinen Sohn durchs Feuer führte, und er wird fromm sein, wenn er hernach (II Könige 16, 10 ff.) einen genau nachgebildeten assyrischen Altar in den Tempel JHWHs – keines andern doch! – bringen läßt und selber daran die ganze obligate Opferreihe darbringt. Er will der Religion ihr Recht geben; von dem Bezirk der Politik, das heißt dem der realen Entscheidungen, hat sie sich aber fernzuhalten. Wenn man das in religiöser Sprache ausdrückt, meint er, muß es dieser unoffizielle Vertreter der Religion selber einsehn. Der hat freilich einen wichtigen Orakelspruch gebracht, der zwar, wie zuweilen das priesterliche Orakel (vgl. Klagelied 3, 57) 146 , mit dem Zuspruch »Fürchte dich nicht« begann, dann aber weit über die Funktion von jenem, nämlich das göttliche Ja oder Nein kundzutun, Annahme oder Ablehnung einer Bitte, hinausging und ihm sogar den Untergang seiner Feinde versprach. Doch genügt naturgemäß solch eine tröstliche Perspektive nicht, um zur Aufhebung eines aus politischen Erwägungen gefaßten politischen Beschlusses zu veranlassen. Dem Bringer der Botschaft – übrigens ein Mann aus gutem Haus, der allen Grund hätte, sich auf das Positive und dem Staate Förderliche zu beschränken – wird somit die fromme Antwort erteilt, die das Gespräch abzuschließen geeignet scheint. Jener aber gibt Ahas jetzt unversehens das »Zeichen«. Ein Wunderzeichen ist es kaum zu nennen. In derselben Sprachform, in der sonst biblisch nur in unmittelbarer Anrede einer schwangeren oder schwanger 145. Procksch, a. a. O. 120. 146. Vgl. auch Begrich, Das priesterliche Heilsorakel, Zeitschrift für die alttest. Wissenschaft, N.F. XI (1934) 81 ff.

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werden sollenden Frau die Geburt eines Sohnes verkündigt wird, der Hagar die Ismaels, dem Weibe Manoahs die Simsons, wird hier in der dritten Person angesagt, »die ’almah«, das heißt – da doch wohl kein weibliches Wesen als anwesend vorzustellen ist 147 – ein bestimmtes mannbares Mädchen oder eine bestimmte jungvermählte Frau, die dem angesprochenen König bekannt sein und von ihm sogleich als die mit der unbestimmten Bezeichnung Gemeinte erkannt werden muß, sei schwanger oder solle schwanger werden und werde dann einen Sohn gebären. Daraus ergibt sich die zuweilen gefundene, dann wieder verlorene 148 Deutung dieser wohl umstrittensten Bibelstelle: wenn Ahas, das Wort »die ’almah« hörend, weiß, wer gemeint ist (und nur dann trifft ihn wirklich das Zeichen), dann kann dies nur eine Frau sein, die ihm nahsteht, und wieder kaum eine andere als die junge Königin; man kann sich wohl denken, daß man die in Hofkreisen damals als »die junge Frau« zu bezeichnen pflegte. Daß Jesaja mit seinem »Immanuel« dem Ahas den Gegenkönig ansagt, dem ungetreuen Statthalter Gottes den getreuen, dem den Auftrag der Salbung nicht erfüllenden Gesalbten den erfüllenden, das geht aus den Worten »dein Land, o Immanuel« (Jesaja 8, 8) unzweideutig hervor; und daß für ihn der rechtmäßig Gesalbte aus keinem andern Hause als dem Davids stammen kann, hat in dem Kernstück dieser messianischen Denkschrift, dem Lied von dem Kinde, das uns geboren ist (9, 5), und zwar in seinem Schlußvers (V. 6), unzweideutigen Ausdruck gefunden: »zum Frieden ohne Ende über Davids Thron, über seiner Königsmacht, die zu errichten, sie zu stützen mit Gerechtigkeit und mit Bewährung von jetzt in die Weltzeit fort: der Eifer JHWHs der Heere wird das vollbringen.« »Immanuel« ist der Gegenkönig, aber nicht ein »geistlicher Gegenkönig« (Procksch), denn auch das erfüllende, das messianische Königtum ist ein wirkliches, politisches, nur eben theopolitisches, ein mit politischer Macht zur politischen Verwirklichung des Gotteswillens für Volk und Völker ausgerüstetes – anders weiß es weder Jesaja noch irgendein Prophet der Staatszeit. Immanuel ist der König des Restes, aus dem sich das Volk erneuern soll. Er wird als der zum Erfüllen Berufene, als einer, der schon 147. Daß Jesaja so, mit dem bestimmten Artikel, zu Ahas von einer Gestalt spreche, die ihm in diesem Augenblick als Vision erscheint (Hans Schmidt, Die großen Propheten 74), ist nicht überzeugend; daß er ein beliebiges Weib oder eine beliebige Mehrheit von Weibern meint, wie von anderen Kommentatoren angenommen wird, geht ebenfalls gegen die Sprachform in der dialogischen Situation. 148. Man vergleiche z. B. die richtige Einsicht bei Procksch, Geschichtsbetrachtung und geschichtliche Ueberlieferung bei den vorexilischen Propheten (1902) 36 f. mit desselben Verfassers »Jesaia« 125.

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als Kind, in der Zeit der großen Verfinsterung (8, 22; 9, 1), »das Böse zu verschmähen und das Gute zu erwählen« weiß (7, 15, 16), mit dem Rest in dem zur Weide gewordenen Lande leben und mit ihm gemeinsam wieder die voragrarische, die urfrühe und heilige Doppelspeise, Rahm und den Honig der wilden Bienen, essen (V. 15, 22), bis das Joch der assyrischen Fron, das die Bündnispolitik des Ahas über Israel brachte, zerbrochen wird (9, 3). Da erst tut sich seine bislang verborgene Bestimmung kund. Hat sein erster Name, Gott-ist-bei-uns, ihn nur als den bezeichnet, in dem sich das Da-sein, das Da-geblieben-sein JHWHs bei dem Rest, der jetzt sein Volk ist, darstellt, so wird jetzt sein Geheimnisname, sein »Wundername« (pele, Wunder, gehört zu sch’mo, sein Name, vgl. die Antwort des Engels an Manoah, Richter 13, 18, er möge nach seinem Namen nicht fragen, denn der sei pel’i oder pil’i, wunderbar, der menschlichen Fassung entrückt) offenbart: den drei Stadien des Heilsvorgangs gemäß, Kampf, Sieg, Friede, besteht er aus drei (nicht, wie man anzunehmen pflegt, aus vier) Gliedern: »Ratsmann des heldischen (kampfanführenden) Gottes« 149 , »Vater der Beute« (das heißt der dem »Stab« des assyrischen Fronvogts, V. 3, entrissenen Völkerwelt), »Fürst des Friedens« (das heißt des »Friedens ohne Ende«, V. 6, des Völkerfriedens, der in einer späteren Weissagung Jesajas im Bilde des Tierfriedens dargestellt wird: 11, 6-9). Das sind nicht Namen, die wie die üblichen Uebersetzungen eher an göttliche als an menschliche Epitheta erinnern; es sind Würdebezeichnungen, wie sie dem erfüllenden Statthalter JHWHs zukommen, der erst im Gottesrat, dann am Gotteskrieg, endlich an der göttlichen Neuordnung der Welt als der menschliche Führer der menschlichen Helferschaft tätig teilnimmt. In der Rede an Ahas sind von alledem nur die Tage der Invasion und die der Verwüstung angekündigt. Vermutlich war dem Propheten die entscheidende, die »messianische« Bedeutung des Neugeborenen noch nicht voll aufgegangen. Aber etwas anderes kam wohl hinzu. Jesaja hatte bis zur Begegnung mit Ahas im wesentlichen nur Weissagungen des Gerichtes gesprochen. Jetzt hatte er eine klare, eindeutige Heilsbotschaft auszurichten, die zwar in eine große Alternative auslief, selbst aber nicht alternativisch gefaßt war: er hatte den Zusammenbruch des feindlichen Anschlags und die Niederlage der gegen Juda Verbündeten auch ohne dessen Zutun anzusagen. Er hat es getan und hat die ver149. el gibbor heißt nicht »Gottheld« oder »ein Gott von einem Helden« oder gar »ein Gott und ein Recke«, sondern: ein Gott, der ein Held oder Recke ist; auch könnte das falsch zusammengebrachte pele joez nicht »Wunderrat« oder »Wunder von einem Berater« bedeuten. – Die Dreigliederung ist bereits in dem Kommentar von S. D. Luzzatto zu finden, der aber anders interpretiert.

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stockende Wirkung der Verkündigung erfahren: Ahas hat das bindende Zeichen abgelehnt. Die furchtbare Ansage JHWHs in der Berufungsvision hat sich bestätigt: die Unheilsweissagung rührt das Volk nicht zur Umkehr auf, aber die Heilsbotschaft verstockt noch mehr. In dieser Stunde erwählt sich Jesaja, so dürfen wir annehmen, seinen Weg. Er sagt Ahas jetzt nicht mehr, als was er zu hören bekommen muß. Er wird das, was er ihm über das Schicksal der Feinde kundgetan hat, auch dem Volke mitteilen und mit der stärksten sinnbildlichen Verleiblichung bezeugen, um ihm die Grundlosigkeit und Bedenklichkeit der königlichen Politik unmittelbar zu vergegenwärtigen (8, 1-8, vgl. auch Kap. 17). Was ihm jedoch an Heilskunde ohne den Befehl, sie dem Volk oder einem bestimmten Empfänger zu überbringen, offenbart ist oder noch offenbart wird, das wird er dem Kreis der Getreuen vorbehalten, der sich um ihn als die Urgemeinde des heiligen Restes zu sammeln begonnen hat. Er weiß wohl noch nicht recht, was das ist, er ahnt die Lichtverheißung wohl nur erst, die er empfangen wird, und so kann auch sein Entschluß, sie zu »versiegeln« (8, 16), noch nicht in dieser Zeit gereift sein; aber in dieser Zeit keimt er auf. Damit jedoch steht jener tragische Widerspruch in der prophetischen Laufbahn des Mannes, von dessen Weissagung die spezifisch »messianische« Hoffnung des Volkes Israel ihren Ausgang nimmt, erst in seinem Anfang. *

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Was ist diese Hoffnung? Man kann ihr ursprüngliches Wesen und ihren Ursprung nicht erfassen, wenn man von einer »Eschatologie« ausgeht, von einer Lehre oder Vorstellung von den »letzten« Dingen, gleichviel ob diese als ein Element der israelitischen Religiosität oder als eins des altorientalischen Mythos verstanden wird. Damit verfehlt man gerade das Spezifische, den konkret-geschichtlichen Kern. Gewiß setzt sich uralte, volkstümlich dauernde Bildsubstanz, das Traumplasma einer Paradieswelt und ihrer Wiederkehr rings um diesen Kern an; er selber aber gehört nicht dem Rande der Geschichte an, wo sie ins Zeitlose verfließt, sondern ihrer ewig wechselnden Mitte, der erfahrenen Stunde und ihrer Möglichkeit. Das ist bei Jesaja mit vollkommener Deutlichkeit zu erkennen. Das uns erhaltene Stück von Hoseas Ich-Bericht über seine Ehe verheißt in einem Spruch, der bei richtiger Einsicht in den geschichtskritischen, nicht aber grundsätzlichen Charakter der hoseanischen Ablehnung des Königtums nicht angezweifelt zu werden braucht, für die Zeit

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nach der Prüfung der »vielen Tage« (3, 5): »Danach werden umkehren die Söhne Israels und werden nach JHWH, ihrem Gott, und David, ihrem König, verlangen.« Bei Amos (9, 11) verhieß JHWH, er werde die fallende Hütte Davids wiederaufrichten. In Jesajas Weissagung vom Erstrahlen des Lichts in der Finsternis bricht der ewige Friede an (9, 6) »über Davids Thron und über seiner Königsmacht«. Es ist unverkennbar, daß die Hoffnung schon der ersten Schriftpropheten auf eine Erfüllung des Gotteswillens zu einer gerechten Volksordnung – und von ihr aus zu einer gerechten Weltordnung – an einen Davididen geknüpft war. Aber dies war eben der erfüllende Davidide, der »Bewährte« auf den bereits (II Samuel 23, 3) jene »letzten Worte«, das heißt jenes schon erwähnte herrscherliche Vermächtnis Davids, »des Gesalbten des Gottes Jakobs« (V. 1), hinwies, das aller Wahrscheinlichkeit nach aus seiner Zeit und vielleicht wirklich von ihm selber stammt 150 und das als grundwichtige Urkunde in den Anhang des Buches vom Anfang des israelitischen Königtums gesetzt worden ist: weil er der Bewährte ist, waltet er »über die Menschen«, über ihnen aufstrahlend wie Morgenlicht, als die Sonne eines Morgens, »da vor Glanze nicht Nebeldunst blieb«, und wie nach einem Regenguß die neue Sonne Gras aus der Erde hervortreibt, so läßt nunmehr, nachdem das Gewölk verscheucht ist, er, der Bewährte, alles Heil Gottes hervorsprießen; das Heillose aber, das sich in der schlimmen Zeit wie Dorngestrüpp zu einem unüberwindlichen Wall 151 erhoben hatte, wird nun von ihm, der »mit Lanzeneisen und -holz« zum befreienden Kampf ausgerüstet und »bevollmächtigt« 152 worden ist, überwältigt und vernichtet. Die monumentale kleine Dichtung ist schon von derselben Schau von Verfinsterung und aufstrahlendem Licht, Kampf und Triumph getragen wie Jesajas Weissagung vom Kinde. Und wie das Walten des Bewährten als Herrscher im einzelnen vorzustellen ist, erfahren wir aus zwei aufeinander hinweisenden Königspsalmen, die mir beide aus der jesajanischen Zeit (der zweite, den Einfluß der Amosschen Prophetie auf einen rechtschaffenen, freilich zugleich sehr lobrednerisch gestimmten Höfling aufweisende, aus der Regierungszeit Usias, der erste, an Jesajas eigenen Einfluß gemahnende, aus der Hiskias) zu stammen scheinen (vgl. Jesaja 11, 4). Der eine ist der als Dank150. Vgl. Procksch, Die letzten Worte Davids, Kittel-Festschrift (1913) 112 ff. Auch Lagarde hat wie gesagt in einem Kolleg über die Psalmen, dessen Nachschrift mir vorliegt, eine dahingehende Vermutung geäußert (»wenn eins, so ist dies davidisch«). – Zum Folgenden vgl. meine und Rosenzweigs Uebersetzung (»Die Schrift« Bd. 8). 151. munad heißt: Wall geworden (Denominativ von ned, Wall). 152. »gefüllt«, d. h. »seine Hand ist gefüllt worden«, wie die der Priester bei ihrer Einweihung (vgl. Exodus 28, 41 und öfter): er ist mit der spezifischen Macht begabt worden.

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gesang Hannas an den Eingang eben jenes Geschichtsbuches gestellte (I Samuel 2, 1-9), in dem JHWH, der »Heilige« (V. 2), seinem »Gesalbten« (V. 10) als Vorbild vergegenwärtigt wird, als der den Armen vom Staub aufrichtet und ihn neben die Edlen auf den Ehrenstuhl setzt, die Füße seiner getreuen Lehnsleute, seiner Chaßidim, bewacht, die Frevler aber im Dunkel verstummen läßt. Der andere Psalm ist jener schon erwähnte kleine Fürstenspiegel (Psalm 72, 1-17), in dem Gott gebeten wird, dem König zu helfen, die göttliche Gerechtigkeit nachzuahmen und sie dadurch fortwirken zu lassen, damit er »den Gebeugten im Volk Recht schaffe, Heil bringe den Söhnen des Dürftigen und den Unterdrücker ducke« (V. 4) und die Seele der Armen aus Pressung und Unbill rette (V. 13). Der menschliche König erscheint uns hier als der getreue Statthalter des göttlichen. Gunkel hat gegen die Auffassung dieses Psalms als eines messianischen geltend gemacht 153 , den Messias weissage man als Kommenden, hier aber bete der Psalmist für den Gegenwärtigen. Dieser Einwand führt uns an den Quellpunkt des messianischen Problems. Für den ursprünglichen messianischen Glauben gibt es »den Messias« als besondere Kategorie überhaupt nicht: der Vermißte, Erwartete, Verheißene ist der Gesalbte, der seinen Auftrag erfüllt. Mehr ist nicht not. Der Davidide, der sich als der Bewährte erweist, ist der Verkündigte. JHWH, der in der Urzeit auf die Antwort einer Menschheit, in der Zeit seines charismatischen Waltens auf die eines Volkes gewartet hat, wartet, seitdem er Israel das erbliche Königtum unter der Voraussetzung der Einhaltung der »Richtschnur des Königs«, der Erfüllung des Auftrags gewährt hat, auf die Antwort eines der Gesalbten. Dieses Warten haben die Nebiim, die die unbotmäßigen Statthalter auf dem Thron zur Rechenschaft zogen, kritisch ausgesprochen. Nun gibt ihm Jesaja den prophetischen Ausdruck. Der wartende Gott verheißt das Kommen des Erwarteten. Er, der in den »letzten Worten Davids« sagt, er »habe« einen gerechten Herrscher und werde ihn der Welt geben, wartet dennoch auf die menschliche Erfüllung. Es kommt also auf etwas an, was vom Menschen ausgehen muß. Wieder stehen wir – auf höherer Kehre – im Paradox der von Gott gewollten und also auch geschaffenen menschlichen Selbständigkeit, im dramatischen Geheimnis des Gegenüber. Auch die »messianische« Weissagung birgt eine Alternative. Auch sie ist keine Vorhersage, sondern ein Angebot. Der Bewährte, den Gott »hat«, muß aus diesem geschichtlichen Menschenlehm erstehen. Von da aus verstehen wir die Problematik der Immanuel-Prophetie. Wer ist Immanuel? Es mag Ahas’ Sohn Hiskia sein, der im Jahr nach 153. Gunkel, Die Psalmen (1926) 307.

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der Begegnung am oberen Teich geboren sein kann 154 . Es läßt sich wohl verstehen, daß dem König in dieser Stunde an Stelle des geopferten Sohns ein neuer, aber dem Vater unähnlicher, angekündigt wird. So wäre denn Hiskia der Verheißene? Er wäre es, wenn er die in ihn gelegte Möglichkeit erfüllt hätte. Aber ist denn Immanuel nicht mit dem Kind identisch, das dem »Volk der in Finsternis Gehenden« als »ein großes Licht« gegeben wird? Er ist es der Intention dieser Weissagung nach; aber auch ihre Intention ist auf die menschliche Lebensentscheidung angewiesen und kann durch sie vereitelt werden, wird durch sie vereitelt. Die Weissagung bleibt; aber die Intention auf eine Person ist aufgehoben. Zur Last der Verstockungserfahrung wird Jesaja die der Enttäuschung über die Nichterfüllung der Heilsbotschaft aufgeladen.

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* Zunächst ist noch von der ersten zu reden. Weniger als ein Jahr nach der Begegnung mit Ahas, nachdem er seinem zweiten Sohn jenen »außenpolitischen« Unheils- und Heilsnamen »Eilebeute-Raubebald« zum Zeichen der – von Ahas’ Machenschaften nur scheinbar bestimmten, in Wahrheit schon vor ihnen von Assyrien beschlossenen – Ueberwältigung der Feinde Judas durch die assyrische Macht, aber zugleich auch der künftigen Bedrohung Judas selbst durch sie gegeben hatte, empfängt Jesaja eine merkwürdige Kundgebung (8, 5-8), die in ihrer Hintergründigkeit deutlich werden kann, wenn man den Text, ohne zu streichen und zu ändern 155 , ernst nimmt. Sie beginnt: »Weil dieses Volk da verachtet hat die Wasser des Siloah [wie es scheint, eben jener, mit geringem Gefäll fließenden »Rinne des oberen Teiches« am Ostrand des Burghügels, an der die Begegnung stattgefunden hat und an der mehr als drei Jahrzehnte danach – vgl. 36, 2; II Könige 18, 17 – der assyrische Gesandte die Uebergabe Jerusalems fordern wird], die sachte gehn, und ums Ergötzen an Rezin und dem Remaljasohn« – darum wird JHWH »die Wasser des Stroms, die mächtigen und vielen«, die assyrische Gewalt, erst über die beiden Nordstaaten und dann über Juda – »dein Land, Immanuel« – bringen. Mit »diesem Volk da« kann, wenn man den ganzen Text ernst nimmt, nur (wie mehr oder weniger nachdrücklich an allen frühen Stellen Jesajas) das gesamtisraelitische gemeint sein. Es verachtet das sacht, aber unaufhaltsam wirkende Regiment JHWHs, »der auf dem Zionsberg 154. Die biblische Chronologie versagt hier bekanntlich durchaus; II Könige 16, 2 verträgt sich nicht mit 18, 2. 155. Auch ich habe noch in meiner Uebersetzung »verzagend« statt »sich ergötzend« gelesen.

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Wohnung nimmt« (8, 18), und verläßt sich auf die Königlein, an denen es sein Ergötzen hat, die Samarier auf ihren frischgebackenen Niemandssohn, den Königsmörder und Usurpator, und seinen hohen Verbündeten, die Judäer – diese Ergänzung mußte jeder der hörenden Judäer in seinem Herzen vornehmen können – auf ihren rechtmäßigen Ahas, der seinen göttlichen Auftraggeber verrät und gegen dessen Haltung Jesaja an einen Künftigen, Immanuel, appelliert. Darum wird das Heer des Königs von Assyrien erst jenes, dann dieses Land überfluten. Hier endet die Kundgebung; später, in der ersten Regierungszeit Hiskias, als dieser noch nicht durch seine ägyptische Politik die Hoffnung des Propheten enttäuscht hatte, hat anscheinend Jesaja, dessen Blick nun, viel weiter und klarer noch als der von Amos, die Völkerwelt umfaßte, der Denkschrift an dieser Stelle einen neuen Spruch (V. 9 f.) eingefügt, in dem, wenn er hier steht, diese gegensätzliche Planen in das große gegensätzliche Völkerplanen, das den Zion von hüben und von drüben bedroht, einbezogen erscheint; aber – das Wort an Ahas (7, 7) wird wiederholt – »das wird nicht bestehn«, und die Begründung folgt: denn ’immanu-el, bei uns (bei dem Rest, dessen Führer Immanuel heißt – und vielleicht hat Jesaja noch damals Hiskia im stillen Immanuel genannt) ist Gott. Jener Kundgebung JHWHs gegen die Freude des Volkes an den Königen hat der Prophet offenbar mit großer Leidenschaft widerstrebt; der Davidstreue lehnte sich dagegen auf, daß der Davidide mit den andern zusammengeworfen wurde, darin war er eins mit dem judäischen Volk, wollte eins mit ihm sein. Daß das die Stunde eines Anstürmens dieser Seele gegen das harte Wort ihres Gottes war, erfahren wir aus Jesajas Bericht (V. 11 ff.). »Im Zufassen der Hand«, die sich schwer auf ihn legt, »warnt« JHWH ihn und seinen Jüngerkreis, »auf dem Weg dieses Volks da zu gehn«, die es als Aufruhr verschreien, wenn man ihren Fürsten als das erkennt, was er ist, und als das verwirft. Nichts Irdisches, nur JHWH selber darf Furcht und Schauer denen erregen, die ihn kennen. Wer sich so seinem Willen ergibt und »ihn heiligt«, dem wird er »zum Heiligtum werden«, in dem er Zuflucht findet. All den andern aber, »den beiden Häusern Israels«, wird er, wenn er dann aufsteht, um in der Geschichte furchtbar zu handeln, mit diesem seinem ihnen widersinnigen Handeln zum Stein des Anstoßes werden, an dem sie straucheln und fallen. Denn, so heißt es viele Zeit danach in einer jesajanischen Weissagung, als Samarien längst vernichtet und Juda schwer bedroht ist (28, 21): »ausländisch«, barbarisch, wie von einem kommend, dem Zion und Jerusalem fremd sind, »ist sein Werk«; nur wer sich seinem Willen ergeben hat, kann es ihm, dem Herrn des Zion, zutrauen und seinen Plan des Unheils und des Heils am äußersten Ende fassen.

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Und in dieser gleichen Stunde des »Zufassens der Hand«, so scheint es mir, wird Jesaja die Verheißung des »großen Lichtes« gegeben. Er empfängt sie und alles, was ihr entströmt, zugleich als »Bezeugung« – ein damals vermutlich neues und zur Bezeichnung von etwas Neuem gemeintes Wort – und als »Weisung«, Belehrung, Thora (8, 16, 20); beides liegt ihm darin: Offenbarung einer künftigen Gottesgnade und Offenbarung eines Menschenwegs zu ihr. In tiefer Besinnung gelangt nun jener nach der Begegnung mit Ahas aufgekeimte Entschluß zur Reife. Jesaja hat bis zu der für ihn bittersten Kunde erfahren, daß JHWH »sein Antlitz dem Hause Jakobs verbirgt« (V. 17), aber auch, wie sehr er im Sinne hat, es ihm wieder zu zeigen. Jetzt kommt es darauf an, daß sie, die es wissen, »auf JHWH harren« und »auf ihn hoffen« (das hebräische Verb, das wir mit »hoffen« übersetzen, bedeutet in seiner ursprünglichen Sinnlichkeit wohl: sich entgegenspannen). Aber die helle Ausschau darf nicht dem Volke enthüllt werden, daß es sich an ihr nicht versehe; sie soll nicht dazu beitragen, »die Augen zu verkleben«. Es gilt 156 , so sagt sich der Prophet (V. 16), die im Geist empfangene Urkunde der Bezeugung und Weisung wie eine regelrechte Urkunde zu verschnüren und zu versiegeln: »in meinen limmudim« – auch dies ist ein erstmals hier, und in diesem Sinn nur hier und an von dieser abhängigen und auf sie zu beziehenden Stellen vorkommendes Wort, das etwa mit »Lehrlinge« wiederzugeben ist –, denen sie anvertraut wird. Sie schließt er mit seinen beiden leiblichen Söhnen, die durch ihre sinnbildlichen Namen die beiden Seiten des kommenden Vorgangs darstellen, zu einer Schar zusammen, die er als »die Kinder, die JHWH mir gegeben hat«, bezeichnet; die einen mit der Symbolkraft ihrer Namen, die andern mit der in ihren Herzen verschlossenen Strahlenkraft der Verheißung, sind sie mit dem Propheten vereint als die von JHWH, dem Herrn der Gewalten, in diese Zeit des Harrens »zu Zeichen und Erweisen in Israel« Bestellten (V. 18). Harren sollt ihr, so spricht Jesaja sie an, bis einst, in der Stunde der »Drangsal und Verfinsterung« (V. 22), Volk, ins Dunkel gestoßenes, bangendes, hungerndes, ergrimmtes, »seinen König und seinen Gott« (vermutlich ist gemeint: seinen Königsgötzen) verwünschendes (V. 21), zu euch, den gelassen Harrenden, den nun als Wissende Erkannten gestürzt kommt und euch anfleht (v. 19), wie eben Menschen flehen, die »kein Morgenrot haben«, sondern ganz in Nacht versenkt sind, euch anfleht, die Wahrsagegeister zu befragen – dasselbe Volk, das, wie es in einer frühen Unheilsrede heißt (9, 12), JHWH der Heere nicht befragt: »Befragt die Elben und die Wis156. Die beiden folgenden Verben sind im Infinitivus absolutus zu lesen.

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serlein!« Dann erwidert ihnen: »Was, die aus dem Boden zirpenden, murmelnden Wichte?!« Und sie werden sagen: »Soll nicht ein Volk seine Götter befragen?« Und ihr antwortet wieder: »Was, für die Lebenden die Toten?!« Dann ist es an der Zeit (V. 20): »Zur Weisung hin! zur Bezeugung hin!« Dann entsiegelt und entschnürt die Urkunde aus euren Herzen, dann hebet an: »Das Volk, die in Finsternis gehen, sehen ein großes Licht …« Dann werden, die noch sehen können, es sehen. *

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Mit dem Lied vom Kinde, mit seinem Schluß, dem Wort vom »Eifer« des JHWH Zebaoth, des eifernden Gottes, der eifernd Entscheidung fordert und Entscheidung bringt, endet die jesajanische Denkschrift. Erst viel später – nicht etwa zur gleichen Zeit, wie zumeist angenommen wird –, erst unter der Wirkung der Enttäuschung an Hiskia, kann Jesaja sein zweites messianisches Lied (11, 1-9) konzipiert haben. Nur in seinem Gegenstand, der Person des Zukunftsfürsten, ist es jenem verwandt; die Anschauung hat sich von Grund aus gewandelt. Jesaja bekennt sich nicht mehr zur herrschenden Dynastie. Der Begriff der Königsmacht ist geschwunden, sogar Davids Name wird vermieden, wiewohl an die Abstammung von ihm nicht gerührt wird; das in der Berufungsvision empfangene Bild vom Fällen des Baumes, der sich nun durch einen Stumpftrieb erneut, wird auf den königlichen Stamm übertragen: am Wurzelstock Isais bricht ein junger Schößling auf. Offenbar soll die erwartete Katastrophe des Volkes nun eine der Dynastie einschließen, auf die ein Neues, ein »Rest«, der zum neuen Wesen wird, folgen soll 157 . Wichtiger aber noch ist, daß der göttliche Anteil an dem Werk der Zukunft einen ganz besonderen Ausdruck erhält. Wohl war es JHWH, der im Lied vom Kinde das Joch zerbrach und das Reich stiftete; nun aber wird mit unvergleichlicher Intensität betont, daß es die göttliche Ruach, die sich auf dem Erwarteten niederläßt, allein ist, die ihn zur Erfüllung seines Amtes »begeistet«, (so, als Denominativ von ruach, ist das Verb V. 3 zu verstehen). Sie springt ihn nicht bloß an, wie sie die alten Charismatiker ansprang und auch noch Saul, den ersten König (I Samuel 10, 6), von dem sie, als er untreu wurde, wich, um »einer bösen Ruach von JHWH her« Platz zu machen (16, 14), zur selben Stunde, als die Ruach David, den eben Gesalbten, ansprang, um »von diesem Tag an 157. Daß deshalb, weil hier von einem Strunk gesprochen wird, der Text exilisch oder nachexilisch sein soll (Mowinckel, Psalmenstudien II, 308), kann man nur meinen, wenn man dem Propheten jede Sicht in eine zukünftige Katastrophe abspricht.

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und weiterhin« zu ihm zu kommen, sondern sie »ruht« nun auf ihm. Der Herrscher im Lied vom Kinde war ein »Ratsmann« Gottes, die wirkende Kraft war JHWHs allein; hier ist beides, Rat und »Heldenkraft«, nur Gabe des Geistes an den Geistesträger. Und nicht bloß, was in der biblischen Vorstellung auch sonst seinen Ursprung oben hat, die Weisheit und die Vernunft, sondern auch das, was sonst als vom Menschen her kommend und kommen sollend, als der Anteil der von Gott gewollten menschlichen Selbständigkeit angesehen wird, die »Erkenntnis JHWHs« und die »Furcht JHWHs«, werden ihm nun durch die Ruach verliehen. Wenn er, wie jener »Bewährte« der letzten Worte Davids, »in der Furcht Gottes herrscht«, so kann er es eben deshalb, weil die Ruach ihn mit dieser Furcht »begeistet«. Der Mensch kann nur eben »ausfahren« wie ein Reis aus einem Strunk; damit er zum Baum der Erfüllung erwachse, muß Gott ihn zur Erfüllung ermächtigen. Daher geschieht es auch, daß er »mit Wahrspruch für die Armen rechtet« und »mit Geradheit den Gebeugten der Erde Ausgleich schafft« (vgl. Psalm 72, 4), daher aber auch, daß er »mit dem Hauch (ruach) seiner Lippen den Frevler tötet«. All dies ist gewiß im Verhältnis zum ersten messianischen Lied keine neue »Theologie«, aber die Akzente sind unverkennbar verlagert.

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* Die Schilderung des Paradiesfriedens unter den Tieren (V. 6-8) wird gewiß nicht mit Unrecht auf die in großen Völkerkreisen verbreiteten Bilder der Wiederkehr einer seligen Urzeit zurückgeführt 158 ; aber es will mich bedünken, daß dieses Idyll, wo die wilden Tiere bei den zahmen »gasten«, nur ein Sinnbild des Völkerfriedens sein soll, vielleicht gar eins, in dem man unter den Namen der Wildlinge bestimmte Nationen erkannte. Die Schilderung steht ja zwischen der Darstellung des gerechten Waltens des Zukunftsherrschers und der Ansage (V. 9), es werde nichts Böses und Verderbliches mehr geübt werden »auf dem ganzen Berg meines Heiligtums«, weil »die Erde der Erkenntnis JHWHs voll« sei – nicht mehr bloß der Ausstrahlung Gottes also, wie im Wechselgesang der Seraphen, sondern auch der menschlichen Wahrnehmung, der menschlichen An- und Aufnahme seines Wirkens. In diesen Zusammenhang paßt der Völkerfriede weit eher als der Tierfriede – zumal wenn man bedenkt, daß der Berg des Heiligtums eben der ist, zu dem als dem höchsten der Heiligtümer in einer andern messianischen Weissagung (2, 1-5) die Völker »strömen«, um dort von Gott in seinen Wegen unter158. Vgl. z. B. Eichrodt, Die Hoffnung des ewigen Friedens (1920) 65 ff.

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wiesen zu werden und seinen Schiedsspruch zu empfangen, der all ihre Streitigkeiten schlichtet, so daß sie ihre Schwerter zu Spaten umschmieden, und fortan nie mehr ein Volk gegen das andre das Schwert schwingt. Was im Lied vom Kinde für das befreite Israel im Bilde der Verbrennung der vordem dröhnend einherstampfenden Soldatenstiefel und der in Blutlachen gewälzten Kriegsröcke im Feuerbann für JHWH verkündigt wurde, vollendet sich in einem größeren Bilde für die ganze Menschenwelt: aus dem Kampf gegeneinander wird gemeinsames Werk an der Erde. Diese Weissagung, die Jesaja abzusprechen kein Grund vorliegt (in Michas Buch ist sie, 4, 1-5, aufgenommen worden, nachdem er ihren wichtigen Schlußvers weggelassen und dafür einen ihren Universalismus wesentlich abschwächenden nationalistischen Schluß hinzugedichtet hat), darf wohl als seine späteste messianische angesehen werden. Sie ist unter ihnen, wie durch ihre große Geschichtsperspektive, für die der Zion das Zentrum der Völker-Thora ist, so auch dadurch bemerkenswert, daß sie das Verkündigte nicht in eine unbestimmte Zukunft, die vielleicht schon ganz nah ist, sondern in eine jedenfalls noch entfernte, in die »Späte der Tage«, versetzt. Hier erst wird die messianische Weissagung, die bisher in der vollen Konkretheit der gelebten Stunde und ihrer Potentialität stand, »eschatologisch« – wiewohl auch hier nicht, wie in der Apokalyptik, im Sinn einer wirklichen »Endzeit«, eines Stillestehns der Geschichte. Bedeutsam ist ferner der Schluß. Im Blick darauf, daß die Völker einst zueinander sprechen werden: »Laßt uns zum Berge JHWHs gehen«, ruft der Prophet seinem eigenen Volke zu: »Laßt uns (nun) im Lichte JHWHs gehen.« Hier wird doch wieder der menschliche Anteil anerkannt: wird Israel jetzt, wie die Völker dann, »auf seinen Pfaden gehn«, dann wird Gott gewiß nicht länger »sein Antlitz vor ihnen verbergen«, sondern ihnen sein Licht leuchten lassen. Israel muß mit dem »Gehen« beginnen, damit die Völker folgen können und zwischen allen, auch zwischen ihm und ihnen, der große Friede Gottes werde, in dem, wie es in einem kurzen Spruch (19, 23-25) heißt – den ich im Gegensatz zur herrschenden Meinung für unnachahmlich jesajanisch halte und der letzten Lebenszeit des Propheten zuschreibe – Israel im Mittelpunkt des friedlichen Verkehrs der beiden einst einander feindlichen und immer wieder Israels sich gegeneinander bedienenden, nunmehr aber gemeinsam Gott dienenden Weltmächte, Aegyptens und Assyriens, stehen wird als »ein Segen inmitten der Erde«. Noch eins aber ist an dieser Weissagung zu beachten: die Gestalt des Messias fehlt. Auch dies weist auf keine theologische Wandlung hin. Da, wo es, wie in den beiden Liedern, um die Errichtung der gottgemäßen

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Volks- und Staatsordnung geht, ist die Person des Statthalters, der über ihrer Verwirklichung und Erhaltung wacht, unentbehrlich. Die Weissagung vom Weltfrieden zielt auf ein späteres Stadium der Heilszeit ab; die messianische Ordnung auf dem Zion wird von ihr als vollzogen vorausgesetzt. Das große Schiedsgericht und die große Unterweisung auf dem Berg aber sind JHWHs unübertragbare Sache. Von einer Weltherrschaft Israels ist ja weder dort noch hier die Rede; vielmehr bestehen die Völker offenbar nach wie vor in ihrer Selbständigkeit und empfangen nur die gemeinsame Lehre der Gotteswege und das gemeinsame Gesetz des Friedens, beides unmittelbar von JHWH, nicht von seinem Statthalter in Israel. Nicht ein Weltstaat unter einem eingesetzten Weltkönig wird hier angesagt, sondern der Empfang einer universalen Offenbarung, nach der – so darf angenommen werden, ohne daß ein Wort des Propheten widerspräche – die Völker ihr Völkerleben wiederaufnehmen, aber geeint in den Wegen des Gottes, den sie erkannt haben. Micha hat dann diese Konzeption einer messianischen Fortsetzung der Geschichte, einer entgifteten Weltgeschichte also, dadurch überspitzt und ihr ihren Sinn genommen, daß nach dem Empfang der Offenbarung jedes Volk weiter »im Namen seines Gottes geht« (Micha 4, 5). Jesajanisch und folgerichtig ist dagegen, daß mit den »Wegen« auch der »Name« (zum engen Zusammenhang beider untereinander wie auch mit dem Kabod vgl. Exodus 33, 13, 18; 34, 5 ff.) des Gottes, der sich nunmehr der Völkerwelt offenbart hat, Eigentum aller Völker geworden ist, so daß sie – wie in einer früheren Weissagung an die Aethiopier, eben jene Aethiopier des Amos, heißt (18, 7) – JHWH zum Zion als zur Stätte seines Namens hin, Zoll darbringen.

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* Die Frage liegt nah, welche besondere Funktion denn dem »Messias« in dem frühen Bilde der Heilszeit zukomme. Man hat gemeint 159 , er sei »von Haus aus neben dem König Jahwe überflüssig und insofern eine Art Doppelgänger Jahwes«. Alle Betrachtung dieser Art beruht auf einer Verkennung des Ursprungs des messianischen Glaubens. Er hat seinen Ursprung in dem Ernstmachen mit der Herrschaft Gottes. In der vorköniglichen Zeit führt JHWH das Volk seiner Intention nach durch die von seiner Ruach Ergriffenen, in der königlichen regiert er es seiner Intention nach durch die in seinem Namen gesalbten Statthalter, die 159. Mowinckel, Psalmenstudien II 298 (vgl. auch Sellin, Der alttestamentliche Prophetismus, 1912, 173).

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»Könige«. Diese wie jene Mittlung entspricht dem Realismus des israelitischen Glaubens. Einem göttlichen Regiment muß, wenn es ganz wirklich sein soll, das ganze tatsächliche Leben der Gemeinschaft untertan sein. Dieses Regiment kann nicht auf das »Religiöse«, das heißt auf die »höheren Regionen« des Daseins, heilige Sonderzeiten und heilige Sonderräume beschränkt werden. Es geht um den heiligen Gott, der nicht weniger als alles fordert und gibt. Sein Regiment kann also nur – in einem höchsten und umfassendsten Sinn – politisch sein. Die menschliche Vertretung Gottes, die unerläßlich ist, um die unbedingte Verbindlichkeit der göttlichen Volksordnung überall und immer zu realisieren, kann demgemäß nicht einer Priesterschaft, sondern nur einem »Richter« oder »König« obliegen. Das Richtertum geht in das Königtum über, sobald es sich kundtut, daß das Volk die göttliche Vertretung nur in der Form der Kontinuität faktisch anzuerkennen vermag, das heißt daß die Volksordnung nur noch als Staatsordnung zu verwirklichen ist. Die dynastische Kontinuität erfordert eine Kontinuität der Verantwortung, den göttlichen Auftrag zu erfüllen. Mit der Salbung, in der sich die Kontinuität sakramental darstellt – die Natursubstanz Oel bedeutet hier, wie gesagt, wie bei allen israelitischen Salbungsriten, der erhaltenden, unzersetzt konservierenden Eigenschaft des Oels gemäß, Dauer des Verliehenen –, wird die Verpflichtung auf die »Richtschnur des Königs« verbunden. Der grundsätzliche und praktische Widerstand der Könige gegen die verfassungsmäßige Bindung zur Gerechtigkeit hat die Sendung der Propheten zur Folge. Zum Unterschied von den »Richtern«, die kommen und gehen, müssen die dauernden Könige zur Verantwortung gerufen werden. Gegen deren – anscheinend öfters von der nur auf Autonomie des sakralen Bereichs bedachten Priesterschaft unterstützten – Tendenz, den Auftrag zu einem unverbindlichen Gottesgnadentum zu sublimieren, das ihnen erlaubt, altorientalisch als bevollmächtigte Söhne (vgl. Psalm 2, 7) des Gottes aufzutreten, setzen die Propheten den theopolitischen Realismus, der keine »religiöse« Verflüchtigung zuläßt. Dem ungerechten und daher unrechtmäßig gewordenen, aber mächtigen Vertreter JHWHs auf dem Thron tritt der machtlose Träger des Wortes in der Gewißheit seiner Botschaft mahnend und fordernd, vergeblich mahnend und fordernd gegenüber. Zuweilen (bei der Reichsspaltung und später im Nordreich, das nicht wie Juda die Tradition einer großen ursprünglichen Legitimität hat) schlägt diese Situation in Rebellion um: an Stelle der ungetreuen Dynastie soll eine neue treten – an der sich bald die alte Enttäuschung wiederholt. In Juda gibt es dergleichen nicht: die Erfahrungen verdichten sich immer mehr, aber nur zu intensivstem prophetischem Pathos, der Sprengstoff wächst gewaltig, aber als die Ent-

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ladung kommt, ist es keine revolutionäre, sondern die messianische. Der Messias ist – gleichviel ob er mehr als der von Gott Gefundene oder als der von Gott Gesandte erscheint – der Erfüllende, der endlich den statthalterlichen Auftrag erfüllende Mensch, durch den die Verwirklichung der Volksordnung unter der Führung JHWHs, der Anfang der Weltordnung unter der Führung JHWHs, geschehen wird. Er ist notwendig, um die göttliche Ordnung einer menschlichen Gemeinschaft mit menschlichen Kräften und menschlicher Verantwortung zu errichten. Um dies zu können, wird er mit dem Geiste begabt. Das ist eine Gestalt, die nicht aus dem Mythos geholt, sondern aus der Geschichte gewachsen ist; der Mythos liefert ihr nur ihr Gewand, wie er JHWH sein Gewand liefert. Aber so mythisch gewandet ist der Messias, wie ihn uns die jesajanische Weissagung zeigt, doch keineswegs »mehr als ein Mensch« 160 keineswegs »göttlicher und nicht menschlichen Art« 161 . Wie es unbegründet ist, Israel eine »Idee vom König als Inkarnation des nationalen Gottes« 162 zuzuschreiben, so ist es unbegründet, den Messias, den erfüllenden König, »in die Klasse der Elim« 163 gehören zu lassen. Solche Vorstellungen haben nie von den großen Konzeptionen des alten Orients her, sondern erst in den iranisierenden oder »hellenistischen« Spätformen in Jerusalem Eingang gefunden. Der Messias Jesajas ist gottähnlich, wie der Mensch gottähnlich ist, in dem sich die Ebenbildlichkeit entfaltet hat, nicht weniger und nicht mehr. Er kommt Gott nicht näher, als dem Menschen als Menschen zu kommen bestimmt ist; er kommt nicht auf die Seite Gottes hinüber, er bleibt vor seinem Angesicht stehen, in unaufhebbarem Dialog. Er »berät« Gott, weil dieser der menschlichen Selbständigkeit, die er im Geheimnis schuf, auch diese Aeußerung verstattet; er nimmt den Auftrag entgegen und führt ihn aus, weil Gott das Menschliche durch den Menschen wirken will. Die Propheten scheuen sich, ihn maschiach, Gesalbter, zu nennen, denn das Sakrament der Salbung ist durch seine Empfänger entheiligt worden. Sie scheuen sich, ihn König zu nennen, nicht weil der politische Bereich ihm fern wäre 164 – er ist und bleibt eine »politische« Gestalt –, sondern weil sie gegen die Irrungen der sich in der Geschichte noch breitmachenden »Könige« die Wahrheit des einzigen wahren Melekh setzen,

160. 161. 162. 163. 164.

Mowinckel, a. a. O. 302. Staerk, Soter I. (1933) 4. Mowinckel, a. a. O. 301. Staerk, a. a. O. 4. Eichrodt, Theologie des Alten Testaments I 271 (vgl. auch v. Rad, Art. βασιλεία, im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament I 566).

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dem auch der höchste Mensch nur dienend nahen kann. Eben weil Jesaja als erster auszusprechen gewagt hat, er habe »den König JHWH Zebaoth« gesehen, kann er auch dessen rechtmäßigem Gesalbten, den er als den Kommenden schaut, nicht mehr die Königswürde zugestehn.

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Der Gott der Leidenden 1. Gegen das Heiligtum

Wie heftig auch Jesaja gegen den intentionsentleerten Kult ankämpft, mit wie grimmigen Worten auch sein Gott es sich verbittet, daß jene, die »mit ihren Lippen nur ihn ehren, aber ihr Herz fern von ihm halten« (29, 13), »seine Höfe zerstampfen« (1, 12), all dies geht nur gegen die Entweihung des Tempels; aber diese Entweihung kann ihm – das ist für den Propheten unanzweifelbare Gewißheit – seine fundamentale Heiligkeit nicht nehmen, und in dieser Heiligkeit ist seine Unantastbarkeit begründet. Mag auch das Land durch die Schuld des Volkes in Mitleidenschaft gezogen werden, die »lichte Glut«, die JHWH sich auf dem Zion entzündet hat (31, 9), kann nicht verlöschen, die Stätte seiner »Einwohnung« (8, 18), seines »Namens« (18, 7) kann nicht zerstört werden, alle Völker, die sich gegen diesen Berg scharen, werden wie Spreu zerstieben (29, 5, 8), da JHWH selber niederzieht, um den Zion zu verteidigen (31, 4), sowie sie »die Hand wider ihn schwenken« (10, 32), und ihn »beschirmt« (31, 5, vgl. auch die unabhängig von ihrer Umgebung als echt anzusehenden Sprüche gegen Sanherib, 37, 22-29, 33-35). Denn er ist bestimmt, die Mitte des kommenden Gottesreiches zu werden (2, 2; 18, 7). Die von Jesaja angesagte Katastrophe, die vom Volke nur der »Rest« überdauert, rührt den Tempel nicht an. Der Tempel ist die Kontinuität: hier weilt schon göttliche Wirklichkeit auf der Erde, die sie nicht mehr verläßt. Wir besitzen aber die Prophetie eines Zeitgenossen und vermutlich Schülers Jesajas, die im Gegensatz zu ihm dem Tempel die Zerstörung ansagt. Micha, ein Dörfler aus der südwestlichen Küstenebene, kommt, nachdem er schon von seiner Heimat aus Samaria den Untergang und Juda die ihm danach drohende Gefahr angesagt hatte, nach Jerusalem und nimmt anscheinend die Lehre Jesajas in sich auf, die wir in manchen seiner Sprüche wiederfinden, ja die er einmal (4, 1-5) wörtlich wiederholt und nur nach seiner Weise ergänzt. Aber sie genügt ihm offenbar nicht – radikaler, unerbittlicher folgerichtig predigt er, »mit Kraft erfüllt vom Geiste JHWHs her, mit Rechtsinn und Tapferkeit« (Micha 3, 8), Gottes Wort. Es sind drei Dinge, in denen er seinen Meister überbietet. Das erste ist die soziale Kritik: nicht als einer, der gemeine Sache mit den Unterdrückten macht, sondern als einer von ihnen zieht er die Herren zur Rechenschaft; erst ruft er nur (2, 1-5) in der Nachfolge Jesajas (Jesaja 5, 8-10), aber mit leidenschaftlicherem Ausdruck, Wehe über sie, die den Fellachen Feld und Haus »rauben«; dann aber, wohl vor Gericht gezogen

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(wir besitzen nur Bruchstücke seines Selbstberichts, 3, 1 ff.), klagt er »die Häupter Jakobs« ins Angesicht an, daß sie »das Fleisch meines Volkes fressen« (V. 3). Das zweite ist die Verdichtung der göttlichen Forderung: in einem Zwiegespräch (6, 6 ff.), das man neuerdings seines besondern Stils wegen Micha absprechen will – aber solches Aufkommen ungewohnter Sprache in Augenblicken höchster Konzentration ist uns im religiösen Schrifttum aller Zeiten bekannt –, läßt er einen Mann aus dem Volk an ihn, den Propheten, die Frage richten, womit er sich die Gunst seines Gottes erkaufen könne, und sein Angebot bis zum Kindesopfer steigern, und antwortet ihm, indem er an die Stelle des opfergebundenen ein freies und allgemeines religiöses Ethos setzt, aber eben ein religiöses Ethos, in dem mit jenen beiden Elementen der Nachahmung Gottes, der »Bewährung« des Amos und der »Huld« des Hosea – die hier zu einer »Huldliebe« gesteigert erscheint –, die Essenz des Glaubensverhältnisses verschmolzen ist: »mit Gott gehen«, aber »züchtig«; Glaube, der sich mit dem Glaubensverhältnis brüstet, Glaube ohne Scham ist kein Glaube mehr. Und nun das dritte: die Vollständigkeit der Strafe für das Tun jenes Bösen, für das Nichttun dieses »Guten«. Die »mit Blut gebaute« (3, 10) Stadt kann nicht stehen bleiben. Sie alle, »die das Recht verabscheuen und alles Gerade verkrümmen« (V. 9), die Häupter, die keine Häupter, die Priester, die keine Priester, die Künder, die keine Künder sind, mißkennen und mißbrauchen die jesajanische Botschaft und verkehren das große Wort eines Jesaja nahestehenden Psalms (46, 6) von der Stadt Gottes, die nicht wanken wird, weil Gott »mitten in ihr« ist, in seinem Glaubenssinn, indem sie sich darauf verlassen, daß JHWH doch »mitten unter ihnen« weile: »Uebel kann nicht über uns kommen!« (Micha 3, 11.) »Ebendarum, euretwegen«, ruft ihnen Micha zu (V. 12), ebendarum, weil ihr euch in all dem Frevel gesichert fühlt, muß das Bollwerk eurer Sicherheit fallen: »Zion wird als Feld umgepflügt, Jerusalem wird ein Trümmerhauf, der Berg des Hauses zum Koppenhain.« Koppen, bamoth, heißen die heiligen Höhen – natürliche und künstliche –, die Israel von den Kanaanäern übernommen hat. Solch eine von einem Hain überwachsene Bama inmitten der Wildnis soll der Tempelberg werden, vom Heiligtum selbst sollen wohl nur noch einzelne Steine bleiben und, den alten Malsteinen ähnelnd, aus den Eichen hervor ihr Zeugnis ablegen. In dem uns vorliegenden Buch, in dem sich vermutlich nur ein kleiner Teil der Prophetien Michas, mit Späterem vermengt, bewahrt hat, folgt nun, offenbar um an die Ansage des Verhängnisses unmittelbar die tröstende Verheißung eines späteren Heils anzuschließen, der jesajanische Spruch von der »Späte der Tage«, in der »der Berg des Hauses JHWHs

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festgegründet sein wird zu Häupten der Berge«. Die hier stehende ergänzte Fassung Micha abzusprechen besteht aber kein Grund; daß sie in das Buch aufgenommen worden ist, verdankt sie, wie gesagt, wohl eben der Ergänzung, die ihren Universalismus beschränkt. Es ist Michas Glaube, daß der Tempel einst wiedererstehen und JHWH auf seinem Berg über dem »Rest« Israels als König thronen soll (4, 7). Aber die Verkündigung des Wiederaufbaus mindert nichts an der ungeheuren Tatsache, daß hier ein semitischer Gott sein abtrünniges Volk dadurch strafen will, daß er sein eigenes, von ihnen entweihtes Heiligtum der Vernichtung weiht. Wir wissen aus den Ugarit-Texten, was es für einen kanaanäischen Gott bedeutete, kein »Haus« zu besitzen; »ich bringe dir frohe Botschaft«, ruft die Göttin Anath dem Baal zu, »man wird dir ein Haus bauen, wie deine Brüder es haben«. Aber der Wandergott JHWH ist nicht mit den Seinen nach Kanaan gekommen, um sich an ein Haus zu binden. Die Problematik des jerusalemitischen Tempelbaus ist in der Natanrede (II Samuel 7, 4 ff.) deutlich spürbar; die des einstigen silonischen Heiligtums wird kaum geringer gewesen sein. Man darf hier schon in der Frühzeit ein echtes religiöses Dilemma vermuten. Die Lade, noch in den davidischen Kriegen das wandernde Zentrum der Mächtigkeit, kann im Ruhen die heiligen Handlungen, »in denen das Wunder der Vorzeit sich ständig erneuert« (Hempel), nicht um sich versammeln; die Bamoth drohen die gewaltige Einheit und Einzigkeit des Gottes in eine Vielheit lokaler Numina zu zersprengen; der Tempelbau wird auch vom prophetischen Menschen gebilligt, aber er bangt darum, daß es seinem Gott nicht leid werde, zu »ewigem Sitz« (I Könige 8, 13) in das dämmrige Haus gebannt zu sein. Dieses Grundgefühl gestaltet sich dann in der Prophetie Israels aus. Wird die heilige Ordnung des Gotteskönigtums, die in der Vorzeit eingesetzte, gewahrt, dann darf erhofft werden, daß die Gnade der göttlichen Gegenwart dem Volke erhalten bleibe; wird sie zerrüttet, dann zieht sich JHWH von seinem »Söller« (ebenda) seiner »Veste« (ebenda, vgl. Jesaja 18, 4) in seinen Himmel zurück, und der Tempel, der kein Haus mehr ist, wird preisgegeben. Diese Ansage, die Jesaja dem Heiligtum gegenüber, das ihm einst in der Schau zu Himmelsmaßen gewachsen war und in dem er »den König« geschaut hatte, nicht tun konnte, wird nun von Micha getan. Die Wirkung, die Michas Rede auf seine Hörer und insbesondere auf den König Hiskia ausübt (Jeremia 26, 19), ist als historisch anzusehn. Man darf wohl die Kultreform Hiskias (II Könige 18, 4) auf ihren Eindruck zurückführen: der Kult wird gereinigt, um dem Tempel die Gunst JHWHs zu erhalten. Aber diese – auch in sich unzulängliche – Reform allein war keine angemessene Antwort auf die soziale Anklage Michas

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wie Jesajas. Von einer Aenderung der Gesinnung und des Lebens hören wir nichts; aber es scheint mir, daß die Kultreform nicht genügt hätte, um die Aeltesten zur Zeit Jeremias (Jeremia 26, 19) sagen zu lassen, Hiskia sei durch Michas Worte bewogen worden, JHWH »das Antlitz zu besänftigen«. Hier muß man doch wohl eine tiefere Wandlung vermuten. Wie Amos in Bethel, so hat Micha in Jerusalem die soziale Anklage mit der Ansage der Zerstörung des Heiligtums verbunden. Dort ist die Verwirklichung der Weissagung ihr bald nachgefolgt, nachdem JHWH, der sich Mal um Mal seinen Entschluß hatte »geleiden lassen«, erklärte, nun wolle er es nicht mehr tun. Hier aber wird uns ein Jahrhundert nach Michas Rede erzählt (ebenda), JHWH hätte es sich damals »geleiden lassen«. Auch aus Jesajas Haltung zum Königshof läßt sich wohl, trotz der Enttäuschung seiner messianischen Hoffnung, auf einen von Hiskia ausgegangenen Versuch zur Eindämmung des sozialen Unrechts schließen. Er scheint aber im Anlauf steckengeblieben zu sein. Jedenfalls ist von ihm, wie von der Kultreform, unter Hiskias Nachfolger nichts mehr geblieben. *

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Von Grund aus geändert war die Lage, als ein Jahrhundert danach Jeremia die Weissagung Michas wiederaufnahm. Sein Wort, drei Monate nach dem Tode des Königs Josia gesprochen, setzt dessen Tat, die radikale Kultreform, gründliche Reinigung und strenge Zentralisierung, voraus, mit der (vgl. Jeremia 22, 15 f.) eine große soziale Initiative verbunden war. Die Tempelrede Jeremias (7, 1-15; 26, 1-6) wird in der Stunde der Krise dieses Werkes gesprochen: Josia, dessen Traum einer Erneuerung des davidischen Reiches mit dieser Befreiung von allen fremdländischen Kultbestandteilen zusammenhängt, fällt im Zusammentreffen mit dem Pharao, dieser entthront seinen Sohn nach kurzer Regierung und setzt einen andern Sohn ein; die kurze Spanne genügt zwar kaum, um schon die Kultreform aufzuheben (7, 6b und 9b sind nicht so zu verstehen), wohl aber, um der sozialen Ausbeutung wieder, unter königlicher Führung, freien Lauf zu lassen und damit der Reform ihren Sinn, die Erfüllung des Gotteswillens für Volksordnung und Tempelordnung in einem, die Einheit eines »heiligen« Gemeinschaftslebens also, zu rauben. Um die Intention der jeremianischen Rede zu erfassen, ist es notwendig, sich die Grundlage der Reform in diesem ihrem Charakter zu vergegenwärtigen. Die Grundlage ist durch die Auffindung eines Buches (II Könige 22, 8 ff.) geliefert worden, das man als identisch mit dem Deuteronomium in dessen Kernbestand ansehen darf. Dieses Buch enthielt, zu-

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sammen mit predigerischen Ausgestaltungen mündlicher Sonderüberlieferung von Mose-Logia oder Mose-Hadith 165 , Gesetze und anderes Traditionsgut aus mehreren Epochen von der ältesten an, in einer Bearbeitung und Redaktion, die gewiß nicht aus der Zeit Josias, sondern aus der – sammlerisch offenbar sehr tätigen – Hiskias stammte; ihre Urheber sind wohl in einem Kreis jüngerer Priester und Kultpropheten zu suchen, die den Geist der nach Jerusalem gekommenen Fragmente Hoseas in sich aufgenommen hatten, aber auch mit der jesajanischen Schule in Verbindung standen. Ihre Absicht ging anscheinend darauf aus, für die »hiskianische« Reform, die dann nicht über den ersten Schritt hinauskam, aus überliefertem Stoff (alle Reform will ja zu gereinigter Ueberlieferung hinführen) das Programm, ihre sich an das Volk wendende Darstellung zu schaffen; unter Hiskias Sohn Manasse, der an Gestirndienst und Zauberwesen alles Erreichbare um sich versammelte, wurde das Buch wohl, um der Vernichtung zu entgehen, dem Versteck übergeben, aus dem es unter Josia hervorgeholt wurde. So erklären sich Wesen und Wirkung des Buches, in dem eine organisch gewachsene Gesetzüberlieferung, der Geist der ersten Schriftpropheten, eine priesterliche Organisationstendenz und ein an großen Beispielen geschulter Predigtstil zu einem einzigartigen Ganzen verschmolzen. Man darf von diesem Buche sagen, daß es darauf angelegt ist, den Sturzbach der prophetischen Botschaft in ein geregeltes Bett zu leiten: es soll einerseits die Realisierung der sozialen Forderungen innerhalb des »politisch Möglichen« eingeleitet, anderseits soll der vom Kampf der Propheten gegen den Kult (wiewohl nur den entarteten) bedroht erscheinende sakrale Bereich zugleich geläutert und gesichert werden. Das geistige Prinzip, von dem dieser großgesinnte Versuch einer praktischen Synthese getragen ist, wird erkennbar, wenn wir nicht, wie es gewöhnlich geschieht, die deuteronomischen Gesetze isoliert betrachten, sondern im Zusammenhang mit dem Kernbestand der Predigt, den wir aus dem unter Josia aufgefundenen Buch nicht wegdenken dürfen. Dieses Prinzip will die authentische Interpretation der uralten Formel »JHWH der Gott Israels« liefern. Es ist aus zwei wesentlichen Quellen zusammengeflossen; die eine ist die hoseanische Konzeption der Erwählung Israels durch die Liebe JHWHs und der Erwartung JHWHs, von Israel geliebt zu werden, die andere ist der Adlerspruch (Exodus 19, 4-6a), aus dem zwei Grundbegriffe des Erwählungsziels, Israel als »Sonderschatz« des Gottes inmitten der ihm angehörenden Welt und Israel als »heiliges Volk«, übernommen werden (in unserem Deuteronomium finden wir sie 7, 6; 14, 2 und 165. Vgl. Albright, The Archaeology of Palestine 156 f.

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26, 18 f.), wogegen der dritte, Israel als Königsbereich von Priestern, nicht übernommen werden kann, weil hier eben unter »Priestern« nichts anderes als »unmittelbare Diener«, im Deuteronomium aber naturgemäß der sakrale Stand der Tempelbeamten verstanden wird. Die Führung hat die Liebesanschauung. Aus Liebe hat JHWH Israel erwählt (4, 37; 7, 7 f.; 10, 15); was er von Israel erwartet, ist, daß es ihn »mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele« liebe (6, 5; 11, 13; 13, 4). Das Wort der Frühzeit von denen, die JHWH lieben, wie es vom Dekalog zum Siegeslied der Debora widerhallt, hat sich hier unter dem Einfluß hoseanischer Botschaft zu einem umfassenden Ausdruck göttlichen Verlangens entfaltet. Die geschenkte Liebe des Gottes und die erwartete Liebe der Menschen erscheinen in nachdrücklicher Entsprechung und Gegenseitigkeit, wobei einmal mit Oben (7, 8 f.), das anderemal mit Unten (10, 12, 15) begonnen wird. Alles, was JHWH sonst von Israel erheischt, ergibt sich aus diesem einen: weil man ihn liebt, hangt man ihm an (10, 20; 11, 22; 13, 5), folgt ihm auf seinen Wegen nach (10, 12; 11, 22; 13, 5; 19, 9), hört auf ihn (13, 5), achtet seines Gebots (10, 13; 11, 1; 13, 5), dient ihm (10, 12, 20; 13, 5); ja, auch fürchten soll man ihn, deshalb, weil man ihn liebt (10,12, 20; 13,5) – es ist kein Sichfürchten vor ihm, der so furchtbar ist, es ist eine Liebesfurcht. Weil man ihn mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele liebt, tut man, was man für ihn tut, mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele (26, 16). Auch die »Nächstenliebe« fließt aus der Liebe zu Gott. In der alten Gesetzesfassung wurde das Gebot, den fremdstämmigen Landesinsassen, den »Ger«, nicht zu bedrücken, von der Mahnung begleitet und dem Gefühl der Hörer nahgebracht: »Ihr seid ja Gastsassen im Land Aegypten gewesen« (Exodus 22, 20), oder noch deutlicher: »Ihr kennt ja die Seele des Gastsassen, denn ihr seid Gastsassen im Land Aegypten gewesen« (23, 9), das heißt: ihr wißt aus eurer eignen Erfahrung, wie es dem Ger zumute ist, so machet denn, da ihr jetzt obenauf seid, ihn nicht leiden, wie ihr gelitten habt! Dieselbe Begründung finden wir in einer späteren Gesetzesfassung (Leviticus 19, 33 f.) auch für das Gebot, dem Ger Liebe zu erweisen. In der deuteronomischen Fassung aber wird gesagt (Deuteronomium 10, 18 f.), JHWH selber liebe den Ger, und so solle auch Israel ihn lieben, »denn Gerim seid ihr im Lande Aegypten gewesen«; der Satz hat einen neuen Klang und Sinn bekommen: in Aegypten habt ihr verspürt, was es heißt, als entrechteter Gastsasse nach der befreienden Liebe Gottes zu begehren, aber auch, was es heißt, ihrer teilhaft zu werden (V. 21 f.), als Gerim hat euch Gott seine Liebe geschenkt, so liebet denn, weil ihr ihn liebt, den von ihm geliebten Ger, dem er »Brot und Gewand gibt« (man vergleiche, was der Gastsasse Jakob Genesis 28, 20 sagt)!

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Das ist die Grundlage, die die Bearbeiterschaft aus überlieferter Substanz unter die – eng mit Verordnungen der sozialen Gerechtigkeit verknüpften – kultischen Gesetze, Bestimmungen für die Reinheit und Einheitlichkeit des Kults, errichtet hat, welche von ihr kodifiziert worden sind. Nicht alle angeführten Sprüche mögen schon in dem Buche gestanden haben, das unter Josia aufgefunden und das oder aus dem ihm vorgelesen worden ist (II Könige 22, 10; II Chronik 34, 18); aber es war jedenfalls nicht eine Gesetzessammlung mit einem Anhang von Segen und Fluch allein, deren Anhören ihn so ergriff, daß er seine Kleider zerriß und »vor JHWH weinte« (II Könige 22, 11, 19), es war gewiß auch diese große Predigt dabei, die Israel sagt, daß sein Gott es liebt und daß all sein Wort – Gesetz, Segen und Fluch – aus seiner Liebe kommt, und hinwieder auch, daß er nichts verlangt als Liebe und Aeußerung der Liebe in der Führung des Lebens. Zwar weiß die befragte Prophetin nur kultische Vergehen zu rügen (V. 17), zwar berichtet der Geschichtsschreiber nur über kultische Reform (23, 4-24) – beide offenbar von der Priesterschaft beeinflußt –, aber der Bund, von dessen Neustiftung durch Josia für »das ganze Volk« »vor JHWH« erzählt wird (V. 3), umfaßt alle »die Worte dieses Bundes, die in diesem Buch geschrieben sind«, und der Erzähler betont in deuteronomischer Sprache, daß diese Bundeserneuerung, diese Umkehr zu JHWH »mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele« geschieht und »die ganze Thora Moses« umfaßt (V. 25). Es ist nicht Furcht, sondern Liebesfurcht, was den jungen König bewegt, und es ist nicht ein Werk der Kultreform allein, sondern eins der Wiederbringung heiliger Volksordnung, das er unternimmt. Mit Recht ist das Buch als »der Abschluß einer sozialrevolutionären Bewegung« bezeichnet worden 166 , die »eine Staatsreform unter Einbeziehung des Staatskults beabsichtigt«; aber diese Reform ist eben wirklich als Wiederherstellung gemeint. Stärker als alles andere zeugt dafür jener Nachspruch Jeremias (Jeremia 22, 15 f.), wo er mitten in einer gewaltigen Weherede gegen Josias unwürdigen ausbeuterischen Sohn, dem er ansagt, er würde wie ein Esel begraben werden, des Vaters gedenkt, der »Gerechtigkeit und Bewährung übte« und »der Sache des Armen und Dürftigen ein Sachwalter war«. Dies, so sagt JHWH in Jeremias Nachspruch, »ist jenes Micherkennen« – jenes Erkennen JHWHs nämlich, das Hosea als den innersten Gehalt des Glaubensverhältnisses verkündigte: wer dem leidenden Geschöpf beisteht, tritt in jenen intimen Kontakt mit dem Schöpfer, der hier »JHWH erkennen« heißt. Den höchsten Begriff der Lehre seines Meisters sieht Jeremia im Leben des Königs verwirklicht. 166. Galling. Die Erwählungstraditionen Israels (1928) 82.

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Bei Josia hat sich, zum Unterschied von Hiskias Lauheit, wirkliche Erschütterung und Wandlung vollzogen. Er hat schon früh, im Zusammenhang mit seinen Restaurationsplänen, Kult und Kultur von den assyrischen Einflüssen freizumachen unternommen 167 ; nun beseitigt er auch alles Kanaanäische und dringt zur ursprünglichen Reinheit vor, und das bedeutet für ihn offenbar nicht bloß die des Tempels, sondern auch die der Gemeinschaftsordnung – der Ordnung einer Gemeinschaft, deren Bereich er zum Umfang des ursprünglichen, großisraelitischen Reiches zu erweitern strebt. Inmitten seiner erfolgreichen Arbeiten und Kämpfe um das neue Reich wagt er es, in die Weltpolitik der Mächte einzugreifen, um die errungene Freiheit gegen Aegypten, das dem stürzenden Assyrien zu Hilfe kommt, zu verteidigen, tritt bei Megiddo dem Pharao entgegen und erleidet den Tod. Mit ihm fallen Werk und Plan der Erneuerung. Juda hat ihn um keine zwei Jahrzehnte überlebt. Jeremia entstammt einem landpriesterlichen Geschlecht, von dem man vermuten darf, daß es seine Herkunft von Ebjathar, dem von Salomo aus Jerusalem verwiesenen Eliden, ableitete und somit mit seiner Familientradition in besonderer Weise an die Erinnerung jener ersten großen Katastrophe, der Erbeutung der heiligen Lade und der Zerstörung des Laden-Heiligtums zu Silo durch die Philister, gebunden war. Wenn das zutrifft, so steht Jeremia dieser Tradition völlig unabhängig gegenüber: wie Samuel, dem er (15, 1) den Platz neben Mose zuweist, so sieht er (7, 12) in jener Katastrophe die Tat JHWHs selber; er hatte in Silo »seinen Namen [das heißt seine irdische Gegenwärtigkeit, sein ›Dabeisein‹, das im Tetragrammaton ausgesprochen ist] einwohnen lassen«, der Name ist durch die Mißbräuche der Priesterschaft entweiht worden, so hat er ihn der Stätte entzogen und sie der Vernichtung preisgegeben. Mose und Samuel erscheinen Jeremia als die Glaubensvertreter der Frühzeit des Volkes: prophetische Menschen, große Fürbitter, die aber zugleich die Leitung des Kults innehaben. Er, der Priester, der in der Berufung, wie aus all seinen angestammten Bindungen, so auch aus dieser gerissen worden ist, spricht dem freien Propheten die unbedingte Führung des religiösen Volkslebens zu. Nicht den Priester, sondern den Propheten sieht er als den Mittler zwischen Himmel und Erde, Gottesbote und Fürbitter zugleich. Der Umgang zwischen Gottheit und Menschheit ist für ihn nicht vom Ritus, sondern vom Wort getragen. Der Ritus ist Menschenhandlung und wird je nach der Gesinnung der handelnden Menschen von Gott empfangen oder verworfen; aber das Wort kommt immer wieder neu vom Himmel und wird dem Menschen eingegeben. 167. Vgl. Procksch, König Josia (Festgabe für Th. v. Zahn, 1928) 25 ff.

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Wohl haben auch die Priester (und mit ihnen die dem Tempel oder dem Hof angeschlossenen professionellen Propheten) ein Amt: das Wort zu verwalten; aber das ist teils das Wortgut und Liedgut der Tradition, über dessen unveränderter Bewahrung sie wachen, teils der Orakelspruch, den sie den Auskunftsuchenden erteilen, teils endlich Psalmdichtung und Predigt – letztere, wie wir sie aus dem Deuteronomium und den »deuteronomischen« Bestandteilen anderer biblischen Bücher kennen, im wesentlichen wohl eine Sache der Tempelpropheten. Aber das Gotteswort, als dessen Träger Jeremia sich und den echten unbeamteten Propheten überhaupt weiß, ist von ganz anderer Art: es bricht immer wieder in diese ganze Ordnung der Wortwelt ein und durchbricht sie. Jenes ist dem Ritus zugesellt, ist Ritus in der Form der Sprache; es aber, das Gotteswort, das plötzlich, vom Menschen nicht erwartet und nicht gewollt, in eine menschliche Situation niederfährt, ist frei und neu wie der Blitz. Auch der Mensch, der es zu künden hat, wird von ihm immer wieder bezwungen, ehe er es sich »in den Mund legen« läßt (1, 9; 20, 7). Das ist nicht die Aeußerung eines geläufigen Gottes, mit dem man an vorbestimmten Orten und zu vorbestimmten Zeiten geregelten Umgang pflegt; ein Unerfaßbarer, Regelwidriger, Ueberraschender, Ueberwältigender, Selbstherrlicher ist es, der spricht. Darum ist es an diesem Wort, und nur an ihm, zu führen, das heißt: den Weg zu weisen. Zu dem und durch den das Wort gesprochen wird, der ist im eminenten Sinn Person: ehe es durch ihn gesprochen wird, in der Menschensprache, wird es zu ihm gesprochen in einer andern Sprache, aus der er es in jene zu übertragen hat – zu ihm gesprochen wird es von Person zu Person. Um zum Menschen reden zu können, muß Gott Person werden; aber um zu ihm reden zu können, muß er ihn auch zur wirklichen Person machen. Diese menschliche Person nimmt das Wort nicht bloß auf, sie antwortet auch darauf, wehklagend, anklagend, Gott selber anklagend (15, 18), um die Gerechtigkeit mit ihm rechtend (12, 1), sich beugend, betend. Unter allen Propheten Israels hat nur Jeremia dieses verwegene und fromme Lebensgespräch des unbedingt Unterlegenen mit dem unbedingt Ueberlegenen aufzuzeichnen gewagt – so sehr ist der Mensch hier Person geworden. Alles Glaubensverhältnis Israels ist dialogisch; hier ist der Dialog zu seiner reinen Gestalt gediehen. Der Mensch kann reden, er darf reden; wenn er nur wirklich zu Gott redet, gibt es nichts, was er ihm nicht sagen darf. Weil der angesprochene Mensch Person im eminenten Sinn ist, vollzieht sich nicht bloß, wie das göttliche »Bilden« des Urmenschen aus dem Erdstaub, so das göttliche »Bilden« der einzelnen Person »im Mutterleib« (1, 5), sondern diesem Bilden geht ein »Erkennen«, ein anfäng-

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licher Kontakt des Schöpfers mit dem erschaffenen Individuum als solchem voraus, und dem Bilden folgt, im Mutterleib noch, ein »Heiligen« für den Beruf, zu dem diese Person berufen werden soll. In der Berufung wird dem »Jüngling« (V. 6) kundgetan, was es ist, wozu er berufen wird: er wird als Nabi »für die Völkerwelt« eingesetzt. Man erkennt heute wieder 168, daß die Reden wider die Völker, die sogenannten Heidenorakel, die in den Kapiteln 46-51 des Jeremiabuches enthalten sind, großenteils echt sind und aus der Frühzeit des Propheten stammen. Aber der Spruch »als Künder der Völkerwelt habe ich dich gegeben« läßt sich in seiner Bedeutung doch nicht umschreiben durch: »ich heiße dich an die einzelnen Völker in meinem Namen reden«, sondern er bedeutet: ich betraue dich, meinen Willen für diese Stunde der Völkergeschichte kundzutun. Er kann es aber nur bedeuten, wenn und weil dies eine besondere Stunde in der Geschichte der Völkerwelt ist. Und das ist sie in der Tat, die Stunde, in der es mit Assyrien und mit der Uebermacht Aegyptens zu Ende geht. Amos, der in der Zeit der Größe beider Reiche und ihres stärksten Wettkampfes lebt, hat nur einzelne Völker zur Rechenschaft zu ziehen und hat zu verkünden, daß die Augen JHWHs auf das einzelne sündige Gemeinwesen gerichtet sind, es zu vernichten; Jesaja sagt Assyrien und Aegypten, den Uebermütigen, den Niedergang an; ein ereignisschweres Jahrhundert danach empfängt Jeremia, vor die beginnende Erschütterung der großen altorientalischen Machtgebilde gestellt, den Auftrag, alles Einzelne in einem zu sehen und die Weltstunde als ein Handeln Gottes in der Geschichte, Gericht und Erneuerung, zu deuten. Bestellt ist er (1, 10) »an diesem Tag über die Völker, über die Reiche, auf das Ausreuten und Einreißen hin, auf das Bauen und Pflanzen hin«. Nicht daß er die einzelnen göttlichen Urteile für Völkertod und Völkerverjüngung ausspreche, ist ihm aufgetragen, sondern daß er auf das, was an dem geschichtlichen Tage geschieht, als auf das Walten Gottes, auf das Einreißen und Neubauen des Weltbaumeisters, auf das Ausreuten und Neupflanzen des Weltgärtners hinzeige. Gott läßt seine Tat als solche vom Propheten in die Chronik des Geistes eintragen. Daß er »bestellt« ist, »um auszureuten«, bedeutet, er habe von dem Ausreuten zu sagen, daß es Ausreuten ist. Er hat zu sagen, was Gott tut. Diesen Kern seiner Weissagung wandelt Jeremia immer neu ab, aber nicht in den Reden an die Völker, sondern in denen an sein eigenes Volk; denn in der Erschütterung der großen Machtgebilde bereitet sich für Juda der Untergang, und diesen anzusagen ist die eigentliche Botschaft die168. Vgl. Bardtke, Jeremia, der Fremdvölkerprophet, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N F XII (1935), XIII (1936).

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ses letzten Propheten des vorexilischen Jerusalem. Im Haus des Töpfers sieht er zu, wie an dessen Doppelscheibe aus Ton Gefäße und aus mißratnen Gefäßen wieder Ton wird, neu daraus zu bilden, und hört Gottes Wort (18, 6), Israel sei in seiner Hand wie der Ton in der des Töpfers: dem mißratenden menschlichen Ton wird die Schuld am Mißraten zugeschrieben. Ausreuten und Einreißen plant Gott über ein abtrünniges Volk und Reich, aber kehrt es zu ihm um, läßt er sich des Uebels geleiden; und so läßt er sich, wenn ein Volk und Reich sich zum Bösen wendet, des Aufbauens und Einpflanzens geleiden, das er mit ihm vorhatte (V. 7-10). Deutlich erscheint hier noch einmal die prophetische Alternative. Freilich, Israel achtet auf Gottes »Planungen« nicht und geht seinen eigenen Planungen nach (V. 11 f.) – ins Verderben. Aber noch viele Jahre danach, nachdem schon mit der Deportation gewichtiger Volksteile durch Nebukadnezar das Verhängnis begonnen hatte, läßt Jeremia im Feigengleichnis Gott den Verschleppten ansagen (24, 6), er wolle sie heimkehren lassen und dann aufbauen und nicht wieder einreißen, einpflanzen und nicht wieder ausreuten. Und wieder später, als die in Palästina Verbliebenen nach Aegypten auswandern wollen, verheißt das Gotteswort ihnen (42, 10) das gleiche im gleichen Bild, wenn sie seßhaft bleiben. Diesem versagt sich das Volk; jenes liegt noch in der Ferne. Nur Einreißen und Ausreuten ist in dieser Weltstunde Gottes Werk an Israel, wie es vorerst noch sein Werk an der Völkerwelt ist. Das wird in der letzten dieser einander ergänzenden Kundgebungen über den Sinn der Stunde (45) in einer Weise ausgesprochen, die in der Tat etwas Letztes, Unüberbietbares darstellt. Es ist ein Gotteswort an Baruch, den treuen Schüler und Schreiber Jeremias; es ist einer früheren Zeit zugeschrieben, doch hat Baruch es jedenfalls mit Recht an den Schluß seines Buches gesetzt. Er hatte im Fortgang der Ereignisse geklagt, daß JHWH ihm auf seinen Schmerz, statt ihn zu lindern, nur immer neuen Gram häufe und ihn nicht Ruhe finden lasse; nun sendet ihm Gott die Antwort: »Da, was ich erbaut habe, ich bin dran, es einzureißen, was ich gepflanzt habe, ich bin dran, es auszureuten, und es gilt die ganze Erde – und du, du möchtest dir Großes begehren?!« Das »Große«, danach der leidende Mensch verlangt, die kummerlose »Ruhe«, es ist auch bei Gott selber nicht in der Stunde, da er, in der Geschichte handelnd, dran geht, sein eignes Werk zu zerstören: er leidet an seinem Tun. Nicht mehr wie einst bei Jesaja (Jesaja 18, 4) sieht er still und zuwartend hinab »wie Taugewölk in der Ernteglut«; er steht an der Töpferscheibe und drückt das mißratne Gefäß zum Tonklumpen zusammen – aber er fühlt mit diesem widerstrebenden Menschenton, der an der Radscheibe der Weltgeschichte Gestalt annimmt und sie durch eigne Schuld wieder verliert.

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Bei Hosea sahen wir ihn zuerst, den Gott, der zugleich eifert und leidet, an seiner verratenen Liebe, um die er eifert, leidet. Hier, bei Hoseas nachgeborenem Jünger, spricht derselbe Gott zu uns. Wohl mag er nun, nachdem er es Mal um Mal vergeblich getan hat, nicht mehr »es sich geleiden lassen« (15, 6), da er sieht, wie das Volk seine unreine Art ebensowenig mehr wandelt wie der Panther sein Streifenfell (13, 23); aber mitten im Strafgericht, als er »hört«, wie die längst verbannten Söhne des Nordreichs in der Fremde bereuen und umkehren, geschieht’s ihm wieder wie in Hoseas Worten (Hosea 11, 8): sein Inneres »tobt« seinem »Erstgeborenen«, Ephraim, zu (Jeremia 31, 9, 20). Aber auch über Jerusalem selbst klagt er mitten im Strafgericht (12, 7): »Ich habe mein Haus verlassen, ich habe mein Eigentum verstoßen, die Freundschaft meiner Seele habe ich in die Hand ihrer Feinde gegeben.« Noch ist der Tempel nicht zerstört, aber JHWH hat ihn, nachdem er ihm in der Tempelrede Jeremias die Zerstörung angesagt hatte und das Volk auch da nicht umgekehrt ist, »verlassen«: sein schirmender Kabod ist nicht mehr darin. Von hier aus, von diesem Tun und Leiden Gottes aus ist die Tempelrede zu verstehen. Die josianische Reform bedeutet nicht bloß Reinigung des Kults, äußere (durch Beseitigung aller fremden Gegenstände und Riten) und innere (durch praktischen Hinweis auf die Unerläßlichkeit der Intention: kein wahrer Gottesdienst, wo nicht Gerechtigkeit ist), sondern auch seine Zentralisation im Tempel zu Jerusalem. Es mag sein, daß die strengste Fassung dieser Forderung (Deuteronomium 12, 4-12) nicht der hiskianischen Redaktion des Buches angehörte, sondern später eingeschaltet worden ist. Vielleicht gehört sie zu den Stellen, gegen die sich der Protest Jeremias gegen den »Lügengriffel der Schreiber« (Jeremia 8, 8) wendet: es ist anzunehmen, daß in dem Priesterhaus zu Anathoth der Inhalt jener Sammlung von »Reden Mose«, die unter Manasse nicht schriftlich verbreitet werden konnte, in mündlicher Ueberlieferung bewahrt wurde. Wenn dem so ist, dann kann recht wohl das nachdrückliche Eintreten des Propheten für »die Worte dieses Bundes« (11, 2) sich auf das Deuteronomium, nämlich auf einen zunächst, durch öffentliche Vorlesung, im Volk bekanntgewordenen Auszug beziehen, wogegen später verbreitete Teile, die von den Sonderansichten und Sonderinteressen der jerusalemischen Priesterschaft eingegeben erschienen, seinen Widerspruch herausforderten. Wir können in diesen Punkten nicht über Vermutungen hinauskommen; aber schon das vieljährige Schweigen Jeremias in der Zeit zwischen der Reform und Josias Tod läßt sich am besten verstehen, wenn er dem Werk des Königs zwar nicht entgegentreten wollte, aber

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auch nicht mehr beipflichten durfte. Daß die strenge Kultzentralisation, die mit den synkretistischen auch die reingebliebenen kleinen Heiligtümer traf, seinem Glaubenssinn widerstrebte, ist mehr als wahrscheinlich. Man führt für ihren religiösen Wert an, daß die vielen lokalen Kultstätten der Konzeption der Einheit JHWHs, wie sie am stärksten in dem Einheitsbekenntnis des Deuteronomiums (6, 4) zum Ausdruck komme, entgegenwirkten, denn der Gedanke einer Allgegenwart der Gottheit sei »für die alte Zeit noch unvollziehbar«169 . Aber einen Gott, der, von urher an keinen Ort gebunden, erst vor seinen wandernden Getreuen einherfährt, dann im Sturm herbeieilt, um den seßhaft Gewordenen beizustehn, sich als einen vorzustellen, der sich jedem ihm an geweihter Stätte Nahenden zuzuwenden vermag, ist nicht Ergebnis so später Entwicklung, wie man annimmt. Dagegen nimmt die unbedingte Zentralisierung dem religiösen Volksleben viel von seiner schlichten Kontinuität und damit von seiner Natürlichkeit: bisher war Mahl und Opfer verbunden, jetzt werden sie getrennt, bisher war überall heilige Erde, jetzt nicht mehr. Leute vom Land, wie Micha und Jeremia, haben die Gefahr der Uebermacht eines Tempels verspürt, die dem Jerusalemer Patriziersohn Jesaja verborgen blieb. Jesaja kennt nur die heilige Scheu, die seine eigne Seele an dem von JHWH erwählten Orte füllt, jene aber merken auch den falschen Stolz und die falsche Sicherheit, zu denen die Vorstellung des Weltmittelpunkts verführt. Wohl liebt auch Jeremia die Wallfahrt des Volkes zum heiligen Berg und sagt an (31, 5), wie einst auch im wiederbevölkerten Nordreich die Wächter von den Bergen den Ruf ausgeben werden: »Macht euch auf, ziehen wir zum Zion hinan, zu JHWH, unserem Gott!« Aber allem Neubeginn muß der Zusammenbruch mitsamt der großen Leidenszeit vorausgehn, in der sich der Glaube so erneut, daß auch die stärkste Zentralisierung ihm nicht mehr Abbruch zu tun, sondern ihm nur noch das seiner würdigste Sinnbild zu geben vermag. Daß die falsche Sicherheit der Erzfeind des Glaubens ist, das tritt Jeremia als die Problematik der Reform entgegen: falsche Sicherheit, weil man den Tempel hat, aber falsche Sicherheit auch, weil man das Buch hat. »Wie doch«, ruft er die falschen geistigen Führer des Volkes an (8, 8), »mögt ihr sprechen: ›Weise sind wir, JHWHs Thora ist bei uns!‹« Sie haben das Buch, aber das Wort JHWHs, das lebendige, ewig neue, unvorhergesehene, unvorhersehbare, das prophetische Wort verschmähen sie, und ohne das aufrührende Leben des Wortes lebt auch das Buch nicht – »was für eine Weisheit könnten sie haben!« (V. 9.) Der Prophet erkennt aber auch, daß sie sich aus dem Deuteronomium selbst, indem 169. Westphal, Jahwes Wohnstätten (1908) 114.

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sie seinen Versuch einer Synthese als Kompromiß lesen, die Nahrung für solche Sicherheit holen. Das Buch will in seinem Bestande, dem nichts hinzugefügt und nichts abgestrichen werden darf (Deuteronomium 4, 2; 13, 1), ewig gelten; auf ewig ist in ihm das Offenbarte niedergelegt, Israel übergeben und angehörig, wogegen das andere, das Verborgene, JHWH angehörig bleibt (29, 28). Gegen solche saubere Scheidung steht die Tatsache des Wortes Gottes selbst, des neu gesprochenen, des geschehenden Wortes, des »Feuers«, des »Hammers, der Felsen zerspellt« (Jeremia 23, 29 vgl. 5, 14); die Erfahrung des faktischen Redens Gottes zu den Menschen steht dagegen, das immer wieder Verborgenes offenbar macht. Zentralisation und Kodifikation, im Interesse des Religionsbestandes unternommen, sind nur bei stärkstem, sich in allem Dasein der Gemeinschaft realisierendem Glaubensleben, das in seiner erneuernden Funktion nicht erlahmt, keine Gefahr für den Kern der Religion. Zum Metallprüfer an der großen Volksschmelze weiß sich Jeremia bestellt 170 ; er empfängt nicht bloß Auftrag und Botschaft wie alle echten Nebiim, er soll auch selber erforschen, wie es um das Volk steht. Da betrachtet er nun, wie der Blasbalg des Reformwerkes »keucht« (6, 29); aber auch dem stärksten Brande gelingt es nur, das Blei wegzuschmelzen, nicht aber, das Metall zu entschlacken. Der Prüfer weist JHWH das Ergebnis vor, und der verwirft das unbrauchbare Silbererz – »verworfenes Silber« wird es fortan genannt (V. 30). Der tragische König und seine Helfer vermögen nicht, das Volk zu läutern. Von den drei Absichten der Reform mißglückt offenbar die grundlegende, die soziale: die Herren lassen sich nicht anfechten, und Josias Sohn und Nachfolger wird der Schlimmste unter ihnen; das zweite Moment, die Reinigung des Kults, hält nur so lange vor, als Josia lebt, nach seinem Tode kehrt bald das wüste Göttergemisch wieder; nur das dritte, die Tempel-Zentralisierung, bleibt – nichts als Tempelsicherheit ist durch die priesterliche Aktion in den Herzen erzeugt worden. Dem Tempel gilt der Urteilsspruch, mit dem nun JHWH seinen »Prüfer« ins Tempeltor entsendet. Nur wenige Monate sind seit der Schlacht bei Megiddo verstrichen. Diese Monate bedeuten einen grundwichtigen Einschnitt in der Religionsgeschichte Israels. Die Frage nach dem Warum legt sich lastend auf alle Herzen. Warum ist der König, der ungleich seinen Vorgängern in allem 170. 6, 27; der Vers ist auf einem Wortspiel aufgebaut: erst ist der Prophet als bachun oder bachan, als Warte, als Bollwerk (vgl. 1, 18 und 15, 20) wider das Volk gesetzt, nun aber soll er als bachon, als Erzprüfer, tätig sein.

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JHWHs Willen tat, in der Blüte seines Lebens und seiner nach Verwirklichung des Gotteswortes strebenden Pläne hinweggerafft worden, als er, auf das Gotteswort (Deuteronomium 20, 1) vertrauend, unerschrocken der fremden Uebermacht gegenübertrat, warum ist das Land, das unter dem Götzendiener Manasse wieder selbständig und mächtig geworden war, jetzt von neuem unter fremde Oberhoheit geraten? Die Frage dringt in die innerste Glaubenstiefe. Als der gerechte Gott ist JHWH von den Propheten verkündigt worden. Die Frage wird zu der nach der Gerechtigkeit der Weltführung. Jeremia selbst wird anscheinend von ihr ergriffen; denn in dieser Zeit ist wohl die stille Frage an Gott erwacht, die er später im Zusammenhang seiner persönlichen Erlebnisse (Biographie und Geschichte mischen sich, wie wir noch sehen werden, bei diesem Propheten) jenem seltsamsten aller Tagebücher anvertraut (12, 1): »Weshalb glückt der Weg der Frevler?« Die Geläufigkeit der Lehre von Lohn und Strafe im Leben des Einzelnen und in dem des Volkes ist erschüttert. Man kann diesen Gott nicht mehr formulieren. Was Jesaja und Micha als die Signatur der kommenden Zeit erkannten (Jesaja 8, 17; Micha 3, 4), was das Deuteronomium (31, 17 f.) mit dem stärksten Ausdruck für den Tag des Zorns ansagte, ist nun geschehen: JHWH »verbirgt sein Angesicht«, er ist zum Rätsel geworden. Und eben dies besagt die Gottesantwort, die Jeremia schon damals angeweht haben mag und die er später, auf Persönliches bezogen, im Tagebuch verzeichnet (12, 5): »Mit Fußgängern ja erst bist du gelaufen, und sie schon haben dich erschöpft, wie wirst du wetteifern mit Rossen?« Wie das Leben, so soll die Geschichte in noch tieferes Leid und Geheimnis führen. Der Prophet sieht seinem prophetischen Einblick die Schranke gezogen. Eins ist ihm freilich klarer als je: die Reform, die keine Reformation des Volkslebens gewesen ist, bedeutet nichts in Gottes Augen. Das Volk aber weiß davon nichts; es beschwichtigt die Angst seines Herzens vor dem Verhängnis mit dem Besitz des unzerstörbaren Heiligtums; es rennt in den Tempel und ruft (7, 10): »Wir sind gerettet!« Wie der Verfolgte asylsuchend »die Hörner des Altars anfaßt« (I Könige 1, 50 f.; 2, 28), so klammern sie sich an die trügerische Kunde von der Unverletzlichkeit des Gotteshauses und der Gottesstadt: »JHWHs Tempel, JHWHs Tempel, JHWHs Tempel ist das!« (Jeremia 7, 4.) Zum Kampf gegen diese Illusion fühlt sich Jeremia nun ins Tempeltor entsandt. Was er hier sagt, ist einfach dies, daß es seinem Gott nicht um »Religion« zu tun ist. Die andern Götter brauchen ein Haus, einen Altar, einen Opferdienst, weil sie ohne dies nicht sind, weil sie nur daraus bestehen, was die Irdischen ihnen geben; der »lebendige Gott und ewige König« (10, 10; ein nachjeremianisches Wort, aber in seinem Sinn) braucht

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nichts von alledem, weil er ist. Er will keine Religion, er will ein Menschenvolk: Menschen mit Menschen lebend, die Entscheidungsmächtigen den Gerechtigkeitsbedürftigen ihr Recht verschaffend, die Starken die Schwachen schonend (7, 5 f.), Menschen mit Menschen Gemeinschaft haltend. Er verwirft dieses Volk hier, die Leute, die »in diese Tore kommen, um sich vor JHWH zu bücken« (V. 2), er verwirft sie, weil sie durch das Unrecht, das sie einander antun, die Volksordnung Gottes vereiteln und seinen Namen, als des Herrn Israels, entweihen, und so verwirft er auch das entheiligte Heiligtum selber (v. 11): »Ist dieses Haus, über dem mein Name gerufen ist, in euren Augen eine Räuberhöhle geworden?! Wohl, auch ich selber habe gesehen [daß es das ist].« Ein Tempel, in dem räuberische Menschen sich der Sicherung gegen den äußeren Feind erfreuen, die er ihnen gewährt, ist eine Räuberhöhle und nichts anderes mehr. »Stehlen, morden, buhlen, Lug beschwören …, andern Göttern nachgehn« (V. 9) – es ist der Dekalog, den Jeremia dem Volke als das Gesetz entgegenhält, das sie täglich übertreten; nur daß hier, anders als dort, die Sünden wider die Religion am Schluß stehen (ebenso wie V. 6), weil ja eben dies kundzutun gilt, daß Gott etwas anderes fordert als Religion. Aus einer Menschengemeinschaft will er sich sein Reich machen; Gemeinschaft muß sein, damit sein Reich werde; darum geht ihm hier, wo er ein Volk anklagt, daß es nicht zur Gemeinschaft wurde, der Anspruch des Menschen an den Menschen dem seinen voraus. Den »Lügenworten« der falschen Sicherheit (V. 4 und 8) – wir müssen an jenen »Lügengriffel« der Schreiber (8, 8) denken – setzt der Prophet das Zehnwort entgegen. Es ist, als langte er, der im Tor des Tempels steht, in dessen innersten Raum und holte aus der Lade die Tafeln, um sie, ihre Reihenfolge vertauschend, dem Volke entgegenzuhalten. Gegen die selbstsichere und geistverlassene Kulturreligion steht hier unverkennbar die uralte Gottesweisung der Wanderstämme. Aus einer späteren Zeit, unmittelbar nachdem die Weissagung erfüllt und mit Jerusalem der Tempel zerstört ward, ist uns ein Spruch überliefert (3, 16 f.), der wahrscheinlich von Jeremia selbst, sonst gewiß aber aus seiner Schule stammt und in dem es von der Lade heißt, einst, in den Tagen der Wiederkehr, werde ihrer nicht mehr gedacht werden, sie werde nicht vermißt werden und man würde nicht daran denken, eine neue zu zimmern. Die Lade hatte eine doppelte Funktion, gleichviel warum und wie beide verschmolzen sind: sie birgt die Gesetzestafeln, und sie trägt den Thronsitz JHWHs. In jenen kommenden Tagen, so sagt der Spruch (V. 17), wird es keines Sonderthrons mehr bedürfen, denn das ganze geheiligte Jerusalem, dahin sich, nach dieser Weissagung wie nach der jesa-

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janischen, die Völker versammeln werden, wird zum Gottesthron geworden sein. Aber auch des Schreins für die Tafeln bedarf es nicht mehr, denn Tafeln sind dann nicht mehr not. In dem Trostbüchlein (Kap. 30 und 31), das Jeremia wohl erst in den Tagen nach der Katastrophe abgefaßt hat, wird dem wiedervereinigten Volke ein neuer Bund verheißen. Der soll nicht wie der Bund, den JHWH einst mit den Vätern schloß, am Tag, da er sie »an der Hand faßte«, sie aus Aegypten zu führen (31, 31), und um dessen Erfüllung der Prophet mit dem Volke gerungen hat (11, 3), auf Tafeln geschrieben sein, sondern allen ins Herz (31, 32); so erst kann das Wort des ersten Bundesschlusses endlich zu vollkommener Wirklichkeit werden: JHWH Gott Israels, Israel Volk JHWHs. Die Deuteronomiker vermeinten (Deuteronomium 30, 14), schon sei es an dem, schon sei das Wort Gottes dem Volke im Herzen, und es brauche nur eben »getan« zu werden; aber Jeremia, der, ungeachtet der Wichtigkeit, die für ihn die Person als solche hat, dem Menschen eine geringere Entscheidungskraft zuschreibt als die Propheten vor ihm, hält es für notwendig, daß erst die Offenbarung an die Seelen komme, und er glaubt und verheißt, daß sie kommen wird: JHWH wird selber sein Wort Israel ins Herz schreiben, ohne Tafeln, ohne gegenständliche Mittlung mehr. Keine Tafeln und keine Lade – wie Samuel nach der Katastrophe von Silo, auf die Jeremia in seiner Tempelrede hinweist, die Lade nicht zurückgeholt hat, so würde offenbar auch er, könnte er es, sie nicht herbeischaffen. Wenn Gott dem Volk sein Wort ins Herz gibt, bedarf es keiner Sicherung mehr. Wohl grüßt in seinem Trostbüchlein der Prophet das erlöste Jerusalem und den Zion der Zukunft, der die Verwirklichung des Gotteswillens schauen wird (Jeremia 31, 23): »Segne dich JHWH, Trift der Bewährung, Berg der Heiligung!« Stätte der Völkerwallfahrt soll der Zion werden. Aber vom künftigen Tempel, von dem Ezechiel, der Mann an der Grenze von Prophetie und Apokalyptik, eine genaue Beschreibung zu geben weiß, schweigt Jeremia, der ja nicht einmal für die Zwischenzeit jenes versteckte »Waldheiligtum« Michas bestehen läßt. Der Tempel fehlt auch in Baruchs Bericht über die Eroberung der Stadt (39, 1-10); wie seine Zerstörung, so bleibt die Verschleppung der heiligen Geräte unerwähnt. Jeremia selbst hat anscheinend nach der Tempelrede den Platz des Heiligtums nur noch einmal, vermutlich am nächstfolgenden Fest, betreten, um dem versammelten Volk anzusagen, der Stadt werde das Schicksal des Kruges zuteil werden, den er eben am Scherbentor zerschmettert hat (19, 15); danach läßt ihn der Oberaufseher nicht bloß stäupen und in den Block legen, sondern untersagt ihm hinfort den Zugang (36, 5). Der Protest der Prophetengeschlechter gegen den sinnentleerten Kult

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ist in dem Wort von der Räuberhöhle zu seinem äußersten Ausdruck gelangt. In der Gerichtsverhandlung, in der zur Verteidigung Jeremias die Aeltesten an Michas unvergessene Weissagung und ihre Wirkung erinnern (26, 17 ff.), erscheint noch einmal im Mund des Künders die Alternative (V. 13, vgl. V. 3). Dann verstummt das prophetische »Wenn«. Was fortan noch laut wird, ist nur noch abwechselnd die Anklage des Prüfers gegen die Machthaber und ihre Handlanger und die Klage des Zeugen über das nunmehr hereinbrechende Unheil – ohne andere Hoffnung mehr als die auf die dereinstige »Wiederkehr«. Mit der Thronbesteigung Jojakims, also mit der Tempelrede, beginnt Jeremias Kampf gegen die Könige, dessen Zeugnis wir in den Königssprüchen (22, 1-23, 4) haben, Aeußerungen, denen an Unbefangenheit wohl nichts im Schrifttum des Alten Orients gleichkommt; doch ist dieser Kampf, wie der aller Propheten vor ihm, auch der Hoseas, gegen die Könige nicht grundsätzlich: mit derselben Bezeichnung wie in den »letzten Worten Davids« (II Samuel 23, 3), in derselben Sprache wie in Michas Weissagung (Micha 5, 1) wird hier – als der »bewährte Sproß«, der »Gerechtigkeit und Bewährung auf Erden übt« (Jeremia 33,15) – der »Herrscher« verheißen, den JHWH sich nahen lassen will, der an ihn herantreten darf (30, 21), im Gegensatz zu denen, die sich nach Josia auf dem Thron ablösten. Damit ist nicht gemeint, daß er mit priesterlichem Amt begabt sein würde. Das Bild der Ueberlieferung von Samuel (I Samuel 10, 6, 10; 16, 13) bis Jesaja (Jesaja 11, 2) für die Gottesnähe des Erwählten: daß die Ruach sich auf ihn niederläßt, war aus prophetischer Erfahrung geschöpft; der Priester Jeremia zieht das kultische Bild vor (Numeri 16, 5, 9, 10; Exodus 28, 43 und 30, 20): die priesterliche Erfahrung ist nicht die des plötzlichen Ergriffenwerdens von oben her, sondern die des eigenen, geregelten Herantretens an den Altar, des Nahendürfens. Ebensowenig wie für den Tempel, verkündigt Jeremia eine Zukunft für die Priester (die Verheißung für sie 33, 18, 21, 22 kann nicht als echt angesehen werden); aber ebensowenig wie aus jenem Schweigen kann aus diesem gefolgert werden, daß er solch eine Zukunft ablehnte, nur daß ihm für die Sphäre des Heiligtums keine Verkündigung mehr zulässig erschien. Von den Anfängen seiner Prophetie an galt sein Kampf gegen die Priester, die die Thora »handhaben«, aber nach der Gegenwart Gottes nicht fragen und ihn nicht kennen (2, 8), der Entartung des Standes, nicht diesem selbst, wie sein Kampf gegen den Kult dessen Entartung galt. Er war zwar vermutlich mehr als irgendein Früherer in Israel der Ahnung zugänglich, daß um der Heiligung des ganzen Lebens willen die Mauer zwischen sakralem und profanem Bereich fallen müsse; aber

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sicherlich war er dessen gewiß, daß dies nicht die Stunde war, ein Bild der künftigen Ordnung des Umgangs zwischen Gott und Volk zu gewinnen. Hatte man für die Tage nach der Unheilszeit einen neuen Bund zu erwarten, in dem Gottes Wort dem Volk ins Herz geschrieben wird, so konnte es nicht an dem sein, die Aeußerungsformen eines so umgewandelten Herzens vorherzusagen. Der Unterschied zwischen Jeremia und seinem Zeitgenossen Ezechiel ist der zwischen der reinen Prophetie, die ganz an die geschichtliche Stunde, an die aktuelle Rede Gottes gebunden ist, und der problematisch werdenden, die eine gleichsam schon vorhandene Zukunft beguckt und beschreibt. Der reine Prophet ist gleichsam phantasielos, genauer: er hat keine andere Phantasie als die der vollen Vergegenwärtigung der Gegenwart, in ihrer Tatsächlichkeit und ihrer Potenz. Sein Gott ist der Gott einer Wahrheit, die, soweit sie dem sterblichen Menschen erschlossen ist, wirklich, mit dessen Taten und Untaten verflochten, in die Zeit eingeht, also niemals vorweg abgeschildert werden kann. »In Jakob«, so heißt es grundlegend im Bileamspruch (Numeri 23, 23), »ist nicht Zeichendeutung, in Israel nicht Wahrsagerei, zur Zeit wird es Jakob und Israel zugesprochen, was Gott im Werk hat.« Der echte Prophet, diese zitternde Magnetnadel, die in die Richtung Gottes weist, ist ebender »Zeit« verhaftet. Er ist der Situation der Stunde verhaftet, in der Gott im Werk hat, was er im Werk hat, in der somit noch nicht entschieden ist, sondern entschieden wird. Die Menschen können von ihm, dem echten Propheten, nicht erfahren, was sie erfahren wollen; sie können nur erfahren, was sie erfahren sollen, nämlich: was in dieser Stunde angelegt ist und ihnen vorgelegt wird, damit sie ihr Ja und Nein, ihre Entscheidungen und Entscheidungslosigkeiten, das geschmolzene Erz ihrer Stunde dreinfließen lassen und Gott die Materie für sein Werk liefern. Im Licht dieser biblischen Theologumena ist auch der eigentlichste Kampf Jeremias, der gegen die »falschen Propheten« zu betrachten. Es sind die professionell prophetisierenden Hof- und Volksdiener, die in der Stunde der Entscheidung, da alles darauf ankommt, die Geschichtsdrohung JHWHs zu erkennen und sich seinem Geheiß zuzuwenden, mit Heilsverheißungen der Drohung entgegentreten und vermeinen, mit solchen Sprüchlein den Niederbruch des Volkes leichthin heilen zu können (6, 14), indem sie ihm Mut verleihen, der geschichtlichen Gefahr mit den üblichen Geschichtshandlungen zu begegnen. In ihnen muß Jeremia die schlimmsten Feinde seiner Botschaft sehen, denn sie stellen dem rügenden und aufrufenden Gotteswort, das in ihm brennt, ein beruhigendes Scheinwort entgegen, dem das Volk naturgemäß lieber folgt als dem aus seinem Munde kommenden. Die Priester führen irre, indem sie den leeren Kult als zureichenden Weg zu JHWH lehren; sie aber mißbrauchen

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und verkehren die göttliche Kundgebung selber, das Wort, indem sie die wunschgeborene Schau ihrer Herzen als Eingebung des Gottesmundes verkünden (23, 16). Solang der Trug in einem andern Bereich als die Wahrheit wirkt, kann er nur verführen, und man rettet vor ihm, wenn es gelingt, dem ihm Anheimgefallenen zu zeigen, daß es einen Bereich der Wahrheit gibt. Wenn der Trug aber sich mit seiner Tätigkeit in die Sphäre der Wahrheit begibt, wenn er gegen das harte Gotteswort der Forderung und des Gerichts das sanfte eines verträglichen, prinzipiell hilfsbereiten Scheingottes setzt, dann stiftet er Verwirrung im Innersten des von zwei Seiten angeredeten Hörers, der die strenge Gnade, welche nur der ganz Hingegebene erfährt, nur allzuleicht mit der zugesicherten Gunst des Schutzpatrons der Nation verwechselt. Solcher Verwirrung gegenüber ist das wahre Wort, das hier keineswegs als ein von seinem himmlischen Urheber mit übernatürlichen Kräften ausgestattetes auftritt, fast ohnmächtig. Gott beglaubigt es nicht; er stellt dem Menschen frei, sich der Wahrheit des Schweren aufzuschließen oder den Trug des Leichten als Wahrheit zu empfangen; er nimmt ihm nichts von dieser Wahl ab; er rüstet seine Kundgebung nicht mit Energien aus; kein Quentchen seiner eigenen unendlichen Macht wirft er in die Waagschale der Seele. Sein Künder, dieser amtlose, einflußlose, schwache, scheue Mensch, der unerschrocken bis zum Martyrium sein Wort spricht, ist »wie sein Mund«; der Mund selber schweigt dem Volke. Er wird nur in der Sprache der Geschichte zu diesem reden, und auch dann so, daß es sich, was geschehen ist, durch das Zusammentreffen widriger Umstände ausreichend zu erklären vermag und also kein kommender Prophet mit Erfolg darauf hinweisen kann. Dieser Gott macht es dem Glauben schwer und dem Unglauben leicht; und seine Offenbarung ist nur eine verschiedene Gestalt seiner Verborgenheit. Die sinaitische Ueberlieferung hatte anderes zu berichten, und Jeremia hielt sich gewiß an sie, nicht bloß an den Bundesschluß am Berg, sondern auch an das vorangegangene Reden aus dem Feuer über ihm. Aber seine eigene einsame Ohnmacht, in der doch das Wort lebte, stand als Wirklichkeit jener zur Seite. Und von Zeit zu Zeit sieht es aus, als würde sie doch zu Macht. Der Nabi Hanania, der sieben Jahre vor der Katastrophe, nach der Verschleppung der Tempelgeräte, das schwere Joch, das Zeichen der befohlenen Unterwerfung, vom Hals Jeremias nahm und zerbrach (28, 10) und dreimal als Wort JHWHs ansagte, ebenso werde er innerhalb von zwei Jahren das Joch Nebukadnezars zerbrechen (V. 11), stirbt zwei Monate danach, der Ansage Jeremias gemäß – einer Ansage gemäß, die bedeutsamerweise nicht in sofortiger Entgegnung, sondern erst eine Weile danach erfolgt war, nachdem Jeremia in der Stille auf das Wort gewartet und es vernommen hatte.

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Zeichen stand gegen Zeichen; nur hat sich das echte als tödlich faktisch erwiesen. Sicherlich nahm das Volk die Nachricht mit Entsetzen auf; wir hören nichts davon, daß seine Haltung davon beeinflußt worden sei. Als Unterscheidungsmerkmale zwischen »echten« und »falschen« Propheten gibt Jeremia in seiner ersten Antwort an Hanania (V. 8 f.) an, daß die falschen Heil prophezeien und daß ihre Vorhersage nicht eintrifft. Das eine Merkmal, das Jeremia häufig hervorhebt (6, 14; 14, 13; 23, 17), finden wir schon bei Micha angedeutet, für den der falsche Prophet der das Volk Berauschende ist (Micha 2, 11), das andere im deuteronomischen Prophetengesetz (Deuteronomium 18, 21 f.). Beide Hinweise sind Ausdruck der beginnenden Problematik. Daß das Eintreffen oder Nichteintreffen einer Weissagung kein zulängliches Merkmal ist – ganz abgesehen davon, daß es dem Hörer in der Stunde des Hörens auf keinen Fall eine Unterscheidung ermöglicht –, bedarf wohl keiner Erörterung; die unerfüllten Sprüche echter Propheten sind zahlreich genug 171 . Aber schon der offenkundig oder heimlich alternativische Charakter nahezu aller echten Weissagung verbietet die Anwendung dieses Kriteriums; das prophetische Theologumenon von der Zukunft, die durch die menschlichen Entscheidungen mitbestimmt wird, wie wir es auch bei Jeremia selbst als seiner Haltung zugrundeliegend finden, steht im Gegensatz zu aller Behauptung einer Vorhersage im apodiktischen Sinn. Ebenso ist die Unterscheidung von Heils- und Unheilsprophetie, die bis in unsere Tage Verbreitung gefunden hat, untauglich und nur von einer Zeit zu verstehen, wo die Heilsverheißung den Umkehrruf übertäubte. Jesaja hat vorher, obgleich er den Widerspruch, in den sich jene begab, in der Tiefe seines Herzens kannte und austrug, die Uneinnehmbarkeit Jerusalems unzweideutig verkündigt, und Deuterojesaja nachher ist ganz und gar ein Bringer froher Botschaft. Nicht ob Heil oder Unheil angesagt wird, sondern ob die Ansage, wie immer sie sei, dem göttlichen Anliegen einer bestimmten geschichtlichen Situation entspricht, ist wesentlich. Zeiten der falschen Sicherheit gebührt der aufrüttelnde Unheilsspruch, der ausgestreckte Zeigefinger, der auf den sich geschichtlich bereitenden Untergang hinweist, das harte Pochen an die verhärteten Herzen; Zeiten der großen Not, aus der noch oder schon eine Befreiung geschehen kann, der Reue und der Umkehr gebührt der ermunternde, einigende Heilsspruch. Jeremia steht gegen eine Dogmatik des schützenden JHWH, Deuterojesaja gegen eine des strafenden; beide verehren und verkündigen den lebendigen, aller dogmatischen Gewöh171. Kuenen hat sie in seinem Buch »De profeten en de profezie onder Israel« übersichtlich zusammengestellt, wenn ihm auch nicht in allen Punkten recht zu geben ist.

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nung entrückten Gott und seinen in der Geschichte kundgegebenen Willen, den sie deuten. Jeremia verkündigt das Unheil, Deuterojesaja das Heil um des Bundes zwischen Gottheit und Menschheit, um des Reiches willen; die »falschen« Propheten verkündigen, was sie verkündigen, um seiner selbst, das heißt um menschlicher Wunscherfüllung willen. Sie »träumen Träume« und erzählen sie (Jeremia 23, 25, 27) oder künden gar »das Truggebild ihrer Herzen« (V. 26); das bedeutet nicht, daß ihnen die Ehrlichkeit abzusprechen sei – sie sind gewiß oft redliche Patrioten –, sondern daß sie aus den Wünschen und Trieben, die ihnen mit dem Volke gemeinsam sind, die betäubenden, »vergessen machenden« Illusionen brauen, mit denen sie es tränken, ebenso wie die Früheren, die Baalspropheten, »ihre Väter«, über der aus Wünschen und Trieben gewachsenen Welt baalischen Mythos und Rituals den Namen JHWHs »vergaßen« (V. 27; analog über den Generationswechsel im Volke selbst 16, 11 f.). In Stunden der Gefahr und des gemeinschaftlichen Zweifels kommt man zu ihnen, ob sie nun dem Kult oder dem Hof angeschlossen sind oder nicht, um durch sie Auskunft über das Schicksal zu erlangen; und sie geben sie, nicht bloß mit Ja und Nein, wie anscheinend das priesterliche Losorakel, sondern in geformten Sprüchen: sie sagen, was man hören will, das heißt, was auch ihr eigenes Ohr aus ihrem eignen Munde hören will. Sie reden nicht bloß den Leuten zu Gefallen, sondern auch ihrem eigenen »Traum« und »Truggebild«, sie trügen nicht eben mit Absicht, sondern sind selber in den Trug der Wunschwelt verstrickt. Psychologisch ausgedrückt: die falschen Propheten machen ihr Unterbewußtes zum Gott, den wahren wird ihr Unterbewußtes von der Hand des wahren Gottes bezwungen, der allem psychisch Vorfindbaren und Erschließbaren unbedingt transzendent ist und eben in dieser seiner Transzendenz als der Bezwingende erfahren wird. Diesen Vorgang bekommen wir in einem großen Exempel in der Lebensgeschichte und der Prophetie Jeremias zu sehen. Mit beidem steht er den neuen, nicht mehr dem Baal, sondern dem Wunschgotte selber ergebenen und ihn JHWH nennenden Götzendienern entgegen. Das Deuteronomium hat recht, wenn es (13, 3; 18, 20) sagt, der falsche Prophet rufe zur Nachfolge »anderer Götter« auf – nur daß er nicht weiß, daß es andere sind. Und hinwieder bewahrheitet sich in Leben und Prophetie Jeremias wie nur in irgendeiner das Wort des deuteronomischen Mose (18, 15), JHWH werde Israel jeweils einen Künder von seiner Art bestellen. Bei beiden – und bei keinem von denen dazwischen –, beim Mose der Ueberlieferung und beim Jeremia seiner eigenen Bekenntnisse, finden wir dieses Bezwungenwerden vom Gott, dieses intensive Zwiegespräch mit ihm, diese Glut der Fürbitte und dieses Leiden an dem widerspenstigen Volk und seinem Los.

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Jeremia ist unter den Märtyrern der alten Welt jener, dessen lebenlanges Martyrium uns nicht bloß berichtet ist, sondern der selbst uns daran teilnehmen läßt, indem er die Aeußerung seiner Leiden in ebender Unmittelbarkeit, wie er sie seinem Gott zuflüstert oder zuschreit, zuweilen der Schrift übergibt. Warum tut er das, warum teilt er uns alles, Klagen und Fürbitten und auch noch Empörungen und Racherufe, mit? Offenbar weil er all dies für überpersönlich wichtig hält. Ein »religiöser Individualist« ist Jeremia nicht; an seiner Person als solcher ist er nicht interessiert, wie etwa Augustin es ist, wohl aber an ihr als an dem Gefäß des Gotteswortes und dann noch als an dem Wesen, in dessen Dasein sich die große Auseinandersetzung JHWHs mit Israel und das daraus hervorgehende Verhängnis in persönlicher Verdichtung vollzieht. Er hatte sich in seiner Jugend mit aller Macht dagegen aufgelehnt, der zentrale Mensch der Katastrophe zu werden, aber Gott hat ihn »betört« (20, 7). Er hatte das Verlangen, drin in seiner Volksgemeinschaft zu leben, aber er hat einsam unter Gottes Hand sitzen müssen (15, 17). Er weigert sich immer wieder, im Namen JHWHs dem geliebten Volk das Urteil zu sprechen, aber das Wort bleibt ihm »wie ein sengendes Feuer« »im Gebein eingehegt«, und er erschöpft sich in dem vergeblichen Bemühen, es zu verhalten (20, 9), die göttliche Grimmglut staut sich in ihm und zwingt ihn, sie in Verwünschung seines Volkes auszuschütten, ohne Wahl, auf die auf der Gasse spielenden Kinder, auf den fröhlichen Kreis der Jünglinge (6, 11), und dabei ist es ihm, als sage er nicht ein kommendes Unheil an, sondern als gehe wirklich Feuer aus seinem Munde und verzehre die Holzscheite des Volkes (5, 14). Er weiß, daß der ahndende Gott, obgleich er dessen Walten zuweilen nicht mehr versteht (12, 1), gerecht ist, er sieht ja rings um sich die »Innung der Verräter« (9, 1); vergebens sucht er erst unter den Geringen, dann unter den Großen einen Mann, der Recht tue (5, 1 ff.); so wünscht er sich, er dürfte von diesem Volk hinweg in die Wüste wandern und in dem armseligen Nachtquartier der Wanderer Wohnung nehmen, aber er muß bleiben und seinen Dienst tun (9, 1). Er leidet an dem Starrsinn Israels und an dessen vor seinen Augen anhebenden Strafe zugleich. Es ist ja nicht so, daß er nur jeweils sähe, was geschieht; durchs Gegenwärtige hindurch schaut er in ungeheuren Maßen die künftige Vernichtung: zum Chaos wandelt sich die Erde zurück (4, 23). Da bricht er über dem geschauten Zusammenbruch des Volkes selber zusammen, und seine Seele weint im Verborgenen, als wollten ihm die Augen in der Träne niedersinken (8, 21; 13, 17). Er will für Israel beten, aber JHWH verbietet ihm auch dies, er »will ihn nicht hören« (7, 16). Da, aus dem Volk verstoßen, verspottet, gepeinigt und nun auch in der Gemeinschaft seines Gebets von seinem Herrn selber verstört, ver-

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flucht er den Tag, an dem er geboren wurde (20, 14); er empört sich gegen den Gott, der ihn erst berufen und dann preisgegeben hat, unzuverlässig »wie ein versiegendes Wasser« (15, 18). Zur Antwort aber vernimmt er eben dies, was er als Gottes Botschaft Mal um Mal zum Volke hintrug: er solle, indem er in sich das Echte des Gemeinen, der Schlacken, entledigt, zu Gott umkehren, dann werde Gott ihn »wiederkehren lassen« (V. 19). Und aus der Art, wie Jeremia diese Antwort als ein Unanfechtbares und Beendendes niederschreibt, merken wir, daß er sie angenommen hat. Der große Beter ist nicht fromm und duldsam; aber auch seine Empörung erweist sich als Gebet, und das, was ihm danach zuteil wird, als eben das, um das er eigentlich gebetet hat ohne es zu wissen. In all dies mischt sich immerzu Persönliches – man mag es allzu-persönlich nennen: Klage über all die Feindschaft, über all den Schimpf, Bitte um Bewahrung, ja um Vergeltung. Aber nichts, was Jeremia sagt, ist nur persönlich; sein Leid ist ohne sein Wissen durchsichtig in das Leid Israels – nicht einer Generation, gar dieser verrotteten Generation, sondern des ewigen Volkes. Er meint Privates vorzubringen; aber es ist nicht privat. Dazu ist sein Ich zu tief ins Ich des Volkes gebettet. Es ist überhaupt ein Irrtum, in der Schrift kollektives und individuelles Ich streng zu scheiden. Das Ich des Einzelnen bleibt durchsichtig ins Ich der Gemeinschaft. Es ist keine Metapher, wenn Jeremia das Volk Israel nicht bloß »wir«, sondern auch »ich« sagen läßt, wie es kein bloßes Bild ist, wenn Rahel um ihre Kinder weint (31, 15): Urmütter vergehen nicht, und Israel könnte nicht erwählt sein, wenn es keine Person wäre. Aber man muß noch genauer hinhorchen. Da hören wir (4, 19 ff.), wie das kommende Kriegsunheil dem Propheten so leibhaft erscheint, daß ihm der Hörnerschall an die Wände seines Herzens schlägt, Niederlage um Niederlage wird ausgerufen, und in diesem Rufen vernimmt er die Stimme Israels selbst: »Ach, verheert ist alles Land, jäh meine Zelte verheert!« Hier geht das Ich Jeremias unmittelbar in das des Volkes über; aber an einer anderen Stelle (10, 19 f.) klagt in ebender Sprache Israel allein um sein verheertes Zelt, um sodann, vom Propheten (V. 21) über die vorderste Ursache, die »Verdummung« der »Hirten«, unterwiesen, Gottes Führung zu erkennen und ihn um Züchtigung in gerechtem Maße anzugehen (V. 23 f.; V. 22 gehört nicht hierher und 25 ist nicht jeremianisch). In solcher Verschwisterung des individuellen und des kollektiven Ich gibt sich die Tatsache zu erkennen, daß es letztlich ein einziges Leid ist, von dem wir hier erfahren. Aber nicht bloß, weil Jeremia sich in Augenblicken der Begeisterung mit seinem Volke identifiziert, sondern weil er es wirklich in sich trägt. Der Widerspruch, der es zerstört, haust in ihm

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selber. Läuterung und Umkehr, die es von sich weist, vollzieht er an seiner Stelle. Das Leid, das er durch Israel leidet, leidet er für Israel. Und so leidet er es um JHWHs willen. Denn dies ist die Stunde in der israelitischen Geschichte und Glaubensgeschichte, wo im Vollzug des Verhängnisses die göttliche Erscheinung sich dem Glaubenden erneut zu wandeln beginnt, wiewohl die Vorstellung des göttlichen Wesens selbst davon unberührt bleibt. Einst war der Gott der wandernden Stämme zu dem des kanaanäischen Bodens geworden, und es war das große Werk der prophetischen Menschen, daß ihm dennoch alle Eigenschaften der semitischen Orts- und Landesgötter ferngehalten wurden. Die Propheten vermochten das durch ihr Streiten um den Bund. Nun aber, da JHWH den von Israel gebrochenen Bund als nicht mehr bestehend erklärt, entsteht zwischen ihm und dem Volk etwas Neues. Er »verläßt sein Haus«, zieht sich in den Himmel zurück, wird jetzt erst ganz Himmelsgott, Weltgott, Allgott; als »ein Gott aus der Ferne«, der Himmel und Erde füllt (23, 23 f.) und alles wahrnimmt, aber allem überlegen bleibt, will er erkannt werden. Aber er bleibt zugleich bei den Verstoßenen, bei den Leidenden. Er will, wie es bei einem nachexilischen Propheten (Jesaja 66, 1 f.; 57, 15) heißt, nicht, daß man ihm wieder ein Haus baue, denn der Himmel ist sein Thron und die Erde sein Fußschemel, aber nicht in der Höhe und Heiligkeit allein will er wohnen, sondern »bei dem Geduckten und am Geist Erniederten, um zu beleben den Geist der Erniederten, um zu beleben das Herz der Geduckten«. Den Regionen der Mächtigen und Gesicherten unendlich überlegen, läßt er sich zu den am Boden Liegenden nieder und nimmt an ihrem Leiden teil. Seine wachsende Unbegreiflichkeit wird dadurch gemildert und sogar ausgeglichen, daß er der Gott der Leidenden und das Leid ein Zugang zu ihm wird, wie wir schon aus Jeremias Leben erkennen, wo der Fortgang des Martyriums in eine immer reinere und tiefere Gemeinschaft mit JHWH führt. Zwischen diesem und dem Leid tut sich eine geheimnisvolle Beziehung auf. Immer schon haben seine Sendlinge nicht bloß in seinem Auftrag gearbeitet und gekämpft, sondern auch im Verfolg davon gelitten. Aber dies war eben nur etwas, das sich nebenbei begab und unwichtig blieb. Jetzt beginnt das Leid selber ins Licht des Sinns zu rücken.

2. Die Frage

Eine nationale Katastrophe kann, von der Stunde an, in der sie sich als unabwendbar anzeigt, besonders aber nachdem sie sich vollzogen hat, religiös produktiv wirken, indem sie neue Fragen aufrührt und alte ver-

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tieft: dogmatisierte Vorstellungen werden an der Wirklichkeit der Ereignisse überprüft, das Glaubensverhältnis, das in einer völlig veränderten Situation seine Wahrheit bewähren muß, verjüngt sich in gewandelter Gestalt. Es ist aber keine geringere Macht als die der äußersten Verzweiflung, die so wirkt, einer Verzweiflung, die so elementar ist, daß sie nur eins von beiden zur Folge haben kann: Untergrabung des letzten Lebenswillens oder Erneuerung der Seele. Aus der primitiven organischen Einheit der Sippe, sodann des Stammes war in Israel, wie bei allen anderen Völkern, ein Solidaritätsbewußtsein der Gemeinschaft erwachsen, das sich besonders den Schlägen gegenüber bekundete, welche die Gesamtheit betrafen. Man verstand sie schon in der Frühzeit als göttliche Strafe, die das bundesgemäß dem Gotte gegenüber solidarische Volk auch für die Schuld von Gruppen und von Einzelnen heimsucht. Freilich glaubt man zuweilen den Schuldigen ausfindig machen zu können, etwa durch Loswurf (Josua 7, 13 ff., vgl. I Samuel 14, 38 ff.), um durch seine Bestrafung die Gemeinschaft auszulösen; im allgemeinen wird solch eine Desolidarisierung untunlich gewesen sein, weswegen wahrscheinlich schon früh Verordnungen entstanden sind, sie bereits bei Entdeckung eines Verbrechens, dessen Urheber unbekannt ist, zu vollziehen (Deuteronomium 21). Zu Fragen nach der Rechtmäßigkeit der kollektiven Heimsuchung scheinen zuerst Naturkatastrophen den Anlaß gegeben zu haben. Die Erzählung von Abrahams Fürbitte für Sodom (Genesis 18, 22 ff.) spricht eine beredte Sprache: unterm Eindruck des Unheils, das wahllos über ganze Ländereien niederfährt, wird die Gerechtigkeit Gottes erörtert und genauer gefaßt. In einer wohl schon unter Salomo aufgezeichneten Kultlegende des Tempels, die mit Bedacht nachträglich an den Schluß des Samuelbuches gesetzt worden ist (II Samuel 24), lehnt sich David, der in der Seuche die Strafe für seine Volkszählung erblickt, dagegen auf, daß das Volk, »diese Schafe«, für die Schuld seines Hirten leide; der Vers ist Einschub, aber der Sprache nach kein später. Man hat, um die blindwütige Seuche mit der Gerechtigkeit Gottes zu vereinbaren, die Volkszählung nur als den unmittelbaren Anlaß des Unheils, dagegen als dessen eigentliche Ursache eine frühere Schuld des Volkes betrachtet, um derentwillen JHWH nun David zu seiner Sünde angestiftet habe; einer späten theologischen Reflexion wurde eben dies unerträglich, und »Satan« – hier schon Eigenname und nicht wie sonst nur Bezeichnung des »Widersacher«-Geistes – mußte an Stelle Gottes treten (I Chronik 21, 1). Selbstverständlich soll aber mit Aeußerungen wie die von Abraham und David erzählten keineswegs der Strafcharakter der Naturkatastrophen in Frage gestellt werden. Die frühe Schriftprophetie betont ihn aufs

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stärkste, und zwar mit Vorliebe unter Berufung eben auf Sodom, so Amos, wenn er das Erdbeben der jüngsten Vergangenheit als Züchtigung des Volkes und Mahnung an das ganze erklärt (4, 11). Aber die Frage nach dem Leiden der Unschuldigen durch die Bestrafung der Schuldigen, nach der Wahrheit der solidarischen Sühne besteht fort, sie wandelt sich nur, sie umfaßt alles gemeinschaftliche Unglück und gewinnt ihren positiven Ausdruck in der Lehre vom »Rest«: die Umkehrenden sollen mitten im Unheil gerettet und bewahrt werden. Dabei bleibt das prophetische Bewußtsein, bis der Untergang von Juda sich am geschichtlichen Horizont als bevorstehend abzuzeichnen beginnt. Gegen die entsprechende Epoche in der Geschichte des Nordreichs ist hier ein doppelter Unterschied wahrzunehmen. Zum ersten: die weltpolitische Spannung zwischen den Ländern des Alten Orients ist inzwischen ungeheuer gewachsen, und weite Kreise des Volkes beginnen zu ahnen, wie verhängnisvoll Israel in sie verflochten ist, freilich ohne zu erkennen, wie sehr dieses Verhängnis die Folge der antiprophetischen Bündnispolitik der Könige ist. Zum zweiten: anderseits meinen weite Kreise des Volkes, mit der Kultreform bereits Gott gegeben zu haben, was Gottes ist, und vermögen nicht zu begreifen, daß eben nun das Unheil seinen ungehemmten Lauf nimmt. Die Propheten halten ihnen ihre soziale Ungerechtigkeit, ihre Untaten und Unsitten entgegen. Aber auch die wachsende Wirkung des prophetischen Wortes, die Bewegung der Umkehr hält das Unheil nicht auf. Die Umkehrenden fühlen sich in den Strudel des Untergangs mitgerissen. Und der Prophet kann auf ihre Fragen nicht anders antworten, als indem er sie auf die Schuld des Gesamtvolkes und auf die der Väter verweist. Aber in der Luft der Katastrophe ist die alte Solidaritätskonzeption zerfallen; man lehnt sich eben dagegen auf, für andere zu leiden und unterzugehen. Der Prophet verkündigt – in einem vielleicht nicht von Jeremia herrührenden, aber für seine Zeit charakteristischen Wort (Jeremia 31, 29 f.) –, dereinst, in den Tagen der Erlösung aus dem angehobenen bösen Geschick, werde der Spruch der Empörung, die Zähne der Söhne würden jetzt stumpf, weil die Väter vordem saure Trauben gegessen haben, außer Kraft kommen, denn jeder werde dann nur seine eigene Verfehlung zu büßen haben. Das ist nicht individual gemeint, sondern generationsmäßig: für die menschliche Gerechtigkeit war ja längst (Deuteronomium 24, 16, vgl. II Könige 14, 6) verordnet, daß man Söhne nicht für die Schuld der Väter den Tod erleiden lassen dürfe; für Gottes Handeln den Volksgeschlechtern gegenüber wird es erst jetzt verkündigt. Aber solche Verheißung kann den Widerspruch in den Seelen nicht mehr stillen, die das Glück des ungetreuen Manasse und das Unglück

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des treuen Josia nicht als gerecht anzuerkennen vermögen. Fragt doch Jeremia selber (12, 1), warum der Weg der Frevler glücke, ohne von Gott eine andere Erwiderung als eine zurechtweisende zu empfangen. Ezechiel (Kap. 18, vgl. 33, 10-20) nimmt die Erörterung des Volksspruchs wieder auf, aber er begnügt sich nicht damit, die dereinstige Aufhebung seiner Richtigkeit anzusagen; er übt Kritik an der ganzen Glaubensüberlieferung der kollektiven Verantwortung, deren negatives Ergebnis solche bittre Ironie ist: der Gerechte wird »leben« (Habakuks Wort vom Gerechten erscheint hier umgeprägt), der Gewalttätige wird »sterben«, aber auch er wird leben, wenn er umkehrt und Bewährung übt (18, 21), denn Gottes Weg ist »abzumessen« (V. 25, 29), er ist – anders als die Wege Israels – richtig und in seiner Richtigkeit erkennbar. Das ist aber nicht als allgemeiner Glaubenssatz gesagt und gemeint, sondern auf die bevorstehende Katastrophe hin 172 , wiewohl anderswo bei Ezechiel (21, 8 f.) ein göttlicher Drohspruch »Bewährtem und Frevler« gleicherweise das Unheil ansagt. Ezechiel individualisiert die prophetische Alternative; man kann auch sagen, daß er den Gedanken des »heiligen Restes« individualisiert: der »Rest« ist nun nicht mehr eine bewahrte Lebensgemeinschaft der Getreuen, sondern zunächst nur eine Summe von Einzelnen: Frommen und Büßern. Für einen Rest im Volkssinn ist in der Vorstellung eines Propheten, der in der Vision JHWHs Auszug aus Jerusalem schaut (11, 23), zunächst kein Raum. Da der Gott wieder wie in der Vorzeit wandert, aber nicht mehr wie damals mit dem Volke, sondern über den »Tieren« (1, 5, 26), von Ort zu Ort, und jeder Ort als »sein Ort« (3, 12: Zwischenruf des Propheten, nicht Ausruf der »Tiere« 173 ) Ort der Offenbarung werden kann, ist die Kontinuität der Volkseinheit zerrissen, und es ist folgerichtig, daß Ezechiel die künftige Wiederherstellung im Bilde der Auferstehung eines Volkswesens aus toten Gebeinen schaut (Kap. 37). Wenn er die künftige Erneuerung zuerst von der Umkehr des »Hauses Israel« erhoffte, die sich »ein neues Herz und einen neuen Geist machen« (18, 31), lernt er im Exil sie nur noch von Gott erwarten, der, nachdem er die Empörer und die Abtrünnigen im Exil ausgeschieden hat (20, 38), um seines eigenen Namens willen die von ihm Heimgebrachten alsbald reinigt und sie durch Verleihung eines neuen Herzens und eines neuen Geistes als Gottesvolk einsetzt (36, 22-28). Man kann also sagen, daß Ezechiel in der messianischen Weissagung Israel als Gemeinschaft, in seiner Gegenwartsschau und Gegenwartsmahnung aber es als eine 172. Johannes Herrmann, Ezechiel (1924) 113; vgl. Bertholet, Hesekiel (1936) 69. 173. Vgl. Buber, Zu Jecheskel 312, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 78 (1934) 471 ff.

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Vielheit von Einzelnen sieht, von denen jeder Gott gegenüber nur noch für sich selber, für sich selber aber vollkommen verantwortlich ist. Keiner hat an einer Erbschuld zu tragen, keiner hilft neue aufhäufen; keiner muß für die Genossen einstehen, aber jeder für sich ohne Beschränkung, ohne Beschränkung sogar durch die Gnade, von der der Prophet doch alles für Israel erwarten wird; das ist der eigentümliche Charakter dieser Zeit des großen Durchgangs, die eben begonnen hat. Dereinst wird – das ist dem Jerusalemer Priester Ezechiel unvergleichlich wichtiger und gegenwärtiger als allen früheren Propheten – ein neuer Kult die Volksglieder vereinigen, jetzt aber steht jeder als Person seinem Gott gegenüber, das heißt jeder in der Glaubenseinsamkeit des Propheten. Und Gott steht jedem Einzelnen so fordernd, eifernd und vergeltend gegenüber wie vordem dem Volke. Es gibt das Volk als Bundespartner nicht mehr, bis Gott ihm den »ewigen Bund« stiftet, aber in der Zeit des Durchgangs ist jeder Person von Israel ein bundesartiges Verhältnis zu Gott eröffnet, jede ist, wie einst das Volk, an den Kreuzweg zu Leben und Tod gestellt. Das gilt in besonderer Konzentration in der Stunde vor der Katastrophe, der Stunde also, in der und für die Ezechiel, zum »Hause Israel« als »Späher« und Warner der Personen gesandt (3, 17-21), seine Botschaft der personhaften Verantwortung spricht. Für sie gewinnt er, dem Zweifel der Verzweifelnden zur Antwort, das Bild eines in seiner Gerechtigkeit glaubhaften und verständlichen Gottes, eines Gottes, dessen gerechte individuelle Vergeltung objektiv faßbar ist. Die Rettungswürdigen werden gerettet. Dieses Bild, das bis in ferne Zeiten in der Lehre des Judentums nachgewirkt hat, gegen dessen bestimmende Geltung für die Haltung des Menschen, für sein »Dienen um Lohn«, sich die jüdische Religiosität aber immer wieder auflehnte, ist in sich problematisch wie alle Gottesbilder, die nicht einer überwältigenden Erfahrung, sondern dem Versuche entstammen, die Fraglichkeit einer Situation zu bewältigen. Nicht als ob der an den Grenzen der Prophetie, zwischen Prophetie und Priestertum, zwischen Prophetie und theologischer Konstruktion, zwischen Prophetie und Apokalyptik angesiedelte Mann nicht, als der echte, wiewohl spekulative Visionär, der er war, Erfahrungen gehabt hätte – nur die singularische Erfahrung, die schlichte und sinngebende, hatte er nicht. Darum haben die nachfolgenden Geschlechter, die des babylonischen Exils, seine Botschaft und sein Gottesbild nicht als Antwort auf ihre neuen Fragen angenommen. Diese Fragen waren – vielmehr, diese Frage war: Warum leiden wir, was wir leiden? Die Frage bestritt den individuellen Vergeltungsglauben nicht, sie bestritt nur die objektive Faßbarkeit der Vergeltung. Dem ezechielischen Dogma, daß die Sünde ohne Buße in dieser

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Stunde erkennbar mit dem »Sterben« bestraft, das Streben nach Sündenfreiheit und die Umkehr aber erkennbar mit dem »Leben« belohnt würden, stand ihre Erfahrung entgegen: wie immer es um das Geheimnis von Lohn und Strafe stand, in der äußeren Wirklichkeit der Katastrophe waren, wie in jenem Drohspruch Ezechiels, »Frommer und Frevler« (Hiob 9, 22) gleicherweise durch Gott vernichtet worden, und in der äußeren Wirklichkeit seither verstanden sich die überlebenden Frevler trotz aller Schwierigkeiten vortrefflich durchzusetzen, »lebten, alterten, gediehen auch mächtig« (21, 7) wogegen den Frommen, mit schwächeren Ellbogen und empfindlicheren Herzen begabt, »die Tage schneller als ein Weberschifflein waren und in Hoffnungslosigkeit schwanden« (7, 6); »friedlich sind die Zelte der Verwüster, sichre Stätten haben, die Gott reizen« (12, 6), der Redliche aber ist »Schakalen ein Bruder geworden« (30, 29). Das ist die Erfahrung, aus der das Buch von Hiob, der Widerpart der ezechielischen Dogmatik, geboren ist, ein Buch der damals neuen und seither unverstummten Frage. Ich kann dieses Buch – das sicherlich erst allmählich zu seiner gegenwärtigen Gestalt erwachsen ist – in seinem Kernbestand keiner späteren Zeit (und keiner früheren) zuschreiben als der des Exilanbruchs. Seine Aeußerungen der Frage haben die unbändige Direktheit von erstmaligen. Sie nehmen sich nicht aus, wie in einer Welt gesprochen, in der schon Antworten wie die des 73. Psalms oder gar wie die deuterojesajanische erklungen sind. Der Dichter findet eine werdende Dogmatik vor, der er eine großartige Sprache verleiht und gegen die er mit dem Wagnis der neuen, erfahrenen Frage angeht; ihre entscheidenden Gegner hat diese werdende Dogmatik zu seiner Zeit noch nicht gefunden. Das Buch ist trotz seiner gründlichen Rhetorik einer der besonderen Fälle der Weltliteratur, wo wir dem Wortwerden eines menschlichen Anliegens auf der Spur sind. Man hat mit Recht bemerkt 174 , daß hinter der Behandlung des Hiobschicksals durch den Dialogdichter »sehr bittere Erfahrungen überindividueller Art« stehen. Wenn der Dulder klagt: »Er bricht mich ringsum ab, ich muß hinweggehn« (19, 10), scheint nicht mehr ein Einzelner zu sprechen. Wenn er aufschreit: »Gott überliefert mich Verruchten, in Frevlerhände schleudert er mich« (16, 11), liegt es uns näher, an das Exilslos des Volkes als an das Leiden eines Individuums zu denken. Gewiß, es ist persönliches Schicksal, das hier dargestellt wird, aber was zur Aussprache, zu Klage und Anklage treibt und die Bande der Darstellung 174. Hempel, Die althebräische Literatur (1930) 179.

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sprengt, ist überpersönliches Leiden. Die Hiobsfrage ist als die Frage eines Geschlechts nach dem Sinn seines geschichtlichen Loses entstanden. Auch hinter diesem so personhaft gewordenen »Ich« steht immer noch das Ich Israels. Die Frage des Geschlechts »Warum leiden wir, was wir leiden?« hatte von Anbeginn einen religiösen Charakter; »warum?« ist hier keine philosophische Frage nach dem Wesen der Dinge, sondern eine religiöse nach dem Handeln Gottes. Aber bei Hiob verdeutlicht sie sich; was er fragt, is nicht etwa »Warum läßt Gott zu, daß ich leide?«, sondern »Warum macht Gott mich leiden?« Unfraglich ist hier, daß alles von Gott kommt, fraglich nur, wie dieses mein Leiden sich mit seinem Gottsein verträgt. Um die große innere Dialektik des Problems im Hiobgedicht zu erfassen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß hier nicht etwa zwei, sondern vier Antworten gegeneinanderstehen, mit anderen Worten: daß ein vielfältiger Aspekt Gottes in seinem Verhältnis zum Menschenleid zum Ausdruck kommt. Der erste ist der des Prologs, der, so wie er ist, jedenfalls nicht aus einem Volksbuch von Hiob stammt, sondern durchaus das Gepräge dichterischer Gestaltung trägt. Der volkstümliche Gottesaspekt ist dabei offenbar unverändert geblieben. Es ist ein Gott, der sich von einem auf Erden umherschweifenden, ihm irgendwie untergebenen Wesen, dem »Satan« oder »Hinderer«, »anstiften« oder »aufhetzen« (2, 3) läßt – es ist dasselbe Verb, das von der Anstiftung Davids durch Gott oder Satan zur Sünde gebraucht wird –, einem frommen Mann, einem »Knecht« Gottes (1, 8; 2, 3), dessen Treue er sich berühmt, alles erdenkliche Uebel antun zu lassen, lediglich, um festzustellen, ob er ihm dann, wie der Satan behauptet, die Treue brechen oder auch dann sie halten wird. Wie der Dichter das sieht, drückt er auf echt biblische Methode in der Wiederholung des Wortes »umsonst« aus: um zu ermitteln, ob Hiob ihm »umsonst«, das heißt nicht um des Lohnes willen, dient (1, 9), sucht ihn Gott, wie er selbst sagt (2, 3), »umsonst«, das heißt ohne zureichenden Grund, heim. Damit wird das Handeln dieses Gottes in einer bedenklicheren Weise als hernach in irgendeiner der Anklagen Hiobs in Frage gestellt: weil im Gegensatz zu ihnen das tatsächliche Motiv berichtet wird und weil es kein gotteswürdiges ist. Dem gegenüber bewährt sich der Mensch als Mensch. Wieder wird durch die mehrfache Wiederholung eines Verbs, das zugleich »segnen« (1, 21) und etwa »den Abschiedssegen geben, verabschieden« (1, 5, 11; 2, 5, 9) bedeutet 175 , auf das Wesentliche 175. Abraham Geiger, Urschrift und Uebersetzungen der Bibel (1857) 267 ff. (vgl. Torczy-

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hingewiesen: alles läßt die Absage von Hiob erwarten, er aber wirft sich nieder und segnet den Gott, der sich »umsonst« gegen ihn hat anstiften lassen. Das ist ein eigentümlich dramatisches Gegenüber, dieser Gott und dieser Mensch. Das Dialogwerk, das folgt, widerspricht ihm ganz und gar: der Mensch ist dort ein anderer und der Gott ist ein anderer. Der zweite Aspekt ist der der Freunde. Es ist der dogmatische der göttlichen Vergeltungskausalität: Leiden weist auf Schuld hin. Gottes Strafe ist offenkundig und gemeinverständlich. Der urzeitlichen Konzeption des göttlichen Eifers ist hier der Sinn geraubt: es war JHWH der Gott Israels, der um den Bund mit seinem Volk eiferte. Ezechiel hatte den Bundesglauben bewahrt und nur für den Durchgang zwischen Bund und Bund die unbedingte Ahndung der Sünde an den sich der Umkehr weigernden Personen verkündigt; daraus ist hier in geschichtsloser Atmosphäre die Behauptung eines allumfassenden empirischen Zusammenhangs zwischen Sünde und Strafe geworden. Ueberdies stand zwar für Ezechiel auf die reuelose Sünde die Strafe, aber keineswegs vermeinte er, in allem Menschenleid die rächende Hand Gottes zu erblicken; eben dies tun nun die Freunde: Hiobs Leiden bezeugt seine Schuld. Die innere Unendlichkeit der leidenden Seele ist hier in eine Formel verwandelt – die nicht stimmt. Der erste Aspekt war der eines kleinen mythologischen Götzen, der zweite ist der eines großen ideologischen. Dort war der gläubig Leidende treu einem untreuen Gotte, der ihm die schuldlosen Kinder töten ließ; hier wird von ihm nicht Treue einer unberechenbaren Macht gegenüber, sondern Anerkennung einer Rechnung verlangt, der sein Wirklichkeitswissen widerspricht. Dort wurde sein Glaube durch das Schicksal angefochten, hier durch die Religion. Die Freunde schweigen den Leidenden sieben Tage an, um ihm dann die Rechnung von Sünde und Strafe aufzumachen. Statt seines Gottes, dessen er vergeblich harrt, der ihn nicht bloß geschlagen, sondern auch so »verzäunt« hat, daß sich ihm »sein Weg verbirgt« (3, 23), hat ihn auf seinem Aschenhaufen die Religion besucht und wendet alle Kunst ihres Wortes daran, ihm nun auch den Gott seiner Seele zu entziehen: für den »Grausamen« (30, 21) und Lebendigen, an dem er festhält, bietet sie ihm einen Vernünftigen und Vernunftgemäßen an, den er nirgends, weder im eigenen Dasein noch in der Welt, wahrnimmt und den es wohl nirgends gibt als eben in der Religion. Da wird seine Klage zum Protest – sowohl gegen den sich entziehenden Gott als gegen diese seine falsche Vertretung. ners hebräischen Hiobs-Kommentar I 10) verkennt mit seiner Annahme späterer euphemistischer Aenderungen den Sachverhalt.

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Der dritte Gottesaspekt des Gedichts ist der des klagenden und protestierenden Hiob. Es ist der Aspekt eines Gottes, der seiner Offenbarung durch die »Bergung seines Antlitzes« (13, 24) widerspricht. Er ist zugleich fürchterlich spürbar und unwahrnehmbar geworden (9, 11), und diese seine Unwahrnehmbarkeit wird durch die übermäßige Wahrnehmbarkeit der angeblich seine Sache vertretenden Freunde vollends empfindlich. Ihre Versuche, den Bruch in Hiobs Welt zu kitten, zeigen ihm erst, daß es der Bruch der Welt ist. Wohl geht auch er wie sie von der Gerechtigkeit aus. Aber im Gegensatz zu ihnen weiß er sie nur noch als ein von Gott gewolltes menschliches Tun, dem Gottes Handeln widerspricht. Die Wahrheit des Gerechtseins und die durch Gottes ungerechtes Handeln bewirkte Wirklichkeit sind unversöhnlich. Hiob kann weder auf seine Wahrheit noch auf Gott verzichten. Gott peinigt ihn »umsonst« (9, 17; nicht ohne Absicht kehrt hier das Wort wieder, das im Prolog der Satan spricht und Gott wiederholt); er »behandelt ihn krumm« (19, 6). Wie ihn der Mensch auch anflehen mag, »es gibt kein Recht« (V. 7). Hiob fühlt sich – zum Unterschied vom Urteil Gottes im Prolog (1, 8; 2, 3) – nicht sündenfrei (7, 20; 14, 16 f.). Aber was er gesündigt hat und dieses Leiden da sind inkommensurabel. Und die sich seine Freunde nennen, vermeinen, auf Grund des Vergeltungsdogmas sein Leben als Lüge entlarven zu können. Dadurch, daß die Religion sich an Gottes Stelle setzen darf, entkleidet ihn Gott seiner Ehre (19, 9). Hiob hatte geglaubt, Gott sei gerecht und der Mensch solle ihm nacheifern. Aber es ist dem so Leidenden nicht mehr möglich, Gott für gerecht zu halten. »Eins ist’s, drum sprech’ ich’s aus: Frommer und Frevler, er vernichtet« (9, 22). Das Vorbild ist zerstört. Dennoch ist Hiobs Glaube an das Recht unerschüttert. Aber er kann nicht mehr an Gott und das Recht in einem glauben. Sein Glaube an das Recht ist nicht mehr durch Gottes Gerechtigkeit gedeckt. Er kann nur noch an das Recht glauben, obwohl er an Gott glaubt, und an Gott, obwohl er an das Recht glaubt. Aber er kann nicht darauf verzichten, daß beides irgendwo, irgendwann wieder eins wird, wenn er sich auch nicht vorzustellen vermag, wie das geschehen sollte. Sein Anspruch auf sein Recht, auf die Lösung, geht letztlich darauf. Diese Lösung muß kommen, denn von der Zeit her, da er Gott kannte, weiß er, daß Gott nicht ein allmächtig gewordener Satan ist. Jetzt aber ist er der Rechnungsgerechtigkeit der Freunde ausgeliefert, die ihm nicht nur seine Ehre, sondern auch seinen Gerechtigkeitsglauben verletzt. Seine Gerechtigkeit ist nicht ein Kompensationsschema, ihr Inhalt ist einfach dies, daß man nicht umsonst leiden machen darf. Er fühlt sich vereinsamt durch sein Gefühl von ihr, fern von Gott und den Menschen. Wohl vergißt er nicht, daß Gott vom Menschen eben diese Gerechtigkeit for-

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dert. Aber er kann nicht begreifen, daß Gott sich selbst gegen sie vergeht, daß er sein Geschöpf immerzu mustert (7, 18), nach seinen Sünden fahndet (10, 6) und, statt sie ihm zu vergeben (7, 21), im Sturm nach ihm schnappt (9, 17), daß es dem unendlich Ueberlegenen beliebt, das Werk seiner Hände zu vergewaltigen (10, 3). Und doch weiß er, daß die Freunde, indem sie für Gott Partei nehmen (13, 8), nicht für den wahren Gott streiten. Er hat vordem den wahren Gott als den Nahen und Vertrauten gekannt. Jetzt erfährt er ihn nur noch durch das Leid und den Widerspruch, aber auch so erfährt er Gott. Von allem das Unmöglichste wäre ihm, was im Prolog der Satan ihm zugedacht und seine Frau ihm in genauerer Formulierung empfohlen hat: Gott zu verabschieden und erleichtert zu sterben. Als er in seiner letzten Rede den »Reinigungseid« sprechen will, schwört er (es ist sein erster Schwur): »So wahr Gott lebt, der mein Recht mir entzog« (27, 2). Gott lebt, und er beugt das Recht. Von der Last dieser zweieinigen Tatsache kann Hiob sich nichts abnehmen, er kann sich das Sterben nicht leichter machen. Er kann nur nach der Konfrontation mit Gott verlangen. »Gäb’s doch einen, der mich hörte!« (31, 35) – die Menschen hören ihn nicht, nur Gott kann sein Hörer sein. Als Motiv gibt er an, daß er mit Gott rechten wolle (13, 3); er wisse, daß er Recht behalte (V. 18). Aber letztlich meint er nichts anderes damit, als daß Gott ihm wieder gegenwärtig werde. »Daß ich doch wüßte, wo ich ihn finde!« (23, 3). Hiob ringt gegen die Gottesferne, gegen den Gott, der wütet und schweigt, wütet und »sich verbirgt«, das heißt gegen den Gott, der sich ihm aus einer vertrauten Person in eine unheimliche Macht verwandelt hat. Sei es auch im Tod, er wird Gott wieder »schauen« (19, 26), als seinen »Zeugen« (16, 19) – gegen Gott, wird ihn schauen als den Rächer seines Blutes (19, 25), das die Erde nicht decken soll, bis er gerächt ist (16, 18) – an Gott. Irgendwann, irgendwo muß die widersinnige Zweiheit einer vom Menschen gewußten Wahrheit und einer von Gott geschickten Wirklichkeit in einer Einheit göttlicher Gegenwart untergehen. Wie das geschehen kann, weiß Hiob nicht und begreift er nicht, er glaubt es nur. Man darf wohl sagen, Hiob »appelliere von Gott an Gott« 176 , aber man darf nicht sagen 177 , er begehre gegen einen Gott auf, der »sein eigenes innerstes Wesen verleugnet«, und begehre nach einem, der sich zu ihm so verhält, »wie das Vergeltungsdogma es fordert«. Damit wird der Sinn des Problems verkehrt. Hiob kann auf die Gerechtigkeit nicht verzichten, aber 176. Peake, The Problem of Suffering in the Old Testament 94 f., vgl. auch Volz, Weisheit (Die Schriften des A.T. III, 1911) 62. 177. Baumgärtel, Der Hiobdialog (1933) 172.

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er hofft nicht, sie darin zu finden, daß Gott »sein innerstes Wesen« und seine »Gebundenheit an die Norm« wiederfinde, sondern darin, daß Gott ihm erscheine. Hiob glaubt nunmehr, wie Deuterojesaja (Jesaja 45, 15) in der Nachfolge Jesajas (8, 17) glaubt, an einen »sich verbergenden Gott«. Dieses Sichverbergen, die Gottesfinsternis, macht die Abgrundsnatur der Verzweiflung aus. Im »Schauen«, im Wiederschauendürfen wird aus dem Abgrund der neue Grund. Man hat mit Recht gesagt 178 , Hiob sei in der altisraelitischen Lebensanschauung tiefer verwurzelt als seine dogmatisierenden Freunde. Ein wahres Leben gibt es für ihn nur im festen Bund zwischen Gott und Mensch; einst lebte er in dem Bund und empfing aus ihm seine Gerechtigkeit, jetzt hat Gott ihn ihm verstört. Es ist das Grauen des getreuen »Rests« in der Volkskatastrophe, das hier den personhaft gefaßten Ausdruck gewinnt. Aber dieses Grauen weist auf das Jesajas der grausamen Verstockungsbotschaft Gottes gegenüber hin. Sein »Bis wann?« ist der Unterton der Hiobsklage. Bis wann verbirgt Gott sein Antlitz? wann werden wir ihn wieder schauen dürfen? Deuterojesaja wird die verzweifelnde Klage des getreuen Rests aussprechen (Jesaja 40, 27), der, weil Gott sich verbirgt, meint, ihm sei nunmehr auch der »Weg« Israels »verborgen«, er achte sein nicht mehr, und er wird nicht bloß Israel, sondern aller Kreatur das Sehen Gottes verheißen (V. 5). Der vierte Gottesaspekt ist der der Rede Gottes. Sie liegt uns offenbar, wie so vieles andere im Gedicht, in einer überarbeiteten Gestalt vor, aus der wir die ursprüngliche nicht wiederherstellen können. Aber es ist unverkennbar, daß sie mehr will als bloß, wie ja schon die Freunde und Hiob, nur größer und umfassender, die geheimnisvolle Art des göttlichen Waltens an der Schöpfung aufzuzeigen, mehr als nur Hiob zu verstehen geben: »Du kannst nicht das Geheimnis irgendeines Dings oder Wesens in der Welt erfassen, wie erst das des Menschenloses!« Mehr auch als an den Beispielen aus der Natur auf das »Seltsam-Wunderbare«, aller zwecksinnigen Weisheit überhaupt Widersprechende der Werke Gottes, auf »das Rätselspielende der ewigen Schöpfermacht« als auf einen »unaussprechlichen positiven Wert« 179 hinzuweisen. Der Dichter läßt seinen Gott nicht davon absehen, daß es um die Gerechtigkeit geht. Die Rede verkündigt dem um Gerechtigkeit ringenden Menschen eine andere Gerechtigkeit als die seine, eine göttliche. Nicht die göttliche, die verhüllt bleibt, sondern eine göttliche: die in der Schöpfung offenbare. Schöp178. Pedersen, Israel, its Life and Culture I-II (1926) 371. 179. Rudolf Otto, Das Heilige, 23.-25. Auflage (1936) 99 f.; vgl. auch Wilhelm Vischer, Hiob, ein Zeuge Jesu Christi (1934) 29 ff., Eichrodt, Theologie des Alten Testaments III (1939) 145 f.

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fung der Welt ist Gerechtigkeit, keine vergeltende und ausgleichende, aber eine austeilende, eine gebende. Gott der Schöpfer gibt im genauesten Sinn »jedem das Seine«, jedem Ding und Wesen, indem er es ganz es selbst werden läßt. Nicht bloß dem Meer (38, 10), sondern jedem Ding und Wesen »bricht« erschaffend Gott »sein«, Gottes, festgesetztes Maß, die Grenze, die dieser Gabe entspricht. Der uralte, nur in seinen Formulierungen langsam reifende israelitische Schöpfungsglaube hat sich hier voll entfaltet: nicht von einem »Machen« wird geredet, sondern von »Gründen« (V. 4), »Setzen« (V. 5, 9 f.), »Gebieten« und »Bestimmen« (V. 12). Schon die Schöpfung ist Umgang zwischen Schöpfer und Geschöpf. All seinen Geschöpfen gibt der gerechte Schöpfer sein Maß, daß jedes ganz es selbst werde. Der Mensch fehlt mit Bedacht in dieser Vorführung von Himmel und Erde, darin ihm gezeigt wird, daß es eine größere Gerechtigkeit gibt als die seine und daß er mit der seinen, die jedem geben will, was ihm »zukommt«, nur der göttlichen nachzueifern berufen ist, die jedem gibt, was er ist. Freilich, der Leidende könnte solcher Belehrung gegenüber nur »die Hand auf den Mund« legen (40, 4) und eingestehen (42, 3), daß er, ohne sie zu verstehen, von Dingen gesprochen hatte, die ihm entrückt und unbekannt sind. Und ihm wäre nichts anderes als solches Erkennen widerfahren – wenn er nur eine Stimme »aus dem Sturme« (38, 1; 40, 6) vernommen hätte. Aber die Stimme ist die des Antwortenden, dessen, der ihn »gehört hat« (31, 35) und erschienen ist, um sich von ihm »finden« zu lassen (23, 3). Vergebens hatte er versucht, die Gottesferne zu durchdringen; nun naht Gott ihm. Er verbirgt sich nicht mehr, nur die Sturmwolke seiner Ueberlegenheit hüllt ihn noch ein, Hiobs Auge »sieht« ihn (42, 5). Die unbedingte Macht ist um der menschlichen Person willen zur Person geworden. Dem Leidenden, der in der Tiefe seiner Verzweiflung mit widerspenstiger Klage sich an Gott hält, reicht sich Gott zur Erwiderung dar. Gewiß, »die Ueberwindung der Rätselfrage des Leidens kann nur aus der Kategorie der Offenbarung heraus geschehen« 180 , aber nicht die Offenbarung an sich ist hier das Entscheidende, sondern die besondere an den Einzelnen: die Offenbarung als Antwort an den Leidenden auf die Frage seines Leidens, die Selbstbeschränkung Gottes zur Person, die der Person antwortet. Vom ersten zum vierten Aspekt führt der Weg des Gedichts. Der Gott des ersten, der Gott der vom Dichter übernommenen Sage, handelt auf eine »Aufreizung« hin, der zweite, der der Freunde, handelt aus von uns überschaubaren Zwecken (Zwecken der Bestrafung oder, wie besonders 180. Eichrodt a. a. O. 146.

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in den wohl spät hinzugekommenen Reden des Elihu, der Läuterung und Erziehung), der dritte, der des protestierenden Hiob, handelt gegen allen Sinn und Zweck, der vierte, der der göttlichen Kundgebung selber, handelt aus seiner Gotthaftigkeit, in der alles, was der Mensch als Sinn und Zweck faßt, zugleich aufgehoben und erfüllt ist. Es liegt offen zutage, daß der hier redet ein anderer ist als der Gott des Prologs; die Verkündigung der Geheimnishaftigkeit göttlichen Handelns würde zum Spott, wenn man ihr den Sachverhalt jener »Wette« entgegenhielte. Aber ebensowenig vertragen sich damit die Reden der Freunde und die Hiobs. Der Dichter, der sich uns immer wieder als ein großer Ironiker zeigt, hat den seiner Absicht scheinbar völlig widersprechenden Prolog (wenn er, wie ich annehme, in seiner jetzigen Gestalt von ihm stammt) wohl deshalb inhaltlich unverändert gelassen, um der Vielheit der Aspekte, um die es ihm ging, die Grundlage zu geben. Tatsächlich aber ist der Aspekt des Prologs ganz ironisch-irreal gemeint, der der Freunde ist nur logisch »wahr« und demonstriert uns, daß man Gott nicht logisieren darf, der Hiobs ist wirklich und damit das Negativ der Wahrheit, der der Stimme aus dem Sturm ist die überlogische Wahrheit der Wirklichkeit. Gott gibt Hiob recht: er hat, im Gegensatz zu den Freunden, »richtig« geredet (42, 7). Und wie der Dichter mehrfach Worte des Prologs als Motivworte übernimmt und abwandelt, so läßt er auch hier Gott, in betonender viermaliger Wiederholung, Hiob wie dort seinen »Knecht« nennen. Hier erscheint das Wort in seiner Wahrheit. Wie Abraham, Mose, David und Jesaja, so steht auch Hiob, der treue Rebell, in der Reihe der von Gott so Bezeichneten, die auf den deuterojesajanischen »Knecht JHWHs« hinführt, ihn, mit dem ihn sein Leiden in besonderer Weise verbindet. »Mein Knecht Hiob soll für euch beten« – damit schickt Gott die Freunde heim (V. 8). Es ist derselbe Spruch, mit dem in der Erzählung von Abraham (Genesis 20, 7) JHWH dem Patriarchen bezeugt, daß er »ein Nabi« geworden ist. In allen vorexilischen Texten, in denen das Verb in dieser Konstruktion, im Sinne der Fürbitte, steht, ist es auf Menschen bezogen, die Nebiim heißen. Die Bedeutung der Fürbitte Hiobs unterstreicht der im übrigen vom Dichter anscheinend völlig unbearbeitet gelassene Epilog, indem er die Wendung in Hiobs Geschichte, die »Wiederkehr«, zunächst also seine Heilung, in dem Augenblick beginnen läßt (42, 10), wo er »für seinen Genossen« betet. Das ist der letzte der Anklänge an prophetisches Leben und prophetische Sprache, die wir in dem Buche finden. Wie um diese Anlehnung hervorzuheben, beginnt Hiobs erste Klage (3, 3 ff.) mit einer sich eng an Jeremia (20, 14 ff.) anschließenden Verwünschung seiner Geburt, und die erste Freundesrede ergeht

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sich (4, 12 ff.) in prophetisierenden Bildern, von denen das letzte (V. 16) die eigentümliche Offenbarungsvorstellung der Eliageschichte (I Könige 19, 12) epigonisch abwandelt. Hiobs Erinnerung an die »Vertrautheit« Gottes (29, 4) führt eine Sprache, die aus jeremianischer (Jeremia 23, 18, 22) stammt, und sein in Erfüllung gehendes Verlangen, Gott zu »schauen«, rührt an die prophetische Erfahrung, die nur am Sinai (Exodus 24, 10, 17) Nichtpropheten zuteil wurde. Die geschichtliche Gestalt des leidenden Propheten Jeremia hat den Dichter wohl zu seinem Gedicht von dem Leidensmann begeistert, der durch sein Leiden dazu gelangte, Gott zu sehen und in all seiner Empörung Gottes Zeuge auf Erden war (vgl. Jesaja 43, 12; 44, 8) wie Gott der seine im Himmel. Man hat gemeint 181 , der 73. Psalm sei von dem Dichter des Hiob geschrieben, und die Aehnlichkeiten (z. B. von V. 11 des Psalms mit Hiob 22, 13) sind in der Tat beachtenswert. Aber dieser Beter, in seinem Ausdruck von diesem Dichter abhängig, mit dem er die große Frage nach dem »Frieden der Frevler« (V. 3, vgl. Hiob 21, 9) gemein hat, ist zu einer schlichten Gewißheit und Gelassenheit gelangt, wie wir sie beim Dichter nicht kennen. Wären beide doch identisch, so müßte angenommen werden, daß der Dichter über das letzte Wort seines Helden (42, 6) hinaus, dem das Wort des Psalmisten (V. 22) »dumm war ich und erkannte nicht« entspricht, zu jenem schlichten Ja des Beters gekommen ist. Ein echter Beter ist dieser Psalmist, das heißt ein Mensch, der nicht eine Rede an Gott verfaßt, sondern zunächst wirklich zu Gott redet. Daß er das nicht in ungeformter Sprache, sondern in der von vielen Geschlechtern ausgebildeten Form tut, hängt mit der Vorstellung zusammen, daß das Gebet an Opfers Statt Gott dargebracht wird (Psalm 40, 7 ff.): der Beter bringt Gott sich selber als Buchrolle 182 , auf der das Gebet geschrieben steht 183 , und er »birgt es nicht im Herzen« (V. 11), sondern spricht es öffentlich, »in großer Versammlung«, weil er den Auftrag fühlt, dieser die »Huld und Treue« Gottes kundzutun. In diesem Botschaftscharakter des Psalmtypus, dem der 73. Psalm angehört, ist das Wesen des prophetischen Wortes in das Gebet eingegangen, und es ist nicht beiläufig, daß ein der Gesinnung und Sprache nach verwandtes Rätsel- und Lehrgedicht (Psalm 49) – »zur Zither« gesprochen, aber echt prophetisch – mit dem Einleitungsspruch Michas (1, 2) beginnt, den die Erzählung (I Könige 22, 28) auch schon Micha ben Jimla in den Mund legt: »Hört 181. Buttenwieser, The Psalms (1938) 526. 182. »In« = als, wie Ps 39, 7, Jes 40, 10. 183. »Auf mir geschrieben« gehört als Einleitung zum Nachfolgenden: auf mir (auf der Rolle, die ich bin) ist geschrieben, was folgt.

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es, ihr Völker alle!« Es ist »eine Botschaft Gottes an die gesamte Menschheit« 184 . Solchem kündenden Gebet, das als Aeußerung und Uebermittlung einer Offenbarung gemeint ist, liegt eine übermächtige Erfahrung zugrunde, deren Neuheit und Stärke auf den Erfahrenden als Aussendung wirkt. Das ist in keinem andern Psalm so spürbar wie in dem 73., von dem mit Recht gesagt worden ist 185 , daß das Selbsterlebte hier die alte feste Stilform fast ganz aufgelöst und eine eigentümliche neue geschaffen hat. Das treibende Moment in der Entstehung dieser Form ist, daß gerade das Allerpersönlichste, das Geheimnis des Herzens, kundgegeben werden muß, damit die Kundgebung wahrhaft erfolge. Es darf nicht etwa aus der Intimität der Gebetssprache in eine gegenständlichere Redeweise übertragen werden: der Beter muß die Unmittelbarkeit des Ich und Du bewahren, damit sein Wort Zeugnis ablege. Daß er der prophetischen Bedeutung, der Botschaftsbedeutung seines Gebetes inne wird, wandelt es zum Bekenntnis. Der Eingang des Psalms (V. 1, an dessen Wortlaut nichts zu ändern ist) kennzeichnet die Situation, der er entstammt. Der Beter hört rings um sich klagen, Gott handle an seinem Volk nicht als ein guter Gott. Dagegen stellt er sein Bekenntnis: »Gott ist doch gut zu Israel«, aber nur die reines Herzens sind, erfahren seine Güte, denn nur ein reines Herz vermag das, was Gott Israel tut, als Güte zu fassen: Gott ist gut zu denen von Israel, insofern sie reines Herzens sind. Nicht daß er denen ihre Reinheit vergälte, sondern kraft ihrer erfahren sie sein Tun an ihnen als Guttun. Daß es so ist, erweist der Psalmist an seinem eigenen inneren Leben. Lange hatte es gewährt, bis er das reine Herz und dessen Erkenntnis erlangte. Wohl »läuterte er sein Herz« (V. 13), aber das erschien ihm als ein ungesegnetes Bemühen, ein Lohn ward ihm nicht zuteil, vielmehr war er unablässig geplagt und mußte sein Leid an jedem Morgen als »Züchtigung« empfinden (V. 14). Rings um ihn aber gediehen die »Frevler« und blieben frei von der »Pein«, mit der die Menschen »geplagt« sind (V. 5), und von den »Klammern« der Leiden (V. 4); sie mehrten nicht bloß ihre Macht, sondern blieben dabei anscheinend im Frieden ihrer Seele unberührt (V. 12, vgl. V. 3). Wenn man sie ansah, war es einem, als sähe man die »Malereien« ihres lüsternen und behaglichen Herzens ihnen über die Augen ziehen, deren unbekümmerter Blick aus dem fetten Gesicht hervordrang (V. 7); ihre Gewalttätigkeit trugen sie zur Schau wie einen Kragen, darüber die Hoffart wie ein Halsgeschmeid lag (V. 6). 184. Volz, Psalm 49, Zeitschrift für die alttestamentl. Wissenschaft, Neue Folge XIV (1937) 244. 185. Mowinckel, Psalmenstudien VI (1924) 65.

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Sie verkündeten ihre die Mitmenschen bedrückenden Ansprüche von sicherer Höhe herab (V. 8), als ob die Gerechtigkeit selber redete, sie »setzten ihr Maul an den Himmel« (V. 9). Der Psalmist führt zwei von ihren Sprüchen an, einen schwer verständlichen (V. 10), in dem sie sich anscheinend über Gottes Verhältnis zu »seinem Volk« lustig machen 186 , und einen (V. 11), in dem sie, wahrhaft mit einem »an den Himmel gesetzten« Maul, ihr Sicherheitsgefühl Gott gegenüber bekunden, der von ihrem Gebaren keine Kenntnis habe oder jedenfalls sich nicht damit befasse. Vergeblich hat der Sprecher wieder und wieder gegrübelt, um zu erkennen, was diese »Pein« (V. 16) bedeute, woher die innere Sicherheit des Bösen komme. Aus mangelnder Erkenntnis (V. 22) »gärt sein Herz auf« (V. 21). Endlich kommt er, reines Herzens geworden, zu den »Heiligtümern Gottes« (V. 17). Auf den Tempel ist dieses Wort »zu den Heiligtümern Gottes kommen«, das mit »verstehen lernen« parallelisiert ist, nicht zu deuten, auch wenn es aus einer Zeit stammte, in der es einen Tempel gab; das »Kommen« kann hier nur ein inneres sein. Reines Herzens geworden, gelangt der Psalmist zu der Gemeinschaft mit Gott, in der allein man seine Heiligtümer, den Bau seiner Geheimnisse, zu betrachten vermag. Nun, da er an sich selber erfährt, was er vordem, grübelnd und sich peinigend, nicht wußte: was die wahre Gewißheit und Gelassenheit ist, erkennt er, daß jene Sicherheit der Sicheren nichts als Schein war, eine Haltung, angenommen, um die vollkommne Haltlosigkeit zu verbergen. »Auf schlüpfrigen Boden« hat Gott sie gesetzt, es gab überhaupt keinen festen Grund unter ihren Füßen, der »Verheerung« hat er sie »zufallen lassen« (V. 18): sowie sie ganz erfahren, wie haltlos sie sind, werden sie im Nu »zur Wüstenei« und »vergehen vor Grausen« (V. 19) – und Gott, der nun »sich regt«, um in der Geschichte zu handeln, achtet ihres verflogenen »Schattenbilds« so wenig, wie man eines Alptraums nach dem Erwachen achtet (V. 20). Hier, in diesem Gleichnis des Gottes, der den kurzen Schlummer, währenddessen die Frevler gediehen, von sich abschüttelt, um wieder in der Geschichte zu handeln, wird deutlich, daß die persönliche Erfahrung des Psalmisten auf eine allgemeine und historische verweist. Die sich von Gott fernhalten, schwinden (V. 27). Das Böse hat keinen Bestand, weil es in sich keine Existenz hat. Gott vergilt nicht dem Bösen, es gibt keine Rechnung zwischen Gott und 186. Das Wort »daher« gehört nicht zum Spruch, sondern leitet ihn ein (Daher pflegten sie zu sagen). M. E. handelt es sich um Leute, die in der Exilszeit in Palästina blieben und dort die Lage ausnützten. Sie spötteln: »Möchte doch Gott sein ganzes Volk zurückbringen (damit wir sie alle ausnützen können). Speise kriegen sie freilich kaum, aber an Wasser können sie sich satt trinken« (das letztere persifliert vielleicht prophetische Sprüche wie Jes 43, 20).

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dem Menschen, aber gottlos sein heißt nicht sein. Für den, der in Hiobs Schule gegangen ist, gibt es keine Rückkehr zur Religion der drei Freunde; aber was in der Lehre Ezechiels an lebendiger Glaubenswahrheit verborgen und zugeschüttet war, nämlich daß die Sünde zwar nicht Tod bringt, aber Tod ist, das ist hier auf höherer Stufe, nach schwerstem Leiden an dem Gang der Welt, wiedergefunden und wie für das Leben der Person so für das der Geschichte ausgewertet. Zu den »Heiligtümern« gekommen, vergißt der Beter nicht mehr, daß die Gerechtigkeit Gottes sein Geheimnis ist, aber so, im Geheimnis, erfährt er sie. Er erfährt sie als der Mensch, der in der Gemeinschaft mit Gott steht. Reines Herzens geworden, weiß er, daß er stets bei Gott bleibt, der seine rechte Hand erfaßt hat und ihn leitet (V. 23 f.). »Wen habe ich im Himmel!« ruft er: er wendet sich von dem Leid der Erde, das ja noch andauert, nicht himmlischen Gütern zu, es ist ihm nicht um den Himmel, sondern um Gott zu tun, der nicht mehr im Himmel als auf Erden, der aber eben ihm nahe ist; nicht im Himmel möchte er sein, sondern da, wo er ist: bei Gott, und wenn er bei ihm ist, gibt es auch auf Erden nichts, was er begehren könnte (V. 25). Wenn sein Fleisch und damit auch dieses Herz, das einst aufgor und das nun die Gegenwart Gottes erfährt, schwinden: »auf ewig« bleibt, der in diesem vergänglichen Herzen als der unvergängliche »Fels« besteht und ihm zum »Anteil« geworden ist (V. 26), und das ist genug. Bestehn ist Gottes; der Mensch besteht, der Gott nah ist. Die sich von Gott fernhalten, schwinden; »ich aber, Gott nah sein ist mir das Gute« (V. 27). Gott ist doch gut zu Israel: zu den Herzensreinen, die ihm nah sein dürfen. Auf die Worte »Mit deinem Rate wirst du mich leiten« (V. 24) folgt in dem Psalm ein in seiner Bedeutung von je strittiger Satz, den man etwa »danach wirst du mich in Ehren nehmen« übersetzen mag. Ein ausgebildeter Glaube an persönliche Unsterblichkeit ist hier ebensowenig ausgesprochen wie an der verwandten Stelle des 49. Psalms (V. 16), wo anscheinend ebenfalls von einem den Menschen im Tode »nehmenden« Gott die Rede ist, wohl aber kommt hier wie dort zum Ausdruck, daß für den Sprecher der Tod bereits ein Geheimnis geworden ist. Das war er in Israel in früherer Zeit nur in mythischen Erzählungen von der Entrückung göttlicher Lieblinge bei ihrem Leben, Henochs (Genesis 5, 24) und Elias (II Könige 2, 3, 5, 9, 10), wo ebenfalls ein »Nehmen« berichtet wird, bei Elia mit dem Nachdruck vierfacher Wiederholung. Der Psalmist, bei dem die Vorstellung neue Gestalt annimmt, meint nicht, er werde in den Himmel entrückt werden, wohl aber, Gott werde sich um ihn wie im Leben so auch im Tode persönlich bekümmern, ihm auch da tätig gegenwärtig bleiben. Ueber diese Gewißheit hinaus, daß Gott den Seinen

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seine Gemeinschaft auch im Sterben nicht entzieht, läßt er seine Phantasie wohl nicht spielen. Es trifft zwar m. E. zu, daß der Glaube an eine jenseitige Seligkeit »erst in einem späteren Zeitalter, nicht ohne den Einfluß fremder Religionen, im Judentum heimisch geworden ist« 187 , vorausgesetzt, daß wir unter einem solchen Glauben eine geordnete religiöse Weltanschauung verstehen. Aber es gibt in Israel, wie in allen Völkern, Urformen eines Glaubens an die Macht der Gottnähe über den Tod, die man wohl absichtlich im Geheimnis des mythischen Elements beläßt, bis sie in der Glut neuer starker Erfahrungen der Gottgemeinschaft umgeschmolzen werden. Das Entscheidende ist, daß die Vorstellung Gottes stärker wird als die des Todes: man setzt in den Herrn, JHWH, seine »Bergung« (Ps 73, 28) – darüber denkt man nicht hinaus, und das ist offenbar in der Tat genug. Der geglaubte Gegenstand ist nicht die »Unsterblichkeit der Seele«, sondern die Ewigkeit Gottes. Gleichviel was das Sterben für die menschliche Person bedeutet: wenn sie mit Gott Gemeinschaft hält, weiß sie, daß er ewig ist und daß er ihr »Anteil« ist. Diese Gemeinschaft ist, wie das Gottschauen Hiobs, durch das Leid erworben. Aber hier erst wird das gewußt und ausgesprochen: der Psalmist bekennt sich eben zu diesem Weg, der durch das Leid zu Gott führt. Gott liebt die willig Leidenden. Um ihretwillen tut er seine »Arbeiten« (V. 28, vgl. Jeremia 50, 25) in der Verborgenheit von Leben und Geschichte, von denen zu »erzählen« der Psalmist als die Aufgabe ansieht, zu der er durch jene »Nähe«, jene »Bergung« berufen ist. Diese Schlußworte des Lieds »alle deine Arbeiten zu erzählen« sind nicht zu streichen: sie sagen, daß und warum das Gebet zur Botschaft wird.

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Jesaja hatte die Verheißung der Volksbefreiung, damit sie das Volk in der Stunde der Entscheidung nicht zu falscher, den Antrieb zur Umkehr niederhaltender Zuversicht verleite, in seinen Schülern »eingeschnürt« und »versiegelt« (Jesaja 8, 16). Wie eine Urkunde verschnürt und versiegelt wird – man denke an Hiob 14, 17, wo der »Frevel« wie ein Gerichtsakt »in der Verschnürung zugesiegelt« ist –, so soll es mit der messianischen Botschaft geschehen, und der Verwahrungsort sind die lebendigen Jünger. Erst in der Zeit der äußersten Not sollten sie das Siegel ihrer Herzen aufbrechen und die Botschaft eröffnen, um die in »nachttiefer Bangnis«

187. Gunkel, Die Psalmen 315.

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(V. 22) Befangenen durch das Wort des Heils vor der Verzweiflung an der göttlichen Führung ihres Schicksals zu retten. Daran knüpft nach fast zwei Jahrhunderten der namenlose Prophet an, den man als Deuterojesaja zu bezeichnen pflegt, weil seine Weissagungen mit denen Jesajas in einem Buch vereinigt worden sind. Man muß sich, um dies deutlich zu erkennen, vergegenwärtigen, daß die Bezeichnung limmud, die Jesaja an jener Stelle für seine Schüler gebraucht, in dieser substantivischen Bedeutung nur in diesem Buch der Schrift vorkommt, und zwar außer der erwähnten Stelle nur noch dreimal im zweiten Teil, im deuterojesajanischen Text. Der adjektivische Gebrauch des Wortes im Sinn von »eingeübt, eingewöhnt« dürfte geläufig gewesen sein (vgl. Jeremia 2, 24 und 13, 23). Daraus hat offenbar Jesaja einen neuen, spezifischen Begriff geprägt. In der Denkschrift, in der er die Tragik seiner prophetischen Aufgabe und seines prophetischen Weges ausspricht, gibt er eine feierliche Erklärung in Bezug auf einen ihm verbundenen Kreis ab, den er offenbar als den Kern des verheißenen »umkehrenden Restes« ansieht; und so verleiht er, an einem geläufigen Wort eine Bedeutungswandlung vollziehend 188 , diesem Kreis einen Namen, der dessen Verbundenheit mit ihm, dem Propheten, aussagt. Daran knüpft nun (50, 4) der Nachfahr seines Geistes an, indem er das vielleicht seither in diesem Sinn noch nicht wieder gebrauchte Wort so nachdrücklich und wiederholend verwendet, daß es sogleich an den Spruch des Meisters gemahnen muß, dessen Denkschrift unter den Adressaten der neuen, deuterojesajanischen Botschaft, den Exulanten in Babylon, zweifellos weithin verbreitet worden war. Er will damit ausdrücken, daß er, der Spätling, sich den Limmudim zurechnet und ihnen zugerechnet zu werden wünscht. Er habe, so sagt er, von JHWH eine Limmudim-Zunge erhalten, die immer wieder, an jedem Morgen, von Gott erweckt werde, damit er »den Matten«, das ermattete, nicht mehr an eine Befreiung zu glauben wagende Volk »mit einem Wort«, nämlich mit einer Auslegung der alten Weissagung, »erquicke«; es ist eine »Jüngerzunge«, denn er soll eben das Wort des Lehrers trostreich und hilfreich erschließen; und so weckt ihm JHWH denn auch sein Ohr, damit er, als ein rechter Jünger, die Botschaft des Meisters immer neu, an jedem Morgen, in ihrem wahren Sinn vernehme. Damit sagt der Namenlose also, daß er, der Nachgeborene, von Gott selber zum Limmud Jesajas berufen worden sei, der das von diesem den Limmudim überlieferte 188. Später hat sich ein nochmaliger Bedeutungswandel, vielleicht infolge eines Mißverstehens der alten Texte, vollzogen; bei Jesus Sirach (51, 28) bedeutet limmudim: Belehrung, Lehre.

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Wort zu entsiegeln und zu offenbaren habe. Die Heilsbotschaft Jesajas erschöpft sich nicht, so müssen wir’s verstehen, in den schriftlich erhaltenen Liedern und Sprüchen, geheime Kunde ist von ihm ausgegangen, die sich durch Gottes Willen dem späten Jünger erschließt. Man hat oft die Frage erörtert, warum Deuterojesaja, wenn er sich auch oft auf göttliche Rede beruft, nie in der bei allen anderen Propheten üblichen Berichtsform sein Wort auf die ihm zuteil gewordene Offenbarung JHWHs bezieht. Der Grund ist m. E. darin zu sehen, daß er allein unter allen Propheten als ein Jünger, ein Erschließer und Fortsetzer verstanden werden will und daher auch das »Neue«, das »Künftige«, die Erlösung der Welt Meinende, das erst jetzt, und zwar durch seinen Mund, verkündigt wird, mit dem »Früheren« verknüpft (41, 22; 42, 9; 48, 3, 6), das für die Befreiung Israels als Beginn des messianischen Handelns JHWHs von Jesaja geweissagt worden ist, so daß das Neue als die Entfaltung jenes Früheren erscheint, das nun freilich erst jetzt, eben im Licht des Neuen, in seinem vollen Sinn offenbar wird. Es wird uns zu ahnen gegeben, daß auch das Neue schon in jenem nicht schriftlich überlieferten, nur in Jüngerseelen »verwahrten« (48, 6) Geheimnis enthalten war und daraus nun eben dem Volk kundgetan wird. Gott gewährt dem Sprecher, das Wort der versiegelten Botschaft so zu vernehmen, als hätte er im Kreis der Limmudim geweilt, und es den im Exil Ermattenden zu übermitteln. Wie er es hört, können wir ebenfalls nur ahnen: wir werden im Eingang seines Buches zu Zeugen gemacht (40, 3, 6), wie vor seinen Ohren die Geister sich über den Sinn der Stunde unterreden, Worte Gottes über das sich Bereitende führt er häufig an, doch nie ausdrücklich als von Gott zu ihm gesprochen. Aber diesen merkwürdigen Zwischenstand, zwischen der vollen prophetischen Unmittelbarkeit des Empfangens und Aussprechens und der abgeleiteten Haltung eines Deuters überlieferten Wortes, sieht er offenbar als einen dem gegenwärtigen Zwischenstand Israels, wie ihn schon Hosea (3, 4) angekündigt hatte, ja als einen dem gegenwärtigen Zwischenstand der Welt entsprechenden an. Wenn die Zeit erfüllt ist, wird alles Fleisch den Kabod JHWHs schauen (Jesaja 40, 5), den einst Jesaja nur als Einzelner schauen durfte, obgleich die ganze Erde seiner voll war (6, 3, 5); und so werden dann alle Söhne Israels Limmudim JHWHs selber (54, 13), Jünger Gottes sein: kein Unterschied mehr zwischen Lehrenden und Lernenden, nichts mehr zu verschnüren und zu versiegeln – die große Weltöffentlichkeit Gottes, wo alle von Gott, ihrem König und ihrem Meister (30, 20), das lernen, was zu lernen ist. Der wohl aus frühprophetischer Zeit stammende, Mose zugeschriebene Wunsch (Numeri 11, 29), das ganze Volk JHWHs möchte durch eine Ergießung seiner

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Ruach zu Nebiim werden, hat hier die Gestalt der Verheißung angenommen: »ich werde meine Ruach über deinen Samen gießen« (44, 3). Wenn man den zweiten Teil des Jesajabuchs formkritisch – also nicht etwa bloß auf die zur Verwendung gelangenden Wörter hin, sondern in Hinsicht auf alle Einzelheiten des Stils und des Rhythmus – betrachtet, findet man, daß von den Kapiteln 40-55 das meiste (einiges, wie insbesondere Kap. 47, ferner 49, 14-26 und 50, 1-3, ist von anderer Hand) einem einzigen Autor angehört, wogegen im Rest des Buches, der überwiegend nachexilischen Ursprungs ist, nur weniges, wie z. B. 57, 14-19, oder 61, 1, deuterojesajanisches Gepräge trägt. Wenn man aus 40-55 die fremden Bestandteile ausschaltet, bleibt ein Buch, das man als eine der ausgebildetsten Kompositionen innerhalb der hebräischen Bibel bezeichnen darf. Damit soll nicht gesagt sein, daß es als Buch entstanden ist; man darf vielmehr drei Stadien vermuten. Das erste waren wohl mündliche Kundgebungen des Propheten an einen sich um ihn sammelnden Kreis, das zweite die Ausarbeitung dieser Kundgebungen zu Flugblättern, die unter den Exulanten heimlich verbreitet wurden, das dritte die Zusammenschließung einer Anzahl dieser Flugblätter zu einer Einheit, die zur Bewahrung über die Stunde hinaus bestimmt war. Die Zusammenschließung kann nicht erst in späterer Zeit erfolgt sein, da die Ordnung eine Methode aufweist, die von keiner anderen Hand als der des Verfassers stammen kann, weil keine andere die Bearbeitung vornehmen konnte, die erforderlich war, um diese tief in die Struktur der einzelnen Stücke reichende Ordnung herzustellen. Die Stücke sind keineswegs nur durch in je zweien wiederkehrende Stichworte rein äußerlich aneinandergereiht 189 ; es handelt sich vielmehr um gewichtige Motivworte und Motivwortgruppen, die von Stück zu Stück wiederkehren und jeweils einen bedeutsamen inneren Zusammenhang anzeigen. Von Armut des Wortbestandes (wie Duhm meint) kann nicht die Rede sein; innerhalb einer großen sprachlichen Fülle werden bestimmte Ausdrucksformen, wie innerhalb der einzelnen Stücke, so auch von Stück zu Stück wiederholt, um Verbindungen zu schaffen, durch die die Stellen einander ergänzen und erklären. Dabei werden mit Vorliebe dieselben Ausdrücke in verschiedenen Bedeutungen verwendet, aber durchaus nicht beiläufig, sondern eben diese Verschiedenheit ist geeignet, die Aufmerksamkeit auf die innere Dialektik der Elemente zu lenken. Dazu kommt aber noch, daß auch

189. Das nimmt Mowinckel, Die Komposition des deuterojesajanischen Buches, Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft, N.F. VIII (1931) 87 ff., 242 ff., an.

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der Reihenfolge, in der die Ausdrücke erscheinen, eine unverkennbare Absicht innewohnt. Von hier aus ist auch die Art zu erkennen, in der das besondere Verhältnis des Verfassers zu Jesaja zur Aeußerung gelangt. Daß vielfach dessen Ausdrucksweise übernommen wird, hat man als stilistischen Einfluß hinreichend verstehen zu können vermeint; aber es ist mehr als das. Jesajanische Bilder werden zu einer sinnreichen Vielfältigkeit ausgestaltet; jesajanische Grundbegriffe werden abgewandelt, in ihren inneren Möglichkeiten ausgearbeitet und gleichsam dynamisiert, und zwar so, daß von Variation zu Variation und so fort ein Weg führt und der aufgeschlossene Reichtum des Grundbegriffs erst in diesem Weg ganz wahrnehmbar wird. Ein einziges charakteristisches Beispiel mag hier genügen. Deuterojesaja übernimmt den führenden Grundbegriff Jesajas, die Gottesbezeichnung »der Heilige Israels«. JHWH ist dieser Bezeichnung nach nicht bloß heilig, er ist vielmehr der Heilige, das heißt, was irgend in der Welt heilig zu nennen ist, ist es, weil und insofern es von ihm aus geheiligt wird, er steht aber zu keiner anderen Wesenheit in der Welt außer Israel in dem Verhältnis, daß er als der Heilige dieser Wesenheit bezeichnet werden dürfte, er ist weder der Heilige der Welt noch der Heilige des Menschengeschlechtes noch der irgendeines anderen Volkes, sondern eben nur der Heilige Israels, weil unter allen nur es von ihm als Volk geheiligt und berufen wird, heilig zu werden. Indem nun Deuterojesaja diesen Grundbegriff, den wir bemerkenswerterweise vorjesajanisch nirgends, nachjesajanisch sonst – abgesehen von der Jesajalegende (37, 23 = II Könige 19, 22), die hier wohl einen echten Ausspruch einbezogen hat – nur bei Jeremia und in Psalmen seines und des exilischen Zeitalters finden, übernimmt, verknüpft er ihn mit einem eigenen, mit der Gottesbezeichnung »der Erlöser Israels« (41, 14; 43, 14; 48, 17; 49, 7; 54, 5). Goel, Einlöser, Erlöser heißt der Verwandte, dem im israelitischen Familienrecht die Pflicht zufällt, »das Leben und Gut der Familie, die in Unfreiheit geraten ist, für den Familienstand wieder einzulösen« (Procksch) 190 , der also, eben als nächster haftpflichtiger Verwandter, die »sittliche Aufgabe« hat, das Blut des Erschlagenen zu rächen, den Versklavten loszukaufen, den verschuldeten Landbesitz zu erhalten, in all diesen Fällen ein verfallenes Gut der Sippe wieder freizumachen. Solch ein Handeln an ihm, und zwar allgemeinster, das ganze Leben durch190. Vgl. Procksch, Art. λύω, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament IV 331 f.; derselbe, Der Erlösungsgedanke im Alten Testament, Deutsche Theologie II (1929) 130 f.

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wirkender Art, ein »Lösen aus allem Uebel«, dankt Jakob (Genesis 48, 16) seinem Gott. Die Exodus-Erzählung versteht, im Gesang des Volkes (Exodus 15, 13) und vorher im Spruch JHWHs selber (6, 6), die Befreiungstat als solch eine Lösung aus der Knechtschaft des Fremdvolks. Im gleichen Bilde sehen Jeremia (31, 10) und sein Zeitgenosse, der Verfasser einer dem Buche Micha (4, 10) eingegliederten Weissagung, die künftige Befreiung aus Babylon, die Deuterojesaja als unmittelbar bevorstehend verkündet. Das Bild ist dadurch ermöglicht, daß die Erwählung des Volkes, auch schon in seinem Stammvater, durch JHWH als Adoption verstanden wird und dieser somit gleichsam als der »haftpflichtige Verwandte Israels« erscheint. Diese Vorstellung verschmilzt nun für Deuterojesaja mit der des »Heiligen Israels«. Durch den Heiligen zur Heiligung bestimmt, um sein Widerstreben gegen sie in die Sklaverei verkauft (Jesaja 50, 1), im »Schmelzofen des Elends« geprüft und geläutert (48, 10), soll Israel nun von ihm aus der Schuldgefangenschaft erlöst werden, weil er als der Heilige eben der Heilige Israels ist und davon, es zu sein, nicht lassen wird. Was für Jesaja Mahnung und Warnung der Mutwilligen war, die »den Heiligen Israels verschmähen« (1, 4; 5, 24), das wird für seinen spätgeborenen Jünger zum Trost der Reuigen und Verzagenden: der »Wurm Jakob« soll sich nicht fürchten, denn JHWH, als der Heilige Israels, ist sein Löser (41, 14). Dieser Zuspruch verdichtet sich zur historisch konkreten Ansage: als der Heilige Israels und sein Löser schickt JHWH, der Israels Schöpfer und sein König ist, nach Babel, um es zu holen (43, 14). Nun aber will er es, als sein Heiliger und Löser, auch über den neuen Weg, die neue Ordnung seines Lebens belehren (48, 17). Für den Aeon dieser neuen Lebensordnung sagt er, als Heiliger und Löser, seinem Knecht, der jetzt noch ein »Knecht der Zwingherren« und der »Abscheu der Völker« ist, an, daß die Könige, die seine Erhöhung schauen, aufstehen und JHWH anbeten werden, der ihn erwählt hat (49, 7). Und zum Schluß, das letzte Mal, wo die beiden Grundbegriffe, Heiliger Israels und Löser Israels, verschmolzen auftreten (54, 5), erscheint, nach einem erneuten »Fürchte dich nicht« (V. 4), das hoseanische Bild der Vermählung JHWHs mit Israel wieder: das verlassene »Weib der Jugend« (V. 6) wird begnadigt, ausgelöst und wiederaufgenommen. Die von Hosea geweissagte Wiederangelobung »in Huld und Erbarmen« (Hosea 2, 21) wird nun von dem »Erbarmer« in »ewiger Huld«, die »nie mehr weichen wird«, vollzogen (Jesaja 54, 8, 10). Damit ist der Aufstieg vollendet, der hier mit eindringlicher Deutlichkeit von Wiederholung zu Wiederholung der Grundbegriffe führt. In einem nach Stil und Gehalt aus der Umgebung Deuterojesajas stammenden Fragment (29, 17-23) wird aber noch etwas

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hinzugefügt: die Losgekauften werden den Namen Gottes heiligen, sie werden »den Heiligen Jakobs heiligen«: das Ziel der Erwählung, die Heiligung JHWHs durch Israel, d. h. die Stiftung seines heiligen Reiches durch das von ihm geheiligte Volk, ist erreicht. Der neue »Weg«, auf dem zu gehen Gott es belehrt, heißt, wie wohl derselbe Verfasser in einem anderen Gedicht (Kap. 35) ausspricht, »der Weg der Heiligung« (V. 8). Die Heiligung als wechselseitiges Handeln im göttlich-menschlichen Verhältnis ist erfüllt. Deuterojesaja ist trotz Amos, Jesaja und Jeremia der Begründer einer Theologie der Weltgeschichte, denn er ist der erste, der die besondere einmalige Botschaft, die er zu bringen hat, unablässig mit Erklärungen über das Walten Gottes über den Völkern und an ihnen unterbaut, das Besondere in diesem Allgemeinen begründet und gleichsam aus ihm folgert. Sein Gott ist nicht bloß wie der aller Prophetie Israels ein seinem Wesen nach sich offenbarender, sondern auch ein sich aussagender, sein Wesen theologisch aussprechender. Es hat keinen lebendigen Sinn, Deuterojesaja den ersten Monotheisten Israels zu nennen; aber er ist gewiß der erste, dem es um eine monotheistische Theologie geht, weil es ihm um eine Theologie der Weltgeschichte geht. Darum aber geht es ihm, weil es hier zum erstenmal die Aufgabe eines Propheten ist, den Anspruch anderer Götter auf die Führung des Weltschicksals als nichtig abzuweisen, und zwar insbesondere wohl deshalb seine Aufgabe ist, weil dieser Anspruch hier auf die Problematik der geschichtlichen Stunde einwirkt: auf die Problematik des politischen Programms des in dieser Stunde handelnden Menschen, des Völkerherrn Kyros. Zwar nicht zu ihm, aber auf ihn hin ist zu erweisen, daß die Götter, denen er sein Programm zu unterwerfen, von denen er es sanktionieren zu lassen geneigt sein kann, geschichtlich ohnmächtig sind – ein Erweis, der nur auf eine einzige Weise radikal zu führen ist: indem gezeigt wird, daß sie nicht Götter, sondern menschliches Machwerk sind. Jede andere Art der Argumentation würde nur eine Gegenargumentation herausfordern, jede andere würde sich im Umkreis der Gründe und Gegengründe verfangen. Unbedingte Ueberlegenheit kann nur einer Theologie zukommen, die ihr Alles gegen ein Nichts abzugrenzen sich unterfängt, und zwar indem sie dieses Nichts nicht dialektisch erstellt, sondern konkret aufzeigt. Mit anderen Worten: die Nichtigkeit der Götter wird erwiesen, indem sie in den psychologischen Raum verwiesen werden. Die die Führung beanspruchenden Götter sind nicht, denn sie sind »gemacht«; ihr Anspruch ist also nichts anderes als der der Menschen, die sie »machen«. Man hat gefragt, warum Deuterojesaja Mal um Mal von den Göttern als

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von Bildern redet, da er doch hätte wissen sollen, daß die Religionen diese Bilder nur als Sinnbilder, als Gehäuse des göttlichen Gestaltsinns, verstanden; er muß aber so reden, weil er in seiner konkreten Sprache nur so ausdrücken kann, daß diese Götter nicht Wesen, sondern Gebilde sind, um ihnen einen Gott gegenüberzustellen, der gar nicht Gebild, sondern ganz Wesen, also Gott ist. Und wieder ist daraus zu verstehen, daß Deuterojesaja immer wieder, in jedem Stadium seiner Darlegung, seinen Gott sich den Götzen der Völker gegenüberstellen läßt als den, der das Kommende voraus weiß und voraus verkündigt, wogegen sie nichts wissen und daher auch nichts ansagen können. JHWH erscheint hier als der weissagen lassende, der weissagende, der prophetische Gott. Als solcher kann ihn aber erst Deuterojesaja sehen: weil er eine Konzeption der Prophetie vertritt, die von der der früheren Schriftpropheten abweicht. Seine Weissagung hat nichts mehr von einer Alternative; sein Gott bietet nicht mehr den Menschen zwei Möglichkeiten dar, damit sie an der Entscheidung zwischen ihnen teilnehmen; er hat entschieden, und der Mensch ist nur noch der Gegenstand seiner Entscheidung. So tief Deuterojesaja die Verschuldung Israels kennt und so streng er sie kennzeichnet, die Frage nach dem Einfluß der Umkehr auf Gottes Tun stellt sich kaum noch; Voraussetzung und Anbeginn seiner Botschaft ist, daß Israel seine Schuld abgebüßt hat (40, 2). Daß er Heil zu prophezeien hat, ist eins mit der Tatsache, daß erst er im hergebrachten Sinn zu prophezeien, das heißt Feststehendes vorherzusagen hat. Die versiegelte Heilskunde, die sein Meister Jesaja vor dem Hintergrund der Alternative abfaßte, eröffnet er in einer Welt ohne diesen Hintergrund. Wohl weiß er um das Drama zwischen Gott und Mensch, zwischen dem heiligen JHWH und seinem unheiligen, seiner Heiligung widerstrebenden Israel; aber er weiß darum nur als um ein vergangenes, durch Gottes Vergebung überwundenes – der Augenblick und die aus ihm hervorzubrechen sich anschickende Zukunft kennt diese Dramatik nicht mehr. Damit ist aber zugleich deutlich, daß Deuterojesaja ihre geheimnisvolle Wirklichkeit, die Wirklichkeit eines faktischen, das Schicksal mitzubestimmen vermögenden menschlichen Widerstrebens nicht kennt. Das Geheimnis der menschlichen Selbständigkeit im Angesicht eines Gottes, der wirklich Gott ist, ist freilich auch ihm bekannt und wesentlich; aber unzugänglich ist ihm diese seine Seite: die eines faktischen, bis in die innerste Tiefe der Geschichte sich auswirkenden Gegeneinander von Gott und Mensch. Was der Mensch gegen Gott unternimmt, spielt sich für diesen Propheten nur auf der Fläche der Weltgeschichte ab, die Tiefe ist hier Gottes allein. Das Furchtbare, das Jesaja in seiner Vision erkennt: daß Gott seinem Geschöpf unerbittlich die Kraft verleiht,

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sich gegen ihn aufzulehnen, ist für Deuterojesaja ausgelöscht. Die Widerspenstigkeit macht sich in der Geschichte breit, weil Gott sie »trägt« (46, 4), aber ihr Handeln ist aus Scheingebärden zusammengesetzt, in Wahrheit hat JHWH sich keinen Gegenspieler aufgerichtet. Er sagt das Kommende mathematisch voraus, weil er allein es bestimmt; er verkündigt Geschichte, weil er es ist, der sie macht. Vor dem apokalyptischen Hinnehmen und »Enthüllen« von Geschicken, die vom Menschen völlig unabhängig ihn überwalten, bleibt Deuterojesaja jedoch bewahrt; auch er schaut, wie die früheren Propheten, nicht ein Jenseits der Geschichte, das sich in ihren Formen nur darstellt, sondern das gewaltige Leben der geschehenden Stunde, und ihr göttlicher Gebieter mag noch so nachdrücklich sein uranfängliches Wissen um sie proklamieren, wir sehen ihn doch seine Allmacht gegen die Scheinmacht einsetzen, als sei auch diese eine wirkliche Macht und nur in hartem Kampf zu besiegen. Auch bei diesem späten Propheten noch, ja gerade bei ihm mit einer neuartig starken Betonung, ist JHWH ein geschichtslebendiger Gott. Er setzt die Geschichte nicht von einem selber geschichtsfremden Jenseits her fest und läßt sie sich nun abrollen, sondern er tritt selber in sie ein und erkämpft sie. Der »heldische Gott« des Jesaja (9, 5; 10, 21), den Jeremia (32, 18) und das Deuteronomium (10, 17) nur als ein Attribut unter Attributen übernommen hatten, wird hier zur anschaulichen Geschichtswirklichkeit: heldengleich zieht JHWH ins Feld, weckt den Kriegseifer (man muß wieder an die uralte Vorstellung des »eifernden« Gottes denken), schmettert, dröhnt, erzeigt sich als Held an den Feinden (Jesaja 42, 13). Mit diesem undogmatischen Geschichtsrealismus der Gläubigkeit Deuterojesajas darf man es wohl auch zusammenbringen, daß er mit einem offenbar gegen babylonischen Glauben an die Macht der Gestirngötter über das irdische Leben gerichteten Nachdruck auf das Heer des Himmels hinzeigt, auf die unzählbare Vielheit der Mächte, die der Feldherr JHWH in ihrer ihnen vorgeschriebenen Ordnung ausführt, die er alle bei Namen aufruft und von denen bei dieser seiner Heerschau keine ausbleibt (40, 26). Nicht wie in einem apokalyptischen Gedicht unbestimmten Datums, das mir aber zeitlich von Deuterojesaja nicht sehr entfernt zu sein scheint und das in das gleiche Buch aufgenommen worden ist (Kap. 24), wird das Heer der Höhe als ein der Alleinherrschaft Gottes widerstrebendes gedacht, das erst in der Stunde, da er seine Königschaft antritt (hier wie bei Deuterojesaja 52, 7), von ihm »heimgesucht« und unterworfen werden soll, daß der Mond errötet und die Sonne erblaßt (24, 21, 23); solch ein Bestehen überirdischer Gegengewalten kann hier auch nicht als ein vorübergehendes geduldet werden. Die Götter sind

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Gebilde des Menschensinns, die Gestirne aber sind lebendige Wirklichkeit: die unzählbar große Dienstschar des Einen. Darf man diese Kritik der astralen Religion als eine (bekanntlich politisch erfolglose) Warnung an Kyros vor dem Geiste Babylons verstehen, so scheint Deuterojesaja an einer anderen Stelle mit kühner Entschiedenheit unmittelbar auf des Perserkönigs eigene Religion einzugehen. Wir lesen in den Gathas (Yasna 44, 5), in der Reihe der Fragen Zarathustras an den obersten Gott nach der Entstehung der Welt: »Wer schuf werkgewandt Licht und Finsternis?, wer schuf werkgewandt Schlaf und Wachen?« Die Antwort: »Mazdah« ist »schon in der Art der Formulierung der Fragen gegeben« 191 . Bei Deuterojesaja (45, 6 f.) spricht JHWH, in eben der direkten Botschaft an Kyros, seinen »Gesalbten« (V. 1), in der er ihm verheißt, er werde ihm »die Schätze der Finsternis«, das heißt die gegenwärtig noch in der Finsternis »verwahrten« Segnungen der Heilszeit, geben: »Ich bin JHWH, keiner ist sonst: der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der das Heil macht und das Uebel schafft, ich bin JHWH, der alles dies macht.« Wir wissen nicht, wann die Gathas entstanden sind, aber daß die Lehre von dem obersten Gott, der Licht und Finsternis geschaffen habe, eine alte und zu Kyros’ Zeit verbreitete war, ist nicht anzuzweifeln 192 . Man könnte somit meinen, daß Deuterojesaja, im Gegensatz zu seiner Behandlung der babylonischen Gestirngötter (vgl. auch 46, 1 f.), hier eine Identifizierung vollziehe und erkläre, JHWH sei eben dieser Schöpfergott. Aber das würde der strengen Ausschließlichkeit seines Einheitsglaubens widersprechen; er kann nicht daran denken, den Einen mit dem Oberhaupt einer Götterwelt, mag sie auch für die Achämeniden nur noch »ein Hofstaat von Clangöttern« 193 sein, zu identifizieren. In der Tat sagt er aber über seinen Gott, wenn auch wohl in Beziehung auf die Gathalehre, etwas wesentlich anderes aus als sie. Mazdah hat nicht selber Gut und Böse geschaffen, »er hat die Schöpfer dieser Gegensätze hervorgebracht, aber der Gegensatz selber ist nicht sein Werk« (Nyberg); die von ihm hervorgebrachten Zwillingsgeister erzeugen dadurch, daß jeder von ihnen sich eine der des andern entgegengesetzte Welt wählt, den Gegensatz von Gut und Böse. Ganz anders JHWH, wie ihn Deuterojesaja sich dem Kyros kundtun läßt. Er bringt unmittelbar nicht bloß das kosmische Gegensatzpaar Licht-Finsternis, sondern auch das die Sphäre des Menschen konstituierende Heil-Uebel hervor. Daß hier schalom, Friede, Heil, und nicht tow, das Gute, mit r’a 191. Bartholomae, Die Gathas des Awestas (1905) 65. 192. Vgl. jetzt Nyberg, Die Religionen des alten Iran (1938) 101 ff. 193. Nyberg, a. a. O. 373.

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das Uebel, das Böse, kontrastiert wird, hat seinen Grund darin, daß die Vorstellung des ethischen Gegensatzes ferngehalten werden soll. Das Böse entsteht erst durch den Widerstand gegen Gott; aber – und hier gibt Deuterojesaja der Frage seines Zeitalters nach dem Ursprung des Uebels eine theologische Antwort – das Uebel wird durch ihn selbst zu den Zwecken seiner Weltführung hervorgebracht, ohne daß es dadurch gleichen Rang mit dem Heil erhielte, da ja im Endziel dieses allein waltet. Dabei ist zu beachten, daß das Wort »schaffen«, das der göttlichen Tätigkeit vorbehalten ist, hier nur für die negativen Werke, Finsternis und Uebel, verwandt wird, wodurch die Aussage in ihrem Gehalt als theologische Kundgebung eine noch stärkere Betonung empfängt. Gewiß wäre es falsch, den Spruch als gegen den persischen Dualismus gerichtet anzusehen, wie es früher oft geschehen ist. Gewiß »wendet sich V. 7 in enger Verbindung mit V. 6 an die Völker im allgemeinen« 194 , gewiß setzt sich Deuterojesaja »nicht mit einer bestimmten Religion, sondern mit der Religiosität des Altertums überhaupt auseinander« 195 ; aber wie alles bei ihm, so ist auch dies, bei allem universalistischen Pathos der Aeußerung, konkret-geschichtlich bestimmt, der Konkretheit der geschichtlichen Stunde gehört wie der Anlaß so der Gehalt der Absicht an. Deuterojesaja hat gewiß das erste Kapitel der Genesis gekannt. Hier fand er die Finsternis als etwas Uranfängliches vor, das man dem Wortlaut nach recht wohl für unerschaffen halten konnte. In seinem Eifer um die Ausschließlichkeit seines Gottes durfte er sich nicht damit begnügen, sie als einen privativen Begriff, als das Nichtvorhandensein von Licht anzusehen; sie war, ebenso wie das Uebel, polar gesetzt, und gerade von ihr, mit ihrer scheinbar selbständigen Macht, das Licht zu verschlingen, galt es zu wissen, daß sie Geschöpf ist. Aber wenn der Prophet JHWH sagen läßt, daß er sie, wie das Uebel, schaffe, so soll damit etwas anderes ausgesprochen sein, als daß er beide im Anfang geschaffen habe. Für Deuterojesaja ist das Schaffen Gottes etwas Allzeitliches, immer wieder Geschehendes, ja etwas Geschichtliches. Gott hat Israel geschaffen (43, 1, 7, 15), er schafft in der geschichtlichen Stunde, für die der Prophet spricht, ein Neues (48, 6 f.), er schafft um des Erlösungswerkes willen eine Wandlung der Natur, die aber zugleich Sinnbild der geistigen Wandlung ist (41, 20), er schafft Freiheit und Rechtmäßigkeit (45, 8). Gott schafft in der Geschichte. Zwischen Schöpfung und Geschichte besteht für Deuterojesaja keine theologische Abgrenzung. Wie in der Komposition des Buches Genesis die Erzählung von der 194. Haller, Die Kyros-Lieder Deuterojesajas, Gunkel-Festschrift (1923) I 268. 195. Volz, Jesaja II (1932) 64 f.

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Weltentstehung die von der Volksentstehung nur einleitet und der ganze Zusammenhang offenbar darauf angelegt ist, daß wir den Sinn des Ursprungs Israels bis in den Sinn des Weltursprungs zurückverfolgen, so und noch weit mehr weist bei Deuterojesaja alles, was er von der Schöpfung zu sagen hat, auf die Geschichte hin, wie freilich alles, was er von der Geschichte zu sagen hat, auf die Heilshoffnung hinweist 196 . Zuweilen durchdringen einander sogar die Bereiche am deutlichsten, wenn (51, 9 f.) in einer aus einem wohl gemeinsemitischen Mythos schöpfenden Bildsprache JHWHs Arm angerufen wird, zu »erwachen«, er sei es doch, der in den Tagen der Vorzeit den Drachen durchbohrte, und er, der »die Wasser des großen Abgrunds« austrocknete und »durch die Tiefen des Meers den Weg legte, daß hindurchschritten die Erlösten«. Die Weltschöpfung und die Befreiung Israels am Schilfmeer fallen hier »vor dem prophetischen Auge zusammen zu einem Akt universalen göttlichen Heilswillens« (v. Rad), und dabei wird, um die Verschmelzung beider aufs stärkste auszudrücken, zur Bezeichnung der Wassertiefe jenes Wort th’hom verwendet, das wir in Ermangelung einer besseren Uebertragung mit »Abgrund« wiederzugeben pflegen und das sowohl im Anfang der Schöpfungsgeschichte (Genesis 1, 2) als im Schilfmeerlied (Exodus 15, 5, 8) steht; die so entstandene Einheit aber ist von einem Dritten aus, von der unmittelbar erwarteten Erlösungstat aus gestiftet. Dasselbe wird in der Komposition des deuterojesajanischen Buches durch die Wiederaufnahme eines Ausdrucks in einem anderen Bereich geäußert, so etwa wenn (um von vielen Beispielen nur eins anzuführen) zuerst (40, 12 ff.) das Bekenntnis zum Schöpfer in das zu seiner unbedingten Ueberlegenheit der Völkerwelt gegenüber übergeht, die vor ihm null und nichtig ist, dann aber in der Verheißung der Erlösung (41, 12) die Worte wiederaufgenommen werden, um zu sagen, daß die Widersacher Israels dann null und nichtig werden sollen. Das biblische Ausdrucksmittel der Wiederholung verwendet der Prophet in einer besonderen Weise, indem dieselben Wörter in verschiedenen Bezirken wiederkehren und diese solchermaßen durch eigentümliche Assoziationen verknüpft werden, einander deuten und einander ergänzen; so prägt sich die Analogie, ja Wesenseinheit von Schöpfung, geschichtlichem Walten und Erlösung dem aufgeschlossenen Hörer oder Leser übermächtig ein. Freilich ist dies kein Kunstmittel, sondern die Einheit der Sphären im Gottesglauben des Propheten setzt sich in eine sprachliche Einheit um und äußert sich eben in dieser. 196. Vgl. v. Rad, Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens (in »Werden und Wesen des Alten Testaments«) 140 ff.

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Wie Schöpfung und Erlösung, so sind bei Deuterojesaja innerhalb der Erlösung die Israels und die der Völker miteinander verbunden. Sein Universalismus ist aber noch geschichtlich konkreter, als man anzunehmen pflegt. Amos hatte JHWH als den geschichtlichen Befreier der Völker verkündigt, die freilich zum Unterschied von Israel seinen Namen, sein Wesen nicht kennen und die Gebilde ihrer Wünsche an seiner Stelle sehen. Deuterojesaja verkündigt ihn als den künftigen Befreier der unterdrückten Völker, den sie so wenig noch kennen, wie Kyros, der von ihm zum Beginn des Befreiungswerkes Berufene, ihn kennt (45, 4 f., durch Wiederholung unterstrichen); entscheidend für die kommenden Dinge ist, daß sie wie Kyros ihn erkennen sollen. Der Ruf »wendet euch zu mir und laßt euch befreien, alle Enden der Erde« (V. 22) ist keineswegs bloß religiös gemeint – alles Angekündigte, alles Geforderte ist hier zugleich national-geschichtlich und religiös-übergeschichtlich zu verstehen –, vielmehr sollen jene von Babylon und anderen Gewaltmächten geknechteten Völker sich JHWH zuwenden, der sie in der kommenden großen Stunde der Geschichte in die Freiheit führen lassen will. Denn er ist der einzige Befreier, es gibt keinen andern (V. 21). Er ist »der gerechte Gott«, und Gerechtigkeit in der Gestaltung der Völkerordnung (diese Bedeutung hat das Wort z’daka hier angenommen) wird von ihm ausgehen. Das unvermittelte Aufeinanderfolgen von Aeußerungen, die sich auf verschiedene Umkreise beziehen, und die Verwendung der gleichen Ausdrücke in verschiedenen Umkreisen haben es bewirkt, daß entscheidende Stellen mißverstanden worden sind. Wenn angesagt wird (49, 12), aus aller Ferne, von Norden und von Westen, würden die Scharen kommen, ist trotz eines verwandten Verses über Israel (43, 6) nicht an dieses zu denken, sondern eben an all die Völker, die »in der Finsternis« Eingekerkerten (42, 7; 49, 9), die von Gott in die Freiheit geführt werden sollen 197 . Ihnen sollen auf der neuerstellten Erde »die verödeten Erbteile zugeteilt« werden (49, 8), daß Gottes »Heil« wird »bis ans Ende der Erde« (V. 6). Die Tröstung Israels, mit der das Buch begann, steigert sich hier zur Tröstung des Menschenvolks; wie in jener apokalyptischen Dichtung (25, 7 f.) »alle Völker« JHWHs Volk genannt werden, dessen Schmach »von der ganzen Erde« abgetan wird, wie in dem wohl zeitgenössischen 47. Psalm, der den Augenblick feiert, da JHWH die Königschaft über die gojim der ganzen Erde antritt, die versammelten Edlen 197. Richtig versteht es nur Torrey, The Second Isaiah (1928) 115 f., 380, 385, der aber durch Versetzung des Verfassers in ein späteres Zeitalter sich das geschichtliche Verständnis verbaut.

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der Völker »das Volk des Gottes Abrahams« heißen 198 , so werden hier die Elenden JHWHs, deren er sich erbarmt, in den Stand »seines Volkes« erhoben (49, 13). Erst von hier aus kann die Aufgabe des »Knechtes JHWHs«, der berufen wird, »Licht der Gojim« und »Bund des Volks«, des Volks aus Völkern, zu sein (V. 6 und 8; 42, 6, zu »Volk« vgl. V. 5) erfaßt werden; er hat »auf Erden das mischpat einzusetzen« (42, 4) – die neue Ordnung des Erdreichs, in der sich jene z’daka Gottes verwirklicht; darum »harren die Küsten seiner Unterweisung«. Jesaja hatte (2, 1 ff.) den späten Tag angekündigt, da alle Gojim zum Berg JHWHs strömen und hier seine »Unterweisung« empfangen würden, die zwischen ihnen schlichtet und das neue Leben der Völker ordnet; er sah in seiner Vorstellung Boten der Aethiopier dann zum Zion wallfahren und dessen Gott Geschenke bringen (18, 7). Deuterojesaja sagt an, wie versklavte Völkerscharen, die Aegypten verfront und Aethiopien verkauft hatte (so glaube ich den schwierigen Vers 45, 14 verstehen zu dürfen), befreit, aber freiwillig Ketten tragend, zum Zeichen, daß sie sich in den Dienst JHWHs begeben, zum Zion hin beten werden (V. 15 gehört mit ins Gebet, vielleicht auch 16 f.): »Wahrlich, du bist ein sich verbergender Gott, Gott Israels, Befreier!« JHWH hatte, so meinen sie, sich, gleichsam jenseits der Geschichte, verborgen gehalten, nun aber sei er als Israels und ihrer aller Befreier aufgetreten. So hatte auch Israel gewähnt, sein Weg sei vor JHWH verborgen (40, 27). Entgegengehalten wird Gottes Wort (45, 19), seine Verkündigung für die Menschenwelt, die er Israel anvertraute, habe er »nicht im Verborgenen geredet« (vgl. 48, 16) – nun aber (45, 20): »Versammelt euch und kommt, miteinander tretet herzu, Entronnene der Gojim!« Was bei Jesaja nur angedeutet war, ist hier zu vollständigem Ausdruck gelangt: Erlösung Israels und Erlösung der Völker sind nur verschiedene Stadien der einen großen erlösenden Handlung Gottes an der Menschenwelt. Was jetzt an Israel geschehen wird, ist nur eine Voraussetzung für das, was an den Völkern geschehen soll. Es wird Gott das taugliche Werkzeug für sein Werk an der Menschheit herstellen. Von hier aus ist zu erfassen, was mit dem »Knecht JHWHs« gemeint ist. Die zahlreichen Versuche, die Gestalt des Gottesknechts zu deuten 199 , sind im wesentlichen von dreierlei Art. Die einen verstehen den »Knecht« kollektiv: als Israel oder als das 198. Vgl. Staerk, Zum Ebed-Jahwe-Problem, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, NF III (1926) 249. 199. Umfassende Uebersicht jetzt bei North, The Suffering Servant in Deutero-Jsaiah (1948).

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»ideale Israel« oder als den JHWH-treuen Kern oder Rest des Volkes; dem steht aber unter anderem die gewichtige Stelle entgegen, wo zuerst (49, 5) die ursprüngliche Aufgabe des Knechts dahin charakterisiert ist, daß er Israel zu JHWH »heimbringe« und dann, in einer zentral bedeutsamen Erweiterung dieser Aufgabe, die Wiederaufrichtung der Stämme Jakobs als »zu gering« für ihn bezeichnet wird. Wohl ist es richtig, daß biblisch »die Gesamtperson als Vorbild und als Erzieher gedacht« werden kann 200 , daraus ergibt sich aber nicht, »daß diese ideale Größe an der realen eine Aufgabe haben kann«: die im Volk lebendige Israel-Konzeption kann erzieherisch wirken, aber eine konkrete Aufgabe, wie die, »verödete Erbteile zuzuteilen« (V. 8), kann ihr von Gott nicht anvertraut werden, ebensowenig wie sie das konkrete Volksleiden freiwillig auf sich nehmen kann. Auf eine Teilgemeinschaft aber läßt sich nicht deuten, was (53, 8-12) von Tod und Zukunft des Knechts gesagt wird. Die andern sehen den Knecht als eine historische Gestalt. Entweder eine bekannte: hier ist eine ganze Reihe geschichtlicher Personen, von Mose über Deuterojesaja selbst bis zu einem Märtyrer der Makkabäerzeit (unter der Voraussetzung so später Entstehung der Lieder), herangezogen worden; oder einen uns unbekannten Zeitgenossen des Propheten. Diese Auffassung scheitert wieder vornehmlich daran, daß von dieser Person nicht bloß ihr Tod berichtet (53, 9), sondern auch ihr über diesen hinaus eine Zukunft verheißen wird (V. 10 ff.). An das Wunder einer Auferstehung zu denken verbietet die gerade hier nüchtern präzise Sprache. Die dritte Deutung ist die ebenso individuale messianistische, die uns bekanntlich, ebenso wie die zweite, schon in der Apostelgeschichte (8, 30 ff.) begegnet. Obgleich sie meiner Ueberzeugung nach im wesentlichsten Punkt an die wahre Absicht Deuterojesajas rührt, steht ihr, so wie sie bisher vertreten worden ist, doch insbesondre die unüberwindbare Schwierigkeit entgegen, daß eine Aeußerung des Knechts über sich selbst, über seine bisherigen Mühen und Erfahrungen, wie 49, 1 ff., nicht ohne Gewaltsamkeit als futurisch, das heißt als Vorwegnahme der zukünftigen Aeußerung eines vorerst noch nicht Vorhandenen oder doch noch nicht Wahrnehmbaren, zu verstehen ist. Es wird denn auch versucht, das letzte Lied einem anderen, späteren Verfasser zuzuschreiben und nur dieses messianisch zu verstehen, wogegen die andern, Deuterojesaja verbleibenden, auf eine geschichtliche Person, etwa den Propheten selbst, bezogen werden; aber daß der Mensch, von dem (53, 7) gesagt wird, daß er, wie ein Lamm zur Schlachtbank getrieben, sich noch hinbeugte und den Mund nicht öffnete, verschieden sei von dem, der (50, 6) 200. Eißfeldt, Der Gottesknecht bei Deuterojesaja (1933) 21.

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von sich selber sagt, er habe den Schlagenden seinen Nacken hingegeben, geht gegen eine unbefangene Erfassung der Texte. Im allgemeinen nötigen die Interpretationen entweder zu Streichungen und Aenderungen, zu denen die Lieder selbst, für sich betrachtet, keinen Anlaß geben, oder zu einer Zuteilung an andere Autoren. Aber keine wortstatistische Analyse hat dem Eindruck der stilistischen Einheitlichkeit sowohl innerhalb ihrer als zwischen ihnen und den andern Teilen des deuterojesajanischen Buchs entgegenzuwirken vermocht. Das einzige, was die Untersuchung immer wieder ergibt, ist, daß die Lieder aus einem anderen Lebensalter des Propheten stammen mögen als das übrige, und zwar allem Anschein nach einem späteren. Für ein genaueres Verständnis der Person des Gottesknechtes ist folgendes zu beachten: 1. Im deuterojesajanischen Buch wechseln Kundgebungen an drei Empfänger ab: Israel, Kyros und den Ebed. Zwischen diesen drei Reihen herrschen mannigfaltige Bezüge; Ausdrücke kehren mit einer Gleichmäßigkeit hier und dort wieder, die nicht als zufällig angesehen werden darf. Dieser Wortwahl-Zusammenhang ist am stärksten zwischen Israel und dem Ebed: beide sind von Gott »erwählt« (vgl. einerseits 41, 8 f.; 44, 1 f.; 48, 10, anderseits 42, 1; 49, 7), beide von ihm »im Mutterleib gebildet« (44, 2 und 49, 5), beide »verwahrt« (einerseits 49, 6, anderseits 42, 6 und 49, 8), beide »gehalten« (41, 10 und 42, 1), beide »geehrt« (43, 4 und 49, 5) und Gegenstand des »Sichverherrlichens« (44, 23 und 49, 3), beide haben an der göttlichen »Unterweisung« zu wirken (42, 21 und 42, 4), über beide wird die göttliche Ruach gegeben oder ausgegossen (44, 3 und 42, 1). Aber auch zwischen Israel und Kyros bestehen sprachliche Bezüge: beide werden von JHWH »beim Namen gerufen« (43, 1 und 45, 1, 4), und beide wissen oder kennen nicht, was Gott für sie bereitet oder wer es bereitet (48, 8 und 45, 4 f.). Doch darüber hinaus noch umfaßt derselbe Ausdruck alle drei; am kennzeichnendsten darunter ist, daß es JHWHs »Begehren«, sein Plan ist, der von Israel erfüllt werden sollte (42, 21), der zu vollziehen Kyros zugedacht ist (44, 28; 46, 10, vgl. auch 48, 14) und der schließlich durch die Hand des »Knechts« geraten soll (53, 10). Dagegen besteht zwischen Kyros und dem Ebed kein ausschließlicher Bezug – mit Ausnahme des einen (wenn man das mit Späterem verquickte Fragment 61, 1 mit heranzieht), daß beide »gesalbt« sind, wie Elia (I Könige 19, 15) sowohl einen Fremdkönig als auch seinen eigenen prophetischen Nachfolger zu salben hatte; nur der König von Israel fehlt bezeichnenderweise unter den Gesalbten bei Deuterojesaja. Der Mangel an Bezügen zwischen Kyros und dem Ebed außer dem persönlichen Gottesauftrag, der sich in der »Salbung« ver-

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sinnbildlicht, bedeutet: diese beiden, die zu einem gewissen Teil innerhalb des gleichen Zeitalters wirken, haben nichts, das ihnen beiden allein inhaltlich gemeinsam wäre; abgesehen von dem Allgemeinen einer göttlichen Aufgabe überhaupt (das sie beide auch mit Israel und anderen gemeinsam haben) sind sie an Art, Los und Tat wesentlich verschieden. Israel und Kyros haben nur ein Berufenwerden und ein Nichtwissen oder Nichtkennen gemeinsam. Anders Israel und der Ebed: hier löst offenbar eines das andere – der Ebed offenbar Israel – so ab, daß Wesen und Werk, die diesem bestimmt waren, auf ihn übergehen. Zu Kyros verhält sich der Ebed wie eine Aufgabe zu einer anderen Aufgabe und eine Vollzugsweise zu einer anderen Vollzugsweise; zu Israel verhält er sich wie die im Vollzug begriffene Aufgabe zur unvollzogen gebliebenen. 2. Mehrfach kehrt im deuterojesajanischen Buch die Gegenüberstellung von »Früherem« und »Kommendem« oder »Neuem« wieder. Jenes sind Weissagungen früherer Zeiten, die sich jetzt erfüllt haben oder erfüllen, dieses gegenwärtig ausgesprochene oder angedeutete Weissagungen, die sich ebenso gewiß wie jene erfüllen werden. Oft werden die Völker oder ihre Götzen, die Gebilde der Völkerwünsche, gefragt, ob sie von dem jetzt in Erfüllung Gehenden vorher etwas angesagt oder gewußt hätten, wogegen Israel Zeuge der einst erfolgten Weissagung ist; oder ob sie den Gang der Dinge verstehen und die jetzt in die Welt gehende Verkündigung auslegen könnten. Im Zusammenhang mit der (zuweilen nur angedeuteten) Gegenüberstellung wird immer entweder eins von beiden, das Alte oder das Neue, oder auch beide durch Ereignisse der Gegenwart oder der Zukunft erläutert. So gehört zu der Gegenüberstellung 41, 22 f., 26 die in V. 25 berichtete Berufung des Kyros, die schon erfolgt ist; 42, 9 blickt mit dem »Neuen« auf die Ankündigung der Mission des Knechts V. 1-8 zurück; das »Frühere« von 43, 9 ist durch die einst verkündigte und jetzt als unmittelbar bevorstehend angesehene Heimbringung der Exulanten V. 5 f. erläutert, wogegen das »Neue« von 43, 19 sich erst in der Ansage der Geistausgießung 44, 3 darstellt, die nochmals V. 7 als das »Kommende« zusammengefaßt wird; das »Frühere« von 46, 9 geht wieder auf den »Falken« »aus dem Osten« V. 11; schließlich wird die Gegenüberstellung des »Früheren« und des »Neuen« 48, 3-6 im folgenden entfaltet: das »Frühere« ist Gottes bevorstehendes Tun an Babel durch Kyros V. 14 f., das »Neue« aber drückt sich in einer zwischenrufartigen Aeußerung V. 16 aus, die jedenfalls nicht eine späte Interpolation, sondern nur eine Einschaltung des Verfassers selbst sein kann, die aber offenbar als Aeußerung des Knechts JHWHs zu verstehen ist: »Jetzt aber hat mein Herr JHWH mich gesandt und seinen Geist.« Betrachten wir nun all das »Frühere« mitsammen, so sehen wir, daß es

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durchweg auf die Verse über die Befreiung von der Zwingherrschaft in Jesajas Lied vom Kinde (9, 3 f.) zu beziehen ist, das heißt auf die Weissagung der nationalen Befreiung, die der Limmud Deuterojesaja als die aus dem babylonischen Exil versteht. Dagegen wird die jesajanische Verheißung des kommenden Fürsten auf Kyros, den »Gesalbten« (den »Mann seines Rates« 46, 11, vgl. den »Ratsmann des heldischen Gottes« 9, 5), gedeutet. Der Königsthron Davids aber (9, 6) soll von keinem Menschen mehr besetzt werden, die »getreuen Hulden Davids« (55, 3) gehen auf ganz Israel (»euch«) über, und die Königschaft Israels tritt, dem ursprünglichen Bunde gemäß, kein anderer als JHWH selber an (52, 7; vgl. 41, 21; 43, 15; 44, 6). Das »Reis« aber, das »aus dem Strunke Isais« aufschießt (11, 1), ist kein Davidide; es ist kein natürlicher, sondern ein »heiliger Same« (6, 13). Es ist der Mann, auf dem »die Ruach JHWHs ruht« (11, 2), weil sie auf ihn »gegeben ist« (42, 1, vgl. 61, 1) und in einem mit ihm gesandt wird (48, 16), der »den Gebeugten der Erde Ausgleich schafft« (11, 4), wie er gesandt ist, »den Gebeugten die gute Botschaft zu bringen« (61, 1), der »richtet« (11, 3 f.) und »die Rechtsordnung auf Erden einsetzt« (42, 3 f.), der mit keinem andern Stabe als mit dem seines Mundes schlägt und den Frevler mit keiner andern Waffe als mit dem Hauch seiner Lippen tötet (11, 4), der nicht schreit und seine Stimme nicht auf der Gasse hören läßt, ein geknicktes Rohr nicht bricht und einen glimmenden Docht nicht ablöscht (42, 2 f.), der Ebed. 3. Man hat die Tatsache, daß in der zweiten Hälfte des deuterojesajanischen Buches die Person des Kyros zurücktritt, sicherlich mit Recht auf eine Enttäuschung des Propheten an dem Völkerherrn zurückgeführt 201 . Vielleicht hat Deuterojesaja, der wohl, sei es aus der Nähe des Hofes oder anderswoher, seine Botschaft Kyros übermittelte, von ihm noch vor der Eroberung von Babel »eine klare und bestimmte Absage auf seine Vorschläge« erhalten. Aber der Text selbst führt über diese Vermutung hinaus. Bekanntlich hat Kyros keineswegs den Namen JHWHs ausgerufen (41, 25), wohl aber nach der Eroberung den führenden babylonischen Göttern seine Verehrung bezeigt. Damit hat er für Deuterojesaja eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er, der vordem JHWH, den Einen, »nicht gekannt hatte«, ihn, jedenfalls als den Einen, nicht kennen wollte. In seinem offenbar nicht bloß als erstes ins Buch aufgenommenen, sondern auch zuerst entstandenen ersten Ebed-Lied hat der Prophet die Antwort darauf erteilt. Hier spricht sein Gott (42, 8): »Ich bin JHWH, das ist mein Name [das heißt, mein Name bezeugt mich als den, der, im Gegensatz zu all den Götzen, wirklich da ist], nicht lasse ich meine Glorie 201. Haller, Die Kyros-Lieder Deuterojesajas 273 f.

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(kabod) einem andern, meinen Ruhm den Schnitzbildern« (vgl. 48, 11). Bel und Nebo, die babylonischen Popanze (46, 1), die auf der Schulter geschleppt werden (V. 7), sollen sich nicht rühmen, wie Kyros ihnen nachrühmt, daß sie es gewesen seien, die ihn zum Strafzug gegen Babel berufen und ermächtigt haben. Dieses ganze weltgeschichtliche Schauspiel, das JHWH für die Stunde der Wende entworfen und Kyros schlecht ausgeführt hat, ist nur ein Vorspiel gewesen. »Das Frühere, da, es ist erschienen – Neues sage ich an; eh es sproßt, gebe ich euch es zu hören« (42, 9). Die Stunde des Perserkönigs, der Israel aus der Gewalt Babylons befreit hat, vergeht, die Stunde des »Knechts« beginnt, der dem »Begehren« JHWHs dient, die Völkerwelt aus der Gewalt ihrer Schuld zu erlösen. 4. Daraus erklärt sich nicht nur, daß in der zweiten Hälfte des Buches die Gestalt des Ebed die des Kyros verdrängt, sondern auch, daß das erste Lied den anderen so weit vorausgeschickt ist: das Lied 42, 1 ff. folgt auf die erste Ankündigung der Taten Kyros’ (41, 25). Als das Buch aus den Reden und Flugblättern komponiert wurde, mußte, da inzwischen die Enttäuschung wohl allgemein spürbar geworden war, die Ansage des als unbefriedigend erkannten Werkes Kyros’ sogleich eine Ergänzung erfahren durch die Ansage des künftigen zulänglichen Werkes des Ebed. Aber dazu kommt noch ein anderes Motiv. 41, 8 ff. war Israel von Gott als sein »erwählter«, von ihm »gehaltener« »Knecht« angesprochen worden. Hier, in diesem Anfangsteil des Buches, wird Israel nur Trost zugesprochen und Mut gemacht, bald aber, vielleicht im Verfolg bestimmter Erfahrungen mit dem Volk, beginnt (42, 18 ff.) daneben das Rechten mit Israel. Da muß, um den Hörer und Leser vor den Irrtümern eines zu engen Blickfelds zu bewahren und ihm eine breitere Sicht in die offenbarten Wege Gottes zu gewähren, dem unzulänglichen Knecht Israel der zulängliche namenlose Ebed gegenübergestellt werden, wie Israel »erwählt« und »gehalten«, aber im Gegensatz zu ihm einer, an dem JHWH auch Gefallen gefunden und auf den er seinen Geist gegeben hat (42, 1). Dieses uns im Fortgang des Buches immer wieder vergegenwärtigte Gegenüber der zwei so Grundverschiedenen, des Abtrünnigen und des Opferwilligen, des Aengstlichen und des Tapfern, die doch beide von Gott unterschiedslos »mein Knecht« angesprochen (für Kyros wird die Bezeichnung vermieden, obgleich Nebukadnezar Jeremia 25, 9 so heißt) und beide von ihm seines Schutzes und seiner dereinstigen Beseligung vergewissert werden, ist ein so andringendes Paradox der deuterojesajanischen Schrift, daß es vollauf den immer wieder unternommenen Versuch rechtfertigt, beide zu identifizieren. Die Schwierigkeiten, die die Vorstellung einer ursprünglichen Gleichheit bietet, versucht man etwa

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so zu überwinden, daß man – bei Voraussetzung einer späteren Zusammenfügung verschiedenartiger Elemente – eine Ueberarbeitung von Stellen, die von einer Person sprechen, annimmt, so daß sie nun von Israel handeln. Besondere Erörterung in dieser Richtung hat die Stelle erfahren, an der (49, 3) der Ebed berichtet, JHWH habe zu ihm gesprochen: »Du bist mein Knecht, bist Israel, an dem ich mich verherrliche.« Diese Worte sind weder als eine Bestätigung der kollektiven Erklärung anzusehen, noch muß »Israel« als Zusatz gestrichen werden. Wer Israel anredet, hat keinen Anlaß zu ihm zu sagen: »Du bist Israel.« Wohl aber gibt es, wenn der Ebed zwar eine Person ist, aber in einem ganz besonderen Verhältnis zu Israel steht, einen guten Sinn, wenn Gott zu ihm spricht: »Du bist das Israel, an dem ich mich verherrliche.« Das Paradox der zwei »Knechte« läßt sich nicht aus der Welt schaffen. Es ist als solches gemeint. Wir erkennen darin die notwendige Voraussetzung, damit aus der messianischen Weissagung Jesajas das messianische Mysterium Deuterojesajas wurde. Zwei nahe beieinanderstehende Ebed-Lieder, 49, 1 ff. und 50, 4 ff., sind im Ichton abgefaßt: der Knecht spricht von seinem Los und Werk, von Gottes Handeln an ihm. Das zweite hängt nach Inhalt und Sprache mit dem ersten eng zusammen; es ist kaum anzuzweifeln, daß auch das Ich des zweiten das des Knechtes ist. Und doch ist es auch wieder offenbar, daß es der Prophet selber ist, der hier redet. Er redet wie Jeremia von Prophetenberuf und Prophetenleid, nur daß die jeremianische Klage aus seinem Munde nicht laut wird. Er redet als Prophetenjünger, als einer, der in der Reihe der prophetischen Ueberlieferung steht, alte, ihm zugekommene in dem wahren Sinn ihres Geheimnisses erschließt. Und es ist JHWH, der ihn befähigt, sie so zu erschließen und den Sinn auszusprechen. JHWHs Wirken an ihm ist nicht so gewaltig ursprünglich, wie das an dem Meister war, dessen Limmud er sich nennt. »In meinen Ohren ist JHWH der Heere«, so hatte der junge Jesaja (5, 9) seine Erfahrung beschrieben; »Morgen um Morgen weckt er mir das Ohr«, sagt (50, 4) der Jünger. Der Empfänger der Offenbarung wird nicht mehr jeweils vom Offenbarer überwältigt; in einem milden Umgang mit ihm erfährt er den steten Einfluß seiner Macht, und diesen Einfluß versteht er nicht als ein Eindringen, sondern als ein Entsiegeln, ein »Oeffnen« (V. 5). Er sagt uns, daß er nicht, wie Jeremia, widerstrebt hat; alle Pein und Schmach, die sich aus der Erfüllung des Auftrags ergab, hat er nicht bloß in seinem Herzen auf sich genommen, er hat »seine Wange hingehalten« (V. 6). Die Schmach beschämt ihn nicht, er kann nicht zuschanden werden, denn »sein Rechtfertiger ist nah« (V. 8). Da sein Herr

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ihm hilft (V. 9), kann sein Widersacher, was immer er ihm antut, ihn nicht schuldig sprechen, ihn nicht zu einem Schuldiggesprochenen machen. So wäre also doch der Ebed kein andrer als der Prophet selber? Das hieße wieder das letzte Lied, das so, als von ihm über sich gesprochen, nicht verstanden werden kann, von den früheren abtrennen, mit denen es zuinnerst zusammengehört. Wir müssen zunächst dabei stehenbleiben, daß er als Ebed sprechen darf, ohne doch der Ebed zu sein; daß er sich mit seiner Gegenwart gleichsetzen kann, ohne sich dadurch mit ihm gleichzusetzen. Der Ebed ist kein Kollektivum, sondern eine Person; und doch ist der Prophet in ihn hineingenommen. Wir rühren an das zweite deuterojesajanische Paradox. Das andere Lied im Ichton beginnt ebenfalls prophetisch. Der Sprecher wendet sich nicht, wie der des vorangehenden und nachfolgenden Textes, an Israel, sondern an die »Küsten«, er fordert die fernen Nationen auf, ihm zuzuhören, denn was er zu sagen, über sich zu sagen hat, geht sie an. Er sagt zuerst, was wir aus der jeremianischen Prophetie (Jeremia 1, 5) kennen: daß JHWH ihn schon im Mutterleib berufen hat. Nun aber folgt ein Neues, an keine Selbstmitteilung eines Propheten mehr Erinnerndes: Gott, der seinen Mund zu einem scharfen Schwert, ja ihn ganz zu einem blanken Pfeil gemacht hat, hat ihn »im Schatten seiner Hand versteckt«, er hat ihn, den Pfeil, »in seinem Köcher verborgen«. Das bedeutet nicht, daß der zum Ebed Berufene zunächst verwahrt worden sei, dann aber »als Schwert und Pfeil unter Israel gewirkt« habe 202 . Von einem Augenblick, in dem mit dem in der Hand verwahrten Kurzschwert ein Stoß geführt, in dem der in den Köcher versenkte Pfeil hervorgeholt und abgeschossen wurde, wird nichts berichtet. Nur weil er sich als nicht wirklich den in ihn gelegten Kräften gemäß verwendet, als ein unabgeschossener, wohl auch gar nicht mehr zum Abschuß gelangen sollender Pfeil in Gottes Köcher empfindet, kann der Ebed sagen (V. 4), er habe sich ins Leere gemüht, habe in Irrsal und Dunst seine Kraft vertan. Eine große Mächtigkeit war seiner Seele in der Berufung eingetan worden, aber sie hat sich nicht auswirken dürfen. Er wußte sich zu einer bestimmten Arbeit gebildet und tauglich gemacht (V. 5 f.): er sollte das abgefallene, vertriebene, aber im Kern »bewahrte« Israel zu JHWH »heimbringen« und neu aufrichten; aber eben um dies hatte er sich vergeblich gemüht. Nun jedoch erfährt er (V. 4), daß seine Gerechtsame und sein Werklohn, das heißt der ihm zukommende Erfolg seines Tuns bei seinem Gott sind, daß sie von Gott ihm vorbehalten sind. Denn JHWH ehrt ihn 202. Volz, a. a. O. 157.

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mit einer weit über jene hinausreichenden Aufgabe (V. 6). Es ist eine Stunde (V. 7), da die Vergeblichkeit seiner Arbeit am stärksten in die Erscheinung tritt, da er, der zum Knecht JHWH berufen ist, den verachteten Knecht irdischer Herrscher abgeben muß (vielleicht hängt der Ausdruck mit einem ungesegneten kleinen Amt Deuterojesajas an Kyros’ Hofe zusammen). Da spricht JHWH ihn unmittelbar an und vertraut ihm die Aufgabe an der neuen werdenden Menschenwelt an, sie, um derentwillen die fernsten Nationen dieser seiner Botschaft lauschen sollen und bei deren Erfüllung einst Könige aufstehen und den Heiligen Israels anbeten werden (V. 7): er will ihn als »Licht der Gojim« (V. 6) und als »Bund des Volks« (V. 8) einsetzen – er soll die Völker in dieser Stunde der Finsternis erleuchten und sie zum Menschenvolk Gottes verbinden. Mit der »Stunde der Gnade«, da Gott so auf sein Leid antwortet, bricht der »Tag des Heils« (V. 8) an, an dem Gottes Heil bis ans Ende der Erde geschehen soll (V. 6). Für das an diesem Tag zu vollbringende Werk will JHWH ihn »verwahren« (V. 8). In dem Lied »Mein Herr JHWH hat mir eine Jüngerzunge gegeben« stellt sich die prophetische Situation dar; das Lied »Höret, Küsten, auf mich« geht von ihr aus und über sie hinaus. Jenes läßt sich unschwer vom Lebensbewußtsein der sprechenden Einzelperson aus erfassen; dieses zieht einen weiten Kreis, wie er jener wohl als ihr wesensmäßig zugehörend erscheinen mag, aber in der Wirklichkeit der Erfüllung sich weit über ihr Sonderdasein hinaus erstreckt. Die Person des Ebed umschließt die des Propheten und reicht über sie hinaus. Denn die Dauer des »Verwahrens« übergreift die eines persönlichen Lebens. Aus der im Jüngerlied berichteten Pein, aus der in der Botschaft an die Küstenländer berichteten Mühsal wird im letzten der Lieder (52, 1353, 12) die ganze Existenz eines Mannes der Leiden. Von der verheißenen Erfüllung der großen Aufgabe ist in diesem Leben nichts zu finden. In veränderter, »unmenschlich verderbter« Gestalt (52, 14) steht der Ebed vor uns, und doch vollendet sich hier manches, das uns schon dort entgegentrat. Aus seinen Leiden ist eine aussatzartige (»wie wenn man das Antlitz vor uns verbergen muß« 53, 3, vgl. Leviticus 13, 45) Entstellung der ganzen Erscheinung geworden, aus seinem Verachtetsein ein Gemiedenwerden von allen Menschen, da sie ihn als einen von Gott Geschlagenen (V. 4) ansehen, aus seinem willigen Dulden das opferfreudige Gehen in den Tod, und als danach die Wahrheit seines Wesens und Lebens offenbart wird, hören wir auch von den »Königen« wieder (52, 15), die, wie dort über die Erfüllung des Auftrags an den Völkern, so hier über das Ungeahnte erstaunen, das sich in der Verkleidung des Geheimnisses vor ihnen vollzogen hat.

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Das Lied nimmt auf eine Weissagung – ein »Gehörtes« (53, 1, vgl. 28, 9, 19) – Bezug, die einst an die Herren der Völker ergangen ist; sie ist als wortidentisch oder doch wesensidentisch mit den zwei ersten Liedern zu denken. In diesem späteren Stadium der Botschaft, in dem JHWH auch den erstaunlichen Weg zu ihrer Verwirklichung offenbart, sagt er an, die Könige würden, wenn die Erfüllung vor aller Augen in einer Weise geschehen wird, von der sie nicht zuvor gehört hatten (52, 15), sich auf jene Stunde besinnen, da die Weissagung an sie erging: wer hätte damals so Unglaublichem Glauben schenken mögen? (53, 1). Nur in ihrem Munde ist das Folgende, die nun erst durch die ungeahnten neuen Tatsachen erwachsene Einsicht, was für ein Tragen von Sünden das Leiden des Knechtes gewesen ist, unmittelbar im Zusammenhang mit allem anderen verständlich. Die Sünden, die er getragen hat, können nicht die Israels sein, die bereits (40, 2) als durch dessen eigene Leiden abgebüßt verkündigt worden sind. Es steht ja auch schon seit Amos (3, 2) fest, daß Israel unter allen Völkern das ist, das von Gott selber für alle seine Verfehlungen heimgesucht wird, dem er selber sie »zuordnet« oder, wenn es umkehrt, es »einlöst«: niemand kann dazwischentreten. Es empfängt die Züchtigung aus seiner eigenen Hand; aber hinwieder ist er selber es auch, der Israels Verfehlungen »trägt« (vgl. z. B. Hosea 14, 3, Jesaja 33, 24; man darf das Verb nicht abschwächend mit »verzeihen« wiedergeben); ja er trägt selber es selber »vom Mutterleib an« (46, 3), er hat es sich aufgeladen und wird es bis in dessen Greisenalter tragen, wird es strafen und wird es retten (v. 4). Nicht so die Götter der Völker: die Völker vermeinen wohl, sie könnten sie tragen, sie laden sich ihnen wie einem Lastvieh auf, aber jene krümmen sich nur unter der Last, tragen und retten können sie nicht (V. 2). Wie sollen die sündigen Völker gerettet werden? Da bietet der Knecht, der Leidenserfahrene (50, 6), seinen Rücken dar. Er weiß wohl nicht, was es ist, was er sich aufladen will, aber seine Willigkeit, um Gottes willen zu leiden, ist ohne Grenze. Und er wird angenommen. Auf ihn fällt nun »die Zucht unseres Friedens« (53, 5): er trägt all die Krankheiten und schmerzlichen Uebel der Völkersünden (V. 4) – »meines Volkes« (V. 8) sagt jeder König von dem seinen –, die Sünden schneiden Striemen in ihn, durchbohren und zermalmen ihn (V. 5), unmenschlich verderbt ist sein Aussehen (52, 14), er erscheint als Aussätziger, wird verachtet und gemieden (53, 3). Es ist kein ekstatisch-sinnbildliches Tragen wie das des Ezechiel (Ezechiel 4, 5 f.), der, auf der Seite liegend, die Verfehlung Israels und Jehudas wie eine auf ihm liegende Last erdulden soll, sondern ein ganz reales. Es ist nicht etwa gemeint, daß der Knecht bloß die Strafe für all den Frevel auf sich nehme: er trägt vielmehr die Sünden

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selber, die zwar nicht – wie man es etwa heute zu verstehen geneigt wäre –, von Anbeginn Krankheiten sind, aber zu Krankheiten, zu gräßlichen Zersetzungen und Entstellungen werden. Daß das ungeheuerliche Zusammenlaufen all des Uebels in der leibseelischen Erfahrung des Knechts sich als Aussatz auswirkt, hängt gewiß mit der – oben im Zusammenhang mit der Vision Jesajas verzeichneten – Auffassung zusammen, in dieser Krankheit breche jeweils eine Verstörung der Beziehung zwischen Himmel und Erde aus. Man darf wohl darüber hinaus an den Anfang jener Vision, an den todesnahen aussätzigen König und an das Bekenntnis der Unreinheit im Munde des mit dem schuldigen Volk sich identifizierenden Propheten denken: was dort nur angedeutet war, ist hier vollendet. Aber es scheint mir auch, daß durch das Bild des Aussatzes ein vielerörtertes Wort des deuterojesajanischen Liedes bedingt ist. In einem der schwierigsten Verse des schwierigen Textes (53, 10) wird von JHWH aus als eine Voraussetzung des künftigen Lebens und Wirkens des Ebed ausgesprochen: »wenn seine Seele ein Schuldopfer einsetzt.« Man pflegt darin einen »klaren und unzweideutigen« Ausdruck 203 der »stellvertretenden Genugtuung« zu erblicken. Aber der Begriff des stellvertretenden Opfers, wie etwa der Widder Isaaks Stelle vertritt, ist, soviel wir wissen, der Welt Deuterojesajas fremd. Ascham, Schuldopfer, ist der Name einer Gabe, die unter anderem der Aussätzige am Tag seiner Reinigung für sich darbringen lassen soll (Leviticus 14, 11 ff.). Wir haben keinerlei Anhalt, in welcher Weise wir uns die künftige Reinigung des mit dem Weltaussatz Behafteten vorzustellen haben; aber es wird uns gesagt, daß er sich wird reinigen müssen, ehe er sein Amt antritt, den Völkern die gerechte Ordnung zuzuführen und als »Bund« sie zum Völkervolk zu verbinden. Wie Schafe hatten sie sich alle verlaufen, jedes hatte sich, von den andern hinweg, seinem eigenen Weg zugewandt (Jesaja 53, 6); er, der sich wie ein Lamm zur Schlachtbank führen ließ, soll nun die wiedervereinigte Herde neuordnen. Man kann aber fragen, wie denn die Könige die Erscheinung des Ebed beschreiben können, da er ihnen doch nur von der Weissagung her, aber nicht als Person bekannt war. Sie verwenden Züge Israels, wie es sich ihnen darstellte und darstellen mußte, für das Bild. Der Mann aus Israel, der ihnen verkündigt worden war, hat für sie das Aussehen des Israel ihrer Zeit. Wie seltsam, daß es eine solche Erscheinung war, an der sich JHWHs Arm offenbarte (53, 1)! Nach der Rede der Herrscher sagt der Prophet, zuerst im eigenen Namen, dann in dem JHWHs, die Zukunft des Knechtes an, wie sie dem 203. So R. Kittel in seiner Bearbeitung von Dillmanns Jesaja-Kommentar.

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»Begehren«, dem Plan Gottes (V. 10), der durch ihn geraten soll, entspricht. Dieser Endspruch schließt sich mit dem Anfangsspruch zusammen: der Ebed soll nun sein aktives Werk vollbringen, er soll sehr erhöht werden, soll die neuen Segnungen inmitten der »Vielen« (V. 12), deren Sünde er getragen hat, genießen und Nachfolge erleben, die – so dürfen wir wohl ergänzen – sein Werk fortführt. Aber wie kann all das geschehen, da doch bereits sein Tod und sein Begräbnis berichtet worden sind (V. 9)? Man ist geneigt, an Auferstehung zu denken; aber von etwas so Uebernatürlichem, dessen Vorstellung dem israelitischen Hörer oder Leser Deuterojesajas gewiß nicht vertraut war, hätte dann unmittelbar etwas gesagt sein müssen. Wir können das Gemeinte nur verstehen, wenn wir uns vergegenwärtigen, was wir schon am zweiten Lied erkannt haben und hier noch klarer zu erkennen vermögen: daß die persönliche Substanz des Ebed über eine einzelne menschliche Person hinausreicht, ohne aber kollektiven Charakter zu haben. Wir erfahren hier, daß sie sich in mehreren persönlichen Erscheinungen und Lebensgängen aufbaut und darstellt, deren Träger einander wesensgleich sind, ohne daß aber von der einen dieser Gestalten zur andern ein übernatürliches Ereignis, eine Auferstehung führte. Es scheint mir erlaubt, dabei die merkwürdige Wortform »in seinen Toden« (V. 9) ganz ernst zu nehmen: es ist nicht ein einziger Tod, der dem Knecht auf seinem Weg widerfährt, er geht von Tod zu Tod und wieder zu neuem Leben. Drei Stadien umgreift dieser Weg. Das erste ist das prophetische. In der Vergeblichkeit der Mühe des israelitischen Propheten um Israel sieht er sich als den Pfeil, der im Köcher steckenzubleiben verurteilt ist; da wird ihm aber verheißen, daß ihm noch ein weit über Israel hinausreichendes Werk vorbehalten ist, zu dem alles, was er jetzt tut und leidet, eine Bereitung bedeutet. Er weiß nicht, wann und wie er dazu kommen wird; aber da Gott ihm ein ungeheures Leid als Last anbietet, nimmt er, der Leidensgewohnte und Leidenswillige, sie auf sich, ohne viel zu fragen, da er doch das eine weiß, daß er sie um Gottes willen zu tragen hat. Das zweite Stadium ist das Tun des Leidens. Indem der Knecht das Leid, das er zu leiden hat, nicht bloß erduldet, sondern gleichsam vollzieht, wird es zur Tat. Hiob hatte erkannt, daß das Leid ein Geheimnis Gottes ist, der Psalmist, daß Gott die willig Leidenden liebt; der Knecht JHWHs erkennt das Geheimnis des Leidens darin, daß es ein Leiden um Gottes und seines »Begehrens« willen gibt. Das dritte Stadium ist das »Gelingen« des Begehrens: das leidgeborene Werk, die Befreiung der versklavten Völker, die dem Ebed obliegt, die Gottesordnung der gesühnten Völkerwelt, die der gereinigte Ebed als ihr »Licht« ihr zu bringen hat, der Gottesbund des Menschenvolks, der im Ebed seine menschliche Mitte

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hat. Jetzt erst wird der blanke Pfeil aus dem Dunkel des Köchers geholt und abgeschossen. Der Geist seines Herrn ist über dem »gesalbten« Knecht und macht ihn offenbar. Auch jetzt noch hat er, der Künder von Haus aus, Botschaft zu bringen (61, 1); aber diese Botschaft mündet in der neuen Rechtsordnung Gottes für die Welt (42, 3). Diese drei Stadien lassen sich nicht in das Leben einer einzelnen menschlichen Person eintragen. Es ist der Weg des einen Ebed durch seine Gestalten und Lebensgänge. Wir wissen nicht, auf wie viele Leben Deuterojesaja ihn verteilt sah; es ist zu vermuten, daß auch er selber von dem Geschauten nicht so viel wußte. Auch das können wir nicht wissen, welche geschichtlichen Gestalten er in den Weg des Ebed einbezogen hat; er hatte ein Mysterium zu künden und nicht es zu deuten. Aber eines darf uns gewiß sein: daß der namenlose Prophet sich selber an einem Punkte des Weges gesehen hat. Es kann nicht gelingen, den Ebed mit seinem Verkünder zu identifizieren; wohl aber sagt uns manches in den zwei im Ichton abgefaßten Liedern, daß Deuterojesaja sich selbst innerhalb der mehrgestaltigen Person des Ebed erblickt hat, und zwar als der, dem das Geheimnis der Verborgenheit und des dereinstigen Hervortretens aus ihr erschlossen worden ist. Wir dürfen annehmen, daß er, an Kyros enttäuscht, sein eigenes Dasein als ein Zeitelement im Weg der Person erfuhr, der das eigentliche Werk an der Erlösung der Weltgeschichte vorbehalten war. Er konnte es, weil und insofern er wahrhaft Nabi war. Der Nabi war einst Führer, prophetischer Führer gewesen; als Nabi lebte der erste Befreier im Gedächtnis des Volkes. Nach dem Deuteronomium (18, 15, 18) hatte Mose ein Gotteswort empfangen und dem Volk mitgeteilt, es werde immer wieder ein Nabi »wie er«, also immer wieder ein prophetischer Führer, erscheinen. In der Richterzeit ist der Nabi zwar im allgemeinen kein Führer mehr, aber um zu führen, mußte man die Ruach empfangen, also den Stand des Nabi durchschreiten. Nach der Verfestigung des Königtums wird der Nabi, wenn er nicht Hofbeamter für geistige Angelegenheiten sein will, in einen machtlosen Gegensatz zu den Machthabern gedrängt; statt zu führen, hat er – erfolglos – darauf hinzuweisen, was wahre Führung ist und was sie nicht ist. Das wird naturgemäß ein für die Person des Propheten immer gefährlicheres Unternehmen. Die Gotteswahrheit, die er zu künden hat, ist dem, was Hof und Herren hören wollen, aber außenpolitisch auch dem, was das Volk hören will, entgegen. Der Nabi hat in wachsendem Maße nicht bloß höhnische Zurückweisung seiner Botschaft, sondern auch Mißhandlung, Freiheitsberaubung, ja den Tod zu gewärtigen. Die messianische Verheißung eines Königs, der seinen Auftrag erfüllen wird, weist über diesen Zustand hi-

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naus. Ueber Nebiim in der messianischen Zeit wird dabei nichts gesagt, offenbar weil man sie dann nicht mehr für nötig hält. Aber mit dem Zusammenbruch wird die Enttäuschung an den Königen zu einer am Königtum in Israel. In Ezechiels Entwurf einer sakralen Theokratie wird der Statthalter Gottes zu einer nur noch repräsentierenden Figur. Darüber hinaus aber beginnt der Nabi in der Vorstellung der Propheten wieder die Bestimmung zum Führen zu gewinnen, von der die Ueberlieferung über die Vorzeit berichtet. Wohl finden sie auch gegenwärtig oft kein Gehör, sie werden geschmäht und gepeinigt, aber der Martyriumsstatus wird nun von ihnen als Uebergang zu einem neuen Führertum gesehen: nicht der König, sondern der Nabi ist zum Statthalter des Gottesreichs bestimmt, und dieses Reich bedeutet nun in aller Konkretheit die ganze Menschenwelt. Jetzt braucht er nicht mehr, wie in seiner prophetischen Laufbahn, seine Stimme, über die Abtrünnigen schreiend, auf der Gasse zu erheben. Er braucht aber auch die geknickten Rohre unter den Völkern nicht zu zerbrechen und die glimmenden Dochte nicht zu verlöschen wie die Kyros-Menschen; die Ordnung, die er »ausführt«, stellt alles seiner Wahrheit gemäß her. Selber nie erlöschend, nie einknickend, setzt er sie auf Erden ein, und die fernsten Küsten harren seiner Weisung. Aber die Verwirklichung dieser neuen Berufung muß durch den Nabi selbst errungen werden – durch sein Tun seines Leidens. Der leidende Prophet ist die Vorgestalt des handelnden Messias. Vielleicht darf man die rätselhafte Bezeichnung Meschullam für den Ebed (42, 19) von da aus verstehen: Meschullam, »der Vollendete« 204 , heißt er der Reife seines Berufs nach, da er von Gott als sein »Bote« an die Völkerwelt gesandt werden soll. Daß er an dieser Stelle »blind« und »taub« genannt wird, ist wohl dadurch zu erklären, daß er im Augenblick, in dem Gott redet, sich noch nicht als fähig erwiesen hat, seine Bestimmung und den Weg zu ihrer Erfüllung voll zu erfassen, trotz seiner vielen Erfahrungen und seinen für göttliche Kunde offenen Ohren. Seine Dienstbereitschaft geht seiner »Erkenntnis« (53, 11; nach dem Wort ist hier ein Doppelpunkt zu lesen, der Knecht erkennt die im folgenden ausgesprochene Absicht Gottes mit ihm) weit voraus. Deuterojesaja versteht sich als den Ebed in der Stunde der Erkenntnis des großen Zusammenhangs. Freilich gehört die eben erwähnte Stelle über »Meschullam« zu jenen, an denen von dem Knecht Israel und von dem persönlichen Ebed nacheinander mit denselben Ausdrücken gesprochen wird, so daß die Grenze sich zu verwischen scheint. Es wird hier, wie vom blinden und tauben 204. So richtig Torrey, The Second Isaiah 331.

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Knecht, so vorher und nachher (V. 16, 18) vom Volk als von Blinden und Tauben geredet. Aber wie dennoch an der Unterscheidung festzuhalten ist, so ist die Schwierigkeit, wie gesagt, auch nicht durch die Annahme von späteren Zusätzen oder von Aenderungen zu überwinden. Deuterojesaja will, daß wir das eigentümliche Verhältnis zwischen dem persönlichen Ebed und dem Knecht Israel nie aus dem Sinn verlieren. Sie gehören eng zusammen. Der Ebed ist das Israel, an dem sich JHWH als an seinem Getreuen verherrlicht (49, 3), aber eben weil er es ist, kann JHWH sich an Israel überhaupt als an dem von ihm Erlösten verherrlichen (44, 23). Die beleidigte und leidende Liebe JHWHs zum untreuen Israel erneuert sich an der um seinetwillen beleidigten und leidenden Gottesliebe des Nabi. Es gibt einen durch die Zeiten hin bewahrten Kern Israels, der die Erwählung nicht verrät, der Gottes ist und bleibt. Durch ihn erhält sich, auch noch über die schwerste Schuld hinweg, die lebendige Verbindung zwischen Gott und Volk: nicht dadurch allein, daß er sich für Israel einsetzt, sondern weit mehr noch dadurch, daß er es ist. Was JHWH mit Israel gemeint hat, ist hier, in diesen ohnmächtigen Streitern, Leib geworden. Sie sind der kleine Anfang des Reichs, ehe Israel Anfang wird; sie sind der Anfang vor dem Anfang. Die Salbung der Könige ist unerfüllt geblieben, und Deuterojesaja erwartet keinen erfüllenden mehr; die Salbung der Propheten ist erfüllt worden, und so soll aus ihrem persönlichen Element die Gestalt des Vollendeten erstehen. Was in dieser seiner endgültigen Gestalt der Nabi an der Völkerwelt verrichten wird, wird Israel in ihm verrichten. Denn durch ihn, durch sein Wort und sein Leben, kehrt in der Stunde der Wende Israel zu Gott um und wird Volk Gottes. Zwischen einem Volk Gottes gewordenen Israel und dem ermächtigten Nabi ist kein Gegensatz, ja kein Wesensunterschied mehr. Nicht mehr bloß die Wahrheit Israels, sondern dessen Wirklichkeit stellt sich rein in ihm dar, die Wirklichkeit »Jeschuruns« (44, 2), des »Geradvolks«, in der Wirklichkeit »Meschullams« des vollendeten Menschen. Wenn der, Mal um Mal in der Verborgenheit ausharrend, durch die Leidenstode zum wahren Leben wandernd, endlich hervorsteigen und den Völkern leuchten darf, sind der Ebed Israel und der Ebed-Mensch eins geworden. Mal um Mal, wenn Gott hier Israel als seinen Knecht anredet, spricht er zu ihm zugleich als zu einem, den er erwählt habe. Ebed bedeutet hier ja eben eine – individuale oder kollektive – Person, die von Gott zur Erfüllung eines besonderen Dienstes auserwählt ist, wie Salbung die Ermächtigung zur dauernden Erfüllung eines Auftrags bedeutet. Bei keinem andern Propheten ist wie bei Deuterojesaja der Glaube an die Erwählung so Grund und Voraussetzung all seiner Kundgebungen. Israel

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ist von urher erwählt, und als ein Erwählter wird auch der persönliche Ebed zu Anfang der ersten Ansprache (42, 1) bezeichnet. Beide Erwählungen meinen Ausersehung zu Dienst und Werk. Aber das Werk, zu dem einst Israel erwählt wurde, war zunächst ein in sich geschlossenes: Konstituierung Israels als Volk Gottes, das heißt als ein in dessen Ordnung und unter dessen Herrschaft sein ganzes Gemeinschaftsleben aufbauendes Volk; Israel sollte nicht an anderen wirken als an sich selbst, aber dieses sein Werk sollte in die Welt der Völker ausstrahlen, sollte für Gott werben und gewinnen und so der Anbeginn seines Reiches, der »Anfangsteil seiner Ernte« (dieser jeremianische Begriff wird von Deuterojesaja vorausgesetzt) werden. Dieses Werk, das Israel für sich und dadurch für das Menschentum zu tun berufen worden war, hatte es nicht getan. Um dessentwillen wird der Nabi, der in seiner Vorgeschichte unablässig nicht für sich, sondern für Israel gearbeitet hatte, nun zu einem Werk berufen, das unmittelbar für die Völkerwelt getan werden soll: erst das tragende Leid, dann die Einsetzung der Reichsordnung. Aber das von der Fremdherrschaft erlöste Israel, das seine Verfehlung abgebüßt hat, ist nun von JHWH als sein Königreich aufgerichtet worden (52, 7), es wird die Herrschaft Gottes über sich erfüllen und nun doch der Anfang seines Weltreichs sein. Der leidende und wirkende Ebed wirkt nun nicht mehr, wie in seiner Vorgestalt als Nabi, aus dem Gegensatz zu Israel und leidet nicht mehr an diesem Gegensatz: er leidet und wirkt im Namen des reichbeginnenden Israel, ja als es. Mit Recht verschmelzen ihn die Könige in ihrer Rede mit Israel. Er ist Israel als Ebed. Wenn die Völker ihn ansehen, sehen sie die urerwählte Wahrheit Israels. Dem Nabi als der Vorgestalt des Messias begegnen wir bis in ein frühchristliches Apokryphon, wo die Ruach zum Christos sagt, sie habe in allen Propheten (in omnibus prophetis) auf ihn gewartet, daß er komme und sie in ihm ruhe (requiescerem in te, vgl. Jesaja 11, 2 und 42, 1). Aber das Bild des leidenden Messias als eines, der von Geschlecht zu Geschlecht erscheint und von Martyrium und Tod zu Martyrium und Tod wandert, wirkt bis in späteste volkstümliche Ueberlieferung des Judentums nach: noch im Chassidismus, der großen religiösen Bewegung des 18. Jahrhunderts, wird von dem und jenem Meister, der eines gewaltsamen oder verfrühten Todes starb, erzählt, er sei Messias Sohn Josefs gewesen. Doch die Einheit zwischen dem persönlichen Ebed und dem Ebed Israel überträgt sich auch auf die Einheit im Leid. Insofern das große Diasporaleiden Israels ein nicht bloß ertragenes, sondern wahrhaft getragenes, ein getanes Leiden ist, wird es im Bild des Ebed gedeutet. Wer in

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Israel das Leiden Israels tut, ist der Ebed, und er ist das Israel, an dem sich JHWH verherrlicht. Das Geheimnis der Geschichte ist das Geheimnis einer Stellvertretung, die letztlich Identität ist. Der Pfeil, der noch immer im Köcher steckt, ist Volk und Mensch zugleich. Die Hoffnung Deuterojesajas auf die Verwirklichung seiner messianischen Botschaft in seinem Geschichtszeitalter ist nicht in Erfüllung gegangen. Im Aufbau des zweiten israelitischen Staatswesens, im Leben der aus Babylon zurückgekehrten Gemeinschaft ist trotz des rechtschaffenen Versuchs, sich unter das Gesetz JHWHs zu stellen, nicht viel davon zu verspüren. Aber die große Zerstreuung, die nach dem Zerfall des zweiten Staates die Existenzform des Volkes wird, ist mit dem Leidensmysterium, als mit der Verheißung des Gottes der Leidenden, ausgerüstet. Zu dem Gott, der in der Urzeit den Erzvater aus seinem Vaterhause »abirren machte« und auf der Wanderschaft zum gesetzten Ziel ihm als treuer Hirt voranging, bekennen sich die Geschlechter der Leidenden auf ihrem Weg, dem Weg des Exils, als zu »ihrem Hirten« (Jesaja 40, 11). Sie tun es in der Kraft des prophetischen Glaubens: »JHWH geht vor ihnen einher« (52, 12). Er, den der »Prophet« Abraham in den Tagen der Frühe als den Gott des Weges erkannte, ist in der Botschaft des anonymen Propheten (48, 17), die die Geschlechter der Leidenden auf ihrer Wanderschaft mit sich trugen, der Führer auf dem Weg geblieben.

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Ein namhafter Historiker, Eduard Meyer, hat sich einmal (1906) dahin geäussert, Mose sei keine geschichtliche Persönlichkeit. Er fügt hinzu: »Es hat denn auch (abgesehen von denen, die die Tradition in Bausch und Bogen als geschichtliche Wahrheit hinnehmen) noch niemand von denen, die ihn als eine geschichtliche Gestalt behandeln, ihn mit irgendwelchem Inhalt zu erfüllen, ihn als eine konkrete Individualität darzustellen oder etwas anzugeben gewusst, was er geschaffen hätte und was sein geschichtliches Werk wäre.« Eben dies, Mose als eine konkrete Individualität darzustellen und anzugeben, was er geschaffen hat und was sein geschichtliches Werk ist, habe ich mir in diesem Buche zur Aufgabe gesetzt, und zwar auf der mir selbstverständlichen Grundlage unbefangener, weder der religiösen Überlieferung, noch den wissenschaftlichen Schulmeinungen verhafteter, kritischer Forschung. Soweit ich sehe, ist das, was ich hier gebe, der erste umfassende Versuch dieser Art. Bis auf Eduard Meyer hat es in der Tat keinen gegeben, aber auch in den zwei seither erschienenen Büchern über Mose, denen wissenschaftliche Bedeutung zukommt*, »Mose und seine Zeit« von Hugo Gressmann (1913) und »Mose« von Paul Volz (1907, völlig umgearbeitete Neuauflage 1932), ist die Aufgabe teils, wie in dem ersten, das sich in einer vielfach zu völlig abwegigen Ergebnissen gelangenden Sonderung der verschiedenen Schichten der Sagenbildung erschöpft, gar nicht gestellt worden, teils ist sie, wie in dem zweiten, wertvollen und anregenden, aber zu allgemein gehaltenen und zu wenig sich mit den grossen Problemen des biblischen Textes befassenden, allzu eng gefasst worden. In Einzelfragen der Forschung sind jedoch im Sinne einer Ermittelung der geschichtlichen Gestalt Moses und seiner Lehre in diesen vier Jahrzehnten wichtige Beiträge geleistet worden**, auf die ich in den Anmerkungen hinweise. Auf eines freilich muss eine Darstellung wie die hier versuchte von vornherein verzichten. Einen in sich zusammenhängenden Ablauf von Begebenheiten kann sie nicht zu geben unternehmen, denn was ihr in *

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Dass ein auf seinem Gebiet so bedeutender Forscher wie Sigmund Freud sich entschliessen konnte, ein so völlig unwissenschaftliches, auf grundlosen Hypothesen haltlos gebautes Buch wie »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« (1939) zu veröffentlichen, ist verwunderlich und bedauerlich. Ernst Sellins interessante Arbeiten, die – in den Spuren Goethes – mit einer erstaunlichen Kombinationsgabe die unhaltbare These eines »Martyriums« Moses vertreten, kann ich leider nicht dazu zählen.

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ihrer einzigen Quelle hierfür, der biblischen Erzählung, gegeben ist, hat in der Hauptsache nur zwei Vorgänge zum Gegenstand, den Auszug und das Lagern am Sinai; dazu kommt eine einleitende Legende der Vorgeschichte Moses und eine Anzahl mehr oder weniger fragmentarischer Einzelberichte über nachsinaitische Begebenheiten. Diesen disparaten Sagenkomplexen ist eine geschichtliche Kontinuität nicht abzugewinnen. Doch konnte die Darstellung, trotz aller Problematik der biblischen Chronologie, sich bestreben, im Anschluss an die biblische Komposition eine gewisse Zeitfolge zu wahren. Wird dadurch auch kein pragmatischer Zusammenhang gewonnen, so doch wohl das Bild einer Folge von Ereignissen, in denen sich ein grosser geistesgeschichtlicher Prozess wie in sichtbaren Gliedern kundgibt. Von der Methode, die gewählt wurde, um den biblischen Text im Hinblick auf diesen Zweck zu erfassen, legt der einleitende Abschnitt, »Sage und Geschichte«, einige Grundzüge dar. Ergänzendes findet man in meinen Büchern »Königtum Gottes« (2. Auflage 1936) und »Die Lehre der Propheten« (hebräisch, 1942). An dieser Stelle mag es genügen zu erwähnen, dass ich die herrschende Ansicht, der biblische Text sei überwiegend aus »Quellenschriften« (»Jahwist«, »Elohist« usw.) zusammengeflossen, für unrichtig halte. Ich glaube vielmehr von den meisten der biblischen Erzählungen, dass jeder einzelnen eine Traditionsbearbeitung zugrundelag, die im Laufe der Generationen mannigfache, von verschiedenen Tendenzen beeinflusste Ausgestaltung erfahren hat. Hier Frühes von Späterem zu sondern und sodann von der Traditionsbearbeitung so weit als möglich zur präsumtiven, mehr oder weniger lang mündlich bewahrten Tradition selber vorzudringen, ist die Aufgabe. Der erste Teil kann mit einiger Sicherheit durchgeführt werden; es handelt sich hier darum, in einem sozusagen reduktiven Verfahren die Zusätze, die an Sprache und Stil, an Inhalt und Tendenz als solche erkennbar sind, schichtenweise abzutragen, um zu den letzten erreichbaren Gebilden vorzudringen, denen nun die traditionskritische Forschung gegenübersteht. Der zweite Teil der Aufgabe hingegen ist fast nur hypothetisch zu erfüllen; aber die Hypothesen stützen einander, und was sich aus ihrem Zusammenwirken ergibt, das einheitliche Bild eines Mannes und seines Werkes, bestätigt sie mitsammen. Den hebräischen Text habe ich in seinen formalen Bestandteilen ernster genommen, als dies in der Exegese im allgemeinen geschieht. Ich bin im Laufe einer vieljährigen Beschäftigung mit diesem Text immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass die Form vielfach sozusagen den Inhalt ergänzt, d. h. dass wir auf manches Wichtige durch ihre Mittel hingewiesen werden. Der jeweiligen Wortwahl, und im Zusammenhang damit der

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ursprünglichen Wortbedeutung und dem Bedeutungswandel, und ebenso dem jeweiligen Satzbau ist mit Sorgfalt nachzuforschen. Vornehmlich aber kommt meiner Ansicht nach eine besondere Funktion dem Prinzip der Wiederholung zu. Dadurch, dass die gleichen Laute, Wörter, Sätze, sei es innerhalb des gleichen Abschnittes, sei es in verschiedenen korrespondierenden wiederkehren, wird unsere Aufmerksamkeit teils auf die spezifische Bedeutung einzelner Motive, teils auf gegenseitige Entsprechungen und Ergänzungen zwischen ihnen gelenkt. Ausführlichere Darlegungen über all dies findet man in dem Buche »Die Schrift und ihre Verdeutschung« (1936), das die Aufsätze enthält, die ich und mein verstorbener Freund Franz Rosenzweig gelegentlich unserer Übertragung des Alten Testaments ins Deutsche (wovon unter dem Titel »Die Schrift« die ersten 15 Bände – von 20 – erschienen sind) über biblische Probleme abgefasst haben. Seinem Gegenstande gemäss hat es dieses Buch im wesentlichen mit Glaubensgeschichte zu schaffen. Nur ist darunter etwas anderes zu verstehen, als was man Religionsgeschichte zu nennen pflegt. Diese letztere befasst sich mit religiösen Lehren, religiösen Sinnbildern und religiösen Einrichtungen als solchen, hier aber sind sie alle, das theologische, das symbolische und das institutionelle Element, in den gemeinsamen Lebenszusammenhang einer Gemeinschaft eingetaucht. In der Gestaltung des Gesamtlebens dieser Gemeinschaft in all seinen sozialen, politischen und spiritualen Funktionen hat der Glaube, von dem hier gehandelt wird, sich unterfangen, Fleisch zu werden. Von diesem Unterfangen erzählt dieses Buch. Es ist von Grund aus irrig, den Glauben, auf den ich hinweise, einfach als »Monotheismus« zu registrieren. Hier gilt, was vor einem halben Jahrhundert Paul Yorck von Wartenburg an seinen Freund und meinen Lehrer, den Philosophen Wilhelm Dilthey schrieb: »Ich würde für wünschenswert halten, von all den Kategorien: Pantheismus, Monotheismus, Theismus, Panentheismus, abzusehen. Sie haben an sich gar keinen religiösen Wert, sind nur formell und von quantitativer Bestimmung. Weltauffassung, nicht Gottesauffassung reflektieren sie und bilden nur den Umriss einer intellektuellen Verhaltung, auch hierfür nur eine formale Projektion. Auf das Thematische dieser Formbezeichnungen aber kommt es für das religiöse Moment wie für die geschichtliche Erkenntnis an.« Entscheidend ist nicht, ob man in der Betrachtung des Seins eine allem überlegene Einheit annimmt, sondern als welcher Art man diese Einheit schaut und empfindet und ob man zu ihr in einem ausschliesslichen Verhältnis steht, das allen anderen Verhältnissen und mit ihnen der ganzen Lebensordnung gebietet. Innerhalb des sogenannten Monotheismus sind

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durch die konkrete Verschiedenheit der Gottesbilder und der vitalen Gottesbeziehungen Einschnitte gemacht, die zuweilen viel wichtiger sind als die Grenzen zwischen einem bestimmten »Monotheismus« und einem bestimmten »Polytheismus«. Der universale Sonnengott des imperialistischen »Monotheismus« Amenophis’ IV. ist dem nationalen Sonnengott des altägyptischen Pantheons unvergleichlich näher als dem Gott des frühen Israel, den man von ihm hat ableiten wollen. Was uns an diesem, am Gotte Moses, so wichtig ist, ist die ihm eigentümliche Verbindung von Eigenschaften und Tätigkeiten. Er ist Herausholer, Führer und Vorkämpfer; Volksfürst, Gesetzgeber und der Entsender grosser Botschaft; er handelt auf der Fläche der Geschichte an den Völkern und zwischen den Völkern; um Volk ist es ihm zu tun, Volk fordert er an, dass es ganz und gar »sein« Volk, ein »heiliges« Volk werde, und das heisst: ein Volk, dessen Gesamtleben durch Gerechtigkeit und Treue geheiligt ist, ein Volk für Gott und für die Welt. Das alles aber ist er und tut er als erscheinender, anredender und offenbarender Gott. Er ist unsichtbar und »lässt sich sehen«, und zwar in welchem Naturphänomen oder Geschichtsvorgang er sich eben jeweils sehen lassen will; er tut den Menschen, die er beruft, sein Wort kund, und zwar so, dass es in ihnen hervorbricht und sie dem Gotte zum »Munde« werden; er lässt seinen Geist den ergreifen, den er sich erwählt hat, und lässt ihn in diesem und durch ihn das Gotteswerk zeitigen. Dass Mose ihn so wahrnimmt und ihm als einem solchen dient, das ist es, was diesen Mann als lebendig wirkende Kraft in alle Zeiten gestellt hat und so wieder neu in unsere, vielleicht wie keine frühere seiner bedürfende Zeit stellt.

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Ich danke meinem Freunde Dr. Ernst Simon für sein ungemein aufmerksames Lesen des Manuskripts und für seine zahlreichen und wertvollen Bemerkungen. Jerusalem, im Juni 1944 Martin Buber

Aus drucktechnischen Gründen musste auf eine wissenschaftlich exakte Transkription der semitischen Wörter verzichtet werden.

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Wer aus erster Hand erfahren will, wer Mose und was sein Leben war, ist darauf angewiesen, die biblische Erzählung zu lesen. Andere Quellen kommen nicht ernstlich in Betracht; Vergleichung von Berichten, sonst der wichtigste Weg zur Ermittlung der historischen Wahrheit, ist hier nicht gewährt. Was von Israels Überlieferung seiner Urzeit bewahrt ist, steht in dem einen Buch; von den Völkern, mit denen es auf dem darin erzählten Zug von Ägypten nach Kanaan in Berührung kam, ist uns kein Bruchstück einer Chronik aus jener Zeit erhalten, und in Ägyptens älterem Schrifttum ist kein Hinweis auf jene Ereignisse zu finden. Die biblische Erzählung selbst aber ist in ihrem Charakter wesentlich verschieden von allem, was wir als brauchbare Geschichtsquelle anzusprechen geneigt sind; die Vorgänge, von denen sie berichtet, können sich, so wie sie berichtet sind, in der uns historisch geläufigen Menschenwelt nicht begeben haben. Die literarische Kategorie, der unser geschichtliches Denken sie einreihen muss, ist die Sage; und von dieser wird im allgemeinen angenommen, dass sie in uns keine Vorstellung einer Abfolge von Tatsachen zu erzeugen vermöge. Zudem sind wir gewohnt, es als eine Grundauffassung der dogmenfreien Bibelwissenschaft unserer Tage anzusehen, dass jene Erzählungen einer sehr viel späteren Zeit als die erzählten Ereignisse angehören, und dass es der Geist dieser späten Zeit sei, der sich in ihnen ausspricht – vielmehr die Geister der verschiedenen späteren Zeiten, denen die von der herrschenden Anschauung unterschiedenen Bestandteile der Erzählung, die »Quellenschriften«, aus denen sie zusammengesetzt oder zusammengebracht sein soll, zugeschrieben werden. Es liegt nah, an Homer zu denken, der uns eher ein Bild der Epoche übermittelt, in der er selber, als der, in der seine Helden leben. Dann aber wäre von Moses Wesen und Werken ebenso wenig zu erfahren, wie von denen des Odysseus, und wir müssten uns damit bescheiden, ein besonderes Zeugnis für die Kunst zu besitzen, mit der die von den Königen Israels bestellten Hofliteraten oder die volkstümlicheren Propheten ihrer Nation aus einem uns schlechthin unbekannten und unzugänglichen Stoff die Gestalt ihres Stifters formten. Aber die Wissenschaft unseres Zeitalters hat einer anderen und tieferen Einsicht in das Verhältnis zwischen Sage und Geschichte den Weg gebahnt. So hat z. B. der Philolog Hermann Usener (1897) darauf hingewiesen 1, dass in der Sage sich nicht eine nachträgliche Verklärung der geschichtlichen Erinnerung ausspricht, sondern ein Vorgang, der den Ereignissen »sozusagen auf dem Fusse folgt«, und mit noch grösserer Präzision hat vor kurzem (1933) 2 der Iranist Ernst Herzfeld die Erkenntnis

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herausgearbeitet, dass »Sage und Geschichtsschreibung vom selben Punkt ausgehen, vom Ereignis«, und dass gerade in der Sage geschichtliche Erinnerung bewahrt ist: »nicht an das, was die Folgen als ›geschichtliches Ereignis‹ erwiesen, sondern an das, was das Gemüt der Erlebenden rührte«. Wir können noch genauer fassen, um was es geht. Der Mensch früher Zeiten nimmt die ungeplanten, unvorhergesehenen Ereignisse, die die geschichtliche Lage seiner Gemeinschaft mit einem Schlage umwandeln, in einer fundamentalen Erregung aller Elemente seines Wesens auf, die der grosse Germanist Jacob Grimm (1813) 3 mit Recht als »objektive Begeisterung« bezeichnet hat. Es ist ein Urstaunen, das alle bildnerischen Kräfte der Seele ins Werk setzt. Was sich hier vollzieht, ist somit nicht eine Umdichtung des Wahrgenommenen durch eine frei schaltende Phantasie, sondern die Erfahrung selber ist eine bildnerische. »Zeiten sinnlicherer Religiosität«, sagt Usener, »sehen vor den siegreichen Scharen übermenschlich grosse lichte Gestalten Tod und Flucht in die Reihen der Gegner tragen.« Der Hauptton ist hier auf das Wort »sehen« zu legen. Das Geschichtswunder ist keine Interpretation; es wird gesehen. Und auch die nun folgende Zusammenformung der blitzartigen Gesichte zum zusammenhängenden Bericht der Sage ist frei von Willkür: es ist ein organisches, organisch-bildnerisches Gedächtnis, was hier waltet. Dass diese frühe ereignisnahe Sage eine rhythmische Gestalt anzunehmen neigt, ist wohl zu verstehen, und zwar nicht bloss daher, dass es dem Enthusiasmus natürlich ist, sich in Rhythmen zu äussern: wichtiger ist die diesem Stadium des Menschenwegs eigentümliche Grundvorstellung, das Geschichtswunder könne von keiner anderen Sprache als von der rhythmisch gegliederten, natürlich in mündlicher Äusserung, erfasst werden (eine Grundvorstellung, die dem uralten Zusammenhang zwischen Magie und Rhythmus wesensverwandt ist); dazu tritt noch der Wille, das Gedächtnis des Ungeheuren, das geschehen ist, allen kommenden Geschlechtern unverändert zu erhalten, wofür, da die Überlieferung zunächst im wesentlichen eine mündliche war, die in rhythmischer Form die günstigere Voraussetzung darstellte. Zuweilen nimmt die Sage geradezu lyrische Gestalt an, wie in dem Lied der Debora, wo der Sprecher mitten aus der Situation des besungenen Kampfes ruft und rechtet. So stehen neben den von höfischem Auftrag bestimmten registrierenden Formen der historischen Aufzeichnung, die eine Vorstufe der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung darstellen und sich von den Königslisten der Sumerer zu der komponierten Chronik der biblischen Königsbücher entwickeln, der Geschichtssang und die Geschichtssage als die spontanen, nicht auftraggebundenen Formen einer volkstümli-

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chen mündlichen Bewahrung »historischer«, d. h. für den Stamm lebenswichtiger Ereignisse. Es ist wichtig, diese Typen ihrem soziologischen Charakter nach zu untersuchen. Die Sage ist die überwiegende Art der Festhaltung geschehender Geschichte, solange das Stammesleben stärker ist als die Staatsordnung; sobald hingegen diese stärker wird, pflegt die Ausbildung annalistischer Geschichtsschreibung im Auftrag der Regierungsgewalten die volkstümlichen Formen in den Schatten zu stellen. Nimmt eine Sage in ihrer Frühzeit Liedgestalt an, so bleibt sie, auch wenn sie lange Zeit nicht anders als mündlich überliefert wird, im wesentlichen unverändert, nur dass ihr etwa Verse angefügt werden, die den seitherigen Fortgang der Begebenheiten behandeln; Erinnerungen, die in das Lied nicht eingegangen sind, können sich unter Umständen zur Parallelerzählung verdichten, so dass dann, wie eben in der Debora-Geschichte, »Prosa« neben »Gedicht«, richtiger gesagt eine nur locker rhythmisierte Fassung neben der streng gebundenen Form steht. Gewinnt hingegen die Sage in der ereignisnahen Zeit diese strenge Form nicht, sondern verweilt im »mobilen« Zustande, dann wird sie von den verschiedenen Erzählern, ohne dass eine bewusste Änderungsabsicht anzunehmen ist, verschieden bearbeitet, verschiedene religiöse, politische, familienhafte Tendenzen wirken sich in den Bearbeitungen aus, nebeneinander, aber auch nacheinander, so dass ein bereits in der Tradition umlaufendes Gebild »berichtigt«, d. h. ergänzt oder auch in den und jenen Momenten geradezu gewandelt wird. Dieser fortdauernde Kristallisationsprozess ist seinem Wesen nach etwas völlig anderes als ein Zusammentragen und Zusammenschweissen aus mehreren Quellenschriften. Der Forschung erwächst aus dieser Sachlage eine traditionskritische Aufgabe: sie muss versuchen, zu dem ursprünglichen, ereignisnahen Kern der Sage vorzudringen. Das wird ihr unter anderem auch dadurch erschwert, dass das Schrifttum der Geschlechter es sich angelegen sein liess, das vorgefundene Sagengut durch hinzugedichtetes abzurunden, etwa wo man die unbekannte oder nur in flüchtigen Zügen bekannte Geburtsund Kindheitsgeschichte des Heros nicht glaubte unerzählt lassen zu dürfen. Das Verfahren der Forschung ist hier notwendigerweise ein reduktives: sie muss von den ihr vorliegenden Gebilden Schicht um Schicht abtragen, um die früheste zugängliche zu erreichen. Zu dem »wie es eigentlich gewesen ist« (Ranke) auf diesem Weg zu gelangen haben wir keine Sicherheit. Wird es uns aber nicht gegeben, den Verlauf der Ereignisse selber zu erfahren, so doch in einem erheblichen Masse die Art, wie das mitlebende Volk ihn erfuhr. Wir lernen die Begegnung dieses Volkes mit einem grossen, es überwältigenden geschichtlichen Geschehen kennen,

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die sagenbildende Begeisterung, mit der es das Ungeheure bildnerisch empfing und einem bildnerischen Gedächtnis überlieferte. Das soll aber keineswegs dahin verstanden werden, dass wir lediglich volkspsychologische Ergebnisse zu erwarten hätten. Begegnung eines Volkes mit Vorgängen, die so gewaltig sind, dass es sie nicht eigenem Planen und Vollbringen zuzuschreiben vermag, sondern Taten himmlischer Mächte darin erblicken muss, ist echte Geschichtssubstanz. In der Sage besitzen wir, soweit sie ereignisnah ist, das Werk dieser Begegnung, ihre Urkunde; die traditionskritische Aufgabe der Sagen-Interpretation, die uns obliegt, bringt uns nahe an die Begegnung heran. In ihrem Anblick müssen wir dann stehen bleiben, ohne dass wir einen »objektiven Tatbestand« herauszuholen vermöchten. Einen Geschichtskern der Sage werden wir nicht gewinnen, indem wir die Funktion des Enthusiasmus von ihr abschälen: diese Funktion ist ein unablösbares Element des unserer Forschung anvertrauten Stücks Geschichte; aber wir können und sollen jeweils prüfen, ob und wie sich das Erzählte auf geschichtliche Zusammenhänge bezieht, in sie einbeziehen lässt. Aus dem Geschichtswunder ist Geschichte hier nicht auszuschmelzen, aber die Erfahrung, die uns überliefert ist, die Erfahrung von Ereignissen als Wunder ist selber grosse Geschichte und vom Grunde des Geschichtlichen aus zu verstehen, ins Gefüge des Geschichtlichen einzustellen. Ob der Sinai ein Vulkan war, ist weder geschichtlich feststellbar noch eigentlich geschichtlich relevant; dass aber die am »brennenden Berg« versammelten Stämme Worte ihres Führers Mose als die Botschaft ihres Gottes vernahmen, der zugleich einen Bund zwischen ihnen und einen Bund zwischen sich und ihrer Gemeinschaft stiftete, ist ein wesentlich geschichtlicher Vorgang, geschichtlich im höchsten Sinn, weil aus geschichtlichem Zusammenhang aufsteigend und neuen geschichtlichen Zusammenhang begründend. Es ist unrichtig, solchen Erzählungen gegenüber von einer »Historisierung des Mythos« zu reden: sie sind eher als Mythisierung der Geschichte zu bezeichnen, wofern man nur die Voraussetzung wahrt, dass Mythos hier, zum Unterschied von dem in der Religionswissenschaft geläufigen Begriff, nichts anderes bedeutet als Bericht des Begeisterten von dem, was ihm widerfuhr. Dass aber der Bericht eines begeisterungslosen Chronisten letztlich wahrheitsgemässer ausgefallen wäre, ist zu bezweifeln. Es gibt kein anderes wissenschaftliches Geschichtsverständnis als das rationale; aber es muss damit beginnen, dass die kleine Ratio durch die grosse überwunden wird. Es sind jedoch noch zwei Momente hervorzuheben, die zur Stärke des geschichtlichen Gehalts der Mose-Sage wesentlich beigetragen haben. Zunächst: die zentralen Gestalten der biblischen Sage sind nicht, wie

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in so vielen Heldensagen der Völker, mit Personen des Götter-Mythos verschmolzen, die Begebenheiten ihres Lebens sind nicht mit Göttergeschichten verwoben worden. Alle Verherrlichung gilt hier dem wirkenden Gotte allein; der in seinem Auftrag handelnde Mensch ist in seiner ganz unverklärten Menschlichkeit dargestellt. Der wundertätige Stab in seiner Hand macht ihn nicht zum Inhaber übermenschlicher Gaben: bedient er sich seiner einmal unbefohlen, unterliegt er dem Gericht; und wenn beim Niederstieg vom Sinai sein Antlitz strahlt, ist es nicht eine Ausstrahlung seines eigenen Wesens, sondern nur der Abglanz eines oberen Lichts. Durch diese Abrückung der Menschen vom mythischen Element ist die Erzählung in eine Atmosphäre »heiliger Nüchternheit« getaucht, eine trockene Atmosphäre gleichsam, die uns vielfach den Blick in einen geschichtlichen Kern freigibt. Sodann zeigt sich uns bei genauem Zusehen, dass es schon dem frühen Erzähler von den Taten Moses nicht um schöne oder lehrreiche Einzelsagen, sondern um eine Kontinuität der Vorgänge zu tun ist. Wohl treffen wir etwa in dem Bericht von dem Zug durch die Wüste immer wieder auf Episoden, aber sie sind in einen Zusammenhang einbezogen, der ersichtlich nicht von späten literarisch-harmonistischen Tendenzen, wie etwa das Buch Josua, sondern von einem mächtigen Urgefühl, der leidenschaftlichen Erinnerung an eine Abfolge unerhörter Ereignisse bestimmt ist. Die Verknüpfung, die hier waltet, hat aber auch nichts von der dichterischen Komposition des Epos; es ist die sachlich gebundene Verknüpfung des Itinerariums. Mag dieses etwa aus dem Zustand einer ungenauen oder entstellten Überlieferung zu einer fragwürdigen Vollständigkeit bearbeitet, mag die zugehörige Zeitfolge durch Didaktik und Zahlensymbolik verwandelt worden sein, der Ursprung, die Erinnerung an einen Weg, auf dem die Nation entstanden ist und die eifrige Absicht, seine Stationen festzuhalten, ist unverwischt geblieben. Zweifellos ist im Schrifttum der Welt das spezifisch Geschichtliche nur da zu finden, wo uns das Prinzip des ursprünglichen Zusammenhangs entgegentritt; hier ist es nicht zu verkennen. Aus alledem ergibt sich eine dreifache kritische Aufgabe, die, wie schwierig auch, doch in einem gewissen Masse erfüllbar erscheint. Es gilt zu scheiden zwischen geschichtsnaher Sage, die ihrem Wesen nach enthusiastischer Bericht ist, und geschichtsferner, die der Tendenz entstammt, das Vorgefundene zu ergänzen, innerhalb der ersteren aber zwischen den ursprünglichen Bestandteilen und ihrer Ausgestaltung; schliesslich kommt es darauf an, nach Möglichkeit zum Geschichtskern der Sage vorzudringen. Ein einheitliches Geschichtsbild können wir auf diesem, dem einzigen uns wissenschaftlich offenen Wege, selbstverständ-

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lich nicht gewinnen; aber auf die Ermittlung geschichtsechter Linien dürfen wir hoffen. Und die Scheidung ist keineswegs als Ausscheidung zu verstehen: wie wir sahen, ist auch das Sagenhafte, soweit es den Charakter der Geschichtsnähe hat, geschichtlich wichtig als Dokument der Aufnahme des Geschehenen im Gemüt derer, denen es geschah. Doch auch noch darüber hinaus: auch das später Hinzugekommene muss uns wichtig sein. Auch die Ausgestalter und Hinzudichter tun, was sie tun, nicht aus Willkür, sondern im Bann des urzeitlichen Antriebs, der in ihnen fortwirkt. Überlieferung ist naturgemäss Gestaltwandel; Änderung und Bewahrung vollziehen sich im gleichen Strom; auch noch während die Hand ergänzt, horcht das Ohr in die Tiefe der Vergangenheit; nicht nur dem Leser, auch dem Schreiber selbst legitimiert sich das Neue am Alten. Zu dem Mose, der vor vielen Zeiten gewesen ist, tritt rechtmässig der, der in vielen Zeiten geworden ist. Jenem dürfen wir uns durch unsere prüfende und sichtende Arbeit an den Texten nähern; dieser ist uns unmittelbar gegeben. Unser Blick muss beiden zugewandt sein, ohne sie zu vermengen: die Helle des Vordergrundes umfangen und in das Dunkel der Geschichtstiefe spähen. Dabei dürfen wir nicht ausser acht lassen, dass die Kräfte, die die Sage geformt haben, zuinnerst mit jenen identisch sind, die in der Geschichte walteten: es sind die Kräfte eines Glaubens. Denn dieser Glaube, seinem Wesen nach ein Geschichtsglaube, ein Glaube, der wesentlich auf die geschichtliche Zeit als solche bezogen ist, ist nicht nachträglich an überlieferten Stoff herangetreten, er ist vielmehr aus diesem Stoff selber nicht wegzudenken, die überlieferten Ereignisse selber sind von ihm durchdrungen, die Personen, die die Ereignisse trugen, haben ihm geglaubt, sie haben in ihm gehandelt, was zu handeln, und in ihm erfahren, was zu erfahren war. Die Forschung unserer Zeit ist auf den Wegen ihres gründlichen Zweifelns und Fragens dahin gelangt, eine Gewissheit neu zu begründen: dass es israelitischer Frühzeit-Glaube ist, von dem die biblische Erzählung der israelitischen Frühzeit berichtet. Wie immer die erzählten Vorgänge aus Tatsache und Legende gemischt sind, die ihnen einwohnende Glaubensgeschichte ist in all ihren wichtigsten Zügen authentisch. Was wir von dem Glauben hören, der das tätige wie das empfangende Leben jener Personen bestimmt, ist nicht, wie die Wissenschaft eine Zeitlang meinte, »Projektion« einer späteren religiösen Entwicklung auf die Fläche jener frühen Epoche, sondern im wesentlichen deren Glaubensgehalt selber. Und dieser Glaube ist es, der die geschichtsnahe Sage, der in seinen jüngeren Stadien auch die geschichtsferne geformt hat. Diese Sage ist ihrem Wesen nach »heilige Sage«, weil in ihr das Gottesverhältnis der Menschen, von denen sie erzählt, fundamentaler Be-

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stand ist; aber auch diese Geschichte ist ihrem Wesen nach »heilige« Geschichte, weil die Menschen, die in ihr handeln und leiden, im Zusammenhang ihres Gottesverhältnisses so handeln und das leiden.

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Israel in Ägypten Die biblische Erzählung lässt das Kommen der Kinder Israel nach Ägypten und ihren Auszug nach 430 Jahren durch zwei ägyptisierte Israeliten bewirken, die beide, der eine als Grossvezier, der andere als Adoptivsohn einer Prinzessin 4, in den Verband des Pharaonenhofs aufgenommen worden sind und da, der eine von einem König, der andere von einer Königstochter, ägyptische Namen erhalten haben. Die Erzählung unterstreicht ihren Zusammenhang, als sie beim Auszug (Exodus 13, 19) Mose selber »die Gebeine Josefs« mitnehmen lässt, den Mumiensarg nämlich, der (Genesis 50, 26), gewiss nicht unbeabsichtigterweise, mit einem Wort bezeichnet wird, das sonst nirgends einen Sarg, wohl aber die heilige Lade bedeutet, das Sinnbild des durch den Mund Moses zwischen JHWH und Israel gestifteten Bundes. Wir wissen aus der Amarna-Zeit von Semiten, die hohe ägyptische Staatsbeamte geworden sind. Einer von ihnen ist Minister für die syrischen Angelegenheiten und Vorsteher der Kornspeicher, und wir hören von ihm, dass er in Hungerzeiten Palästina und Phönizien mit Getreide versorgt; einen andern, der sich auf einer Inschrift seines Felsengrabs den »obersten Mund des ganzen Landes« nennt (vgl. Genesis 41, 40), sehen wir auf dem Grabgemälde vom König mit der goldenen Kette belehnt werden (vgl. V. 42) und auf dem Zweigespann durch die Strassen der Residenz fahren (vgl. V. 43). Auch in früheren Epochen begegnen wir in Ägypten semitischen Würdenträgern, insbesondre am Hofe der semitischen Hyksos-Könige, von denen einige ja selber ägyptische Namen angenommen haben, sie, die sich, wie die legitimen Pharaonen, Söhne des Sonnengottes nannten. Aber nicht die Analogien zu Motiven der biblischen Erzählung sind das Wichtige: wichtig ist das weltgeschichtliche Verhältnis, das sich in jenen und in diesen zusammen ausspricht. Das alte Ägypten ist nicht bloss, soweit unser Wissen reicht, der Anfang dessen, was wir Zivilisation nennen; es ist auch der erste und in seiner Grösse nicht wieder erreichte Versuch, das Leben und den Geist des Menschen, der sich auf den Weg seiner Geschichte begeben hat, im genauesten Wortsinn festzulegen. Die Äusserung der ägyptischen Priester zu Herodot, Ägypten sei ein Geschenk des Nils, muss durch die Erkenntnis der ungeheuren Last ergänzt werden, die dieses Geschenk den Siedlern des Landes auflud. Damit die Überschwemmung ihr befruchtendes Werk in zuverlässigem Gleichmass, ohne schädliches Zuwenig und noch schädlicheres Zuviel verrichte, musste die Naturgewalt durch ein umfängliches System von

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Dämmen, Schleusen, Gräben und Becken gezähmt und geregelt werden, ein System, das aufzurichten und zu erhalten nicht weniger als die äusserste Kraftanspannung der Generationen erforderte. Der homo faber, der Mensch als Hersteller brauchbarer Dinge, war uralt, als die ägyptische Geschichte begann; aber erst da erfuhr er, was eine lückenlos organisierte kollektive Arbeitspflicht bedeutet, innerhalb deren der lebendige Menschenfuss nicht anderen Anwert hat als das Schöpfrad, das er treibt. Es verdient Beachtung, dass auch die Dämonen, die Nacht um Nacht die Barke des Sonnengottes durch die Unterwelt ziehen, in »Trupps« organisiert sind. Der Aufseher mit der Peitsche, der uns in der biblischen Erzählung von der Sklavenzeit Israels in Ägypten entgegentritt, und den wir wohl noch heute nilabwärts wandernd über der fronenden Schar erblicken, ist nur ein Sinnbild dieser Kollektivpflicht, ohne die es auch keine Pyramiden gäbe. Aber der Pharao ist es nicht minder, der in seiner Person, wie es in einem Pyramidentext heisst, »die erste Welle des Hochwassers« verkörpert; schon »Skorpion«, ein König der Urzeit, wird dargestellt, wie er mit eigenen Händen einen Bewässerungsgraben auswirft; und wie der König »der Versorgung aller Lebenden vorsteht«, so übt er auch eine unerbittlich strenge Aufsicht über allen Bodenbesitz, bis dann aller im königlichen aufgeht und das Land, wie die biblische Erzählung im Anschluss an die geschichtliche Wirklichkeit es ausdrückt (Genesis 47, 20), »des Pharao wird«, der jeder Arbeitersippe so viel von dem Ertrag überlässt, als sie zum Leben braucht. Wie die Pyramide in ihrer Spitze, so gipfelt der ägyptische Staat mit fast mathematischer Notwendigkeit in der Krone, der »roten Flamme«, die in den Pyramidentexten als lebende Gottheit angerufen wird. Jeder erhält seine Funktion, die ihn zum Menschen macht, letztlich vom König. Die Sitten aller sind mit den streng geregelten Riten verknüpft, die der König täglich begeht und durch die das Leben des Landes erhalten wird; so ist es lebenswichtig, die Sitten unverändert zu bewahren. Hier steht nicht, wie in dem nicht minder konservativen China, dem Staat die Dorfgemeinde mit ihren Eigensitten und Eigenordnungen gegenüber; der Staat duldet hier zwar die Sippe, die sich ihm ja völlig einfügt, nicht aber eine Gesellschaft neben sich. Der vollkommenen wirtschaftlichen und politischen Zentralisation wegen, die sein Wesen ist, sprechen manche Forscher von Staatssozialismus, Breasted hat in seinem schönen Buche »The Dawn of Conscience« gezeigt, wie sich in Ägypten die ersten Ideen einer sozialen Gerechtigkeit entwickelt haben. Aber auch sie ist eine zentralistische Gerechtigkeit, die den totalen Raum für sich beansprucht und für die Freiheit keinen übrig lässt. Die Tendenz zum Beharren waltet in Ägypten mit einer Ausschliess-

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lichkeit, wie sie kaum von einer anderen Kultur erreicht wird. In ihrer doppelten Ausgestaltung – der Weisheit, zu wissen, was beharren soll, und der Kunst, zu machen, dass es beharre – baut sie eine grausam konsistente Welt, in der es allerart Spuk gibt, aber jeder Spuk seinen ihm angewiesenen Platz hat. Wie Ungeheures sie im wirtschaftstechnischen und im staatstechnischen Bereich auch zustandebringt, das Grösste schafft sie, wo sie am tiefsten fehlgeht: wo sie, über die Grenzen des Menschlichen hinausgreifend, den Tod selber bezwingen will. Der Verwesung soll die kostbarste Beute entrissen werden; damit der Genius des toten Königs dem Lande heilsam erhalten bleibe, statt umherirrend Unheil zu stiften, wird ihm die unverwesliche Stätte, die Mumie, hergerichtet, und um sie vor jedem Zugriff zu bergen, türmen hunderttausend Verfronte in jahrzehntelanger Mühe die Pyramide, die die königliche Seele gleichsam mit der Himmelswelt verbindet, in die sie, und sie allein von allen Seelen, aufgenommen wird. Aber auch dies ist noch nicht genug der Sicherung. Da der Genius in seinem neuen Heim doch noch sich bedroht fühlen könnte, wird ihm aus Granit und Diorit als zweite Wohnung die Statue gemeisselt, in die er eingeht. Unter diesen Statuen sind die sitzenden ausgezeichnet; diese Personen sitzen ersichtlich für ewige Zeit; nie und nirgends sonst hat die Kunst ein solches Sitzen gebildet; wer es sieht, lernt die grösste Anstrengung des Menschen kennen, einer geistigen Substanz dadurch irdische Dauer zu verleihen, dass er einer materiellen Substanz Form gibt. Und auch dies ist noch nicht alles. Auch in den Sphären der Götter hat die Seele manche Gefahren zu bestehen; damit sie es vermöge, wird sie mit Magie ausgerüstet. Aber es gibt in der Geschichte des Menschengeistes zwei verschiedene Konzeptionen von Magie. Ich meine damit nicht die »weisse« und die »schwarze« Magie; das ist eine Unterscheidung, die nicht das Wesentliche trifft. Vielmehr gibt es einerseits eine Magie der Spontaneität: da tritt eine Person mit der vollkommenen Sammlung ihres Wesens dem chaotischen Element entgegen und bewältigt es, indem sie das Unvorhergesehene und ihr selber Unvorsehbare tut, mag sie sich dabei auch überlieferter Sprüche mit souveräner Freiheit bedienen. Andererseits gibt es eine Magie der Konvention; da sind feste Formeln, feste Rhythmen, feste Gebärden bereitgestellt, und nichts weiter ist erfordert, als sie richtig zu handhaben. Diese zweite Art von Magie kann auch als die technisierte bezeichnet werden. Sie ist es, die man in Ägypten dem Toten auf seine Fahrt zur Himmels- oder zur Unterwelt mitgab; ihm wird keine spontane Handlung, keine Improvisation zugemutet; er braucht drüben nur die fertigen Beschwörungen zu rezitieren, und er ist gesichert; ja, es genügte anscheinend, die Mumiensärge mit den Formeln zu beschreiben oder (in späte-

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rer Zeit) das »Totenbuch« hineinzulegen, um den Verstorbenen »dort« vor den ihn bedrohenden Gewalten zu schützen. Die Texte sollen sich gleichsam selbst lesen und dadurch dem Toten verschaffen, was in ihnen für »ihn gewünscht oder von ihm erzählt wird« 5; zuweilen verlangen sie nicht weniger, als dass der mit ihnen ausgerüstete König den Sonnengott selber verdränge und an seiner Statt die Welt regiere. Dass das König um König tun kann, ohne dass sie einander stören, ist ein wichtiger Zug in dieser Logik des Absurden: alle Widersprüche bestehen hier fort, aber die vollständige Technisierung, die jede Einzelheit festlegt, zieht dem Widerspruch seinen Stachel aus, und alles verträgt sich mit allem. Es wäre unrichtig, dieser ganz auf Erhaltung der festen Form gestellten Kultur das semitische Element als solches gegenüberzustellen. Hat dieses doch offenbar an den Ursprüngen des ägyptischen Volkstums prähistorisch mitgewirkt, in einer uns unbekannten Weise, aber, wie aus den semitischen Bestandteilen der ägyptischen Sprache zu schliessen ist, in nicht geringem Masse, und hat sich doch die babylonische Kultur, Ägyptens grosse Rivalin, eine zwar ganz anders ausgerichtete, aber nicht viel weniger konservative Kultur, grossenteils in der Verbindung von Sumerern und Semiten entwickelt. Vielmehr umfasst das Element, dessen eigentümlicher, aus Anziehung und Abstossung gemischter, aber letzten Grundes gegensätzlicher Kontakt mit Ägypten uns hier beschäftigt, einerseits nur einen bestimmten Teil der Semiten, andererseits weist es nicht unerhebliche nichtsemitische Einschläge auf. Es sind jene unter der Bezeichnung Habiru oder Khapiru bekannten Scharen, die wir von der Mitte des dritten bis zum Ende des zweiten Jahrtausends in wechselnder sozialer Struktur innerhalb von wechselnden politischen Konstellationen, erst im südlichen Mesopotamien, sodann im anatolischen Völkerbereich, hernach in Syrien und Palästina, schliesslich in Ägypten auf zahlreichen Urkunden genannt finden 6. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Wanderung, die sich hier – gewiss nicht gradlinig, sondern in mannigfachem Vordringen und Zurückweichen, und gewiss nicht in einer deutlichen Massenbewegung nach der anderen, sondern in einem unsicheren Vortasten und Sich-Einpassen kleinerer und grösserer Gruppen – vollzieht, geographisch einigermassen dem Weg jener Sippe entspricht, deren Geschichte, als die Geschichte der »Väter« Israels, das Buch Genesis erzählt. Dass die »Hebräer«, denen diese Sippe zugehört, sich mehr oder weniger mit den Habiru decken, hat für den überwiegenden Teil der Forschung einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erreicht, ja ist für ihn fast zur Gewissheit geworden. Es liegt auch nah, einen Zusammenhang zwischen den beiden Namen anzunehmen, gleichviel, ob Habiru – die Meinungen darüber gehen aus-

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einander – »Unstete, Schweifende« oder etwa »Genossen, Konföderierte« (beides würde gut auf die Scharen passen) oder sonst etwas, gleichviel ob ʿ Ibrim, Hebräer, »Wanderer« oder »Jenseitige, von jenseits des Euphrat oder auch des Jordan Gekommene« bedeutet, und gleichviel, ob der Zusammenhang zwischen beiden Namen auf wirklicher Verwandtschaft oder nur auf einer kanaanäischen oder hebräischen Volksetymologie beruhte, die die fremde Bezeichnung der eigenen Sprache angeglichen hat. Wichtiger ist es, miteinander zu vergleichen, was die Archäologie der letzten Jahrzehnte über die Habiru ermittelt hat, und was die Bibel von »Abraham dem Hebräer« (Genesis 14, 13) und seinen nächsten Nachkommen erzählt. Es ist eine Gemeinsamkeit wesentlicher Züge, die sich dabei ergibt; wir dürfen nur nie aus den Augen verlieren, eine wie hohe Stufe innerhalb der Entwicklung des Halbnomadentums die Kultur der »Väter« Israels einnimmt. »Habiru« bezeichnet nicht einen Stamm oder ein Volk, sondern eine Menschenart ihrer besonderen Lebensweise und ihrem besonderen Verhältnis zu ihrer Umwelt nach, doch hat der Name »die entschiedene Tendenz, sich zu einer ethnischen Bezeichnung zu entwickeln« 7. Diese Menschenart setzt sich aus Angehörigen verschiedener Völkergruppen zusammen, unter denen die semitische (die vermutlich den ursprünglichen Anstoss zu den Wanderungen gegeben hat) zumeist vorherrscht. Es sind Menschen ohne Land, die sich von ihren Volkszusammenhängen abgetrennt und zu gemeinsamen Weide- und Kampfzügen zusammengetan haben, je nach den Umständen halbnomadische Viehzüchter oder Freischärler. Sie streifen wohl (wir sind darauf angewiesen, das uns Bekannte aus den Analogien zu ergänzen) mit ihren Kleinviehherden über die Steppe, jagen, wo sich dazu Gelegenheit bietet, treiben zwischendurch an günstigen Plätzen mit primitiven Werkzeugen einen flüchtigen Bodenbau, ziehen weiter, zelten in der Nähe von Städten, mit denen sie Erzeugnisse tauschen, versuchen aber auch, sich festere Positionen zu schaffen. Gelingt ihnen eine solche Unternehmung, dann kann es geschehen, dass die Führer der Freischar zu Fürsten aufsteigen, oder sie werden doch zeitweise so mächtig, dass z. B. die ägyptischen Verwaltungsbeamten in der Provinz Syrien-Palästina es sich überlegen müssen, ob sie mit ihnen gegen die kanaanäischen Stadtstaaten gemeinsame Sache machen wollen oder umgekehrt. Kann eine Kampfschar nicht selbständig vordringen, so tritt sie in den Sold einer kriegführenden Partei; wird sie zerschlagen, dann nehmen die Einzelnen gern Dienst in öffentlichen Arbeiten, als Aufseher, als Schreiber u. dgl., werden ihrer qualifizierten Leistungen wegen bevorzugt, steigen zu führenden Ämtern auf. Was von dieser Lebensweise erfordert wird, ist eine besondere Verbin-

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dung »der pastoralen mit den militärischen Tugenden« , aber auch eine besondere Mischung von Anpassungsfähigkeit und Selbständigkeitstrieb. Die Kulturen, in die sie eindringen, sind ihre Chance, aber auch ihre Gefahr. Wie die grossen Kulturländer den Nomaden sahen – ohne, wie es scheint, wesentlich zwischen ihm und den Halbnomaden zu unterscheiden – erfahren wir zum Beispiel in einem sumerischen Hymnus (aus der Zeit um 2000) an den Gott des Westens, worin es von dem Amoriter der westlichen Hügel heisst: »Der keine Unterwerfung kennt, der ungekochtes Fleisch isst, der in seiner Lebzeit kein Haus hat, der seinen toten Genossen nicht begräbt.« In einer, vermutlich noch um Jahrhunderte älteren ägyptischen Schrift wird gesagt: »Da ist der elende Fremdling … Er wohnt nicht an demselben Ort, seine Füsse wandern immerzu. Seit der Zeit des Horus (d. h. seit der Urzeit) kämpft er, er siegt nicht und wird nicht besiegt«. Man hört die tiefe Feindschaft des festen Staatswesens gegen das unstete Element der Wüste heraus, aber auch die Erfahrung von dessen Unbezwingbarkeit. Und bald nach der Regierungszeit des Königs, von dem jene Schrift handelt, lesen wir in den »Ermahnungen eines Weisen«, die die Nöte einer Zeit des Niedergangs (die Mitte des dritten Jahrtausends ist gemeint) schildern: »Das Fremdvolk von draussen ist zu Ägypten hineingekommen … Die Fremden sind geschickt in den Werken des Landes der Marschen (des Delta)«. Das Gefühl des Gegensatzes kann sich in der Seele des Sesshaften zu einem metaphysischen Dualismus steigern, wie bei den Iraniern, die auf ihrer Seite die Mächte des Lichtes, auf der der nomadischen Turanier (auch dies ist wie Habiru keine ethnische Bezeichnung) die der Finsternis sahen und daran glaubten, dass der zwischen beiden von den Uranfängen an entbrannte Weltkampf mit dem vollkommenen Sieg des guten Prinzips über das Böse enden werde. Wie die Turanier die Lage betrachteten, ist uns leider nicht bekannt. Immerhin wissen wir, dass die Nomaden herabzusehen pflegen »auf den an seine Scholle gefesselten Bauern und die feigen Städter, die sich hinter Mauern zu schützen suchen und einem Herrn als Knecht dienen« 9. Das Verhältnis zwischen ihnen und den festen Kulturen ist ein weltgeschichtlich wiederkehrendes. Wie im babylonischen Königreich Ur im letzten Viertel des 3. Jahrtausends »die Mauer des Westens« zum Schutz gegen die nomadischen Amoriter, und wie in Ägypten zu Anfang des 2. Jahrtausends »die Mauer des Herrschers« errichtet wird, »um die Fremdscharen nicht wieder nach Ägypten herabziehen zu lassen, dass sie nach ihrer Weise um Wasser betteln, ihr Vieh zu tränken« (eine offenbar ironische Wendung: so fängt es an, ist gemeint, dann aber breiten sie 8

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sich aus), so in China gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. »die grosse Mauer«, um das Reich der Mitte vor dem Einbruch der Nomaden zu schützen. Der Name, mit dem diese bezeichnet wurden, Hiung-Nu (Hunnen), hatte ebenfalls, wie die Namen Habiru und Tura keinen ethnischen Charakter, sondern umfasste die nomadischen Völkerscharen des Nordens überhaupt. Ihnen verwandt sind jene Kirghisen-Kasaken, deren ursprüngliche Struktur eine besondere Ähnlichkeit mit der der Habiru aufweist, wie schon aus ihrem Namen hervorzugehen scheint. »Kirghis« bedeutet wohl: irrend, schweifend, und »Kasak« nach einer mich überzeugend dünkenden Etymologie: 10 von dem Stamm, von der Horde getrennt; so wird, wie das Tier, auch der Mensch genannt, der seine Gemeinschaft verlassen hat. Aus dem Zusammenschluss solcher Freischärler sind die Clans entstanden, von denen einer das ottomanische Reich gegründet hat, Condottieri, die – ganz wie wir es von den Habiru wissen – je nachdem Eroberer und Könige wurden oder verhandeln mussten, sich als Vasallen, als Wächter der Marschen, als Söldner einem Staatswesen unterordneten. Eine merkwürdige Analogie zu dem Namen »Kirghis-Kasak« finden wir in der Bibel. Da beginnt (Deuteronomium 26, 5) das für die Übergabe der Erstlingsfrüchte vorgeschriebene Gebet mit einer Formel, die mir noch älter zu sein scheint, als die sonstigen alten Bestandteile des Gebets 11, und deren alliterative Form offenbar dazu bestimmt ist, sie den Generationen des Volkes als besonders bedeutsam einzuprägen: arammi obed abi, ein abgeschweifter Aramäer (war) mein Vater. Das ist, ebenso wie jenes »Kasak«, Viehzüchtersprache: mit demselben Wort »obed«, abgeschweift, wird das Schaf bezeichnet, das sich von seiner Herde entfernt hat – wobei wir daran denken müssen, dass man, um einen Habiru zu schmähen, ihn einen entlaufenen Hund 12 nannte. Ganz entsprechend berichtet Abraham, auf den jene uralte Formel hinweist, in der Erzählung der Genesis (20, 13) dem Philisterfürsten, die Elohim, die Gottesmächte, hätten ihn »von seinem Vaterhaus abirren lassen«, ihn also – so unvergleichlich höher auch im übrigen sein Kulturtypus über dem kirghisischen steht – zum »Kasaken« gemacht. So hätte vielleicht auch, wiewohl in anderem Sinn, jener Grossvater eines nordsyrischen Kleinkönigs von der Mitte des 2. Jahrtausends reden können, der sich anscheinend vom Freischarenführer zum Stadtfürsten aufgeschwungen und dessen Bezeichnung »Tettisch der Habiru« wohl mit Recht mit jenem biblischen »Abraham der Hebräer« (Genesis 14, 13) verglichen worden ist, das charakteristischerweise gerade in dem fast im Chronikstil gehaltenen Kapitel steht, worin Abraham als Führer einer kampfgeschulten Schar erscheint. Auch die Habiru haben anscheinend ihre ilani, ihre Götter. Zwar ist es wahrscheinlich, dass die Bezeichnung

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»ilani Habiri«, die uns in hethitischen Urkunden entgegentritt, nicht »Götter der Habiru«, sondern Habiru-Götter bedeutet, d. h. eine besondere Kategorie von Göttern 13, die eben das in der Göttersphäre sind, was die Habiru-Scharen in der Menschenwelt, also nomadische Götter, eine wandernde Götterschar; aber man darf, da daneben die ausdrückliche Bezeichnung »Götter der Habiru-Leute« vorkommt, annehmen, dass die Götter, die in der hethitischen Kulturwelt, in die die Habiru eindrangen, so bezeichnet wurden, eben die waren, die die Habiru als ihre Ilani verehrten: Götter, die selber wandern und die Wanderungen der ihnen anhängenden Menschenschar anführen. Der biblische Abraham hat freilich keine Vielheit von Göttern im Sinn, wenn er im Gespräch mit dem Philister, offenbar um sich ihm deutlich zu machen, die Gottesbezeichnung Elohim als den Plural gebraucht, die sie der Wortform nach ist: in der Religion Israels bezeichnet Elohim, in unserer Begriffsprache ausgedrückt, die Gesamtheit der göttlichen Kräfte oder der göttlichen Substanz, als einheitliche Person gesehen. Aber auch Abrahams Gott ist ein Wanderer wie er selber. Er hat keinen festen Sitz, kein »Haus«, er zieht, wohin er zieht, er holt sich seine Leute und führt sie wohin er will, er zieht mit ihnen daher und dahin 14. Manche Geographen sehen die Länder, in denen die frühen Kulturen entstanden sind, im Bilde grosser Oasen an, und sicherlich trifft die Bezeichnung auf Ägypten zu. Dass der Wüsten- oder Steppenwanderer beim Anblick solch einer Oase in sie einzudringen begehrt, ist ebenso verständlich, wie dass der Ansässige ihn abwehrt; aber das Gefühl des Bauern ist eindeutig, das des Nomaden ambivalent; es verlangt ihn danach hier zu siedeln, aber etwas in ihm fühlt seine Freiheit, seine Selbständigkeit, seine ihm angemessene Gesellschaftsform, seine höchsten Güter, bedroht. Historisch betrachtet kämpft hier nicht etwa, wie man leicht anzunehmen geneigt ist, eine höhere Entwicklungsstufe gegen die niedrigere, denn die Domestizierung der Tiere, als die indirekte Verwertung der Bodenprodukte, ist im Verhältnis zum Hackbau eine nicht geringere Entdeckung und Höherleistung als die Pflugwirtschaft; wohl aber kämpft die feste, staatlich gebundene, oasenhaft in sich geschlossene Kultur gegen ein fluktuierendes Kulturelement, das, jede seiner kleineren Einheiten durch eine starke Solidarität innerlich verbunden, sich nur zum Kampf und zu heiliger Handlung in strafferen Stämmeverband ordnet und darin die persönliche Autorität nur so weit anerkennt, als ihr Träger sie durch seine unmittelbare Wirkung erweist. Es ist mit Recht gesagt worden 15, dass dieser »flüssige« Charakter der sozialen Verfassung die Hauptbedingung des Wohlstands eines Nomadenvolkes ist, und dass eben er »bei jeder Berührung mit einem angesiedelten Volk zu

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einem unvermeidlichen Zusammenstosse führt«. Dynastisches Prinzip steht hier charismatischem, ein durchgebildet zentralistisches einem primitiv föderalistischen Prinzip, Staatsrecht dem Stammesrecht, darüber hinaus aber eine in strengen Formen aufgerichtete Kultur einem lockeren Element gegenüber, das wie im Aufbau des Lebens so in dem der Werke sich nur selten zur umfassenden Tektonik verdichtet; die Tradition der Pyramide steht der Tradition des Lagerfeuers gegenüber. Gerade wenn die Nomaden oder Halbnomaden das fremde Staatswesen in ihre Gewalt bekommen und seine Führung an sich reissen, verfallen sie am ehesten seinem Prinzip. Wenn die ägyptische Königin Hatschepsut (die ein kühner Forscher versucht hat 16, mit jener Prinzessin zu identifizieren, welche nach der biblischen Erzählung den Knaben Mose gerettet und aufgezogen hat) lange nach der Vertreibung der Hyksos – die, wie nachmals die Habiru, aus verschiedenen ethnischen (vorwiegend semitischen) Elementen zusammengesetzt, starke nomadisierende Bestandteile enthalten zu haben scheinen – sich rühmt, hergestellt zu haben, was sie zerstört hatten, sie aber bezichtigt, gestürzt zu haben, was geschaffen war, so ist diese Anklage gewiss nicht auf willkürliche Taten der Verwüstung, sondern auf die schweren Kämpfe gegründet, die mit dem Rückzug der Eindringlinge nach Palästina und Syrien endeten; allem Anschein nach haben sich die Hyksos der ägyptischen Zivilisation im wesentlichen angepasst und an ihr fortgebaut, nach dem Scheitern ihres Unternehmens aber haben sie ihre eigene Existenzform nicht zu erneuern vermocht und sind offenbar in ihre Bestandteile zerfallen. Wo sie in ihrer Selbständigkeit, in der Geschlossenheit ihrer Lebensordnung verharren, stellen die Nomadenvölker ein bedeutendes Kulturelement eigener Art dar, das auf die Umwelt eine auflockernde und erneuernde Wirkung ausübt. Schon von dem Viehzüchter der Frühzeit ist mit Recht bemerkt worden 17, seine historische Funktion könne kaum überschätzt werden. Auch wo ein Teil eines Nomadenvolkes sesshaft wird und er feste Formen schafft wie die der grossen südarabischen Stadtkulturen, scheint das flüssige Element sie noch mit einer vitalitätserhaltenden Kraft zu umspülen. Kulturschaffend im genauen Sinn wirkt das Nomadentum da, wo es sich weder einer herrschenden Kultur einfügen muss, noch eine nach der andern überrennt, sondern Raum und Ruhe für die Errichtung einer eigenen gewinnt. Beachtenswert ist dabei, wie es auch dann Traditionselemente seiner Wanderzeit ausgestaltet. Die Nachkommen der Berbern haben zwar den spanischen Ackerbau hochgebracht, aber in ihrer Bildnerei haben sie Motive ausgestaltet, die sie in der Teppichweberei ihrer nomadischen Vorzeit verwendet hatten. Die wesentliche innerkulturelle Entwicklung der Nomadenvölker fällt zuwei-

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len gerade in die Zeit, ehe sie in die Geschichte eintraten. Zu einem grossen Kulturzusammenhang wird das Überlieferte erst nach den entscheidenden Eroberungen ausgebaut, und zwar, wie das grösste Beispiel der nachchristlichen Zeit, das der sarazenischen Kultur, beweist, unter starker Beteiligung der besiegten Sesshaften, aber die sich darin auswirkenden Elementarkräfte stammen von den Nomaden, die im Falle dieses Beispiels wie in analogen, nach der Eroberung zumindest einen innersten Kern der angestammten Lebens- und Gesellschaftsordnung bewahren. Man darf die Griechen, deren Vorfahren »als ein nomadisierendes oder halbnomadisierendes Hirtenvolk« 19 nach Hellas kamen, nicht als Gegenbeispiel anführen; im Partikularismus der Kleinstaaten, der die Schwäche des griechischen Gemeinwesens und die Stärke der griechischen Kultur war, lebt nicht wenig von Wesen und Bau des ursprünglichen Clans fort. Ein namhafter Soziologe hat mit Recht darauf hingewiesen 20, dass bei all diesen Völkerschaften ihre Lebensweise mehr als ein Beruf, nämlich eine Art von Glauben ist. Daraus ist die Problematik der Situation zu verstehen, in die sie sich begeben, indem sie in die Länder der festen Kulturen eindringen. Und vor dem Hintergrund dieser Problematik müssen wir Israels Aufenthalt in Ägypten und seinen Auszug daraus anschauen, um die Sonderbedeutung dieser Vorgänge zu erfassen. Schon in der Väterzeit über das typisch Nomadische erhoben, teilt das Israel der Werdezeit doch, im weltgeschichtlichen Zusammenhang gesehen, Struktur und Schicksal des nomadischen Elements. In dem merkwürdigen 14. Kapitel des Buches Genesis, das man lange für ein spätes Phantasieprodukt gehalten hat, in dem man aber wieder den starken Traditionskern zu erkennen beginnt, zieht Abraham, bisher ein friedlicher Halbnomade, an der Spitze einer Schar von Kämpfern ins Feld gegen Eindringlinge oder Marodeure 21. Die Schar, die er befehligt, besteht zum Teil aus Bundesgenossen, zum andern aus seinen »Eingeweihten« 22, die in der von ihm geführten Gemeinschaft aufgewachsen und gleicherweise in den Geschäften des Friedens und in denen des Krieges eingeübt worden sind; sie werden auch »Knechte« genannt, scheinen aber zu Abraham, der in anderen Erzählungen von den Eingeborenen als ein »von den Göttern Erhobener« oder ein »Götterfürst« angesehen wird (23, 6), auch im Verhältnis der Kultgemeinde zu ihrem Oberhaupt zu stehen. Manche Forscher sind geneigt, in dem Abraham dieses Kapitels eine andere Person zu erblicken, weil er hier so anders erscheint als sonst; aber gerade dies, diese Einheit von Viehzüchter und Condottiere, diese Schar, die zeltend mit den Herden umherzieht, aber jederzeit zum Kampf befähigt und bereit ist, all dies entspricht offenbar dem Typus der Habiru. 18

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Nur dass der biblische Bericht mit grossem Nachdruck auf zwei besondere Züge hinweist, sicherlich mit der Absicht, Abraham und die Seinen dadurch von dem allgemeinen Typus abzuheben: Abraham legt Wert darauf, nicht als Söldner angesehen zu werden (14, 23), und er legt Wert darauf, den Gott seiner Gemeinschaft, der ihre Wanderschaften anführt, mit demjenigen unter den von den Sesshaften verehrten Göttern zu identifizieren, der von ihnen als »der höchste Gott« anerkannt wird (V. 22, der die Gottesbezeichnung von V. 19 mit einer emphatischen Erweiterung wiederholt): dort und hier gilt dieser Gott als »Stifter« oder »Erzeuger« 23 von Himmel und Erde, dort und hier jedoch auch als der, der seinen Getreuen »ihre Bedränger in ihre Hand liefert«, also auch auf ihren Kampfzügen ihnen gegenwärtig bleibt. Beides miteinander aber, das kriegerische Zusammenwirken mit den Eingeborenen ohne söldnerische Unterwerfung und das Streben, diesen den eigenen mitgehenden Gott als den von ihnen selber gemeinten zu erkennen zu geben und doch zugleich, eben durch die Nennung seines ihnen unbekannten Namens, die eigene Überlegenheit zu wahren – beides miteinander ergibt jene eigentümliche Distanzhaltung, die uns auch in anderen Erzählungen von Abraham begegnet. In eben dieser Haltung verhandelt er (Kap. 23) mit den Hethitern über den Grabkauf, der keinesfalls anders als zum vollen Bodenwert zustande kommen darf, und vergisst dabei selbstverständlich in keinem Augenblick, dass »dieses Land«, das ganze, ihm von seinem Gott zugesprochen worden ist. In dieselbe Richtung weist die dreimal wiederkehrende (12, 10-20; 20; 26, 1-7) Geschichte von der Entführung der Stammesmutter. Ihr liegt wohl die Vorstellung zugrunde, dass die besondere Segenskraft oder Segenssubstanz 24, die sich vom Himmel auf die Erde niedergelassen hat, nicht bloss auf dem Haupt der Väter, sondern auch im Schosse der Mütter ruht: die Väter müssen den Segen besonders auf die Söhne übertragen, ehe sie sterben, aber von den Müttern geht das Segenselement naturhaft auf das von ihnen Geborene über. Dies ist es, was die Fremdherrscher, der Ägypter und der Philister, sich vergeblich zu eigen zu machen versuchen. Und um dieses willen wird hier mit solchem Pathos geboten (24, 3 f., vgl. 27, 46), Frauen des eigenen Stammes zu freien, um die Segenskraft zu konzentrieren und zu potenzieren – wogegen in der nachfolgenden Epoche Jehuda eine Kanaanäerin, Josef eine Ägypterin, Mose eine Midianiterin heiratet, ohne dass die Schrift daran etwas zu rügen findet: das sakrale Distanzverhältnis der Urzeit, deren Überlieferung die Vätergeschichte bewahrt hat, hat sich mehr und mehr gemildert. Was sich in solchen Erzählungen erhalten hat, ist die Erinnerung an ein Phänomen, das an der Sonderexistenz Israels wesentlichen Anteil

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hat. Die gleichsam instinktive Tendenz der Halbnomaden, sesshaft zu werden ohne Stammesfreiheit und Stammesglauben aufopfern zu müssen, hat sich hier in der Geschichte der »Väter«, von denen Isaak schon starke Bauernzüge aufweist, wogegen Jakob wieder mehr den halbnomadischen Typus repräsentiert, in einer ausserordentlichen Weise verdichtet. Was zeichnet diese eine Habiru-Welle, oder wie immer wir sie nennen wollen, vor allen anderen aus? Vermutlich, dass dieses »Israel« mit besonderer Kraft etwas in ihm Angelegtes als einen göttlichen Auftrag verstand, und dass es zu realistisch empfand, um sein Gewissen durch eine bloss symbolische Erfüllung dieses Auftrags befriedigen zu können. Das ist die Grundgesinnung, die ihren dichterischen Ausdruck in dem Bileam-Spruch (Numeri 23, 9) gefunden hat: »Da, ein Volk, das einsam wohnt und unter den Nationen (gojim) wird’s nicht gerechnet«, was man vielleicht dahin verstehen darf, dass es überwiegend Volk im sozialen Sinn, eine Gemeinschaft von Menschen ist, die »mit« (ʿ im) einander leben, und als solches all den anderen gegenübersteht, von denen jedes überwiegend Volk im physischen Sinn (goj, eigentlich: Leib) ist. Die Josefsgeschichte spricht etwas Verwandtes aus, wenn sie Josef darauf hinwirken lässt, dass seinen Brüdern ein mehr oder weniger autonomes Sondergebiet zur Siedlung überlassen wird. Der Einzelne kann Vezier sein; die Sippe bleibt in sich geschlossen und abgesondert. Diese eine Schar unter den wandernden »Hebräern« geht als ein Ganzes in das ägyptische Kulturland ein, als ein Ganzes empfängt und verarbeitet sie dessen Einfluss, sie erleidet als ein Ganzes die Versklavung durch es und zieht als ein Ganzes aus ihm in die Freiheit. Dieser Teil des »flüssigen« Elements geht in das Reich der starren Form ein und erhält sich in ihm, anscheinend nicht ohne zu verwildern, aber unter der Fläche dieser Verwilderung wächst und erstarkt eine Mächtigkeit, die sich in der Befreiung und nach ihr kundzutun beginnt. Gegen Ende der die Ereignisse des Auszuges zusammenfassenden Rede, die in den ersten Abschnitten des Buches Deuteronomium Mose in den Mund gelegt wird, heisst es (4, 34): »Oder hat (sonst je) Gottheit versucht, sich ein Volk aus dem Innern eines Volkes zu holen?« Dieses »aus dem Innern«, eigentlich »aus dem Eingeweid«, bezeichnet genau die Sachlage. Als »Kinder Israels«, als Sippenverband sind sie nach Ägypten gekommen (Genesis 46, 8); im Innern des ägyptischen Volkes wachsen sie zum Volke heran, dessen Gott »es sich holt«. Hier steht für »Volk« das Wort goj: um den Volksleib ist es der Schrift hier zu tun. Aber wo im Buche Exodus erstmalig (3, 7, 10), aus dem brennenden Dornbusch redend, der Gott von diesem Volke als von dem seinen spricht, gebraucht er das Wort ʿ am. In diesem zweimal, zu Anfang und zu Ende des Got-

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tesspruches, wiederkehrenden ʿ ammi, das das »mit« der irdischen Gemeinschaft einschliesst und das himmlische »mein« damit verbindet, ist dem Geheimnis von Wesen und Auftrag Israels sein einfachster Ausdruck gegeben.

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Wir wissen nicht, wann die Israelstämme (oder, wie viele Forscher meinen, ein Teil von ihnen, wogegen der Rest in Kanaan geblieben wäre) nach Ägypten gekommen sind und sich im Lande Gosen, im östlichen Delta, niedergelassen haben, und ebensowenig, wann (und ob etwa in mehr als einer Welle) sie ausgezogen sind. Chronologien, sowohl biblische als ausserbiblische, archäologische Befunde, Kombinationen der Historiker stehen gegeneinander, zwischen der Mitte des 15. und dem Ende des 13. Jahrhunderts kommen für den Auszug manche Zeiten in Betracht, die beiden genannten stehen zur engeren Wahl, aber unsere Kenntnisse reichen zur Entscheidung nicht aus. In der Geschichte der modernen Wissenschaft gewinnt einmal die eine, dann wieder die andere Ansicht die Oberhand; nachdem man lange in Ramses II., der in den ersten drei Vierteln des 13. Jahrhunderts regierte, den Pharao zu erkennen glaubte, »der Josef nicht kannte« (Exodus 1, 8) – wofür u. a. die Namen der von den Israeliten gebauten »Speicherstädte« (V. 11) sprechen – neigte man vor kurzem 25 mehr dem früheren Zeitpunkte zu, um in den letzten Jahren 26 wieder den späteren zu begünstigen. Manches spricht dafür, dass die Stämme schon um 1700, wohl noch vor der Hyksosherrschaft, nach Ägypten gekommen sind, und trotz aller Bedenken scheinen mir verschiedene geschichtliche Momente auf Thutmosis III., den Gemahl und Rivalen der Hatschepsut, dessen Regierung in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts fällt, als den »Pharao der Bedrückung« hinzuweisen, wobei der Auszug der Zeit seines Nachfolgers angehören würde. Es liegt nah anzunehmen, dass die Wendung in der Haltung der Ägypter zu Israel sich in der Epoche nach der Niederwerfung der Hyksos angebahnt hat. Doch ist den Argumenten, die aus den historischen Wandlungen im Verhältnis Ägyptens zu Palästina zu Gunsten des späteren Datums geschöpft worden sind, ein beträchtliches Gewicht nicht abzusprechen. An der Geschichtlichkeit der Versklavung ist jedenfalls nicht zu zweifeln; man hat mit Recht dafür geltend gemacht 27, dass kein Volk seiner Geschichte eine solche Schmach andichtet. Dabei ist der Bericht von der Versklavung (1, 11-14) unverkennbar in einem gehobenen, dichterischen Ton gehalten. »Und wie sie auch peinigen, so mehrt es sich, und so dringt es vor« (V. 12) ist nicht Chronik, sondern Gedicht, und eben dafür zeugen wohlabgewogene Wiederholungen, wie das Reimwort »mit Zwang« (V. 13 und 14) oder das fünffach (in denselben Versen) eingehämmerte »verknechten, Knechtsdienst«. Hier ist offenbar die Schmach zu einem Thema der Volkssänger erhoben, eben als Präludium zu der immer neu die Herzen der Zuhörer hinreissenden Auszugsgeschichte, die sich um

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das mehrfach wiederkehrende Leitmotiv aufbaut, dass der Gott Israels sein Volk aus dem »Dienst« Ägyptens befreit, um es in seinen »Dienst« zu nehmen. »Geht, dient«, ruft z. B. der Pharao den hebräischen Aufsehern zu (5, 18) und in ebenderselben Sprache sagt er, nachdem sein Sinn sich zu wenden beginnt, dreimal (10, 8, 11, 24) und dann noch einmal in der Stunde der Entscheidung (12, 31) zu Mose, sie sollten gehen und dem JHWH dienen. Man muss diese immer wieder hymnisierende Epik in ihrer Art und in ihren Antrieben erfassen, um zu verstehen, was die Legende der Drangsal für die Geschlechter des Volkes bedeutet hat, von denen, die sie gedichtet haben, bis zu denen, die sie sich noch in unserem späten Zeitalter, an dem geschichtlichsten aller Geschichtsfeste des Menschengeschlechts, dem Passah-Abend, erzählen. Dass der Bericht im Munde der berichtenden Geschlechter zu einer Legende erwachsen ist, ist unverkennbar. Das Motiv des Kindermords springt aus der Geschichte der Fron heraus, es widerspricht geradezu der Logik der Erzählung (Sklavenwirtschaft zielt naturgemäss auf Vermehrung der Arbeitskräfte ab); es ist offenbar um des Motivs der Rettung des Knaben Mose willen entstanden. Und auch dieses ist ein echtes Legendenmotiv. Ein verwandtes kennen wir aus dem vielbesprochenen Tontafeltext, in dem ein grosser Semitenkönig, Sargon von Akkad (um 2600), erzählt, seine Mutter habe ihn im Verborgenen geboren und ihn in einem Rohrkästchen, dessen Tür sie mit Pech verschloss, in den Fluss gelegt, der nicht hoch ging, und aus dem er dann von einem Bewässerer geholt und als Gärtner aufgezogen wurde, bis ihn die Göttin Istar liebgewann und auf den Thron brachte; wir wissen von Sargon, dass er in der Tat in seiner Jugend Gärtner gewesen ist. Die vergleichende Sagenkunde stellt gern eine Reihe ähnlicher Motive mit dem von Mose zusammen 28 und folgert auch wohl gar daraus, dass there is no justification for believing that any of these heroes were real persons, or that any of the stories of their exploits had any historical foundation 29. Es kommt vielmehr darauf an zu sehen, wie die Leidenschaft des Überlieferns, die eine Leidenschaft des Ausgestaltens ist, Lücken in einer überkommenen Lebensgeschichte ausfüllt, indem sie aus dem der frühen Menschheit gemeinsamen Schatz von Sagenmotiven schöpft. Das Wichtigste aber ist auch hier, wie in aller vergleichenden Geisteswissenschaft, sofern sie den geschichtlichen Konkretheiten gerecht werden will: nachdem die Analyse die gemeinsamen Elemente herausgelöst hat, die einzelnen wieder ihren Zusammenhängen zuzuteilen und nun danach zu fragen, welche Bedeutung hier und welche hier der besonderen Verknüpfung des Gemeinsamen mit dem Ungemeinsamen, dem Einmaligen, zukommt. In der biblischen Geschichte

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von der Rettung des Knaben Mose ist die Bedeutung offenkundig: damit der zum Befreier seines Volkes Bestimmte zum Befreier aufwachse – und nur hier unter allen verwandten Sagen haben wir diesen geschichtlichen Gehalt: Befreiung eines Volkes –, muss er der Hochburg der Fremde, eben dem Königshof, von dem aus Israel versklavt worden ist, übergeben werden, muss da gross werden. Es ist eine Art von Befreiung, die keiner ausführt, der als Sklave aufwuchs, und keiner, den mit den Sklaven nichts verbindet, sondern eben nur einer von den Ihren, der im Kern der Fremde, in ihren Weisheiten und Mächten, erzogen worden ist und nun »zu seinen Brüdern ausgeht und ihre Lasten besieht«. Die biblische Erzählung stellt dieses offenbar geschichtliche Motiv jenem andern gegenüber, das Josef als »Vorausgeschickten« nach Ägypten verkauft werden lässt, »zu einer grossen Rettung« (Genesis 45, 7). Wenn der »Kasten« aus Papyrus (Exodus 2, 3), in dem das Kind ausgesetzt wird, wirklich, wie ein Semitist 30 aus dem ägyptischen Lehnwort schliessen zu können meint, die von der Mutter eben zum Zweck der Rettung gewählte Form eines der »Schreine« hatte, in denen an festlichen Tagen Götterbilder auf dem Nil einherzogen, so darf man darin geradezu ein Symbol erblicken: so wird, der ins Innerste der fremden Kultur tauchen muss, um sein Volk daraus zu ziehen, als Kind im Sitz der Fremdgötter geborgen. Dass Mose einen ägyptischen Namen trägt – gleichviel ob er »Geborenes, Kind (von jemand)« oder etwa »Same des Teichs, des Wassers« 31 bedeutet – gehört zum geschichtlichen Charakter der Situation: es ist anscheinend ein weitgehend ägyptisierter Volksteil, dem er entstammt. Wer ihn deshalb zum Ägypter machen will, nimmt der Erzählung den Boden, auf dem sie wächst. Die Erzählung selber will den Namen freilich aus hebräischer Etymologie als »der (aus dem Nil) Gezogene« erklären. Aber die Form des (ausser hier nur noch in einem Psalm 32 vorkommenden) Verbs kann nur bedeuten: der Herausziehende. Und darauf hinzudeuten, ist, wie mich dünkt, in der Tat die heimliche Absicht dieser Etymologie; sie soll Mose als den bezeichnen, der Israel aus der Flut gezogen hat. Dass eine solche Tradition bestanden hat, geht mir aus einer – bisher fast unverstanden gebliebenen – Schriftstelle hervor. In einem merkwürdigen Hymnus, der ins Buch Jesaia (63, 7-19) aufgenommen worden ist, heisst es von Gott: »Er gedachte der Tage der Urzeit«, und darauf folgen die Wörter mosche ʿ ammo, was zunächst kaum etwas anderes zu bedeuten scheint als: Moses, seines Volkes; aber das ergibt keinen befriedigenden Zusammenhang. Der Sinn geht uns auf, wenn wir merken (worauf in der rabbinischen Exegese schon hingewiesen worden ist 33a), dass hier der Name Mosche gleichsam aufgeschlossen werden soll: Gott gedachte »des Herausziehers seines Volkes«, des Mannes, der das Volk Gottes aus

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der Flut gezogen hatte. Daran schliessen sich sinnreich die Worte, die auf Gottes Zusammenwirken mit Mose hindeuten: »Wo ist, der sie heraufholte aus dem Meer mit dem Hirten seiner Herde? Wo ist, der in dessen Inneres legte seinen heiligen Geist?« 33 Die Erzählung davon, wie Mose zu seinen Brüdern ausging (Exodus 2, 11-15), der Anfang der eigentlichen Lebensgeschichte, ist in echt biblischer Komposition auf einem dreimal wiederkehrenden »er sah« und auf einem zweimal, reimhaft wiederkehrenden »seine Brüder« aufgebaut; so weist biblische Epik häufig, ohne aus ihrem eigenen Stil zu treten, auf das Wesentliche hin 34. Das ist es, um was es geht: dass Mose nun seine Brüder zu »sehen« bekommt. Woher wusste er, der am ägyptischen Hof als Ägypter Aufgewachsene, dass die hebräischen Sklaven seine Brüder sind? Wir erfahren es nicht, und auch dies gehört zur Eigenart der biblischen Erzählung, zu der ihr eigentümlichen Mischung von Offenheit und Verschwiegenheit. Was uns zu wissen nottut, ist, dass er »hinausgeht«, vom Königshof hinüber, dahin, wo die verachteten Sklaven fronen, und zwar deshalb hinausgeht, weil es seine Brüder sind. Und nun folgen die drei Momente der Handlung. Erst »besieht« er die schwere Fronarbeit. Dann »sieht« er einen einzelnen Vorgang: ein ägyptischer Vogt schlägt einen hebräischen Mann, einen »von seinen Brüdern«. Jetzt »sieht« er sich um, ja, er sieht sich faktisch um, zugleich zur Tat hingerissen und nüchtern, er ist nicht dazu da, Märtyrer zu werden, sondern Befreier, und er erschlägt den Ägypter. Jenes »Schlagen« und dieses »Erschlagen« sind genau dasselbe Wort; Mose tut, was er tun sah, an dem der es tat. Nun aber treibt die Erzählung eine bewundernswerte Blüte. Am nächsten Tage geht Mose wieder hin: es ist sein Platz, es ist seine Sache, er muss wieder hin. Und nun sieht er einen seiner Brüder einen andern schlagen. Welch eine Entdeckung: nicht bloss Vögte schlagen Sklaven, auch ein Sklave schlägt seinen Genossen. Und sowie Mose es ihm verweist, antwortet der Mann mit einem knurrenden Aufbegehren, dessen Sinn Verrat ist, und in dem sich schon die stets latente Auflehnung ankündigt, die der Befreier von den Befreiten zu gewärtigen hat: »Wer hat dich zum Obmann und Richter über uns gesetzt?« Und lauter, schon mehr bellend als knurrend. »Gedenkst du, mich umzubringen, wie du den Ägypter umgebracht hast?« Da erst »fürchtet sich« Mose. Aber er flieht noch nicht. Erst als der Pharao ihn nun »umzubringen sucht« (der Ausdruck klingt mehr nach semitischer Blutrache als nach ägyptischem Gericht), flieht er »vor Pharao«. Was nun folgt, das Bild Moses am Brunnen im Midianiterland (gleichviel ob dieses mit dem Berg Sinai auf der Sinai-Halbinsel oder im nordwestlichen Arabien oder sonstwo zu suchen ist), wie er die sieben Töch-

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ter des Stammespriesters, unter denen Moses künftige Frau ist, vor den bösen Hirten beschützt und ihnen hilft, ihr Kleinvieh zu tränken, wird zuweilen als Idyll verstanden; aber zum Unterschied von Jakobs Begegnung mit Rahel am Brunnen, mit der man es zu vergleichen pflegt, ist es kein Idyll. Es galt – vielleicht auf Grund einer Tradition, die von jenen Midianitern oder Kenitern bewahrt wurde, welche sich Israel auf seinem Auszug aus Ägypten angeschlossen hatten – zu zeigen, wie ein Grundzug der mosaischen Gesetzgebung, der Schutz der Schwachen vor der Gewalt der Starken, von dem Gesetzgeber selber wie daheim so in der Fremde, also als eine universal gültige Norm, erfüllt worden ist. Dass die Mädchen Mose für einen Ägypter halten (V. 19), ist, wie beiläufig das Motiv auch auftritt, nicht ohne Gewicht: der Erzähler unterstreicht, dass Mose sich nicht bereits vor der Flucht seinen Brüdern angeschlossen, sondern ägyptische Tracht und Gebärde bewahrt hatte, als er zu den Midianitern kam und mit der Hausgemeinschaft ihre Sitten annahm. Er ist nicht, wie die anderen Hebräer, durch die niederziehende Lebenshaltung des Sklavenstandes hindurchgegangen, sondern aus der Hochkultur des ägyptischen Hofs unmittelbar in die naturnahe Atmosphäre des halbnomadischen Daseins eingekehrt, der der Stamm seines Schwiegervaters noch in späte Zeit hinein, mitten im sesshaften Israel (Jeremia 35, vgl. I Chronik 2, 55) treu bleiben wird. Darin ist etwas Grundwichtiges eingeschlossen: wie immer es sich mit der Verwandtschaft zwischen Israel und Midian (vgl. Genesis 25, 2) verhält, Mose ist auf dem Weg seiner Flucht zu seinen Vätern gelangt. Denn die Sitten und Ordnungen des Stammeslebens, in das er eintritt, sind den Sitten und Ordnungen des Lebens der »Väter« Israels wesensnah. Ein Mann aus dem versklavten Volk, der einzige nicht mit Versklavte, ist in die freie und herbe Luft der Väter zurückgekehrt. Hier hebt sich aus der Legende eine für das Verständnis alles Folgenden grundlegende biographische und geschichtliche Wahrheit empor.

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Der brennende Dornbusch Der Abschnitt, der die Offenbarung im brennenden Dornbusch erzählt (Exodus 3, 1-4, 17), ist nicht als aus verschiedenen Quellenschriften zusammengetragen anzusehen. Man braucht nur ein paar Zusätze auszuscheiden, und wir haben ein einheitliches Bild vor uns; die scheinbaren Widersprüche erklären sich aus mangelhaftem Verständnis des Textes. Dieser Abschnitt ist seinem Stil und seiner Komposition nach das Erzeugnis einer hoch ausgebildeten dialektischen und erzählerischen Kunst; aber von den Elementen, aus denen er aufgebaut ist, tragen wesentliche den Charakter früher Überlieferung. Mose, der die Schafe seines Schwiegervaters weidet, treibt sie einmal über die gewohnte Steppe hinaus, wie wir es von den Beduinen der Gegend hören, dass sie zu Beginn des Sommers ins Gebirge ziehen, wo ihre Herden frisch gebliebenes Futter finden. Da kommt er unversehens zum »Gottesberg«, dem Horeb oder Sinai. Gottesberg oder Götterberg wird er von altersher genannt, vermutlich, weil geheimnisvolle Phänomene, gleichviel ob solche vulkanischer oder anderer Art, an ihm beobachtet und göttlichen Wesen zugeschrieben worden sind 35 und man daher glaubt, dass göttliche Wesen auf ihm hausen. Hier sieht Mose »den Dornbusch« brennend. Wie der Berg als »der Gottesberg«, d. h. der als »Gottesberg« bekannte Berg auftritt (erst nach der Offenbarung an das Volk, Numeri 10, 33, wird er Berg des JHWH genannt), so der Busch als »der Dornbusch«, jener nämlich, von dem bekannt ist, dass er auf dem Sinai steht. Seine Bezeichnung seneh, die dieser Gattung eigentümlich ist – kein anderer wird so genannt – klingt an den Namen des Berges an, der mit Bedacht in dieser Erzählung fehlt: das in demselben Satz dreimal wiederkehrende Wort soll auf den Namen hindeuten, den wir erst in der Stunde (Exodus 16, 1) zu hören bekommen, als das Volk hingelangt, um die Offenbarung zu empfangen. Dieser Dornbusch brennt, die Lohe schlägt empor, und in der Lohe gibt sich »der Bote des JHWH« Mose zu sehen. Solche »Boten« (von uns »Engel« genannt) erscheinen in den älteren Teilen der Schrift stets ohne Eigennamen und gleichsam ohne persönliches Wesen, sie sind nichts als das wahrnehmbare Eingreifen des Gottes ins Geschehen, was zuweilen noch dadurch verdeutlicht wird, dass abwechselnd sie und JHWH selber als Sprecher genannt werden. Die Flamme verzehrt den Dornbusch nicht, es ist kein fressendes Feuer, das sich von dem ergriffenen Gegenstand nährt und mit dessen Vernichtung selber erlischt, der Busch brennt, aber er verbrennt nicht, und in der aus ihm schlagenden Lohe sieht Mose den »Boten«. Manche Forscher verstehen die Erzählung dahin, dass »sich auf dem

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Sinai ein heiliger Dornbusch befand, der von den Bewohnern jener Gegend als der Sitz der Berggottheit betrachtet wurde«, und folgern daraus, dass JHWH »hier zugleich als Baumgottheit gedacht ist« 36. Sie berufen sich darauf, dass in dem »Segen Mose« (Deuteronomium 33, 16) der Gott als »schokni seneh« bezeichnet wird, was man übersetzt: »der im Dornbusch wohnt«. Aber das Verb bedeutet ursprünglich nicht wohnen, sondern Wohnung nehmen, sich niederlassen, sei es auch nur zu flüchtigem Aufenthalt; die Erscheinung wird ja auch gar nicht im Gewächs, sondern im Feuer geschaut, und demgemäss ist auch die Stimme, die (V. 4) »mitten aus dem Dornbusch« Mose anruft, als aus dem Feuer kommend zu verstehen, das den Baum ganz durchlodert. Ebensowenig freilich ist JHWH hier als Berggott zu fassen, er, der Mose alsbald auf dem Weg nach Ägypten überfällt (4, 24) und in Ägypten Aaron befiehlt, ihm entgegenzugehen (V. 27), aber auch schon in unserer Erzählung selbst die Taten ansagt, die er dort, Mose beistehend, tun wird; lauter Züge, wie sie von keinem der Berggötter berichtet werden und die – abgesehen davon, dass JHWH von sich selbst sagt (3, 8), er sei vom Himmel »herabgekommen« – gegen die Auffassung zeugen, Mose habe »den Sitz JHWH’s entdeckt«. Man will zwischen der Berufung Moses, die mit dieser Erscheinung beginnt, und den Berufungen der Propheten »prinzipiell unterscheiden«: »denn während es sich bei diesen um ein psychologisches Erlebnis handelt, das im Traum oder in der Vision erfolgt, liegt bei Mose ein mythologisches Ereignis vor, da ihm die Gottheit leibhaftig erscheint« 37. Das ist eine Unterscheidung von Kategorien, die sich von den Texten aus nicht begründen lässt. Jesaja sagt (6, 5), anscheinend in einer viele Jahre nach dem darin Berichteten von ihm abgefassten Denkschrift, seine Augen hätten »den König JHWH der Heere« gesehen. Dies ist nicht weniger »leibhaftig«, sondern leibhaftiger als die Erscheinung, von der die Geschichte von der Berufung Moses erzählt. Wird doch hier sogar deutlich zu verstehen gegeben, Mose habe keine Gestalt gesehen. Nachdem der Bote ihm »in der Lohe des Feuers« sich zu sehen gibt, wird ausdrücklich gesagt, was Mose sieht: »Da, der Dornbusch brennt im Feuer, doch der Dornbusch bleibt unversehrt«. Dass es eben dies ist und nichts anderes, was er sieht, wird noch hervorgehoben dadurch, dass er nun zu sich spricht: »Ich will doch hintreten und anschauen diese grosse Schau – warum der Dornbusch nicht verbrennt«. So kann niemand zu sich sprechen, der in diesem Feuer eine göttliche Gestalt gesehen hat. Mose sieht tatsächlich den »Boten« in der Lohe, er sieht nichts von dieser Unterschiedenes; indem er das Wunderfeuer sieht, sieht er, was er zu sehen hat. Das ist jedenfalls (gleichviel, wie man sich den Vorgang naturhaft

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erklären will) das, was die Erzählung uns sagt und sagen will, und was immer das sonst sei, »Mythologie« ist es nicht. Man weist demgegenüber auf die literarische Gattungsverschiedenheit zwischen Sage und Prophetie hin und erklärt 38, die Literaturgeschichte müsse von »vornherein dagegen protestieren, dass man diesen sagenhaften Charakter verwische«; kein wissenschaftlicher Forscher würde es wagen, »die Sagen hellenischer Helden, deren Augen die Gottheit schauten, auf psychologische Erlebnisse zurückzuführen«. Aber, die Unterscheidung zwischen literarischen Gattungen in Ehren, so hoch reicht ihre wissenschaftliche Dignität doch nicht, um die Frage nach Art und Grösse des Wahrheitsgehalts einer Offenbarungserzählung zu entscheiden, ja, nicht einmal, um diese Frage richtig zu formulieren. Man braucht nur statt der Sagen hellenischer Helden Sagen hellenischer Denker, etwa die des Pythagoras (die ja die späte, alexandrinische Ausgestaltung der Lebensgeschichte Moses beeinflusst zu haben scheint 39), heranzuziehen, und man wird gleich merken, dass hier recht wohl das Problem uns entgegentritt, welcher überlieferte Kern persönlicher Erfahrung in ihnen enthalten sein mag – selbstverständlich ohne dass man daran denkt, ihn herausschälen zu können. Wie aber erst, wenn auf eine – trotz einiger äusserlichen Analogien – so eigentümliche, ja, einzigartige Vision wie die des brennenden Dornbuschs eine Audition wie die folgt, die wir nun lesen! Sie drängt uns aus den Grenzen der Literatur in jenen Sonderbezirk, wo sich grosse persönliche Glaubenserfahrungen auf nicht mehr erkennbaren Wegen fortpflanzen. JHWH sieht, dass Mose hinzutritt, und »Gott« (hier erscheint der Absicht des Erzählers gemäss nicht JHWH wie zuvor als der Handelnde, sondern »Gott«, um die Verknüpfung mit dem »Boten« herzustellen) ruft ihn mitten aus dem Dornbusch an. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden 40, dass solch ein Angerufenwerden durch Gott von einem bestimmten Ort aus nur dreimal in der Geschichte Moses vorkommt, und zwar je einmal von jeder der drei Stätten der Offenbarung aus: einmal, in unserer Erzählung, vom Dornbusch aus, einmal (Exodus 19, 3) vom Berg aus und einmal (Leviticus 1, 1) vom Zelt aus; die biblische RedaktorenTätigkeit ist eben eine Weisheit und Kunst besonderer Art. Unsere Stelle zeichnet sich vor den anderen dadurch aus, dass Mose beim Namen gerufen wird: solcherweise eröffnet die Gottheit die Verbindung mit dem von ihr Erwählten. Dieser, nicht wissend und wissend, wessen Stimme zu ihm redet, stellt sich mit seinem »Da bin ich« zur Verfügung des Gottes, der ihm nun zunächst befiehlt, nicht weiter vorzutreten – die Beschränkungen des »Nahens« zur Gottheit gehören zu einer Grundvoraussetzung biblischer Religion – und die Sandalen von den Füssen zu streifen,

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vielleicht weil den als »heilig« ausgesonderten Boden kein okkupierender Schuh (vgl. Ruth 4, 7) betreten soll 41. Nun erst sagt ihm der Gott, wer er sei: er, der ihn hier in der Fremde antritt, ist doch kein anderer als der Gott seines Vaters, der Gott der Väter – der also, so dürfen wir annehmen, von dem Mose einst gehört hatte, damals in Ägypten, als er Tag um Tag hinaus »zu seinen Brüdern« ging. Die beliebte »Keniter-Hypothese«, die erklärt, JHWH sei ein – Israel bis dahin unbekannter – Berggott oder Feuergott oder auch Vulkangott und zugleich Stammesgott der Keniter (von denen mehrfach angenommen wird, dass sie nomadisierende Schmiede waren) gewesen, und Mose habe ihn auf dem Sinai, der sein Sitz war, »entdeckt«, ist unfundiert 42. Dass ein Gott dieses Namens jemals in jener Gegend verehrt worden sei, dafür bestehen nicht die geringsten Indizien. Über Wesen und Beschaffenheit eines Kenitergottes sind uns nur Vermutungen möglich. Man hat daher die Hypothese nicht mit Unrecht 43 als »an explanation of ignotum ab ignoto« bezeichnet. Von JHWH’s Verknüpfung mit dem Sinai wissen wir nur aus der Bibel, und zwar eben dies, dass er ihn in den Tagen der Befreiung Israels aus Ägypten zum Berg seiner Kundgebung gewählt hat. Das Deboralied, auf das man hinweist, lässt ihn (Richter 5, 5) nicht, wie man meint, vom Sinai nach dem galiläischen Schlachtfeld herbeiziehen, sondern nennt nur den Tabor, von dem aus (4, 6) der in den Gewitterwolken vom Süden her gekommene Gott sich in dem herrlichen Sieg über seine Feinde offenbart, im Hinblick darauf einen Sinai; und Elia, der angeblich zum Sinai pilgert, wenn er JHWH »persönlich sprechen und eine Audienz erbitten will« 44, wandert in Wahrheit abgekämpft und lebensmüd zum Berg, um dort in »der Höhle« (I Könige 19, 9), d. h. wohl in jener den Wanderern wohlbekannten »Felsenkluft« (Exodus 33, 22), von der einst Mose den Gott »vorüberziehen« sah, sich zum Sterben hinzulegen. Als am Sinai »verhaftet« erscheint JHWH in den Erzählungen von seinen Offenbarungen an Mose und Israel niemals, er lässt sich nur jeweils, vom Himmel niederfahrend (3, 8; 19, 18, 20), auf ihm nieder; auch die vergleichende Religionsgeschichte kennt die Berge nicht bloss als Sitz, sondern auch als blosse Manifestationsstätte von Göttern. Und wie sein Niederfahren ihn nicht zum Berggott macht, so die Tatsache, dass er, besonders gerade in den Offenbarungshandlungen, sich oft des feurigen Elements bedient, dessen himmlischen Ursprung die Bibel dann zu betonen liebt, nicht zum Feuergott. Nicht das aber ist für uns das Entscheidende, welche Züge welcher Naturgötter er absorbiert – in der Erzählung von der Sinai-Offenbarung an Elia wird (I Könige 19, 11 f.) offenbar gerade an diesen Zügen Kritik geübt – sondern wer er ursprünglich ist: ein Fremdgott, der Mose und

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durch ihn Israel begegnet und von Mose zum Volksgott Israels gemacht wird, oder ein »Gott der Väter«. Und dies zu ermitteln ist uns durch die Bibel an die Hand gegeben. Wir brauchen bloss den Gott des Mose in seiner Eigentümlichkeit mit dem Gott der Väter in seiner Eigentümlichkeit zu vergleichen. Genauer: es liegt uns ob, in den zweifellos auf frühe Tradition zurückzuführenden Bestandteilen der einen Erzählung und in den entsprechenden der anderen das eigentümliche Gottesbild aufzudecken, das also, das sich nicht einfach irgendeinem Typus der vormosaischen Religionsgeschichte des Alten Orients einfügen lässt, sondern bei aller Verwandtschaft mit dem und jenem einen von ihnen allen unterschiedlichen Charakter aufweist, und sodann die beiden Gottesbilder nebeneinander zu stellen. Man merkt, wenn man den biblischen Stoff einer solchen Betrachtung unterwirft, dass die beiden Bilder in einer besonderen Weise verschieden sind, nämlich wie das eines Sippengottes in nicht-geschichtlichen Situationen und das eines Volksgottes in geschichtlicher Situation verschieden sind; aber man merkt zugleich, dass beide denselben Gott zeigen. Beginnen wir mit dem ersten, dem Bild des Sippengottes, so rücken alsbald zwei grosse Wesenseigenschaften in unser Blickfeld, von denen beide sich in seinem Verhältnis zu den von ihm erwählten Menschen darstellen. Die eine ist, dass er diese Menschen antritt, sie anredet, sich ihnen kundtut, sie anfordert, sie beauftragt, sie in seinen Bund aufnimmt, und die zweite, mit der ersten eng zusammenhängende, dass er sich nicht damit begnügt, sie aus ihrer Umwelt herauszuholen und auf neue Wege zu schicken, sondern auf diesen Wegen selber mit ihnen wandert und sie führt, dabei aber, sofern er sich ihnen nicht »zu sehen gibt«, unsichtbar bleibt. Beides zusammen lässt sich, trotz mancher Analogien im einzelnen, keiner anderen Gottesgestalt der Religionsgeschichte vergleichen. Die Voraussetzung für beides ist, dass dieser Gott an keinen Ort gebunden ist, und dass auch die Stätten seiner Manifestation ihn nicht umhegen: über ihnen leuchten Himmelstore (Genesis 28, 17), durch die er niedersteigt und wieder in seinen unzugänglichen Bereich zurückkehrt. All dies finden wir aber nun in dem zweiten Bild, dem des Volksgottes, wieder, nur eben in den starken Farben einer geschichtlichen Dynamik. Die neu hinzukommenden Züge erscheinen uns nun, so heftig sie auch in die Erscheinung treten, peripher gegenüber der zentralen Mächtigkeit des Gemeinsamen. Wieder fordert der Gott gewaltig seine Menschen an, gebietend und verheissend, Bund schliessend mit ihnen, nur dass er sich jetzt nicht mehr an Personen allein, sondern an ein Volk wendet; und auch es holt er hervor und führt es selber auf dem neuen Weg. Wieder wird der Unsichtbare je und je zur Erscheinung. Wieder sind Himmel

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und Erde verbunden, und der Gott spricht sein Wort vom Himmel zur Erde (Exodus 20, 22). Es ist kein fremder Gott, den Mose auf dem Sinai »entdeckt«, es ist der Gott der Väter. Und doch ist es kein anderer als der, von dem ihm die Verschwägerten erzählen mochten, dass er auf diesem Berge hause. Indem Mose zu den Midianitern kam, war er in den Lebensbereich der Väter gekommen, und die Erscheinung, die er nun schaut, erfährt er als die des Vätergottes. Wie einst mit Jakob nach Ägypten (Genesis 46, 4), so ist JHWH von Ägypten nach Midian gezogen – vielleicht gar mit ihm, Mose, selber, den er offenkundig, wie einst Jakob, behütet hat? Genug, Mose erfährt, wer es ist, der ihm erscheint, er erkennt ihn wieder. So war es ja auch in der Väterzeit gewesen. So hatte Abraham in dem El Eljon des Melchisedek JHWH wieder erkannt, so hatte JHWH sich Abrahams Kebsweib, der ägyptischen Magd, in dem Geist eines Wüstenquells – wohl einem jener divinatorischen Brunnen, an denen schlafend man etwas zu »sehen« bekommt – zu sehen gegeben (16, 7, 13). Was sich hier wie dort, religionsgeschichtlich betrachtet, vollzieht, ist Identifizierung: der eigene, mitgebrachte, mitgehende Gott wird mit dem an diesem Ort bekannten, an ihm vorgefundenen gleichgesetzt, er wird in ihm wiederkannt. Wir wissen aus babylonischer und ägyptischer Religiosität von der Neigung, den Glauben an die Suprematie eines Gottes dadurch zum stärksten Ausdruck zu bringen, dass man die anderen Götter als seine Erscheinungsformen versteht. Ernst ist damit in dem grossen Pantheon – abgesehen von der kurzlebigen imperialistischen Theologie Amenophis’ IV. – nicht gemacht worden und konnte nicht gemacht werden. Erst in der Glaubensatmosphäre eines einsamen, ausschliesslichen, jenseits der Pantheone die Seinen fordernden und führenden Gottes konnte die Identifizierung zur Lebenswirklichkeit werden 45. Beachtung verdient, dass JHWH sich Mose gegenüber nicht bloss als den Gott der Erzväter, sondern zuvor noch als den Gott seines Vaters bezeichnet. Man hat das später zuweilen nicht mehr verstanden, wie der Text der Samaritaner beweist, der nur von einem »Gott deiner Väter« weiss. Aber die biblische Erzählung lässt Mose (18, 4) bei der Benennung eines Sohnes sagen: »Der Gott meines Vaters war Hilfe mir«. So redet von sich selber, zugleich persönlich und von der Verbundenheit der Geschlechter aus, in der Bibel vor ihm nur Jakob (Genesis 31, 5, 42; 32, 10), nach ihm kein anderer mehr; man spürt auch hier den besonderen Zusammenhang mit der Welt der Väter. Und, wie immer es um die Quellenscheidung steht, der Redaktor wusste jedenfalls wohl, was er tat, als er die Stellen aufnahm, an denen im Bewusstsein des Mannes, der nicht in seinem Vaterhause aufgewachsen ist, sein Gott als der Gott seines Vaters steht.

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Nachdem der Anredende seinem Erwählten gesagt hat, wer er ist, eröffnet er ihm Anlass und Absicht der Botschaft, mit der er ihn senden will. Der Satz, mit dem diese Teilrede beginnt und der, mit dem sie endet, entsprechen einander wie Bauglieder, durch die beiden Motivworte, ʿ ammi, mein Volk, und mitzraim, Ägypten, die in beiden, Gegenstand 5 und Richtung bezeichnend, wiederkehren: »Gesehn, gesehn habe ich das Elend meines Volkes, des in Ägypten« und »Führe heraus mein Volk, die Kinder Israel, aus Ägypten«. Es heisst Gestalt und Sinn der Rede verfehlen, wenn man die zwei Sätze, wie es oft geschieht, verschiedenen Quellenschriften zuteilt. Mit diesem doppelten »mein Volk«, am 10 Eingang und am Ausgang des Sendungsspruchs, bekennt sich JHWH zu Israel so stark und eindeutig, wie es wohl durch kein anderes Sprachmittel möglich wäre. Zwar hat er sich noch nicht als dessen Gott bezeichnet, denn Gott Israels als Volk wird er erst durch die Offenbarung an das Volk werden, nur als Gott der Volksahnen, denen er einst das 15 Land verhiess, in das er Israel führen wird, will er jetzt erkannt sein; aber indem er Israel mit solcher Betonung sein Volk nennt, spricht er aus, dass das Band, das sie verbindet, vorzeiten geknüpft worden ist: so redet kein »neuer«, kein »fremder« Gott. Von hier aus erkennen wir auch die Aussichtslosigkeit des zuweilen unternommenen Versuchs, je- 20 nen ersten Spruch, der auf die Väter hinweist, einer späteren Schicht des Textes zuzuteilen. Man versuche nur, an dessen Stelle den als ursprünglich vermuteten Satz »Ich bin der Gott«, d. h. »Ich bin der Gott dieses Berges« zu setzen, und die von dem Feueratem der Geschichtsoffenbarung und des Geschichtsglaubens durchwehte Botschaft 25 schrumpft zu einer gleichsam privaten Mitteilung zusammen, die nichts besagt. Und nun beginnt das grosse Zwiegespräch, in dem der Gott befiehlt und der Mensch widerstrebt. Wie es uns vorliegt, ist es offenbar durch Bearbeiter-Zusätze – die nicht für Stücke einer Quellenschrift zu halten 30 sind – entstellt. Vor allem ist zwischen die zwei ersten Einsprüche des Widerstrebenden einerseits, den von seiner Unzulänglichkeit und den von seiner Unfähigkeit dem Volke zu sagen, was es vom Namen und damit vom Wesen des Gottes zu hören verlangen würde, und den letzten andererseits, der wieder auf seine Unzulänglichkeit zurückgreift, ein wei- 35 teres geschoben: Mose fragt, womit er vor dem Volk die Zuverlässigkeit seines Berichts erweisen solle, und wird belehrt, Wunderzeichen zu tun. In diesen werden spätere Erzählungsmotive vorweggenommen, im wesentlichen, um die Offenbarungsgeschichte mit der Geschichte der Verhandlungen mit dem Pharao zu verknüpfen; aber beide werden dadurch 40 nur in ihrem Eigengewicht beeinträchtigt. Der Stil ist hier ein anderer als

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in den zweifellos echten Teilen der Dornbusch-Erzählung, lockerer, gedehnter, ausgefüllter; hier herrscht nicht wie dort die Notwendigkeit; an Stelle der mit Sinn und Absicht geladenen Wiederholungen treten beiläufige; zuletzt macht sich ein rednerischer Ton vernehmbar. Aus dem harten Rhythmus ist eine dünne Arhythmie geworden, aus der straffen Komposition eine nachlässige, sogar der Bau der Sätze ist flüchtig. Der Inhalt ist dem der echten Teile unähnlich. Fragen und Antworten bewegen sich auf einer niedrigeren Ebene: während dort jede Antwort Wesentliches von Willen und Werken des Gottes kundgibt, waltet hier eine gleichsam technische Atmosphäre. Das deutlichste Zeugnis der Verschiedenheit aber ist dies, dass das Wort »Zeichen« hier in ganz anderer Bedeutung als dort verwendet wird. Dort bedeutet es, dem prophetischen Sprachgebrauch gemäss (vgl. z. B. Jesaja 20, 3, wo das Nacktgehen des Propheten als Zeichen erscheint, oder Ezechiel 4, 3, wo der Errichtung einer Eisenwand, die den Propheten von der Stadt Jerusalem trennt, die gleiche Funktion zukommt), die Versinnbildlichung, Verleiblichung einer kundgegebenen Wahrheit, eine sinnliche Wirklichkeit, die – gleichviel ob sie nun mehr oder weniger »wunderbar« ist – die Menschen immer wieder an jene Wahrheit gemahnt. In eben dem Sinn verheisst JHWH, nachdem er auf Moses Einwand (3, 11): »Wer bin ich, dass ich zu Pharao gehe, und dass ich die Kinder Israel aus Ägypten führe!« mit der Zusicherung geantwortet hat: »Wohl, ich werde dasein bei dir«, ihm ein Zeichen, das uns zunächst seltsam anmutet. Dass das Volk zu eben diesem Berge kommen und hier den Dienst seines Gottes durch den Bundesschluss mit ihm antreten wird, das solle ihm, Mose, zum Zeichen dienen, es sei wahrhaftig dieser Gott, der ihn gesandt hat; wir haben zu verstehen: dann verleiblicht sich, was jetzt nur erst im Worte besteht, dann wird Mose die Sendung dieses Gottes als Äusserung seines Wesens nicht wie jetzt im geistigen Auftrag, sondern in sinnlicher Wirklichkeit erfahren. Zum Unterschied davon erscheint das Wort »Zeichen« im Zusatz (4, 8 f.) als Beweis der Zuverlässigkeit durch übernatürliche Künste, die mit der gemeinten Wahrheit in keinem inneren Zusammenhang stehen – eine Bedeutung, die der prophetischen Sphäre fremd ist (auch Jesaja 7, 11 z. B. geht es nicht um Beweis: das sodann angebotene »Zeichen« ist gar kein Beweis). Scheiden wir aber diesen Zusatz, sowie die in einem späten Rednerstil (der an späte Teile des Deuteronomiums erinnert) abgefassten 7 Schlussverse des 3. Kapitels, die offenbar ebenfalls um der Verknüpfung mit den folgenden Ereignissen willen eingefügt worden sind, aus, dann bleibt uns eine erzählerische religiöse Urkunde von fast unvergleichlicher Reinheit, in der jedes Wort davon zeugt, dass sie von der Hand eines frühen Propheten stammt, der von seiner eigenen

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Grunderfahrung aus die von der Tradition ihm dargebotenen Elemente bearbeitet hat. Denn Widerstand gegen den allen natürlichen Neigungen des Beauftragten widersprechenden Auftrag und die Brechung dieses Widerstandes durch die Gottesmacht gehören, wie die autobiographischen Aufzeichnungen Jeremias und das geradezu paradigmatisch abgefasste Büchlein von Jona (das in seinem Kern vielleicht schon aus dem 8. Jahrhundert stammt) 46 uns zeigen, zur intimsten Erfahrung des prophetischen Menschen. Dem ersten Einwand, dem der eigenen Geringheit der ungewohnten Aufgabe gegenüber, entspricht nach Ausscheidung der Zusätze genau der dritte (4, 10), in dem Mose die Schwerfälligkeit seiner Rede und Äusserung geltend macht. Und wieder antwortet ihm JHWH – nachdem er ihm entgegengehalten hat, dass er, der Schöpfergott 47, es sei, der den Mund des Menschen sprechend und stumm macht, der also auch ihn, Mose, so gemacht hat wie er ist, und dass er als solchen ihn sendet –: »Geh, ich selber werde dasein bei deinem Mund und dich unterweisen, was du reden sollst.« Hier endet der ursprüngliche Wortlaut der Erzählung. (Die Verse 13-16, darin das Motiv »Ich werde dasein bei dir« noch einmal, aber ohne innere Notwendigkeit wiederholt wird, sind die Ausgestaltung einer Variante zu 7, 1, offenbar eingeschaltet, um Moses Bruder, Aaron, »den Leviten«, den Ahnen der Priesterschaft, schon hier als Mitträger des Gotteswillens einzuführen; die Ergänzung hat zwar ein späteres Gepräge als die ursprüngliche Erzählung, aber ein früheres als die Zusätze. Vers 17 stammt von dem Verfasser des zweiten Zusatzes.) Man muss die beiden mit ehjeh, ich werde dasein, beginnenden Zusicherungen des redenden Gottes, er werde seinem Erwählten gegenwärtig bleiben, im Blickfeld behalten, um den von diesen beiden Pfeilern eingefassten zentralen Teil des Zwiegesprächs, die zentrale Frage und die zentrale Erwiderung, recht zu verstehen. Hier geht es nicht um den Menschen, sondern um Gott, um den Namen Gottes. Man pflegt die Worte Moses so zu verstehen, er wolle erfahren, was er dem Volke antworten solle, wenn es ihn frage, wie der Gott heisse, dessen Botschaft er ihnen bringt. So verstanden musste die Stelle zu einer Hauptstütze der Keniter-Hypothese werden, da man sich schwerlich ein Volk vorstellen kann, das den Namen des Gottes seiner Väter nicht kennt. Aber wenn man in biblischem Hebräisch fragen will, wie einer heisst, sagt man nie wie hier »Was (mah) ist sein Name?« oder »Was ist dein Name?«, sondern »Wer (mi) bist du?«, »Wer ist er?«, »Welches (mi) ist dein Name?«, »Sage mir deinen Namen«. Wo das Wort »was« mit dem Wort »Namen« verbunden erscheint, wird danach gefragt, was sich im Namen ausspricht oder verbirgt. Wenn der

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»Mann«, mit dem Jakob an der Jabbokfurt ringt, ihn fragt (Genesis 32, 28): »Was ist dein Name?«, so geht es darum, dass diesem Namen die beschämende Interpretation »Fersenschleicher« anhaftet (vgl. 27, 36 und Hosea 12, 4); nun soll mit der Verleihung des neuen Namens, Israel, die Schmach des alten von dem genommen werden, der sich bewährt hat: »Nicht Jakob, Fersenschleicher, soll mehr als dein Name gesprochen werden« – diese Wandlung ist es, die durch die Nennung des alten Namens, durch seinen Träger eingeleitet werden soll; vereinfacht, undialogisch, kehrt das Verfahren wieder, als Gott das so Verheissene vollzieht (Genesis 35, 10). Ein einziges Mal, in einem dunklen Rätselspruch (Sprüche 30, 4), steht noch »Was ist sein Name?«, aber hier wird jedenfalls nicht danach gefragt, wie der heisse, der »alle Enden der Erde errichtet hat« – das hätte doch wohl als bekannt gelten müssen: nicht nach einem Lautbestand, sondern nach einem Geheimnis wird gefragt. Mose erwartet vom Volk die Frage nach Sinn und Wesen eines ihnen von den Vätern her bekannten Namens. Welches Namens? Aus der Antwort des Gottes geht hervor, dass die Frage dem Namen JHWH gilt. In einer späteren Kundgebung (Exodus 6, 3) eröffnet JHWH dem Mose, er habe sich von den Vätern »in El Schaddai«, d. h. in der Eigenschaft eines Schaddai-Gottes sehen lassen, aber »meinem Namen JHWH nach habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben.« Was »Schaddai« ist, können wir aus dem Wort und den Zusammenhängen, in denen der Name in der Vätergeschichte erscheint, nur noch ahnen, doch meint er offenbar die Gottheit als Macht, und zwar anscheinend (da 5 von den 6 Stellen der Genesis, an denen der Name steht, darauf hinweisen) als die die Menschensippe fruchtbar machende und so den Menschenstamm begründende Macht; es geht ja hier in der Tat um die biologische Entstehung Israels, die als Gotteswerk verstanden wird. Den Namen JHWH legt die Genesis-Erzählung zwar nur ein einziges Mal (15, 7) in direkter Offenbarungsrede in den Mund des Gottes, und zwar in eben der Satzform, mit der (Exodus 20, 2) die Offenbarung an das Volk beginnt; aber Abraham ruft den Namen, nach Kanaan gekommen, heroldgleich an einem Ort nach dem andern aus (man darf das nicht als betendes Anrufen verstehen) 48, und seiner Sippe ist er vertraut. Sollte das dem Verfasser von Exodus 6, 3 etwa unbekannt gewesen sein? Aber hier wird ja gar nicht gesagt, dass die Väter den Namen JHWH nicht gekannt hätten, sondern dass sie den Gott nicht diesem Namen nach, nicht in der durch ihn bezeichneten Eigenschaft erkannten, dass aber diese nunmehr erschlossen sei. Was kann das bedeuten? Unter allen Vermutungen über den urzeitlichen Gebrauch des Namens JHWH bei den Hebräern gibt es nur eine einzige 49, durch deren Ausbau

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all dies widerspruchslos verständlich wird. Als erster hat sie meines Wissens vor etwa einem halben Jahrhundert Bernhard Duhm in einem (ungedruckten) Göttinger Kolleg ausgesprochen: »Vielleicht ist der Name gewissermassen nur eine Erweiterung von hu = er, wie Gott auch von anderen, arabischen Stämmen in Zeiten religiöser Erregung genannt ist, der Eine, Unnennbare.« Der Derwischruf »Ja-hu!« wird in der Tat »Oh Er!« gedeutet, und in einem der bedeutendsten Lieder des persischen Mystikers Dschelaleddin Rumi 50 heisst es: »Einen suche ich, Einen sehe ich, Einen rufe ich. Er ist der erste, Er ist der letzte, Er ist der äussere, Er ist der innere. Ich kenne keinen anderen als Ja-hu (Oh Er) und Ja-manhu (Oh Er der ist).« Die ursprüngliche Form des Rufs mag Ja-huwa gelautet haben, wenn man in dem arabischen huwa, er, die ursemitische Form des Pronomens »er« sehen darf, das im Hebräischen (wie auch im Arabischen neben jenem) hu heisst. »Der Name Ja-huwa würde dann bedeuten: Oh Er!, mit dem man etwa im Kult die irgendwie sichtbare oder vernehmbare oder spürbare Epiphanie des Gottes unwillkürlich begrüsste bezw. auf dieselbe seelisch reagierte … Aus solch einem Jahuwa liesse sich dann sowohl Jahu wie Jahwä (ursprünglich vielleicht Jahwa) erklären« 51. Solche aus »Urlauten« hervorgegangenen Götternamen sind uns ja auch aus anderen Religionen bekannt, nur dass etwa im Dionysoskult aus den Rufen entsprechende Substantiva gebildet wurden, wogegen die Semiten den elementaren Ruf selber als Namen bewahrten. Solch ein Name, der einen ganz mündlichen Charakter hat und eigentlich noch der Ergänzung durch eine Gebärde, etwa des emporgestreckten Armes bedarf, ist freilich – zumal solange in ihm der Unterton der dritten Person noch das Bewusstsein der Sprecher und Hörer berührt – mehr zum Ausgerufenwerden als zum Angerufenwerden geeignet; als Anruf tritt er uns innerhalb der Vätergeschichte nur in einem Aufschrei entgegen (Genesis 49, 18), der auf seltsame Weise den Zusammenhang des Jakob-Segens unterbricht. Auch ist es daraus zu erklären, dass in der vormosaischen Zeit fast keine mit diesem Gottesnamen gebildeten Personennamen vorkommen; die einzige uns bekannte Ausnahme ist, wie es scheint, der Name von Moses Mutter, Jochebed, der vermutlich bedeutet »JHWH ist wuchtig« – wenn dem so ist, darf man darin vielleicht das Zeichen einer besonderen Sippentradition erblicken, in der sich ein neues Verhältnis zu dem Gottesnamen anbahnt. Typischer ist gewiss, dass im Laufe der Geschlechter, zumal in einer Epoche zunehmender religiöser Erschlaffung, wie die ägyptische gewesen zu sein scheint, nicht bloss das mit dem Namen verbundene Element der Erregung und Entladung verebbt, sondern der Name zu einem zugleich leeren und fremdartigen, halb verschollenen Lautgebilde entartet. Dann

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kann wohl eine Stunde kommen, wo das Volk einem Mann, der ihm eine Botschaft des Vätergottes zubringt, mit der Frage entgegentritt: »Was ist’s um seinen Namen?« Das heisst: »Was für einer ist eigentlich dieser Gott? Aus seinem Namen können wir’s nicht entnehmen!« Der Name einer Person bezeichnet ja für den frühen Menschen ihr Wesen. Aber noch etwas ist mit in der Frage, nämlich der Ausdruck einer negativen Erfahrung, die das versklavte Volk mit diesem seinem Gott gemacht hat: »Er hat sich ja all die Zeit hindurch um uns nicht gekümmert! Wenn die Ägypter ihre Götter brauchen, beschwören sie sie, indem sie ihre ›wahren‹ Namen in der rechten Weise aussprechen, und die Götter kommen und tun das Benötigte. Wir haben ihn nicht beschwören können, wir können ihn nicht beschwören. Wie können wir seiner gewiss werden, wie können wir ihn in unsere Macht bekommen? Wie können wir uns seines Namens bedienen? Was ist’s um seinen Namen?« Der »wahre« Name einer Person wie der eines sonstigen Gegenstands ist für den magisch denkenden Menschen nicht eine blosse Bezeichnung: er ist die Essenz der Person, aus ihrer Realität gleichsam destilliert, sodass sie darin gleichsam noch einmal vorhanden ist. Und zwar ist sie darin in einer solchen Form vorhanden, dass sich jeder ihrer bemächtigen kann, der den wahren Namen kennt und in der rechten Weise auszusprechen weiss. Die Person selber ist unzugänglich, sie leistet Widerstand; im Namen wird sie zugänglich, der Sprecher verfügt über sie. Der wahre Name kann von dem allgemein bekannten, der ihn verdeckt, gänzlich verschieden sein, er kann sich aber auch von jenem nur durch die »richtige« Aussprache unterscheiden, wozu etwa noch der richtige Rhythmus und die richtige Körperhaltung beim Aussprechen treten, alles Dinge, die überhaupt nur persönlich überliefert und gelehrt werden können. Da aber der wahre Name eben das Wesen des Gegenstandes phonetisiert, kann es letztlich darauf ankommen, dass der Sprecher im Namen dieses Wesen erkenne und seinen Sinn darauf richte. Wo das geschieht, wo die magische Handlung eine Ausrichtung der Seele auf das gemeinte Wesen erfordert, da ist, wenn die Person, um die es jetzt geht, die eines Gottes oder Dämons ist, der Zündstoff gegeben, in den der Blitz einer Glaubenserfahrung fallen kann. Dann wird der Zauberzwang zur Gebetsintimität, das einen Personennamen tragende Bündel brauchbarer Kräfte wird zum Du, Entmagisierung des Daseins geschieht. Auf seine Frage nach dem Namen erhält Mose die Antwort: Ehjeh ascher ehjeh. Man versteht das häufig »Ich bin der ich bin« in dem Sinn, dass JHWH sich als den Seienden oder gar den Ewigseienden, den unwandelbar in seinem Sein Beharrenden bezeichne. Aber das wäre nicht

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bloss eine Art von Abstraktion, wie sie nicht gerade in Epochen steigender religiöser Vitalität zu entstehen pflegt, sondern das Verb gibt in der biblischen Sprache diese Bedeutung der reinen Existenz gar nicht her; es meint: geschehen, werden, da sein, gegenwärtig sein, so und so sein, aber nicht sein an sich. »Ich bin der ich bin« könnte nur als eine Ablehnung der Frage, als eine »Aussage, welche die Auskunft verweigert« 52, verstanden werden. Sollen wir es aber wirklich als die Ansicht des Erzählers annehmen, dass der seinem Volk die Befreiung ankündigende Gott in dieser Stunde der Stunden nur Distanz sichern, nicht auch Nähe gewähren und gewährleisten will? Gegen eine solche Auffassung zeugen jedoch auch gewichtig jene beiden »Ich werde dasein« (ehjeh), durch die dieser Spruch mit unverkennbarer Absicht eingerahmt ist (Exodus 3, 12; 4, 12) und in denen Gott verspricht, er werde bei dem von ihm Erwählten da sein, ihm gegenwärtig bleiben, ihm beistehen. Dieses Versprechen wird im ersten Teil des Spruchs ins Unbedingte erhoben: »Ich werde dasein«, nicht bloss wie dort und dort »bei dir, bei deinem Mund«, sondern durchaus »Ich werde dasein«, das heisst zwischen zwei Sprüchen von solcher Konkretheit deutlich: Ich bin und bleibe gegenwärtig; und dahinter steht die eigentliche Antwort an die ägyptisierend-magisch Gesinnten, die vom technischen Magismus Infizierten: Es ist müssig, mich herbeibeschwören zu wollen, ich stehe meinem Wesen gemäss wieder und wieder denen bei, deren ich mich annehme, und ich tue euch ja kund, dass ich mich euer annehme. Darauf folgt im zweiten Teil: »der ich dasein werde« oder »als der ich dasein werde«. So gemahnt der Satz an jene spätere Kundgebung des Gottes an Mose (33, 19): »Ich werde begnaden, wen ich begnaden werde.« Aber in ihm ist der futurische Charakter stärker betont. JHWH sagt, er werde zwar immer dasein, aber jeweils als der, als der er dann, jeweils, dasein werde. Er, der seine stete Gegenwart, seinen steten Beistand verspricht, weigert sich, sich auf bestimmte Erscheinungsformen festzulegen; wie könnten gar die Menschen ihn zu bannen und zu beschränken sich unterfangen! Sagt der erste Teil des Spruchs: »Ich brauche nicht beschworen zu werden, denn ich bin allezeit bei euch«, so der zweite: »Ich kann aber auch nicht beschworen werden«. Man muss sich als den Hintergrund solcher Kundgebung Ägypten gegenwärtig halten, wo der Magier den Göttern droht, er werde, wenn sie nicht seinen Willen tun, nicht bloss ihren Namen den Dämonen verraten, sondern auch noch ihnen die Locken vom Kopfe reissen, wie man Lotosblüten aus dem Teiche zieht. Religion war hier praktisch nicht sehr viel anderes als geordnete Magie. Im DornbuschGespräch wird die Religion entmagisiert. Zugleich aber wandelt sich Sinn und Charakter des Gottesnamens sel-

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ber; das heisst, von der Perspektive des Erzählers wie von der der durch ihn gestalteten Tradition aus: er wird in seinem wahren Sinn aufgeschlossen. Indem an der Vokalisation eine nicht tief eingreifende, dem lautlichen Bewusstsein nicht allzu empfindliche Änderung sich vollzieht, tritt an die Stelle eines wildverzückten Ausrufs, halb Interjektion, halb Pronomen, eine grammatisch präzise Verbalform, die in der dritten Person eben das bedeutet (hawah ist dasselbe wie hajah, nur einer älteren Sprachschicht angehörig), was in der ersten jenes ehjeh mitteilt: »JHWH« ist »der dasein wird« oder »der da ist«, der nicht bloss irgendwann und irgendwo, sondern in jedem Jetzt und jedem Hier Gegenwärtige. Nun spricht der Name sein Wesen aus und versichert die Getreuen der schutzreichen Gegenwart ihres Herrn. Und zwar ist es der Gott selber, der seinen Namen solcherweise erschliesst. Der Ausruf war dessen Verborgenheit, das Verbum ist seine Offenbarung. Und um es unmissverständlich deutlich zu machen, dass das direkte Wort Ehjeh den indirekten Namen erklärt, wird dem Mose zuerst, in einem allerkühnsten Wagnis der Sprache, aufgetragen dem Volke zu sagen: »Ehjeh, Ich-werde-da-sein oder Ich-bin-da, schickt mich zu euch«, und gleich danach: »JHWH der Gott eurer Väter schickt mich zu euch«. Das Ehjeh ist kein Name, man kann den Gott nie so benennen; nur dieses eine Mal, in diesem einen Moment der Übermittlung seines Wortes, darf und soll Mose die Selbsterfassung des Gottes als Namen in den Mund nehmen. Aber als, kurz vor der Katastrophe des israelitischen Nordreichs, der Prophet Hosea, um die sich vollziehende Wendung des Volksgeschicks zu versinnlichen, seinen neugeborenen Sohn Lo-ʿ ammi, Nicht-mein-Volk, nennt, begründet er (1, 9) die Namengebung mit dem Gotteswort: »Ihr seid nicht mein Volk und ich nicht Ehjeh euch«. Man erwartet zu hören: »… und ich nicht euer Gott«, aber gesagt wird: »Für euch bin ich Ehjeh, Ich-bin-da, nicht mehr.« Das ungetreue Volk büsst die Gegenwärtigkeit seines Gottes ein, der erschlossene Name verschliesst sich ihm wieder. Wie das lo ʿ ammi auf das ʿ ammi der Dornbuschrede, so weist dieses ehjeh auf jenes hin. Immer wieder, wenn in der Erzählung der Gott spricht: »Dann werden die Ägypter erkennen, dass ich JHWH bin« oder »Ihr werdet erkennen, dass ich JHWH bin«, ist offenkundig nicht der Name als Lautgebild, sondern der in ihm erschlossene, ihm verliehene Sinn gemeint: die Ägypter sollen erkennen, dass ich (zum Unterschied von ihren Göttern) der wirklich Daseiende, mitten im Menschenreich Stehende und Handelnde bin, ihr werdet erkennen, dass ich der bei euch Daseiende, mit euch Gehende und eure Sache Führende bin. Und bis in die Spätzeit des babylonischen Exils und nach ihm sind Sprüche wie »Ich bin JHWH, das ist mein Na-

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me« (Jesaja 42, 8) oder, noch deutlicher, »Darum soll mein Volk meinen Namen erkennen, darum, an jenem Tag, dass ich es bin, der redet: ›Da bin ich‹« (52, 6) nicht anders zu verstehen. Dennoch scheint die Botschaft des Namens im biblischen Israel nie eigentlich populär geworden zu sein. Das Volk scheint die neue Vokalisierung nicht angenommen zu haben. Für sein Bewusstsein umwittert zwar die Deutung den Namen, aber sie durchdringt ihn nicht: im innersten Kerne bleibt er der dunkle, geheimnisvolle Ruf, und aus allen Zeiten bis in die talmudische gibt es Zeugnisse dafür, dass die Empfindung des darin verborgenen Pronomens »Er« nicht erstarb. Das Verbot der Aussprache hat nur eine uralte, im Widerstand gegen die »Rationalisierung« verwurzelte Scheu zur Kraft des Tabu erhoben. Doch hat sich offenbar vom Sinai an eine ungeheure Vitalisierung an dem Verhältnis des Volkes zu dem Namen vollzogen: man gibt den Knaben Namen, die ihn enthalten, und wie seine Anrufung sich mit dem Ziehen und Lagern der Menge verbindet, so hat sie auch im Leben der Sippe und in dem des Einzelnen Fuss gefasst, und die Gewissheit der Gegenwärtigkeit des Gottes als einer seinem Wesen angehörigen Eigenschaft hat die Seelen der Geschlechter ergriffen. Unabhängig von der zwar nicht eigentlich rezipierten und doch wirkungsstarken Botschaft der Namensdeutung ist ein solcher Vorgang nicht zureichend zu begreifen. Man schreibt die Deutung des Namens zumeist dem »Elohisten« zu, dessen »Quellenschrift« man diesen Abschnitt der Erzählung zuteilt. Aber – abgesehen davon, dass es einen »Elohisten« in diesem Sinn gar nicht gibt, dass uns vielmehr wie gesagt, wenn wir Ergänzung und Zusätze ausscheiden, ein einheitliches Gebilde von strenger Tektonik vorliegt – solche Entdeckungen oder Umwandlungen werden nicht am Schreibtisch geboren. Ein Spruch wie dieses Ehjeh-ascher-ehjeh gehört nicht der Sphäre der Literatur, sondern der der Stiftung an. Wenn das »Theologie« ist, so ist es jene Urtheologie, die in der Form der Geschichtserzählung an der Schwelle jeder echten Geschichtsreligion steht. Wer immer jenen Spruch erzählt hat und wann immer, er hat aus einer Tradition geschöpft, die letzthin auf keinen andern zurückgehen kann als auf den Stifter. Was dieser von seiner Glaubenserfahrung den Vertrauten, den Jüngern, eröffnete, können wir nicht ahnen; dass er kundtat, was sich ihm eingegeben hatte, dürfen wir annehmen; jedenfalls kann der Ursprung solch einer Überlieferung nicht anderswo gesucht werden. Mose hat in seiner verhältnismässig späten Zeit das Glaubensverhältnis der Bne Jisrael zu JHWH nicht begründet. Nicht er hat als erster, vom begeisterten Staunen ergriffen, jenen »Urlaut« ausgestossen. Das mag

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einer getan haben, der lange vorher, von einer unwiderstehlichen Macht auf neuen Weg getrieben, nun verspürte, wie auf diesem Weg ihm eben »er«, der Unsichtbare, sich zu sehen Gebende, voranschritt. Aber Mose ist es, der auf diesem Glaubensverhältnis einen Bund zwischen dem Gott und »seinem Volk« errichtet hat. Dergleichen ist nicht anders vorstellbar, als dass jenes von der Urzeit übernommene Verhältnis im Feuer einer neuen persönlichen Erfahrung umgeschmolzen wird. Die Stiftung geschieht vor der versammelten Schar, die Erfahrung ist einsam.

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Göttliche Dämonie Da Mose sich auf das göttliche Geheiss mit Weib und Kind nach Ägypten begibt, ereignet sich nach der biblischen Erzählung etwas Unheimliches, das anscheinend im Widerspruch zur Sendung steht. Im Nachtlager stösst JHWH auf ihn und trachtet ihn zu töten. Da nimmt die Frau, Zippora, einen Flintstein, schneidet damit die Vorhaut ihres Sohnes ab, berührt 53 danach seine Beine und spricht: »So bist du mir ein chathandammim«. Nun lässt »er«, der Überfallende, von »ihm«, dem Überfallenen ab. Die Geschichte ist mit altertümlicher Ungelenkigkeit erzählt, aber ihr Sinn lässt sich einigermassen enträtseln, insbesondre, wenn man darauf achtet, dass es dem Erzähler auf den Terminus chathandammim ankommt, auf den am Schluss noch eine Glosse nachdrücklich hinweist: damit habe Zippora damals die Bezeichnung geprägt, die seither für den eben beschnittenen Knaben gebräuchlich sei oder gewesen sei. Es liegt nämlich offenbar ein urtümlicher und unübersetzbarer Wortwitz darin: chathana heisst arabisch beschneiden, und da man bei den alten Arabern, wie bei manchen Stämmen noch heute, erst die mannbaren Jünglinge, und zwar vor der Hochzeit, beschnitt, war der Bräutigam ein chathan. In der Stunde der Gefahr vollzieht Zippora die blutige Zeremonie schon am Kinde, d. h. sie nimmt statt der midianitischen Sitte die israelitische an, die man recht wohl schon, der GenesisErzählung gemäss, in früheste Zeit ansetzen, also annehmen darf, dass sie schon damals die gemeinsemitische Beschneidung der Mannbaren abgelöst hat; sie berührt danach seine Beine – eine Handlung, deren sinnbildliche Bedeutung vermutlich, wie die der Auflegung der Hände auf den Kopf des Opfertieres, eine Identifizierung des Handelnden mit dem von ihm berührten Wesen ist 54: das Kind soll die ganze Sippe vertreten und darstellen – und sie sagt dazu den Spruch, er sei ihr, der Sippenmutter, und damit der Sippe durch den Vollzug des Blutvergusses (dammim) schon jetzt ein chatan geworden. Mit dieser Tat unterstellt sie ihre Sippe, die Geborenen und die Ungeborenen, dem Gott Israels und versöhnt ihn. Aus diesem wunderlichen, aber nicht unbegreiflichen Vorgang haben moderne Historiker und Exegeten 55, von einer Überbetonung jenes »mir« ausgehend, eine Szene von phantastischer »Primitivität« konstruiert: in der ursprünglichen Erzählung habe der Vorgang in der Brautnacht gespielt, der Gott oder Dämon habe Mose das jus primae noctis, das »Vorrecht der Götter«, streitig gemacht, Zippora habe nun ihrem Gatten die Vorhaut abgeschnitten und sie dem »lüsternen nächtlichen Unhold« an die Scham geworfen, wobei sie eine »Zauberformel« sprach,

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durch die sie »fingiert, dass er ihr beigewohnt habe« und »davon blutig sei«, worauf er »befriedigt« weicht und Mose verschont. Hinzugefügt wird etwa noch: »Einer Zeit, die solche Erzählungen schuf, darf man auch entsprechende Sitten zutrauen.« Das ist ein kaum zu überbietendes Beispiel der Verheerung, die ein übermässiger Einfluss der verführerischen Ethnologie im Lager der Religionsgeschichte angerichtet hat. Aber die Bedeutung der allzu kurzen Erzählung geht weit über das Problem von Ritenentstehung und Ritenwandlung hinaus. Man sieht in ihr zumeist einen »erratischen Block ältester Überlieferung, in der von Haus aus nicht Jahwe, sondern ein Dämon die handelnde Person war« 56; weiter führt uns die Einsicht, dass JHWH schon früh »alles Dämonische aufsaugte« und dass man seither »in Israel keine Dämonen mehr brauchte« 57. Entscheidend wichtig aber ist zu sehen, dass dieser Prozess schon in der Verkündigung Moses seinen Ursprung hat und sie den ihren in Moses Erfahrung. Wir haben die Wahl zwischen drei Möglichkeiten: entweder ist in der schon geformten Erzählung vom nächtlichen Schrecken nachträglich »JHWH« an die Stelle des ursprünglichen Dämons gesetzt worden, oder diese Korrektur hat sich schon in der Tradition vollzogen, oder aber die Tradition hat hier bereits JHWH als den Handelnden vorgefunden, und auch die um die Ehre ihres Gottes Bangenden haben daran nichts zu ändern gewagt. Nur diese dritte Annahme gewinnt der Erzählung ihre ganze glaubensgeschichtliche Fruchtbarkeit ab. Es gehört zum Urwesen dieses Gottes, dass er den, den er erwählte, auch restlos anfordert; wen er anredet, den reisst er an sich. Man erzählte sich von ihm (Genesis 5, 22 ff.), einst, in der Urzeit des Menschengeschlechts, habe ihn ein Mensch auf seinen Wanderungen begleiten dürfen; der sei dann plötzlich verschwunden gewesen, denn der Gott habe ihn hinweggenommen. Dieses Hinwegnehmen gehört in mannigfacher Gestalt zu seinem Wesen. Er verheisst dem Abraham einen Sohn, schenkt ihn und fordert ihn zurück, um ihn von neuem zu schenken, und er bleibt diesem Sohn ein erhabener »Schrecken« (31, 42). Aber noch unmittelbarer äussert sich sein Wesen, als er erst den Sohn jenes Sohnes aus Aram nach Kanaan zurückkehren heisst (31, 13), dann aber ihn überfällt oder überfallen lässt und ihm im Ringkampf die Hüfte verrenkt (hier ist es der Tradition noch nicht so darum zu tun, alles JHWH selber zuzuschreiben, und so ist der Handelnde »ein Mann«, aber dass der Gott dahintersteht, sollte angesichts des Zusammenhangs zwischen 32, 28 f, und 35, 10 nicht angezweifelt werden). Zum Unterschied von der Erzählung vom Angriff auf Mose wird hier das Motiv der grausigen »Nacht«, das dort nur angedeutet ist, in wiederkehrenden Leitworten ausgebaut. Im nächtigen Kampf mit dem Gottwesen (32, 29), im Umfangenhalten

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des »Mannes« bis zum Gesegnetwerden besteht Jakob die Probe. Die Wanderschaft war ihm von dem Führergott anbefohlen worden, ebendem, der einst (28, 15) ihm zugesagt hatte: »Da, ich bin bei dir, ich will dich hüten überall wohin du gehst und will dich heimbringen zu diesem Boden«; und nun, da er zu diesem Boden heimkehrt, hat der Wanderer der gefährlichen Begegnung standzuhalten, ehe ihm die endgültige Gnade des Gottes zuteil wird. Von verwandter und doch auch von eigener Art ist die seltsame Episode der Exodus-Geschichte. JHWH überfällt den eben erst von ihm Entsandten, offenbar weil dessen Hingabe, nachdem er seinen Widerstand überwunden hat, ihm noch nicht vollkommen genug erscheint. Um die Person kann es hier wohl nicht gehen, aber um die Sippe. Deshalb ist die Frau hier der Handelnde. Sie vollzieht die Handlung, durch die nach israelitischer Anschauung die Sippe als solche – darum ist es das Zeugungsorgan, an dem das »Zeichen« geschieht – ihren Bund mit dem Gotte verleiblicht und immer wieder erneut verleiblicht. So erwirkt die Frau die Versöhnung. Wir kennen es aus dem Leben der Stifter, aber auch aus dem anderer aus der Tiefe ihres Glaubens lebenden Seelen, dieses Ereignis der Nacht, den plötzlichen Einsturz der eben erst errungenen Gewissheit, den »tödlich faktischen« Augenblick, da in der Welt, über der eben erst Gott allein waltete, der Dämon, aus scheinbar unbeschränkter Vollmacht wirkend, erscheint. Die Frühzeit der israelitischen Religion kennt keinen Satan: wenn auf den Menschen eine Macht stösst und ihn bedroht, gilt es auch in ihr, sei sie noch so nächtig-grauenhaft und grausam, JHWH wiederzuerkennen und ihm standzuhalten, da er doch nichts anderes von mir heischt als mich. Das Wort des Exilspropheten (Jesaja 45, 7) »Der das Heil macht und das Böse schafft, ich JHWH bin’s, der all dies macht« hat uralte Wurzeln. In der Erzählung, wie dem Mose JHWH als Dämon begegnet, ist eine von ihnen aufgegraben. Die Sprache einer Tradition ist hier unverkennbar, und auch hier weist sie auf die dunkle, aber wahrnehmbare Schwelle der Erfahrung hin. Vielleicht darf man aber noch einen zusätzlichen Schritt tun und in dem Bild, mit dem die Bibel im Folgenden auffallenderweise zweimal (6, 12, 30), in denselben Worten, Mose von neuem auf die Schwerfälligkeit seiner Rede hinweisen lässt: »Ich bin ja vorhäutig an Lippen« mehr als eine Metapher erblicken. Hier ist eine »Unbeschnittenheit«, die durch keine Beschneidung sich beseitigen lässt, eine offenbar nicht nur organische, sondern auch in den Seelengrund hineinreichende Unbefreitheit und Unbefreibarkeit, nicht eine blosse Beeinträchtigung der Sprachwerkzeuge, sondern eine fundamentale Hemmung der Äusserung selber. Als

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Träger des Wortes entsandt, Mittler des Wortes zwischen Himmel und Erde, ist Mose der unbefangenen, strömenden Rede unmächtig. So ist er erschaffen und als solcher erwählt worden. Damit ist eine Wand zwischen ihn und die Menschenwelt gesetzt. Er, der den Volksbund mit JHWH stiften soll, ist gleichsam in den Bund seines Stammes nicht vollgültig aufgenommen. Lehrer, Prophet, Gesetzgeber, bleibt er in der Sphäre des Wortes doch unüberwindlich einsam, letztlich allein mit dem Worte des Himmels, das ihm durch die spröde Seele in die spröde Kehle dringt. Aber das scheint mir noch nicht das Entscheidende zu sein. Mose wird (4, 16) in einem Zusatz der Dornbusch-Erzählung, der hier aber offenbar frühprophetisches Geistesgut verwahrt, im Verhältnis zu Aaron, der ihm »Mund« sein soll, als einsprechende Macht ein »Gott« genannt. Wenn er demnach dem Gotte selber, der sein Wort in ihn spricht, als »Mund« dient, so ist es ein stammelnder Mund. Damit wird die Tragik Moses zur inhärenten Tragik der Offenbarung. Das Stammeln ist es, das die Stimme des Himmels zur Erde bringt.

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Mose und der Pharao Wir waren aus der Kindheitslegende, der wir immerhin die wichtige Kenntnis der Verknüpfung Moses mit dem inneren Kreise ägyptischer Macht und Kultur verdanken, in die Atmosphäre biographisch fassbarer Motive aufgestiegen, die sich in den tatsächlichen Lebenszusammenhang des Führers und Stifters sinnreich einfügen und uns doch nicht typologisch-erdacht, sondern konkret einmalig anmuten. Vier solcher Motive sind uns entgegengetreten: die Flucht, charakteristisch für den Volksbefreier, der in die Fremde tauchen muss, um von da gewachsen und gerüstet, befähigt seine Tat zu tun, zurückzukehren, aber doch auch unprogrammatisch-individuell durch den Totschlag selbst und mehr noch durch das Verweilen, das auf ihn folgt; die Aufnahme bei den den Vätern sittenverwandten Midianitern und das Hirtentum, wiederum von allgemein repräsentativem Charakter zumindest für semitische Religionsgeschichte (von Mohammed ist das Wort überliefert: »Keiner wird Prophet, der nicht zuvor ein Hirt war«), aber durch die Verbindung beider Momente doch von eigentümlichem Gepräge; Vision und Audition, uns von allen Bezirken der religiösen Sphäre bekannt, aber durch Umstände und Art der Erscheinung auf dem Berg, mehr noch durch die Vitalität des Gesprächs und am meisten durch den Gehalt der Gottesrede von allen ähnlich strukturierten Vorgängen abgehoben; und zuletzt die dämonische Begegnung, aus dem Weg des religiösen Heros kaum wegzudenken, hier aber, wiewohl nur skizziert, doch deutlich genug in ihrer Besonderheit, der furchtbaren Umfassung des Dämonischen durch das Göttliche, die alle dualistische Neigung im Keime ausbrennt. Können diese vier Stadien eines Menschenwegs auch nicht in ihren historischen Maßen und Ordnungen rekonstruiert werden, so ist uns doch jedes von ihnen an seinem Ort und in seinem Grundwesen erfassbar. Anders verhält es sich mit dem Abschnitt, vor dem wir jetzt stehen: der beginnenden Ausführung des göttlichen Auftrags. Den Hauptinhalt dieses Abschnitts, die Verhandlungen Moses mit dem Pharao und die damit verbundenen »Plagen«, kann unsere historische Einsicht nicht, auch nicht einmal in den wesentlichen Zügen, in eine historische Wirklichkeit einreihen. In solchen Formen können sich in dem uns historisch bekannten Ägypten die Verhandlungen zwischen dem König und dem Vertreter der Zwangsarbeiter nicht abgespielt haben, auch dann nicht, wenn dessen frühere Beziehungen zu diesem Hof dabei ins Gewicht fallen sollten. Und die Erzählung der Plagen knüpft zwar durchweg an Naturereignisse an und zum grösseren Teil an solche, die besonders in Ägypten vorkommen, aber wie könnte aus dieser atemlosen Kumulation von ins

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Ungeheure gesteigerten aussergewöhnlichen Begebenheiten ein geschichtlicher Kern herauszuschälen sein? Dennoch spüren wir auch hier, in diesem phantastischen Volksbuch, das den Geschlechtern des Volkes zu Gefühl bringen will, wie es einst aus Wundern um Wunder in seine Geschichte getreten ist, den Anhauch eines fernen Geschehens, für das kein Erinnerungsinhalt mehr zeugt, nur noch die Kraft eines verwandelnden, mythisierenden Erinnerns selbst, die in ihrem Werk, eben in all dieser Phantastik, erkennbar geblieben ist. Zwischen den beiden bekannten Haltungen, der Haltung des Traditionsgläubigen, die alles, was hier geschrieben steht, als Tatsachen eines Damals und Dort hinnimmt, und der Haltung einer selbstsicheren Fachlichkeit, die alles, was hier geschrieben steht, als blosse Literatur verstehen will und es mit literarischen Kategorien zulänglich erfassen zu können vermeint, muss es auch hier eine dritte, die unsere geben. Wir müssen auch hier den kritischen Zugang zu einer Wirklichkeit suchen, indem wir uns fragen, aus was für einem menschlichen Verhältnis zu wirklichen Begebenheiten allmählich, auf vielen Wanderungen und Wandlungen, von Mund zu Ohr, von Gedächtnis zu Gedächtnis und von Traum zu Traum das Schriftwerk erwachsen konnte, das wir lesen. Chronik ist es gewiss nicht, aber freie Dichtung ebensowenig; es ist Geschichtssage. Und das ist ein Begriff, dessen Verwendung das wissenschaftliche Gewissen nicht beruhigen darf: sie muss es aufrühren. Freilich werden wir, wenn wir von hier ausgehen und, wie man wegwerfend zu sagen pflegt, »rationalistisch« fortschreiten – ich bekenne mich zur rationalen Suche nach Wirklichkeit – nicht mehr als bestenfalls die Umrisse eines möglichen Geschichtsverlaufs gewinnen; aber das dünkt mich, zumal an solcher Stelle, ein Gewinn. Ein Anfangs- und ein Endpunkt sind uns gegeben. Den Anfangspunkt liefert uns die Lebensgeschichte Moses, wie sie sich uns bisher in grossen Zügen gezeigt hat: es ist die Rückkehr des Flüchtlings Mose nach Ägypten, wo inzwischen, wie die Bibel (Exodus 4, 19), um dem himmlischen das irdische Motiv zu gesellen, berichtet, alle seine Widersacher gestorben sind. Den Endpunkt haben wir in der historisch unanfechtbaren Tatsache des Auszugs. Was liegt zwischen beiden? Wie ist der Auszug zustandegekommen, und welchen Anteil hat Mose daran? Wir können damit naturgemäss nur nach dem Traditionskern fragen, um den sich der wachsende Sagenstoff ausgebildet hat. Wie dringen wir zu ihm vor? Wie scheiden wir Kern und Schale? Der Anfangspunkt, der uns gegeben ist, sagt uns, wonach wir zu fragen haben, um auf diese Frage die Antwort zu finden. Was uns vor allem zu wissen nottut, ist: als was wird in dem ursprünglichen Teil des Dorn-

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buschgesprächs Mose berufen? Mit anderen Worten: wenn wir uns einen geschichtlichen Mose zu vergegenwärtigen versuchen, der, sich berufend und beauftragt fühlend, nach Ägypten zurückkehrt, was kann er vorhaben, und wie kann er es ausführen? Unsere Frage ist verschieden von der geläufigen, welchem »Typus« Mose angehöre. Uns kommt es hier nur auf die Stunde und ihre Absicht an. Wenn unsere Scheidung zwischen ursprünglicher Erzählung und Zusätzen zutrifft, ist es offenkundig, dass Mose als Nabi, als »Prophet« berufen wird. Damit soll also nicht gesagt sein, Mose sei einfach ein Nabi, sondern nur, dass der Auftrag, als dessen Träger er nach Ägypten zurückkehrt, dem wesensverwandt ist, von dem die geschichtlich gesicherten »Künder« Israels berichten. Wenn einer der frühesten Schriftpropheten, Hosea, erklärt (12, 14): »Durch einen Nabi hat JHWH Israel aus Ägypten heraufgeführt«, so will er damit gewiss nicht sagen, Mose sei nichts anderes als einer der Nebiim gewesen, sondern, er habe jene seine Tat als Nabi getan. Es ist eine Geschichtstat: Hosea, der von leidenschaftlichem Geschichtseifer erfüllte Mann, meint – und wir mit ihm – die geschichtliche Funktion des Propheten Israels. Es kann hier nicht um ekstatische Erfahrungen gehen, wie wir sie von früher bis in die späte Zeit als den Nebiim eigentümlich kennen – das hiesse den Schwerpunkt aus dem Volksgeschehen in das persönliche Glaubensleben verlegen; es kann aber ebenso wenig um Wundertaten gehen, wie sie etwa von Elia und besonders von Elisa erzählt wurden – das hiesse die Geschichte gegen die Legende vertauschen und jenen geschichtsmöglichen Kern, den wir suchen, mit Notwendigkeit verfehlen (ich vermute, dass die Ausgestaltung der Tradition zum Legendenkranz der ägyptischen Plagen sich zu einem wesentlichen Teil in den Kreisen der ElisaJünger vollzogen hat, die neben der Legende ihres Meisters auch die des Ahnen der Nebiim gedichtet haben). Vielmehr kann, worauf es hier ankommt, nur die historische, von Samuel bis Jeremia immer wiederkehrende Situation sein, in der der Nabi Mal um Mal in die Geschichte eindringt und in ihr handelt, der grosse Geschichtsrefrain Israels: Prophet gegen König. Was in diesem Bilde vor uns steht, ist nicht Mythisierung oder Stilisierung, sondern Fleisch und Blut der Geschichte. Des Weiteren kann es uns hier nicht um den Ursprung des Nabitums zu tun sein (ich bin der Ansicht, dass es aus ursemitischen Wurzeln in israelitischer Urzeit erwachsen ist) und erst recht nicht um den Ursprung von Bezeichnung und Begriff, sondern einzig um den der historischen Funktion. Was in geschichtlich deutlicher Zeit ein Prophet nach dem anderen auf der Geschichtsbühne tut, ist: dem Herrscher mit kritischem Wort und kritischem Zeichen entgegenzutreten. Das Wort ist Forderung, im Namen Gottes und seiner »Gerechtigkeit«, Ansage des Verhängnisses

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für den Fall der Weigerung, und Deutung eines darauf, früher oder später, folgenden schlimmen Geschehens; das Zeichen ist Verleiblichung des Wortes, wobei der Vorgang zwar aussergewöhnlich sein muss, um eben als Zeichen wirken zu können, aber keineswegs »übernatürlich«. »Wunder« als solche, zu seiner blossen Beglaubigung, wirkt der Prophet vor dem König nicht, und ebenso wahrsagt er nicht: er sagt die in der gegenwärtigen Stunde sich vollziehende oder sich bereitende Schicksalsentscheidung an, und zwar als an die erfolgte oder bevorstehende Entscheidung des Königs gebunden, und er deutet das einbrechende Unheil als Folge der falschen Entscheidung oder der Entscheidungslosigkeit. Wenn wir es wagen dürfen – und ich meine, dass wir es dürfen – den Anfang dieses Geschichtsphänomens bei Mose zu suchen, sein Auftreten dem Pharao gegenüber als die erste in der Reihe dieser prophetischen Haltungen zu verstehen, dann muss, wenn all der Zauber zerstiebt, der in der biblischen Erzählung Mose und seinem Gott zugeschrieben wird, ein fester Kern bleiben. Darin kann Unheil zwar nicht mehr unmittelbar bewirkt werden, aber es kann, wenn auch nur in allgemeinen Zügen, angedroht werden; und ein geschehendes Unheil kann als Wirkung der »Verstocktheit« erklärt werden. Das Merkwürdige, aber doch Glaubwürdige, ist, dass dieses Vorgehen, das in späterer Zeit bei den Königen Israels zumeist versagt, den Pharao bewegt, die Forderung zu erfüllen. Der geschichtliche Mose, der nach Ägypten zurückkehrt, ist weder ein Magier noch ein Schwärmer. Er weiss genau, wer der Pharao ist, er weiss genau, was es heisst, so zu ihm zu reden, wie er zu ihm reden soll, und er hat sich dazu entschlossen. Er ist, der geschichtlichen Situation gemäss, auch nicht von der gewohnten Art der »nationalen Befreier«; er hat nichts anderes einzusetzen als das Wort. Er ist nur, seit auf dem Berg das Wort zu ihm kam, gewiss, dass es genügen wird: weil, wenn er es spricht, der »Daseiende« bei ihm ist. Das Wort wirkt anscheinend nicht, denn der König erwidert es mit überlegenem Spott über diese fremden Göttlein, die sich einbilden, sich in die Angelegenheiten Ägyptens mischen zu können; und doch wirkt es, denn einige (gleichviel eine wie lange) Zeit darnach gibt er die Scharen der Fronarbeiter frei. Dazwischen liegen Ereignisse, die von Mose als Erfüllung seiner (bedingten) Unheilsansage gedeutet werden, aussergewöhnliche, aber durchaus nicht übernatürliche Ereignisse, die nur eben ihrer Zeit und Abfolge nach sich einer solchen Deutung darbieten. Jedes dieser Ereignisse steht zwischen prophetischem Wort und prophetischem Wort, Wort der Ansage und Wort der Deutung, obzwar es von beiden durch grössere oder kleinere Zeitabstände getrennt ist: das Wesentliche ist, dass jedes von ihnen leicht in die von dem prophetischen Wort verkündete Kausalität einzubeziehen

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ist. Warum lässt sich der Pharao überzeugen? Wir sehen uns auf ein Geschichtsgeheimnis hingewiesen, das aber eben historischen und nicht literarischen Charakter hat. Ein Geschichtsgeheimnis bedeutet immer eine Verbindung zwischen einem überpersönlichen Schicksal und einer Person, und zwar dem Untypischen einer Person, dem an ihr, was in den Typus nicht eingeht. Der Auftrag Moses ist seiner Art nach ein prophetischer, aber dass Mose ihn, wie ungeheuer er auch ist, so erfüllt, dass erreicht wird, was zu erreichen war, dass er im Gegensatz zu den Propheten Israels in seinem Ringen mit dem König siegreich bleibt, das liegt offenbar zu einem guten Teil daran, dass er noch etwas anderes als Prophet ist. Ist es auch nicht möglich, mit Sicherheit zu bestimmen, was von den »Plagen« zum Kristallisationskern gehört und was nicht, so scheint mir doch besonders in den vier letzten, dazu etwa noch in der zweiten, eine Spur nicht bloss wirklicher sondern auch in diesen Zusammenhang gehöriger Begebenheiten erkennbar zu sein. Die siebente und die achte Plage sind die offenbar am stärksten literarisch bearbeiteten Stücke, aber beide enthalten parallele Verse, in denen mir die Vorstellungen einer frühen Tradition gestaltet zu sein scheinen. In dem einen heisst es (9, 23 f., nach Worten über die Erhebung des Stabs durch Mose, die nicht notwendig dazu gehören): »Und JHWH gab Donnerschälle und Hagel, Feuer ging zur Erde nieder, Hagel regnete JHWH über das Land Ägypten. Hagel war und inmitten des Hagels ein insichgreifendes Feuer, sehr schwer, seinesgleichen war nicht im Land Ägypten, seit es eines Volkes (goj) wurde.« Dahinter steckt sowohl unmittelbare Anschauung als auch die Absicht, den Vorgang als natürlich und nur seine Stärke als unerhört zu kennzeichnen. Und dementsprechend, nur aus der Sprache der Schilderung in die der Ansage übertragen, wird (10, 5 f.) vom Heuschreck gesagt: »Er verhüllt den Ausblick der Erde, man vermag nicht die Erde zu sehen, er frisst den Rest des Entronnenen, das euch übrigblieb vom Hagel, er frisst jeden Baum, der euch aus dem Feld wächst, wie es nicht sahn deine Väter und die Väter deiner Väter vom Tag ihres Seins auf dem Boden bis auf diesen Tag.« Auch hier dieselbe unmittelbare Anschauung und dieselbe Absicht, dazu noch die nachdrückliche Verknüpfung mit der vorigen Plage. Daran schliesst sich das Zeichen der Finsternis, wieder bemerkenswert durch die von unmittelbarer Anschauung getragenen Worte (V. 21): »Dann wird Finsternis über dem Land Ägypten, man soll Finsternis tasten.« Das ist keine eigentliche »Plage«, sondern anscheinend nur ein Übergang oder richtiger wohl der Hintergrund zur letzten, als deren Tatsachenkern man eine Seuche vermuten darf, die auch den Erstgeborenen des Pharao hinwegrafft. Das wird durch ein sicherlich frühes Fragment bezeugt, das jetzt knapp vor der Erzählung vom gött-

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lichen Überfall steht (4, 22 f.): »So hat JHWH gesprochen: ›Mein erstgeborner Sohn ist Israel. Ich habe zu dir gesprochen: Entlasse meinen Sohn, dass er mir diene – und du hast dich geweigert, ihn zu entlassen, nun töte ich deinen erstgebornen Sohn‹«. Das ist keine Vorhersage kommender Dinge, nicht Forderung und Drohung mehr, sondern es ist die Sprache der Verhängnisstunde selber, ganz gegenwärtig, vom Atem der Unabänderlichkeit durchweht. Und die Sache, um die es hier geht, ist nicht eine zwischen JHWH und Ägypten, sondern eine zwischen JHWH und dem Pharao allein. Obgleich die Sohnschaft Israels nicht eine mythologische Zeugung, sondern eine historische Adoption meint, muss man sie als wirkliche Sohnschaft verstehen, um die Worte zulänglich zu erfassen: furchtbar redet der Vater zum Vater. Der Kern der Erzählung von Moses Wirken in Ägypten stellt sich mir folgendermassen dar: Mose kommt, von seinem Bruder 58 und Helfer Aaron begleitet, zum Volk, er übermittelt ihnen seine Botschaft und findet bei ihnen Glauben. Aber bald erwecken die Beratungen das Misstrauen der Behörden, und um die Versammlungsfreiheit der Fremden zu beschränken, verschärfen sie ihre Arbeitsbedingungen. Alsbald wendet sich das Volk von Mose ab und schenkt ihm nicht mehr Gehör. Zu den Füssen des Gottes zurückgeworfen, der zu ihm aus der Flamme gesprochen hat, klagt er ihm sein Leid und klagt ihn an. Was der Erzähler ihn hier (5, 22 f.) sagen lässt, die Frage: »Warum hast du mich da geschickt?«, der jenes Motiv ʿ ammi der Gottesrede kritisch wiederaufnehmende Vorwurf: »… und gerettet – gerettet hast du dein Volk nicht!«, das klingt mit Macht an die Sprache des frühen Teils des Dornbuschgesprächs an: auch das sind Worte, wie sie nicht aus literarischem Planen entstehen. Worte von gleicher Ursprünglichkeit stehen in der Antwort, die dem gewaltsamen Beter zuteil wird (6, 6 f.): »Ich bin JHWH (Der-da-ist, der Gegenwärtige), ich führe euch unter den Lasten Ägyptens hervor … ich nehme euch mir zum Volk, ich werde euch zum Gott, erkennen sollt ihr, dass ich, JHWH, euer Gott bin«. Er, der bisher nur der »Gott der Väter« war, und dessen die Stämme, »die Kinder Israel«, nur eben als solches gedachten, will ihnen als einem Volk, als seinem Volk zum Gotte werden und sie eben dadurch erst wahrhaft zum Volke werden lassen. Erst jetzt, in der Stunde der enttäuschenden Erfahrung, dass das Volk noch nicht wahrhaft ein Volk und erst recht nicht ein Volk JHWH’s ist, geht Mose der Gedanke des Bundes auf, der zugleich die Stämme zum Volke eint und das Volk nicht bloss »religiös«, sondern in seiner Lebenssubstanz mit seinem Gott verbindet. Jetzt hören sie nicht auf ihn, »vor Geisteskürze und vor hartem Dienst« – dann, in der Freiheit, dort, am Berg, in den freien Dienst Got-

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tes genommen, werden sie hören, was sie zu hören haben. In diesem Gedanken des Bundes fühlt sich Mose – der inzwischen nach unseren Begriffen ein Greis geworden ist, wenn die biblische Angabe (7, 7) zutrifft, aber wir vermögen ihr nicht zu folgen – stark genug, dem Pharao entgegenzutreten, und zwar sucht er ihn, wie es scheint, »am Ufer des Nils« (V. 15) auf. Er fordert von ihm im Namen des »Gottes der Hebräer«, sein Volk freizulassen, dass es ihm »in der Wüste diene«, jenem »Zeichen« gemäss, das JHWH Mose in der Dornbusch-Rede angesagt hatte. Für den Fall der Weigerung kündigt ihm Mose die Katastrophe an, vielleicht indem er zum Zeichen auf den wie häufig geröteten Fluss zeigt. Und die Katastrophe bleibt nicht aus. Einige Zeit darnach beginnt sie sich anzukündigen, wohl durch anormale Phänomene aus ebendem Nil. Hier ist vermutlich der Platz für die Begebenheit, da Massen kleiner Frösche daraus aufsteigen (es ist Sommer, die Zeit der Überschwemmung) und, frech wie nie zuvor, überallhin eindringen. Nur noch hier finden wir in der Plagen-Erzählung eine Stelle von gleicher jugendlicher Anschauungskraft wie jene angeführten (7, 28): »Frösche wimmelt der Fluss, sie steigen, sie kommen, in dein Haus, in dein Schlafgemach, auf dein Bett, in deine Backöfen und in deine Teigtröge, an dir, an deinem Volk, an all deinen Dienern steigen die Frösche auf«. Dies aber ist eben nur ein groteskes Vorspiel; man hört am Hofe, dass diese grässlichen Asiaten schon wieder herumstehen und das Geschehene deuten. Dass man dennoch die Unruhe stiftenden Leviten schont, liegt wohl in der den Ägyptern unheimlichen Machtatmosphäre, die von Mose ausströmt: er, von dessen Seltsamkeiten in der Zeit, da er dem Hofe nahestand, sich wohl manche noch zu erzählen wissen, hat zwar »alle Weisheit der Ägypter« (Apostelgeschichte 7, 22) in sich aufgenommen, aber dass er ausserdem, anders als alle gewohnten Magier, ohne Zaubergebärden (das eben nehme ich ja als die geschichtliche Wahrheit an) das Unheil ansagt und die Zeichen des Unheils sodann zu deuten weiss, wirkt als etwas Grausiges, das anzugreifen man sich scheut; das ungelenke Reden, mit dem ein fremder Gott stossartig ihm die Kehle bewegt, steigert nur noch das Grauen. Und nun geht es weiter: in einem Winter kommt das Hagelgewitter, in demselben (oder dem nächsten) der Heuschreckenzug, beide zusammen verheeren die Bodenwirtschaft und damit das Leben Ägyptens. Und immer wieder ist der unheimliche Mann da und redet sein Wort, zuweilen dem Pharao selber in den Weg tretend; man spottet über ihn immer mehr und fürchtet ihn immer mehr. Und da, in einem Frühling, bricht ein Sandsturm von nie gewesener Wucht aus, für Tage verfinstert sich die Luft, die Sonne wird unsichtbar, eine Lähmung legt sich auf alle und nimmt ihnen die Besinnung. Mitten

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darin aber, während die Seuche, eine Kinderseuche, ihr Werk zu tun beginnt, schallt, unangefochten von den ziehenden Sandmassen, durch die Strassen der Residenzstadt die Stimme des Gewaltigen. Die Zeichen haben sein Volk überwältigt und um ihn geschart, die Hoffnung ist stärker als die Finsternis, sie sehen Licht (10, 23). Und da, nach drei Tagen des rasenden Unwetters, in der Nacht, stirbt dem jungen König sein erstgeborener Sohn. Trostlos im innersten Gemache über die Leiche gebeugt, nicht mehr ein Gott, sondern der Mensch, der er ist, erblickt er plötzlich den Verhassten vor sich. »Fort mit euch«, schreit er.

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Passah Die biblische Erzählung (12, 1-14, 21-27) lässt Mose zwischen der Ansage des Erstgeborenensterbens und ihrer Erfüllung die Bereitung des Passahmahls anordnen. Eine weitverbreitete Ansicht bestreitet diesem Text, auch in seinem älteren Teil (V. 21 ff.), jede Bedeutung für eine Erkenntnis der Auszugszeit und sieht darin lediglich eine »ätiologische« Sage, durch die man die Festriten als von Mose eingesetzt zu erklären beabsichtigte. Freilich steht die Verknüpfung der Anordnungen mit der Sage vom Erstgeborenensterben, bei dem JHWH die mit Blut bezeichneten Häuser der Israeliten »übersprungen« habe (V. 13, 23, 27), den Versuchen eines historischen Verständnisses im Wege. Es scheint mir jedoch, dass die geschichtliche Blickweise, die jeweils, allen Verdunklungen des Urbestandes zum Trotz, sich bemüht, zu den in einer gegebenen Situation handelnden Menschen und ihren Handlungen vorzudringen, auch hier keinen Generalverzicht zu leisten braucht. Wir müssen nur an der Einsicht festhalten, dass für Zeiten, über die uns keine andere als offenkundig sagendurchsetzte Berichte vorliegen, dieselben Grundformen geschichtlichen Handelns anzunehmen sind, wie wir sie für Zeiten kennen, die nüchternere Chronisten gefunden haben. Einem Mann von führerischer Art und Bestimmung haben günstige Umstände in einem verhältnismässig kurzen Zeitraum die äusseren Voraussetzungen für die Erfüllung seiner nächsten Aufgabe, die »Herausführung« einer Gruppe halbnomadischer Stämme aus einem Land der »Knechtschaft«, geliefert. Die geographischen und politischen Bedingungen, unter denen die bevorstehende Wanderung sich zu vollziehen hat, sind – gleichviel, ob er bereits Landnahme und Sesshaftwerden, oder vorerst nur Wiederaufnahme der nomadisierenden Lebensform im Sinn hat – ungeheuer schwere: die Menschenscharen aber, die er zu führen gedenkt, sind nur lose miteinander verbunden, ihre Überlieferungen sind verblasst, ihre Sitten entartet, ihre Glaubensbindung erschlafft (vgl. Ezechiel 20, 7 und 23, 8). Der grosse Gedanke des Mannes, seine grosse Eingebung ist, in der reineren und freien Atmosphäre der Wüste, die einst ihn selber gereinigt und frei gemacht hat, den Bund der Stämme auf dem Grunde ihres gemeinsamen Bundesschlusses mit einer gemeinsamen, aber ein Zeitalter lang vernachlässigten Gottheit aufzurichten. Jedoch schon für den Weg zu diesem ersten Ziel reicht der Grad des inneren Zusammenhalts nicht aus. Gewiss, die ausserordentlichen Ereignisse haben ihre Wirkung getan; aber das Gefühl der Einheit, Einheit im Schicksal und Einheit im einzuschlagenden Weg, ist noch nicht tragfähig genug. In solchen Stunden – das ist in allen Geschichtszeiten so – bedarf

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es einer gemeinsamen sinnbildlichen Handlung, in der man das gemeinsame Sein sinnlich erfährt. Dies kann aber nicht aus Vorsatz zustande gebracht werden, alles Machen verletzt den Wurzelgrund des Geschehens; es muss, wenn auch durch Sprechen und Tun eines Menschen befördert, hervorgehen aus dem, was immer schon war. So setzt Mose das uralte heilige Hirtenmahl neu ein, erneuert an Sinn und Gestalt. Es darf auf Grund uns bekannter Bräuche der Araber von Moab 59 und anderen Ländern vermutet werden, dass schon die frühen Semiten alljährlich das Erstlingstier der Kleinvieh-Herde, die als Einheit angesehen wurde, einem göttlichen Wesen weihten und als ihm geweiht kennzeichneten; etwa wenn es ein Jahr alt wurde, zur Zeit des vollen Monds, bereitete man daraus ein Mahl, das als ein Fest des Friedens und der Gemeinschaftsfreude die Sippe und etwa bei ihr gastende Wahlbrüder aus der Fremde vereinte. Vom Blut des Tieres wurde an die Zeltstangen gestrichen, um das dämonische Element (ursprünglich vielleicht den rachedurstigen Urvater der Tiergattung) fernzuhalten, insbesondre von den Erstgeborenen der Menschen die es bedroht. Einige Zeit vor dem Auszug, als er der baldigen Erfüllung gewiss ist, ohne noch ihre Stunde zu kennen, ordnet Mose für den Abend, der dem Aufbruch vorangehen würde, das heilige Mahl an; als er dann das Erwartete als unmittelbar bevorstehend erkennt, gibt er die Signale aus. Er übernimmt die alten Bräuche, aber was bei den verschiedenen Sippen über verschiedene Tage verteilt war, wird jetzt in den einen Abend eingesammelt. Zur gleichen Zeit schlachten die Sippen die vorbestimmten Tiere. Jede isst von dem ihren, jede in ihrem Haus, das keiner verlassen darf (Exodus 12, 22), aber alle essen es zur gleichen Zeit, ein einziges Mahl vereint sie alle zur Gemeinde. Blut wird an die Pfosten und den Türsturz der Häuser getrichen, aber es gilt nicht mehr den Dämonen, sondern JHWH, dem sich alle Sippen gemeinsam im Blute zuweihen und damit zugleich die ihm gehörende menschliche Erstgeburt auslösen. Der Vorgang ist eine Vorform des Blutbunds, den am Sinai (24, 6-8) das Volk als solches mit JHWH schliessen wird; was sich jetzt in der Gestalt der Vielheit bereitet, wird sich dann in der der Einheit vollenden. »Ein Passah ist es für JHWH«, zwar »Schlachtopfer« genannt, aber unähnlich allem, was in der Bibel Opfer heisst, eben ein Weihemahl. Das ist nicht so zu verstehen, dass der Gott mitässe (keiner der Riten deutet auf dergleichen hin), noch gar, dass in dem Tier göttliche Substanz hause und mit ihm verzehrt werde; es kommt darauf an zu sehen, dass hier eine natürliche und gewohnte menschliche Handlung, das Essen, zugleich durch die einige Teilnahme der ganzen Gemeinschaft zur Gemeinschaftshandlung potenziert und als solche dem Gott zugeweiht wird, es wird »für

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ihn« gegessen. Worauf die Bezeichnung Passah ursprünglich angespielt hat, wissen wir nicht; die Deutung auf das »Überspringen« der Häuser Israels durch JHWH oder »den Verderber« in der Nacht des Erstgeborenensterbens (12, 23, 27) ist jedenfalls sekundär, wiewohl zur Zeit Jesaias die Nebenbedeutung des Verbs, schonend übergehen, sich schon eingebürgert hat (vgl. Jesaia 31, 5). Das Verb bedeutet zunächst: sich auf einem Bein bewegen, sodann: hüpfen, und es ist zu vermuten, dass bei dem alten Nomadenfest ein Hüpfetanz, vielleicht von als Ziegenböcke maskierten Jünglingen, aufgeführt wurde. Dazu kommt dann, dass das Wort chag, Fest, eigentlich Reigen bedeutet. »Ein Gesang wird euch sein«, sagt Jesaia (30, 29) von dem kommenden Gericht JHWH’s über Assyrien im Bild des Passah-Gerichts über Ägypten, »wie in der Nacht, da der Reigen sich heiligt«, d. h. da der heilige Reigen getanzt wird. Es ist offenbar ein mimisches Spiel, das gemeint ist, eins, zu dem sich der alte Hirtenreigen gewandelt hat. »Und so sollt ihr’s essen«, heisst es in der Anordnung: »eure Hüften gegürtet, eure Schuhe an den Füssen, euren Stab in der Hand, in Hast sollt ihr’s essen, Passah ist es für JHWH«. »Man hat die Auswanderung sozusagen gespielt«, ist mit Recht vom Passahfest gesagt worden 60. Und vielleicht hat ein aufhüpfendes Taktschlagen der um den Tisch Stehenden dazu gehört. Aber dieser neue mimische Charakter kann dem Fest schon in der historischen Stunde selbst gegeben worden sein. Wie es Kriegstänze gibt, in denen das gewünschte Ereignis dargestellt und gleichsam eingeübt wird, bis plötzlich der Mimus zur Wirklichkeit wird, so lässt es sich wohl denken, dass eine sinnbildliche Darstellung der Wanderung in den Aufbruch selber übergegangen ist. Mose hat, wenn unsere Annahme zutrifft, das Sippenfest der Hirten (auch die Mazzoth, die ungesäuerten Fladen, sind Nomadenbrot) zum Fest eines Volkes gewandelt, ohne dass es seine Struktur als Sippenfest eingebüsst hätte. Auch nun sind die Sippen als solche die Träger der sakramentalen Feier, jetzt aber die zur Volksgemeinschaft zusammengeschlossenen. Mose hat den Geschlechterbrauch nicht zum Kult gemacht, er hat ihm keine eigentliche Opferzeremonie eingefügt und hat ihn nicht an ein Heiligtum gebunden, aber er hat ihn JHWH zugeweiht. Er hat das von ihm vorgefundene Passah durch die Einsetzung eines neuen Sinns und Sinnbilds gewandelt, wie später Jesus durch die Einsetzung eines neuen Sinns und Sinnbilds. Dabei muss offen bleiben, ob die Anordnung sich bereits auf die alljährliche Begehung erstreckte oder erst nachträglich darauf erstreckt wurde (vgl. Numeri 9). Den neuen Festcharakter erläutert ein Spruch von frühem Gepräge (Exodus 12, 42): »Eine Nacht der Wache war das dem JHWH, sie aus dem Land Ägypten zu führen, und das ist diese Nacht dem JHWH, Wacht allen Kindern Israel

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für ihre Geschlechter«. Der Spruch kann recht wohl aus einer Zeit stammen, ehe sich die Legende des Erstgeborenensterbens verdichtet hat: JHWH wacht über dem seine Flucht aus dem »Sklavenhaus« bereitenden und vollziehenden Volk. Das alljährliche Wachthalten der Gemeinschaft ist fortan ihm geweiht, »diese Nacht dem JHWH«. Das Passah hat in Israel grosse Wandlungen erfahren. Der häusliche Blutritus ist anscheinend immer mehr zurückgetreten, wiewohl er bemerkenswerterweise bei den Samaritanern noch heute, wenn auch in abgeschwächter Form, fortlebt. Aus dem häuslichen Mahl wurde ein grosses Opferfest, das man dann als allgemeine Sippenwallfahrt am Heiligtum in Jerusalem zu zentralisieren bestrebt war, wo also die Sippen immer wieder im Beisammensein, wie einst in Ägypten, die Lebenswirklichkeit ihrer Gemeinschaft erfahren sollten. Nach der Zerstörung des zweiten Tempels wird Passah naturgemäss wieder zum häuslichen Sippenfest, was es bis heute geblieben ist; man kann sagen, dass das passahfeiernde jüdische Volk sich in dieser Epoche trotz der räumlichen Zerstreuung wieder dem ägyptischen Auszugsmahl genähert hat. Immer ist es ein Frühlingsfest gewesen und geblieben, erst eins der Hirten, dann eins der Bauern, und noch die völlig landlos Gewordenen, die nicht einmal mehr eine gemeinsame Wandersteppe hatten, feierten, indem sie das Gedächtnis der Befreiung begingen, die entfesselnde Macht, deren naturhaftes Wirken sich alljährlich im Bild des Frühlings darstellt. Aber von der Nacht des Auszugs an ist es ein Geschichtsfest, ja, das Geschichtsfest vor allen Geschichtsfesten der Welt geworden – aber nicht ein Fest der frommen Erinnerung, sondern der immer wiederkehrenden Gegenwärtigkeit des ureinst Geschehenen. Jedes feiernde Geschlecht wird eins mit dem Urgeschlecht und mit allen. Wie in jener Nacht die Sippen der lebenden Volksgemeinschaft sich zusammenschlossen, so schliessen sich alljährlich in der Passahnacht die Generationen des Volkes zusammen. Es ist damals etwas gestiftet worden, was in dem die Anordnung einleitenden Satz »Dieser Monat sei euch ein Haupt von Monaten«, der nicht zur Botschaft ans Volk gehört, also einen esoterischen Charakter zu haben scheint, seinen Ausdruck gefunden hat. Der Satz mag nachträglich sein, eine Kalenderreform, die das Jahr mit dem Frühling beginnen liesse, eine Reform, wie sie in der einen oder anderen Weise mit Religionsstiftungen verbunden zu sein pflegt, mag damals nicht erfolgt sein: die Einsetzung des Passah bedeutet auf jeden Fall eine Ordnung der Naturzeit von der Geschichtszeit aus, die Aufrichtung eines neuen Anfangs.

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Das Wunder am Meer Aus der Mosezeit ist uns ein Lied erhalten (Exodus 15, 21), hymnisch im Ton, aber hebräisch nicht mehr als neun Worte umfassend: »Singet dem JHWH, denn hoch erhob er sich, das Ross und seinen Lenker stürzte er ins Meer«. Auch radikale Kritiker erkennen an, dass es »nur aus der Situation selber geboren sein kann« 61. Die sinnliche Kraft eines Ereignisses ist hineingeströmt und lebt darin; es ist aber in der Geschichte Israels kein anderes Ereignis erfassbar, dessen hymnischer Ausdruck es sein könnte, als das zentrale Ereignis des Auszugs, das grosse Rettungswunder am Meer. An Bild einer geschichtlichen Wirklichkeit wird uns in dem Lied nicht viel gegeben, aber genug: ein Meer, daran eine Israel feindliche Rossmacht – Reiterei oder Wagenpark – und deren Untergang in den Fluten aus einer Menschenkräften nicht zuschreibbaren Ursache. Damit ist uns für dieses Stadium des Auszugs das gewährt, was wir für das erste vermissen mussten: das Dokument der festen Tatsache, um die sich das kristallinische Element jenes bildnerischen Volksgedächtnisses angesetzt hat, das neu und umgestaltend zugleich ist. Das Lied wird Miriam, der Schwester Moses 62, in den Mund gelegt, die eine Nebia, eine Künderin oder Sprecherin, genannt wird, wahrscheinlich eben dieses Liedes wegen, weil sie damit die zweite der beiden prophetischen Grundfunktionen, Tragen des Gotteswortes zur Gemeinschaft und Tragen des Gemeinschaftswortes zu Gott, erfüllt. Das Lied wird von ihr den Frauen der Gemeinschaft vorgesungen, vorgespielt und vorgetanzt, und der Chor der Frauen erwidert mit Gesang, Paukenspiel und Reigen, und all dies ist »dem JHWH« zugedacht, ihm zugewandt und zugeweiht. Das ist ein Vorgang, den man sich, wenn nicht in allen Einzelheiten, so doch im wesentlichen recht wohl als unmittelbar aus der Situation quellend vorstellen kann. Diese Situation selber lässt sich aus der Erzählung nicht rekonstruieren. Um immerhin ein geschichtsmögliches Bild zu gewinnen, müssen wir zunächst die Zahlenangaben über die ausziehenden Stämme (12, 37) sehr stark reduzieren, was der eigentlichen Bedeutung der Begebenheit natürlich keinen Abbruch tut; lässt sich doch die innere Geschichte des Menschengeschlechtes am ehesten in den Handlungen und Erfahrungen kleiner Scharen ergreifen. Sodann ist anzunehmen, dass die Grenzwache den Flüchtlingen oder dafür Gehaltenen nachsetzt, sei es, dass sie von der Hauptstadt aus keine Spezialordre erhalten hat und also den allgemeinen Bestimmungen gemäss militärisch vorgeht, sei es auch, dass (vgl. 14, 5) die Regierung einen Aufschrei des Pharao nicht als gültigen Erlass interpretieren will und am Morgen durch Eilkuriere die nötigen Befehle er-

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teilt. Wo die Verfolger auf die Fliehenden stossen, ob in der Gegend des heutigen Suez oder (etwa bei anderer Gestaltung des Suezbodens als in späterer Zeit) weiter nördlich an einem der Bitterseen oder der sonstigen Binnengewässer – am wahrscheinlichsten am Sirbonischen See – oder gar, wie manche meinen, erst am Golf von Akaba (es ist aber nicht zu begreifen, dass die verfolgenden Wagen die Verfolgten nicht früher erreicht hätten), wissen wir nicht. Wo immer es geschieht, setzt nun ein Naturvorgang oder eine Reihe von Naturvorgängen ein – sei es ein Zusammentreffen von Ebbe und Flut mit ungewöhnlichen Winden, die sie ungeheuer steigern, sei es die Fernwirkung vulkanischer Phänomene auf die Bewegungen des Meeres 63 – die in Verbindung mit einem kühnen Vormarsch der Israeliten und einer Verstörung der Ägypter, deren schwerfällige Streitwagen im Sand oder Sumpf stecken bleiben, die Rettung jener, den Untergang dieser bewirken. Das vom Gesichtspunkt der inneren Geschichte des Menschengeschlechtes Entscheidende aber ist, dass die Kinder Israel dieses Ereignis als Tat ihres Gottes, als »Wunder« verstanden haben – womit nicht gemeint ist, dass sie es als Wunder deuteten, sondern dass sie es als solches erfuhren, es als solches wahrnahmen. Diese gewiss wesentlich auf den persönlichen Einfluss Moses zurückzuführende Wahrnehmungsweise in der Schicksalsstunde hat über das Werden dessen entschieden, was man geistesgeschichtlich »Israel« nennt, über die Entstehung des Elements »Israel« in der Glaubensgeschichte der Menschheit. Der in historischer Betrachtung zulässige Begriff des Wunders lässt sich in seinem Ansatz definieren als ein unaufhebbares Staunen. Der philosophierende und der religiöse Mensch bestaunen beide die Phänomene, aber der eine hebt das Staunen in der ideellen Erkenntnis auf, der andere verbleibt darin, keine Erkenntnis vermag sein Staunen auch nur abzuschwächen, jede kausale Erklärung vertieft ihm nur das Wunder. Die grossen Wendungen in der menschlichen Glaubensgeschichte sind darin begründet, dass jeweils ein Einzelner und eine mit ihm zusammenhängende Gemeinschaft eine Erscheinung der Natur oder eine Begebenheit der Geschichte oder beides in einem, stets aber etwas, was in ihr, dieses Einzelnen, dieser Gemeinschaft Leben schicksalhaft eingreift, unaufhebbar bestaunen, es als Wunder wahrnehmen und erfahren. Dies ist freilich erst der Ansatz des historischen Wunderbegriffs, aber der nicht wegzudenkende. Wunder ist nicht etwas »Übernatürliches« oder »Übergeschichtliches«, sondern ein durchaus in den objektiven Wissenszusammenhang der Natur und der Geschichte einbeziehbares Geschehen, das aber durch seine Lebensbedeutung für den es Aufnehmenden ihm die Sicherheit seines gesamten Wissenszusammenhangs erschüttert und die

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festen Wissensgebilde »Natur« und »Geschichte« zersprengt. Wunder ist einfach das, was geschieht, sofern es dem es als Wunder aufzunehmen bereiten Menschen begegnet. Das Aussergewöhnliche begünstigt diese Begegnung, aber nicht dies zeichnet das Geschehen aus; auch das Gewöhnlichste kann, im Licht der gnädigen Stunde, sich als Wunder erschliessen. Man kann die geschichtliche Wirklichkeit des aus Ägypten ziehenden Israel nicht erfassen, wenn man die Vorstellung des mitgehenden, voranziehenden, führenden Gottes draussen lässt. Das ist dieser »Gott der Väter«, mit dem die Stämme jetzt wieder Kontakt gewonnen haben: von je ein mit den Seinen wandernder, ihnen den Weg weisender Gott, jetzt aber neu vom Geheimnis seines Namens aus als solcher, als der bei den Seinen gegenwärtig Bleibende offenbart. Er führt sie einen anderen Weg als den üblichen der Karawanen und Armeen (13, 17 f.), er hat seine eigenen Führungsgedanken, und wer ihm folgt, gelangt zum Heil. Die Mumie Josefs, die nicht in Ägypten bleiben durfte, gleichsam als ein Sinnbild der Herausholung des ganzen ägyptisierten Israel mit sich tragend, ziehen sie den Weg, auf dem JHWH ihnen voranzieht. Ein Stück in poetischem Rhythmus und Stil (V. 21 f.), entweder Liedrest oder lyrische Steigerung der Erzählung, berichtet davon: »Und JHWH ging vor ihnen, / tags in einer Wolkensäule / sie den Weg zu leiten / und nachts in einer Feuersäule / ihnen zu leuchten / zu gehn tags und nachts. / Nicht weicht die Wolkensäule tags / und die Feuersäule nachts / vor dem Volk«. Unabhängig davon, ob auch hier vulkanische Erscheinungen die Tradition, sei es schon in ihrem Kern, sei es in ihrer Ausgestaltung, beeinflusst haben oder nicht, spürt man, dass das Urphänomen, das in dem offenbar nirgendwoher übernommenen, einzigartigen Bilde den optischen Ausdruck gefunden hat, der Glaube des Menschen Mose an die Führung des Gottes ist, dessen Stimme er aus dem Feuer vernommen hat, und dass dieser Glaube sich, wenn auch in weit geringerem Masse und in wechselnden Graden auf das Volk überträgt. Mose jedenfalls geht, indem er führt, unbefangen und unerschrocken einem Führer nach. Wir mögen es Intuition nennen oder wie immer sonst, er nennt es Gefolgschaft, und wenn wir ihn verstehen wollen, müssen wir sein Selbstverständnis zur Kenntnis nehmen und darauf aufbauen. Seinem Führer nachgehend kommt Mose ans Ufer, so betritt er die nur noch von seichtem Wasser bedeckte Sandfläche, und die Scharen folgen ihm, der dem Gotte folgt. Da geschieht, was geschieht, und es geschieht als Wunder. Nicht darauf kommt es an, ob »viel« oder »wenig«, Ungewöhnliches oder Gewöhnliches, Gewaltiges oder Unscheinbares geschehen ist, sondern einzig darauf, dass das, was geschah, als das Handeln Gottes erfah-

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ren worden ist, während es geschah. Das Volk sah, was immer sonst es sah, »die grosse Hand« (14, 31), und es glaubte an JHWH, vielmehr, richtiger übersetzt, es vertraute JHWH. Wir haben gefunden, dass der in historischer Betrachtung zulässige Begriff des Wunders in seinem Ansatz nichts anderes meint als ein unaufhebbares Staunen. Um aber von diesem Begriff aus zur Vollständigkeit des Wunders zu gelangen, müssen wir etwas hinzufügen, und dieses hinzugefügte Etwas erweist sich als das Wesentliche. Man kann nämlich das, worüber man staunt, einer spezifischen Macht zuschreiben, die also keinen andern Gehalt und Bestand zu haben braucht, als den, Täter dieses Wunders oder dieser Wunderart, gleichsam Subjekt eines Wunders zu sein. Damit hebt man das Staunen nicht auf, man reiht das Ereignis nicht in eine allgemeine Kausalität ein, die es hinreichend erklärt, sondern man setzt dazu einen besonderen Zaubergeist, einen besonderen Dämon, einen besonderen Götzen ein. Er ist ein Götze, eben weil er »besonders« ist. Dies ist es nicht, was die historische Betrachtung mit Wunder meint. Denn wo ein Täter durch andere Täter beschränkt wird, tritt an die Stelle der geläufigen Kausalität nur eine andere, schlechtere, zusammenhanglose. Das wirkliche Wunder bedeutet, dass im staunenden Erfahren des Ereignisses die geläufige Kausalität gleichsam transparent wird und den Anblick einer Sphäre freigibt, in der eine einzige, nicht durch andere beschränkte Macht handelt. Mit dem Wunder leben heisst diese Macht Mal um Mal als die wirkende wiedererkennen. Das ist »die Religion Moses«, des Mannes, der die Nichtigkeit des Zaubers erfuhr, das Dämonische als eine Wirkungsform des Göttlichen erkennen lernte und sah, wie unter den Schlägen des Einen alle Götter Ägyptens vergingen; und das ist Religion überhaupt, sofern sie Wirklichkeit ist. Das Lied der Miriam ist in späterer Zeit allmählich – vermutlich zuerst in den Tagen Samuels, dann in denen Davids oder Salomos 64 – zu einem grossen Hymnus (15, 1-19) ausgebaut worden. Der proklamierende Ausruf, mit dem er schliesst, »JHWH wird König sein in Weltzeit und Ewigkeit!«, spricht aber eine Gesinnung aus, die ihren Ursprung bei Mose selber hat. Wer die eine wirkende Kraft Mal um Mal wiedererkennt, muss wollen, dass alles Leben der Gemeinschaft sich ihr unterwerfe. Das Verb, das wir mit »König sein« übersetzen, malak, ist von dem assyrischen malaku, beraten, beschliessen, entscheiden, aus zu verstehen, und melek ist ursprünglich der, dessen Meinung entscheidet. Daher finden wir bei manchen Westsemiten, offenbar schon aus der vorstaatlichen Zeit herrührend, das Substantiv malk = melek als Bezeichnung des Stammesgottes 65, durch die er als das eigentliche Oberhaupt des Stammes charakterisiert wird. Gewichtiges spricht dafür, dass dies auch für Israel gilt 66.

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Nur hat hier, in Folge der nur hier so aufgeblühten Intensität der Glaubenserfahrung und besonders der eigentümlichen Ausbildung des Nabitums, vor allem aber wohl dank der persönlichen Einwirkung Moses, die Grundanschauung einen Ernst, eine Konkretheit angenommen wie nirgends sonst. JHWH hat Israel mit Wundermacht aus Ägypten geführt, mit Wundermacht führt er es auf seinem Weg zu seinem Ziel, wunderbar geht er ihm voran; wo an einer der Wegstationen Ungewissheit und bange Frage rege wird, ist es seine Wunderweisheit, bei der der Nabi sich Rat holt; so ist er der himmlische, aber gegenwärtige Führer und Entscheider, die eine, durch keine andere beschränkte, wirkende Macht, deren Führung und Entscheidung alle Bereiche des Gemeinschaftslebens untertan sein müssen, der Herr des Wunders, der ewige Melek. Sinnreich steht die Melek-Ausrufung am Schluss des Hymnus, der von dem Wunder am Meere handelt. Unter dem Anhauch dieses Wunders haben die Kinder Israel verstehen gelernt, dass sie einen Gott haben, der, er allein unter all den Schutzgöttern der Völker, wahrhaft das Wunder tut (V. 11) 67, wogegen all die Nachbarn, die keinen solchen Herrn und Führer haben, vom Schrecken ergriffen werden, wenn er handelt (V. 14 ff.): so huldigt ihm Israel als dem, dem allein das Königtum ankommt. Ich habe vorhin Natur und Geschichte dem Wunder gegenüber scheinbar gleichgestellt, aber das sind sie in Wahrheit keineswegs, jedenfalls nicht in biblischer Religion, die eben Geschichtsreligion ist. Natur im griechischen oder chinesischen oder im modern-abendländischen Sinn gibt es hier nicht; was uns an Natur gezeigt wird, ist von der Geschichte geprägt. Schon das Schöpfungswerk hat den geschichtlichen Ton. Vollends innerhalb der historischen Zeit weist Natur stets auf Geschichte hin; Geschichte aber ist biblisch überall wunderhaltig. Propheten und Psalmisten preisen die Taten JHWH’s am Schilfmeer in eben den Bildern kosmischer Kämpfe und Siege, in denen die Gotteswerke der Urzeit verherrlicht werden. Der erschlagene ägyptische »Drache« erwächst zu einem weltgrossen Symbol in dem Drama der Rettung, das die Offenbarung einleitet, aber auch selber schon Offenbarung ist. Denn das Wunder ist hier die Offenbarung durch das Ereignis vor der Offenbarung, durch das Wort.

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In einem anscheinend selbständigen, aus verschiedenen Traditionen zusammengeflossenen und mehrfach überarbeiteten Abschnitt (Exodus 16, 2-36) wird erzählt, wie das Manna – eine nach kristallisiertem Honig schmeckende Sekretion von Schildläusen, die zur Zeit der Aprikosenernte, ein bis zwei Monate lang, die Tamariskenbüsche bedeckt, tags zur Erde tropft und nachts hart wird 68 – »etwas Feines, Schuppiges, fein wie der Reif auf der Erde«, von der hungrigen, sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurücksehnenden Wüstenwanderern gefunden, als Himmelsgabe begrüsst und aufgelesen wird. Eingeflochten ist ein Befehl Moses, am Sabbat nicht aufzulesen, denn dieser Tag sei »eine Feierfrist (schabbathon), ein dem JHWH geheiligtes Feiern (schabbath)«; und bei diesem Befehl beruft sich Mose auf ein Wort, das JHWH gesprochen habe, das aber in der vorhergehenden Erzählung nicht zu finden ist. Hernach spricht JHWH selber: »Seht, dass JHWH euch den Sabbat gegeben hat«. Die Gabe des Manna ist der Anlass, der grösseren Gabe zu gedenken, diese aber ist nicht erst jetzt, sondern schon früher erfolgt. So wird dem eigentlichen Sabbat-Gebot, wie wir es zunächst im Dekalog, dann in verschiedener Form und mit verschiedener Begründung Mal um Mal vernehmen (zusammen mit dem im Manna-Abschnitt sind es sieben ausdrückliche Gebote), mit unverkennbarer Absicht vorgegriffen. Der Sabbat wird nicht erst am Sinai eingesetzt, er ist schon vorher da, es wird nur geboten, seiner zu gedenken; er wird aber auch nicht erst in der Wüste Sin eingesetzt, wo das Manna gefunden wird, auch da wird er als etwas verkündigt, was schon da ist. Und das wunderliche Erzählungsmotiv, das zu dieser Verkündigung führt, dass nämlich am sechsten Tag eine doppelte Menge zu finden gewesen sei, am siebenten aber nicht, weist auf etwas damit Verbundenes hin: der Sabbat ist nicht in der Welt der Menschen allein vorhanden, er waltet auch ausserhalb davon. Hier scheinen mir in seltsamer Form und in seltsamem Zusammenhang sich Spuren einer Tatsache erhalten zu haben. Mose setzt den Sabbat nicht als etwas Neues ein, sondern er erneuert etwas Altes, wahrscheinlich Uraltes, er erweitert und verdichtet es zugleich, er verleiht ihm einen neuen grossen Sinn; zur Erneuerung des Gottesnamens und des Passah tritt hier als Drittes die Erneuerung des Sabbat. Und auch hier vollzieht sich die Erneuerung als Erschliessung: nicht ein Menschengesetz allein wird von Mose im Sabbat gesehen, sondern ein Weltgesetz, das man nur eben entdecken und erschliessen muss. So ist es stets mit den Stiftern gewesen: sie wollten nicht das Neue, sondern das Urzeitige

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und Ewige, das eben von je und je da ist, dem Innersten des Weltseins eingetan, darin von ihnen erschaut, daraus von ihnen offenbart. Sie verstehen sich selbst nicht als Erfinder der Lebensordnungen, die sie bringen, sondern als ihre Finder. Primitiver als so darf man auch Mose, trotz seiner Frühe, nicht sehen; die heute verbreitete Verschiebung ins Primitive ist nicht minder geeignet, die geschichtliche Gestalt zu verwischen als die vorzeiten beliebte Verschiebung ins Mystagogische. Aus Babylon kennen wir das Wort schabattu im Zusammenhang mit bestimmten Tagen des Jahres, die auch als »Beruhigung des Herzens«, nämlich als Tage der Sühne und dadurch der Besänftigung des Götterzorns, bezeichnet werden; ähnlich wurde der Tag der Monatsmitte genannt, der wohl mit dem Vollmondstag identisch ist. Dazu kommt, dass unter den »bösen Tagen« oder »Zornestagen« im Monat vier auf den siebenten, vierzehnten usw. fallen. Im Übrigen ist die Sieben in Babylon nicht bloss, wie bei den Semiten im allgemeinen und anderen Völkern, eine heilige Zahl, sondern es ist mit ihr auch der Begriff der umfassenden Ganzheit in Raum und Zeit verknüpft 69; es mag daher jenen kritischen Tagen die Vorstellung der Wiederherstellung einer verletzten Integrität, die Vorstellung des Zurechtbringens zugrundeliegen. Von alledem ist der israelitische Sabbat nicht abzuleiten. Man hat nicht beweisen können, dass er ursprünglich das Vollmondsfest gewesen sei 70 (ebenso ist ein frühisraelitischer Mondkult nicht nachzuweisen, vielmehr scheint die Väterreligion gerade von einer Absage an den Kult des planet of way for the wayfaring Semitic race 71 und dem Übergang zum Kult des unsichtbaren Führers zu verstehen zu sein): er wird neben dem Neumond genannt, weil beide zusammen den festlichen Rhythmus des Jahres in Wochen und Monaten bezeichnen; und ebenso ist es nicht gelungen, hinter dem Freudenfest (Hosea 2, 13) der ganzen Gemeinschaft, von den Hausvätern bis zu Knechten und Vieh, einen Tag der Busse und Sühne zu entdecken. Von den babylonischen Unglückstagen lesen wir, dass an ihnen der König, der Orakelpriester, der Arzt ihre wichtigsten Tätigkeiten unterlassen sollen, natürlich weil sie nur Unheil bewirken würden, dem König sind auch trauerartige Enthaltungen vorgeschrieben; in Israel ist dagegen kein Beleg zu finden, dass hier das Ruhen des ganzen Volkes, ja alles Erschaffenen am Sabbat jemals ein negatives Motiv gehabt hätte. Gemeinsam ist Babylon und Israel das Wort, von dem wir dort nicht recht wissen, was es bedeutet, »aufhören« oder »aufhören machen« oder sonst etwas, wogegen das hebräische Verb schabath eindeutig meint: einer Handlung oder eines Zustands entledigt sein, etwas nicht mehr tun oder nicht mehr sein, also nicht etwa ruhen

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oder auch etwas unterlassen, sondern das Wesentliche ist das Vorübersein einer Tätigkeit oder Funktion, das Nicht-mehr. All dies zusammengefasst rechtfertigt die Annahme keineswegs, dass der israelitische Sabbat der babylonischen Kultur entlehnt sei 72. Vielmehr weist uns das Material hüben und drüben auf einen gemeinsamen Ursprung hin: eine gemeinsemitische Konzeption einer qualitativen Verschiedenheit zwischen je sechs Tagen einerseits und einem siebenten anderseits, dazu noch ein Tagesname, der aber nicht an jene Konzeption gebunden, sondern von ihr unabhängig ist. An diesem ursprünglichen Bestand scheint sich in Babylon und in Israel eine nahezu gegensätzliche Entwicklung vollzogen zu haben: dort ist der siebente Tag – der nicht Sabbat heisst – der der Labilität, der Gefährdung, der dringenden Notwendigkeit, die zürnenden Götter alsbald zu versöhnen, hier ist er der Tag der Stabilität, der ungetrübten Weihe, des vollkommenen Friedens zwischen Himmel und Erde. Und dieses Ruhigwerden, diese Befriedung der Schöpfung ist als gleichmässig durchs ganze Jahr und durch alle Jahre der Weltzeit laufender Rhythmus gedacht. In Israel und, soviel wir wissen, in Israel allein entsteht die Siebenerwoche, als der ewig wiederkehrende Lauf der Mühsal zu ihrer Stillung und der Störungen zur Harmonie. Mose hat den Sabbat in Israel offenbar in irgendeiner, wohl noch recht elementaren Form schon vorgefunden. Vermutlich sind ihm auch in Midian verwandte Bräuche begegnet, und er selber als Hirt mag dort an jedem siebenten Tag bestimmte Riten eingehalten haben. Er hat das Vorgefundene ergriffen, um das schon für den Anfang seines Stiftungswerkes Notwendige zu schaffen: eine heilige Ordnung der Zeit. Den Menschen, die wir Religionsstifter nennen, ist es ja nicht darum zu tun, eine Religion zu stiften, sondern darum, eine Menschenwelt unter einer göttlichen Wahrheit zu ordnen, die Wege der Erde mit denen des Himmels zu vereinigen; und dazu gehört ganz wesentlich, dass die Zeit, die an sich nur durch die kosmischen Rhythmen, durch Sonnenwandel und Mondphasen gegliedert ist, in einem Höchsten, in einer auch das Kosmische noch übergreifenden Heiligkeit verfestigt werde. So setzt Mose den Sabbat und mit ihm die im Sabbat mündende Woche als das göttliche Mass ein, das das Leben des Menschenvolkes regelt. Aber der Gott, dessen Mass es ist, ist eben der, der sich des Menschenvolks annimmt, ihm beisteht, es befreit, ihm zum Heil verhilft. So kann die Sabbatwoche nicht das »absolute Metrum der Zeit« 73 allein sein, sie ist mit Notwendigkeit auch der immerwiederkehrende Weg zum Frieden Gottes. Der entscheidende Schritt ist: der Siebente, der wohl auch bis dahin als »heilig«, d. h. als aus dem Allgemeinen, aus der Reihe der Tage heraus-

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gehoben galt und demgemäss mit besonderen Tabu-Arten bedacht war, sollte nun ganz dem JHWH gehören, er sollte »dem JHWH heilig« sein. Wie der Herdenzüchter am Passah die Erstgeburt jeder Herde dem Gotte darbrachte, so sollte ihm gleichsam auch von der Zeit eine Abgabe gebracht werden, der je siebente Tag. Er war hinfort nicht mehr an sich »heilig«, nicht mehr ein unheimlicher, magiegeladener, mit allerhand negativen und positiven Riten der Scheu und Vorsicht zu behandelnder Tag, sondern er war geheiligt, dadurch eben, dass er JHWH geheiligt war, er war durch ihn, durch die Berührung mit ihm geheiligt. Und dieser Gott hatte zwar alle Dämonie in sich absorbiert, aber wer mit ihm Gemeinschaft hielt, war von aller Dämonie befreit, und die ihm geheiligten Siebenertage waren Zeiten der Freude. Aus der Heiligung des Tages ergab sich eine gewisse auch im nomadischen Dasein mögliche Beschränkung der Arbeit. Um für JHWH da zu sein, musste man, so sehr man konnte, aus dem gewohnten Arbeitsbetriebe treten. Man tat nur noch das Unerlässliche, dann reinigte man sich, man legte das Festgewand an, man versammelte sich um heilige Embleme, und indem man zu JHWH kam, kam man zueinander. Wir können uns von der mosaischen Begehung des Sabbats kein Bild machen, aber das ist offenbar: wieder war hier ein grosser Schritt zur Einung des Volkes, zum Werden der Volksgemeinschaft getan, und wieder auf dem Weg der institutionellen Sammlung Israels um seinen Gott. Mit der Stiftung des Sabbat als Tag JHWH’s und seiner Gemeinschaft war ein Doppeltes angelegt, was sich nun entfalten konnte: ein kosmischer und ein sozialer Gehalt. Die Ergebnisse beider Entwicklungen liegen in zwei Sätzen (Exodus 23, 12 und 31, 17) vor, die offenbar aufeinander bezogen sind: ihre gegenwärtige Form, auf jeden Fall die des einen von ihnen, ist dadurch beeinflusst worden, dass sie einander zu ergänzen bestimmt waren, und dass die Leser des einen sogleich an den andern erinnert werden sollten. In dem einen wird geboten, am siebenten Tag zu feiern, »damit ruhe dein Ochs und dein Esel und verschnaufe der Sohn deiner Magd und der Gastsasse«. In dem andern bezeichnet JHWH den Sabbat als »Zeichen« zwischen ihm und den Kindern Israel, eine Verleiblichung und Vergegenwärtigung dessen, »dass sechs Tage JHWH den Himmel und die Erde machte und am siebenten Tage feierte und verschnaufte«; so solle auch Israel, dem immer wieder geboten wird, in den Wegen seines Gottes zu gehen, sechs Tage »Arbeit machen« und am siebenten Tage den Sabbat halten (31, 15). Man pflegt den ersten der beiden Sprüche, in seinem Charakter als Bestandteil des »Bundesbuchs«, als früh, wenn nicht geradezu als mosaisch anzusehen, wogegen der zweite, den man der »Priesterschrift« zuzählt, als sehr spät gilt. Die frühe

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Herkunft des ersten scheint auch mir zweifellos, aber der zweite, offenbar unter seinem Einfluss entstandene, stammt ersichtlich aus einer Zeit, die vor kühnen Anthropomorphismen noch nicht zurückschreckte, wenn es darauf ankam, etwas Grundwichtiges auf diese Weise zu unmittelbarem Gefühl zu bringen. Und darauf eben kam es hier an. Das äusserst selten vorkommende Verb, das verschnaufen oder aufatmen bedeutet, wird von dem Feiern JHWH’s nach der Weltschöpfung ausgesagt, um jenem ersten Spruch noch grösseren Nachdruck zu verleihen, indem Gott gleichsam auf die gleiche Ebene mit dem abhängigsten und am wenigsten geschützten Menschenwesen gestellt wird: auch dem in die Hausgemeinschaft aufgenommenen Sklaven, auch dem in die Volksgemeinschaft aufgenommenen Fremden, dem »Ger«, d. h. Gastsassen, soll die Gottesruhe offenstehen, auch ihnen soll gewährt sein, mit JHWH gemeinsam seinen Tag zu feiern. Der Sabbat ist allen gemeinsames Gut, alle ohne Einschränkung sollen ihn geniessen. Wann immer aber der eine Spruch, wann immer der andere niedergeschrieben worden ist, in beiden spricht Geist vom Geiste Moses. Man kann sich von dem Manne kein zulängliches Bild machen, wenn man nicht berücksichtigt, dass er von Anbeginn um das Kommen der Gerechtigkeit streitet; die Herrschaft seines Gottes und die gerechte Ordnung zwischen den Menschen sind ihm eins; auch als Gesetzgeber will er dem Unfreien, dem Exponierten zu seinem Recht verhelfen. Zu seinem grossen Gedanken der Sabbatruhe gehört es unabtrennbar, dass alle, Freie und Unfreie, die aus Abrahams Samen und die ihnen angeschlossenen Fremden, miteinander vereint sind; an dem einen Tag in jeder Woche, am Tag der Gemeinschaft mit JHWH, muss zwischen allen die Gemeinschaft der Gottesmusse und der Gottesfreude walten. Aber auch die Lehre von der Beziehung zwischen Sabbat und Weltschöpfung scheint mir von Mose nicht zu trennen zu sein. Soll die Sabbatwoche wahrhaft die Weltzeit gliedern, so kann sie nicht erst in einem bestimmten Augenblick in diese eintreten, sie kann vielmehr in diesem Augenblick nur entdeckt und offenbart werden als etwas, was von je da war; das heisst, sie muss im Weltanfang selber wurzeln, ja die Erschaffung der Welt selber muss solch eine Woche sein und in solch einem Sabbat münden. Gleichviel welcher Epoche wir die Abfassung des ersten Kapitels der Genesis zuzuschreiben haben (und zweifellos trägt es das Gepräge eines Zeitalters reifer tektonischer Kunst), die Vorstellung des Schöpfungswerks selbst gehört zur Frühzeit der Menschheit. Die ägyptischen Mythen, in deren Atmosphäre Mose aufwuchs, kennen sie ebenso wie die babylonischen, die direkt oder indirekt auf die »Väter« eingewirkt haben mögen, und auch der Priester in Midian wird davon zu erzählen gewusst haben. Sollte da Mose, den wir, wenn wir alle legen-

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dären Züge abziehen, als die Geisteskraft erkennen, in der der Alte Orient an seinem Ausgang sich sammelt und sich überwindet, in der Stille der Steppe nicht all die Mythen an der eigenen Gottesahnung geprüft und die eigene Einsicht gewonnen, sollte er die gewiss schon damals in ihm reifende Konzeption der Sabbatwoche nicht mit dieser seiner Einsicht verschmolzen haben? Der Gott, der Himmel und Erde »macht« und dazu auch den Menschen, dass er nun das Seine »mache«, der Gott, der in der Vollendung des Werkes ruht und will, dass in alle Zukunft, Sabbat um Sabbat, der Mensch mit ihm ruhe, das ist kein Gebilde einer späten Priesterspekulation: Saft eines frühen elementar lebenden Menschentums ist in der Vision, und es bedarf keiner geringeren Person als Mose, um sie in die Welt des Wortes einzusetzen.

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Die Murrenden

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Schon aus Ägypten wird uns erzählt, dass knapp nachdem das Volk der Botschaft Moses Glauben geschenkt und sich vor JHWH niedergeworfen hat (Exodus 4, 31), beim ersten Misserfolg die Volksvertreter bereits über die Gottesgesandten herfallen und sie mit einem Gottesgericht bedrohen (5, 20 f.). Am Schilfmeer, da das Volk die ägyptischen Streitwagen herankommen sieht, schreit es zwar zu JHWH, dann aber hadert es mit Mose, in einer vom Erzähler kunstvoll komponierten kleinen Rede (14, 11 f.), die in echt biblischem Stil den Gegensatz Ägypten-Wüste dadurch hervortreten lässt, dass von den sieben Gliedern der Rede fünf mit dem Wort »Ägypten« und zwei mit dem Wort »Wüste« enden: das Sklavenleben in Ägypten dünkt sie besser als der Tod in der Wüste. Nach dem grossen Wunder »vertrauen« sie wieder »JHWH und seinem Knecht Mose« (V. 31); aber kaum sind sie drei Tage durch wasserlose Wüste gegangen: schon »murren« sie wieder (15, 24), und diesmal, ohne zu JHWH zu schreien; vielmehr ist es diesmal Mose, der dies um ihretwillen tut (V. 25) und Erhörung findet. Dies aber ist nur die erste von drei Stationen des Murrens zwischen Meer und Sinai. Die zweite ist die, an der sie nach dem »Fleischkessel« zurückverlangen (16, 3). Und alsbald folgt die dritte (17, 2 f.), wo sich, wieder wegen Wassermangels, das Hadern noch steigert. »Noch ein weniges und sie steinigen mich!«, spricht Mose zu Gott. Und so geht es fortan weiter, bis in die grosse Auflehnung nach dem Bericht der Kundschafter, wo das Volk davon redet, sich ein neues Oberhaupt zu geben und nach Ägypten zurückzukehren (Numeri 14, 4), und was darauf noch folgt. Dass unter diesen Erzählungen manche lediglich »Doubletten«, also auf verschiedene Überlieferungen derselben Begebenheit zurückzuführen sind, ist wahrscheinlich; auch ist zu dem traditionsechten Stoff gewiss allerhand Fiktives, sei es volkstümlicher, sei es literarischer Art, hinzugekommen. Eine Möglichkeit, hier Geschichtsnahes und Geschichtsfernes zu unterscheiden, ist uns nur in beschränktem Masse gegeben. Aber der Grundcharakter des Vorgangs hat ein starkes Wirklichkeitsgepräge. Gewiss mag bei seiner Ausgestaltung manche spätere prophetische Erfahrung mit dem »starrnackigen Volke« mitgewirkt haben; aber gerade die uns bekannte häufige Wiederkehr solcher Erfahrungen rechtfertigt die Annahme, dass ihre Reihe schon früh begonnen hat. Nur dass freilich zwischen diesen »Männern des Geistes« und Mose – abgesehen von allen sonstigen Verschiedenheiten – ein historisch grundwichtiger Unterschied besteht: sie sind machtlose, amtlose Sprecher des Himmels, er aber ist zwar von oben gesendet wie sie, aber nicht zum Wort allein, auch

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zum Werk – er ist der beauftragte Führer von Israel. Bei den Propheten ist der eigentliche Konflikt nicht einer mit dem Volk, sondern einer mit den Machthabern, und naturgemäss hält es das Volk, wenn es auch die nach Gerechtigkeit Rufenden insgeheim ernährt, offen mit den Machthabern: der heimliche Bund, der zwischen den unterdrückten Volksschichten und dem fordernden Geist besteht, wirkt sich hier wie so oft nicht aus, und die »Starrnackigkeit« kann nicht bloss im Palast, sondern auch auf dem Marktplatz hemmungslos zum Ausdruck gelangen. Ganz anders ist die Situation bei Mose. Er ist eben selber der Inhaber der Macht; aber seine Macht ist eine problematische. Er ist der Führer, der für sich keine Herrschaft beansprucht, und zwar offenbar aus einer Gesinnung, in der verschiedene Motive zusammenfliessen. Dem einen können wir nachgehen, wenn wir uns gegenwärtig halten, was wir von dem Widerstreben beduinischer Stämme, schon in vorislamischer Zeit, gegen die Verleihung unbeschränkter Autorität an einen Einzelnen und insbesondere gegen jede Stabilisierung der Herrschaft wissen, von ihrer Neigung zu einem »Gemeinwesen ohne Obrigkeit«, wie es Wellhausen einmal in einer beachtenswerten Rede 74 genannt hat; es liegt nah anzunehmen, dass Mose in Midian von dieser Grundhaltung stark beeinflusst worden ist und dass ein biographisch wohlverständliches antipharaonisches Gefühl ihre Weiterbildung begünstigt hat. Das andere Motiv, auf das ich schon hingedeutet habe und das uns noch beschäftigen wird, ist genetisch schwieriger zu erfassen: es ist der leidenschaftliche Wunsch, mit dem Glauben an die irdische Herrschaft des Gottes, wie er in mannigfachen Formen und Zusammenhängen im Alten Orient, darunter auch in Südarabien begegnet 75, politischen Ernst zu machen. Der strenge und tiefe Realismus Moses, der nicht duldet, dass wie anderswo eine sakrale Symbolik die faktische Verwirklichung seines Glaubens ersetze oder verdränge, bestimmt die Art der Machtordnung: die Macht liegt in den Händen des »charismatischen« Führers, der vom Gott geführt wird, und eben deshalb darf diese Macht nicht zur Herrschaft werden, die dem Gott vorbehalten ist. Der Spruch, mit dem Jahrhunderte später Gideon die ihm angebotene Krone ausschlägt (Richter 8, 23), »Nicht ich werde über euch walten und nicht mein Sohn wird über euch walten, JHWH wird über euch walten«, eine Äusserung, die mir unverkennbar nach Geschichte schmeckt 76, scheint mir hier ihren Ursprung zu haben. Auch hierzu bieten sich frühe arabische Parallelen. Aber die Doppeltendenz, von der wir reden, birgt Gefahren, die sich gegen ihre Erfüllung kehren. Der unbändige Unabhängigkeitsdrang, den die halbnomadischen Israeliten der Frühzeit mit den Beduinen gemeinsam haben, führt immer wieder zu einem seltsamen Missverstehen der charismatischen Idee: nur so-

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lang der Führer Erfolg hat, sieht man ihn mit der Vollmacht des Himmels ausgestattet; sowie ihm aber etwas missrät oder auch nur ungute Umstände eintreten, erblickt man alsbald gleichsam eine Kluft, die sich zwischen ihm und dem Gotte auftut, und man appelliert an diesen gegen seinen unwürdigen, weil missgeschickten Vertreter, wenn man es nicht etwa gar vorzieht, aus dem Missgeschick zu folgern, dass man sich auf die Gunst JHWH’s, ja auf seine Treue nicht verlassen könne. Ist doch immer und überall in der Religionsgeschichte dies das grösste Hindernis eines beständigen Glaubenslebens, dass man Gott mit dem Erfolg identifiziert. In der biblischen Erzählung von Auszug und Wüstenwanderung verschärft sich dies noch in einer eigentümlichen Weise. Mose ist ein nie aussetzender, nie bis zur Verzweiflung enttäuschter Kämpfer gegen die »Starrnackigkeit«, d. h. gegen die Erfolgsucht Israels. Gewiss, die ungewohnten, die auch ohnedies übermässigen Entbehrungen des Wegs machen das Volk schwer leiden, aber geschichtliche Tat bedeutet stets Überwindung des Leidens, des dazu gehörigen Leidens der menschlichen Kreatur. Man darf über dem majestätischen Mose der abendländischen Kunsttradition den mit dem Volke leidenden nicht vergessen: in einer Weise, die kein Erzähler ersinnen kann, sehen wir ihn das, was das Volk leidet, tiefer als es erleiden und sehen ihn um die Überwindung ringen. Gewiss, er redet zuweilen kleinmenschlich und fast privat: »Noch ein weniges, und sie steinigen mich«, aber er steigt mit der steigenden Stunde, und in der äussersten, in der auf die grosse Versündigung des Volkes folgenden, da er es wagt, wie einst Abraham JHWH an seine Gerechtigkeit erinnerte, ihn seiner Treue zu gemahnen, sagt er das verwegene Wort (Exodus 32, 32): »Nun denn, wenn du ihre Sünde tragen willst … ! Wenn aber nicht, lösche mich doch aus deinem Buch!« Und dass er dies gesprochen, dies getan hat, ermöglicht ihm bald darauf, noch höher zu steigen und seinen Gott mit einem unüberbietbaren Wort, einem Wort der intimsten Erkenntnis und des intimsten Vordringens anzureden (34, 9): »Ja, ein Volk starr von Nacken ist es – so verzeihe unserer Verfehlung!« Weil das Volk starrnackig ist, soll Gott verzeihen. Gewiss, das erklärt sich zunächst so, dass, wo ein Mensch oder ein Volk eben so ist wie es ist, sozusagen eben nichts anderes übrig bleibt, als dass Gott verzeihe. Aber darf man es nicht anders, darf man es nicht von der Tiefe des Tatbestandes aus verstehen? Ihrer geläufigen äusseren Beschaffenheit nach bedeutet die Starrnackigkeit Erfolgsucht und rebellischen Sinn; aber es steckt eine geheime Tugend darin, die nur selten zu Tage tritt. Das ist jene heilige Dreistigkeit, die das Volk befähigt, als Volk seine Glaubenstaten zu tun. Hier werden Mose und Israel eins, und er vertritt es wahrhaft vor JHWH.

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Wohl, all das sind offenbar Versuche des Schrifttums, fast verwehte Fußspuren nachzuzeichnen. Aber dieser Sachverhalt genügt, um uns zu erlauben, sie mit behutsamer Hand zum Bild mitzuverwenden.

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Auf die ermattet durch die Wüste ziehende Schar stösst plötzlich ein wilder Beduinenstamm ein, vermutlich um rechtzeitig durch Angriff einem Betreten seines Weidelandes vorzubeugen, aber bei solchen Gelegenheiten die eigene Herde zu vergrössern gehört gewiss zu seinem Lebensgeschäft. Diese Amalekiter, die sich wohl selber den »Erstling der Völker« nannten und daher auch dafür galten (Numeri 24, 20), gewiss aber ein sehr altes Volk waren, wachten, wie noch heute die Beduinen jener Gegend, eifersüchtig über den Zugängen zu ihrem Gebiet, drangen aber gern in fremdes ein und holten sich seine Ernte. Es gelingt ihnen nun durch ihre Überraschungsstrategie, einen Teil des israelitischen Heeres, der sich erschöpft hinter dem Hauptzuge herschleppte, abzuschneiden und zu vernichten, was allgemein als gegen die »Gottesfurcht« (Deuteronomium 25, 18) gehend angesehen wurde, d. h. gegen den Völkerbrauch, zurückgebliebene Kampfunfähige zu schonen. Aber in der Nacht, als sie die Beute teilen und vorerst nicht an weitere Unternehmungen denken, befiehlt Mose, der die Lage übersieht, seinem »Diener«, d. h. seinem Adjutanten und persönlichen Vertreter (so wird auch Elisa im Verhältnis zu Elia genannt) Josua 77 – der in dieser Erzählung zum ersten Mal genannt wird – sogleich einen erlesenen Kerntrupp zusammenzurufen und am frühen Morgen das Lager der Amalekiter zu überfallen. Er selber aber, Mose, stellt sich im Augenblick, da es der Mannschaft bereits gelungen ist, unbemerkt an den Feind heranzukommen, auf einen benachbarten Hügel, den »Gottesstab« in seiner Hand, und hält, solange es ihm seine Kräfte erlauben, die Hand erhoben. »Und es geschah, wie Mose seine Hand aufreckte, überwog Israel, und wie er seine Hand ausruhte, überwog Amalek« (Exodus 17, 11). Man stützt ihm die schwer gewordene Hand (der hier erst auftretende Plural »Hände«, der Mose ausser der den Stab haltenden Rechten auch noch die Linke erheben lässt, ist als Änderung eines Bearbeiters erkennbar, der die Haltung als Gebetshaltung missverstand), und nun bleibt seine Hand emunah, d. h. Festigkeit, Treue, bis zum Sonnenuntergang der Sieg erfochten ist. Einem Zusatzbericht nach baut Mose einen Altar, und der Ruf, den er – wie es nach vollendetem Altarbau üblich war – darüber ausruft (V. 16), ist: »›JHWH‹ ist mein Banner!« Eine Bannerstange war der erhobene Stab, aber das wahre Banner ist der Name JHWH, der mit seiner Bürgschaft der göttlichen Gegenwart den Stab beseelt und ermächtigt. Der Stab Moses ist ursprünglich kein Zauberstab. Es ist der Hirtenstab, der in seiner Hand war, als er auf den brennenden Busch traf (wir hören davon nur aus dem Zusatz, aber das Motiv darf der ältesten Traditions-

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schicht zugezählt werden), und er ist, als er den »heiligen Boden« berührte, zum »Gottesstab« geworden, wie Mose in jener Stunde zum »Gottesmann« (Deuteronomium 33, 1) wurde. Dass man ihm schon zu Moses Zeit magische Kräfte zuschrieb, ist wahrscheinlich genug. Aber den wesentlichen Ursprung hat dies wohl in der wirklichen Funktion des Stabs als Signal- oder Kundgebungs-Stab, als was er in der Erzählung von der Amalek-Schlacht erscheint; der Glaube an die vermeintliche Macht eines Menschen über Dinge hat seine stärksten Wurzeln in der faktischen Macht dieses Menschen über lebende Wesen, und das bezieht sich auch auf das zeichengebende oder auch nur einfach den Machtkontakt darstellende Gerät, dessen er sich bedient. Zum »Symbol der einfachsten Herrschaft in ihrer Urform unter nomadischen Steppenvölkern, wie sie noch jetzt in dem Hochlande Asiens umherziehen« 78, ist der Stab nicht bloss deshalb geworden, wie Lobeck meint, weil das Verhältnis des Hirten zur Herde sich sinnbildlich auf das des Herrschers zu den Beherrschten übertrug, sondern vor allem, weil er das natürliche Werkzeug ist, in dem sich die Machtwirkung eines Menschen auf eine Menschengruppe gleichsam konzentriert. Dieser Mensch erhebt den Stab über der in Bewegung gesetzten Schar, und aller Blicke haften daran, wie die der Musiker am Stab des Dirigenten. Aber die Musiker fühlen sich ja, auch wenn sie nicht hinsehen, gelenkt und gefestigt: die Kämpfer brauchen den Stab des Feldherrn nicht anzusehn, um von ihm zum Siege geführt zu werden, die gebietende Seelensubstanz, die in den Stab einströmt, strömt von ihm durch die Ferne ihren Herzen ein, und auch noch von einem Namenlosen getragen, weht das Banner begeisternd über dem stürmenden Heer, Zeichen und Kundgebung eben der Macht, die auch den Führer bewegt. Und hier waltet eine urzeitliche Kraft der sinnbildlichen Funktion: Erhebung des Stabs setzt sich in den elementaren Willen zum Obensein, zum »Überwiegen«, zum Obsiegen, ja in die Fähigkeit dazu um. So auch ist es zu verstehen, dass von der Hand Mose gesagt wird, sie sei emunah gewesen: sie war das feste und festigende Organ der Kundgebung, des Machtgebots, der Machtverleihung. Emunah bedeutet hier geradezu: zuverlässiges Signal. Der zeitlichen Reihenfolge der Begebenheiten nach gehört die Erzählung von dem Sieg über Amalek, deren Geschichtskern nicht anzuzweifeln ist, sicherlich an eine spätere Stelle, da es offenbar der Zugang zu Kadesch ist, der hier erkämpft wird. Aber der Ort, an dem sie steht, ist sinnreich. Die Schlacht wollte man an derselben Wegstation stattgefunden haben lassen, von der jenes gesteigerte Murren des Volkes berichtet worden ist. Wie sehr es auch murrt – das ist es, was uns gesagt wird – der wahre Zusammenhang zwischen ihm und Mose ist doch so gewaltig, wie

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er sich in diesem Bild der erhobenen Hand und der obsiegenden Schar zeigt. Von einem ostjordanischen Stamm der Gegenwart hören wir 79, dass ihn auf seinen Kriegszügen immer ein »Wissender« begleitete, der vor der Schlacht um Rat gefragt wurde, den Anführer auf den günstigen Augenblick zum Angriff aufmerksam machte und während des Kampfes oft mit seinem Stab Linien zog, die der Feind nicht überschreiten durfte; der Stamm hatte ihm manchen Sieg zu verdanken. In Mose ist uns einer jener in der ganzen Weltgeschichte seltenen Fälle gegeben, wo der »Wissende« zugleich der Führer ist. Am Schluss des Abschnitts wird erzählt, Mose habe, nachdem er über dem neu erbauten Altar ausgerufen hat: »›JHWH‹ ist mein Banner!«, noch einen Spruch gesagt. Wörtlich übersetzt scheint er etwa zu lauten 80: »Ja, Hand an den Thron, Jah! Krieg hat JHWH mit Amalek Geschlecht um Geschlecht!« Es ist JHWH’s eigener Krieg, weil, soweit man jenem anscheinend frühen Wort des Deuteronomiums folgen darf, dieser Stamm sich, indem er Wehrlose hinmetzelt, gegen die primitivste »Gottesfurcht« vergeht, ohne die kein Volk bestehen darf und kann. Vorher hatte JHWH selbst erklärt und es schriftlicher und mündlicher Überlieferung zugleich anbefohlen: »Ja, löschen, löschen will ich das Gedächtnis Amaleks von unterm Himmel hinweg«. Jener Spruch lässt also Mose für Israel sich mit JHWH zur Ausführung dieses Wortes verbünden, und wir wissen ja, wie hernach der Krieg mit Amalek immer wieder aufflackert, bis zu Sauls und Davids Siegen. Mose ruft dem uns vorliegenden Text nach JHWH an (in dem Kurznamen »Jah«, der fast nur in Gesängen und gesangartigen Sprüchen vorkommt, schwingt noch der alte Rufcharakter des Gottesnamens nach) die Hand an den Thron zu legen und den Schwur zu schwören, in den Israel einstimmt. Aber – abgesehen davon, dass die Wortform, die mit »Thron« wiedergegeben wird, kes statt kise, nur hier vorkommt und dass die Vorstellung der »an den Thron« gelegten Hand seltsam ist, soll doch offenbar dadurch, wie sonst in solchen Fällen, der vorangegangene Ruf, die Namengebung an den Altar »›JHWH‹ ist mein Banner!«, ergänzt werden, und Bannerstange oder Banner heisst nes. So ist denn doch wohl – zumal die beiden Buchstaben leicht zu verwechseln sind – der überwiegend angenommenen Emendation beizustimmen und zu verstehen: »Die Hand an die Bannerstange Jah’s.« Mose legt die Hand an den Gottesstab, der in der Schlacht zur Bannerstange Gottes geworden ist, und schwört; er schwört für Israel, kämpfend Ihm zu folgen, dessen Name das wahre Banner ist. Der Wissende weiss, was ihm zu wissen gegeben ist; der Führende führt, wohin er führen soll.

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Jethro »Und Jethro, der Priester von Midian, der Schwiegervater Moses, hörte … Und Jethro, der Schwiegervater Moses, nahm … Und Jethro, der Schwiegervater Moses, kam …« Der gehobene dreifache Auftakt der Erzählung weist nicht bloss auf die Wichtigkeit hin, die sie in den Augen des Erzählers hat. Noch zehnmal wird in diesem Abschnitt Jethro als Moses Schwiegervater bezeichnet, aber nicht ein einziges Mal mehr kehrt sein Priestertitel wieder. Es ist, als wolle der Erzähler jener Auffassung des Vorgangs vorbeugen, die in der modernen Bibelwissenschaft häufig geworden ist, dass damals nämlich Israel zugleich mit der Schliessung eines Bündnisses mit den Kenitern sich auch dem Gotte zugewandt habe, »in der Person Aarons und aller Ältesten Israels, die hier zum ersten Mal in ihrem Leben an einem feierlichen Jahweopfer teilnahmen«, und damit »das älteste Beispiel des Übertritts, der Bekehrung zu einer anderen Religion« vollzogen habe, das wir kennen 81. Auf den biblischen Erzähler kann sich diese Auffassung nicht berufen. Er teilt uns auf seine besondere nachdrückliche Weise mit, dass Jethro zu Israel nicht als der Priester von Midian, sondern als Schwiegervater Moses kommt, und auch was sonst noch erzählt wird, kann für die Keniter-Hypothese nur durch eine den Text mehr verwendende als erklärende Art von Exegese ausgenützt werden. Dass die Erzählung hier und nicht, da sie doch schon »am Gottesberg« (Exodus 18, 5) spielt, erst an einer späteren Stelle steht 82, ist anscheinend wieder einem bestimmten Beweggrund des Redaktors zu verdanken: er will hier, sogleich nach der Amalekiterschlacht, uns zeigen, wie tiefgehend zwischen den Amalekitern und Kenitern historisch zu unterscheiden sei, im Hinblick darauf, dass dieser Stamm oder ein Teil von ihm sich später vorübergehend jenem anschloss (vgl. I Samuel 15, 6). Aber auch schon dem Erzähler selbst kommt es ersichtlich darauf an, die Begegnung in starken und feierlichen Farben zu schildern, vielleicht weil er erklären will, woher es kam, dass in der Königszeit Keniter für JHWH eiferten (II Könige 10, 15 f., 23). Dabei betont er aber das Familienmotiv, wieder durch dreimalige Hervorhebung des Umstands, dass Jethro seinem Schwiegersohn dessen Frau und Söhne bringt; er oder der Redaktor setzt ausgesprochenerweise (Exodus 18, 2) voraus, dass Mose seine Angehörigen vorher, wohl von Ägypten aus, nach Midian gesandt habe. Nach einer eindringlich beschriebenen Begrüssung gehen die beiden, der welterfahrene Scheich und sein waghalsiger Schüler, in das Zelt, und Mose erzählt, was zu erzählen ist, und wovon die Kunde bereits nach Midian gelangt war. Jethro preist JHWH für das, was er an Ägypten getan

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hat – wieder auffallende dreimalige Nennung Ägyptens als des gemeinsamen Feindes – und bekennt (V. 11): »Jetzt habe ich erkannt, dass JHWH grösser als alle Götter ist«. Das Wort elohim, das sowohl Götter wie Gott bedeutet, wird nun zum zunächst dreifach, später siebenfach wiederkehrenden Leitwort, das offenbar darauf hinweisen soll, noch seien trotz allem der Keniter und der Israelit nur erst in der den Völkern gemeinsamen Elohim-Konzeption, noch nicht im Wissen um JHWH miteinander verbunden: Jethro holt Opfervieh, anscheinend von ihm mitgebrachtes, »für Elohim«, und danach isst er mit den herbeigekommenen Ältesten Israels das Opfer- und Bundesmahl »vor Elohim«. Die Tatsache, dass nur an dieser einen Stelle von einem Opfer an Elohim, statt wie sonst an JHWH, in Israel berichtet wird, dient dazu, die Einzigartigkeit des Vorgangs zu beleuchten. »This action«, erklären die Anhänger der Keniter-Hypothese 83, »is incomprehensible except on the supposition that Yahweh was the god of Jethro and his tribe, the Kenites, and that Jethro himself was Yahweh’s priest.« Vielmehr wird gerade bei dieser Annahme der Vorgang unverständlich. Man umschreibt Jethros Preisung des Gottes dahin 84, er habe seiner stolzen Freude Ausdruck gegeben, dass sein Gott sich mächtiger als alle anderen erwiesen habe. Im Text steht etwas anderes. Jethro sagt: »Jetzt habe ich erkannt …« oder »Jetzt weiss ich …«. Damit würde er also, wenn er Priester JHWH’s wäre, zum Ausdruck bringen, bisher habe er noch nicht gewusst, dass sein Gott der grösste sei, jetzt aber, nachdem durch ihn Israel errettet und Ägypten geschlagen worden sei, wisse er es. Niemals, meine ich, hat der Priester eines Gottes zu einer Gemeinschaft, die nicht die seine ist, so gesprochen, ja er könnte wohl kaum zu seiner eigenen so sprechen, es sei denn, wenn – was hier selbstverständlich nicht der Fall sein kann – der Gott bisher nur eine nachgeordnete oder unbestimmte Stelle im Pantheon eingenommen hat. Nun aber wird geltend gemacht, es sei doch Jethro, der das Opfer vollziehe; »wie kommt ein fremder, wenn auch verwandter und befreundeter Priester dazu, die einheimischen zu verdrängen?« 85 Auch könne das Fehlen Mose unter den als Teilnehmer am Mal Genannten kein Zufall sein; er habe eben als Beisass der Keniter schon »längst zuvor an dem Jahwehdienst teilgenommen und bedürfe nicht mehr der Aufnahme in ihre Gemeinschaft« 86. Aber auch diesen Argumenten widerspricht der Wortlaut des Textes. Jethro vollzieht das Opfer gar nicht, sondern er »holt« es nur oder lässt es holen, und es ist unzutreffend, dass dies »nirgends vorkomme und keinen verständigen Sinn gebe« und daher zu emendieren sei 87, vielmehr sagt man von dem Initiator des Opfers entweder, er »bringe« das Tier, oder aber, er »hole« es (Leviticus 12, 8). Und dass Mose nicht genannt

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wird, liegt – wie die rabbinische Exegese erkannt hat – einfach daran, dass der Ort, an dem das Opfer »vor Gott« dargebracht wird, eben am Eingang des Führerzelts ist, in das Mose seinen Schwiegervater geführt hat und in das nun Aaron und die Ältesten kommen. Dieses Zelt ist ja das wirkliche »Zelt der Begegnung«; an seinem Eingang ist der Raum »vor Gott«, an dem das Gemeinschaftsopfer – private Opfer kennt die Zeit Mose noch nicht, sondern nur, und zwar in besonderen Situationen, Gemeinschaftsopfer und Gemeinschaftsmahl 89 – dargebracht wird. Der Opferer ist naturgemäss, und ohne dass es ausdrücklich vermerkt zu werden braucht, der Inhaber des Zeltes und Führer der Gemeinschaft – wodurch er übrigens ebenso wenig zum Priester wird (wofür ihn manche Forscher halten) wie der opfernde Samuel oder der opfernde Elia. Wenn somit nichts bleibt, was vom Text aus für eine »Bekehrung« Israels angeführt werden könnte, so wäre es aber auch eine unzulässige Vereinfachung des Problems, wenn wir die Behauptung umkehrten und von einer Bekehrung der Keniter redeten. Vielmehr setzt sich hier jene »Identifizierung«, die Mose im Angesicht des brennenden Dornbuschs vollzog, in einer neuen Dimension, in der Beziehung zwischen zwei Gemeinschaften, also im Raum der Geschichte fort. Jethros Preisungsspruch »Gesegnet JHWH, der …« erinnert an den jenes andern Priesterfürsten, Melchisedek, in seiner Begrüssung Abrahams (Genesis 14, 19): »Gesegnet El Eljon, der …«. Dort antwortet Abraham (sein Spruch war ursprünglich offenbar an Melchisedek gerichtet) damit, dass er den El Eljon mit seinem Gott, mit JHWH identifiziert. Das ist nicht als politischer Akt zu erfassen, wiewohl es gewiss auch eine politische Seite hat; man dringt ins Innere des Vorgangs nur, wenn man versteht, dass der »monolatrische« Gläubige eines Gottes – einer also, der einem einzigen Gott ergeben und aller Pantheonbildung abgeneigt ist – da wo er ausserhalb der eigenen Gemeinschaft direkt oder indirekt von göttlichem Wirken erfährt, es seinem eigenen Gott zuzuschreiben, es für ihn in Anspruch zu nehmen, den mitgebrachten Gott also mit dem vorgefundenen zu identifizieren geneigt ist. Die biblische Erzählung sagt uns nicht, wie Melchisedek die Deklaration Abrahams, die etwa besagt: »Den du den höchsten Gott nennst, ist kein anderer als JHWH, dem ich diene; das ist sein rechter Name, du hast bisher nur seinen Beinamen gekannt«, aufgenommen hat; der Gegenstand tritt daher hier nicht in die geschichtliche Dimension ein. Anders verhält es sich mit Jethro: er kommt und bekennt. Einst, als Mose mit der Herde heimkehrte, dürfte er wohl doch dem Schwiegervater und wohl auch Lehrmeister eröffnet haben, dass der Gott, der wirklich auf dem »Gottesberg« erscheint, kein anderer ist als der Gott der Väter seiner Brüder. Wie mag Jethro den Bericht aufgenom88

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men haben? Doch wohl so, wie ein weiser Priester dergleichen in jener Kulturwelt und vielleicht auch anderwärts aufzunehmen pflegte: an der Wirklichkeit der Erscheinung selbst hat er gewiss keinen Zweifel gehegt, aber hinsichtlich der Deutung ihrer Worte dürfte er sich die endgültige Stellungnahme noch vorbehalten haben, und im übrigen hat er das Ereignis als ein möglicherweise auch ihn und die Seinen angehendes in einem zuwartenden Gedächtnis bewahrt. Wir wissen nicht, wie weit der Sinai von dem gewöhnlichen Weideland der Keniter, von dem Mose damals weitergezogen ist, entfernt lag; aber auch, wenn er fern davon lag, darf man annehmen, dass sie die göttlichen Kundgebungen, die man sich dort erzählte, ihrem eigenen Gotte zuschrieben, von dem wir zwar nichts wissen, den wir uns aber immerhin bei einem Stamm, der wohl an der beginnenden midianitischen Exploitierung der Kupferbergwerke der Gegend teilnahm 90 und von dem ein Teil anscheinend auch das Schmiedehandwerk betrieb 91, als Berg- und Feuergott vorstellen können. So lässt es sich denn wohl denken, dass Jethro nun aufmerksam darauf achtet, ob der Gott seine Mose gegebene Zusage der Befreiung »seines Volkes« halten werde. Tut er es, dann wird man – so mag der Gedankengang des Priesters von Midian gewesen sein – den von Mose mitgeteilten Namen als den richtigen anerkennen und den Anschluss an die von dem Gotte Bevorzugten vollziehen müssen; das ist eine Forderung der religiösen Einsicht. Es erweist sich freilich auch als eine Forderung des politischen Verstandes, zumal wenn der Auszug, wie jetzt überwiegend angenommen wird, in eine Zeit zunehmender Schwächung der ägyptischen Aussenmacht fällt. Und als Jethro nun von dem geglückten Auszug Kunde empfängt, mag ihm auch in den Sinn gekommen sein, dass es sich empfiehlt, diesen von einem ersichtlich so mächtigen Gott begünstigten Haufen von den midianitischen Weideländern ab und auf andere, fernere, hinzuleiten, andererseits ihm aber dahin eine Schar von Kenitern mitzugeben, dass sie an seinem Glück teilnehme. Entscheidend jedoch scheint auf den priesterlichen Menschen, der Jethro offenbar gewesen ist, nicht eine der politischen Erwägungen, sondern der Kern der Botschaft gewirkt zu haben, die ihm gebracht wurde: es heisst, der Gott selber habe sich vom Sinai aufgemacht und gehe den Scharen voran. Das ist es, meine ich, was den Alten, der schon allerhand mit Göttern erlebt haben mag, überwältigte: dieses aufblitzende Bild des hoch über den Bergen, in der Himmelstiefe selber wohnenden, von dort aus sich ein Volk wählenden, zu ihm niedersteigenden, mit ihm wandernden, es führenden Herrn. »Ja«, so muss er im Herzen bewegt haben, »der Hebräer hat recht gesprochen, bei uns hat der Gott nur da und da Sitz genommen, ihnen aber hat er sich zugesellt und hat ihnen seinen Namen erschlossen.« So kommt er

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denn und erklärt: »Ja, wir wissen es nun, den Gott, den ihr mit Recht Den nennt der da ist, denn er ist bei euch und steht euch bei, euer Gott, der all das an euch getan hat, der aber auch uns bekannt geworden ist, er ist der grösste von allen Göttern.« Das bedeutet nicht: Ich habe jetzt erkannt, dass mein Gott der grösste ist; es bedeutet: ich habe jetzt erkannt, dass euer Gott der grösste ist, aber ich habe in ihm auch die wahre Gestalt und den wahren Namen des Gottes erkannt, den Feuerglanz der Mitte, dessen Erstrahlung mir geleuchtet hat. Damit ist die Identifizierung in die geschichtliche Dimension eingetreten. Auf ihrer Grundlage wird beim heiligen Gemeinschaftsmahl das Bündnis vollzogen. »Israel bekehrt sich am Sinai nicht zum Gott der Keniter, aber auch die Keniter bekehren sich nicht zum Gott Israels …« Israel hat gemerkt, dass sein Volksgott auch der Naturkräfte waltet; die Keniter haben gemerkt, dass ihr Berg- und Feuergott die Stämme, die er sich erwählte, errettet und leitet. »Beider Gottesbild wächst« 92. Am Tag nach dem Bundesmahl lässt der Erzähler Jethro beobachten, wie Mose den ganzen Tag vom Volk umstanden wird, das Gottesentscheidungen, sowohl in grossen und kleinen Streitfragen als auch in all den Unschlüssigkeiten des Tages, des öffentlichen und des privaten, von ihm erheischt, offenbar weil viele Leute sich entweder nicht auf die Sachverständigkeit der Ältesten verlassen oder von ihrem Urteil an das des Gottesmannes appellieren. Jethro warnt den Schwiegersohn, dieses Überschwere weiter auf sich zu nehmen, und rät ihm 93, alle untergeordneten Angelegenheiten, d. h. solche, in denen nur das Allgemeine, Gesetz und Rechtsbrauch, anzuwenden ist, zuverlässigen Männern, von denen jeder über einen bestimmten Teil des Volkes – je über zehn, über hundert usw. – gesetzt ist, zu überweisen und sich selber nur jene grossen Sachen vorzubehalten, in denen ihn eben niemand vertreten kann, d. h. jene, zu deren Schlichtung es nicht genügt zu wissen, was Rechtens ist, weil sie nicht blosse Einzelfälle eines Allgemeinen darstellen, sondern jede von ihnen ein Besonderes ist, besondres Leben und besondres Problem, und daher Erfassung ihres Sondergehalts und Entscheidung ihres Sonderanliegens fordert; erst bei solcher Beschränkung der eigenen Obliegenheiten werde er sein eigentliches Amt, das des Mittlers zwischen Gott und Volk und des Unterweisers des Volkes im Willen Gottes (»Gott« und »Volk« sind die Leitworte dieses Teils der Erzählung), zulänglich erfüllen können. Mose nimmt den Rat an und führt ihn aus. Dass dem Bericht ein geschichtlicher Sachverhalt zugrunde liegt, ist wohl gewiss. Es lag offenbar eine Tradition vor, einst, in der Wüstenzeit, sei unter dem Einfluss der Keniter versucht worden, die sich von unten nach oben aufbauende Volksordnung, wie sie sich in den Einheiten des

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»Vaterhauses«, der Sippe und des Stammes und in der Vertreterschaft der Ältesten darstellt, durch eine Ordnung von oben nach unten zu ergänzen, die sich nicht in organischen sondern in mathematischen, in dekadischen Einheiten konstituiert und deren Obrigkeit aus den vom charismatischen Führer ausgewählten und eingesetzten Vertretern seiner Autorität besteht. Die Tradition erscheint glaubhaft. Das amorphe dekadische Einteilungssystem wird nie zu den echten Lebensformen eines bodenständigen Volkes stimmen; es entstammt den Zweckmässigkeitsansprüchen kriegerischer Unternehmungen und grosser Karawanen. Midian, anscheinend ein loser Verband von Stämmen verschiedener Herkunft, hat beides, weitausgreifende Razzias und umfängliche Handelszüge ins Ausland, offenbar wohl gekannt; von letzteren weiss die Josefsgeschichte zu erzählen (Genesis 37, 28), von der ersteren hören wir aus der Richterzeit (Richter 6, 3; 7, 12). Als Versuch, die Anarchie des wandernden Israel zu überwinden, mochte dieses System, in Verbindung mit einer sorgsamen Auslese der Zuständigen, Mose geeignet erscheinen, da die Institution der Ältesten offenbar nicht zureichte; es hat aber, abgesehen vom militärischen Bereich, die Wanderschaft nicht überdauert 94. Die Zeichnung, die der Erzähler von der Tagesmühsal Moses entwirft, mag naiv anmuten, aber auch hier ist ein bedeutsamer Wirklichkeitskern erkennbar. Wenn wir uns vergegenwärtigen, was uns die biblische Erzählung von dem teils störrischen, teils eifersüchtigen Partikularismus der Sippen und Stämme, einer uns auch von den Lebensordnungen anderer semitischer Völker bekannten Erscheinung, berichtet, wird es uns verständlich, wie Mose dazu gelangt, in die widerstrebende zellulare Struktur der Gemeinschaft eine leichter zu handhabende mechanische einzubauen. Der vom Geist berufene Führer, dem die »Last« des Volkes, die er zu tragen hat (Numeri 11, 11), zu schwer wird und der von den organisationskundigen Midianitern ein »seelenloses« 95 Schema entleihen muss, um seinen Aufgaben standzuhalten, dünkt mich ein geschichtsechtes Bild.

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Der Adlerspruch Es ist die Stunde: das Zeichen, das die aus dem Brande des Dornbuschs redende Stimme Mose zugesprochen hatte, soll sich erfüllen, Israel soll »an diesem Berg« in den Dienst des Gottes treten, verleiblichen soll sich, was damals nur erst im Wort bestand. Es ist die Stunde – nicht der Offenbarung, denn die hatte schon mit jenem »Mose! Mose!« begonnen, es ist die Stunde des »Bundes«. Der von der Wahrheit seiner Sendung befeuerte Mann hat das erste, was ihm oblag: das Volk zum Gottesberg zu bringen, vollbracht. »In der dritten Monderneuerung nach dem Auszug der Kinder Israel von Ägypten, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai … Und Israel lagerte dort, dem Berg gegenüber.« Da nun Mose, ungerufen, wie ein Bote, der kommt, dem Herrn die Ausführung seines Auftrags zu melden, den Berg hinansteigt, »zu dem Gott«, d. h. wohl zum Ort jener Erscheinung, schallt ihm die Stimme entgegen: JHWH übergibt ihm die Botschaft an »das Haus Jakobs«. Diese Botschaft ist ein rhythmischer Spruch, in dem wieder fast jedes Wort, nach Ton und Sinn unersetzlich, an seiner vorbestimmten Stelle steht; nur ein einziger Satz, »wenn ihr hört, hört auf meine Stimme und meinen Bund wahrt«, fällt aus dem ehernen Rhythmus und weist auf Überarbeitung hin. Rätselhaft in seiner Eigentümlichkeit und Selbständigkeit, ist der Spruch zuweilen späten literarischen Schichten zugeteilt worden, mit denen er in der Tat einzelne Begriffe und Wendungen gemeinsam hat. Doch mehrt sich in unseren Tagen die Einsicht 96, dass uns hier ein altes, traditionsechtes Bruchstück erhalten ist, das zwar nicht seinem Wortlaut, wohl aber seinem Grundgehalt nach auf Mose selber zurückgeht. Ja, ich kenne keinen anderen Text, der so klar und gross wie dieser das äussert, was ich den theopolitischen Gedanken Moses nennen möchte: seine Konzeption des Verhältnisses zwischen JHWH und Israel, die ihrem realistischen Wesen nach nicht anders als politisch sein kann, aber in der politischen Setzung von Ziel und Weg eben nicht von der Nation, sondern von dem Gotte ausgeht. Um dies zu erkennen, muss man den Spruch freilich als früh behandeln, d. h. man muss die gewichtigsten Wörter darin nicht von der im Lauf der Zeit angenommenen sakralen Bedeutung, sondern von ihrer ursprünglichen Bedeutung aus verstehen. »Selber habt ihr gesehen, was ich an Ägypten tat. Ich trug euch auf Adlersflügeln und brachte euch zu mir.« Der erste Teil dieses Verses fasst das Negative im entscheidenden Gesichtspunkt zusammen: damit Israel hierher, zu dem Gott kam, musste an Ägypten geschehen, was geschehen ist, aber es musste auch so geschehen, dass Israel selber es sah. Nur als

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solche, die sahen und sehend »vertrauten«, konnten sie zu JHWH, zur Begegnung mit ihm gebracht werden. Und so wurden sie »auf Adlersflügeln« zu ihm gebracht. Wer ein Bild wie dieses als schöne Metapher betrachtet, verfehlt die Intention des Ganzen. Es soll ja nicht die Schnelligkeit der Adler oder ihre Stärke zum Vergleich herangezogen werden – das würde zur Einleitung des ersten göttlichen Manifests an das versammelte Volk schlecht passen – sondern es soll in diesem Augenblick in der Form des Gleichnisses etwas Grundwichtiges über die geschichtliche Beziehung JHWH’s zu Israel ausgesprochen werden. Das geschieht freilich in einem für unser Verständnis allzu knappen Bilde, aber der frühe Hörer oder Leser hat seinen Sinn gewiss erfasst. Später mag es sich doch als erwünscht erwiesen haben ihn zu erklären, und ein dichterischer Kommentar, von dem wir annehmen dürfen, dass die überlieferte Auffassung sich in ihm spiegelt, ist uns in dem späten »Liede Moses« erhalten geblieben (Deuteronomium 32, 11). Hier wird JHWH in seinem geschichtlichen Verhältnis zu Israel dem Adler verglichen, der sein Nest aufstöbert und darüber hin und her schwebt, um die Jungen fliegen zu lehren; dass mit diesen die Völker gemeint sind, kann nicht zweifelhaft sein, da es im Liede kurz vorher (V. 8) heisst, der Höchste habe den Nationen ihre Gebiete zugeteilt und ihre Grenzen festgesetzt. Der grosse Adler breitet seine Flügel über den Nestlingen, er nimmt einen von ihnen, einen schüchternen oder ermatteten, auf und trägt ihn auf seinen Schwingen, bis er selber den Flug wagen und dem Vater folgen kann, der seine steigenden Kreise zieht. Hier ist Erwählung, Rettung und Erziehung in einem. Der nächste Vers hat sicherlich auch in seiner ursprünglichen Gestalt von der Berith, dem »Bund« gehandelt, der an dieser Stelle genannt werden musste; nur ist zu vermuten, dass darin nicht, in der Form einer Bedingung für alles Weitere, die gehorsame Einhaltung der Bestimmungen des Bundes durch Israel gefordert wurde, sondern der Vers enthielt eben die – bisher ja noch nicht erfolgte – Ankündigung, dass JHWH eine Berith mit Israel schliessen wolle. Die ursprüngliche Bedeutung von berith ist aber nicht »Vertrag« oder »Abkommen«, d. h. es werden darin ursprünglich keine Bedingungen stipuliert, und es brauchen keine stipuliert zu werden. Um der Wirklichkeit des Begriffs nahezukommen, gehen wir am besten aus von den Davidsgeschichten, chronistischen Erzählungen, die im allgemeinen sicherlich bald nach den Ereignissen entstanden sind. Wir finden hier zwei Arten von Berith, ohne dass die beiden begrifflich unterschieden sind. Die eine ist der Bund zwischen zwei einigermassen auf gleicher Ebene Stehenden, wie ihn David und Jonathan schliessen (I Samuel 18, 3 bezw. 23, 18); wir mögen ihn, nach arabischen und anderen Analogien, einen Bruderbund nennen. Dass sich

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daraus die gegenseitige Verpflichtung unbedingten Beistands, einer Treue bis zum Einsatz des eigenen Lebens ergibt, wird nicht gesagt und braucht nicht gesagt zu werden, es ist selbstverständlich: man ist eben Brüder geworden, das macht in einer Gesellschaftsform, in der die Sippe noch die zentrale Realität gemeinsamen Lebens ist, jede Vereinbarung im einzelnen überflüssig. Die andere Berith-Art stellt sich am deutlichsten in dem Bund dar, den David, der bereits König über Juda geworden ist, mit den Ältesten der Nordstämme schliesst (II Samuel 5, 3). Hier gibt es keine gleiche Ebene; der an Machtrang schlechthin Überlegene schliesst nicht »mit« den sich ihm Unterwerfenden, sondern »für sie« einen Bund. Auch hier bedarf es keines besonderen Abkommens, ja, es ist dafür gar kein Raum vorhanden: das Verhältnis von Herrschaft und Dienst, in das die beiden Partner zu einander treten, bestimmt das Wesentliche; Verpflichtungen, Zugeständnisse, verfassungsmässige Machtbeschränkungen mögen hinzukommen, aber nicht auf ihnen, sondern auf der Grundtatsache von Herrschaft und Dienst ist der Bund errichtet. Diese Art der Berith bezeichne ich ihrer Hauptform nach als Königsbund 97. Sie ist es, die JHWH mit Israel schliesst. Man kann dagegen nicht geltend machen, dass es in der Genesis-Erzählung eine andere Art von Bund gibt, die der Gott, sei es mit den Lebewesen überhaupt (9, 9 ff.), sei es mit einer erwählten Sippe (6, 18; 17, 2 ff.) schliesst: auch sie ist nicht ein Vertrag, sondern die Aufnahme in ein Lebensverhältnis, nur eben der Situation gemäss nicht in ein solches, das politischen, theopolitischen Charakter hat. Aber nur hier, nur im Sinaibund und seinen späteren Erneuerungen, geht es um eine Berith zwischen JHWH und einem Volk, zwischen ihm und Israel, Israel nicht mehr als »Samen Abrahams«, aus dem ein Volk erst erwachsen soll, sondern als daraus erwachsenes Volk. Und demgemäss wird hier denn auch ausdrücklich (Exodus 19, 6) der Begriff des königlichen Bereichs eingeführt. Dieses Lebensverhältnis zwischen dem König und seinem Volk ist es, worauf es ankommt. Gewiss, in der Erzählung vom Bundesschluss selber wird (24, 7 f.) ein »Buch des Bundes« von Mose verlesen, und der Bund gilt als »auf alle diese Worte« geschlossen. Aber dieses Buch hat nicht den Charakter des Vertrags, sondern den der königlichen Gesetzgebung; die darin enthaltenen Gesetze werden, als die in dieser Stunde erlassenen, in den Akt des Bundesschlusses aufgenommen (vgl. 34, 27), aber sie können später erlassenen gegenüber keinen Vorrang beanspruchen, und damit, dass das Volk nach ihrer Verlesung erklärt, es wolle »tun und hören«, gibt es eindeutig zu erkennen, dass es sich nicht auf bestimmte Verordnungsinhalte als solche, sondern auf den Willen des jetzt und

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künftig gebietenden Herrn, auf das Lebensverhältnis des Dienstes zu ihm verpflichtet. Die Anhänger der Keniter-Hypothese bringen vor 98: »Wenn Jahve schon vor Mose der Gott Israels war, dann war ein Bund überflüssig, da sich von selbst verstand, dass Jahve der Gott Israels und Israel das Volk Jahves war. Verträge werden nur da geschlossen, wo die Ansprüche verschieden sind und sich unter Umständen feindlich entgegentreten können. Darum folgt aus dem Bundesgedanken mit zwingender Notwendigkeit, dass sich Israel und Jahve bis dahin fremd waren.« Aber Berith ist eben kein Vertrag. JHWH und Israel treten bundschliessend in ein neues Verhältnis zu einander, das bisher nicht bestanden hat und auch nicht bestehen konnte, weil sich Israel als Volk, als ein Volk, das sich einen König küren und sich seinem Dienst ergeben kann, erst in dieser Stunde konstituiert. JHWH hatte, aus der Lohe redend, mit jenem ʿ ammi diese Stunde vorweggenommen. Er verkündigt nun, dass sie gekommen ist, und spricht das Wort von seinem Königtum. Die Erzählung in ihrer gegenwärtigen Form hat das Volk, im Endvers des Meerlieds, mit der Königsausrufung beginnen lassen; die ältere Tradition ist aber offenbar die, die das erste und entscheidende Wort von oben gesprochen werden lässt. Auf die Ankündigung des Bundes folgt unmittelbar die Zusicherung JHWH’s, Israel solle ihm »ein Sondergut unter allen Völkern« sein. S’gulla, Sondergut heisst ein Besitz, der aus dem allgemeinen Familieneigentum herausgenommen ist, weil einem Einzelnen eine besondere Beziehung dazu und ein besonderer Anspruch darauf zusteht. Was das Wort bedeutet, wenn man es auf das Verhältnis zwischen JHWH und Israel anwendet, wird hier alsbald durch die Worte erläutert: »Denn die ganze Erde ist mein«. Man kann nicht eindeutiger ausdrücken, dass die Befreiung aus Ägypten dem Volk Israel kein Monopol auf seinen Gott sichert; von hier führt ein gerader Weg zu der ebenfalls im Hinblick auf den Auszug erfolgenden Warnung der Schriftpropheten (Amos 9, 7), die diesen Gott als den verherrlichen, der auch andere Nationen, ja auch die Israel feindlichen Nachbarvölker, auf ihren Wanderungen geführt hat, als den Völkerbefreier. Wie das Wort vom Sondergut sogleich von einer Atmosphäre der Enge und Selbstsicherheit bedroht wird, wenn es nicht von dieser Erläuterung begleitet ist, sehen wir an den drei Stellen, wo das Buch Deuteronomium – das wohl aus einer Sammlung überlieferter Aussprüche Moses in verschiedenen Varianten (im Sinne des Hadith Mohammeds etwa) entstanden ist – jenes Wort anführt (Dt. 7, 6; 14, 2; 26, 18), alle dreimal, indem es auch den ebenfalls aus dem Adlerspruch stammenden Begriff des heiligen Volkes damit verknüpft; die

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Gefahr des partikularistischen Missverstehens ist so offenkundig, dass an der ersten Stelle sogleich davor gewarnt wird, die Erwählung eigener Beträchtlichkeit zuzuschreiben. Der Adlerspruch selber tritt dem hochmütigen Pochen auf die Erwählung im folgenden durch die Botschaft entgegen, dass Erwählung Auftrag und nichts anderes ist und also ohne Erfüllung des Auftrags gleichsam nur negativ besteht. Diese Botschaft ist für die späteren Geschlechter dadurch verdunkelt worden, dass man, wie schon erwähnt, ihre grossen Begriffe nicht mehr in ihrer ursprünglichen Konkretheit, sondern in einer technischen Abgeschliffenheit verstanden hat. Wenn man liest »Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk werden«, mutet es einen zunächst fast unwiderstehlich so an, als ob hier nicht die theopolitische Idee einer faktischen göttlichen Herrschaft, sondern eine alles umfassen wollende kultische Konzeption waltete. Aber dem ist nicht so: der Zeit, deren höchsten Gedanken der Adlerspruch gestaltet hat, war es nicht um »Religion«, sondern um Gott und Volk, also in politischem und sozialem Realismus um Gottesvolk, gleichsam um einen vorstaatlichen Gottesstaat zu tun. Das Wort mamlaka, das man mit »Königreich« übersetzt, bedeutete Königsherrschaft oder auch Herrschaftsbereich des Königs, und das Wort kohanim, das gewöhnlich Priester bedeutet, ist, wo es ein profanes Hofamt bezeichnet, Synonym von »die Ersten zur Hand des Königs« (man vergleiche II Samuel 8, 18 und I Chronik 18, 17) oder auch von Gesellschafter, Adjutanten (I Könige 4, 5, vergl. auch II Samuel 20, 26; I Chronik 27, 33); es sind jene unter den Dienern des Königs, die ihm unmittelbar aufwarten. Mamleket kohanim bedeutet also: die direkte Herrschaftssphäre des Herrn, zusammengesetzt aus jenen seiner Diener, die unmittelbar zu seiner Verfügung stehen. Sie alle, alle Kinder Israel, stehen in der gleichen Unmittelbarkeit zu ihm. Dem entspricht nun das zweite Glied des Satzes »ein heiliges Volk«, und zwar ist diese Entsprechung, wie beim Parallelismus dieser Art so häufig, zugleich Ergänzung. Als die elementare Bedeutung des biblischen Heiligkeitsbegriffs dürfen wir ansehen: eine in sich gezogene, in sich gesammelte Kraft, die aber ausstrahlt und sowohl vernichtend als »heiligend« wirken kann. Im Verhältnis zu JHWH wird die Heiligkeit als seine unmittelbar Unheil und Heil spendende Gewalt angesehen, sodann als abgeleitete Eigenschaft jener Dinge und Wesen, die aus der unbestimmten Allgemeinheit, dem »Profanen«, ausgesondert und JHWH geweiht worden sind oder sich ihm geweiht haben, und die, da sie ihm geweiht sind und solang sie es sind, von seiner heiligen Kraft geheiligt werden. Mit goj qadosch ist also, zur Ergänzung jenes mamleket kohanim, das Auftrag und Einsetzung durch Gott bedeutet, eine spontane und stets erneuerte Tat

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des Volkes gefordert und vorausgesetzt: es soll sich JHWH weihen und ihm geweiht bleiben, und zwar soll es das als goj, d. h. mit seiner leiblichen Volksexistenz. Es geht hier nicht wie später (Exodus 22, 30) um das Verhalten der Volksmitglieder als Einzelner, etwa dass sie sich unreiner, entheiligender Speisen enthalten, sondern um das Verhalten des Volksleibs als eines solchen. Nur wenn das Volk mit all seiner Substanz und all seinen Funktionen, mit Rechtsformen und Einrichtungen, mit der Ordnung seiner inneren und äusseren Beziehungen, sich JHWH als seinem Herrn, als seinem Melek weiht, ist es das ihm heilige Volk, ist es heiliges Volk. Und eben als solches, nur als solches, kann es seinem göttlichen Führer die Dienste leisten, zu denen er es ersehen hat: als »die Ersten zu seiner Hand« der »ganzen Erde«, die »sein« ist, seinen Willen zu übermitteln, den es selber mit seinem Leben erfüllt. Mit diesem Amt und mit dieser Weihe soll Israel die Erwählung, JHWH ein Sondergut unter allen Völkern zu sein, verwirklichen; dies ist die Berith, die er mit ihm schliessen will. Die biblische Erzählung lässt Mose seine theopolitische Botschaft den Ältesten »vorlegen« und »das ganze Volk« durch ihren Mund antworten, es wolle tun, was JHWH geredet hat, d. h. in den Melek-Bund eintreten, den er mit ihm schliessen will. Dass schon in früher Tradition das, was am Sinai geschah, als solch ein Bundesschluss, als Königsproklamation von oben und Königsausrufung von unten, verstanden worden ist, dafür zeugt der Hymnus, der als Rahmen um den sogenannten »Segen Moses« gelegt worden ist (Deuteronomium 33, 1-7, 26-29). Auch radikale Kritiker 99 folgern aus der Ähnlichkeit dieses Psalms mit dem Deboralied, »dass er an sich alt und sehr alt sein könnte«. Nur weil Israel in ihm zweimal mit dem Namen »Jeschurun« bezeichnet wird, der nur noch an zwei späten Stellen vorkommt, nimmt man an, dass seine Sprache nicht archaisch, sondern archaisierend sei; aber an jenen beiden Stellen wird die wohl von alten Volkssängern (vgl. den Titel einer alten Liedersammlung Sepher-ha-jaschar, Buch des Aufrechten) stammende Bezeichnung mit bewusster Absicht übernommen. Nach einigen schwierigen, zum Teil nicht zu enträtselnden Versen heisst es im Hymnus mit vollkommener Eindeutigkeit (V. 5): »Da ward in Jeschurun ein König, als sich versammelten die Häupter des Volks, mit einander Israels Stämme.« Keine andere Deutung als die auf den Sinai, der ja auch am Eingang genannt worden ist, wird der bedeutsamen Stelle gerecht. Die grosse Melek-Botschaft scheint es denn auch zu sein, die der vorhergehende, diesen einleitende Vers, als »die Lehre, die Mose uns entbot«, preist 100. Historisch betrachtet ist der in dem Adlerspruch und den mit ihm verknüpften Texten zum Ausdruck kommende Gedanke die Absage einer

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aus Ägypten in die Freiheit ziehenden Hebräer-Schar an das ewige Pharaonentum. Die Freiheit, in die sie ziehen, wird von ihrem Führer als Gottesfreiheit, und das heisst: als Gottesherrschaft verstanden. Historisch betrachtet bedeutet das: Herrschaft des Geistes durch die jeweils von ihm ergriffenen und beglaubigten Charismatiker auf Grund der im Namen des Geistes erlassenen gerechten Gesetze. Die ganze Konzeption dieses seiner Intention nach allumfassenden Königsbundes ist nur möglich, wenn und weil der bundesschliessende Gott gerecht ist und eine gerechte Ordnung in der Menschenwelt einsetzen will. Gerechtigkeit als Wesen und Attribut ist in einem gewissen Masse in den altsemitischen Vorstellungen von den Stammesgöttern als Richtern des Stammes angelegt 101, in dem Gottesbild Israels ist sie zur Vollendung gelangt. Das gerechte Gesetz des gerechten Melek ist da, um die aller Gottesfreiheit drohende Gefahr der »beduinischen« Anarchie zu bannen. Der unbändige Unabhängigkeitstrieb des semitischen Nomaden, der nicht zulassen will, dass ein anderer sich über ihn erhebe und ihm seinen Willen auferlege 102, findet seine Befriedigung in dem Gedanken, dass alle Kinder Israel in der gleichen Unmittelbarkeit zu JHWH stehen sollen, aber er wird gebändigt durch die Tatsache, dass JHWH selber Geber und Hüter des Gesetzes ist. Beides in einem, das Königtum Gottes als Macht seines Gesetzes über den Menschen und als Freude der Freien an seiner Herrschaft, stellt sich in dem Idealbild Israels dar, das in einem alten Liedspruch 103 dem heidnischen Propheten Bileam in den Mund gelegt wird (Numeri 23, 21): »Nicht erblickt man in Jakob Arg, nicht sieht man in Israel Harm, JHWH sein Gott ist bei ihm, Melek-Jubel in ihm«. JHWH, der »Daseiende«, ist wirklich seinem Volke gegenwärtig, das ihn als seinen Melek umjubelt. In der Zeit nach der Landnahme hat man zumeist Scheu getragen, den Melek-Titel auf JHWH anzuwenden, offenbar, um sich gegen das »religiöse und politische Kanaäertum mit seinen Gottkönigen und seiner monarchischen Staatsverfassung« 104 abzugrenzen, insbesondre weil diese Melek- oder »Moloch«-Götter Kinderopfer forderten 105. Aber der Gedanke der Gottesherrschaft bleibt lebendig, wie wir aus den Erzählungen von Gideon und Samuel 106 sehen. In der ersten Regierungszeit Davids erhält er, wie ich meine, noch einmal einen grossen dichterischen Ausdruck, in den vier jetzt am Ende des 24. Psalms stehenden Versen von JHWH, dem »Kriegshelden« und »König der Glorie«, der – unsichtbar auf der Bundeslade thronend – in Jerusalem einzieht. Aber schon hat das Faktische sich ins Symbolische zu wandeln begonnen; bald verblasst unter dem Einfluss der Dynastie, die alle Versuche des Geistes das öffentliche Leben zu beeinflussen abwehrt, die Vorstellung der Gottesherrschaft vollends. Nur Jesaia wagt es, in der Aufzeichnung über seine

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Berufungsvision (6, 5), JHWH als »den«, d. h. den wahren Melek dem von ihm mit Aussatz geschlagenen König Usia gegenüberzustellen. In allen späteren Psalmen, die die Thronbesteigung JHWH’s besingen, ist er nur noch der Kosmokrator, d. h. dem Schein nach mehr, in Wahrheit aber weniger. Denn wahres Königtum gibt es nicht ohne ein Volk, das den König anerkennt, und wenn in jenen Psalmen die ganze Welt als dieses Volk erscheint, so ist damit die Handlung ins Eschatologische, in ein künftiges Vollkommenwerden der Schöpfung abgerückt. Jenes eben aber, uneingeschränkte Anerkennung der faktischen Gottesherrschaft über die ganze Volksexistenz, ist es, was, mitten in der geschichtlichen Wirklichkeit, die Botschaft, die im Adlerspruch Gestalt gewann, von Israel forderte.

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Der Bundesschluss Wenn wir, die wir alle in der Geläufigkeit der Bibel aufgewachsen sind, an »die Offenbarung am Sinai« denken, ersteht sogleich in unserer Vorstellung wieder jenes Bild, das uns damals, in unserer Kindheit, bestürzte und entzückte: »der Berg, brennend im Feuer bis an das Herz des Himmels: Finsternis, Wolke und Wetterdunkel« (Deuteronomium 4, 11), von da oben aber auf den wie ein Schmelzofen rauchenden und gewaltig bebenden Berg niederfahrend ein anderes Feuer, blitzendes Himmelsfeuer, und in den Donner der Blitze mischt sich, oder aus ihm selber ertönt der Schall einer Posaune (Exodus 19, 16, 18 f.). Man hat verschiedentlich versucht, das Bild auf ein Naturereignis, sei es ein ungeheures Gewitter, sei es der Ausbruch eines Vulkans, zurückzuführen, aber die ihm eigentümliche, von ihm unablösbare Fülle der Erscheinungen widerstrebt der Erklärung: was sich da begibt, ist ja gerade die Begegnung zweier Feuer, des irdischen und des himmlischen, und welches von beiden man auch weglässt, sogleich fehlt dem Bilde, was die Generationen des Volkes Israel und die Generationen der christlichen Völker so hingerissen hat. Aber gewichtiger als all dies ist heut etwas anderes. Unser, der heute lebenden Menschen, reif und spröd gewordener Geist widerstrebt dem ehrwürdigen Bilde; der Mose, der vor den Augen des versammelten Volkes den rauchenden Berg besteigt, zur Höhe hinauf redet und von dort, aus Donner- und Posaunenschall, Antwort empfängt, die er in der Gestalt von Gebot und Gesetz dem Volk bringt, ist uns nicht bloss fremd – das droht uns der geschichtliche Mose zuweilen da zu werden, wo wir ihn am stärksten ahnen – sondern unwirklich. Eben wenn wir uns um die Wirklichkeit, um eine Wirklichkeit von Tatsachen, am ernstesten bemühen, drängt sich uns das Gefühl auf, so, mit solch optisch-akustischem Aufwand, möchten »die Worte des Bundes, die Zehn Worte« (34, 28) doch wohl nicht zur Welt gekommen sein, und da, wo sie auf Tafeln geschrieben werden, geht es auch ganz anders, still und einsam, zu. Wir Spätgeborenen verspüren in unserem von der grausamen Wahrheitsfrage regierten Gemüt einen seltsamen, späten Widerhall des Protests, der aus der Erzählung von der Sinai-Offenbarung an Elia (I Könige 19, 11 ff.) spricht: nicht aus Sturm und Lärm und Feuer, sondern aus einem »verschwebenden Schweigen« redet es zu ihm. Jedenfalls ist alles Wagnis vergeblich, hinter das ungeheure Bild zu einem faktischen Vorgang vorzudringen, der etwa durch es verdeckt ist. Mag etwa eins der furchtbaren Gewitter, die noch jetzt die Beduinen jener Gegend immer wieder wie eine himmlische Katastrophe bestaunen, dem wandernden Volk die Urgewalt des Gottes kundgetan haben, der von den Vätern her ihnen eigen

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war und doch erst jetzt »erkannt« wurde, in einem Zusammenhang wirklicher Begebenheiten vermögen wir es an seiner Stelle nicht mehr einzufügen. Anders verhält es sich mit der Erzählung von Bundesschluss und Bundesmahl (Exodus 24, 4b-11). Kritische Forscher sind mit Recht für das hohe Alter des einen und des andern Bestandteils eingetreten 107; aber auch ihre Verknüpfung weist, wenn sie auch in ihrer gegenwärtigen literarischen Form problematisch erscheint, auf einen einheitlichen Vorgang in zwei Stadien hin, denn das gemeinsame Mahl gehört zum Bundesschluss, nur dass es hier sinngemäss auf zwei Handlungen, die Opfergabe (V. 5) und das Essen (V. 11), verteilt erscheint 108. Wie immer wir sonst den Bericht prüfen, es ergibt sich, dass kein Grund besteht, an der Geschichtlichkeit des Vorgangs in allem wesentlichen zu zweifeln 109. Genauer genommen sind es nicht zwei, sondern sieben Stadien oder doch sieben Handlungen. Zunächst baut Mose, offenbar noch vor der Morgendämmerung, einen Altar am Fusse des Berges und errichtet, offenbar rings um ihn, zwölf Malsteine – Steine, die nach alter Vorstellung sehen, hören und bezeugen – »für die zwölf Stämme Israels«. Verwandtes hören wir in der Erzählung von Elia (I Könige 18, 30 ff.), der, um den zerstörten JHWH-Altar auf dem Karmel zu »heilen«, zwölf Steine »nach der Zahl der Stämme der Söhne Jakobs« verwendet; und an das Wort »Jakobs« knüpft der Erzähler den merkwürdigen Relativsatz: »zu dem die Rede JHWH’s geschah, im Spruch: ›Israel soll dein Name sein‹«, und in der Anrufung Gottes beim Opfer (V. 36) kehrt der Name Israel, offenbar mit stärkster Absicht, zweimal refrainhaft wieder, das erstemal an einer Stelle, wo – abgesehen von sehr späten Texten dieses einzige Mal in der Bibel – auf die Namen der ersten Erzväter nicht »Jakob« sondern »Israel« folgt. Der Sinn ist unverkennbar: wie aus den zwölf Steinen der eine Altar wiedererstanden ist, so ist nun, da das Volk von neuem um seinen Gott vereint ist, aus den zwölf Stämmen das eine Israel wiedererstanden. Was hier als Symbol der Wiedererstehung erscheint, ist in der Erzählung von Moses Bundesschluss Faktum der Stiftung. Der Sinn ist hier, in diesem mit Scheu und Verhaltenheit niedergeschriebenen Bericht von Dingen, die eigentlich nicht berichtet werden können, tiefer verhüllt, aber er kommt zum unmittelbaren Ausdruck, als der Gott, den die Vertreter des Volkes »sehen« (V. 10), »der Gott Israels« genannt wird: im Bund, der zwischen den Stämmen und JHWH geschlossen wird, mitten in ihm, wird der Bund zwischen den Stämmen geschlossen, als Bundespartner des Gottes sind sie erst zu Israel geworden. Wir haben guten Grund anzunehmen, dass wir hier auf historischem

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Boden stehen. Es ist in unseren Tagen überzeugend dargelegt worden 110, dass das Zwölfstämmesystem Israels, wie so viele andere auf der gleichen Zahl errichteten »Amphiktyonien«, nicht aus natürlichem Wachstum zu erklären ist, sondern auf einer in besonderer geschichtlicher Stunde erfolgten Setzung und Einteilung beruht. Nur muss hinzugefügt werden, dass eine Setzung und Einteilung dieser Art nicht schlechthin künstlich sein kann, sondern eine organische Entwicklung voraussetzt: unter den durch diese gebotenen Möglichkeiten der Gruppierung wird die gewählt, die die für Stämmeverbände geheiligte Zahl Zwölf zur Grundlage hat, d. h. es werden je nach Bedarf kleinere Einheiten entweder grösseren zugeteilt oder in ihrer Selbständigkeit belassen, aber keine Einheit wird willkürlich gespalten. Es liegt hier somit ein eigentümliches Zusammenwirken von Werden und Setzung vor. Nun ist aber mehrfach die Meinung geäussert worden 111, es seien gar nicht zwölf Stämme Israels in Ägypten gewesen, und diejenigen, die dort gewesen sind, nämlich die »Josefstämme« mit ihrem Anhang, hätten sich erst in Kanaan mit den dort verbliebenen Stämmen, die eine »Sechsstämmeamphiktyonie« bildeten, zu einem Zwölferverband zusammengeschlossen, und zwar unter Josuas Führung beim »Landtag von Sichem« (Josua 24), wobei sich auch erst die Anerkennung JHWH’s durch die »autochthonen« Stämme vollzogen habe. Aber die für diese Auffassung angeführten Argumente sind, wie eine genaue Exegese des bedeutsamen Abschnittes ergibt 112, nicht beweiskräftig. Freilich wissen wir nicht, ob nicht Teile der »israelitischen« Stämme in Kanaan geblieben, ob nicht andere Teile von ihnen schon vor Mose dahin zurückzukehren versucht haben und mit welchem Erfolg; aus dunklen Bibelstellen lassen sich Andeutungen in der einen und in der anderen Richtung herauslesen. Dass es aber nur einzelne wenige Stämme gewesen seien, die den Auszug unter Mose unternahmen, dass in Kanaan ein grosser Verband geblieben sei, dem JHWH fremd oder nur vom Hörensagen bekannt war, ist eine unzulänglich begründete Hypothese. Josua stiftet nicht einen neuen Bund, sondern er erneut den bestehenden zwischen Israel und JHWH, wie er in der Folgezeit mehrfach erneuert worden ist, nachdem er schwer verletzt worden war, und wie es im Alten Orient auch sonst üblich war, den mit einem Gott geschlossenen Bund zu erneuern. Josua tut es, indem er den Bund von neuem, der ursprünglichen Intention des Stifters gemäss, auf die ausschliessliche Beziehung zu JHWH und die Ausschaltung aller Partikulargötzen stellt. Gestiftet ist die Berith, und mit ihr das System der zwölf Stämme, von Mose worden, und das Zeugnis unseres Berichts braucht nicht angefochten zu werden. Wohl wissen wir nicht, wie die Stämme hiessen, von denen hier die Rede ist, welche von ihnen mit den von der Tradition

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bewahrten Namen identisch waren, welche nicht; wir wissen nicht, welche Sippen oder Clans Mose zu einem Stamm vereinigte, welchen grossgewordenen er Stammescharakter verlieh; aber wir brauchen nicht daran zu zweifeln, dass er, dem wir das Wissen um die inneren Ordnungen der Völker wohl zutrauen dürfen, und kein anderer das Stämmesystem Israels der natürlichen Gliederung des Volksmaterials abgewonnen und eben damit, durch Festigung der tauglichen Teile, ihre Zusammenschmiedung ermöglicht hat. Die im Bund mit JHWH zusammengeschlossenen Stämme heissen als Einheit Israel. Es heisst wohl zu weit gehen, wenn man meint 113, dass der Name »ein religiöser, ein Bekenntnis war, und dass er mit der Mose-Stiftung entstanden ist«; dagegen darf man annehmen, dass er, welchen Verband immer er vorher bezeichnet haben mag, von dem neuen Bund aufgegriffen worden ist, wofür die Deutung des Namens »Gott herrscht« 114 ein wesentliches Motiv gewesen zu sein scheint. Der Grundgehalt der Botschaft, die im Adlerspruch zusammengefasst ist, war die Herrschaft des Gottes über das »Volk«; nun konstituiert sich das Volk, ʿ am, die Gemeinschaft, als die Einheit der seiner Herrschaft Untergebenen. »Gott herrscht«, ist der rechte Name des heiligen Bundes, zu dem sich die Stämme unter Mose vereinigt haben 115. Der Name mag von Mose zuerst als Ruf oder Losungswort ausgegeben worden sein, das in dem noch in Bildung begriffenen Verband von Reihe zu Reihe sich fortpflanzte und bei der letzten angelangt schon wie selbstverständlich klang. Auf diese erste Handlung, Errichtung des Altars und der zwölf Malsteine, folgt die zweite: Mose sendet »die Jünglinge der Kinder Israel«, die Opfer darzubringen. In dieser ältesten uns bekannten Traditionsschicht gibt es offenbar noch kein levitisches Priestertum, überhaupt eigentlich keine Amtsklasse von Opferern; Moses Helfer im sakralen Geschäft sind die geweihten Jünglinge, anscheinend ohne dass bestimmte Sippen bevorzugt werden. Dass es Knaben sind, liegt offenbar daran, dass auf frühen Religionsstufen die Keuschheit als Naturzustand einer Altersstufe der einem Vollreifen auferlegten vorgezogen wird; Keuschheit als Voraussetzung des Zutritts zum Heiligen kennen wir ja auch sonst in biblischen Texten (so I Samuel 21, 5). Zu vermuten ist, dass die Erstgeborenen gemeint sind, die anscheinend in der Frühzeit, zur Ablösung des gemeinsemitischen Erstgeburtsopfers, JHWH für die Dauer ihrer Jugend als seine Hörigen geweiht werden und später (Numeri 3, 12) durch die Leviten abgelöst wurden 116. Doch bildet sich auch schon der Terminus »Knabe« im Sinn von »Sakraldiener« ohne Rücksicht auf das Lebensalter aus (Exodus 33, 11). Und nun vollzieht Mose selber – nicht als Priester, denn das ist er

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nicht, sondern als der Mittler zwischen Gemeinschaft und Gottheit – den entscheidenden Akt des Bundesschlusses, der aus drei Handlungen besteht. Er sprengt von dem in zwei Hälften geteilten Blut der Tiere die eine Hälfte an den Altar und eignet sie so JHWH zu; er verpflichtet das Volk auf den Bund (ursprünglich scheint mir hier nicht die Verlesung eines »Buches«, einer Urkunde, sondern die Verkündigung der Botschaft überliefert gewesen zu sein); und er sprengt den in Becken verwahrten Rest des Blutes an das Volk, indem er die sakramentale Formel spricht: »Dies ist das Blut des Bundes, den JHWH mit euch schliesst« (im Text folgt noch »auf alle diese Worte«, was vermutlich Zusatz aus der Zeit ist, in der aus der Verkündigung die Verlesung wurde). Was Mose mit diesem an semitische Bräuche des Blutbundes gemahnenden und doch in seiner Art einzigen 117 Ritus vollzieht, ist kein reiner Kultakt, sondern ein kultischer vorstaatlicher Staatsakt 118. Vertragsschlüsse zwischen Gott und Volk sind uns aus dem Alten Orient verschiedentlich bekannt, so aus Babylon schon in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends, aus Südarabien noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts v. Chr.; aber das, was sich am Sinai begibt, meint mehr als einen Vertrag, mehr als eine bestimmte, begrenzte Vereinbarung. JHWH schliesst sich mit Israel zu einer politischen, theopolitischen Einheit zusammen, »innerhalb deren die beiden Partner sich zueinander wie ein primitives, wanderndes Gemeinwesen und dessen Melek verhalten« 119. Jetzt steigt Mose mit Aaron und siebzig der Ältesten den Berg hinan. Oben sollen sie die letzte Handlung, das heilige Bundesmahl, vollziehen und als Gäste JHWH’s den nicht im Rauch zum Himmel aufgestiegenen Teil des Opferfleisches verzehren. Da aber geschieht das Unerhörte, bei dessen Bericht der Erzähler zu rhythmischer Sprache übergeht, als führte er Verse aus einem uralten Liede an: »Sie sahen den Gott Israels: zu Füssen ihm wie ein Werk aus saphirnen Fliesen, wie der Kern des Himmels an Reinheit«. Nach dem Wort »Israels« steht im Text »und«, aber es bedeutet wie so oft nichts anderes als das Wort »nämlich« oder einen Doppelpunkt. Man pflegt anzunehmen, dass entweder die Scheu den Erzähler hinderte, eine Beschreibung der göttlichen Erscheinung selber zu versuchen, oder aber eine spätere Kürzung die anstössig gewordene Beschreibung beseitigt habe. Beide Deutungen verfehlen den eigentlichen Gehalt der Verse. Wenn sie wirklich das Sehen einer Gottesgestalt besagten, sollte dann der Redaktor den augenfälligen Widerspruch nicht bemerkt haben, der zwischen dieser Stelle und jener anderen (33, 20) bestünde, wo JHWH bald danach den ihn zu schauen begehrenden Mose verweist, »der Mensch« könne ihn nicht sehen und am Leben bleiben, und sollte er in einem so heiklen Punkt den zur unzweideutigen Über-

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windung des Widerspruchs erforderlichen Eingriff nicht gewagt haben? Gewiss, wir lesen wiederholt davon, dass der Kabod, die Ausstrahlung der göttlichen »Wucht«, sich dem ganzen Volke gezeigt habe, aber offenbar besteht ein qualitativer Unterschied zwischen solch einer vorübergehenden Lichterscheinung und dem, was hier vorläge, und dort brauchte der Redaktor nicht auf eine Harmonisierung zu sinnen, hier wäre er dazu genötigt gewesen. Wir kommen den rätselhaften Versen nicht näher, wenn wir uns nicht auch hier zu der Frage entschliessen, welche Wirklichkeit dem Bericht zugrundeliegen kann. Jesaia schreibt in der Aufzeichnung über seine Berufungsvision (6, 1), er habe den Herrn gesehen, »sitzend auf einem hohen und erhabenen Thron, und seine Säume füllten die Tempelhalle«. Wir haben uns offenbar den Propheten als in der Vorhalle des Tempels zu Jerusalem stehend vorzustellen. »Er blickt in die Tiefe des Tempelraums bis ins Dunkel des Allerheiligsten, in dem die Lade, der Thronschrein JHWH’s steht. Da aber wird das Dunkel zu Licht, weitet sich der begrenzte Raum ins Ungeheure, das Dach ist abgetragen, an der Stelle der Lade erhebt sich ein himmelan ragender Thron, so gross, dass die Gewandsäume des darauf Sitzenden den Tempel füllen« 120. Visionen haben ihre eigenen optischen Gesetze; dennoch ist es offenkundig, dass Jesaia, da die Lichtsäume des Gottesgewandes die ganze Tempelhalle vor ihm erfüllen, die thronende Gestalt gar nicht sehen kann. Aber dies eben nennt er den Herrn sehen, eben davon sagt er (V. 6): »Den König, JHWH der Heere, haben meine Augen gesehen«. Dass er das Strahlen sieht, empfindet er als das Sehen des Strahlenden; die Gewalt des Thronens steht ihm für die Gestalt des Thronenden. Das ist nicht erst schriftprophetische Entwicklung; es ist die Urerfahrung, ohne deren Verständnis die innerste Beziehung des biblischen Menschen zu seinem Gott nicht zu verstehen ist. Die heutige Menschenwelt ist, wenn wir von den Massen derer absehen, die sich mit den im »Alten Testament« erzählten Theophanien überhaupt nicht ernstlich beschäftigen, in solche geteilt, die sie als übernatürliche Mirakel auffassen, denen gegenüber die Frage nach einer der unsern vergleichbaren Wirklichkeit unstatthaft ist, und in solche, für die sie einflussreiche Phantasien oder Fiktionen darstellen, die eben doch in manchem Belange Beachtung verdienen. Wir aber fühlen uns gehalten, wenn es in biblischen Berichten von frühen Gotteserfahrungen heisst, der Gott habe sich von seinem Gläubigen »sehen lassen« (das ist der Sinn der Verbalform, die man durch »erschien« zu übersetzen pflegt), zu fragen, was damit gemeint sei, und das heisst, da das Wort uns unverkennbar auf eine bestimmte Art wirklicher Erfahrungen hinweist, zu fragen, wie diese Erfahrungen beschaffen gewesen sein mögen. Ein Gott, der dem ihm

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Ergebenen das Land »zu sehen gibt«, in das er ihn führt (Genesis 12, 1), dabei aber sich von ihm noch nicht selber sehen lässt, sondern dies erst an einer bestimmten, besonders wichtigen Station der Wanderung durch das Land tut (V. 7), kann nur ein an sich unsichtbarer, aber nach Willen sichtbar werdender Gott sein. Wie, als was, worin wird er sichtbar? Von einer menschenähnlichen Gestalt weiss vor Ezechiel (1, 26), der schon ins Apokalyptische, von theologischen Spekulationen Bestimmte hinüberführt, kein Prophet etwas zu sagen; auch in einer volkstümlichen Visionslegende wie die von Micha ben Jimla (I Könige 22,19) wird über den Thronenden nichts ausgesagt. Die Vätersage weiss wohl, vornehmlich in dem erzählungsfreudigen 18. Kapitel der Genesis, von Menschengestalten zu berichten, in denen JHWH sich zu sehen gibt; aber sie haben nichts Übernatürliches an sich und sind zunächst nicht anders vorhanden als irgendein Stück Natur, in dem der Gott sich kundgibt. Was eigentlich mit dem Sich-sehen-lassen JHWH’s gemeint ist, haben wir in der Erzählung vom brennenden Dornbusch kennen gelernt: »in der Feuerlohe«, nicht als eine von ihr unterschiedene Gestalt, sondern eben in ihr und durch sie, gibt sich der »Bote« JHWH’s, d. h. JHWH als in die irdischen Geschicke eingreifende Macht, Mose zu sehen. Und eben solcher Art ist, soweit ich es aus dem Text zu ermitteln vermag, das, was die Vertreter Israels auf der Höhe des Sinai zu sehen bekommen. Sie sind wohl vor Morgengrauen durch zähen niederhängenden Wolkendunst gewandert, und in ebendem Augenblick, da sie das Ziel betreten, zerreisst, wie es mir selber einmal widerfuhr, das dicke Gewölk und vergeht, bis auf ein noch verharrendes, aber schon durchglänztes Wolkengebild; genug, die saphirne Nähe des Himmels überwältigt die altgewordenen DeltaHirten, die nie noch zu kosten, nie zu ahnen bekommen haben, was das Spiel des frühen Lichtes über den Gipfeln der Berge erschliesst. Eben dies aber nehmen die Vertreter der befreiten Stämme als das wahr, was »unter den Füssen« ihres thronenden Melek ist, und indem sie sehen, was ihm entstrahlt, sehen sie ihn. Er hat sie mit seiner grossen Macht durchs Meer und durch die Wüste geführt und »auf Adlersflügeln« zu diesem Berg seiner Kundgebung gebracht; er hat mit ihnen hier den Blutbund, den Königsbund geschlossen; er hat sie zu sich zum Mahl geladen; und nun, da sie bei ihm angelangt sind, gibt er in den Herrlichkeiten seines Lichtes ihnen sich selber zu sehen, sichtbar werdend und unsichtbar bleibend. Die Netzhaut ihrer Augen fängt nichts anderes auf, als was auch die unsre aufzufangen vermag; sie aber sehen den Offenbarer. Auch solches »Sehen« der Gottheit ist gefährlich; denn wo JHWH ist, ist auch die ganze göttliche Dämonie. Aber er begnadet, wen er begnaden will: der Tischherr streckt nicht seine Hand aus gegen die »Eckpfeiler«

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oder »Gelenke« des Volkes. Mit grosser Absicht schliesst die Erzählung mit dem uns auf den ersten Blick fast krass anmutenden Satz: »Sie schauten die Gottheit und assen und tranken«. Mit der leiblichen Funktion des Bundesmahl-Essens muss das fortdauernde Bewusstsein der göttlichen Gegenwart sich verbinden. Aber dieses Bewusstsein selber ist nun weniger leiblich geworden als es war; das dem prophetischen Erfahrungskreis zugehörige Verb chazah, schauen, ist weniger auf einen objektiven Gegenstand bezogen, innerlicher als raah, sehen; man darf hier etwa »die innerliche Aneignung des Gesehenen« 121 darunter verstehen. Die Urbläue verblasst mit der höher steigenden Sonne; aber das Herz der geheiligt das Geheiligte Essenden ist ihrer voll wie sie war.

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Die Worte auf den Tafeln In uns erhalten gebliebenen Exzerpten aus einer »Theosophia«, dem Werk eines wahrscheinlich alexandrinischen Schriftstellers vom Ende des fünften nachchristlichen Jahrhunderts 122 lesen wir unter vielen anderen merkwürdigen Notizen, es seien von Mose zwei Dekaloge niedergeschrieben worden. Der erste, also ältere, von ihnen laute: »Ihre Altäre sollt ihr schleifen, ihre Malsteine sollt ihr zerhämmern, ihre Pfahlbäume (Ascheren) sollt ihr ausroden« usw.; gemeint ist Exodus 34, 13-26, woraus sich freilich nur mit einiger Not zehn Gebote konstruieren lassen. Der zweite ist der Dekalog der Tradition, Exodus 20, 2-17. Die Meinung geht also, der geläufigen wissenschaftlichen Terminologie nach, dahin, Mose habe einen – polemisch beginnenden, dann zu mannigfaltigen Vorschriften übergehenden – »kultischen« Dekalog dem »ethischen« vorausgeschickt. Dass der Anfang, den er angibt, mit seinem auf die früher genannten Völkerschaften Bezug nehmenden »ihre« gar kein Anfang sein kann, hat der Verfasser anscheinend nicht beachtet. Goethe, der in einer »mit unsäglicher Mühe« vorbereiteten, aber von der Universität Strassburg abgelehnten Dissertation zu beweisen unternommen hatte, »dass die zehn Gebote nicht eigentlich die Bundesgesetze der Israeliten wären«, nahm anderthalb Jahre danach die These wieder auf, in einer kleinen Schrift, betitelt: »Zwo wichtige bisher unerörterte biblische Fragen, zum ersten Male gründlich beantwortet von einem Landgeistlichen in Schwaben«. Hier lässt er seinen Landgeistlichen eine Auffassung darlegen, die sich mit jener in der (Goethe unbekannten) »Theosophia« vorgebrachten im wesentlichen deckte, nur dass er mit dem Satz »Du sollst keinen andern Gott anbeten« beginnt, der recht wohl den Anfang eines Dekalogs abgeben kann. Goethe ist es darum zu tun, den »beschwerlichen alten Irrtum« zu überwinden, der Bund, »mit dem sich Gott ganz besonders Israel verpflichtete«, habe »auf Universalverbindlichkeiten gegründet werden können«. Was uns als Dekalog gilt, ist nur »das Proömium der Gesetzgebung«, das nach Ansicht des schwäbischen Dorfpfarrers Lehren enthält, »die Gott bei seinem Volk als Menschen und als Israeliten voraussetzte«. Dahinter aber steht, nicht ohne Widerspruch mit dem Gesagten, Goethes eigentlicher Gedanke: die Geschichte und Lehre des Volkes Israel habe bis zur Stunde, da das Christentum auf seinen Stamm gepfropft wird, einen partikularen und nicht einen universellen Charakter gehabt. Einige Jahrzehnte später, in den Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan, erklärte Goethe, er habe das, »was allen Ländern, allen sittlichen Menschen gemäss sein würde«, von dem zu sondern gesucht, »was das Volk Israels besonders

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angeht und verbindet«. Er hat diese Sonderung nicht weiter ausgeführt; jedenfalls aber ist er mit ihr, wie sie in der Jugendarbeit zum Ausdruck kommt, einen Schritt hinter seine Lehrmeister Hamann und Herder zurückgegangen, die in jenem Partikularen den Erdenleib erkannten, ohne den jenes Universelle kein irdisches Leben gewinnt. Ein Jahrhundert nach den »Zwo Fragen« hat Wellhausen – dem die kritische Forschung auch darin lange uneingeschränkt gefolgt ist und vielfach noch heute folgt – in umfassender quellenkritischer Analyse die Priorität des »Goetheschen Zweitafelgesetzes« zu erweisen unternommen: Exodus 20 und Exodus 34 stehen sich schroff gegenüber, »dort sind die Gebote fast nur moralisch, hier ausschliesslich ritual« 123, und das Rituale ist eben nach der ja auch noch in unseren Tagen herrschenden Auffassung schlechthin das Ältere, das Ursprüngliche. Der Dekalog von Exodus 20 erscheint als von dem prophetischen Protest gegen den Ritualismus beeinflusst, wogegen der von Exodus 34 die primitive Pansakralität der Mosezeit, wenn auch in einer durch die kanaanäischen Verhältnisse bedingten Ausgestaltung, spiegeln soll. Wenn wir diesen sogenannten »kultischen Dekalog« unbefangen betrachten, sehen wir, dass er kein in sich geschlossenes Gebild wie der »ethische« ist, sondern eine Zusammenstellung von Nachträgen und Ergänzungen darstellt, und zwar im wesentlichen solchen, die sich aus dem Übergang zu einem geordneten Bodenbau und der damit verbundenen Kultur ergeben. Die meisten davon, fast ausschliesslich Nachträge, finden wir in derselben oder ähnlicher Form auch in dem sogenannten »Bundesbuch« (20, 22-23, 19); dagegen beziehen sich die Ergänzungen in keinem Fall auf Gesetze dieses Buches, sondern lediglich auf solche, die entweder in dem »ethischen Dekalog« oder in einer im Texte früher stehenden Verordnung zu finden sind. So werden die Bestimmungen für die Darbringung oder Ablösung der tierischen Erstgeburt (13, 11 ff.) auf das neu hinzugekommene Rind erstreckt (vgl. 22, 29). Zu Exodus 20 werden zwei charakteristische Ergänzungen geliefert: das Bilderverbot, das dort (wie noch zu zeigen sein wird) nur gehauene und geschnitzte Bilder zum Gegenstande hat, wird auf gegossene erweitert (vgl. 20, 23) und vom Gebot der Sabbatruhe wird eingeschärft, dass es auch für die Zeiten der drängendsten Feldarbeit, Pflügen und Ernten, gelten soll. Daraus darf gefolgert werden, dass die Zusammenstellung jünger ist als der Dekalog in seiner ursprünglichen Form. Sie ist daher mit Recht neuerlich 124 »ein sekundäres Mischgebilde« genannt worden, nur dass sie wohl als älter als die uns vorliegende Redaktion des »Bundesbuches« anzusehen ist, da sie die Doubletten gewiss nicht aus dieser übernommen hat. Immerhin ist die Auswahl offenbar unter einem bestimmten führenden

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Gesichtspunkt erfolgt, so dass wohl anzunehmen ist, dass wir das aus altem Material zusammengestellte »Hausbuch eines palästinensischen Heiligtums« 125 vor uns haben. Die kritische Forschung der Schule Wellhausens hat den wirklichen Charakter der Zusammenstellung zumeist nicht oder nicht genügend beachtet; sie hat im allgemeinen nicht aufgehört, ihr hohes Alter und den sich darin äussernden »Einfluss der Religionsstiftung Moses« 126 zu betonen, wogegen der Dekalog in immer spätere Zeit gerückt wurde, bis feststand, er könne keiner andern als der exilisch-nachexilischen angehören 127, ja, er sei geradezu der Katechismus der religiösen und sittlichen Pflichten des exilischen Israel 128 und als solcher »ein Erzeugnis der Religionsnot Israels im Exil« 129. Vertreter einer gemässigten Ansicht erklärten immerhin, die zehn Gebote seien »für das älteste Israel ebenso unmöglich wie überflüssig« 130. Solcher negativen Sicherheit gegenüber ist in den letzten drei Jahrzehnten doch auch wieder die Einsicht in die Notwendigkeit einer neuen und von allen Theorien unabhängigen Nachprüfung des Tatbestandes gewachsen. Man hatte im wesentlichen im Hinblick auf einzelne Gebote argumentiert und sie als mit den sozialen und kulturellen, sittlichen und stilistischen Voraussetzungen der Frühzeit unverträglich befunden, worauf die Anhänger der mosaischen Herkunft des Dekalogs damit geantwortet hatten, dass sie die problematischen Bestandteile nach Inhalt und Sprache als spätere Zusätze charakterisierten und einen unanfechtbaren Urdekalog herauslösten. Nun aber wird immer mehr der Hauptakzent von den Teilen auf das Ganze verlegt. Die These von der Unmöglichkeit so hoher ethischer Forderungen in jener Zeit war entkräftet worden, als durch die Publikation und Übertragung ägyptischer und babylonischer Texte Kenntnis und Verständnis einer geistesgeschichtlichen Wirklichkeit sich verbreitete, die man als den altorientalischen Sittenkodex bezeichnet hat, die aber besser als die altorientalische Neigung zu erfassen ist, kultische Postulate und Prohibitionen mit moralischen zu mischen. In den am bekanntesten gewordenen und auch beachtenswertesten Texten, einem Bekenntnis des Verstorbenen vor den Totenrichtern aus dem ägyptischen »Totenbuch« (aus dem Zeitalter, in das der Auszug der Israeliten fällt) und einem »Sündenkatalog« aus den babylonischen Beschwörungstafeln, überwiegt das Moralische weitaus 131, und schon dadurch allein wird die generelle Behauptung, das Kultische gehe dem Ethischen voraus, widerlegt. Aber auch wenn wir uns bei den sogenannten Primitiven umsehen und etwa die Stammeslehren lesen 132, die in einem ostafrikanischen Stamm die Alten

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den in die Gemeinschaft aufzunehmenden Knaben vortragen, merken wir, dass die eigentliche Sorge dem richtigen Verhalten zwischen den Mitgliedern einer Sippe, zwischen den Mitgliedern eines Clans gilt, wozu hier noch besonders kommt, dass immer wieder betont wird, dies eben sei der Wille des Gottes, des »Himmelsmenschen«. Die gründlichsten Bestreiter einer mosaischen Herkunft des Dekalogs verneinen denn nun auch nicht mehr die Möglichkeit, dass Mose sittliche Gebote, wie sie im Dekalog stehen, verkündigt habe. »Die sittlichen Gebote des Dekalogs«, sagt einer von ihnen 133, »gehören eben jenen Grundgesetzen an, deren auch das primitivste Gesellschaftsleben nicht entraten kann«. Es gehe somit nur darum, ob Mose die sittlichen Gebote »als die Totalität der grundlegenden Vorschriften der Religion« betrachten konnte, ob er wirklich »die Sammlung dieser Gebote als die religiöse und moralische Norm par excellance« dargeboten habe; dies aber sei »unwahrscheinlich im höchsten Grade und undenkbar nach dem Zeugnis der Quellen«. »Nicht das ist das Problem«, sagt ein anderer Kritiker 134, »ob Mose einzelne religiöse und sittliche Forderungen von diesem Gehalt aufstellen konnte, sondern ob schon Mose, nach dem was wir sonst von seiner religiösen Anschauung wissen, es zuzutrauen ist, dass er mit einer Genialität, die nur an der Jesu ihre Parallele hat, ja die bei Mose, der am Anfang der religiösen Entwicklung steht, noch weit über die Jesu hinausgehen würde, die Grundforderungen der Frömmigkeit und Sittlichkeit mit Ausscheidung aller anderen Momente, die sonst im religiösen und sittlichen Leben bedeutungsvoll waren, in diesem Dekalog zusammenzufassen vermochte.« Was hier mit den Worten »was wir sonst von seiner religiösen Anschauung wissen« gemeint ist, wird dahin erklärt, aus den ältesten Sagen gewännen wir ein anderes Bild der Persönlichkeit Moses, als wir es voraussetzen müssen, um den Dekalog begreifen zu können: »Mose der Zauberer, der Heilkünstler, der Orakelerteiler, der faustische Magier ist eine andere Figur als der Mann, der das Wesen von Frömmigkeit und Sittlichkeit in die wenigen lapidaren Sätze des Dekalogs zusammenfasst«. Aber ganz abgesehen von der Grundfrage, über die sehr verschiedene Ansichten möglich sind, nämlich welches die ältesten Sagen seien: angenommen, dass in ihnen Mose als Thaumaturg u. dgl. erscheint, was ist daraus zu folgern? Auf derselben Seite einer Schrift, auf die sich der eben angeführte Forscher beruft, lesen wir 135 zuerst: »Mose der faustische Magier ist eine durchaus glaubwürdige Steppenfigur« und dann »Die Taten des antiken Helden werden schon von der Mitwelt als Wunder und Zaubereien empfunden und gelten leicht auch ihrem Urheber selbst dafür«. Dass Mose selber viele seiner wirklichen Taten, und gerade die ent-

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scheidenden, als »Wunder«, richtiger: als durch ihn geschehende Taten seines Gottes empfand und verstand, ist offenkundig, aber das macht ihn nicht zum »faustischen Magier«, eher zum Gegenteil; und dass ihm etwas, was er tat, als »Zauberei« gegolten habe, ist unbelegbar. Anders die Sage, zum Teil auch schon die im Gemüt der Mitlebenden – offenbar unter dem Einfluss ägyptischer Vorstellungen 136 – entstandene: die Mirakeldurstigen, deren bildnerisches Gedächtnis ihnen ermöglicht, sich an Vorgänge so zu erinnern, wie sie sich nicht abgespielt haben und nicht abgespielt haben können, haben Gott selber zum Zauberer gemacht und mit ihm auch seinen Gesandten. Ebenso ist die Legende, und zweifellos schon die frühe, mit Jesus verfahren; sie hat sich nicht damit begnügt, seine Heilungen zu verklären, sie hat ihn auch auf den Fluten wandeln, dem Wind gebieten und Wasser in Wein verwandeln lassen. Das Werk der Sage ist gross und reisst heute wie je unser Herz hin 137; das darf uns aber nicht hindern, mit unserem nach Wirklichkeit verlangenden Blick, wo wir können, durch ihren Schleier zu dringen und, so gut wir können, dahinter die reine Gestalt zu schauen. Und dazu hilft uns nichts so sehr, bei Mose wie bei Jesus und anderswo, wie die Aussprüche, die wir, von andern Kriterien als von einem aus dem Sagenstoff geschöpften Gesamturteil über die »religiöse Anschauung« der Person aus, diesem und eben diesem Menschen rechtmässig zuschreiben zu dürfen glauben. Gewiss, es bleibt, dass Mose uralte, mit magischer Bedeutung geladene Riten übernommen hatte. Aber er hat an ihnen, wie wir am Beispiel des Passah, des Sabbat, des Blutbundes gesehen haben, eine fundamentale Sinnwandlung vollzogen, ohne ihnen damit von ihrer Vitalität zu nehmen, vielmehr indem er diese Vitalität selber verjüngte, indem er diese Vitalität aus einer naturhaften zu einer geschichtlichen machte. Die Sinnwandlung aber, die er an ihnen vollzog, hat er aus ebendemselben Glaubensgrund geholt, aus ebenderselben Glaubensart und Glaubenskraft, die in den drei ersten der zehn Gebote unvergängliche Gestalt gewonnen haben. Es ist, wenn man erst an diesen Glaubensgrund gerührt hat, nicht schwer zu verstehen, dass Mose von ihm aus diese und eben diese Grundforderungen, nicht weniger, aber auch nicht mehr, zu Worte gebracht und zu einer Einheit verbunden hat. Aber es muss versucht werden, den Tatbestand im einzelnen noch deutlicher zu machen. Was die Kritiker neuerdings gegen die mosaische Herkunft des Dekalogs einwenden, bezieht sich, wie gesagt, nicht auf den Inhalt der einzelnen Gebote, sondern auf ihre Erhebung zu Grundsätzen der Religion – ich würde vorziehen zu sagen: zu Grundsätzen des Gemeinschaftslebens unter der Gottesherrschaft. Das ist mit besonderem Nachdruck am Bil-

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derverbot dargelegt worden, und wir können kein besseres Beispiel wählen, um den Tatbestand zu verdeutlichen. Einer der radikalsten Kritiker hat zugestanden 138, die bilderfeindliche Bewegung im späteren Israel habe sich wohl mit einer gewissen Berechtigung auf Mose berufen. Wie bei den alten Arabern und in den Frühzeiten der semitischen Kulturen, dürfte auch damals die Kunst keinen Platz im Kult eingenommen haben. Man habe wohl damals, wie wir es von den vorislamischen Arabern wissen 139, angefangen Steine zu Götterbildern dadurch zu bearbeiten, dass man einer natürlichen Ähnlichkeit, etwa mit einem Menschenhaupt, durch Kunst nachhalf. Zwischen dieser primitiven Kulturlage und den späteren gegen die Gottesbilder gerichteten Tendenzen, wie sie ihren extremen Ausdruck im Dekalog gefunden hätten, bestehe der wesentliche Unterschied, dass jener der bildlose Kult als ein ganz natürlicher Brauch erschien, wogegen er für die Späteren ein Reformprogramm bedeutete. Das Natürliche bedürfe nicht der Festlegung durch ein besonderes Gebot. Der zum Prinzip erhobene bildlose Kult könne demnach nicht aus der Zeit Moses stammen. Edvard Lehmann hat mit Recht darauf hingewiesen 140, dass es oft schwer ist zu entscheiden, ob ein Kult deshalb bildlos ist, weil er sich noch nicht, oder weil er sich nicht mehr mit Bildern befasst. Es gibt aber historisch wichtige Konstellationen, in denen das Erscheinen einer grossen Persönlichkeit im Zeitalter des Noch-nicht die höchsten Lehren des Zeitalters des Nicht-mehr in einer schlichten und unüberbietbaren Form vorwegnimmt. Wir müssen uns zunächst vergegenwärtigen, dass es sich mit dem Noch-nicht im mosaischen Israel nicht gar so einfach verhält: wenn wir annehmen, dass es, wenn auch nicht hinsichtlich des Glaubens an diese oder jene Götter, so doch hinsichtlich des Brauchs, sich von den geglaubten Göttern Bilder zu machen, unter ägyptischem Einfluss gestanden hatte. In diesem Fall muss es wohl zu einem Kampf gekommen sein zwischen denen, die sich diesem Einfluss nicht entwinden konnten oder wollten, und denen, die ihn ausrotten wollten. Darf man aber an dem ungekürzten Wortlaut des »Bilderverbots« als früh festhalten – womit ich meine, dass zwar nur V. 4 a dem ursprünglichen Text angehört, der Rest des Verses aber doch sehr bald hinzugefügt worden ist – so erweitert sich uns noch die Perspektive. Denn dann liegt uns hier mehr als ein Bilderverbot vor; auf dieses nämlich folgt das Verbot, irgendeine all der Gestalten, die am Himmel, auf Erden, im Wasser wahrgenommen werden, anzubeten (»und alle Gestalt, die … und die … und die …, verneige dich nicht vor ihnen und diene ihnen nicht«). In Ägypten waren es ja die grossen nationalen Götter, die in der Gestalt von Tieren und anderen

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Naturwesen erschienen. Es wird also, nachdem in Vers 3 die »anderen Götter« ausgeschaltet worden sind, implicite verboten, JHWH selber im Bilde oder in einer der Naturgestalten anzubeten. Tiefer dringt unser Blick, wenn wir unsern Standort darin nehmen, was wir vom Wesen des israelitischen Gottes wissen. Ursprünglich war er, was man einen Weggott genannt hat 141, aber von allen andern Weggöttern wesensverschieden. Die Funktion eines Weggottes, der die wandernden Nomadenscharen und die Karawanen schützend durch die Wüste geleitet, hat in Mesopotamien der Mond, der Gott, »der den Weg eröffnet«, mit seinen Helfern, in Syrien neben ihm der Abendstern ausgeübt. (Charakteristischerweise ist ein solcher Weggott der Nabatäer, dessen Name etwa »der den Stamm begleitet« bedeutet, von Epiphanius anscheinend für den vergotteten Mose gehalten worden 142.) Es ist gewiss nicht ohne Belang, dass der Name der Stadt Harran, die neben Ur der Hauptsitz des mesopotamischen Mondkults war, der Stadt, in der Abraham sich von seiner Sippe trennt, »Weg, Karawane« bedeutet und wohl den Ort bezeichnet, »wo die Karawanen sich treffen und von wo sie ausziehen« 143. Der Gott, von dem Abraham sich nach seinem »Abirren« von Harran an auf seinen Wanderungen führen lässt, ist – abgesehen davon, dass er eben nur ihn und seine Sippe führt 144 – von allen solaren, lunaren und stellaren Gottheiten zunächst dadurch unterschieden, dass er nicht regelmässig am Himmel zu sehen ist, sondern sich nur jeweils, wann und wo er will, seinen Erwählten zu sehen gibt. Das besagt notwendigerweise, dass mannigfaltige Naturgegenstände und -vorgänge jeweils als Erscheinungen des Gottes angesehen werden und man nicht im vorhinein sicher wissen kann, wie, worin er das nächste Mal erscheinen wird. Bei den Hebräerstämmen in Ägypten ist vermutlich und begreiflicherweise die führerische Funktion des alten Sippengottes in Vergessenheit geraten. Sie ist es offenbar, die im Geiste Moses lebendig wird, als er in Midian der Möglichkeit nachsinnt, die Stämme herauszuholen. Der Gott, der ihm begegnet, will sein Führeramt wieder aufnehmen, nunmehr an »seinem Volke«. Mit seinem Wort »Ich werde dasein, als der ich dasein werde« bezeichnet er sich als den, der nicht auf eine bestimmte Erscheinungsweise festgelegt ist, sondern sich jeweils den von ihm Geführten, um sie zu führen, so zu sehen gibt, wie es ihm beliebt 145. So ist es zu verstehen, dass fortan Wolke und Rauch und Feuer und allerhand Lichtphänomene von dem Beauftragten als Manifestationen aufgenommen werden, aus denen er den weiteren Gang des Weges durch die Wüste, das Wohin und das Wie, zu erschliessen hat. Immer aber – und das ist das fundamental Eigentümliche – bleibt JHWH der Unsichtbare, der sich nur zu sehen gibt, in der Lohe, im »Kern des Him-

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mels«, im Zucken der Blitze. Freilich wechseln damit auch anthropomorphe Manifestationen ab, aber darunter ist keine in einer eindeutig umrissenen Gestalt, mit der JHWH zu identifizieren wäre. Darum darf er nicht abgebildet, d. h. auf eine bestimmte Form festgelegt werden und darf nicht mit einer der »Gestalten« in der Natur gleichgesetzt, d. h. auf eine bestimmte Erscheinung beschränkt werden. Er ist nur dann der Geschichtsgott, der er ist, wenn er in der Natur nicht lokalisiert wird, gerade weil er sich alles dessen, was in der Natur potenzierte Sichtbarkeit ist, insbesondre alles naturhaften Lichts, zu seiner Kundgebung bedient. Das »Bilder«- und »Gestalten«-Verbot war zur Aufrichtung seiner Herrschaft, zur Einsetzung seiner Unbedingtheit allen geläufigen »anderen Göttern« gegenüber unerlässlich. Keine spätere Geschichtsstunde hat es mit solcher Gewalt wie diese gefordert; jede spätere, die um die Bildlosigkeit kämpfte, konnte nur die Urforderung erneuern. Gleichviel was dem stifterischen Willen Moses unmittelbar entgegenstand, ob die Erinnerungen an die grossartigen ägyptischen Bildwerke oder die unbeholfenen Versuche, die sich im Volke selber regten, sich durch leichte Bearbeitung von Holz oder Stein eine Form zu schaffen, in der man das Göttliche zuverlässig mit sich führen konnte: er sah sich gewiss einer Gegentendenz gegenüber, nämlich jener natürlichen, in allen Religionen, von den rohesten bis zu den sublimsten, mächtigen Tendenz, über die Gottheit sinnlich zu verfügen. Der Kampf gegen sie ist nicht ein Kampf gegen die Kunst – mit einem solchen hätte sich der Bericht von Moses Initiative zum Schnitzen der Kerubenbilder freilich schlecht vertragen – sondern er ist ein Kampf gegen die sich wider den Glauben auflehnende Phantasie. Man wird diesen Kampf, mehr oder weniger deutlich, in den entscheidenden Frühstunden, den plastischen Stunden jeder »gestifteten«, d. h. aus der Begegnung der menschlichen Person mit dem Geheimnis geborenen Religion wiederfinden. Mose musste – mehr als irgendein Späterer in Israel musste er den »bildlosen Kult«, vielmehr das bildlose Dasein des Unsichtbaren, der sich zu sehen gibt, zum Prinzip erheben 146. So hat sich uns, an dem Beispiel des Satzes, dessen hohes Alter am stärksten angefochten worden ist, das Wurzeln dieser Gebote und Verbote in einer bestimmten Zeit und Situation gezeigt. Noch aber bleibt die entscheidende Frage offen, ob denn gerade aus dieser Zeit und Situation das Ganze als solches, als Sammlung und Komposition, zu erklären sei: ob man denn von Mose annehmen könne, dass er aus der Fülle der vorhandenen oder in der Bildung begriffenen Sätze über das Richtige und das Unrichtige, über Sollen und Nichtsollen, gerade diese, mit Ausscheidung alles Kultischen, ausgesondert und zur absoluten Norm zusammengeschmiedet habe.

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Zunächst tritt uns noch einmal, wenn auch in gemilderter Form, der Einwand der »Primitivität« entgegen. Man bestreitet 147, dass in der mosaischen Epoche der Religion Israels Tendenzen bestanden hätten, die das Erscheinen eines »Katechismus« ermöglichten, in dem der Kult bewusst in den Hintergrund geschoben und der Hauptgehalt der Religion auf rein ethische Sätze zurückgeführt wird. Eine solche Annahme beruhe auf einem »Mangel an Verständnis sowohl der Mentalität wie der Zivilisation der mosaischen Epoche« 148. Die »prälogische« Denkweise jener Epoche schliesse den Primat des »sakralen Systems« ein, denn »in seiner Religion und in seinen Kultübungen hat der Primitive das Mittel, alles das hervorzubringen, was er notwendig braucht« 149. In diesem Sinne aber sei sogar »die höchste Blüte der ägyptischen Kultur« primitiv. Eine solche Art, den Primitivitätsbegriff zu handhaben, bedeutet eine bedenkliche Vereinfachung der Religionsgeschichte. Religionen als Komplexe volkstümlicher Einrichtungen und Überlieferungen sind zu allen Zeiten und in allen Völkern mehr oder weniger »primitiv«; der innere Kampf um den Glauben, um die persönlich erfahrene Wirklichkeit ist in allen Religionen unprimitiv. Eine religiöse Wendung, eine innere Wandlung, die auch die Struktur verändert, vollzieht sich aber nie ohne inneren Kampf. Vollends die Religion Israels können wir in ihren Wegen und Wendungen gar nicht erfassen, wenn wir nicht auf die innere Dialektik, auf das auf verschiedenen Stufen und in verschiedenen Formen immer wiederkehrende Ringen um die Wahrheit des Glaubens, um die Offenbarung achten. Dass aber dieser Kampf schon zur Zeit Moses anhebt, ja dass er den Urkampf führt, an den alles Spätere, darunter auch der grosse Protest der Propheten gegen einen intentionsentleerten Kult, nur anknüpfen kann, ist, wenn auch im allgemeinen in sagenhafter Form, durch die grossen und kleinen Geschichten bezeugt, die vom »Murren«, von der Auflehnung, vom Aufruhr erzählen und von denen die meisten eine religiöse Problematik als Untergrund erkennen oder ahnen lassen: das Volk will sinnliche Sicherheit, es will den Gott »haben«, es will über ihn durch ein sakrales System verfügen können, und diese Sicherheit kann und darf Mose ihnen nicht geben. Damit soll jedoch keineswegs behauptet werden, Mose hätte »eine klar und bewusst antikultuelle«, d. h. gegen den Kultus gerichtete Religion »gegründet« 150. Nichts behindert die geschichtliche Erkenntnis, die eine Erkenntnis nicht von Kategorien, sondern von Tatsachen ist, so sehr, wie eine solche Aufstellung extrem formulierter Alternativen. Von einer Ablehnung des Kultus kann hier schlechthin nicht die Rede sein. Man muss sich nur zunächst vergegenwärtigen, dass einem halbnomadischen Leben kein hohes Mass kultischer Sitten und Anstalten zugehört – gerade hier

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ist eine uralte Tendenz unverkennbar, »die Sittlichkeit über den Kultus zu stellen« 151 – und dass von dem Vorgefundenen alle jene Elemente ausgeschaltet wurden, die der Ausschliesslichkeit des JHWH-Dienstes widersprachen. Was übrig blieb, daran brauchte kein Formwandel, nur ein Sinnwandel vollzogen zu werden, um der Absicht Moses genug zu tun: das sakrale Prinzip blieb, nur die sakrale Sicherheit, die sakrale Verfügungsgewalt über den Gott wurde entwurzelt, wie es sein Wesen und seine Art verlangten. An ihre Stelle trat die Weihung von Menschen und Dingen, von Zeiten und Räumen an ihn, der seine Gegenwart dem von ihm erwählten Volke schenkt, wofern es im Königsbund verharrt. Warum aber sind im Dekalog keine kultischen Verordnungen zu finden? Warum wird im Gebiet des Kultischen nur Falsches verboten und nicht das Rechte geboten? Warum kein Gebot der Beschneidung? Warum Sabbat und nicht auch Neumond? Warum Sabbat und nicht auch Passah? Weist das nicht auf späte Herkunft hin, wo im Exil, fern vom Heiligtum, der Sabbat im Mittelpunkte des religiösen Lebens stand? All diese und ähnliche Fragen besagen miteinander: warum enthält der Dekalog eben diese Sätze, diese und keine andern, nicht mehr und nicht weniger? Warum sind gerade sie zur Norm zusammengeschlossen worden, und wo wäre in der Frühzeit das Prinzip zu finden, von dem aus dieser Zusammenschluss geschah? Die Frage umfasst naturgemäss auch die analogen Einzelfragen, die innerhalb des ethischen Gebietes auftauchen, wie: Kann man sich in der Zeit Moses ein Verbot des »Begehrens« denken, das zum Unterschied von allen andern nicht auf Handlungen sondern auf die Gesinnung abzielt?, oder andererseits: Warum fehlt ein Verbot der Lüge? 152 Auf all die Fragen wird wohl eine einzige umfassende Antwort zu geben sein, und sie wird notwendigerweise Auswahl und Komposition in einem zum Gegenstand haben müssen. Es geht somit um die Formgattung als solche. Warum ein Dekalog oder ein ihm ähnliches Gebilde? Warum eben diese Zehn? Warum, und das heisst: Wozu? Wozu, und das heisst: Wann? Um die Antwort zu finden, müssen wir uns zunächst von der verbreiteten Vorstellung freimachen, der Dekalog sei ein »Katechismus«, der die Essenz der israelitischen Religion in übersichtlicher Form, in an den zehn Fingern abzuzählenden Glaubensartikeln, »zusammengestellt zum Auswendiglernen« 153 darbietet. Wenn schon an zehn Finger zu denken ist, dann wohl eher an die des Gesetzgebers selber, der zuerst ein Gesetzfinder ist und in seinen beiden Händen gleichsam ein Bild der erforderten Vollständigkeit vor sich sieht, ehe er sie beide der Menge entgegenhebt. Wir verfehlen das Wesentliche, wenn wir den Dekalog als den »Katechismus der Hebräer in mosaischer Zeit« 154 verstehen. Ein Kate-

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chismus bedeutet eine Anleitung für den, der sich auf Grund angenommener Sätze, die er ganz oder in abgekürzter Form vorträgt, als vollgültiges Mitglied einer Religionsgemeinschaft ausweisen können soll; er ist demgemäss teils in der dritten Person, als eine Reihe von Aussagen, teils in der ersten, als eine Reihe von Bekenntnissen, abgefasst. Die Seele des Dekalogs aber ist sein »Du«; hier wird weder ausgesagt noch bekannt, sondern geboten, und zwar dem, der angesprochen wird, dem Hörer. Im Gegensatz zu allen Katechismen und katechismusähnlichen Abfassungen ist hier alles auf die eine Stunde bezogen, in der gesprochen und gehört wird. Vielleicht hat einst nur der Mann, der die Worte aufzeichnete, sich als angesprochen erfahren, vielleicht hat er das Vernommene dem Volke nicht mündlich, das »Ich« des Gottes in den Mund nehmend, als wäre es sein eigenes, sondern nur schriftlich, die Distanz wahrend, übermittelt; jedenfalls hat zu allen Zeiten nur der den Dekalog wirklich aufgenommen, der ihn als zu ihm selber gesprochen vernahm, das heisst: der das darin niedergelegte Angesprochenwordensein jenes Ersten oder jener Ersten als sein eigenes Angesprochenwerden erfuhr. Vermöge seines »Du« bedeutet der Dekalog die Erhaltung der göttlichen Stimme. Fragen wir aber nun nicht mehr literarkritisch, sondern streng geschichtlich, so erweist der Dekalog wieder seine gattungsmässige Verschiedenheit von allen Katechismen: er ist im genauen geschichtlichen Sinn Gesetzgebung. Damit soll gesagt sein: die in ihm erkennbare Absicht geht weder auf Glaubensartikel noch auf Sittenregeln, sondern auf die Konstituierung einer Gemeinschaft durch eine Gemeinschaftssatzung. Dieser Sachverhalt ist dadurch verdunkelt worden, dass die Inhalte der einzelnen Gebote teils »religiös«, teils »ethisch« sind, und dass, wenn man die einzelnen Gebote für sich betrachtet, sie auch in ihrer Gesamtheit als auf das individuelle religiös-ethische Leben intendiert und als in ihm realisierbar erscheinen. Nur wenn man das Ganze als Ganzheit betrachtet, erkennt man, dass, wiewohl stets nur das Individuum angesprochen wird, doch nicht das isolierte Individuum gemeint ist. Nimmt man die »religiösen« Gebote für sich und die ethischen für sich, dann kann man beinahe den Eindruck gewinnen, sie stammten aus einer Kultur, in der Religion und Moral bereits gesonderte Sphären, jede mit einer besonderen Ordnung und einer besonderen Sprachform, geworden sind; sieht man sie hingegen in ihrem Zusammenhang an, dann merkt man, dass es hier solche Sonderbereiche gar nicht gibt, sondern nur ein noch undifferenziertes Gemeinschaftsleben, das zu seinem einheitlichen Aufbau einer sowohl »religiöse« wie »ethische« Elemente enthaltenden Verfassung bedarf. Die einigende Kraft soll hier von der Konzeption eines göttlichen

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Herrn ausgehen: in dem gemeinsamen Verhältnis zu ihm baut sich aus dem disparaten Volksmaterial die in sich geschlossene Volksgestalt auf, nur als Volk JHWH’s kann Israel entstehen und bestehen. Die Verfassung erscheint nicht als etwas Objektives, für sich Erfassbares, sondern als Ansprache von ihm, nur in der lebendigen Beziehung zu ihm aktualisierbar. Sie beginnt demgemäss mit seiner Selbstbestimmung als Herausholer und Befreier des angesprochenen Israel und damit jedes mitangesprochenen Menschen in Israel; er will nicht als der Herr der Welt, der er doch ist (19, 5b), sondern als der Führer aus Ägypten reden – in der Konkretheit dieser geschichtlichen Stunde will er anerkannt werden, von ihm aus soll das Volk seine Herrschaft annehmen. Das bedingt ein dreifaches Gebot durch dreifaches Verbot. Zum ersten: Gebot der ausschliesslichen Verehrungsbeziehung durch das Verbot, »andere Götter« »mir ins Gesicht« (vergl. Genesis 25, 18: »all seinen Brüdern fiel er ins Gesicht«) zu haben. Zum zweiten: Gebot der Ausrichtung auf seine unsichtbare und doch erscheinende Gegenwart durch das Verbot aller Versinnlichung. Zum dritten: Gebot der Treue zu seinem Namen als des wahrhaft »Daseienden« durch das Verbot, diesen Namen auf irgendeinen magischen »Wahn« zu »tragen« 155 und so irgendein Wahngebild am Dasein des Daseienden teilnehmen zu lassen. Damit sind freilich Götzendienst, Bilderdienst, Zauberdienst verboten; aber das Eigentliche, um dessen willen sie verboten sind, ist die ausschliessliche Anerkennung der ausschliesslichen Herrschaft des göttlichen Herrn, der ausschliesslichen Führung des göttlichen Führers, und zwar kommt es darauf an, ihn so anzuerkennen, wie er ist, und nicht, wie man ihn sich zurechtmachen möchte. Dieser erste Teil des Dekalogs, der das Leben der Gemeinschaft auf die Herrschaft des Herrn stellt, baut sich in fünf »Du sollst nicht« auf (die beiden mit »denn« beginnenden Sätze, Vers 5b-6 und Vers 7b scheinen späterer Zusatz zu sein). Sein dritter Teil (V. 13-17) erweist sich, wenn man den Schlussvers auf eine ursprüngliche kürzere Fassung zurückführt, ebenfalls aus fünf »Du sollst nicht« zusammengesetzt. (Genau genommen haben wir also ein Gebilde aus zwölf Sätzen vor uns.) Zwischen beiden steht ein Mittelteil, der das Sabbatgebot und das Gebot der Elternehrung (in kürzeren Fassungen) umfasst, beide mit einem positiven Imperativ beginnend; das erste weist als »religiöses« auf die vorhergehenden zurück, das zweite als »ethisches« auf die nachfolgenden voraus. Aber zwischen beiden besteht auch ein anderer als der bloss formale Zusammenhang. Beide – und innerhalb des Ganzen nur diese beiden – handeln von der Zeit, von der gegliederten Zeit, das erste von der geschlossenen Folge der Wochen im Jahr, das zweite von der offenen Folge der Gene-

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rationen in der Volksdauer. Die Zeit selber wird in die verfassungsmässige Grundlage des Volkslebens einbezogen, indem sie teils – im kleinen Rhythmus der Wochen – aufgegliedert, teils – im grossen Rhythmus der Generationen – in ihrer gegebenen Gliederung verwirklicht wird; das erste geschieht durch das jeweilige »Gedenken« des Sabbats als des JHWH geweihten Tags, das zweite durch die »Ehrung« der Eltern. Beides zusammen gewährleistet die Kontinuität der Volkszeit: die nie abbrechende Folge der Weihe, die nie abbrechende Folge der Überlieferung. Für einzelne Sonderfeste ist hier neben dem Sabbat kein Platz; er steht für das Gleichmass, für die gleichmässige Gliederung des Jahrs, und zwar eben für die nicht naturhafte, nicht lunare, sondern von der Konzeption der gleichmässigen Weihung jedes siebenten Tags aus gesetzte. Nicht das Besondere, nicht das nur zu bestimmten Zeiten und Fristen zu Vollziehende, sondern das Allzeitliche, allzeitlich Geltende allein gehört in die Grundverfassung. Der Kult ist keineswegs ausgeschaltet, aber nur seine allgemeinen Voraussetzungen, wie sie im ersten Teil des Dekalogs ausgesprochen sind, nicht aber seine Einzelheiten haben hier Aufnahme gefunden, der führenden Absicht gemäss. Wenn der erste Teil von dem Gott der Gemeinschaft und der zweite von der Zeit, dem Nacheinander der Gemeinschaft handelt, so ist der dritte dem Raum der Gemeinschaft, ihrem Nebeneinander gewidmet, insofern als hier das gegenseitige Verhältnis zwischen den Gliedern der Gemeinschaft normiert wird. Vier Dinge sind es vor allem, die geschützt werden müssen, damit die Gemeinschaft in sich gefestigt sei: das Leben, die Ehe, das Eigentum und die soziale Ehre; so wird die Verletzung dieser vier Grundgüter und Grundrechte der persönlichen Existenz in den einfachsten und prägnantesten Formeln verboten. Bei den drei ersten ist dem Verb sogar kein Objekt beigegeben, wodurch der Eindruck einer umfassenden, absoluten Bestimmung entsteht. Aber diese vier Gebote genügen noch nicht, um die Gemeinschaft vor der Zerrüttung durch allerorten ausbrechende innere Konflikte zu bewahren. Sie beziehen sich bloss auf Handlungen, auf die aktive Auswirkung der gegen den persönlichen Bereich des anderen gerichteten Leidenschaften oder Missgunstgefühle; sie beziehen sich nicht auf Haltungen, die nicht in Handlungen übergehen. Es gibt aber eine Haltung, die den inneren Zusammenhang der Gemeinschaft verstört, auch wenn sie sich nicht eigentlich in Handlungen umsetzt, ja die gerade durch ihre passive oder halbpassive Fortdauer zu einem fressenden Schaden besonderer Art am Leib der Gemeinschaft wird; es ist die Haltung des Neids. Das Verbot des »Begehrens«, gleichviel ob es in seiner ursprünglichen Form ohne Objekt stand 156 oder lautete »Begehre nicht das Haus – d. h. den Bestand

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des persönlichen Lebens überhaupt: Hausstand, Besitz und Ansehn (vgl. Exodus 1, 21) – deines Genossen«, ist als das Verbot des Neidens zu verstehen; es geht nicht auf eine Gesinnung des Herzens allein, sondern auf eine Haltung von Mensch zu Mensch, die das Gewebe der Gesellschaft zersetzt. Der dritte Teil des Dekalogs lässt sich seiner Grundtendenz nach in dem Satz zusammenfassen: Verdirb nicht an dem Punkt, auf den du gestellt bist, das Gemeinschaftsleben Israels. Da es, wie wir sehen, der Wille zur inneren Festigkeit der Gemeinschaft ist, der die Wahl der Gebote und Verbote bestimmt hat, müssen wir, wenn der Dekalog einer späteren Zeit zugeschrieben wird, einen Satz vermissen, der etwa lautet: »Bedrücke nicht deinen Genossen«. In einer Gesellschaft, die, wie wir es von der Königszeit Israels wissen, durch die ins Ungeheure gewachsene soziale Ungleichheit, durch den Missbrauch der Besitzmacht zum Ansichraffen des Kleinbesitzes, durch die Ausbeutung der Kräfte des wirtschaftlich Schwachen und Abhängigen von innen her zersprengt wurde, in einer Gesellschaft, in der Geschlecht um Geschlecht der grosse Protest der Propheten erscholl, ist eine zentrale Sammlung der zur inneren Festigung der Gemeinschaft unentbehrlichen Gesetze undenkbar, die das soziale Unrecht nicht ausdrücklich bekämpft. Sie ist einer Zeit angemessen, in der zwar schon Ungleichheit des Besitzes besteht, sie aber der ganzen Situation gemäss noch nicht zu verhängnisvollen Missbräuchen führen kann, so dass die daraus sich ergebende vordringliche Gefahr der Neid und nicht die Bedrückung ist. Aber wir können diese Zeit noch genauer bestimmen. Innerhalb des einzelnen Clans, ja des einzelnen Stammes herrschte, wie wir es auch von anderen semitischen Völkern kennen, eine Solidarität, die jeden Übergriff eines Mitglieds gegen den persönlichen Lebensbereich eines anderen verpönte und unmittelbar ahndete. Woran es in dem aus verwandten und unverwandten Elementen zusammengeströmten wandernden Israel, dem sich auf der Wanderung weitere Elemente anschlossen, fehlte, war die Solidarität zwischen den Stämmen; was ihm nottat, war die Erstreckung der Solidarität auf das Volk. In das Bewusstsein der Stammesmitglieder war für ihre Beziehung zu anderen Stammesmitgliedern das »Morde nicht«, »Buhle nicht«, »Stiehl nicht« tief eingegraben, ein analoges »israelitisches« Bewusstsein hatte kaum zu werden angehoben. Die Konstituierung eines Volkes aus Clans und Stämmen, die Mose unternahm, machte die Ausdehnung der Inhibition auf das Verhältnis zwischen den einzelnen Bestandteilen des Volkes zur Notwendigkeit. In keiner späteren Zeit war die Forderung so dringend wie in dieser plastischen schicksalhaften Stunde, wo es galt, aus ungleich gearteten, ungleich behauenen Steinen das »Haus Israel« zu bauen. Eine Wanderung

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ins Ungewisse, unter den schwersten äusseren Umständen, war begonnen; ehe ihr ein Ziel zu stecken war, musste, sei es auch nur in rohen, ungelenken Formen, ein Volkswesen gebildet werden, das überhaupt erst, als ein einheitliches Wesen, einen Weg zu einem Ziel zu gehen vermochte. Dazu war die Proklamierung einer Grundverfassung unerlässlich, die sich auf drei Prinzipien gründete: uneingeschränkte Herrschaft des einen Gottes, gleichmässige Dauer Israels im Wechsel der Jahre und Geschlechter, innerer Zusammenhalt der gleichzeitig Lebenden. Nicht zu Unrecht hat man 157 die Lage Moses mit der Hammurabis verglichen, der, um zwischen all den Stadtgemeinschaften seines Reiches mit all der Mannigfaltigkeit ihrer Sitten und Gesetze eine starke Einheit zu stiften, seinen Kodex schuf. Aber Hammurabi war der siegreiche Herrscher eines festgefügten Reiches, Mose der Führer einer formlosen, widerspenstigen Schar aus der Unfreiheit in eine problematische Freiheit. Freilich dürfen wir uns Mose nicht als einen aus Motiven einer »gesellschaftsbiologischen Notwendigkeit« planenden, auswählenden und komponierenden Gesetzgeber vorstellen, freilich war für sein Bewusstsein, wie für das seiner Nachfolger im Werk der Kodifikation, »nur der Anspruch des Gesetzes massgebend, Gottesgebote von absoluter Geltungsforderung zu weisen« 158. Aber wir brauchen hier zwischen bewussten und unbewussten Prozessen nicht allzu scharf zu scheiden. Mose ist nur vom Boden einer elementaren Einheit von Religion und Gesellschaft aus zu verstehen. Er hat das paradoxe Geschäft einer Herausführung der hebräischen Stämme nur unternommen, weil er in seiner unmittelbaren Erfahrung von der Gewissheit überwältigt worden ist, dass dies der Wille Gottes ist, der diese Stämme sein Volk nennt; er sinnt auf nichts anderes als darauf, diesem Gott die Gemeinschaft zuzubereiten, deren Bundesherr zu sein er sich bereit erklärt hat; aber eben deshalb muss er Israel eine Grundverfassung geben, die es in sich einig und fest macht. Gottesherrschaft über das Volk und innerer Zusammenhalt des Volkes sind ihm nur zwei Seiten derselben Wirklichkeit. Aus dem über seinen aufgeschlossenen Geist hereinbrechenden Wort »Ich JHWH bin dein Gott, der ich dich geführt habe aus dem Lande Ägypten« ergiesst sich alles weitere in unaufhaltsamem Strom und gewinnt doch auch alsbald die strenge Ordnung und Gestalt. Wohl, es geht ihm nicht um die Seele des Menschen, es geht ihm um Israel, aber es geht ihm um Israel um JHWH’s willen. Darum haben in Israel alle, denen es nach ihm um die Seele des Menschen gegangen ist, an sein Gesetz anknüpfen müssen. Wir dürfen somit, soweit uns überhaupt aus Texten wie den uns vorliegenden historische Folgerungen gewährt sind, in dem Dekalog »die Satzung« erkennen, »durch die die Moseschar mit ihrem Gott und unter

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sich verbunden wurde« – nur dass diese Schar eben nicht, wie es zuweilen geschehen ist, als eine »religiöse« Vereinigung, als »Jahweliga« 160, als »Kultverband« 161, als »Gemeinde« 162 zu verstehen ist, sondern, trotz ihres an Kristall-Lauge gemahnenden Zustands, als Vollgesellschaft, als »Volk«, als werdendes Volk. Es ist ein »einzigartiges Ereignis in der Menschheitsgeschichte« 163, dass in der Entstehung eines Volkes sich der entscheidende Kristallisationsprozess auf religiöser Grundlage vollzog. Ungeachtet der Wichtigkeit typologischer Erfassung der Phänomene in der Geistesgeschichte gibt es ja auch in ihr, eben weil sie Geschichte ist, das Untypische, das im genauesten Sinn Einmalige. Das gilt in besonderer Weise von der religiösen Urkunde jenes kristallartigen Zusammenschiessens, von dem »Dekalog«. Man hat gemeint 164, dass, wiewohl die aus ihm zu erschliessende ursprüngliche Kurzform »nichts enthält, was gegen seine Abfassung in der Zeit des Mose spricht«, dennoch »eine Rückführung auf Mose selber deshalb nicht möglich« sei, »weil jeder Dekalog seiner schriftstellerischen Art nach unpersönlich ist«. Aber wissen wir wirklich so viel von »den Dekalogen«, dass wir diesen einen nur einer typologischen Einsicht zu subsumieren brauchen, um zu erfahren, was in Bezug auf ihn möglich und was unmöglich ist? Alle anderen Gebilde im Pentateuch und anderen biblischen Büchern, die man als Dekalog zu bezeichnen pflegt, sind entweder lose und wie zufällig oder unzweifelhaft literarischer Herkunft, er allein in seiner Kernform ist in sich geordnet und zielgerecht wie ein vollkommenes Gerät, jedes Wort mit der Dynamik einer geschichtlichen Situation geladen. So etwas können wir als »unpersönliches« Schriftstück überhaupt nicht begreifen, sondern, wenn überhaupt, nur als Werk eben des Mannes, dem es oblag, die Situation zu bewältigen. Ist auch dies Hypothese, so ist es doch die einzige, die uns das erlaubt, worauf es ankommt: ein im Schrifttum vorgefundenes Wortgefüge in ein im Zusammenhang mit der Geschichte mögliches Ereignisbild einzustellen. Man verlangt mit Recht danach zu ermitteln, welchen »Sitz im Leben« solch ein Text habe, das heisst etwa, bei welcher Feier er regelmässig zur Verlesung gelangte. Aber gewichtiger noch als die Frage nach dem Gleichbleibenden, nach der Wirklichkeit des Kalenders, ist die nach dem Erstmaligen, nach der Wirklichkeit der Stiftung. Auch sie ist nur hypothetisch beantwortbar, aber sie ist beantwortbar. Versuchen wir, den von uns gesichteten Texten das Bild einer Folge von Vorgängen abzugewinnen, so ist vorerst trotz allem, was dafür spricht, die Ansicht abzuweisen, dass »der Dekalog die Urkunde war, auf Grund deren der Bundesschluss erfolgte« 165. Der Begriff der Urkunde im Bundesschluss scheint mir sekundär zu sein, daher entstanden, dass man ihn in späterer Zeit als Vertragsschluss missverstand; auf jeden Fall 159

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aber hat der Dekalog den Bundesschluss nicht zum Gegenstand, sondern setzt ihn voraus. In einer unserem Adlerspruch zugrundeliegenden, aber aus ihm nicht zu rekonstruierenden Botschaft bringt Mose der Schar, wie vorher den Ältesten, das Angebot JHWH’s, mit ihr die Berith zu schliessen, die beide, den Gott und die Menschenschar, zu einer Lebensgemeinschaft zusammenschliesst, darin JHWH der Melek und Israel die Mamlaka, sein Königsbereich, ist, JHWH der Eigentümer und Israel das von ihm erwählte Sondergut, JHWH der heiligende Führer und Israel der von ihm geheiligte goj, der ihm heilige Volksleib. Das sind Begriffe, die ich der uns vorliegenden Fassung entnehme, die aber in einer undifferenzierteren Form schon in der ursprünglichen Fassung enthalten oder latent gewesen sein müssen, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen sollte. Die Schar nimmt das Angebot an, und in dem schon vorher begonnenen Blutritus, der beide Partner an derselben Lebenssubstanz teilnehmen lässt, vollzieht sich der Bundesschluss, in dem JHWH »Melek in Jeschurun wird« (Deuteronomium 33, 5). In der Himmelsschau und in dem heiligen Mahl vollendet sich der Vorgang. Bericht der Vertreter an die Vertretenen, worin die Losung »Israel« ausgegeben und aufgenommen wird, schliesst sich wohl an. Was jetzt – früher oder später – folgen muss, ist die Proklamation des Melek JHWH. Sie ist es, die mir in dem auf seinen Kernbestand zurückgeführten »Dekalog« erhalten zu sein scheint. Hier sagt JHWH den zu »Israel« verbundenen Stämmen, was sie, was es, Israel, was jeder einzelne Mensch in Israel zu tun und zu lassen hat (eine Einführung in solch ein neues und ausschliessliches Verhältnis ist naturgemäss im wesentlichen Verbot des nunmehr zu Unterlassenden), damit das zustandekomme, was zustandekommen soll, ein Volk, JHWH’s Volk. Damit es wahrhaft sein Volk werde, muss es wahrhaft Volk werden und umgekehrt; die Anleitung dazu sind die Zehn Worte. Ob diese Proklamation unmittelbar nach dem Bundesschluss oder erst während der »vielen Tage« (Deuteronomium 1, 46) des Aufenthalts in der Oase von Kadesch dem Volke kundgegeben worden ist, mag dahinstehn. Sicher scheint es mir dagegen wie gesagt, sowohl von der Einleitung durch den Ich-Satz als auch von dem prosaähnlichen Bau der Sätze aus, dass die Kundgebung in schriftlicher Form geschah. Dass die Niederschrift auf zwei Tafeln geschah, ist eine durchaus glaubhafte Tradition; Tafeln oder Stelen mit der Gottheit zugeschriebenen Gesetzen sind uns ja sowohl aus Babylon wie aus dem frühen Griechenland bekannt, wogegen es für die mehrfach angenommene Umdichtung von Steinfetischen, die sich angeblich in der Lade befanden, zu Gesetzestafeln meines

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Die Worte auf den Tafeln

Wissens keine einzige geschichtliche Analogie gibt . Man kann sich wohl vorstellen, dass die Tafeln, auf die Mose in wahrhaft »lapidaren« Sätzen die von JHWH seinem Volke verliehene Grundverfassung geschrieben hatte, »um sie zu unterweisen« 167, aufgestellt und immer wieder betrachtet und verlesen worden sind, bis der Aufbruch veranlasste, sie in der Lade zu bergen. Die Geschichte der Tafeln, wie sie das Buch Exodus erzählt, das ist eine Reihe gewaltiger Bilder, die sich der Begeisterung gläubiger Herzen in allen Zeiten eingeprägt haben: Mose zur Höhe des Berges berufen, die Tafeln zu empfangen, die JHWH selber schrieb, um die Kinder Israel zu unterweisen (Exodus 24, 12); Mose mitten in die Gotteswolke steigend und vierzig Tage und Nächte oben verweilend (V. 18); Mose von Gott die von seinem Finger beschriebenen »Tafeln des Zeugnisses« empfangend (31, 18); Mose im Niederstieg vom Berg das »zügellos gewordene« Volk gewahrend und im jäh entflammten Zorn die Tafeln aus den Händen werfend, dass sie unten am Berg zerschmettern (32, 19); Mose auf JHWH’s Geheiss neue zwei Tafeln aus dem Steine hauend, »den ersten gleich«, damit Gott sie erneut beschreibe (34, 1, 4), und mit ihnen den Berg erneut besteigend (V. 4); Mose mit den Tafeln in der Hand aus dem Munde des an ihm »vorüberziehenden« Gottes die Offenbarung seiner Eigenschaften vernehmend (V. 5-7); Mose, wieder vierzig Tage und Nächte, ohne Speise und Trank, auf dem Berge weilend und »die Worte des Bundes, die Zehn Worte« auf die Tafeln schreibend, er nun und nicht JHWH, wiewohl JHWH ihm versprochen hatte, es selber zu tun, also, vom Bewusstsein des beide Stellen als miteinander vereinbar empfindenden Redaktors aus, als JHWH’s schreibender Finger fungierend (V. 28); und Mose, mit den neuen Tafeln niedersteigend, indes von dem Umgang mit Gott die Haut seines Gesichtes strahlt, ohne dass er es weiss (V. 29). Auf all diese gewaltigen Bilder müssen wir, wenn wir uns einen in unserer Menschenwelt geschehenden Verlauf von Begebenheiten vergegenwärtigen wollen, verzichten. Nichts bleibt uns, als das nur eben noch im leisesten Schattenriss wahrnehmbare Bild des Mannes, der sich in die Einsamkeit des Gottesberges zurückzieht, um fern vom Volke, von einer Gotteswolke überschattet, das Gottesgesetz für das Volk zu schreiben. Dazu hat er sich Stelen aus dem Stein gehauen. Stein, nicht Papyrus, muss es sein. Denn der feste Stein ist berufen als Zeuge zu dienen. Er sieht, was zu sehen ist, er hört, was zu hören ist, und bezeugt es, vergegenwärtigt es allen kommenden Geschlechtern; die verwesenden Augen und Ohren überdauert der Stein und redet. So hatte Mose vor dem Bundesschluss – wie Bundschliessende Malsteine aufzurichten pflegen (Genesis 31, 45 ff.) – zwölf Malsteine für die zwölf Stämme aufgerichtet, 166

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die in dieser Stunde zu Israel werden sollen. Nun aber geht er weiter. Es gibt ja ein Mittel, dem Stein ein umfassenderes, deutlicheres, ein worthaftes Zeugnis aufzuerlegen. Das ist das Wundermittel der Schrift, das für das frühe Israel noch vom Geheimnis des Ursprungs, vom Hauch Gottes, der es dem Menschen schenkte, umwittert ist. Mit ihm kann man das, was einem offenbar geworden ist, dem Stein einverleiben, dass er nun nicht mehr bloss ein Ereignis, den Bundesschluss, sondern auch, Wort um Wort, eine Offenbarung, das Gesetz des Königs, bezeugen muss. Ungelenk ist, was Mose redet, aber nicht, was er schreibt – das ist zulänglich für seine Zeit und für die Zeiten, denen der Stein es bezeugen soll. So schreibt er auf die Tafeln, was seinem Sinn eingegeben worden ist, damit »Israel« werde, schreibt es zulänglich, als ein Finger Gottes. Und sie bleiben, als »Tafeln des Zeugnisses« oder »Tafeln der Vergegenwärtigung« (Exodus 32, 15) 168, deren Amt es ist, was einst zu Worte ward den Generationen Israels immer neu gegenwärtig zu machen, das heisst: als etwas in dieser Stunde zu ihnen Gesprochenes vor sie zu stellen. Es darf wohl, obwohl uns keine Tradition darüber erhalten blieb 169, vermutet werden, dass sie in der vorsamuelischen Zeit in ausserordentlichen Momenten aus der Lade genommen und vor dem Volke, wie einst in der Wüste, aufgerichtet wurden, um es in die sinaitische Situation zurückzuversetzen. Berichte darüber mögen getilgt worden sein, nachdem die Tafeln im salomonischen Tempel mit der nunmehr ihres Wandercharakters beraubten Lade ins Allerheiligste kamen (I Könige 8, 9), offenbar um selber unbeweglich zu verharren, nicht mehr jeweils lebendig werdende Urzeugen, sondern Reliquien aus totem Stein. In einer anonymen Stunde gehen sie unter. Nur das Wort dauert.

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Ich habe aus stilistischen und inhaltlichen Gründen der Ansicht beigepflichtet, dass der ursprüngliche Dekalog kürzer war als der uns vorliegende, im wesentlichen in knappen Befehlssätzen aufgebaut. Daraus soll sich aber keineswegs ergeben, dass allen solchermassen auszusondernden Elementen die Herkunft aus der Zeit Moses abzusprechen sei. Das trifft insbesondre zu auf den zu allen Zeiten so vielfach erörterten Satz von dem »eifernden Gott« (Exodus 20, 5b-6). Er hat, vielleicht mit Ausnahme der zwei letzten, den parallelistischen Bau eher störenden Wörter (»und denen die meine Gebote wahren«), ein so altertümliches Gepräge, dass einzelne von den Verfechtern des »Urdekalogs« 170 daran gedacht haben, ihn an den Eingang des Dekalogs, an die Stelle des Anfangsverses, zu versetzen. Aber der Anfangsvers, der Kernsatz der Offenbarung, ist so »unverkennbar urtümlich« 171, dass es nicht angeht, ihn von seinem Platz zu entfernen, der allein zu ihm passt. Anders verhält es sich mit dem Satz vom eifernden Gott. Er gehört zwar ebenfalls offenkundig in einen frühen Zusammenhang, aber nicht notwendig in diesen, der seinem Wesen nach, als Proklamation des Gottes als Bundesgottes, mit dem das Volk eben in eine Lebensgemeinschaft eingetreten ist, nicht notwendig eine Strafandrohung zu enthalten braucht. Dagegen scheint mir eine innere Verbindung zwischen ihm und einzelnen, ebenfalls in die Nähe Moses weisenden Gesetzen ausserhalb des Dekalogs zu bestehen. »Ich JHWH dein Gott bin ein eifernder Gott, zuordnend Fehl von Vätern an Söhnen, ins dritte und vierte Glied, denen die mich hassen, aber Gunst erweisend ins tausendste denen, die mich lieben«. Zwei von den Elementen des Satzes, die Kennzeichnung des Gottes als eines Eiferers und die Unterscheidung zwischen den ihn Hassenden und den ihn Liebenden, finden wir, in verwandter Sprachform, an Stellen wieder, die man als Auswirkungen und Anwendungen dieser ansehen darf. Zwischen den zum Untergang bestimmten Feinden JHWH’s und den ihn Liebenden, die wie die aufgehende Sonne ihre Bahn hinansteigen, unterscheidet im höchsten Pathos des kämpfenden Glaubens der Schluss des Deboralieds (Richter 5, 31). Mit »Feinde« sind hier offenbar nicht bloss die Feinde Israels, die eben deshalb die seines göttlichen Führers und Feldherrn sind, gemeint, sondern auch diejenigen im Volke selber, die sich in der Stunde des Kampfes weigern, JHWH zu Hilfe zu kommen und daher mit dem Fluche bedacht werden (V. 23); »Liebende« werden die genannt, die JHWH unbedingt anhangen und ihm folgen, als freiwillig sich Hergebende (V. 2). Es ist von grosser Bedeutung, dass zur Bezeichnung der Nachfolge dieses Wort des persönlichen Gefühls gewählt

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wird, und das gilt auch von dem Dekalogsatz, von dem mir das Lied, zumindest atmosphärisch, beeinflusst zu sein scheint 172. Die Schuldigen sollen die über ihre eigene Person hinausreichende Last ihrer Schulden zu tragen bekommen, wenn sie Hasser Gottes sind; ihnen stehen die Liebenden gegenüber, über die sich die Flut der Gnade hinschüttet und über sie hinaus weite Wellen zieht. Aber was für eine Schuld ist es, von der hier gesprochen wird? Dem Zusammenhang des Dekalogs nach ist Götzendienst und seinesgleichen gemeint, und diese Auffassung scheint durch den Eingang des Goetheschen »kultischen Dekalogs« (34, 14) bestätigt zu werden, wo das Eifern JHWH’s in Verbindung mit der Anbetung eines andern Gottes steht. Aber auch in dem Bericht über den historischen Landtag von Sichem, in einem Vers (Josua 24, 19), den für später als den Kontext zu halten kein zureichender Grund besteht, tritt die gleiche Verknüpfung auf. Es ist klar, dass es an diesen beiden Stellen die aussschliessliche Hingabe an ihn, die Ablehnung aller anderen Götteransprüche ist, um die JHWH eifert. Daraus ergibt sich aber keineswegs, dass auch der Dekalogsatz, für sich betrachtet, diese Bedeutung hat. Wir müssen zunächst ihn selber befragen. Unsere Frage geht notwendigerweise auf den Sinn der vielumstrittenen Worte »der Fehl von Vätern zuordnet an Söhnen, ins dritte und vierte Glied«. Das Verb, das ich mit »zuordnen« wiedergebe, paqad, bedeutet zunächst wohl anordnen, dann Ordnung schaffen, Ordnung bestimmen, Ordnung wiederherstellen. Die durch die Schuld gestörte Ordnung zwischen Himmel und Erde wird durch die Sühne wiederhergestellt. Dass dies aber »ins dritte und vierte Glied« geschieht, kann, da eine willkürliche Ansetzung der Zahl nicht anzunehmen ist, nur bedeuten: so viel Geschlechter von Nachkommen, als ein sein volles Lebensalter erreichender Mann etwa um sich versammelt sieht. Dies aber kann wieder auf zweierlei Art verstanden werden: entweder so, dass der Schuldige sieht, wie sich die Folgen seiner Schuld an seinen Enkeln und Urenkeln auswirken, oder dass durch seine Bestrafung die damals lebenden Nachkommen betroffen werden. Welche von beiden möglichen Deutungen zutrifft, sagt uns der Dekalogsatz selber nicht; wir müssen unsere Umfrage auf andere Sätze ausdehnen, die etwa mit ihm in einem engeren Zusammenhang stehen können. Wenn wir die zweifellos frühen Gesetze des Pentateuchs ausserhalb des Dekalogs betrachten, die von zu ahndenden Vergehen handeln, finden wir, dass es nur ganz wenige, genau genommen nur zwei gibt, in denen der göttliche Sprecher sich nicht damit begnügt, den Gerichten die der Verschuldung angemessene Strafe vorzuschreiben, sondern seinen eigenen rächenden Eingriff in Aussicht stellt; beide (22, 21-23, 25-

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26) beziehen sich auf Verfehlungen »sozialer« Art, auf ein dem Mitmenschen zugefügtes Unrecht, das so geartet ist, dass es der menschlichen Rechtsprechung nicht untersteht. Beide heben sich von ihrer Umgebung scharf ab durch das Pathos der Sprache und des Rhythmus, das wir in keinem andern von den in dem sogenannten »Bundesbuch« zusammengeschlossenen Einzelgesetzen wiederfinden; auch bietet keine der altorientalischen Gesetzsammlungen, mit denen die biblischen verglichen worden sind, irgendeine Analogie zu diesem seltsam gehobenen Ton, aber auch zu dieser Art göttlicher Ansage der von oben her erfolgenden Sühnung der Schuld. Die modernen Kommentatoren denken zumeist an Überarbeitung und Einschübe; mir erscheint jedoch, trotz etlicher syntaktischen Holprigkeiten, jedes der beiden Gesetze wie aus einem Guss, und es dünkt mich zutreffend, dass die kleine Gruppe, der sie angehören, zur ältesten Schicht der mosaischen Gesetzgebung, zu den »Worten JHWH’s« gezählt wird 173, als Sprüche, »die an das Gewissen und an das Gefühl der Verantwortung vor dem verpflichtenden Gotte appellieren«. Das erste der beiden Gesetze verbietet die Bedrückung irgendeiner Witwe oder Waise: »Denn schreit, schreit er zu mir, will ich hören, hören seinen Schrei, mein Zorn wird entflammen, und ich bringe euch um durch das Schwert, dann werden eure Frauen Witwen und eure Kinder Waisen«. Die ungerechte Gemeinschaft, die Gemeinschaft der so Handelnden und der es Duldenden, wird vom Krieg heimgesucht, und die zur Zeit lebenden Nachkommen werden durch den Tod der Väter betroffen. Das zweite Gesetz stellt für Missbräuche des Pfandrechts das gleiche göttliche Hören des Aufschreis Unterdrückter in Aussicht, und dahinter ist auch hier ein richtender Eingriff des Gottes zu verstehen. Beide Gesetze haben einen Charakter, den ich nach Inhalt und Ton nicht anders denn als urprophetisch bezeichnen kann. Die kleine Gruppe von vier Gesetzen, der sie angehören, mutet mich wie der erhaltene Rest einer grösseren Reihe an, in der knappere Gebote, wie Vers 20 und 24, mit ausgebauten, wie jene beiden, abgewechselt haben mögen. Und ich könnte mir denken, dass die Reihe durch den Dekalogsatz von dem eifernden Gott eingeleitet wurde, wie sie vielleicht mit dem Satze schloss, der jetzt der Schlussatz der kleinen Gruppe ist: »Denn ein Gnadender bin ich«. Man kann freilich einwenden, das Adjektiv »eifernd« könnte hier nur eifersüchtig bedeuten, wie der Gebrauch des Verbs gleicher Wurzel beweise; aber mit dem zugehörigen Nomen wird nicht selten der Eifer des Kampfes bezeichnet, und das ist es ja, was gemeint ist: eifernd bekämpft JHWH seine »Hasser«, und das sind, ebenso wie die, die »ihm ins Angesicht« andere Götter haben, so auch die, welche durch ihr Unrechttun am Genossen die von JHWH gestiftete und geführte Gemein-

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schaft zersetzen. Das »Religiöse« und das »Soziale«, ausschliesslicher Dienst an JHWH und jene gerechte Treue zwischen den Menschen, ohne die Israel nicht Israel, nicht Volk JHWH’s werden kann, gehören eng zusammen. Ich habe darauf hingewiesen, dass die soziale Ungleichheit im israelitischen Volke zur Zeit Moses nicht so weit gediehen war, dass ein Gebot »Bedrücke nicht deinen Genossen« in die Grundverfassung selber hätte aufgenommen werden müssen. Dennoch gab es gewiss auch schon in der wandernden Schar ein solches Mass von ihr, dass man den darin ruhenden Gefahren durch Einzelgesetze entgegentreten musste, die jenes Zentralmassiv umgaben und ergänzten. Sie werden nicht auf Tafeln geschrieben, sondern vielleicht auf eine Rolle, und wohl nicht auf einmal, sondern nach und nach, jeweils nach bestimmten Vorgängen, die je ein neues Gesetz zur Bekämpfung des Übels veranlassen. All das ist nur Vermutung, es kann wohl nie mehr als Vermutung werden. Aber in unserm Gemüt sehen wir den Mann jeweils, nach einer neuen schweren Erfahrung mit den Seinen, ins Führerzelt treten, sich am Boden niederlassen und lange das Geschehene in der Seele bewegen, bis die neue Einsicht aufsteigt und das neue Wort die Kehle bedrängt, um endlich in den Handmuskel überzuspringen und auf der Rolle einen neuen Spruch des eifernden Gottes entstehen zu lassen. Wie aber die Verknüpfung dieses Eiferns gerade mit den »sozialen« Gesetzen bis in späte Zeiten hin gewirkt hat, mögen wir am Beispiel desjenigen ersehen, mit dem des »Bundesbuchs«, das im Anfangsteil (21, 2 ff.) des Gebotes steht, den »hebräischen« Sklaven im siebenten Jahr freizulassen. Das Gesetz weist bekanntlich eine Ähnlichkeit mit einem des Kodex Hammurabis auf, in dem die Freilassung, freilich nur von Schuldsklaven, sogar schon im vierten Jahr angeordnet wird. Der bedeutsame Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass im israelitischen Recht die Entscheidung in den Willen des Sklaven gelegt wird, dem, wenn er sich weigert, freigelassen zu werden, das Ohrläppchen zum Zeichen lebenslänglicher Knechtschaft durchbohrt wird (eine Prozedur, bei der man nicht umhin kann, an ein anderes Gesetz des Kodex Hammurabis zu denken, wonach gerade dem Sklaven, der seinen Besitzer mit den Worten »Du bist nicht mein Herr« verleugnet, das Ohr abgeschnitten wird, wogegen in Israel ein Sklave im Gegenteil das erniedrigende Abzeichen empfängt, wenn er der Freiheit entsagte). Nicht die praktische Milde ist hier das Auszeichnende, sondern die grundsätzliche Anerkennung der persönlichen Entscheidungsfreiheit. Im babylonischen Recht ist der Sklave, auch der Volksgenosse, »eine Sache« 174, im israelitischen ist der hebräische Sklave eine Person, dort ist das Verhältnis ein einseiti-

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ges, hier ein gegenseitiges. Auch im hethitischen Sklavenrecht waltet eine bemerkenswerte Humanität; was das israelitische von ihm wesentlich abhebt, ist die enge Verbindung des Religiösen mit dem Sozialen: da Israel JHWH’s »Sondergut« ist, kann darin eigentlich keiner eines andern Sklave sein 175, alle sind des Gottes und daher entscheidungsfrei. Diese Grundgesinnung, zu der »eine Parallele aus dem altorientalischen Kulturkreis sich nicht herausstellen lässt« 176, ist, wann immer das altertümlich anmutende Gesetz seine Formulierung gefunden hat, Geist von Moses Geist, und ihm, dem Stifter des Sabbats, dürfen wir wohl auch die Initiative zur Fortführung der sabbatischen Denkweise in die Reihe der Jahre zuschreiben, bei denen, ähnlich wie bei den Tagen, auf sechs Einheiten der Arbeit und Abhängigkeit eine der Freilassung folgen soll. Das eine Mal in der Geschichte aber, wo der König und die Herren in Israel ein Kriegsunglück als die Folge der Nichtbefolgung eines bestimmten Gebotes verstanden, war es, kurz vor dem Untergang des Reiches (Jeremia 34, 8 ff.), nicht ein kultisches, sondern das der Freilassung der Sklaven im siebenten Jahr, um das sie in dem belagerten Jerusalem den eifernden Gott eifern sahen.

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Der Stier und die Lade Die biblische Erzählung berichtet, während Mose auf dem Berg weilte, um Gottes Weisung zu hören und die Tafeln von ihm zu empfangen, habe das Volk, an seiner Wiederkehr verzweifelnd, Aaron aufgefordert, ihm Götter (elohim) zu machen, die vor ihm hergehen sollten. Das von Aaron hergestellte Gussbild eines Jungstiers begrüssen sie mit dem Ruf: »Dies sind deine Götter, Israel, die dich heraufholten aus dem Land Ägypten«, bringen Opfer dar und feiern ein Fest von anscheinend orgiastischem Charakter. Niedersteigend sieht Mose den Stier und die Tänze, und im aufwallenden Zorn wirft er die von Gott beschriebenen Tafeln aus den Händen, dass sie zerschellen. Zum Lager gekommen, beruft er die JHWH treu Gebliebenen zu sich, und diese, vornehmlich dem Stamm Moses, dem levitischen angehörend, ziehen auf seinen Befehl mit dem Schwert »von Tor zu Tor« und werfen den Widerstand nieder. In den Büchern der Könige wird erzählt (I 12, 26 ff.) nach der Reichsspaltung habe Jerobeam, von den Nordstämmen zum König erhoben, einen Sonderkult eingerichtet, damit das Volk nicht an den Jahresfesten nach Jerusalem wallfahre: er beschliesst, an den beiden alten Kultstätten von Bethel und Dan goldene Jungstiere aufzustellen und zeigt sie dem Volk mit den Worten: »Dies sind deine Götter, Israel, die dich heraufholten aus dem Land Ägypten«. Darauf bestellt er ihnen zu Priestern hergelaufene Leute, »die nicht von den Leviten waren«. Die Übereinstimmung zwischen den beiden Erzählungen, insbesondere zwischen den beiden Sakralrufen, ist auffallend, und die Frage nach der Beziehung zwischen ihnen unabweisbar. Man nimmt im allgemeinen an, die Erzählung vom Abfall Jerobeams sei die ältere und die vom »goldenen Kalb« unter ihrem Einfluss entstanden; eine Vergleichung der beiden Zusammenhänge und der darin vorausgesetzten Situationen ergibt eher das Gegenteil. Der Sakralruf klingt im Munde Jerobeams wunderlich. Er will der Jerusalemer Lade einen Rivalen schaffen, aber seit sie in den Tempel eingezogen ist, sieht man in ihr nicht mehr das Symbol des wandernden und führenden Gottes, sondern des durch seine Gegenwart die heilige Stätte schützenden, wogegen am Sinai naturgemäss alle Gedanken des Volkes um die bisherige und die künftige Führung durch die Wüste kreisen. Der Plural »deine Elohim«, in Jerobeams Munde befremdlich 177, erinnert als Äusserung Aarons zu dem Heidnisches fordernden Volk daran, wie Abraham von seinem Gott zum Philisterfürsten redet (Genesis 20, 13) und die Philister von der erbeuteten Lade dieses Gottes (I Samuel 4, 8) und passt besser in die Frühzeit. Auch dass Mo-

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tive, die für das Jerusalemer Heiligtum so unerfreulich waren wie die Mitschuld Aarons und das Zerbrechen der ersten Tafeln, von den Redaktoren rezipiert worden sind, spricht für deren Alter und Traditionscharakter 178. Das Wahrscheinliche ist daher, dass die zweifellos tendenziöse Darstellung der »Sünde Jerobeams« von der volksbekannten Sage vom »Kalb« beeinflusst worden ist, oder richtiger: das dort Vorgefundene verwendet hat. Der Verfasser lässt Jerobeam sich im Trotz des Spruchs bedienen, den der Überlieferung nach das Volk in seiner schwersten Stunde ausgerufen hat. In der historischen Wirklichkeit hat Jerobeam gewiss nicht daran gedacht, sich gegen das überlieferte Gottesgesetz aufzulehnen. Bei seinen goldenen Jungstieren dachte er weder an Darstellungen JHWH’s noch gar an die eines anderen Gottes. Seine »goldenen Kälber« sollten zugleich die ehernen Rinder übertrumpfen, die im salomonischen Tempel das Becken trugen, und die Funktion der Lade erfüllen, ein Thron des unsichtbaren JHWH zu sein. Es liegt ihnen, ebenso wie in der Lade, nur wohl in vergröberter Form 179, der uns aus der Religionsgeschichte wohlbekannte Gedanke zugrunde, »dass man einen göttlichen oder dämonischen Gast durch Anweisung eines leeren Sitzes zu königlicher Gegenwart gleichsam veranlasst« 180. Der Stier ist als Träger des Gottes gewählt, weil er der semitischen Volksphantasie sich noch von Steinbildern des vierten Jahrtausends her 181 – aus der Gegend eben des Harran, von dem Abraham nach Kanaan zieht – sodann insbesondere von hethitischer Kunst her 182 tief eingeprägt hat als das heilige Tier, auf dessen Rücken der Wettergott steht. So ist es zu verstehen, dass weder Elia gegen die »Kälber« geredet hat noch Jehu sie abgeschafft hat (II Könige 10, 29); und was Hosea gegen sie in überlegenem Spottstil vorbringt, ist offenbar dadurch veranlasst, dass das Volk auf die Dauer zwischen einem Gott-Träger und einer Darstellung des Gottes selber begreiflicherweise nicht zu unterscheiden wusste und das Piedestal küsste (Hosea 13, 2) »als wäre es der Gott selbst« 183. Diese Haltung überträgt die Erzählung des Königsbuchs auf die Intention Jerobeams, die zuweilen (I Könige 14, 9) geradezu als Götzendienst behandelt wird. Man ist ihr gegenüber aber schon früh wachsam gewesen. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden 184, dass von den Propheten, die JHWH so gern mit dem Löwen vergleichen, der Stier als Gleichnis peinlich vermieden wird; den Grund dazu muss man nicht in den Bildern von Bethel und Dan, sondern in der Art suchen, wie das Volk sie aufzufassen neigte. Ähnliche, nur elementarer sich äussernde Neigungen darf man auch schon für die Frühzeit voraussetzen. Von der Hofliteratur Jerobeams und seiner Dynastie ist uns nichts bewahrt. »Mit den Kälbern von Dan und Bethel ist versunken, was man von

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ihnen gesungen, ausgetilgt aus den Sammlungen der heiligen Lieder der Vorzeit« 185. Aber man darf wohl annehmen, dass im Nordreich die Überlieferung vom Stierbild am Sinai in einer Form umlief, die statt der Lade den tierischen Träger beglaubigte und gegen die volkmordenden Leviten Stellung zu nehmen erlaubte, ohne die Mose gegenüber gebotene Ehrfurcht zu verletzen. Man brauchte nur etwa zu erzählen, einerseits dass ein Teil des Volkes über die ursprüngliche Absicht hinausging, andererseits dass die Leviten den ihnen erteilten Befehl missbrauchten. Wie aber verhält es sich mit dem Tatsachenkern der Überlieferung? Ist es uns hier, in diesem textlich und literarisch wohl schwierigsten Abschnitt des Pentateuchs, überhaupt möglich, einem solchen Kern nachzuspüren? Die Grundfrage, von der wir ausgehen müssen, ist die nach der Entstehungszeit und den Entstehungsgründen der »Bundeslade«. Die Einsicht, dass die Lade mosaischen Ursprungs ist, setzt sich wieder stärker durch. Zwischen Mose und Samuel, in dessen frühen Tagen wir die Lade bereits im vollen Licht der Geschichte sehen, wiewohl auch die Erzählung von ihrer Gefangennahme (I Samuel 4) Sagenelemente enthält, ist keine Epoche erdenklich, in der dieses grösste Symbol israelitischen Glaubens hätte gestiftet werden können. Sie ist »ein echtes Wanderheiligtum« 186. Archäologische und ethnologische Befunde haben ihr Alter bestätigt 187. Dass sie den gefundenen verwandten Geräten nicht völlig analog ist, mag man dadurch erklären 188, »dass die technisch ungebildeten Wanderer solche Geräte nachahmten, ohne sie ihrem altertumswissenschaftlich erforderten Grundgedanken entsprechend auszustatten«; ich ziehe vor, auch hier Raum für die Initiative der Person zu lassen, der zuzutrauen ist, dass sie mit der Wandlung des Sinnes eines in der Welt des Alten Orients vorgefundenen Symbols auch seine Form dementsprechend wandelt. Die vielerörterte Alternative: leerer Gottesthron, wie wir ihn in der Religionsgeschichte vielfach kennen 189, oder Kasten, besteht nicht zu Recht, da Götterthrone in Kastenform nicht selten sind 190. Auch die Zuverlässigkeit der Tradition über den Inhalt (I Könige 8, 9) braucht nicht angezweifelt zu werden, da es an Nachrichten über die Niederlegung heiliger oder zu heiligender Urkunden zu Füssen der Gottheit nicht fehlt. Bedeutsam ist die synthetische Funktion, mit der diese Elemente zusammengebracht und zu einer Einheit verbunden worden sind, indem mit ihnen ein weiteres verschmolz: das sänftenartige tragbare Palladium, wie es uns aus den Kriegszügen von Beduinenstämmen bekannt ist 191. Gerade die synthetische Funktion ist es, die uns in besondrer Weise nach einer Person fragen lässt, die fähig war sie auszuüben, und nach einer

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Situation, die so beschaffen war, dass sie diese Person dazu veranlasste, ja die spezifische synthetische Funktion in ihr erweckte. Die Elemente, an denen sich solch eine Synthese vollziehen kann, sind in der Geschichte der Religion immer vorhanden; damit sie sich vollziehe, bedarf es eines Menschen, der seinem Wissen und Denken nach die Elemente zusammenzusehen imstande ist, und der Stunde, die mit ihrer unabweisbaren Forderung ihn zwingt, sie zu einer neuen organischen Gestalt zu verbinden. Gab es – so formuliert sich uns nun die Frage – eine Stunde im Leben Moses, die ihn übermächtig antrieb, die ihm aus mannigfacher Anschauung und Traditionskenntnis vertrauten Elemente zu einem neuen Gebilde zu binden und zu formen? Für die Schar, die wegesunkundig in die »grosse und furchtbare Wüste« (Deuteronomium 1, 19) vorstossen soll, steht das Problem der Führung im Mittelpunkt auch des Verhältnisses zu dem Gott, das durch den sonderbaren Mann, der sich ihrer angenommen hat, ihnen erneuert worden ist. Er hat ihnen das Versprechen dieses Gottes gebracht, dass er sie führen und schützen wolle, ja, er hat sie gelehrt, dass solch ein steter Beistand, solch ein Gegenwärtigbleiben bei den von ihm Erwählten, zu dessen Wesen, wie es sich in seinem Namen darstellt, gehöre. Aber das konstant und gleichmässig funktionierende Orakel, das sie erwarteten, ist ihnen nicht geliefert worden. An den Wegstationen wartete der sonderbare Mann auf irgendwelche Zeichen aus der Luft oder sonst woher, ehe er den Weiterzug befahl; nie wusste man, was im nächsten Augenblick geschehen würde, nie konnte man sich darauf verlassen, dass man morgen in einer erfreulichen Oase sich von den Strapazen würde erholen können. Er sagte zwar, der Mann, dass der Gott vorangehe, und dass er das durch die oder jene Zeichen kundgebe; aber das unumstössliche Tatsächliche war es ja doch, dass man ihn nicht sehen konnte, und wen man nicht sieht, dem kann man eben auch nicht folgen. Man folgt eben doch nur dem Mann, und wie oft der unsicher ist, merkt man doch; da zieht er sich dann in sein Zelt zurück und brütet Stunden, ja Tage lang, bis er dann endlich herauskommt und sagt, so und so solle es geschehen. Was ist denn das für eine Führung? Und muss nicht etwas zwischen ihm und dem Gott nicht in Ordnung sein, wenn er den nicht vorzeigen kann? Er sagt zwar, der Gott sei nicht zu sehen, er sei wohl da, nur zu sehen sei er nicht – aber was soll das heissen? Einen Gott hat man eben, und dann kann man ihn natürlich auch sehen; man hat eben ein Bild, und die Gotteskraft ist in dem Bild. Man erzählt sich freilich (der Dekalog ist ja noch nicht verkündigt worden), der Mann behaupte, dass man sich von dem Gott kein Bild machen dürfe; aber das ist doch offenbar widersinnig. Solang man kein richtiges Bild hat, wird man auch keine richtige Führung

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haben. Und jetzt ist der Mann vollends verschwunden. Er hat gesagt, er gehe hinauf zu dem Gott, hinauf, da wir den Gott doch hier brauchen, wo wir sind – aber er ist nicht wiedergekommen, und es ist anzunehmen, dass der Gott ihn umgebracht hat, denn etwas zwischen ihnen ist eben nicht in Ordnung gewesen. Was soll man da tun? Man muss die Sache selbst in die Hand nehmen, man muss ein Bild machen, und dann wird die Kraft des Gottes in das Bild fahren, und man wird eine richtige Führung haben. So redet man im Lager. Man brummt, man zankt, man tobt. Die von Mose eingesetzten Vertreter greifen ein, man geht gegen sie vor. Umsonst sucht Aaron zu vermitteln. Der Aufruhr bricht aus. Denn Aufruhr muss es gewesen sein. Ob es damals zum Machen des Kalbes gekommen ist, können wir aus dem in den technischen Einzelheiten unklaren und unwahrscheinlichen Bericht nicht ermitteln. Möglicherweise sind Motive aus dem von Hosea als die erste grosse Volkssünde gegeisselten Treiben am Baal Peor (Numeri 25), als das Volk, schon im Bannkreis der kanaanäischen Kultur und ihrer Sexualriten, sich der sakralen Unzucht mit den Moabiterinnen ergab, hierher übertragen worden. Doch weist der wie gesagt offenbar aus früher Überlieferung stammende Sakralruf »Dies sind deine Elohim, Israel, die dich herausholten aus dem Land Ägypten« auf die Situation am Sinai hin. Man darf daher wohl an die Aufstellung eines rohen Stierbilds unter Aarons vermittelnder Mithilfe denken, ohne dass wir freilich zu sagen vermöchten, von welcher der in Betracht kommenden altorientalischen Religionen es beeinflusst gewesen sein kann. Es muss dafür naturgemäss eine primitivere Stufe als die der Stiere Jerobeams angenommen werden, eine, auf der man glaubt, die Kraft des Gottes nehme in dem mächtigen Tier Wohnung und wirke durch es. Damit verträgt sich der Wortlaut des Sakralrufs. Wie immer dem sei, zu einem Aufruhr muss es gekommen sein. Nur so ist es zu verstehen, dass die Wirkung bei den feindlich gesinnten Beduinenstämmen der Gegend als ein höhnisches Gezischel bezeichnet wird (Exodus 32, 25): Stierdienst und Orgien waren kaum geeignet, einen solchen Eindruck auf sie zu machen. Auch in den altertümlichen, wie der Rest einer primitiven Ballade anmutenden Versen, die beim Hören des Volkslärms Mose und Josua tauschen (V. 17 f.), scheint ursprünglich ein Hinweis darauf enthalten gewesen zu sein. Josua sagt: »Schall von Krieg ist im Lager«. Mose antwortet zunächst: »Kein Schall von Stimmen (anoth) des Überwiegens, kein Schall von Stimmen (anoth) des Unterliegens« und fügt einen Satz hinzu, dem die Kunst des Masoreten (der aus »anoth« »annoth« gemacht hat) den Sinn abgewann: »Schall von Wechselgesängen höre ich«, was also auf die Festlust zu be-

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ziehen wäre; aber ein uneingeweihter Leser des unrevidierten Textes müsste verstehen: »Schall von Stimmen höre ich«, und notwendigerweise, offenbar zu Recht, annehmen, dass ein Wort ausgefallen ist. Der Zusammenhang weist auf ein Wort hin, das Aufruhr bedeutet 192. In dieselbe Richtung deutet Moses Verhalten im Lager, dem ein historischer Kern zugrunde zu liegen scheint. Er stellt sich ins Tor und ruft: »Wer JHWH angehört, zu mir her«!, betrachtet also, was geschehen ist, als gegen JHWH gerichtet, was zur Aufstellung eines Tierbilds, das JHWH darstellen sollte, nicht recht passt, zumal vor der Verkündigung des Dekalogs. Dann wird auf Moses Befehl der Aufstand mit bewaffneter Hand niedergeschlagen, in einem blutigen Kampf, für den es charakteristisch ist, dass der Riss offenbar quer durch den Stamm Levi führt, da Mose den treu gebliebenen Leviten nachrühmt (V. 29), sie hätten Söhne und Brüder nicht geschont 193. Der Aufruhr scheint sich zu einer innerlevitischen Auseinandersetzung entwickelt zu haben, die nun zum endgültigen Austrag gelangt. Jetzt aber, nach der Katastrophe, überwältigt – so dürfen wir es uns wohl vorstellen – das, was sich begeben hat, Mose tiefer noch als im Augenblick des ersten aufwallenden Zornes. Da wir annehmen dürfen, dass der altertümliche und selbständig für sich stehende Abschnitt vom Zelt (33, 7-11) chronologisch an eben diese Stelle gehört, tut er uns ein Bild von schwermütiger Deutlichkeit auf. Mose nimmt »das Zelt«, sein Führerzelt 194 (vgl. 18, 7), das bisher mitten im Lager gestanden hatte, und schlägt es »sich« ausserhalb des Lagers auf, wo es auf den Wegstationen immer wieder aufgeschlagen werden soll, aber nicht mehr als ein menschliches Führerzelt. Er nennt es »Zelt der Begegnung« oder »Zelt der Zusammenkunft«, und das soll es sein, zu nichts anderem mehr als zu seinen Zusammenkünften mit seinem Herrn bestimmt. Fortan kann er nicht mehr, wie er es wohl zu tun pflegte, mitten im Lager ins Zelt treten, sich am Boden niederlassen und hier dessen harren, was wir Inspiration nennen – ein abstrakt und geläufig gewordenes Wort, in dem aber sein ursprünglich sinnlicher Sinn, die Einwehung des göttlichen Atems, noch unerstorben ist. Sein, Moses, eigener Platz ist auch fernerhin im Lager »Israels«, da gehört er jetzt wie ehedem hin, aber seinem Gott kann er nicht mehr zumuten, ihn da, in dem verunreinigten Bereiche, heimzusuchen. Wenn er fortan JHWH befragen will, muss er aus dem Lager gehen, hinaus zu dem Zelt, das der Treueste, Josua, bewacht, und das Volk, umgerührt und gewandelt durch das was geschehen ist, sieht ihm Mal um Mal ehrfürchtig nach, jeder im Eingang seines Zeltes stehend. Er verwehrt niemandem aus dem Volke, der sich mit irgendeinem Anliegen an Gott wenden will, dem heiligen Zelt zu nahen, wie

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sie gewohnt waren, um Auskunft, Weisung, Entscheidung ans Führerzelt zu treten; aber das sind dann eben immer Einzelne, mit dem Volk hat JHWH keinen Umgang mehr. Das ist Moses Grundgefühl nach der Katastrophe. Aber es bleibt nicht dabei: es wird ihm durch eine neue Gotteserfahrung berichtigt. Hinter den kunstvoll gebauten 195 und für die Auffassung späterer Geschlechter von dem Gottesverhältnis Moses bedeutungsvollen Gesprächen mit JHWH spüren wir eine gelebte Wirklichkeit. Als Wirklichkeit dürfen wir es ansehen, dass Mose, nachdem er für seinen eifernden Gott geeifert hat, von ihm zu erflehen sucht, dass er das Volk, das er »auf Adlerflügeln« hergebracht hat, nun, da es dem eben erst geschlossenen Bund untreu ward, nicht sich überlasse sondern weiter führe. Und ferner ist es ein unverkennbar echter biographischer Zug, dass Mose, während er in der Felsenkluft (33, 22 vgl. V. 31) – die vom Erzähler als bekannt vorausgesetzt wird, vermutlich weil sie, ebenso wie der 17, 6 genannte Fels, sich in der Nähe der Stätte der Dornbusch-Erscheinung befand – stehend nach der Gnade dessen langt, der ihn einst aus der Lohe anredete, von einer neuen Gotteserfahrung überkommen wird. Ihr zentraler Gehalt scheint in den, im Text freilich dem Stehen in der Kluft vorausgehenden, Worten JHWH’s ausgesprochen zu sein 196, die sich an jenes »Ich werde da sein, als der ich da sein werde« anschliessen und es ergänzen (V. 19): »Ich werde begnaden, wen ich begnaden will und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen will« – wobei nicht unbeachtet bleiben darf, dass zwar im ersten der zwei Verben die überlegene Gunst des Herrn zum Ausdruck kommt, im zweiten aber das Nomen gleicher Wurzel anklingt, das »Mutterschoss« bedeutet, also auf die Nähe des Gottes hingewiesen wird. Wie Mose dort beides in einem erfuhr: dass JHWH den Seinen gegenwärtig ist, und dass er auf keine Erscheinungsform festgelegt werden kann, so erfährt er hier beides in einem, JHWH’s Gnade und Barmherzigkeit – die 34, 6 als seine Wesenseigenschaften schlechthin genannt werden – und seine Freiheit, sie zu erweisen, wem er sie erweisen will. Diesem Gotteswort aber geht, wiewohl in einem von diesem vielleicht unabhängigen Abschnitt, ein anderes voraus (33, 14), das wie die unmittelbare Anwendung jenes auf die Situation anzuhören ist: »Soll mein Antlitz mitgehen? Schaffe ich dir dann Ruh?« – worauf erst Moses drängendes »Geht dein Antlitz nicht mit, bring uns von hier nicht hinauf!« (V. 15) und dann (V. 17) die göttliche Gewährung folgt. Bedeutsam ist es in dem uns vorliegenden Textgefüge, dass JHWH sich zuerst erbarmt und dann erst sagt, dass er der Erbarmer ist. Die Erfahrungsechtheit dieser Reihenfolge ist unvergleichbar wichtiger als alle daran geknüpften literarkritischen Fragen. Wer immer jenes aufgezeichnet

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hat und wer immer dies, sie haben, wenn es zwei sind, beide zusammen mit Hilfe des Redaktors etwas zur biographisch folgerichtigen Aufzeichnung gebracht, was nur erfahren, nicht erdacht werden konnte. Wir wissen keinen Menschen in Israels Geschichte, dem wir diese Urerfahrung zuschreiben können ausser Mose, und in seinem Leben keine andere Stunde dafür als die der Krisis. Aber die Erzählung berichtet, Mose habe, nachdem er die Gewährung fand, sich mit einer neuen Bitte an JHWH gewandt (34, 9): »Gehe doch mein Herr in unserm Innern!« Dass Gottes »Antlitz« mitgeht, genügt ihm offenbar noch nicht. Wie ist dies zu verstehen? 197 Dass Gottes »Antlitz« mitgeht, heisst, da wer es sieht stirbt (33, 20, 23), dass JHWH dem Volke voranzieht, um die diesem in den Weg tretenden Feinde niederzuwerfen (vgl. Numeri 10, 35); daher spricht auch Mose im Zusammenhang damit (Exodus 33, 16) von dem Eindruck auf die Welt; und diese Bedeutung klingt noch in dem deuteronomischen Rückblick (Deuteronomium 4, 37) nach, wo es heisst, JHWH habe das Volk »mit seinem Antlitz« aus Ägypten geführt; man denke auch daran, wie er am Schilfmeer auf das ägyptische Lager blickt und ihm dadurch den Untergang bereitet (Exodus 14, 24). Am Zelt redet JHWH zu Mose »Antlitz zu Antlitz« (33, 11); wenn aber sein Antlitz mit dem draussen vor dem Lager aufgeschlagenen Zelt zieht und der tödliche Anblick die entgegenziehenden Feinde trifft, ist dem Volk der sichere Schutz erteilt. Aber Mose wagt noch darüber hinauszugreifen: seine letzte Bitte geht dahin, dass JHWH Israel nicht bloss seinen Schutz nach aussen, sondern ihm vergebungsreich auch seine mitgehende Gegenwart im Innern des Lagers schenke (34, 9), dass er es nicht bloss durch die Wüste führe, sondern ihm auch zu Halt und Heil die innere Wegweisung gewähre. Damit zielt er aber auf Grösseres ab als auf blosse Wiederherstellung des Verhältnisses, wie es vor der Verfehlung bestand, er will nicht bloss das Zelt wieder ins Lager bringen dürfen: er bittet um ein Mitziehen im Innern des Volkes, um eine auf allen Wegen und in allen Nöten kundgegebene Nähe, die doch nicht vernichtend wirke (vgl. 33, 3). Die Antwort JHWH’s auf die Bitte fehlt in unserem Text, denn die auf diese folgenden Verse können nicht als Antwort darauf verstanden werden. Aber auch aus diesem fragmentarischen Text lässt sich eine biographische Wirklichkeit erschliessen, und zwar eine, die zugleich eine glaubensgeschichtliche Wirklichkeit ist. Denn an eben diesem Punkte setzt die Stiftung der »Bundeslade« ein, die dem die irdische Grundlage der Verwirklichung geben soll, was Mose erbat. Wenn dieser Stiftung eine grosse Betererfahrung vorausgegangen ist, wie sie der Erzähler nachzubilden sucht, dann muss sie eine Gewährung der letzten Bitte eingeschlossen haben.

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Die Stiftung der Lade JHWH’s durch Mose wird nicht erzählt. Die literarisch späten Angaben über ihre Errichtung (25, 10 ff.) zu Anfang der göttlichen Anordnung für den Bau der »Stiftshütte« – d. h. des andern, ungeschichtlichen Zeltes – können diese Lücke naturgemäss nicht ausfüllen, obgleich in die Beschreibung dieses idealisierten Abbildes eines wirklich einmal existierenden Zeltheiligtums 198 gewiss alte Überlieferung aufgenommen worden ist. Die Gottesgespräche geben uns etwas von dem Vermissten, insofern sie die inneren Vorbedingungen widerspiegeln. Wie sehr auch die überliefernden Geschlechter und die schreibenden Autoren die gelebte Wirklichkeit umgebildet haben, es wird uns doch noch ein Einblick in jene Stunde im Leben Moses gewährt, die ihn übermächtig antrieb, die ihm aus mannigfacher Anschauung und Kenntnis vertrauten Elemente: leerer Gottesthron, Urkundenschrein, tragbares Palladium zu einem neuen Gebilde zu verbinden und zu formen. Es galt, dem Volk legitim, d. h. dem Wesen JHWH’s entsprechend, das zu geben, was es sich illegitim, d. h. dem Wesen JHWH’s widersprechend, hatte verschaffen wollen: das Gerät, das ihm die Gegenwart seines unsichtbaren Führers darstellt und verbürgt. Auf den Königsbund folgt der Thronbau. Wir haben keine zuverlässigen Nachrichten darüber, wie die Lade ursprünglich ausgesehen hat. Gehörten schon damals die Keruben zu ihr – und das ist, wie mir scheint, anzunehmen – dann haben wir schon hier zwischen ihnen als dem eigentlichen Thronsitz und dem Schrein als Thronschemel zu unterscheiden, wie es später für die in den salomonischen Tempel eingeordnete Lade ausdrücklich geschehen ist (Ezechiel 43, 7). Die Himmelswesen sind gleichsam herabgeflogen, um JHWH den Thronsitz zu bereiten, auf dem er sich, wann er will, niederlässt; denn dies, dass er sich jeweils darauf niederlässt, ist es, was mit der Bezeichnung des »Kerubenthroners« 199 gemeint ist, deren Ursprünglichkeit in den alten Erzählungstexten, in denen sie vorkommt (I Samuel 4, 4; II Samuel 6, 2), wir anzuzweifeln keinen ausreichenden Grund haben 200. Der König sitzt nicht immerzu auf dem Thron; er setzt sich auf ihn, wenn er die Herrscherfunktion sinnlich fühlbar machen will. Dann legt er seine Füsse auf den Schrein, in dem seine Proklamation an Israel in steinernem Zeugnis verwahrt ist. Immer neu wird das objektivierte Wort der Verfassung von der unsichtbaren Gegenwart seines Ursprechers überschattet, und wie zur Zeit des Psalmisten (Psalmen 99, 5; 132, 7), so hat sich wohl schon zu der Moses das Volk vor dem »Schemel seiner Füsse« niedergeworfen 201. Dass zur Herstellung eines solchen sakralen Gegenstandes »gewisse technische Fertigkeiten gehören«, die »eher bei den Kanaanäern als bei den hebräischen Stämmen in der Wüste« 202 anzunehmen sind, ist un-

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streitig. Aber die Frage ist nicht so zu stellen, wo die Entstehung der Lade »wahrscheinlicher« sei 203, sondern ob die Entstehung in der Wüste geschichtsmöglich ist. Wenn wir in einem zweifellos frühen Text (Numeri 10, 35) lesen: »Und wenn die Lade auszog, sprach Mose: ›Steh auf, JHWH, dass zerstieben deine Feinde, dass entfliehen deine Hasser vor deinem Angesicht!‹«, so ist es unsere nächste wissenschaftliche Pflicht zu prüfen, ob der Inhalt dieses Textes geschichtlich zuverlässig sein kann; denn wo diese Voraussetzung gegeben ist, hat bis auf weiteres jeder Text geschichtlich recht gegen die durch keinen Text zu stützende Hypothese. Weist mich eine literarisch authentische Urkunde wie diese auf eine bestimmte Geschichtssituation als auf die hin, in der eine sakrale Institution von solcher Mächtigkeit geboren worden ist, so ist es ein Urgesetz der Methode, sich den »festen Buchstab« durch keine allgemeinen vergleichend-kulturgeschichtlichen Hypothesen erschüttern zu lassen, wenn das, was dort gesagt wird, geschichtsmöglich ist. Dass dem aber so ist, steht, nachdem die Vorstellung der absoluten »Primitivität« des wandernden Israel überwunden ist, nicht mehr in Frage 204. Auf den Königsbund folgt der Thronbau. Mose hat mit den Vertretern Israels zu Füssen des über dem Berg unsichtbar Thronenden seine Fussbank, »ein Werk aus saphirnen Fliesen«, gesehen; nun stellt er den aus dem verfügbaren schlichten Stoff schlicht gezimmerten Schrein hin, dass JHWH, wenn er das von ihm erwählte Volk besucht, um es in Wanderung und Kampf zu führen, seine Füsse darauf stütze; darüber erheben sich aber, vielleicht jenen von der aufsteigenden Sonne durchglänzten Wolkengebilden nachgeformt, die Keruben, um auf ihren waagerecht ausgespannten einander berührenden Flügeln, ihrem Herrn den Sitz zu bereiten 205. Man darf das freilich nicht so verstehen, als ob die Lade »eine Darstellung des Himmels als des kosmischen Throns« JHWH’s sei 206, woraus sich dann wieder Babylonien als ihre Heimat ergäbe 207. Gewiss weist der Name der Keruben nach Babylon, und naturgemäss werden bei aller Spontaneität der Intention verwandte Gestalten altorientalischer, freilich, nach dem uns bekannten Material zu schliessen, eher ägyptischer als babylonischer Plastik nachgeahmt worden sein. Aber die Lade macht, ob sie auch, wie ich meine, der Himmelsvision der Ältesten dies oder jenes Motiv entlehnt hat, schlechthin nicht den Anspruch, eine Darstellung des Himmelsthrons zu sein: sie ist ihrer Absicht nach nur ein notdürftiger, mit Notwendigkeit unähnlicher irdischer Ersatz dafür. Und JHWH, der, sein Volk besuchend, darauf thront, tut es nicht als kosmischer König, sondern als der Melek Israels. Die babylonischen Götterthrone sind Natursymbole, der israelitische ist ein Geschichtssymbol, zu dem die Tafeln

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mit dem »Ich« des Gottes, der das Volk aus Ägypten geführt hat, unabtrennbar gehören. Erst in der Staatszeit, als der theopolitische Realismus dem Einfluss des dynastischen Prinzips erlag und das Königtum JHWH’s ins kosmisch Unverbindliche verklärt und verflüchtigt wurde, überwiegt die Natursymbolik, weil man die lebendige Geschichte dem Bereich Gottes zu entziehen sucht. Aus welchen Gründen die Bezeichnung »Thron« für die Lade vermieden wurde 208, wissen wir nicht. Aber wir dürfen vermuten, dass es galt, den Gedanken an die Tafeln der Verfassung als an die Basis des Bundes, dessen Äusserung und Zeichen die göttliche Gegenwart ist, wach zu erhalten; es musste daher gerade der Schrein-Charakter des Gerätes im Bewusstsein gehalten werden. Der Thron war das Begeisternde, der Schrein das Verpflichtende; ohne das stete Gegengewicht des Schreins konnte der Thron dem Volke leicht eine falsche Sicherheit verleihen, wie wir es in späterer Zeit aus dem Munde der Propheten vernehmen. Wir haben gesehen, dass die biblische Zeitfolge der drei Momente: Verlegung des Zeltes aus dem Lager, die grosse Gebetserfahrung, die Herstellung der Lade, die richtige ist. Wann hat Mose die Lade ins Zelt getan? Als er das Zelt ins Lager zurückbrachte. Wann aber hat er es zurückgebracht? Als die Lade vorhanden war 209. Denn die Lade ist die gewährende Antwort Gottes an den Beter. Wollen wir das ruhende Zelt, in dem die Lade steht – jedes von ihnen für sich und beide miteinander ein »Ausdruck der örtlichen Ungebundenheit Gottes« 210 – einer religionsgeschichtlichen Kategorie zuteilen, so müssen wir an jene mit den Heeren ziehenden Götterzelte denken, die wir innerhalb der semitischen Kulturwelt bei Assyrern, Karthagern und Arabern kennen. Dass hier der Gott in dem Heiligtum nicht wohnt, sondern sich darin oder daran nur manifestiert, erinnert uns an die Unterscheidung zwischen Wohntempeln und Erscheinungstempeln in Babylonien 211. All dem gegenüber hat die – zu Unrecht angezweifelte – frühe Verbindung von Zelt und Lade doch auch ihre Einzigartigkeit, darin, dass der über dem Heiligtum oder in ihm Erscheinende nicht ein Kultbild, sondern der Unsichtbare ist. In Babylon wohnte der Gott unsichtbar in seinem mit Bett und Tisch ausgestatteten Gemach im Wohntempel und wurde im Erscheinungstempel als Bild sichtbar; in Israel hatte er kein anderes als ein Erscheinungsheiligtum und hier kein Bild – und ohne Bild wurde seine Gegenwart hier unmittelbar erfahren. Die Stiftung dieses grossen Sacrum geschah, wie die Stiftung aller grossen Symbole und Sakramente in der Religionsgeschichte, als Realisierung einer Paradoxie: ein unsichtbarer Gott wird dadurch wahrgenommen, dass er kommt und geht, sich niederlässt und sich erhebt. Die Meinung, JHWH

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sei als auf der Lade oder gar in ihr wohnend vorgestellt worden, verfehlt den Sinn dieser eigentümlichen Glaubenswirklichkeit. Die Wirkung des Ladensymbols war offenbar so gross, dass man die göttliche Bewegung gleichsam leiblich verspürte und also den unsichtbaren Gott selber wahrnahm; das ist mehr als ein dauerndes Dasitzen, es ist ein stets erneutes Kommen, Erscheinen, Gegenwärtigwerden und Mitgehen. Für die einst aus dem Namen des Gottes erschlossene Verheissung, er werde je und je, stets in dem Augenblick, wo es not tut, »da sein«, lässt sich kein zulänglicheres stoffliches Substrat denken als dieses. Was der alte Wandergott der mesopotamischen Steppe meint, wenn er (II Samuel 7, 6) 212 zu David sagt, er sei bis auf diesen Tag »in Zelt und Wohngemach« einhergegangen, und es verlange ihn nach anderem nicht, ist kein blosses Getragenwerden, es ist dieses Kommen und Mitgehen und Entschwinden und Wiederkehren. Wohl musste sich der Glaube an die jeweilige Konzentrierung göttlicher Gegenwart volkstümlich auf Lade und Zelt selber übertragen; aber jede solche »Vergröberung« 213 kann, durch die Gegenbewegung des Geistes, die sie herausfordert, zu einer neuen Vertiefung der Konzeption führen – einer Vertiefung, die freilich auch wieder die Gefahr der Entsinnlichung, d. h. einer Minderung der Realitätsempfindung in sich schliesst. Die Stunde der Stiftung eines grossen Sinnbilds ist ja wohl die einzige, wo sich Geist und Sinnlichkeit in ihm die Waage halten. Dennoch: wenn Jeremia oder einer seiner Schüler (Jeremia 3, 16 f.) 214 kurz nach der Verbrennung des Tempels eine Zeit weissagt, in der man der Bundeslade nicht mehr gedenken werde, denn dann werde man ganz Jerusalem JHWH’s Thron nennen, so dürfen wir darin eine Fortbildung der ursprünglichen Intention der Stiftung erblicken: ist die ganze Menschenwelt zum Reich Gottes geworden, dann soll Jerusalem als ihre Mitte sein Thronsitz sein, wie einst die Lade Israels wandernde Mitte war, als JHWH dem Volke König ward. In Kanaan scheinen Zelt und Lade lange, und zwar nicht bloss während des Exils der Lade, sondern auch nach ihrer Wiederbringung durch David (II Chronik 1, 3 f.) getrennt gewesen zu sein, bis sie, wie berichtet wird (I Könige 8, 4), unter Salomo beide im Tempel untergebracht, aber offenbar nicht vereinigt worden sind. Die Lade kommt ins Allerheiligste, vom Zelt hören wir nichts mehr. Wir aber dürfen in unserer glaubensgeschichtlichen Erkenntnis die in der Stunde der Stiftung Verbundenen nicht getrennt halten. Die Lade zog, die unsichtbare und schweigende, nur eben wirkende, göttliche Gegenwart tragend 215, in Wanderzügen und Kriegszügen führend voran; zu dem sie im Ruhen bergenden Zelt mitten im Lager kam die Gegenwart unsichtbar als die zu Mose – in frü-

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hen Texten aus dem Dunkel der »Wolkensäule« (Exodus 33, 9), in späteren »von zwischen den beiden Keruben her« (Numeri 7, 89) – redende Stimme, sichtbar vor dem Volke (davon wissen freilich nur literarisch späte Erzählungen zu sagen) als die Ausstrahlung der Gottessubstanz, als der »Kabod«, in der von der Morgenröte durchglänzten Wolke 216 oder in dem den Nachthimmel unablässig durchzuckenden Wetterleuchten 217, nah oder fern, aber immer sichtlich zum Zelt hin geneigt und auf es hindeutend – kam, um zu weisen und zu warnen, zu rechten und zu richten. Beide, Lade und Zelt, gehören zusammen als das Sinnbild der doppelten Funktion des Melek: der, sein Volk schutzreich durch eine feindliche Welt zu führen, und der, es durch all die inneren Hindernisse zur »Heiligkeit« zu leiten.

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Während das Buch Exodus in seinem erzählenden Teil sich um zwei grosse epische Zusammenhänge, die Geschichte des Auszugs und die der Offenbarung, aufbaut, setzt sich der erzählende Teil des Buches Numeri aus lose um ein problematisches Itinerarium gruppierten Einzelgeschichten zusammen. Aus einem, wie es scheint, nur fragmentarischen Material sind hier vornehmlich zwei Arten von Erzählungen ausgewählt und redigiert worden: solche, die unentbehrlich waren, um die wesentlichen weiteren Stadien des Wüstenzugs in ihrem Fortgang aufzuzeigen, und solche, die geeignet erschienen, das Wesen Moses und das Verhältnis zwischen ihm und seiner Umgebung deutlich zu machen. Zu den letzteren gehören die Geschichten von der Geistgabe an die Ältesten und von der Auflehnung Aarons und Miriams. Da die Prophetie, von deren Geiste diese Erzählungen bestimmt sind, als erst in der samuelischen Zeit oder noch später unter dem Einfluss des kanaanäischen Ekstatikertums entstanden gilt, ist das kategorische Urteil 218, die Schichten der Mose-Sagen, in denen uns Prophetisches begegnet, seien sämtlich sekundär, wohl zu verstehen. Aber jener Auffassung von der Entstehung des israelitischen Prophetentums steht entgegen, dass von den zwei Elementen, die in ihm verschmolzen sind, der »Geistbesessenheit« und dem »Sehen verborgener Dinge«, das erste keineswegs auf die syrisch-phönizische Kulturwelt beschränkt ist, sondern uns auch bei den Arabern entgegentritt, deren alte Dichter »Verse dämonischer Besessenheit« sprachen 219, deren Asketen in der Verzückung wie Saul die Kleider vom Leibe zu werfen pflegten 220, und bei denen noch heute die »Wissenden« der echten Beduinenstämme sich wie Elisa durch Musik begeistern lassen 221 und die Einfältigen, die als »Niederlassungsstätten« der guten Geister gelten, wie die Nebiim weissagend durch die Dorfgasse rennen 222. Das zweite Element ist uns schon aus der frühen arabischen Kultur wohlbekannt. Ich meine jene »Seher« – bei einzelnen heutigen Beduinenstämmen »Herren der Geheimnisse« genannt 223 – die beim Schauen ihr Gesicht verhüllen und von sich nicht Ich, sondern Du sagen, »weil sie nicht in ihrem Namen sprechen, sondern im Namen des Geistes, der sie anredet« 224, wobei aber zu beachten ist, dass sie auch solch ein Hören gern als »Sehen« bezeichnen 225. Das erste der beiden Elemente hat in Israel auf die Entstehung der ekstatischen Nebiim-Scharen, wie wir sie besonders aus Krisenzeiten wie die samuelische kennen, bestimmend eingewirkt, die persönliche Prophetie Israels ist davon mit wechselnder Stärke beeinflusst worden; das zweite, der altarabischen und der frühisraelitischen Kultur im wesentlichen gemeinsame Element scheint aus

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gemeinsamer Wurzel zu stammen und sich aus dieser in verschiedener Weise entfaltet zu haben 226. Der geschichtliche Mose ist vor dem Hintergrund solcher frühen Entwicklungen zu betrachten. Die Fragen ergeben sich, mit welcher von ihnen er in einen positiven Zusammenhang zu bringen und inwiefern sein persönliches Wesen von da aus zu erfassen ist, inwiefern aber es sich davon abhebt. So beziehen sich die Fragen auf zwei Vergleichungen: mit israelitischem Ekstatikertum und mit israelitischem Sehertum. Diese Vergleichungen sind aber bereits für die Verfasser und Redaktoren des Buches von Wichtigkeit gewesen, aus dem sich unser Buch Numeri entfaltet hat. Ihr Interesse daran ist in der Ausgestaltung der Geschichte von der Geistgabe an die Ältesten (Vergleich mit der kollektiven Ekstase) und der Geschichte von Aarons und Miriams Auflehnung (Vergleich mit dem Sehertum) zu starkem Ausdruck gelangt. Ein verwandtes Interesse, das an der Vergleichung mit ausserisraelitischem Sehertum, ist durch die Aufnahme des Volksbuchs von Bileam in das Buch Numeri befriedigt worden, ohne anscheinend zu dessen Bearbeitung im Sinn der Vergleichung geführt zu haben. Es liegt uns somit ob, die Erzählungen nicht bloss darauf hin zu prüfen, wie die Auffassung Moses in den späteren prophetischen Kreisen sich hier ausprägt, sondern auch darauf, in welchem Masse die Auffassung dem geschichtlichen Bilde Moses, wie wir es zu gewinnen vermögen, entspricht, d. h. ob sie nur Versuche einer »nebiistischen Übermalung des Mosebildes« 227 darstellen oder wir in ihnen vielmehr eine Spur der ältesten Vorstellungen von Geistwirkung und von Gottesschau in Israel entdecken dürfen 228. Die Erzählung von der Geistbegabung der Ältesten (Numeri 11) liegt uns in einer sonderbaren Verquickung mit der Sage von der Gabe der Wachteln vor. Auf diese, die ursprünglich offenbar mit der Manna-Sage zusammenhing 229, ist jene nicht etwa bloss gepfropft, sondern sie ist mit ihr durchaus verwachsen, doch aber so, dass man beider Geäst deutlich voneinander unterscheiden kann. Auf dem Weg von der Wüste Sinai bis zur Wüste Paran wird das Volk von dem Gelüst des zusammengelaufenen »Mischmaschs« angesteckt, der sich ihm beim Auszug angeschlossen hatte, und »weint« »wieder«, weil es sich an die guten Speisen erinnert, die es in Ägypten in solchem Überfluss gab, dass man sie »umsonst« zu essen bekam. Mose klagt JHWH, er könne dem Volk das Fleisch nicht geben, nach dem sie verlangen: damit aber verknüpft er die allgemeine Klage, die Last »dieses Volkes« sei für ihn zu schwer. In seiner Antwort heisst Gott Mose siebzig Männer von den Ältesten Israels an das Zelt der Begegnung zusammenholen, da wolle er von der ruach, dem Geist, der auf Mose ist, »aus-

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sparen« und auf sie legen, damit sie ihm die Last des Volkes tragen helfen. Und wieder verknüpft er damit das Versprechen an das Volk, es werde Fleisch bis zum Ekel zu essen bekommen. Nun geht beides in Erfüllung. Die Ruach lässt sich auf die Ältesten nieder und reisst sie zu verzückten Rufen und Bewegungen hin; doch wird die Einmaligkeit des Vorgangs hervorgehoben: »und taten es nicht mehr« (V. 25). Und danach zieht wieder ein Ruach, ein Wind nämlich, von JHWH herbei und treibt vom Meer Wachteln heran. Es ist zunächst das Gegensatzmotiv Fleisch-Geist, das die zwei Ereignisreihen mit einander verwoben hat: auf den zwei Ebenen des Seins spielt sich der zwiefältige Vorgang ab – der den Propheten geläufige Gegensatz zwischen dem irdischen »Fleisch« und dem himmlischen »Geist« (Jesaja 31, 3) soll anklingen. Dazu kommt aber der Doppelsinn des Wortes ruach 230, das, ebenso wie pneuma und spiritus, ursprünglich den Anhauch, das Wehen bedeutet, das Wehen vom Himmel her, das Wehen als Wind und das Wehen als Geist, die für den frühen Menschen zusammengehören, weil er die ihn überfallende Begeisterung, das übermächtige Wirken des Geistes in ihm, als den Sturmhauch einer übermenschlichen Gewalt verspürt und versteht, der in ihn eingedrungen ist – und wie bei sich selber so bei anderen. Die biblischen Autoren schöpfen aus diesem Doppelsinn, was er hergibt, von dem hohen Pathos des Anfangs der Schöpfungsgeschichte, wo die Ruach Gottes, Wehen des Windes und Wehen des Geistes noch in einer Ureinheit beisammen, über dem Urwasser schwebt, bis zum bitteren Spott des Propheten (I Könige 22, 21 ff.), der den Ruach, den Geist des Windes nämlich, in die den Königen nach dem Munde redenden »falschen Propheten« eingehen lässt, dass sie nichts als Windreden von sich geben. In der Verquickung der Erzählungen von den Wachteln und von den Ältesten geht es darum, den Leser fühlen zu lassen, dass beides, das Wirken in der Natur und das Wirken in der Seele des Menschen, ein Werk von oben, ja letztlich das gleiche Werk von oben sind. Anderseits aber wird unter den Gaben des Geistes nachdrücklich unterschieden. Die Ruach »ist« über Mose; auf die »Siebzig« (die schon Exodus 24, 1, 9 auftretende Auslese) legt sie sich, wirkt sich zu vorübergehendem ausserordentlichen Gebaren in ihnen aus, befähigt sie aber dadurch, dass sie einmal durch diesen Zustand, diese Umrührung und Erneuerung aller Kräfte, hindurchgegangen sind, Mose fortan das Volk »tragen« zu helfen. Mose selber bedarf solches Durchgangs nicht: wen die Stimme angesprochen hat, von Person zu Person, der ist zum Träger des Geistes geworden, eines ruhenden und steten Geistes ohne alles gewaltsame Wirken, eines Geistes, der eben nichts anderes ist als das Auf-

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genommensein in das dialogische Verhältnis zur Gottheit, in das Zwiegespräch. Auch er könnte wie jene »Seher«, nur eben in einer höchsten Entfaltung, von sich »Du« sagen, weil er im Zwiegespräch mit »Du« angeredet wird. Zum Unterschied davon ist die Ruach, die sich der Ältesten bemächtigt, eine unpersönliche, wortlose Macht, und wenn sie etwa unter ihrem Einfluss »reden«, so ist, was sie vernehmen lassen 231, jedenfalls nicht das sinnübermittelnde, botschaftbringende, gebietende Wort. Die Geisterfahrung der Ältesten entspricht durchaus den Ruach-Wirkungen, von denen wir in der Epoche nach der Landnahme, von den ersten grossen »Richtern« bis an den Anbruch des Königtums hören 232, mit stärkster Deutlichkeit bei Saul: einmalig fährt der Geist auf den Charismatiker nieder und macht ihn zu einem »anderen Mann«, begabt ihn mit den besonderen Kräften zu seinem Amt. Es ist nicht eine nachträgliche Geschichtsinterpretation, die sich in diesem Bilde äussert; es ist der Charakter der Geschichtsepoche selber, und zwar eben der, die mit Mose beginnt. Mose freilich erscheint als über die »Richter« und ihren GeistDurchgang erhoben; und auch das darf als die Erkenntnis einer geschichtlichen Wirklichkeit unter der Perspektive des Glaubens verstanden werden. Denn Sendung ist Grösseres als Amtsbegabung, sei es auch, wie bei den Richtern und bei Saul, das Amt des Feldherrn im Befreiungskampf. Die Sendung vollzieht sich über der Sphäre der unpersönlichen Ruach, in der Sphäre des Wortes 233. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden 234, dass die vorexilischen Schriftpropheten die ekstatischen Geisterfahrungen, obzwar sie sie wohl kennen, nicht als das Primäre, nicht als auf gleicher Stufe mit dem Worte stehend behandeln, sondern sie zumeist nur beiläufig oder gar nicht erwähnen, ja den Begriff der Ruach offenbar gern vermeiden und fast stets nur das an sie ergehende Wort als Ursprung ihrer Rede bezeichnen. Man darf dabei aber auch nicht unbeachtet lassen 235, dass das göttliche Wort selber seinem Wesen nach als Macht zu verstehen ist, die in dem Menschen, an den es sich wendet, und durch ihn wirkt. Diese zweite Art der Wirkung erscheint freilich als durch die menschliche Substanz gebrochen und beschränkt – eine Tatsache, die in Moses Klage zu starkem Ausdruck kommt. Gott hatte am Sinai, als er dem Volk auf Moses drängende Fürbitte Versöhnung gewährte, zu ihm gesagt (Exodus 33, 18), er habe Gunst in seinen Augen gefunden; jetzt (dieser Teil von Numeri 11 stammt wohl von demselben Verfasser oder ist von ihm beeinflusst) erinnert ihn Mose daran (Numeri 11, 11) auf eine seltsam indirekte Weise, indem er spricht, als hätte Gott ihm jenes nicht gesagt, sich aber dabei der gleichen Worte bedient: »Warum habe ich Gunst in deinen Augen nicht gefunden, dass du die Last all dieses Volkes auf mich legst!« Er ver-

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mag es nicht »am Busen« zu tragen, es ist ihm zu schwer. Das sind Worte, wie sie in ihrer Situationsechtheit einem wirklichen Gebet Moses entnommen sein könnten. Sie setzen aber die persönlichen Einwände fort, die er am brennenden Dornbusch der Sendung entgegensetzte. Auf sein »Wer bin ich …« hatte JHWH geantwortet: »Wohl, ich werde dasein bei dir«. Und er war dann bei ihm im Kampf gegen den Pharao. Aber nun, wo es gilt, dieses »schwere« Volk zu »tragen«, überlässt er es ihm! Zur Antwort zeigt ihm Gott, dass er auch nach innen »da ist«. Als der von JHWH Gesendete ist Mose von den von der Ruach JHWH’s Ergriffenen abgehoben und über sie erhoben. Aber der Erzähler will diese Überlegenheit nicht als eine Mose selbst, dem »sehr Demütigen« (12, 3), erwünschte, sondern nur eben als sein ihm von Gott zugeteiltes und ihn bedrückendes Schicksal verstanden wissen. In einer Episode (11, 26 ff.) berichtet er von zwei Männern, die im Zeltrund des Lagers blieben, statt zu dem in der Mitte des Kreises stehenden Gotteszelt »hinauszugehen«, und da wo sie standen vom Geist ergriffen wurden. Josua – es ist nach jenem Gespräch beim Niederstieg vom Sinai das zweite zwischen ihm und Mose, von dem wir hören – begehrt von Mose, dass er den Vermessenen wehre, Mose aber rügt sein »Eifern« für ihn: wären doch das ganze Volk Nebiim! Bemerkenswert ist, dass er nicht das Verb verwendet, mit dem früher berichtet wurde, dass die vom Geist Ergriffenen »sich wie Nebiim verhielten«, d. h. sich wie die Nebiim-Scharen ekstatisch äusserten, sonderen das Substantiv selbst. Er meint also keinen vorübergehenden Zustand sondern die Berufung, kraft der ein Mensch unmittelbaren Umgang mit der Gottheit hat und ihr Geheimnis unmittelbar empfängt. Damit aber gibt Mose nur mit einem anderen Grundbegriff und in der Form des Wunsches das wieder, was JHWH im Adlerspruch Israel geboten hatte: ein Königsbereich von kohanim, von unmittelbaren Dienern ihres Melek zu werden. Das ist nicht die Sprache eines Zeitalters, »in dem das Nabitum sich schon in Auflösung befand« 236, vielmehr »lebt schon in früher Zeit die Hoffnung, dass einst der Geist allen möchte zuteil werden« 237. Mosaisch im genauen Sinn ist diese uns schon »eschatologisch« anmutende Hoffnung freilich nicht, aber der Nachwirkung seines Geistes ist es erlaubt sie zuzurechnen. Der Erzähler hat mit grosser Kunst und Weisheit diesen Spruch aus der Situation hervorgehen lassen: dann, wenn alles Volk zu gottunmittelbaren Nebiim geworden ist, wird es nicht mehr nottun, dass ein von Gott Beauftragter es wie ein unmündiges Kind am Busen trage. Mit dem israelitischen Sehertum wird Mose in dem nächstfolgenden – überarbeiteten, aber im Kern alten – Abschnitt verglichen, in dem erzählt wird, wie Miriam und Aaron »gegen Mose reden«, von JHWH zum Zelt

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beschieden und hier von ihm verwiesen werden, Miriam, die offenbar den führenden Anteil an der Auflehnung hatte (dieser Zug scheint mir nicht der Überarbeitung anzugehören) überdies mit einem, später auf Moses Fürbitte heilenden, Aussatz bestraft wird; Aaron, der Ahnherr des Priestertums, geht hier wie in der Erzählung vom »goldenen Kalb« straflos aus. Der Gegenstand des »Redens gegen Mose« ist dessen Frau, die hier aus einer uns undeutlichen Ursache 238 als Kuschitin, was im allgemeinen Äthiopierin bedeutet, bezeichnet wird. Dass Miriam und Aaron sich jetzt mit ihr befassen, ist anscheinend daraus zu erklären 239, dass im ursprünglichen Zusammenhang der Besuch Jethros, der Mose Frau und Kinder zurückbringt, unmittelbar dieser Begebenheit vorausging. Dass Miriam die Führung hat, deutet darauf hin, dass es sich um eine Sippensache handelt. Die biblische Angabe, dass Aaron und Miriam Moses Geschwister (oder Halbgeschwister von einer anderen Mutter?) seien, dürfte trotz mancher dagegen geäusserten Bedenken zutreffend sein. Es ist wohl mit Recht vermutet worden 240, dass Mose aus einer althebräischen Sippe von »Sehern« stammte; Analoges ist uns, wie aus anderen Kulturen, so besonders aus der arabischen 241 bekannt. Was die Geschwister Mose vorwerfen, ist gewiss nicht von einer allgemeinen Tendenz zur Erhaltung des reinen Blutes, wohl aber von der Vorstellung bestimmt, dass die Fortpflanzung der Sehergabe in der Sippe durch das fremde Element beeinträchtigt werde, einer Vorstellung, aus der sich – wenn man die Personen der »Väter« als Offenbarungsempfänger und Häupter religiöser Gemeinschaften geschichtlich ernst nimmt 242 – manche Motive der Patriarchengeschichte aufhellen lassen. Nur daher ist es zu verstehen, dass JHWH in seiner Rede an die beiden Aufsässigen nicht von Zippora, sondern lediglich von Mose spricht. Es handelt sich darum, Mose von allem Sehertum abzuheben: er ist mit seinen Gaben und Werken nicht das Mitglied einer mit einem erblichen Charisma ausgestatteten Sippe, sondern durchaus eine Person, diese von Gott ausgesandte Person, der persönliche Träger eines persönlichen einmaligen Amtes. Er ist JHWH’s »Knecht«, der »mit dessen ganzem Hause betraut« ist, der also Israel, als Gottes Volk und Reich, als seinen »Sonderbesitz«, zu verwalten hat 243. Die rhythmische Gottesrede ist gerade im entscheidenden Punkte unklar. Liegt hier, wie in so vielen ähnlichen Fällen, ein sinnreiches Wortspiel vor, so ist sie dahin zu verstehen, JHWH gebe sich den Propheten »in der Schau« zu kennen, Mose aber »anschaulich, nicht in Rätseln«. Sie haben Visionen, die man erst enträtseln muss, ihm aber wird in der anschaulichen Wirklichkeit selber Gottes Absicht gezeigt. Zu ihnen redet Gott »im Traum«, zu Mose »von Mund zu Mund« – womit offenbar noch Intimeres gesagt ist 244 als mit »von Angesicht zu Angesicht« (Exodus

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33, 11): wie im Atemhauch weht (»inspiriert«) das Wort sich dem Menschen ein. Am schwierigsten ist die die Kennzeichnung der Ausnahmestellung Moses abschliessende Aussage, er erblicke »JHWH’s Gestalt«. Mir scheint hier der Hauptton auf dem Verb »erblicken« zu liegen, das nie von prophetischer Schau gebraucht wird; nur eben von Mose heisst es (3, 6) er habe nicht gewagt, »zur Gottheit hinzublicken«. Mose sieht oder schaut nicht eine Gottesgestalt, sondern er erblickt die Gestalt JHWH’s – in allem, worin man sie zu erblicken vermag, und das eben ist es, worauf wir in der Erzählung der Offenbarungen an ihn immer wieder gestossen sind, von der aus der Lohe ihn anredenden Erscheinung, die aber kein von der Lohe getrenntes oder trennbares Bild war, bis zum Sehen der »Rückseite« Gottes, das ein Sehen des Kabod, der Ausstrahlung JHWH’s, »in der Wolke« war (33, 18, 23; 34, 5). Wenn Kommentatoren der Gottesrede an Aaron und Miriam meinen 245, von einem Primat Moses werde auch eine streng geschichtliche Betrachtung zu reden haben, »freilich mit Verzicht darauf, ihm eine ganz besondere Weise der Offenbarung zu reservieren«, so ist dem zunächst zuzustimmen; dennoch dürfen wir die Gottesrede nicht als frei zu Moses Verherrlichung gedichtet verstehen. Es birgt sich, so will mir scheinen, darin eine, wenn auch verblasste, Erinnerungsspur an den Mann, der seinen Gott, den Gott, der jeweils da ist als was er da ist, in seinen naturhaften Erscheinungen »anschaulich« wiedererkannte und dessen Wort als seinem Innersten eingeweht erfuhr. Das ist klassisch israelitisch und ist doch in solcher Reinheit und Kraft einmalig. Und wenn wir nichts davon läsen, müssten wir doch zu solchem Wort und solcher Tat solche Erfahrung postulieren. Das Volksbuch vom aramäischen (wahrscheinlich im aramäischen Hauran beheimateten 246) Wahrsager Bileam ist aus älteren und jüngeren Liedern und Erzählungen zusammengeflossen, von denen die ältesten aus der Richterzeit, die jüngsten aber aus der Zeit des grossisraelitischen Reiches zu stammen scheinen. Ursprünglich gab es als festen Kern wohl nur die beiden ersten Verssprüche, die jeweils vom Volkssänger in eine von ihm frei gestaltete Prosaerzählung eingefügt wurden 247, der Rest fügte sich allmählich an. Die Grundanschauung der beiden ersten Sprüche und der älteren Teile der Erzählung ist einheitlich. Der Kern ist in den Worten des zweiten Spruchs (Numeri 23, 23) enthalten 248: »Nicht gibts Zeichendeuterei in Jakob und nicht Wahrsagerei in Israel: zur Zeit wird es Jakob und Israel angesagt, was Gott im Werk hat.« Der das als hohes Lob ausspricht, ist einer, der auf Zeichendeuterei ausgeht (24, 1) und Wahrsagerlohn empfängt (22, 7) 249. In dieser Gegenüberstellung, die die Begriffe aus dem Spruch in die Erzählung übernommen hat, waltet eine offenkundige Tendenz. Bileam bietet zunächst das Bild eines echten Na-

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bi: Gottesgeist kommt über ihn, JHWH »fügt sich zu ihm« und »legt Spruch in seinen Mund« 250. Aber er treibt Wahrsagerei und Zeichendeuterei, und JHWH lässt ihn bekennen, dass es in Israel, in Gottes Volk, beides nicht gibt: es braucht beides nicht zu geben, weil Gott seinem Volk jeweils durch den Mann, den er sendet, den Sinn der jeweiligen Situation ansagt, was er, Gott, jetzt »im Werk hat«, und was er von da aus von Israel fordert, und dies eben braucht es zu wissen, nicht weniger und nicht mehr. Bileam wird nicht gesendet; Gott bedient sich seiner, aber er beauftragt ihn nicht. Bileam ist ein Einzelner, der mit einer Kunst begabt, aber nicht zu einem Werk berufen ist. Er ist nicht der Führer eines Volkes; er hat kein Volk, dem er den Sinn der jeweiligen Situationen anzusagen hätte. Darum treibt er Wahrsagerei und Zeichendeuterei, und so kommt ein Riss in sein Nabitum, der es entseelt. Der wahre Nabi sagt fast nie eine feststehende, unabänderliche Zukunft voraus; er sagt eine die menschliche Entscheidung anfordernde Gegenwart als eine an, in der sich die Zukunft bereitet. Bileam ist die Sphäre der menschlichen Entscheidungen, und das heisst: die Sphäre des göttlichen Gebots, fern. JHWH gibt ihm den Spruch ein, aber er hat mit ihm keinen persönlichen Umgang, und er eröffnet ihm nicht seinen gebietenden Willen, bis auf das eine, dass er ihm befiehlt, was er sagen solle und was nicht. Bileam preist Israel in seinem Spruch (23, 21), JHWH, sein Gott, sei bei ihm da, und dabei nimmt der Dichter das alte Motiv der Verheissung an Mose, das Sinnmotiv des Namens, auf; aber er, Bileam, kennt diese Art von Gegenwärtigsein Gottes nicht. Er fährt fort: »und Melek-Jubel ist in ihm«, und der Dichter meint damit den im Lager Israels, auch noch zu seiner Zeit, immer wiederkehrenden Vorgang: den Jubel des Volkes um das Zelt seines göttlichen Führers; aber auch dies, das Königtum Gottes, kann Bileam nur von aussen her kennen. Wohl äussert er am Ende des ersten Spruchs (V. 10) den persönlichen Wunsch, den Tod dieser »Aufrechten« oder »Geraden« zu sterben; aber das Leben des Volkes, das »einsam wohnt«, muss ihm wesensmässig fremd bleiben. So nah er Israel in seinen Sprüchen kommt, seinem wahrsagerischen und zeichendeuterischen Wesen ist es unzugänglich. Was für ein Israel ist es, das der Dichter meint? Woher hat er die Kunde von einem Israel, das kein Arg und keinen Harm kennt (23, 21) und von Magie und Mantik nichts wissen will? Man fasst seine Absicht nicht zureichend, wenn man von »Idealisierung« redet. Ihm ist es zweifellos um Überliefertes zu tun. Was er im Sinne hat, kann nichts anderes sein als der Israel-Gedanke Moses. Solch ein Israel hat Mose gewollt, der wollte, dass im Volke Leben, Ehe und Eigentum gesichert und der Neid aus-

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getilgt sei, und gegen Magie und Mantik sein Sendungsbewusstsein und sein Aussprechen des Gotteswillens einsetzte. Mose wird in dem Volksbuch von Bileam nicht genannt. Aber er, der sich berufen weiss, jeweils zur Zeit Israel anzusagen, was Gott im Werk hat, ist der heimliche Gegenspieler des Wahrsagers und Zeichendeuters. Gewiss, die Bileam-Geschichte, wie sie uns vorliegt, »gipfelt in den bedeutsamen, die glückliche Zukunft Israels vorausdarstellenden, ja, wirkenden Segenssprüchen, die darum echt, d. h. vom israelitischen Standpunkt aus: von Jahwe gewirkt sein mussten« 251, aber darüber hinaus ist es dem Erzähler doch wohl darum zu tun, dass JHWH mit diesen Segnungen durch den Mund des heidnischen, des entseelten Nabi die Stiftung seines wahren Sendboten bestätigen lässt. Auch hier noch, in dem dem Fremden in den Munde gelegten Enthusiasmus für den Königsjubel im Lager Israels, wirkt die Intention nach, die den Adlerspruch geprägt hat.

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Das Land Nach der Erzählung im Buche Numeri (Kap. 13 und 14) und der Parallelerzählung im Buche Deuteronomium (1, 22-46) entsendet Mose von Kadesch aus Kundschafter nach Kanaan; sie überbringen gute und schlimme Auskünfte über das Land; das Volk, von den schlimmen erregt, wehklagt und redet davon, sich ein Oberhaupt zu setzen und nach Ägypten zurückzukehren; die ihm Entgegentretenden laufen Gefahr gesteinigt zu werden. Da greift JHWH ein und will das Volk vernichten, aus Moses Samen aber ein neues Volk hervorgehen lassen; Mose setzt sich ein und erwirkt Vergebung, aber das sündige Geschlecht wird verurteilt in der Wüste zu sterben, ehe Israel nach Kanaan kommt, »vierzig Jahre« müssen bis dahin voll werden. Nun will das Volk plötzlich nach Kanaan ziehen; es unternimmt gegen Moses Willen und ohne Teilnahme der Bundeslade einen Ausfall gegen die im Gebirge hausenden Amalekiter und Kanaanäer und wird geschlagen. Ein geschichtlicher Kern ist der Erzählung kaum abzugewinnen, bis auf die Tatsache, dass die Amalekiter, die Kadesch den Eindringlingen hatten überlassen müssen, sich mit den benachbarten Stämmen zusammentaten und einen weiteren Vormarsch, anscheinend für eine ganze Generation, unmöglich machten. Doch darf man aus der Erzählung ableiten, dass Kadesch, in dem Israel sich offenbar lange Zeit aufhielt, die Station war, wo Kanaan dem Volke unmittelbar als das Ziel seiner Wanderung bewusst geworden ist. Unter Kadesch ist hier nicht ein einzelner Ort zu verstehen, sondern die ganze südlich von Palästina, auf dem Weg von Akaba nach Beerseba gelegene Reihe von Talebenen, die sich an den so benannten Ort anschliesst, von Hügeln umgeben, denen Quellen entspringen, zuweilen so, dass das Wasser aus Ritzen und Spalten des Felsens bricht; überwiegend wasserreich und fruchtbar ist das Land, stellenweise von »paradiesischer Fruchtbarkeit« 252, der Boden, viele Fuss tief, liefert noch heute in guten Regenjahren den ihn bebauenden Arabern reiche Getreideernten 253. Die Gegend weist beachtenswerte Reste syrisch-kanaanäischer Kultur aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends auf, darunter eine Festung, von der vermutet werden darf 254, dass sie bereits erbaut war, als Mose mit seiner Schar hierherkam und durch die sich die biblische Bezeichnung (Numeri 20, 16) von Kadesch als »Stadt« oder befestigter Ort erklären lässt. Das Volk dürfte den hierfür wohlgeeigneten Platz als festes Zentrum seiner Bewegungen eingerichtet haben, in dem – vermutlich nach midianitischem Vorbild 255 – Mose mit der Lade und der bewaffneten Levitenwache verblieb, während die Stämme ausschwärmten. Den fruchtbaren Boden

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bebaute man, wie es schon die »Väter« (Genesis 26, 12) getan hatten, mit primitiven, aber ausgiebigen Methoden, und die Herden wurden ringsumher auf Weide getrieben 256. Die Hebräer waren nicht bloss »an die Stätte der Erzväter« 257, sondern auch zu ihrer Lebensform zurückgekehrt. Aber – so wird gefragt – ist das Streben nach Kanaan darauf zurückzuführen, dass, wie manche meinen, das schnelle Wachstum des Volkes grösseren Raum brauchte, oder war Kadesch von vornherein nur als Station dahin gedacht und das längere Verweilen ergab sich aus den historischen Umständen? Ist die Verheissung des »guten weiten Landes« an Mose (Exodus 3, 8) aus der späteren Umbildung der Auszugstradition zu erklären, oder dürfen wir sie als ein wesentliches Motiv für Moses eigenes Handeln verstehen? Wollte Mose, als er von Ägypten aufbrach, die Stämme nur befreien oder auch sesshaft machen? War die Erinnerung an das Kanaan der Väter ihm als Hoffnung und Antrieb gegenwärtig? Hat er, wie es im religiösen Bereich geschah, so auch im eigentlich geschichtlichen für die Zukunft, die er bauen wollte, in einer leidenschaftlich erinnerten Vergangenheit das Fundament gesucht und gefunden? Die kritische Forschung beginnt in unseren Tagen von neuem zu erkennen 258, dass »das Element der Landverheissung in den Vätersagen als solches keineswegs eine freie Schöpfung des Jahwisten, etwa eine Vorausdatierung des Anliegens der Landnahmetradition, sondern der alten und ältesten Überlieferung zugehörig« ist. Mit anderen Worten: es geht nicht an, in der Erzvätererzählung eine pseudohistorische Begründung der Rechtsansprüche auf Kanaan 259 zu sehen. Es ist nachdrücklich darauf hingewiesen worden 260, dass die Väter ihre Stellung in der israelitischen Sagenüberlieferung primär ihrer Funktion als Offenbarungsempfänger verdankten, und zugleich auf die Beziehung der sich ihnen offenbarenden Gottheiten »zu genealogisch zusammengeschlossenen Verbänden, zu Sippen und Stämmen« 261, sowie auf den Umstand, dass diesem Religionstypus »ein Zug zum Sozialen und zum Historischen« innewohnt, »der den Lebensverhältnissen nomadischer Stämme entspricht« 262. Aber keineswegs ist daraus, dass jeder der Väter eine Sonderbezeichnung für den Gott hat, der sich ihm offenbarte – Schild Abrahams, Schrecken Isaaks, Recke Jakobs – zu schliessen, dass damit drei verschiedene Götter gemeint seien. Wer vom Vater oder Stifter eine Tradition über dessen Gott empfängt, wird den, der sich ihm offenbart, zwar mit jenem identifizieren, zugleich aber die für ihn und seinen Kreis grundwichtige Tatsache seiner persönlichen Beziehung zu diesem Gott in einem neuen Beinamen ausdrücken. »Isaak bekennt sich zum Gott Abrahams, der aber auch in besonderer, biographisch fundierter Weise sein, Isaaks, Gott ist, und so fort« 263. Ist dem aber so, dann haben wir zu prüfen, inwieweit ein

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gemeinsamer konkreter Inhalt jener Offenbarung, und zwar einer, dem ein Zug zum Sozialen und zum Historischen innewohnt, sich den uns vorliegenden Texten noch abfragen lässt. Als solch einen Inhalt dürfen wir die Verheissung des Landes ansehen. Der Gott, von dem diese Männer verkündigen, er habe sie hierher geführt, damit sie, wie ein Herold den Namen des Königs, seinen Namen über den heiligen Stätten dieses Landes ausrufen, zum Zeichen, dass er komme, sie als von Anbeginn sein eigen zu beanspruchen und sie in Besitz zu nehmen (Genesis 12, 8; 13, 4; 21, 33; 26, 25) 264, verspricht in genauem Zusammenhang damit, er wolle ihnen und ihren Nachkommen, als der Gemeinschaft seiner Bekenner und Diener, dieses Land »geben«. Das ist zwar, soweit ich sehe, in dieser Prägnanz ohne Parallele in der Religionsgeschichte, aber es hat einen Ursaft in sich, wie er nicht in den Laboratorien der Tendenzliteratur gebraut wird. Und es ist geschichtlich zu verstehen, dass solch eine Verkündigung fortwirkt. Wie wir in der Betrachtung des Dornbusch-Gesprächs sahen, ist zwischen dem »Gott der Väter« und dem, der sich Mose offenbart, nicht zu scheiden. Ja, von der gewaltigen, die persönliche Aktivität in Bewegung setzenden Bedeutung dieser Offenbarung für Mose ist die Identität beider, und mit ihr die angekündigte Erfüllung der alten Verheissung, gar nicht wegzudenken: Mose entdeckt sich als den Träger dieser Erfüllung. Mit Notwendigkeit gehört sie zur Botschaft, die er dem Volke bringt. Ob ihm damit die Sesshaftmachung des Volkes in ihrem vollen konkreten Gehalt deutlich geworden war, ist eine Frage für sich, die ich zu verneinen neige. Die Stämme waren in Ägypten allem Anschein nach im wesentlichen auf Viehzucht beschränkt worden, und die Zeit der Fronarbeit hernach hatte gewiss nicht dazu beigetragen, sie für den Ackerbau vorzubereiten; was ihre Überführung zu einer vorwiegend agrarischen Lebensform an äusseren und inneren Wandlungen bedeutete, hat Mose in Midian und hernach in Ägypten wohl noch nicht erkennen können. Ich vermute, dass es ihm erst in Kadesch, bei den beginnenden Erfahrungen des Volkes mit einem geringen Bodenbau, aufgegangen ist. Mit dieser Konkretisierung des Gedankens an das Land dürfte aber in Mose auch der Gedanke an die Notwendigkeit gesetzlicher Bestimmungen erwacht sein, die die neue Lebensweise so regeln, dass die Bedingungen eines gerechten Gemeinschaftslebens, wie er sie aus nomadischen Stammestraditionen und eigenen mit dem Volk gemachten Erfahrungen erkannt haben mochte, vor schweren Störungen bewahrt würden. Und auch hier musste er von seiner Grundidee, der der realen Herrschaft Gottes, ausgehen: woraus sich denn das Postulat des Gotteseigentums an allem Grund und Boden notwendig ergab.

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Der Name Kadesch bedeutet »Heiligtum« ; von altersher (Genesis 14, 7) war es »Quelle des Gerichts« genannt; es war eine heilige Quelle. Als ich im äussersten Norden Palästinas auf der noch heute von den Arabern »Hügel des Richters« genannten Höhe bei Dan – auch das ja ein Name, der »Richter« bedeutet – im Hain über einer Jordanquelle auf dem unverkennbaren Gerichtsplatz unter der uralten Eiche gesessen habe, ist mir etwas davon aufgegangen, was Kadesch im Süden gewesen ist, und was sich dort begeben hat. Hier muss Mose, der, wie es die Väter zu tun pflegten, die von der Urzeit her geheiligte Stätte – von der wir nicht mehr ahnen können, welchem Gott oder Geist sie geweiht war – für JHWH in Anspruch nahm, nicht bloss Recht gesprochen, sondern auch »Gesetz und Recht gesetzt« haben (Exodus 15, 25); das ist ja Pflicht und Auftrag jedes Volksführers in solcher Lage, der noch nicht aus einer festen und den gegebenen Lebensbedingungen angemessenen Gesetzesüberlieferung schöpfen kann. Aber über die Anforderungen der Stunde hinaus wird wohl sein Sinn dabei geweilt haben, was Satzung werden muss, damit das in der Gegenwart noch nicht realisierte Gottesvolkstum sich unter günstigeren Voraussetzungen verwirkliche. Die Forschung behandelt überwiegend das israelitische Bodenrecht grundsätzlich als nachmosaisch, weil Mose sich angeblich in der Wüste nicht mit den ganz anders gearteten Lebensbedingungen eines sesshaften Volkes habe befassen können. Es ist aber geschichtlich wohl denkbar, dass ein Gesetzgeber, der eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Struktur eines Volkes im Sinn hat, eine dieser Änderung entsprechende Rechtsordnung, sei es auch nur in grossen Zügen, entwirft. Dazu kommt, dass schon die sehr bescheidenen bodenwirtschaftlichen Versuche in Kadesch einem auf den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft bedachten Führer den Erlass einiger Bestimmungen nötig erscheinen lassen konnten. Zudem handelte es sich dabei in der Welt des Alten Orients um keine eigentlichen Neuerungen. Wir wissen zum Beispiel von der altarabischen Kultur, dass dort »Gott, König und Volk« (wobei der König als Stellvertreter des Gottes und Mittler fungiert) »die staatsrechtliche Formel für den Staat« war und dass im Zusammenhang damit der Boden als das Eigentum der Gottheit galt 266, und wenn die uns bekannt gewordenen Urkunden auch erst mehrere Jahrhunderte nach Mose zu datieren sind, so ist doch an dem hohen Alter der Grundvorstellung kaum zu zweifeln, zumal wir verwandten Konzeptionen in Babylon schon im dritten Jahrtausend begegnen. Wie wir es in der Behandlung altorientalischen Geistesgutes durch Israel so oft finden, hat das biblische Bodenrecht das Vorgefundene in eine realistische Auffassung überführt, die sich mit keiner 265

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blossen Symbolik begnügt; zugleich aber hat es es in eine höhere Sphäre des Sinns und des Wortes erhoben, indem es sich auf dem als Anrede Gottes selber erscheinenden Grundsatz (Leviticus 25, 23) aufbaute: »Denn die Erde (das Land) ist mein, denn Gäste und Beisassen seid ihr bei mir.« Dass dieser heut wieder als »uralt« 267 anerkannte Satz in einem als Ganzes literarisch späten und aus verschiedenen Stilschichten zusammengesetzten 268 Text steht, berechtigt uns nicht, ihn Mose abzusprechen. Mit solchen Begriffen müssen wohl die Israeliten ihr Verhältnis zu Ägypten bezeichnet haben, und die im biblischen Gesetz so häufig wiederkehrende, schon in seinen sehr frühen Teilen (Exodus 22, 20; 23, 9) zu findende Mahnung, den Gastsassen nicht zu bedrücken, da man doch seine Lage in Ägypten an sich selber erfahren habe, also seine »Seele« kenne, wurzelt offenbar tief im Geschichtsgedächtnis des Volkes. Wie sie aus dem Dienst Ägyptens in den Dienst JHWH’s kamen, so sind die Kinder Israel aus Beisassen Ägyptens zu Beisassen JHWH’s geworden. Der einleitende Spruch aber »Denn die Erde ist mein« gemahnt an die Worte des Adlerspruchs »Denn die ganze Erde ist mein«; beide Male spricht Gott die Erde sich zu, nur das einemal, im Adlerspruch, nach der Seite der Herrschaft über die Erdenvölker, das anderemal, im Gastsassenspruch, nach der Seite des Eigentums am Erdboden, am Boden Kanaans. Mit dem Sinn dieser Urworte, in denen sich der Glaube Moses an den einen Herrn, ein früher und gewaltiger Glaube, ausspricht, scheint sich aber ein anderes Motiv verknüpft zu haben. In der jedenfalls sehr alten Gesetzesschicht des sogenannten Bundesbuchs wird (Exodus 23, 10 f.) geboten, im siebenten Jahre das bebaute Land, Acker, Weinberg und Ölgarten, »loszulassen« und seinen Ertrag »hinzubreiten«, dass »die Dürftigen deines Volkes davon essen«; was sie übrig lassen, mag »das Wild des Feldes« verzehren. Die knappe und »etwas abrupte« 269 Formulierung nimmt sich wie eine erste, noch der Ausfüllung und Präzisierung bedürftige Aufzeichnung aus, der es nur darum zu tun ist, eine Intention festzulegen; sie zeichnet sich dabei aber durch die sinnliche Ausdruckskraft aus, die solchen Aufzeichnungen oft eigen ist. Zu Beginn jenes Abschnitts, in dem der Gastsassenspruch steht (Leviticus 25, 2-7), wird der Gedanke des Gesetzes genauer ausgeführt, und zwar nach drei Richtungen: erstens, das siebente Jahr ist, wie der siebente Tag der Woche, »ein Sabbat dem JHWH«, zweitens, es soll ein Sabbat für die Erde sein, an dem sie brachliegen und also feiern soll, wie der Mensch am siebenten Tag feiert, drittens, was sie trägt, soll allen gemeinsam gehören, Freien und Sklaven, Israeliten und Beisassen, Mensch und Vieh gemeinsam. Es liegt uns hier offenbar der »bessere und vollständigere Text« 270, genauer: die Ausführung jener ersten Skizze vor. Das Verhältnis

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beider zueinander ist nicht so zu denken, dass ursprünglich nur eine wirtschaftlich-praktische und sozial-humanitäre Bestimmung bestanden hätte, die von einer späten Theologie ins Religiöse ausgebaut worden wäre. Vielmehr ist das siebente Jahr in Israel von alters her die Zeit einer »sakral gedachten Brache, für deren Dauer die Nutzniessungsrechte der israelitischen Sippen an dem ihnen durch das Los zugeteilten Grund und Boden ausser Kraft gesetzt sind und das eigentliche und alleinige Besitzrecht Jahwes wieder klar in die Erscheinung tritt« 271. Gewiss ist für das Sabbatjahr, wie für den Sabbat selber, »die Idee der Gleichheit aller Kreatur« 272 charakteristisch; aber eben als Kreaturen, als Geschöpfe des einen Schöpfers sind sie einander gleich und sollen, wie an dem JHWH geweihten Tag, so in dem ihm geweihten Jahr die gleichen Rechte in diesem und jenem Bereich, in dieser oder jener Gestalt zugebilligt erhalten. Und gewiss waltet hier der Gedanke, »dass die Erde für eine Zeit frei sein soll, so dass sie nicht dem Willen des Menschen unterworfen sei, sondern ihrer eigenen Natur überlassen, so dass sie Niemandsland ist« 273; aber eben weil sie Gottes ist, soll die Erde immer wieder frei werden. Das Kosmische, das Soziale und das Religiöse sind hier noch wurzelhaft eins und noch nicht voneinander zu trennen. Die Epoche, in der eine solche Einheit noch möglich ist, kann fixiert werden. Es ist daher mit Recht gesagt worden 274, das Aufkommen der Institution des Sabbatjahres sei »nur in einer Zeit denkbar, in der die israelitischen Stämme das Halbnomadentum ihrer Vorzeit noch nicht ganz verlassen und mit dem Ackerbau zwar schon begonnen, ihn aber noch nicht zum Mittelpunkt ihrer Wirtschaft gemacht hatten«. Wohl kann man »für dieses Stadium ebenso gut an die letzte Zeit vor wie an die erste Zeit nach ihrer Landnahme in Palästina denken«; aber für das erstere, also für Kadesch, spricht die noch unbeeinträchtigte Konzentration der wandernden Schar und die Intensität der mosaischen Initiative, denen beiden später nichts Ähnliches an die Seite zu setzen ist. Es ist von verschiedenen Seiten 275 die Vermutung geäussert worden, »dass die Aufhebung der bisherigen Rechtsverhältnisse an Grund und Boden im siebenten Jahr ursprünglich eine vollständige war«, ebenso vollständig wie in dem späteren – aber meines Erachtens seinem Kern nach nicht späten und keineswegs bloss »theoretischen«, vielmehr zur Erstreckung des Zeitraums der Wiederherstellung (weil der ursprüngliche nicht eingehalten wurde) bestimmten – Gesetz über das Jobeljahr; dass also im Sabbatjahr eine Neuverlosung der Ackeranteile an die einzelnen Sippen stattfand, wie sie sich bei manchen arabischen Halbnomaden sogar alljährlich und in einer an die biblische Terminologie erinnernden Weise vollzieht 276. Ist diese Vermutung zutreffend – und sie

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scheint es mir zu sein –, dann liegt es in der Absicht des Sabbatjahrs, dass sich in ihm die Ordnung der Gemeinschaft erneuere, um von neuem zu beginnen. Die Erneuerung des Bodens in der Brache und die Erneuerung des Volkes in der Wiederbringung der Urgleichheit gehören zusammen. »Der unbedingte Zusammenhang des Volkes sollte fortleben in dem Bewusstsein des gemeinsamen Besitzes von Grund und Boden« 277; aber dieses Bewusstsein musste tiefe Wurzeln schlagen, es musste sich in der Tiefe nähren von dem Wissen um das Leben der Erde, an das das Leben des Menschen gebunden ist. So dürfen wir annehmen, dass schon Mose in Fortführung seines sabbatischen Denkens und unter Ausnutzung der halbnomadischen Wirtschaftstraditionen die Idee konzipierte, die immer wieder sich ausbreitenden sozialen Schäden dadurch für immer zu überwinden, dass jeweils im Sabbatjahr der »Normalzustand der israelitischen Volksgemeinschaft nach allen Störungen und Fehlentwicklungen der vorausgegangenen sechs Jahre« wiederhergestellt werden sollte 278; aber dieser »Normalzustand« ist eben der, in dem das Volk sich befand, als es den Melekbund schloss und ihn zu erfüllen, also eine wirkliche Gemeinschaft zu realisieren bereit war, und eben diesen Zustand will Mose gegen alle jeweils aufkommenden »Störungen und Fehlentwicklungen« stets von neuem wiederkehren lassen. Was einer isoliert-sozialen Betrachtung als Wiederherstellung eines Normalzustandes erscheint, erschliesst sich dem das Religiöse mit umfassenden Blick als eine Erneuerung des Bundes im siebenten Jahr, dem »Jahr der Loslassung«, in dem späterhin am Hüttenfest die alten mosaischen Gesetze vor dem versammelten Volk verlesen wurden (Deuteronomium 31, 10 ff.); es erschliesst sich als »eine Rückführung der Volksgemeinschaft auf die ideale Grundlage ihres Daseins, eine Neuverpflichtung aller Volksglieder auf den Willen Jahwes, ohne den der Zusammenschluss der Stämme zur nationalen Einheit weder entstanden wäre noch bestehen könnte« 279. Um Kadesch haben sich manche wissenschaftliche Hypothesen gesponnen. Man meint etwa 280, es sei von urher das Gebiet des Stammes Levi gewesen und Mose ein Priester dieses Stammes; »die Kultusstätte am feurigen Dornbusch, die vermutlich in demselben Tal lag«, sei »weit über das Gebiet von Levi hinaus bei allen Nachbarstämmen in hohem Ansehen« gestanden, und bei »dem grossen Jahwefest«, mit dem »ein unter dem Schutze des Gottesfriedens stehender Jahrmarkt verbunden« gewesen sei, hätten die Priester von Levi als »Vermittler und Schiedsrichter zwischen den Stämmen und den Einzelnen« fungiert. Ein reizvolles Bild; aber der Historiker entfernt sich hier bedenklich von den ihm zur Verfügung stehenden Texten. Was diese nahelegen, ist nur, dass Mose die

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befestigte Stätte um die heilige Gerichtsquelle zu einem Zentrum »Israels« machte, an dem er das Gesetz gab und das Volk erzog. In dem Masse, in dem der Zug nach Kanaan – zuerst als bald bevorstehend, später, nach unglücklichen Kämpfen, als einer, für den man sich erst lange rüsten musste – in seinen Aufgaben deutlich wurde, dürfte es Mose notwendig erschienen sein, auf Grund der in Kadesch gemachten Erfahrungen die Grundsätze des Bodenrechts zu entwerfen. Es mussten Grundsätze sein, die das sesshaft gewordene Volk vor den Gefahren der Sesshaftigkeit, der die Gemeinschaft von innen mit Zersetzung bedrohenden Ungleichheit des Bodenbesitzes, zu bewahren geeignet erschienen. Keine Institution des »Ein-für-allemal« schien hier gegen die Raffsucht der Mehrbesitzer aufkommen zu können. Da bot sich Mose aus der Tiefe seines sabbatischen, die Zeit rhythmisch gliedernden Denkens, aber unter Anlehnung an die Bräuche der Halbnomaden, das Prinzip der regelmässigen Wiederherstellung des Ausgangszustands, die geregelt wird durch die Ordnung der Jahre nach der heiligen Zahl, wie die Wochen nach der heiligen Zahl geordnet worden waren. Ordnung aber ist für Mose aufs innigste mit Weihe an JHWH verbunden, ja, die Weihe ist es, die recht eigentlich die Ordnung schafft. Der JHWH geweihte Sabbat stiftet die Einheit der Woche, das JHWH geweihte Sabbatjahr stiftet die Einheit des Jahrsiebents. Wie der Sabbat die wirtschaftende Hausgemeinschaft, alle Differenzen der Werktage überwindend, in der gemeinsamen Gottesfreiheit vereinigt, so vereinigt das Sabbatjahr, alle Differenzen der sechs Vorjahre überwindend, die wirtschaftende Volksgemeinschaft in der gemeinsamen Gottesfreiheit. Die konkrete Grundlage ist dort das Feiern der Menschen, die sechs Tage gearbeitet haben, hier ist es das Feiern des Bodens, der sechs Jahre bebaut worden war. Alle anderen Bestimmungen schliessen sich dieser an. Wie im siebenten Jahr – das einige Forscher 281 sogar mit dem Sabbatjahr identifizieren – die Freiheit der in Sklaverei Geratenen wiederhergestellt wird, so im Sabbatjahr, wenn jene plausiblen Vermutungen über den ursprünglichen absoluten Charakter dieses Jahres zutreffen, die Besitzesgleichheit der verarmten Sippen mit den reich gewordenen, und die Schulden-Tilgung oder -Stundung ermöglicht oder erleichtert dem verschuldeten Einzelnen seines Anteils am Besitz seiner Sippe froh zu werden; zugleich wird in der Gleichheit alles Lebendigen am Genuss der Bodenfrüchte im Sabbatjahr ein grosses Sinnbild des gemeinsamen Zugangs aller zur nährenden Erde aufgerichtet. All dies aber steht im Zeichen der Weihe an JHWH, dessen die Erde ist und der durch sie seine Gäste und Beisassen ernährt: sie dürfen nicht einer den andern verdrängen, dürfen nicht auf die Dauer einer den andern arm machen, einer den

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andern verknechten, müssen einander immer wieder gleich werden an Freiheit der Person und freiem Verhältnis zum Boden, miteinander feiern und miteinander geniessen – die gottgeweihten Zeiten machen sie immer wieder frei und gleich wie im Anbeginn. Das Land wird ihnen gemeinsam gegeben, damit sie in ihm und an ihm zur wahren Volksgemeinschaft, zum »heiligen Volke« werden. So entfaltet sich die Verheissung Kanaans an die Väter, die gewiss auch im ägyptischen Exil, wenn auch fast verschollen, fortgelebt hatte: diese Erde, so hat JHWH den Vätern verheissen, wird er ihrem »Samen« geben (Genesis 12, 7), damit der eine »Beraka« eine Segensmacht werde (V. 2).

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Wieder hören wir (Numeri 16) von einer Auflehnung; es ist die unter dem Namen »Korah und seine Rotte« bekannte. Ihr Tatsachenkern ist unter der dicken Übermalung der Tendenzbearbeitungen – denen es offenbar darum ging, das Privileg der »aaronidischen« Priester den »Leviten« gegenüber mit allen Sanktionen der mosaischen Zeit auszustatten – kaum noch zu erkennen. Das eine darf als feststehend angesehen werden 282, dass es in dem ursprünglichen Bericht nicht um eine Aktion der Leviten als solcher ging. Andererseits heisst es die Dinge von einer allzu engen Perspektive betrachten, wenn man hier lediglich einen Protest der Laien gegen die Einsetzung der Leviten zum kultischen Dienst, einen Kampf gegen den priesterlichen Stand überhaupt sieht und den Beweggrund darin, dass Priester den Protestierenden überflüssig erscheinen 283. In der frühen Pentateuch-Schicht wird von der Schaffung eines eigentlichen Priesterstandes nicht berichtet; das Vorhandensein von Priestern wird einmal flüchtig erwähnt (Exodus 19, 22), aber wir erfahren nichts von Funktionen, die durch sie ausgeübt würden. Was in den Gesetzen des sogenannten Bundesbuchs solche Funktionen voraussetzt, ergibt keine hinreichende Grundlage für die Annahme eines organisierten Priesterstandes in mosaischer Zeit. Auf jeden Fall fehlt hier der kultischen Amtsgruppe, wenn sie besteht, das Pathos der sakralen Macht. Die dunkle Andeutung einer Einsetzung der Leviten – mehr als solch eine Andeutung ist in dem doppeldeutigen Ausdruck nicht zu finden 284 – nach der Niederschlagung des Aufruhrs (32, 29) kann man, wenn man sich auf alte Texte allein stützt, kaum für mehr als für einen Hinweis auf einen hernach durch die Leviten zu leistenden Dienst der Pflege und der Wache an dem zum Gotteszelt erhobenen Führerzelt halten, ohne eigentlich priesterliche Tätigkeit. Ein Opferzelt ist dieses Zelt nicht: von Opfern wird uns in der alten Textschicht sehr wenig erzählt – nur bei vereinzelten ausserordentlichen Gelegenheiten werden Gemeinschafts- und Bundesopfer dargebracht, und offenbar nicht durch einen eigentlichen Priesterstand: kein anderer als Mose leitet die heilige Handlung ohne Beteiligung von Leviten, aber auch er nicht als Berufspriester, sondern als der Führer des Volkes, wie wir es später etwa von Samuel hören. Ein »Orakelzelt« kann man das Zelt zwar nennen, aber ausser Mose hat am Zelt niemand mit dem Orakel zu schaffen. Zwar wird in einem wohl vorköniglichen aber jedenfalls nachmosaischen Text (Deuteronomium 33, 8) auf eine göttliche Verleihung des Orakelgerätes der Urim und Thummim an die Leviten oder einen von ihnen hingedeutet, aber die uns vorliegenden erzählenden Texte geben uns keine Handhabe, dies

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auf eine bestimmte Begebenheit zu beziehen, und das Wahrscheinlichste ist, dass das Gerät, von dem wir in zuverlässig früher Erzählung nur aus der Zeit Sauls hören, nach dem Tode Moses und als sein Vermächtnis eingeführt worden ist, um die Fortführung seiner Orakelerteilung zu sichern, die aber gerätlos war; die Zurückdatierung in die mosaische Zeit ist vielleicht eben auf dem Wege der geheimnisvollen Andeutung im »Segen Moses« vollzogen worden. Überhaupt scheint mir die Epoche der Landnahme die für die Ausbildung eines geregelten und zentralisierten Kults und eines festen Priesterstandes (neben fluktuierendem Element) entscheidende gewesen zu sein, was von der Situation aus zu verstehen ist. Wie dem auch sei: alle mit Sicherheit aus der Frühzeit stammenden Nachrichten über priesterliche Funktionen des Levitenstammes reichen, trotz der eindringlichen Bemühungen der Wissenschaft 285, nicht aus, um uns eine Front »Laien gegen Leviten« als den geschichtlichen Kern der Sage von der Rotte Korahs glaubhaft zu machen. Dieser Kern scheint nicht ein Protest gegen einen »geistlichen Stand«, sondern einer gegen die besondere Stellung der Person Moses zu sein, wobei immerhin die Mose zunächst Stehenden (aber vielleicht nicht gerade Aaron, wie jetzt Numeri 16, 3) mit einbezogen sein mochten. Wir gehen auch hier am besten von einem Spruch aus, der aus alter Zeit überliefert worden zu sein scheint, aber durch die priesterliche Bearbeitung der Erzählung sprachlich so verändert worden ist, dass man ihm sein Alter nicht mehr ansah. Der Spruch (Vers 3) lautet in der uns vorliegenden Gestalt: »Zuviel euch! denn all die Gemeinschaft, alle sind sie heilig, JHWH ist ja in ihrer Mitte, warum erhebt ihr euch über JHWH’s Gesamtheit!« Die späten Bezeichnungen ʿ eda, Gemeinschaft, und qahal, Versammlung, Gesamtheit 286, sind, wie mir scheint, anstelle des ursprünglichen goj und ʿ am eingesetzt worden. Die gegenwärtige Erzählung ist nämlich kunstvoll und mit tiefsinniger Absicht um das Wort ʿ eda in doppelter Bedeutung, Gemeinschaft (das ganze Volk) und Rotte (die sich auflehnende Sondergruppe), aufgebaut, und auch die Wurzel qahal wird abwechselnd vom Versammeln des Volkes und von der Zusammenrottung gebraucht 287. Setzen wir das Ursprüngliche wieder ein, dann ergeben sich zwei bemerkenswerte Zusammenhänge. Das Wort goj mit dem Wort qedoschim, heilig, zusammengeschlossen mahnt an die Bezeichnung goj qadosch, heiliges Volk, des Adlerspruchs, eine Wendung, die nur dieses eine Mal in der Bibel vorkommt, und ʿ am JHWH, JHWH’s Volk, steht in älteren Schichten des Pentateuch (Numeri 17, 6 gehört einer sehr späten an) nur in dem Spruch, mit dem Mose, in der Erzählung von der Geistergiessung (Numeri 11, 29), auf Josuas Bedenken antwortet: »Wer gäb’s, das ganze Volk JHWH’s wären Künder,

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dass JHWH seinen Geist über sie gäbe!« Die Absicht der Bezugnahme auf diese beiden Sprüche ist unverkennbar: die Protestierenden berufen sich auf die beiden Äusserungen aus Moses Mund, in denen von ganz Israel als heilig, als aus lauter unmittelbaren Dienern JHWH’s bestehend und wieder von allen Einzelnen in Israel als prophetischen Trägern des Gottesgeistes die Rede ist – freilich das eine Mal in der Form des Gebotes, das andere Mal in der des Wunsches. »Korah und seine Rotte«, Leviten und Laien verbündet, sagen: »Das Volk braucht nicht erst heilig zu werden, das Volk ist heilig, denn JHWH weilt in seiner Mitte, das ganze Volk ist heilig, und weil es heilig ist, sind alle Einzelnen in ihm heilig.« Darauf begründen sie ihren Angriff auf Mose und die Seinen: »Wenn alle heilig sind, habt ihr kein Vorrecht vor den andern. Wenn alle heilig sind, bedarf es keiner Mittlung. Wenn alle heilig sind, darf es keine Befehlsgewalt von Menschen über Menschen geben. Jedem wird unmittelbar von JHWH geboten, was er zu tun hat.« Dieser aus dem Volk aufsteigende Widerspruch, der Moses Sprüche in ihr Gegenteil verkehrt, Forderung und Hoffnung in dreiste Selbstsicherheit, ist durch eins seiner grossen Werke, die Stiftung der Bundeslade, bedingt und ermöglicht worden. Volk als Volk muss das jeweilige Sichniederlassen JHWH’s in seiner Mitte als ein Wohnen JHWH’s in seiner Mitte verstehen und solch ein Wohnen als eine Garantie der Heiligkeit aller, die Heiligkeit aller aber als den zureichenden Grund zur Abschüttelung des Jochs, des Jochs des Sollens und des Nichtdürfens, das Stunde um Stunde dieser Mensch Mose im Namen Gottes, als wohne Gott bei ihm allein, als hätte er allein Zugang zu Gott, dem Volke Israel auferlegt. Mose hatte dieser Gefahr dadurch vorzubeugen gesucht, dass er JHWH zu Füssen den Schrein mit den Tafeln seines Gesetzes stellte. Aber er hatte ja selber den Unsichtbaren dem Volke sichtbarer als den Stein gemacht, auf dem sein Wille geschrieben war. Göttliche Gegenwart hiess dem Volk als Volk: den Gott besitzen, mit anderen Worten: den eigenen Willen zu Gottes Willen machen können. Es geht hier im Grunde um anderes als um die Frage der priesterlichen Funktionen, ja des Kults überhaupt. Es geht zwar gegen Mose, aber, wie tief und stark auch religiöse Motive mit den hier waltenden Leidenschaften verbunden sind, nicht eigentlich gegen Mose als Priester. Schon deshalb nicht, weil Mose zwar, wie gesagt, die kultischen Akte, in denen die Gemeinschaft als solche zu repräsentieren ist, selber leistet oder leitet, aber damit nicht zum Priester wird; er leistet und leitet sie als der Mann, der die Gemeinschaft vertritt, wo sie »vor Gott« zu handeln hat. Und ebenso macht ihn die Tatsache, dass er Empfänger und Übermittler der göttlichen Willenskundgebungen ist, nicht zum Priester; denn die Art

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dieses Empfangens lässt sich in keine Tradition der divinatorischen Methoden einordnen, sie ist ihm, Mose, eigen, entsteht aus seinen Glaubenserfahrungen und verschwindet mit ihm. Er übernimmt kultische Elemente und wandelt sie nach Sinn und Gestalt um, er setzt neue kultische Elemente ein; aber er hat kein kultisches Amt 288. Der Priester ist die stärkste menschliche Spezialisierung, die wir kennen; Mose ist seiner Sendung und seinem Werk nach unspezialisiert, er ist nicht durch ein Amt, sondern durch eine Situation bestimmt – eine historische Situation. Moses Wesen ist eminent historisch, das des Priesters, auch wenn er in historischen Situationen Orakel erteilt, eminent ahistorisch. Das bedeutet aber nicht, dass Mose »nicht Priester, sondern Prophet« sei 289. Gewiss, seine Art des Offenbarungsempfangs ist im wesentlichen die prophetische, wenn auch die Institution des Zelts und was mit ihr zusammenhängt einen gewichtigen Unterschied ausmacht; aber gerade sein Handeln in der Geschichte, als Volksführer, als Gesetzgeber, hebt ihn von allem uns bekannten Prophetentum nachdrücklich ab. Darum kann man Moses Erscheinen auch nicht von einer Summierung von Priester und Prophet aus erfassen. Mehr noch, er ist überhaupt von keinen »religiösen« Kategorien allein aus zu erfassen. Was seine Idee und seine Aufgabe ist, die Verwirklichung der Einheit von religiösem und gesellschaftlichem Leben in der Gemeinschaft Israels, das Leibwerden der nicht kultisch beschränkten, sondern die gesamte Volksexistenz umfassenden Herrschaft Gottes, das theopolitische Prinzip, das ist ihm auch in die Tiefe des persönlichen Wesens gedrungen, hat seine Person dem Kammernsystem der Typologie enthoben, die Elemente der Seele zu einer urseltenen Einheit gemischt. Der geschichtliche Mose, soweit wir ihn zu erblicken vermögen, scheidet nicht zwischen religiösem und politischem Bereich, und sie sind in ihm ungeschieden. Wenn »Korah und seine Rotte« sich wider Mose empören, dann ist dies nicht dahin zu interpretieren, dass sie sich gegen seine kultischen Privilegien als solche auflehnen, denn diese Privilegien als solche sind unbetont und wie nicht vorhanden. Vielmehr lehnen sie sich zunächst dagegen auf, dass ein Mann das Volk im Namen Gottes führt. Aber darüber hinaus lehnen sie sich dagegen auf, dass dieser Mann im Namen Gottes entscheidet, was das Rechte und was das Unrechte sei. »Das ganze Volk, alle sind sie heilig« – also kann keiner keinem gebieten und verbieten, dem gegenüber, was dessen eigene Heiligkeit ihm eingibt. Seit das Volk heilig ist, sind keine Gebote von aussen mehr not. Man meine nicht, dass damit in den Korahspruch der Geist späterer Entwicklungsstufen hineingetragen werde. Wir kennen die hier zum

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Ausdruck kommende Haltung von weit primitiveren Stufen her. Solche Motive sind es, die in manchen der als primitiv bezeichneten Gesellschaften wesentlich zur Entstehung der Geheimbünde beigetragen haben. Man kann einen Häuptling oder Schamanen, dessen Autorität von einer übermenschlichen Macht gedeckt wird, auf zweierlei Art bekämpfen. Die eine ist: man sucht ihn, insbesondere durch Erschütterung des Glaubens an diese Deckung, zu stürzen und sich selber an seine Stelle zu setzen, also eben das, was manche für den Kern der Korahgeschichte halten 290; das ist eine Erscheinungsform des uns aus allen Phasen menschlicher Geschichte bekannten persönlichen Machtkampfes, die die Struktur der Gesellschaft im allgemeinen unverändert belässt. Die zweite Art ist: man schneidet dem Führer die Hauptwurzeln seiner Macht ab, indem man innerhalb des Stammes, aber ausserhalb des offiziellen Stammeslebens, den Geheimbund etabliert, in dem sich das eigentliche, das wahre, das »heilige« Gemeinschaftsleben abspielt, losgemacht von den Banden des »Gesetzes«, ein Leben von »Leoparden« oder »Werwölfen«, in dem auf der Grundlage gegenseitiger Hilfe die wildesten Triebe ihr Ziel erreichen, aber eben in heiliger Handlung: wenn es gelungen ist, den Gott zu rauben, ist aller Raub nur noch Besitznahme durch ihn. Von diesem Sonderleben gehen dann naturgemäss vielfältige und mächtige Wirkungen sozialer und politischer Art auf das Stammesleben aus, dem gegenüber der Bund sich selbst als den »wahren« Stamm, Mark und Stosskraft des Stammes sieht, gleichsam als den Stamm, insofern er es wagt, er selber zu sein. Man sieht dieses über die bewohnte Erde hin verbreitete Phänomen allzu flach an, wenn man es lediglich als Maskierung der nach Entfesselung strebenden Libido versteht. Es ist den Menschen, die solche Rebellionen ins Werk setzen, nicht einfach um sanktionierte Befriedigung niedergehaltener Lüste zu tun, sondern in allem Ernst darum, sich der Gottesmacht zu bemächtigen, genauer: die Gottesmacht, die man selber hat, die »freie«, gegenüber der durch den Häuptling oder Schamanen »gebundenen« mit all deren Tabus zu aktualisieren, ihr Recht und Herrschaft zu verschaffen. Wohl kann diese Tendenz nur dadurch verwirklicht werden, dass die nicht den Geheimbünden Angehörigen in eine Unfreiheit und Preisgegebenheit versetzt werden, der sich in vielen Fällen kein früherer Mißstand vergleichen lässt; aber das ist eben sozusagen nur eine sekundäre Auswirkung, der keine Beachtung geschenkt wird. Auf höheren Entwicklungsstufen wird man die Analogien insbesondre aus der Geschichte »antinomistischer« Sekten und Bewegungen leicht zusammenstellen. Immer geht es um die »Gottesfreiheit« gegen das »Gottesgesetz«; aber hier wird es noch deutlicher als auf den primitiveren

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Stufen, dass die isolierte Gottesfreiheit sich selber aufhebt. Gott herrscht naturgemäss durch Menschen, die von seinem Geist ergriffen und erfüllt werden und seinen Willen jeweils nicht bloss in augenblickliche Entscheidungen, sondern auch in überdauerndes Recht und Gesetz umsetzen. Wird ihnen die Vollmacht als Erwählung bestritten und auf alle gleichmässig erstreckt, dann wird Gott die faktische Herrschaft genommen, da es ohne Gesetz, d. h. ohne überlieferbare Scheidung zwischen Gottgefälligem und Gottmissfälligem, keine geschichtliche Kontinuität göttlicher Herrschaft auf Erden geben kann. Das wahre Argument der Rebellen ist, dass ständig in der Welt des Gesetzes Inspiriertes des Geistes entleert wird, aber in solchem Zustand den Anspruch der vollen Inspiration aufrecht erhält, dass das Lebendige also ständig abstirbt, aber als Totes weiter die Lebenden regieren will; und die wahre Folgerung ist, dass das Gesetz immer wieder in das verzehrende und läuternde Feuer des Geistes tauchen muss, um sich zu erneuern und stets von neuem das Echte von den Schlacken des unecht Gewordenen zu lösen. Das liegt in der Fortführung der Linie jenes mosaischen Prinzips der immer wiederkehrenden Erneuerung. Dagegen ist das falsche Argument der Rebellen, dass das Gesetz als solches den Geist und die Freiheit verdränge, und die falsche Folgerung, dass es durch sie abzulösen sei. Die Falschheit dieser Folgerung bleibt so lange verdeckt, ja unwirksam, als die »eschatologische« Erwartung, die Erwartung des Kommens der direkten und vollkommenen Herrschaft Gottes in allen Wesen, richtiger: seiner Gegenwart in allen Wesen, die keines Gesetzes und keiner Vertretung mehr bedarf, ungeschwächt anhält; sobald sie erschlafft, ergibt sich historisch, dass die Herrschaftssphäre Gottes auf das »Religiöse« reduziert wird, der Rest dem Cäsar zufällt und der Riss, der durch das Sein der Menschenwelt geht, sanktioniert wird. Freilich würde das Falsche wahr, sobald sich die Gegenwart Gottes in allen Wesen erfüllte; hier liegt die Grösse und die Problematik aller echten Eschatologie, ihre Grösse im Glauben, ihre Problematik in der Tatsächlichkeit der Geschichte. Dem gegenüber bleibt als die »mosaische« Haltung: inmitten der Geschichte die Zukunft eines »heiligen Volkes« zu glauben und zu bereiten. Diese Hinweise gehören essentiell zu unserem Gegenstand, denn sie helfen uns Moses Tragödie verstehen. Alles Spätere erscheint uns als im Keim schon im Gegenüber Mose-Korah enthalten, wenn wir nur »Korah« gross genug sehen. Dann erkennen wir, dass hier ewigem Spruch ewiger Widerspruch entgegentritt. Aber es kommt noch etwas Besonderes hinzu: die Unbändigkeit des Beduinentums, die das nomadische Stadium oft überdauert 291. Dieses elementare Bedürfnis des Menschen, vom

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Menschen unabhängig zu sein, kann sich, je nachdem, mit welcher persönlichen Seelenart es sich verbindet, nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin entfalten: es kann daraus die unbedingte Unterwerfung unter den Willen Gottes, unter seinen Willen allein, erwachsen, aber auch die leere Widerspenstigkeit, die sich keinem Befehl beugen will, weil es ja doch nur Menschenbefehl ist. Auf der einen Seite sehen wir hier die mit dem innersten Wesen vollzogene Hinwendung auf das Reich Gottes zu, die ja einzig von der Freiwilligkeit eingegeben werden soll und kann, auf der anderen den mit dem innersten Wesen geleisteten Widerstand gegen das Kommen des Reiches, indem der Mensch sich seiner Eigenwilligkeit überlässt und eben dies als das religiös Richtige, als das Heilbringende, ja Heilige empfindet oder sich zu empfinden bemüht. Diese gegensätzliche Entwicklung aus gemeinsamer Wurzel begegnet uns, wie im vorislamischen und islamischen Arabertum, so auch in Israel. Indem nun Mose das Werden Israels zu einem »Königsbereich von Priestern«, also zum Anfang des Reiches Gottes, auf die Freiwilligkeit, auf das »Tun und Hören« ohne Zwang stellt, stützt er sich auf jene beduinische Unbändigkeit, indem er ihr, die keinen anderen Meister als allein den Herrn der Welt anerkennen will, zutraut und zumutet, dass sie ihn wahrhaft anerkenne. Insofern Mose recht behalten hat, insofern hat es bisher Israel wirklich gegeben. Aber indem er tat, was er tat, beförderte er auch die gegensätzliche Entwicklung aus der gleichen Wurzel. Es hat einen tragischen Sinn, dass Korah sich auf Moses eigne Worte gegen ihn beruft. Mose will nicht Zwang ausüben, er will sich nicht auferlegen, er will die Menschen seines Volkes dahin bringen, dass sie selber »Priester« und »Propheten« werden. Er ist »demütig«. Aber eben diese seine Demut, die eins ist mit seinem fundamentalen Glauben an die Freiwilligkeit und die Freiheit, fordert bei Korah-Menschen die korahische Reaktion heraus. Da nun aber sein ganzes Werk, der Bund zwischen Gott und Volk, bedroht ist, muss er, wie er einst Leviten gegen Leviten kämpfen liess, nun die Aufrührer dem Untergang weihen. Unheimliches steht wohl hinter der Erzählung der Sage von der Erde, die ihren Mund öffnete und die rebellische Schar verschlang. Es war die Stunde der Entscheidung. Beide, Mose und Korah, wollten das Volk als Volk JHWH’s, als heiliges Volk. Aber für Mose war dies das Ziel. Um es zu erreichen, musste Geschlecht um Geschlecht immer wieder zwischen den Wegen, zwischen der Bahn Gottes und den Irrpfaden des eigenen Herzens, zwischen dem »Leben« und dem »Tode« (Deuteronomium 30, 15) wählen. Denn dieser Gott hatte Gut und Böse eingesetzt, dass man den Weg zu ihm finde. Für Korah war das Volk, als Volk JHWH’s, heilig: es war ja vom Gott erwählt, und er wohnte in seiner

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Mitte, wozu da noch Wege und Wahl! Das Volk war heilig, so wie es war, und alle in ihm waren heilig, so wie sie waren – man brauchte nur die Folgerungen daraus zu ziehen und alles war gut. Eben das ist es, was Mose – in einem ihm in den Mund gelegten Abschiedsspruch, der eine überlieferte Äusserung von ihm auszugestalten scheint – den Tod, den Volkstod nämlich, nennt, gleichsam ein Verschlungenwerden bei lebendigem Leibe. Darum eiferte er: für seinen Gott, als für den, der ein Ziel setzt und einen Weg zeigt und eine Wegsatzung auf Tafeln schreibt und immer wieder wählen, das Rechte wählen heisst – und gegen den grossen beliebten mystischen Baal, der, statt vom Volk zu fordern, dass es sich heilige, um heilig zu werden, es heiligspricht. Korah nennt ihn JHWH, aber das ändert nichts an ihm.

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Unter den Begebenheiten, die in der biblischen Erzählung auf den Aufstand Korahs folgen, chronologisch noch undurchsichtiger als die vorhergehenden, aber jedenfalls zumeist schon in die Spätzeit der Wüstenwanderung fallend, hebt sich eine dadurch hervor, dass einer der ersten und der grössten Schriftpropheten, Hosea, darin die Krisis in den Geschicken Israels sieht (Hosea 9, 10). Wie wenn einem Wüstenwanderer unversehens eine frische Weintraube gebracht wird (hier mag bei Hosea die Erinnerung der Kundschaftersage hineinspielen), oder wenn einem, der eine Feige pflanzte, am Bäumchen »in seinem Anfang« die erste reife Frucht entgegenglänzt, so sei es JHWH zumute gewesen, als er das ihm entgegengekommene Israel »fand«: freudige Überraschung beim Anblick des in der Freiheit wie neu gewordenen Volkes, Freude des Völkerschöpfers, dem da am Baum des Menschengeschlechts die erste Frucht gereift ist, das ist es, was der Prophet seinen Gott empfinden lässt. »Da kamen sie nach Baal-Peor und weihten sich dem Schandgötzen und wurden zu (ebensolchen) Greuelwesen wie der Gegenstand ihrer Liebe.« Keiner früheren Auflehnung bezichtigt Hosea sein Volk; dies aber sieht er als den Abfall: wie einer sich JHWH als Nasiräer angelobt und weiht (dies ist der Sinn des Verbs), so weihten und ergaben sie sich dem Schandgötzen, dem Baal, und diese Verbindung mit ihm verwandelte sie zuinnerst, dass sie selber ebenso greuelhaft wurden wie er. So klagt Hosea, der tragisch Liebende, der als erster der Welt sagte, was die Liebe zwischen einem Gott und einem Menschenvolk sein kann 292, Israel der Untreue an. In der Erzählung (Numeri 25, 1 ff.) hören wir, nachdem von Miriams Tod, dann von Aarons Tod, von Durchzugsverhandlungen, von Kämpfen und von Bileams Weissagungen berichtet worden ist, wie die Israeliten (die frühe Tradition dürfte das nur von einem Teil des Volkes, etwa von einem einzelnen Stamm erzählt haben), nun an Moabs Grenze, also schon auf agrarem Boden lagernd, sich alsbald von den Landestöchtern verführen lassen, an ihren Opfermahlen teilzunehmen und sich vor ihrem Gott niederwerfen; »und Israel verjochte sich dem Baal-Peor«. Dieser Baal ist nicht etwa mit dem Stammesgott der Moabiter, Kamosch, identisch, sondern, wie die kanaanäischen Baale überhaupt, ein Ortsgott von besonderer Art und einem besonderen Kult. Dazu gehört wesentlich die »kultische Prostitution«, richtiger: Begattungsriten, die darauf abzielen, durch Menschenwerk die Kraft der Götterbegattungen, der Paarungen von Baal und Baalath, d. h. »Eigner« und »Eignerin«, die die Fruchtbarkeit des Bodens bewirken, zu steigern. Darauf scheint auch der wunderliche Ausdruck hinzudeuten, der nur hier (V. 3 und 5) und in

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einem auf diese Stelle Bezug nehmenden Psalm (106, 28) vorkommt: das von dem Verb abgeleitete Nomen bedeutet ein zusammengespanntes Tierpaar, das in dieser Vereinigung einen bestimmten Dienst leistet. Der Dativ »dem Baal-Peor« weist darauf hin, für wen hier der Dienst geleistet wird. Der Baal, der an der Schwelle der agraren Kultur dem Wandergott der Wanderer entgegentritt, ist die Gottheit, der in der ihr angemessenen Weise zu dienen den kanaanäischen Völkern als die unerlässliche Voraussetzung eines ertragreichen Ackerbaus erschien 293. In unzähligen Gestalten an allen fruchtbaren Plätzen des Landes umherwimmelnd, und zwar immer in Paaren, vollziehen die Baalim und die Baaloth miteinander das Mysterium, durch das der Wassererguss den Erdboden stets von neuem fruchtbar macht. Die von dem frühen Menschen immer wieder angestaunte geheimnisvolle Erscheinung, dass, wo immer der Erde reiche Feuchtigkeit gespendet wird – sei es aus ihrer eigenen Tiefe, sei es aus dem vom Berg oder Hügel niederfliessenden Quell, sei es im Regen und Tau vom Himmel her – sie, was an Samen in sie gelegt wird, vervielfältigt aus sich hervortreibt, wird den wirkungsmächtigen Paarungen der Götter zugeschrieben. Daher entwickelt sich, den Vorstellungen der irdischen Baale entsprechend, die der himmlischen, die sich in differenzierten Kulturen, wie der phönizischen, zu dem grossen Regengott Baal konzentrieren, der aber auch (wie es in einem Text von Ras Schamra heisst) »der Herr der tiefen Quellen« ist. Und da nach »primitiver« Anschauung die Kraft aller gleichartigen Handlungen von Menschen in die Götterhandlung eingeht, vielmehr: da nach dieser Anschauung alle gleichartigen Handlungen im Grunde eine sind und, richtig intendiert, eine einheitliche Wirkung haben, zumal aber wenn eine Götterhandlung die Führung hat, entfalten sich die magischen Sexualbräuche zu orgiastischen Kulten. Sie sind nicht als libidinöse Exzesse zu betrachten, wiewohl sie naturgemäss nicht ohne die drängenden Mächte der Libido bestehen könnten; eine tiefe Erfahrung der Einheit organischen Lebens, wie sie vornehmlich den seelenaufwühlenden Entdeckungen aus der Zeit des frühesten Bodenbaus eignet, hat hier einen irregehenden, aber elementaren Ausdruck gefunden. Was JHWH an der Schwelle des verheissenen Landes entgegentritt, ist somit nichts Geringeres als der Geist, der an den Fundamenten der agraren Sesshaftigkeit waltet. Wo der Mensch sich niederlässt, um der Erde ihren Segen abzugewinnen, da ist Feuchte, da ist Baaltum, da ist es an ihm, an dem Menschenpaar, die Götter nachzuahmen und zu ihrem heiligen Werke beizutragen. Darauf steht in Kanaan der Dienst am Acker. »Die Baale sind wahrhaftig die ›Eigner‹ dieses Ackers, um den man pflügend wirbt, und es kann einem nicht glücken,

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wenn man ihnen nicht so dient, wie sie es wollen« . Dies ist es, was »die Töchter Moabs« die Söhne Israels lehrten, als diese »zu ihnen hin zu huren begannen«. Die freie Geschlechtlichkeit als sakrales, Menschen mit Göttern einendes und das wichtigste Werk der menschlichen Wirtschaft sakral fundierendes Element ist es, was JHWH an der Schwelle Kanaans entgegentritt. Auf Sesshaftmachung des Volkes hatte sich Moses Absicht, offenbar immer stärker, gerichtet; durch die tätige Verbindung mit dem von den Vätern bewohnten und ihnen verheissenen Boden wollte er – so dürfen wir wohl, was er im Sinn hatte, in unsere Denkweise übersetzen – das Volk von der zugleich schlaffen und störrigen Art, die es in Ägypten angenommen hatte, gesunden lassen, damit es zum Volke JHWH’s heranwachsen könne. Nun aber, schon an der Schwelle Kanaans, erblickt er, die Seele Israels bedrohend, das Unwesen, das hier als das Fundament des Bodenbaus, das Fundament der Sesshaftigkeit also gilt: an eine göttliche Geschlechtlichkeit wird die menschliche gebunden, in die Zweiheit der körperlichen Natur wird das Göttliche niedergezogen, und die Verbindung von Mann und Weib, in Israel von JHWH ausersehen, ihm den Samen Abrahams »zu einem grossen goj« machen zu helfen (Genesis 12, 2), wird, aus der heiligen Gesetzlichkeit gerissen, zum Dienst des abgöttlichen Paares missbraucht. Die »Verfehlung des Amoriters«, von der die Vätersage (15, 16) in dunkler Andeutung als von der Ursache redet, dass die in Kanaan sesshaften Völker Israel werden weichen müssen 295, droht zur Verfehlung Israels zu werden. Der Widerspruch von aussen, der hier Mose nach dem Widerspruch von innen überfällt, greift an die innerste Tiefe seines Gottesbewusstseins. Die Einheit seines Gottes, nicht eine weltanschaulich gedachte, sondern eine in der Ausschliesslichkeit der Beziehung zu ihm geglaubte und gewusste, ist an dessen Übergeschlechtlichkeit gebunden. Ein geschlechtlich determinierter Gott ist ein unvollständiger, ein auf Ergänzung angewiesener, er kann nicht der eine Gott sein. Unter den Motiven des sogenannten Bilderverbots, das in Wahrheit, wie wir gesehen haben, mehr als das ist, nämlich das Verbot, JHWH auf irgendeine Gestalt festzulegen, ist dies wohl mit das wichtigste: würde der Gott in einer bestimmten, menschlichen oder tierischen, Gestalt dargestellt, und diese als die seine, sei es auch nur sinnbildlich als die seine, anerkannt, so würde er mit Notwendigkeit in die Sphäre der Geschlechtlichkeit niedergezogen. Darum wird auch mit solchem Nachdruck unter den tierischen Sinnbildern das des Stiers bekämpft: kein andres Tier kann wie dieses als das Bild der Zeugungskraft gelten, es trägt mit Recht in der Kunst Vorderasiens den regenergiessenden Wettergott auf seinem Rücken, und es 294

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entspricht der Natur des phönizischen Baal, dass er, wie uns in einem der Epen von Ras Schamra erzählt wird, als Stier seine Schwester in der Gestalt einer Wildkuh auf der Weide begattet und mit ihr einen Jungstier zeugt 296. Gewiss, Anthropomorphismus, ja Andromorphismus ist der biblischen Sprache notwendig und legitim, und dem metaphorischen Aspekt JHWH’s als Mann verdanken wir zwei grosse Vorstellungen: die seiner Gattenliebe zu Israel, wie sie Hosea und Jeremia ausgebildet haben, und die seines Vatertums, die uns zuerst in jenem urtümlichen Wort an Pharao begegnet: »Israel ist mein erstgeborener Sohn«. Aber die anthropomorphe Metapher muss durchsichtig bleiben, sie darf die Grenze der Spiritualität nicht überschreiten; sie soll dem Menschen geben, was er braucht, aber das Wesen Gottes nicht antasten. Dies erfüllt der alttestamentliche Anthropomorphismus, und eben dadurch hat er den Religionen das gegeben, wessen sie zur Stillung des Verlangens nach Gottesnähe bedürfen, ohne die Einheit Gottes fragwürdig zu machen. Eine doppelte Gefahr ist es, die der JHWH-Religion vom Baalswesen her droht: die Verdrängung des Gottes von dem zentralen Gebiet des neuen Kulturlebens und ihr entgegen die Baalisierung, die ihn selber zum Baal macht. Der Kampf gegen beide Gefahren breitet sich über Jahrhunderte von Israels Glaubensgeschichte aus; Elia und Hosea sind seine Protagonisten. Was schon Mose, im Angesicht des Abfalls zum Baal Peor, davon geahnt hat, ist uns nicht zu wissen gegeben. Aber wir dürfen annehmen, dass er, ans Land der Verheissung gelangt, bis in den Herzensgrund zu spüren bekam, welches innere Ringen noch nottun wird, ehe die Verheissung ihre wahre Erfüllung finden kann.

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Es gehört nicht zu den Aufgaben dieses Buches, die in den uns erhaltenen spärlichen und zusammenhangslosen Resten einer anscheinend zum grössten Teil verlorenen Überlieferung auf uns gekommenen biblischen Nachrichten über die ungünstigen Verhandlungen mit Edom und die Umgehung seines Landes, über die anscheinend zwiespältigen Beziehungen zu Moab, über die siegreichen Kämpfe mit dem Amoriterkönig Sichon und dem riesenhaften Basankönig Og und über die Festsetzung einzelner israelitischer Stämme im Ostjordanland zu prüfen und auszuwerten; dass bei ihnen zumeist ein geschichtlicher Kern anzunehmen ist, dass in der Tat die einen Nachbarvölker Israel zu stark erschienen, um sie herausfordern zu dürfen, gegen andere aber schon damals Vorstösse, und zwar überwiegend erfolgreiche, unternommen wurden, darf zu den Ergebnissen der Forschung gezählt werden. Die biblischen Texte berichten zuweilen von Moses Anteil an diesen politischen und kriegerischen Handlungen; aber auch wo er nicht besonders genannt wird, ist es uns erlaubt, ihn uns planend, bestimmend, leitend vorzustellen. Biographisch lässt sich diese letzte Epoche seines Lebens, für die uns nicht einmal ein approximatives Zeitmass gegeben ist, noch weit weniger als die vorhergehende erfassen; wir fühlen nur, indem wir die kargen Bruchstücke betrachten, wie hier in einer ungealterten Seele die führende Gewalt ungebrochen fortbesteht. Sie selber, die Seele, versteht ihre Gewalt als die Kraft, sich führen zu lassen, und so dürfen wir sie mit ihr verstehen, wenn wir nur die Tatsache nicht vernachlässigen, dass das eben eine Kraft, ja die Kraft der Kräfte ist. Jetzt wird, so berichtet die biblische Erzählung (Numeri 27, 12 ff.), Mose von Gott eröffnet, er solle sich zum Sterben rüsten. Es ist ihm – um einer Verfehlung der »Widerspenstigkeit« (Numeri 27, 14) oder »Untreue« (Deuteronomium 32, 51) willen, deren Wesen aus den Texten nicht eindeutig zu erklären ist – verwehrt, die Erde Kanaans zu betreten, nur vom Gipfel eines Berges aus soll er das Land sehen. Auf Moses Bitte, seinen Nachfolger in der Führung zu bezeichnen – wobei er sichtlich vor allem an die Führung im Kriege denkt – wird er beauftragt, Josua dazu einzusetzen 297: er solle seine Hand mit der uns vom Opferkult bekannten Gebärde der Identifizierung auf ihn legen. Geist sei ja bereits in Josua – mit Bedacht lässt die Erzählung Mose Gott anrufen als den »Gott der Geister in allem Fleisch«, d. h. den Spender des individuellen Geistes – nun solle er, Mose, auch von seinem »Glanze«, von der ihm verliehenen majestas 298 auf ihn geben. Josuas Gestalt ist historisch nicht leicht zu erfassen, da das Buch, das

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seinen Namen trägt, aus recht ungleichwertigen Traditionen zusammengeflossen ist und seine Stellung zu Lebzeiten Moses in den Büchern des Pentateuchs nicht ganz deutlich wird. Manche 299 halten ihn für einen Stammeshäuptling nach Art der sogenannten grossen Richter des Richterbuchs, der eine einzelne Schlacht gefochten und gewonnen hat; und als der erste der »Richter« ist Josua wohl in der Tat anzusehen, wenn auch, wie mir scheint, in einem erheblich umfassenderen Sinn. Es gibt aber auch eine Meinung 300, die ihm den Grossteil des Werkes Moses, insbesondre des religiösen, zuschreibt, und wieder eine andere 301 versetzt ihn gar in eine frühere Zeit als Mose und lässt ihn den ersten Zug der Israeliten nach Kanaan anführen, Mose hingegen den zweiten. Mir scheinen die Argumente, die gegen die biblische Darstellung des Verhältnisses zwischen Mose und Josua vorgebracht werden, nicht stark genug. Auch von den Funktionen Josuas unter Moses Führung können wir uns trotz der Dürftigkeit des Materials ein in sich widerspruchsloses Bild machen. Dass Mose dem jungen Josua in einer kritischen Zeit sein zum Gotteszelt erhobenes Führerzelt zu Pflege und Wache übergibt, ihm, dem Mann aus Ephraims Stamm, und keinem der Leviten, auch nicht seinem Bruder und nicht dem eigenen Sohn (auf die treu gebliebene Levitengruppe scheint später das zu einem kollektiven gewordene Amt übergegangen zu sein), stimmt gut einerseits zu dem zweifelhaften Charakter der Beziehungen zwischen ihm und seiner Sippe, anderseits zu dem offenbar völligen Mangel an dynastischen Absichten, den wir bei ihm finden. Es ist durchaus im Stil der nomadischen und halbnomadischen Lebensordnung, dass Mose sich aus Wahl den Geistessohn und Nachfolger erzieht. Um welcher Eigenschaften willen er den jungen Josua erwählt hat, wird uns nicht gesagt, aber aus den zwei kurzen Gesprächen zwischen ihnen, die uns erzählt werden, hören wir zwei Dinge heraus: den »Eifer« für Mose und das geradezu physisch-instinkthafte Interesse an allem, was Schlacht ist. Vielleicht dürfen wir – obgleich die Texte darüber schweigen – als den Übergang zum nächsten Stadium eine entscheidende Beteiligung Josuas an der Niederschlagung einer der Auflehnungen annehmen, etwa eben jener, deren Getümmel seinen Ohren wie Kriegslärm geklungen hatte. So würde es unmittelbar verständlich, dass Mose ihm nun die Führung der äusseren Kampfaktionen überträgt, in der Josua sich siegreich bewährt. Dagegen besteht zwischen Wesen und Anlage beider ein bedeutsamer Unterschied. Josua fehlt das, was für Moses Haltung und sein Handeln das Konstitutive gewesen ist: er ist kein Offenbarungsempfänger. »Geist ist in ihm«, aber der Geist Gottes kommt nicht zu ihm; JHWH hat ihn für ein Amt erwählt, aber er würdigt ihn nicht seines Umgangs. Daran kann natürlich weder die fragmentarische Erzäh-

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lung von der Erscheinung bei Jericho (Josua 5, 13 ff.), charakteristischerweise der Erscheinung eines himmlischen Feldherrn, in ihrer ausgesprochen literarischen, mit festen Requisiten operierenden Art, noch die jeweils berichteten Gottesanreden an Josua etwas ändern: eine persönliche Erfahrung, die der Moses zu vergleichen wäre, blickt nirgends durch. Dieser Mangel wird offenbar für Moses Entschlüsse bestimmend. Ein folgenreicher Gedanke reift in ihm, der Gedanke dessen, was getan werden muss: Teilung der Gewalten. Die Funktionen, die in ihm, Mose, vereint waren: die sakralen – Orakelerteilung und Leitung der Gemeinschaftsopfer – und die politischen – Ordnung und Führung des Volkslebens – müssen auf zwei Menschen, zwei Menschenarten, zwei Menschenreihen verteilt werden, die zweite so, dass sie mit der militärischen Führung verbunden wird. Was in den kommenden Geschlechtern seine Ausbildung findet, die Zweiheit von »Priester« und »Richter« in Israel, hat hier seinen historischen Anfang. Wie dieser Vorgang im einzelnen beschaffen war, wissen wir nicht. Vielleicht ist (obzwar die Erwähnung des Priesters Eleasar Numeri 27, 19 durchaus sekundär anmutet) zwar nicht Aaron, aber doch sein Sohn zum Priester geweiht und damit der autoritative Priesterstand nun doch noch eingesetzt worden; vielleicht ist es eine dieser späten Lebensstunden Moses, in der zuerst jenes Orakelgerät der Urim und Thummim, geheimnisvollen, vermutlich kenitischen Ursprungs, auftauchte, das er selber wohl verwahrt haben mag, aber nicht verwendete und offenbar auch nicht von anderen verwenden liess, nun jedoch als für die sakrale Nachfolge unentbehrlich dem Priester übergeben zu haben scheint. Genug, das in Mose personhaft Verschmolzene wird auseinandergerissen, und der Riss geht mitten durch die von ihm gestiftete Volksordnung. Denn nicht bloss seine persönliche Arbeit ruhte darauf, dass derselbe Mensch Gottes Willen vernimmt und dessen Ausführung leitet: es gehört zu den stärksten Grundlagen seines Werkes, dass »Religion« und »Politik« nicht voneinander zu trennen sind. Was in Geist und Wesen dieses einzigartigen Mannes Wirklichkeit geworden war, die Einheit menschlicher Führung einer »Gesamtheit« im Namen Gottes, das hatte er entgegen allen Widerständen als objektive Einheit der Gemeinschaftsordnung in die soziale Wirklichkeit eingesetzt. Es gab die sakrale Sphäre, und die kultische darin, aber man konnte sich durch kultische Verrichtungen nicht vom Gebot Gottes für das rechte Verhalten zu den Menschen (dritter Teil des Dekalogs) loskaufen. Es gab die Sphäre des öffentlichen Lebens, und die politische darin, aber man konnte nicht politische Entscheidungen treffen, die dem Gebot Gottes für die Ausschliesslichkeit seines Dienstes (erster Teil des Dekalogs) widersprachen. Nun wird mit der Teilung der Gewalten, die Mose

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von den Notwendigkeiten der persönlichen Nachfolge in einer Situation, die sehr bald schon einen neuen berufenen Führer erfordern kann, aufgenötigt wird, unvermeidlich der erste Anstoss zur Sonderung der Sphären gegeben. Mögen der Richter und der Priester noch so getreulich mitsammen das heilige Erbe verwalten, die aus der Teilung unvermeidlich erwachsende Eigengesetzlichkeit jedes der beiden Bereiche wird das Ihre tun, um das zur Einheit Bestimmte aufzuspalten, in der Volksordnung und damit auch in jeder einzelnen Seele. Um der Erhaltung des Werkes willen tut Mose etwas, in dessen Folge ein zentrales Stück aus den Fundamenten des Werkes gebrochen wird. Die letzte Szene in Moses Tragödie ergibt sich wie die früheren aus der Sprödigkeit der menschlichen Materie. Mose wollte das ungespaltene Menschenleben, als die rechte Antwort auf die göttliche Offenbarung; aber die Spaltung ist der geschichtliche Weg des Menschen, und die ungespaltenen Personen vermögen nichts anderes als ihn, den Menschen, jeweils auf eine höhere Ebene heben, auf der er dann diesen seinen Weg fortsetzt, solang er unter das Gesetz seiner Geschichte gebunden ist. Das Buch Deuteronomium, vermutlich in mehreren Jahrhunderten auf dem Weg immer neuer rednerischer Ausarbeitung einiger überlieferter Aussprüche Moses durch Prediger und Gesetzessprecher entstanden, will uns Moses Abschiedsreden übermitteln, die er »im vierzigsten Jahr« zum Volke sprach. Ob es nun vierzig oder, wie anzunehmen ist, erheblich weniger Jahre waren (viel mehr als die vier, die Goethe annimmt, waren es auf jeden Fall): etwas von der Schlusszeit der Wanderung, von der Abschiedsstunde nach einem langen gemeinsamen Weg spüren wir noch mitten in der abgeschliffenen Rhetorik des Buches. Unter den Sprüchen, die, wann immer ihr Wortlaut sich formte, für einen frühen geistigen Ursprung zeugen, ist einer der wichtigsten jene Zusage Gottes (Deuteronomium 18, 15), er wolle dem Volke jeweils einen Propheten gleich Mose erstehen lassen, dem er wie Mose seine Worte in den Mund legen wolle, und auf den sie zu hören haben. Das ist, über die Problematik der Nachfolge hinaus, ein Bekenntnis zu einer höheren Kontinuität durch die immer wieder erfolgende Erneuerung aus dem Geist. Es ist uns erlaubt, im Kern dieses Spruches eine echte Hoffnung Moses zu entdecken: er sieht sich nicht als einen Einzelnen und Einmaligen, sondern als den Beauftragten, der, solang der Auftrag noch nicht in seiner Gänze erfüllt ist, Mal um Mal wiederkehren muss, nicht als diese Person oder diese Seele (von Seelenwanderung oder dergleichen ist hier natürlich nicht die Rede), sondern eben als der Fortsetzer der Auftragserfüllung, was immer sonst dessen Person oder Seele sei. »Prophet« wird hier gesagt, aber was zuinnerst gemeint ist, das ist eben der ungespaltene Mensch, der als solcher

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die Gottesbotschaft empfängt und als solcher sie ins Leben zu übertragen strebt. Nur in scheinbarem Widerspruch dazu stehen die Worte (34, 10), mit denen offenbar ursprünglich die Erzählung vom Tode Moses schloss: hinfort sei in Israel kein Prophet Mose gleich erstanden, den JHWH »Angesicht zu Angesicht erkannte«, d. h. mit dem er wie mit Mose unmittelbaren Umgang pflog. Hier wird, um dem Missverstehen jener Verkündigung vorzubeugen, das Einmalige vom Wiederkehrenden geschieden: etwas, etwas in diesen Worten Umschriebenes, kehrt nicht wieder, aber was wiederkehrt genügt zur Erneuerung aus dem Geist. Mose ist nicht der erste der Propheten Israels, er bricht aus dieser wie aus jeder Reihe aus – aber die Propheten Israels, Männer des Geistes nur noch im Sinne des Geisteswortes, setzen sein Werk fort, jeder von ihnen nimmt es von neuem auf, und alles Neue will nur Wiederbringung sein. Und nun ersteigt Mose den Nebo, einsam wie er immer gewesen ist, einsamer als er je zuvor war. Wie er jetzt den Weg zum Sattel nimmt und von da zum flachen Gipfel fortschreitet, gemahnt er uns an eins der edlen Tiere, die sich von ihrem Rudel entfernen, um allein zu sterben. Nach der biblischen Aussage wäre er hundertzwanzig Jahre alt, nach unserem Verständnis der Zeitfolge ist er viel jünger, immerhin ein Greis. Aber wie er hier auf dem Gipfel steht, zeugt alles an ihm für die ungealterte Seele. »Sein Auge war nicht erloschen, seine Frische war nicht entflohn« – so redet Volksgedächtnis. Man sieht vom Nebo die ganze Jordansenke und über sie hinaus, im Norden bei klarer Luft bis zum Schnee des Hermon, im Westen bis zu den Hügeln über dem Mittelmeer: Kanaan. Das sieht er dicht vor sich liegen. An diesem Plateau, »an der Höhe des Pisga«, hatte Israel einst gestanden, als es zuerst (Numeri 21, 20) aus der Wüste trat und das verheissene Land vor sich liegen sah. Nun ist die Wanderung zu Ende. »So starb dort Mose, JHWH’s Knecht, im Lande Moab, auf JHWH’s Geheiss«. Der hebräische Wortlaut ermöglicht die Deutung, die von der nachbiblischen Sage, für die der Tod Moses ein Lieblingsthema war, ausgestaltet worden ist: »an JHWH’s Mund«. Aber auch hier wie immer ist der biblische Text grösser als alle Ausgestaltung; grösser als das Bild des Sterbens im Kusse Gottes ist dies, dass der Mann, der auf Geheiss dieses Gottes gelebt hat, nun auch auf sein Geheiss stirbt. »Und er begrub ihn in der Schlucht, im Lande Moab, gegen Beth-Peor zu«, also gegen den Ort zu, an dem der Abfall zum Baal geschehen war. Obgleich die Übersetzung »und man begrub ihn« zulässig ist, besteht kaum ein Zweifel, dass JHWH selber als der Totengräber seines Knechtes gedacht ist; daher »kennt niemand sein Grab bis auf diesen Tag.«

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Anmerkungen Usener, Der Stoff des griechischen Epos. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften, philologisch-historische Klasse CXXXVII (1897) S. 4 f. (Wiederabdruck in: Usener, Kleine Schriften IV (201 f.) 2 Herzfeld, Mythos und Geschichte. Archäologische Mitteilungen aus Iran VI (1933) S. 102 ff. 3 Jacob Grimm, Gedanken über Mythos, Epos und Geschichte. Deutsches Museum 1813, III, S. 53 (Wiederabdruck in: Jacob Grimm, Kleinere Schriften IV 74). 4 B. Jacob behauptet in einer Abhandlung, die mir erst nach Abschluss dieses Buches zu Gesicht gekommen ist, »The Childhood and Youth of Moses, the Messenger of God« (Essays in Honour of the Very Rev. Dr. J. H. Hertz, 1942) S. 250, von einer legalen Adoption sei in der biblischen Erzählung nicht die Rede. Dass aber der Bericht, das Kind sei zur Tochter Pharaos gebracht und ihr zum Sohne geworden (Exodus 2, 10), darauf hinweist, Mose sei von der Prinzessin grossgezogen worden, ist nicht wohl zu bestreiten. Im übrigen handelt es sich in der von Jacob herangezogenen Stelle II Samuel 7, 14, wo Gott von Salomo sagt, er werde ihm zum Sohne sein, offenbar um eine der rechtlichen Adoptionssphäre entnommene Metapher; vgl. die analoge Formel im 2. Psalm V. 7. 5 Sethe, Die Totenliteratur des alten Ägypten (1931) S. 9. 6 Eine gute, wiewohl noch unvollständige, Übersicht gibt Jirku, Die Wanderungen der Hebräer (1924); seither ist manches Wichtige bekannt geworden, ohne aber das Gesamtbild wesentlich zu ändern. 7 Speiser, Ethnic Movements in the Near East in the second Millennium b. C. (1933). 8 Toynbee, A Study of History III (1934) S. 14. 9 Ed. Meyer, Geschichte des Altertums I 2, § 340. 10 Cahun, Introduction à l’histoire de l’Asie (1896) S. 48. 11 Vgl. Buber, Die Lehre der Propheten (hebräisch, 1942) S. 30 f.; von Rad, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs (1938) S. 3 f. (»Der rhythmische und alliterierende Charakter des Anfangs ist besonders altertümlich«). 12 Lewy, Habiru und Hebrews, Hebrew Union College Annual XIV (1939) S. 616 interpretiert: »a disloyal servant rose against his master«; aber das scheint mir aus der Tatsache, dass in den Texten, wie ja in allen Literaturen gebräuchlich, ein Diener mit einem Hund verglichen wird, nicht zwingend hervorzugehen: ein entlaufener Hund erhebt sich nicht gegen seinen Herrn. 13 Vgl. insbesondre Landsberger, Habiru und Lulahhu (Kleinasiatische Forschungen I, 1930) S. 327. 14 Vgl. Buber, Königtum Gottes, 2. Aufl. (1936) S. 73 ff.; Buber, Die Lehre der Propheten, S. 29 ff. Mit Recht bemerkt Haller, Religion, Recht und Sitte in den Genesissagen (1905) S. 32: »Da am Gottesbild der Vätersage alle diese Züge sich finden, so muss ihm nicht nur eine grosse Einheitlichkeit, sondern auch der Charakter des wirklichen Nomadengottes zugesprochen werden. Es ist daher kaum denkbar, dass eine so lebhafte Erinnerung an die Bedürfnisse des Nomadenlebens lediglich schriftstellerische Einkleidung sein sollte, die auch den Gottesbegriff umgestaltet hätte«). 15 Radloff, Aus Sibirien, 2. Ausg. (1893) I S. 517. 16 Grimme, Althebräische Inschriften vom Sinai (1923) S. 95. 17 Lowie, An Introduction to Cultural Anthropology (1934) S. 53. 18 Strzygowski, Asiens bildende Kunst (1930) S. 578. 19 Hasebroek, Griechische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte (1931) S. 1. 20 Mauss, Critique interne de la légende d’Abraham. Revue des Etudes Juives LXXXII (1926) S. 39. 1

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B. Jacob, Das erste Buch der Thora (1934) S. 376. Trotz der ähnlichen babylonischen, kanaanäischen und ägyptischen Bezeichnungen für »Kämpfer, Mitkämpfer, Kampfverschworene« scheint mir an dieser Bedeutung als der ursprünglichen festzuhalten zu sein. 23 In der Bedeutung des elterlichen Hervorbringens finden wir das Verbum Genesis 4, 1 und (abgeschwächt) auch noch Deuteronomium 32, 6. In einem epischen Text aus Ras Schamra wird die Gemahlin des obersten Gottes mit eben diesem Verb die »Hervorbringerin« der Götter genannt. (Es muss jedoch verzeichnet werden, dass diese Bedeutung neuerdings von Levi della Vida, El ʿ Elyon in Genesis XIV 18-20, Journal of Biblical Literature LXIII, 1944, S. 1 ff., bestritten wird.) 24 Vgl. Westermarck, Ritual and Belief in Morocco (1926) I S. 35 ff. 25 So z. B. Peet, Egypt and the Old Testament (1922); Jack, The Date of the Exodus (1925); Musil, The Northern Hegaz (1926); Garstang, The Foundations of Bible History. Joshua Judges (1931); Oesterley and A. Th. Robinson, A History of Israel I (1932); Yahuda, The Accuracy of the Bible (1934); vgl. auch Yahuda, Das Jahr des Exodus (hebräisch), The American Hebrew Year Book VII (1944) S. 126 ff. 26 So z. B. Wardle in: A. W. Robinson, Record and Revelation (1938); Albright, From the Stone Age to Christianity (1940); J. Kaufmann, Geschichte des israelitischen Glaubens (hebräisch) IV (1942). 27 R. Kittel, Geschichte des Volkes Israel I, 5/6. Aufl. (1923) S. 366. 28 So z. B. Frazer, Folk-Lore in the Old Testament (1919) I S. 438 ff. 29 Lord Raglan, The Hero (1936) S. 178. 30 Yahuda, The Accuracy of the Bible S. 60 ff. 31 Yahuda, a. a. O. S. 65 f. 32 II Samuel 22, 17 = Psalmen 18, 17. 33 Auch B. Jacob weist in dem Anm. 4 erwähnten Aufsatz S. 253 darauf hin, dass hier ein Wortspiel vorliegt. Seine Meinung geht jedoch dahin, der Name sei dem Kind tatsächlich mit dieser besonderen Bedeutung von den linguistischen Beratern der Prinzessin gegeben worden, denen die hebräische Sprache vertraut gewesen sei; sie hätten dadurch die Hoffnung ausdrücken wollen, der Knabe werde einst sein Volk »aus den Todeswogen ziehen«; wobei »Todeswogen« als eine geläufige Metapher anzusehen ist. Ich kann mich dieser Meinung nicht anschliessen. 33a Vgl. Jbn Esra zur Stelle. 34 Vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung (1936) S. 39 ff., 58 f., 64 ff., 68 ff., 72 f., 116 f., 126 f., 152 f., 211 ff., 249 ff., 262 ff. 35 Vgl. Phythian-Adams, The Call of Israel (1934) S. 144 f., der darauf hinweist, dass im Stammesgebiet der Massai in Kongo ein Vulkan »der Gottesberg« genannt wird; der Verfasser lässt jedoch unbeachtet, dass die Massai in ihrer Mythenbildung anscheinend von biblischen Traditionen beeinflusst worden sind. 36 Gressmann, Mose und seine Zeit (1913) S. 30. 37 Gressmann a. a. O. S. 21. Aus dieser Behauptung, die sich auf den Text nicht stützen kann, folgert dann Gressmann S. 442 f.: »Eine innere Erfahrung, wie sie die Schriftpropheten oder Jesus gemacht haben, ist von vornherein ausgeschlossen.« Sie sei nämlich »nirgends bezeugt«. Dass hinzugefügt wird, sie widerspreche dem »Geist der Antike«, ist mir unverständlich. Vgl. auch J. Kaufmann, Geschichte des israelitischen Glaubens II/1 (1942) S. 48 f. 38 Gressmann a. a. O. S. 22. 39 Vgl. Isidore Lévy, La légende de Pythagore de Grèce en Palestine (1927) S. 137 ff. 40 B. Jacob, Mose am Dornbusch, Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des 21

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Judentums, Neue Folge XXX (1922) S. 17. Bei dieser Gelegenheit sei auf den noch unveröffentlichten Kommentar Jacobs zu Exodus nachdrücklich hingewiesen. 41 Vgl. Schmökel, Das angewandte Recht im Alten Testament (1930) S. 8. 42 Eine ausführliche Kritik der Hypothese habe ich in meinem Buch »Königtum Gottes« 2. Aufl. S. XXXIff. gegeben. 43 Montgomery, Arabia and the Bible (1934) S. 10. 44 Gressmann a. a. O. 434. 45 Vgl. Buber, Die Lehre der Propheten S. 36 ff. 46 Vgl. J. Kaufmann a. a. O. II/1 S. 279 ff. 47 Dass frühe Stammesgötter auch Schöpfer sind, ist uns aus unzähligen Mythen bekannt, von denen die polynesischen und die nordamerikanischen besonders charakteristisch sind: das Land des Stammes bedeutet eben für die Mythenbildner die Erde schlechthin, weil es allein sie unmittelbar angeht. 48 Mit demselben Wortgefüge sagt Gott Mose zu (Exodus 33, 19), er werde den Namen JHWH vor ihm ausrufen, und mit demselben wird (34, 5) erzählt, dass er es tut. 49 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 84, 235 ff. und die dort angegebene Literatur; BuberRosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung S. 201 f., 207 f.; Buber, Die Lehre der Propheten S. 26 f., 35 und die dort angegebene Literatur; neuerdings A. Vincent, La réligion des Judéo-Araméens d’Eléphantine (1937), S. 46. (Von der Literatur, die mich nach Abschluss des Buches erreicht hat, ist ein Aufsatz von Montgomery, The Hebrew Divine Name and the Personal Pronoun HU, Journal of Biblical Literature LXIII/2, 1944, S. 161 ff. beachtenswert. Er beruft sich auf II Könige 2, 14 und Jeremia 5, 12.) 50 Nicholson, Selected Poems from the Divani Shamsi Tabrìz (1898) S. 126 f., 282. 51 Mowinckel in einem Brief an Rudolf Otto, abgedruckt in: R. Otto, Das Gefühl des Überweltlichen (1932) S. 326 f. 52 L. Köhler, Theologie des Alten Testaments (1936) S. 234. 53 Es ist zu lesen: wa-thiga. 54 Bei einigen arabischen Stämmen der Sinai-Halbinsel und der südägyptischen Wüste wird dieselbe Absicht dadurch erreicht, dass Mutter oder Schwester des beschnittenen Knaben seine Vorhaut sich über die Zehe legt und sie so lange als möglich darauf liegen lässt (G. W. Murray, Sons of Ishmael, 1935, S. 176): so gereicht die Handlung auch den Frauen der Sippe zum Nutzen. 55 So Ed. Meyer, die Israeliten und ihre Nachbarstämme (1906) S. 59; Ed. Meyer, Geschichte des Altertums II 2, 2. Aufl. (1931) S. 206; Weill, Le séjour des Israélites au désert (1909) S. 66; Gressmann, Mose S. 56 ff.; Loisy, La religion d’Israel, 3. Aufl. (1933) S. 91 f.; zuletzt Beer, Exodus (1939) S. 38 f. Ähnlich schon Mauss, Essai sur le sacrifice. L’année sociologique II (1899) S. 134. (Wiederabgedruckt in: Hubert et Mauss, Mélanges d’histoire des religions, 1909, S. 125.) 56 Rudolph, Der »Elohist« von Exodus bis Josua (1938) S. 7. 57 Volz, Das Dämonische in Jahwe (1924). 58 Die vorgebrachten Bedenken dagegen, dass Aaron als Bruder Moses anzusehen sei, sind von Gewicht, aber nicht zwingend. 59 Jaussen, Coutumes des Arabes au pays de Moab (1908) S. 366. 60 Pedersen, Passahfest und Passahlegende (Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge XI, 1937) S. 167. 61 Gressmann, Mose S. 120. 62 Dass sie hier »Schwester Aarons« genannt und auch anderswo mit ihm zusammengestellt wird, lässt sich wohl aus einer alten, uns nicht mehr genauer erfassbaren Sippentradition erklären, der gemäss die älteren Geschwister eine Gruppe für sich bildeten, der

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der von der Ägypterin Adoptierte oder aus sonstigem biographischen Zusammenhang stärker Ägyptisierte nicht angehörte. 63 Das dafür sprechende Material ist am besten bei Phythian-Adams, The Call of Israel S. 166 ff. verarbeitet. 64 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 130 f., sowie Galling, Die Erwählungstraditionen Israels (1928) S. 6: »Hier spricht das ungebrochene Nationalbewusstsein des ganzen Volkes. Das würde am ehesten in der davidischen Ära denkbar sein.« 65 Vgl. Buber a. a. O. S. 63 ff. 66 Vgl. Eichrodt, Theologie des Alten Testaments I (1933) S. 95 f. 67 Der Vers besteht nicht, wie man ihn aufzufassen pflegt, aus zwei Sätzen, sondern aus einem einzigen; das zweite »Wer ist wie du« ist nur eine verstärkende Wiederholung (vgl. V. 6) und zu verstehen ist: Wer unter den Schutzgöttern, JHWH, ist so wie du verherrlicht in der Heiligkeit, furchtbar an Ruhmeswerken, Täter des Wunders! 68 Vgl. A. Kaiser, Wanderungen und Wandlungen in der Sinaiwüste (1928) S. 21 ff.; Bodenheimer und Theodor, Ergebnisse der Sinai-Expedition 1927 (1929) S. 54 ff. 69 Vgl. J. Hehn, Siebenzahl und Sabbat bei den Babyloniern und im Alten Testament (1907) S. 6 ff., 93. Vgl. jedoch H. und J. Lewy, The Origin of the Week and the Oldest West Asiatic Calendar, Hebrew Union College Annual XVII (1942/3) S. 16 f. 70 Colson, The Week, an Essay on the Origin and Development of the Seven-Day Cycle (1926) S. 3 bemerkt mit Recht, dass die frühen Formen der Wochenfolge nichts mit den Mondphasen zu schaffen haben. 71 Doughty, Travels in Arabia Deserta I, 13. Kap. 72 Die gegenteiligen Ausführungen von Jastrow, The Original Character of the Hebrew Sabbath, American Journal of Theology II, 1898, S. 323 ff., sind nicht überzeugend. Auch die Hypothese, der Sabbat sei ursprünglich ein Fasttag gewesen (die Argumente findet man bei Webster, Rest Days, 1916, S. 259 f. zusammengestellt), ist unbegründet. Die Meinung von Nilsson, Primitive-Time-reckoning (1920) 333 ff. der Sabbat sei ursprünglich ein Markttag gewesen, setzt zu Unrecht die späte (wiewohl vorexilische) Entstehung voraus. Die Verfasser der in Anm. 66 genannten Abhandlung, H. und J. Lewy, nehmen an, dass die Siebentagewoche (nach dem Missglücken einer Kalenderreform unter Josia) sich erst zur Zeit Esras aus der ursprünglichen orientalischen Fünfzigtageeinheit entwickelt habe; die wertvolle Abhandlung, die insbesondre wichtige Angaben über die Verbindung des babylonischen Septenarsystems mit der Zahl der Winde enthält, hat mich jedoch nicht von dem späten Ursprung der Siebentagewoche zu überzeugen vermocht. 73 Hehn a. a. O. 130. 74 Wellhausen, Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs (1900). 75 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 47 ff. 76 Vgl. Buber a. a. O. S. 4 ff. 77 Josuas ursprünglicher Name Hoschea scheint bei seiner Aufnahme in einen engeren JHWH-Bund zu Jehoschua erweitert worden zu sein. 78 Lobeck, über die Symbolik des Szepters, in: Auswahl aus Lobecks akademischen Reden, herausgegeben von Lehnardt (1865) S. 71. 79 Musil, Arabia Peträa III (1908) S. 377. 80 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 284. 81 Budde, Die altisraelitische Religion (1912) S. 13. 82 Vgl. die bei Bin Gorion, Sinai und Garizim (1926) S. 222 ff. zusammengestellten Texte rabbinischer und karäischer Exegese. 83 Oesterley and Th. H. Robinson, Hebrew Religion (1930) S. 112. 84 Budde a. a. O. S. 12.

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Gressmann, Mose S. 161; vgl. Gray, Sacrifice in the Old Testament (1925) S. 208. Budde a. a. O. S. 12. 87 Budde a. a. O. S. 132. Die Lesart der Septuaginta »und Jethro brachte dar« (wa-jaqrib statt wa-jiqach) beruht auf mangelndem technischem Verständnis des Vorgangs. 88 S. die Kommentare von Ibn Esra und Raschbam. 89 Über das Gemeinschaftsopfer oder »Gesamtopfer« bei den Arabern, vgl. Wellhausen, Reste arabischen Heidentums, 2. Aufl., 120. 90 Albright, From the Stone Age to Christianity S. 195. 91 Die Annahme von Eerdmans, Alttestamentliche Studien II (1901) S. 44 ff., dass die Keniter in den Oasen sesshafte Handwerker seien, von denen viele, namentlich die Schmiede, auf längere oder kürzere Zeit zu den Nomaden gehen, bedarf einiger Einschränkung; keinesfalls darf man diesen halbnomadischen Typus einfach als »Stadtbewohner« bezeichnen. Eisler, Das Kainszeichen und die Keniter, Le monde oriental XXIII, 1929, S. 59 ff., gibt beachtenswerte Winke, insbesondere hinsichtlich einer Tätigkeit der Keniter als Erzbläser und Schmelzer, will aber zu viel beweisen. 92 Buber, Königtum Gottes, S. XLIV. 93 Es ist keineswegs »unnatural« (Gray, Sacrifice in the Old Testament S. 207), sondern orientalische Redeweise, dass Jethro seinen Rat in der Form gibt, dass er zunächst denjenigen Teil von Moses Verfahren formuliert, den er ihm auch hinfort beizubehalten empfiehlt. Unbegründet ist es daher, mit Gray anzunehmen, in einer früheren Fassung der Erzählung hätte Mose bisher nicht so verfahren, sondern auch dies von Jethro gelernt. Soll wirklich ursprünglich erzählt worden sein, Mose hätte erst jetzt von seinem Schwiegervater erfahren, er habe »für das Volk Gott gegenüber zu sein« (V. 19)? 94 An Stellen wie Richter 6, 15, I Samuel 10, 19 bedeutet elef bekanntlich nicht »Tausend«, sondern – der ursprünglichen Wurzelbedeutung (sich verbinden, vgl. das Nomen elef Herde) gemäss – Geschlechtsverband, gens. 95 Phythian-Adams, The Call of Israel S. 76. 96 Volz, Mose S. 81, vgl. auch Staerk, Zum alttestamentlichen Erwählungsglauben (Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N F XIV, 1937) S. 8 und von Rad, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs S. 36. 97 Buber, Königtum Gottes S. 112 ff.; vgl. auch Quell in G. Kittel, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament II (1935) S. 123. 98 Gressmann, Die Anfänge Israels (Die Schriften des Alten Testaments I 2, 2. Aufl. 1922) S. 60, vgl. Gressmann, Mose, S. 185. 99 Eissfeldt, Einleitung in das Alte Testament (1934) S. 260. 100 Vgl. Buber a. a. O. S. 126 ff.; zur Interpretation im einzelnen, vgl. Staerk, Zum alttestamentlichen Erwählungsglauben S. 8 ff. 101 Vgl. die vorzügliche Darstellung bei Baudissin, Kyrios als Gottesname im Judentum III (1927) S. 379 ff. (für das Attribut der Gerechtigkeit besonders S. 398 ff.). 102 Vgl. Buber a. a. O. S. 140 ff. 103 Buber a. a. O. S. 132 ff., 273 ff.; vgl. auch Gunkel, Einleitung in die Psalmen (1933), S. 208. 104 Eichrodt, Theologie des Alten Testaments I., S. 96. 105 Vgl. Buber, a. a. O., S. 69 f., 93 ff., 211 ff. 106 Zu Gideon vgl. Buber a. a. O. S. 3 ff.; zu Samuel habe ich die Einheitlichkeit der Kernerzählung in meinem noch unveröffentlichten Buch »Der Gesalbte« (Abschnitte daraus erschienen hebräisch in der Zeitschrift »Zion« IV, 1939, S. 1 ff.) erwiesen. 107 Zum Alter des ersten Bestandteils vgl. Steuernagel, Der jehovistische Bericht über den Bundesschluss, Theologische Studien und Kritiken LXXII (1899) S. 349 f., zu dem des 85 86

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zweiten vgl. Baentsch, Exodus-Leviticus-Numeri (1903) S. 213 f., Gressmann, Mose S. 182. 108 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 254 f. 109 Vgl. T. H. Robinson, The Crises, in H. W. Robinson, Record and Revelation (1938) S. 141. 110 Noth, Das System der zwölf Stämme Israels (1930). 111 Sellin, Geschichte des israelitisch-jüdischen Volkes I (1924), S. 98 ff.; Noth a. a. O. S. 69 f. 112 Diese Exegese habe ich in meinem Buch »Die Lehre der Propheten« gegeben. 113 Volz, Mose S. 77, 88. Vgl. auch Caspari, Die Gottesgemeinde vom Sinaj (1922) S. 168. 114 Noth, Die israelitischen Personennamen (1929) S. 191 f., 208 f. 115 Vgl. Sachsse, Die Bedeutung des Namens Israels (1922) S. 91. 116 Vgl. Buber, Königtum Gottes, S. 219, 224; Baudissin, Die Geschichte des alttestamentlichen Priestertums (1889) S. 55 ff.; Baudissin, Priests and Levites, in Hastings, Dictionary of the Bible IV S. 69 f. – Van Hoonacker, Le sacerdoce lévitique dans la loi et dans l’histoire (1899) versteht: »Diener des Volkes in der Begehung des Gotteskults«, aber das ist ein wunderlich umständlicher Begriff; man sollte dann statt »die Knaben der Kinder Israels« doch einfach »die Knaben« erwarten, wie entsprechend bei Josua (Exodus 33, 11) und Samuel (I Samuel 3, 1). 117 »The occasion described here is unique; and so, in some respects, is the ritual«. Gray, Sacrifice in the Old Testament S. 200. 118 Buber a. a. O. S. 111 ff. 119 Buber a. a. O. S. 123 f. 120 Buber, Die Lehre der Propheten S. 118. 121 Baudissin, ›Gott schauen‹ in der alttestamentlichen Religion (Archiv für Religionswissenschaft XVIII, 1915) S. 217. 122 Buresch, Klaros (1889) S. 89 ff.; die Stelle über den Dekalog steht auf S. 116. 123 Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten I. Die Composition des Hexateuch S. 96. 124 Alt, Die Ursprünge des israelitischen Rechts (1929), S. 52, vgl. Rudolph, Der Elohist von Exodus bis Josua S. 59: »Ein wenig wertvolles Konglomerat aus dem Bundesbuch, das in keiner Weise quellenhaft ist.« 125 B. Duhm, Israels Propheten (1916) S. 38. 126 Beer, Exodus S. 162. 127 Hölscher, Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion (1922) S. 129. 128 Steuernagel, Einleitung in das Alte Testament (1912) S. 260. 129 Beer a. a. O. 103. 130 Budde, Religion of Israel to the Exile S. 33: »both superfluous and impossible«. 131 Mowinckel, Le décalogue (1927) S. 102 meint, zum Unterschied vom Dekalog seien die moralischen Elemente »wie verloren inmitten einer langen Reihe ritualer und kultischer Gebote«; aber ein Blick in die Texte lehrt, dass die ritualen und kultischen Gebote im ägyptischen weniger als die Hälfte, im babylonischen vollends nur einen geringen Bruchteil ausmachen. 132 Bruno Gutmann, Die Stammeslehren des Dschagga (3 Bände, 1932 ff.). 133 Mowinckel a. a. O. 101. 134 Nowack, Der erste Dekalog (Baudissin-Festschrift, 1917) S. 395. 135 Beer, Moses und sein Werk (1912) S. 26. 136 Vgl. J. Kaufmann, Geschichte des israelitischen Glaubens II/1 S. 77, der Aaron mit diesen Einflüssen in Verbindung bringt. 137 Über den starken Einfluss, den gerade das »faustische« Element in der Mose-Sage auf Goethe ausgeübt hat, vgl. die schöne Abhandlung von Burdach, Faust und Mose (Sit-

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zungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften, philosophischhistorische Klasse 1912). 138 Mowinckel a. a. O. S. 75. 139 Wellhausen, Reste arabischen Heidentums S. 102. 140 Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte, 4. Aufl. (1925) I. S. 89. 141 So z. B. Edvard Lehmann, das. I S. 33; vgl. auch Florenz das. I 294; Hempel, Politische Absicht und politische Wirkung im biblischen Schrifttum (1938) S. 14; sowie Gressmann, Mose S. 203, 207, 211. In meinem Buch »Die Lehre der Propheten« habe ich in dem Kapitel »Der Gott der Väter« den Gegenstand ausführlich behandelt; vgl. auch Königtum Gottes S. 73 ff. 142 Lagrange, Etudes sur les réligions sémitiques, 2. Aufl. (1905) S. 507; vgl. Février, La réligion des Palmyréens (1931) S. 37. Vgl. auch Rostovzeff, The Caravan-gods of Palmyra (Journal of Roman Studies XXII, 1932) S. 111 f. 143 Schrader, Die Keilinschriften und das Alte Testament, 3. Aufl. (1903) S. 29. 144 Haller, Religion, Recht und Sitte in den Genesissagen S. 23 meint zwar, JHWH habe sich »von der Scholle, d. h. vom Stein, Baum und Brunnen gelöst und an die Person des Hirten gebunden«, erwägt aber: »Oder sollte der Prozess umgekehrt sein und Jahwe ein ursprünglich mit dem Hirten herumziehender Schutzgeist sein, der sich allmählich, im gleichen Masse als der Nomade sesshaft wurde, an bestimmten Wohnsitzen niedergelassen hat?« Gunkel hat in seinem (in meinem Besitz befindlichen) Handexemplar von Hallers Buch vermerkt, es stünden einander gegenüber einerseits festsitzender Gott und festsitzende Verehrer als kanaanäisch, andererseits »wandernder Gott und wandernde Nomaden i s r a e l i t i s c h «. Dazu muss aber die Einsicht treten, dass dieser Gott nicht, wie die Theraphim-Fetische, im Zelt des Nomaden schläft, sondern sich jeweils in den dem Menschen unzugänglichen Himmelsraum zurückzieht; Jakobs Vision des Himmelstors ist Urbestandteil der Überlieferung. (Dass man diesen Gott also nicht »haben« kann, dürfte ein Hauptmotiv dafür sein, dass die Frauen des Stammes die Theraphim mitschleppen.) 145 Nach Lods, Israel (1930) S. 531 stellte das Volk sich JHWH mit einem luftartigen, also unsichtbaren Körper vor, »susceptible d’apparaître sous des formes diverses.« 146 Zum Verhältnis zwischen Bildlosigkeit und Unsichtbarkeit vgl. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (1921) III. S. 170, der die Verbindung beider anders, aber als eine nicht weniger enge sieht: »Ein Gott, dessen von alters übernommener Kult b i l d l o s war, musste eben ein normalerweise u n s i c h t b a r e r sein und eben aus dieser Unsichtbarkeit seine spezifische Dignität und Unheimlichkeit speisen.« 147 Mowinckel a. a. O. S. 103. 148 Mowinckel a. a. O. S. 60. 149 Mowinckel, Psalmenstudien II (1922) S. 224. 150 Mowinckel, Le décalogue S. 100. 151 Eissfeldt, Hexateuch-Synopse (1922) S. 275*. 152 Vgl. L. Köhler, Theologie des Alten Testaments S. 238: »Dass in den biblischen Dekalogen ein Satz ›Du sollst nicht lügen‹ fehlt, erweckt allerlei Gedanken.« 153 Gunkel, Die israelitische Literatur (Die Kultur der Gegenwart I/7, 1906) S. 73. 154 Gressmann, Mose S. 477. 155 Vgl. Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung S. 176 ff.; Staples, The Third Commandment, Journal of Biblical Literature LVIII (1939) S. 325 ff. 156 Vgl. Procksch, Der Staatsgedanke in der Prophetie (1933) S. 5. 157 J. M. Powis Smith, The Origin and History of Hebrew Law (1931) S. 8 f. 158 Hempel, Das Ethos des Alten Testaments (1938) S. 183. 159 Volz, Mose, 2. Aufl. (1932) S. 25.

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Volz, Mose, 1. Aufl. (1907) S. 93 f. Caspari, Die Gottesgemeinde vom Sinaj S. 159. 162 Sellin, Geschichte des israelitisch-jüdischen Volkes I. S. 72. 163 Volz, Mose, 2. Aufl. S. 78. 164 L. Köhler, Der Dekalog (Theologische Rundschau I, 1929) S. 184 165 Rudolph, Der »Elohist« von Exodus bis Josua S. 47. 166 Vgl. Ganszyniec, Der Ursprung der Zehngebotetafeln (1920) S. 18. (Die kleine Schrift trägt interessantes Material zusammen, zieht aber unhaltbare Schlüsse daraus.) 167 Vgl. Eerdmans, Alttestamentliche Studien III, S. 69 f. 168 Gegen die Ursprünglichkeit der Tafelntradition führt Morgenstern, The Book of the Covenant I (1928) S. 34 an, dass die Bezeichnung »Tafeln des Zeugnisses« spät sei, nämlich nur im Priesterkodex vorkomme. Aber Exodus 32, 15 wird allgemein nicht zu P gerechnet. 169 Morgenstern a. a. O. führt das Fehlen einer solchen Tradition als Hauptargument gegen den Zeugnischarakter der Tafeln an. Aber es liegt nah anzunehmen, dass Salomo in seiner Kultpolitik, die darauf ausging, die Lade und ihren Inhalt zu immobilisieren, um dem Melek-Charakter JHWH’s die politische Färbung zu nehmen (vgl. Klamroth, Lade und Tempel, 1933, S. 60; Buber, Die Lehre der Propheten, S. 78 f.), keine Scheu getragen hat, die Tilgung aller Spuren jener Tradition anzuordnen. 170 Hans Schmidt, Mose und der Dekalog (Gunkel-Festschrift) S. 90. 171 L. Köhler, Der Dekalog S. 179. 172 Wellhausen (Die Composition des Hexateuchs S. 89) und nach ihm viele andere haben das Wort für »besonders auffallend« deuteronomisch gehalten; aber das kann doch nur dann einen Sinn haben, wenn man – wie manche ohne einen andern Grund als eben den Gebrauch dieses Wortes getan haben – den Schluss des Deboralieds verstümmelt. Die Wendungen, die man als deuteronomisch und damit als spät zu kennzeichnen pflegt, stammen naturgemäss aus der Geschichtspredigt (vgl. Köhler, Der Dekalog S. 169), und diese hat sich ihre tragenden Grundworte aus mündlicher und schriftlicher Überlieferung zusammengeholt und ihnen dabei freilich, durch die Einfügung in den rhetorischen Zusammenhang ihre ursprüngliche Wucht entzogen. – Dass in Exodus 34, 7 die Hassenden und Liebenden nicht erwähnt sind, beweist nichts, da hier ja fast die Hälfte des Satzes, darunter der ganze positive Teil, ausgelassen ist; es handelt sich hier anscheinend um einen zur Erläuterung eingefügten Auszug aus dem Dekalogsatz. 173 A. Klostermann, Der Pentateuch II (1907) S. 515. 174 Jepsen, Untersuchungen zum Bundesbuch (1927) S. 25; vgl. S. A. Cook, The Laws of Moses and the Code of Hammurabi (1903) S. 155. 175 Vgl. Ring, Israels Rechtsleben im Lichte der neuentdeckten assyrischen und hethitischen Gesetzesurkunden (1926) S. 148. 176 Schmökel, Das angewandte Recht im Alten Testament S. 65. 177 Vgl. Eerdmans, The Ark of the Covenant (The Expositor 1912) S. 415 f. 178 Dass der Plural hierher passe, weil es zwei Bilder sind, wie Benzinger, Jahwist und Elohist in den Königsbüchern (1921) S. 12 meint, ist unrichtig: man sagt nicht von zwei Bildern, die an verschiedenen Orten sind: »Das sind deine Götter«. 179 Albright, From the Stone Age to Christianity S. 230: »Conceptually there is, of course, no essential difference between representing the invisible deity as enthroned on the cherubim or as standing on a bull.« 180 Reichel, Über vorhellenische Götterkulte (1897) S. 37. 181 Oppenheim, Der Tell Halaf (1931) S. 85. 182 Vgl. u. a. Malten, Der Stier in Kult und mythischem Bild (Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts XLIII, 1928) S. 101 ff., wo aber auch besonders deutlich wird, 160

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wie die Vorstellung des Gott-Trägers in die der Gott-Verkörperung übergehen kann; der historische Weg ist der umgekehrte, vom Stier »als Sitz eines Dämons oder Gottes« zum Stier als Gott-Träger und Gott-Attribut, aber volkstümliche Rückschläge sind in solchen Entwicklungen häufig. Eissfeldt, Der Gott Bethel (Archiv für Religionswissenschaft XXVIII, 1930) S. 15 weist mit Recht darauf hin, dass ebenderselbe Wettergott, den man sich als auf dem Stier stehend vorstellte, auch selbst als Stier dargestellt wird; es ist aber zu berücksichtigen, dass es sich für Jerobeam vor allem um die Einrichtung des »wahren« legitimen JHWH-Kults handelte, er also nicht zu weit gehen durfte. 183 Obbink, Jahwebilder (Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N.F. VI, 1929) S. 269. 184 Hempel, Jahwegleichnisse der israelitischen Propheten (Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, N.F. I, 1924) S. 101. 185 Hempel a. a. O. 186 R. Kittel, Geschichte des Volkes Israel I, 5/6. Aufl., S. 374. 187 Vgl. Eichrodt, Theologie des Alten Testaments I S. 47; Albright, From the Stone Age to Christianity S. 203. 188 Caspari, Die Samuelbücher (1926) S. 476. 189 Vgl. u. a. Reichel, Über vorhellenische Götterkulte S. 3 ff.; A. B. Cook, Zeus I (1914), S. 135 ff.; S. A. Cook, The Religion of Ancient Palestine in the Light of Archaeology (1930) S. 21 ff.; Dibelius, Die Lade Jahwes (1906) S. 60 ff.; Hans Schmidt, Kerubenthron und Lade (Gunkel-Festschrift) S. 132 ff. 190 Vgl. u. a. Dibelius a. a. O. S. 96 ff. 191 Musil, The Manners and Customs of the Rwala Bedouins (1928) S. 571 ff.; Jaussen, Coutumes des Arabes au pays de Moab (1908) S. 173 f.; zugehöriges Material aus mehreren Reisebeschreibungen bei R. Hartmann, Zelt und Lade (Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft XXXVII, 1917/18) S. 217 ff., Seligman, Sacred Litters among the Semites, Sudan Notes and Records I (1918) S. 268 ff. und Morgenstern, The Book of the Covenant I S. 88 ff.; vgl. auch Lammens, Le culte des bétyles et les processions religieuses chez les Arabes pré-islamites, Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale XVII (1920) S. 38 ff. Neuerdings hat der Gegenstand eine umfassende, auf gründlicher Vergleichung des ethnographischen Materials beruhende Darstellung gefunden in Morgenstern, The Ark, the Ephod and the Tent of Meeting, Hebrew Union College Annual XVII (194243) S. 153 bis 265, XVIII (1944), S. 1-52. Leider wird in der gelehrten Abhandlung Ort und Wert des Einmaligen in der Religionsgeschichte nicht gewürdigt. Religionsg e s c h i c h t e , wie Geschichte überhaupt, gibt es nur, wenn und insofern wir das Einmalige jeweils vom Wiederkehrenden abheben, gleichsam als dessen Bearbeitung und Formung. 192 Eine Konjektur dieser Art bei Eissfeldt, Hexateuch-Synopse S. 52 f. 193 Vgl. A. Klostermann, Der Pentateuch II. S. 492 f. 194 So schon Ibn Esra in seinem Kommentar, Eerdmans, Alttestamentliche Untersuchungen III S. 74 f. bemerkt: »auf einmal ist hier von einem Zelt die Rede, das vorher gar nicht erwähnt wurde«; aber die Erwähnung in 18, 7 ist dem Redaktor offenbar hinreichend erschienen. Vgl. auch van Hoonacker, Le sacerdoce lévitique S. 146, und Hertzberg, Mizpa (Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft XLVII, 1929) S. 171. 195 Über die Komposition der Gespräche s. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung S. 262 ff. 196 Ob sie im Textzusammenhang »sekundär« sind (Eissfeldt, Hexateuch-Synopse S. 274*), ist für unsere Frage nach der Echtheit der biographischen Tradition nicht relevant. 197 Vgl. Buber und Rosenzweig a. a. O. S. 273.

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R. Kittel in den älteren Auflagen seiner Geschichte des Volkes Israel I S. 309 f.; vgl. Sellin, Das Zelt Jahwes, Kittel-Festschrift (1913) S. 168 ff. 199 Für die Bedeutung der Konstruktion ist Genesis 25, 27 zu vergleichen: im Zelt »sitzen« heisst hier es immer wieder aufsuchen, »seiner Gewohnheit nach« (Caspari, Die Samuelbücher S. 59). 200 Vgl. Dibelius, Die Lade Jahwes S. 21 ff. Seine Beweisführung scheint mir durch Hans Schmidt, Kerubenthron und Lade S. 143 f. nicht widerlegt worden zu sein. – Das Folgende gegen von Rad, Zelt und Lade, Neue kirchliche Zeitschrift 1931 S. 476 ff., der zu Unrecht die Vorstellung des Throns und die des jeweiligen Erscheinens voneinander scheidet. 201 Vgl. auch Klostermann, Der Pentateuch II. S. 73; Böhl, Exodus (1928) S. 167; Torczyner, Die Bundeslade und die Anfänge der Religion Israels, 2. Aufl. (1930) S. 38. 202 Dibelius a. a. O. 115. 203 Dibelius das. 204 Der zweite Spruch soll nicht, wie Torczyner vorschlägt, emendiert werden, so dass es bedeutete: »Steig auf, JHWH«, anstatt »Kehre heim, JHWH«. Der siegreiche Führer der »Myriaden der Verbände Israels« wird nun angerufen, er möge in seinen Himmel zurückkehren (und von da aus sein Volk beschirmen, bis es wieder seiner unmittelbaren Führerschaft bedarf). 205 Vgl. Torczyner a. a. O. S. 15; Dhorme et Vincent, Les Chérubins (Revue biblique XXXV, 1926) S. 485. 206 Dibelius a. a. O. S. 101. 207 Dibelius a. a. O. S. 117. 208 Vgl. Galling, Biblisches Reallexikon (1937) S. 343. 209 Numeri 14, 14 befindet sich die Lade, also das Zelt, eindeutig im Innern des Lagers. Zu Numeri 11, 26 und 12, 4 ist anzunehmen, dass das Lager als ein Kreis von Zelten gedacht ist, in dessen Mittelpunkt das Gotteszelt steht, dass man also zu diesem »hinausgeht«. 210 Caspari, Die Samuelbücher S. 476. 211 W. Andrae, Das Gotteshaus und die Urformen des Bauens im alten Orient (1930) S. 11 ff., 21 ff.; vgl. Rost, Die Vorstufen von Kirche und Synagoge im Alten Testament (1938) S. 36. 212 Dieser Vers muss dem alten, recht wohl der Zeit Davids zuzuschreibenden Kernteil der später predigtartig bearbeiteten Gottesrede zugerechnet werden. Vgl. Rost, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (1926) S. 68 ff. Wenn Wellhausen (Prolegomena zur Geschichte Israels S. 46) meint, die Lesart der Parallelstelle der Chronik (I 17, 5) »von Zelt zu Zelt« beruhe »auf einem ganz richtigen Verständnis«, verkennt er den Zusammenhang zwischen der Nathanrede und der Tradition, die an der Einheit des Zelts festhält (zum Chronik-Text vgl. Sellin, Das Zelt Jahwes S. 172 f.). 213 R. Hartmann, Zelt und Lade, S. 225. 214 Vgl. Buber, Die Lehre der Propheten S. 158 f. 215 Damit ist keineswegs gemeint, dass JHWH während der Schlacht auf der Lade verweile; zwischen einer Verbindung mit der Lade und seinem Voranziehen vor der angreifenden Vorhut Israels (Richter 4) besteht gewiss kein Widerspruch. Er dokumentiert seine Gegenwart durch sein Erscheinen über der Lade, und immer wieder harrt sie sein als sein Thronsitz, aber dazwischen zieht er den Feinden entgegen und gebietet auch himmlischen Scharen, am Kampf teilzunehmen. Man darf aber auch nicht annehmen, wie J. Kaufmann (Geschichte des israelitischen Glaubens, II/1 S. 83, 351 ff.) tut, der Aufbruch der Lade veranlasse nur JHWH, in einer Art Höherbildung der »sympathetischen Magie«, vom Himmel auszuziehen und sich, auf den himmlischen Keruben einherfahrend, 198

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auf die Feinde Israels zu stürzen. Durch eine solche Fernwirkungs-Einrichtung kann ein Vers wie »Ich bin in Zelt und Wohngemach einhergegangen« nicht erklärt werden. 216 Das ist offenbar das Naturbild von Exodus 16, 7, 10. 217 So ist wohl der natürliche Hintergrund von Numeri 9, 16 vorzustellen. 218 Gressmann, Mose S. 268 219 Goldziher, Abhandlungen zur arabischen Philologie (1896) S. 15; Hölscher, Die Propheten (1914) S. 99. 220 Robertson Smith, The Prophets of Israel (1897) S. 392; vgl. Goldziher a. a. O. S. 74. 221 Musil, Miszellen zur Bibelforschung (Die Kultur XI) S. 10. 222 Doughty, Arabia Deserta II, 5. Kapitel. 223 Musil, The Manners and Customs of the Rwala Bedouins S. 400. 224 Wellhausen, Reste arabischen Heidentums S. 135. 225 Vgl. Guillaume, Prophecy and Divination among the Hebrews and other Semites (1938) S. 125: ein ominöser Rabenschrei wird von den mit Sehertum Begabten »gesehen«. 226 Vgl. u. a. Mowinckel, Psalmenstudien III (1929) S. 9: »Das Sehertum ist aller Wahrscheinlichkeit nach genuin israelitisch.« 227 Jepsen, Nabi (1934) S. 117. 228 Vgl. Hempel, Gott und Mensch, 2. Aufl. (1936) S. 105. 229 Vgl. Gressmann, Mose S. 137; Gressmann, Die Anfänge Israels S. 81. 230 Vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung S. 33 ff., 131 ff., 160 ff., 279 ff. 231 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 167 f.; Buber, Die Lehre der Propheten, S. 60. 232 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 173 f. 233 Über das Verhältnis zwischen Ruach und Wort vgl. Buber, Die Lehre der Propheten S. 61. Auf die Bedeutung des Sendungsmoments in der israelitischen Religion hat in jüngster Zeit besonders J. Kaufmann in seiner »Geschichte des israelitischen Glaubens« nachdrücklich hingewiesen. 234 Mowinckel, The »Spirit« and the »Word« in the Preexilic Reforming Prophets, Journal of Biblical Literature LIII (1934) S. 199 ff.; Mowinckel, Ecstatic Experience and Rational Elaboration in Old Testament Prophecy, Acta Orientalia XIII (1935) S. 264 ff. 235 Vgl. Masing, The World of Yahweh (1936), der aber Ruach und Wort nicht auseinanderhält; Dürr, Die Wertung des göttlichen Wortes im Alten Testament und im antiken Orient (1938) S. 22 ff. 236 Jepsen, Nabi S. 119 f. 237 Hempel, Gott und Mensch S. 271. 238 Ich stimme der Auffassung zu, dass hier ein mit Midian zusammenhängender (Habakuk 3, 7) Stamm namens Kuschan gemeint und der Schluss des Verses Glosse ist. Keineswegs aber ist das Wort dahin zu verstehen, dass Zippora, wie Gressmann (Mose S. 272 f., Die Anfänge Israels 2. Aufl. S. 96) meint, hier zugleich mit dem Nebensinn als »Negerweib« (und dann eben der Kenitergott JHWH als »Negergott«) geschmäht werde, denn die am Rand der Welt hausenden, merkwürdigen Äthiopier sind zwar für die biblischen Schriftsteller ein Anlass zu Bildern und Gleichnissen, aber der Volksname klingt nie an ein Schimpfwort an. 239 Vgl. Bacon, The Triple Tradition of the Exodus (1894) S. 175; Wiener, Essays in Pentateuchal Criticism (1909) S. 99. 240 Vgl. J. Kaufmann, Geschichte des israelitischen Glaubens II/1 S. 46, 122. 241 Vgl. z. B. Musil, The Manners and Customs S. 400; Guillaume, Prophecy and Divination S. 122 ff.

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Vgl. Alt, Der Gott der Väter (1929); Böhl, Das Zeitalter Abrahams (1931); Buber, Die Lehre der Propheten S. 29 ff. 243 Vgl. Dillmanns Kommentar zur Stelle. 244 Vgl. de Groot, Numeri (1930) S. 128: »ohne dass eine Scheidung zwischen beiden war.« 245 Vgl. Holzinger bei Kautzsch, Die Heilige Schrift des Alten Testaments 4. Aufl. zur Stelle. 246 So Smend, Die Erzählung des Hexateuch (1912) S. 230. 247 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 133. 248 Nur die hier gegebene Interpretation passt in den Zusammenhang. 249 Einer Quellenscheidung, die 23, 23 und 24, 1 auseinanderreisst (so zuletzt Rudolph, Der »Elohist« S. 121 f.), vermag ich nicht zuzustimmen; sie weisen aufeinander hin wie 23, 23 und 22, 7. 250 In der ältesten Volkssage von dem bösen Zauberer Bileam, von der uns späte Auswirkungen Numeri 31, 8, 16 und Josua 13, 22 erhalten sind (vgl. Löhr, Bileam, Archiv für Orientforschung IV, 1927, S. 88; Rudolph a. a. O. S. 111), dürfte sein Dämon der Eingebende gewesen sein. 251 Rudolph a. a. O. 105. 252 Kühtreiber, Bericht über meine Reisen (Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins XXXVII, 1914) S. 11. 253 Vgl. Woolley and Lawrence, The Wilderness of Zin (1914) S. 58 ff. 254 Woolley a. a. O. 71. 255 Vgl. A. Klostermann, Geschichte des Volkes Israel (1896) S. 69. 256 Garstang, The Heritage of Salomon (1934) S. 177. 257 Gressmann, Die Anfänge Israels 2. Aufl., S. 106. 258 von Rad, Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens (Wesen und Werden des Alten Testaments, 1936), S. 139. 259 Galling, Die Erwählungstraditionen Israels S. 65. 260 Alt, Der Gott der Väter S. 57. 261 Alt a. a. O. S. 41. 262 Alt a. a. O. S. 46. 263 Buber, Die Lehre der Propheten S. 40. 264 Vgl. Buber a. a. O. S. 36 265 Dass die Sinai-Araber ein löffelartiges hölzernes Gerät, das sie verwenden, um Wasser aus einem seichten Brunnen zu schöpfen, nach einem Wort des Hedschas-Dialekts kadeis nennen (Woolley and Lawrence, The Wilderness of Zin, S. 53), kann nur eine Volksetymologie des Ortsnamens, nicht seine wirkliche Etymologie erklären. Phythian-Adams, The Call of Israel S. 196 nimmt zu Unrecht unter Berufung darauf an, der Name habe nichts mit Heiligkeit zu tun. 266 Rhodokanakis, Die Bodenwirtschaft im alten Südarabien (Anzeiger der Wiener Akademie der Wissenschaften LIII, 1916) S. 174. 267 von Rad a. a. O. S. 139. 268 Vgl. Jirku, Das israelitische Jobeljahr (Reinhold-Seeberg-Festschrift, 1929) S. 172 ff. 269 Pedersen, Israel, its Life and Culture I-II (1926) S. 544. 270 das. 271 Alt, Die Ursprünge des israelitischen Rechts S. 65; vgl. auch von Rad, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs S. 31 f. 272 Menes, Die vorexilischen Gesetze Israels (1928) S. 39. 273 Pedersen a. a. O. S. 480. 274 Alt a. a. O. S. 65 f. 242

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Fenton, Early Hebrew Life (1880) S. 67 ff.; Kennett, Ancient Hebrew Life and Custom (1933) S. 77; Alt a. a. O. S. 66. 276 Vgl. Musil, Arabia Petraea III S. 293 f. 277 Jirku a. a. O. S. 178. 278 Alt a. a. O. S. 66. 279 Alt a. a. O. S. 67. 280 Ed. Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme S. 80 f. 281 Kugler, Von Moses bis Paulus (1922) S. 42 ff.; Kennett a. a. O. S. 77. 282 Vgl. unter anderem Baudissin, Die Geschichte des alttestamentlichen Priestertums S. 35. 283 So Gressmann, Mose S. 261 f. 284 Vgl. Gray, Sacrifice in the Old Testament S. 249 f. 285 Den auf umfassendster Grundlage unternommenen und dennoch missglückten Versuch, die Leviten als den alten Priesterstand von Kadesch, von dem Mose getragen ist, zu verstehen, stellt der Artikel »Levi« von Hölscher in Pauly-Wissowas Real-Enzyklopädie des klassischen Altertums XII S. 2155 ff. dar. Zur Komplexheit des Problems vgl. Gray, Sacrifice in the Old Testament S. 239 ff. Die Annahme von Albright, Archaeology and the Religion of Israel (1942) S. 109, die Leviten seien »eine Klasse oder ein Stamm« gewesen, der als solcher sakrale Funktionen (schon in vormosaischer Zeit) ausübte, und sich sowohl natürlich als aber auch durch Kinder, die dem Dienst JHWH’s geweiht wurden, vermehrte, ist in einiger Hinsicht ansprechend, stellt aber doch keine befriedigende Lösung des Problems dar; und dass Mose und Aaron »by virtue of their priestly function« Leviten gewesen seien, nimmt ein Berufspriestertum Moses vorweg, das in Frage gestellt werden muss. 286 Vgl. Rost, Die Vorstufen von Kirche und Synagoge im Alten Testament S. 7 ff., 32 ff.; über Numeri 16 f.: S. 10, 14, 90; die Doppelbedeutung von ʿ eda in unserem Abschnitt ist hier nicht berücksichtigt. 287 Vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung S. 217 ff. 288 Auch den letzten mir bekannten Versuch, Moses Priestertum zu beweisen, den von Gray, Sacrifice in the Old Testament S. 194 ff., kann ich nicht als geglückt ansehen. 289 Das ist unter anderem die These von J. Kaufmann, Geschichte des israelitischen Glaubens II/1 S. 342 ff. 290 So z. B. Bacon, The Triple Tradition of the Exodus S. 190: »Certain prominent individuals aspire to the priesthood, and raise rebellion against Moses«. 291 Zur Ergänzung des Folgenden vgl. Buber, Königtum Gottes S. 140 ff. 292 Vgl. das Kapitel über Hosea in meinem Buch Die Lehre der Propheten. 293 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 65 ff., 204 ff. und die dort angegebene Literatur; Buber, Die Lehre der Propheten S. 67 ff. 294 Buber, Die Lehre der Propheten S. 69. 295 Vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung S. 58 ff. 296 Vgl. Pedersen, Canaanite and Israelite Cults (Acta orientalia XVIII, 1939) S. 6: »Aliyan Baal is the bull-god whom we know from the Old Testament« und »represents fertility«. 297 Zur Textanalyse vgl. Buber, Königtum Gottes S. 282 Anm. 19. 298 Vgl. Buber das. 299 Alt, Josua, in Werden und Wesen des Alten Testaments S. 13 ff. 300 Bin Gorion, Sinai und Garizim (1926). 301 Meek, Hebrew Origins (1936). 275

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Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus Eine Erwiderung

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Zu der Bemerkung von F. in seiner Besprechung der Religionsphilosophie von O. Spann, daß der Gott Israels »nur einer neben vielen andern Göttern« gewesen sei, »unter die Elohim die Erde verteilt hatte«, erhalten wir von besonders berufener Seite die nachfolgend veröffentlichte Erwiderung. Zum besseren Verständnis der strittigen Punkte sei hier zunächst der Vers, um den es geht, 5. Mos. 32, 8, wiedergegeben: Als der Höchste (’äljôn) den Völkern ihr Erbe gab, als er die Menschenkinder schied, da setzte er fest der Völker Gebiete entsprechend der Zahl der Israelsöhne (hebr. Text bnê jisra’el) oder entsprechend der Zahl der Göttersöhne (griech. Text, entspr. hebr. bnê ’elîm). Mit einiger Verwunderung lese ich in Heft 7/8 der »Neuen Wege«, Seite 359 unten, von dem »eindeutigen Sinn« von 5. Mos. 32, 8. Wo ist denn da von »Elohim« die Rede? Und wenn man auch mit dem griechischen Text ’elîm statt jisra’el liest, so kann bnê ’elîm doch kaum etwas anderes als ’älohîm, Psalm 82, 1b, bedeuten, das heißt über die Völker gesetzte Engelfürsten, also die danielischen sarîm. Was aber ’äljôn betrifft, so ist von den Texten, die die vollzogene Identifizierung mit Jhwh bezeugen, 1. Mos. 14, 22 sicherlich älter als 5. Mos. 32, 8 (die Streichung von jhwh durch LXX und Pesch (die griechischen und syrischen Übersetzungen) geht sicherlich auf Unverständnis dem Identifizierungsvorgang gegenüber zurück) und Psalm 7, 18; 47, 3 kaum jünger. Auf keinen Fall darf man aus der noch kontroversen Stelle schließen, was F. daraus schließt.

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Recht und Unrecht Deutung einiger Psalmen

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Vorwort

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Ich bespreche in diesem Buch fünf Psalmen, die von dem Verhältnis zwischen dem Rechttun und dem Unrechttun, zwischen den Rechttuenden und den Unrechttuenden auf Erden, damit aber auch von der Weltsache zwischen Gut und Böse überhaupt handeln. Diese Psalmen stammen sicherlich, wie den erheblichen Stildifferenzen zu entnehmen ist, von verschiedenen Autoren, aber die Menschen, die in ihnen reden, stehen einander in ihrer Grundanschauung und Wesenshaltung so nah, daß man an ihre Stelle eine einzige, in ihnen sich nur eben mannigfach darstellende Gestalt, »den Psalmisten«, setzen darf. Ja, wenn man diese Psalmen richtig aneinanderreiht, ergänzen sie einander wie die Stadien eines persönlichen Wegs – eines Wegs, der über aufrührende und umwandelnde Erfahrungen zu einer großen Einsicht führt. Er beginnt damit (12. Psalm), daß der Psalmist sich einer Welt gegenüber findet, in der die »glatte Zunge«, die aller Skrupel entledigte Verlogenheit herrscht, aller Schliche kundig, mit denen es gelingt, das Falsche als das Wahre und die Vergewaltigung als die rechte Ordnung erscheinen zu lassen. Wo ist da noch ein Schlupfwinkel für die Treue! Aber der Psalmist ist gewiß: Gott wird »jetzt aufstehen«, sich der unterdrückten Treue annehmen und die Herrschaft der Wahrheit auf Erden errichten. Doch es scheint noch schlimmer zu werden (14. Psalm): es sieht aus, als ob alles zersetzt wäre und keiner mehr das Rechte täte, keiner mehr wagte es zu tun; nur ein Rest, den der Psalmist als »sein Volk« empfindet, beharrt in der Gerechtigkeit. Aber der Sprecher büßt auch jetzt noch seine Gewißheit des göttlichen Beistands nicht ein. Gott, so weiß er, prüft nicht bloß von oben die Beschaffenheit des Menschengeschlechts und bereitet die Niederwerfung des Übels vor: er schenkt dem getreuen Rest die Gunst seiner Gegenwart. Die Zuversicht des Psalmisten wird jedoch Mal um Mal enttäuscht; die Wende tritt nicht ein, und es ist, als sollte der »Schändliche« recht behalten mit seiner Lehre, Gott kümmere sich um die Menschenwelt nicht. Diesen immer unheimlicher werdenden Zustand weiß der Sprecher (82. Psalm) sich nicht anders zu erklären, als daß Gott das irdische Regiment Engeln übergeben habe, damit sie des Rechtes walten, sie aber nun selber, wie einst die ersten Menschen, untreu geworden seien. Die Hoffnung des Psalmisten verläßt ihn dennoch nicht. Erneut empfängt er in seiner Schau die Gewißheit, Gott werde die schlechten Richter richten und sie, wie einst die ersten Menschen, mit der Sterblichkeit schlagen.

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Und als das Gericht immer noch ausbleibt, unterfängt er sich, Gott anzurufen, daß er »aufstehe« (vgl. Gottes Verheißung im 14. Psalm) und es vollziehe. Wieder aber wird der Psalmist enttäuscht (73. Psalm). Rings um ihn gedeiht die Gemeinheit und der Gerechte leidet. Und nun dünkt es ihn, es könne auf Erden nie mehr anders werden. Vergebens sucht er ein anderes Verhältnis zu Gottes Allmacht und dem Schicksal des Menschen zu gewinnen, eins, das aus diesem sinnwidrigen Dasein einen Ausblick in ein künftiges, sinnvolles eröffnete. Schon ist er nah, der Verzweiflung anheimzufallen. Da geschieht unversehens, unter dem Einfluß einer nie zuvor geahnten Erleuchtung, eine Wandlung in ihm, die ihn auf den Weg Gottes, in dessen Nähe führt. Mit dem Herzen wandelt sich das Auge, und dem neuen Blick tut sich in dem, was bislang sinnlos erschien, der Sinn auf. Auf die innere Wandlung kommt alles an; aus ihr allein wandelt sich die Welt. Der Psalmist erkennt und preist (1. Psalm) als das einzige Glück, das durch nichts zu erschüttern ist, das Glück des Mannes, der, auf dem Wege Gottes vorschreitend, ihm naht. Die Interpretation der fünf Psalmen, die in diesem Buche gegeben wird, will deutlich machen, was sie uns über den Unterschied zwischen selbstbewußtem Vorhandensein und wahrhaftem Existieren, als der Nähe Gottes, zu sagen haben. Darum darf sie wohl als ein Versuch existentialer Exegese bezeichnet werden.

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Die den einzelnen Abschnitten vorausgeschickten Psalmenübertragungen sind der vom Summa-Verlag in Olten vorbereiteten revidierten Neuausgabe meiner 25 Schriftverdeutschung entnommen. Die Grundsätze, die in dieser befolgt wurden, sind in dem Buch »Die Schrift und ihre Verdeutschung« von Martin Buber und Franz Rosenzweig dargelegt worden. Das Tetragrammaton, das mit »der Herr« oder mit »der Ewige« zu übersetzen gleicherweise unbegründet ist, ist hier pronominal wiedergegeben, seinem ur- 30 sprünglichen Charakter eines pronomenhaltigen Ausrufs (etwa »Oh Er!«) gemäß, der später verbalisiert worden ist (etwa »Er ist da«). Die »Pausen«-Bezeichnung sela, die anscheinend eine Tonfolge des Begleitspiels bei aussetzendem Gesang ausdrückt, ist der Wurzelbedeutung gemäß mit »Empor!« wiedergegeben. 35

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Gegen das Lügengeschlecht 12 Des Chormeisters, auf der achten, eine Weise Davids

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Befreie, DU! denn zuend ist der Holdmütige, denn aus ists mit der Treue unter den Menschenkindern. Wahn reden sie jedermann mit seinem Genossen, glatter Lippe mit zweierlei Herz reden sie. Ausrotte ER alle glatten Lippen, die großrednerische Zunge, sie, die sprechen: »Durch unsre Zunge sind wir überlegen, unsre Lippen sind mit uns, wer ist uns Herr!« »Ob der Vergewaltigung der Gebeugten, ob des Ächzens der Dürftigen jetzt stehe ich auf«, spricht ER, »in die Freiheit setze ich ihn, den man bebläst.« Sprüche von IHM, reine Sprüche sind sie, Silber, ausgeschmolzen im Schüttofen zur Erde, geseigert siebenfach. Hüten wirst du sie, DU, wirst einen bewahren vor dem Geschlecht da auf Weltzeit, die sich frevlerisch ringsum ergehn, da Gemeinheit obenauf kam bei den Menschenkindern. Die Lüge ist das spezifisch Böse, das der Mensch in die Natur eingebracht hat. All unsre Gewalt- und Missetaten sind ja nur eine Ausbildung und gleichsam Hochzüchtung dessen, was diese und jene Naturwesen in solcher Art zu leisten vermögen; die Lüge aber ist unsre selbeigne Erfin-

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dung, von der auch alles, was die Tiere an Täuschung hervorbringen, gattungsmäßig verschieden ist. Lüge ist erst möglich geworden, nachdem ein Wesen, eben der Mensch, das Sein der Wahrheit zu konzipieren vermochte; sie ist erst gegen die konzipierte Wahrheit möglich geworden. In der Lüge übt der Geist Verrat an sich selber. Man hat danach gefragt, warum im Dekalog ein Verbot der Lüge fehle. Es fehlt nicht; aber es erscheint hier nur als Verbot des lügenhaften Zeugnisses, weil die Absicht hier auf Begründung und Festigung einer Gemeinschaft in ihrem innern Zusammenhalt geht und daher jedes Unrecht seiner sozialen Seite (im weitesten Sinne) nach, als Verletzung des Lebensrechtes des Genossen, und nicht in sich selbst, als Verletzung der geistigen Ordnungen betrachtet wird. Aber je stärker im Gang der geschichtlichen Entwicklung die Person aus ihrem Verbande tritt und der Einzelne sich und seine Mitmenschen personhaft wahrnimmt, wird auch das Leiden an der Lüge als solcher fühlbar und ausgesprochen. Hier ist ein Psalm, in dem dieses Gefühl sich zugleich steigert und differenziert. Der Sprecher leidet nicht mehr bloß an Lügnern, sondern an einem Geschlecht der Lüge, und die Lüge hat in diesem Geschlecht den höchsten Grad der Perfektion erreicht, als ein kunstreich verwaltetes Mittel der Herrschaft. Aber der Psalmist begnügt sich nicht damit, sein Leiden zu äußern und die es Verursachenden zu brandmarken, er schaut auch (denn dieser Psalm ist einer jener prophetischen, die sich um eine Schau aufbauen) die beginnende Gegenhandlung von oben. Die zwei- bis dreimal wiederkehrenden Motivworte »Menschenkinder, Lippe, glatt, Zunge, reden, Sprüche, befreien, Freiheit« umreißen den Gegenstand. Es handelt sich um den negativen Einfluß, den in dieser Stunde eine bestimmte Art von »Lippen« (die »glatten«) und »Zungen« auf die menschliche Mitteilung durch Rede ausübt, genauer: es handelt sich um die Zersetzung der Menschenrede durch diesen Einfluß. Ihr steht die »befreiende« Tat Gottes gegenüber und seine »Sprüche«: das Wort der Wahrheit, das von ihm ausgeht. Gott wird angerufen, er möge »befreien«. Das, wovon er befreien möge, ist der gegenwärtige Zustand, der im folgenden gekennzeichnet wird. Die zwei Grundeigenschaften, auf denen das Miteinanderleben der Menschen als Menschen ruht: das Wohlwollen oder der gute Wille, das heißt die Bereitschaft, dem andern zu erfüllen, was er von mir unserem Verhältnis nach erwarten darf, und die Treue oder Zuverlässigkeit, das heißt die verbindliche Übereinstimmung meiner Handlungen mit meiner geäußerten Gesinnung, sind dahin – sie sind in einem solchen Maße verschwunden, daß dem Miteinanderleben der Menschen als Menschen die Grundlage entzogen ist. An die Stelle der menschlichen Wahrheit, das

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heißt des ungeteilten Ernstmachens der menschlichen Person mit sich selbst und all ihren Kundgebungen, ist die Lüge als Lebensform getreten. Von dem jetzt den menschlichen Verkehr beherrschenden Element der Lüge werden drei Dinge gesagt – in bezug auf dessen Wirkung, auf dessen Bau und auf dessen Zweck. Das erste: die der Psalmist im Sinne hat, reden »Wahn«, womit natürlich nicht gemeint ist, daß sie selber einem Wahn anhingen und ihn äußerten, sondern sie erzeugen mit ihrer Rede einen Wahn in ihren Hörern, sie »spiegeln ihnen etwas vor«, insbesondere spiegeln sie ihnen eine Gesinnung vor, die sie nicht hegen. Statt, wie es das gemeinsame Denken und Erkennen der Menschen erfordert, dem Mitmenschen seine Erfahrungen und Einsichten durch ihre eigenen zu ergänzen, setzen sie seiner Welt- und Lebenskenntnis erlogenes Material ein und fälschen so die Beziehung seiner Seele zum Sein. Und das zweite: sie reden mit zweierlei Herz, wörtlich: »mit Herz und Herz«. Man muß diesen Ausdruck in seiner ganzen Tiefe erfassen: nicht zwischen Herz und Mund allein, sondern geradezu zwischen Herz und Herz waltet hier die Zwiefalt. Damit die Lüge das Gepräge der Wahrheit trage, stellen sich die Lügner gleichsam ein Sonderherz her, einen mit dem äußersten Anschein der Natürlichkeit funktionierenden Apparat, aus dem die Lügen wie spontane Erfahrungs- und Einsichtsäußerungen zu den »glatten Lippen« aufsteigen. Und das dritte: all dies geschieht durch die Machthaber, um die von ihnen Unterdrückten durch das ihnen Vorgetäuschte gefügig zu machen. Ihre Zunge erhält sie in ihrer Überlegenheit. Sie ist »großrednerisch« und macht ihnen die Hörigen noch höriger. Ahnen sie aber, daß in dem Sinn der Gebeugten sich doch ein Aufruhr regt und eine Hoffnung erwacht »Der Herr ist mit uns!«, dann antworten sie sich selber: »Unsre Lippen sind mit uns, wer ist uns Herr!« Das ist der Augenblick der Vision oder vielmehr Audition des Psalmisten. Er hört, wie in der Heimlichkeit ihrer Herzen die Vermessenheit raunt – und in ebendem Augenblick hört er Gott sprechen. Gott sagt an, er werde, weil er sieht, wie die Armen bedrückt werden, und weil er das Ächzen der Dürftigen hört, »jetzt« aufstehen. Mit diesem »Jetzt« bricht mitten im Äußersten des Unheils die Manifestation eines Heils auf, das nicht erst kommen soll, sondern stets gegenwärtig ist und nur wirksam zu werden braucht. Dieses Jetzt ist die entscheidende prophetische Kategorie. Der »Tag des Herrn«, an dem der Thronende »aufsteht« und sein Königtum, das von Anbeginn der verborgene Sinn der Schöpfung war, zum Entsetzen und Entzücken offenbar macht, ist in der Gewalt der prophetischen Schau eben dieser heutige Tag. Die Psalmisten, die sich hier wie oft als Erben dieser Schau erweisen, wissen, daß das »Aufstehen« zugleich Gericht und »Befreiung aller Gebeugten der Erde« (Psalm

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76, 10) bedeutet. Unser Psalm bringt in besonders nachdrücklicher Weise zum Ausdruck, daß dieses Gericht und diese Befreiung nicht zwei Vorgänge, sondern einer sind. »In die Freiheit setze ich«, spricht Gott, »ihn, den man bebläst«. Von dem Bedrückten, den die glatten Lippen mit ihrer Großrednerei beblasen, sagt er, er werde ihn in die Gottesfreiheit versetzen. Es ist keine andere Welt, in die er versetzt wird; diese unsere Welt, die sich »jetzt« als Gottes Welt offenbart, ist nunmehr die Welt des Heils. Es bedarf keines Gerichts darüber hinaus: es wird nicht gesagt und braucht nicht gesagt zu werden, daß das Lügengeschlecht ins Unheil gesetzt oder versetzt werde; das, worin sie sind, enthüllt sich als das Nichts, nichts weiter. Sie, die sich in dieser Weltstunde, in der – wie es am Schluß des Psalms heißt – »Gemeinheit obenauf kam bei den Menschenkindern«, frevlerisch ringsum ergehen, sind durch das Wirksamwerden des Heils in ihrer Nichtigkeit offenbar geworden, vielmehr, ihre Nichtigkeit ist ihre Wirklichkeit geworden, sie haben kein andres Sein mehr als ihr Nichts. Der Psalmist hat den Spruch Gottes gehört. Er weiß und bezeugt, daß dieser Spruch, wie alle Sprüche Gottes und sie allein, »rein«, das heißt, frei ist von der allem Menschenwort anhaftenden Schlacke der Unwahrheit. Was der Sprecher hier mit stärkster Gleichnis-Emphase von den Sprüchen Gottes sagt, hebt sich über den Anlaß hinaus. Es geht hier nicht mehr um das vom Psalmisten vernommene Wort allein, sondern in großer Antithetik steht Gottes Wahrheit der Lüge der Frevler gegenüber. Noch einmal und tiefer als vorher fühlen wir: nicht als Lügen redend, sondern als Lüge seiend steht dieses Geschlecht Gott entgegen. Du, so spricht der Psalmist Gott an, hütest deine Worte, du hütest die Wahrheit – so wirst du »ihn«, von dem du gesagt hast, du würdest ihn ins Heil versetzen, also einen jeden von uns Armen und Gebeugten, vor dem Lügengeschlecht da »auf Weltzeit« bewahren. Auf Weltzeit; in unserer Sprache heißt das »auf ewig«, aber die biblische Sprache ist weitaus richtiger, denn es handelt sich hier nur um die zukünftige Geschichte des Menschengeschlechts und nicht um die Ewigkeit, die über aller Geschichte und über aller Zeit ist. Die Frage drängt sich auf, wie denn dieses »auf Weltzeit« damit zu vereinbaren sei, daß anscheinend von einem einzigen Geschlecht, eben den Zeitgenossen des Psalmisten, die Rede gewesen ist. Die Antwort kann nur sein, daß auch für die künftigen Zeiten der Menschengeschichte je und je ein Wiedererstehen des Lügengeschlechts zu befürchten steht, daß aber das Wort Gottes dem von diesem immerwiederkehrenden Geschlecht Betrogenen und Mißbrauchten für immer seinen Beistand verbürgt. Gott wird ihn je und je vor der Macht der Lüge bewahren, indem

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er ihn, den der Wahrheit Ergebenen, ins Heil versetzt. Die Wahrheit ist Gottes allein, aber es gibt eine menschliche Wahrheit, und die ist: der Wahrheit ergeben sein. Die Lüge ist aus der Zeit und wird von der Zeit verschlungen, die Wahrheit, die göttliche Wahrheit, ist aus der Ewigkeit und in ihr, und so nimmt die Ergebung an die Wahrheit, sie, die wir die menschliche Wahrheit nennen, an der Ewigkeit teil.

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Der Riß 14 Des Chormeisters, von David

Der Schändliche spricht in seinem Herzen: »Da gibts keinen Gott!« Verderbt, greulich ward ihre Sitte, keiner ist mehr, der Gutes tut. Vom Himmel nieder lugt ER auf die Menschenkinder, zu sehn, ob ein Begreifender west, ein nach Gott Fragender.

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Alles ist abgefallen, angefault sind sie mitsammen, keiner ist mehr, der Gutes tut, auch kein einziger mehr!

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Haben sies nicht erkannt, die Harmwirker alle, die verzehren mein Volk: sie verzehren ein Brot, drüber IHN man nicht anrufen kann!

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Dort, sie schrecken zusammen im Schreck, denn Gott ist im bewährten Geschlecht: »Den Ratschlag des Gebeugten wolltet ihr beschämen?!« Ja, ER ist seine Burg.

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Wer gibt von Zion her Befreiung Israels! Wann kehren läßt ER Wiederkehr seinem Volk, wird Jakob jauchzen, wird sich Israel freuen.

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Liest man diesen Psalm nur flüchtig, so kommt er einem (abgesehen von einzelnen unsicheren Stellen) einfach genug vor. Der Sprecher – so meint man – redet von Israel und den Völkern. Die Völker sind »schändlich« und gottlos, ihre Sitte ist »verderbt« und »greulich«, unter ihnen ist, wie Mal um Mal wiederholt wird, kein einziger, der Gutes tut, keiner, der begreift, was Gott vom Menschen will, keiner, der nach Gott und seinem Walten fragt, alle sind sie von ihrer ursprünglichen, in der Schöpfung gewollten Menschlichkeit »abgefallen«, ihre Gesamtheit ist, wie verdorbene Speise, »angefault«. Im Gegensatz dazu wird anscheinend das Volk Israel, das von der Gemeinschaft dieser Missetäter »gebeugt« und »verzehrt« wird, als ein »bewährtes Geschlecht« bezeichnet, dessen Zuflucht Gott ist und das er von den andern »befreien« und in seiner einstigen Herrlichkeit wiederherstellen wird. Es hat gewiß der Juden nicht wenige gegeben, die diesen Psalm so verstanden, als eine in ihrer krassen Verallgemeinerung zwar ungerechte, doch aber wahrheitshaltige Schilderung der historischen Menschenwelt und des Platzes, den das jüdische Volk in ihr einnahm und einnimmt. Nichts ist, zumal in unserem Zeitalter, verständlicher, nichts ist verkehrter. Nirgends in den Psalmen noch in der Schrift überhaupt ist, wenn ein so allgemeiner Ausdruck gebraucht wird wie hier: »der Schändliche«, der Heide zum Unterschied vom Juden gemeint; nirgends deutet die Bezeichnung »die Menschenkinder« auf die fremden Völker in Gegensatz zu Israel hin, stets sind es eben die Menschen, von denen die Rede ist, die Menschen in der Welt schlechthin oder auch die Menschen in dem Ländchen, das die Heimat der biblischen Sprecher ist. Es gehört trotz allem eine erbärmliche Selbstgerechtigkeit dazu, das große Bild von Gott, der vom Himmel zur Erde niederschaut und nach einem einzigen Menschen auslugt, der nach ihm fragt, so zu verstehen, daß der Herr von all seinen Juden hochbefriedigt sei und unter ihnen gar keine Musterung zu halten brauche, wogegen die Völker nur eben die dunkle Folie zu solch einem Strahlenglanz ergäben. Es nutzt da auch nichts, das Bekenntnis zu Gott als das unterscheidende Merkmal herauszugreifen. Alle wesentlichen biblischen Sprecher sind, wie Jeremia, zu »Prüfern« eingesetzt, die das pathetische Lippenbekenntnis daraufhin untersuchen, in welchem Maße es in die Wirklichkeit des persönlichen Lebens eingeht, und keiner von ihnen hätte vermocht, einem von Gott schwatzenden und gegen ihn lebenden Juden einen Vorzug vor einem von Gott schweigenden und ihm nachfolgenden zuzubilligen. Aber, so wird alsbald eingewendet werden, der Psalmist bezichtigt die Missetäter doch eben ausdrücklich dessen, daß sie sein Volk verzehren; also stehen sie außerhalb dieses Volkes. So ist es; aber was er sein Volk

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nennt, ist nur ein Teil des Volkes, das den Namen Israel führt – jener Teil nämlich, der die zugleich Bewährten und Gebeugten umfaßt; den anderen Teil aber, die Schändlichen, Abgefallenen, welche die Bewährten beugen, zählt er nicht mehr zu seinem Volk. So hat sich hier die prophetische, auf die kommenden Dinge gerichtete Konzeption des heiligen Restes, der das wahre Volk ist, mitten in der Betrachtung der Gegenwart verdichtet. Aber auch der Blick auf die anderen, die »Angefaulten«, ist ein prophetischer: so, als eine Ganzheit, hat derselbe Jesaia, der den heiligen Rest als solchen wahrnahm, den großen der Verderbnis verfallenen Teil Israels gesehen. Für ihn freilich waren sie »dieses Volk«, und der Rest war eben der »Rest«, für den Psalmisten ist das bewährte Geschlecht das eigentliche Volk, Gottes Volk, und die andern sind eben die andern, aber im Verhältnis sind ihrer so viele, daß sie ihm als »alle« erscheinen. Abfall der Verderbten bedeutet Zerfall Israels. Was seinem äußeren Aspekt nach als einige Nation erscheint, ist in Wahrheit entzweigerissen, aber von den zweien ist nur eins noch wahrhaft Volk zu nennen, ein lebender Organismus, das andre ist nichts weiter als ein zersetztes Zellengewebe, faulende Volkssubstanz. Der Psalmist beschreibt das entzweigerissene Israel. Da sind die Presser und da sind die Gepreßten, da die Hochfahrenden und da die Demütigen. Jene sprechen in ihren Herzen: »Da gibt’s keinen Gott!« Sie sagen es nicht laut, es dringt von den Herzen nicht zu den Lippen, mit den Lippen bekennen sie ihn. Doch auch im Herzen wollen sie damit nicht die Existenz Gottes bestreiten: warum sollte nicht ein Gott sein, wenn er sich nur nicht darum kümmert, was die Menschen auf Erden treiben! Aber die Wahrheit ist, daß Gott ausschaut, was seine Geschöpfe aus sich machen. Er sieht, wie Menschen Menschen »verzehren«; und das ist (so kann man am ehesten den schwierigen uns vorliegenden Text des 4. Verses verstehen) nicht, wie das »Brot Gottes« genannte Tieropfer, eine Speise, über der man den Namen Gottes anrufen darf. Der Psalmist schaut in prophetischer Vision das Kommende: wieder stürzen sich die Abgefallenen auf ihre Beute, da aber schrecken sie zusammen, in einem Schreck, dessengleichen – wie es in der längeren Lesart des 53. Psalmes heißt – es nie gegeben hat: drüben, mitten unter denen, die sie der Willkür preisgegeben wähnten, erscheint die Gegenwart Gottes, eben des Gottes, von dem sie wähnten, er bleibe dem Menschentreiben fern, der aber in Wahrheit die Zuflucht der Gebeugten ist, und sein Spruch donnert ihnen entgegen. An diese Stelle knüpft der prophetische Psalmist sein messianisches Gebet und seine messianische Verheißung. Israels Befreiung und sein Heil kann nur »von Zion her« kommen, und es gibt keinen Sinn, dieses

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»von Zion her« topographisch zu verstehen: das Zion der im Lande Israel erfüllten Gerechtigkeit muß gemeint sein. Für den nun wahrhaft zum Volke Gottes gewordenen »Rest« naht die große Wende. Ein später Psalmendeuter wie ich kommt nicht, wie der Psalmist, mit einer schlichten Zweiteilung Israels zurecht, ebensowenig wie er mit einer solchen Zweiteilung der Menschenwelt zurechtkäme. Er sieht den Riß zwischen dem vergewaltigenden und dem vergewaltigten, den Riß zwischen dem gottgetreuen und dem abtrünnigen Element nicht bloß quer durch jedes Volk, sondern auch quer durch jede Gruppe im Volk, ja quer durch jede Seele gehn. Nur noch in den großen Krisenzeiten wird die heimliche Zerrissenheit eines Volkes offenbar.

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Gericht über die Richter 82 Ein Psalm Asafs

Gott steht in der Gottesgemeinde, im Ring der ›Götter‹ hält er Gericht. »Bis wann wollt ihr richten falsch, das Antlitz der Frevler erheben!« (Empor!) »Für den Schwachen, die Waise rechtet, bestätigt den Gebeugten, den Armen; den Schwachen, Dürftigen lasset entrinnen, rettet aus der Hand der Frevler!« Sie erkennen nicht, habens nicht acht, in Verfinstrung gehn sie einher. Alle Gründe des Erdreichs wanken: »Selber ich hatte gesprochen: ›Götter seid ihr, Söhne des Höchsten ihr alle!‹ – jedoch wie Menschen müsset ihr sterben, wie irgendeiner der Fürsten fallen.«

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Auf, Gott, richte das Erdreich! Denn du bists, der zu eigen hat die Weltstämme alle. Je tiefer meine Lebenserfahrung dringt, um so gründlicher lerne ich diesen vielfältig gedeuteten und doch letztlich so eindeutigen Psalm verstehen. Er will freilich mehr als irgend ein anderer für sich betrachtet werden. Zunächst muß man seinen Aufbau, einen großartig strengen und genau in sich stimmenden, überschauen. Dieser Aufbau ist davon bestimmt, daß der Psalm nicht, wie die allermeisten, ein Gefühl ausdrückt, sondern einen – imaginären oder visionären – Vorgang darstellt. Inmitten dieses Vorgangs stehen zwei Gottes-

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reden, in zwei verschiedenen Stadien des Vorgangs gesprochen. Sie sind eingefaßt in die Sprüche des Psalmisten: der erste zeigt die Situation des Vorgangs auf, der zweite führt von seinem ersten zum zweiten Stadium über, der dritte aber, mit dem der Psalm schließt, verläßt den geschauten Vorgang und ruft, gleichsam aus ihm folgernd, den darin handelnden Gott unmittelbar auf. Um was es geht, das wird auch diesmal durch die mehrfach wiederkehrenden Motivworte hervorgehoben. Es sind ihrer fünf, zwei primäre, die je vier- bis fünfmal, und drei sekundäre, die nur zweimal wiederholt werden. Die primären sind: »Gott, Götter«, und »richten, rechten, Gericht«: Gott richtet hier über Götter, und zwar hinsichtlich ihres Richtens. Die sekundären Motivworte sind: »Erdreich«, »Schwache« und »Frevler«; es geht nicht um den Himmel, sondern um die Erde, um die Erde des Menschen, und innerhalb der Menschenwelt geht es um die Schwachen, die Gebeugten, die Armen und Dürftigen (die Synonyme dienen der Verstärkung des Wesentlichen) – es geht darum, daß ihnen ihr Recht gegen die Frevler werde. Gott richtet die »Götter«, weil sie in ihrer richterlichen Funktion den Schwachen des Erdreichs nicht ihr Recht werden lassen. Das Bild der geschauten Situation, mit dem der Psalm beginnt, ist dies, daß Gott einer »Gemeinde«, genauer: einer entweder durch Verabredung oder durch Einberufung – hier durch letztere – versammelten Gemeinschaft von Wesen »vorsteht«. So steht Samuel (1 Samuel 19, 20) der von ihm geleiteten Bande von Kündern als Chorführer vor, nur daß sein Aufrechtstehen im Gegensatz zu den rings um ihn – wie wir es noch heute bei Derwischbanden sehen – am Boden Kauernden betont wird, wogegen Gott im Psalmbild offenbar die ihn im Ring Umstehenden überragt. Und weiter: sein Vorstehen bedeutet ein Richten. Die Versammlung ist von Gott einberufen, damit er über die Versammelten richte. Wer aber sind sie? Ihre Gemeinschaft wird zunächst als eine »El«-Gemeinschaft, als eine Gottmacht-Gemeinschaft bezeichnet, das heißt, als eine Gemeinschaft von mit Macht göttlichen Ursprungs belehnter Wesen, als eine Gemeinschaft von Wesen, denen Macht von Gott als dem einzigen Machtverleiher verliehen worden ist; so wird biblisch von gewaltigen Bergen, so von den Fixsternen geredet, um auf die Gottesdynamik hinzuweisen, der ihre Majestät entstammt. Sodann aber werden jene Wesen selber »Götter« genannt. Daß das nicht als eine metaphorische Bezeichnung für menschliche Obrigkeit zu verstehen ist, geht aus der zweiten Gottesrede zur Genüge hervor, die über die »Götter« verhängt, sie müßten »wie Menschen sterben«. Um Art und Wirksamkeit jener Wesen zu

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erfassen, müssen wir uns einige Wendepunkte in der Auseinandersetzung der biblischen Religion mit der Völkergeschichte vergegenwärtigen. Schon die älteste Schriftprophetie stand der Tatsache gegenüber, daß andere Völker ähnliche Überlieferungen ihrer Wanderung und Siedlung besaßen wie Israel und daß jedes dieser Völker seinen angestammten, seinen Stammesgott als den Anführer jener Züge verehrte, auf denen der Stamm oder Stammesbund zum Volk erwachsen und in die Völkergeschichte eingeschritten war. Wie sind – das ist die Frage, die die Propheten antrat – diese Traditionen mit dem Grundfaktum der Erwählung Israels zu vereinbaren, das ja die Souveränität JHWHs über die Völker voraussetzt, unter denen er gewählt hat? Die prophetische Antwort finden wir in jenem Spruche Amos’ (9, 7), JHWH sei es, der wie Israel so auch die anderen Völker auf ihren geschichtsbildenden Wanderungsund Siedlungszügen geführt habe, wogegen er freilich (3, 2) nur Israel seines unmittelbaren Umgangs gewürdigt habe. Damit waren all die Nationalgötter als Masken oder Zerrbilder des einen wahren Völkerbefreiers, des Herrn der Geschichte, dem Israel huldigt, gekennzeichnet. Nun aber trat dieser Glaubensexklusivität die Geschichtserfahrung entgegen, daß auch zu Zeiten, da Israel in seinem Gottesverhältnis echte Bundestreue übte, zuweilen eins jener Nachbarvölker, die einst eben von JHWH selber hierher geführt worden waren, es im Kampf niederzwang – eine Erfahrung, die besonders in ihrer empfindlichsten Gestalt, unter Josia, die großen Zweifelsfragen aufrührte und sehr mannigfache Antworten darauf hervorrief. Eine von diesen war, daß den Nationalgöttern eine Art von selbständiger Existenz und damit auch selbständigem geschichtlichem Handeln zugestanden wurde, so daß man die Niederlagen eines bundestreuen Israels ihnen zuschreiben konnte; doch war ihr historisches Walten jeweils durch die ihnen allen durchaus überlegene Macht JHWHs eingeschränkt, die in letzter Instanz allein entschied. Ein bemerkenswertes Zeugnis dieser Auffassung ist der vermutlich aus josianischer Zeit stammende Text der Botschaft Jephtas an den Ammoniterkönig (Richter 11). Zuerst schlägt jener ihm vor, es sollten die Grenzen des jedem der beiden Völker von dessen Gott angewiesenen Gebietes von dem andern Volk respektiert werden, JHWH wird somit auf derselben Ebene wie die anderen Nationalgötter gesehen; wenn dies aber nicht zugestanden würde, dann, so fährt die Botschaft fort, »richte JHWH der Richter heut zwischen den Söhnen Israels und den Söhnen Ammons!« Hier ist Israels Gott nicht mehr einer unter den Göttern der Völker, sondern der allen überlegene Souverän der Völkerwelt, dem unverbrüchlich die Entscheidung zusteht, welches von ihnen je und je recht, welches unrecht habe, und der seiner Entscheidung gemäß das

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Urteil fällt, also die Völkergeschichte bestimmt, der Richter schlechthin. Im Gange der Botschaft werden wir aus dem Bereich der relativen Geschichtsmächte in den der absoluten Geschichtsmacht versetzt. Von hier führt ein Weg bis zu jener Geschichtsperspektive des Danielbuches, wo jedes Land und Volk durch einen Fürstengel vertreten wird und wie Persien und Griechenland so auch Israel den seinen besitzt, also die Unmittelbarkeit zum Herrn der Völkerwelt eingebüßt hat. Wohl die wichtigste Station auf diesem Wege ist unser Psalm. Um Gericht über die himmlischen Völkerfürsten zu halten, ist Gott der Richter in ihre von ihm einberufene Versammlung getreten. Das ist nicht der kosmische Kreis eines Himmelsheers, wie er in der prophetischen Vision (1. Könige 22, 19) den höchsten Thron umgibt, und aus dem kosmische Kräfte beauftragt werden, menschliche Regenten zu törichten Geschichtshandlungen zu verleiten. Die versammelten Machtwesen sind nicht kosmischer, sondern selber geschichtlicher Art, wie wir sie aus Daniel kennen. Das geht aus der ersten Gottesrede deutlich hervor. Die Hauptfunktion, mit der sie betraut sind, ist das Richten des Erdreichs, und offenbar haben sie es nicht gemeinsam zu richten, sondern es ist unter sie verteilt, und jedem von ihnen ist Land und Volk eigentümlich zugewiesen. Jeder von ihnen ist ein Statthalter Gottes und offenbar wie die »Richter« der israelitischen Frühzeit berufen, für sein Volk nach außen und nach innen Recht zu schaffen. Nach außen mögen sie alle ihres Amtes redlich gewaltet und jeder die Sache seines Volkes, sofern es eine gerechte Sache war, zulänglich vertreten haben; denn davon redet Gott nicht. Wessen er sie alle mitsammen anklagt, ist ihre Ungerechtigkeit nach innen, genauer: das Versagen dem sozialen Unrecht gegenüber. Statt, wie es ihnen aufgegeben war, dem Macht- und Schutzlosen zu seinem Recht dem Unterdrücker gegenüber zu verhelfen, haben sie diesem, eben weil er an der Macht war, alles, was er begehrte, zugesprochen. Es ist, ins Mythische übertragen, die prophetische Forderung an die Könige von Israel und die prophetische Anklage dieser Könige, die hier aus Gottes Mund ertönt. Vom Anbeginn der Staatszeit haben die Propheten die Salbung der Könige als die sakramentale Besiegelung des Auftrags verstanden, als Statthalter Gottes ein Reich der Gerechtigkeit zu erbauen. Die Psalmisten geben diesem Tatbestand einen persönlichen Ausdruck. Sie sprechen den König an (45, 9): »Du liebst Gerechtigkeit und hassest den Frevel, darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt …« Sie bitten Gott (72, 1 f.), dem König seine Rechtsbräuche zu verleihen, damit dieser über das Volk in Gerechtigkeit schalte. Seine rettende Gerechtigkeit dem »Dürftigen« gegenüber wird hier in derselben Sprache geschil-

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dert, in der sonst von der Gerechtigkeit Gottes geredet wird: die statthalterische Funktion meint zuinnerst eine Nachahmung des Herrn der Welt. Dessen Gerechtigkeit soll sein irdischer Vertreter offenbar machen. Wenn er darin versagt, ist er seines Amtes unwürdig geworden und wird »verworfen«, auch wenn er seinem Volk nach außen sein Recht schuf. Denn, so lehrt die prophetische Erkenntnis, eine menschliche Gemeinschaft kann nur in dem Maße wahrhaft bestehen, als sie eine wahre Gemeinschaft von Menschen wird. Wie den König über Israel, so hat Gott in unserem Psalm die Zwischenwesen, die hier »Götter« und anderswo »Gottessöhne« genannt werden, über die Völker der Erde gesetzt, jeden über eins der Völker, um in dessen Struktur und Regiment die Gerechtigkeit des Weltrichters offenbar zu machen. In seiner ersten Rede klagt Gott sie an: sie haben nicht nach seiner Ordnung und Anordnung, sondern in der Weise des Falschen und Argen gerichtet, indem sie die gegen Gottes Recht frevelnden Machthaber in ihrer Macht bestätigten und beglaubigten, statt mit der ihnen gegebenen Vollmacht das Böse zu entmächtigen. Aber noch ist ihnen geheime Frist gesetzt: auf die Anklage folgt die Ermahnung. Noch einmal wird ihnen gesagt, was ihres Amtes ist: ihr Richten muß ein Rechten für die Schwachen sein, es liegt ihnen ob, die gute Sache des Gebeugten zur Weltgeltung zu bringen, retten sollen sie die Verfolgten vor den hochfahrenden Verfolgern. Nun aber geschieht das Ungeheure: die Statthalter geben auch der Mahnung des Herrschers keine Folge. Diesen Vorgang, den passiven Aufstand der Engel, erfahren wir in der Form eines Zwischenspruchs des Psalmisten. Er sagt jedoch nicht etwa, jene weigerten sich zu gehorchen. Er sagt vielmehr, sie erkennten nicht und wüßten nicht zu unterscheiden. Sie verstehen das Gotteswort in seinem Wesen und in seiner Absicht nicht. In unsere Begriffssprache übersetzt: sie wollen die Geschichte des Menschengeschlechts als eine Fortsetzung der Naturgeschichte führen und lassen nicht von dem Wahn, der Weg des Menschen sei von den allgemeinen Gepflogenheiten der Lebewesen aus zu bestimmen. Dieser Wahn ist es ja, der ihnen ihre Selbstherrlichkeit ermöglicht; nur als biotische Mächte können sie sich in der Menschenwelt souverän denken – sowie sie die Zuständigkeit eines Gottesrechtes anerkennen, sind sie nur noch regierende Untertanen. In der »Verfinsterung« ihres Wahns gehen die Zwischenwesen unter dem Wort des Richters einher und haben sein nicht acht. Da spricht ihnen Gott das Urteil, und er spricht es so, daß »alle Gründe des Erdreichs wanken«, denn bei Gott ist keine Scheidung zwischen Urteil und Vollstreckung. Das Urteil lautet auf Entgottung. Einst, sagt

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Gott zu den Widerspenstigen, habe ich euch zugesprochen, Götter, Gottessöhne zu sein und in meiner Ewigkeit mit mir zu leben, nun aber, da ihr wie die Menschenfürsten vor dem Geheiß meiner Gerechtigkeit versagt habt, spreche ich euch den Menschentod zu. Hier endet die Gottesrede und endet – mit dem nur angedeuteten Untergang der »Götter« – der Vorgang, den der Psalmist aus seiner Schau uns zu berichten hat. Aber sein Gesang ist nicht zu Ende, vielmehr erklingt jetzt erst, nur wenige Worte umfassend und doch alles sagend, was jetzt noch zu sagen ist, der eigentliche Psalm. Von uns ab wendet sich der Sprecher Gott zu. »In meiner Schau«, redet er zu ihm, »habe ich gesehen, wie du das Geschichtsregiment deiner unbotmäßigen Statthalter zunichte machst. Es ist an dem, Herr! Da die von dir mit richterlichem Amt Betrauten dem Unrecht erlagen, hebe du das Walten der Zwischenwelt auf, verzichte auf die untaugliche Handlangerei, in deiner Gerechtigkeit unmittelbar richte du selber das Erdreich! Dein eigen sind die Völker, führe sie als dein Eigen! Beschließe die dem Wahn und Frevel verfallene Geschichte des Menschen, eröffne seine wahre Geschichte!« Ein jüdischer Mensch unserer Zeit, Franz Kafka, hat mit seinen Werken einen Kommentar zu den Voraussetzungen dieses Psalms verfaßt. Ich sage: zu seinen Voraussetzungen, nicht zu ihm selber. Kafka beschreibt die Menschenwelt als eine den Zwischenwesen überantwortete, mit der sie ihr wüstes Spiel treiben. Von dem unbekannt Verbleibenden, der ihnen diese Welt in die unreinen Hände gab, dringt zu uns keine tröstende, keine verheißende Botschaft. Er ist, aber er ist nicht da. Was in die Betrachtung Kafkas als des Menschen unserer Zeit nicht eingegangen ist, steht in diesem Psalm.

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Das Herz entscheidet 73 Ein Psalm Asafs

Gewiß, gut ist zu Israel Gott: zu den am Herzen Lautern. Ich aber, ein weniges noch, so bogen ab meine Füße, ein Nichts, und mein Schritt kam ins Stolpern. Denn eifersüchtig war ich auf die Prahler, da den Frieden der Frevler ich sah. Denn keine Klammern gibt es für sie, heil und feist ist ihr Wanst, in der Mühsal des Menschen sind sie nie, mitsamt den Leuten werden sie nicht geplagt. Drum ist Hoffart ihr Nackengeschmeid, hängt Unbill als Putz ihnen um. Aus dem Fett dringt ihr Auge hervor, drüber ziehn die Malereien des Herzens. Sie grinsen und reden im Argen, Bedrückung reden sie von oben herab. Sie setzen an den Himmel ihr Maul, ihre Zunge ergeht sich auf der Erde. Drum jenes: »Kehre nur hierher sich sein Volk, Wasser können sie sich schlürfen die Fülle!« Und sie sprechen: »Wie kennte Gott das! gibts Kenntnis beim Höchsten?!« Da sind nun diese: Frevler, zufrieden hin in die Zeit haben sie Macht erlangt! Nur ins Leere klärte ich mein Herz, badete meine Hände in Schuldlosigkeit, war geplagt doch all den Tag, morgendlich ward Züchtigung mir! Hätte ich gesprochen: »Berichten will ichs wies ist!«, da hätte ich das Geschlecht deiner Söhne verraten. Doch wie ich plante dies zu erkennen,

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Mühsal wars meinen Augen, bis ich an Gottes Heiligtümer kam, auf jener Zukunft konnte ich nun achten: nur auf Schlüpfriges hast dus ihnen gesetzt, in Berückungen lässest du sie verfallen. Wie werden sie zu Starrnis im Nu, verenden, verscheiden vor Grausen! Wie einen Traum nach dem Erwachen, mein Herr, verlachst du, wann du dich regst, ihr Schattengebild. Wenn aufgor mein Herz, ich mirs schneiden ließ in die Nieren, dumm war ich und erkannte nicht, viehgleich bin ich bei dir gewesen. Und doch bleibe ich stets bei dir, meine rechte Hand hast du erfaßt. Mit deinem Rate leitest du mich, und danach nimmst du mich in Ehren. Wen habe ich im Himmel! aber bei dir habe ich nicht Lust nach der Erde. Schwindet mein Fleisch und mein Herz, der Fels meines Herzens, mein Teil, bleibt Gott in die Zeit. Denn, da, die dir fern sind, verlieren sich, aufreibst du alles, was abbuhlt von dir, ich aber, Gott Nahen ist mir das Gute, in meinen Herrn, DICH, habe ich meine Bergung gesetzt: all deine Arbeiten zu berichten. Ich kehre heute wieder einmal zu diesem Psalm zurück, den ich einst, Franz Rosenzweigs Willen gemäß, bei seiner Grablegung gesprochen habe. Was ist es doch, das mich an diesem aus Schilderung, Bericht und Bekenntnis zusammengefügten Gedicht so anzieht, und immer noch mehr, je älter ich werde? Ich denke, es ist dies, daß hier ein Mensch berichtet, wie er zum wahren Sinn seiner Lebenserfahrung gelangt ist und daß dieser Sinn unmittelbar an das Ewige rührt. Wir lernen ja gerade die wichtigsten Erfahrungen, die wir mit der Welt machen, zumeist nur allmählich verstehen. Erst nehmen wir hin, was sie uns zu bieten scheinen, sprechen es aus, verweben es zur »Anschauung« und meinen nun unsre Welt inne zu haben. Aber es erweist sich, daß das

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in dieser Anschauung Angeschaute nur ein Schein ist. Nicht daß uns unsere Erfahrungen getrogen hätten. Wir hatten sie nur eben verwendet, ohne ihnen auf den Grund zu gehen. Was lehrt uns ihnen auf den Grund gehen? Tiefere Erfahrung. Der Mann, der in diesem Psalm redet, berichtet uns, wie er einer gewichtigen Gruppe von Erfahrungen auf den Grund gekommen ist. Es sind die Erfahrungen, die besagen, daß es den Schlechten gut gehe. Es handelt sich hier also scheinbar nicht um die eigentliche Hiobsfrage, warum es den Guten schlecht gehe, sondern eher um ihre Kehrseite, wie wir sie wohl zuerst und aufs genaueste ausgesprochen bei Jeremia finden: »Warum glückt der Weg der Frevler?« Dennoch beginnt der Psalm mit einem dem Bericht vorausgeschickten Satz, in dem man, wenn man ihn recht betrachtete, die Hiobsfrage verborgen findet. Dieser Satz, der Vorspruch des Psalms, lautet: Gewiß, gut ist zu Israel Gott: zu den am Herzen Lautern. Freilich geht es hier nicht um Glück oder Unglück der Person, sondern um Glück oder Unglück Israels. Aber die Erfahrung, die hinter den Reden Hiobs steht, ist ja, wie in manchem deutlich wird, selber keine nur persönliche, sondern es ist die des Leidens Israels in der Katastrophe, die zum babylonischen Exil führte, und in dessen Anbeginn. Wohl konnte nur einer, der die Tiefe des persönlichen Leids ermessen hatte, so reden; aber es ist ein Mann aus Israel in dessen bitterer Notstunde, und in seinem persönlichen Leid hat sich das Israels verdichtet, so daß er nun, was er zu leiden hatte, als Israel durchlitten hat. Im Schicksal der echten Person sammelt sich ja das Schicksal ihres Volkes ein und wird nun erst wahrhaft offenbar. So fängt auch dieser Psalmist, der vom Los der Person zu reden hat, mit dem Los Israels an. Hinter seinem einleitenden Satz steht die Frage: »Warum geht es Israel schlecht?« Und er antwortet zunächst. »Nicht doch, Gott ist gut zu Israel«. Dann aber fügt er erklärend hinzu: »zu den am Herzen Lautern«. Das scheint auf den ersten Blick zu bedeuten: nur zu den Unreinen in Israel ist Gott nicht gut, zu den Reinen in Israel ist er gut, sie sind der »heilige Rest«, das wahre Israel, zu dem er gut ist. Das liefe ja aber doch auf die Behauptung hinaus, daß es diesem Rest gut gehe; und der Fragende war doch eben von der Erfahrung ausgegangen, daß es Israel, diesen seinen Teil gewiß nicht ausgenommen, schlecht gehe. Die Antwort, so verstanden, wäre keine. Wir müssen den Satz tiefer durchdringen. Der Fragende hat aus der

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Tatsache, daß es Israel schlecht geht, gefolgert: also ist Gott zu Israel nicht gut. Aber so folgert nur, wer am Herzen nicht lauter ist. Wer am Herzen lauter ist, wer am Herzen lauter wird, kann gar nicht so folgern. Denn er erfährt, daß Gott zu ihm gut ist. Damit ist aber nicht etwa gemeint, daß Gott ihn mit seiner Güte belohne. Sondern: dem am Herzen Lautern offenbart sich Gottes Güte, er erfährt sie. Insofern Israel am Herzen lauter ist, lauter wird, erfährt es Gottes Güte. Somit verläuft die wesentliche Scheidelinie nicht zwischen Menschen, die sündigen, und Menschen, die nicht sündigen, sondern eben zwischen den am Herzen Lautern und den am Herzen Unlautern. Auch der Sünder, dessen Herz sich läutert, erfährt Gottes Güte, da sie sich ihm offenbart. In dem Maße, als Israel sein Herz läutert, erfährt es, daß Gott zu ihm gut ist. Von hier aus ist alles zu verstehen, was in dem Psalm von den »Frevlern« gesagt ist. Die »Frevler« sind die in der Unlauterkeit des Herzens willentlich Beharrenden. Der Wesensstand des Herzens entscheidet, ob einer in der Wahrheit steht, in der die Güte Gottes erfahren wird, oder im Schein, darin die Tatsache, daß es einem »schlecht geht«, mit dem Wahnbild verwechselt wird, daß Gott zu einem nicht gut sei. Der Wesensstand des Herzens entscheidet. Darum ist »Herz« das beherrschende Wort dieses Psalms, sechsmal wiederkehrend. Und nun, nach dieser vorausgeschickten Grundthese, beginnt der Sprecher von den Irrwegen seiner Lebenserfahrung zu erzählen. Daß er Tag um Tag das Wohlergehen der »Frevler« sah und ihr Prahlen hörte, hat ihn dem Abgrund des verzweifelnden Unglaubens, des an einen lebendigen und ins Leben wirkenden Gott nicht mehr Glaubenkönnens ganz nah gebracht. »Ich aber, ein weniges noch, so bogen ab meine Füße, ein Nichts, und mein Schritt kam ins Straucheln.« Er gerät so weit, auf die »Frevler« um ihrer Vorzugsstellung willen eifersüchtig zu sein. Es ist nicht Neid, was er empfindet, es ist die Eifersucht, daß sie – gerade sie! – von Gott sichtlich bevorzugt sind. Daß sie es sind, erweist sich ihm an ihrer Geschütztheit dem Schicksal gegenüber. Für sie gibt es nicht 1 , wie für die andern alle, jene »Klammern« des Schicksals, die einen zwingen und beschränken; »in der Mühsal des Menschen sind sie nie«. Und so dünken sie sich denn auch allen überlegen und stolzieren mit ihrem »heilen und feisten Wanst« herum, und wenn man ihnen in das Auge blickt, das aus dem Fett ihres Gesichts hervordringt, sieht man »die 1.

Zum Folgenden: Ich lese, wie fast allgemein angenommen wird, »lamo tham« statt »lemotham«.

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Malereien des Herzens«, die Wunschbilder ihres Übermuts und ihrer Grausamkeit, darüber ziehen. Ihr Verhältnis zur mitmenschlichen Welt ist Hoffart und Tücke, Arglist und Ausnützung. »Bedrückung reden sie von oben herab« und »setzen ihr Maul an den Himmel«. Davon, was dieses an den Himmel gesetzte Maul von sich gibt, führt der Psalmist zwei als bekannt vorausgesetzte kennzeichnende Sprüche an. In dem einen (durch »darum« = »darum sprechen sie« eingeleiteten) machen sie sich über Gottes Beziehung zu »seinem Volk« lustig. Die da reden, befinden sich anscheinend in Palästina als Latifundienbesitzer und spotten darüber, daß nun auch das besitzlose Volk, den Weissagungen gemäß, aus dem Exil zurückkehren wird: Wasser hat ihnen der Prophet des Exils verheißen (Jesaja 41, 17 f.), »Wassers können sie sich schlürfen die Fülle«, viel anderes werden sie hier freilich nicht finden, es sei denn, daß sie den Redenden dienstbar werden. Im andern Spruch antworten sie anscheinend auf die ihnen gemachten Vorhaltungen: man ermahnt sie, Gott sehe und kenne die von ihnen geübte Unbill, aber der Himmelsgott hat anderes zu tun, als sich mit solchen irdischen Angelegenheiten zu befassen: »Wie kennte Gott das! gibts Kenntnis beim Höchsten?!« Und Gottes Verhalten bestätigt sie, die in behaglicher Sicherheit Dahinlebenden: »sie haben Macht erlangt«, ihrer ist die Macht. Dies war der erste Abschnitt des Psalms, darin der Sprecher seine schwere Lebenserfahrung, das Glück der Schlechten, geschildert hat. Jetzt aber geht er dazu über, zu erzählen, wie sich sein Verständnis dieser Erfahrung von Grund aus gewandelt hat. Da er immer wieder sein eigenes Leiden und ihr »grinsendes« Behagen gegeneinanderhalten mußte, überwältigt es ihn: es ziemt mir nicht, so zu vergleichen, ist doch mein eigenes Herz nicht rein! Und er ging daran, es zu reinigen. Umsonst! Auch als er dazu gelangte, »seine Hände in Unschuld waschen« zu dürfen (was hier keineswegs eine Handlung oder ein Gefühl der Selbstgerechtigkeit, sondern die echte, durch ein großes Ringen der Seele gewonnene zweite und höhere Reinheit bedeutet), dauerte die Plage fort, die er nun an sich wie einen Aussatz empfand, und wie der Aussatz vom biblischen Menschen als Heimsuchung für die gestörte Beziehung zwischen Himmel und Erde verstanden wird, so kam es über den Psalmisten an jedem Morgen, nach jeder vom zehrenden Leid durchzogenen Nacht: Das ist ja Züchtigung – wofür werde ich gezüchtigt? Und wieder stellte sich das abscheuliche Rätsel des Frevlerglücks seinem Leide entgegen. Hier trat ihn die Versuchung an, wie Hiob Gott anzuklagen. Es trieb ihn an zu »berichten wie es ist«. Aber er bekämpfte und überwand die Versuchung. Die Erzählung dieser Überwindung erfolgt hier in der

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stärksten dem Sprecher gegebenen Ausdrucksform, dem des Anrufs an Gott. Er unterbricht seine objektivierte Rechenschaft und redet Gott an. Wenn ich dem innern Drängen gefolgt wäre, sagt er zu ihm, und ausgesprochen hätte, wie ich die Menschenwelt in deinem Walten sah, »hätte ich ja das Geschlecht deiner Söhne verraten«. Das Geschlecht der Söhne Gottes! Damals wußte er noch nicht, daß die am Herzen Lautern Gottes Kinder sind, jetzt weiß er es. Sie hätte er verraten, wenn er aufgestanden und Gott angeklagt hätte. Denn sie beharren im Leid und klagen nicht. Die Worte klingen uns, als stellte ihr Sprecher diese »Söhne Gottes« dem klagenden »Knecht Gottes«, Hiob, gegenüber. Er, der Psalmist, hat auch in den Stunden, da sich ihm der Widerstreit der Menschenwelt ins gereinigte Herz brannte, geschwiegen. Aber er bot nun alle Kraft seines Gedankens auf, um den Sinn dieses Widerstreits zu »erkennen«. Er strengte die Augen des Geistes an, um das Dunkel zu durchdringen, das den Sinn ihm verdeckte. Aber er nahm nichts wahr als nur stets aufs neue den gleichen Widerstreit, und diese Wahrnehmung selber erschien ihm nun als ein Stück jener »Mühsal«, die allen Menschen mit Ausnahme der sorglosen »Frevler« auferlegt ist – auch den am Herzen Lautern. Er war einer von ihnen geworden, und doch erkannte er nicht, daß »Gott zu Israel gut ist«. »Bis ich an Gottes Heiligtümer kam.« Hier vollzieht sich die eigentliche Wende dieses exemplarischen Lebens. Wer am Herzen lauter wird, habe ich gesagt, erfährt, daß Gott zu ihm gut ist. Aber er erfährt es nicht als Folge der Herzensläuterung, sondern, weil er erst als Lauterer zu den Heiligtümern kommen kann. Womit hier nicht die Tempelstätte in Jerusalem gemeint ist, sondern die heiligen Mysterien Gottes. Nur wer ihnen nahte, dem wird der wahre Sinn des Widerstreits offenbar. Der wahre Sinn des Widerstreits aber, den der Psalmist nur für die Gegenseite, für die »Frevler« ausspricht, wie er ihn im Vorspruch für die rechte Seite, für die »am Herzen Lautern« ausgesprochen hat, ist nicht – wie die jetzt folgenden Worte mißzuverstehen ihr Leser sich nur zu leicht verleiten läßt –, daß der gegenwärtige Zustand durch einen ganz anders gearteten künftigen abgelöst würde, daß es »am Ende« den Guten gut und den Schlechten schlecht gehen wird, sondern es bedeutet in der Sprache des modernen Denkens, daß die Schlechten nicht wahrhaft existieren, und ihr »Ende« bringt nur diese Änderung herbei, daß sie ihre Nichtexistenz, deren Ahnung zu verdrängen ihnen immer wieder gelang, nun unverdrängbar erfahren. Ihr Bestand war »auf Schlüpfriges gesetzt«, er war darauf angelegt, aus der »Berückung« ins Wissen der eignen Nichtigkeit zu entgleiten, und da das endlich, »im Nu«, geschieht, stürzt das

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große Grausen sich auf sie, und sie vergehen im Grausen. Ihr Dasein ist ein Schattengebild in einem Traume Gottes gewesen. Gott erwacht, schüttelt den Traum ab und sieht verächtlich dem zerfließenden Schattenbild nach. Diesen Einblick, den der Psalmist getan hat, als er den heiligen Mysterien Gottes genaht war, wo der Widerstreit sich auflöst, spricht er wieder nicht im Zusammenhang seines Berichts, sondern in einer diesen unterbrechenden Anrede an »seinen Herrn« aus. Und in derselben Anrede bekennt er in derber Selbstkritik, daß sich ihm damals zugleich der Irrtumsstand auftat, in dem er bis dahin gelebt und an dem er so gelitten hatte: »Wann aufgor mein Herz, ich mirs schneiden ließ in die Nieren, dumm war ich und erkannte nicht, viehgleich bin ich bei dir gewesen.« Mit diesem »bei dir« schließt bedeutsam der mittlere Teil des Psalms, und bedeutsam nimmt die erste Verszeile des nun folgenden letzten Teils – nach Schilderung und Bericht das Bekenntnis – an ihrem Schluß das Wort auf. Das »Und ich bin« an ihrem Anfang muß hier emphatisch verstanden werden: »Und doch bin ich«, – »Und doch bin ich stets bei dir«. Gott rechnet dem lauter gewordenen Herzen nicht an, daß es früher »aufzugären« pflegte. Gewiß, auch der Irrende und Ringende war schon »bei ihm«, denn wer um Gott ringt, ist ihm nah, auch wenn er sich in die Gottferne verbannt wähnt – das ist ja das Eigentliche, was wir von der Offenbarung an Hiob aus dem Sturm, in der Stunde von Hiobs äußerster Verzweiflung (30, 20-22) und äußerster Bereitschaft (31, 35-37) lernen. Was aber zum Unterschied vom Hiobbuch der Psalmist uns lehren will, ist, daß die Tatsache dieses Bei-Gott-Seins des Ringenden ihm in der Stunde offenbar wird, da er, durch Zweifel und Verzweiflung nicht zum »Verrat« verführt, lautern Herzens geworden, »an Gottes Heiligtümer kommt«. Hier empfängt er die Offenbarung des »stets«. Wer lauteren Herzens dem göttlichen Geheimnis naht, erfährt, daß er stets bei Gott ist. Es ist eine Offenbarung. Man würde das Verständnis des Ganzen verfehlen, wenn man hier an ein frommes Gefühl dächte. Vom Menschen aus gibt es keine Stetigkeit, nur von Gott aus. Der Psalmist hat erfahren, daß Gott und er stets beieinander sind. Aber er vermag seine Erfahrung nicht als ein Wort Gottes auszusprechen. Der Erzähler der Urgeschichten ließ Gott zu den Vätern und zu den ersten Volksführern sagen »Ich bin bei dir«, und unverkennbar klang das »stets« mit an. Hernach wird solches nicht mehr berichtet, nur in seltenen Prophetien hören wir dergleichen wieder. Noch spricht ein Psalmist (23, 5) zu Gott: »Du bist bei mir«. Aber wenn Hiob (29, 15) davon redet, Gott sei in seiner Jugend bei ihm gewesen, ist eben das Fundamentale, das »stets«, hinweggenommen. Der Sprecher unseres Psalms setzt es als erster und einziger ausdrücklich ein,

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aber er sagt nicht mehr: »Du bist bei mir«, sondern: »Ich bin stets bei dir«. Das jedoch kann er nicht von seinem Bewußtsein und Gefühl aus sagen, denn kein Mensch vermag in steter Gegenwart Gott zugewandt sein, sondern nur von der Offenbarung aus, daß Gott stets bei ihm ist. Die zentrale Erfahrung wagt der Psalmist nicht mehr als Wort Gottes auszusprechen; aber er spricht sie in einer Gebärde Gottes aus. Gott hat seine rechte Hand erfaßt – wie ein Vater, so dürfen wir wohl im Einklang mit jenem Ausdruck »das Geschlecht deiner Söhne« ergänzen, seinen kleinen Sohn an der Hand nimmt, um ihn zu führen. Genauer: wie im Dunkel ein Vater seinen kleinen Sohn an der Hand nimmt, und zwar gewiß um ihn zu führen, zuallererst aber um es ihm in den Ängsten der Finsternis blutwarm gegenwärtig zu machen, daß er, der Vater, stets bei ihm ist. Gleich danach wird freilich auch das Führen selber ausgesprochen: »Mit deinem Rate wirst du mich leiten.« Soll dies aber dahin verstanden werden, daß der Sprecher von Gott erwartet, er werde ihm in den wechselnden Situationen seines Lebens jeweils empfehlen, was er tun und was er lassen solle? Das hieße ja, der Psalmist glaube, nunmehr ein konstantes Orakel zu besitzen, das ihn des eignen Wägens und Beschließens enthebt. Ich kann es, gerade weil ich diesen Mann so ernst nehme wie ich ihn nehme, nicht so verstehen. Der leitende Rat Gottes scheint mir nichts andres als die sich dem lauteren Herzen unmittelbar mitteilende göttliche Gegenwart zu sein. Wer dieser Gegenwart inne ist, handelt in den wechselnden Situationen seines Lebens anders, als wem sie unmerklich bleibt. Sie, die Gegenwart, wirkt als Rat: Gott rät, indem er zu wissen tut, daß er da ist. Er hat den Sohn aus dem Dunkel ans Licht geführt, nun kann der im Lichte wandeln. Des eignen Ausschreitens und Schrittrichtens ist er nicht enthoben. Der offenbare Einblick hat mit dem Sinn der Lebenserfahrung das Leben selber gewandelt. Er wandelt aber auch die Perspektive des Todes. Für den »Geplagten« war der Tod nur die Mündung, zu der hin der träge Strom des Leids und der Mühsal verfließt. Jetzt aber ist er der Vorgang geworden, in dem Gott, der stets Gegenwärtige, der an der Hand Fassende, der »Gute«, einen »nimmt«. Als ein Genommenwerden, durch Gott selber Hinweggenommenwerden hatten die Legendenerzähler die Entrückung des lebenden Henoch, des lebenden Elias in den Himmel bezeichnet. Die Psalmisten haben die Bezeichnung aus dem Bereich der Wundergeschichte in den der persönlichen Frömmigkeit und ihres persönlichsten Ausdrucks verpflanzt. In einem dem unsern sowohl sprachlich und stilistisch als auch in Inhalt und Grundgefühl verwandten Psalm, dem neunundvierzigsten, heißt es:

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»Jedoch abgelten wird Gott meine Seele aus der Hand der Scheol, des Gruftreichs, wenn er mich nimmt«. Von der mythischen Vorstellung der Entrückung ist hier nichts mehr übrig geblieben. Aber nicht das allein: auch vom Himmel ist nichts mehr übrig geblieben. Es steht hier nichts davon, daß man nach dem Tode in den Himmel kommen könne. Und, soweit ich sehe, steht auch sonst nirgends im »Alten Testament« etwas davon. Dem scheint freilich eben der in unserem Psalm auf die Worte »Mit deinem Rat wirst du mich leiten« folgende Satz zu widersprechen. So war es mir selbst einst erschienen, als ich ihn übersetzte: »Und künftig nimmst du mich auf in die Ehre«. Aber ich kann diese Interpretation heute nicht mehr verantworten. Im Urtext stehen hier drei Worte. Das erste »Danach«, ist eindeutig: nachdem du mich den Rest meines Lebens hindurch mit deinem Rate geleitet hast, also: am Ende meines Lebens. Das zweite bedarf einer strengeren Prüfung. Uns in der Vorstellungswelt einer späten Unsterblichkeitslehre Aufgewachsenen ist es fast selbstverständlich, »Du wirst mich nehmen« zu verstehen: Du wirst mich aufnehmen. Der zeitgenössische Hörer oder Leser verstand wohl nichts anderes als: Du wirst mich hinwegnehmen. Steht dem aber nicht das dritte Wort, kabod, entgegen? Sagt es nicht, wohin ich genommen werde, nämlich in die »Ehre« oder »Glorie«? Eben doch nicht. Es so zu verstehen, wird man gerade dadurch verleitet, daß man zuerst »aufnehmen« verstanden hat statt »nehmen«. Es ist ja dies nicht die einzige Schriftstelle, wo Tod und Kabod zusammentreffen. In dem Liedspruch Jesajas auf den toten König von Babylon, der einst wie der Morgenstern den Himmel ansteigen wollte, heißt es (14, 18): »Alle Könige der Völker allsamt liegen im Kabod, in Ehren, ein jeder in seinem Haus, du aber wardst aus deinem Grabe geworfen«. Ihm ist das ehrenhafte Grab versagt, weil er sein Land verderbt und sein Volk umgebracht hat. Den andern, die die Aufgabe ihres Lebens rechtschaffen erfüllt haben, ist im Tode die Ehre gewährt. Die »Ehre«, dem Wurzelsinn des Wortes nach die Ausstrahlung des inneren »Gewichts« eines Wesens, gehört hier auf die irdische Seite des Todes. Wenn ich mein Leben abgelebt habe, sagt der Sprecher unseres Psalms zu Gott, werde ich in Kabod, in der Erfüllung meines Daseins, sterben. Aber im Sterben werden mich nicht die Schlingen der Scheol empfangen, sondern deine nehmende Hand. »Denn«, so heißt es in einem andern, wieder artverwandten Psalm (16), »du wirst meine Seele der Scheol nicht überlassen.« Der Scheol, dem Reich der Nichtigkeit, in dem, wie ein später Text (Prediger 9, 10) erläutert, es weder eine Tätigkeit noch ein Bewußtsein gibt, steht kein Reich der himmlischen Seligkeit gegenüber, sondern

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dem nichtigen Sein steht Gott gegenüber. Die »Frevler« erfahren im Ende unmittelbar ihr Nichtsein, die »am Herzen Lautern« erfahren im Ende unmittelbar das Sein Gottes. Diesen Sinn des Genommenwerdens äußert der Psalmist nun sogleich in dem unüberbietbar deutlichen Ruf: »Wen habe ich im Himmel!« Er strebt nicht danach, nach dem Tode in den Himmel einzugehen, denn Gott haust nicht im Himmel, und so ist der Himmel ihm leer. Aber er weiß, daß er im Tode auch kein Verlangen hegen wird, auf Erden zu bleiben, denn nun ist er bald vollends »bei dir« (hier kehrt das Wort zum drittenmal wieder), bei ihm, der ihn »genommen hat«. Damit aber meint er nicht das, was wir persönliche Unsterblichkeit nennen, das heißt, eine Fortsetzung der uns in diesem unserem sterblichen Leben so vertrauten Dimension der Zeit. Denn nun bedeutet das Bei-ihm-Sein nicht mehr, wie im Leben, ein Von-ihm-geschieden-Sein. Mit der strengsten Klarheit sagt jetzt der Psalmist, was jetzt zu sagen ist: nicht bloß sein Fleisch schwindet im Tode, sondern auch sein Herz, jenes innerste, persönliche Seelenorgan, das einst in der Rebellion gegen das Menschenlos »aufgor« und das er dann »reinigte«, bis er ein am Herzen Lautrer wurde, – auch diese persönliche Seele schwindet. Aber Er, der dieser Person wahres Teil und wahres Los gewesen ist, der »Fels« dieses Herzens, Gott, ist ewig. In seine Ewigkeit stirbt der am Herzen Lautere hinein, und diese Ewigkeit ist jeder Art von Zeit urverschieden. Noch einmal blickt der Psalmist auf die »Frevler« zurück, deren Betrachtung ihn einst so aufgerührt hatte. Jetzt nennt er sie nicht mehr Frevler, sondern »die dir Fernen«. In der schlichtesten Form spricht er seine Erkenntnis aus: da sie Gott, dem Sein, fern sind, gehen sie verloren. Und noch einmal zum Nein das Ja, zugleich noch einmal, zum dritten und letzten Mal, jenes »Und ich«, das hier »Ich aber« bedeutet. »Ich aber, Gott Nahen ist mir das Gute«. Hier, in dieser Konzeption des Guten, schließt sich der Ring. Ihm, der Gott nahen darf, ist das Gute gegeben. Einem am Herzen lauteren Israel ist das Gute gegeben, weil es Gott nahen darf. Gewiß, gut ist Gott zu Israel. Der Sprecher hat sein Bekenntnis beendet. Aber noch bricht er seinen Spruch nicht ab. Er faßt alles in eins zusammen: er hat seine Zuflucht, seine »Bergung« »in seinen Herrn gesetzt« – in ihm ist er geborgen. Aber nun, als Letztes, sagt er, immer noch zu Gott gewendet, die an all dies gebundene Aufgabe aus, die er sich, die Gott ihm gesetzt hat: »all deine Arbeiten zu berichten«. Einst reizte es ihn an, den Schein zu berichten, und er widerstand; jetzt weiß er, er hat die Wirklichkeit zu berichten: die Werke Gottes. Der erste seiner Berichte, der Bericht des Werks, das Gott an ihm getan hat, ist in diesem Psalm erstattet.

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Es scheinen in diesem Psalm zwei Menschenarten einander gegenüber zu stehen, die »am Herzen Lautern« und die »Frevler«. Aber dem ist nicht so. Die »Frevler« zwar sind offenbar eine Menschenart, nicht aber die andern. Einer von ihnen ist »viehgleich« und läutert sein Herz, und sieh, Gott hält ihn an der Hand. Das ist keine Menschenart. Lauterkeit des Herzens ist ein Wesensstand: man ist nicht ein Lauterer, man kann nur eben lauter sein oder werden, vielmehr man ist es nur dann wesentlich, wenn man es geworden ist, und auch dann gehört man damit keiner Menschenart an. Den »Frevlern«, das heißt, den Schlechten, stehen keine Guten gegenüber; es gibt »die Guten« nicht. Aber es gibt das Gute. Das Gute, sagt der Psalmist, ist: Gott nahen. Er sagt nicht, daß die Gott Nahen gut seien. Wohl aber nennt er die Schlechten: die Gott Fernen. In der Sprache des modernen Denkens heißt das, daß es Menschen gibt, die an der Existenz nicht teilhaben, aber keine Menschen, die die Existenz besitzen. Besitzen kann man sie nicht, man kann an ihr nur teilhaben. Man ruht nicht im Schoße der Existenz, man nähert sich ihr nur. Die »Nähe« ist nichts andres als solch ein Sich-Nähern und Nahekommen, immerdar solang die menschliche Person lebt. Der Tod zerbricht mit dem Leben der Person die Dynamik von Ferne und Nähe. Mit ihm schwindet das Herz, jene Innerlichkeit des Menschen, aus der die »Malereien« der Einbildung aufsteigen und die gärend aufbegehrt, die sich aber auch reinigen und lauter werden kann. Die Sonderseelen schwinden, die Sonderung schwindet. Die von der Seele gelebte Zeit schwindet mit ihr, wir wissen von keiner Fortdauer in der Zeit. Nur der »Fels«, an dem das Herz sich barg, nur der Fels der Menschenherzen schwindet nicht, denn er steht nicht in der Zeit. Die Zeit der Welt vergeht vor der Ewigkeit, aber der existente Mensch stirbt in die Ewigkeit, als in die vollkommene Existenz, hinein.

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Oh das Glück des Mannes, der im Frevlerrat nicht ging, nicht beschritt den Sünderweg, nicht saß an dem Dreistensitz, sondern Lust hat an SEINER Weisung, über seiner Weisung murmelt tages und nachts! Der wird sein wie ein Baum an Wassergräben verpflanzt, der zu seiner Zeit gibt seine Frucht, und sein Laub welkt nicht: was alles er tut, es gelingt. Nicht so sind die Frevler, sondern wie Spreu, die ein Wind verweht. Darum bestehen Frevler nicht im Gericht, Sünder in der Gemeinde Bewährter. Denn ER kennt den Weg Bewährter, aber der Weg von Frevlern verliert sich. Oft, wenn ich die Psalmen aufschlage, werfe ich zuallernächst einen Blick auf den ersten, der ja schon früh als ein Prooemium zum Psalter verstanden worden ist. Ich könnte mir denken, daß bereits die älteste, vielleicht schon unter Hiskia zusammengestellte Psalmensammlung durch ihn eingeleitet worden ist. Jener Sammlung mag die Absicht zugrunde gelegen haben, die »Thora«, die »Weisung«, womit wohl ein damals redigiertes Buch von Mose zugeschriebenen Lehrreden und Gesetzen gemeint ist, durch Hymnen und Lieder von »weisender« Art zu ergänzen. Weisen heißt hier: den Weg zeigen, den der Mensch »wählen« soll (Psalm 25, 12), und das heißt, den Menschen lehren, jeweils diesen, den rechten Weg, von den andern, den falschen Wegen, zu unterscheiden. Dem rechten Weg, dem Weg Gottes, folgen die »Bewährten«. »Frevler« sind, die sich, auf ihrem eigenen Weg beharrend, weigern, jenen zu betreten, »Sünder«, die ihn immer wieder verfehlen. Der eigentliche Kampf der Weisung gilt demgemäß den Frevlern, wogegen der »gute« und »redliche« Gott die Sünder immer wieder »im Weg unterweist« (25, 8), ihnen also hilft, zu diesem zurückzufinden. Von diesen einfachen Voraussetzungen der weisenden Hymnen und Lieder aus erklären sich die Motivworte dieses Psalms, um die er sich

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aufbaut. Es sind die Worte »Weg«, »Weisung«, »Bewährte«, »Frevler«, »Sünder«. Zugleich wird deutlich, warum das Wort »Frevler« ebenso häufig vorkommt wie »Bewährte« und »Sünder« zusammen. Die Wiederkehr der Motivworte ist ja ein grundwichtiges Kompositionsgesetz der Psalmen, dessen Bedeutung sowohl eine dichterische – rhythmische Entsprechung von Lautwerten – als auch ganz besonders eine hermeneutische ist: Der Psalm deutet sich selbst, indem er durch Wiederholungen auf das zu seinem Verständnis Wesentliche hinweist. Darum lehnt er es oft ab, wie eben hier, einen bestimmten Gegenstand sprachlich zu variieren, und scheut sich nicht, wie eben hier im Endteil, dieselbe führende Bezeichnung in drei aufeinanderfolgenden Sätzen zu wiederholen: es kommt, sagt er damit, darauf an, zu erkennen, was die »Frevler« im Bezug auf »Weg« und »Weisung«, auf »Bewährte« und »Sünder« sind. Was aber mich, wenn ich die Psalmen aufschlage, anregt, einen Blick auf diesen zu werfen, ist unverkennbar etwas anderes: es ist das Wort, mit dem er und also der Psalter beginnt. Es ist etwa zu übersetzen mit »Oh die Seligkeit« oder »Oh das Glück!« Der Psalmist ruft: »Oh das Glück des Mannes …«. Das ist kein Wunsch und keine Verheißung, es geht nicht darum, daß der Mann Glück verdiene oder daß er gewiß sein dürfe, glücklich zu werden, sei es noch in diesem irdischen Leben, sei es in einem anderen, künftigen, sondern es ist ein freudiger Ausruf und eine begeisterte Feststellung: wie glücklich ist doch dieser Mann! Dieser Psalm handelt vom Glück, genauer: vom wahren Glück; er handelt von dem wahrhaft glücklichen Menschen. Dieser Zusatz »wahr, wahrhaft« wird zwar hier nicht ausgesprochen, wie das etwa geschieht, wenn in einer philosophischen Betrachtung von dem tugendhaften Menschen gesagt wird, er habe das wahre Glück. Aber selbstverständlich will auch der Psalmist auf die Tatsache eines Glücks hinweisen, das nicht offen vor aller Augen liegt, ja das vielleicht nicht einmal so recht glaubhaft ist, weil die allgemeine Erfahrung davon nichts weiß, dagegen vom Unglück des in diesem Psalm beschriebenen Mannes einige Kenntnis hat. Auch der Psalmist will offenbar sagen: Merkt auf, da gibt es ein heimliches, von den Händen des Daseins selber verstecktes Glück, das alles Unglück aufund überwiegt – ihr seht es nicht, aber es ist das wahre, ja das einzig wahre Glück. Darum kann er es wagen, entgegen dem alltäglichen Anschein, der ein Mißlingen des Guten in Fülle aufweist, zu erklären, daß alles, was dieser tue, gelingt. Vielleicht hat er sogar im Sinn, dem Mann selbst, von dem er spricht, gegen Anwandlungen eines Hiobszweifels das Herz zu stärken, indem er ihm hilft, zwischen dem Scheinglück und dem wahren zu unterscheiden, und ihn lehrt, die urtiefe Schicht des wahren größer zu entdecken und mächtiger zu fühlen. Und doch – es ist ihm,

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dem Psalmisten, offenbar um etwas anderes zu tun als dem Philosophen, der uns sagt, die Tugend sei ihr eigener Lohn. Gewiß, beide Sprüche haben etwas miteinander gemeinsam, aber was sie gemeinsam haben, ist nicht das Entscheidende, und wenn man dem Psalmisten den Spruch des Philosophen vortrüge und erläuterte, er würde doch ratlos dastehen und den Kopf schütteln. Denn das, was er eigentlich meint, wird durch alles, was ihm der Philosoph über den Selbstgenuß des sittlichen Menschen zu sagen vermöchte, gar nicht berührt. Was er von der Lebensführung des Mannes meint, von dem er spricht, kann durch ethische Werte nicht erfaßt werden, und was er von seinem Glück meint, ist in einer anderen Sphäre behaust als in der der Zufriedenheit eines Menschen mit sich selbst. Beides, diese Lebensführung und dieses Glück, transzendiert seinem Wesen nach sowohl das Ethos wie das Selbstbewußtsein. Beides ist nur von dem Umgang eines Menschen mit Gott, dem Grundthema des Psalmenbuchs, aus zu verstehen. Am deutlichsten wird dies am Ende unseres Gedichts, wo mit einer abschließenden Präzision der Weg der Bewährten und der Weg der Frevler einander gegenübergestellt werden. Von diesem, dem Weg der Frevler, wird gesagt, er »verliere sich«. Das heißt, die Menschen, die ihn gehen, machen irgendwo, an irgendeinem Punkte ihrer Bahn, die Erfahrung, daß das, was sie all die Zeit für einen Weg hielten, keiner ist, daß dieser vermeintliche Weg nirgends hinführt, und nun können sie weder vor- noch rückwärts blicken, ihr Leben ist weglos geworden. Wem dergleichen gesagt würde, ohne daß er unseren Psalm gelesen hätte, der müßte erwarten, nun vom Weg der Bewährten das Entgegengesetzte zu hören, also daß dieser seinen Charakter als Weg mehr und mehr offenbare, bis endlich das vordem nur in der Ahnung gefaßte Ziel in gewaltiger Sicherheit vor den Augen des Gehenden aufleuchtet. Aber nicht das ist es, was der Psalmist an dieser entscheidenden Stelle sagt. Er sagt vielmehr, daß Gott den Weg der Bewährten »kenne«. Dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nach verstanden, bietet dieser Satz keinen rechten Sinn. Wie soll die Tatsache, daß Gott diesen Weg kennt, jener entsprechen, daß der Weg der Frevler sich verliert? Die Erklärer, die hier diesen Sprachgebrauch beibehalten, mühen sich umsonst, über die Schwierigkeiten hinwegzukommen. Ich lese etwa in einem wissenschaftlichen Kommentar, damit, daß der Wandel der Frommen »vor Gott aufgedeckt« sei (wie die aramäische Übertragung die Stelle wiedergibt), sei gewährleistet, daß sie bestehen werden. Als ob nicht der Weg der Gottlosen vor Gott ebenso aufgedeckt wäre! Wir können hier nur dann Klarheit gewinnen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß das hebräische Verb »erkennen, kennen« in seiner sinnlichen Urbedeutung zum Unterschied von

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den abendländischen Sprachen nicht der Sphäre der Betrachtung, sondern der des Kontakts angehört. Der entscheidende Vorgang für das Erkennen ist beim biblischen Hebräisch nicht, daß man einen Gegenstand betrachtet, sondern daß man mit ihm in Berührung kommt. Diese Grundverschiedenheit entfaltet sich im Bereich des seelischen Verhältnisses zu anderen Wesen, wo die Tatsache der Gegenseitigkeit alles verwandelt: im Mittelpunkt steht hier nicht das Einander-Wahrnehmen, sondern der Wesenskontakt, der »Umgang«. Dieses Thema des »kennenden« Umgangs steigert sich nun aber zu einer eigentümlichen, nichts anderm vergleichbaren Höhe, wo von der Beziehung Gottes zu den von ihm Erwählten die Rede ist: zu den Kündern, die er entsenden will (Exodus 33, 12; Jeremia 1, 5), zu Israel, das er für seinen Auftrag zubereitet (Amos 3, 2; Hosea 13, 5), oder auch einfach zu den schlichten und getreuen Menschen, die sich einzig seinem Schutze anvertrauen (Nahum 1, 7; Psalm 31, 8; 37, 18). Durch seinen Kontakt mit ihnen holt Gott sie aus der Fülle der Lebewesen heraus, um mit ihnen zu kommunizieren; dieses sein anrührendes, anfassendes »Erkennen« meint ein Herausholen, und als Herausgeholte stehen sie nun im Umgang mit ihm. In dem Psalmvers, von dem ich spreche, aber kommt noch etwas Besonderes, nur hier Gesagtes, hinzu: es heißt hier nicht, daß Gott die Bewährten, die Frommen kenne, sondern daß er ihren Weg kennt. Der Weg, der Lebens-Weg dieser Menschen ist so beschaffen, daß sie in jedem seiner Stadien den göttlichen Kontakt neu erfahren. Und zwar erfahren sie ihn, wie es eben dem Charakter eines wirklichen Weges entspricht, in jedem Stadium in der diesem spezifisch gemäßen Art und Weise. Ihre Erfahrung des göttlichen »Kennens« ist keiner Naturerfahrung ähnlich: es ist eine echt biographische Erfahrung, das heißt, das, was man so erfährt, erfährt man durch den Gang des eigenen, persönlichen Lebens, durch das jeweils erlebte Schicksal. Möchte dieses Schicksal, außerhalb des Umgangs mit Gott betrachtet, noch so grausam und widrig erscheinen, von seinem »Kennen« durchstrahlt ist es »Gelingen«, wie alles Tun dieses Menschen, auch sein Fehlschlagen, auch sein Scheitern Gelingen ist. Oh das Glück des Mannes, der den von Gott gewiesenen und von Gott »gekannten« Weg geht! Der Weg ist von Gott gewiesen, in seiner »Weisung«, der Thora. Dieser Gott ist ein weisender, das heißt, ein Gott, der zwischen dem wahren Weg und den falschen unterscheiden lehrt. Seine Weisung, die Unterscheidungslehre, ist uns gegeben. Es genügt aber nicht, sie anzunehmen: wir müssen an ihr »Lust haben«, wir müssen an ihr mit einer Leidenschaft hangen, die an Mächtigkeit allen Leidenschaften der »Frevler« überlegen ist. Und es genügt nicht, sie passiv zu lernen: wir müssen immer wieder

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»über ihr murmeln«, müssen ihr lebendiges Wort ihr nachsprechen, müssen mit unserem Sprechen in sein Gesprochensein eintreten, so daß es von uns heute in unserer heutigen biographischen Situation neu gesprochen ist und so fort und fort in ewiger Aktualität. Wer so mit eigner Tätigkeit dem offenbarenden Gott dienstbar wird, der ist – mag er auch von Natur kargem Erdreich entsprossen sein – an die Wassergräben der Weisung verpflanzt: nun erst kann sein eignes Wesen gedeihen, reifen und Frucht tragen, und das Gesetz, wonach im Leben der Lebewesen Gezeiten des Grünens und Gezeiten des Welkens einander ablösen, gilt für ihn nicht mehr – sein Saft kreist beständig in unverminderter Frische fort. Diesen im Wege Gottes Beständigen stehen jene beiden andern Menschenklassen gegenüber, die Sünder, ein Wort, das dem ursprünglichen hebräischen Wortsinn nach die das Ziel oder den Weg Verfehlenden bedeutet, und die Frevler. Es kommt wesentlich darauf an, diese beiden Klassen voneinander zu unterscheiden; die parallelistische Form zielt ja hier wie so oft nicht auf bloße Entsprechung, sondern auf Ergänzung ab. »Frevler« ist hier wirklich die Bezeichnung einer Menschenart, einer dauernden Beschaffenheit, »Sünder« hingegen bezeichnet eher einen Zustand, eine Anwandlung, die den Menschen jeweils überkommt, ohne zur Anhaftung zu werden. Die Sünder verfehlen jeweils den Weg Gottes, die Frevler widerstreben ihm ihrer konstitutiven Grundhaltung nach. Der Sünder tut Böses, der Frevler ist böse. Darum wird nur von ihnen, nicht auch von den Sündern, gesagt, ihr Weg verliere sich und sie seien wie Spreu, die ein Wind verweht. Und wenn es von diesen wie von jenen heißt, sie »bestünden nicht«, so doch mit einem fundamentalen Unterschied: die Frevler bestehen nicht »im Gericht«, die Sünder aber nur nicht »in der Gemeinde der Bewährten«. In dem »Gericht« geht es um die Existenz schlechthin: weil der böse Mensch seine Existenz negativiert hat, geht er im Nichts auf, sein Weg ist sein Gericht. Anders die Sünder: mit ihrem Nichtbestehen ist nicht die Entscheidung einer höchsten Instanz gemeint, es ist nur eine menschliche Gemeinschaft, die ihnen keinen Bestand gewähren kann, um nicht den eignen Bestand in Frage zu stellen. Aber der Eingang in diese Gemeinschaft ist ihnen nicht verschlossen. Sie brauchen nur die Umkehr zum Gottesweg zu vollziehen, von der der Psalm uns zu ahnen erlaubt, daß sie ihnen nicht bloß offen steht, sondern daß sie auch im Herzensgrund nach ihr verlangen, sich nur eben nicht stark genug dazu fühlen oder vielmehr wähnen. Ist sie denn aber den Frevlern verschlossen? Sie ist es nicht – so dürfen wir wohl die Betrachtung des Psalms fortsetzen – von Gott aus, aber sie ist es von ihnen selber aus, denn zum Unterschied von den Sündern wollen sie nicht umkehren können. Darum eben verliert sich ihr Weg.

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Hier freilich bricht vor uns heutigen Psalmdeutern die Frage auf, der weder dieser noch ein anderer Psalm noch irgendein Menschenwort die Antwort weiß: Wie kann der böse Wille sein, da Gott ist? Der aufbrechende Abgrund dieser Frage dringt weit unheimlicher noch als selbst der der Hiobsfrage zum Dunkel des göttlichen Geheimnisses vor. Der Psalmendeuter steht davor und verstummt.

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Das erste Buch Kierkegaards, des großen Erzprüfers der Christenheit im neunzehnten Jahrhundert, das ich als junger Mensch gelesen habe, war »Furcht und Zittern«, das sich ganz auf der biblischen Erzählung von der Opferung Isaaks aufbaut. Ich denke noch heute an jene Stunde zurück, weil ich damals den Anstoß erhielt, über das Verhältnis des Ethischen zum Religiösen nachzudenken. In diesem Buch wird an dem Beispiel der Versuchung Abrahams dargelegt, es gebe eine »teleologische Suspension des Ethischen«, das heißt, die Gültigkeit der ethischen Verpflichtung könne jeweils durch ein Höheres, durch das Höchste dessen Absichten gemäß suspendiert werden. Wenn Gott einem gebietet, seinen Sohn zu morden, so ist für die Dauer dieser Situation die Unsittlichkeit des Unsittlichen aufgehoben, mehr noch: das sonst schlechthin Böse ist für die Dauer dieser Situation das schlechthin Gute, weil Gottgefällige geworden. An die Stelle des Allgemeinen und Allgemeingültigen tritt etwas, was ausschließlich in dem persönlichen Verhältnis zwischen Gott und dem Einzelnen gegründet ist. Eben damit aber wird das Allgemeine und Allgemeingültige, das Ethische relativiert; seine Werte und Gesetze werden aus dem Unbedingten in die Bedingtheit verwiesen; denn dem, was im Bereich des Ethischen Pflicht ist, kommt keine Absolutheit mehr zu, sowie es mit der absoluten Pflicht gegen Gott konfrontiert wird. »Aber was ist denn«, fragt Kierkegaard, »die Pflicht? Die Pflicht ist ja eben der Ausdruck für Gottes Willen!« Mit anderen Worten: Gott setzt die Ordnung von Gut und Böse – und durchbricht sie, wo er will, und zwar von Person zu Person. Auf den tödlichen Ernst dieses »Von Person zu Person« hat Kierkegaard zwar mit dem äußersten Nachdruck hingewiesen. Aufs deutlichste erklärt er, nur einem, der würdig sei, Gottes Auserwählter genannt zu werden, werde solch eine Probe auferlegt; »wer aber«, fragt er, »ist ein solcher?« Insbesondere versichert er uns Mal um Mal, er selber habe diesen Mut des Glaubens nicht, der erforderlich sei, um sich mit geschlossenen Augen vertrauensvoll in das Absurde zu stürzen; es sei ihm unmöglich, die paradoxale Bewegung des Glaubens zu vollziehen, die Abraham vollzieht. Man muß jedoch daran denken, daß Kierkegaard auch erklärt, er habe darum gekämpft, im strengen Sinn »der Einzelne« zu werden, habe es aber nicht ergriffen, und daß er dennoch einmal im Sinne hatte, auf sein Grab die Worte »Jener Einzelne« setzen zu lassen. Es ist aus verschiedenen Zeichen zu entnehmen, daß ihm, als er beschrieb, wie Abraham seinen Sohn hergab und doch daran glaubte, er werde ihn

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nicht verlieren (so versteht Kierkegaard den Vorgang), die Erinnerung an den Tag in der Seele stand, da er selber, wenig mehr als ein Jahr vorher, den Bund mit der geliebten Braut löste und doch meinte, ihn in einer unfaßbaren Dimension bewahren zu können. Gegen diesen Bund, so deutete er es einmal, »lag ein göttlicher Protest vor«*, dessen er freilich nicht dauernd sicher war, so wenig, daß er im Jahr der Veröffentlichung von »Furcht und Zittern« den Satz niederzuschreiben vermochte: »Hätte ich den Glauben gehabt, so wäre ich bei ihr geblieben.« Aus der Situation zwischen Abraham und Gott, der die von ihm selber gesetzte ethische Ordnung durchbricht, ist der Vorgang hier in eine Sphäre gerückt, in der es weit weniger eindeutig als in der biblischen Erzählung zugeht. »Was er unter Isaak zu verstehen hat«, sagt Kierkegaard, »kann der Einzelne nur mit sich selbst für sich selbst ausmachen«. Das bedeutet klar und präzis, daß er es von Gott nicht, jedenfalls nicht unmißverständlich, erfährt. Gott fordert das Opfer von ihm, aber welches Opfer, das bleibt offenbar dem Einzelnen zur Interpretation überlassen, die immerhin durch seine Lebensumstände in dieser Stunde bestimmt wird. Wie anders redet hier die biblische Stimme: »Deinen Sohn, deinen Einzigen, den du liebst, den Isaak.« Da ist nichts zu interpretieren, der hörende Mensch erfährt restlos, was von ihm gefordert wird; der Gott, der hier redet, gibt keine Rätsel auf. Aber noch sind wir nicht bei der entscheidenden Problematik angelangt. Diese tut sich uns erst dann auf, als Kierkegaard seinen Abraham mit Agamemnon vergleicht, der sich anschickt, Iphigenie zu opfern. Agamemnon ist der tragische Held, der vom »Allgemeinen«, von dem Vorhaben seines Volkes angefordert wird, also »in den Grenzen der Ethik bleibt«, die Abraham, »der Ritter des Glaubens«, überschreitet. Alles kommt darauf an, daß er sie mit der paradoxalen Bewegung des Glaubens überschreitet; denn sonst ist alles eine »Anfechtung« gewesen, die Opferbereitschaft eine Mordbereitschaft, »Abraham ist verloren«. Auch das entscheidet sich in der »absoluten Isolation«. »Der Ritter des Glaubens«, sagt Kierkegaard, »ist einzig und allein auf sich selbst angewiesen, und darin liegt das Entsetzliche.« Das ist insofern richtig, als es niemanden auf Erden gibt, der ihm helfen könnte, die Entscheidung zu treffen und »die Bewegung der Unendlichkeit« zu vollziehen. Aber Kierkegaard setzt hier etwas voraus, was nicht einmal in der Welt Abrahams, geschweige denn in unserer Welt vorausgesetzt werden darf. Er beachtet nicht, daß der Problematik der Glaubensentscheidung eine Problematik des Hörens selber vorausgeht: Wer ist es, dessen Stimme man vernimmt? *

Auch sie selber äußerte einmal, viel später, er habe sie Gott geopfert.

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Für Kierkegaard ist es von der christlichen Tradition aus, in der er aufgewachsen ist, selbstverständlich, daß der das Opfer Fordernde kein anderer als Gott ist. Für die Bibel, jedenfalls für das Alte Testament, ist das nicht ohne weiteres selbstverständlich; wird hier doch sogar eine bestimmte »Anstiftung« zu einer verbotenen Handlung an einer Stelle (II Samuel 24) Gott zugeschrieben und an einer anderen (I Chronik 21) dem Satan. Wohl hat Abraham die Stimme, die ihn einst aus der Heimat gehen hieß, und die er damals, ohne daß der Redende ihm sagte, wer er sei, als die Stimme Gottes erkannte, nie mehr mit einer andern zu verwechseln vermocht. Und wohl »versucht« Gott ihn nur, das heißt, er holt durch die äußerste Forderung die innerste Hingabe-Bereitschaft aus den Tiefen des Menschenwesens hervor und ermöglicht diesem, sie zur vollen Tat-Intention erwachsen zu lassen und sein Verhältnis zu ihm, Gott, ganz wirklich zu machen; dann jedoch, wenn nichts mehr hemmend zwischen der Intention und der Tat steht, läßt er sich an der so erfüllten Bereitschaft genügen und verhindert die Handlung. Aber es kann doch geschehen, daß ein sündiger Mensch ungewiß ist, ob er nicht zur Sühne Gott den, vielleicht auch sehr geliebten, Sohn zu opfern habe (Micha 5): der Moloch ahmt die Stimme Gottes nach, wogegen Gott selber (ebenda) von diesem Menschen – nicht von Abraham, seinem Auserwählten, wohl aber von dir und mir nichts weiter fordert als Gerechtigkeit und Liebe, und daß dieser Mensch mit ihm, mit Gott, »bescheiden umgehe«, mit anderen Worten, nicht viel mehr als das fundamental Ethische. Wo es um die »Suspension« des Ethischen geht, ist also die Frage der Fragen, die den Vortritt vor jeder anderen hat: ob du wirklich vom Absoluten angesprochen wirst oder von einem seiner Affen. Wobei zu beachten ist, daß, wie die Bibel zu berichten weiß, die göttliche Stimme, die zum Einzelnen spricht, die Stimme eines »verschwebenden Schweigens« ist (I Könige 19), die Stimmen der Moloche hingegen zumeist ein großmächtiges Gebrüll vorziehen. Dennoch scheint es, insbesondere in unserem Zeitalter, schwer zu sein, sie von jener zu unterscheiden. Es ist ein Zeitalter, in dem die Suspension des Ethischen in einer karikaturhaften Gestalt die Menschenwelt erfüllt. Wohl haben sich immer schon die Affen des Absoluten auf Erden getummelt, immer und immer wieder sind Menschen aus dem Dunkel angeheischt worden, ihren Isaak herzugeben, und hier gilt es: »Was er unter Isaak zu verstehen hat, kann der Einzelne nur mit sich selbst für sich selbst ausmachen.« Aber in all jenen Zeiten gab es auch, den Herzkammern der Menschen eingetan, Bilder des Absoluten, teils blasse, teils krasse, allesamt untreu und doch richtig, vergänglich wie ein Traumbild und doch in der Ewigkeit beglaubigt. Wie unzulänglich auch diese Präsenz war, dennoch brauchte einer,

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Die Opferung Isaaks

sofern er sie konkret im Sinne trug, nur an sie zu appellieren, um dem Trug der Stimmen nicht erliegen zu müssen. Das ist anders geworden, seit, nach Nietzsches Wort, »Gott tot ist«, das heißt, realistisch gesprochen, seit die Bildkraft des menschlichen Herzens im Absterben ist, – seit die geistige Pupille die Erscheinung des Absoluten nicht mehr auffängt. Die falschen Absoluta gebieten über die Seele, die nicht mehr fähig ist, sie durch das Bild des wahren Absoluten in die Flucht zu schlagen. Überall, über die ganze Fläche der Menschenwelt hin, im Osten und im Westen, von Links und von Rechts, durchstoßen sie unbehindert die Schicht des Ethischen und fordern von dir »das Opfer«. Immer wieder, wenn ich wohlbeschaffene junge Seelen befrage: »Warum gibst du dein Teuerstes, die Echtheit der Person hin?«, wird mir erwidert: »Dies eben, dieses schwerste Opfer ist es, das gebracht werden muß, damit …« – gleichviel, »damit die Gleichheit komme« oder »damit die Freiheit komme« oder wie immer. Und sie bringen das Opfer zuverlässig: im Bereich des Moloch lügen die Aufrichtigen und foltern die Barmherzigen. Und meinen wirklich und wahrhaftig, der Brudermord werde der Brüderlichkeit den Weg bereiten! Es scheint vor dem übelsten aller Götzendienste kein Entrinnen zu geben. Es gibt vor ihm kein Entrinnen, bis das neue Gewissen des Menschen erstanden ist, das ihn aufruft, sich mit der Urgewalt seiner Seele der Verwechslung von Bedingtem mit dem Unbedingten zu erwehren, den Schein zu durchstoßen und zu überführen. Je und je mit dem unbestechlich prüfenden Blick in das falsche Absolute eindringen, bis man dessen Grenzhaftigkeit entdeckt hat, – vielleicht gibt es heute keinen anderen Weg mehr, um jene Kräfte der Pupille wiederzuerwecken, die die nie verschwindende Erscheinung des Absoluten auffängt.

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Worin ruht die Führungskraft der Schrift für den heutigen Menschen? Seine eigentliche Not – es kommt darauf an, die Vordergrundsnot zu durchschauen und die empfindliche Not aus der heimlichen zu verstehen – ist die gleichsam beglaubigte Trennung von Geist und Leben. Die moderne Lebensphilosophie, die den lebendurchtränkenden Geist mit dem abgeschnürten Intellekt verwechselt und so degradiert, das Verhältnis zwischen zeugendem Geist und empfangendem Leben umkehrt und so die Urstände verrückt, das Leben im Wahn seiner Souveränität erhöht und in den Wahnwitz treibt, hat diese Not begrifflich versteift, die Selbstbesinnung abgeriegelt und jeden Rettungsversuch sehr erschwert. Das »Alte Testament«, das, die heilige Vermählung von Geist und Leben lehrend, wie jede Versklavung des Lebens unter den Geist so jede Beugung des Geistes unter das Leben ablehnt, hat dennoch auch heute und hier noch die Macht, dem heutigen Menschen in seiner eigentlichen Not zu helfen. Welcher Art diese Hilfe ist, will ich, der Konkretheit der Bibel gemäß, an einem konkreten Beispiel darlegen. Ich entnehme es den Verknüpfungen zwischen Schöpfungs- und Offenbarungsgeschichte. So soll es zugleich als Hinweis dienen, wie Bibel zu lesen ist: in lebendiger Präsenz. Wo Lautgefüge, Wörter, Wortfolgen in verschiedenen Teilen eines Abschnitts, verschiedenen Abschnitten, verschiedenen Büchern eigentümlich, in erschließbarem Zusammenhangscharakter, einander sinnhaft fördernd, klärend, ergänzend wiederkehren, da ist dieser Wiederkehr abzuhören, was sie lehrt. Die biblische Lehre trägt oft ihr Höchstes nicht vor, sondern läßt es sich auftun, – nicht durch Kryptologie und Allegorese, sondern durch diese jedem unbefangen aufmerksamen Hörleser erkennbaren von Stelle zu Stelle geschlagenen Bogen bedeutsamer Wiederholung. Im zweiten Vers der Bibel heißt es von der R u a c h Gottes oder der Gottes-R u a c h , sie habe über dem Antlitz der noch nicht in Himmelsund Erdenfluten geschiedenen Wasser »geschwebt«, wie Luther übersetzt; aber was für ein Schweben oder Schwingen gemeint ist, erfahren wir, wenn überhaupt, aus der einzigen Bibelstelle, wo das seltene Verb in der gleichen Form wiederkehrt, 5. Mose 32, 11. Gott, der Israel aus der Mitte der Völker nimmt und in das verheißene Land trägt, wird hier dem Adler verglichen, der mit sanft schlagenden Flügeln über seinem Nest schwebt, um es zu erregen, d. h. um die eben flüggen Jungen zum Fluge auszustören, dann aber auch wohl, die Flügel ganz ausbreitend,

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ein einzelnes aufnimmt und es »auf seinem Fittich trägt« (vgl. 2. Mose 19, 4). Wir dürfen vermuten, daß in der Schöpfungsgeschichte die Wasser dem Nest und die Geschöpfe (von deren mehreren ja gesagt wird, daß sie aus dem Wasser hervor»wimmeln« sollen), die Gott zum Sein aufruft, den Jungen entsprechen. Wie aber haben wir die R u a c h zu verstehen? Daß von ihr und nicht von Gott selber geredet wird, erklärt sich daraus, daß das Flügelbreiten hier nicht wie im Moseslied vergleichsweise, sondern wirklich ausgesagt wird. Aber was bedeutet hier r u a c h ? Von urher sind die Ansichten geteilt, ob »Wind«, sei es ein Wind Gottes oder ein um seiner Gewalt willen so genannter »Gotteswind«, oder aber »Geist«, sei es der Geist Gottes oder ein Geist Gottes, gemeint sei, und Luther hat, die Frage immer wieder bewegend, erst »Wind« und dann »Geist« übersetzt. Beiden Deutungen liegt die Auffassung zugrunde, man müsse sich für eine von beiden entscheiden. Aber dem ist nicht so. Die dynamische Bedeutung von r u a c h , von der aus allein die – auch von radikalen Quellenkritikern als »sehr alt« (Gunkel), »sehr altertümlich« (Procksch) empfundene – Stelle zu erfassen ist, ist: das Hauchen, das Wehen, das Brausen. Als ein solches erscheint dem frühbiblischen Menschen nicht bloß der Wind, sondern ebenso der Geist; vielmehr, das ursprünglich Eine legt sich in einen naturhaften und einen geisthaften Sinn auseinander. Hier aber, wo es zuerst erscheint, erscheint es nicht im Auseinander, sondern im Ineinander der beiden. R u a c h e l o h i m , die hauchende, wehende, brausende Manifestation ist weder naturhaft noch geisthaft, sondern beides in einem: es ist das schöpferische Wehen, das beide, Natur und Geist, erst werden läßt. Die Bibel denkt hier nicht lexikalisch, sondern elementar, und sie will, daß ihr Leser wie sie denke: daß die Bewegung von Gott her, die vor aller Differenzierung ist, undifferenziert sein hörendes Herz treffe. Als ein großes, unformuliertes, nur implizit ausgesprochenes, als ein latentes Theologem stehts hier an ihrem Anfang: Gott ist weder aufs Naturhafte noch aufs Geisthafte zu stellen, er ist nicht Natur, aber er ist auch nicht Geist, sondern beides hat seinen Ursprung in ihm. Aber auch später, wo die beiden Bedeutungen des Wortes nur noch auseinandergetreten erscheinen, will die Bibel immer wieder – in einem »naiven Realismus«, in den alle Idealismen tauchen müssen, um wiedergeboren zu werden – die ursprüngliche dynamische Einheit anklingen lassen, das eine Geschehen von Gott her, das den Himmel als Sturm durchbraust, das dem Erdenwesen sich einweht. Weitaus am eindringlichsten jedoch stellt sich diese Absicht der Bibel in dem Abschnitt der Offenbarungsgeschichte dar, wo seltsam zu einer Erzählung verschweißt ein geistiger und ein naturhafter R u a c h -Vorgang nebeneinander stehn,

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4. Mose 11. Gott »spart« von der R u a c h , die von ihm her auf Mose niedergeht, auf dessen Bitte – weil er dem widerspenstigen Volk allein nicht standhalten könne – ab und teilts den Ältesten zu. Und als man Mose über einzelne klagt, die, außerhalb der Versammlung von der R u a c h ergriffen, sich eben wie die andern Ergriffenen gebärden, weist er die Beschwerde, er, der eben erst sich des untragbaren Volkes wegen den Tod gewünscht hat, mit dem Wort zurück: »Wer gäbs, / all SEIN Volk wären Kinder, / daß ER seine R u a c h über sie gäbe!« Und fast unmittelbar danach, unvermittelt – unvermittelt, weil nur so vernehmbar wird, was die Bibel hier sagt – beginnt nun die Erzählung der strafenden Wunscherfüllung für eben dies Volk: »Ein R u a c h aber brach auf von IHM her, / der trieb vom Meer Wachteln heran …« Seine R u a c h : seinen Geist; ein R u a c h : ein Wind. Nein, so geht es nicht, man muß auch in der Übertragung spüren, wie geisthafte Gottestat und naturhafte Gottestat aufeinander bezogen sind; »seinen Geistbraus«, »ein Windbraus« muß es heißen. Warum aber muß es so heißen? Weil das deutsche Wort »Geist« schon von Luthers, der zwischen Wind und Geist wählen mußte, Zeit an seine ursprüngliche Konkretheit eingebüßt hat, die es einst ebenso wie r u a c h , wie p n e u m a , wie s p i r i t u s hatte, seine ursprüngliche Sinnlichkeit – »ein Brausen und Wehen zugleich« (Rudolf Hildebrand) –, die an »Gischt« anklingende, die heute nur noch in Rudimenten fortbesteht, wie wenn Lübecker Schiffer einen gewissen »hohl laufenden Wind« als »Geist« bezeichnen. Luther war dieser Konkretheit noch inne, aber er fühlte sie abscheiden. Im 33. Psalm übersetzt er: »Der Himmel ist durchs Wort des Herrn gemacht, und all sein Heer durch den Geist seines Munds«, und läßt es stehn; aber im 11. Jesaja-Kapitel, wo er geschrieben hatte »Er wird … den Gottlosen töten mit dem Geist seiner Lippen«, ändert er, offenbar, weil hier von einem Menschen die Rede ist und daher die Tatsache jener Entsinnlichung des Wortes ungemildert vorgetreten wäre, in »mit dem Odem seiner Lippen«. Was sich in dieser Spaltung eines Urworts äußert, ist nicht lediglich ein sprachgeschichtlicher Prozeß, es ist ein geistesgeschichtlicher und lebensgeschichtlicher, es ist die beginnende Trennung von Geist und Leben. Zur biblischen Einheit der R u a c h strebt Goethe zurück, wenn er von Gottes Geist sagt, im freien Felde sei es, als ob er »den Menschen unmittelbar anwehte«; noch mächtiger aber – und vorerst nicht minder vergeblich! – Hölderlin, wenn er, biblischer Antike mehr noch als griechischer eingedenk, die Verwandtschaft beider r u a c h -Bedeutungen, das Geheimnis des »geistigen Wesens«, im Rufe kündet: »O Schwester des Geistes, der feurig in uns waltet und lebt, heilige Luft!«

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Es ist zu beachten, daß die R u a c h Gottes in der Schöpfungsgeschichte nur am Anfang genannt wird, wohl damit nicht die einzelnen Akte des Weltwerdens und auch nicht deren Gesamtheit, sondern die ungeschiedene Absichtsganzheit des Schöpfungswerkes ihr untergeben sei. Nicht einmal da, wo der göttliche Hauch sich dem Adam einbläst, wird die R u a c h genannt, wiewohl (wie aus 6, 3 hervorgeht) sie selbst es ist, die sich in ihm zum Lebensatem entfacht und so alle offenbarende Begeistung, die dem Menschen widerfahren wird, schon in seiner Erschaffung vorgebildet ist. Beide Schöpfungsberichte, der Bericht von der Erschaffung der Welt (1, 1-2, 4a) und der von der Erschaffung des Menschen (2, 4b-25), Ursprungssage der Natur und Ursprungssage der Geschichte, die Erzählung, die den Menschen als Spätling an den Rand des Kosmos stellt, und die andre, die nur von ihm und seiner Sache sagen will und was sie an Kreatur zu nennen weiß um ihn versammelt, beide, nicht wie wesensfremde literarische Urkunden miteinander vernäht, sondern wie die zwei Seiten des uns bekannten Seins, Außenseite und Innenseite, einander ergänzend, beginnen mit einer Handlung der R u a c h . In der ersten breitet sie bergend die Flügel über die Allheit der Dinge, die werden sollen, in der zweiten wird sie, ungenannt und geheimnisvoll, dem einen zu geschichtlichem Dasein bestimmten Wesen eingeflößt, um seiner Entscheidung beizuwohnen und sein Schicksal zu teilen: hier bindet sich an die Geschichte der Schöpfung die Geschichte der Offenbarung, denn wo sich persönliche Offenbarung vollziehen wird, wird es die R u a c h sein, die in den Menschen eindringt (Richter 14, 6.19; 15, 14; 1. Samuelis 10, 6.10; 11, 6; 16, 13) und sich mit ihm »bekleidet« (Richter 6, 34), ihn aber eben dadurch zu einem »andern Menschen« umschafft (1. Samuelis 10, 6). Das ist eine uns noch unentzogene Einheitsbotschaft.

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Antwort [an meine Kritiker] Zur Bibel-Interpretation

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Zu meiner Auffassung biblischer Texte und Lehren sind Fragen aufgeworfen worden, deren Klärung geboten erscheint; auch hier ist manches anders verstanden worden, als ich es meine, und ich muß für ein genaueres Verständnis Sorge tragen. 1. Man schreibt mir die Ansicht zu 1 , Offenbarung »geschehe in Gemeinschaft« (comes in community). Das ist durchaus nicht meine Ansicht. Auch dann, wenn an einem in geschichtlicher Form überlieferten Offenbarungsvorgang die Gemeinschaft als solche, sei es lediglich passiv, sei es auch mit einem aktiven Zug, beteiligt erscheint, auch wenn der Bericht göttliche Anreden enthält, die an ein »Ihr« gerichtet sind, kann ich als den mir kenntlichen Kern des Geschehens nur das Berührtwerden einer zentralen menschlichen Person von der Transzendenz her verstehen. 2. Es ist einigermaßen ungenau zu sagen 2 , ich stimmte darin mit dem protestantischen Theologen Oscar Cullmann überein, daß das Judentum keine Mitte der Heilsgeschichte kenne. Daß ich auf die »Zäsurlosigkeit« der jüdischen Geschichtsanschauung lange vor Cullmann hingewiesen habe, wäre nicht der Erwähnung wert, wenn es sich dabei lediglich um eine individuelle Prioritätsfrage handelte; es handelt sich aber darum, daß die Einsicht, für den Juden gebe es keine festgelegte Mitte der Geschichte, vom Judentum selbst aus ausgesprochen worden ist. 3. Es wird bezweifelt 3 , daß ich den verschiedenen Wortgebrauch hinreichend in Betracht gezogen habe, und als Beispiel wird das Wort chessed angeführt, hinsichtlich dessen gesagt wird, es bedeute nur selten Herzensgüte oder Gnade; Bundesliebe drücke das Gemeinte besser aus. Der Kritiker hat jedoch gar nicht beachtet, was ich selbst seinerzeit in der dem Psalmenband meiner Übersetzung beigegebenen Abhandlung »Zur Verdeutschung der ›Preisungen‹« über den Gegenstand geschrieben habe. Ich zitiere mich: »Chessed ist eine Zuverlässigkeit zwischen den Wesen, und zwar wesentlich die des Bundesverhältnisses zwischen dem Lehnherrn und seinen Dienstmannen, ganz überwiegend die Bundestreue des Herrn, der seine Diener erhält und beschützt, sodann auch die der Untertanen, die ihrem Herrn treu ergeben sind. Der diesem Ge1. 2. 3.

Muilenburg 366. Muilenburg 366. Muilenburg 369.

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genseitigkeitsbegriff entsprechende deutsche Wortstamm ist ›hold‹ …, der ›Holde‹ hieß mittelhochdeutsch der Lehnsmann … In den Psalmen sind Gottes ›Chassidim‹ seine Holden, seine ›treue Gefolgschaft‹.« Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, daß die Etymologie, manchmal sogar die Volksetymologie, eines in der Bibel sich wiederholenden Wortes für den Übersetzer deshalb wichtig sein muß, weil die Wiederholung im biblischen Text häufig dazu dient, eine Stelle durch eine andere erläutern zu lassen. Doch ist in der Übersetzung der Bedeutungswandel der Wörter nach Möglichkeit berücksichtigt worden. 4. Muilenburgs Zusammenstellung 4 von Exodus 15, 12-17 mit dem Deboralied scheint mir einer genaueren Prüfung nicht standzuhalten. Der spezifische »Leitwortstil«, der im Deboralied einen primitiv refrainhaften Charakter angenommen hat, ist in diesen Versen nur noch rudimentär zu finden. 5. Muilenburg fragt 5 , warum ich tehillim durch »Preisungen«, statt durch »Psalmen« wiedergebe. Nun, einfach deshalb, weil tehilla eben Preisung bedeutet; das heißt: weil der für den Titel des Buches verantwortliche Redaktor durch die Wahl dieses Wortes offenbar deutlich machen wollte, daß alle diese Lieder, auch die klagenden und um Rettung flehenden, letztlich als Loblieder, als Preisungen und damit als der dichterische Ausdruck eines großen Vertrauens zu verstehen sind. 6. Im 1. Psalm kommt weder im Original noch in meiner Übersetzung »das Gesetz« vor. Es wird von der thora, von der »Weisung«, nämlich von der Weisung des rechten »Weges« durch Gott geredet. Zum Unterschied vom »Gesetz« (nomos) ist thora erstens ein dynamischer Begriff, d. h. der verbale Ursprung und Charakter haftet dem Nomen an und wird verschiedentlich besonders hervorgehoben (»die Weisung, die man dir weisen wird«, Deuteron. 17, 11), und zweitens, die Verbindung zwischen dem göttlichen Unterweiser, dem »moreh« (Jesaia 30, 20), und seiner Weisung ist im Worte selbst gegeben, d. h. die Objektivierung des Begriffs widerspricht seinem Wesen. 7. Meine Vermutung zu Exodus 19, 5 ist nicht durch einen Hinweis auf den Leitwortstil 6 zu widerlegen, denn ein Personalpronomen ist im allgemeinen, auch wenn es emphatisch gebraucht wird, nicht gewichtig genug, um als »Leitwort« verstanden zu werden; ebensowenig ist aus »und nun« ein Gegenbeweis abzuleiten, da dies ja auch für einen Überarbeiter das hier gebotene Wort war. (Nebenbei: ich habe nur von einer »Über4. 5. 6.

Muilenburg 372. Muilenburg 373. Muilenburg 377.

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arbeitung« gesprochen; die Worte »oder ein Einschub« stammen von einem Mißverständnis des Übersetzers, auf das ich erst jetzt aufmerksam geworden bin.) Da ich die Überarbeitung des ursprünglichen Wortlauts für deuteronomistisch halte, ist der Hinweis meines Kritikers auf »die Deuteronomisten« nicht beweiskräftig. – Was übrigens die Bemerkung 7 über unsere Übersetzung der Partikel im an dieser Stelle, als »ungewöhnlich«, bedeutet, ist mir unverständlich; die Partikel ist von uns hier nicht anders übersetzt worden als sonst fast immer. 8. Die gegen meine Auffassung des Tetragrammatons (und der damit verknüpften »Keniterhypothese«) vorgebrachten Bedenken zu entkräften würde ein besonderes Kapitel verlangen; ich glaube sie aber im wesentlichen schon in meinen einschlägigen Arbeiten, namentlich in »Königtum Gottes« und in »Moses« beantwortet zu haben. 9. In der Frage des Dekalogs scheint mir die Meinungsverschiedenheit nicht so groß zu sein, wie Muilenburg 8 annimmt. Ich halte ihn zwar nicht für ein document, auf dem der Bundesschluß errichtet ist, aber ich halte ihn für den Text einer Proklamation, dessen Ursprung auf eine Offenbarung zurückzuführen ist. Ich halte ihn nicht für ein objektivierbares »Gesetz«, aber ich erkenne mich im Du wieder, das von dem diese Gebote Gebietenden angesprochen wird, und ich erkenne meinen Mitmenschen, dem ich auf den Wegen meines Lebens begegne, in ebendiesem Du wieder. 10. Man hat 9 meine Auffassung des biblischen »Gesetzes« meiner exegetischen Haltung gegenübergestellt: wäre ich dieser gefolgt, sagt man, so hätte ich erkennen und anerkennen müssen, daß »im Zusammenhang mit dem Alten Testament die Gesetze als absolut erscheinen«. Aber daß sie im Kontext so erscheinen, ist ja unanzweifelbar; mir geht es um die Frage, ob sie allesamt zu Recht so erscheinen, mit anderen Worten: ob z. B. die Detaillierung der Opfergaben im gleichen Verhältnis zur geschehenen Offenbarung steht wie der Dekalog. Wir wissen nicht, welche »Thora«-Texte Jeremia im Sinn hat, wenn er sagt (8, 8), »der Lügengriffel der Schreiber« sei an ihnen tätig gewesen; es mögen Texte sein, die hernach nicht in den Kanon aufgenommen worden sind; es mögen auch andere sein; jedenfalls aber kann der Prophet mit »Lüge« hier kaum etwas anderes meinen, als daß innerhalb der »Thora«, die das Volk sein eigen nannte, in einem anscheinend nicht geringen Maße menschlicher Wille für göttlichen ausgegeben wurde, somit »Gesetze« als ein Absolu7. 8. 9.

Muilenburg 377. Muilenburg 377 f. Glatzer 360/361.

MBW 13 (02689) / p. 588 / 18.3.2019

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tum erschienen, die keines waren. Mir ist es zwar nicht erlaubt, in der kühnen Sprache des Propheten zu reden; wenn ich aber als gläubiger Denker, als gläubig-denkerischer Diener der Wahrheit in der Schrift forsche, muß ich in der Sache ihm beipflichten. Ich erkenne und weiß, daß Offenbarung geschehen ist; ich verstehe es, wenn der von der Stimme ergriffene Mensch auch dann nicht innehält, nachdem er das gesagt hat, was zu sagen ihm geboten worden war; ich kann es verstehen, wie auch in späteren Momenten ein noch Ungesagtes, aber von jener frühen Stunde her in ihm Erwecktes und seither Wachsendes von ihm mit derselben auf die Offenbarung hinweisenden Eingangsformel zu Erben seines Geistes gesprochen wurde und sich in deren Geiste verhaftete. Aber überdies ist mir einsichtig und verständlich, wie nach ihm die Eingangsformel der kundgegebenen Offenbarung, die das »Reden« Gottes berichtet, auch von bloßen Amtserben, von »Schreibern«, gehandhabt worden ist. Aus alledem ist der große Kontext entstanden, in dem »die Gesetze als ein Absolutum erscheinen«. Ich gebe, so gut ich vermag, der Rechtmäßigkeit dieses Anspruchs nach. Das kann ich freilich nicht, wenn ich die Texte als bloße Objekte meiner Forschung behandle: ich muß, wann immer und wie immer ich sie lese, stets von neuem selber zur Begegnung bereit sein. 11. Meiner Interpretation prophetischer Texte werden einige Argumente entgegengehalten 10 , die ich kurz nachprüfen will. Man wirft mir vor, daß ich »das menschliche Handeln zu einem Faktor der Erlösung mache«; dem wird entgegnet, für die Propheten sei »der unerforschliche und verborgene Gott der primäre Faktor in der Geschichte«. Als ob sich beides in der Wirklichkeit prophetischen Glaubens, wie ich sie darzustellen versucht habe, nicht miteinander vertrüge! Selbstverständlich sind, nicht bloß für die prophetische, sondern für alle biblische Religiosität die Entscheidungen in Gottes Händen; aber in der prophetischen Verkündigung werden Mal um Mal künftige Handlungen Gottes mit einem »Wenn« verbunden, dessen Gehalt Handlungen der Menschen sind: wenn das Volk zu ihm umkehrt, wird er sich zu ihm kehren. Selbstverständlich wird damit nicht dem Willen Gottes eine Abhängigkeit vom Menschenwillen zugeschrieben: Gott ist es, der immer wieder und wieder in das dialogische Verhältnis zum Menschen treten will. Hier waltet keine Dialektik, sondern das nicht zu dialektisierende Geheimnis der Urbeziehung zwischen Gott und Mensch, je und je sich in Momenten faktischen Geschehens in Biographie und Geschichte kundgebend. 10. Taubes 405 ff.

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Und im Zusammenhang damit: es gibt keinen alttestamentlichen Text, auf Grund dessen gesagt werden könnte, Gott sei »für die Propheten« oder für irgendwen sonst, »ein verborgener Gott«. Er ist kein verborgener, sondern ein sich verbergender Gott, wie Deuterojesaja an einer grundwichtigen Stelle (45, 15) die von Gott befreiten Weltvölker ihn anrufen läßt: er hatte sich verborgen, und sie waren versklavt, dann aber hatte er sich als »der Befreier« offenbart und hatte sie in die Freiheit geführt. Wann aber verbirgt sich Gott? Das hatte schon einst Jesaja (8, 8, 17, 20) eindeutig ausgesprochen: wenn ein Volk die »langsamen Wasser« des wahren geschichtlichen Geschehens »verachtet«, dann verbirgt Gott sein Antlitz vor ihm, bis es zu ihm, »zur Weisung und zur Bezeugung«, umkehrt. Wie vor-, so nachexilische Propheten haben als von Gott Ermächtigte dieses geschichtsdialogische Wenn gesprochen. In dem großen biblischen Wiederholungsstil hören wir von Hosea (14, 2, 5) bis Maleachi (3, 7) die göttliche Handlung der menschlichen antworten, in einer zuerst ganz frei tönenden, zuletzt formelhaft werdenden Entsprechung von Verb und Verb. Nur an der Endschwelle des babylonischen Exils, in der Stunde der geschehenen Befreiuung Israels und der Weltvölker, verstummt die Sprache der Alternativik, verdrängt von der deuterojesanischen Doppelbotschaft, der von der vollzogenen geschichtlichen Sendung des Kyros und der von der über jetzige und künftige Generationen hin zu vollziehenden Sendung des »Knechts«. Man hält mir entgegen 11 . Deuterojesaja sei somit meiner eigenen Unterscheidung nach nicht unter die Propheten, sondern unter die Apokalyptiker zu rechnen, die das Geheimnis des dialogischen Geschehens zwischen Gott und Mensch nicht mehr kennen. Das trifft aber keineswegs zu: der namenlose Geschichtssprecher gehört nicht unter sie. Die Sprache der Alternative schweigt hier nur deshalb, weil in den Liedern vom »Knecht«, in denen die Botschaft zentriert, die geschichtlich-übergeschichtliche Dialogik zwischen Gott und Mensch ihre Höhe erreicht. Es trifft aber auch nicht zu, daß die prophetische Alternativik hier und bei den Apokalyptikern durch eine »neue« ersetzt werde, die nämlich, ob man die kommende Wandlung wahrnimmt oder nicht. Eine solche Alternative, also eine Wahl, vor die ein Einzelner oder eine Gemeinschaft gestellt wird, kommt bei Deuterojesaja nicht vor. Wenn es (48, 18 f.) unter emphatisch viermaliger Wiederholung des Wortes »blind«, von dem »Knecht« heißt, er sei blind gewesen, so birgt sich darin durchaus keine Alternative: Gott hat ihn sehend gemacht, ja er erweckt ihm auch immer neu das Hören (50, 4), 11. Taubes 406.

MBW 13 (02689) / p. 590 / 18.3.2019

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damit er die Sendung zu erfüllen vermöge. Das Bild von den Söhnen des Lichts und den Söhnen der Finsternis, das die Apokalyptiker aus der Sprache des iranischen Dualismus übernehmen werden, ist Deuterojesaja, dessen Gott »das Licht bildet und die Finsternis schafft«, vollends urfremd.

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Philosophical Interrogations A. The Bible

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Friedrich Thieberger: The differentiation between tent and temple in the development of religious faith is presented by Buber in his book The Prophetic Faith (Der Glaube der Propheten) as though the tent were a tangible symbol of God accompanying the people in all their wanderings and in all the events of life, that is, as the king of the people who alone led them, while the temple, as an immovable fixed residence, had, by its enclosed, isolating walls, »reduced« the Godrelationship of the people to the level of pure cult. Only in the temple was the sacrificial service of the priest permitted; all else in life was removed from this temple-sphere, which alone was thought to have direct access to God, or made subservient to a representative of God, namely the King. According to this view, the temple might well be regarded as a decisive diminution of the mighty Israelite conception of the Kingdom of God who reigns in all spheres of existence directly and exclusively. Now my question is this: Is this »reduction« not merely a historical phenomenon which does not at all affect the religious concept of the temple? With the erection of the temple, all other places of sacrifice, dedicated to the one and only God, were to be abolished; the sacrificial ritual and all the magic that was connected with it were to be confined to the temple area; the practice of oracles was to cease completely. Does this not signify a purification of the concept of God, an intensification of the inner relationship to Him? This was indeed a tremendous transformation that the people, to be sure, were not equal to. And this failure was welcomed by the kings, for it gave them a free hand in public life. Only then was the right atmosphere created for the prophets with their spiritual demands, which were directed not against the temple, but against its misinterpretation. Solomon’s temple created a grave crisis which, viewed historically, led for a long time to a »reduction« of the exclusive dominion of God. But does it not have a place in the development of religious thinking which is higher than that of the tangible tent, continuously wandering from place to place? Buber: Certainly this reduction is a »historical« manifestation, but it is not »merely« a historical one. The development of a religion, unfortunately, does not in fact consist of a series of genuine conceptions of faith; ever again there stand opposite each other a genuine conception

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of faith and its adversary which likewise is represented »religiously,« namely, in the development of cult and of creed; and, all too often, the historical form, which belongs indeed to »religion« as well, is determined by the adversary. Very soon it is joined by an exegesis, a theology, an apologetic. Are the priests, against whom Jeremiah turns because of their teaching that the temple offers objective security, to be stricken from the history of religion? I see in this pseudo security of »religious possession,« of the intentionless sacrifice, the intentionless fulfillment of command, in all opus operatum – I see the arch enemy of religion that rises against it from within. Is the magic really curtailed, as Thieberger says, through the fact that it is centralized in a »narrow temple enclosure« to which all the people shall make a pilgrimage three times a year? Certainly, a religious idea is contained in the innovation of a fixed center and of the rhythmically regulated streaming of the people to it; but it is coupled historically with its contradiction, because no new form of divine leadership was associated with the end of the tent – in other words, because after Moses there were no prophetic men who were leaders of the people, and because between Moses and Solomon there might still persist, to be sure, isolated, politically authorized admonishers in the court; but from Solomon on, »prophecy« degenerated into official soothsayers and more or less suspect outsiders, which last we call »the prophets of Israel.« Karl Thieme: 1. Do you consider your published biblical studies (beginning with Die Schrift und ihre Verdeutschung and the translation of the Bible itself from the Hebrew into German, and including The Prophetic Faith as well as Das Sehertum) the quintessence of your life work and your discovery of the »key-word style« of the Bible as your most fruitful contribution to its interpretation? To me, your repetition of symbolic words and word-stems respectively to point up related meanings in the Scriptures (as you practiced it, for example, in »Abraham der Seher« (Abraham the Seer) and I did, following your example, in »Die Komposition des Buches Genesis« 1 and in »Nimrod Kusch und Babel« 2 ) seems to have proved itself a key to the understanding of the biblical kerygma to such an extent that one can only hope that the scholars of the Old and of the New Testaments will not continue to ignore the fact that here is revealed »the secret of form of

1. 2.

Schweiz Kirchenzeitung, January 11, 1945. Historisches Jahrbuch, LXXIV (1955).

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biblical narrative«, as Franz Rosenzweig first pointed out in the essay of that same title which he dedicated to you on February 8, 1928. 3 2. Would you deem it possible to recognize, at least historically (quite apart from the possibility of following it today), the Law as the foundation stone of the existence of the Jews (and, cum grano salis, of Christians also): The Law to which the proclamation of the prophets was added from time to time as an indispensable corrective and as an actualization according to the situation, yet without being able to supplant it; so that Ezra does have the inestimable importance for the factual survival of the Jewish people and of our whole Judeo-Christian civilization that is ascribed to him by tradition (and today, for example, by H. H. Schaeder in his Esra der Schreiber)? As you know, and as my currently continuing debate with Martin Noth’s Collected Studies on the Old Testament for the Una Sancta 4 develops more at length, I hold the revealed Law to be the most important common concern of both Jews and Catholic Christians in contrast with Protestants (with of course some not unimportant exceptions). I realize that you yourself side with the Protestants in this matter; and your incisive argument with Rosenzweig on this point, through the appeal he openly directed to you in »Die Bauleute« (1923), continues to occupy my thoughts. I should like to ask you, however, whether you could not acknowledge the Law as something which we cannot possibly conceive of as historically nonexistent, and without which there would not be any Jews on earth today? 3. Is your blunt antithesis of »Prophecy and Apocalyptic« really your last word on this subject? Was I mistaken when I thought I was detecting a higher appreciation of Apocalyptic in Zwei Glaubensweisen, 5 to the effect that, in times when a people enslaved by totalitarianism »can no longer be saved by earthly means«, God can then from heaven vouchsafe their redemption by means of apocalyptic prophecy (insofar as they have adhered to his Torah)? 4. How would you characterize Franz Rosenzweig’s contribution: (a) in your collaboration in the translation of the Bible, and (b) in the discovery of the »key-word style« and other exegetical devices?

3. 4. 5.

Cf. »Babel«, International Journal of Translation IX, I (Special Issue, Translation of Sacred Texts). Rundbriefe, 1957. Zwei Glaubenweisen (Zürich: Manesse Verlag, 1950), pp. 114 f.; Two Types of Faith, trans. by Norman P. Goldhawk (New York: Macmillan & Co., 1952).

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Buber: If I myself should designate something as the »central portion of my life work,« then it could not be anything individual, but only the one basic insight that has led me not only to the study of the Bible, as to the study of Hasidism, but also to an independent philosophical presentation: that the I-Thou relation to God and the I-Thou relation to one’s fellow man are at bottom related to each other. This being related to each other is – if I may retain the expression – the central portion of the dialogical reality that has ever more disclosed itself to me. All my work on the Bible has ultimately served this insight, and within it also that reference to the repetition-forms in biblical writings to which Thieme has called special attention. They are eminently dialogical forms: the speech of God in the Hebrew Bible proceeds from the fact that man hears and understands the word not merely according to its »what,« its content, but, in its innermost context, according to its »how.« That means: Speech is here no robe that one can exchange for another; it is the unique and irreplaceable gesture itself. The repetition in its biblical form is the gesture with which the word explains itself. To man too, for his true intercourse with his fellow man, the dialogical forms, the unity of »what« and »how,« the self-interpretation of the word is given and delivered. 2. I cannot desist from pointing out that Torah in its original biblical meaning does not mean »law,« that is, an objectivum detachable from its giver, but the instruction of an instructor in the right path of life, the teaching of a teacher about the true way, and indeed such that in the perception of the perceiver the instruction cannot be separated from the instructor, the teaching from the teacher. Certainly, in part already early, many individual »directions,« of a ritual and general nature, have also been designated by this word, and in biblical and postbiblical times the concept has become ever more completely independent until the Septuagint could take it as self-evident that it should be rendered by »law.« But the binding of memory to the verbal dynamic in the root-depths of the noun – the inner might that through the mouth of narrators, prophets, and psalmists praises God as he who »instructs« Israel »in its ways« – has not come loose in any religiously living age. It is, in fact, the living Torah, the instruction of the living God, that has preserved Judaism. But as in many other religions, so here too there has prevailed a highly consequential dialectic between the objectively defined law, from time to time extended by the »pen of the scribe,« and the group listening to the eternal voice of the revealer, those who »turn« to him. From the prophets to the Hasidim, no one has wanted to »replace« the Torah; what matters ever again is that the command be fulfilled with the

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undivided intention of the loving soul as one commanded by the commander. 3. The antithesis between the prophets and the apocalyptic writers is not that of »redemption from the side of earth« and »redemption from the side of heaven.« No prophet has ever proclaimed a redemption that proceeds from the earth; each has glorified God as the redeemer; but the prophets have demanded of man his share in the preparation for redemption: the active readiness of the whole existence, hence just that which they designate as the »turning,« turning to God, and what later the Greek translator of the traditional sermons of the Baptist, Jesus, and the Apostles rendered in weakened form as metanoia, repentance. What sunders me from the apocalyptists is not, say, that the call to metanoia disappears from their mouths, but that it, so to speak, fundamentally disappears from them. God continues to call to man, God always calls to man; but men wish to know nothing of it. 4. About Franz Rosenzweig’s share in our translation of the Bible I have faithfully reported in the essay written in 1930, »Aus den Anfängen unserer Schriftübertragung,« and reprinted in the book Die Schrift und ihre Verdeutschung, 6 which contains both our contributions to the problems raised by the work. The question about the discovery of the »leading-word (Leitwort) style« Rosenzweig himself has answered in the essay cited by Thieme, »Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen.« What I have to add to it is found in my aforementioned essay. 7 B. The Biblical View of History

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Ewald Wasmuth: 1. The first question asks about the relationship or the distinction between the dialogical and the dialectical principles, and more specifically about the meaning of the two principles, respectively, in history. 2. The warrant for this question is confirmed by the fact that there are statements in your writings which appear to be indebted not to the dialogical principle, but rather to the dialectical principle or, more correctly, to the apocalyptic principle as you understand it; which, however, you have rejected and the dubiousness of which you have convincingly pointed out. The statements, however, which give me the right to pose this 6. 7.

Martin Buber and Franz Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung (Berlin: Schocken Verlag 1936), pp. 316-329. Die Schrift und ihre Verdeutschung: Rosenzweig, p. 242; Buber, pp. 323 f.

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question are by no means incidental ones, but assertions which are so decisive for the interpretation of history and of man that obviously there remains something that cannot be explained by the system of the dialogical principle. The result is that both act as thesis and antithesis which are to be somehow resolved in the synthesis. E x p l a n at i o n : The first question needs no explanation since it is explained by the second question (above) and the third question (below, p. 103). May I try to make the second question clear by quoting a few sentences from your work. In your book Das Problem des Menschen you say:

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In the history of the human spirit, I distinguish between the epochs of habita- 10 tion and the epochs of homelessness. In the former, man lives in the world as in a house, as in a home; in the latter man lives in the world as in an open field, and at times does not even have four pegs with which to set up a tent. In the former epoch anthropological thought exists only as part of cosmological thought. In the latter, anthropological thought gains depth and, with it, independence. 8 15

This alternation you deduce, at least as far as our present homelessness is concerned, from the invasion of the cosmos by the Infinite, as man used to and still does interpret it. This thesis is convincing. It corresponds to the experiences of modern man and finds its confirmation in history. Upon examination, however, this alternation points toward something like a »cosmological law«, that is to say, toward a law of the sort that apocalyptists presuppose. And in this company, as you have elsewhere shown, one must include, among modern philosophers, Hegel, Marx, Nietzsche, Heidegger, and others. The law is not consistent with the »tidings of the prophets« and the alternatives proclaimed by them. Of these two teachings, however, you have said: »The first, i. e., the teaching of the alternatives, derives from the hour of greatest strength and productivity of the oriental spirit; the second, i. e., the apocalyptic, stems from the decline of its cultures and religions«. Neither the alternations of the epochs nor the hours of productivity or of the decline of cultures can be traced back to the principle of alternatives, to the dialogical principle. Nevertheless, both statements are convincing. They are in our estimation correct. One can hardly doubt that. But as soon as one attempts to understand them, one must admit that they more readily coincide with the dialectic than with the dialogical principle – in any case, with that principle from which the apocalyptists derive their authority. 8.

Between Man and Man, p. 126.

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3. With this I come to my third question, which has to do with your interpretation of good and evil. You equate evil with decisionlessness, that is, you understand or define it in the way zero defines the magnitude of the finite numbers in arithmetic. Decisionlessness is the absolute nothing over against the good. There are only degrees of good and, strictly speaking, no degrees of evil, since it can have no reality in and of itself. This »nothingness« of moral good corresponds to the position of zero in arithmetic, that position of the zero to which Pascal alluded when he said in Fragment 72 (Pensées) that he knew people who could not comprehend that zero minus four was zero; which, incidentally, led Pascal’s worthy editor, Havet, to remark, in the middle of the last century, that Pascal must have been in error in this statement since zero minus four was actually minus four. That is now valid in algebra and thus also for us today, »and we cannot believe anything else«, just as +4 and -4 correspond to the right and left branches of the Cartesian system of co-ordinates, so that both differ merely by their sign, both having equal reality. That, however, is the presupposition of all modern science, in which negative quantities are quite as real as positive quantities. It follows from this that this science belongs basically to the Zoroastrian and Manichaean world-view, which has been magnificently confirmed in this science and perhaps explains why these natural sciences have come into collision with the biblical Judeo-Christian tradition. Although I wholeheartedly agree with what you say about good and evil, it does seem to me as though decisionlessness as such does not fully suffice, but that evil has degrees just as good does, that there is a dialogue with the opposite of good. This, however, in my opinion, appears as dialectic which in and of itself could be only logical, not existential. But in spite of that – and probably undoubtedly – the process is the historical potential out of which derive the alternations of »being at home« and »homelessness«. However, I did not wish to give my answer to this question but to learn yours. Buber: The question that looms behind those formulated by Wasmuth is so abysmal that I cannot try to deal with it adequately here, not even in some measure. I must content myself with a brief reply to the individually formulated questions. If by dialectic is here understood the connection of processes that, according to immanent laws, take place in history between antithetical primal powers of many forms, then I cannot acknowledge its reality; I can glimpse here only the admirable attempt of human thought not merely to

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order historically and categorically the confusing fullness of historical happening, but also to ground it metaphysically and according to principle. Certainly I see opposing forces struggle with each other in every hour, in the historical sphere as well as in the biographical; but I do not find in history a simple comprehensible necessity like that of the fate of individual death in biography. History is, indeed, in essence nothing else than what happens just now in the human world; and thus I am oppressed, day after day, at how the fate of the generations now living depends on the decisions, the decisionlessnesses, and the seeming decisions of persons and groups. The »unmasking« thought of modern man has succeeded in grandiose manner in discovering »behind« history the stratagem of world-reason or the compulsion of economic-technical transformations; but to me the »historical« reality that penetrates to me calls into question all this kind of analysis as to what lies behind history. Wasmuth refers to the fact that, according to my own presentation, the present epoch of »homelessness« has proceeded out of the Copernican invasion of the infinite. But this invasion has had the effect that it had only because man has merely opposed to it the Kantian antinomy of the infinity and finiteness of space and time; so far he has not opposed to it a greater image of God than the traditional one, a greater one and yet one that can still be addressed, the image of a God who out of his eternity has set in being this infinite-finite, space-time world, who embraces and rules over it with his eternity. But to seek to explain by a historical dialectic why man has not done this, could not do this, would be to explain the question – away. The abyss that opens behind the question of the dialectic is the mystery of the relationship between God’s »omnipotence« and the actual freedom of man. As Wasmuth knows indeed, it cannot be replaced by any theory of history and it cannot be re-expressed by any. But the apocalyptic also injures the mystery because in its perspective only God, but not also man really exists. I have neither the intention nor the capacity to derive the alternation of epochs from the dialogical principle. But does not history teach us that, in times of the fruitfulness of culture, a grand and direct intercourse between man and man shines and radiates, and that in times of decadence it is extinguished? To the problem of evil: In »Images of Good and Evil« 9 I have pointed out that evil proper is the affirmation and strengthening of one’s own decisionlessness against the God who demands decision, hence a Yes 9.

Good and Evil (New York: Charles Scribner’s Sons 1953), pp. 63-143.

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and No at the same time. But the Yes in it is in no way a Yes of decision. One does not decide for Baal, one falls to him; in other words, one does not decide for the Having (Baal is the »possessor« who grants the Having) against the Being, one is swallowed by the Having. And where does »a dialogical relation to evil« show itself here? Adolf Hitler, the Baalish man, is precisely the exemplary living being with whom a dialogue is no longer possible. But where the life-ground of one called »evil« is still accessible to the address, we are obliged, when we come into a common situation with him, to turn dialogically to just this life-ground, in which the neglected decision putrefies, not, of course, as a preacher: »Abyssus abyssum clamat.« Here too I see no »dialectic«. C. The Ontic Status of the Mythical Image

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Samuel Hugo Bergman: My question to Martin Buber has to do with his view of the ontic status of the mythical image, such as the one about the speaking ass of Balaam or the divinely guiding cloud which, according to the biblical report, descended in the desert upon the tent of presence (Num. 9:15, etc.). As far as I can see, only the following points of view are possible regarding the reality of the mythical world: 1. The naïvely pious attitude. 2. The transformation of the myths into psychic realities, such as we find in the work of Jung. 3. The view that there is no other reality outside our own, that therefore the myths can be rationally explained and must therefore be traced back to the familiar reality of our senses. I find an example of this view in Buber himself when, in the book Moses, he substitutes for the dying of the first-born »a pestilence, a children’s epidemic«, 10 ostensibly in conscious contrast to what the Scripture itself tells: it speaks only of the death of the first born in the land of Egypt. 4. The view that the mythical world is a reality sui generis, as real as the world of our senses but, to be sure, able to be experienced only by means of some special sense organs which contemporary man either no longer possesses or does not yet possess. This may be the approximate position of Rudolf Steiner or that of Leopold Ziegler who speaks of the mythical world’s having an oscillating center between the two extremes of an ideal image and an actual reality. One might ask in this connection 10. (Oxford and London: East and West Library, 1946), p. 68.

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whether these two worlds, the mythical and the sensuous-objective one, could meet at some point in time or space (as, for example, Jesus the Christ was born in Bethlehem in the reign of Pontius Pilate)? Is Buber willing to identify himself with one of these points of view or does he permit the use of various points of view, now one, now another, and if so, which? A further question arises here, concerning the meaning and the possibility of a demythologized religion? Is such a religion desirable or at all possible? Is religion at all possible for man once he has been driven out of the Paradise of his mythical world and has »seen through« the myths as such? Buber: I cannot identify my conception of the mythical image with any of the standpoints cited by Bergman. This can easily be made clear through the two examples cited by him. To believe »naïvely« that at a certain hour in a certain place an ass spoke is not given to me. But the view that such a speaking is, to be sure, »real,« but present-day man does not possess the organs to perceive it does not seem to me to differ so very much from that belief, except for the fact that for the former there exists only the one great biblical exception, whereas the latter view is ready to understand the speaking of asses as a rather frequent exception, only »no longer or not yet« grasped by our organs of consciousness. But to see therein a »psychic reality,« whether a symbol in the Freudian or an archetype in the Jungian sense, would probably be far from my thoughts, even if I were a psychotherapist and a patient told me a dream in which a speaking ass appeared. But the fourth standpoint, too, which Bergman seems inclined to ascribe to me, that of a »rationalistic« explanation, I cannot make my own: a mythical image may, to be sure, be induced by a real historical event, but the image itself is not thereby explained for me. To stay with the death of the first born cited by Bergman: this image may have been induced by an event of a general nature, but it probably would not have arisen if the first narrator had not been permeated by the statement of God, »My first born is Israel«. But I also do not know at all how I am to rationalize the narrative of the speaking ass. Rather, I am inclined to accept the fact that underlying this narrative is a real, to be sure in no way »supernatural,« but still quite particular, indeed certainly unique occurrence; more exactly, an experience that either could not find its expression otherwise than in a mythical image or, even in the experience itself, had been tinged in some measure and in some manner with the character of this imagery. In order to be rightly understood, I must say something in explanation: in my view, a

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saying like that of Balaam cannot arise if there has not been a man who experienced something analogous to that of which the saga tells in mythical images. What I mean is this: A man who practices the calling of soothsayer was once seized by the genuine might of prophecy. He now no longer produces for the curious magic reflections of a would-be future, but proclaims what is given to him, things revealed, past, present, and coming in one, and admonishes his hearers about the actual situation in which they have to authenticate themselves. The soothsayer-nature in him resists this, no matter how gently (the biblical text hardly indicates wherein the resistance consists); then a divine messenger confronts him on the way as »Satan,« as the hinderer. Balaam does not notice it, but the natural being, his trusted animal on which he rides, seems to notice something of the sort, for it refuses to go further. It is this experience of his, of nature refusing to take part in his resistance against God, that is presented in the mythical image of the speaking ass; I can devise no other that would be so adequate to what is meant, but just mythically adequate, not rationally. The mythical image is no allegory; what is involved here is not something abstract that has been carried over into the sphere of sensory perception; it is bodily experience that has engendered the image. In whom? One may answer: in the narrator of the saga – but had it not perhaps already entered into the heart of the magician himself in the hour when that something had befallen him: when nature denied him its service and when he felt that denial, to be sure, only with the limbs in contact with the animal, but as if it sounded in his ears? The mythical image expresses something that cannot be expressed otherwise than in such language. The character of the mythical image manifests itself still more precisely in the other example. A band of people attains its decisive relationship to God in its belief that it is led on its wandering by him. Natural manifestations that it encounters are included in this belief: while the band follows a shining cloud, it is powerfully permeated by trust in the divine leading. It sees in the cloud the messenger of God; it will tell of it, and its narration will be a myth of experience. I am not in the least inclined to accept the idea that earlier men »through special organs of consciousness« were in a position to perceive a divine cloud as reality sui generis; but, on the other hand, the fact that men found their binding with God through the faith-experience of being led by him and that they perceived natural occurrences in this context of meaning is for me by no means merely a »psychic reality«.

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Anhang Unveröffentlichte Archivmaterialien

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[Über Name und Ort Gottes] Wir beginnen mit theologischen Fragen: 1. Kann Gott einen Namen haben? oder »wie« kann Gott einen Namen haben? 2. Kann Gott einen Ort haben? oder »wie« kann Gott einen Ort haben? (Gegenwart Gottes) = Teil des uns bekannten Weltraums. Beide Fragen gehen auf die Urfrage nach der Immanenz Gottes zurueck. Wie kann Er sich der Welt in ihrer Welt zuteilen? Beide Fragen wollen wir nicht unerörtert beantworten, nicht als ob wir Philosophie trieben: nicht Theologie auf philosophischer Ebene mit philosophischen Mitteln, also nicht erörtert mit einem Prinzip aufgestellt treiben. Denn es ist zweifelhaft ob Theologie mit philosophischen Mitteln ueberhaupt getrieben werden kann, das heisst, ob wir den Sinn der Theologie nicht verleugnen, wenn wir ihr philosophische Methoden darreichen, ob wir nicht den Geltungsbereich der Philosophie ueberschreiten, wenn wir sie mit der Theologie vermengen. Methode: Befragung des Wortes das nicht Eroerterung ist, sondern ein zu uns gesprochenes von einer Sphaere jenseits des Eroerterns und Besprechens. Wobei aber dieses Wort nicht jenseits der Kritik steht und nur als Offenbarung genommen wird, sondern wo wir uns zu dem Wort begeben und versuchen Auskunft zu bekommen, indem wir uns zu ihm dauernd kritisch und wissenschaftlich verhalten, keineswegs aber indem wir durch ein Glaubenspostulat das wissenschaftliche Verhalten vernachlaessigen. In welcher Weise erhalten wir Auskunft ueber die Texte? Es handelt sich um mehrere Kapitel des 2. Buches Mose: 1. Kapitel »Dornbusch« namentlich Befragung Gottes durch Menschen – Namen. 2. Kapitel, »Bau des Stiftszeltes« (Zeit der Gegenwart = Vergegenwaertigung Gottes) Hier liegt uns die staerkste Urkunde vor fuer die Gegenwart Gottes im Weltraum. Die moderne bibelwissenschaftliche Schule, etwa die Wellhausen’sche unterscheidet innerhalb des Bibeltextes verschiedene Textschichten, die einander durchkreuzen, so dass einmal ein Satz aus einer Schicht einem aus einer anderen gegenuebersteht oder im selben Satz sich verschiedene Schichten begegnen. Diese Schichtenunterscheidung ist vom Kriterium der Gottesnamen ausgegangen (erstmals der franzoesische Arzt Astruß),

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wobei dieser Moscheh noch als Autor annahm. ‫ אלוהים‬Elohim und ‫יהוה‬ (Adonai) ist das wesentliche Scheidungsmerkmal fuer die Erkenntnis dieser Schichten. Nicht die Unterscheidung verschiedener Quellen erscheint problematisch, sondern diese Art der Unterscheidung. Es scheint wohl so, dass man verschiedene Einzelquellen, Einzeltraditionen unterscheiden kann, aber nicht nach dem Massstab der Gottesnamen. Aber gerade hier scheinen zwei Dinge mit einander verwechselt zu werden: Die Schichten der Textentwicklung und die der religioesen Entwicklung. Das Vorkommen verschiedener Gottesnamen in verschiedenen Teilen ist nicht textkritisch erklaerbar, sondern kann aus einer ganzen Reihe von Gruenden erklaert werden. Wenn wir streng philosophisch vorgehen, dann muessten wir fragen, welche Schichten der Sprachentwicklung entsprechen diesem Text usw. Gegenwaertig sind wir ganz ausserstande die Geschichte der biblischen Sprache konkret zu trennen – siehe die verschiedenen Auffassungen der modernen Wissenschaft ueber ein Stueck Psalm. Bei solcher Problematik waeren wir in Bezug auf ihre Befragung ziemlich ratlos. Wir koennen nicht sagen, was ist frueher, was ist spaeter, was ist abgeleitet usw. Wir muessen eine Methode der fruchtbaren Resignation ueben; wir muessen uns auf den Standpunkt des Mannes begeben, der von der biblischen Wissenschaft mit R = Redaktor bezeichnet wird und in dieser Wissenschaft als Zusammenflicker gewissermassen angesehen wird. Die Bibelkritik geht davon aus, dass der Redaktor sehr viel weniger Verstand gehabt hat, wie die heutigen Gelehrten, er habe allerlei geaendert etc. Wir muessen dagegen vorschlagen den Redaktor ernst zu nehmen und ihn als das einzige Gewissen der Entscheidung des Textes bis ins letzte Einzelne anzusehen. Hier erst bei diesem Redaktor haben wir wissenschaftlichen Boden unter den Fuessen. Er hat also, waere dann zu sagen, hier das so und so verstanden, aus all’ den Traditionen vorher heraus. Nach Usener waere die Namengebung eine Funktion des Polytheismus. Alles gilt der Entgegnung auf diese Auffassung. Gibt es in einem unbedingten Sinne einen Gottesnamen? Ist das Namenhaben lediglich der Vielheit der Goetter zugehoerig, oder ist es nicht vielmehr so, dass das Namenhaben des Gottes sich gerade erst in dem Glauben an den einen Gott in seiner ganzen Bedeutung kund tut? Dass im Gegenteil alles Namenhaben des sogenannten Heidentums nur ein primitives, noch unvollstaendiges Stadium des Verhaeltnisses ist, das seine Vollkommenheit erst in dem mit Namen anrufen, des Einen, des wirklichen Gottes erhaelt. Diese Fragen muessen wir ganz deutlich in 2 Fragen teilen, die nicht zusammengeworfen werden duerfen.

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Die naechstliegende ist: Was bedeutet es, dass Menschen Gott, den wirklichen Gott mit Namen anrufen? Wir stellen also hier die Frage nach dem Sinn des Namentragens von Menschen aus. Darueber hinaus fuehrt die zweite, schwerere, tiefere Frage: Was bedeutet der Name, wenn Gott wirklich Namen haben kann, sozusagen von Gott aus, d. h. ist das mit Namen anrufen lediglich eine Funktion der Menschheit, etwas innermenschliches also, oder haben wir im praegnanten Sinn zu sagen, dass Gott Namen habe? Bedeutet dies von Menschen mit Namen angerufen werden etwas fuer das Wesen, fuer die Attribute Gottes selbst? Ist das Namenhaben ein wirkliches Attribut Gottes? Ist es ein Bestandteil des existenziellen Verhaeltnisses von Gott zu Mensch? Wir werden die erste Frage umfassen koennen! Wir werden den Menschen sozusagen rund nehmen koennen. An die zweite Frage koennen wir nur herangehen und ihr so viel abzulauschen versuchen aus Konkretheit als uns eben moeglich ist. Zuerst die erste Frage: Wie verhaelt es sich mit dem Namenanrufen Gottes durch den Menschen? Zunaechst waere festzustellen, woher die Auffassung kommt wie sie Minutius Felix vertritt. Vielleicht ist sie ableitbar von der gelaeufigen Auffassung, wozu es Namen gibt. Es ist die allgemeine Auffassung, dass Namen gegeben werden, um Gegenstaende oder Menschen von einander zu unterscheiden. Dieser Auffassung der pluralistischen Theorie will ich eine entgegenstellen, die ich die singularistische nennen moechte. Es scheint mir naemlich, dass das Urspruengliche und Entscheidende nicht der Antrieb ist, Wesen von einander zu unterscheiden, also Wesen, die fuer den Menschen in der dritten Person existieren, sondern vielmehr das Wesen, das ihm gegenübersteht, je und je anzurufen. Also das Verhaeltnis des Menschen nicht zu einem »Sie« sondern zu einem bestimmten »Du«. Es koennte also auch Anrufungstheorie heissen. Der Name ist nicht dazu da, um die Dinge zu unterscheiden, sondern um ihre Praesenz je und je zu realisieren; dieses Wesen so anzurufen, dass es antwortet, mir gegenwaertig wird. Dass es so ist, koennen wir deutlich machen gerade von der Frage aus: Warum muss der Gott, irgend ein Gotteswesen, beim Namen angerufen werden? Wenn wir dies erfahren, werden wir auch deutlich sehen, dass Namengebung eben dies bedeutet: Anrufung des bestimmten Wesens. Das fuehrt uns auf ein Grenzgebiet, Mischgebiet, auf dasjenige zwischen Magie und Religion. Ueber die bisherigen Untersuchungen ueber das Verhaeltnis von Magie und Religion ist es vielleicht moeglich einen Schritt weiter zugehen. Es scheint mir, dass die entscheidende Differenz noch nicht genuegend klar gestellt ist. Sie scheint mir die zu sein, dass in

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dem magischen Verhaeltnis des Menschen zu irgend einem daemonischen oder goettlichen Wesen der Mensch von diesem Wesen oder durch es, oder durch seine Macht etwas erlangen will, aber ohne sich in irgend eine wirkliche Beziehung zu diesem Wesen zu setzen, ohne in eine wirkliche Gegenseitigkeit zu diesem Wesen einzutreten. Z. B. ein Schamane, vielleicht ein finnischer Zauberer, der dreimal den Namen des Himmelsgottes anruft, und ihn dadurch zwingt zu erscheinen und ihm seinen Willen zu tun, oder der alte aegyptische Zauberer, der Gott droht, wenn er ihm nicht seinen Willen tue, dann werde er ihm seinen Himmel zerstoeren. All’ diese Arten der Aeusserung von der gelindesten bis zur heftigsten druecken das eine aus, dass sich der Mensch des Gottes bedienen will, dass der Mensch in dem Gott ein Machtreservoir sieht, aus dem man schoepfen kann, wenn man die magische Formel kennt. Nun kann man sich wohl auch in eine Scheinbeziehung zu dem Gott setzen. Es gibt zum Beispiel magische Opfer, die beinahe wie ein religioeser Akt aussehen, es aber nicht sind, weil sie nicht bedeutend in die Beziehung eintreten, oder es gibt magische Scheingebete, Beschwoerungen, die dem Gebet in der Form sehr nahe stehen, aber doch nur Zwangsformeln sind, die den Gott dadurch, dass sie gesprochen werden, hineinzwingen in den Willenszusammenhang dieses beschwoerenden Menschen. Man darf sich Magie nicht so gesondert vorstellen, als ob das historisch gesonderte Bezirke waeren, hie Magie, hie Religion. Es ist sogar so, dass die Magie weit bis in die monotheistisch scheinenden Religionen hineinreicht. Wieviel in groeberer oder feiner Weise das Glauben verwendet wird, das zeigt, wie tief in den Bereich der Religion das Magische hineinreicht. Andererseits kann man auf der Stufe, die man gewoehnlich die Magische nennt, eine Tendenz wahrnehmen, uber die Magie hinauszukommen, den Eigenwert der Beziehung zum Goettlichen zu erfassen, von dem Bann der Zweckhaftigkeit schlechthin frei zu werden. Damit meine ich aber nicht, dass die religioese Wirklichkeit bedeute, dass man von Gott nichts haben will, nur dass dies im ganzen Ernst der wirklichen Beziehung geschieht, nicht aber als etwas, das man hat und verwertet. Es gibt auch in allem Polytheismus immer wieder eine Rede zu einem bestimmten Gott und darin liegt keimhaft das religioes Wirkliche. In dem Ernst dieser Beziehung, dieses in die Beziehungeintretens, das je und je auch der sogenannte Heide erfaehrt, wenn er nur in Wahrheit das Goettliche anredet, in Wahrheit »DU« sagt, da hebt sich je und je das Religioese heraus und ueber das Magische hinweg. Beides geht von der konkreten Situation des Menschen aus; aber in der einen wird diese in die wirkliche Beziehung zwischen goettlicher und menschlicher Wirklichkeit hinein-

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getragen, waehrend es im magischen der Scheinvorgang des Hineinziehens des Goettlichen als eines verwendbaren Objektes ist. Wenn wir dieses Grenzgebiet jetzt betreten, so sehen wir, dass es bei den primitiven Menschen, aber auch weit in die differenzierten Religionen hinein, einen Zusammenhang gibt, zwischen den Dingen und ihren Namen, der von den Goettern selbst aus immer wieder hergestellt wird, sodass der Mensch von dem Namen der Dinge aus eine Einwirkung auf sie erreicht, freilich von dem Namen aus, der nicht der gelaeufige ist. Denn alle Namen haben fuer den primitiven Menschen ein Geheimnis. Es gibt Ursprungsnamen. In der Kalewala heisst dieser Ursprungsname Suenti. Damit wird der geheime Ursprung eines Dinges bezeichnet. Durch diesen geheimen Namen der Dinge glaubt der primitive Mensch sich der Praesenz der Wesen, der Dinge, der Daemonen, des Zusammenhangs mit ihnen sich versichern, auf sie einwirken, das Nuetzliche verwenden, das Schaedliche bannen zu koennen. Wer etwa bei den Hindus den geheimen Namen des Fiebers kennt, der kann es heilen. Bei den Finnen kann der, der den Ursprungsnamen des Eisens kennt, die Wunde stillen, die mit Eisen geschlagen wurde. Der Name galt bei den Kelten als Seele des Dinges und die Eskimos unterscheiden drei Bestandteile des Menschen: Koerper, Seele, Namen. Der Name allein ist das Unsterbliche, diese Wesenhaftigkeit des Namens haengt damit zusammen, dass der Name dies ist, worauf hin ein Ding oder Wesen seine Praesenz manifestiert. Ueber die Erfahrung hinaus, dass der Angerufene erscheinen kann oder nicht, will der primitive Mensch immer wieder glauben, dass er erscheinen muss, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn er nicht kommt. Daher, wer die geheimen Namen der Daemonen kennt (»Wer die schweigsamen Namen der Daemonen kennt« Euripides), der ist ihrer Herr, sodass er sie herrufen und wegschicken kann. So im skandinavischen Volksglauben der, der den Namen eines Trolls kennt, ueber ihn Macht hat. Das erstreckt sich im alten roemischen Glauben auf die Staedte. Schon bei den Assyrern hat jede Stadt ihren geheimen Namen, der beschworen werden muss, ehe die Stadt eingenommen werden kann. Das heisst es ist der Name des geheimen Schutzdaemons der Stadt. Die Schutzgoetter des Feindes koennen durch diese Beschwoerung zu sich herueber gezogen werden. Daher durfte bei den Roemern der Name des Schutzgottes nicht ausgesprochen werden, damit er nicht zur Kenntnis der Feinde gelange. Es galt als schwere Suende ihn auszusprechen. Der Schutzgott muss zum Feind hinueber, wenn ihn dieser mit Namen ruft. Das gleiche gilt nun fuer die Namen der Menschen. 1890 gab es zwischen Frankreich und Dahomè einen Konflikt. In seinem Verlauf weigerte sich

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der Koenig von Dahome unter einen Brief an den franzoesischen Unterhaendler seinen Namen zu setzen, weil dieser ihn dann behexen koennte. In der nordischen Sage nennt Sigurd einen Decknamen, weil ein Mensch ueber einen Macht hat, wenn er den wahren Namen weiss; da dies so ist, werden nun die Namen der Menschen in verschiedener Weise geheim gehalten; sie duerfen nicht ausgesprochen werden. Es gilt in manchen Indianerstaemmen als Beleidigung nach seinem Namen gefragt zu werden. Ein Indianer fragte einmal einen weissen Forscher, der ihn nach seinem Namen fragte: Willst du mir meinen Namen stehlen? Den Namen zu wissen, ist also ein Mittel, sich mit Macht zu versehen. In einem Lande Australiens ist es so, dass sich die Zauberer scheuen den Namen den anderen Zauberern zu nennen, weil ihn jemand hoeren (koennte) und gegen den Zauberer verwenden koennte. Bei anderen Voelkern, zum Beispiel bei den Anamiten ist es verboten, den wirklichen Namen irgend einer Person zu nennen, nicht weil der Name verwendet werden koennte, sondern man glaubt mit ihm schon einen Teil dieses Wesens auszuliefern, an dem es wie an einem Strick hin und her gezogen werden kann. Bei einigen australischen Staemmen darf nur der Gatte den Namen seiner Frau aussprechen. Bei verschiedenen anderen Voelkerstaemmen darf die Frau den Namen des Mannes nicht aussprechen. Bei einigen sagt sie von dem Manne: Vater von …… (Der Mann hat Feinde; Kinder haben keine Feinde.) Bei den Hindus sagt die Frau gewoehnlich: »Herr.« Bei diesen wurde den Kindern der Rufname und ein Geheimname gegeben. Diesen kennen nur die Eltern. Ebenso bei den alten Aegyptern. Der wahre Name ist der geheime, der grosse Name, der gute Name; der Rufname ist der kleine Name. Das verschaerft sich nun noch bei den Namen von Wuerdentraegern. Da gibt es heute noch auf Tahiti folgenden Brauch: Der Name des Haeuptlings wird aus bestimmten Worten gebildet. Alle Worte nun, aus denen dieser Name besteht und alle aehnlich klingenden Silben anderer Worte werden fuer die Lebenszeit dieses Haeuptlings herangezogen und durch andere ersetzt. Waehrend seiner Lebenszeit also duerfen diese Dinge nicht bezeichnet werden, wie sie vorher bezeichnet wurden. Dass auch dieses keineswegs nur primitiven Stadien angehoert, sehen wir in China: Dort wurde der Ming-name, der eigentliche Name des regierenden Kaisers, geheim gehalten und musste anders buchstabiert werden, als es der Wirklichkeit entsprach. Er durfte von keinem Untertan plene angesprochen werden. In Eleusis durfte der geheime Name des Mysterienpriesters, der den Namen eines Gottes in sich schloss, beim Antritt seines Amtes von keinem der Geweihten, nicht einmal von Hierophantes selbst ausgesprochen werden. Er wurde wahr-

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scheinlich auf eine Tafel geschrieben und in die Tiefen des Meeres versenkt. Erst nach seinem Tode wurde der Name ausgesprochen. Der Name bedeutet den Gegenwaertigkeitszwang. Die magischen Akte soll man sich aber nicht so vorstellen, dass zuerst der magische Akt geschieht und dann die Wirkung erfolgt, sondern, das was bewirkt werden soll, in dem Augenblick des Aktes schon geschieht.

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Der magische Mensch und die Bedeutung seines Gottesnamens fuer ihn. Diese primitive Mentalitaet besteht uebrigens auch heute noch! Aus dem Bereich dessen was um den Menschen herum heraustritt, sehen wir dies am besten, naemlich an seinem Verhaeltnis zum Namen eines Toten. Der Name eines Toten darf nicht ausgesprochen werden, da sonst die Ruhe des Toten gestoert wird. Tote koennen aus der Sphaere in der sie sind, heruebergezwungen werden. Bei mehreren Indianerstaemmen ist das Aussprechen des Namens eines Toten ein todeswuerdiges Verbrechen. Umschreibungsvorschriften des Namens daher z. B. Abigonen, da Name bestimmte Bedeutung hatte. Eskimos: Der Name eines verstorbenen Verwandten darf nicht ausgesprochen werden, fuer die Gegenstaende, von denen der Name hergenommen ist, wird ein aehnliches Wort gebildet. Diese Gegenstaende von denen sein Name herkam, muessen umschrieben werden. (Vergl. Worrishofer, Darstellung des Lebens der Abigonen, z. B. dreimalige Aenderung des Namens »Tiger«, weil drei Leute mit Namen »Tiger« verstorben waren.) Name ist also Macht ueber den Toten. Indianer am Michigansee: Aussprechen der Namen von Toten nur im Winter, da waehrend dieser Zeit die Luft nicht weitertraegt. Glaube, dass Tote erscheinen muessen, wenn man ihren Namen ruft, bei den Chinesen. Dazu feste Formen fuer die Herbeirufung. Aber gewisse Zeremonien, um Aussprechen des Namens zu umgehen. Traeger, der Namen weitertraegt. Von hier Bruecke hinueber zu dem weitverbreiteten Verbot Goetternamen auszusprechen. In Indien wird der Name der Goetter, die sich einer gewaehlt hat, geheim gehalten. In der Ueberlieferung »ins Ohr fluestern« des gewaltigen Namens bei den Brahmanen. Der Priester fluestert den zu erwaehlenden Namen ins Ohr.

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Orphische Mysterien: Namen der Sondergoetter umschrieben: Mysterien der primitiven Staemme: Nur ein Kreis von Geweihten erfaehrt von den Goetternamen. Australische Staemme: Name des Gottes des Stammes wird den Frauen verschwiegen, nur den Maennern als Mitgliedern des Maennerbundes z. B. bei der Knabenweihe = der Stammesweihe, bekanntgegeben. Dort sagt man ihnen den Namen als Soehne des Stammgottes. Diese partielle Geheimhaltung haengt mit dem Machtcharakter des Namens zusammen. Aegypten: »Der boese Gott hat versucht, umsonst versucht von Horus, Sohn des Osiris, seinen Namen zu erfahren, um Macht zu gewinnen.« Die Goettin Isis war zunaechst Menschenfrau, dann steigt sie zu den Goettern auf, erhaelt Goettermacht und will nun den Namen vom obersten Gott Re erfahren. Sie laesst ihn durch eine magische Schlange beissen. Damit er wieder heil wird durch sie, holt sie sein Namenherz heraus und erhaelt durch diese Macht den Rang einer Goettin. (Voraussetzung: Gott Re schafft die Welt durch Aussprechen seines heiligen Namens.) Hoechste Macht, vermoege deren die Welt entsteht, ist dann dieselbe, die der hat, der sich des Namens bemaechtigt. Im aegyptischen Totenbuch gibt es verschiedene Namen der Goetter des Saales; Der Eingang ist gegeben durch das Aussprechen der Namen der Goetter der Schwelle. Da es so ist, dass den Goetternamen dieser Machtcharakter einwohnt, so hat der aegyptische Zauberer Macht ueber den Gott mit der Kenntnis seines Namens und droht den Namen preiszugeben, wenn ihm sein Wunsch nicht erfuellt wird, denn: »Erfuelle mir meinen Wunsch, denn ich nenne Deinen wahren Namen«. Diese Auffassung findet sich in spaeten Zaubertexten, die unter aegyptischem Einfluss entstanden sind., z. B. Pariser Zauberbuch. Fuer jede Gruppe von Beziehungen Gottes zur Welt besondere Namen, die richtig verwandt werden muessen. Die Kunde von dem geheimen Namen muss besonders bewahrt werden, z. B. Jamblichus »eigentliche Namen der Goetter sind die Namen, die nicht die Griechen ihnen gegeben haben, sondern die Barbaren.« Dem Wesen der Goetter entsprechen die Namen, es ist das Ursprungswesen Gottes, das man durch den Namen besitzt, so bei den Ephesern. Aussprechen des Gottesnamens daher Zwang zum Gegenwaertigwerden des Gottes. Roemische Auffassung: Aussprache eines Namens einer der Goetter zum Schutz. Namenwissen = gleich Gottesergreifung = bedeutendes magisches Werkzeug.

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Ueber den blossen Zwang zum Gegenwaertigsein hinaus, fuehrt das Kennen des Namens zu einer Kommunion mit Gott, z. B. in griechischen Gebeten. »Nicht nur ich habe Macht ueber Dich, sondern es geschieht etwas mit uns Beiden.« Hier geht das Magische bis an die Grenze der Religionen. Mithraslithurgie: Der Name des Gottes wird auf ein Blatt geschrieben, das abgeleckt und hinunter geschluckt wird, damit ist die Macht in dem, der das Blatt verschluckt hat. Noch heute gibt es in Europa Zettel mit Heiligenspruechen zur Schussfestmachung. Also ganz rohe Auffassung des Namens einerseits, andererseits indische Bakhtisekte (Liebesbeziehung zu Gott): Streben nach Vereinigung mit der Gottheit durch stetes Aussprechen des Namens. Hier schon religioese Konzeption aus der magischen Auffassung. Japanischer Buddhismus: Anida (Buddhaname), Glaube, wer sogar mit Laesterung den Namen ausspricht, erfaehrt Heil. Hermetische Texte und Gebete an Hermes aus der Zeit des grossen Kampfes der Religionen nach Christus: Der Glaeubige spricht immer wieder zu Gott: Du bist ich und ich bin Du, was ich sage, moege stets geschehen, denn ich habe Deinen Namen als Talisman (Phylakterion) in meinem Herzen. Das ist in seinem ersten Teil mystisch, dann aber magistisch oder: ich kenne Deinen barbarischen Namen und Deinen wahren Namen, der eingegraben ist, in der heiligen Saeule zu Herapolis, woher Dein Ursprung ist. Aus alle dem bedeutet der Name das Gegenwaertigwerdenmuessen des Gottes = des Goetzen. Hier liegt der Unterschied zwischen Magie und primitiver Religion. Der Anfang der wirklichen Religiositaet ist da, wo der Mensch nicht mehr glaubt, dass Gott gegenwaertig werden muesse. In der babylonischen Religion: Im selben Masse, da das Verhaeltnis des Glaeubigen sich magisiert, d. h. ein beschwoerendes wird, im selben Masse verblasst die Individualitaet dieses Gottes. Wo das Magische siegt, wird Gott zu einem Buendel von Kraeften, von Namen deren sich der Zauberer bedient; immer dynamischer der Zauberer, immer unpersoenlicher der Gott, schliesslich tritt der personhafte Zauberer mehr und mehr an die Stelle der Goetter. Finnische Texte: Die Zauberer ruecken allmaehlich an die Stelle der Goetter, z. B. Kalewala (Loenrod) – Texte: Die eigentlichen Goetterwesen sind die urspruenglichen Zauberer, die Goettermacht und Goetterbedeutung haben. Ein Beispiel in der Religionsgeschichte wo in dieses in die hoechsten Ausgestaltungen religioesen Lebens hinueberfuehrt. Ausgang: Altindischer Glaube: Der Rischi – Asket, der tapas uebt (in-

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nere Brunst, Selbstbebruetung) erhaelt aus dieser inneren Feuerung eine solche Machtentfaltung, dass die Goetter nach ungeheurem Zeitraum und dem Rischi seinen Willen tun. Diese asketische Macht ueber die Goetter ist im Ursprung eine magische Konzeption, die sich aber immer mehr reinigt und im Buddhismus eine Hoehe erklimmt. Die Goetter kommen zu Buddha, verneigen sich und fragen ihn um seine Wuensche. Souveraene Ironie spricht aus Buddha wenn er mit ihnen spricht. Suedlicher Buddhismus: Hinayana – Texte, wie da Buddha mit den Goettern verfaehrt: er spricht zu ihnen: Der Mensch ist mit seiner Maechtigkeit, die nur die Welt der Dinge betrifft, den Goettern ueberlegen. Im Zusammenhang mit der Lehre von dem Schein der aeusseren … [Textverlust]

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Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas Zwei Stellen gehören zusammen, von ihnen handelt dieser Abschnitt: Jesajas 41,17 und 44,3: »Die Armen und Elenden verschmachten nach Wasser« und »denn ich werde Wasser auf das Dürstende giessen, ich werde meinen Geist auf Deinen Samen ausgiessen«. Dieses Verschmachten der Armen und dieses Tränken Ihres Durstes, das ist es, wovon der Abschnitt handelt und wir müssen dieses Wort: die Armen und Elenden festhalten, die in den Leidenspsalmen klagen und jubeln. – Alle die drei vorherigen Deutungen gehen von der Auffassung aus, dass zwischen einer dieser drei Auffassungen gewählt werden müsse. Ich halte beides, das Eine und das Andere für eine falsche Alternative. Es ist nicht an dem, dass man zwischen dem Einen und dem Anderen zu wählen hätte. Falsch ist die Alternative zwischen individueller und kollektiver Deutung. Es ist die heimliche verborgene Wirklichkeit der Geschichte, nicht eine Geschichte von Einzelnen oder von Völkern; es ist die von dem Einzelnen dargelegte Schicksalswirklichkeit der Völker. Es gibt manche, die in Wahrheit darstellen, was mit der Menschheit gemeint ist. Das gibt es je + je, in der ganzen Fülle der Geschichte, Menschen, die in Wahrheit darstellen, was Gott mit Israel meinte, als er Jakob diesen Namen gab, Menschen, die sie freilich darstellen nur in der Gebrochenheit, die allem menschlichen Einzelleben notwendig anhaftet. Aber in diesem Material wahrhaft ausgeprägt, in diesem Material der Sterblichkeit. So stellen sie das wahre Israel wahrhaft dar, mit ihrem Leben. Menschen also, die, wenn sie »ich« sagen, das Ich Israels sagen. In diesem Buche Jesajas zeigt sich eine wachsende Personifizierung des Knechtes. In der Masse des Israel, das sich als eine Vielheit zeigt, tritt der Knecht schon als eine Einzelperson auf; am geheimnisvollst persönlichsten in dem 53. Abschnitt. Es ist nicht zu scheiden zwischen Kollektivum und Person. Man kann meinen, die Messianität hebe die Geschichte auf, dass der Messias die Geschichte umstosse, ersetze. Das ist unser Messias nicht. Wenn er aber nicht ein Anderes zur Geschichte ist, sondern ihre Vollendung, so gibt es eine geschichtlich praeexistente Person. Nach jüdischer Überlieferung ist der Messias für die Schöpfung schon von je her gewählt und vorgeschaffen als Träger der Erlösung. Dem gegenüber sage ich, dass ich an eine geschichtliche Praeexistenz in der Tatsächlichkeit, in der irdischen menschlichen Weltgeschichte glaube und dass ich diese geschichtliche Praeexistenz des Messias in die-

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sen Liedern des Jesajas angekündigt sehe. In diesem verkündeten Geheimnis sind in Wahrheit die Zeiten verbunden, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Alle diese wirklichen Zeiten, die alle Dimensionen der Zeit ganz erfüllen, sind in dem Geheimnis verbunden. Das was geschehen ist, ist geschehen, aber allmalig geschehen, geschehend und weiter geschehen sollend, bis es im Ende seine Erfüllung findet. Es ist also jeweilig geschehen und geschehend bis ans Ende. Es ist jeweilig. Es hat die Form der Allvergangenheit. Man kann schon jetzt sprechen davon, als einem Geschehenen, es wird immer wieder geschehen sein. Es ist das Eine, das so geschieht, von dem so gesprochen wird. In der Richtung dieser Deutung weist nur eine einzige aller bisher bekannten Deutungen hin. Gott spricht: »Wohl habe ich es so gehalten, dass ich an dem Sünder keinen Gefallen finde, sondern nur an dem Gerechten. Aber ich habe ja das geändert und jetzt wenn ein Mensch auch hundertfach sündigt, ich nehme ihn wieder auf, vollkommen, restlos. Er ist bei mir und ich bei ihm.« Das wird gesagt unter Bezugnahme auf Abschnitt 53 (wie wenn seine Seele das Schuldopfer bringt). Wenn dies also geschieht, ist der Sünder aufgenommen. Der unsere Krankheit trägt und unsere Schmerzen auf sich lud, das ist der Mensch selber, der den Tod in die Welt brachte und es ist zu lernen das Verborgene aus dem Offenbaren. Denn unsere Krankheit hat er getragen, das bedeutet den Menschen selber in der Wanderung von Adam zu David zu Messias. Dieses ist die einzige Deutung, die darauf hinweist, dass das Geheimnis der Geschichte ist, dass es sich nicht an einem Punkt der Geschichte dargetan hat, dass es nicht einer bestimmten Person gilt, sondern dass es je und je gemeint hat den das Leiden des Gotteswillen tragenden Menschen. Der Knecht Gottes ist in den Liedern namenlos. Diese Namenlosigkeit des Knechtes ist eben darin begründet, dass er nicht eine historische Einmaligkeit mit Namen ist, nicht eine Einmaligkeit bedeutet, sondern eine Allmaligkeit mit immer neuen Namen. Weiter aber ist diese Namenlosigkeit darin begründet, dass alle seine geschichtlichen Erscheinungen in der Verborgenheit stecken. Wer ist dies nun? Der Knecht, das ist: die Armen und Elenden, die nach der Ausgiessung des Geistes verschmachten, die ihr persönliches Leid ihres personhaften Lebens tragen und mit diesem Leid an der Erlösung wirken. Der Messias, nach dem sie verlangen, ist die Manifestation, die reine, erfüllende, vollendende Offenbarung ihrer selbst. Denn der Messias ist der Wiederkehrende, der Fertige, der Vollendete, der nicht mehr Verborgene, der Offenbare. Dieses Leidensgeheimnis der geschichtlichen Praeexistenz ist uns in der Bibel in drei Schichten der Frage und Antwort aufgetan. In Hiob, in

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den Psalmen und in diesen Liedern des namenlosen Knechtes des Propheten Jesajas. Es ist immer wieder der arme elende leidende Mensch. Er ist es, der spricht; er ist es, dem geantwortet wird. Und die Frage, die er stellt, ist: Hat mein Leiden einen Sinn? Hiob fragt: Was ist das, dass ich leide? Die Menschen antworten, es sei Strafe und ich will es immer selbst glauben, dass es Strafe sei. Doch immer wieder lässt mich etwas zweifeln; die Strafe geht darin nicht auf. Die Sinnlosigkeit, die ihm immer wieder anhaftet, da ich es nicht begreife … Das nicht Tragbare ist die Sinnlosigkeit. Ist das Leiden Zufall, von irgend woher kommender oder hat es einen Sinn? Hat das Leiden des Menschen, der zu Gott reden kann, der seine Seele vor Gott hinstreckt, einen Sinn und welchen? Zu Hiob kommt die Antwort aus Gottes Mund: das Leiden ist Gottes Geheimnis, wie die Rätsel der Naturerscheinungen, die wir nicht begreifen können. Nicht anders. Als ob das Leiden des Menschen auf der selben Ebene läge, wie all die Naturerscheinungen. Das kann nicht das Letzte sein; Gott kann das nicht gesagt haben, um dann zu verstummen. Und in der Tat, in den Psalmen, in denen sie ihr Leid Gott klagen und um ihr Leid ihn befragen und seine Antwort auf ihre Frage jubelnd verkünden, da ist die tiefere Schicht der Antwort: Der willig Leidende ist Gott lieb. Dabei muss der Mensch stehen bleiben, aber Gott bleibt dabei nicht stehen und von ihm kommt auf die Frage, die der Mensch nun nicht mehr zu fragen wagt, die Antwort, die in den Liedern des namenlosen Knechtes enthalten ist: Der willig Leidende leidet um Gottes willen. »Wenn diese Seele ihr Schuldopfer bringt, wird der Heilswille des Ewigen durch diesen Menschen gelingen.« Um dieses Heilswillen Gottes willen leidet der willig Leidende. Das ist das von Gott gemeinte Israël, das wahre Israël, das überpersönlich existierende, der immer wieder auf Erden erscheinende Knecht, in dem sich das wahre Israël darstellt, mehr personal in vielen Personen je und je durch die Zeiten historisch existent und in dem es, das gemeinte, das wahre Israël sich erfüllt, einmal, unbedingt, zukünftig. Diese drei sind eins, drei Erscheinungen des Heils: die Erscheinung im Gedanken Gottes, die in der Fülle der Geschichtszeiten und die Erscheinung im Anbruch der Ewigkeit. An dem immer wieder erscheinenden Knecht, von dessen Tod der Prophet spricht ist eines ganz besonders wichtig und das ist die Unscheinbarkeit dieses Armen + die Unscheinbarkeit seines stellvertretenden Leidens. Der arme Knecht ist nicht nur der noch unfertige, sondern der in der Verborgenheit praeexistente Messias: er würde nicht die Stimme erheben, nicht öffentlich auftreten, das geknickte Rohr nicht brechen; aber noch stärker im Kap. 49: »er hat mich zum scharfen Schwert ge-

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macht, aber er hat mich im Schatten seiner Hand verborgen, zum erlesenen Pfeil gemacht, aber er hat mich in seinem Köcher versteckt.« Darum sagt der Arme: »Umsonst habe ich mich gemüht; um des Chaos und der Eitelkeit willen habe ich meine Kraft verbraucht.« So spricht der, dessen Schicksal ist, in Gottes Köcher versteckt zu sein. Aber er erfährt es anders aus Gottes Mund: dass die Rechtswirklichkeit dieses scheinbar so werklosen, vertragslosen, unscheinbaren verachteten Lebens bei Gott ist, dass das wahre Werk dieses Lebens bei Gott ist. In seinem persönlichen Erfahrungsbewusstsein ist er verborgen, vergeblich; aber er weiss, dass es in Gottes Wahrheit anders steht, dass da sein mit seinem Leben gewirktes und mit seinem Sterben je und je noch zu wirkendes Werk besteht, dass er in all seiner Verborgenheit ersehen ist zum Licht der Völker. Denn das wird immer wieder gesagt, Gott spricht ja zu ihm, zu der verachteten Seele, zu dem Abscheu des Volkes, zu dem Sklaven der Tyrannen. Diese Verborgenheit ist das Grundthema der Lieder. Daraus ist zu verstehen die ganze Geschichte der Messiasbewegung des Judentums. Aller Automessianismus verkehrt dieses Grundverhältnis, indem er aus der geschichtlichen Praeexistenz, die je und je in der Verborgenheit erscheint, die endgültige einmalige Manifestation macht, indem er den ewigen Messias im Sinne des in der Fülle der Zeiten immer wiederkehrenden verwandeln will in den Messias der Ewigkeit, sich zu verwandeln anmasst. Darin liegt nicht einfach Willkür. Und wenn dies Vermessenheit ist, so gehört sie mit zu der Innerlichkeit des Schicksals Israëls und des Schicksals der Menschheit. Aber an uns ist es in diesem Zeitalter zu erkennen, dass es das ist, was es ist. Die Zeitalter der messianischen Bewegung sind vorüber. Wenn man den Armen so in seiner Verborgenheit sieht, versteht man, was das für ein Tun ist, sein Tun. Es ist ein Nichttun, ein Wirken ohne Eingreifen. Und doch ist es ein Wirken, das antwortet; ein Tun als ob einer nichts täte, das keinen Erfolg bringt, kein Erreichen, das nicht bemerkt wird als Tun. Nichts als Wirken aus der tiefsten Stille des Leidens. Es ist das Wirken durch Leiden. Und so, in diesem Wirken aus der Stille des Leidens heraus, so zu leben und zu sterben, da vollzieht sich das, wovon es 43,10 heisst: Ihr seid meine Zeugen. Ihr, das sind die je und je Erscheinenden, Wiederkehrenden, bis in die letzte Blutzeugenschaft des Martyriums. Wie zu Recht steht: in seinem Tode. Denn je und je erscheinen diese Leben und Tode. Ebenso steht zu Recht der Plural: Ihr alle ihr Erscheinungen in der Geschichte seid der ein[e]: mein Knecht Israel. Wenn wir nun so die ganze verborgene und offenbare Geschichte der Menschen von daraus ansehen, die von Israel + die der Menschheit, dann sehen wir zwei Menschenreihen durch die Geschichte Israels und der

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Menschheit gehn. Die einen sind die Verborgenen in eminentem Sinne, die Verborgenen, die sich eingefügt haben und das Schicksal des verborgenen Leidens auf sich genommen haben. Die anderen sind die sogenannten Messiase, die die Aufgabe, die Berufung vereinmaligt haben, die sich nicht eingefügt haben, die sich herausrissen, die sich zu der einmaligen Erfüllung, Offenbarung der Messianität machen oder bestimmt vermeinen. Jesus steht unter dem Schatten des Knechtes; dieses wird jetzt verstanden werden als der Erste derer, die unter dem Schatten des ins Einmalige messianisierten Knechtes stehn. Denn das ist wohl zu verstehn: der Knecht ist der Messias vor der messianischen Ära; der geschichtlich praeexistente Messias, das ist der Knecht. Aber nicht einmalig, sondern wiederkehrend, geschichtlich latent und konstant, geschichtlich verborgen und geschichtlich verbunden. Diese seine geschichtliche Praeexistenz wird im Glauben Jesu vereinmaligt. Jesu Messiasbewusstsein war futurisch; in Bezug auf eine künftige, nach seinem Tode erscheinende Gestalt. Für ihn ist die Erfüllung eben das Kommen des Messias, das heisst für Jesus seine Auferstehung. Also er hat seine leibliche Existenz nicht für die Erfüllung des Messias gehalten. Die Menschen, das Zeitalter, das Geschlecht, die Geschlechter, die je und je den Knecht verachtet, misshandelt, verworfen haben, der um ihrer Erlösung willen je und je gelitten hat, dies ist die Vielheit, die mit dem »wir« im Liede gemeint ist. Die Abwechslung von »er« und sie im Plural wird deutlich. Was am Messias sich offenbart, ist eben dies, was zu den Menschen von Mund zu Ohr hin Gott gesprochen hat.

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Meine Verehrten! Ich habe vor an diesen zwei Abenden zu Ihnen zu sprechen von dem Leben und der Botschaft eines Propheten, und zwar denke ich es so zu halten, dass ich heute Ihnen das Leben dieses Menschen, den geschichtlichen Hintergrund dieses Lebens im Zusammenhang damit, und die Botschaft, wie sie, soweit wir es zu erkennen vermögen, sich einfügt in die Folge der Ereignisse dieser Zeit und dieses Lebens, und morgen will ich, im Anschluss daran, Ihnen zu zeigen versuchen, welche Bedeutung die Botschaft dieses Mannes für unsere Zeit hat, damit aber vielleicht zugleich, welche Ewigkeitsbedeutung sie hat, denn wie könnten wir besser die Bedeutung irgend eines Volkes, den Sinn einer Botschaft für alle Zeiten erkennen, als wenn wir heute lebendig sie darauf hin befragen, was sie uns in unserer Not, unserer Problematik zu sagen hat – und erkennen wir dies, fassen wir sie von da aus, von unserer Situation aus, und erfahren wir, was sie unmittelbar auf uns zu, auf uns zu redet, zu uns spricht, als würde sie heute gesprochen, dann erfahren wir zugleich das, weshalb und wodurch sie für alle Zeiten gesprochen.

Ich sagte, ich will mit dem Leben dieses Menschen beginnen. Unter allen Propheten Israels haben wir nur diesen einen, Jeremia, von dem wir eine Lebensgeschichte kennen und zugleich haben wir nur diesen einen, von dem wir in dem Zusammenhang dieser Lebensgeschichte, irgendwie einfügbare, autobiographische Aeusserungen kennen, mehr aber noch, Tagebuchartikel, Aufzeichnungen, mehr noch, unmittelbare Aufschriebe der Seele, die wir kaum zu fassen vermögen, da sie aufgeschrieben und nicht bloss aufgeschrieben wurden. Und nun lassen Sie mich zunächst mit einem Wort – denn dies gehört zu dem morgigen Gegenstand – zunächst vorbereitend, mit einem Wort sagen, was das ist: ein Prophet. Man stellt sich dies gewöhnlich so vor, das ist ein Mensch, der prophezeit, d. h. irgend eine Zukunft voraussagt, eine Zukunft, die feststeht, die irgend einem Menschen auf einer Rolle aufgeschrieben ist und die Rolle rollt ab. Das ist das Sichregen der Zukunft, die vorausgesagt wird von dem Propheten. Nun, das heisst nicht Prophetie und so ist nie vorhergesagt worden, solch eine Zukunft, ich glaube nicht, dass es solch eine Zukunft, solch ein Zukunftsbuch, gibt. Ich glaube nicht, dass die Zukunft als etwas Feststehendes vorhergesagt werden kann. Freilich, es gab unter den Propheten, die die Zukunft voraussagen zu können glaub-

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ten, solche, wie Jona, der Ninivehs Untergang prophezeite und sehr unglücklich war, als Gott Niniveh rettete und die Prophezeiung wendete. Er wollte ein Prophet sein, wie man sich einen vorstellt, aber Gott wollte ihn nicht so Prophet sein lassen, denn die Propheten sprechen – das haben die jüdischen Weisen mit einem herrlichen Wort gekennzeichnet, die Propheten Israels sprechen auf das Umkehrende hin, das heisst, sie wahrsagen nicht eine fertige Zukunft, sondern, sie sprechen zu Menschen, zu bestimmten Menschen, von etwas, was für diese Menschen kommen wird, wenn diese Menschen etwas bestimmtes zu tun unterlassen. Was heisst das? Diese Zukunft ist kein fest Ablösbares, sondern diese Zukunft ist, freilich in der Weise des Geheimnisses, mit in die Entscheidung dieser Menschen, zu denen der Prophet redet, gestellt, in die Entscheidung, die vielleicht gerade in diesem Augenblick von ihnen getroffen wird, und mit der sie zu ihrem Teil mit entscheiden etwas, was für sie, etwas was über sie geschieht. So also redet Jeremia von der kommenden Katastrophe nicht als von etwas, was unabhängig davon, ob die Menschen umkehren auf den Weg Gottes, umkehren von ihrem Sichverlaufenhaben oder nicht, nicht von einer Katastrophe, die davon unabhängig feststeht, sondern von einer, die in die bestimmte Kraft dieser Menschen mitgegeben ist, die mit davon abhängt, was nun diese Menschen über ihr persönliches Leben, über ihr ganz persönliches, auch über ihr privates Leben, über ihr persönlich offizielles, ihr persönlich soziales, ihr persönlich politisches Leben in diesem Augenblick beschliessen und davon ausführen werden. Jeremia war ein Priester und es ist wahrscheinlich, es kann angenommen werden, dass er in seiner Jugend auch wirklich als Priester geamtet hat in Jerusalem, obwohl er nicht aus Jerusalem, sondern aus einer kleinen Landstadt stammte. Seine prophetische Aufgabe hat ihn nicht bloss auf diesen Zusammenhang geführt, sondern sie hat ihn in den stärksten Gegensatz zur Priesterschaft gebracht, in den stärksten Gegensatz auch zu jener von ihm so gebrandmarkten Sicherheit des Priestertums und des priesterlichen Anhangs: Hier ist der Tempel, hier wird der von Gott befohlene Kult geübt, darin sind wir gesichert, nichts kann uns geschehen, denn wir tun ja Gottes Willen. Und nun, aus dieser Umwelt, wird dieser junge Mensch etwa zwischen dem 20. und dem 25. Jahre – wir können dies einigermassen bestimmen, es dürfte das Jahr 627 gewesen sein – nun wird dieser junge Mensch einer Erfahrung unterworfen, die wohl die schwerste Erfahrung und Erfahrungsprobe ist, von der ein Mensch betroffen wird. Es ist das, was man gewöhnlich Berufung nennt, aber man stellt sich nicht genug die Tiefe und Schwere dieses Vorgangs dar, die vor allem darin besteht, dass ein

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Mensch aus allen natürlichen Zusammenhängen gerissen, aus dem Zusammenhang seiner Familie, aus dem Zusammenhang seines natürlichen Kreises, aus seinem Interessenkreis, aus allem, was er lebt und vor allem aus dem innigen Zusammenhang mit seinem Volk, gegen das er sich nun zu wenden hat, in dem Sinne, dass er all diesen natürlichen Neigungen dieses Volkes entgegentritt und dass er sich dieses Volk, mit dem er in Frieden und Einvernehmen lebt, zu seinen Feinden macht. Er wird ein Einsamer, ein Abgesonderter, einer, der, wie er selbst sagt, ein Mensch des Haders wird, der von allen befehdet wird, denn er ist gegen alle gestellt mit dieser Botschaft, die das Volk als feindselig ansieht, obwohl diese harte, strenge Botschaft allein das Heil wird und in dieser Berufung ihn nun solchermassen aus allem Zusammenhang löst und ihn unter das Joch seiner Aufgabe stellt, hört er zu sich sprechen: Ehe ich Dich bildete im Mutterleib, habe ich Dich gewusst, Ehe Du aus dem Schosse kamst, habe ich Dich geheiligt, als Künder den Weltstämmen habe ich Dich gegeben. Und er nun, dieser Jüngling antwortet, was, soviel wir wissen, alle Propheten der berufenden Macht antworteten, sie stellten sich dagegen an, sie wollen nicht, sie wehren sich und er antwortet, nicht wesentlich anders als Mose, der erste in der Reihe, geantwortet hat: Ach, mein Herr, siehe ich weiss nicht zu reden, ich bin ja ein Knabe, und darauf empfängt er die Antwort: Sprich nimmer, ich bin ein Knabe, denn wohin all Ich Dich schicke, wirst Du gehen, was all Ich Dir entbiete, wirst Du reden, fürchte Dich nimmer vor jenen, denn Ich bin mit Dir, Dich zu erretten – und eine Hand berührte seinen Mund, und die Rede geht weiter: Da Ich gebe meine Reden in Deinen Mund. Und dann, wir wissen nicht in demselben Vorgang, oder bald danach, wird ihm zugesprochen, im Zusammenhang mit einer Vision, die er hat, und in der sich ihm die Bedrohung des kommenden Unheils offenbart, wird ihm zugesprochen, eben nach der Ansage des Unheils: Du aber gürte Deine Hüften, stelle Dich hin und rede zu ihnen alles, was ich Dir selbst entbiete, sei nimmer bestürzt vor ihnen, sonst bestürze Ich Dich vor ihnen, Ich nämlich, wohlan, Ich gebe Dich heute zur Bollwerkstadt, zur eisernen Säule, zur ehernen Mauer wider all das Land den Königen Jehudas, seinen Fürsten, seinen Priestern, der Volkschaft des Landes, sie werden gegen Dich kämpfen und werden Dich nicht überlegen, denn Ich bin mit Dir, Dich zu erretten.

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So beginnt die Sendung und nun stellen wir uns vor, was für ein Geschichtsmoment dies ist, mit dem die Sendung beginnt. Bis vor kurzem gab es ein unerschüttertes Weltreich, das assyrische, zu dessen Interessenbereich, wie man sagt, auch dieses Ländchen und dieses Völkchen, dieses Kanaan und dieses Israel gehören, zu denen er gesprochen, zu denen er je unmittelbar gesprochen. Ich werde Ihnen zu sagen haben, dass er nicht nur zu diesen gesprochen hat. Dieses assyrische Weltreich herrschte so unumschränkt, dass seit langer Zeit ein Friede die ganze damalige Kulturwelt überspannte, den man heute vergleichen kann zu dem späteren Frieden des römischen Weltreichs. In dieser Zeit nun, wo Jeremia diese Sendung an sein Volk – und, wie wir sehen werden, über sein Volk hinaus – an die Völker empfängt, beginnt leise, kaum merklich, nein, den bloss geschichtlich blickenden Augen noch nicht bemerkbar, den bloss politisch blickenden Augen noch nicht bemerkbar, die Erschütterung dieses Weltreichs und diese Erschütterung mit allem, was daraus wird, mit den Machtverschiebungen, die daraus sich entfalten werden, diese bestimmen mit das Schicksal dieses kleinen Landes und Volkes. Aber bedenken Sie, dass in keinem Augenblick der Prophet dieses historische Bewusstsein als das Entscheidende zugesteht, sondern, wo die Bedrohung am schwersten wird, da verkündet er, und zwar verkündet er in der Sprache des durchaus nüchternen, die politische Wirklichkeit erkennenden Menschen, und zugleich im Pathos der Botschaft, verkündet er, dass es auch jetzt noch, bis aufs Letzte, auch jetzt noch eine Wendung gibt, die mit der Umkehr des zum Glauben sich wendenden Menschen zusammenwirkt, das heisst es gibt immer noch eine Wandlung in der politischen Wirklichkeit, die der sich zu Gott wendende Mensch einvernehmen kann und das Schicksal wendet, so geht also das Geschichtliche, von dem, aus dessen Hintergrund Jeremia spricht, geht in seiner Rede nur so sein, ich möchte sagen als das Material dieser Rede, niemals als der befehlende Geist, niemals als das, wovon es abhängt. Alle diese Völker, zwischen denen nun diese Kämpfe beginnen, alle diese historischen Faktoren, diese ganze Geschichtswelt ist nur wie ein Tropfen, der von den Eimern Gottes tropft. So also ist diese Botschaft und ihr historischer Wirklichkeitsgehalt zu verstehen. Dieses politische Verhalten, – und zwar ist es so, dass man hier religiöses Verhalten und politisches Verhalten nicht trennen kann – man kann dies alles überhaupt nicht verstehen, wenn man nicht weiss, dass Religion und Politik aufs Engste zusammenhängen, weshalb die führenden Menschen immer wieder vom Volk verlangen, dass es seinen Glauben in der ganzen Führung seiner Politik im öffentlichen Leben verwirklicht und damit das politische Schicksal des Volkes abhängig macht. Dieses

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politische Verhalten der Menschen dieser ersten Epoche, die die Jahre 627-622 umfasst, die politische Tendenz, wenn Sie so sagen wollen, ist: Haltet Euch von Bündnissen mit den Weltmächten fern, mengt Euch nicht in dieses ungeheure und doch nichtige Geschehen ein, das man Weltgeschichte nennt. Alles dies hängt letztlich von keiner anderen Macht ab als von der einen Macht, die ist, von der einzigen Macht, die ist, das ist die Macht, in deren Auftrag Jeremia jetzt zu Euch redet. Von da aus sind Aeusserungen zu verstehen wie die: Die Stimmen mehren sich nun, um sich von dem assyrischen Joch frei zu machen, mit Aegypten, dem grossen Rivalen Assyriens und Babylons um die Weltherrschaft sich zu verbünden. Ich füge die Charakterisierung an, da wird das Volk, das oft als Frau angeredet wird, auf diese Bündnispolitik angesprochen, wie auf Liebschaften, mit denen sich dieses Weib abgibt: Was rennst Du so sehr Deinen Brunstweg wieder zu wechseln, auch in Aegypten wirst du zu Schanden, wie Du zu Schanden warst in Assyrien. Auch von dannen musst Du, hinweg ziehen über Deinen Kopf, Deine Hände, denn Er verwirkt Deine Sicherungen, Glück wirst du denen nicht bringen. Und nun schaut der Prophet im Zusammenhang mit dieser Warnung und mit ihrer Nichtbefolgung, dass er immer wieder ahnen muss, das kommende Unheil im Bilde eines furchtbaren unüberwindlichen Kriegs, er fühlt sich von diesem Kommen angeweht wie von einem harten Sturmwind. Zugesprochen wirds in jener Zeit diesem Volk und Jerusalem. Diesem wird zugesprochen ein harter Wind von kahlen Höhen in der Wüste. Es weht auf die Tochter meines Volkes zu, nicht zum ordnen, nicht zum säubern, ein Wind, zu voll dafür. Dies ist das Wort, das er hört, dieses wird zugesprochen werden, – aber er selbst verspürt schon jenen angesagten Sturm, jetzt kommt er an, reden muss ich, gerichtet an sie, und jetzt sagt er den kommenden Feind an, den er immer wieder ansagt. Es ist die Ansage, die sich später erfüllen wird in dem grossen babylonischen Feldzug. Aus dem Gewölk zieht es herbei, seine Rosse, leichter als Adler, und, wie es immer in diesem merkwürdigen Buch ist, dazu sagt es, sagen es schon monologisch des Propheten Worte, monologisch wie eine Rede an sich selbst, möchten wir dieses verstehen, diesen Aufschrei: Meine Eingeweide, meine Eingeweide, ich muss mich winden, Wände meines Herzens, mein Herz tobt, ich kann nicht schweigen. Den Posaunenschall hast Du gehört, meine Seele, das Schmettern des Krieges, Niederbruch um Niederbruch wird ausgerufen. Er hört jetzt den künftigen Ruf des zusammenbrechenden Volkes: Ja vergewaltigt wird alles Land, plötzlich vergewaltigt, und jetzt spricht er wieder von der Vision aus:

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Bis wann noch soll ich das Panier sehen, soll ich den Posaunenhall hören? In diesem so beschaffenen ahnungsvollen Sehen des kommenden Unheils erfährt er sich nun eingesetzt mit einer besonderen Aufgabe in dieses Volk und diesem Volk gegenüber. Diese Aufgabe wird vielleicht am anschaulichsten in einem Zwiegespräch zwischen Gott und ihm dargelegt, eine Form, die immer wieder kehrt. Mit einem seltsamen Wortspiel, das man deutsch nur sehr unzulänglich widergeben kann, spricht Gott zu ihm: Als Warte hatte Ich Dich gegeben, erinnern Sie sich daran, was in der Berufungsrede gesagt war: Ich gebe Dich heute zur Bollwerkstadt, zur eisernen Säule, zur ehernen Mauer, – und jetzt, darauf zurückgreifend, spricht Gott zu ihm: Als Warte hatte Ich Dich gegeben wider mein Volk, als Bollwerk als Wardein. Prüfender, nun sollst Du erkennen ihren Weg, ein Wardein in ein Bergwerk gesetzt, nun das Erz zu prüfen und zu erkennen, was an edlem Metall etwa noch enthalten und herauszuschmelzen ist, und er nun, die Prüfung vollziehend meldet: Der Abwendigen Abwendigste, aller Verleumdung feile Träger sind Kupfer und Eisen, alle sind sie verdorben. Der Blasbalg keucht, vom Feuer ist das Blei schon dahin, umsonst hat man geschmelzt und geschmelzt, nicht ausscheiden lässt sich das Gute. Und nun, über dieses Zwiegespräch hinaus, stellt er fest, als das Ergebnis: Verschmähtes Silber ruft man sie nun, denn Er hat sie verschmäht, das heisst, das edle Metall ist so mit dem Unedlen verbunden, dass es nicht ausgeschmolzen werden kann. Was in diesem Volk an reinem echtem Lebenswert steckt, vermag er nicht aus der Verquickung mit dem übrigen Unreinen zu sondieren durch sein aufrufendes Wort. Diese tiefe Zerrüttung des Volkes, von der ich morgen in diesem Zusammenhang noch mehr zu sprechen haben werde, kennzeichnet er mit den Worten: Von ihren Kleinen bis zu ihren Grossen will alles Ausbeutung beuten, und vom Künder bis Priester tut alles nur lügen, den Niederbruch meines Volkes meinen sie leichthin zu heilen mit dem Sprüchlein Frieden, Frieden, – aber da ist kein Friede. Dieser, seiner Botschaft gegenüber, stehen falsche Verheissungen einer besseren Zeit, ohne dass man etwas Grundlegendes und Umwälzendes, das heisst die Seele, das eigene Leben Umwälzendes zu tun braucht, es wird schon besser werden, wenn dies und dies geschehen wird, wenn dieser und dieser politische Faktor sich so auswirken wird. Diesen fal-

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schen Propheten entgegenzutreten, ist eine seiner wesentlichen und eine seiner schwersten Aufgaben. Und mit diesem Ruf erfährt er immer wieder, wie die Propheten vor ihm, die auf dem Wege zu dieser Katastrophe, die unmittelbar bevorstand, als Wegsteine, als Meilensteine standen und stehen, er macht dieselbe Erfahrung, wie sie alle, die Erfahrung des Nichtgehörtwerdens; und dies ist seine tiefste Klage, das eigentliche Bitterste seiner Erfahrung, von der aus er diese Klagen klagt, die uns überliefert sind: An wen soll ich hinreden und bezeugen, dass sie nicht hören? Unbeschnitten ist doch ihr Ohr, sie vermögen nicht aufzumerken. Zum Hohne ward ihnen seine Rede, sie haben nicht Gefallen an ihr gehabt. Fassen will ich ihn nun und bin ohne Macht. Ausgeschüttet muss es nun werden über das Spielkind auf der Gasse und über den Jünglingskreis. Und schon während dieser in der ersten, frühesten Zeit seiner Predigten gemachten Erfahrungen geschieht etwas im Volk selbst, was scheinbar die Umkehr ist, die er gefordert, von oben, vom König aus, zu dem er ja mit gesprochen hat, er hat immer zu den Königen und grossen Herren mit besonderer Strenge und Deutlichkeit gesprochen, und er hatte einen König nach dem anderen verwarnt, also von dem König aus geschieht ein merkwürdiger, denkwürdiger Schritt: die josianische Reform. Es wird aller Götzendienst, aller Baalsdienst insbesondere, abgeschafft. Der lokale Kult, der vielfach eine Mischung des echten Gottesdienstes und irgend welcher baalhaften Eindringlichkeiten war, eine Mischung von Gottesdienst und Götzendienst, das ist das, wogegen die Propheten sprechen, wenn sie von Götzendiensten reden – eine Mischung von Wahrheit und Lüge, von Echtem und Falschem von Gott und Götzen –, das war schon damals, wie in späterer Zeit, wir kennen es in unserer Form auch als die Mischung von Wahrheit und Lüge. Diese josianische Reform schafft diesen Lokalkult ab, proklamiert den einen wirklichen Gott als den Einzigen, durchaus mit prophetischem Blick, und so scheint etwas Wesentliches getan. Aber diese Reform hat etwas Wesentliches, das heisst, wenn man ernst macht, den Willen, das Lebensgebot diesem einen Herren unterwirft. Aber mit dieser Tat ist eine politische Handlung verknüpft und so verknüpft, dass man kaum eines vom anderen lösen kann. Josia sagt sich später von Assyrien, dem Weltreich Assyrien, dessen Zerfall begonnen hat, los und diese seine religiöse, politische Handlung, hat diesen Hintergrund, ich möchte sagen, diesen Hintergrund des Nationalismus. Es geht darum, ich will nicht sagen, dass man diese Handlung von da aus verstehen könnte, sie sind historische Figuren, und auch nicht so zu verstehen, dass man sie lediglich von der

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Weltpolitik aus verstehen könnte; nein, ich glaube schon, dass nicht bloss das Politische, sondern auch das Religiöse an dieser Handlung echt ist, aber verquickt ist das eine mit dem anderen so, dass es zwei Seiten derselben Politik sind. Diese Festigung des zentralen Kults gegen alles Fremde, die Reinigung des Gottesdienstes und die Lossagung von dem Fremden, das bisher auf Kanaan geherrscht hat, zunächst nun scheint es, dass es ein wirklich lösender, befreiender Schritt ist. – Und Jeremia, so erfahren wir, wenn die Aufzeichnungen richtig sind, schweigt 13 Jahre lang, wir haben jedenfalls keine Predigt aus dieser Zeit. Inzwischen erfolgt 612 in der Tat der Zusammenbruch, die Teilung Assyriens vor allem in 2 grosse Interessenbereiche, in das medische und in das babylonische. Babylon hatte schon früher Aufstände gegen Assyrien versucht, jetzt presst es den ganzen südlichen Interessenkreis, und damit auch den palästinensischen, an sich und fordert damit zugleich die erneute, neu belebte Herrschaft Aegyptens heraus. Wir können es vielleicht genauer so sagen, denn in dem Augenblick 612 ist die Neuordnung der Dinge noch nicht klar, dass der Zerfall selbst dieses Kanaans es ist, dass Aegypten des Pharaos Unternehmung herausfordert, dieser nach Syrien eilt, um seinen Anspruch anzumelden und diesen Interessenkreis Babylon streitig zu machen. Und nun geschieht das Merkwürdige, dass dieser kleine Fürst, der Fürst dieses kleinen Staates, der weder gegen Aegypten noch gegen Babylon irgend eine Gegenmacht einzusetzen hat, dem aegyptischen Heer auf eigene Faust unter Josia entgegenzieht, offenbar von einer grossen politischen Idee aus, von einer Idee aus, die zurückläuft auf davidische- und salomonische Pläne eines grossen palästinisch-syrischen Reichs. Es muss eine solche politische Idee, eine grosse politische Expansionsidee gewesen sein, die ihn zu diesem unerhörten Schritt anregte. Diese Expansion ist aber eben dies, wovor die Propheten warnen: Ihr seid hier eingesetzt zu Eurem Segen und zu Eurem Wirken, das Land ist klein und seine Macht gering, aber hier in diesem Land habt Ihr Eure Sendung und Ihr lehnt Euch gegen diese Sendung auf, wenn Ihr Euch in die Machenschaften dieser Reiche da draussen mengt. Aber auf diese Expansionstendenz baut eben derselbe Josia, der scheinbar dem Propheten gefolgt war, dieser schreitet zur Schlacht und führt den Untergang 609 herbei. Nach dem setzt Pharao den König Jojakim als seinen tributpflichtigen Vasall ein, der nun die nächsten Jahre regiert. Dieser Jojakim, von dem wir noch morgen zu sprechen haben, das ist der König, der die riesigen Bauten aufführte, ausbeuterisch nahm er zwangsmässig Arbeitskräfte zu dem Werk, er lässt ungeheure Luxusbauten aufführen.

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Diese Regierung nun des Jojakim ist naturgemäss die einer neuen Predigtepoche Jeremias. Mit diesem Moment, nach der Schlacht bei Meggido, dem Regierungsantritt Jojakims, beginnt die Zweite, und wohl die mächtigste, jedenfalls ihrer öffentlichen Form nach die mächtigste der 3 Predigtperioden. Wir hören sofort von einer entscheidenden Tat Jeremias in Gottes Auftrag, die von den bisherigen in ihrer Form sich unterscheidet. Er redet nicht mehr auf dem Marktplatz wie bisher, am Tore, sondern, er geht hinauf auf den Tempelplatz, geht ins Tor, durch das Tor des Tempels hinein in den Tempelhof zu dem dort versammelten Volk. Es ist das hohe Fest des Neuen Jahres, der Welterneuerung und der Erneuerung des Königtums Gottes. Da tritt er in den Tempelhof und zu dem festlich versammelten Volk und den Herren der Priesterschaft spricht er nun seine Rede gegen den Tempel, die Rede, in der er sagt, in der er das Wort Gottes nachspricht: Nähert Euch nimmer mit den Reden der Lüge sprechend seiner Halle; seine Halle, seine Halle ist das, und nun folgt eine neue Rede, die ungefähr mit noch härteren noch brennenderen Worte aufruft, die alles bisherige übertrifft: Da sichert Ihr Euch mit den Reden der Lüge, dem Unnütz, ja wir haben den Tempel, den Kult, mit uns ist es in Ordnung, was kann uns passieren? Stehler, Mörder, Buhler, Baalsbeschwörer! Und dann wollt Ihr herkommen vor Mein Antlitz treten in diesem Hause, über dem Mein Name ausgerufen ist und wollt sprechen: Wir sind errettet und weiter all diese Gräuel tun in diesem Hause, über dem mein Name gerufen, ist es in Euren Augen zur Räuberhöhle gemacht worden? Wohl auch Ich sehe es so an. – Und es wird dieser Tempel der Zerstörung angesagt, wenn sie nicht umkehren wie zu einem früheren Heiligtum, das wohl von den Phylistern zerstört worden war in den Tagen der Frühzeit. Und nun, weil Ihr all diese Taten tut und als Ich zu Euch Reden redete von frühen Morgen an, hörtet mich nicht, und als Ich Euch anrief, antwortetet Ihr nicht, will Ich dem Haus, über dem Mein Name gerufen ist, mit dem Ihr Euch sichert und dem Ort, den ich Euch und Euren Vätern gab, so tun, wie Ich Schilo habe getan: fortwerfen will ich Euch von meinem Antlitz, wie ich fortgeworfen all Eure Brüder vom Stamme Efrajim. Wie einst dem Nordreich die Zerstörung geworden war, so soll sie jetzt das Reich Juda ergreifen. Es ist wohl die geradezu logische Folge dieser Handlung, dass nun von Seiten der Priester, von Seiten der akkreditierten Hofpropheten und von Seiten der grossen Herren, und zumeist auch von Seiten des Hofes selbst,

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die Verfolgung Jeremias beginnt, die dazu führt, dass Jeremia gegeisselt, misshandelt, mit dem Stock geschlagen und im Kerker gefesselt wird. In dieser Zeit beginnt wohl auch die Reihe jener Klagen, die Jeremia über sein eigenes Schicksal, von dem ich schon gesprochen habe, dies aufschreit: Ich, der Ich doch nichts wollte, als in Frieden mit meinem Volke leben, muss ich denn das alles tun und muss ich all das erfahren? Es geht nicht so sehr um das Erleiden, um die Misshandlung, die Jeremia-artigen Menschen haben ihre Leiden nie sehr ernst genommen, sondern es geht darum, dass er nicht um einer Sache willen, die er nicht nur tun will, sondern muss, er lehnt sich gegen diesen Fluch, gegen dieses Ansehen des Unterganges auf, er bittet immer wieder Gott für sein Volk, er vermag es nicht anzusehen, dass es nun zu Ende gehen muss, und er selber muss es doch sprechen, und all diese Feindschaft, die daraus entsteht, kommt über ihn. Er weiss zuweilen selbst nicht, wie, manchmal rechtet er geradezu mit Gott, es sind schon Reden, die an die Hiobs erinnern, er rechtet, ja geht es denn mit rechten Dingen zu? Es gibt doch Fromme, Gute, die leiden müssen und es gibt andere. Die jedenfalls hier zunächst um mich herum, sehe ich alle, die glücklich sind und die ich ganz und gar nicht zu den Frommen und Guten zählen kann, und so spricht er zu Gott: Bewahrheitet bist Du stets, Du, wenn ich gegen Dich streiten wollte; dennoch muss ich mit Dir reden, um die Gerechtigkeit. Weshalb glückt der Weg den Frevlern, allen Treulosen, die verräterisch beraten. Du pflanzest sie und sie wurzeln ein, sie gehen auf und tragen Frucht. Nahe bist Du ihrem Munde Herr, aber fern von ihrem Sinn. Er klagt auch über sein ganz persönliches Schicksal, ich lese Ihnen nur die schwersten, wohl unüberbietbaren dieser Klagen, die auch wieder an Worte Hiobs gemahnen, aber noch unerbittlicher im Ausdruck sind. Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren bin, der Tag, da mich meine Mutter geboren, nimmer werde er gesegnet. Verflucht sei der Mann, der meinem Vater brachte die Mär, sprechend: ein Kind, ein Sohn ist Dir geboren, und hiess ihn, sich freuen, sich freuen. Jener Mann müsste werden wie die Städte die Er umgestürzt hat, zerstört, am Morgen Klagen hören, zur Mittagszeit Kriegsgeschmetter. Dass man mich nicht im Schosse tot gemacht hat, dass meine Mutter mein Grab blieb in jener Zeit, sie schwanger ging. Warum denn doch bin aus dem Schoss ich gefahren, Mühsal zu schauen und Gram, dass in Schande meine Tage vergehen. Und er redet aus derselben Verzweiflung heraus nun auch zu Gott in

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Worten des Vorwurfs, er klagt nicht mehr bloss, sondern er klagt auch an. Aber aus dieser Klage kehrt er immer wieder zum Glauben und zur Ergebung, zum Glauben, dass es so recht ist, geheimnisvoll, gegen alle Menschenvernunft, doch richtig, wie es ist. So redet er zu Gott, Sie werden sehen, wie mitten im Reden ihn die Einsicht überkommt: Betört hast du mich, Du, und ich liess mich betören, angefasst hast Du mich und übermannt. Ich bin zum Gelächter geworden alle Tage, alles spottet meiner. Ja, so wie ich reden will, muss ich schreien. Unbill ruft und Gewalt, zum Hohn, ja, und zur Schmach ist seine Rede mir worden alle Tage. Und spreche ich: Ich will sein nicht denken, nicht mehr reden mit seinem Namen, so bliebs mir im Herzen wie ein sengend Feuer, eingehegt mir im Gebein. Ich erschöpfe mich, es zu verhalten und vermag es nicht, ja, ich höre das Flüstern der Zweifler, ein Grauen rings umher, wir wollens melden, das heisst politisch melden. Was an Menschen mir im Freundesbund steht, die passen meinen Ausgleichen auf, vielleicht wird er betört, dann übermögen wir ihn und nehmen an ihm unsere Rache. Beachten Sie, wie dieser Mensch für seine politischen Feinde, die ihn denunzieren wollen, weil er gegen die Politik der Regierung redet, dieselben Worte gebraucht, wie er für sein Verhältnis zu Gott. »Betören«, »übermögen«, das ist ein sehr merkwürdiges Stilzeichen, natürlich wird dasselbe Wort hier in anderem Sinne gebraucht. Aber Er ist mit mir wie ein verwegener Held, darum müssen straucheln meine Verfolger und sie vermögen nichts. Aber es gibt noch ein Zwiegespräch mit Gott, wo er gegen sich selbst, das heisst wo er in dem Worte Gottes, in der Antwort Gottes an ihn, die er berichtet, so streng, so zugleich abweisend und fordernd ist, so von der Forderung aus und nur von der Erfüllung der Forderung aus die Existenz, seine Jeremias Existenz bejaht, in höchstem Sinne bejaht. Das ist das merkwürdige Gespräch, wo er Gott zunächst anruft, ihn zu rächen an seinen Feinden, seine Verfolger niederzuschlagen und sich darauf beruft: Wisse es, wie ich Hohn um Dich trage. Finden sich Reden von Dir, ich verschlinge sie. Zur Wonne ward mir das Reden, zur Wonne meines Herzens, denn gerufen über mir ist Dein Name, Du umscharter Gott. Im Kreise der Scherzenden gesessen habe ich nicht, dass ich fröhlich geworden wäre, unter Deiner Hand einsam habe ich gesessen, denn mit Unmut hast Du mich gefüllt. Warum ist nun mein Schmerz so däuernd, meine Wunde so zehrend, weigernd sich heilen zu lassen, geworden ist sie mir gleich wie ein versiegendes Wasser, ein Gewässer, das ungetreu ist.

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Und auf diese Anklage antwortet ihm Gott, nun eben so, wie nur Gott antworten kann: Wohl denn, kehrst Du um, oder bringe ich Dich zurück, vor Meinem Antlitz sollst Du stehen. Gott verwirft alle diese Ansuchen um Bestrafung der Feinde, um Erreichung all dieses und ruft ihn nun zur Umkehr: Bringst Du das Echte hervor, des Gemeinen entledigt, wie mein Mund sollst Du werden, zu Dir müssen jene sich verkehren, nicht sollst Du Dich kehren zu ihnen. Ich gebe Dich für dieses Volk zur eisernen Säule, zur ehernen steinernen Mauer. Es kehren die Worte der Berufung zurück. Aber Gott sagt ihm, Du musst von dieser Vernichtung Deiner Ankläger und Deiner Forderung der Rache umkehren, um wieder mein Mund zu werden, um wieder die eherne, steinerne Mauer gegen das Volk zu sein. Und endlich bescheidet sich der Prophet in einem ganz stillen Trost und in dem letzten stillsten Wissen, von dem aus er Gott wieder anredet, aber ganz anders, so: Heile mich Du, das heisst so, wie Du mich heilen sollst, heile mich Du, dann bin ich heil. Befreie mich, dann bin ich frei. Und in dieser Zeit nun dieser schweren Auseinandersetzung und Versöhnung mit Gott von dem prophetischen Schicksal, fallen die ersten Gleichnishandlungen Jeremias, Gleichnishandlungen eines Propheten. Das heisst, der Prophet tut im Hinblick auf Gott etwas, vor den Augen des Volkes in der Oeffentlichkeit, was gewöhnlich seltsam und dem Volke närrisch und widersinnig erscheint und worin sich, gleichnishaft, der Sinn seiner Botschaft abbildet, das heisst, der Prophet spricht nicht bloss sinnbildlich, er spricht nicht bloss, spricht nicht nur, sondern er tut Sinnbild und Zeichen, das heisst der politische Mensch mit seinem leibhaften Dasein, mit seinem ganz leiblichen, seelischen Leben ist selber Zeichen Gottes, Wort Gottes ist der Mensch nicht bloss mit dem, was er redet, er ist nicht bloss Mund Gottes, nicht bloss sein Mund gibt sich dazu her, zu sprechen, sondern alles, was er ist und bleibt. So sind solche Zeichen zu verstehen. Das Zeichen des Schurzes, den Jeremia in nasser Erde im Flusse vergräbt und verborgen herauszieht; – in dieser Verborgenheit bezeichnet sich das kommende Schicksal des Volkes – oder das Zeichen des Schöpfkruges, wo Jeremia vor den Augen des Volkes einen tönernen Krug zerschlagen muss, sodass er nicht wieder ganz gemacht werden kann, – und nun greift wieder in mächtigem Strom die Geschichte in dieses kananitische Geschehen zwischen Prophet und Volk ein. 605 wird am Euphrat die Schlacht zwischen Pharao und dem babylo-

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nischen Kronprinz, dem späteren Grosskönig Nebukadnezar geschlagen, wo die Macht Aegyptens gebrochen wird. Jeremia lebt diese Schlacht so unmittelbar mit, dass er, wie etwas, das jetzt vor seinen Augen geschieht, die einzelnen Stadien durchläuft, zuruft an das kämpfende Heer, an das kämpfende babylonische Heer und zunächst ankündigt: Rüstet Schild und Tartsche, tretet an zum Kampf, besteigt die Rosse, aufstellt Euch, fegt die Speere, legt die Panzer an – und dann zeichnet er, wie all dies zerbrochen und zerschlagen wird. Aber in diesem augenblicklichen, geschichtlichen Sichereignen fühlt er Kommendes, das darüber hinaus reicht und auch in das Schicksal sich hinein vorbereitet und schaut weit hinaus in das Los des babylonischen Reichs, in seine Zukunft und in die Verknüpfung des Schicksals Israels mit diesem babylonischen Schicksal. Kurz darnach, Ende 604, tut Jeremia wieder etwas Neues. Es ist der Tempelplatz, den er nicht mehr betritt, denn er hat keine Freiheit mehr. Er schickt seinen Schreiber Baruch mit der Aufzeichnung seiner Gerichtsreden auf den Tempelplatz und lässt sie verlesen. Die Herren veranlassen, dass der König davon erfährt, teilen es dem König mit, der König lässt sich nun die Rolle kommen, die Fürsten haben den Baruch selbst weggeschickt, die Rolle haben sie verwahrt. Der König schickt einen Höfling, den Jehudi, die Rolle zu nehmen und nun lässt er sie sich vorlesen, oder, wie es hebräisch heisst, vor seinen Ohren ausrufen. Diese Szene ist so bedeutsam, dass ich Ihnen wenigstens das Entscheidende daraus vorlesen will. Der König sass im Winterhause, im neunten Monde, vor sich das Kohlenbecken angezündet und es geschah, sooft Jehudi 3 oder 4 Spalten ausgerufen hatte, da riss jener sie mit des Schreibers Messer ab und warf sie ins Feuer, das auf dem Kohlenbecken brannte, bis die ganze Rolle vor ihnen im Feuer des Kohlenbeckens lag. Sie erbebten nicht, sie rissen nicht ihre Kleider ein, der König und alle seine Diener, die all diese Rede hörten. Inzwischen ist Nebukadnezar selbst seit 1 Jahr König geworden, bald unternimmt er einen Zug nach Jerusalem gegen den rebellischen Fürsten. Der König leistet ihm Lehenseid, das heisst, wir können in diesen Jahren noch nicht sagen rebellisch, sagen wir de facto, um sich diesen Gehorsam attestieren zu lassen, den er »de facto« leistet und tatsächlich sagt er sich nach 3 Jahren los. Nebukadnezar unternimmt wieder einen Zug und unterdrückt den Aufstand, schliesslich kommt es dazu, 597, dass er, um dieses rebellische Wesen endlich zu unterdrücken, dessen Nachfolger, Jehojachin, und einen grossen Teil der herrschenden Schicht ins Exil verschleppt. Der neue König Zidkia, 21jährig, Sohn des grossen

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Josia, ein der Prophetie zugänglicher, aber sozusagen nur theoretisch zugänglicher Mensch, der immer wieder von Propheten sich den Willen Gottes verkünden lässt, aber daraus keine Konsequenzen zieht, ist ein schwacher Mensch, der nach einem rechtschaffenen, nach einem Leben unter Gottes Willen verlangt, aber die Kraft nicht aufbringt, es zu verwirklichen. Dem steht Jeremia gegenüber mit dem gesteigerten Ansinnen an das Volk: es geht gar nicht mehr weiter, nun steht die Katastrophe mit dieser ihrer faktischen Ansage bevor, man hat nun eine Verschleppung erlebt. Und wenn Jeremia zum Volk davon spricht, dass es so dem ganzen Volke gehen werde, dass von da aus alles zertrümmert werden soll, dann wissen sie anders als bisher, was gemeint ist. Aber nun merken auch seine Gegner, die offiziellen Propheten, die Akkreditierten werden nun auch bered und energischer als bisher, und es gelingt ihnen dem Volke den Glauben beizubringen: nun ist das schlimmste vorbei, jetzt haben wir in der Tat Schlechtes erfahren, aber es geht doch immer so, dass nach dem Schlechten das Gute kommt, es wird sich wenden und bald wird alles in Ordnung sein. Jeremia weiss aber, wenn jetzt das Exil kommt, oder er weiss, wenn jetzt nicht das Entscheidende geschieht, muss das Exil kommen und dann wird es lange dauern. In diesem historischen Moment, wo sich alles so verdichtet, das Politische und das Innerpolitische, da erscheinen die geeinigten Nachbarvölker, um mit ihnen gemeinsame Sache gegen Babylon zu machen und Jeremia tut wieder eine grosse Gleichnishandlung, vielleicht die bildhaft deutlichste von allen, er kommt in den Hof, wo die Gesandten versammelt sind mit etlichen Jochstangen und Jochbändern und übergibt sie den Gesandten und sagt den Gesandten, so dürfen wir wohl annehmen, dass dies – wir hören nur den Befehl Gottes – wir dürfen annehmen, dass er dies wirklich ausgeführt hat, sagt den Gesandtschaften, wir wissen dies ja von den grossen Reden Jesaias an die Gesandten, die sie heimgeschafft haben, Gott lässt ihn diesen Gesandten diese Jochstangen und -bänder geben, dass sie sie ihren Königen übergeben und lässt ihnen das Wort Gottes ausrichten, dass er, der die Erde und den Menschen und das Getier auf der Erde geschaffen hat, jetzt alle diese anderen Ländern in die Hand Nebukadnezars »meines Knechtes«, so heisst es, gegeben hat, und Achte darum Meines Knechtes, der Dir einen bestimmten Auftrag eben gebracht hat, einen Vernichtungsauftrag, nicht nur einen Befreiungsauftrag, zu erfüllen hat, der, wenn er auch nicht weiss, was er tut, der wird in der grossen Weltgeschichtsschau der Propheten Knecht Gottes genannt,

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also Gott hat ihm alle diese Völker, diese Länder übergeben und die, die ihm nicht dienen wollen, die werden vernichtet und im selben Sinne spricht er zu dem König und dem Volk von Israel. Und so geht er wochenlang mit einem Joch auf den Schultern zum Zeichen, dass Israel sich unter das Joch des Grosskönigs von Babylon beugt. Nun kommt einer von diesen Hochpropheten und sagt, das geht nicht, das ist alles Unfug und Unsinn, in Wirklichkeit wird es umgekehrt sein. Gott lässt Euch sagen, dass er das Joch des Königs von Babylon in 2 Jahren zerbrechen wird, dann werden alle die Kleinodien, die weggeschleppt worden sind, zurückgelangen und die Verschleppten, der König und die anderen zurückkommen. Und Jeremia antwortet ihm nun, wie er antworten muss, was die Lüge ist und was Wahrheit ist, er nimmt das Joch und zerbricht es. Jeremia geht dann still fort, es ist nicht seine Art, zu antworten, aber Gott schickt ihn noch einmal und lässt Hamonia den Tod ansagen. Und nun wickelt sich alles gleichsam ab. Es ist jetzt in dieser letzten Zeit vor der Katastrophe, dieser Epoche, jetzt ist es wirklich so, als ob alles sich mit Notwendigkeit abrollt und doch wird auch jetzt noch, Mal um Mal, zur Umkehr aufgerufen, wenn sie auch immer wieder neue politische Formen annehmen muss und immer noch wird das Kommende davon abhängen. Zunächst aber tut Jeremia noch einen eigentümlichen Schritt. Die Unruhe nämlich, die in Jerusalem herrscht gegen die babylonische Oberherrschaft greift über auf jene nach Babel Verschleppten und, um sie zu warnen, etwas gegen Babel zu unternehmen, schreibt Jeremia seinen grossen Brief, in dem es heisst: So spricht Er, der Gott Israels an alle Verschleppten, die er aus Jerusalem nach Babel führte: Baut Häuser und siedelt, pflanzt Gärten und esst ihre Frucht, nehmt Weiber und zeugt Söhne und Töchter, nehmt Euren Söhnen Weiber und Euren Töchtern gebt Männer, dass sie Söhne und Töchter gebären und mehret Euch dort, mindern dürft Ihr Euch nimmer und tragt in Frieden die Stadt nach dahin Ich Euch verschleppen liess. Betet für sie zu Mir, denn in ihrem Frieden wird Euch Friede sein. Aber in demselben Brief verkündet auch Jeremia, das, was dann kommen wird, wenn sich die 70 Jahre für Babel erfüllt haben, wenn es dann einen Rest gibt, der heimgeführt werden wird, dann wird dieser Rest heimgebracht. Dann ruft Ihr mich an und betet zu Mir, und Ich will Euch erhören, dann verlangt nach Mir und ihr werdet finden, wenn Ihr Mich mit all Euren Herzen suchen wollt, Ich mich von Euch finden lasse. Ich lasse Euch wiederkehren, Ich hole Euch zu hauf mit allen Stämmen, aus

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allen Orten, wohin Ich Euch verschleppte und lasse Euch heimkehren an den Ort, woher Ich Euch habe verschleppen lassen. Und etwa gleichzeitig vollbringt Jeremia seine letzte Gleichnishandlung, er schreibt einen Kaufbrief auf Grund des Einlösungsrechts, ein Stück Land zum Zeichen, dass noch Land in Kanaan verkauft und auch gekauft werden soll, dass dieses Kanaan Israels, dieses Land Israel eine Zukunft hat. Aber nun hat auch die Katastrophe, die endgiltige Katastrophe, schon begonnen. 588 sagt sich Zidkia unter dem Einfluss Aegyptens von Babylon los, Nebukadnezar unternimmt seinen Feldzug gegen Aegypten und im Zusammenhang damit eine Sonderhandlung gegen Jerusalem. Jeremia mahnt zur Uebergabe der Stadt, als nunmehr unabweisliche politische Forderung. Die Stadt wird nicht übergeben, 588-586 wird sie belagert. Im Sommer 588 kommt ein aegyptisches Heer als Entsatz; das nunmehr unterlegene babylonische Heer zieht sich zurück. Die grossen Herren, die bereits Zugeständnisse gemacht hatten, z. B. ihre Leibeigenen entlassen hatten, um das Gebot der Thora zu erfüllen, ich werde auf dies morgen ausführlich eingehen, ziehen nun ihre Zugeständnisse an Gott zurück. Jetzt sagt Jeremia das Unheil endgiltig an. Er wird in den Kerker geworfen. Inzwischen, während er im Kerker ist, erleiden die Aegypter eine Niederlage, das kaldäische Heer kehrt an die Belagerung zurück. Ein Gespräch mit Zidkia lässt ihn aus dem Kerker holen und Gottes Wort ansagen, ohne dass dies für seine persönliche Haltung eine Folge hätte. Jeremia fordert nunmehr Zidkia zur Uebergabe der Stadt auf, nicht mehr die Politiker, sondern die einzelnen Männer im Volk zum Ueberlaufen. Nun wird er zum Hochverräter erklärt, während jetzt die Situation so ist, dass die Stadt nicht nur nicht mehr zu retten ist, sondern dass es nunmehr auf den einzelnen und seine Lebensverantwortung ankommt, und die Lebensverantwortung verbietet ihm aus der von Gott preisgegebenen Stadt zu weichen und zu denen hinzugehen, die Feinde und Heiden und Götzendiener, um den Auftrag Gottes an sein Volk Israel, den Vernichtungsauftrag, zu erfüllen. Als Hochverräter wird Jeremia in die Schlammgrube geworfen und offenbar kurz vor dem Ersticken, oder kurz vor dem Hungerstode, das ist nicht genau bekannt, von einem Aethiopier gerettet. Auf Befehl des Königs wird er ernährt. Es ist nicht ganz deutlich, wie die Situation ist, nämlich, wieweit der Hungertod schon vorgeschritten war. Nun hat Zidkia noch ein letztes Gespräch mit ihm, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Zidkia ihn am Schlusse beschwört, er dürfe nicht verraten, dass er mit ihm gesprochen, denn der König ist schwächer als die Fürsten und

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muss dieses Gespräch, aus dem er keine Konsequenzen ziehen darf, vor seinem Hofe geheim halten. Im Juli 586 wird die erste Bresche gelegt, die Stadt zerstört, Zidkia gefangen genommen und abgeurteilt, er wird geblendet und nach Babel gebracht mit samt seinem Hof. Ein Statthalter wird eingesetzt, Gedalia, der offenbar der widerspruchsvollen Situation gewachsen ist und weiss, dass es gilt Friede zu halten. Aber anscheinend unter der Anstiftung eines Nachbarn, der auch diesen Teil von Israel nicht bestehen lassen will, veranstalten Ammoniter einen Aufstand. Es ist dies eine letzte Handlung des inneren Widerstreits, der inneren Zerstörung, auf die nun nichts mehr als die Auswanderung der übrig gebliebenen nach Aegypten folgt. Jeremia wird mitgeschleppt, aber noch in Aegypten veranstaltet das Volk einen feierlichen Abfall von Gott und proklamiert den Dienst der sogenannten Himmelskönigin, einer Muttergottheit. Gedalia wird getötet. Jeremia tritt nun dem, das ist das letzte, was Jeremia tut und was wir wissen, mit der Ansage entgegen, dass sie ihrem Schicksal auch in Aegypten nicht entgehen werden, dass die Hand Nebukadnezars auch hierher reichen wird und dass sie nun hier auf diesem Boden ihrer Flucht und Zuflucht die Strafe erleiden werden, die ihnen zukommt. Dies geschieht auch, aber da ist von Jeremia nichts mehr zu hören, seine Spur verliert sich, über seinen Tod berichtet uns das Buch nichts mehr. Dies ist der Gang der Begebenheiten und der Gang dieses Botschaft tragenden Prophetenlebens inmitten der Begebenheiten. Und nun will ich Ihnen morgen, dies voraussetzend, zu zeichnen versuchen, was von dieser Botschaft aufsteigt über die Zeiten hin zu uns, auf unsre Situation zu und war in jener Situation und in unserer Zeit ähnlich ist, wie wir in Wahrheit annehmen dürfen, dass irgendwie von Gott gesprochen worden ist, zu u n s gesprochen ist.

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Meine Verehrten! Ich habe gestern Ihnen erzählt das Leben Jeremia, eingefügt in den Zusammenhang der geschichtlichen Ereignisse, sofern sie dazu gehören, deutlich zu machen, was für eine Botschaft das war, geschichtlich begründet, was für eine Botschaft dieser Mensch zu sagen hat, und ich will nun heute versuchen, aufzuzeichnen, was an dieser Botschaft zu uns, auf unsere Situation zu gesprochen ist und wie es zugeht, dass es auf eine solche Krise, auf unsere Situation, zugesprochen ist. Ich muss zunächst noch einmal darauf zurückkommen, was das ist, eine solche prophetische Botschaft, was das für eine Art zu sprechen ist.

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Ich sagte gestern schon, es ist nicht ein Vorhersagen einer feststehenden, unabänderlichen Zukunft, es ist kein Wahrsagen, der Prophet ist nicht ein Mensch, der auf irgend eine geheimnisvolle Weise erfährt, was morgen oder übermorgen sein wird, – ja es ist mit dem Glauben, der diese Menschen trägt, so beschaffen, dass es für diesen Glauben eine solche feststehende, unabänderliche, unablösbare Zukunft nicht gibt. Die Kategorie der Zukunft selbst ist anderer Art, als dass man sagen könnte, wie etwas jetzt, irgendwo im Raum geschieht, in diesem Augenblick so und so ist es. Nach biblischem Glauben sieht man Zukunft nicht voraus, sondern man sagt etwas an, was geschehen wird, wenn …, was geschehen wird, wenn nicht … Dies spricht auf ein Wenn, auf ein Wenn nicht zu, das ist die Lebendigkeit des prophetischen Sprechens. Dieser Mensch spricht immer mit bestimmten Menschen, also nicht ins Blaue hinein, es ist kein Literat, es ist kein Mensch des Geistes in unserem Sinne, der ja nun in irgend einer Form, sagen wir in der Form eines Buches, sich ausspricht und dieses Buch kommt irgend wo hin, zu unbekannten Menschen, zu denen er nicht wirklich redet, nicht gegenübersteht. Dieser Mensch steht diesen bestimmten Menschen gegenüber, die er anredet und er redet sie an auf ihr persönliches Leben hin, und er redet sie auf dieses persönliche Leben hin so an, dass er ihnen sagt, von dem was sie in ihrem persönlichen Leben und mit ihrer persönlichen Lebenskraft im nächsten Augenblick anfangen oder nicht anfangen werden. Von dem hängt diese sogenannte Zukunft, das was sein wird, in einem freilich nicht abmessbaren Masse, aber doch in unumstösslicher Wirklichkeit mit ab, also auf diese Entscheidungsfähigkeit des Menschen hin, dieses brüchigen, sterblichen, widerspruchsvollen, in jedem Augenblick des Lebendigseins die Zersetzung erfahrenden Wesens. Auf diese, trotz allem, bestehende Entscheidungsfähigkeit dieses Wesens hin ist das prophetische Wort gesprochen und zwar immer zu diesen bestimmten Menschen, die angeredet werden, angeredet in die Tiefe ihres Daseins hinein. Und ob diese Tiefe hört oder antwortet, nicht lebt, mit der Urkraft lebt, ob diese Tiefe erwächst, da ist, stand hält, sich stellt, davon hängt das Kommende in irgend einem Masse ab, das wird diesen Menschen zugesprochen und das Kommende wird ihnen in dieser Weise, dieser seltsam bedingten Sprache angesagt. Dieser Mensch nun, dieser Prophet, wie wir sagen, dieser Nabi, wie das biblische Wort lautet, ist vor allem, ich glaube es hinzufügen zu müssen, um es deutlich zu machen, er ist ganz und gar ein Mensch des Wortes und zwar des gesprochenen Wortes, des in ihrer Situation Mensch zu Menschenkreis gesprochenen Wortes, und zwar des Wortes, das im Auftrag gesprochen wird, des Wortes, das dem Sprecher aufgetragen, auf-

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geredet worden ist gegen seinen Willen, des Wortes, das nicht aufsteigt, auch nicht aus irgend einem Unterbewusstsein, wie man heute sagt, sondern dieses Wort widerspricht allem Anstellen dieses Menschen, allen Lebenstrieben, allem, was sein Unterbewusstsein träumt, und er muss diesem Wort widerwillig sich anstellen, dagegen dennoch sprechen, weil es mächtiger ist als er. Er ist also ein Sprecher – und zwar ein Sprecher, wenn ich es deutlicher machen kann, ein Sprecher, ein Träger des Wortes in der Senkrechten, in der Vertikalen, das heisst, das Wort wird von oben nach unten gesprochen, von der oberen Macht aus zu dieser Menschenwelt und durch diesen Menschen durch geht es und zwar so, dass göttliches Wort zu menschlichem Wort wird, dass dieser Mensch, eine Stimme, die sich ihm einspricht, eine nicht menschliche Stimme, so bekämpft, so bekundet er es, eine Stimme, die sich ihm einspricht, nun so umspricht, so umwortet, dass sie den Menschen, zu denen er zu sprechen hat, vernehmbar, verständlich wird. Aber je und je trägt er auch als Fürsprech das Menschenwort, dass die Not, das Flehen der Menschen, in dieser Senkrechten zu jener Macht antwortet, dass sie das Wort der Kreatur aufnimmt und nun in diesen so beschaffenen Menschen, in der Reihe dieser Menschen, so wie es spricht von den Propheten Israel. Was man sonst prophetisch nennt, ist zumeist nur eine Metaphrase. In der Reihe dieser Menschen ist zwar nichts, was wir Entwicklung nennen, wahrzunehmen, aber dennoch eine merkwürdige Linie, eine merkwürdige Bewegung, ein Fortschreiten und zwar ein Fortschreiten sowohl einer immer deutlicher, dringlicher, unmittelbar werdenden Situation, oder, um es noch deutlicher zu sagen, das immer stärkere Herannahen einer angesagten Katastrophe, und zunächst zeitlich dies, dass fast von Prophet zu Prophet immer mehr das Wort, das er zu diesen bestimmten Menschen, zu diesen Vertretern des Völkchens Israel, zu denen er redet, dass das Wort durch sie hindurch und über sie hinweg gerichtet ist an die Völker der Welt. Ich sage, in demselben Masse, wie die angesagte Katastrophe herannaht, wird diese Katastrophe von den Propheten immer stärker, immer deutlicher, ausgesprochen als eine Katastrophe der damaligen Völkerwelt, so dass hinter der Katastrophe Israels, die zunächst angesagt wird, die Katastrophe einer Kultur, einer Weltepoche erscheint. Ich möchte beides noch etwas deutlicher machen, zunächst, dass die Propheten immer auf eine bestimmte Situation hinsprechen, dass das, was hier Prophetie heisst, gattungsmässig abgehoben ist von allem Vorhersagen, das ist in Israel sehr tief empfunden worden, ich will nur ein Wort Ihnen anführen, ein Wort in einem jener Sprüche des Wahrsagers Bileam, in der Geschichte nämlich, wo erzählt wird, wie ein feindlicher Nachbarkönig diesen Wahrsager gegen Israel dingt, dass er Israel ver-

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flucht und wie er dann genötigt ist, aus dem Einsprechen göttlichen Machtwirkens Israel zu segnen. Und es sagt Bileam in einem seiner Sprüche, und er spricht damit das tiefste Bewusstsein der Propheten Israels aus, er, der ein Wahrsager der Fremde ist, er sagt: Israel ist nicht Zeichen, Bedeutung, nicht Wahrsagerei, er sagt: »Zu Zeiten« wird Jakob und Israel zugesprochen, was Gott gewahrsagt hat. Es gibt keine Wahrsagerei, keinen Glauben an die Vorhersagbarkeit der Zukunft, sondern es gibt das jeweilige Sprechen zur Zeit, das heisst auf eine bestimmte Situation, auf die Labilität einer bestimmten Situation zu, auf die Labilität, die wir je und je, wir mitlebenden Menschen in unseren erschütterten, zitternden Herzen spüren und zu tiefst spüren, dass irgendwie die Wendung, wenn es sich wendet, miterlebt wird, von uns und von dem, was zu uns geschieht. Ich sage, »zu Zeiten« wird es so gesprochen, was Gott im Werk hat, das heisst, was Er, Gott, im Werk hat, aber in diesem eigentümlich, geheimnisvollen Verhältnis des Schöpfers zu seinem menschlichen Geschöpf, das er hineingesetzt hat, wahrhaft, geheimnishaft in das Schicksal der Weltgeschichte, so geschaffen, so hineingesetzt, was er also sucht in dieser Wirklichkeit zwischen Gott und Mensch im Wirken. Und weiter, ich sagte, dass die Katastrophe immer deutlicher wird, wenn Sie die Reihe dieser Propheten von Amos etwa bis Jeremia, das ist der Mensch, von dem wir reden, der unmittelbar die Katastrophe ansagt, nicht mehr als etwas, was sich bereitet, sondern als etwas, was hier geschieht und zwar die letzte Katastrophe, nicht mehr die Semiliens, über die hinaus es noch Juda gab, sondern hier diese Katastrophe, an der Jerusalem selbst beteiligt ist, ich sage nun, wenn wir diese Reihe ansehen, so sehen wir, wie es immer klarer, immer unmittelbarer wird, man sollte meinen, dass eigentlich nichts mehr gesagt zu werden braucht, dass die Menschen mit Augen sehen, mit Ohren hören, was zu sehen und zu hören ist und dennoch dringt das prophetische Wort nicht in die elementare Tiefe dieser Menschen hinein, aus der sich etwa ein wendendes, ein schicksalwendendes Entschliessen gebären könnte. Und zum dritten. Ich sagte, in dieser Reihe wird immer deutlicher, dass über Israel noch hinaus, das Wort der Völkerwelt gilt und ihrem Schicksal, eine Katastrophe, die von Aegypten bis zu Babylon hin die damalige Kulturwelt umspannte, die die alten Systeme in ihren Grundfesten erschütterte und zwar, ich meine, ich spreche von einer historischen Wirklichkeit, wenn es irgend eine historische Wirklichkeit gibt, dieses grosse Weltsystem, das alle Dinge des Lebens umfasst, wie wir sie von China bis Vorderasien im alten Orient kennen, beginnen in verschiedener Weise, eben zu jener Zeit, die einen schneller, die anderen lang-

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samer, erschüttert zu werden, und wenn wir die Geschichte Asiens Wirklichkeit nennen wollen, sogar bis auf unseren Tag, denn es gibt noch Reste dieser Weltsysteme, noch in unserer Zeit, so erfahren wir, dass damals die Erschütterung auch der Systeme, deren Rest in unsere Zeit hineinreicht, begann, dieser Universalismus der Propheten, diese, ich möchte sagen, Transparenz der Hörer, dass durch dieses Israel hindurch das Wort an die Welt geht und mit deren ganz realem Beginn Erschütterung zu schaffen hat. Dies äussert sich nun von Prophet zu Prophet immer deutlicher in dem, was man den Universalismus der Propheten Israels genannt hat. Aber wenn wir von Universalismus sprechen, so klingt das sehr ideologisch, Weltanschauung, Religiosität, es klingt nicht als etwas, was unmittelbare geschichtliche Religiosität hat. Aber gerade darum geht es, es geht um Geschichtsschau im höchsten Sinne, in diesem Universalismus, in diesem immer leidenschaftlicher, immer grösser sich äussernden Universalismus der Propheten. Es geht um immer klarere, mächtigere Schau der Völkerwelt, die sich da um Israel herum aufbaut und in dieser seltsamen Weise ihr Schicksal mit seinem Schicksal verknüpft. Ich will nur die allerdeutlichsten Momente herausgreifen. Der erste der Propheten, Amos, sagt es schon in solcher Weise, die für den, der das Wort zu hören versteht, schon deutlich genug ist, da nämlich, wo er das Gotteswort zu Israel so verkündet, Gott sagt, das ist das Wort, das ich immer wieder anführen muss, weil es ein Angelwort Gottes ist, vielleicht von keinem anderen kann man es so verstehen, was Prophetie in Israel ist, Gott sagt zu Israel: Seid Ihr Mir wie die Mohren, wie die Mohrensöhne, habe Ich nicht Israel aus Aegypten geführt und die Phylister auf Kaftor und die Aramäer aus Kir? Das heisst, Sie müssen sich vorstellen die feindlichen Nachbarvölker und was Israel mit den Phylistern zu schaffen hatte, von diesen feindlichen Nachbarvölkern, übersetzen Sie sich dies nur in moderne geographische Begriffe, von diesen feindlichen Nachbarvölkern spricht dieses Gotteswort: Gerade so, wie Ich Euch befohlen habe, aus Aegypten zu ziehen, so habe Ich dies Euren Feinden befohlen, stellt Euch nicht vor, dass Ihr ein Monopol auf Mich habt, so wenig wie die Mohren es haben. Ich bin der Befreier jeden Volkes, das befreit worden ist und befreit wird, wie immer sich auch die Macht nennen möchte, die es befreit hat, Ich bin es. Diese Unmittelbarkeit der Geschichtsschau ist es, die man mit diesem etwas begrifflichen Wort des Universalismus bezeichnet.

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Und nun nehmen sie dann das josianische Wort, meiner Ueberzeugung nach ein echt josianisches Wort im 19. Kapitel, wo dieselbe Situation dringlicher ausgesprochen ist, zweifellos ein Stück Wegs weiter, aber desselben Wegs weiter an jenem Tag, das ist der Tag, der verkündet wird, der Tag der Wandlung nach der Katastrophe, an jenem Tag wird Israel das dritte zu Aegypten und zu Assyrien sein, ein Segen in der Mitte des Erdenlandes, wozu Er, der Umscharte es gesegnet hat, sprechend: Gesegnet Aegypten, Mein Volk, und Assyrien, Warner meiner Hände und Israel, Mein Eigentum. So wird hier Israel hineingestellt zwischen diese 2 Welten, Aegypten und Assyrien, wir können dafür Babylon setzen, das es abgelöst hat, zwischen diese 2 grossen Stromreiche, die immer wieder um die Herrschaft dieses Erdenwinkels miteinander gerungen haben, dahingestellt als wie sie und sie wie es, von Gott gesegnet, vereinigt in einem Segensspruch, mit diesem seinem, ja, wie man wohl sagen dürfte, Erbteil und der letzte in dieser vorexilischen Reihe ist dieser Mensch Jeremia, von dem wir sprechen. Da wird der Spruch dieser Völkerwelt so deutlich in der Form des Buches, das uns überliefert wird, wo die Reden an die Völker nur abgetrennt sind von den übrigen Reden. Es ist ein Teil des Buches für sich, die Reden an die Völker, aber es wird auch ausgesprochen in einer so direkten Weise, wie nie vorher gesprochen worden ist. In jener Berufungsgeschichte, deren Anfang ich gestern las, heisst es, es ist unmittelbar, nachdem Gott mit seiner Hand den Mund des Propheten berührt: Da ich gebe Meine Reden in Deinen Mund, siehe Ich verordne Dich an diesem Tage über die Weltstämme, über die Königreiche, auszuroden, einzureissen, abzuschweden, hinzuschleifen, zu bauen, zu pflanzen. Sie möchten nun etwa fragen, was denn das heisst, da er sagt, so ein unpolitischer, so ohnmächtiger Mensch in diesem weltpolitisch ziemlich unwichtigen Ländchen, solche Worte als von Gott ihm zugesprochen, überliefert, dass er dazu verordnet, Weltstämme und Königreiche, so sehen die zwei Reihen dann die Bilder, Haus und Baum auszureissen und aufzurichten. Es kann nicht anders verstanden werden, denn als dass sein Wort über die Köpfe der unmittelbar angeredeten hinweg, eben an diese Völker und an ihr innerstes Geschick gerichtet ist, solcherweise dass, wie Israel, so, eben so, gerade so wie Jona das ferne Niniveh zur Umkehr aufrief, so werden sie aufgerufen werden, und der sprechende Mensch glaubt, dass er, da er auf dem Tempelplatz in Jerusalem spricht, sodass sein Wort nicht hindringt über den Platz hinaus, dass er die Völker nicht von hier bis zum Euphrat anredet und in geheimnisvoller Weise in der Tiefe der Herzen dieser Mengen, in der Tiefe der Herzen aus unbekann-

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tem Grunde vernommen wird. Aber es wird noch deutlicher gemacht und zwar in einer jener Gleichnisreden und Gleichnishandlungen, von denen Jeremia erzählt und zwar da, wo ihm befohlen wird, in das Haus des Töpfers zu gehen und zuzuschauen, wie der Töpfer sein Werk an der Doppelscheibe brennt. Je und Je verdirbt dem Töpfer ein Gefäss, das er macht, noch im Ton und dann macht er wieder ein anderes Gefäss, gleich wie es zu machen recht dünkt des Töpfers Auge, und so spricht Jeremia im Hause des Töpfers, während er zuschaut, geschah seine Rede: Vermag ich nicht wie dieser Töpfer es mit Euch zu machen, Haus Israel, wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid in meiner Hand, Ihr, Haus Israel, so weit geht die Rede unmittelbar an Israel und scheinbar nicht über es hinaus, aber dann wird so weiter gesprochen: Im Nu rede ich über einen Stamm, über ein Königreich: auszureuten, einzureissen, abzuschweden, aber kehrt jener Stamm um von seinem Arg, deswegen ich über ihn redete, lasse ich mich geleiden des Args, das für ihn zu machen ich plante. Und wieder im Nu rede ich über einen Stamm, über ein Königreich, aufzubauen, anzupflanzen, aber macht es das in meinen Augen Arge, dass ungehört bleibt meine Stimme, lasse ich mich geleiden des Guten, damit ihm Gutes zu tun ich gesprochen habe. Hier ist, wie Sie sehen, mit denselben Worten, in demselben Sprachgebrauch – und das ist niemals Zufall in der Bibel, dieser wiederholte bedeutende Hinweis der einen Stelle auf die andere, eine Verbundenheit der beiden Stämme solcher Art, dass jeder von beiden das andere erklärt und ergänzt. Hier wird also gesagt, dass wenn Jeremia verordnet ist über die Weltstämme, über die Königreiche, dass eben dies so zu verstehen ist, dass sie angeredet werden auf diese Entscheidung, auf diese Umkehr, Umkehr von dem Menschlichsichverlaufenhaben, auf den Weg Gottes, dass es von dieser Umkehr abhängig gemacht wird, was nun geschieht, ob scheinbar unabwendbare Wirklichkeit geschieht, oder nicht. Aber es gibt noch deutlichere Stellen in demselben Buch, die eben dasselbe, aber nun mit einer unüberbietbaren, zugleich deutlichen und nun aber, wenn ich es so sagen darf, göttlichen Schwermut, das ist die Rede, die zum Unterschied von allen anderen, nicht an eine Menschenmenge, nicht an ein Volk oder an Volksteile gerichtet ist, sondern an einen einzelnen Menschen und zwar nicht an den Propheten, das gibt es ja auch, dass Gott je und je den Propheten in dem jeweiligen Gegeneinander anspricht, nicht zu den Propheten, sondern zu seinem Schreiber Baruch, von dem ich gestern schon zu erzählen hatte und dieser Baruch hatte sich, wie wir aus der Rede selbst erfahren, sonst hören wir nichts davon,

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hatte sich bei Gott beklagt und hatte Bitten daran geknüpft, was wissen wir nicht, es sei denn, wir erfahren aus der Rede selbst, was dies war – und die Rede ist so, Jeremia bekommt den Befehl, dies Baruch zu sagen: So spricht Er, der Gott Israels an Dich Baruch: Du sprachst, weh mir oh, den Gram fügt Er mir zum Schmerz, ich seufze mich müde und Ruhe finde ich nicht, so spricht Er zu ihm, so spricht Er: Wohlan, was Ich baute, muss ich niederschlagen, was ich pflanzte, muss ich ausreuten und es gilt die Erde allen und Du, Du wolltest in ihr Begehr begehren, nimmermehr! Sie haben hier zum dritten Male dasselbe Bild, aber nun beides, das Niederreissen, das Aufrichten so verbunden miteinander, dass Gott selbst sagt, dies, was Ich geschaffen, was Ich aufgerichtet habe, das muss Ich, weil die Menschen ebenso tun, mit von ihrer Entscheidungsfreiheit aus, die Ich schöpferisch in sie gesetzt habe, das muss Ich, niederreissen – und es wird hinzugefügt – und es gilt die Erde Allen. Das ist das letzte, letztlichste Wort des Universalismus, aber, wie Sie sehen, ein schicksalhaftes Wort, ein Wort der unmittelbarsten geschichthaften Wirklichkeit, das ist nicht ein Universalismus einer Lehre, einer Idee, einer Religion – das ist nicht ein Universalismus einer geistigen Ebene, sondern das ist wie eine Weltschau im Sinne eines Ueberschauens der Schöpfung durch den Schöpfer in dem Stand, in den diese Schöpfung geraten ist. Von da aus ist nun die Sprache dieser Propheten zu verstehen und, wenn ich sagte, das, was zu Israel gesprochen ist, über es hinaus, gilt, so wird dies nun auch darin ganz unmittelbar geäussert, dass das, was nunmehr in dem Israel, das endgiltig versagt, in dem Juda, das endgiltig versagt, geschehen wird, gefasst und verkündet werden als ein Beispiel für die Völker. Jeremia spricht zu Gott als ein Fürsprech für die Völker und da sagt er auch: Es werden ja doch die Völker sich Dir zukehren, alle die, die jetzt anderen Mächten als ihren Göttern anhängen, es kommt nicht darauf an, ob man die Mächte mit Gottes Namen oder sozialen oder politischen Namen nennt, sie werden sich doch zu Dir kehren, Du mein Trotz und meine Trutzfeste, meine Zuflucht am Tage der Drangsal, zu Dir werden die Weltstämme kommen von den Ländern der Erde her und werden sprechen: Keiner ist wie Du. Kann sich denn ein Mensch Götter machen. Götter sind sie aber auch nicht, in der künftigen Katastrophe werden die Völker umkehren und zu Dir kommen. Darauf antwortet Gott: Eben darum wohlan, lass Ich diesmal sie erkennen, dass heisst in

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dem Schicksal dieses Volkes, eben darum, wohlan, lass ich diesmal sie erkennen, kennen lasse Ich sie Meine Hand, Meine Heldenkraft erkennen sollen sie, dass Mein Name sei: Ich bin da. Da wird auf dieselbe Erschliessung der vier Buchstaben des Gottesnamens hingewiesen, die einst zu Mose geschah, wo der Sinn dieses Namens erschlossen wurde, indem Gott dasselbe, was der Name in der dritten Person sagt, kund tat in der ersten Person: Ich werde da sein als der Ich je und je da sein werde, das heisst immer wieder bei meiner Kreatur, immer gegenwärtig und zugleich immer wieder in neuer Gestalt, in neuer Erscheinung, in der man Mich wieder zu erkennen haben wird. Dieses Gegenwärtigsein, in dem, was der Mensch Verhängnis zu Unrecht nennt, das wird hier noch einmal wie damals, Mose gegenüber, aus dem Namen erschlossen. Die Völker sollen es also in dem, was hier, in diesem kleinen Land, an diesem kleinen Volk beispielhaft geschieht, erkennen, und dies nun, dies was geschieht, das ist von der innersten Entscheidung der Völker aus ein Ende, das begrenzt ist auf ein Stück Land, oder es ist ein Anfang einer weit hinausreichenden Katastrophe. Aber wenn die Völker es bloss geschehen lassen und denken, es wird schon irgendwie, das ist ein kleines Land, das kann nicht übergreifen, wir sind ja mächtiger, oder, es werden schon irgend welche politischen Faktoren das wiedereinrenken, was jetzt ausgerenkt scheint, wenn sie also, wie der Prophet es nennt, straflos bleiben wollen, dass ist dies, was hier in Israel geschieht, nur ein Anfang dessen, was an ihnen geschehen soll, der Anfang des Weltgerichts, dann reicht ihnen Gott in dieser seltsamen sinnbildlichen Handlung durch den Propheten den Taumelbecher, den Becher des grimmen Glutweins und spricht zu ihnen: trinken müsst Ihr, trinken, wohl mit der Stadt, ja, über der Mein Name gerufen ist, beginne Ich das Ende zu tun und Ihr, Ihr wollt straflos, straflos bleiben; straflos bleibt Ihr nicht, denn Ich berufe das Schwert über alle Siedler der Erde. Und wie tief, wie elementar der Prophet diesen Untergang, dieses Verhängnis schaut, wie apokalyptisch er diesen Untergang schaut, das erfahren wir aus Stücken wie etwas Gegenwärtiges, wie etwas, das jetzt schon da ist, berichtet: Ich sah das Erdenelend an, da war Irrsal und Wirrsal, Tohu-wabohu, wie das Chaos vor der Schöpfung. Ich sah das Erdenelend an, da war es Irrsal und Wirrsal, zu den Himmeln empor, hinweg war ihr Licht, ich sah die Berge an, da erschütterten sie, alle Hügel lockerten sich. Ich sah, da war der Mensch hinweg, alle Himmelsvölker verflatterten, Ich sah, da war die Frucht faul, all ihre Städte niedergerissen vor ihm, vor der Flamme seines Zornes.

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Von dieser Schau aus redet nun der Prophet das Wort der Mahnung und Warnung, anruft zur Umkehr, zur Aenderung des Lebens, und diese Aenderung des Lebens, zu der er aufruft, betrifft wesentlich nicht etwa das, was man das Religiöse nennt, das Religionshafte, obgleich davon, all dies gehört zusammen, auch je und je die Rede ist, sondern wesentlich betrifft es das, was wir, wir haben ja fertige Begriffe für alles, was wir das Soziale nennen, nicht eine kulthafte,nicht eine religionhafte, sondern die soziale Sünde der Menschen. Wenn Jeremia die Fehlhaftigkeit, die Widergöttlichkeit des Volkslebens zu kennzeichnen hat, dann sagt er etwa: In meinem Volke, da fanden sich Frevler, das zieht aus wie Vogelsteller, geduckt, sie richten die Verderberfalle. Menschen wollen sie fangen, wie der Korb sich mit Geflügel nicht mehr füllt, sie füllen ihre Häuser, darum werden sie gross, werden reich, feist werden sie, sie überschwellen gar von Reden der Arglist der Sache, der Weise wählt sie als Sachwalter nicht, dass sie sie glücken liess. Das Reich der Dürftigen nicht errichten sie. Ja soll ich dies nicht zu ordnen erlauben oder soll an einem Stamm, wie der da, nicht ändern meine Schicksale. Was erstarrt, was erschauert mich in dem Lande, die Künder sinds, die Glückspropheten, die Künder der oberen Herren, die Priester wirtschaften ihnen zur Hand und Mein Volk das liebt es so, aber was wollt ich tun am Ende davon? Und dieser Ruf gegen die Sünde, gegen das Vergehen des Menschen am jetzigen Menschen, die die eigentliche wiederholte Handlung ist, die gebrandmarkt wird, dies sagt vielleicht noch direkter, wenn dies möglich ist, jedenfalls noch mehr auf ganz bestimmte Menschen hin wie auf einen bestimmten Menschen hin, Jeremia in seinen Reden zu den Königen, in seinen Sprüchen auf die Könige, etwa in seinem Spruch zu jenem König, von dem ich gestern erzählte, dass er dadurch, dass er Menschen ohne Lohn zwangsmässig für seine Bauten, seine Luxusbauten missbrauchte, sich so an dem Gebot Gottes vergangen hat: Wehe ihm, der sein Haus unwahrhaft baut, seine Hochgemächer, ungerecht seines Genossen sich bedient, ohne Entgelt, ihm seinen Werklohn nicht gibt, der spricht, in grossem Masse bau ich mir ein Haus, weiträumige Hochgemächer, fensterreich schnitzt er sichs aus, getäfelt, besonders mit Zedern, und mit Zinnober gestrichen, passend dazu. Du Königschaft, dass du wetteiferst, hat Dein Vater nicht gegessen, getrunken und hat Recht und Wahrhaftigkeit getan, da war ihm gut, als Sachwalter waltete er, für den Armen, den Bedürftigen, da war es gut. Ist das nicht das Mich erkennen, Ist das nicht das Mich erkennen? So spricht er: auf nichts sind ja Deine Augen, Dein Herz aus, als auf das Ausbeuten aufs Blut des Unsträflichen, es zu vergiessen.

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Damit ist nichts anderes gemeint, als eben das Ausbeuten, aufs Blut des Unsträflichen zu vergiessen, aufs Fressen und aufs Knickern, darum hat er so gesprochen von Jehojakim, Sohn von Jehuda. Man wird ihn nicht bejammern, weh Herr, so hart, wie man einen Esel begräbt, wird er begraben, fortziehen und hinwerfen fern ab von Jerusalems Toren wird man ihn. Von da aus müssen Sie das verstehen, was je und je der Prophet den Verrat des Volkes an Gott nennt. So wie Gott hier sagt: Ich erinnere – heisst das Rache am Mitmenschen tun. So ist auch zu verstehen, wenn er sagt »verriet«, in dem das Volk wieder als Weib angesprochen wird: Verriet je ein Weib seinen Genossen, so verraten habt Ihr Mich aus Israel. Es gibt nun eine Begebenheit, die berichtet wird, von diesem Propheten und zwar in der Zeit, die dieser letzten Katastrophe ganz knapp vorausging und die diese soziale Sünde und ihre Folgen in einem Vorgang verdichtet, abzäunt. Das ist der Vorgang, von dem ich schon gestern gesprochen habe. Das Gebot der Thora war, kein Mensch darf von dem anderen Bauern abhängig bleiben, wer einem anderen, weil er wirtschaftlich abhängig geworden ist, wer einem anderen sich als Knecht verkaufen muss, muss nach 7 Jahren frei gelassen werden, im siebenten Jahre. Dieses Gebot war nicht befolgt wie die anderen grossen Gebote der sozialen Gesetzgebung Israels, bis nun das Heer der Kaldäer die Stadt belagerte und viele der Herren, der grossen Herren, in der Stadt verspürt haben, wie das sein würde, wenn sie in die Gefangenschaft der Kaldäer kämen, viele verspürt haben, was das heisst, Knecht sein, wie es in der Thora heisst: Ihr seid einmal Knechte in Aegypten gewesen, Ihr wisst, wie es dem Knechte zu Mute ist, und in diesem Augenblick, gleichviel welche Motive es waren, die sie beherrschten, sie tun jedenfalls das Gebot erfüllen, sie gaben ihre Knechte und Mägde frei, sie begingen jenen uralten Ritus, von dem schon aus Abrahams Zeit berichtet wird, dass man ein Kalb, ein Opfertier, halbiert und zwischen den beiden Hälften hindurch schreitet, um zugleich eine Gefahr abzuwenden und sich eine Beschränkung, eine Verpflichtung aufzuerlegen. Und nun geht es weiter so: Sie haben diese Verpflichtung eingehalten, solange die Gefahr gross, aber als dann das aegyptische Entsatzheer herannaht und die Kaldäer zunächst abgezogen waren und man meinte, wie man in solchen Situationen zu meinen pflegt, dass sie endgiltig abziehen, da nahmen die Herren diese Knechte und Mägde wieder in die Abhängigkeit hinein und liessen sie wieder Knechte und Mägde sein.

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Und nun spricht zu ihnen Gott durch Jeremia, indem er auf jene alte Knechtschaft in Aegypten sich beruft: Ich selber habe den Bund mit Euren Vätern geschlossen am Tage, da ich sie aus dem Lande Aegypten, aus dem Dienst führte, sprechend gegen Ablauf von 7 Jahren soll wegschicken jedermann seinen Bruder, den Hebräer, der verkauft worden ist, 6 Jahre soll er Dir dienen, dann schicke ihn weg. Eure Väter hörten auf mich nicht, sie neigten ihr Ohr nicht und nun ward ihr Gutes umgekehrt. Ihr habt in meinen Augen recht getan Freilauf auszurufen für seine Genossen, habt einen Bund geschlossen in dem Hause, darüber mein Name gerufen steht, dann aber kehrtet Ihr Euch wieder ab, gabt meinen Namen preis, nahm zurück jedermann seinen Knecht, jedermann seine Magd, die er gerade in ihre Selbständigkeit geschickt und eignetet sie Euch zu, Euch Knecht und Magd zu werden. Darum, so spricht Er: Ihr, Ihr habt auf Mich nicht gehört, Freilauf auszurufen jedermann für seinen Bruder, jedermann für seinen Genossen, wohlan, Ich rufe für Euch Freilauf aus dem Schwert, der Seuche, dem Hunger. Ich gebe zum Popanz Euch allen Königreichen der Erde. Von dieser Sünde redet der Prophet und zu dieser Umkehr ruft er irgendwie auf. Sein Ruf bedeutet ganz einfach dies, dass das eigentliche, das zentrale Gottesgebot auf das Verhältnis vom Menschen zum Menschen, auf die Redlichkeit, die unmittelbare Gerechtigkeit zwischen Mensch zu Mensch, dass dieses Gebot, das Urgebot Gottes erfüllt sein wird, in derselben Tempelrede, von der ich gestern schon sprach, wo Jeremia gegen diese falsche Sicherheit, wir haben ja den Kult, wir tun doch kultisch, was Gott befohlen hat, wo Jeremia gegen diese falsche Selbstsicherheit jene strafenden Worte spricht. Da ruft er unmittelbar danach aus: Ja besser als aller Kult ist, bessert Euch, eine Besserung in Eurem Treiben, in Eurem Geschäft, tut Recht ihr, tuts zwischen jedermann und seinem Genossen, bedrückt nicht die Waise, die Witwe, vergiesset nimmer Blut des Unsträflichen an diesem Orte, und nun folgt als Zusammenfassung eben dies: Geht anderen Göttern nicht – das steht nicht am Anfang, sondern das bedeutet, geht anderen Göttern nicht nach, etwa dem Gott, der Euch solche Ausbeutung tun heisst – und den wir auch heute noch unter einem anderen Namen kennen – Euch zum Aerger, dann will Ich Euch wohnen lassen an diesem Ort, in dem Lande, das Ich gab Euren Vätern von Urzeit her und für ewige Zeiten. Und so er aufruft, verheisst der Prophet, verheisst Gott durch den Propheten:

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Meint nun nicht, dass Ihr dann Ungeheures zu vollbringen braucht, Ihr braucht nur zu beginnen, Ihr braucht nur den Schritt der Wendung, die eine, bedingende Wendung der Umkehr zu tun und dann wird Euch von mir das Heil geschehen, kehret um, abgekehrte Söhne, Ich will Eure Abkehrung geheimhalten, kehre um Israel, zu Mir kehrst Du wieder. Also es ist dem Menschen nichts not als in seinem persönlichen Leben, in dem Umkreis, der ihm anvertraut, der von ihm abhängt, das Rechte zwischen Mensch und Mensch zu tun, das heisst, die Umkehr vollziehen, so vollziehen, dass dann Gott die Abkehrungen heilt, das daran gebundene Schicksal wendet und dies nun spricht der Prophet mit der Dringlichkeit aus: Es ist der letzte Augenblick, meint nicht, dass man diese personhafte Wendung, diese Umkehr verschieben kann, darf, dass Euch Zeit übrig bleibt, dass Ihr Euch die Zeit wählen könnt, wann Ihr es tut. Gehet zu Eurem Gott, ehe es sich verfinstert, ehe Eure Füsse sich stossen an den Bergen der Dämmerung, und wendet Ihr Euch dann dem Rechten zu, Er es macht zu Todesschatten, taucht in tiefstes Dunkel, hört Ihr das aber nicht, im Verborgenen wohnt dann Meine Seele, oh dass hochfährt diese Träne und diese Träne hinsinkt, in der Träne meines Auges ist gefangen, geführt wird seine Herde. Dieser Botschaft des Propheten nun steht die Gegenbotschaft der sogenannten falschen Propheten, der Glückspropheten gegenüber, die sagen: Ja, all das ist nicht so schlimm, das ist halt eine politische oder wirtschaftliche Krise, wie sie ja immer wieder in der Weltgeschichte vorkommt. Aber das wird sich wenden, Ihr müsst das alles nicht zu tragisch nehmen. Sie verleugneten alle Seine Sprache, mit dem ist es nichts. Nicht kommt über uns das Arge, Schwert und Hunger nicht werden wir es sehen. Diese falschen Künder sind die eigentlichen Gegentäter, der eigentliche Widerpart Jeremias, das sind die, von denen Gott spricht: Die Künder habe ich nicht gesandt, sie aber, sie reden, nicht habe ich geredet zu ihnen, sie aber, sie künden. Hätten sie in meinem Ratskreis gestanden, müssten sie eben mitreden, meinem Volk zu hören geben, müssten sie umkehren lassen von ihrem Weg, von dem Arg ihrer Geschäfte. Und gegen sie, sie verurteilend und verwerfend, sagt Gott: der Künder, bei dem ein Traum war, erzählt einen Traum und bei dem Wahr meiner Rede, oder meiner Rede getreu, was soll das Stroh bei dem Korn, ist meine Rede nicht so dem Feuer gleich und gleich einem Schmiedehammer, der alles zerschellt. Darum

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wohlan, ich will an die Künder, die kommen, Reden erstellen, jedermann von seinem Genossen, wohlan, Ich will an die Künder, die vernehmen ihre Zunge und verlautbaren können, an die will Ich die Lügenträume verkünden, die sie erzählen, die mein Volk anmachen mit ihren Lügen, mit ihren Schaumschlägereien. Ich aber, ich habe sie nicht gesandt, Ich habe sie nicht entboten und können können sie nichts diesem Volk. Ich habe Ihnen gestern erzählt, wie einer von diesen Propheten, diesen Widerpropheten, das sinnbildliche Schicksal erleidet. Ich sagte schon gegen diesen grundlosen Optimismus, gegen diese falsche Vertröstung und Beratung, die den Menschen das erleichtert, wozu sie am meisten neigen, das den Menschen ermöglicht, das mit gutem Gewissen zu tun, wozu sie am meisten neigen, die Flucht vor der persönlichen Verantwortung, für den Augenblick. Diese Gegenbotschaft, die solchermassen den Menschen zu Willen redet, überwindet die wahre Not. Die Botschaft der Propheten spricht bis ans Ende und das Unabwendbare als solches wahrnehmend, bricht er in jene Klage aus, wo er zunächst beginnt und das Volk klagen sieht als über etwas, was zunächst ein Zusammenbruch ist, aber vielleicht doch nur ein Teilbruch, jene Rede, die beginnt: Ruft den Klagemüttern, dass sie kommen, dass sie kommen zu den weisen Frauen, schreit, dass sie kommen, dass sie eilen, anzuheben über uns Wehgesang, dass Tränen in unsere Augen sinken, unsere Lider Wasser überrieselt. Aber der Prophet verwirft diese noch zu kleine Klage und sagt: Ja, dann hört ihr Weiber seine Rede, vernehmen Eure Ohren die Rede seines Mundes, dann lehrt Eure Töchter den Wehgesang, der Tod ist in unsere Fenster gekommen, in unsere Paläste. Fallen muss der Leichnam der Menschen wie Dünger auf die Frucht des Feldes, wie ein Aehrenbündel hinter dem Schnitter und – keiner heilts. Aber die Schau des Propheten endet nicht bei dem Zusammenbruch. Die Katastrophe bedeutet das Ende eines Menschbaues, das Ende einer Geschichtszeit. Die Katastrophe, die, wie ich immer wieder sagen muss, nicht bloss dieses Israel betrifft, sondern darüber hinaus eine Völkerwelt, bedeutet letztlich den Zusammenbruch einer vielfältigen Kultur und eines vielfältigen Kulturzusammenhangs. Aber über all den Zusammenbruch, über den nächsten und über den fernen hinaus schaut der Prophet, aber nun sieht er, über diesen den Menschen sich versagenden unabwendbar werdenden Zusammenbruch hinaus, schaut er, das wird freilich nur ahnend, nur in einem Durchblick wie von Ferne gebrochenem Licht, die Ahnung einer neu werdenden, erscheinenden Welt, die

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Ahnung eines Restes, eines heiligen Restes des Volkes der Menschheit, für den es dann dort nach jener Zeit einen Neubeginn geben wird und da, da allein, von dieser Zukunft allein, spricht der Prophet, kommt Hoffnung, da spricht er mit der Hoffnung, die da nach der Zeit des Zerfalls ein Erwachen in der Menschheit, eine Umkehr und eine Versöhnung, eine Gewährung eines neuen Lebens von Gott aus geschehen wird. Auch wird zunächst gesagt zu Israel und auf Israel hin, aber, wenn wir das andere recht gehört haben, dann wissen wir, wie auch dies über Israel hinaus zu einer kommenden Menschheit und auf sie zu gesagt ist. Wohlan, Tage kommen, da schliesse Ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Jehuda einen neuen Bund, nicht wie der Bund, den Ich mit ihren Vätern geschlossen habe, am Tage als an der Hand Ich sie fasste, sie aus dem Lande Aegypten zu führen, dass sie selber diesen Meinen Bund trennen konnten und war Ich es doch, der sich ihrer bemeistert hat, denn dies ist der Bund, den Ich mit dem Hause Israel schliesse nach diesem Tag. Ich gebe meine Weisung in ihr Inneres, auf ihr Herz will Ich sie schreiben, so werde Ich ihnen zum Gotte und sie werden mir zum Volk und nicht brauchen sie mehr zu belehren, jedermann seinen Bruder, jedermann seinen Genossen, sprechen werde Ich dann: Sie alle werden mich kennen von ihren Kleinen bis zu ihren Grossen. Hier kehren bedeutsam jene Worte wieder, die ich gestern anführte, jene Worte, die die sündhafte Wirklichkeit, gegenwärtige Wirklichkeit des Volkes charakterisieren: von ihren Kleinen bis zu ihren Grossen übt alles Ausbeuterei. Das ist das Gegenwort des kommenden Heils. Und das Gleiche wird in einem unvergesslichen, durch die Zeiten her, seit dem es gesprochen worden ist, nie, wohl von keinem Geschlecht dieses Volkes Israel vergessen werden. So, so spricht Er: Eine Stimme ist in Rama zu hören, ein Wehgesang, ein Weinen der Bitternis, Rahel verweint sich um ihre Söhne, weigert sich trösten zu lassen um ihre Söhne, ach keiner ist da. So spricht Er: Wehre Deiner Stimme das Weinen, Deinen Augen die Tränen, denn es wird ein Lohn Deinem Werk. Aus dem Feindesland kehren sie heim, eine Hoffnung west Deiner Zukunft, sie kehren in ihre Gemarken.

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Meine Verehrten! Ich sagte, was hier von Israel und auf Israel zugesprochen wird, ihre Schau des Exils und ihre Schau der Befreiung, ist von der damaligen Menschheit und auf die damalige Menschheit zugesprochen und dieses Exil, von ihrer Erschütterung und ihrem Zerfall und ihrer Wendung und ihrer Erneuerung und Befreiung, die wir späten Men-

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schen nur stückweise aus den Bruchstücken der Berichterstattung zu erschliessen vermögen – aber mir scheint, dass all dies, mir scheint in einer Weise, die ich nicht darzulegen brauche, ich habe davon abgesehen es darzulegen, wie ich zunächst vor hatte, dass all dies auch von der gegenwärtigen Menschheit, von dem, was sie betroffen, von der Katastrophe, die ihr angesagt ist, aber nicht anders hier unter dem Zeichen des Wenn, unter dem Zeichen des Wenn nicht gesprochen ist und auch das Heilswort, das hier gesprochen worden ist, auch sie heilt. Ich habe nicht, wie man wohl tun könnte, wie ich auch zu tun erwogen habe, verglichen Stück für Stück, was hier gesagt worden ist, von oben damals mit dem Da und Dort und damals mit dem Je und Je, ich habe es nicht getan, weil mir scheint, wer wirklich hört, wer mit offenen Ohren und offener Seele hinhört auf das Wort, merkt unmittelbar, dass es gesprochen ist, auch auf dieses uns ja bekannte, keiner Beschreibung bedürftige Jetzt und Hier, nur machen wir es uns auch ganz deutlich, nicht redet auf diese uns wohlbekannte Situation hin, sondern ganz besonders auf die uns anscheinend nicht bekannte Verantwortung hin, die wir in dieser Situation, die wir an dieser Situation tragen. Man ist zu sehr gewöhnt Weltwirtschaft und Weltpolitik als einen Bereich anzusehen, der seine eigenen Gesetze und seine eigene Buchführung hat und der eben nach diesen Gesetzen und in dieser Buchführung abläuft, ohne dass wir irgend etwas dazu tun könnten, wenn wir nicht gerade, der eine oder andere, ein Staatsmann oder ein Wirtschaftsführer ist. Aber wenn er es auch ist, auch der hat wohl dasselbe Gefühl, dass aller Einfluss der Person auf das Geschehen ein Scheineinfluss ist, aber dies ist nur solange gewahr, solange man diesem Wahn anhängt, dass das, was wir Weltpolitik und Weltwirtschaft nennen, ein Wert eigenen Gesetzes und eigener Buchführung ist, der von unserem persönlichen Leben, von den kleinen und grossen Entscheidungen unseres persönlichen Lebens unabhängig ist, der eine Entscheidung ist, die sich draussen begibt und worauf das, was wir tun, wie wir reden, mit unsren Mitmenschen reden, doch keinen Einfluss hat: Wenn dieses Wort, dieses uns so zeitfernen und doch zu uns redenden Menschen Jeremia wirklich zu uns dringt, dann muss es uns sagen, dass es eine solche Unabhängigkeit von Weltpolitik und Weltwirtschaft von unserem persönlichen Leben, diese Entscheidung unseres Lebens, die wir nicht treffen, aber treffen können, nicht gibt, sondern, dass auf Bahnen, die wir nicht zu überschauen vermögen, auf Bahnen des Geheimnisses, die aber Bahnen der Wirklichkeit sind, von allen diesen kleinen und grossen Entscheidungen unserer persönlichen Lebensführung Fäden führen, Zusammenhänge führen, die wir nicht auf dem Papier zusammenrechnen vermögen, von denen wir nicht

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auszudenken vermögen, wie etwa diese Ströme zusammenströmen können zu einer Macht, die das Angesicht der anderen wandelt, aber sie können es, wenn das prophetische Wort von den Zeiten her herzudringen vermag und irgend etwas, soviel wir vermögen, an diesem von uns gelebten Leben zu ändern vermag – dann geht etwas an, von da aus, das letztlich im Zusammenströmen der Kraft auch in dieser dunkelsten Stunde der Not das andere zu wandeln vermag.

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Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung A) Daß ich über die sogenannte Auserwähltheitsidee sprechen will, liegt an einer Klärungsabsicht. Es scheint mir ein mißliches, zu allerhand Mißverständnis und Mißkenntnis führendes Schlagwort geworden zu sein, dieses Schlagwort von der Auserwählung Israels. Und es scheint mir wichtig, nach außen und nach innen, alles zu tun, was man zur Klärung tun kann. Wahrscheinlich hat mancher von Ihnen den Roman von Dostojewski gelesen – der Titel ist nicht ganz einfach zu übersetzen, gewöhnlich wird er durch »Dämonen« wiedergegeben. Es handelt sich aber um die Dämonen, von denen man »besessen« ist, wie der eigentümliche Sprachgebrauch lautet. Es ist derjenige seiner Romane, in dem er am eindringlichsten die Problematik des gegenwärtigen Völkerlebens überhaupt und des russischen Volkes insbesondere dargestellt hat. Dostojewski hat darin wohl seine eigensten Anschauungen über diese Problematik zum Ausdruck gebracht, und er legt großen Wert darauf, daß das, was da gesagt wird, nicht verwechselt werde mit der üblichen slawophilen Ansicht. Es ist im wesentlichen folgendes: Ein großes Volk kann sich nicht damit begnügen, unter den anderen zu rangieren; es muß den Anspruch stellen, allen anderen überlegen zu sein und das zu vollbringen, was kein anderes vollbringen kann; erwählt zu sein vor allen andern. Das allein sei ein großes Volk, das diese Berufung in sich fühle; das schlechthin, nicht relativ, sondern absolut erwählt zu sein gewiß sei. Beispielhaft erwähnt er das jüdische Volk, das in diesem Sinne sich den andern Völkern überlegen, vor den andern auserwählt gewußt hätte. Diese Ansicht hängt zusammen mit einer anderen Meinung, daß jedes Volk seinen Gott habe; daß die Völker mit einander sozusagen um ihre Götter kämpfen, ja daß die Götter der Völker miteinander kämpfen und der stärkste dieser Götter die andern überwinde. Dies eben sei das berufene Volk. Beides hängt zusammen und läuft schließlich darauf hinaus, daß das erwählte Volk dieses Zeitalters das russische sei, das den wahren, den andern überlegenen Gott besitze. Davon will ich aber nicht reden, wie es sich mit den gegenwärtigen Völkern und ihren sogenannten Göttern verhält. Diese Ansicht ist ja seither in mancher Hinsicht ausgestaltet worden. Mir geht es jetzt nur um die Frage des jüdischen Volkes. Was will Dostojewski sagen, indem er dem jüdischen Volke ein solches Auserwähltseinsbewußtsein zuspricht? Ist es richtig oder nicht? Um es deutlich zu machen, wird es gut sein, bei dem Gedanken selbst – nicht hinsichtlich seiner Aktualität – einen Augenblick zu verweilen. Was heißt das: ein

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großes Volk muß den andern schlechthin, absolut überlegen sein wollen? Es scheint mir im Leben der Menschen – und wenn wir die Völker verstehen wollen, müssen wir von den einzelnen Menschen ausgehen – gar nicht so zu sein. Der Mensch, den wir einen großen Menschen nennen mögen, ist ganz gewiß nicht der, der andern überlegen sein will; nicht der, der sich mit andern vergleicht und sich für besser hält. Das würde ich für ein Zeichen der Kleinheit und nicht der Größe halten. Der Mensch, den wir einen großen nennen, wird sich überhaupt nicht mit andern vergleichen; er wird seine Sache tun, von der er weiß: dies hier habe ich zu tun, dies ist meine Aufgabe; die Sache, zu der er sich berufen weiß: Ich hoffe, daß ich sie vollbringen kann, vielleicht auch nicht, aber das ist dann nicht meine Sache – so etwa würde der wirklich berufene Mensch empfinden, aber nie würde er sich mit andern vergleichen. Dasselbe scheint mir für das Völkerleben zu gelten. Ein großes Volk vergleicht sich nicht mit anderen. Es fühlt seine Einzigkeit, die Einzigkeit seiner Aufgabe, seines Berufes. Dazu braucht es sich nicht mit anderen zu vergleichen, und wenn es das täte, so würde das Bewußtsein seiner Aufgabe leiden. – Ebenso falsch ist es zu meinen, ein großer Mensch habe einen Willen zur Macht: er ist mächtig in seiner Weise, in seiner Art von Mächtigkeit, aber er hat keinen Willen zur Macht. So ist es auch im Leben der Völker. Dieses etwas krampfige Gefühl des sich Vergleichens, des Überlegenseinwollens, des Mächtigerseinwollens gehört meinem Gefühl nach nicht der eigentlichen Kraft und Größe des Völkerlebens an, sondern eher der Entartung, der Pathologie. Nun ist merkwürdigerweise gerade in unserer Zeit diese Behauptung Dostojewskis, daß das jüdische Volk sich solcherart überlegen geglaubt oder gewußt habe und daß dies zu seinem Wirken in der Geschichte gehöre, ja daß dadurch erst dieses Wirken möglich geworden sei, zu einer These ausgebaut worden, die man etwa so formuliert: das Judentum ist nur zu verstehen aus seinem Glauben an die ihm verheißene Weltherrschaft. Diese These ist deshalb so merkwürdig, weil man bei ihr nicht, wie sonst bei derartigen Thesen, wenigstens eine Grundlage findet, die dann zwar mißverstanden oder mißhandelt worden ist; hier scheint eine tiefere Verkennung als nur Mißverständnis vorzuliegen. So sieht die Sache von außen aus. Aber nicht weniger bedenklich – ja mir im Herzen bedenklicher – erscheint die andere Seite, das Mißverständnis von innen her. Es ist ein Doppeltes: auf der einen Seite sehen wir vielfach – und zwar bei Menschen aus Kreisen, die nicht wesentlich jüdisch fundiert sind – einen abstrakten, leeren Stolz auf eine Auserwählung, von der diese Kreise wirklich nicht sagen könnten, worin sie eigentlich besteht. Es gibt eine Phraseologie der Auserwählung, die in nicht geringen Kreisen

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des Judentums grassiert. Demgegenüber ist es verständlich, aber nicht weniger bedenklich, daß in der jüngeren Generation eine Art von Protest gegen diese unfundierte, inhaltlose Auserwähltheitsbehauptung laut wird; man sagt: Ja, wir haben doch damit nichts zu tun, das verwirrt uns nur; wir wollen sein wie alle anderen Völker, uns tut nichts not als ein natürliches Leben, und es ist am Besten, wenn wir all diesen Ballast der Auserwähltheitsidee mit allem, was drum und dran hängt, hinwegschaffen. Dies ist psychologisch verständlich; aber es gehört eigentlich mit dem anderen, gegen das es sich erhebt, zusammen. Demgegenüber tun wir gut, auf die ganz einfache Wirklichkeit unserer Botschaft der Erwählung Israels zurückzugehen, und da finden wir an entscheidenden biblischen Stellen, gleichsam vorweggenommen, eine große gewaltige Warnung des Volkes vor einem Pochen auf seine Erwählung. Erwählung, auf die man stolz ist, deren man sich sicher wähnt, d i e Erwählung besteht nicht! Eben durch das große Faktum, daß man sich ihrer sicher fühlt, ist sie aufgehoben. Von da aus ist es zu verstehen, daß das Volk Israel beim Propheten Amos also angeredet wird von Gott: Habe ich nicht Israel aus Ägyptenland geführt und die Philister aus Kaphter und die Syrer aus Kir? (Am. 9,7). Das ist eine Stelle, die wir gut tun würden, jeden Tag uns neu zu vergegenwärtigen. Was bedeutet das zunächst? Stellen Sie sich nur vor, daß diese Philister und diese Aramäer zwei Nachbarvölker waren, die zu verschiedenen Zeiten der israelitischen Geschichte dem Volke Israel sehr gefährlich wurden. Und nun wird von ihnen gesagt, daß die Wanderschaft dieser Israel feindlichen Nachbarvölker in dieses Land, das Land ihrer gegenwärtigen Siedlung, von keinem andern befehligt worden sei als von dem Gott, der Israel aus der Knechtschaft in Ägypten in die Freiheit, aus einem Lande der Bedrängnis in ein reiches, schönes Land geführt hat. Also, es gibt nicht einen göttlichen Spezialführer Israels, sondern wo immer ein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt wird – wie immer es den Gott nennt, der es führt – ist es der eine wirkliche Gott und kein anderer, der e i n e Völkerbefreier. Israel hat hier nichts vor den andern voraus, es gibt keine Erwählung als Privileg. So sieht das biblische Wort die Urgeschichte Israels inmitten der Urgeschichte der anderen werdenden Völker. Und ebenso sieht das Prophetenwort die Erfüllung am Ende der Tage, das messianische Reich. Wie ein jenes Amos-Wort ergänzendes großes Gegenstück erscheint das Jesaia-Wort: An jenem Tage (das ist am Tage der Erfüllung) wird Israel das dritte zu Ägypten und Assyrien sein, ein Segen inmitten des Erdlandes (Jes. 19). Wieder müssen Sie es sich vorstellen, wovon die Rede ist. Das sind die beiden Weltreiche, die beiden

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großen Stromkulturen, zwischen denen dies kleine Land Kanaan und sein Völkchen eingepreßt waren, und Sie wissen ja, wie in der Geschichte jeweils durch die Aktionen des einen und des andern Reiches, die Kämpfe zwischen beiden, das Schicksal dieses kleinen Volkes beeinflußt worden ist. Und nun, in der Verheißung für das Reich, für die Zeit, da Gottes Königtum sich in der Welt erfüllen wird, wird Israel als drittes gestellt mitten zwischen diese beiden, nicht wie zu feindlichen Mächten, sondern wie zu Geschwistern. Und nun hat dieses Israel, dem Gott sich offenbart hat, das Gottes Gesetz angenommen hat, verworfen und doch wieder angenommen hat, das dieses intime Verhältnis zu diesem Gott trotz allem hatte, nichts vor den andern voraus, diesen Götzendienern; sondern neben ihnen unter demselben Segen, unter keinem größeren steht es, an dritter Stelle genannt. Und an erster Stelle, als »mein Volk« bezeichnet, eben dieses Ägypten und als »mein Werk« eben dieses Assyrien. Sie sehen: in der Endzeit so wenig wie in der Urzeit eine Erwählung als Privileg. Wie ist es aber nun in der Wirklichkeit der Geschichte zwischen Urzeit und Endzeit? Ich möchte ein Beispiel wählen, das Ihnen deutlich zeigt, wie Israel in die Völkergeschichte eingetreten erscheint als in die Geschichte, die – trotz allem Anschein – nur von göttlicher Macht ganz eindeutig geführt wird, weil es keine andere Macht in Wahrheit gibt als diese. Gewiß spricht Gott von und zu dem Völkerherren Cyrus, der Israel aus dem babylonischen Exil führen heißt: »Mein Gesalbter« u. »Mein Hirt«. Aber er spricht von dem Völkerherren Nebukadnezar, der das Volk Israel in eben diese Gefangenschaft geführt hat, ebenso: »Mein Knecht«; d. h. das eine wie das andere ist das Werk Gottes; zu dem einen wie zu dem anderen bedient er, der einzig Mächtige, sich dieser irdischen, geschichtlichen Gewalten. Und so wie er Israel befreien läßt, wenn es an der Zeit ist, so hat er es ebenso fesseln, verbannen und verschleppen lassen, als es für dieses Volk an der Zeit war. So also in der Geschichte selbst. Man darf nicht wähnen, Gott so auf die Finger schauen zu können, daß man erklären könnte, warum das eine und das andere geschieht, aber man weiß, es kommt von Gott, und keine sogenannte Erwählungsmacht schützt uns davor heimgesucht zu werden, wenn es an der Zeit ist. Und wir haben uns nicht mit der Hand Gottes, wohl aber mit uns selbst zu befassen; denn etwas von dem Warum können wir wissen, und das ist etwas ganz anderes als dieser leere Stolz abstrakter Erwähltheit. Wie nun steht es zwischen Israel und den Völkern? Ich möchte einige Beispiele aus der haggadischen Literatur wählen. Es geht mir nicht um die Ansicht eines heutigen Menschen, nicht um theologische Erörterung,

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sondern um das, was die Texte selber sprechen. Wie steht es zwischen Israel und den anderen Völkern, d. h. gibt es eine Erwählung Israels, die dem einen Volke in dem Sinne jenes Dostojewski-Wortes einen absoluten Vorrang vor den andern gewährt? Wie steht es mit dem Rechttun und Unrechttun Israels an den andern? Ich will Ihnen drei haggadische Worte anführen, die sich auf drei berühmte Auseinandersetzungen zwischen Israel und den andern beziehen. Die eine ist der große Handel zwischen Jakob und Esau, der Urstreit. Der Midrasch erzählt: Als Jakob Esau um den Segen des Vaters betrog (weder die Bibel noch die Haggada scheuen sich dies Wort zu gebrauchen), da habe Esau drei Tränen geweint, und eine davon sei in seinem Auge haften geblieben. In einem kabbalistischen Text wird darauf Bezug genommen: Um dieser Tränen willen, die Esau damals durch die Schuld unseres Stammvaters Israel weinte, mußte das Volk Israel in das Exil gehen; um dieser Träne willen ist es im Exil. Erst wenn diese Tränen versiegen und Israel weint, wird es erlöst werden. Das ist ein hartes, strenges Wort: es klingt gar nicht nach Auserwähltheitsstolz. Die zweite große Auseinandersetzung ist die zwischen Israel und Ägypten. Davon sagt der Midrasch: In der Stunde, in der die Ägypter im Meer versanken, wollten die Dienstengel, die um den Thron Gottes versammelt sind, ein Freudenlied anstimmen. Gott aber sprach zu ihnen: Meine Kinder ertrinken im Meer, und ihr wollt jubeln? – Es ist eine der Stellen, wo man jenes Walten Gottes in der Geschichte in seinem Geheimnis spürt, das wir aber nicht rational umzusetzen vermögen, als ob Gott einfach Partei nähme für die einen gegen die anderen. So leicht darf man es sich nicht machen. Wieder zwar die Tat in der Geschichte, aber kein Jubel; und man kann sagen, so wie den Dienstengeln, so war und ist uns selbst kein Jubel verstattet. Das dritte, wo es vielleicht noch deutlicher wird, ist der Kampf Davids mit dem Philister Goliath. Da wird im Midrasch Gott gefragt: Wie wird es sein, wenn beide, David und Goliath, vor Dir erscheinen, der eine Klage führend wider den anderen? Darauf antwortet Gott: An mir ist es, sie zu Freunden zu machen. So überholt der Spruch Gottes die ganze Geschichte mit ihrem Gegensatz und ihrem scheinbar unüberholbaren Kampf. Aus all dem ergibt sich wohl deutlich genug, daß es eine Erwählung im Sinne des Privilegs, einer Vorzugsstellung, einer Verdunkelung der anderen, eines absoluten Überlegenseins nicht gibt. Aber dies wird nicht nur in Erzählungen und Gleichnissen, sondern auch in Form von geltenden Sätzen gesagt. Ich wähle aus einer Fülle solcher Sätze einen, der ganz schlicht und unmittelbar sagt, worauf es ankommt: Der Heilige, gesegnet

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sei er, spricht kein Geschöpf ungültig (wie etwas, das man verwendet, durch Verunreinigung ungültig wird), daß es den direkten Zugang zu ihm nicht hätte; sondern er empfängt sie alle. Die Tore sind offen zu jeder Stunde, und wer eintreten will, tritt ein. Und so spricht er, Gott (Jesaia 26,2): Öffnet die Tore, daß herein komme das gerechte Volk, das die Treue hält; das gerechte, das bewährte Volk, der gerechte, der bewährte Stamm: goj zaddik. Es ist nicht gesagt, daß herein kommen die Priester oder die Leviten, oder die Israeliten; gesagt ist, daß herein komme goj zaddik. Ich glaube, das ist eine unüberbietbar eindeutige Äußerung. Also kein Privileg. Aber was denn? Gibt es also keine Erwählung Israels? Und die ganze Schrift spricht davon, daß es eine Erwählung gibt. Aber dies kann keine Erwählung als Privileg sein. Es kann nur eine Erwählung sein als Verbindlichkeit; nicht zu dem Genusse eines Sichüberlegenfühlens, nicht in jenem Dostojewskischen Sinne; sondern die Erwählung zu einem Tun-Sollen, zu einer Pflicht; zu einem Wirken, auf das man sich nichts zugute tun kann, zumal gar, wenn man so wenig davon gewirkt hat, wie wir gewirkt haben. Die Erwählung ist zunächst in der Gesetzgebung; aber eine Erwählung seltsamer, einziger Art. Auch hier hilft uns die haggadische Tradition verstehen, daß diese Erwählung nicht etwas Partikuläres, sondern etwas Universales bedeutet; nicht eine Beschränkung der andern, sondern gerade das Auftun der Tore für alle. Die Haggada drückt das so aus: Gott habe, ehe er Israel die Thora gab, bei allen Völkern Umfrage gehalten, ob sie nicht geneigt wären, die Thora anzunehmen. Volk um Volk lehnte ab. In ungemein nachdrücklicher Weise wird ausgeführt, es habe nicht eines unter den Völkern gegeben, an dessen Tür Gott nicht geklopft habe. Danach erst kam er zu Israel, klopfte an und fragte, und sie antworteten: Wir tun’s, wir hören’s (naasse we nischma). Also auch hier keine Erwählung im Sinne einer Bevorzugung; sondern als letztes wird dieses Volk von der Forderung ergriffen; und nun, freilich, wagt es das, was keines der anderen Völker gewagt hat. Wahrlich, ein ungeheures Wagnis, wenn man bedenkt, was alles bisher gewesen, was geschehen und nicht geschehen ist, zu sagen: Wir wollen es tun. Und nun, wenn wir gefragt werden: Ja, war es nicht doch ein Vorzug, daß Israel die Thora besitzt; hat es nicht doch einen Schatz vor allen andern Völkern; ist diese Forderung, dieses Gebot nicht eben das, was unser Leben ausmacht? Darauf wird eine seltsame, in ihrer Tiefe nicht ganz leicht zu erfassende Antwort gegeben: Israel hat die Thora, weil es sich dessen nicht überhebt. Sie denken wohl alle an den Spruch aus dem 5. Buch Mose – auch ein Spruch, den man sich täglich vergegenwärtigen sollte: Nicht weil ihr größer wart, als alle Völker, hat er sich an euch ge-

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hangen, hat er euch erwählt; ihr seid das geringste von allen Völkern. – Dies aber wird in einer talmudischen Deutung so verstanden: Ihr seid unter allen Völkern das, das sich nicht überhebt, das weiß, daß es gering ist, das sich niederwirft vor Gott in seiner Geringheit und sich nicht irgendwem überlegen dünkt. So, heißt es weiter, erwählte Gott Abraham, der sprach: Ich bin Erde und Asche. So erwählte er Mose und Aron, die sprachen: Was sind wir? So erwählte er David, der sprach: Ich bin ein Wurm und kein Mensch. Israel ist nur erwählt, wenn es dessen nicht sicher ist, daß es erwählt sei. Ist es aber dessen sicher, rühmt es sich dessen vor den andern oder vor sich selbst, dann ist es nicht erwählt. Denken Sie an die Tempelrede Jeremias, wo er in der Stunde der sich ankündigenden Katastrophe auf den Tempelplatz kommt und warnt und denen, die sich sicher fühlen, die sprechen: Uns kann nichts geschehen, Gott wird seinen Tempel, sein Heiligtum nicht zerstören lassen, ansagt, daß Gott, wenn sie sich so falsch, so verkehrt sicher fühlen, sein Heiligtum wird zerstören lassen. Es gibt keine abstrakte Erwählung, die man besitzen kann und darauf pochend irgend etwas in Bezug auf das eigene Schicksal daraus ableiten kann. Die Erwählung ist an die Erfüllung der Erwählung durch den Erwählten gebunden in jeder Stunde. Sie ist nicht etwas, das man in die Tasche stecken dürfte, um es dann in schweren Augenblicken herauszuziehen und hoffnungsvoll anzusehen; sondern, ist die Erfüllung durch uns nicht, dann ist auch die Erwählung nicht. Darum spricht Gott bei Amos in einem entscheidenden prophetischen Wort: Euch allein habe ich auserkannt von allen Sippen des Bodens, darum ordne ich euch zu alle eure Verfehlungen. Alle Völker werden von dem einen wirklichen Gott – es gibt keinen andern –, von dem einen Völkerbefreier aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt. An der Wiege aller Völker steht die e i n e Macht. Aber darüber hinaus gibt es die Offenbarung und die Annahme der Offenbarung. Dies aber bedeutet nichts, als daß man heimgesucht wird für das, was man verfehlt, indem man jenes Wort, das man gesprochen hat »naasse we nischma« nicht wahr macht. So ist man auserkannt, zu dieser Strenge, dieser ungeheuren Verkettung zwischen dem, was wir tun, und dem was wir erfahren. Als Gott dem Propheten Hosea befiehlt, seinen Kindern aus jener seltsamen Ehe, die eine Ehe zwischen Gott und dem ungetreuen Israel darstellt, Namen zu geben, die auf den Untergang des Reiches Israel deuten, da sagt er von dem einen dieser Kinder: Rufe seinen Namen Lo-ammi, Nicht-mein-Volk. Denn ihr seid nicht mein Volk. Der folgende Satz aber kann kaum übersetzt werden: we-anochi lo ehje lachem; das heißt nicht einfach nur: Und ich werde für euch nicht sein; sondern dahinter verbirgt sich der Hinweis darauf, daß einst am Anfang der Offenbarung,

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als Gott im brennenden Busch zu dem einen Menschen sprach, der der Führer des Volkes in die Freiheit, an den Sinai, werden sollte, da erschloß er ihm den Sinn seines geheimnisvollen Namens durch das Wort ehje = ich werde da sein, bei euch je und je, aber nicht so, daß ihr meinen könnt, mich zu haben, zu zwingen, mich beschwören oder über mich verfügen zu können durch irgend einen Erwählungsbesitz. Ich selbst, der gesagt hat ehje, ich bin euch der ehje nicht mehr. Es ist wohl das Äußerste, was an Absage von dem erwählenden Gott an das die Erfüllung seiner Erwählung versagende Volk gesprochen worden ist. Und fragen wir nun zuletzt: Was bedeutet aber diese strenge und harte, so bedingte Erwählung? dann sagt die Schrift auch darüber alles, was uns zu wissen not tut. Gehen wir zurück bis zu dem Moment, wo die Erwählung Israel in der Erwählung des Stammvaters beginnt. Die Schrift gibt den Moment der Urgeschichte ganz genau an. Erst der Versuch einer einzigen allgemeinen Menschheit, die eine wahre Gemeinschaft, e i n Volk ist. Und dann Verfehlung über Verfehlung, Strafe über Strafe; die Flut und das Versagen nach der Flut und schließlich die ungeheuerliche Unternehmung des Turmbaues, wo diese eine, zur Gemeinschaft berufene, erwählte Menschheit, um nicht zerstreut zu werden, gerade das tut, was die Zerstreuung über sie bringt. Sie wird nun in viele Völker vieler Zungen zerspalten, die einander nicht mehr verstehen und nicht mehr einig miteinander sein können – die Weltgeschichte beginnt. Nun aber, da es nicht mehr um die einheitliche Menschengattung, sondern um die vielen vielfältig redenden, vielfältig denkenden Völker geht, gibt es einen anderen Weg. Gott, wenn wir so sagen dürfen, schlägt einen anderen Weg zu seinem Ziele ein. Jetzt, wo es nicht mehr nur ein Menschenvolk, sondern viele Völker gibt, erwählt Gott e i n e n Menschen als Vater eines Volkes, damit dieses Volk als Bild und Anfang erscheine der Volkwerdung, der großen Entstehung eines Menschenvolkes, als »Anfang der Ernte Gottes«. Israel ist dazu erwählt worden, daß es die Einheit der Verschiedenen, der verschieden Gearteten, verschieden Gesinnten, dennoch Einheit, Gemeinschaft vorlebe. Daß das nun ein Volk vorleben, voranleben soll, liegt daran, daß in einem Volk, das verhältnismäßig gleicher Art, gleicher Sprache ist, die Voraussetzungen für dieses Gemeinschaftwerden so viel grösser sind. Es kann damit anfangen, lebensmäßig darzustellen, was das ist, e i n Volk, damit wie die Glieder dieses Volkes sich zusammenschließen zur Gemeinschaft, so nun die Völker sich zusammenschließen sollen, ein Menschenvolk wahrhaft heißen könnten. Das ist die Erwählung zu einem Werk, das nicht gewirkt worden ist, denn wir sind in Wahrheit dieses Volk, daß das Volksein dem Menschen-

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volk vorlebe, nicht geworden. Die Gemeinschaft, die wir exemplarisch leben sollten, haben wir nicht gelebt und leben wir nicht. So steht es mit uns hinsichtlich unserer Erwählung. Vielleicht darf man sagen, es ist die Erwählung zu einem n o c h nicht gewirkten Werk. Und da es noch nicht gewirkt ist, der Erwählende aber will, daß es gewirkt werde, tut er das, was not tut, damit in uns das Wissen wach gehalten werde und immer wacher werde, daß das Werk, um dessen willen wir erwählt worden sind, durch uns nicht gewirkt ist. Und darum, wenn wir in diesem Augenblick Rechenschaft ablegen sollten, wozu wir erwählt sind, der geschichtlichen Stunde, dem Zeitalter nach, dann hätten wir nichts anderes rechtschaffen zu antworten als dies: Sind wir noch erwählt, so sind wir erwählt zu Leiden und zu Läuterung, zu nichts anderem. Denn nichts anderes wissen wir rechtmäßig als unseren Besitz in dieser Stunde als nur dieses Leiden, das v i e l l e i c h t eine Läuterung sein wird.

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Wir wollen biblische Texte betrachten zum Zwecke der Klärung der biblischen Glaubenslehre von der Auserwählung Jsraels. Man könnte das Bedenken äussern, dass die verschiedenen und vielleicht miteinander in Widerspruch stehenden Glaubenslehren verschiedener Art sind, und dass wir auf diese Weise garnicht zu einer Klärung kommen können. Dieser Einwand würde sich stützen auf die Ansicht, dass die Texte zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Milieus, unter dem Einfluss verschiedener Anschauungen und verschiedener Entwicklungsphasen derselben Anschauung entstanden seien. Vorausgesetzt, dass wirklich die Texte zu verschiedenen Zeiten, zu verschiedenen Phasen der Entwicklung entstanden sind, muss dies ein Argument gegen unsere Methode sein? Nein. Die Tradition geht aus von der Vorstellung einer Ureinheit der Schrift, nämlich der Ureinheit einer uns erkennbaren Offenbarung. Auch wenn man nicht an eine Ureinheit glaubt, sondern an etwas, was erst nach und nach und unter verschiedenen Voraussetzungen in die Erscheinung getreten ist, kann man daraus eine einheitliche Glaubenslehre herauslösen. Die Sprecher, deren Worte in der Bibel vereinigt sind, standen alle auf dem Boden einer bestimmten überlieferten Glaubenslehre. Sie haben die Texte gekannt, wahrscheinlich auch Texte gekannt, die uns nicht bekannt sind, ausserdem Worte, die vielleicht nur mündlich überliefert waren. Sie haben in einer Glaubenslehre gestanden, deren Wahrheit ihnen die selbstverständliche Grundlage des Lebens war. Dies also, dass Widersprüche gegen diese überlieferte Urglaubenslehre garnicht möglich sind, weil alle Sprecher der Bibel in dieser Glaubenslehre stehen, können wir als Voraussetzung annehmen. Es gibt keine biblische Ureinheit, aber es gibt eine gewordene biblische Einheit, die auf einer uns nicht worthaft überlieferten Ureinheit beruht. Wir können sehen, dass alle biblischen Sprecher in dieser Einheit stehen, und dass daraus das biblische Wort selbst zur Einheit wird, d. h. dass es in der zentralen Glaubenslehre keine Widersprüche gibt. Ein solcher Widerspruch scheint zu bestehen in zwei Sätzen: Amos 9,7 und Amos 3,2. Amos 9,7: »Seid ihr mir denn nicht wie die Mohrensöhne, Söhne Jsraels? Habe ich denn nicht Jsrael heraufgeführt aus dem Lande Aegypten, und die Philister aus Kaftor, und die Aramäer aus Kir?« Es ist also gesagt, dass auch andere Völker geführt wurden – gleich Jsrael – aus einem weniger guten in ein fruchtbares Land, aus einer Abhängigkeit in die Freiheit. Es sind Völker, die in der Geschichte Jsraels

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eine ausserordentlich verhängnisvolle Bedeutung hatten. Es ist nicht lediglich eine Einzelheit hinzugefügt, sondern es wird ein wichtiges zweites neues Moment gesagt: alle Völker sind mir wichtig. Es wird gesagt: Ja, ich habe Euch aus Aegypten geführt, aber ebenso habe ich die Euch feindlichen Nachbarvölker geführt. Ihr könnt Euch nicht einbilden, dass Ihr ein Privileg habt, dass Ihr schlechthin anders gestellt seid, als andere Völker. Alle Völker sind mir wichtig. Ich habe auch die anderen Völker aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt, auch die Völker, die Ihr als Eure Feinde ansehen müsst. Wie immer jedes einzelne der historischen Völker den Gott nennen mag, der es in der entscheidenden Zeit seiner Geschichte befreit hat, in Wirklichkeit ist es nur ein Völkerbefreier. Es gibt nur eine göttliche Macht; von ihr kommt alles, was den Völkern der Welt an Befreiung widerfahren ist. Es ist ein nationaler Universalismus. Amos 3,2: »Euch nur habe ich auserkannt von allen Sippen des Bodens, darum ordne Euch ich zu alle Eure Verfehlungen.« – Jadoa ist eine Beziehung, eine Verbindung zwischen Zweien. Eine besondere Beziehung, die darin besteht, dass jemand aus der Fülle herausgenommen und dem Erkennenden gegenübergestellt, in Verbindung zu ihm gebracht wird. – Pakod bedeutet, dass schlechthin alles, was geschieht, in eine bestimmte Ordnung gebracht wird. Ein Mensch tut etwas – Gott schreibt ihm das zu. Er ordnet ihm das zu, sodass diese Tat dieses Menschen in einer bestimmten Ordnung steht und in dieser immer wieder gewissermassen von Gott gehandhabt wird. D. h. er ordnet ihm das zu, was nach einer nur von Gott gekannten Ordnung ihm gebührt. Es bedeutet das Walten einer göttlichen Ordnung. Ist nun zwischen den beiden Stellen ein Widerspruch? Nein. Rak meint die Gesetzgebung: Nicht der Auszug aus Aegypten ist das Unterscheidende, sondern der Sinai. Und dieses, die Tatsache des Sinai wird ausgedrückt durch das rak es’chem. – Ist es ihnen widerfahren, weil sie besser sind als die anderen? Im 5. Buch Mos. 7,7 ist gesagt: »Nicht weil Ihr grösser wart als alle Völker hat Gott an Euch gehangen, hat er Euch erwählt, denn Ihr seid die geringsten von allen Völkern.« Gross hier nicht im Sinne von zahlreich, sondern im Sinne von gewichtig. Im Talmud Traktat Chulin steht: Jsrael ist erwählt weil es sich nicht überhebt. Wie ergibt sich jetzt die zweite Amos-Stelle aus der ersten? »Euch nur habe ich auserkannt …« Die erste Hälfte ist so zu verstehen, dass das Unterscheidende die Thora ist. Es gibt eine nationale Auserwählung. Die Auserwählung durch die Gabe der Thora bedeutet die Verpflichtung. Die grosse Verpflichtung, nicht nur hinsichtlich der Menge der Ver-

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pflichtungen, sondern auch der Intensität der Verbindlichkeit und aller Folgen, die eine Nichteinhaltung haben muss. Ist es nun tatsächlich so wie es hier heisst, dass die Erwählung durch die Thora bedeutet, dass nur so lange und nur so weit Erwählung besteht, als Erfüllung besteht? Gott sagt im 2. Buch Mos. zu Mose bei der Berufung, als er ihm kund tut, dass er Jsrael aus Aegypten führen soll: ami = mein Volk. Ist die Bibel der Anschauung, dass in einer Zeit, da die Erfüllung vom Volk versagt wird, dass da Gott noch ami sagt? In Hosea 1,9 steht. »Ki atem lo ami, weonochi lo ehje lochem = denn ihr seid nicht mein Volk und ich bin nicht da für euch.« Dieses ehjeh wäre nicht zu verstehen ohne Beziehung auf das Dornbuschgespräch. Dort heisst das ehjeh ascher ehjeh: ihr braucht mich nicht zu beschwören, ich werde bei euch da sein. Das ehjeh bei Hosea meint mit Bezug darauf: ihr seid mir nicht ami, ich bin euch nicht ehjeh. Nach biblischem Glauben besteht also in der Zeit der Nichterfüllung auch die Erwähltheit nicht. Eine Stelle, die in intimer, unmittelbarer Weise das nahe Verhältnis Gottes zu Jsrael ausdrückt, und zwar auch hinsichtlich der anderen Völker ist 2. Buch Mos. 4.22. Beni bechori Jsrael = mein erstgeborener Sohn ist Jsrael. Jsrael kann nicht wirklich das erstgeborene Volk sein; denn beim Turmbau, als sich die Völker trennen, ist Jsrael noch garnicht erwähnt. Jsrael ist also ein ausgesprochen junges Volk. Es kann sich also nur um einen Gnadenakt Gottes handeln. Gott proklamiert, und zwar als Akt seiner Gnade, dass Jsrael – nicht von Natur, nicht einem natürlichen Anspruch nach, sondern als von ihm erwählt sein Erstgeborener heissen soll. Wenn wir fragen, in welchem Sinne ist diese Gnade vollzogen, d. h. in welchem Sinne nennt Gott Jsrael seinen Erstgeborenen, so ist die Erklärung dafür Jeremia 2,3. »Geheiligt (ausgesondert) Jsrael IHM, sein Anfangsteil von der Ernte.« Tewua ist der Ertrag des bebauten Bodens. Was heisst, dass Gott eine Tewua hat? Unter dem Boden ist der Mensch gemeint, und zwar der Mensch hinsichtlich seiner Geschichte. Was wir Geschichte nennen, ist der Weg von einer Saat Gottes bis zur Ernte Gottes. Die Schaffung des Menschen, die Schaffung der Völker ist etwas, das auf ein Ziel hinführt. Dieses Ziel wird Ernte Gottes genannt, wo alles, was Gott angelegt hat, ihm zureift, so dass er die Körner aus den Aehren herausdreschen und zu seiner Tenne führen kann. Aber die Aehren, die hier gemeint sind, haben einen eigenen Willen: die Ernte kann nicht zustande kommen, wenn die Aehren nicht diese Ernte liefern wollen. Mit der Ernte ist die messianische Zeit gemeint. Die Zukunft des Volkes ist zum ersten Mal erwähnt bei lech lecho, also nach der Trennung der einheitlichen Menschheit, der Ureinheit der Men-

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schen. Das letzte Entscheidende ist der Turmbau. Es ist charakteristisch, dass die Menschen nicht zersprengt werden wollen, obwohl es ihnen nicht droht, zersprengt zu werden. Und eben deshalb, weil sie um nicht zersprengt zu werden eine falsche Einheit herstellen, werden sie zersprengt. Jetzt erst gibt es verschiedene Sprachen. Es gibt keine unmittelbare Verständigung mehr wie in einer einheitlichen Urmenschheit. Es gibt gleichsam einen neuen Weg Gottes. An diesem Punkt erst erwählt Gott sich ein Volk. Jetzt, wo es Völker gibt, erwählt er nicht ein vorhandenes Volk, sondern er erwählt einen Menschen als Stammvater eines Volkes. Jetzt, da die ganze Urmenschheit die Tewua versagt, erwählt Gott ein Volk, damit der Anfang einer Menschheit gemacht wird. – Was ist ein Volk? Die Bibel scheint eine ursprüngliche Unterscheidung zu machen zwischen goj und am; zwischen einem natürlichen Stamm, der biologisch ein Volk darstellt und einem am, d. h. einem Menschenvolk im Sinne einer wirklichen Gemeinschaft, das aber auch natürlich miteinander zusammenhängt wie ein Volk, also zugleich naturhaft und geisthaft miteinander verbunden ist. Ziel ist, dass alle Völker zu einem Menschenvolk werden. Das Volk Jsrael soll den Anfang machen, ein wirkliches Volk, ein am zu werden. Wird Jsrael ein am im Sinne wirklicher Gemeinschaft seiner Glieder, dann gibt es den reschit tewua. Obwohl Jsrael immer wieder versagt, und obwohl noch nicht entschieden ist, ob es dies von ihm Geforderte leisten kann, wird dem Volk Strafe angedroht, das es vernichten will. Denn es gefährdet dadurch die Bewahrung Jsraels, das zum reschit tewua bestimmt ist. 1. Buch Mos. 12, 1–3. Gott segnet Abram mit den Worten: »Geh du aus deinem Land, aus deinem Geschlecht, aus dem Haus deines Vaters, in das Land das ich dir zeigen werde. Ich will dich zum grossen Volk machen und will dich segnen und will deinen Samen wachsen lassen.« Was Gott bis dahin gesagt hat ist Geschichte. Dann kommt die Erwählung: »Du aber werde ein Segen. Segnen will ich, die dich segnen; die dich lästern, verfluche ich. Mit dir werden gesegnet alle Sippen des Erdreichs.« Der Imperativ »werde ein Segen« besagt, dass er unmittelbar auf die anderen einwirken soll. Der Segen soll durch ihn anfangen und sich erfüllen in der Geschichte des Volkes. Die Segnung ist an diesen Imperativ geknüpft. Also auch hier keine Auserwählung an sich. Was bedingungslos gesagt wird, unterscheidet Jsrael nicht von den andern Völkern; was Jsrael von den andern Völkern unterscheidet, ist auch hier an die Verpflichtung gebunden. 2. Buch Mos. 19, 3–6. »Aufstieg Mosche zu Gott …« Damit fängt die eigentliche Botschaft Gottes an das Volk an. Sie wird eingeleitet durch die feierlichen Worte, die auf die Bedeutung hinweisen: »So sprich zum

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Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung B)

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Hause Jaakobs …« – »Selber habt ihr gesehn, was ich an Aegypten tat, ich trug euch auf Flügeln von Adlern und brachte euch zu mir.« D. h. Gott hat sie getragen von Aegypten bis zum Berg Sinai. (Zum Verständnis der Worte Flügel von Adlern kommen wir durch Vergleich mit 5. Buch Mos. 32,11. Wie ein Adler von seinen Jungen, die eben flügge geworden sind, eines herausnimmt, damit es fliegen lernt, es auf seine Schwinge nimmt, es hochwirft und wenn nötig wieder auffängt: so hat Gott Jsrael aus der Wiege der Völker herausgenommen.) »Und jetzt, hört ihr gehorsam auf meine Stimme und wahrt ihr meinen Bund, dann seid ihr mir aus allen Völkern ein Sonderschatz.« Bund hat nicht den existenziellen Charakter wie das hebräische Wort brit. Bund ist Vertrag. Brit bedeutet aber eigentlich nicht einen Bund, sondern ein Band, also etwas, was die Menschen zusammenbindet. Segula ist ein Rechtsbegriff. Es bezeichnet einen Besitz, der nicht der Sippe gehört, sondern Sonderbesitz des Familienvaters ist. Es gelten für ihn besondere Rechtsbestimmungen, insbesondere gelten andere Vererbungsbestimmungen, als für das allgemeine Eigentum. Jsrael soll also ein solches Sondergut sein. »Denn zwar mir gehört die ganze Erde. Ihr aber sollt mir sein mamlechet kohanim wegoj kadosch.« Mamlechet bedeutet Königsbereich. Also der Kreis um den König herum, der Bezirk, in dem der König seine unmittelbare Herrschaft ausübt. Was heisst kohen? Im 2. Buch Sam. 8,18 werden angeführt die hohen Beamten am Hof Dawids und zuletzt heisst es: und die Söhne Dawids waren kohanim. Die Parallelstelle ist 1. Buch Chron. 18,17. Auch hier bezeichnet kohanim Beamte, die zur unmittelbaren Verfügung des Königs stehen. Das Wort ist verängert worden auf die kultische Bedeutung und bedeutet fast ausschliesslich Priester, darf aber nicht damit identifiziert werden. Gott sagt also hier: mein ist die ganze Erde, ihr aber seid mamlacha, also der Teil, der der unmittelbare Herrschaftsbereich ist und aus kohanim besteht. – Wegoj kadosch. Kadosch bedeutet abgesondert sein. Es ist aber hier eine Absonderung gemeint, die zugleich eine Verbindung darstellt. Eine Verbindung, die nur dadurch möglich ist, dass diese Absonderung besteht. Wer von einem andern schlechthin getrennt ist, kann ebensowenig einen Bund schliessen wie jemand, der mit dem andern schlechthin vereint ist. So wie man ebensowenig jemand umarmen kann von dem man räumlich getrennt ist wie jemand, den man an beiden Händen hält. So ist Gott kadosch. Kein abstrakter Gott im Sinne des Deismus, aber auch nicht innerweltlich, wie es der Pantheismus meint, da in beiden Fällen kein Bund zwischen Gott und den Menschen möglich wäre. 3. Buch Mos. 19,2 heisst: so wie ich in dieser Weise abgesondert und verbunden bin, so sollt ihr abgesondert und verbunden unter den Völkern sein. Wenn also zwi-

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schen Jsrael und den Völkern die Verbindung sein soll, die gekennzeichnet ist durch das Wort beracha und reschit tewua, wenn also diese bestimmte Einwirkung auf die Völker sein soll im Sinne des Anfangs einer Ernte Gottes und eines Segens für die andern, dann muss diese Absonderung, die nie zum Selbstzweck werden darf, als Voraussetzung da sein. Die Stelle in der grossen Tempelrede Jeremias, in der er zum Volk sagt: »Sprecht nicht, das ist Gottes Tempel … usw.« ist so zu verstehen, dass die Erwählung keine Sicherung bedeutet. Auch hier, wie in den andern Stellen, ist in unzweideutiger Weise gesagt, dass die Erwählung an die Erfüllung gebunden ist.

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Wenn wir den Titel der Arbeitsgemeinschaft ansehen – worum geht es? Wovon geht der Titel der Arbeitsgemeinschaft aus? Von welcher Auffassung? Zweierlei Jesaia, dass das biblische Buch Jesaias nicht von einem einzigen Propheten herrührt.

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Was ist das? Eine Tatsache, eine Auffassung? Seit wann ist diese Frage aktuell? Seitdem es Bibelkritik gibt? Wer hat zuerst angedeutet, dass das am Ende nicht e i n Autor ist, dass die Weisungen, die auf die Zeit von Cyros gehen, nicht in der Zeit Hiskias geschrieben sein dürften? Nur andeutend, nicht einer der bekannten Bibelkritiker. Jemand, der ex officio mit dem Buch zu tun hatte, sozusagen amtlich, zu seiner Arbeit mit dem Buch zu schaffen hatte. Es hat unter unseren eigenen Exegeten einen gegeben. Wer mag das sein, der sich mit solchen Fragen sehr unbefangen abgegeben hat, aber nicht immer sich so geäussert hat, wie er wohl denken mochte. Ibn Esra, liberis ingeni vir. Wenn Sie den Kommentar zu Jesaia lesen, werden Sie an drei Stellen solche Andeutungen finden. In welcher Zeit mag zuerst die These aufgeworfen worden sein, dass der zweite Teil von Kapitel 40 an in der späteren Zeit ist? In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Immerhin interessant, weil es sich um eine spezifisch deutsche Sache handelt. Döderlein-Eichhorn. Und zwar was wurde etwa behauptet? Vor allem, von Kapitel 40 an sei ein anderer Verfasser oder andere Verfasser. Man hat schon in der Zeit auch manche Kapitel des 1. Teils in Frage gezogen und sie für später gehalten. Aber ich will darauf nicht eingehen. Jedenfalls, die Auffassung wurde ausgedrückt, dass man von 40 an jedenfalls mit einer anderen Perspektive, einer anderen Zeit zu tun hat und zwar auf Grund? Der geschichtlichen Tatsachen.

Was meinen Sie damit? Dass von einer späteren Zeit die Rede ist. Dass es sich um eine Weissagung handelt, die sich auf nachexilische Zeit bezieht. 35

Aber hier handelt es sich darum: Was hat sich eigentlich geändert in der Auffassung? Was hat sich damals in der Auffassung geändert, als man

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damals im 18. Jahrhundert nicht mehr die Kapitel 40–66 Jesaia zuschrieb? Handelt es sich lediglich um die Änderung der Auffassung der Zugehörigkeit eines bestimmten Textes zu einem Verfasser oder steht etwas dahinter? Es steht eine ganz andere Auffassung der Entstehung der Bibel dahinter. Das wäre eine philologische Frage. Aber auch eine andere historische Auffassung. Nicht, dass es keine Prophetie gäbe, sondern dass die Propheten keine geschichtlichen Ereignisse voraussagen. Dass Prophetie nicht Vorhersage bestimmter geschichtlicher Ereignisse ist. Das heisst, wenn Propheten von der Zukunft sprechen, sprechen sie von der Zukunft nicht in der besonderen Sprache der Geschichtlichkeit, d. h. es wird nicht geglaubt, dass ein Prophet »Cyros« sagen würde, wenn ihn von Cyros noch 150 Jahre trennen. Es handelt sich hier nicht darum, dass es keine Prophetie gäbe, sondern eine andere Auffassung der Prophetie, und es ist kein Zufall, dass diese Auffassung wann zuerst auftritt? Im 18. Jahrhundert, in der Aufklärung. Die Aufklärung geht nicht auf Aufhebung solcher Begriffe wie Prophetie, sondern Änderung ihres Inhalts, und wir tun der Aufklärung in dieser Hinsicht oft Unrecht, indem wir glauben, dass sie den Inhalt dieser Begriffe lediglich ärmer an konkretem macht, während die Aufklärung garnicht selten gerade, ohne dass es ihr Ziel gewesen wäre, dazu kommt, die Begriffe konkreter zu fassen, ihnen eine gewisse theologische Tünche abzustreifen. Die Aufklärung hat, anderes anstrebend, nicht selten dazu beigetragen, einen Begriff konkreter zu fassen. Also diese Auffassung ist hervorgetreten. Können wir sagen, wie wir eigentlich im allgemeinen dazu stehen? Ist das möglich oder nicht möglich? Es wird sofort die Frage aufgeworfen – wir müssen immer wieder die Frage so formulieren, wie es ist, ist es, wenn man auf dem Boden der Tradition steht, unumgänglich notwendig, das Buch für eine Einheit zu halten? Ich habe von manchen, die auf dem Boden der Tradition stehen, eine Antwort erhalten, dass die Einheitsauffassung nicht die Einheit der Autorschaft bedingt. Ich würde nicht sagen, dass von allen diesen eine einheitliche Antwort zu bekommen wäre, immerhin scheint es auf Grund der Äusserungen so zu sein, dass man auch vom Boden der Tradition aus nicht unbedingt die Einheit der Autorschaft behaupten muss. Es ist die Auffassung der Tradition, dass die Prophetie auf die Baale teschuwa hin prophetisch nichts Feststehendes sagt, sondern auch die Entscheidungsmächtigkeit des einzelnen Augenblicks hin spricht, sodass es von den Menschen, die diese Botschaft hören und von ihrer Annahme oder ihrem Verwerfen dieser Botschaft mit abhängt, was geschehen wird. Es wird der Anteil des Menschen an der Entscheidung, der Anteil des Menschen an dem Schicksal der Welt angesprochen. Und da dies zweifellos die Auffassung der Tradition von dem Zusammenhang zwischen

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Nowi und Teschuwa ist, so würde ich mir denken können, dass diese allgemeine Auffassung akzeptiert werden könnte. Strauss: Wäre es nicht gut, das Beispiel Jona anzuführen? Ich glaube nicht, dass es möglich wäre, dass es der überlieferungstreuen Auffassung konform wäre zu sagen, 5 dass der Nowi ein Orakel gibt, ein Orakel, das sagt und eintrifft und unabänderlich feststeht.

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Nun muss man so sagen: nicht etwa, als ob der Orakel-Begriff der Bibel fremd wäre. Aber es ist ein absoluter Unterschied zwischen denen, die in einer bestimmten Stunde befragt werden, und dem Nowi, der geschickt wird, um die Menschen in einer bestimmten Stunde auf das hinzuweisen, was sie tun oder lassen sollen. Wenn der Prophet herangeholt wird, wird er herangeholt, damit er mit Gott rede. Der Prophet ist der, der von oben nach unten, Rede zwischen Gott und Mensch vermittelt. Ich glaube, dass jedenfalls kein Zwang von dem Traditionsstandpunkt in dieser Hinsicht ist. Wie würden wir es, unabhängig von einem Standpunkt etwa sagen? Wozu neigen wir?, wenn wir unbefangen den Text ansehen? Wir nehmen an, dass es von mindestens zwei Autoren herrührt, weil wir glauben, die eine Situation ist vor dem Exil, die andere während des Exils gesehen.

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Was veranlasst uns dazu vor allem? Geschichtliche Tatsachen.

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Die zwei Stellen, zu Anfang des 1. Kapitels des 2. Teils, wo der Name von Cyros genannt wird, in einem bestimmten Zusammenhang. Dies und die Auffassung, von der ich sprach und die uns wohl grösstenteils eigen ist, dass wir nicht annehmen, es sei Sache der Prophetie, eine Zukunft dieser Art mit dem Namen eines nach 150 Jahren regierenden Herrschers vorherzusagen. Dies veranlasst uns, eine solche Entscheidung vorzunehmen. Damit nehmen wir etwas an, was immerhin merkwürdig ist. Gibt es noch so etwas wie diese Scheidung? innerhalb der Bücher, die eine bestimmte Einheit haben, gibt es da noch so etwas? Strauss: In der Quellenscheidung der Genesis.

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Hier handelt es sich um eine Einheit der Autorschaft. Wir müssen zunächst ausgehen davon. Damit der Fall gegeben sei, muss erstens gegeben sein ein historisch beglaubigter Autor mit Autorsnamen und soviel Biographie, dass wir daraus eine historische Person sehen. Das ist, was in Genesis nicht zutrifft. Mit welchen Büchern kann man es vergleichen? Mit dem Hinweis auf Secharia sehen Sie, dass der Vergleich sich inner-

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halb der prophetischen Bücher vollziehen muss. Und da weisen Sie mit Recht darauf hin, dass die heutige Wissenschaft einen Deutero-Secharia unterscheidet. Das ist die gleiche spätere wissenschaftliche Ausgestaltung der wissenschaftlichen Theorie, die einen 3. Jesaia annimmt. Bleiben wir bei Deutero-Secharia. Ist das wirklich analog Deutero-Jesaia? Es ist ein wesentlicher Unterschied, nämlich der, dass es sich bei den Kapiteln, die man aus dem Block des Secharia-Buchs herauslöst und einem zweiten Secharia zuschreibt, nicht um eine deutlich erfassbare Persönlichkeit handelt. Man sagt Deutero-Secharia, d. h. eigentlich nur: es gibt Kapitel, die auf eine spätere Situation hinweisen, aber nicht auf eine erfassbare Persönlichkeit. Gerade aber das ist doch wohl bei diesem zweiten Teil Jesaia der Fall. Oder nicht? Ich spreche nicht von Biographie, sondern Persönlichkeit. Persönlichkeit bedeutet, wenn ich irgendwelche schriftlichen Dokumente habe, die von einem Menschen stammen, in denen sich ein Mensch geäussert hat, und ich sage: aus diesen Äusserungen dieses Menschen vermag ich die Person dieses Menschen zu erschliessen, sodass mir diese Persönlichkeit sichtbar deutlich wird. So ist es eine andere Lage, als wenn ich lediglich eine andere Autorschaft statuiere. In dem einen Fall habe ich etwas Subjektives, eine subjektive Existenz, einen sichtbaren Menschen, Person, in dem anderen Falle gibt es Kapitel, die von Dingen handeln, die der und der zu jener Zeit nicht verfasst haben kann. Das ist schon der Art nach etwas anderes. Nun aber müssen wir zunächst fragen: Wie ist denn das? Ist denn nun die heutige Wissenschaft einhellig der Meinung, die Wissenschaft, die durch die Auffassung von der Prophetie, von der ich sprach, hindurchgegangen ist und nicht wieder zurückkehren will zu einer früheren Auffassung von der Prophetie der Vorhersagung, die Wissenschaft, ist diese einhellig in der Ansicht, dass, wenn es so ist, notwendig daraus folgt, dass Kapitel 40–66 einem oder mehreren anderen Verfassern angehört. Geht mit Notwendigkeit mit der Annahme, dass die Prophetie nicht Vorhersage ist, mit Notwendigkeit einher, dass Kapitel 40–66 nicht von Jesaia ist? Welche Möglichkeit gibt es nicht, welche Möglichkeit ist von einzelnen Gelehrten in unserer Zeit angenommen worden? Zur Zeit des Cyros sind die Weissagungen des 1. Jesaia auf die Person des Cyros zugeschnitten worden. Es gibt die Auffassung, dass die beiden Stellen, die sich auf Cyros beziehen, Interpolationen seien, spätere Einschaltungen. Was für einen Sinn und was für eine Absicht könnten solche Einschaltungen gehabt haben? Welche Motive dafür kann der Gelehrte, der diese Auffassung vertritt annehmen?

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Eine Situation der eigenen Zeit kann damit bestätigt werden.

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Gewissermassen, dass man, sei es dem Cyros selbst etwa sagen wollte: Bitte, es steht von dir geschrieben. Oder, dass man sonst aus irgend einem innerpolitischen Grunde an die Adresse des Volkes gehend Jesaia dergleichen zuschreibt.

Strauss: Ich könnte mir vorstellen, dass es sich hier nicht um eine solche un- oder unterbewusste Art des Interpolierens handelt, sondern dass zu bestimmter Zeit und in einer sehr lange dauernden Haltung des jüdischen Volkes eine Glaubenssituation jeweils eingetreten ist, in der sozusagen das ganze Corpus der Prophetie 10 in der Zeit – nicht umgekehrt – die der konkrete Jude erlebte, hineinzitiert worden ist. Nicht dass man bewusst Cyros etwas zeigen wollte, sondern dass man ganz von selbst gesagt oder gedacht hat, dies ist die Situation, die der Künder vermeint hat.

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Das wäre denkbar. Von dem Gelehrten, den ich meine, das ist ein jüdischer Gelehrter, der Wiener Kaminka, der vor kurzem seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, ist eine französische Arbeit über Jesaia, da vertritt er die Ansicht.

Strauss: Ich bin der Ansicht, dass, was Überlieferung ist, etwas anderes ist als Weiterreichen zu bestimmten Zwecken, sondern ein sehr kontinuierlicher Strom. Ich bin der Auffassung, dass im Augenblick der Zeitenwende ein sehr bemerkbarer 20 Bruch dieser alten strömenden Überlieferung, eine Kanalisierung nach der christlichen und christologischen Seite stattfindet, von der welthistorisch gesehen die Legalität jeder anderen Tradition gedeckt wird.

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Jedenfalls können wir doch das behalten, dass so etwas durchaus von der Art der Entstehung der Bibel aus … recht wohl denkbar ist. Wir müssen dann aber entscheiden, nach welchem Kriterion werden wir entscheiden oder prüfen, ob aus einem oder anderem Motive Interpolationen vorliegen oder nicht? Vielleicht auch Persönlichkeiten?

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Wonach werden wir zuerst fragen: erst nach Sprache und Stil, zweitens nach Inhalt. Wir wollen also jetzt diese beiden Sachen, die man wirklich tun kann, vornehmen. Zunächst Sprache und Stil. Wie steht es nun? Heute reden wir allgemein, wir werden darauf zurückkommen. Wie steht es hinsichtlich Sprache und Stil? Wenn wir die zwei Werke nehmen – ich schicke voraus, dass das eigentlich unerlaubt ist, denn weder ist Kap. 1–39 (oder 1–36) aus einem Stück, es sind allerlei Stücke, die später sind in diesem Teil, noch 40–66, obwohl ich nicht der Meinung bin, dass es einen dritten Jesaia gegeben hat. Aber meiner Ansicht nach allerlei Schulstücke, die

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nicht dem Verfasser des Hauptteils zuzuschreiben sind. Wir wollen von all dem absehen und diesen zweiten Teil als einheitlichen Block behandeln. Wie verhalten sich Sprache und Stil dieser beiden Teile zu einander? Sind sie Sprach- und Stil-gleich oder ungleich, ähnlich oder unähnlich? Wenn wir Sprache und Stil der beiden Teile untersuchen, was ergibt sich im grossen Ganzen? Man kann sagen, dass es Ähnlichkeiten mehr nach der Sprache wie nach dem Stil gibt, d. h. was heisst Ähnlichkeit der Sprache mehr als des Stils? In der Wortwahl finden wir zwischen manchen Stücken des ersten und manchen Stücken des zweiten Teils überraschende Ähnlichkeiten. Nicht dasselbe im Stil. Denn der Satzbau und auch der Bau der rhythmischen Einzelheiten ist hier und hier verschieden. Aber die Wortwahl ist vielfach ähnlich. Was ist daraus zu schliessen? Auf die Frage, die ich gestellt habe, wäre zu antworten mit Ja und Nein, d. h. also: die Ähnlichkeit ist grösser, als durch die blosse Abhängigkeit eines Lesers von dem, was er liest, zu erklären ist. Andererseits ist die Ähnlichkeit nicht so gross, dass man die verfasserhafte Einheit annehmen könnte, vor allem deshalb, weil die Wörter, auch die eigentümlichen Wörter – es gibt Wörter, die nur in dem 1. und 2. Teil vorkommen in der ganzen Bibel – die Wortwahl ist umso eigentümlicher in der Ähnlichkeit, als gerade dieselben Wörter in einen andersartigen stilistischen und rhythmischen Zusammenhang eingestellt werden. Was ist das Ursprünglichere bei einem Autor, die Wortwahl oder Stil und Rhythmus? Stil und Rhythmus, d. h.: Stil und Rhythmus eines Autors, damit wird er geboren. Wortwahl ist etwas, was er annimmt. Von wem nimmt ein wirklicher Autor bis zu einem gewissen Mass auch Stil, jedenfalls Wortwahl vielfältig an? Von einem Vorbild, das ihm lebendig ist, von einem Kreis von Menschen, zu dem er durch gemeinsame Intention gebunden ist, in gemeinsamer Anschauung. All dies Objektive muss sich, damit ein lebendiger Kreis entstehe, darstellen im Führer, im Menschen. Der Kreis, der einen Menschen elementar bis an die Wurzeln der Sprache hin beeinflusst, dazu gehört ein Lehrer, eine Person, eine Tradition von Lehrer zu Schüler. Das bitte ich Sie nicht zu entpersönlichen. Lehrer und Schüler – diese Zentrierung, diese lebendige Zentrierung ist genau das, was man im grossen Sinn Überlieferung nennt. Diese Überlieferung, die die Sprache erschafft, die Wortwahl speist, dazu gehört ein Lehrer, und zwar fängt dieser Kreis an, wenn ein Lehrer da ist. Wenn ein Lehrer da ist, ist eine neue Tatsache. Mit einem Lehrer fängt die Welt von neuem an. Wenn plötzlich ein Lehrer dasteht, werden die Wasser der Sprache aufgerührt. Jeder Autor übernimmt und bildet den Stil selber. Das ist das eigentümliche, dass etwas überliefert wird und doch immer etwas Neues wird, die Prägung ist immer wieder neu.

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Ist es nicht so, dass der wahre Autor aus den Begriffen, die er in der Umwelt miterlebt, aus dem Denken des Volksganzen das Wort findet, das die anderen gemeint haben? Aus einem weiteren Kreis, nicht aus einem engeren lebendig schöpferisch ist? 5

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Sie meinen eine allgemeine Anschauung, aber ich meine das Spezifische, das Wort. Ich vergleiche nicht die allgemeinen Auffassungen, sondern die Sprachgestalt hier und dort, und da finde ich, dass Deuterojesaia hinsichtlich der Wortwahl, der einzelnen Worte, die verwendet werden, der worthaften Äusserung dieser Begriffe immer wieder von Jesaia in einer eigentümlichen Weise übernimmt, die in der Umwelt nicht da ist und die er 150 Jahre erhalten hat. Wenn 150 Jahre dazwischen liegen, muss man zum mindesten annehmen, dass diese Überlieferung von ungeheurer Gewalt ist, wenn sich über 150 Jahre von Mensch zu Mensch die Sprache erhalten hat.

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Alles, was ich hier sage, soll auf dieses Problem hinführen. Immer wieder werden wir uns dieses Problem vorhalten müssen. Ich habe zunächst gesagt: wenn uns gesagt wird, man kann das durch Interpolationen erklären, müssen wir vergleichen, und aus dem Vergleich ergibt sich: bei einer entschiedenen Ähnlichkeit, bei einer Anknüpfung, Weiterführung, eine spezifische Neugestaltung, eine Autorschaft. Ich möchte hier nur erwähnen – es ist ja ein wissenschaftliches Problem, das ich mit Ihnen behandele, dadurch unterscheidet sich die Arbeitsgemeinschaft von den meisten anderen – diese Interpolationslehre, diese Interpolationstheorie kann auf zwei verschiedene Weisen begründet werden. Kaminka, von dem ich sprach, nimmt Interpolationen an, um die Einheit des Buches und zwar die Einheit des Buches als eines von Jesaia verfassten zu behaupten. Muss das so sein? Muss das sein, dass man auf Grund der Interpolationen nun die Ursprünglichkeit des ganzen Buches behaupten kann? Als Gegenbeispiel möchte ich eine sehr merkwürdige Sache anführen, die auch aus unserer Zeit, die sich sehr viel mit dem Problem beschäftigt, stammt, das ist das Buch »The second Jesaia« von Tory. Der hat mit Kaminka, obwohl er ein radikaler Bibelkritiker ist und Kaminka eher konservativ zu nennen ist, das gemein, dass er die beiden Cyrosstellen für Interpolationen hält, auch die Erwähnung Babylons im 2. Teil, und zwar, um folgende Auffassung damit zu begründen: Es hat niemals ein eigentliches babylonisches Exil gegeben. In der Zeit, die wir das babylonische Exil nennen, ist ein kleiner Teil der jüdischen Siedler nach Babylon gegangen, ein anderer Teil in die verschiedenen Nachbarländer, ein Teil dageblieben. Im allgemeinen seien die höfischen Kreise nach Babylon gebracht worden. Das ganze Pathos des Exils stam-

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me aus der Zeit eines späteren Geschichtsschreibers, der die Dinge so nacherlebt hat. Auch die Zurückführung aus dem Exil hätte es nicht gegeben. Cyros habe sich mit den Juden überhaupt nicht beschäftigt, und Deuterojesaia stamme etwa aus dem Ende des 5. Jahrhunderts, d. h. also 150 Jahre – zu dieser Zeit sei das verfasst, also durchaus neu geordnete jerusalemitische Verhältnisse. Und zwar sei es eine Einheit, 40–66, und diese Stellen, die auf Cyros und Babylon sich beziehen, das ist nachträglich ergänzt, um dieses späten Geschichtsschreibers Auffassung dahineinzutragen, und zwar erst später, vielleicht zur Zeit Alexanders oder noch später, um diese Auffassung, wonach das babylonische Exil so gewesen wäre, in den Mund des 1. Jesaia zu legen, mit dem man diesen zweiten Teil damals zusammengekoppelt habe. Ich führe das an, um Ihnen zu zeigen, wie die einander widersprechendsten Auffassungen durch die gleiche philologische These begründet werden können. Dieser Fall Tory ist mir insofern merkwürdig, als er zeigt, wie die wirkliche Wissenschaft sich manchmal mit der einfach leserisch verstehenden Unbefangenheit in Widerspruch setzen kann, d. h. es wäre mir sehr merkwürdig, wenn jemand aufmerksam Kapitel 46 vornimmt und dass für möglich hält, dass das um 400 entstanden ist. Es ist einfach schlechthin sowohl dem Stil nach (allerdings Tory nimmt an, dass der grösste Teil der biblischen Literatur damals entstanden ist), als der Bezugnahme nach erscheint es mir undenkbar, dass es sich so verhält. Nebenbei gesagt muss Tory natürlich die Stelle, nachdem er Cyros gestrichen hat, ganz ähnlich deuten wie sie Kaminka deutet, nämlich entweder auf Israel im allgemeinen oder auf Abraham, jedenfalls auf Urzeit.

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Wie deutet er die messianischen Kapitel?

Er geht davon aus, dass allmählich immer mehr die neue Form des Messianismus hervortritt, sagt es sogar an einer Stelle, die ja dann sich neutestamentlich bestätigt. In den Schicksalen dieser Zeit entsteht ein neues Messiasbild. Zunächst dieser Unterschied. Und nun noch etwas, damit wir die wissenschaftliche Problematik, das wissenschaftliche Chaos, indem sich diese Frage heute darstellt, recht deutlich erkennen können. Die Frage: Was ist das nun, wenn man 40–66 von dem früheren abgetrennt hat, was stellt das dar? Ist das e i n Verfasser oder ist das etwas ganz anderes? Die Frage ist so unsicher, so von der Wissenschaft gewissermassen noch nicht erfassbar, dass – ich führe Ihnen wieder ein Beispiel an – hinsichtlich ihrer im Jahre 34 innerhalb derselben deutschen alttestamentlichen Wissenschaft zwei Bücher erscheinen konnten, beide von durchaus zuverlässigen Gelehrten stammend, das eine »Der Prophet der Heim-

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kehr« von einem skandinavischen Verfasser und dem bekannten Züricher Alttestamentler Ludwig Körner (?) verfasst, indem die absolute Einheit von 40–66 behauptet wurde, meiner Meinung nach weit über das Ziel schiessend, und ein Kieler mit Namen Caspary »Lieder und Sprüche der Rückwandernden«, in dem behauptet wird, dass überhaupt keine Einheit in diesem zweiten Teil zu finden sei, sondern lose Sprüche der Rückwandernden, die später gesammelt worden sind. Was kann man eigentlich solchem Stand der Wissenschaft gegenüber tun? Es ist nichts anderes zu machen, als unbefangen zu lesen. Man kann von keiner Theorie ausgehen. Es ist eines der Probleme der Wissenschaft, nicht die Scheidung selbst – denn ich glaube, dass die Interpolationstheorie sich nicht durchsetzen kann – aber die Scheidung einmal angenommen, ist die Wissenschaft völlig unsicher, was sie mit diesem ganzen anfangen kann. Nun mussten wir, um die Frage beantworten zu können, statt einer Arbeitsgemeinschaft von … Stunden eine solche gut fünfmal so lang haben. Wir können also nur Stichproben machen. Wir wollen etwas herausholen, etwas, was uns sowohl zu sprachlichem Vergleich als vor allem – Wir haben nur angedeutet. Was ist das mit dem Inhalt? Das ist ja das, um was es uns eigentlich zu tun ist, wenn wir sagen: Jesaianische und deuterojes. Verheissung. Wenn man das doch als ganzes nimmt, wenn man, sei es der Tradition, sei es einer modernen Theorie folgend, wonach das Buch ein ganzes wäre – was fällt einem hinsichtlich des Inhalts auf? Beschränken wir uns auf die Verheissung im engsten Sinn. Darnach wollen wir Stichproben vornehmen, auf die messianische Verheissung. Bei dem einen der entscheidende, der die Macht hat, bei dem anderen der Leidende.

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Ja, im einen Fall steht in der Verheissung ein menschlich und geschichtlich gesehen ganz anderes Element, beinahe das entgegengesetzte. Nun müssen wir fragen: wie ist das, bedeutet das nun, dass der zweite Teil sich zu dem ersten in einen Gegensatz setzt? Ich weise Sie auf die Fragen hin, die uns zu beschäftigen haben, auf die wir Antwort suchen müssen. Ich frage also: wenn die Verheissung des ersten und des zweiten Teils eine wesensverschiedene ist, oder sagen wir allgemein, die Verheissung in ihrem stärksten Pathos, bedeutet das, das sich der 2. Teil zum 1. in Opposition setzt? Was würde damit gesagt sein, dass sich der 2. Teil zum 1. in Opposition setzt? Welche Frage würde dadurch unbeantwortbar werden? Strauss: Die Einheit des Buches würde damit unfassbar werden.

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So dürfen wir uns auch nicht vorstellen, wie es manche Leute in der Wissenschaft tun, dass sie meinen: man wollte ungefähr vier gleich grosse Bücher machen, und da hat man zusammengebacken, was man zusammenbacken konnte. Aber wer sich die Dinge nicht so vorstellt, der wird sich sagen: nein, so kann es nicht sein. Nämlich unter keinen Umständen wären zwei Bücher, die entgegengesetzte Anschauungen vertreten, an einander gebunden worden. Wo es das gibt, wird ein Ausgleich geschaffen, wenn verschiedene Auffassungen da sind und zusammengebunden werden muss, muss ein Ausgleich geschehen. Z. B. Buch der Richter, da gibt es eine antimonarchistische und eine monarchistische Strömung. Aber hier gäbe es keinen Ausgleich und hier stehen zentrale Anschauungen gegen einander, von denen die eine die andere aufheben würde. So kann es nicht sein. Und wir können von da aus dies jetzt als unsere Hauptfrage anmelden: Wie hängen innerlich, also in ihrem Sinn, und wie hängen historisch, ihrer Entstehung nach diese beiden Grundinhalte zusammen? Wie steht die Anschauung, die Verheissung Deuterojesaias sowohl ihrem Sinn nach als ihrer biographischen Haltung nach zu der Anschauung Jesaias, die von dem Verfasser vorgefunden ist? Wie stellt sich der Verfasser zu ihr, wie steht er zu ihr, als was bekennt er seine Anschauung, seine Verheissung im Verhältnis zu ihr?

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Es könnte dieselbe Persönlichkeit einen Wandel durchgemacht haben.

Kann ein Wandel eine so grundlegende Änderung des Stils bedingen, wie sie hier vorliegt? Meiner philologischen Überzeugung nach nicht. Ich möchte ganz allgemein sagen: der eine, der jesaianische Stil ist ein knapper, harter, strenger, zündend redender, der deuterojes. Stil ein lockerer, ausholender, ausgestaltender, lyrischer. Wir müssen zunächst von einer philologisch feststellbaren Funktion ausgehen, dass die Zweiheit da ist. Andererseits aber müssten wir dann fragen: da der erste Jesaia eine historisch gegebene Persönlichkeit ist, die in ihrem Bezug zu den herrschenden Königen, die er erlebt hat – wir wissen, welche Ereignisse auf ihn eingewirkt haben können, und es wäre zu fragen, welche Ereignisse, welche politisch-historische Wandlung könnte eine solche Wandlung zur Folge gehabt haben. Und wir können nichts finden, denn das einschneidende historische Ereignis, die Exilierung und die Belagerung Jerusalems, diese zwei Ereignisse, von denen sehen wir ganz deutlich, wie sie sich auswirken. Wir haben Dokumente. Innerhalb des ganzen Schrifttums gibt es nur wenige Äusserungen eines Menschen, die man in dem Sinn als Dokumente ansprechen kann, wie einerseits, was uns Kapitel 8 und 9 in Bezug auf die Kriegsperiode sagen. Und dann in den Kapiteln, die sich auf die Botschaft an Sanherib beziehen. Hier haben wir das Rea-

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gieren eines Menschen auf Ereignisse, und zwar Stellung nehmend, denn er lässt es nicht über sich ergehen, sondern erwidert darauf, postuliert und äussert sich zu einer Situation. Da können wir nicht von einem Wandel sprechen. Nun, ich habe damit zu sprechen angefangen, und da können wir noch ein wenig fortsetzen, von den Stellen, die ich im 1. Teil des jesaianischen Buches vornehmen möchte. Ich will jetzt zunächst von der Einleitung dieses Textes sprechen. Der Text selbst ist – wir werden natürlich nicht alles durchsprechen – ich möchte in grossen Zügen handeln vom 7, 8, 9. Kapitel mit einem gewissen Hinblick auf einzelnes im 10. und 11. Aber dazu ist noch eine Einleitung. Welche ist dies? Was da erzählt wird in 7 usw., was ist das? Eine ganz bestimmte Situation, die geschichtliche Situation ist: es ziehen Nordreich und Syrer gegen Jehuda hin, und der König Achas will mit den Assyrern sich verbünden. Die Könige wollen in die Weltpolitik eingreifen. Es bleibt nichts anderes übrig als sich Ägypten verkaufen gegen Assyrien oder umgekehrt, und ein drittes gibt es nicht. Das ist das Thema der Prophetie, dies Suchen des Dritten. Das wäre die echte Politik Israels, ist aber niemals angefangen worden. Also er tut sich mit Assyrien zusammen. Das ist die Situation. Was tut Jesaia in dieser geschichtlichen Situation? Um was ist es ihm zu tun? Er geht dem König entgegen und auf welche Weise geht er ihm entgegen? Mit seinem Sohn, das ist die Situation, dass Jesaia wie immer wieder der Prophet, sich dem König stellt, gegen ihn dasteht und in diesem Stehen darstellt, dass der Wille des Königs sich geschichtlich an dem Willen Gottes bricht. Das stellt der Prophet jeweils durch sein Dastehen dar. Darauf wollen wir das nächstemal genauer eingehen. Ich wollte heute zunächst noch etwas anderes erfragen. Was ist die Einleitung? Das ist die Geschichte, so begibt es sich aber ehe von dieser geschichtlichen Situation die Rede ist, ehe es heisst: Es ist geschehen … was steht da? Die Berufung. Steht die zufällig da, wo sie steht, oder was wird gesagt? Warum steht dieses 6. Kapitel vor dem 7.? Warum steht es nicht am Anfang? Es wird ein Auftrag erteilt. Wie wird von diesem Auftrag gehandelt? Bei der Erteilung des Auftrags und in der Art der Entgegennahme, der Ausspruch Gottes über den König, und die Wirkung des Auftrags wird etwas gesagt, und schliesslich am Schluss noch fragt der Prophet etwas, und beides musste gesagt werden, ehe die Situation mit Achas dargestellt werden konnte. Strauss: Es ist ein sehr merkwürdiger Auftrag, der, indem er gegeben wird, ein Widerpart erfährt.

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Es wird gesagt – die Situation war so, eine verfahrene Situation, nichts mehr herauszuholen. Zunächst sagt Gott: Zu verfetten nur ist das Herz dieses Volks ……. Denn das Volk ist so, dass durch das echte Wort diese Wirkung erzielt wird, dass sein Ohr betäubt wird etc. Aus diesem Spruch, der nicht ein Urteilsspruch Gottes ist, sondern eine Feststellung gleichsam, eine Äusserung über den inneren Stand eines Volks, zu dem Gott dennoch sprechen heisst, dieser Feststellung gegenüber fragt Jesaia, wie man einem Urteil gegenüber fragt: Bis wann, mein Herr? d. h. bis wann muss ich gewärtig sein, dass meine Botschaft eben diese Wirkung hat. Darauf antwortet Gott: Bis die Städte verheert sind … Jetzt zieht der Prophet gleichsam das Fazit: Entfernen will er den Menschen. Gross wird die Verlassenheit des Landes … Und nun spricht Gott das Entscheidende, das sozusagen über das andere hinausführt das zum Kern, zum Zentrum der jesaianischen Mitteilung überhaupt wird: Wenn nur noch ein Zehntteil derer … Hier ist also in letztmaliger unüberbietbarer Rede gesagt, was von jetzt ab die Ergänzung all jenes bitteren Wissens Jesaias um die Vergeblichkeit seines Auftrags ist, die Nichtvergeblichkeit. Und inwiefern war der Auftrag nicht vergeblich? Insofern als es einen Rest gibt. Sie müssen also hier von da aus, von dem Kapitel aus ansehen, was jetzt geschieht, d. h. also gleich der Anfang kann nur verstanden werden, wenn man das recht verstanden hat. Welcher Anfang nämlich? Was tut Jesaia? Mit seinem Sohn zieht er entgegen. Und was sind die Kinder, die ihm Gott gegeben hat? Sie sind Zeichen, Erweise. Der Mensch, der ganze Mensch ist Erweisung, und diesen Knaben nimmt er zum König mit. Der stellt das dar, was über all das, was über diese ganze von dieser falschen Einschaltung und Einmischung in die Weltpolitik her notwendig drohende Katastrophe hinwegführt. Wir wollen das nächstemal von da aus betrachten, was in den 7, 8, 9 an Verheissung ausgesprochen wird, und wie wir es von der bestimmten geschichtlichen Situation aus verstehen, dann erst, dann werden wir uns die Frage richtig vorlegen können: wie stellt sich Deuterojesaia 150 Jahre später zu dieser Tatsache.

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II Wir haben das letztemal festgestellt, dass die Erzählung von der Berufung deshalb der Erzählung von König Achas vorausgeschickt ist, weil … Nicht nur wegen der letzten Verse, die vom Rest sprechen. Das über die Zerstörung hinaus noch Erfüllung es gibt.

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Wir haben gesehen, es sind drei merkwürdige Dinge in der Berufung. Von dem einen habe ich nicht gesprochen, das will ich nur andeuten, das ist die Unreinheit des Mundes. Das hängt wahrscheinlich mit dieser eigentümlichen Sache vom Tod des Königs Hosea zusammen. Die zwei anderen wichtigen Dinge sind aber, dass gesagt wird, und zwar von Gott als Auftrag an das Volk, »Geh, sprich zu diesem Volk …« Und dann, im Anschluss daran, nicht mehr als zum Volk zu sprechen, sondern nur von Gott zum Propheten: »Zu verfetten nur …« Diese Stelle, die man, wenn man es imperativisch übersetzt, verfehlt. Ich empfehle denen, die sich mit hebräischer Grammatik beschäftigen, den Infinitivus absolutus – das kann man aus den Büchern nicht erfahren. Der Unterschied zwischen Inf. absol. im imperativischen Sinn und Imperativ, da liegt die Bedeutungsnuance. Es ist ein wesentlicher Unterschied, der allerdings nicht generell fassbar ist, sondern differenziert werden muss. Aber der Inf. absol. bietet sich zu dieser Differenzierung hier. Es lässt sich ihm immer etwas anderes abgewinnen. Dies, dass das die gegenwärtig einzige Wirkung ist – und nun fragt Jesaia; bis wann dies so sein wird, und dann bekommt er die Antwort: Bis die Städte verheert … Und es schliesst: Wenn nur noch ein Zehnteil darin ist … Jetzt frage ich: weshalb ist diese Berufungsgeschichte – in diesem Sinn habe ich sie herangezogen – weshalb ist diese Berufungsgeschichte, dieser Vorgang, dem jetzt folgenden vorausgeschickt? Es ist angegeben, dass er den Sohn mitnehmen soll.

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Ja, der Gedanke des Restes, aber was ist das? Von der negativen Wirkung, von dem Nichtsehen, Nichthören, hat man zu hören bekommen, von dem, worauf es ankommt, immer weniger sehen und hören, dass also auch die Botschaft nur verblendet, nur betäubt, wohl das furchtbarste, was ein Prophet zu hören und zu sehen bekommt. Warum steht das hier, warum nicht am Anfang, warum nicht nach dieser ganzen Geschichte? Offenbar kommt jetzt etwas, was als Erklärung, Voraussetzung vorausgeschickt werden musste. Es wird eine bestimmte Reaktion von Achas vorausgesetzt.

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Nun habe ich gesagt, welche Zeit liegt etwa zwischen dieser Berufungsgeschichte und dem Gehen zu Achas? Mehrere Jahre.

Es ist die Regierungszeit Joars. Sie sehen, diese Regierungsgeschichte ist kein unbeschriebenes Blatt. Es soll nicht aufgefasst werden, dass Jesaia in

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der ganzen Zeit über die schmerzliche Botschaft meditierte. Was hat er getan? Er hat den Auftrag ausgeführt. Wo? Im Volke. Warum sage ich: im Volk? Weil er ihn wohl noch nicht beim König auszuführen hatte. Jetzt haben Sie, was zwischen Kapitel 6–7 liegt, das ist die Ausführung des Auftrags beim Volk. Jetzt kommt die äusserste Klarheit, weil sich die Sache konzentriert in der Spitze des Staates, dass man durch das Volk durchwandert und das, wovon die Rede ist, in der härtesten Form da findet, wo die grösste Macht ist. Überall ist es bei Jesaia doch so, dass ein Rest herauszuholen ist, ein Rest, der ihn doch hört, der mit ihm geht. Und wie steht es rein historisch betrachtet mit Achas? Gibt es etwas, was über Achas hinausführt in derselben Weise? Über ihn hinaus, das heisst etwas, was sich zu ihm so verhält, wie der Rest zum Volk.

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Seine Nachfolger?

In welchem Verwandtschaftsverhältnis steht Hiskia zu Achas? Was heisst es, dass Hiskia über ihn hinausführt?

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Hiskia ist der, der auf den Propheten hört.

Weiss jemand, worin sich das Hiskia gegenüber prophetisch auswirkt? Welche Bezeichnung gebraucht die Prophetie von Hiskia, die von niemandem gebraucht worden ist seit der davidischen Zeit, seit David sie in Bezug auf Salomo gebrauchte? Das ist dieselbe Bezeichnung, mit der David selbst in der samuelischen Vorstellung, der ihn zum König salben sollte, bezeichnet wird. Wie Samuel die Söhne Isais sich ansieht und den jüngsten, unansehnlichsten zu wählen bekomme.

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Herzog?

Wie heisst das Hebräische? Nagid steht von David, sagt David in Bezug auf Salomo. Und nun wird es erst wieder von Hiskia gesagt. Nagid ist der, der gewissermassen Gott gegenübersteht. Aber ich glaube, dass darüber hinaus jene eigentümliche Vorstellung des Statthaltertums Gottes darinsteckt, dass die Könige eben nicht selbständige Könige, sondern Vertreter, Statthalter Gottes sind. Nun wollen wir aber zu Achas zurückkehren. Also so wird in der Berufungsgeschichte das vorweggenommen, was sich jetzt ereignet, was jetzt erzählt wird. Und nun, was ereignet sich? Ich möchte denjenigen, die hebräisch lesen – denn in der deutschen Übersetzung ist es nicht ganz herauszuholen – empfehlen, sich in der Berufungsgeschichte Vers 9–13 genau anzuschauen, auf die Leitworte hin. Da finden Sie folgende Kombination: a–a, b–b, dann weiter b–c, c–b. mit den beiden Begriffen Herz– Ohr, Ohr–Herz usw. eine ganz starke Verknüpfung immer weiter. Das-

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selbe dann e–f, f–e in Vers 11 usf. Ich sage Ihnen das deswegen, weil wir im deuterojesaianischen Text ganz ähnliche Verknüpfungen finden, aber in keinem anderen prophetischen Buch genau solche wie hier. Das gehört zu dem, wovon ich neulich sagte, dass es die beiden Teile stilistisch mit einander verknüpft. Und nun steht also Jesaia vor Achas. Und was sagt er ihm zunächst? Wie spricht er zu ihm? Um was geht es? Was sagt er ihm? Was verlangt er von ihm? Was ist die Hauptsache von dem, was er von ihm verlangt? Kann man es in einem Wort aus dem Text herausholen? Gottvertrauen.

Dieses Gottvertrauen ist hier noch in einer positiven Weise hinsichtlich seiner Haltung ausgesprochen. Still soll er sich halten, haschked. Wo gibt es dieses Wort noch. Einmal in Jesaia und zwar so, dass es hier ausdrücklich als das Prinzip der politischen Haltung Israels in dieser Situation eben dieses Haschked ausgesprochen wird. Es wird angeführt als ein früheres Wort Gottes, da wird es gesagt, so habe Gott gesprochen: 30. Kap. Vers 15. »Denn so hat mein Herr gesprochen … Er, der heilige Israels …« … die besondere Bezeichnung, die Deuterojesaia wieder aufnimmt.

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Was ist das für ein Wort? Eine objektive Vorstellung: Sicher sein und wissen, dass man sicher ist. Und dann heisst es: Ihr aber seid nicht gewillt … Auf diese Anweisung des sich stille haltens antwortet ihr: Nein, wir wollen Weltpolitik treiben. Davon ist jetzt die Rede. Was heisst: Vor diesen zwei qualmenden Fackelstummeln? Nordreich und Syrerreich – niedergebrannte Fackeln, mit denen nichts mehr los ist. Und was bedeutet es praktisch? Kein Bündnis, sondern stehe auf dir selbst und auf dem, was dir aufgetragen ist. Nicht auf dir selbst allein, sondern auf dem, was dir aufgetragen ist. Er sagt dem Achas, dass er sich von der Weltpolitik fernhalten soll. Er sagt ihm an – ich gehe jetzt auf diesen Orakelspruch, wahrscheinlich ein alter, von Jesaia zitierter Spruch, von den 65 Jahren, ich gehe darauf nicht ein, weil es von unserer Hauptsache abführt. Und nun kommt das Wort, in dem sich der Auftrag an Achas konzentriert. Welches Wort ist das? Vertraut ihr nicht … Was heisst das, was heisst Glauben? Dem Wort des Propheten.

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Hier können wir mit Recht übersetzen: Vertrauen, wie ein Mensch einem anderen Menschen vertraut, nicht bloss glauben, dass etwas wahr ist, dass der, der zu ihm spricht, nicht bloss die Wahrheit sagt, sondern dass er es auch tut, dass man sich auf ihn verlassen kann. Dies: wenn ihr nicht

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vertraut, dann besteht ihr nicht, bleibt ihr nicht betreut – so ist hier übersetzt, um einigermassen dem Hebräischen nahezukommen. Was bedeutet eigentlich diese Wurzel Alef, mem nun? Erinnern Sie sich die Stelle, wo im Kampf gegen Amalek Mose die Arme zum Himmel empor gestreckt hält, und da heisst es von seinen Armen, dass sie waren emunah. Was heisst das? Sie waren Festigkeit. Dieses fest, zuverlässig, bestätigt, vertrauenswürdig usf. Und aktiv: man vertraut. Diese Festigkeit im aktiven und im passiven, also dieses: wenn ihr also nicht fest vertraut, dann habt ihr nicht festen Bestand. Weiss jemand von Ihnen, steht es nur das einemal in der Bibel? Ich verweise auf 2. Buch Chronik, 20. Kapitel, 20. Vers. Da finden Sie etwas, was dazu gehört, was sachlich davon abgeleitet ist. Nun sagt er dem Achas, er möge ein Zeichen verlangen. Was ist ein Zeichen? Orakel?

Wenn Orakel, da hat er ihm einen alten Orakelspruch schon angeführt. Er sagt: ein Zeichen: Ein Zeichen, dass er Prophet ist? Was ist das, ein Zeichen? Eben eine Verleiblichung, etwas, das nicht bloss im Geist ist. Das Wort ist zu geistig. Es muss eine Verleiblichung in der räumlichen Welt sein, die immer wieder die Menschen daran gemahnt. Nicht ein Beweis – so ein Zeichen kann auch etwas erweisen. Aber es muss nicht Sinnfällig, aber nicht, um etwas zu beweisen. Nicht jedes Zeichen beweist. Ein Zeichen stellt dar. Wieder und wieder geht von dieser Leiblichkeit die Wirkung auf die Menschen aus, dass sie an die geistige Wahrheit gemahnt werden und merken: das ist es. Diese starke, leibhafte Mahnung der Wirklichkeit selbst auf den Sinn. Und darum kann er es von ihm verlangen, dass er ihm sage: heische dir eins. Und Achas weigert sich. Und nun sagt ihm Jesaia jenes Wort an, jenen Spruch, was geschehen wird, wenn er in dieser Haltung bleibt, wie es ausgehen wird. Wie wird es ausgehen? Was ist das mit einem Wort, was Jesaia hier in dem ganzen Rest des 7. Kapitels dem Achas ansagt für sein Schicksal, für das Schicksal des Südreichs? Vernichtung noch nicht. Das ist zuviel, aber jedenfalls eine Katastrophe, die zugleich eine Wendung ist, eine Wendung auf dem höchst verhängnisvollen, sehr bedauerlichen Weg. Und nun, dann im 8. Kapitel – ich kann bei dem 7. nicht verweilen – im 8. Kapitel, was geschieht nun? Jesaia hat seine Botschaft an Achas gesprochen. Was tut er jetzt? Jetzt hat Achas das Zeichen abgelehnt, und was tut Jesaia? Er gibt Zeichen, er zeugt ein Kind. Ist das ein Zeichen? Ja. In welchem Fall ist es ein Zeichen?

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Es ist das Zeitmass für das Eintreffen des Schicksals.

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Aber vorher geschieht doch etwas anderes. Das Kind soll selber das Zeichen sein. Das ist doch, der Prophet lehrt nicht bloss, lehrt nicht bloss Schüler, sondern er zeugt auch Kinder. Und dieses Zeugen von Kindern, das ist mit das eigentümlichste an der ganzen Prophetie, gehört mit in die Realität des prophetischen Auftrags und der prophetischen Tat hinein, und zwar deshalb, weil diese Kinder als lebende Zeichen gezeugt sind, und als diese lebenden Zeichen dann mitten durchs Volk gehen und dem Volk immer wieder dies darstellen, was sie darstellen sollen. Ich komme dann gleich auf diese sehr merkwürdige Sache in einem anderen Wort zurück. Also dieses alles weitere »denn ehe der Knabe weiss …« das schliesst sich lediglich daran, dass der Knabe selber Zeichen ist. Er wird als eben das dargestellt mit seinem Namen. Das Volk, das den Knaben ansieht, wird garnicht aufhören, daran zu denken: dies Kommende, dies uns Drohende stellt sich uns an diesem lebendigen Zeichen dar. Und nun, noch einmal gibt Gott nun dem Jesaia eine Begründung, warum wird nun dies geschehen mit Assyrien? Jetzt kommt noch einmal in einem grossen Bild eben dasselbe haschked, aber negativ. Weil das Volk diese Haltung, diese Gelassenheit, diese Stille, dieses Vertrauen verachtet hat – Wie wird das ausgedrückt? Wasser der Schiloa, sie gehen langsam, sie gehen sachte. Was ist das für ein Bild? Das Volk hat die Wasserleitung, die sachte geht, verachtet. Da kommt jetzt das Wasser des Stroms. Was bedeutet das Bild? Was bedeuten die Wasser, die sachte gehen? Diese Wasser werden gegenübergestellt dem Strom Assyriens, der über sie hingeht. Auf eine bestimmte politische Haltung.

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Ja, aber was ist der Kern: Sich nicht verbünden mit dieser Weltmacht, die daherstampft durch die Geschichte wie so ein Strom, sehr erfolgreich, sehr wirksam, mehr im Tempo der Weltgeschichte – sondern? Welches ist die Gegenmacht, die hier aufgestellt wird gegen diese historische Macht, mit der man sich verbündet und die jetzt Assyrien heisst und dann Ägypten? Die Umkehr zu Gott,und zwar in welchem Sinn zu Gott? Der Gegensatz ist ein zeitlicher. Gottes Tempo – ein Gegensatz des Tempos. Nicht das weltgeschichtliche, sondern das Tempo Gottes, der sich Zeit lässt, wo es langsam geht, wo man nicht gleich sieht: diesen und diesen Erfolg, das und das geschieht … und das heisst Weltgeschichte, sondern schwer zu merken, schwer zu verfolgen, langsam, leise, allmählich – eigentlich merkt mans erst, wenn es schon vorbei ist, wenn es

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schon sein Werk getan hat. Also ganz anders als die Weltgeschichte, wo man es gleich merkt, wenn es passiert. Es wäre zu denken, dass Jesaia auch weltgeschichtlich gedacht hat, denn, wenn man mit Assyrien usw. sich einlässt, wird es schlecht ausgehen, sodass er weltgeschichtlich gesehen geraten hat zu warten. 5

Aber dann, dann ist man weltgeschichtlich Assyrien ausgeliefert. Es hat sich dann so zugetragen, weil Juda sich nicht still verhalten hat. Den politischen Verstand hat der Prophet schon, aber einen grösseren. Also dies sind die Wasser der Schiloaleitung, die sachte fliessen. Und von da aus nun sagt er dann: Aber nun vermeint nicht, ihr Völker, meint nicht, weil es so ist, dass es so endlos weitertreibe. Meint nicht, weil diese Könige von Juda nicht wissen, was los ist, meint nicht, dass ihr etwa von Gott den Auftrag bekommt und die Möglichkeit bekommt, drauflos zu beuten durch alle Jahrtausende. D. h. es ist nicht so zu verstehen, also ob, wenn Israel so sich verfehlt, etwa die Weltgeschichte auf ewig die Oberhand behält. Dann kommt wieder eines der grossartigen jesaianischen Wortspiele, diese Wiederholung im 8. Vers Imanuel als Name und hier der Sinn: denn wahrlich, bei uns ist Gott.

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Strauss: Es ist eben davon die Rede gewesen, dass die sogenannten Propheten die Weltpolitik wohl sehen, was man Weltpolitik nennt, und genau wissen, was eben 20 ein Weltpolitiker weiss. – Wenn sie bloss das wüssten, wüssten wir nichts von ihnen! Dann aber, das, was da Weltpolitik genannt wird, hat mit Welt nichts zu tun. Ich glaube, dieser Satz ist noch nicht in seiner ganzen Wichtigkeit für das Verständnis der jesaianischen Kündung verstanden. Es wäre vielleicht gut, da mit ein paar Worten auf diesen Unterschied: Welt, mit der man Politik treibt, und Welt, die 25 sich immer entzieht, solange man Politik treibt, zu sprechen.

Es ist ja klar, dass das Wort Welt, das den Bestandteil des Wortes Weltpolitik ausmacht, und das Wort Welt, das meistens den Bestandteil Weltgeschichte ausmacht, dass das Fiktion ist, mit Welt nichts zu tun hat. Was versteht man unter Weltpolitik? Was ist das für eine Welt? Ist das die wirkliche Welt oder was ist das?

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Strauss: Wir brauchen bloss zu sehen, wie gross rein räumlich geopolitisch die sogenannte Welt ist, um die es sich handelt: ein paar kleine vorderasiatische Fürstentümer, das ist die Welt.

Aber es ändert sich nichts daran, wenn ein paar tausend Jahre später vielleicht alle Erdteile und Länder und Völker mit hineingezogen werden in die Weltpolitik. Durch die geographische Vergrösserung ist dies noch nicht, garnicht jene Welt geworden, nur ein Konglomerat von Staaten in ihrer Jeweiligkeit, wie sie jetzt als Staatlichkeiten sich präsentieren, kein

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Zusammenhang, den man Welt nennen könnte und die etwa auf eine Gemeinsamkeit hin sich entfalten würde – davon ist nicht die Rede. Welt ist etwas ganz anderes als eine Summe von sogenannten Weltstaaten. 5

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Strauss: Darf ich das Beispiel etwas erweitern: wenn bis zur letzten ganzen Ausdehnung des Planeten Weltstaaten aufeinandergehen, so sind sie auch nicht grösser angesichts des wirklichen Wortes Welt, als damals Ägypten etc. Aber das entscheidende ist, dass hier der Unterschied gemacht wird zwischen Welt und Weltstaat oder Staatswelt.

Nun wird zu diesen Völkern gesagt: Rüstet euch – und stürzt. Rüstet euch und stürzt. Das ist keine Rethorik, sondern er hämmert dem Hörer ein, worauf es ankommt. »Schliesst Beschlüsse, redet Rede – sie besteht nicht, denn bei uns, trotz allem, trotzdem dieses Volk so ist wie es ist und man sein Ohr nur täuben, sein Herz nur verfetten kann, trotzdem ist bei uns Gott. Und nun, das geht alles worauf jetzt ganz eindeutig? auf den Rest, eben darauf, was sagt Jesaia ausdrücklich dann von diesem Rest? Eben mit demselben Namen, den sein erster Sohn als Zeichen trägt, als Zeichen eben dessen, was die lebendige Bedeutung dieses Restes ist, im 10. Kap. 21. und 22. Vers, wo es heisst: Ein Rest kehrt um … Das muss man damit zusammensehen, das ist denkbar: in uns ist Gott! Auch dieser Rest, der umkehren wird. Und nun kommt die entscheidende Stelle: denn so hat er zu mir gesprochen … die Hand Gottes ist über dem Kinde«. Hier ist sie nicht bloss über ihm, sie fasst ihn an. Was ist der Weg dieses Volks? Weltpolitik, das, was man das innere politische Vertrauen nennt: die Leute, die sich daran halten und das mitmachen, die loyalen nennt man die. Und die anderen, die dem widersprechen, nennt man Volksverräter. Und das kommt jetzt: Sprecht nicht: als Verräter … Und jetzt, bitte beachten Sie die Stelle: Er wird zum Heiligtum werden, aber zum Stein des Anstosses, aber zum Felsblock des Strauchelns für beide Häuser Israel … Was heisst das? Gott wird zum Stein des Anstosses – Was heisst das, wenn Gott zum Heiligtum wird … … für den Rest …,

… aber zum Stein des Anstosses … … für die anderen.

Wie kann man so reden? Aber Gott selber redet ja hier. Was heisst das? 35

Strauss: man kann sagen: Gott gibt ein Gesetz. Dieses wird zum Heiligtum für den Rest. Dieses Gebot wird aber zur Fussfalle, weil es übertreten wird.

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Aber es kommt noch eines hinzu. Was ist das, worauf dann, als die Katastrophe, die ganze Katastrophe, nicht mehr die Teilkatastrophe, die jetzt kommt, sondern die grosse Katastrophe des Südreichs nun wirklich naht, wovon redet der Prophet, der dann zu reden hat, Jeremia, in Bezug auf das Volk? Wie haben sie sich zu Gott verhalten, was sagen sie? Sie haben ein Gottvertrauen. Sie sagen: Wir haben den Tempel, wir haben das Heiligtum. Wir haben Gott über uns, Imanuel – hier ist Gott. Also so wird die göttliche Botschaft und die göttliche Gabe selbst, dieses Einwohnen Gottes auf der Erde, in diesem Land, unter seinem Volk, eben dieses Einwohnen wird zum Fallstrick, indem das Volk sich damit sichert, statt wirklich zu vertrauen. Also wenn man sich die Wahrheit zu vergegenwärtigen sucht, tut man gut, die überkommenen Begriffe und was man als eine eindeutige Sache findet, aufzuspalten, und zu den Dingen, die solcherart behandelt werden müssen, gehört auch das schöne Wort Gottvertrauen. Gewissen, Tugend, alle schönen Worte gehören dazu. Jedes grosse Wort ist aus Wahrheit und Lüge geboren, ursprünglich wohl nicht, aber es ist soviel Lüge hineingebacken worden, dass man so nicht auskommt, man muss es zerlegen. Mit dem Gottvertrauen steht es eben so, dass der Mensch, der sich sichert, statt wirklich an Gott zu halten – wie kann man an Gott halten? An Gott halten kann man, indem man ihm nachlebt. Wenn man sich auf Gott verlässt, auf den Tempel oder irgend etwas, statt hier anzufangen, tut man genau das falsche, das falschere, als wenn man nicht vertraut. Der Atheist ist nicht so falsch wie dieser gottvertrauende Mensch. Dies, da es so ist, da es schon damals so war, ist es möglich, in diesem Nachdruck zu sagen: der Herr Gott selber, zu dem die Leute, die sich so auf ihn verlassen, die sich so an ihm sichern und mit ihm wappnen, denen er also zum Kampfnetz wird, dass sie fallen. Dieser Situation gegenüber, die er ansagt, dieser Katastrophe der Mehrheit, vielleicht der ungeheuren Mehrheit des Volkes gegenüber, sagt nunmehr Jesaia, und zwar nicht mehr Gott zu Jesaia, sondern der dieses Wort Gottes hörende Prophet, der Mensch Jesaia, der dieses Wort von dem Stein des Anstosses eben vernommen hat, spricht zu sich selber: … Wie ist nun wieder Teuda objektiv zu verstehen? Es kommt jetzt also darauf an, nicht etwa, wie man zu jemand sagt: tue das und das. Er sagt auch nicht zu jemand, er sagt es zu sich selber, objektiv. Es kommt jetzt darauf an, zor teuda, Zeugnis, Bezeugung. Was wird bezeugt? Diese Bezeugung soll man zoi, einbündeln. Womit tut man das? Diese Weisung soll man versiegeln, zuschnüren und versiegeln. Wann tut man das? Mit einem Dokument. Weshalb schnürt und versiegelt man ein Dokument Damit nur der Richtige es sieht.

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Es ist das stärkste Sinnbild dessen, dass es für jemanden bestimmt ist. Man kann etwas einschliessen und zuschnüren, das deutet noch nicht so stark darauf hin, dass es für jemanden bestimmt ist, wie dies hier. Der, der dieses Siegel aufbrechen darf, das ist der Empfänger. 5

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Strauss: Denn durch dieses Siegel wird Adressat und Absender erkannt.

Es ist kein Zufall, dass das Siegel einen Wappenaufdruck oder so etwas trägt, das ist das Zeichen der persönlichen Beziehung des Absenders zum Empfänger, sei es auch über die Generationen hinweg, wo dies seinen legitimen Empfänger noch nicht gefunden hat. Dies soll geschehen mit dieser Bezeugung, mit dieser Verheissung. Sie soll wie so eine Urkunde verschnürt und versiegelt werden. Und was kommt dazu? Limudim. Ein äusserst seltenes Wort, ausserhalb des Buches Jesaia, wo es noch in dem 2. Teil ein paarmal vorkommt. Wir werden die Stellen noch genau besprechen, ausserdem kommt es zweimal in Jeremia vor, aber von Tieren gebraucht, die zum Beispiel in die Wüste eingewohnt, eingelernt sind, indem sie das Gesetz der Wüste angenommen haben. Aber offenbar wird es hier – ich nehme an, dass Jeremia das aus dem Sprachgebrauch dort, aus dem Volksmund hat. Es ist volkstümlich gebraucht. Aber hier ist es nicht volkstümlich. Hier gebraucht es dieser Prophet in einem ganz bestimmten – ich möchte sagen: technischen Sinn. Limudim? L. ist jemand, der gelernt hat. L. sind Menschen, die von jemandem belehrt – das ist zu wenig, wenn wir das deutsche Wort hätten, würden wir sagen, die von jemandem eingelernt worden sind, hineingenommen in die Lehre, d. h. was sind die L. im Verhältnis zum Volk? Ist das eine Öffentlichkeit? Diejenigen, die die Aufgabe Jesaias übernehmen und weitertragen.

Es ist nicht die Öffentlichkeit, sondern ein Kreis von Menschen. Es ist der Kreis, der zum Unterschied von der Volksmenge das Herz nicht verfettet hat etc., von unserer Perspektive aus der Anfang des Restes. Also hier fängt zeitlich, geschichtlich sichtbar der Rest an, und heisst L. 30

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Strauss: Hat L. nicht etwas von der Kindschaft des Propheten? Ich wollte auf den Sohn kommen.

Wir kommen gleich darauf. Zunächst nehmen wir den Kreis L. und die Söhne mit darin, seine Söhne zuvörderst. Und nun wird gesagt, dass man diese Bezeugung und diese Weisung wie eine verschnürte und versiegelte Urkunde oder Sache befördern soll. An die L. Was heisst das? Sie sind diejenigen, denen weiter überliefert wird.

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Zwei Dinge: dass das, was mit Teuda und Thora gemeint ist, dass die Botschaft Jesaias so gelernt wird, davon können wir zweierlei sagen: 1. wird es nicht niedergeschrieben, sonst könnte man nicht so davon reden, 2. wird es nicht öffentlich gesagt. Das ist etwas, was nicht niedergeschrieben wird. Aber ursprünglich das andere auch nicht. Wir überschätzen die Niederschrift, es war alles viel mündlicher. Das ist ein besonderer Vorgang mit bestimmten Zwecken, wenn etwas niedergeschrieben wird. Es wird nicht niedergeschrieben, aber besonders unterscheidet es sich von aller übrigen Botschaft, dass es auch nicht öffentlich gesagt wird, sondern es ist eine geheime Lehre. Und zwar nicht geheime Lehre, weil da irgend welche magischen Dinge sind, sondern darum, weil es für die Menge in einem ganz bestimmten Sinn zum Stein des Anstosses wird. Und was ist das, was für die Menge in einem ganz bestimmten Sinn zum Stein des Anstosses wird?

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Strauss: Was früher gesagt ist: in dem Augenblick, wo die Menge es jetzt erfährt: 15 wir gehen nicht unter … jeder wird auf die Möglichkeit bauen, selbst zum Rest zu gehören.

Das ist nicht so einfach. Aber etwas, was daraus heraushebt, was über alles bisher Gesagte heraushebt und diese Teuda ist uns in zwei Stücken bewahrheitet geblieben – was ist das? Das ist vor allem Kap. 9,1–6, so dann wahrscheinlich auch Anfang des 11. Kapitels 1–2. Es ist die messianische Verheissung. Jesaia ist nicht, wie man meint, so voll von der messianischen Verheissung. Wir stellen uns das quantitative Verhältnis falsch vor. Die Bibel enthält wenig messianische Verheissung, aber die mess. Verheissung Jesaias wird als etwas behandelt, was zum Stein des Anstosses fast werden muss. Die mess. Verheissung wird also von den falschen Leuten, von den falschen Verwendern genau ebenso falsch verwendet wie der Tempel, die Zukunft, die Gegenwart, alles falsch, d. h. die messianische Verheissung verführt die Menschen dahin, dass die Verwirklichung dieser Verheissung aufgehalten und verhindert wird. Darum fährt nun Jesaia weiter fort: »Und harren will ich auf ihn …« Harren – nicht etwa so, dass man etwas ansagt und jetzt weiss man … sondern harren, ohne etwas so Bestimmtes angesagt zu bekommen und sagen zu dürfen. »Harren will ich auf ihn …« und deutlich als Wirklichkeit angenommen: »der sein Antlitz dem Haus Jaakob verbirgt …« Das ist also die Geschichtszeit, in der wir leben. Das ist das Jahrhundert. Jetzt komme ich auf Strauss: Es sind natürlich zunächst die leiblichen Kinder, und weiter sind es auch die Bne newiim, die Jünger, und diese alle, er und die Lehrer und die Schüler sind zu Zeichen und Beglaubigungen in Israel da. Sie alle haben nicht Zeichen zu reden, sondern

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Zeichen zu sein. Wie das? Jetzt bekommt das Wort Zeichen seine aller deutlichste Absicht, nämlich dann wird das Wort Zeichen ganz deutlich in seinem Sinn, wenn man was tun muss? Wenn man schweigen muss. Wenn geschwiegen wird, wenn das Wort nicht mehr dasteht über den Köpfen der Menschen, wenn nichts weiter da ist als die Menschen, die existierenden Menschen und sonst nichts als Schweigen, und alles, was gesagt wird, sagt nicht mehr der Mund dieser Menschen, sondern die Existenz, die existierende Persönlichkeit dieser Menschen, in der Bezeugung, Weisung eingeschnürt und versiegelt sind, nicht, damit sie sie herreden, sondern darstellen und darleben, und der sie zu lesen weiss, ist der Empfänger dessen, die die so kundgetan, in lebenden Menschen sich darstellende Weisung zu lesen weiss, ist der, der entsiegelt und entschnürt und empfängt. Und jetzt wird aber gesagt: Aber es wird ein Augenblick kommen, wo dieser Bann gebrochen wird. Und dieser Bann des Schweigens, des schweigenden Existierens, des zeichenhaften Stummseins, dieses Restes gebrochen wird, und zwar wann? Wenn sie, nämlich das Volk, wenn sie zu Euch, ihr meine Limudim, sprechen: Beforscht die Elfen, d. h. Ihr seid berufene Leute, ihr seid die Leute, die mit den Geistern reden können, seht zu, dass ihr von den Geistern erfahren könnt, wie das ausgehen wird. Jetzt unterbricht der Prophet die Rede des Volkes zu seinen Jüngern durch seine Frage: Was, zu Geistern, diesen zirpenden Geistern, die soll man euch befragen lassen, diese Hampelmänner, das sollt ihr nicht tun, als ob das was wirkliches wäre. Jetzt lässt er das Volk, als ob er selbst zu ihm geredet hätte, den Einwand machen: Soll nicht ein Volk seine Götter befragen? Und nun wieder unterbricht er und antwortet darauf: Das Volk der Lebenden die Toten, die Toten befragen? Das nennt ihr Götter, die man befragt. Und nun: »Wenn sie aber zu euch sprechen …« Dann ist der Augenblick gekommen, und jetzt wiederholt er die beiden Worte: dann zur Weisung, dann zur Bezeugung, d. h. dann ist der Augenblick gekommen, dann nämlich – jetzt folgt die Besprechung der Verzweiflung des Volkes – dann ist der Augenblick gekommen, wo ihr euch nicht weigern dürft, dem verschmachtenden Menschen einen Zuspruch zu gewähren, ohne den er nicht mehr leben kann, wenn er nämlich zu euch kommt und euch verzweifelnd um das Falsche bittet. Dann dürft ihr ihm etwas von dem Rechten gewähren. Und da heisst es weiter: Sprechen sie denn nicht schon, gibt es nicht schon welche, die schon jetzt so reden: jeder, der keine Morgenröte hat, jeder, der schon weiss, dass es Nacht ist, jeder, der keine Hoffnung mehr hat, eine sozusagen natürliche Morgenröte nach dieser Nacht zu erleben. … Das ist die Situation der Menschen, denen man dann, wenn sie nun

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aus diesem Sichverstossenfühlen hinkommen zu den Limudim und um einen Zuspruch betteln, dann freilich soll man nicht hart bleiben, sondern ihnen etwas reichen. Warum? Dann soll man ihnen die Möglichkeit einer Brücke zur Wahrheit nicht versagen. Von da aus lassen wir die nächsten Verse aus, die es zu umständlich wäre zu erklären. Jetzt fängt die Teuda, die Bezeugung selbst, und zwar fängt sie so an, dass sie eben an dieser Situation der Finsternis anknüpft. Diese Menschen, die so im Finsteren stehen … daran schliesst sich die erste messianische Weissagung. Dies ist das eigentliche Vermächtnis Jesaias für eine spätere Zeit als seine eigene. Und wir müssen immer recht verstehen: Jesaia sagt zwar das unmittelbar bevorstehende an, er sagt zwar jeweils genau historisch an: das und das wird geschehen, wenn ihr euch so und so verhaltet. Aber wir dürfen dieses prophetische Geheimnis nicht zu klein sehen. Es ist nicht so beschaffen, dass der Prophet die Katastrophe aufzeichnet, die kommende grosse Katastrophe, aber es ist doch so, dass gleichsam objektiv, gleichsam nicht von seinem Bewusstsein her hinter der historischen kleinen nächsten Wandlung, diese hier ansagt, sich wirklich etwas Geheimes auftut, gross, schattenhaft dort auf dem Grund der Weissagung erscheint die Katastrophe selbst, die es nicht bezeugt, nicht mit Worten angibt, die aber objektiv gemeint ist und für die letztlich das, was er mit seinem Bewusstsein für die nächste Zeit abzutasten sucht, eigentlich in seiner Tiefe und seiner eigentlichen Wucht geht. Das ist deshalb wichtig zu wissen, weil man nun von da aus, wenn wir uns dies gegenwärtig halten, die Verhältnisse des namenlosen Propheten, den man jetzt Deuterojesaia nennt, richtig verstehen kann als das Verhältnis eines Menschen, der in einer anderen Situation als die Jesaia eigentlich bewusst ansagte, an seine Worte als ein in Erfüllung Gehendes anknüpft, in der Situation, die eigentlich objektiv im Innersten des Prophetenwortes Jesaias gemeint ist und also rechtmässig anknüpft, also rechtmässig von den Limudim, all denen, in denen die Teuda versiegelt ist, er, der späte, der Nachgeborene, um Jahrhunderte Getrennte, hervortritt.

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III Wo stehen wir jetzt? Vor der messianischen Verheissung. Ist das nun eine Verheissung, auf die es losgeht, oder zwei oder drei oder wieviele? Den Texten nach? Eine, Kapitel 9.

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Erschöpft sich, was wir feststellen wollen, mit Kapitel 9? 11 auch, also nicht nur eine. Bleiben wir zunächst bei 9, aber fragen wir uns schon jetzt: sind die beiden stilistisch verschieden? 9,1–6, 11,1–10, sind das Variationen desselben Themas oder was ist Ihre Ansicht? Ist es dasselbe Thema? Nein. Wir wollen sehen, worin es verschieden ist. Es ist eine Fortführung.

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Fortführung könnten sein zwei Teile eines Themas. Dann würde es aber zusammen gehören. Es gehört aber doch nicht zusammen. Wir wollen das uns alles vorlegen. Wie ist das Verhältnis dieser beiden Stücke zu einander? Zunächst im Text selbst. Woran knüpft das erste Stück an, an welche von Jesaia angesagte Situation, 8,21 diese Finsternis, in der das Volk ist, daran knüpft es an. Nun möchte ich Sie noch etwas fragen: was meinen Sie, denken Sie daran zurück, was Jesaia dem Achas ansagt, an die ganze historische Situation, die Sache mit dem Nordreich und Syrien und alles, was daraus kommt. Wie fasst die Bibel, jetzt nicht bloss Jesaia, wie fasst die Bibel dieses ganze Geschehen, diese ganze geschichtliche Sache auf? Was meint die Bibel, ist das einfach so, im Getriebe der Geschichte tun sich die beiden Reiche zusammen usw. oder sieht die Bibel darin einen Plan? Welchen? Strafe für Achas.

Das ist nirgends angedeutet. Sonst könnte Jesaia nicht an ihn herantreten und ihn prüfen, wie er sich dazu stellt. Davon hängt doch offenbar alles ab. Er sagt doch: wenn ihr nicht vertraut, bleibt ihr nicht betreut, wenn ihr aber ja vertraut … Also geschieht die Entscheidung jetzt. Das geschichtliche Geschehen ist etwas, was von Gott an Juda herantritt. Wo steht das in der Bibel? Könige. Das kann nicht bei Jesaia stehen, sondern 2. Buch Könige 15. Kapitel 37. Vers: »In jenen Tagen begann Er gegen Jehuda auszuschicken …« Nun wollen wir zu der Sache selbst kommen. Das müssen Sie sich vorhalten, dass das geschichtliche Geschehen einen Sinn und eine Absicht hat, das, was jetzt geschieht, eine Anrede ist, gerichtet an Juda. Wir erfahren nicht, was es sonst noch ist, nämlich das merkwürdige, das geheimnisvolle an der biblischen Geschichtsanschauung ist die Tatsache, dass jedes geschichtliche Faktum nicht bloss ein Gesicht hat, sondern viele, und jedes dieser vielen Gesichter sieht jemanden an, der von da aus angeredet wird, d. h. dieses geschichtliche Geheimnis, von dem wir sprechen, hatte auch ein Gesicht, das gerichtet war auf Aram, eines auf Assyrien, wir aber können uns all das nicht vergegenwärtigen. Was uns zugekommen ist, ist die Botschaft an Juda, nämlich inwiefern dieses ge-

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schichtliche Ereignis Juda in einer bestimmten Weise fragend und prägend angefragt hat. Wieso ist das Stillhalten identisch mit Gottvertrauen?

Ich habe das niemals behauptet, im Gegenteil, ich habe ausdrücklich erklärt, man solle nicht das Wort Gottvertrauen gebrauchen, weil es nicht deutlich genug ist, um was es geht, sobald das Stillhalten eine grosse politische Deklaration bedeutet.

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Nur in diesem Falle.

Nein. Ist denn immer gesagt, dass sich Israel nicht einmischen soll in die politischen 10 Händel der Völker?

Doch, genau das wird immer gesagt, solange es ein Staatswesen gibt, bis zum Exil. Sie können das von Amos bis Jeremia immer wieder finden, dass man sich nicht in die Weltpolitik mengen soll, sondern die eigene politische Position dadurch sichtbar machen soll, dass man das verwirklicht, was unter den Völkern keine Wirklichkeit und keine Stätte der Verwirklichung hat.

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Wie ist das realpolitisch denkbar? Die mächtigen Völker überfallen doch das Volk.

Sie müssen das nicht verdünnen. Gemeint ist nicht, dass man fromm und gut sein soll, worunter sich der Mensch alles mögliche vorstellen kann, sondern dass ein Volk und ein Gemeinwesen, so ein wirkliches Volk und ein echtes Gemeinwesen aufgebaut wird, dass die anderen Völker es nicht aushalten können, nicht auch so etwas zu haben, und dass die anderen Völker sehen: wie leben diese Menschen mit einander, also kann man so leben, also gibt es eine andere Möglichkeit, als Volk und Gemeinwesen zu existieren, als die anderen niederzumachen. Das kann man glauben oder nicht, aber solange das Experiment nicht gemacht worden ist, kann man nicht sagen: es geht nicht. Es ist nie versucht worden. Das ist das Thema der Bibel. Wenn man sagt: es ist nicht möglich, redet man dauernd im luftleeren Raum. Die Bibel sagt: Kinder, versucht doch einmal, mit dem Wort Gottes für das Leben der Völker, das Leben des Volks und das Leben der Völker mit einander ernst zu machen, und dann werdet ihr sehen, wie sich das Angesicht der Erde ändert. Wie wollen Sie das widerlegen? Verstehen Sie nicht, dass das die Bibel meint? Versuchet es einmal, und dann werdet ihr eine andere Wahrheit erfahren als die Scheinwahrheit, die die Scheingeschichte lehrt.

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War dies verbindlich gesprochen für das Bestehen eines Staates oder darüber hinaus für das Bestehen eines Volks?

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Da müssen wir unterscheiden. Wenn wir die Bibel interpretieren, die vorexilischen Propheten, dann müssen wir sagen: für die Zeit eines Staates aus der Situation. Wenn wir aber über unsere Aufgabe hinausgehen und fragen: wie steht es überhaupt? würden wir dazu kommen, dass auch ausserhalb des Bestehens eines Staates die Grundfrage dieselbe ist, d. h. dass es Realisierungsmöglichkeiten, Gemeinschaftsmöglichkeiten gibt, auch dann, wenn kein eigener Staat ist. Ist das nicht deutlich geworden unter den ersten Hasmonäerfürsten?

Richtig. Die nachexilische Restauration geht darauf aus. Es gibt den Auftrag – wie sollen wir uns dazu stellen? Da hat doch das Volk auf das Staatsleben verzichtet nach dem Exil, da war es ein Staat von Gnaden Persiens. 15

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Niemals hat das Volk verzichtet, sondern seine Selbstbestimmung war ihm von aussen eingeschränkt. Aber wir sehen, dass es Zeiten gab, wo die Selbstbestimmung eine ziemlich weitgehende war, und die Problematik war immer eine andere. Aber sicher war, dass nachexilisch diese Frage einmal besonders gefasst wurde. Wenn man aus einem Exil zurückkommt … Eigentlich hätte ich eben etwas gesagt, was nicht stimmt. Sonst müsste man sich in Palästina die Sache auch überlegen, und das tut man, glaube ich, nicht sehr. Ich kehre zurück zu der Situation. Auf die Verfinsterung hin wird die erste Botschaft gesprochen. Nun wollen wir es gemeinsam mit einander aufs Inhaltliche anschauen. »Das Volk, in Finsternis gehend …« (dieses Volk, von dem jetzt gesprochen wird) »… sah ein grosses Licht. Die Sünder im Totschattenland, Licht erglänzt über sie.« Was heisst das? Jemand ist in der Finsternis und Licht erglänzt über ihm. Wovon kann das auf keinen Fall gelten? Auf etwas, was er macht. Nur auf etwas, was ihm erscheint, was nicht von ihm hergestellt ist. Hier ist also von einer Tat Gottes die Rede. Nun, ich übersetze jetzt wörtlich den masoretischen Text: Reich machst du den Stamm, gross machst du ihm die Freude. Sie freuen sich vor deinem Antlitz wie beim Erntefreudenfest, gleich wie man jubelt beim Beuteverteil. Denn das Joch seiner

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Fron, das die Schulter ihm beugt, den Stock, der es antreibt, du zerknackst sie wie am Midianstag. Gideons Sieg über Midian.

Was hat es gemeinsam? Befreiung. Denn all jeder Stiefel … Was ist das für ein Bild? Wenn die Freude besiegt wird, wird da ein Rock verbrannt? Wer verbrennt den Waffenrock?

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Der Geschlagene?, jeder seinen?

Natürlich tut das Gott auch, aber das Feuer ist nicht ein Feuer, das vom Himmel fällt, sondern etwas Zwingendes, was die Leute dazu bringt, selbst ihre Waffenröcke zu verbrennen. Denn es heisst nicht bloss: Die Leute werden zerknackt. Sie werden zerknackt, die Gewalten, aber so, dass sie dann einfach ihren Kriegscharakter nicht mehr ertragen können und die Waffen selbst vernichten. Das ist ein innerer, nicht bloss ein äusserer Sieg. Und jetzt kommt: »Denn ein Neugeborener ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Auf seiner Schulter wird die Fürstschaft sein. Was ist die Fürstschaft? Sar – Oberer. Misra – Fürstschaft. Aber warum wird ein so eigentümlicher Ausdruck gebraucht? Und es wird dann noch einmal wieder aufgenommen: marbe hamisra, 6. Vers. Welcher Ausdruck wird hier vermieden? Der Ausdruck König wird vermieden, aber es wird ausdrücklich gesagt: Auf dem Thron Davids, über Davids Stuhl und über seiner Königsmacht, also auf dem Stuhl der traditionellen Königsmacht wird einer sitzen, der nicht König genannt wird. Woran möchten Sie da denken? Was fällt Ihnen dabei ein?

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Die Geschichte mit Schemuel, so er sich weigert, einen König zu wählen.

Wie nennt Gott den, den Schemuel doch salben soll? Nagid. Es wird gerade, wo es um das Verhältnis dieses Menschen zu Gott geht, wird der Ausdruck Melech vermieden, und wo David am Ende seines Lebens seine Enttäuschungen und Hoffnungen in einem ausspricht und von dem Menschen seines Geschlechts redet, den Gott verheissen hat, in dem sich die Hoffnung erfüllen wird, wie nennt er ihn? Nicht Melech, sondern 22. Kapitel Samuel: Mosche. Also es wird gerade da, wo es, sei es um die geschichtliche Grundlage der messianischen Verheissung, die Geschichtlichkeit des Königs als Statthalter Gottes oder die Verheissung selbst geht, wird das Wort Melech, die königliche Selbstverständlichkeit, die nicht Gott vertraut, sondern die eigene Macht darstellt, vermieden. Und nun schliesst sich daran der seltsame Satz, der schwer zu verstehen ist: wajikra … Ich will nur einen Augenblick daran erinnern, warum wir übersetzen, wie wir übersetzen. Gewöhnlich wird gesagt: Man nennt

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seinen Namen: Wunder des Rats, Heldengott, Ewigvater, Fürst des Friedens. Und es ist sehr sonderbar, dann man einen Menschen in der Bibel so benennt. Wenn man aber genau zusieht, findet man: Wo gibt es eine Verbindung Schem und Pelem mit einander? 13. Kap. Richter. Da verlangt der Vater Simsons, den Namen des Engels zu hören, und darauf bekommt er die Antwort, die anklingt an die Antwort jenes Mannes, mit dem Jakob gerungen hat: Warum fragst du nach meinem Namen? Es gibt also einen Geheimnamen, der ein wunderbarer, entrückter Name ist. Also diesen seinen Wundernamen, den Geheimnisnamen nennt man. Wie nennt man ihn? Wir haben seinerzeit übersetzt: Ratsmann des Göttlichen, Held des Ewigvaters, Fürst des Friedens. Aber das ist eine der Stellen, wo ich es mir noch seither wieder und wieder überlege, und zwar deshalb, weil diese Zusammensetzung, el und gibor, vorkommt bald darnach, 10. Kap. 21. Vers, sodass es mir schwer fällt, die beiden hier auseinanderzureissen und ich bin jetzt geneigt, es zu übersetzen: Seinen Namen ruft man: Ratsmann des heldischen Vaters, des ewigen Friedensfürsten. Ich neige jetzt dazu, es so zusammenzuziehen: des Ratsmanns des Gottes, der ein gibor ist, ein Ewigvater, Fürst des Friedens. Und nun kommt zu le marbe das hirbita aus Vers 2 und hamisra aus Vers 5: zu reicher Fürstschaft und zum Frieden ohne Ende über Davids Stuhl und seiner Königsmacht, zu gründen, sie zu stützen, diese Macht, die etwas anderes ist, als was man in der Geschichte der Völker Macht nennt, sie zu stützen mit Gerechtigkeit … Nicht zufällig gebraucht Jesaia das Wort, den Namen Gottes, der auf den Kampf, den göttlichen Kampf gegen das ihm Widerstrebende geht. Nun, was ist in all dem zusammen? Was ist dem Volk, das in Finsternis geht, eingelegt? Oder, wenn Sie wollen, nehmen wir das zweite hinzu, damit es deutlich gegen einander ist, der Übergang. Ich kann jetzt nicht dabei verweilen, aber beachten Sie, dass in dem Übergang, vor allem von 10,5 an, Assyrien was angesagt wird & Assyrien wird herbeigezogen und es wird so und so gehen, das und das wird Assyrien an Juda vollziehen, und dann? »Aber ihr Völker, macht nur eure Pläne …« Und was wird von Assyrien ganz genau gesagt? Die Rute des Zorns wird zerbrechen, weil sie als Rute plötzlich Bewusstsein bekommen hat, und was macht eine Rute, wenn sie tut, als ob sie selbst hauen könnte, was würde so eine Rute machen? Sie würde in einem fort loshauen, nicht was sie zu vollziehen hat. Die losgelassene Rute vertilgt einfach. Ich habe ihn gegen den aufrührerischen Stamm entsendet, er aber will drauf los vernichten. Und nun wird er zerbrochen … Also, nun geht diese Ansage an Assyrien über in was? Durch ein sprachliches Motiv, durch ein Leitwort

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geschehen wird …

Woran knüpft es an? An den Rest. Es ist von Assyrien zuerst gesagt: Und der Rest seiner Waldbäume. Und dieses Wort Rest treibt die Bewegung hinüber zur Ansage über den Rest Israels. Und jetzt wird dieses Wort Rest eingehämmert. Nicht mehr fortfahren wird der Rest Israels, die Entronnenenschaft … Ein Rest kehrt um, Jakobs Rest, zum heldischen Gott. Und nun wieder eine historische Situation, die den Ansturm des Feindes vergegenwärtigt, und dann die zweite Verheissung: Dann fährt ein Reiss auf aus dem Strunke Isais. Woran erinnert das? An den Schluss des 6. Kapitels. Wie verhalten sich die beiden Stellen zu einander? Dort treibt ein Zweig aus am abgehauenen Stamm. So auch hier. Worauf bezieht sich das Bild des Zweiges aus dem abgehauenen Stamme dort? Auf den Rest des Volkes. Hier auf den König. Wie entspricht, was er dort in Bezug auf das Nichthören des Volkes erfahren hat,was er von Achas erfahren hat in Bezug auf das Nichthören des Königs – zu diesem Nein jetzt das Ja. Dann fährt ein Zweig auf … Dann fährt Geistbraus nieder von ihm. Ruach, ein Wehen von Gott her, nicht eine Substanz, die irgendwo auf der Welt zu finden ist. Geistbraus der Weisung und Unterscheidung … Was ist das, wenn man mit Geist tötet? Tötet man dann die bösen Menschen? Man tötet das Böse. »Dann hauset der Wolf beim Lamme. Geschehen wird an jenem Tag …« Das davidische Haus ist so zerstört wie ein Baum abgehauen, wo nur die Wurzel bleibt. Daraus treibt der Wurzelspross. Wie verhält sich diese zweite Verheissung zur ersten? Ich erinnere Sie: Jesaia hatte angesagt für die Zeit der Katastrophe eine Weisung und Bezeugung, die wie eine Urkunde eingeschnürt und versiegelt werden sollte in seinen Jüngern, Limudim, und diese Weisung, die nicht öffentlich existieren sollte, sondern nur in den Herzen eingebunden, die ist nun hier, wir wissen nicht: ganz oder teilweise, aber dies, so muss sie aussehen, diese Weisung, die zugleich straucheln machen kann, die das Gegenteil bewirken kann, wenn sie falsch aufgenommen wird, die haben wir in dieser doppelten Ausstrahlung gleichsam vor uns. Wie verhält sich das zweite zum ersten?

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Das erste kennzeichnet den Durchbruch, das zweite den hergestellten Zustand.

Das kann man nicht so ganz sagen. Das erste ist ein ganz bestimmter früherer Zustand. Aber es ist nicht derselbe Zustand. Das eine Friede unter den Menschen, das andere in der ganzen Kreatur.

Das erst gilt aber nur auf Israel. Auch was von Krieg und Friede gesagt wird, immer das Verhältnis der Völker zu Israel. Erst im zweiten wird

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was gesagt? Dass eben nun nicht bloss, dass hier eine Bedeutung für die Welt in dieser Verheissung liegt, dass damit der Welt etwas angesagt wird. Das heisst also, wie können wir es in einem Wort etwa sagen, wie können wir die erste Verheissung nennen und wie die zweite? Kosmopolitisch will ich nicht sagen, das klingt nach Verwischung der Völkertatsache. Man kann sagen: das eine geht auf das Volk, das andere auf die Welt, aber nicht so, dass die Tatsache der Völker dadurch verwischt würde, sondern gerade die Völker schliessen sich zu dieser neuen Welt zusammen. Und weshalb wird von den Tieren so gesprochen? Ich will ganz dahingestellt sein lassen, ob gemeint ist oder nicht, dass auch die Tiere selbst sich so verhalten sollen, aber weshalb wird so ausführlich darüber gesprochen? Weil es etwas ganz Unnatürliches ist.

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Es soll aber nicht unnatürlich sein. Ich bin nicht der Meinung, dass es in den Verheissungen so unnatürlich zugeht. Sollen die Tiere nicht Symbole für die Nationen sein?

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Ob sie deutliche Bilder damals waren – ich glaube, dass sie auf das Verhältnis der Völker zu einander deuten, nicht die einzelnen, sondern wie Wappentiere. Aber es weist darauf hin, um was es geht. Und deshalb der Schluss, wo es ganz deutlich ist: »Banner der Völker, die Weltstämme suche ich auf, und auf dem Berg meines Heiligtums …« das erinnert an eine frühere Stelle. Jesaia im 2. Kapitel, wo es heisst: Fest gegründet ist der Berg seines Hauses. Nun möchte man zunächst fragen: Was ist damit, mit dieser Verheissung angesagt, und fehlt etwas an ihr? Ist es so, dass die Menschen, die sie empfangen, etwa noch etwas vermissen könnten? Wir wollen genauer fragen: Wenn 150 Jahre später ein Mensch, dessen Namen wir nicht kennen und dessen Kundgebungen im 2. Teil des Buches aufgezeichnet sind, dies erfährt, als Kundgebung von damals, wird ihm etwas an dieser Verheissung fehlen, wird er glauben, noch etwas sagen zu müssen? Und weiter: Wenn es am Ende des babylonischen Exils ist, wird er etwas von dieser Verheissung sich jetzt in seiner Zeit etwa erfüllen sehen? Was ja, was nicht? Nicht das geringste, die Verheissung ist für Jahrtausende.

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Ich spreche nicht davon, was unsere Meinung ist, sondern was die Meinung eines zur Zeit des Endes des babylonischen Exils lebenden Menschen dieser Kundgebung gegenüber sein könnte.

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Die wirkliche Umkehr des Restes.

Was sagt dieser Mensch, dessen Stimme wir vom 40. Kapitel an hören, was sagt er an? Und weiter: Sagt er nur Dinge an, die sich in der Zukunft erfüllen sollen, wie Jesaia hier? Oder sagt er etwas an, was sich jetzt erfüllen soll? Und sagt er, was sich jetzt erfüllt, als seine Weissagung an?

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Strauss: Er exemplifiziert das, was hier gesagt wird, auf den Rest, vor allen Dingen den verheissenen Friedensfürsten auf Cyros.

Zunächst ja. Was tut er hinsichtlich der beiden Verheissungen, die wir jetzt einfach die erste und die zweite nennen wollen, was tut er hinsichtlich der beiden? Wir wollen die Frage aufstellen und uns einen Augenblick mit diesem Mann befassen. Unsere Frage ist: wie verhält sich dieser namenlose Prophet zu diesen jesaianischen Verheissungen? Nehmen wir an, dass er selber, obwohl spätgeboren, sich zu diesen Limudim zählt, in denen eingeschnürt und eingesiegelt ist jene Botschaft. Wie verhält er sich zu dieser Botschaft und wie zu den beiden Teilen dieser Botschaften?

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Der erste Teil ist in Erfüllung gekommen mit Assyrien.

Der erste Teil geht nicht auf ein Unglück, sondern beginnt mit den Worten: »Das Volk, das in Finsternis …« Die eine Verheissung 9. Kapitel bedeutet ein ganzes und die zweite ein ganzes. Entweder man steht zum Ganzen der ersten Verheissung so und so etc. Also nun, der namenlose Prophet, von dem wir jetzt sprechen, findet ein Volk vor, in der späten Zeit des Exils. Wie ist die Haltung dieses Volks zu dem, was ihm in diesem Exil – gleich, ob es sich auf 40 oder 2000 Jahre erstreckt – begegnet. Wie drückt sie der Prophet aus, die Haltung, die das Volk Israel im Exil zu der Tatsache des Exils, zur Tatsache der geschehenden Geschichte.

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Es braucht einen Trost.

Zweifellos, aber das ist zu wenig. Trostbedürftigkeit ist keine Haltung. Wir sind allesamt trostbedürftig. Eine Haltung wird es erst, wenn etwas ganz Bestimmtes dazutritt. Trostbedürftigkeit ist ein Zustand. Haltung muss positiv oder negativ sein, d. h. ein bestimmtes Verhalten dieses Menschen zu dem, was ihm passiert. Und spricht dieser Prophet es an? So etwa: »Warum sprichst du, Jakob (40. Kap. 22. Vers), redest du, Israel: verborgen vor ihm ist mein Weg, mein Recht entzieht sich meinem Gott«. Also was für eine Ansicht über die geschehende Weltgeschichte hat dieses Volk?

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Im Gegensatz zu den Limudim hat das Volk vergessen. Es sagt: Gott hat mich vergessen.

Was meint das Volk von der Weltgeschichte? Gottes Urteil. 5

Das sagen sie nicht. Sie sagen: Verborgen vor ihm ist mein Weg. Er kümmert sich nicht.

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Das ist das genaue Gegenteil. Gottes Urteil heisst: er kümmert sich. Was heisst es, was sagt es von der Weltgeschichte? Dass die Weltgeschichte eine Sache für sich und Gott auch eine Sache für sich ist. Denn wenn ein Volk sagen kann, sein Weg sei vor Gott verborgen, Gott habe mit seinem Weg nichts zu tun dann schwebt er in irgendwelchen unendlichen Höhen über der Weltgeschichte und kümmert sich so wenig wie die epikuräischen Götter die seligen Götter. Das, was das Volk meint, ist deutlich. Und darauf antwortet Gott ihm zu Anfang des 41. Kapitels; nicht mehr dem Volk antwortend, sondern auf diese Haltung des Volkes antwortet Gott an die Welt. Zunächst nämlich antwortet der Prophet und sagt: »Erkennst du es noch nicht …« Das heisst also, es gibt also eine Kraft, die in der Geschichte wirkt, wenn sie auch nicht so leicht festzustellen ist, und die besteht in der Verbundenheit mit Gott. Und nun spricht Gott selbst (41. Kap.) der Welt antwortend: Schweiget her zu mir, Ozeanküsten … Und nun folgt ein Wort, das leitwortmässig anknüpft an dieses »Tausche Kraft ein«. Hier knüpft es an: »Mögen eintauschen Kraft die Nationen« d. h. er beruft die Völker, von dieser Verbundenheit mit Gott, die eine Erneuerung der Kraft bewirkt, jetzt etwas in sich aufzunehmen: »Hören sollen sie, doch dann erst …« Also dies, das historische Handeln Gottes in dieser Zeit, erscheint als Antwort auf diese falsche Haltung, dies nicht wahrhaben wollen der göttlichen Absicht in der Geschichte. Und nun von da aus wird was dem Volk immer wieder zugesprochen? Gegen diese seine Mutlosigkeit, gegen seine Verängstigung, gegen die Finsternis in den Seelen zu einer Zeit, wo das Licht schon aufglänzen will, was wird dem Volk mal um mal gesagt? Sie müssen, wenn Sie Deuterojesaia gut verstehen wollen, sich vergegenwärtigen, dass er wie kein anderer Prophet in Leitworten spricht, d. h. bestimmte Motivsätze, die immer wiederholt, immer wieder neu aufgenommen werden und die man zusammenhalten muss, damit es einem erst ganz aufgehe, um was es geht. Welches ist das Motivwort, das von da an immer wieder erscheint? Wenn ein Volk nicht wagt zu hoffen, wenn es glaubt, es kann nur immer weiter

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so schlimm gehen, denn wenn in der Geschichte so etwas losgegangen ist, gibt es keine Änderung mehr … Fürchte dich nicht

Eben das, das ist das immer wiederkehrende Wort: Fürchte dich nimmer, denn ich bin bei dir, starre nimmer umher, denn ich bin dein Gott. Und weiter: Denn ich bin dein Gott, der deine Rechte erfasst hat … Du Jakobsbüblein, geschichtlich betrachtet etwas höchst Machtloses. Dein Auslöser, der Heilige Judas ist’s. Da ist die jesaianische Bezeichnung wieder aufgenommen. »Jetzt aber, so spricht er, dein Schöpfer, Jakob, dein Bildner, Israel, fürchte dich nimmer, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich mit Namen berufen.« Die geschichtlichen Gefahren sind wirkliche Gefahren, das Unglück ist Unglück, Wasser ist Wasser und Feuer ist Feuer, aber man wird nicht überflutet. Und dann weiter, noch einmal: Fürchte dich nimmer, denn ich bin mit dir. Und dann ein ganzes Stück weiter, wo sehr Wichtiges inzwischen gesagt worden ist, wird dies noch einmal wieder aufgenommen (44,2, Mein Knecht Jakob …). Und dann, wo es genauer heisst, wen man nicht fürchten soll, 51,7 und 12, da heisst es 51,7: Hört auf mich, die ihr die Wahrheit kennt. Ihr habt doch etwas, das euch helfen kann, euch nicht zu fürchten. Fürchtet nimmer den Hohn von Menschen. Was für einen Hohn? Dass das nicht die Wahrheit wäre, sondern die sogenannte Geschichte. Fürchtet nimmer den Hohn von Menschen. Durch Verschmähungen lasst euch nimmer täuschen … Wer bist du, dass du dich fürchtest vor einem Menschen, der sterben wird, vorm Adamssohn, dahingehend als Gras … Und schliesslich, nach dem entscheidenden äussersten Kapitel, nach dem Kapitel 53, noch einmal wieder aufgenommen, jetzt Ansage schon der Begründung des neuen Gemeinwesens 54,4: Fürchte dich nimmer, denn du wirst nicht zuschanden … Und dann 14. Vers, und dann folgt zunächst: All deine Söhne sind Lehrlinge (Limudim). Wisse dich fern dem Dünkel, denn du hast es nicht zu fürchten, und dem Stolz, denn er darf dir nicht nahen. Ein späteres Stadium als alles bisherige, schon die erste Zeit des Baues des neuen Gemeinwesens, die Zeit all der vielfachen Schwierigkeiten und Gefahren für das neue Gemeinwesen. Wenn Sie das alles zusammensehen, dann ist das eine unvergleichlich eindringliche Antwort auf jenes dem Volk in den Mund gelegte: »Verborgen ist mein Weg …« Aber es gibt ein noch stärkeres Bild, ein Bild, das ganz ins Innerste dessen führt, um was es geht, nicht mehr bloss historische Not, historische Befreiung, sondern im Inneren dieser Not noch etwas anderes. Was ist es nämlich, wenn ein Volk eine solche Haltung gegenüber dem ge-

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schichtlichen Geschehen dieser Stunde annimmt? Was fehlt ihm? Es fehlt ihm etwas, dessen Fehlen es sich eben so falsch halten lässt, wie es sich hält. Das eine fehlt ihm. Und wenn dieses eine dem Volk fehlt, dann wird es Menschen geben, die darnach verlangen. Was ist wohl das stärkste Bild, wenn ein Mensch so nach etwas verlangt, was ihm fehlt? (41. Kap. 17) Die Gebeugten und die Bedürftigen suchen Wasser und da ist keins … Antwort: Ich, Israels Gott, will sie nicht verlassen. Nehmen Sie dazu 43,20 und dann darüber hinaus, wo es ganz deutlich wird, um was es geht, 44,3. Im Zusammenhang mit einem der Worte: Fürchte dich nimmer. Jetzt aber höre, Jakob mein Knecht, Israel, das ich erwählte … denn ich schütte Wasser auf Dürstendes, rieselnde Quelle auf Trockenes. Ich schütte meinen Geistbraus auf meinen Samen … Das ist die Gegenhaltung derer, über die der lebendige Geist wieder niederwogt, die das Wasser des Lebens wieder trinken dürfen. In demselben Zusammenhang 48,21 bis 49,10 und schliesslich wieder nach dem entscheidenden 53. Kapitel zusammenfassend 55 Anfang: Ach, ihr Dürstenden alle, kommt her zum Wasser … Hier haben Sie den wahren Geist und den falschen Geist, um den es den Menschen so zu tun ist, um den sie sich so mühen, gegeneinandergestellt: Hört nur, hört auf mich, dass ihr Gutes zu essen habet … Also, was wird angesagt? Zuerst wird von der falschen Haltung des Volkes zum gegenwärtigen geschichtlichen Geschehen ausgegangen. Es wird ihm zugesprochen, dass es nicht fragen soll und warum es nicht fragen soll. Aber dies, um was es geht, ist nicht bloss eine äussere Befreiung vom geschichtlichen Druck und von der geschichtlichen Not, denn im Innersten dieser geschichtlichen Not, der gefühlten, bewussten Not ist die eigentliche, die wahre, die den meisten nicht bewusste, nicht gespürte, da ist der Durst immer stärker geworden, man weiss, manche wissen auch nicht, wonach sie dürsten, aber es ist dieses Wasser, und das soll ihnen zuteil werden. Und zwar wodurch? Das Geschehen, das jetzt angesagt wird, wird als ein Geschehen verkündigt, das eben dieses geben soll, das eben diese Ergiessung des Geistes, diese Tränkung mit dem lebendigen Wasser bringen soll. Dies aber, was kommen soll, das kann man nicht lediglich ansehen als etwas, was nun so zwischen einem Volk und einem anderen Volk sich vollzieht, sondern? Was ist das, was so angesagt wird? Was sagt er konkret an, was wird geschehen? Was ist das, was er in der späten Zeit des babylonischen Exils ansagt als die Rettung durch … Es gibt diesen Mann, diesen Fürsten, von dessen Kämpfen er spricht, und dieser Fürst wird wen beseitigen? Babylon, und sein Sieg über Babylon hängt mit dem Auftrag Gottes an ihn zusammen, den Rest aus Babylon zurück heimzuführen. Aber dieses Heimgehen wird wieder gerade so, wie die nationale Befreiung dort verbunden war

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mit der Lösung von geistiger Not, mit dem Heimfinden zu den Quellen, so wird hier dieser Rückweg, dieser Weg in die Heimat zurück mit einem ungeheuren Bild gesehen. Wer ist es, dessen Gehen angesagt wird? Was ist das für ein Weg, der gegangen wird: »In der Wüste bahnet Seinen Weg, ebnet in der Steppe eine Strasse für unseren Gott«. Und wieder, von Gott selber aus gesprochen, 48,17: Ich bin es, dein Gott, der dich … 49,11: All meine Berge mache ich zu Weg … Deutlich, dass hier nicht ein räumlich begrenztes Exil allein gemeint ist, sondern darüber hinaus geschaut wird. Und schliesslich wieder in der Nähe des 53. Kapitels, das letzte unüberbietbare Wort unmittelbar vor dem entscheidenden Kapitel stehend: Weichet, weichet, fahret von dort aus … Wir müssen das ganz ernst nehmen wie alle Stellen, wo in der Bibel vom Weg Gottes geredet wird, nur nicht als blosse Metapher fassen. Hier ist ein Tun Gottes als ein Geschehen dargestellt, an dem Gott teilnimmt, dieser Weg als ein Weg, auf dem Gott vorangeht, d. h. wie dort im Bilde des Wassers an die äussere Not und die äussere Befreiung die innere Not und innere Befreiung gebunden war, so hier an das Bild der Heimkehr aus räumlichem Exil in räumliche Heimat dieser unaussprechliche Heimweg unter der Führung Gottes.

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IV Wo waren wir zuletzt angelangt? Folgende Gruppen: zum 1.) wie Israel spricht, Gott ihm antwortet. Zum 2.) dieser Zuspruch: fürchte dich nicht. Zum 3.) Der Sinn des Durstes, zum 4.) der Weg. Dieses aber nun, dieses Geschehen, das da verheissen wird, als jetzt unmittelbar bevorstehend, denn Sie müssen immer bei Deuterojesaia unterscheiden zwischen dem, von dem er sagt: jetzt geschieht es, wir leben in der Welt, in der es geschieht, und wir werden gleich sehen, dass er das als eine Erfüllung eines einstmals Verheissenen jetzt ansieht, und eben dies, was jetzt so geschieht, das sieht er an als? Wir sind gekommen nach dem Zuspruch: fürchte dich nicht, hatten wir gesprochen von dem Bild des Durstes und dann vom Weg der Heimkehr. Also bleiben wir dabei. Was heisst das mit dem Weg, was sagt der Prophet da? Was sagt er an und zwar als etwas jetzt unmittelbar Bevorstehendes, als ein Geschehen, das jetzt angehoben hat, historisch in dieser Stunde? Die Erscheinung des Führers – die Heimkehr aus dem Exil.

In welches Bild stellt er die Heimkehr da, was ist das für ein Weg? Gott führt den Weg. Er nennt ihn den Weg Gottes. Die Stimme eines Rufers in

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der Wüste: Bahnet seinen Weg, ebnet in der Steppe eine Strasse für unseren Gott. 40,10: sprich zu den Städten Jehudas: da, euer Gott, da, mein Herr. Die Botin soll rufen: da, euer Gott … Er kommt als der Starke … Oder: Gemahnung an etwas früheres, was durchaus damit zusammenhängt: 43,16: So hat er gesprochen, der einen Weg einst gab durch das Meer … Dann 19: Auch in die Wüste setzte er einen Weg … Weiter 49,10: einen Weg sollen sie wandern … und weiter; nebenbei in dem Zusammenhang will ich noch auf etwas aufmerksam machen, obwohl hier nicht unmittelbar dasselbe Bild ist, aber es gehört dazu: 48,21: Nicht Durst sollen sie leiden … Weiter 52,10 und 11: weichet, weichet … und dazu gehörend ein nicht so ganz einfacher Vers, aber wenn man darauf merkt, versteht man, worum es geht: Blossgestreift hat er den Arm … Was sagen diese Stellen zusammen? Die Befreiung, die angesagt wird, diese geschichtliche Befreiung wird angesehen 1.) als gekommen.

Ich sage, dass sie angefangen hat. Aber als was wird sie angesehen? Als eine Rückkehr Gottes zu seinem Volk, nicht bloss als Tat Gottes, sondern als ein Schreiten Gottes, als ein Voranschreiten Gottes. Woher kennen wir dieses Bild? 20

Aus dem Auszug aus Ägypten.

Wo steht es zum 1. Mal? Feuersäule.

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Richtig. Denken Sie, wie die Säule sich wendet gegen die Feinde. Was ist das, diese Führung? Ist das bloss ein Bild, eine Metapher, ein dichterisches Gleichnis, wie ein Mensch eine Schaar anführt und ihr vorangeht usw.? Es ist wirklich ein Sinnbild dessen: Ich bin da, des Auserwähltseins.

Auserwähltsein verschiebt das Bild. Bleiben Sie bei dem Bild. Ein Führer. 30

Führer, das ist ein Mensch, der wirklich gehende Menschen führt. Wohin gehen sie? Knüpft nicht der Text woran an? Aus der Knechtschaft in die Freiheit.

Was ist in Ägypten geschehen, was ist das für ein Gehen? Ein Wandern – was für eine Art?

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Ein Auswandern.

Was für eine Art? Eine kollektive Wanderung.

Und nun, diese Wanderung wird angeführt von Gott selbst. Wer führt sonst eine solche Wanderung? Der Häuptling, der Führer im Wortsinn, der eben vorangeht, das ist z. B. das lateinische Wort Rex, aber auch das semitische Wort Melech bedeutet, nicht etymologisch, aber seinem wirklichen Sinn nach eben ein Anführen des Stammes, der die Wanderschaft des Stammes leitet, befehligt, durchführt. Und dieses also eben, dieses ist von der ägyptischen Stunde her Gott selbst. Es wird also hier angesagt, dass also dies nun wiederkehren und seine eigentliche Erfüllung finden soll. Hat es die eigentliche Erfüllung nicht gefunden? Warum hat es die eigentliche Erfüllung nicht gefunden? Weil das Volk nicht nachgegangen war, weil es sich von diesem Gott nicht führen liess, weil es ihn als seinen Melech nicht anerkannt hat. Wenn nun jetzt die Führung wirklich geschieht, angesagt wird dem Volk, was heisst das, was erfüllt sich? Wessen bedarf es nun? Wenn jetzt dieser Heimweg gelingt, wenn jetzt die Gemeinschaft Israels wieder aufgerichtet wird, wessen bedarf es dann nicht mehr, vielmehr wessen darf es dann nicht mehr bedürfen? Eines menschlichen Königs von Israel. Was also sagt hier Deuterojesaia auf Jesaia hin? Was sagt er hier – und Sie werden sehen, dass er es immer wieder sagt, beachten Sie, wie er immer wiederholt, niemand sonst, bei keinem Propheten immer wieder: Gott der König von Israel. Unter allen Propheten gibt es keinen, der so immer wieder nicht etwa Gott als König proklamiert, sondern sagt: Gott, der König von Israel. 41,23 etc, dies wie etwas Selbstverständliches: Gott, der König von Israel. Und dieser Prophet sagt damit zugleich etwas woraufhin?

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Es bedarf nicht des Königs aus dem davidischen Hause.

Er redet auf Jesaias Verheissung hin, und was sagt er hinsichtlich derselben? Sagt er, es sei etwas nicht wahr, was Jesaia gesagt hat? Wie stellt er sich zu der jesaianischen Verheissung? Er wendet sich gegen – gegen die Verheissung? Gegen eine Missdeutung, eine oberflächliche Auslegung, und er will die richtige Auslegung geben. Welches diese ist, werden wir sehen. Zunächst wendet er sich dagegen, dass man nun in dem Bild der Wiederkehr eines davidischen Königtums die Befreiung sieht. Das ist das stärkste, was er tun kann, um dieser Missdeutung, der seiner Meinung nach geschehenden Missdeutung entgegenzutreten. Was ist das allerstärkste, wenn man einer messianischen Verheissung in jenem Sinne ent-

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gegentreten will, was muss man tun? Einen nichtjüdischen König schlechthin, indem man das Wort »Der Gesalbte« der, der die Salbung, den Auftrag Gottes an den König als seinen Statthalter, den in der Salbung geschehenden Auftrag erfüllen wird, den die Könige Israels nicht erfüllt haben, den er nun, diesen Titel, diese Würde, dieses Amt er dem Cyros zuspricht und ihn von Gott bezeichnen lässt als was? Zweimal wird von ihm gesprochen ausdrücklich mit Namen als was? Einmal als »sein Gesalbter«, einmal als »mein Hirt«. Das heisst also, wer sagt »mein Hirt« von einem anderen Menschen? Der Besitzer der Herde. Salbung heisst ja den Auftrag, die Herde richtig zu hüten. Also Sie sehen, wie hier gerade Deuterojesaia das Stärkste aufbringt, um Klarheit zu schaffen. Und nun einen Schritt weiter: Wenn Sie die deuterojesaianischen Kapitel lesen, so finden Sie immer wieder eine Doppelheit, ein Paar von Begriffen, die zu einander gehören, die einander immer wieder gegenübergestellt werden. Was sind das? Was ist das für eine Doppelheit, die immer wiederkehrt? Immer wieder wird etwas Geschehendes einem anderen gegenübergestellt, und zwar immer wieder mit demselben Wort. Was ist das? 41,21 und 26. Das frühere, was es war, meldet, dass wir es klar machen unserem Herzen … Wer hat es angemeldet von früher her, dass wir es erkannten … 42,9, 43,9, 43,18 Gedenket nimmer des Früheren … Das ist das Begriffspaar, das immer wiederkehrt. Welches ist der Grundton der Unterscheidung? Das frühere ist nicht das frühere gewesen, sondern das früher verkündete, und dieses früher Verkündete, wann geht es in Erfüllung? Es geht nicht in Erfüllung.

Das sagt kein Prophet, dass etwas, das von einem Propheten gesagt ist, nicht in Erfüllung geht. Es handelt sich nur darum: wann geht es in Erfüllung? Das Frühere ist die Prophezeiung des 1. Jesaia. 30

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Wohl gemerkt, das von der Prophezeiung – ich habe neulich gesagt, dass er 9 und 11 auseinanderhält, das, was der 1. Jesaia für die Zeit der Katastrophe – eine Teuda in seine Schüler, seine Lehrlinge hineingetan, wie eine Urkunde zugeschnürt und versiegelt hat. Und was greift nun aus dieser Teuda unser Prophet heraus? Was ist das, was sich erfüllt? Es ist die Ansage der nationalen Befreiung. Und die Erfüllung dieser Weissagung – was tut Deuterojesaia? Die Erfüllung dieser Weissagung sagt er an als jetzt schon gekommen: da ist dieser Cyros der führt seinen Feldzug, etwas, was jetzt vor euren Augen geschichtlich angefangen hat und das so und so weitergehen wird – aber wir dürfen nicht missverstehen,

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was geschieht. Also zunächst wird dies angesagt, dass dies sich jetzt erfüllt. Und dann wird gesagt: – wir wollen vielleicht noch einen Augenblick einhalten. Etwas gehört dazu, damit unser Prophet die jesaianische Weissagung so verstehen kann. Was gehört dazu? Zunächst, dass er die Katastrophe, auf die Jesaia hindeutet, geschichtlich anders lokalisiert, als sie Jesaia unseres Wissens lokalisiert hat. Denn wer ist für Jesaia der Feind, der mit dem Verhängnis droht? Assyrien. Und wer ist für Deuterojesaia der Feind, der bezwungen wird? Babel. Es sind also zwei verschiedene Geschichtszeiten. Aber Deuterojes. greift jene Weissagung so auf, dass er sagt: Gemeint, objektiv gemeint ist das babylonische Exil, nicht die Bedrohung durch Assyrien. Die Grösse der Katastrophe hat Jesaia selbst erkannt, die Katastrophe der Verschleppung. Er sagt: die Katastrophe, die eigentlich gemeint war mit der Zeit der Finsternis, für die diese Weissagung eingeschnürt und versiegelt worden ist, um dem Rest eröffnet zu werden und den Verzweifelten Trost zu spenden, diese ist das babylonische Exil. Und nun, was sagt er aber nun hinsichtlich dieser jesaianischen Weissagung und ihrer Erfüllung, die jetzt in dieser Geschichtsstunde angehoben hat? Es ist diese immer wiederkehrende Abhebung der ersten, der früheren, und das Neue, z. B. 48,3, eine besonders deutliche Stelle: Das frühere, von eh habe ich’s angemeldet … Also was wird neben dieses frühere, das, was jetzt gekommen ist, gestellt? Was bedeutet, dass er sagt: Dessen sollt ihr nicht gedenken … ? Wir wollen sehen, was sagt Deuterojesaia selbst? Er sagt immer wieder, dass, was angesagt worden ist, sich jetzt erfüllt, und zwar in der Gestalt, die ich bezeichne. Ihm stellt er aber etwas anderes gegenüber, das neue. Was ist dieses Neue: wenn das Alte, das sich jetzt erfüllt in der Form einer nationalen Befreiung, die anders aussieht, als man sie sich ausgemalt hat, nicht als Restauration eines Königshauses, sondern Anerkennung des Königtums Gottes über Israel, das ist etwas, was sich jetzt zu erfüllen beginnt. Was greift darüber hinaus, was sagt er von der geschichtlichen Stunde aus, in der seinem Glauben nach sich dies zu erfüllen begonnen hat? Was sagt er? Das alte »Der Gesalbte« das legt er Cyros bei, aber es gibt ein bescheidenes, stilles Wort, das er nicht Cyros beilegt, das er sich hütet, ihm beizulegen, um nicht missverstanden zu werden, und dieses Wort ist der Hauptgehalt: mein Knecht. Um was geht es zweifellos nicht bei dem Knecht? Es geht nicht um einen Herrscher. Wie drückt Jesaia das aus, negativ, dass es nicht um einen Herrscher, nicht um einen Machthaber, nicht um einen zur Macht Gelangenden geht? Ich möchte noch auf etwas zurückgreifen. Wir sagen, es wird das frühere und das neue einander gegenübergestellt, nicht in der Form lediglich, wie man zwei Dinge nebeneinander stellt, das eine vom

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anderen zu unterscheiden, sondern in einer grossen feierlichen Weise, in der Form wovon? Welcher Vorgang ist es, auf den immer wieder zurückgegriffen wird? Eines richtigen Gerichtsverfahrens mit Assistenz der Völker. Und Gott sagt: Dies und dies hat zu geschehen begonnen, und ebenso wahr, wie ist, dass dies zu geschehen begonnen hat, ebenso wahr ist, dass einst sich dies und dies vollziehen wird. Und Israel wird immer wieder (43 und 44) als Zeuge herangezogen: Ihr, die ihr dies vernehmt, ihr bezeugt … Wie sich das eine verwirklicht, so mögt ihr das andere gleichsam bezeugen; wie damals die Limudim in sich die Bezeugung aufgenommen haben, nehmen jetzt die Zeugen die neue Botschaft in sich auf. Und jetzt kehren wir zurück zu dem, wovon wir sprachen: der Knecht – wo äussert sich das am allerunverkennbarsten, dass er nicht, jedenfalls lange nicht und für die Dauer der Geschichte vielleicht nicht, zur Macht gelangt und nie zu der Macht, die man geschichtlich Macht zu nennen pflegt? Was steht da? Was bekennt der Knecht selbst, wie es um seine geschichtliche Lage steht? Er spricht doch von sich selbst im Ich-Ton 49: Hört auf mich Ozeanküsten … Er spricht die Welt an. Aber nun kommt das entscheidende: »Er machte meinen Mund einem scharfen Schwerte gleich, und hat im Schatten seiner Hände mich versteckt dort …« Und welches ist die andere Stelle, wo Gott nun diesen Knecht anspricht und ihm eben dasselbe zuspricht? Es geht darum, dass er im Köcher bleibt. Da steht geschrieben, dass er nicht zur öffentlichen Macht gelangt. Wann ist ein Pfeil im Köcher? Ein Pfeil, der nicht verschossen wird. Er ist zugespitzt zu einer brauchbaren Waffe und wird nicht verwendet. Er bleibt im Dunkel. Es gibt eine Stelle, wo gesagt wird, wozu er im Dunkel bleibt. 51,15/16: »Ich nämlich bin’s, dein Gott … Ich setzte meine Rede in deinen Mund, und doch hab ich dich zugehüllt mit dem Schatten meiner Hand. Einen Himmel zu pflanzen …« Was bedeutet das? Dieser Knecht, der auf der Fläche der Geschichte nicht zur öffentlichen Wirkung, nicht zu einer geschichtlichen Macht gelangt, heisst das, dass er ohne Amt, ohne Beruf, ohne Aufgabe ist, oder was ist das? Jetzt können wir uns erinnern, was dann 52–53 gesagt wird, was da von dieser Verborgenheit gesagt wird. Sie wird einmal aufhören, Verborgenheit zu sein. Einmal bemerken die Herren der Welt, was da im Dunkel geschehen ist. Jedenfalls, bedeutet es, dass dieser Knecht im Dunkel einfach tatenlos ist? Unöffentlich, ungeschichtlich existiert? Sondern? Er soll vorbereiten, was kommen wird.

Davon steht nichts, was er soll. Was tut er?

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Warten.

Ist dieser Knecht eine geschichtliche Person? Eine einmalig bekannte geschichtliche Person oder das Volk Israel? Was wird im Kapitel 53 unverkennbar deutlich von ihm gesagt? Was wird da an der Stelle, der entscheidenden Stelle, wo von seinem Tod gesprochen wird, gesagt? Da steht der Plural: Tode. Er leidet also immer wieder Tode. Was bedeutet das? Dass es also eine Menschenart ist, die im Verborgenen, in der dunkeln Verborgenheit, der heimlichen Geschichte von Geschlecht zu Geschlecht geht. Und was tut? Leidet. Was tut er? Darauf ist zu antworten: er leidet. Was heisst das: ist Leiden ein Tun? Leiden kann ein Tun sein. Nichts, was wir von Menschen sagen, hat eine so ungeheure Mannigfaltigkeit, Polarität vom äussersten Ende bis zum äussersten Ende, wie das Leiden. Das Leiden kann nichts und alles sein. Das eine Leiden, das Leiden leerer Passivität, ist nichts, aber das wirkliche Leiden, das wirkliche Tragen, ich möchte sagen: das Vollziehen des eigenen Leidens und zwar im Dunkel, dass es gar nicht vorgetragen werden kann, dass es nur ertragen werden kann, aber wirklich ertragen und getragen, damit wird, das ist die eigentliche Verheissung dieses Propheten, damit, mit diesem Leiden wird etwas getan. Also dies, das, was er, womit er ausholt über die Verheissung der nationalen Befreiung hinaus, das ist die Verheissung eines Vollbringens durch Leiden. Und zwar eines Vollbringens für wen? Die nationale Befreiung erfüllt sich jetzt. Das 9. Kapitel: meines Lehrers – würde er sagen, wenn es damals Kapitel gegeben hätte, der erste Teil der Teuda. Und worauf ging der 2. Teil? Auf die Welt. Und nun sagt er, dies muss man erst richtig jetzt sagen: das ist ein Geheimnis geblieben. Das erste ist aufgetan, das zweite ist ein Geheimnis geblieben, und das muss man jetzt auftun. Aber man kann es nur auftun, indem man Israel das Geheimnis des Leidens auftut. Und nun jetzt ist die Stelle anzuführen, 42. Kapitel. – Es gibt in der Bibel kaum eine so starke, grosse, straff zusammenhängende Komposition wie Deuterojesaia, wenigstens 40–53 – 42,6: Ich rufe dich an in Bewährung, ich fasse dich bei der Hand, ich will dich verbergen … Und nun die Stelle, die ganz unverkennbar das frühere und jetzige einander gegenüberstellt: Ich bin da, das ist mein Name. Meinen Ehrenschein gebe ich nicht einem anderen. Das heisst: jetzt erfüllt sich der Sinn des Gottesnamens, daran, dass er bei seinem Menschen ist. 49,7: So hat er gesprochen, der Auslöser Israels … Und dieser ganzen Stelle geht was voraus? Das entscheidende, nämlich auf dieses Selbstbekenntnis, das der Knecht von sich sagte: er hat meinen Mund dem scharfen Schwerte gleich gemacht … Er spricht zu mir:

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mein Knecht bist du, du Israel du, mit dem ich prangen darf, der Kern des Restes. Und doch habe ich sprechen müssen: Ins Leere habe ich mich gemüht … Der im Dunkel versteckte Mensch: Ins Leere habe ich mich gemüht, in Irrsal und Durst meine Kraft all vertan. Und jetzt, die entscheidende Verheissung: Jetzt aber hat er gesprochen, der mich bildete vom Schoss auf zum Knecht sich … Jetzt aber, gewichtig wird er in seinen Augen … Jetzt spricht er, darüber hinaus: Zu gering ist dafür … Denn Weltstämmen gebe ich dich zum Licht, dass meine Freiheit werde bis an den Rand des Erdenreichs. Dies ist das Motiv, das dann 52 und 53 ausgeführt wird. Also Deuterojesaia greift über die jesaianische Verheissung, soweit sie sich jetzt zu erfüllen begonnen hat, über die Verheissung der nationalen Befreiung, die sich da vollzieht, hinaus, nicht in der Aufrichtung eines nationalen Königtums, sondern in der Aufrichtung einer von anderen Staaten abhängigen und doch unter dem anerkannten Königtum, vom Volk anerkannten Königtum Gottes über Israel stehenden, darüber hinaus greift er, von der sich jetzt erfüllenden Verheissung der nationalen Befreiung, wohin? In die auf den 2. Teil der jesaianischen Verheissung zurückgreifende der Menschheitserlösung, der Erlösung der Welt, der Menschheit und zwar eine Erlösung wodurch? Durch die Leiden dieser durch die Geschichte Israels Geschlecht um Geschlecht hindurchgehenden Lebenden, ihr Leben durchleidenden und so sterbenden Menschen, deren Reihe hinführt bis zur Erfüllung in Einem, der zugleich ihrer Reihe angehört, aber ihre Reihe schliesst und vollendet. Sind damit nur die Leiden Israels gemeint?

Das Leiden dieser Menschenart in Israel. Aber diese Menschenart wird als das eigentliche Israel bezeichnet.

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Und nun, wir wollen jetzt zurückschauen, noch einmal. Was tut also Deuterojesaia? Wir wollen uns die einzelnen Bilder dieser Kette vergegenwärtigen. Was tut Deuterojesaia an der jesaianischen Verheissung? 1.) Deutet er die Krisis geschichtlich nicht auf Assur, sondern Babel, d. h. er nimmt die Katastrophe grösser, als sie etwa vom Lesen der jesaianischen Verse aus gesehen werden mag. 2.) Wie verfährt er hinsichtlich des Restes? Womit verknüpft er den Rest historisch? Die Rückkehrer, aber in der Rückkehrerschaft ist ein Kern, der den Rest darstellt und nun Geschlecht um Geschlecht weitergehen soll, für den das gleichsam, diese ganze nationale Befreiung – wenn man das für ein leidendes Tun sagen darf – ein Sprungbrett ist. Und das Dritte: nicht mehr Befreiung

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eines Volkes, sondern Erlösung der Menschheit. Und zum Vierten: Nicht ein König Israels für diesen geschichtlichen Augenblick, sondern Fremdherrschaft, und zwar 5. nicht ein König von Israel. Es ist nicht mehr nötig jetzt, Könige als Statthalter Gottes zu haben, sondern man stellt sich unter die Unmittelbarkeit Gottes. Mit der Fremdherrschaft mag es sein und bleiben, wie Gott will und solange er will. Wir aber stellen uns unmittelbar unter das Königtum Gottes. Das ist, was Deuterojesaia für seine Stunde sagt. Und was sagt er damit hinsichtlich des Königtums Gottes überhaupt? Wie soll sich das Königtum Gottes über die Welt erfüllen? Dass Israel das Königtum Gottes, das es immer wieder nicht anerkannt hat, jetzt anerkennt und es diese Unterwerfung unter das Joch des Königtums in dieser Welt so, wie sie in diesem Menschengeschlecht sich vollzieht durch das Leiden. Jetzt können wir auf 53 hinblicken. Was für einen Sinn hat das Leiden? Weshalb muss man das Leiden tun? Weshalb tut dieses Leiden der Welt not?

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Weil wir für die Menschen die Sünde tragen.

Es ist nicht eigentlich die Sünde, aber wenn wir es in unserer Sprache sagen wollen, um was geht es? (53,11.) Was ist das Falsche an der Welt? Was soll mit dem Leiden gutgemacht, richtig gemacht werden, wodurch soll man die Erlösung, weshalb durch Leiden kommen helfen? Was muss der Welt gegeben werden, was fehlt ihr, wodurch ist sie auf falschem Weg, was ist nicht in Ordnung?

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Abtrünnigkeit.

Wann sprechen wir von Abtrünnigkeit? Abtrünnig = sich abtrennen, eine Gefolgschaft aufgeben – aus der Gefolgschaft meines Herrn trenne ich mich ab. Was setzt diese Abtrünnigkeit voraus, welche Realität, die aber dennoch keine Realität ist? Die Wirklichkeit, die nicht verwirklicht ist, ist das Königtum Gottes. Gott ist der Herr seiner Welt, aber Gott lässt es zu, und ohne das können wir den Sinn des Weltgeschehens, wie ihn die Bibel lehrt, nicht erfassen, Gott lässt es zu, dass sein Königtum sich in der Welt, die er gemacht hat, die er vernichten kann, dass er sich in dieser Menschenwelt, an diesem bewusstesten Teil der Welt nicht erfüllt, dass die Welt an ihrem beweglichsten Teil der Verwirklichung des Königtums Widerstand leistet, sich ihm versagt, abtrünnig ist. Ich sage: Gott lässt das zu. Warum, biblisch gesprochen? Gott versagt sich etwas, nach dem biblischen Geschichtsglauben. Er will etwas nicht tun, er will nicht zwingen. Dies hiesse ja die Bewegung von unten nach oben aufgeben. Und um diese Bewegung von unten nach oben, um des Gott-wählen-könnens, Gott-verwerfen-könnens willen ist die Welt geschaffen. Also dies eben

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tut Gott nicht, von oben nach unten das zwingen, dass die Wahl nicht mehr da wäre. Also diese Hand Gottes, die so weit oben über dieser Welt bleibt, dass sie sich nicht auf sie niederlässt, nicht so fest anfasst, dass sie nicht anders könnte, als nun sich niederwerfend anzuerkennen, sondern diese Freiheit wird der Welt, diesem Menschen gelassen. Und da es so ist, kann die Verwirklichung des Königtums Gottes über die Welt, nicht mehr bloss über Israel, also dass die Welt aus ihrer Abtrünnigkeit zur Verbundenheit mit ihrem König hinführe, kann man nun nicht in der Sphäre der Macht eines kleinen Zwangs anstelle des grossen Gotteszwangs, der nicht geschieht, eines menschlichen Zwangs auf irgend eine Weise der Machtentfaltung, sondern es bleibt dem Menschen wirklich nichts anderes als dieses Tun des Leidens, d. h. dass der Mensch, der es tut, das Joch des Königtums selber auf sich nimmt und nicht etwa Propaganda damit macht, sondern einfach das lebt, was zu leben ist, und die Welt merkt, was geschehen ist, wenn es geschehen ist. Das sind diese Machthaber, die Herren des kleinen Zwangs, die im 53. Kapitel merken, dass etwas auch für sie geschehen ist. Woran merken sie es? Dass sie anders geworden sind, daran merken Menschen in einer solchen Situation, was geschehen ist, daran, dass sie unter der heimlich unterirdisch im Dunkel, in der Verborgenheit des Geheimnisses geschehenden Einwirkung dieses Tuns des Leidens, durch den von Geschlecht zu Geschlecht hinwandelnden Knecht – also, der Weg durch das Leiden, um die Welt von ihrem Verschulden am Königtum Gottes zu lösen. Es geht hier nicht um Sünden in dem Sinn der Mängel dieser oder jener Menschen, sondern um die Weltsünde an Gott, und die Welttat in dieser doppelten Bewegungsmöglichkeit auf Gott zu, in die Gefolgschaft hin, und von Gott weg. Und diese ungeheure Umdrehung, Umwandlung, diese Richtungänderung der Welt wird, das sagt der Prophet, bewirkt durch das Leiden des Knechtes im Dunkel, dieses vielfältig immer wiederkehrenden Knechtes, der sein Amt an der Welt solchermassen vollstreckt. Das ist es, in dieser Weise nimmt Deuterojesaia die jesaianische Verheissung auf, und solcherweise biegt er sie auf seine Zeit zu. Das Christentum hat demnach den 2. Jesaia richtig verstanden?

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Das Christentum hat den 2. Jesaia gründlich missverstanden, weil es gesagt hat: der eingeborene Sohn Gottes. Soweit es lediglich wusste, dass es ein Tun des Leidens gibt, hat es ihn verstanden. Aber in dem Augenblick, wo bei Cäsarea Philippi Jesus sich sagen lässt, er sei der Sohn Gottes, hat das ganze Verstehen in Missverstehen umgeschlagen. Weil man nicht sieht, dass das der namenlose, von Geschlecht zu Geschlecht seiende Mensch ist, in dem der Beitrag des Menschen an der Erlösung der Welt

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durch Gott geleistet wird. Nicht der Mensch erlöst die Welt, aber der Beitrag wird zum Werk Gottes geleistet. Macht man daraus eine Singularität, dann verkehrt man’s ins Gegenteil. Dann ist die Erlösung damals geschehen. Und was bedeutet die unerlöste Welt seither? Ich möchte jetzt zuletzt eine Frage an Sie richten. Er greift auf die Teuda zurück, d. h. also, als was sieht Deuterojesaia sich an? Ich habe darauf schon hingewiesen. Als einen der Limudim, als einen nachgeborenen, spätgeborenen unter diesen Schülern. Und wo sagt er das? 50,4 sagt er: Gegeben hat er, mein Herr, mir eine Lehrlingszunge, dass ich weiss … Dies ist noch nicht das letzte. Was spricht hier der Prophet in der Weise aus, wie allein er das aussprechen will? Man kann nur gerade ahnen, was er an dieser Stelle, wo er sich zum Kreis der Limudim bekennt, aussprechen will: dass auch ihm das beschieden ist: »Ich aber, ich habe nicht widerstrebt …« dass diese Botschaft selber mit Leiden, mit einem Tun des Leidens verbunden ist. »Geöffnet hat er, mein Herr, mir das Ohr …« Es ist dies noch nicht das letzte. Es geht noch einmal darüber hinaus. Im letzten Teil, der zum Unterschied von 40–53 nicht streng komponiert ist, sondern aus Bruchstücken besteht, die zum Teil wahrscheinlich erst in der Schule Deuterojesaias entstanden sind. Und da sagt er im 54. Kapitel, von dem, wie es einst geschehen wird, da geht es nicht um die nationale Befreiung, sondern um Zion als die Mitte der erlösten Welt. Da sagt er: alle deine Söhne sind Limude haschem. In der Erfüllung selbst gibt es kein Verhältnis mehr zwischen dem menschlichen Lehrer und einem menschlichen gleichzeitig oder nachgeborenen Schüler. Es gibt keinen Unterschied zwischen Lehrenden und Lernenden, nichts mehr zu verschnüren und zu versiegeln. Es ist die grosse, offene, Weltöffentlichkeit Gottes, wo alle von Gott, ihrem Herrn und König und Meister das lernen, was zu lernen ist. Es gibt Abschnitte, die zum Vorhergehenden gehören, andere nicht, aber davon können wir in diesem Zusammenhang nicht reden. Um was es mir zu tun war, war zu zeigen, aus welcher tiefen Wirklichkeit die Einheit dieses Buches Jesaia entstanden ist, dass also da nicht Willkür gewaltet hat, als man die Worte dieses späteren namenlosen Propheten mit den Worten Jesaias verband, sondern die Erfahrung einer grossen die Zeiten mit einander verbindenden Wirklichkeit, dass also die Menschen, die am Kanon gearbeitet haben, dass diese, um mit dem Propheten zu sprechen, ein Ohr hatten für das, was zu hören ist.

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Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnamen in Ex. 3,13 vorhanden?

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Die Auffassungen, die in der jüdischen Tradition zu Ex. 3,13, insbesondere zu der Stelle ‫ אהיה אשר אהיה‬vorhanden sind, kennzeichnen, ebenso wie die nachher zu erwähnenden nichtjüdischen religionsgeschichtlichen Auffassungen in der zeitlichen Aufeinanderfolge eine Stufenfolge von menschlicher Geistesentwicklung. Der konkrete blutvolle Zusammenhang mit der bodenständigen Realität der Offenbarungsereignisse verblaßt im Laufe der Zeit mehr und mehr zu Abstraktionen, die heute ihrerseits wiederum, nach Erreichung eines Höhepunktes funktionell die Waffe und den Schlüssel abgeben, diese einseitig intellektuelle Entwicklung zu überwinden und in Erfassung des ursprünglichen Gefühls den realen, sinnvollen Zusammenhang wiederherzustellen. Aus der Prüfung der Auffassungen zu diesem Mittelpunkt aller Offenbarungen lassen sich als Kriterien dieser Entfernung heute nachträglich feststellen: einmal das Hereinspielen anderer Vorstellungswelten, die die reine, ursprüngliche Auffassung trüben, sodaß Synkretismen entstehen, sodann der Verlust der Ursprünglichkeit, als welchen man in diesem Sinne für die jüdischen Autoren der Tradition, das Fehlen des Zusammenhangs mit dem eigenen Boden, auf welchem die Dinge der Bibel entstanden sind und greifbare Wirklichkeit erhalten haben, annehmen kann. Für die Auffassungen der religionswissenschaftlichen Autoren nichtjüdischen Blutes sind diese Momente des anderen Blutes und der anderen Geistesentwicklung, für die Erfassung solcher Zentren jüdischer Religionsentwicklung, von erschwerender Bedeutung; wenn auch nicht verkannt werden darf, daß das Einfühlungsvermögen in geistige Welten ebenso aus anderen Strukturen heraus sich entwickelt, und manchmal sogar vom Fremden her leichter in die Lage versetzt, die wesentlichen Punkte zu unterscheiden. Die Auffassungen der jüdischen Tradition des babylonischen Exils vereinigen in der Hauptsache als Gemeinsames für das ‫ אהיה א״ אהיה‬das Kriterium, daß Gott mit den Menschen sein wird. Der besondere konkrete Geschmack des Gegenwärtigseins ist in diesen Auffassungen allerdings schon etwas verblaßt, und natürlicherweise teilweise abhängig gemacht von den Erfüllungen der seit der Offenbarung am Sinai dem

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Volke Gottes auferlegten Pflichten. Die Korrelation, die in der Midrascherklärung steckt, wenn sie sagt: ‫ צדקה‬des Menschen bewirkt ‫צדקה‬ Gottes ihm gegenüber – spiegelt dieses letztgenannte Element der Abhängigkeit von der Gesetzeserfüllung für die Gegenwärtigkeit Gottes deutlich wieder. Die Erklärung des Rabbi Schimeon Ben Simon, eines der Tanaiten, der das erste ‫ אהיה‬auf die damalige Situation, das zweite ‫ אהיה‬auf künftige Situationen von Knechtung beziehen will, enthält im letzten Grunde einen Ansatz zu der Auffassung von der zeitlosen Existenz Gottes, die dem Menschen, hier gleich den ‫ בני ישראל‬aber nur in besonderen Notlagen erfahrbar wird. – Die Frage Mosches, die in der Erklärung des Rabbi Schimeon eine Frage nach dem ‫ שסן הגדל‬ist, verrät übrigens noch etwas von der Bedeutung des Namens Gottes = gleich dem Wesen Gottes, mit dem man sich in Beziehung setzen kann. Weiter geht Rabbi Jzchak (Palästinenser), dessen Kommentar schon die Auffassung von der temporären Transcendenz Gottes enthält. Auch Nachmanides teilt diese Auffassung, indem er das Existentsein-Gottes in dieser temporären Zeitlosigkeit betont. – Bei Onkelos in seinem = Ich werde sein, mit dem ich sein werde, spiegelt sich, wenn man so sagen darf, die bereits ferner gewordene Beziehung zwar noch wieder, kommt aber darauf hinaus, daß eine freie Bestimmbarkeit der Erwählung des Menschen nur in Gott selbst vorhanden ist. Sie unterscheidet sich also von der mehr moralischen Auffassung des Midrasch. Die Auffassung des Onkelos stützt sich auf Kapitel 33, wo Mosche auf die Frage nach den Wegen Gottes von ihm die Antwort erfährt: Ich werde mich dessen erbarmen, dessen immer ich mich erbarmen will. – Die Ansicht des Rabbi Saadja Gaon stimmt mit der Auffassung des R. Jzchak so ziemlich überein. Nach ihr ist Gott der Uranfang und das letzte Ende. – Mit Rambam (Maimonides), der diese Stelle in die Worte faßt: Er ist als der welcher er ist, liegt uns bereits eine Abstraktion schlechthin vor, in der wir einen Höhepunkt menschlicher Denkentwicklung im einseitigen Sinne feststellen können, die unter dem Primat des Denkens, des Gefühls für die ursprünglichen konkreten Zusammenhänge bereits ermangelt. – Jbn Esra schließlich zeigt bereits in seiner Ableitung des ‫אהיה‬ von der Wurzel »‫ «יה‬philologische Auffassungen, und bringt im übrigen mit der Auffassung, daß das zweite ‫ אהיה‬die Erklärung des ersten sei, ebenfalls abstrakte Sinndeutungen, womit auch für ihn diese Zentralstelle der Bibel zu einer rein ideenmäßigen geworden ist. – – Es ist nun in neuerer Zeit versucht worden, das ‫ אהיה‬in Gegenüberstellung von ‫יהיה‬, das von Gott in der ersten Person gesagte, gegenüber

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Über den Gottesnamen in Ex. 3,13

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einer Aussage des Menschen über Gott, also in der dritten Person, beides Mal von dem Verbum ‫ היה‬oder ‫ הוה‬hergeleitet, = s e i n zu setzen, und aus der Zukunftsform die Unendlichkeit Gottes zu erschließen. Die doppelte Ausdrucksform wird dann nicht als Tautologie, sondern als Ausdruck der Unendlichkeit im Können und Vermögen aufgefaßt. Diese Ausdrucksweise soll hinweisen auf a) das S e i n schlechthin, im Gegensatz zu wesenlosen Götzen, also zu imaginierten Götzenbildern; b) das Sein durch Werden, nämlich in der Offenbarung; c) das Sein, erhaben über Zeit und Raum; d) das Sein für und um die Menschen, als Angabe wo sie Hilfe suchen können. – In dieser Auffassung, wie sie in Hamburgers Realenzyklopädie (»adonai«) enthalten ist, birgt das abstrakte Denken bereits wieder Hinweise auf die ursprüngliche, blutvolle Konkretheit des Bibelwortes selbst und seiner Zeit, und enthält auch die Unterscheidung zu magischen Auffassungen über Gottesnamen: Gott ist nennbar und wird genannt, weil alles denkbare, (und man möchte hinzufügen: fühlbare) auch genannt werden muß. – Aber diese Benennung ist keine Bezeichnung für Gott in seinem absoluten Wesen, sondern nach seiner Offenbarung durch und in der Welt, wie der Mensch ihn in den Werken der Weltschöpfung und Weltleitung sieht und erkennt. – – – Religionsgeschichtliche Auffassungen: Die Auffassung der Septuaginta in ihrem ἐγὼ εἰμὶ ὁ ὤν zeigt eine Verbindung der Vorstellungswelten des Hellenismus mit der Jüdischen Vorstellungswelt. Hier liegt eine Insinuation in den Text vor. – Denselben Synkretismus zeigt auch die Auffassung des Bischofs von Kyrrhos, Theodoret, der in der Zeit der Abspaltungskämpfe im östlichen Christentum zwischen Jakobiten und Nestorianern, eine Rolle spielt, und über diese Stelle sagt (Quaestiones 15): Die späteren Erklärungen dazu, namentlich die von Aquila, Theodotion, bis herauf zu Luther, biegen die Stelle ebenfalls um, und zwar in: ἔσομαι ὃς ἔσομαι, womit sie zwar nicht das abstrakte S e i n Gottes überhaupt, sondern sein ins Leben-treten, als seine Erfaßbarkeit in der Welt kennzeichnen. Der Ursprung der Vorstellungen die dazu mitgewirkt haben, müßte erst noch ergründet werden. Luther sieht darin das Dokument der Uranfänglichkeit Gottes. – Alle diese Auffassungen, wie auch die vieler moderner Bibelwissenschaftler, können als Spekulationen aufgefaßt werden, die mit der ursprünglichen Wesentlichkeit des Textes nichts zu tun haben. – Kittel übersetzt: Ich bin, als der ich bin. »Ich bin« hat mich gesandt! – der sich Bestätigende,

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Offenbarende. – Wellhausen: Ich bin, sintemal ich bin! – Robertson Smith: Ich werde sein, der ich sein werde! mit der Erklärung: Euch als Beistand! – Ewald: Ich bin, der ich bin = ein unerklärtes Wesen. – – Solche abstrakten Auffassungen kehren wieder bei Dillman, Kappe, Beck, Clerikus und Dathe, während Lagarde daraus macht: Ich bin der ich eben bin, gleichgültig für Euch, wie das ist!, also eine Antwort an Mosche mit dem Unterton der Ablehnung. An einer anderen Stelle vertritt Lagarde auch wieder die Auffassung: Ich bin derjenige, welcher ins Dasein ruft, indem er das ‫ אהיה‬von der Grundform ‫ =היה‬leben, und zwar als Hiphil-Form, = der Leben-schaffende deutet. – Ähnlich Schrader, von Baudissin, Keyser-Marti, Gesenius im Thesaurus. Die Versuche, den Namen ‫ אהיה‬auf philologischer Basis durch eine, noch im Arabischen existierende Wurzel ‫ =ה ָוה‬fallen, im Hebräischen noch vorhanden in ‫ =ה ָֹוה‬Unfall, Verderben, Unglück, vergl. auch Jesaja 47/11, Ezechiel 7/26, Hiob 6/2, 30/13, Psalmen 57/2, 94/3, Prediger 19/3, zu deuten, und daraus auf die Vorstellung eines alten Gewittergottes vom Sinai zu schließen, dürfte abwegig sein, oder mindestens für die Zeit dieser Bibelstelle eine überwundene Vorstellungswelt bedeuten. – In diesem Sinne übersetzen Stade und Lagarde die Stelle mit: der Fällende, erklärt sie Smith mit: der Regen herabfallen läßt, Schwally mit: der Schleuderer, Kerber und Holzinger mit: der Zerstörer, Wellhausen mit: der Wetter- oder Windgott. – Diese, mehr von der philologischen Seite her gemachten Versuche, die Stelle aufzuklären, entfernen sich in Wirklichkeit aus der einseitig philologischen Differenzierung einer spezialisierten Betrachtung von dem totaler concipierten, ursprünglichen Sinn, während die protestantischtheologische Wissenschaft in einer viel größeren Nähe zu der Stelle sich bewegt, wenn z. B. in Lange’s Bibelwerk zu Exodus 3/14 die Übersetzung steht: »Ich werde da sein, der ich [immer wieder] da sein werde!«, wobei jedoch die Erklärung dann den blutvollen Gehalt dieser Übersetzung wieder verwischt, indem sie sich in Theologismen bewegt. – – –

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Über Prophetie

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Unter den Unterschieden zwischen dem religiösen und dichterischen Wort ist dies einer der wesentlichsten, dass das religiöse Wort von seiner Situation nicht abgelöst werden darf, ohne dass man sein Wesentlichstes verkennt. Das dichterische Wort wird erst dann in seiner Reinheit aufgenommen und erkannt, wenn es von dem empirischen Menschen, von dem eine Biographie besitzenden Individuum, das dies Wort gedichtet hat, abgelöst ist, wenn es für sich als Werk, als Gebilde, aufgenommen werden kann; und wenn in dieser Aufnahme noch ein Subjekt mit aufgenommen ist, dann nicht das empirische, sondern das metaphysische Subjekt, dieses dichtende, von dem wir nur das wissen, was wir aus dieser Dichtung erfahren. Ganz anders verhält es sich beim religiösen Wort. Sollte einer es so aufnehmen – manche tun es ja –, dann würde er das, was an ihm das Wesentliche ist, und was es von allen anderen Wortarten abhebt, nicht erkennen. Das religiöse Wort muss betrachtet werden in seiner Situation, d. h. mit dem, der es gesprochen hat, mit denen auch, denen er es gesprochen hat, in seiner ganzen lebendigen Wirklichkeitshaltung. Löst man es davon ab, hat man es auch von seiner Wirklichkeit abgelöst. Religiöse Worte, die aus irgend einem Grunde diese Verbindung verloren haben, haben ihre religiöse Wirklichkeit verloren. Wenn wir das religiöse Wort vorfinden und betrachten wollen, müssen wir es in seine Situation einstellen. Es genügt nicht, dass wir die besondere diesem Wort eigentümliche Wortart betrachten, sondern wir müssen die besondere diesem Wort eigentümliche Worthaltung betrachten. In diesem Sinne möchte ich von Prophetie sprechen als von einer Wortart, von einer Art des religiösen Worts. Sie wissen, dass gerade heutzutage dieses Streben nach Erfassen der besonderen Haltung eines Wortes sich geltend zu machen beginnt auch in der Wissenschaft. Ich finde, dass dies noch eher in Hinsicht auf das Neue Testament geschehen ist, als hinsichtlich des Alten. In Bezug auf das Alte Testament kenne ich keine Versuche, es so zu erfassen wie angedeutet. Nun, das hängt mit Folgendem zusammen: Wenn ich sage, dass man das Wort erfassen muss – das Prophetische Wort – in seiner Wirklichkeit, heißt das mit anderen Worten: es erfassen als ein Faktum der Gesprochenheit, des Gesprochenseins, das Wort erfassen also wie es in der Wirklichkeit steht, in der Wirklichkeit, die sich ausspannt zwischen dem Redenden, dem, von dem er sich zum Reden entsandt weiss, und denen, zu denen er sich entsandt weiss, denen, die er anredet. Fassen wir so das Wort in der Totalität seiner Wirklichkeit, dann können wir es

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noch vergleichen mit anderen Wortgegebenheiten verwandter Art, aber nicht mehr – wie es die Vergleichende Religionsgeschichte tut – es so betrachten, dass wir in ihm ein Motiv durch Analyse auffinden – etwa das prophetische Schema – und das mit anderen Wortgegebenheiten vergleichen, das darin wiederzufinden suchen. Zum Zweiten: Wir können es nicht vergleichen, indem wir dahinter zurückgehen auf einen psychologischen Zustand und diesen mit ähnlichen verwandten, etwa bei primitiven Völkern, zusammentun. Wenn es ein prophetisches Schema gibt, so fängt die Wirklichkeit der Prophetie da an, wo das prophetische Schema aufhört. Und die Wirklichkeit dieses Worts fängt da an, wo jene Zustände, die in allerlei Völkerschaften vorkommen, wo jene Zustände aufhören. Es ist vielleicht bemerkenswert, zu untersuchen, inwiefern Bewegungen, die uns von den Propheten berichtet werden, mit Bewegungen der Ekstatiker dieser Völker zusammenhängen, welche Aehnlichkeit zwischen irgend welchen Zuständen Jesaias’ und denen irgend ein[es] Derwischs besteht. Aber solange ich keinen Derwisch kennen lerne, [der] ein Jesaianisches Wort spricht, solange ich bei Mohamed kein solches Wort finde, ist das unerheblich. Denn wir können nicht zurückgehen [ohne das] Wort auf einen Inhalt, nicht zurückgehen auf einen Zustand. Das Erste gibt die Konkretheit auf, das Zweite stellt eine falsche Konkretheit hin. Wir müssen es aber als Ganzheit nehmen. Vergleiche sind fruchtbar, doch vor Totalitäten nicht zuständig; dann freilich müssen wir mit dem Nächsten beginnen. In diesem Falle, innerhalb des Judentums. Diese Methode hat man gekennzeichnet mit dem Karakter der Abgrenzung, nicht der Vergemeinsamung, der Determination, der Besonderung. Und noch eins: Wenn man dies versucht, ist es nützlich, den Aussenaspekt durch Innenaspekt zu ergänzen; hinzuzuziehen ist, soviel wie möglich, die jüdische Tradition. Wie hat Israel seine Propheten gesehn? Das ist zu wenig geschehn. Die Prophetologie ist lehrreich in ihren Differenzen und Widersprüchen, denn auch sie sagen uns etwas von der Wirklichkeit dieses Wortes, wie es auf die Geschlechter derer gewirkt hat, die es anredete. Sprechen will ich von den Propheten des lebendigen Wortes, die stehen – und zwar nicht einfach zeitlich – zwischen den primitiven Ekstatikern einerseits und andererseits zwischen den literarischen Apokalyptikern. Diese beiden Gattungen sind durch die vergleichende Methode leichter erfassbar als die Propheten des Lebendigen Gottes, durch Völkerpsychologie und literatur-vergleichende Analyse relativ eher erfassbar. Wir müssen versuchen, in grossen Zügen eine solche Abgrenzung klar zu machen, eine Abgrenzung nach der Worthaltung, nach der Situa-

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tion und Haltung. Ein Mensch spricht zum Menschen: Von wem aus?, Zu wem?, Weshalb spricht er zu denen hin?, Was bedeutet dieses Sprechen?

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Von wem aus? Hier nun ist es nötig, vor einer verbreiteten Auffassung zu warnen, der psychologisierenden! Stellen Sie sich vor, was der eine Prophet, der einen Bericht erstattet hat über seine Situation, Jeremias, was dieser uns sagt über das Gegenüber, das ihn zwingt, gegen das er sich wehrt, das ihm übermächtig ist, das ihn hochzieht, sodass er sprechen muss, was er nicht sprechen wollte. Irgend eine Art der Psychologisierung, z. B. die von bewussten und unbewussten Partien der Menschenseele tut dieser Situation unrecht. Was hier das Wesentliche ist, dass es soetwas gibt, was einen zwingt, was einen hochzieht, etwas, womit man im Kampfe liegt, in einem vergeblichen Kampfe, den man aber doch führen muss bis ans Ende, das geht verloren. Darum also, die psychologische Wissenschaft in Ehren, wollen wir das Eigentümliche erfassen, was hier zu uns spricht, müssen wir uns der Psychologie begeben, wir müssen hören, was uns gesagt ist. Was ist dies nun: dies Von-wem-aus? Am deutlichsten haben wir es in einem Wort, das gesagt wird nicht zu einem Propheten, sondern zu dem, den Israel den grössten seiner Propheten (nicht in superlativen Sinne, sondern im Sinne eines Unvergleichlichen) nannte: Moses. Zu ihm spricht Gott also: »Und ich werde mit deinem Munde sein, und ich werde dich unterweisen, was du reden sollst.« Dann weiter, als Moses sich wehrt – hier diese deutliche Auflehnung in ihrer Vergeblichkeit –, heisst es von Aron: »Er wird dir zum Munde sein, und du wirst ihm zum Gotte sein.« Auf Moses bezogen, dann noch einmal: »Ich habe dich zum Gotte getan (gesetzt) für Pharao, und Aron wird dein Prophet sein.« Hier ist etwas ganz deutlich, Elohim, Gott in diesem Sinne, wir müssen es mit »Gott« übersetzen, das aber tatsächlich eine Wortgewalt hat, die unübersetzbar ist, denn es ist ein Plural, der singularisch gebraucht wird, und diese Pluralität, diese Vielheit oder Allheit der Kräfte schwingt immer noch nach. Die einsprechende Gewalt wird hier Elohim genannt, der Aussprechende wird hier Prophet, der Verkünder, der »Aussprechende«. Der jüdischen Tradition war es von jeher ärgerlich, dass von einem Menschen Elohim gebraucht [wi]rd, dass Mose hier als einsprechende Gewalt Aron gegenüber bezeichnet [wi]rd. Der [Leerstelle] verfasser hat in seiner Wiedergabe der Schrift Elohim ersetzt durch [Leerstelle], d. h. »Lehrer«, »Meister«, und Prophet durch »Dol[metscher]«. So ärgerlich war ihm hier die Anwendung des Wortes Elohim. Und bei dem Bibelkommentator [Leerstelle] heisst es auch: »Du wirst ihm Lehrer und Fürst sein.« An einer Stelle der jüdischen Tradition gibt es eine Erklärung, d. h. nicht

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zum Wort Elohim, aber zu dem Wort: »Ich werde mit deinem Munde sein und dich unterweisen, was du sprechen sollst.« Dazu sagt [Leerstelle]: »Ich werde aus dir ein neues Geschöpf machen.« Das ist etwas wunderlich, wie man das so übersetzen kann. Statt auf den Stamm [Leerstelle] wird hier auf den Stamm [Leerstelle] zurückgeführt. Er bezieht sich auf das zweite Buch Mose, wo es von dessen Mutter heisst: »Die Frau wird schwanger …« Es bedeutet also: Mose wird in dieser Erfassung, diesem Ergriffenwerden durch den Geist Gottes von Gott zu einem neuen Geschöpf – wenn Sie wollen: das Wort vom zweiten Psalm – gezeugt. Mose wird genommen als ein [Leerstelle]. Diese Erneuerung des Menschen, die von Abraham schon berichtet wird, sie gilt in geringerem Masse von den Schriftpropheten, denen die einsprechende Gewalt nicht mehr zugesprochen wird. Doch bei Jesaias und Jeremias finden sich Stellen, wo Berufung durch Gott die Reinigung und Wandlung zunächst vom Menschen aus bedeutet. So wird hier der Mensch Mund Gottes; der ganze Mensch (nicht sein Mund nur), der ganze Mensch wird Zunge, Mund. Und zwar Mund, nicht Sprachrohr. Die Stimme ist nicht etwas, was durch den Menschen hindurchgeht, der Mensch ist nicht Trichter, sondern ein Mund, ein Organ, das lautet, das umlautet, etwas Beteiligtes, im Aussprechen Beteiligtes, Verwandeltes. Und dieses Grundfaktum, dass das prophetische Wort Mischung bedeutet von Göttlichem und Menschlichem, dies Grundfaktum ist dem Juden stets gegenwärtig gewesen. Es gibt hierbei verschiedene Grade, verschiedene Stufen, die aber alle in ihrer Abstufung bedeutsam sind. Deutlich kann man etwa drei Stufen unterscheiden, Stufen dieses Verhältnisses von Göttlichem zum Menschlichem. Die Propheten werden abgehoben gegen die Propheten der Völker, und zwar so, dass ihnen deutliche Mitteillungen zu Teil werden, was bei den Propheten der anderen Völker nicht so der Fall ist. Das ist die Stufe, wo der Mensch am stärksten reduziert wird. Den Propheten der Völker offenbart sich Gott mit halbem, denen Israels mit ganzem Wort, mit klarer Sprache der Liebe, der Reinheit, der Heiligkeit, mit dem Dienst der Engel, die ihn preisen. (Immerhin haben wir schon Sprache der Engel, nicht Gottes.) Zu jenen kommt er nur in der Stufe, da die Menschen sich voneinander absondern – der Stunde der Nacht, sowie [Leerstelle] spricht: »Zu mir ist gekommen ein heiliges Wort, da ich Gesichte schaute in der Nacht, wenn der Schlaf niederfällt.« Oder er ist wie ein König, der den Vorhang wegzieht, um mit dem Freund zu reden, zu den andern aber redet er mit Vorhang. Hier wird am wenigsten geschieden zwischen Menschlichem und Göttlichem. Aber es wird dann zunächst so beschrieben, dass innerhalb der Prophetie Israels ein Unterschied er-

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folgt. Es besteht ein Unterschied zwischen den Schriftpropheten und Moses. Und zwar besteht der Unterschied in Abstufungen der Deutlichkeit und Unmittelbarkeit. Nach dem Religionsgesetz von [Leerstelle] wurde Mose allein teilhaftig der unmittelbaren Mitteilungen Gottes, er war der einzige, der ohne Vermittelung der Einbildungskraft das Wort empfing. Noch schöner heisst es im Talmud zu den Worten des 5. Buches: »Alle Propheten schauten im lichtlosen Spiegel, Moses allein im leuchtenden.« Das erinnert an das Wort des ersten Korintherbriefs: »[Leerstelle]« Das entspricht wörtlich der Unterscheidung zwischen Moses und den Propheten. Mose hatte in unmittelbarem Gesicht geschaut, die Propheten im Rätselgesicht. Und diese Unterscheidung zwischen Mose und den Propheten wird zu einem System bei Maimonides, der eine Reihe von Abstufungen unterscheidet zwischen dem, der in dauerndem Licht steht, und denen, zu denen das Licht kommt wie der Blitz und schwindet; dann denen, die nur hier und da einen kleinen Lichtblick taten durch die Finsternis u. s. w. Diese Schwäche der Propheten, diese Gebrochenheit, in der sie stehen, dass sie Das Wort nicht rein zu überbringen vermögen, [dass] es sich brechen muss in ihnen, wird zurückgeführt darauf, dass der Engel mit Jakob kämpfte und dessen Hüfte verletzte. Darum heisst es im [Leerstelle]: »Darum konnten sie alle vor der Herrlich[keit] Gottes nicht stehen und konnten das Wort in seiner Reinheit nicht em[pfan]gen, und sie fielen auf ihr Angesicht … Er (Mose) konnte aufrecht ste[hen] und es in seiner Reinheit empfangen.« Diese Unterscheidung hängt mit [der Ge]setzesauffassung zusammen. Wichtig im Zusammenhang ist, dass die Gebro[chen]heit der prophetischen Uebermittlung durchaus eine Differenzierung auf[weis]t. Dies spricht sich deutlich aus da, wo kein Unterschied mehr zwischen [Moses?] und den anderen gemacht wird, sondern die Gebrochenheit als allgemei[ne E]igenschaft des Prophetischen erkannt wird; im 12. Kapitel Hosea heisst [es]: »Ich redete zu den Propheten, und ich vermehrte die Weissagung.« Da lässt [Hosea?] also Gott sagen »vermehrte, verfielfältigte«, »Die Prophetie des einen [gle]icht nicht der des anderen. Amos sah mich streng, Mose mich als Heilig, [Da]niel als Greis; durch die Propheten zeige ich mich an.« [Leerstelle] = »glei[ch]e ich mich an.« Das heisst, das Wort geht in die menschliche Individuati[on], Verfielfältigung, Gebrochenheit ein. Oder wenn es heisst: »Ezechiel weissagte mit dem Sehen, Habakuk mit dem Hören, Jeremia mit dem Munde.« Es [si]nd Bilder, in denen hier gesprochen wird, es wird immer wieder hinge[wie]sen darauf, dass die Uebermittlung nicht rein, sondern die der Sterbli[che]n ist. Von da aus nun können wir einen Schritt weiter tun. Wie kann man

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[di]ese Erscheinung des so Sprechenden, des in der Wirklichkeit des Auftra[ge]s und zugleich der Gebrochenheit Stehenden, vergleichen mit jenen zwei, [vo]n denen wir sagten, dass der Schriftprophet zwischen ihnen steht? Der pri[mi]tive Ekstatiker wird vom »ruach« (nicht »Geist«, denn es ist »Pneuma«, zu[gl]eich »Wind« = Geist als Elementargewalt) geschüttelt, gepackt, entrückt. [Da]s, was ihn so packt, ist Dämonie. Und zwar so, dass zunächst in den gleichen Ausdrücken gesprochen wird, ob es sich nun um dämonische Kräfte handelt oder um göttliche, so also, dass Gott sich diesen Menschen dämonisiert. Der Schriftprophet hat einen anderen Begriff. Da gibt es nicht das Durchdrungenwerden, er hat ein Gegenüber, vernimmt und spricht an, er kämpft mit einem Gegenüber und wird gezwungen, er erbittet und findet Gewähr; es findet Wechselwirkung statt, nicht dieses Ueberkommenwerden ist es, in dem man nicht mehr scheiden kann zwischen dämonischem Element und sich selbst, sondern es ist das Du, zu dem das Ich redet, und von dem es angeredet wird. Und nun zum Dritten, zum Apokalyptiker. Ja, er befragt über die Bedeutung der Geheimnisse, über die er grübelt, einen, der sich ihm nicht kundgetan hat, der ihm nicht gegenwärtig ist, und in dessen lebendiger Anrede, personenhafter Anrede nichts Göttliches zu merken ist. Der, nunmehr von ihm gefragt, ihm nur abstrakten Bescheid gibt. Das einemal, beim Ekstatiker haben wir also Zwang, im zweiten Falle, beim Propheten Befehl, beim Apokalyptiker schliesslich Auskunft, das einemal Gott als Kraft, beim Propheten als Person, beim Apokalyptiker als Subjekt, als etwas, das so abstrakt besteht im Sinne des philosophischen Subjektes, das sonst keine Wirklichkeit, Substanz hat. Im ersten Fall durchdringende Gegenwart, im zweiten Stehen in der Präsenz, beim Apokalyptiker die Vergegenwärtigung durch das Bewusstsein, durch bewussten Willen. Wenn man sich dies klar macht, dann versteht man, wie diese Wirklichkeit des Propheten ganz und gar abgebogen ist von allem anders Gearteten; hier gibt es Unbedingtheit des Wortes, und nur hier Wirklichkeit des Gespräches, der Unterredung, des Ich und Du. Und nun fragen wir weiter: wenn es so ist, wenn die Frage »Von wem aus?« so beantwortet war, dann fragen wir jetzt: »zu wem spricht der Prophet?« Der Ekstatiker, sofern er überhaupt redet, stösst Worte hervor, wenn [sie] uns auch nicht so überliefert sind, doch wir wissen, dass er weissagt, [wei]ssagt in einer Art von Rasen. Doch er stösst ja dabei Worte hervor! Diese [stöss]t er vor sich hin in der Raserei, vor sich hin, ins Blaue hinein,

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er rast eben, er hat keinen, zu dem er spricht; und sowie er kein Du hat, das [ihn] angesprochen hat, so auch kein Du, das er anspricht, dem er das Wort br[ingt]. Er stösst die Worte hervor ins Nichts. Wer sie hört, hört sie, aber nic[ht] als der Empfänger. Der Schriftprophet redet zum Menschen, zu denen er gesandt ist, die ihn hören, weil sie das sollen. Er lässt seine Worte schre[i]ben für diese Menschen, und wenn er sie schreibt für ein kommendes Geschle[cht], dann für ein bestimmtes in bestimmter Situation. Der Apokalyptiker redet i[n] sein Buch hinein. Er schreibt nur, redet nicht. Er schreibt nicht, wie der Prophet, die Rede nieder, er schreibt sie; das Buch soll auch versiegelt werden, wie es zuweilen heisst. Freilich, er will gehört werden, aber er weiss nicht von wem. Das ist erst anders in einem Buch, von dem ich hier ni[cht] sprechen will, in der Apokalypse des Johannes. Da ist wieder ein Anreden da, ein aus der Situation heraus Sprechen. Also beim Ekstatiker das Wort ohne Empfängnis, beim Propheten der Empfänger, der das Wort gibt, beim Apokalyptiker Empfänger-lose Situation des Literaten, die lebendige Rede ist nicht mehr. Damit hängt zusammen die Frage: In welcher Absicht wird das Wort gesprochen, welche Absicht wohnt dem Wort inne? Der primitive Ekstatiker hat noch keine Absicht, reines Getriebensein ist es. Der Prophet steht in einer wirklichen Absicht des Wortes, sein Wort hat ein Ziel, der Apokalyptiker steht in keiner Absicht mehr. Denn er glaubt nicht an das Handeln des Menschen, er glaubt nicht mehr, dass es ein Ziel auf Erden gäbe. Er verneint die Erde ganz und gar; damit hängt auch zusammen das Verhältnis dieser drei Gattungen zur Zukunft. Der erste weissagt Begebenheiten, das ist das naive Verhältnis zur Zukunft, Einzelnes wird vor-her gesagt. Das tut der Prophet nicht. Er weissagt keine Begebenheiten, er prophezeit Schicksale nicht als Zukunft, in der Gegenwart, in der Entscheidung, im Sich Entscheiden der Dinge in diesem Augenblick, wo gesprochen wird. Der Apokalyptiker weissagt weder, noch prophezeit er, ja, er heisst ja Apokalyptiker, er enthüllt, er – hier müssen wir abgehen von der Aussage – glaubt zu enthüllen, aber nichts, was in der Welt, in Raum und Zeit erfassbar wäre, es ist nichts Welt-haftes mehr, es ist das Zerbrechen der Kategorien, der Kommende Aeon, da die Zeit nicht mehr sein wird. Dies meint er zu enthüllen. Wenn wir diese Abgrenzung so sehen, dann erkennen wir zugleich auch die Hauptfrage, die Frage, die das »Zu wem« bedeutet: Was ist die Absicht, in der das prophetische Wort steht? Wenn es nicht Weissagung ist, und sie ist es nicht, was ist es? Ich sagte schon, er steht im Moment der Entscheidung, der Prophet mit seinem Wort steht immer wieder in dem Punkt der Zeit, wo sich das

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Schicksal entscheidet, und er steht in diesem Punkt der Zeit, insofern als das Schicksal vom Menschen mit entsteht, als der Mensch, an dem Entschiedenwerden des Schicksals mit beteiligt ist, als die Entscheidung, jede Entscheidung des Menschen in der Entscheidung über sein Schicksal mitwirkt, das ist das Geheimnis, aus dem all[e]in die Prophetie zu verstehen ist, das Geheimnis des Tun-könnens. Dass in der von Gott geschaffenen Welt, der Welt, die Gott bestimmt, dem Geschehen, das Gott bestimmt hat, der Mensch hier in seiner Freiheit die Wahl hat, handel[t] [han]deln kann, dass ihm nicht bloss gewährt, sondern zugeteilt ist, dass er dazu da ist, sich in Freiheit zu entscheiden, das beides zusammen, dieses Bestimmtsein und die unbedingte Freiheit erst die ganze Wirklichkeit des menschlichen Lebens in der Welt ausmacht, das ist das Geheimnis des geschaffenen Menschen. Ohne dieses zu berühren, kann der Sinn des prophetischen Wortes nicht erfasst werden. In der [Leerstelle] wird einmal der erste Satz der Bibel so ausgelegt: Um des Anfangs willen schuf Gott Himmel und Erde, d. h. der Mensch kann in Wahrheit anfangen, nicht mehr. Alles [an]dere wird ihm von Gott gegeben, Anfangen kann er, und um diese [?] willen wird gesagt: Wer sich zu reinigen kommt, find[et] Beistand. Es gibt also ein Kommen, ein Ausgehen um dieses Anfangens willen. Das prophetische Wort also will, und wir können jetzt das Wort in seinem ganzen Ernst gebrauchen, das prophetische Wort will bekehren, bekehren. Und zwar das bedeutet, dass das, was der Prophet prophezeit, das Schicksal, mit diesem Bekehren unmittelbar verknüpft ist. Wie Jeremias sagt in einem wunderbaren durch die Rätselhaftigkeit der Sprache wirkenden Wortspiel: »Kehret zurück, abgefallene Kinder! Kehret um, abgefallene Kinder! Ich will euren Abfall heilen.« Oder ganz in einer geradezu krassen Deutlichkeit haben wir die Prophezeiung des Jonas an Ninive, dass von dem Umkehren das Schicksal unmittelbar abhänge. Das prophetische Wort will dies: es will bekehren. Es heisst im [Leerstelle]: »Die Weissagung aller Propheten gilt nur den Umkehrenden.« Oder ein andermal im Talmud vom Noah, er habe zu den Menschen, um derenwillen die Sintflut kam, gesagt: »Kehret um, sonst bringt Gott die Sintflut über euch.« Hier ist in fast einfältiger Art ausgesprochen, dass die Umkehr ein der Schöpfung einwohnendes Element ist. Es wird erzählt, Gott habe, ehe er die Welt schuf, ihren Grundriss in einem Steine eingeritzt, wie ein Baumeister einen Plan entwirft. Da habe er gesehen, dass die Welt keinen Bestand haben konnte, da schuf er die Umkehr: da hatte sie ihren Bestand. So ist sie ein der Schöpfung einwohnendes Element, ein Wirkliches, die Kraft, dass die Welt, wenn sie sich von Gott verliert, dass sie zu Gott auch den Weg umkehren kann. Ich sage: auf den Weg Gottes, denn der Sinn ist nicht der, jetzt

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Über Prophetie

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bist du soweit gegangen, jetzt gehst du auf deinem Weg zurück, nein, man kommt auf den Weg Gottes, nicht auf den eignen. Jüdische Tradition hat eine ungeheure Vielfältigkeit der Stimmen, wenn sie von der Umkehr spricht: »Die Umkehr wendet das Schicksal, denn sie bringt Vergebung.« »Gross ist die Umkehr, sie zerreisst das Verhängnis.« »Gross ist die Umkehr, sie bringt der Welt Heil.« »Die Umkehr erhebt den Menschen zu Gott, sie bringt ihn auf den Weg Gottes.« »An dem Ort, wo die Umkehrenden stehen, vermögen die vollkommen Gerechten nicht zu stehn.« Jesaja sagt: »Friede, Friede den Fernen und den Nahen, erst den Fernen, dann den Nahen.« Oder »Gross ist die Umkehr, sie reicht an den Thron der Herrlichkeit.« Hosea: »Kehre um, Israel, bis zu dem Herrn, deinem Gott.« In einer anderen Schrift wird derselbe Satz erklärt: »Gross ist die Kraft der Umkehr, und sinnt nur der Mensche in seinem Herzen, umzukehren, also gleich steigt er auf bis zum siebenten Himmel, bis vor den Thron der Herrlichkeit.« Die Umkehr endlich, die Umkehr erlöst die Welt. Es heisst: »Gross ist die Umkehr, sie bringt die Erlösung.« Wie es heisst bei Jesaia: »Es kommt zu Zion ein Erlöser, und zu den von Sünde Umkehrenden.« Und wie dies letzte auf die messianische Wirklichkeit hin gemeint ist, geht aus einem Satz des Talmud hervor: »Alle Ende[n] sind vergangen – Ende heisst: alle ausgerechneten Termine, das was die Menschen sich ausgedacht haben. – Es hängt nur an der Umkehr allein.« Um diese Umkehr nun, um sie in die Weltweiten einzustellen, spricht der Prophet. Denn sie bedeutet nicht nur Umkehr des Menschen sondern Umkehr aller Kreatur, Neuwerden vom Beginn der Schöpfung an. Das wird in einem späten Bibelkommentar von [Leerstelle] so ausgedrückt: »Das schweigende Reich (Mineralien), das wachsende Reich (Pflanzen), das lebende Reich (Tiere), das sprechende Reich (Menschen), sie alle sind zu einer neuen Schöpfung geworden.« Es ist dasselbe Wort, das Paulus ins Griechische übersetzt: [Leerstelle]. »Der Mensch, wenn er Umkehr übt und sich zum Wege Gottes wendet, wird ein neues Geschöpf wegen der Heiligkeit, die in ihm waltet.« Und das ist es, was gesagt ist in Jona: »Ninive wird zu einem neuen Geschöpf umgewandelt werden durch die Umkehr.« Hier ist etwas von dem kosmischen Charakter der Umkehr. Noch stärker wird das deutlich in einem [Leerstelle] Wort, von [Leerstelle], einem späten Rabbi: »Das ist zur ganzen Welt und zu allen Wesen des Himmels und der Erde gesagt, allen Dienern des Höchsten, den Engeln des Himmels, den Tieren bis zum Thron Gottes selber, allen liegt es ob, umzukehren.« Das meinen die Worte: »Zu dem Herrn, deinem Gott, allen Wesen aller Stufen bis zum obersten, bis zum Thron Gottes selber, allen liegt es ob, umzukehren.« Danach kam Israel noch einmal zu sich selbst. »O Israel, kehre um

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zu dem Herrn, deinem Gott.« Es scheint dasselbe auch bei Paulus zu sein, in dem Hals-recken, Ausschauen der Kreatur. Und nun, wenn dies die Absi[cht] des prophetischen Wortes ist, wenn es eine solche Absicht gibt, die auf die Wirklichkeit des menschlichen Tuns, auf die metakosmische Schicksale bestimmende Wirklichkeit der menschlichen Entscheidung gerichtet ist, was bedeutet letztlich das prophetische Wort? Es bedeutet letztlich immer den Hinweis auf das Reich, aber so, dass hingewiesen wird und der Mensch am Kommen des Reiches notwendigen, ihm zugewiesenen Anteil hat durch nicht irgend ein aussergewöhnliches Tun, sondern durch all sein Tun, dadurch, dass er in seiner Situation steht, sich immer wieder neu wendet zu Gott, für Gott, für das Kommen des Reiches. Und hier ist ein wesen[tli]cher Unterschied der Propheten gegen Alles: gegen Apokalyptik und Eschatologie. Alle Apokalyptik und Eschatologie handelt von der Verwandlung der Welt, davon, wovon der Mensch nicht handeln kann. Vom ganz Anderen, was nicht Welt ist, vom Undurchdringlichen schlechthin, davon handelt der Prophet nicht. Er spricht von der Weltumkehr, von der Welt, die zur Vollendung geht, von der Vollendung der Schöpfung, von der Mitwirkung der Menschen. Für den Apokalyptiker sind Gut und Böse unbedingt getrennt. Hier diese böse Welt, dort die aufgesparte und unbekannte, plötzlich uns katastrophal ablösende Welt. Für den Propheten ist das Gute aus dem Bösen zu holen, zu lösen; aus dem Bösen das Gute zu schaffen. Das Böse ist nur Material, Element, Thron, Sitz des Guten. Es gibt kein absolut Böses. Weiter: Gott habe nicht eine, sondern zwei Hälften geschaffen diese und die wahre, sagt der Apokalyptiker. Für den Propheten – und ich wage zu sagen: für den Menschen überhaupt, der in der religiösen Wirklichkeit steht gibt es nicht zwei Welten, sondern nur die Welt, die Welt, die eine Welt und Gott. Der Apokalyptiker steht in der Verzweiflung. Er verzweifelt an der Welt. Der Prophet steht im Glaube. Und Glaube, wirklicher Glaube, heisst immer Glaube an die Welt, Glaube an die zu heiligende Welt, die zu vollendende Welt, die Heiligung Gottes in der Welt und an der Welt. Und das ist die ewige Botschaft der Propheten an alle Geschlechter der Erde.

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Editorische Notiz Der vorliegende Band folgt den neuen, in Band 9 der MBW (»Schriften zum Christentum«) erstmals vorgestellten Editionskriterien. Die Gesamteinleitung, die der Textsammlung vorausgeht, enthält allgemeine Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Texte, ordnet sie in Bubers Gesamtwerk ein und erläutert ihre zeitgenössische Rezeption. Die hier gebotenen Fassungen von Bubers Texten sind auf Grundlage der Erstdrucke erstellt und folgen ihnen in Orthographie und Interpunktion. Die Texthervorhebungen der Originaltexte mit gesperrter und kursiver Schrift sowie Kapitälchen werden beibehalten. Die Reihenfolge der Texte Bubers im vorliegenden Band folgt einer möglichst chronologischen Ordnung. Vom Prinzip des Erstdrucks wurde im Fall von Abraham der Seher abgewichen, da die Auswertung der Druckgeschichte ergab, dass der mehrere Jahre später erfolgte zweite deutsche Druck sowohl dem hebräischen Erstdruck als auch der deutschen Handschrift entspricht. Berichtigende Eingriffe in Texte, denen Drucke zugrundelagen, werden nur im Fall von offenkundigen Druckfehlern und angesichts von Korrekturen Bubers in späteren Drucken vorgenommen. Diese Eingriffe sind im Variantenapparat des Kommentarteils zum jeweiligen Text verzeichnet. Es wurde nach Möglichkeit darauf verzichtet, mit Korrekturen in die zum Abdruck kommenden Typoskripte einzugreifen, die in der Regel stenografische Mitschriften der unmittelbaren Rede Bubers darstellen. Der freien Rede ist es geschuldet, dass die Sätze mitunter ihrem syntaktischen Bau nach unvollendet geblieben oder in sich nicht stimmig sind. Es erschien den Herausgebern nicht legitim, an diesen Stellen einzugreifen und dadurch den Duktus der freien Rede zu stören. Eine stillschweigende Berichtigung erfolgte nur im Fall von offenkundigen Tippfehlern, nicht geschlossenen Klammern und fehlenden An- oder Abführungszeichen. Die Schreibung von Namen wurde vereinheitlicht oder bei offenkundigen Fehlern korrigiert. Die Kommasetzung hingegen wurde nicht verändert. * Im Kommentarteil des Bandes wird zu jedem Text zunächst eine individuelle Einleitung geboten, die auf die Textentstehung eingeht, die Quellen analysiert und die Rezeptionsgeschichte umreißt. Anschließend werden die in den Variantenapparaten berücksichtigten, mit Siglen ver-

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Editorische Notiz

sehenen Textzeugen aufgelistet und, falls erforderlich, kurz charakterisiert. Darunter befinden sich ggf. Handschriften und Typoskripte aus dem MBA und die zu Bubers Lebzeiten erschienenen, d. h. die von ihm autorisierten Drucke. Der Bestimmung der Druckvorlage folgen ggf. die bibliographischen Angaben zu den Übersetzungen des Textes. Darauf folgend, wird ein Variantenapparat geboten, der inhaltliche, den Sinn des Textes verändernde Abweichungen der vorhandenen Textfassungen von der Druckvorlage verzeichnet. Einträge des Herausgebers sowie herausgeberbezogene Zeichen werden kursiv, der edierte Text recte formatiert. Der Kommentarteil zu dem jeweiligen Text wird durch Wort- und Sacherläuterungen vervollständigt. Bibelzitate innerhalb der Wort- und Sacherläuterungen werden in der Regel nach der Übertragung von Martin Buber und Franz Rosenzweig wiedergegeben, da sich Bubers Ausführungen oftmals nur dann vollständig nachvollziehen lassen, wenn seine eigene Bibelübersetzung zugrunde gelegt wird. Einzelne Aspekte, die die Kommentare zu Bubers Werken Der Glaube der Propheten und Moses aufgreifen, werden im Essay von Christian Wiese am Schluss des Kommentarteils noch einmal ausführlicher behandelt. Um zu viele Einzelverweise zu vermeiden, verzichten die Kommentare zu Der Glaube der Propheten und Moses darum in diesen Fällen auf explizite Verweise auf den Schluss-Essay. Den Abschluss des Bandes bilden umfangreiche Register zu der verwendeten Literatur, den Bibelstellen, den Sachbegriffen und den Personen.

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Diakritische Zeichen Ko r r e k t u re n v o n B u b e r s Ha n d : [Text] Texttilgung hTexti Texteinfügung ! Korrektur zu folgender Variante Herausgeberbezogene Zeichen: x, xx, xxx … Unentzifferte(s) Zeichen X Unentzifferte Zeichenfolge ? unsichere Lesung des davor stehenden Wortes [Textverlust] eindeutig fehlende, nicht ergänzbare Textlücken wegen Schreibabbruch, Textzeugenbeschädigung etc. {Text} Variante aus einem Textzeugen, eingeblendet innerhalb einer Variante aus einem anderen Textzeugen / Zeilenumbruch Te x t z e u g e n - S i g l e n : D1, D2 … Drucke d1, d2 … Teilabdrucke, Druckfahnen und Korrekturbögen H1, H2 … Handschriften h1, h2 … Teilhandschriften TS1, TS2 … Typoskripte TS1.1, TS1.2… Schichten innerhalb eines Textzeugen

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Einzelkommentare Mose In dieser Collage dreier kommentierter Zitate für das dritte Heft der von ihm 1916 begründeten Zeitschrift Der Jude erklärt Buber ein Wesensmerkmal des jüdischen Glaubens, die Betonung der Kraft des Wortes und demgegenüber die Ablehnung alles Bildhaften. Dass der von der Wandervogel-Bewegung geprägte Schriftsteller Hans Blüher (18881955), der bereits damals erkennbar antisemitische Neigungen hegte, in seiner Schrift »Die Intellektuellen und die Geistigen« (1916) die aus seiner Sicht als »moralistische Fragmente« herabgewürdigten Zehn Gebote auf die Bildfeindlichkeit des Judentums zurückführte, veranlasste Buber, den tiefen Sinn des als Audition und nicht als Vision verstandenen biblischen Sinai-Ereignisses zu verteidigen. Ein Zitat des österreichischen Feuilletonisten Ferdinand Kürnberger (1821-1879) aus dessen Essay »Größenschauer« (1871) bot ihm die Gelegenheit, Mose – wie Jeremia und Jesaja – als Protagonisten eines Verständnisses der menschlichen Stimme als Gefäß der jeder Verbildlichung entzogenen göttlichen Offenbarung zu deuten. Um Mose mit den beiden Propheten zusammenzuschauen, wendet Buber die traditionelle rabbinische Auslegungsregel des Gezera Schawa an. Der hebräische Begriff bedeutet wörtlich »gleiche Verordnung« oder »gleiche Satzung« und entspricht dem Terminus synkrisis pros ison in der Rhetorik der zeitgenössischen hellenistischen Umwelt des rabbinischen Judentums. Seine Bedeutung ist »Analogieschluss«: Die zu erläuternde Passage wird durch Bezugnahme auf eine andere Passage erklärt, die den gleichen Schlüsselbegriff enthält. (Vgl. Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 8. neubearb. Aufl. München 1992, S. 28, 31 f.) Daraus wird ersichtlich, dass sich Buber in seiner Argumentation traditioneller jüdischer hermeneutischer Methoden ebenso bedienen konnte wie der Kategorien der modernen Bibelwissenschaft. Das Zitat des Schriftstellers Robert Müller (1887-1924), das Mose auf eine Stufe mit arabischen Scheiks stellt und das angebliche Scheitern seines Reformwerks in der Geschichte auf seinen asiatischen Kontext zurückführt, greift Buber auf, um auf das Einzigartige von Gestalten wie Mose und den Propheten hinzuweisen, das sie aus der orientalischen Welt heraushebt: ihr Selbstverständnis als von Gottes wirksamem Wort erfasste Stimme der Offenbarung. Der kurze Text zeigt Buber in Austausch und Konfrontation mit Intel-

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Einzelkommentare

lektuellen seiner Zeit, u. a. auch solchen, die aus deutschnationaler Perspektive und mit rassischen Anklängen ein zwiespältiges Bild der Tradition der Hebräischen Bibel und des Judentums zeichneten, und lässt erkennen, wie er – in diesem Fall am Beispiel unterschiedlicher Bezugnahmen auf die Figur des Mose – abwertende Pauschalurteile zurückweist und demgegenüber die religions- und kulturgeschichtliche Bedeutung zentraler biblischer Gestalten herausarbeitet (zu Bubers eigener Deutung des Mose und seiner Rezeption der zeitgenössischen MoseDeutung vgl. den Einzelkommentar zu der Schrift Moses in diesem Band, S. 979-1003). Textzeugen: D1: Der Jude, 1. Jg., Nr. 3, Juni 1916, S. 207-208 (MBB 168). D2: Die Jüdische Bewegung – Gesammelte Aufsätze und Ansprachen, Zweite Folge 1916-1920, Berlin: Jüdischer Verlag 1920, S. 21-25 (MBB 233). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 55,1] zusätzlicher Untertitel (Mai 1916) D2 55,3 den Tagen, in denen dieses Heft zusammengestellt wurde] diesen Tagen D2 Wort- und Sacherläuterungen: 55,3 In den Tagen, in denen dieses Heft zusammengestellt wurde,] Die Monatsschrift Der Jude, deren Herausgeber Martin Buber war, erschien von 1916 bis 1928 monatlich im R. Löwit Verlag (Berlin und Wien). In der Monatsschrift wurden literarische, historische, philosophische, religiöse, politische und soziologische Fragen diskutiert; sie galt als ein zentrales Organ der Bewegung der »Jüdischen Renaissance«. 55,4-5 das Büchlein »Österreich und der Mensch« von Robert Müller] Robert Müller, Österreich und der Mensch. Eine Mythik des DonauAlpenmenschen, Berlin 1916. Der österr. Schriftsteller und Verleger Robert Müller (1887-1924), der zunächst in verschiedenen expressionistischen Zeitschriften publizierte und auch Romane und Novellen verfasste, war v. a. für seine Essays gleichermaßen bekannt und umstritten. Diese enthalten zahlreiche rassenanthropologische Ausführungen, mit denen er jedoch für eine ›Rassenmischung‹ plädierte und die ihn damit in Opposition zu den Vertretern der Doktrin der

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›Rassenreinheit‹ brachten. Robert Musil (1880-1942), mit dem Müller befreundet war, widmete diesem 1924 nach dessen Selbstmord einen Nachruf, in dem er über Müller schreibt: »[…] seine Schilderungen waren von den persönlichsten Theorien durchsetzt, doch könnte man sagen, er dachte immerzu, aber er dachte niemals nach, weil ihm das ›Nach-‹, das Hinterdreindenken, während die Welt davonrast, wie ein dummer Verlust vorkam.« Müller sei ein »Sturm und Drang«-Mensch gewesen, der sich allerdings nicht in »Gebärden der Leidenschaft«, sondern in »Überzeugungen und Ansichten austobte«. (Robert Musil, Robert Müller, in: Musil, Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden, hrsg. von Adolf Frisé, Hamburg 1955, S. 746.) 55,5-6 Hans Blühers »Die Intellektuellen und die Geistigen«, schickte mir der Verfasser] Hans Blüher, Die Intellektuellen und die Geistigen, Berlin 1916. Der Schriftsteller und Philosoph Hans Blüher (18881955) stand mit Buber v. a. in den Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in regem brieflichem Austausch. Blüher, dessen Schriften hauptsächlich kulturphilosophischer Art waren und der eng mit der Wandervogelbewegung verbunden war, orientierte sich nach Ende des Ersten Weltkrieges zunehmend an christlich-konservativen Kreisen; in den 1920er Jahren gehörte er zu den Vertretern der sog. »Konservativen Revolution«; sein Denken nahm vermehrt antisemitische Züge an, und seine Schriften lieferten dem Vulgärantisemitismus Argumente. Ein Brief o. ä., aus dem die Zusendung von Blühers Schrift an Buber eindeutig hervorgeht, konnte nicht ausfindig gemacht werden. Im MBA findet sich allerdings ein Brief Blühers an Buber vom 1. Juli 1916, in dem Blüher Buber bittet, bei sich ergebenden Gelegenheiten auf dessen Schriften hinzuweisen; wie aus einer Briefstelle hervorgeht, hatte Blüher offenbar mit demselben Brief einige seiner Schriften an Buber gesandt. Im MBA findet sich eine Schrift Blühers aus dem Jahr 1916 unter dem Titel »Ulrich von Wilamowitz und der deutsche Geist 1871/1915« mit einer persönlichen Widmung Blühers an Buber. 55,7-8 Kürnbergers Sätze vom »Größenschauer« […] dem Brief eines Freundes bei.] Ferdinand Kürnberger, Größen-Schauer, in: Neues Wiener Tagblatt, 5. Januar 1871; aufgenommen in: Ferdinand Kürnberger, Siegelringe. Eine ausgewählte Sammlung politischer und kirchlicher Feuilletons, Hamburg 1874, S. 186-192. Ferdinand Kürnberger (1821-1879) war ein österreichischer Feuilletonist, dessen Essays von deutschnationalem Denken geprägt waren. Im Martin Buber Archiv in Jerusalem befindet sich eine maschinenschriftliche Abschrift von Kürnbergers »Größenschauer« mit einer handschriftlichen Notiz, die

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besagt, dass Kürnbergers Artikel im »Kunstwart 1915, 1. Heft« noch einmal abgedruckt wurde (vgl. Der Kunstwart, 28. Jg., zweites Viertel, Jan.-März 1915, Erstes Januarheft 1915, S. 10-11). Bei dem Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 11 22) handelt es sich offensichtlich um die Abschrift dieser Veröffentlichung im Kunstwart. Auf die Abschrift des Kürnberger-Textes folgt ein an Buber gerichteter kurzer handschriftlicher Zusatz: »Sehr geehrter Herr Doktor, Vielleicht könnten Sie ja ein paar Worte darüber hinzufügen, daß es sich uns nicht um die verschiedene Schätzung von Rassen handelt, die hier angesprochen wird, sondern um die Erfassung der Andersartigkeit bestimmter Rassen gegenüber andern – ohne werten zu wollen. Ergebenst Ihr D. E.« Die Abschrift des »Größenschauer« zusammen mit den an ihn gerichteten Zeilen am Ende meint Buber offenbar mit der »Druckschrift«, die »dem Brief eines Freundes bei[lag]«. Wer mit »D. E.« gemeint ist, ließ sich nicht ermitteln. 55,13-17 »So war das große Reformwerk […] wieder einmal vereitelt worden.«] Müller, Österreich und der Mensch, S. 93. In Österreich und der Mensch geht es um den Gedanken der Begründung einer neuen Epoche der Weltgeschichte und damit auch um die einer neuen Menschheit, die laut Müller entscheidend von Österreich und Deutschland geprägt würden. Das von Moses initiierte »Reformwerk«, dessen Ziel ebenfalls die Begründung einer »neuen Menschheit« war, scheiterte laut Müller, weil in späteren Jahrhunderten »unreine Kulte und asiatischer Materialismus« in das jüdische Volk »eingedrungen« seien, sich die Juden mit zahlreichen anderen, zumeist »unedlen« Völkern und Rassen gemischt hätten, so dass aus ihnen »das gemischteste Volk der Erde« geworden und diese »schlechte Mischung« gekennzeichnet gewesen sei von »Zerfahrenheit« und »Uneinigkeit mit dem Träger des nationalen Genies«. Schließlich wurden, so Müller, die Juden »Asiaten«, und »da war es mit dem ersten Versuch der Geschichte zur Gründung eines europäischen Adels zu Ende.« (Alle Zitate aus Müller, Österreich und der Mensch, S. 93 f.) 55,31-56,6 »Der politische Typus […] als Zehn Gebote ihr Wesen treiben.«] Blüher, Die Intellektuellen und die Geistigen, S. 25. In seiner Schrift Die Intellektuellen und die Geistigen betont Blüher, dass sich aus dem bildhaften Denken – eine besondere Fähigkeit, die er nur dem Mann, nicht aber der Frau zuschreibt – ein Erkenntnisvorgang entwickelt, an dessen Ende »der Durchbruch der Idee« (ebd., S. 4) steht. Da das Judentum aber »bild-feindlich« ist, sei »der Ertrag dieser Religion so gering« (ebd., S. 25). Im selben Abschnitt, den Buber

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aus Blühers Schrift zitiert, fährt Blüher fort: »In jene Zehn Gebote füllte man das Menschentum, und die Züchtung, die sich daraus ergab, formte sich zum bürgerlichen Typus. Daher kommt es, daß der Ertrag dieser Religion so gering ist; es fehlt ihr die Spannkraft, ihr Bogen ist flach, und die Pfeile, die es auf ihm verschießen kann, fliegen nicht weit. Bekanntlich fliegen sie gerade bis zur Humanität. Wo aber der politische Menschentyp Ernst macht mit dem bildhaften Untergrunde solcher Erleuchtungen, wo er es wagt, in den Reichtum des künstlerischen Innern zu greifen und m i t ihm am MenschenWesen zu rütteln: d a fliegen die Pfeile in ganz andere Fernen. (Und nun weiß man wohl, weshalb Nietzsche und die Folgen gewichtiger sind, als Moses und die seinen …)«. (Ebd.) 56,22-29 »›Herr, ich stottere […] der die Tat tun wird.«] Kürnberger, Siegelringe, S. 186-187. 56,31-32 Zweimal sagt Mose zu Gott, er könne zum Volke nicht reden.] Vgl. Ex 4,10 und Ex 6,30. 56,34-35 »Und er soll […] Gott (Elohim) sein.«] Ex 4,16. Zu »Elohim« siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 56,35-37 »Ich habe dich zu einem Gott […] dein Prophet (Nabi) sein.«] Ex 7,1. Zu »Nabi« siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 56,37-38 »Ich werde mit deinem Munde sein.«] Ex 4,12. 57,2-3 Jeremia von seiner Berufung berichtet] Jer 1,6. 57,4-5 »Siehe, ich habe meine Worte in deinen Mund gelegt.«] Jer 1,9. 57,5 »So sollst du mein Mund sein.«] Jer 15,19. 57,5-6 Und auch bei der Berufung Jesajas klingt das Gleichnis an.] Vgl. Jes 6,5-7. 57,7 »Elohim«] Hebr. für »Gott«, ist in der Hebräischen Bibel die allgemeine Bezeichnung für Gott, wird aber dort vorwiegend als Eigenname des Gottes Israel gebraucht; es handelt sich formal um einen Plural (und bedeutet somit »Götter«), der aber stets mit einem Verb im Singular verbunden wird; die Hebräische Bibel behandelt den Begriff »elohim« in Bezug auf den Gott Israels also als Singular. Buber erklärt in Moses, welche Bedeutung dem Begriff »elohim« in der Religion des Volkes Israel zukam und löst in seiner Erklärung zudem den scheinbaren Widerspruch zwischen der Pluralform und der Bezeichnung für den Einen Gott Israels auf: »[…] in der Religion Israels bezeichnet Elohim, in unserer Begriffsprache ausgedrückt, die Gesamtheit der göttlichen Kräfte oder der göttlichen Substanz, als einheitliche Person gesehen.« (Vgl. Buber, Moses, in diesem Band, S. 371; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 129,37-38.)

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57,7 »Nabi«] Hebr. »Prophet«; das hebr. Wort ‫ נביא‬gehört wahrscheinlich zu einer Wortwurzel, die »rufen« oder »künden« bedeutet; Buber übersetzt »Nabi« mit »Künder«. 57,8-10 Die Stimme redet nicht […] an das Volk hin.] Was Buber meint, wenn er sagt, das Judentum kenne »keine private Offenbarung«, die Stimme Gottes spreche also nicht zum Menschen, sondern durch ihn, führte er viele Jahre später, 1928, in einer »Arbeitsgemeinschaft zu ausgewählten Abschnitten aus dem Buche Schmuel« noch einmal genauer aus: »[…] daß Offenbarung nur so geschehen kann: im Gegenüberstehen von Menschlichem und Göttlichem, das schöpfungsmäßig nicht in uns eingeht, das uns begegnet, sich uns antut. Offenbarung begibt sich nicht hinein als das was sie ist, sondern verschmilzt mit dem Menschlichen, mit der Materie, die wir sind, die geboren wird und stirbt, die auf menschliche Art das Göttliche aufnimmt. Das menschliche Element wird ergriffen, durchschüttert, umgeschmolzen, aber Offenbarung wird nicht wie in ein leeres Gefäß ergossen.« (Martin Buber, Arbeitsgemeinschaft zu ausgewählten Abschnitten aus dem Buche Schmuel, erstmals veröffentlicht in: MBW 15, S. 46-91, hier S. 48). In seiner Schrift Der Glaube der Propheten (1947, jetzt in diesem Band, S. 137-350) nimmt Bubers Auffassung, die göttliche Stimme spreche nicht zu dem, sondern durch den prophetischen Menschen, eine zentrale Stellung ein und wird dort von Buber an zahlreichen Stellen thematisiert. 57,13-14 »du hast mich ergriffen und übermannt«] Jer 20,7. 57,15-18 daß es im Zeichen der Stimme stand […] im Anfang sei das Wort gewesen.] Der erste Teil bezieht sich auf den Schöpfungsmythos in Gen 1, nach dem Gott die Welt durch sein gesprochenes Wort erschuf (vgl.: »Und Gott sprach: Es werde […]«); im zweiten Teil meint Buber den Beginn des Johannesevangeliums, das verkündet: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.« (Joh 1,1). Biblisches Führertum Buber hielt diesen Vortrag 1928 »vor einem geschlossenen kleinen Kreis in München« (Arc. Ms. Var. 350 08 705.I). Unter den Zuhörern blieb ihm besonders Thomas Mann (1875-1955) in Erinnerung (vgl. ebd.; sowie »Preface« zu Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken 1948, S. 7; jetzt in: MBW 20, S. 169-170, hier S. 170). Aus einem Typoskript des Vortrags, das im MBA aufbewahrt wird

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(siehe den Variantenapparat zu diesem Text, in diesem Band, S. 743 f.), geht hervor, dass dieser unter dem Titel »Köpfe der Bibel« angekündigt war, obwohl Buber selbst den später auch veröffentlichten Titel angegeben hatte. In einer an die Zuhörer gerichteten Vorbemerkung erläutert er, dass ihm die Abgrenzung seines Titels von dem Titel der Ankündigung deshalb so wichtig sei, weil es ihm in seinem Vortrag um die Darstellung einer ganz bestimmten Art von »Führern« und »Führertum« gehe, »die in der Bibel und, wie mir scheint, nur in der Bibel […] –, nur in dem sogenannten Alten Testament dargestellt ist«, eben »biblischen Führern«. Es sei, so Buber, auch gar nicht möglich, anhand der biblischen Darstellung »Charakterköpfe« zu entwerfen, da es der biblischen Darstellung nicht darum zu tun sei, verschiedene Individuen zu zeigen, sondern »die Unterschiedenheit der Situationen, in denen der Mensch […] besteht und versagt«. Bevor Buber sich der eigentlichen Frage nach dem Wesen biblischer Führerschaft zuwendet, reflektiert er vor dem Hintergrund seines Verständnisses der Geschichtskonzeption der Bibel auch über seinen eigenen Umgang mit Texten. In diesem Zusammenhang betont er, wie später in Moses, seine Überzeugung von der »Geschichtlichkeit« biblischer Figuren wie Abraham und Mose, die sich zwar nicht durch profane Geschichtsquellen dokumentieren lässt, durch die Charakterisierung der biblischen Erzählungen als Mythen und Sagen aber nicht in Frage gestellt wird, vorausgesetzt, diese Begriffe werden angemessen definiert: als historisch aussagekräftige Gebilde »um einen Erinnerungskern, um einen Kern organisch-bildnerischen Gedächtnisses« (in diesem Band, S. 59; vgl. die Sach- und Worterläuterungen zu 58,12-59,36). Darin zeigt sich eine gewisse Kontinuität des Denkens Bubers, der bereits 1913 in seinem Prager Vortrag »Der Mythos der Juden« Existenz, Recht und Eigenständigkeit des Mythischen im Judentum verteidigte und die mythische Erzählweise der biblischen Bücher betonte, welche die »Geschichte der Begegnungen Jahwes mit seinem Volke« ebenso zum Gegenstand hätten wie »die Legende des zentralen, des vollkommen verwirklichenden Menschen.« (Martin Buber, Der Mythos der Juden, jetzt in: MBW 2.1, S. 171-179, Zitate S. 178 f.) Im vorliegenden Text liegt der Akzent jedoch – entgegen einer Verkürzung des Geschichtlichen durch die historisch-kritische Forschung – auf dem geschichtlichen Kern dieser Sagen und Mythen. Was Buber dann anschließend aus der biblischen Darstellung des eigentümlichen Grundzugs von Führer und Führertum ableitet, der auch über Natur und Geschichte hinausgreift, ist nichts weniger als das Proprium des Judentums, eine ureigene Geschichtskonzeption und -wirk-

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lichkeit, die »allem unähnlich ist, was wir Geschichte zu nennen gewohnt sind« (in diesem Band, S. 60). Die biblischen Führer, so der Zielpunkt seiner Deutung, sind – im Gegensatz zu gängigen sozialdarwinistischen Sichtweisen – Erwählte Gottes gerade in ihrer Schwachheit und Erfolglosigkeit, und die geschichtlichen Situationen, in denen sie gezeigt werden, sind als »Stadien in dem Zwiegespräch zwischen Gott und dem Volk« (ebd., S. 64) zu verstehen. Biblisch verstanden, ist Geschichte das Zwiegespräch zwischen dem allmächtigen Gott und dem von ihm – unter Einschränkung seiner in der jeweils gegenwärtigen Situation ausgeübten Macht – zum verantwortlichen, auf seinen Willen antwortenden Handeln ermächtigten Menschen, der dabei immer wieder scheitert und doch aufgefordert bleibt. Hier kommt das zentrale Element des dialogischen Denkens Bubers in seinen biblischen Interpretationen zum Ausdruck. In seiner Schrift »Die Erwählung Israels« greift Buber diese Geschichtsauffassung der Bibel vor dem Hintergrund des Bundes Gottes mit Israel noch einmal auf und bezieht das Zwiegespräch, das zwischen Gott und Israel stattfindet, jetzt auch auf die gesamte Menschheit. Buber spricht dort von dem »großen Zwiegespräch zwischen Gott und Menschheit, das Geschichte heißt« (ebd., S. 105). Die weiteren Reflexionen Bubers in dem vorliegenden Text sind im weiteren Kontext seiner Arbeiten zu verorten, in denen er in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren seine theopolitische Vision der Geschichte Israels entwickelte (vgl. dazu die Einleitung von Samuel Hayim Brody, in MBW 15, S. 13-34), darunter seine ausführlichen Überlegungen aus dem Jahr 1928 im Rahmen »Arbeitsgemeinschaft zu ausgewählten Abschnitten aus dem Buche Schmuel« (jetzt in: MBW 15, S. 46-91) sowie sein Kommentar Königtum Gottes (jetzt in: MBW 15, S. 93-276) und die 1938 verfasste, Fragment gebliebene Schrift Der Gesalbte (jetzt in: MBW 15, S. 277-379). Auf dem Hintergrund seines dort zugrunde liegenden theopolitischen Geschichtsverständnisses unterscheidet Buber in »Biblisches Führertum« fünf Grundformen biblischen Führertums, die für verschiedene Stadien und Situationen in der Geschichte des jüdischen Volkes stehen: 1) die Patriarchen, die im Grunde noch keine Führer sind, sondern deren Rolle in Gottes Menschheitsplan in der »Zeugung« des erwählten Volkes besteht, darunter vor allem Abraham, der die Berufung Israels zum Segen der Menschheit verkörpert (vgl. auch den Text »Abraham der Seher« in diesem Band, S. 114-131), und Isaak, in dessen »beinahe Getötetwerden« die Erwählung auf paradoxe Weise auf dem Spiel steht (in diesem Band, S. 64, vgl. den Text »Die Opferung Isaaks«, ebd., S. 577-580); 2) der Führer im ursprünglichen Wortsinne, d. h. Mose, der das Volk aus der Knechtschaft herausführt

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und dessen Tod vor der Landnahme zu den Stationen des Scheiterns zählt (zu Bubers Interpretation dieser Figur vgl. den Einzelkommentar zu Moses in diesem Band, S. 979-1003); 3) die Richter, deren Versuch der Etablierung einer »naiven, primitiven Theokratie« (in diesem Band, S. 66; vgl. MBW 15, S. 86 ff. Bubers Unterscheidung zwischen der »Theokratie der Einfalt« bei den Richtern und der »Theokratie der Reflexion« in der nachexilischen Epoche), d. h. einer antimonarchischen Gemeinschaft unter der reinen Königsherrschaft Gottes, ohne menschliche Herrschaft, die allerdings immer wieder an der Haltung des Volkes scheitert (vgl. auch MBW 15, S. 74 ff.); 4) seit der Zäsur des Richtertums Samuels (vgl. MBW 15, S. 282 ff.) und der von Gott zugelassenen »Königssalbung« Sauls (vgl. MBW 15, S. 295 ff.) die – seit David dynastische – Geschichte der gesalbten Könige, die ein neues Stadium des göttlichmenschlichen Zwiegesprächs darstellt, in dem sich die Verantwortung und das Versagen auf die Seite der Führer anstatt der Geführten verlagert – eine Geschichte, auf die Buber das Problem der Religionen und der Geschichte insgesamt zurückführt: »Wie hält der Mensch dem, was hier Salbung genannt wird, stand?« (in diesem Band, S. 66; vgl. MBW 15, S. 80 ff. und S. 295-351); und schließlich 5) die Propheten, Verkörperung des »geschichtswidrigste(n)« Typus des Führers (in diesem Band, S. 66), insofern sie sich – vergeblich und scheiternd – gegen die menschlichen Herrscher und das Volk wenden. Ein besonderes Augenmerk legt Buber dabei auf diesen letzten Typus und auf die Rolle des Gottesknechts in Jes 53, dessen Leiden er als »Eingetansein in die Erfolglosigkeit, in das Dunkel« charakterisiert (ebd., S. 63). In der im Medium dieser Grundformen des biblischen Führertums gedeuteten Geschichte nicht allein des Weges Israels zwischen beständigem Scheitern und immer wieder neuen Antwortversuchen im Zwiegespräch mit dem erwählenden Gott, sondern auch der »Enttäuschungen Gottes« (ebd., S. 64) wird klar ausgesprochen, worin der Philosoph den Ursprung und das Wesen des Messianismus erblickt. Diese messianische Hoffnung, in der das äußere Geschehen, das gewöhnlich als Geschichte bezeichnet wird, und das darin verborgene Geschehen des Weges Gottes durch die Menschheit miteinander verschmelzen, wurzelt in der Hoffnung auf »den Gesalbten, der die Salbung erfüllt«, auf das wahre Zwiegespräch und das Ende der »Enttäuschungen« (ebd., S. 66). Das aber ist, wie Buber eindringlich betont, kein jenseitiges, überirdisches, allein von Gott abhängiges, sondern ein irdisches, menschliches Geschehen. Messianische Hoffnung richtet sich auf das, was Gott von der Menschheit und zuerst von Israel erwartet: »daß aus dem Menschentum selbst das Wort, das mit dem Wesen gesprochene Wort komme, das dem Wort Gottes

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erwidert.« (Zu Bubers Verständnis des Messianischen im Kontext seiner Konzeption der Theopolitik vgl. seinen Essay »Das messianische Mysterium«, in: MBW 15, S. 37-45.) Die biblischen Führer sind in ihrer ganzen Unvollkommenheit »Entwürfe des dialogischen Menschen« (in diesem Band, S. 67) und gerade als solche Gegenentwürfe gegen das in der äußeren Geschichte von Macht, Herrschaft und Erfolg zutage tretende tiefe Versagen. Dieses stellt Buber zufolge eine andere, verheerendere Form des Versagens als das der im Dialog immer wieder scheiternden biblischen Menschen dar, nämlich das »sich dem Dialog Versagen, das in den Dialog nicht Eintreten« (ebd., S. 68). Als Buber seinen Vortrag von 1928 im Jahre 1933 in der Sammlung Kampf um Israel veröffentlichte, war dies für jene, die diese theologische Botschaft zu vernehmen vermochten, eine deutliche Zeitansage, der biblisch-prophetische Protest gegen das Geschichts- und Gegenwartsverständnis einer vom Konzept der Macht besessenen menschenfeindlichen Ideologie des nationalsozialistischen Führerkults. In seinem Essay »Geschehende Geschichte«, den Buber am 11. August 1933 in der Zeitschrift Jüdische Rundschau publizierte, ist die Transparenz seiner theologischen Geschichtsdeutung für die Gegenwart noch deutlicher zu greifen. In der Unterscheidung zwischen der vorherrschenden Betrachtung der Geschichte »von oben«, als deren Maßstab die – durch Gott ermächtigte – Erringung der Macht und der geschichtliche Erfolg gelten, während die »Besiegten, die Unmächtigen« als bloße Folie erscheinen, und des Verständnisses der Geschichte »von unten«, das die Geschichte als dialogisches Geschehen zwischen den Menschen und Gott beschreibt, in dem gerade der sich nicht Durchsetzende »die rechtmäßigere Antwort gibt und in der Verborgenheit eine unscheinbare, unerkannt bleibende Bestätigung empfängt«, kommen Widerspruch gegen das Prinzip der Macht, Protest gegen den Missbrauch von Macht und Trost für die unter diesem Missbrauch Leidenden eindrucksvoll zur Sprache: »Hier ist einer, der Macht ausübt; und da ist einer, der diese Machtausübung erleidet; wie, wenn er eben dies um Gottes willen leidet? Gibt es nicht ein Leiden, das von Gott geliebt wird? Ja, heißt es nicht, daß seiner Schechina selber, die durch die Geschichte wandelt, das Dunkel und das Leid der Galut, der ›Verschleppung‹, widerfährt? Gottes Geschichtsweg ist nicht überschaubar wie das Geschichtlein der Geschichtsschreiber. Nicht die Allmacht bloß, auch das All-Leid ist Gottes.« (Martin Buber, Geschehende Geschichte. Ein theologischer Hinweis, jetzt in: MBW 15, S. 277-280, Zitate S. 277 ff.) Das Thema des biblischen Führertums nahm Buber auch am 25. April 1938 in seiner Antrittsvorlesung »Die Forderung des Geistes und die ge-

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schichtliche Wirklichkeit« (jetzt in: MBW 11.2, S. 9-21) an der Hebräischen Universität in Jerusalem noch einmal auf (vgl. seine Selbstaussage in »Preface« zu Israel and the World, in: MBW 20, S. 170). Textzeugen: TS1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 38a); 24 lose, paginierte Blätter; Blatt mit Seite 12 ist in der Mitte durchgeschnitten und liegt somit in zwei Teilen vor. Der Titel wurde handschriftlich ergänzt, ebenso der Datumsvermerk, der von der Angabe im Druck abweicht »(Vortrag in München, 1927)«. Das Typoskript ist zweischichtig: TS1.1: Grundschicht. TS1.2: Überarbeitungsschicht: zahlreiche Streichungen und Korrekturen von Bubers Hand mit Bleistift. Die Überarbeitungsschicht konstituiert die Vorlage für den Druck. D1: Kampf um Israel. Reden und Schriften, 1921-1932, Berlin: Schocken 1933, S. 84-106 (MBB 459). D2: Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich: Manesse 1953, S. 148-166 (MBB 919). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Biblical Leadership, übers. von Greta Hort, in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken S. 119-136 (MBB 786); 2. Aufl. 1963 (MBB 1215); übers. von Greta Hort, in: Biblical Humanism. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, S. 137-150 (MBB 1310) und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 137-150 (MBB 1316). Hebräisch: Manhigut sche-ba-miqra, in: Teʿ uda we-ji’ud, Bd. 1: Maʾ amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 157-168 (MBB 1135); in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse-signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 123-134 (MBB 1260). Variantenapparat: 58,2 Dieser Vortrag ist 1928 in München gehalten worden] Vortrag in München, 1927 TS1.2 Vortrag, München 1928 D2 58,3 Ich denke] davor zusätzlicher Absatz in TS1.1, in TS1.2 gestrichen Meine Damen und Herren! Ich finde in dem Programm dieses Zyklus, das mir heute Abend überreicht worden ist, meinen Vortrag betitelt »Köpfe der Bibel«. Das ist nicht der Titel, den ich angegeben

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hatte, und ich muss es berichtigen, weil es sich nicht um Gleichgültiges handelt. Ich hatte mich bereit erklärt, zu Ihnen zu sprechen über »Biblische Führer«, und an diesem Titel sind mir beide Worte, aus denen er besteht, gleich wichtig. Es geht mir um Führer, um Führertum und es geht mir um biblische Führer, um biblisches Führertum, d. h. um eine eigentümliche Art von Führer und Führertum, die in der Bibel und, wie mir scheint, nur in der Bibel – ich meine damit das Alte Testament –, nur in dem sogenannten Alten Testament dargestellt ist. TS1.1 58,4-8 Das wäre […] Menschen in Situationen] Ich glaube, dass das ein überflüssiges Unterfanden ist, weil es ja nicht wie sonst, wenn man von Charakterbildern spricht, darum geht, aus verschiedenen Texten, aus verschiedenen Quellen eine gemeinsame Struktur zu bilden, das herauszulösen, die Elemente herauszulösen, die zusammen ein Bild ergeben, sondern es geht ja nur um diese eine, einzige Quelle, die wir haben, es kann sich nur um einen Hinweis auf sie handeln. Dann aber glaube ich, ist es ein unmögliches Unterfangen, Charakterbilder biblischer Menschen zu geben; denn der Bibel geht es nicht, und zwar in allem Ernst geht es ihr nicht um Charaktere, es geht ihr auch nicht um Individualität, und man holt aus ihr keine Charaktere und keine Individualitäten heraus, weil sie sie nicht zeichnet, sie nicht beschreibt, sie nicht berichtet, sondern etwas anderes, nämlich Menschen in Situationen, Menschen, einfach Menschen TS1.1 58,12-13 Bericht] Bericht, von dem, was uns die Bibel sagt, erzählt, TS1.1 58,13-14 Bild, auf geschichtliche Daten] Bild, zurückzugehen hinter diese – wie man etwa wohl sagt – Mythen oder Sagen, in welcher Form eben die Bibel, wie man meint, berichtet, zurückzugehen auf geschichtliche Daten TS1.1 58,26 wirkliche Erinnerungen] Erinnerungen TS1.1 58,26-27 Was für eine Art […] ausspricht?] Vergegenwärtigen wir uns, um was für eine Art von Gedächtnis es {sich handelt TS1.1 geht TS1.2}, dessen Ausdruck diese Berichte sind! TS1.1, TS1.2 58,35 ansehen, wie der eine und wie der andere] ansehen – soweit es uns vergönnt ist, dies anzusehen –, wie dieser Mensch TS1.1 58,36 Erzähler] Erzähler, der grosse Dichter TS1.1 58,37 gläubig] gläubig, glaubend – wie Sie wollen – Gott oder seinem Gedächtnis TS1.1 59,2 in der Unwillkürlichkeit] in der Spontaneität, in der Unwillkürlichkeit TS1.1 59,8-9 anzufangen] damit anzufangen D2 59,12 Gebild] Bildung TS1.1

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59,13 organisch-bildnerischen Gedächtnisses] organisch-bildnerischen, unwillkürlichen Gedächtnisses TS1.1 59,16-17 das »ausschmückten«, was geschehen ist] – wie man sagt, ausspinnend, ausschmückend das, was geschehen ist, oder wie man es sonst bezeichnen mag TS1.1 59,21 vollzieht] geschieht, als berichtend, bildend, das hinausstellend, was da ist TS1.1 59,24 können wir] können wir, wie mir scheint, TS1.1 59,25 Die Mächtigkeit] Die Macht, die Mächtigkeit, die organische Mächtigkeit TS1.1 59,25-26 die aus diesem bildnetischen Gedächtnis stammende] die auf dieses bildnerische Gedächtnis zurückgeht TS1.1 59,28-29 umrißlos, bedeutungslos] belanglos, umrisslos, sie wäre unbildhaft, gestaltlos, sie würde für uns keine Bedeutung haben, es sei denn die Bedeutung, auf die ich schon hingewiesen habe, die Geschichtlichkeit der Urvorgänge zu erhärten TS1.1 59,30 sonstigen sakralen] allen anderen TS1.1 59,41 Königen] Königen (oder mit deren Marodeuren) D2 60,1 geschichtlicher Charakter] Geschichtlichkeit TS1.1 60,4 Geschichte] Geschichte, von Völkergeschichte TS1.1 60,4 gewohnt sind] gewohnt sind, Geschichte zu lesen und Geschichte unter Umständen selbst zu treiben TS1.1 60,6 »Vater«] Vater, wie man gewöhnlich sagt, Patriarchen TS1.1 60,9 Mose und stellen Sie sich vor] Mose. Ich vermute, dass es sich doch um eine eingermassen quantité negligeable für die Ägypter gehandelt hat; aber wenn es auch nicht so wäre, wenn für sie in ihrer Geschichte etwa dieser Vorgang dieses Auszugs eine grössere Bedeutung gehabt hätte, stellen Sie sich vor TS1.1 60,11 nichts Eigentliches übrig] nichts übrig TS1.1 60,12 Person steht] Person steht, und es geht uns nicht mehr an, als wie gesagt noch einmal die Geschichtlichkeit, jenen Kern, um den sich die Handlung des bildnerischen Gedächtnisses kristallisierte, zu beleben TS1.1 60,16 ihrer Geschichtskonzeption] i h r e r Geschichtsschreibung, i h r e r Geschichtskonzeption TS1.1 60,18 gewohnt sind] gewohnt sind, denn diese Handlung des Gedächtnisses, deren Ergebnis die Bibel ist, steht, wie ich sagte, unter einem Gesetz, eben unter diesem besonderen Geschichtsgesetz, allen anderen Geschichtsgesetzen unähnlich, so sehr, dass ich nicht weiss, ob man dies und jenes Geschichte nennen soll TS1.1 60,20-21 sind wir, aus der ist das Judentum] ist Israel D2

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60,22 Wenn ich nun] Wenn ich nun im einzelnen von diesem biblischen Führertum sprechen will, so möchte ich zunächst eine Ausschaltung vollziehen. Wenn ich nun TS1.1 60,22 Wesen des biblischen Führertums] spezifisch biblischen Führertum TS1.1 60,37-38 Es sind] Ich hoffe, dass ich das jetzt nicht mehr zu erklären brauche, dass das deutlich ist. Es sind TS1.1 60,40 religiösen Bindungen] Bindungen TS1.1 61,3 Vollzug] Vollzug, der Vollzug TS1.1, TS1.2, D2 61,4-5 Jünger, einem Nachfolger] Nachfolger, einem Schüler TS1.1, TS1.2 61,10 verweist ihn Gott, wie er Mose verwiesen hatte] so wie zu Mose gesagt wird TS1.1 61,12 bringen«. Das Werk wird] führen«, sondern die Handlung TS1.1 61,14 zu Ende zu führen] zu Ende zu führen, was eigentlich in der Intention das Werk des ersten war TS1.1 61,15-16 die Erwählten] die Berufenen, die Erwählten TS1.1 61,23 beide so] beide so deutlich aus Gott TS1.1 61,25-27 Geschichte. Beide sind […] beide hinweg] Geschichte, die also beide aus Gott sind, über die nun aber das biblische Geschehen, d. h. über die nun – so meint es die Bibel, so sagt sie es – Gott hinweggreift, handelnd, geschehen lassend, TS1.1 61,34 Von der Natur] Die Gesetze der Natur fordern, wie wir den Gang der Natur aufzufassen gewohnt sind, also als ein Geschehen der Natur für sich selbst, als ob es Gott nicht gäbe – nur so betrachten wir Natur, nur so betrachten wir auch Geschichte, nicht anders betrachtet die Naturwissenschaft notwendigerweise, nicht etwa willkürlich die Natur und so betrachtet die Geschichtswissenschaft die Geschichte –, ich sage, von der Natur TS1.1 61,34 die Starken] die Starken, die Kräftigen TS1.1 61,36-37 die jüngeren Söhne] die jüngeren Söhne – ein sehr beredtes Zeichen – immer wieder von Anfang an, nicht wahr TS1.1 61,39-41 unecht geboren […] seine Kraft] oder sie sind von geringem Stand, oder sie sind aus schlechter Geburt, wie etwa Jephtah u. s. f. Die einzige Ausnahme, so weit ich sehe, die man von einem Starken, leiblich Starken etwa anführen könnte, ist Simson, und das ist eine ganz besondere, eigentümliche Problematik, in der er steht; denn Sie wissen, seine Kraft ist eben ganz und gar TS1.1 61,40 usf.] fehlt D2 62,7 getan hat: er hat] getan hat, d. h. die Bibel lässt es ihn von ihrem Führertumsbild aus tun. Er hat TS1.1

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62,10 Es ist stets das Gleiche] Es ist beide Male bei dieser Erwählung, bei dieser Art der Vollziehung eines Auftrags das Gleiche TS1.1 62,11 nicht mit der Kraft,] fehlt D2 62,14 »mit dem Wehen von mir aus«] »mit dem Wehen«, »mit dem Brausen von mir aus« TS1.1 62,14-15 von mir aus […] von mir aus] von mir her […] von mir her D2 62,14-15 sich von mir aus bewegt] von mir aus geschieht TS1.1 62,16-18 Daß die Führer […] »wider die Geschichte«] Also das Eine ist, dass die Führer zumeist Schwache, Geringe, in der einen oder anderen Weise sind. Das Andere ist, dass das, was sie tun, sehr unähnlich dem ist, was in der Geschichte gilt TS1.1 62,19 bestimmt von dem Moment] bestimmt von einem Moment, ja, manche Geschichtsschreiber würden es vielleicht nicht zugeben mögen, aber es scheint mir doch so zu sein –, bestimmt von dem Moment TS1.1 62,19-20 Die »Weltgeschichte«] Geschichte TS1.1 62,21-22 sichtbaren Heldentums […] werden können] etwa ihres Heldentums, ihres sehr sichtbaren, sehr anschaulichen Heldentums wegen in die Geschichte aufgenommen werden TS1.1 62,24 »Weltgeschichte« behandelt] Geschichte traktiert TS1.1 62,27-30 Kern der Historie […] dem Geschehen] Geschichtsschreiber, der Geschichte geht es um die Sieger. Wenn sie »Helden« sagt, meint sie die sich Behauptenden, die ihre Sache Behauptenden, Durchsetzenden, die Erfolgreichen. So die Geschichte der Geschichtsschreiber, die geltende Geschichte, die wir mit der Geschichte selbst, d. h. mit dem Geschehen TS1.1 62,30 mit dem Geschehen,] fehlt D2 62,31 der Welt] fehlt D2 62,32 Auswahl] Auswahl der berichteten Vorgänge TS1.1 62,35 Erfolges] Erfolges, des siegreichen Heldentums TS1.1 62,35-37 sie ist in Pflicht […] zu melden] sie liebt es – ja, das ist vielleicht ein zu sehr auf Willkür deutbares Wort –, nein, sie muss, sie ist in Dienst, in Pflicht genommen, wenn sie irgend den Erfolg berichtet, zugleich von Erfolglosigkeit zu berichten TS1.1 62,41 Erfolglosigkeit] Erfolglosigkeit, eine Erfolglosigkeitsgeschichte TS1.1 63,1 seines Erfolges] dieses sogenannten Erfolges TS1.1 63,2 ein Versagen] eine Erfolglosigkeit TS1.1 63,5 Führung ist nicht] Führung, d. h. der Vorgang Augenblick nach Augenblick, Monat nach Monat, Jahr nach Jahr, wenn wir uns wirk-

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lich vorstellen, wie es zugegangen ist, die wirkliche Geschichte ist nicht TS1.1 63,14 vielfältige Erzählung] grossen Geschichten TS1.1 63,15-16 und ihrem profan-geschichtlichen Gewicht] fehlt TS1.1 63,17 breit ausgemalte] lange, ungeheure TS1.1, TS1.2 63,20 »Weltgeschichte«] Geschichte TS1.1 63,26 Verherrlichung] – ich möchte beinahe sagen – Verherrlichung TS1.1 63,28-30 zu kämpfen […] von ihnen] so stehen sie ihrem Volk gegenüber, sie reden, sie kämpfen und sie siegen nicht, sie bezwingen das Volk mit ihrer Rede nicht, wie so schliesslich einer TS1.1 63,32 Ich-Person den »Knecht Gottes«] Ich-Person, also in einer eigentümlichen Verbindung mit der eigenen Erfahrung, den sogenannten Knecht Gottes TS1.1 63,33-35 »Er machte […] verborgen doch!«] »Er hat mich einem scharfen Schwert gleichgemacht und dann hat er mich im Schatten seiner Hand versteckt, er hat mich zu einem blanken Pfeil gemacht und dann hat er mich in seinem Köcher verborgen.« TS1.1 63,34 versteckt doch!] versteckt! D2 63,35 verborgen doch!] verborgen! D2 63,36 führerischen] prophetischen TS1.1 63,37 in der biblischen Welt] fehlt TS1.1 63,39-40 steht. Im Dunkel wird […] ihrem Werk] steht, dahinein wird dennoch im Dunkel die Wahrheit namenlos, die Wahrheit verborgen und dennoch an einem Werk wirken TS1.1 63,41 Weltgeschichte als das Wirkende] Geschichte TS1.1 63,41 preist] verherrlicht TS1.1 64,9 versucht; die Geschichte] versucht und je und je ein paar Worte der Antwort stammelt und dann doch wieder im Versagen, im Nichtantwortenkönnen versinkt. Wenn Sie wollen, die Geschichte TS1.1 64,12 ja, der Weg Gottes] ja, vielleicht dürfen wir mit dem Worte Jesu sagen ἡ ὁδός τοῦ ϑεοῦ TS1.1 64,14 Zwiegesprächs] Zwiegesprächs, dieser Geschichte TS1.1 64,15 ursprünglichen Sinn] eigentlichen Sinn, im eigentlichsten Sinn, d. h. der wirklich Führende in dem Raum TS1.1 64,18-19 Urgesalbte] urgesalbte König TS1.1 64,22 Begriff] Ausdruck TS1.1 64,30 Kommen des Reichs] Werden des Reiches, der Herrschaft Gottes TS1.1 64,35 Geschichte] Erzählung D2 64,36 Patriarchenerzählung] Patriarchengeschichte D2

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64,37-39 Die Paradoxie […] dargestellt.] hDie Paradoxie […] dargestellt.i D2 64,39 dargestellt] charakterisiert TS1.1 64,39 Geschichte] Erzählung D2 64,41-65,1 zur Verfügung stehenden] Gott zur Verfügung stehenden TS1.1, TS1.2, D2 65,1-2 im Auftrag] im Auftrag Gottes TS1.1 65,4 bekommt] erhält D2 65,4-5 ursprünglichen] eigentlichsten TS1.1 65,6-7 der Handlung, die Gott ausspricht] das, was Gott sagt TS1.1 65,7-8 Adlerflügeln […] kommen zu mir«] Flügeln der Adler und brachte euch zu mir« menschlich ausführt, der eben dieser Handlung menschlich, TS1.1 65,9 Von seiner […] gesprochen. Aber in ihrer Mitte] Und nun geschieht es, das Volk wird eben durch die Wüste – ich habe schon angedeutet, was das für ein Weg ist –, durch diese ungeheure, grausame, ungeheuerliche Prüfung, durch den Tod hinübergeführt. Es nimmt das Land in Besitz und es wird nun deutlich, um welches Werk es sich handelt. In der Geschichte jenes Führers, in der Geschichte Mose steht in der Mitte TS1.1 65,13 Er in Weltzeit und Ewigkeit] er alle Ewigkeit TS1.1 65,14-15 hat aus der gemein-semitischen] hat das, was alle, was sehr viele semitische und wohl alle westsemitischen Völker gemeint haben, dass sie den Gott als den eigentlichen König des Volkes ansehen, den Melech – die Bibel sagt mit einer bestimmten Schandvokalisation Molech, aber es ist eben der König –, dass sie den König als Führer, als den, der die Wanderungen und Eroberungen des Volkes befehligt, dass sie diesen Gott als König benennen, an König ansehen. Ich sage, dieses Volk hat daraus, aus dieser gemein-semitischen TS1.1 65,15-16 des Gotteskönigtums, […] worden war,] hdes Gotteskönigtums, […] worden war,i TS1.1 65,16-17 gebildet. Um sie ist es seinen Führern] gemacht, es proklamiert Gott in Wahrheit zum König, es macht Ernst mit dieser gemeinen semitischen Ueberlieferung TS1.1 65,18 »Geschichtswidrige«] geschichtlich völlig Unzulässige, Geschichtswidrige TS1.1 65,21-22 an den Beispielen […] gezeigt wird] in diesem Buch immer wieder, am allerstärksten an den Beispielen, die im letzten Kapitel dieses Buches gegeben werden, erzählt wird TS1.1 65,24 Versuch] ungeheuren Versuch TS1.1 Realisierungsversuch D2

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65,26 von dem Verwirklichenwollen] von diesem Geschichtsbewusstsein, das ich meine, von diesem Geschichtsbefehl, den ich meine, von diesem Standhalten, diesem Gehorchen, von dem Verwirklichen TS1.1 65,28-29 Immer wieder […] Gott ab] Immer wieder tut das Volk das, was die Bibel nennt Abfall von Gott; nicht zu anderen Göttern, sondern zu einer anderen Art von Dienst. In Wahrheit ist das, was die Bibel Götzendienst nennt, nicht ein Dienst an falschen Göttern, sondern eine falsche Art zu dienen. Ich kann es hier nicht näher ausführen, wie sich das verhält. Aber der Baal und Moloch und alle diese sind immer nur Bezeichnungen für den wirklichen Gott, dem man eben auf die falsche Art, auf die Art der Völker dienen will, gerade so, wie das goldene Kalb eine Darstellung des Gottes sein soll, der aus Ägypten geführt hat. / Ich sage nun, das Volk fällt in der Sprache der Bibel immer wieder von Gott ab TS1.1 65,29 können es] können das, ebendasselbe D2 65,30 , es ist ein und dasselbe] fehlt D2 65,31 keiner Herrschaft] keiner andern Herrschaft D2 65,32 errichten] bilden TS1.1 65,33-34 Freiwilligkeit zu errichten, mißglückt] Freiwilligkeit, eine wirkliche Menschengemeinschaft auf reiner Freiwilligkeit zu erbauen, zerbricht TS1.1 65,35-66,1 erfolgt nun […] zu Gott umgekehrt] fällt nun einer der Feinde, fällt eines der Völker, immer wieder ein anderes der benachbarten Völker, ein und das Volk, das geschichtlich betrachtet zerfallene, uneinige, in Stämme zerfallene Volk hält nicht stand, wird unterjocht. Und nun geschieht das, was das Buch der Richter nennt das Aufschrein zu Gott, die Unterwerfung unter den Willen Gottes, der erneute Wille zu Gottes Herrschaft. Da geschieht nun von neuem ein Auftrag Gottes, da ist ein Führer da, ein Führer, den der Geist ergreift, wie er Mose ergreift, mit einem Auftrag. Dieser Führer hat immer einen bestimmten Auftrag, die eine Befreiungstat, nichts anderes – es ist keine Herrschaft – ist der Führer oder, wie man gewöhnlich übersetzt, Richter. Aber der Schofet ist kein Richter in unserem Sinn, sondern der Schofet ist ein Rechtschaffer, d. h. der, der dem Volke das ja nun, nachdem es zu Gott zurückgekehrt oder richtiger umgekehrt TS1.1 66,4-5 des Richterbuches] dieser Rhythmus ist der dieses einzigartigen Buches TS1.1 66,7 des Versagens] des Unmöglichen, des Versagens TS1.1 66,10-12 defilieren in einer […] Fabel Jotams] defilieren zuweilen von einer offenbar polemischen Tendenz aus und diese antimonarchische

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Tendenz gipfelt in jener klassischen Fabel Jotham, von den Bäumen, die sich einen König suchen und die an die einzelnen Nutzbäume herantreten und sie auffordern, das Königtum anzunehmen, aber der Feigenbaum oder der Weinstock antworten ihnen: »Ich habe ja doch mein Werk, ich werde doch nicht so ein unnützes Zeug auf mich nehmen«, denen dieses sogenannte Königtum über den Bäumen zustand. Diese überlegene Ironie, mit der diese Fabel nicht geschrieben, sondern gesagt ist – denn wenn irgendwo, spürt man hier durchaus die Gesprochenheit des Wortes, dem das geschriebene Wort erst spät folgt – zeigt deutlich, von welchem Geist diese Geschichtschreibung bestimmt ist. TS1.1 66,10 geschrieben] verfaßt D2 66,12 in seinen Schlußkapiteln muß das Buch] die Erfahrung, dass es so nicht geht, wird zugleich immer stärker und das Buch selbst muss es TS1.1 66,14-15 Und so […] Königtum gefordert.] Und so entsteht dann – im Buche selbst vorgebildet in der Geschichte Abimelech’, des Sohnes Gideons, der sich von den Sichemiten zum König ausrufen lässt und an dem dann der Fluch Jothams in Erfüllung geht, wo das Volk den König und der König das Volk verzehrt, – ich sage, darin vorgebildet, dann unter Samuel gefordert das Königtum TS1.1 66,16-18 So wird denn […] eine Verwandlung] Jede Enttäuschung führt weiter. Jede Enttäuschung ist die Hülle um eine Bewegung, um einen Schritt auf dem Weg, wenn ich es so ausdrücken darf. Und so wird dieses Königtum, das vom Volk gefordert wird, von dieser geschichtsbestimmenden Kraft ergriffen und eingeheiligt und durch die Salbung des Königs wird nun der König zu dem Träger eines Auftrags, so sehr, dass in der Salbung eine wirkliche Verwandlung TS1.1 66,20-21 statthalterischen Auftrags] Auftrags TS1.1 66,24 Das Königtum] Zwischen dieser Verwerfung und einer Akzeptation des Königs durch Gott, wie sie die Bibel an keiner Stelle berichtet, gibt es dann die Abstufungen des Königtums, wie es von David an erzählt wird. Das heisst, das Königtum TS1.1 66,25 Versuchens und Versagens] Versagens TS1.1 66,29 – ein Urproblem] – der nicht der Mensch ist, der in der Salbung gemeint ist – ein Urproblem TS1.1 66,30-31 große Geschichte] grosse Geschichte, alles Grosse innerhalb der Religionsgeschichte TS1.1 66,32 stand?] stand? Gibt es denn, wie es das Christentum ausdrückt, einen sündenfreien Menschen? Aber Sünde ist, scheint mir, ein zu kleiner Begriff, um dieses auszudrücken; denn hier haftet noch der

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Maßstab der sittlichen Vollkommenheit und Unvollkommeneit an. Es geht hier um Grösseres als um sittliche Vollkommenheit und Unvollkommenheit. Dem Auftrag standhalten, die Salbung verwirklichen mit seiner Person ist etwas Grösseres, als was mit sittlichem Maßstab gemessen werden kann. TS1.1 66,33 Die Geschichte] Wie ist nun die Geschichte der Könige? Die Geschichte TS1.1 66,35 Messianismus] Jesuismus TS1.1 66,35 erfüllt] erfüllen wird D2 66,36 erfassen] verstehen TS1.1 66,39 eingesetzt] gestellt TS1.1 66,40-41 das, was das Volk sein geschichtliches Leben nennt] alles, was nun in dem Leben dieses Volkes Geschichte heisst, gegen den Staat, gegen die Völker, geradezu gegen das Leben des Volkes TS1.1 67,1 gebe dich zur ehernen Mauer wider all das Land] habe dich zur festen Mauer wider das Volk gemacht TS1.1 67,2 Machthaber, sondern] Machthaber, gegen den König, zu dem er so redet wie Elia zu Ahab und wie noch Jeremia zu einem nach dem andern der Könige, die er erlebt hat; nicht bloss gegen aller Machthaber, sondern TS1.1 67,10 sammeln sich dann in jenem Bild] das mündet dann in jener Konzeption TS1.1 67,11-12 der Intention Gottes willen, einem Bild] Gottes willen TS1.1 67,16 gestaltet] ausbaut TS1.1 67,18 erwidert] erwidert, unter vollkommener Wahrung der Diesseitigkeit TS1.1 67,20-22 Menschheit. Eben dies […] vorstößt.] Menschheit unter den Gesetzen, unter denen sich unser Leben vollzieht. Und dennoch eine Erfüllung, dennoch eine Antwort. TS1.1 67,23 wirklichen] erfüllenden D2 67,25 apokryphes Evangelienfragment] gnostischer oder halbgnostischer Evangelientext in dem sogenannten Hebräerevangelium TS1.1 67,26 erwartet] gesucht TS1.1 67,27 Ausgestaltung] Ausgestaltung nicht einer griechischen oder einer hebräischen, wie man wohl meint, sondern TS1.1 67,29-30 Der biblischen Frage […] Führer sind] Ich betone nun noch einmal, es geht bei diesen Führern nicht um sittliche Vollkommenheit, es geht um etwas anderes, dem das Sittliche untertan ist. Es geht um Skizzierung, Skizzen TS1.1 67,36-37 die mit Ergebung endende Wehr] Protest ist wie die Gegenwehr TS1.1

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67,39-40 oder ob es […] Gott kennen] fehlt TS 67,41-68,2 unvollkommenes Eintreten […] Alles Geschehen] unvollkommenes, versagendes Eintreten, aber dennoch sich nicht entziehend, dennoch in dieser Welt des Dialogs stehend. Das bedeutet noch Tieferes als ein Reden mit Gott, es bedeutet die wirkliche Dialogik, d. h. dass das Leben, das Geschehen TS1.1 68,3-4 als Zeichen, was der Mensch zu tun versucht] als Zeichen erfahren wird, als Sprache, was der Mensch zu tun versucht TS1.1 68,4-5 Versuch und Verfehlen] Versuch oder Nichtversuch TS1.1 68,5-6 stammelnde Versuchen der Verantwortung] Sagen oder Unterlassen einer Antwort oder als das stammelnde Versuchen der Antwort, der Verantwortung TS1.1 68,9-10 verantworten, das ihnen Aufgetragene] verantworten, als sie handelnd, lebend erwidern, als sie das was ihnen aufgetragen ist TS1.1 68,12-13 verdeutlichen. Fast immer] deutlich machen. Man kann nicht sagen, dass alle Züge gemeinsam sind, aber fast immer TS1.1 68,18 räumliche] wirkliche TS1.1 68,19 Einsamwerden] Abgeschnittenwordensein, ein Einsamgewordensein TS1.1 68,29-30 letzte Form dieser Problematik. / Aber diese] endgültige Form dieses ungeheuren Gegensatzes dieser Problematik. Und diese Entwicklung, wenn Sie wollen, diese Entfremdung – nein, doch nicht Entfremdung, sondern diese aufgetane TS1.1 68,36 nur die Außenseite der Wirklichkeit. Sie ist das große] ein Schein. Es ist das Versagen TS1.1 68,41-69,1 diese Flächenwirklichkeit […] verkündigt] diesen Schein immer deutlicher, in der Prophetie am allerdeutlichsten, endgültig und sagt TS1.1 69,2 Reich] Reich, der wirkliche Weg des lebendigen Menschen TS1.1 69,3 Erfolglosigkeiten] Erfolglosigkeiten und Verborgenheiten TS1.1 69,8 die Geschichte […] registrieren kann] von der Geschichte nicht registriert wird und nicht registriert werden kann D2 69,10-11 Namen, das heimliche Wirken] Namen, nicht auf ihn zurückführbar und dennoch von ihm getan, zum unheimlichen Wirken TS1.1 69,13 äussere Geschichte] Scheingeschichte TS1.1 69,14 Außengeschichte] Scheingeschichte TS1.1 69,14 Innengeschichte] wirkliche TS1.1 69,17-18 , wie der Sinn […] erfüllt] dass also der Sinn […] ausdrückt TS1.1 fehlt D2 1.1

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Wort- und Sacherläuterungen: 58,12-59,36 Aber es kann sich […] ich heute handle, klarzumachen.] Bubers Ausführungen zur Geschichtlichkeit der Bibel, so wie er sie versteht: als das Resultat eines »organisch-bildnerische[n] Gedächtnis[ses]«, als ein Mythus, der »um einen Erinnerungskern, um einen Kern organisch-bildnerischen Gedächtnisses« entstanden ist, legt er viele Jahre später noch einmal im ersten Kapitel seines Moses-Buches, »Sage und Geschichte«, teilweise mit denselben Worten (»organisch-bildnerisches Gedächtnis«) ausführlicher dar. Dort spricht Buber vom »Geschichtswunder«, das »gesehen«, nicht interpretiert wird, vom »ereignisnahen Kern der Sage« und von »echte[r] Geschichtssubstanz«, die den gewaltigen Vorgängen zugrunde liege, denen das Volk Israel in den biblischen Erzählungen begegnet und die es nur als das Walten übernatürlicher Mächte begreifen kann; die Erzählungen der Bibel seien nicht als »Historisierung des Mythos«, sondern genau umgekehrt als eine »Mythisierung der Geschichte« zu bezeichnen, wobei Mythos den Bericht von einer Begebenheit meine, die einem Menschen widerfahren ist und ihn in Begeisterung versetzt hat. (Vgl. Martin Buber, Moses, Kap. »Sage und Geschichte«, in diesem Band, S. 357-363.) Im gleichen Jahr, in dem Buber seinen Vortrag »Biblisches Führertum« hielt, antwortete er auf einen Brief des Rabbiners Herman Lieber, der Buber nach einem Vortrag in Zürich geschrieben hatte, ebenfalls zur Geschichtlichkeit der Bibel: »Daß ich keineswegs die Berichte des Alten Testaments als geschichtliche Wahrheiten bezeichnen wollte, vielmehr durchaus der Ansicht bin, daß sich an den geschichtlichen Ereignissen die mythenbildende Kraft des Volkes betätigt hat und so die vorliegende Gestalt der Erzählung entstanden ist.« (Martin Buber an Herman Lieber, 25. Juni 1928, in: B II, S. 318.) 59,41-60,2 wie eines der Völker […] Abraham kämpfte] Gen 14 erzählt die Geschichte, wie Abraham seinen Neffen Lot rettet, als dieser nach der Niederlage der Könige von Sodom und Gomorra im Kampf gegen einen Zusammenschluss verschiedener Könige unter Führung des Königs Kedor-Laomer in Gefangenschaft geriet. 61,9-10 »Er ist nicht deine Sache«] In II Sam 7,5 lässt Gott David durch den Propheten Natan sagen: »Sollst dus sein, der mir ein Haus zu meinem Sitze baut?« Dies sei nicht die Sache Davids, sondern nach dessen Tod werde Davids Sohn Salomo Gott ein Haus, den Tempel, bauen (siehe II Sam 7,5-13). 61,9-12 »Es ist nicht deine Sache […] in das Land zu bringen] Vgl. Num 20,12: »ER sprach zu Mosche und Aharon: Weil ihr mir nicht ver-

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trautet, mich zu heiligen in den Augen der Söhne Jissraels, darum sollt nicht ihr dieses Gesamt in das Land kommen lassen, das ich ihnen gegeben habe.«; sowie Dtn 3,27: »ersteige das Haupt des Pisga, hebe deine Augen westwärts, nordwärts, mittagwärts, morgenwärts, und sieh mit deinen Augen, denn nicht wirst du diesen Jordan überschreiten.« 61,17 Patriarchengeschlechter] Die Patriarchen des Volkes Israel: dessen Ahnväter Abraham, Isaak und Jakob. 61,19 die Namensverleihung] Vgl. Gen 32,28-29: »Da sprach er zu ihm: Was ist dein Name? Und er sprach: Jaakob. Da sprach er: Nicht Jaakob werde fürder dein Name gesprochen, sondern Jissrael, Fechter Gottes, denn du fichtst mit Gottheit und mit Menschheit und übermagst.« 61,24-25 im ersten Kapitel […] als Entstehung der Geschichte.] Gen 1 erzählt die Erschaffung der Natur, der Tiere und des Menschen; Gen 2 erzählt ebenfalls von der Erschaffung des Menschen, jetzt als Mann und Frau, sowie von der Einsetzung des Menschen in den Garten Eden, verbunden mit dem Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Damit vollzieht sich der Eintritt der Geschichte in die Welt. 61,40 Simson] Zur Geschichte Simsons, der 20 Jahre lang das Richteramt Israels innehatte, siehe Ri 13-16. 62,5-6 der Kampf und Sieg Gideons] Gideon, einer der Richter Israels, besiegte die feindlichen Midianiter; vgl. Ri 6,11-8,35. 62,10-15 wie die Bibel ja an einer Stelle […] von mir aus bewegt.«] In der fünften Vision des Propheten Sacharja, Sach 4,6, heißt es: »Er entgegnete, er sprach zu mir, sprach: Dies ist SEINE Rede zu Serubbabel, der Spruch: Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geistbraus! hat ER der Umscharte gesprochen.« Der biblische Begriff der ruach, der häufig mit »Geist« oder »Wind« übersetzt wird, spielt in Bubers Schriften zur biblischen Religion immer wieder eine Rolle (neben dem vorliegenden Text siehe v. a. Der Glaube der Propheten, aber auch Moses – zu letzterem siehe z. B. im vorliegenden Band, S. 493), wie auch in seinen Schriften zur Bibelübersetzung. (Vgl. »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel«, »Über die Wortwahl in einer Verdeutschung der Schrift«, »Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs«, »Die Bibel auf Deutsch« – alle vier Aufsätze sind aufgenommen in Martin Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936; jetzt in: MBW 14; vgl. auch Bubers späteren Aufsatz »Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift«, Beilage zu dem Werk Die fünf Bücher der Weisung,

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Olten: Jakob Hegner 1954, S. 27 f.; jetzt in: MBW 14, S. 186-220, hier S. 205 f.) Buber betont in allen seinen Äußerungen zum Begriff der ruach die Unmöglichkeit, den biblischen Begriff angemessen übersetzen zu können; in »Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift« spricht er von der »dynamische[n] Grundbedeutung des Wortes« (vgl. MBW 14, S. 206). Vermutlich 1926 verfasste Buber einen Aufsatz »Zu Luthers Übertragung von Ruach«, dessen handschriftliche Fassung sich im Martin Buber Archiv befindet (Arc. Ms. Var. 350 003 46c) und der erstmals in MBW 14, S. 155-157, veröffentlicht wurde. 62,25-27 man nimmt den Krösus […] Widukind mit zum Karl] Krösus (geb. um 590 v. Chr., Todesjahr unklar – entweder 541 oder nach 526 v. Chr.) war der letzte König des Reiches Lydien in Kleinasien. Er wurde im Jahr 541 durch den Perserkönig Kyros II (um 600-530 v. Chr.), auch Kyros der Große genannt, gestürzt. Der griechische Historiker Herodot (490/480-ca. 424 v. Chr.) schildert in seinen Historien die Perserkriege des 5. Jahrhunderts ausführlich und gibt dort auch eine eingehendere Schilderung des Lyderkönigs Krösus. Widukind, aus einem westfälischen Adelsgeschlecht stammend, kämpfte als Anführer des sächsischen Heeres zwischen 777 und 785 in den Sachsenkriegen gegen Karl den Großen (747/748-814) und unterlag diesem letztlich, was zur Unterwerfung der Sachsen unter die fränkische Krone führte. 62,28 Nänie] Ein Trauergesang, der im antiken Rom während der Leichenzüge gesungen wurde. 63,13-18 zwei großen Fluchterzählungen […] Flucht vor Absalom] Zur Erzählung der Flucht Davids vor Saul vgl. I Sam 19-24; zur Flucht Davids vor seinem Sohn Absalom siehe II Sam 15,14-18. 63,19 Einzug der Lade in Jerusalem] Gemeint ist die Bundeslade, die die Bibel in Ex 25,10-22 beschreibt; sie ist Teil der Stiftshütte, auch »Zelt der Begegnung« genannt (vgl. hierzu die Wort- und Sacherläuterung zu 248,7-9). In ihr wurden nach der biblischen Erzählung die Steintafeln mit dem Gesetz, den Zehn Geboten, aufbewahrt. Gemäß Ex 25,22 war die Bundeslade der Ort, an dem JHWH dem Volk Israel gegenwärtig war (»Dort werde ich dir begegnen«). Bei kriegerischen Auseinandersetzungen in vorstaatlicher Zeit wurde die Lade in die Schlacht getragen, und JHWH zog so seinem Volk voran; vgl. die »Ladesprüche« Num 10,35-36 und I Sam 4. Nach II Sam 6 bringt König David die Bundeslade mit einem festlichen Einzug von Baala in Juda nach Jerusalem. Über die Lade vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 183 f. sowie das Kapitel »Der Stier und die Lade« in: Buber, Moses, in diesem Band, S. 478-490.

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63,21-22 Das, was seine Frau […] nicht geschämt habe] Vgl. II Sam 6,20. 63,32 »Knecht Gottes«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 67,1012. 63,33-35 »Er machte meinen Mund […] mich verborgen doch!«] Jes 49,2 – ein Vers aus dem zweiten der sog. »Gottesknechtslieder«. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 67,10-12. 64,36-37 Geburt und Opferung Isaaks] Vgl. Gen 21,1-7 (Geburt Isaaks) und Gen 22,1-19 (Opferung Isaaks). 64,37-39 Die Paradoxie […] »Furcht und Zittern« dargestellt.] Søren Kierkegaard, Furcht und Zittern. Dialektische Lyrik, Kopenhagen 1843; von Kierkegaard (1813-1855) unter dem Pseudonym »Johannes de Silentio« herausgegeben; Kierkegaard deutet die Erzählung von der Opferung Isaaks als einen nicht lösbaren Widerstreit zwischen Glaube einerseits, Ethik und Vernunft andererseits: Ethisch und vernunftmäßig betrachtet sei die Forderung, Isaak zu opfern, weder zu begreifen, noch zu rechtfertigen, dennoch sei sie gottgefällig, weil sie aus dem Glauben komme. In dieser besonderen Situation suspendiere der Glaube die ethische Kategorie. (Vgl. Kierkegaard zu Beginn seiner Abhandlung. »Doch Abraham glaubte und zweifelte nicht; er glaubte das, was der Vernunft widersprach. […] Er wußte, es sei der allmächtige Gott, der ihn prüfte; er wußte, es sei das schwerste Opfer, das von ihm gefordert werden konnte; aber er wußte auch, daß kein Opfer zu schwer sei, wenn Gott es forderte […].« Und im 2. Kapitel, »Problema II. gibt es eine absolute Pflicht gegen Gott?«, schreibt Kierkegaard: »Das Ethische ist das Allgemeine, und als solches wider das Göttliche. […] Das Paradox des Glaubens ist also: daß der Einzelne höher steht als das Allgemeine; […] das Paradox kann auch so ausgedrückt werden: daß es eine absolute Pflicht gegen Gott gibt; […]. In der Erzählung von Abraham finden wir ein solches Paradox. Sein Verhältnis zu Isaak ist, ethisch ausgedrückt, dieses, daß der Vater den Sohn lieben soll. Dieses ethische Verhältnis wird zu etwas Relativem herabgesetzt, indem es in Gegensatz tritt zu dem absoluten Verhältnis zu Gott. Auf die Frage warum? hat Abraham keine andre Antwort als: daß es eine Prüfung ist, eine Versuchung […] In dem Paradox des Glaubens fällt das Allgemeine als Mittelbestimmung aus.«; zitiert nach Kierkegaard, Furcht und Zittern, in: Ders., Gesammelte Werke, Bd. 3., übers. von Hinrich Cornelius Ketels, Hermann Gottsched u. Christoph Schrempf, Jena 1923 S. 16 f. und S. 65-67.) In seinem Aufsatz »Die Opferung Isaaks« gibt Buber eine ausführliche Interpretation der Schrift Kierkegaards; vgl. in diesem Band, S. 577-580.

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65,7-8 »Ich trug euch auf Adlerflügeln und ließ euch kommen zu mir«] Ex 19,4. 65,10-13 da Mose nach dem Überschreiten […] in Weltzeit und Ewigkeit«] Der Gesang Moses’ zusammen mit dem des Volkes Israel, auch als »Israels Lobgesang« bezeichnet, findet sich in Ex 15,1-18 und rühmt die Taten JHWHs beim Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer (Ex 14), als dieser die Streitmacht der Ägypter im Meer versinken ließ. 66,11-12 in jener ironischen Fabel Jotams] Vgl. Ri 9,8-15; Abimelech, der Halbbruder Jotams, beide Söhne des Richters Gideon, unternimmt als erster den Versuch, über das Richteramt hinaus eine Königsherrschaft in Israel zu errichten; dabei tötet er alle seine Brüder, nur Jotam überlebt, und Abimelech wird in Sichem zum König gekrönt; Jotam trägt daraufhin den Bewohnern Sichems eine Fabel vor, in der dem Ölbaum, dem Feigenbaum und dem Weinstock angeboten wird, König zu werden; alle drei lehnen aber ab, so dass sich am Ende nur der ungeeignete Dornstrauch bereit erklärt, die Königswürde anzunehmen. 66,14-15 Und so wird nun […] von Gott zugestanden.] Vgl. I Sam 8,1118; I Sam 9,15-27; I Sam 12. 66,41-67,1 »Ich gebe dich zur ehernen Mauer wider all das Land«] Jer 15,20. 67,10-12 sammeln sich dann […] Jesus gestanden hat.] Im zweiten Teil des Jesajabuches, im sog. Deuterojesaja, finden sich die vier »Gottesknechtslieder« (Jes 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9 und 52,13-53,12), die von der Aufgabe, dem Leiden und dem Tod des »Knechts Gottes« gemäß dem Willen und dem Auftrag Gottes berichten. Die Vermutungen darüber, wer mit dem »Knecht Gottes« gemeint sei, reichen von Deuterojesaja selber, über andere historische Gestalten, über Israel oder ein besonderer Teil Israels bis hin zu einer kommenden messianischen Figur. Für das Neue Testament und in der christlichen Tradition wurde besonders das vierte der »Gottesknechtslieder« wichtig, weil hier die Vorstellung eines stellvertretenden Leidens zur Vergebung der Sünden aller ausgesprochen wird (vgl. Jes 53,5: »er aber, durchbohrt war er für unsre Abtrünnigkeiten, gemalmt für unsre Verfehlungen, Züchtigung uns zum Frieden war auf ihm, durch seine Strieme wurde uns Heilung«). Die hier entwickelte Vorstellung bezieht die christliche Tradition auf Jesu’ Tod als das stellvertretende Sühneopfer; ebenso entnimmt sie die Vorstellung von Jesus als dem »Lamm Gottes«, das zur Schlachtbank geführt wird, dem letzten der »Gottesknechtslieder« (vgl. Jes 53,7: »wie ein Lamm, das zur Schlacht-

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bank gebracht wird«). Buber geht in seiner Schrift Der Glaube der Propheten der Frage, wie die Gestalt des Gottesknechts zu deuten sei, ausführlich nach; vgl. in diesem Band, S. 334 ff. (Vgl. auch Martin Buber, Das messianische Mysterium; Festvortrag Bubers in Berlin anlässlich der Eröffnung der Hebräischen Universität in Jerusalem am 6. April 1925; blieb zu Bubers Lebzeiten unveröffentlicht; jetzt in: MBW 15, S. 37-45.) Er versteht die Gestalt des Gottesknechts als eine Reihe oder Abfolge anonymer, im Verborgenen gebliebener Gottesdiener. Seine zentrale Erkenntnis über die Gestalt des Gottesknechts lautet: »Wir erfahren hier, daß sie sich in mehreren persönlichen Erscheinungen und Lebensgängen aufbaut und darstellt, deren Träger einander wesensgleich sind, ohne daß aber von der einen dieser Gestalten zur andern ein übernatürliches Ereignis, eine Auferstehung führte. Es scheint mir erlaubt, dabei die merkwürdige Wortform ›in seinen Toden‹ (V. 9) [gemeint ist Jes 53,9] ganz ernst zu nehmen: es ist nicht ein einziger Tod, der dem Knecht auf seinem Weg widerfährt, er geht von Tod zu Tod und wieder zu neuem Leben.« (Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 345.) 67,24-27 Und wenn ein apokryphes […] bis meine Ruhe«] Gemeint ist das Hebräerevangelium, ein judenchristlicher, fragmentarisch erhaltener Text aus dem frühen 2. Jh. n. Chr., von dem nur einzelne Stellen durch Zitate bei den Kirchenvätern und beim Kirchenlehrer Hieronymus (347-419/420) überliefert sind. (Vgl. Jörg Frey, Die Fragmente des Hebräerevangeliums, in: Christoph Markschies und Jens Schröter (Hrsg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. 1. Evangelien und Verwandtes, Teilband 1, Tübingen 2012, S. 593605, hier S. 605.) Das von Buber hier angegebene Zitat findet sich im Jesaja-Kommentar des Hieronymus zu Jes 11,2. 67,34-36 wie das Gespräch […] am goldenen Kalb] Vgl. Gen 18,16-33: Abraham verhandelt mit Gott, die Stadt Sodom nicht zu vernichten, sollte Gott wenigstens zehn Gerechte darin finden; vgl. Ex 32,7-14: Nach dem Tanz um das goldene Kalb bittet Mose Gott, sein Volk wegen dieses Ungehorsams nicht zu vernichten. 67,39-40 ob es das Ringen […] Unterredung Davids mit Gott kennen] Vgl. II Sam 7,1-27: Nachdem David nach etlichen Kämpfen schließlich in Hebron zum König über Israel gesalbt wurde, er die Philister besiegt und die Bundeslade nach Jerusalem gebracht hatte, möchte er Gott in Jerusalem ein Haus bauen. Gott entgegnet ihm jedoch, dass es nicht seine, Davids Aufgabe, sondern erst die seines Sohnes Salomo sei, ihm ein Haus zu bauen; stattdessen werde Gott David ein

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Haus errichten, nämlich das Königtum für David und seine Nachkommen. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 61,9-10. 68,27-29 Das große prophetische Leid […] bewahrt worden ist] In Jer 11-20 finden sich Klagen des Propheten, der unter seinem Amt leidet, das ihn in die Einsamkeit führt. Jeremias Klagen steigern sich bis zur Anklage an Gott. Bemerkungen zu Jesaja Der Text wurde 1930 in der Rubrik »Selbständige Beiträge« der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums (MGWJ) in zwei Teilen kommentarlos veröffentlicht. Das Veröffentlichungsdatum ist insofern von Bedeutung, als Franz Rosenzweig, mit dem Buber seit 1925 gemeinsam das Projekt der Verdeutschung der Hebräischen Bibel unternahm, Ende 1929 verstorben war, gerade, als beide an den Teilen des Jesajabuches arbeiteten, welche die Gestalt des »Gottesknechts« betreffen (vgl. die Anmerkung in B II, S. 361). In einem Brief vom 4. Juni 1927 teilte Buber Rosenzweig mit, er wolle seine »Bibelgedanken« als Kommentar jeweils im Anschluss an einen der vier Teile der Verdeutschung veröffentlichen. Buber betont den »großen Anteil«, den Rosenzweig an der Idee zu diesem Vorhaben habe, da sein, Rosenzweigs »Vorschlag zu Jesaja« ihn überhaupt erst zu diesem Plan ermutigt habe. Der Plan ist letztlich so allerdings nicht verwirklicht worden. Es ist aber durchaus denkbar, dass Bubers »Bemerkungen zu Jesaja« auf sein Nachdenken über einen Kommentar zur Verdeutschungsarbeit zurückgehen. (Vgl. Martin Buber an Franz Rosenzweig, 4. Juni 1927, in: B II, S. 284 f.; sowie ebd., Anm. 2.) Buber, der bereits 1925 einen Vortrag zum messianischen Mysterium (Jesaja 53) gehalten hatte (vgl. MBW 15, S. 37-45), hatte später Rosenzweig selbst in einer Gedenkrede als »Knecht Gottes« bezeichnet (vgl. Alfred Mombert an Martin Buber, 1. April 1930, in: B II, S. 369; sowie ebd., Anm. 3). Bubers – in der Form philologischer Sprach- und Stilanalyse einzelner Versteile gehaltenen – Kommentare im vorliegenden Text, die sich auch im Detail kritisch mit den Interpretationen zeitgenössischer Exegeten auseinandersetzen, enden mit Kapitel 33 des Jesaja-Buches. Am Schluss des zweiten Teils des Textes in der MGWJ findet sich allerdings der Hinweis: »(Schluß folgt)«. Offenbar plante Buber, seine Bemerkungen zu Jesaja über dieses Kapitel hinaus – vermutlich bis zum Ende des JesajaBuches – fortzuführen. Der angekündigte Schlussteil ist aber nicht mehr erschienen (auch eine Manuskriptfassung konnte bisher nicht aufgefun-

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den werden), ohne dass sich ein offensichtlicher Grund dafür anführen ließe. Textzeuge: D: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, LXXIV, 5/6, 9/10, Mai/Juni und September/Oktober 1930, S. 191-197 u. S. 340-344 (MBB 421). Druckvorlage: D Übersetzungen: Hebräisch: Heʿ arot le-sefer Jeschajahu, in: Darko schel miqra, Ijjunim bidfuse- signon be-Tanakh, übers. von Jehoschua Amir, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 324-333 (MBB 1260). Wort- und Sacherläuterungen: 70,1 17 ‫ ]ושממה כמהפכת זרים‬Vgl. Jes 1,7: »Euer Land eine Starrnis, eure Städte feuerverbrannt, euer Acker, vor euren Blicken zehren die Fremden ihn auf – Starrnis wie nach jenem Umsturz, der einst den Fremden geschah!«; Bubers Erklärung gilt dem letzten Teilsatz: »Starrnis wie nach jenem Umsturz, der einst den Fremden geschah«. 70,5 ‫ ]מהפכה‬Hebr: »Revolution / Rebellion / Umsturz / Zerstörung«. 70,7-8 »‫ זרים‬hart hinter ‫( ]…[ אכלים‬Dillmann-Kittel).] ‫זרים‬, sarim, hebr. Pl. (die) Fremden; ‫אכלים‬, ochlim, hebr. »verschlingen / verzehren«; vgl. August Dillmann, Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zum Alten Testament. Fünfter Band. Der Prophet Jesaja. Für die sechste Auflage herausgegeben und vielfach umgearbeitet von Rudolf Kittel, Leipzig 1898, S. 8. 70,12 βάρβαροι] bárbaroi, griech. »Barbaren«; im antiken Griechenland ursprünglich die Bezeichnung für alle nicht-griechisch Sprechenden; dann auch Sammelbezeichnung für alle Nicht-Griechen, d. h. für Völker, die nicht Griechisch sprachen und nicht die griechischen Götter verehrten. 70,12 ‫ ]נכרים‬Hebr. »(die) Ausländer / (die) Fremden«. 70,20 22-5 ‫ ]והיה באחרית הימים‬Vgl. den Beginn von Jes 2,2: »Geschehn wirds in der Späte der Tage«. 70,22 ‫ לכו ונעלה‬V. 3 und ‫ לכו ונלכה‬V. 5] Buber übersetzt V 3: »Laßt uns gehn, aufsteigen«, V. 5: »laßt nun uns gehn, einhergehn«. 70,27 ‫» ]בית יעקב‬Haus Jaakobs«. 70,28 ‫ ]גוים‬gojim, hebr.: »Völker«. Buber übersetzt mit »Weltstämme[ ]« und nachfolgendes amim rabim mit »Vökermenge«.

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70,30 78 f. ‫ ]כי ראש דמשק ארם‬Vgl. den Beginn von Jes 7,8: »denn mag auch noch Damaskus Haupt Arams sein«. 70,31 Kaminkas ingeniöse Erklärung (Monatsschrift 73. Jg., S. 471 f.)] Aaron (auch Armand) Kaminka, Die fünfundsechzig Jahre in der Weissagung über Ephraim Jes 77-9, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 73. Jg. (Neue Folge, 37. Jg.), 1929, S. 471-472; vgl. auch Buber zu einer früheren Jesaja-Studie Kaminkas in Buber, Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, in diesem Band, S. 99. 71,1 ‫ ]ובעוד‬Hebr. »und binnen«, »und innerhalb«; Buber übersetzt: »und über« (hier Jes 7,8 weiter: »fünfundsechzig Jahre …«). 71,1 ‫ ]ועוד ב‬Hebr. »und in« (zu ergänzen wäre nach Jes 7,8: »fünfundsechzig Jahren …«; so übersetzt Luther). 71,Anm 1 Ueber den Zusammenhang […] Hypothese geäußert] Vgl. Samuel Grünberg, Exegetische Beiträge, Bd. 1, Berlin u. Wien 1924, S. 14 ff. 72,1 819 f. ‫ ]דרשו אל האבות וט׳‬Vgl. Jes 8,19: »Beforscht die Elben und die Wisserischen«. 72,2 ‫ ]ולתעודה‬Hebr. »und zur Bezeugung«; so übersetzt Buber diesen Ausspruch in Jes 8,20 (‫תעודה‬, teʿ uda, hebr. »Zeugnis«). 72,4-8 Die »Bezeugung« und »Weisung« […] und »hofft«] Vgl. auch Buber zur Bedeutung der Verse Jes 8,19-20, in: Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, in diesem Band, S. 99-101, sowie in: Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 272 u. 321 f. 72,22 ‫ ]במלכו‬Vgl. Jes 8,21, Buber übersetzt den entsprechenden Teilsatz mit: »man verwünscht seinen König und seinen Gott«; ‫מלך‬, molech oder moloch ist in der Bibel der Name eines kanaanäischen Gottes, dem Kinderopfer dargebracht wurden. 72,24 95 ‫ ]אל גבור אבי עד‬Buber übersetzt den fraglichen Teil von Jes 9,5 mit: »Seinen Wundernamen ruft man: Ratsmann des heldischen Gottes, Vater des Siegesgewinns, Fürst des Friedens.« 72,25 Die vielberedete Schwierigkeit von ‫ אל גבור‬und ‫ ]אבי עד‬Nach Bubers Verständnis der Stelle sind die beiden Ausdrücke zu übersetzen mit: »des heldischen Gottes« (davor wäre – in Bubers Übersetzung – »Ratsmann« zu setzen), und: »Vater des Siegesgewinns«. 72,26 ‫ ]פלא‬Hebr. »Wunder«. 72,26-27 Jud 1318 antwortet der Gottesbote dem Manoach] Manoach ist der Vater des späteren Richters Simson; in Ri 13 verkündet ein Engel bzw. Bote Gottes dem Manoach und seiner bis dahin kinderlosen Frau die Geburt Simsons. 72,28 ‫ ]והוא פלאי‬Hebr. »wunderbar ist er« (der Name).

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72,32 ‫ ]שמו פלא‬Nach Buber: »Wundername«; vgl. Buber, unten: »Namen, einen entrückten«. 73,1 1027 ‫ ]וחבל על מפני שמן‬Vgl. den Schlussteil von Jes 10,27 nach Bubers Übersetzung: »Und dann heißts: Am Nackenfett kann ein Joch zermürben.« 73,2-6 Man hat den Schluß […] (Dillmann-Kittel) sei.] Dillmann, Kittel, Der Prophet Jesaja, S. 111. 73,8-9 ‫ ]ביום ההוא‬Gemeint ist hier: »dann«, im Sinn von: »dann, an dem Tag«. 73,13 ‫ ]כי‬Im vorliegenden Kontext im Sinne von: »dann«. 73,14 ‫» ]על כן‬deshalb / daher«. 73,14 ‫» ]יאמרו‬sie sprechen« (nach Buber bezogen auf den Blinden und den Hinkenden in II Sam 5,8). 73,20 ‫ ]ו‬Hebr. »und«. 73,22 2313 ‫ ]הן ארץ כשדים וכו׳‬Vgl. den Beginn von Jes 23,13: »Das ist ja ein Chaldäerland, jenes Volk war damals noch gar nicht«. 73,25 ‫» ]ארץ כשדים‬Land der Chaldäer«. 73,26-27 ‫» ]היה זה העם לא‬dieses Volk war nicht«. 73,29 ‫ ]הן‬Hier im Sinne von »Siehe da / Schaue«. 73,33-34 Berossos] Ca. 340-270 v. Chr.; Priester des babylonischen Gottes Marduk (zum Gott Marduk vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 216,35-36), wahrscheinlich am Esagila-Tempel in Babylon; um 280 v. Chr. verfasste Berossos vermutlich eine »Babylonische Geschichte« in griechischer Sprache unter dem Titel Babyloniaca, die zwar nur in Form fragmentarischer Zitate erhalten ist, deren Grundzüge sich aber dennoch anhand der Fragmente erkennen lassen. 73,36-37 die Akkader] Das Akkadische Reich in Mesopotamien, benannt nach seiner Hauptstadt Akkad, bestand ca. von 2340 bis 2220 v. Chr.; die genaue Lage Akkads ist bis heute ungewiss; das Akkadische, die offizielle Staatssprache des Akkadischen Reiches, ist die älteste bekannte, schriftlich überlieferte semitische Sprache und ist in verschiedenen Dialekten noch bis ins erste Jahrtausend belegt. 74,2 Sargon I.] Sargon von Akkad (Regierungszeit 2356 bis 2300 v. Chr.), war der Dynastiegründer und Begründer des Reiches von Akkad in Mesopotamien. 74,15-16 Sanheribs Feldzug […] Phönizierkönig Lulî] Sanherib war von 705-681 v. Chr. König von Assyrien; Lulî war 729-694 v. Chr. König der phönizischen Stadt Sidon und vermutlich auch von Tyros; darüber hinaus scheint er die Oberhoheit über das Königreich Kition auf Zypern ausgeübt zu haben; nach dem Tod Sargons II. (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 74,20-22) beanspruchte das phöni-

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zische Tyros Zypern, und im Zuge einer Revolte gegen Sargons Nachfolger Sanherib unterlag Lulî diesem. 74,18 Taylor-Zylinder] Sechsseitiges Lehmprisma, das auf jeder der sechs Seiten eine Keilschrift enthält, die von den Siegen Sanheribs berichtet. 74,20-22 Larnaka-Stele Sargons II. […] sieben zyprischen Könige beweist.] Sargon II., 721-705 v. Chr. König des Neuassyrischen Reiches; sieben Könige Zyperns schickten ihm eine Gesandtschaft nach Babylon, die im Jahr 710 v. Chr. eintraf; auf der sog. Kition-Stele, benannt nach ihrem Fundort bei Larnaka auf Zypern, die Sargon II. errichten ließ, werden seine Heldentaten bei der Eroberung Zyperns beschrieben. 75,3 2615-19 ‫ ]יספת לגוי ה׳ וכו׳‬Vgl. den Beginn von Jes 26,15: »Noch zugefügt hast du dem Stamm hier, DU, noch zugefügt dem Stamm, von dem du geehrt wardst«. 75,5 ‫» ]תבל‬Universum, Weltkreis«. 75,6 ‫» ]בבל‬Babel, Babylon«. 75,8 ‫» ]ישועות‬Befreiungen, Errettungen«. 75,12 »künstliche« (Duhm)] Das Buch Jesaja, übersetzt und erklärt von Bernhard Duhm, 2. verbesserte Aufl.; Göttingen 1902, S. 158. 75,15-17 »Wir waren schwanger […] Sassenschaft Weltburgs.«] Jes 26,18. 75,23-24 »Dank« und »Rückblick« (Kittel)] Dillmann, Kittel, Der Prophet Jesaja, S. 234. 75,27 ‫ ]יראה גאות ה׳‬Vgl. den Schluss von Jes 26,10: »SEINE Hoheit zu sehn«. 75,34-37 (nebenbei gesagt […] vertraut macht.)] Buber verweist hier auf die hermeneutische Methode des Leitworts bzw. der »Wiederholungsformen« als zentral für den Sprachstil der Bibel, die er in seinen zusammen mit Franz Rosenzweig herausgegebenen Schriften zur Bibelübersetzung ausführlich behandelt (vgl. Martin Buber u. Franz Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schokken Verlag 1936); zu einzelnen Aufsätzen Bubers zum Leitwortstil vgl. die Wort- und Sacherläuterungen zu 90,Anm 4 u. 104,Anm 2. 75,38-76,1 »unbehilflich angelegt« (Duhm)] Das Zitat ließ sich so in Duhm, Das Buch Jesaja, zur Stelle nicht nachweisen, vgl. aber ähnlich, ebd., S. 157, zu den Versen 15-19: »die letzte Strophe; sie ist zwar leidlich verständlich, aber schlecht disponiert.« 76,Anm 1 Ehrlich […] vgl. seine »Randglossen« IV 93.] Arnold Ehrlich, Randglossen zur Hebräischen Bibel. Textkritisches, Sprachliches und Sachliches, Leipzig 1910, S. 93 f.

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76,12-13 »Denn dein Tau ist […] lasse (ihn) niederfallen!«] Jes 26,19. 76,14-15 »ans Licht bringen« (Guthe)] Vgl. Hermann Guthes Übersetzung des Schlussteils von Jes 26,19, in: Textbibel des Alten und Neuen Testaments, in Verbindung mit zahlreichen Fachgelehrten hrsg. von Emil Kautzsch, Der Prophet Jesaja 1-35, übersetzt von Hermann Guthe, Tübingen 1899-1911: »und die Erde wird die Schatten wieder von sich geben«. 76,15 »gebären« (Duhm)] Duhm, Das Buch Jesaja, S. 159. 76,35 ersten Regierungsjahre Zedekias] Zedekia war der letzte König von Juda und regierte von 597 bis 587 v. Chr.; vom babylonischen König Nebukadnezar (eigentl. Nebukadnezar II., um 640-562 v. Chr., ab 605 v. Chr. König von Babylon) als Vasallenkönig eingesetzt, lehnte sich Zedekia erfolglos gegen diesen auf, was 587 v. Chr. zur Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar und dem Ende des Reiches Juda führte. 77,1 27,2-6 ‫ ]ביום ההוא וכו׳‬Vgl. der Beginn von Jes 27,2 in Bubers Übersetzung: »An jenem Tag wechselsaget den ›Anmutigen Wingert‹, ihm eben zu«. 77,6 LXX und Trg] Septuaginta und Targum (Targumim sind ursprünglich gesprochene Übersetzungen, Paraphrasen, Ausschmückungen, Erklärungen und Kommentare zur Hebräischen Bibel in aramäischer Sprache). 77,6 ‫» ]חמד‬bezaubernd / lieblich / anmutig«; Buber übersetzt »anmutig«. 77,7 Syr.] Bibelübersetzung in syrischer Sprache; auch Peschitta genannt; die offizielle Bibelübersetzung für Kirchen der syrischen Tradition. 77,7 ‫ ]חמה‬chema, zumeist mit »Zorn, Wut« übersetzt; Buber folgt aber der Vokalisation ‫חומה‬, choma, »Mauer«. 77,30 ‫» ]כרם חמד‬anmutiger Weinberg«. 78,8 ‫ ]בלע המות‬Vgl. den Beginn von Jes 25,8: »er vernichtet den Tod«. 78,11 ‫ ]הבאים‬Vgl. Bubers Übersetzung des Beginns von Jes 27,6: »Die Herzugekommenen«. 78,11 ‫ ]בימים הבאים‬Der Beginn von Jes 27,6 wäre in dem Fall zu übersetzen als: »In den kommenden Tagen«. 78,21 ‫ ]וחרפת עמו יסיר‬Vgl. Jes 25,8: »und wird die Schmach seines Volkes abtun«. 78,24 2815 und 18 ‫ חזה‬und ‫ ]חזות‬Buber übersetzt mit »Einschauvertrag« (V. 15) und »Einschaublatt« (V. 18) und leitet beide Wörter somit von ‫חזות‬, »Ansehen, Erschauung, Anschauung« ab.

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78,25-26 Vorstellung eines Zitierens der Todesgottheit (Duhm)] Vgl. Duhm, Das Buch Jesaja, S. 170. 78,28 ‫» ]שוט שוטף‬fließende Geißel«. 78,33 3011 ‫ ]סורו מני דרך וכוי‬Jes 30,11 in Bubers Übersetzung: »wendet euch von dem ›Weg‹, biegt ab von dem ›Pfad‹, schafft uns vom Antlitz fort den ›Heiligen Jissraels‹ !«. 78,34 »gebt eure Richtung auf« (Duhm)] Vgl. Duhm, Das Buch Jesaja, S. 189. 78,34 ‫» ]דרך‬Weg«. 78,35 ‫» ]ארח‬Pfad, Bahn, Weg«. 78,35 ‫» ]קדוש ישראל‬den Heiligen Israels«. 79,6 3315 ‫ ]נער כפו וכו׳‬In der Übersetzung Bubers: »der eher seine Hände lahmschüttelte«; siehe Buber im Folgenden zur wörtlichen Bedeutung von ‫נער‬, »abschütteln«. 79,19-20 »in der Erhabenheit anzuwohnen«] Jes 33,16. 79,22 »geschraubt« (Duhm)] Duhm, Das Buch Jesaja, S. 213. 79,23 3321 ‫ ]כי אם שם אדיר וכו׳‬Vgl. den Beginn des Verses in Bubers Übersetzung: »Denn ist dort ein Mächtiger:« 79,25 ‫» ]אדיר‬mächtig, gewaltig«; Buber übersetzt an beiden Stellen mit »mächtig«: »Denn ist dort ein Mächtiger«, und: »Schiff des Mächtigen«. 79,26-29 ich möchte es geradezu […] sinnhaft anzusehen ist.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 75,34-37. 79,30 ‫ ]ה׳‬Abkürzung für das Tetragrammaton ‫יהוה‬, »JHWH«. 80,1 ‫» ]שם‬dort«. 80,9-10 Perles, Analekten I 75] Felix Perles, Analekten zur Textkritik des Alten Testaments, München 1895, S. 75. Perles legt dar, dass aufgrund des Vergleichs mit anderen Bibelstellen sowie mit der syrischen Bibelübersetzung, die zeigen, dass dort ‫ אדיר‬eine spezielle Zedernart bezeichnet, auch in Jes 10,34 mit ‫» אדיר‬Zeder« gemeint ist – im Sinne von »Herrlichkeit«. 80,10 ‫» ]מקום נהרים‬Ort von Flüssen, Strömen«; Buber übersetzt: »eine Gegend von Strömen« 80,12 wie Kittel mit Recht betont] Vgl. Dillmann, Kittel, Der Prophet Jesaja, S. 298. 80,Anm 3 Die Anregung hierzu] Möglicherweise fand Buber diesen Gedanken in Armand Kaminkas Studie Le prophète Isaïe. Nouvelles recherches sur le développement de ses idées et l’unité de son livre, Paris 1925, die Buber in seinem Aufsatz »Zum Einheitscharakter des Jesajabuches« erwähnt (vgl. in diesem Band, S. 99). 80,13-14 Sanherib] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 280,18.

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80,15 ‫» ]לנו‬uns«; vgl. Bubers Übersetzung zu dieser Stelle: »Denn ist dort ein Mächtiger: mit uns ist ER!« 80,19 ‫ בי‬und ‫ ]יעברנו‬Vgl. Bubers im vorangehenden Satz gegebene Übersetzung: »die bleibt« und »sie befahren«. Biblischer Humanismus Der Aufsatz erschien im Oktober 1933 in der von dem Soziologen, Philosophen und Publizisten Julius Goldstein (1873-1929) begründeten deutsch-jüdischen Zeitschrift Der Morgen, die von 1925 bis 1938 im Philo-Verlag (Berlin) publiziert wurde und innerhalb der Bandbreite der jüdischen Kultur-, Sozial- und Religionsgeschichte insbesondere Fragen der praktischen Lebensgestaltung im Kontext der jüdischen Überlieferung Raum bot. Viele Jahre nach seiner Veröffentlichung spricht Buber hinsichtlich dieses Aufsatzes von einem »programmatischen Vortrag« (s. unten), der an die jüdische Jugend in der Zeit kurz nach Hitlers Machtergreifung gerichtet gewesen sei. Welchen Vortrag Buber hier meint, ließ sich nicht ermitteln. Es wäre aber möglich, dass es sich um einen Vortrag im Vorfeld der Gründung der Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung handelt. Diese konstituierte sich offiziell im Mai 1934. (Zu Bubers Bildungsarbeit in diesem Kontext vgl. Ernst Simon, Aufbau im Untergang. Jüdische Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland als geistiger Widerstand, Tübingen 1959). Doch schon kurz nach Hitlers Machtergreifung, in den ersten Monaten des Jahres 1933, erkannte Buber die Notwendigkeit, durch den Aufbau eines jüdischen Bildungsund jüdischen Volkserziehungssystems der nationalsozialistischen Herrschaft Widerstand zu leisten, und war bereit, dabei selbst eine verantwortliche Rolle zu übernehmen, wie er im März 1933 an Hermann Gerson (1908-1989) schrieb: »[…] daß ich, wenn der Kern der deutschen Judenheit […] mir heute sein Vertrauen schenkt, bereit wäre, die verantwortliche Leitung des jüdischen Bildungswesens in Deutschland zu übernehmen. Wir können nur noch in strenger Zentralisierung etwas ausrichten.« (Martin Buber an Hermann Gerson, 24. März 1933, in: B II, S. 472.) Zu dieser Zeit begann Buber, mögliche organisatorische Maßnahmen und Strukturen zur Bildung der Juden in Deutschland zu entwickeln. Er unterbreitete den verschiedenen Vertretungsorganen der deutschen Juden seine Vorschläge und wies in Vorträgen auf die unbedingte Notwendigkeit einer jüdischen Bildung und Volkserziehung hin, um so geistigen Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft

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leisten zu können. (Vgl. Ernst Simon, Jewish Adult Education in Nazi Germany as Spiritual Resistance, in: Leo Baeck Institute Yearbook 1 (1956), S. 68-104; Michael Fishbane, Religious Authenticity and Spiritual Resistance: Martin Buber and Biblical Hermeneutics, in: Sam Berrin Shonkoff (Hrsg.), Martin Buber: His Intellectual and Scholarly Legacy, Leiden u. Boston 2018, S. 221-232.) Im gleichen Jahr wie der vorliegende Text entstanden programmatische Schriften wie etwa der Essay »Unser Bildungsziel«, in dem Buber die Notwendigkeit betonte, dem Projekt der Nationalsozialisten, ein »neues Menschenbild« an die Stelle der Vorstellung der Weltoffenheit des Menschen zu setzen, d. h. der Ausrichtung auf »eine blutmäßige Reinkultur des deutschen völkischen Menschen« mit einer eigenen Bildungsperspektive zu begegnen. Diese Antwort könne allerdings nicht ein eigenes jüdisches völkisches Selbstverständnis sein, schon deshalb nicht, weil das jüdische Volk als »Glaubensvolk« eine religiöse Orientierung besitze, die sich nicht auf die nationale Bindung an Natur und Geschichte begrenzen lasse: »Zu dem Bild Israels gehört unwegdenkbar die Hand, die von drüben her die Tafeln uns reicht, unwegdenkbar die sichtbare Majestas unseres unsichtbaren Königs.« Das Schwinden der von den Werten der Aufklärung und der Französischen Revolution getragenen bürgerlichen Gesellschaft verursache eine tiefe Verwundbarkeit der jüdischen Gemeinschaft, der diese allein durch die Wiedererweckung der »Urkräfte« ihres jüdischen Daseins widerstehen könnten. (Martin Buber, Unser Bildungsziel, jetzt in: MBW 8, S. 245-248, hier S. 247 ff.) In der Ankündigung der Wiedereröffnung des Freien Jüdischen Lehrhauses vom November 1933 gibt Buber das Ziel aus, dieses müsse »den jungen jüdischen Menschen von heute ausrüsten helfen, der Situation standzuhalten«, dabei jedoch nicht nur Wissen über das Judentum vermitteln, sondern der elementaren »Sehnsucht nach einem konkreten, umfangenden, zeitdeutenden, tröstenden, haltverleihenden Judentum« Genüge tun. (Martin Buber, Ein jüdisches Lehrhaus, jetzt in: MBW 8, S. 250 ff.) Für den Zusammenhang mit dem vorliegenden Text entscheidend ist dabei jedoch, welche Rolle biblische Reflexionen in Bubers Rede vom 19. November 1933 anlässlich der Wiedereröffnung des Lehrhauses spielen, die unter dem Leitmotiv der »Volkserziehung« im Sinne der Vergegenwärtigung der biblischen Tradition des Bundes zwischen Gott und Volk stehen, der den »Anfang der Volkswerdung Israels« konstituiere: Dieser Bund, so Buber mit deutlichen Anklängen an sein Verständnis der Erwählung Israels (vgl. dazu die Einzelkommentare zu Bubers wenige Jahre später entstandenen Texten »Die Erwählung Israels« und »Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ?«, in diesem Band S. 802-807

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u. 1172-1177), ist ein »Königsbund, den Gott mit dem Volke schließt, indem er es sich zu seinem Königsbereich, das Volk sich ihn zu seinem König nimmt; und ein Vaterbund: Gott sagt, er habe sich dieses Volks als seines ›erstgeborenen Sohns‹ angenommen, es sich erwählt, und das Volk sagt gemeinsam, es habe in ihm seinen Vater erkannt. Zum Bund gehört die Verbundenheit der Gefolgen dieses Königs, der Kinder dieses Vaters, die Urverbundenheit der Menschen untereinander.« (Martin Buber, Aufgaben jüdischer Volkserziehung, jetzt in: MBW 8, S. 252-255, hier S. 252.) Jüdische Volkserziehung sei daher Erinnerung an diesen Bund, die von ihm ausgehende Weisung, die durch ihn gestiftete Verbundenheit untereinander, die Notwendigkeit der Erneuerung der jüdischen Gemeinschaft, und auf diese Weise eine Stärkung im Angesicht der Herausforderungen der Zeit: »Die Not hat uns mit Händen gepackt und allen, bei denen es nötig war, die Gesichter auf das Judentum zu gedreht. Nun kommt es darauf an, ob wir mit so gewendetem Gesicht den Weg zum Judentum in Wahrheit gehen. Die Not hatte in unsrer Geschichte immer eine erweckende Kraft. Das ist nicht das Schlimmste, daß zu Anfang eine Not und ein Zwang stehen. Es kommt darauf an, daß wir eine Freiheit und einen Segen daraus machen.« (Ebd., S. 255). Bubers Essay »Biblischer Humanismus« expliziert das in der Zeit der Bedrängnis besonders wichtige Bildungsziel der »Wiedergeburt der normativen Urkräfte« (in diesem Band, S. 83) mit Blick auf die Stimme, die Sprache und das Hören des biblischen Wortes. Er zeigt – zusammen mit Bubers Aufsätzen »Hebräischer Humanismus« (in: Neue Wege, 35. Jg. (1941), Heft 14, S. 1-11; jetzt in: MBW 20, S. 147-158) und »Jüdische Renaissance« (in: Ost und West, 1. Jg., Heft 1, Januar 1901, Sp. 7-10; jetzt in: MBW 3, S. 143-147) – eine Linie in Bubers Denken auf, die sich von 1901 bis 1941 über vierzig Jahre erstreckt und diese drei Schriften eng miteinander verbindet. Gemeinsam ist ihnen die Formulierung des Ziels der Wiedergeburt des jüdischen Volkes. 1901 steht dabei die Kritik der Zerstörungskräfte der Assimilation in der Diaspora im Vordergrund, die Wiedergeburt durch die schöpferischen Kräfte jüdischer Kunst, der neuhebräischen Sprache und einer Lebensgemeinschaft, »welche die alte angestammte und doch wieder eine neue ist« (MBW 3, S. 147). In den beiden späteren Schriften liegt der Akzent erkennbar stärker auf der biblischen Tradition. Um das Wesen der Wiedergeburt zu verdeutlichen, verbindet Buber darin sein Interesse an der italienischen Renaissance und dem europäischen Humanismus und dessen Vorstellung von der Wiedergeburt des Menschenwesens mit der Erkenntnis, dass der jüdische Mensch aus der Bibel, aus dem »Schrifttum des klassischen Israel«, die bildnerischen Kräfte ziehen könne, die eine Renaissance des

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jüdischen Menschen und damit des jüdischen Volkes ermöglicht. Über den Begriff »Biblischer Humanismus«, den er für den vorliegenden Aufsatz wählte (nachdem er zuvor 1929 im Kontext seiner zionistischen Aktivitäten den Begriff des »hebräischen Humanismus« geprägt hatte; vgl. in diesem Band, S. 81), schreibt Buber 1941 rückblickend: »Als Adolf Hitler die Herrschaft in Deutschland antrat, und die Aufgabe vor mir stand, unsere Jugend im Geiste auszurüsten, seinem Ungeist standzuhalten, habe ich meinem programmatischen Vortrag den Namen ›Biblischer Humanismus‹ gegeben, um die eine Hälfte jenes Begriffes noch mehr zu verdeutlichen. Damit war gesagt, daß innerhalb dieser Aufgabe der Bibel als der großen Urkunde unserer Antike jene entscheidende Funktion zukam, die im europäischen Humanismus dem Schrifttum der klassischen Antike zugewiesen wurde.« (jetzt in: MBW 20, S. 148.) Buber bestimmt den »hebräischen Menschen«, der mehr sei als bloß ein »hebräisch sprechender Mensch« (in diesem Band, S. 81), als im personhaften Dialog mit der Stimme der Bibel befindlich, als »bibelwürdigen Menschen« (ebd., S. 82), und von daher auch seinen Humanismus wesentlich als biblisch orientiert. Die jüdische Renaissance sei, wie Buber mit einem Anklang der Kritik auch an seinen eigenen frühen Überlegungen betont, ein »aufgeblasenes Unding«, wenn es dabei allein um Volk und Sprache, nicht jedoch um eine Wiedergeburt der biblisch begründeten »normativen Urkräfte« geht (ebd., S. 83). Im Zentrum des Bildungskonzepts eines »biblischen Humanismus« steht die Erinnerung an den weisenden, gebietenden, mahnenden Charakter der den »hebräischen Menschen« – auf Hebräisch – in die Zwiesprache mit dem Unbedingten rufenden lebendigen, auf die Gegenwart zielenden »Stimme« der hebräischen Bibel. Ausgehend von seiner Dialogphilosophie und den Überzeugungen, die Bubers und Rosenzweigs »Verdeutschung« der Schrift bestimmen, ist in diesem Zusammenhang die »Gesprochenheit« des biblischen Wortes (im Gegensatz zum Monologischen, das der Text der griechischen Antike zuschreibt, vgl. ebd., S. 84) als eines gegenseitigen Geschehens entscheidend (vgl. dazu auch die Einleitung zu diesem Band, S. 21-24). Auf der menschlichen Seite entsprechen ihr das Hören und die daraus folgende Antwort der »Bewährung« in der – bedrängenden – Wirklichkeit der Welt. Angesichts der Umwälzungen und Gefahren von 1933 wohnt dieser Interpretation des »biblischen Humanismus« ein ebenso politisches wie ermutigend-forderndes Element inne, insofern sie implizit dem Unrecht widerspricht, ihm Gottes Willen entgegensetzt, und zugleich die Zeitgenossen mahnt, diese »furchtbare« Welt, die kein Entkommen ins Ästhetische zulässt, als die »Welt Gottes« zu erkennen: »Bewähre dich als Gottes Mensch in ihr!« (In diesem Band, S. 85.)

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Der spätere, 1941 in der Zeitschrift Neue Wege publizierte Aufsatz »Hebräischer Humanismus« nimmt, wie oben angedeutet, einige Gedanken des vorliegenden Textes wieder auf, allerdings mit charakteristischen Zuspitzungen, die auf die Dramatik von zeitgeschichtlichen Erfahrungen zurückzuführend sind, die Buber 1933 in dieser Weise noch nicht erahnen konnte. Er spricht von Humanitas angesichts der »Gefahr des Ausgleitens ins Unmenschliche« und wirft die Frage auf, was zu tun sei, wenn »in einem ganzen Zeitalter oder Weltalter das Menschliche zu verblassen, ja sich zu zersetzen droht« (MBW 20, S. 149), und betont neben dem fortwährenden Potential der Traditionen der klassischen Antike die Unverzichtbarkeit der hebräischen Bibel, und zwar nicht um ihrer literarischen oder geschichtlichen Bedeutung, »sondern um des normativen Wertes des biblischen Menschenbildes willen.« (Ebd., S. 150.) Von diesem normativen Wert her wird der Nationalsozialismus in seiner ganzen Inhumanität entlarvt, doch Buber begreift ihn im Kontext Palästinas zugleich – und weit leidenschaftlicher – als Maßstab der Humanität des jüdischen Nationalismus, der die Würde der Erwählung des Volkes Israel zu verfehlen drohe, wenn er sich nicht von der vom Gottesbund geforderten unbedingten Scheidung von Recht und Unrecht leiten lasse, sondern sich im Streben nach Normalität den »modernen Nationalegoismus« der Völker einflüstern lasse. (Ebd., S. 153.) Israels biblisch bezeugte Aufgabe unter den Völkern aber ist es, um der Hoffnung auf einer der Gerechtigkeit verpflichteten künftigen Menschheit willen »ein wahres Menschenvolk, und das heißt: ein Volk Gottes zu werden«, d. h. auf Gottes erwählendes, forderndes Handeln zu antworten. (Ebd., S. 156.) Dass dieser – zutiefst biblische – »hebräische Humanismus«, den Buber als Gegenkraft gegen das Inhumane seiner Zeit verstand, letztlich zur Grundsignatur seines Denkens gehört, hat Grete Schaeder (1903-1990) zur Sprache gebracht, indem sie den Begriff als Titel ihrer Interpretation des Lebens und Werks des Philosophen gewählt hat (vgl. Grete Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, Göttingen 1966, darin bes. das Kapitel »Die Bibel«, S. 281-340). Textzeugen: h1: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 12a); 6 lose, paginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Der gegenüber den späteren Fassungen fehlende Abschnitt (»Auch wer wie ich […] gesprochen ist.«; in diesem Band, S. 83,9-28) ist gesondert in h2 überliefert. 2 h : unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 12a); 1 loses Blatt, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrek-

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turen versehen; enthält neben gleichlautenden Passagen den in h1 fehlenden Abschnitt. H3: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 12a); 7 lose, paginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit einzelnen Korrekturen versehen. D1: Der Morgen, hrsg. von Julius Goldstein, 9. Jg., Nr. 4, Oktober 1933, S. 241-245 (MBB 462). D2: Die Stunde und die Erkenntnis – Reden und Aufsätze 1933-35, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 95-103 (MBB 538). D3: Werke II, S. 1085-1092 (MBB 1252). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Biblical Humanism, übers. von Michael A. Meyer, in: Biblical Humanism, Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, S. 211-216 (MBB 1310) und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 211-216 (MBB 1316). Hebräisch: Humanismus miqraʾ i, übers. von Baruch Krupnik; Moznajim, Serie 2, Kislew 694 (= 1933), S. [66]-69 (MBB 487); Humanijut miqraʾ it, in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 36-40 (MBB 1260). Variantenapparat: 81,1 Biblischer Humanismus] Biblischer Humanismus / [… die Vorstellung und das Gebot einer geistigen Bildung, die als ihren Inhalt und ihr Ziel das Menschliche sucht, wir dürfen sagen d a s I d e a l d e s M e n s c h e n . Konrad Burdach, Über den Ursprung des Humanismus] h1 81,15-16 jüdischen Palästina] Jischuw h1 81,16-17 keinen anderen Namen] kein anderes [Wort] ! keinen anderen Namen h1 81,21 aktiviert] bejaht h1 81,22 seherischer Erkenntnis] [seherischer] ! prophetischer Schau h1 81,23 zwischen echten und falschen Werten] zwischen echten und falschen Werten, [zwischen heilsamen und giftigen Elementen] h1 81,24 Ordnung] [Norm] ! Ordnung h1 81,25 Urform] Urstruktur h1 81,25 ordnender und richtender Tat] [Norm und Gericht] ! ordnender und richtender Tat h1

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81,26 die große Urkunde] die hgrossei Urkunde h 81,26 ordnendem] [normierenden] ! ordnendem h1 81,28 aufgeblasenes] haufgeblasenesi h1 81,30 Gemeinschaft] Nation h1, H3 81,31 Gestaltung] [Bildung] ! Erziehung? h1 81,31 hebräischen Menschen,] hebräischen Menschen, [ein hebräischer Mensch aber ist ein bibelwürdiger Mensch] h1 82,2 erblickt] [sah] ! erblickt h1 82,7-8 seiner Art nach] hseiner Arti h1 82,8 tauglich] [geeignet] ! tauglich h1 82,9 in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten] [umgeben von antiken Statuen] ! in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten h1 82,14 So wird […] hingeleitet.] hSo wird […] hingeführt.i h1 82,17 längst] einst D3 82,18 echt] [neu] ! echt h1 82,18-19 Erscheinung] Gestalt [, in gegenwärtiger Lage] und in hechti gegenwärtiger Kundgebung, dem Anliegen der Gegenwart gerecht h1 [Gestalt und in echt gegenwärtiger Kundgebung] ! Erscheinung H3 82,19 ist ein hebräischer Mensch nur einer zu nennen] ist ein hebräischer Mensch hnur einer zu nenneni h1 82,22 tun und hören] tun hund höreni h1 82,22-23 der Mund des Unbedingten] [das Unbedingte] ! der Mund des Unbedingten h1 82,23 ein bibelwürdiger Mensch] ein bibelwürdiger, ein hebräischer Mensch. / Ein eigensüchtiger Mensch, der seinen Genossen nicht als den ihm »Gleichen« liebt, ist – und sei es ein Genie – kein hebräischer Mensch. Ein für seine Gemeinschaft eigensüchtiger Mensch, der sein Mitvolk nicht als das seinem Volk gleiche liebt, ist – und heisst dieses Volk Israel – kein hebräischer Mensch. h1 82,23-24 Ein hebräischer Mensch] Ein hebräischer [, ein bibelwürdiger] Mensch h1 82,28-29 gilt […] die Umkehrung nicht] gilt […] die Umkehrung nicht: jeder Mensch aus hdem Judentum und ausi der Völkerwelt kann bibelwürdig sein ohne ein hebräischer Mensch zu sein h1 gilt […] die Umkehrung nicht [: jeder Mensch aus dem Judentum] H3 82,30 der Stimme] [dem Wort] ! der Stimme h1 82,35 in der Existenz] [im Leben] ! in der Existenz h1 82,38 des hebräischen Menschen] [der hebräischen Person] ! des hebräischen Menschen h1 83,4 Dem biblischen Humanismus ist es] Es geht h1 83,7 erfolgen] geschehen h1, h2 1

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83,9 im biblischen Wort] im hebräischen Wort h 83,9-28 Auch wer wie ich […] jetzt und hier gesprochen ist] fehlt h1 83,10 an die Stelle der Stimme treten zu lassen] [an ihre Stelle treten, es nicht lassen] ! an die Stelle der Stimme treten zu lassen h2 83,11 ihre absolute, zureichende, unwandelbar gültige Aussprache] ihren absoluten, zureichenden, unwandelbar gültigen Ausdruck h2 83,11 absolute] unbedingte D3 83,12-13 auch dem muß […], als indem wir] [dem muss die Verwechslung von der anderen Seite, die der Stimme mit dem persönlichen Gewissen, als die bedenklichere erscheinen] ! [muss anerkennen, dass wir uns den normativen Urkräften nicht anders zu nähern vermögen als dass wir uns] ! auch dem ist es gewiss, dass wir das Normative nicht anders als autoritative Macht, als unanfechtbare Rechtmässigkeit wiederzuerlangen vermögen, denn indem wir h2 83,17 ohne es sich selber irgend zuschreiben zu können] ohne sich selber etwas davon zuschreiben zu müssen h2 83,18 kundtut] kundzutun vermag h2 83,19 Gemeinschaft, die dessen mächtig ist] Gemeinschaft, die solches vermag [, wir haben solches Führertum nicht mehr] h2 83,19-20 wenn wir uns dem biblischen Wort auftun, wenn der Einzelne] wenn wir uns dem biblischen Wort erschliessen, so sehr wir können, wenn der Einzelne sich ihm nicht wehrt, h2 83,22 dann dürfen] dann [und dann allein] dürfen H3 83,22-23 – verschieden und doch gemeinsam –] h– verschieden und doch gemeinsam – i h2 83,23 wieder] [noch einmal] ! wieder h2 83,23 in jenem Ursinn] fehlt h2 83,25 Gehalt] [Inhalt] ! Gehalt h2 83,25-26 das Wort] das [hebräische] Wort H3 83,28 gesprochen ist] gesprochen ist [und doch das ursprüngliche] h2 83,28 biblische Wort] [hebräische] ! biblische Wort h1 83,29 weil es einen Gehalt hat, mit dem es an den Menschen ergeht] weil es an den Menschen ergeht h1 83,30-31 weil es ein Sprachgeheimnis hat, mit dem es an Israel ergeht] weil es an Israel ergeht h1 83,31-32 Im Zentrum […] unübersetzbaren Wort] Der Weg des biblischen Humanismus ist der vom übersetzbaren zum unübersetzbaren Wort h1 [Der Weg des] ! Im Zentrum eines biblischen Humanismus [ist der vom übersetzbaren zum unübersetzbaren Wort] ! steht der erzieherische Dienst an dem unübersetzbaren Wort h2 83,35 Tiefen] [Gründen] ! Tiefen h1 1

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83,36 Struktur] [Bildung] ! Struktur h 83,36 abgewonnen] [entnommen] ! abgewonnen h1 83,37-38 von Grund aus andere Sprache nicht nur] nicht nur von Grund aus andere Sprache D2, D3 84,2 des faktischen Gesprochenwerdens] der Gesprochenheit h1 des faktischen Gesprochenwerdens [, der natürlichen Dialogik des Lebens] H3 84,8-9 wo es einer Bearbeitung unterlag, die sich als Kunst wußte] wo ihm Bearbeitung naht h1 84,9 verunreinigte sie es] büßte es jene ein D3 84,11-12 daß Prophetenrede] dass [die Weissagung] ! eine [Prophetie] ! Prophetenrede h1 84,12 Allokution ist] Allokution ist [, die Streitwildheit im Hiob im Vergleich [etwa] mit der eristischen Kultur in Streitgesprächen der griechischen Tragödie, die Lebenswildheit im Hohelied im Vergleich mit] h1 84,14-15 sie bleibt wie sie ist, und doch erscheint sie als aller Beiläufigkeit entrückt] sie dauert – und ist doch aller Beiläufigkeit entrückt h1 84,16-17 Darum aber ist es […] möglich geworden] Darum aber auch ist im Reich dieses Wortes das Unerfassliche möglich geworden h1 84,17 vermenschte Gottesstimme] Gottesstimme h1 84,18-20 doch nicht […] sondern z u uns] als eine unverwandelte, ursprüngliche dauert und – zu uns redet h1 84,23 auch noch auf der Tribüne] fehlt h1 84,24 athenischen Rhetors] Demosthenes h1 84,24-25 daß er seine Reden entwirft und einübt] dass er [sich mühevoll] seine Reden [einübt] ! aufschreibt und einübt h1 dass er seine Reden [aufschreibt] ! entwirft und einübt H3 84,26 In der sokratischen Ironie] Für Platon ist das Denken ein Reden des Menschen mit sich selber, und in der sokratischen Ironie h1 [Für Platon ist das Denken ein Selbstgespräch] ! In der sokratischen Ironie H3 84,27-28 blickt der Sprecher sorgend] [wird immer ernstlich] ! [schaut] ! blickt der Sprecher [bang und] sorgend h1 84,28 Hörer] Hörer, und wenns gerät, ist es, wie es im Buch der Prediger heisst: »Wenn zwei bei einander liegen, wird ihnen warm; wie würde dem Einsamen warm!« h1 84,28-29 Menschen oder Götter,] hMenschen oder Götter,i h1 84,29 letztlich ist es Anrede nicht] die Anrede ist überwunden h1 84,29-30 der schicksalkündende Gesang erfüllt sich] [verklagt] ! [hebt] ! [ruht in sich] ! [den Gesang] ! der schicksalkündende Gesang erfüllt sich h1 1

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84,31 horcht nun in der Stille] horcht h 84,32 ungedämpft] [gemindert] ! ungedämpft h1 84,35 erkannt] [empfunden] ! [erfahren] ! erkannt h1 84,36 gelehrt oder berichtet] [gelehrt] ! gelehrt oder berichtet h1 84,39 beginnt] anhebt h1 85,10 bildnerisch ist die höchste Macht des Geistes] bildnerisch [ist der »poetische Geist«] ! ist die höchste Macht des Geistes h1 85,13 G e s c h e h e n ] nicht hervorgehoben h1 85,14 so muß er denn] [Weltschaffend redet Gott die Elemente und Gestirne an, die mit ihrem Ins-Dasein-treten antworten: »Da bin ich«. Sich offenbarend redet er die Menschen, die Menschenschar an, die das Wort der Annahme entgegnet. Und noch die Erlösung] ! so muss er denn h1 85,14 Geschehen] [Tun] ! Geschehen h1 85,17 Unmittelbarkeit] gegenwärtige Unmittelbarkeit h1 85,20 freie] [störungslose] ! freie h1 85,21 die »Eda«] [Unmittelbarkeit zwischen] ! die »Eda« h1 85,23 der »Gerechtigkeit«] des »Rechts« h1, H3 85,24 »Treue«] »Bewährung« h1, H3 85,24 »Eda Gottes«] »Seine Eda« D2 Gottes Eda D3 85,27 Gebild] [eigenen] Gebild h1 85,29 Bewährung aber] davor kein Absatzwechsel D3 85,30 im faktischen Augenblick] [je und je im] ! im faktischen Augenblick h1 85,33 diese niederzuckenden Blitze] diese [auf dich nun] niederzuckenden Blitze h1 85,38 So spräche sich im biblischen Humanismus] [Der biblische Humanismus meint] ! So spräche sich im biblischen Humanismus h1 85,39 Urkräfte Israels] Urkräfte hIsraelsi h1 1

Wort- und Sacherläuterungen: 81,2-6 Als 1913 ein von mir […] Begriff eines hebräischen Humanismus.] 1913 plante Buber zusammen mit Arthur Salz (1881-1963) und Erich Kahler (1885-1970), eine jüdische Schule in Deutschland zu begründen. Diese sollte Erziehung »im Sinne eines wahrhaften und lebendigen Judentums inaugurieren« (vgl. Hans Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Mitteleuropas 1880-1930, Köln 2., um ein Vor- und Nachwort erw. Aufl. 1961, S. 150). Hintergrund dieser Bemühungen war die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene Bewegung der Jüdischen Renaissance, der Buber in führender Position angehörte und hinter der

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die Idee stand, eine Wiedergeburt des jüdischen Volkes und des jüdischen Menschen zu verwirklichen. Zu einer Besprechung über den Plan einer jüdischen Schule hatten Buber, Salz und Kahler u. a. Hugo Bergmann (1883-1975) und Richard Beer-Hofmann (1866-1945) eingeladen. Die Besprechung fand am 30. März 1913 in Berlin statt (das Einladungsschreiben, unterzeichnet von allen drei Organisatoren und datiert auf »Mitte März 1913«, findet sich unter den Briefen Martin Bubers an Hugo Bergmann im MBA; vgl. Arc. Ms. Var. 350 008 91.I; vgl. auch Kohn, Martin Buber, S. 330). Beer-Hofmann nahm an der Konferenz nicht teil und erläuterte seine vielfältigen Bedenken gegen eine jüdische Schule in einem Brief an Martin Buber vom 3. April 1913. Beer-Hofmann schreibt, er »fürchte« regelrecht ein solches jüdisches »College«, denn zu seiner Gründung müsse man »den ganzen Komplex religiöser Fragen aufrollen«, man müsse sich darüber im Klaren sein, was das College »von allem was Tradition ist behalten« solle. »Und wissen Sie – und wir – wieviel von Tradition wir als lebend, wieviel als abgestorben betrachten dürfen?« Darüber hinaus sei es das Los der Juden, »unter anderen Gesetzen der Beurteilung als andere Völker« zu stehen; darum vollziehe sich alles jüdische Tun – auch eine jüdische Schule – »auf einer Bühne«. Und schließlich, so Beer-Hofmann abschließend, werde jeder Schüler »als repräsentativer Jude gewertet werden«, und Beer-Hofmann glaube nicht, dass die Schule jedes Jahr genügend jüdische Schüler finden werde, »die der Last dieser Verantwortung gewachsen sein werden«. (B I, S. 327-328.) In Bubers Antwort an Beer-Hofmann vom 16. Mai 1913 zeigt Buber zwar Verständnis für die Befürchtungen Beer-Hofmanns, entgegnet aber: »Die religiöse Frage verursacht mir von dem Augenblick an, in dem die College-Sache an mich herantrat, viel Sorge, aber es müßte mir um die Erneuerung des Judentums nicht so ernst sein wie mir ist, wenn ich sie für unlösbar hielte. […] Und Sie haben weiter recht: alles was wir Juden tun vollzieht sich auf einer Bühne. Aber das von Grund aus Verkehrte daran ist nicht die Tatsache, sondern daß wir so lange die Tatsache für unser Tun und Nichttun bestimmend sein ließen.« B I, S. 332. 81,14-18 Als ich 16 Jahr später […] »hebräischen Humanismus im realsten Sinn«.] Vgl. Martin Buber, [Rede], in: Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des XVI. Zionistenkongresses und der konstituierenden Tagung des Council der Jewish Agency für Palästina, Zürich, 28. Juli bis 14. August 1929, S. 203-208; hier bes. S. 208; aufgenommen in: Martin Buber, Kampf um Israel. Reden und Schriften (19211932), Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 421-431; jetzt in: MBW 21.

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Vgl. auch Bubers Rede »Hebräischer Humanismus«, gehalten 1941 in Jerusalem; zu Beginn verweist Buber dort ebenfalls sowohl auf das Programm der 1913 geplanten »freien jüdischen Mittelschule«, wie er sie in seiner Rede bezeichnet, als auch auf seine Kongressrede aus dem Jahr 1929. (Martin Buber, Hebräischer Humanismus, in: Neue Wege, 35. Jg., Heft 14 (1941), S. 1-11; aufgenommen in: JuJ, S. 732744; jetzt in: MBW 20, S. 147-158.) 81,33 Konrad Burdach hat in einer bedeutenden Abhandlung] Konrad Burdach, Über den Ursprung des Humanismus, in: Ders., Reformation, Renaissance, Humanismus. Zwei Abhandlungen über die Grundlage moderner Bildung und Sprachkunst, Berlin 1918, S. 97-203. Der Germanist Konrad Burdach (1859-1936) war v. a. auf dem Gebiet der Minnesangforschung und der Goethephilologie einer der bedeutendsten Forscher seiner Zeit. Darüber hinaus veröffentlichte er ab 1912 das siebenbändige Werk Vom Mittelalter zur Reformation und 1918 Reformation, Renaissance, Humanismus, dessen erste Abhandlung den Titel »Sinn und Ursprung der Worte Renaissance und Reformation« trägt (ebd., S. 13-96). 81,35-82,1 Spruch aus Dantes »Gastmahl« […] Urgrunde zurückzukehren.«] Dante Alighieri, Gastmahl (ital. Convivio), ca. 1303-1306; Dantes Gastmahl ist ein unvollendet gebliebenes umfangreiches Werk über den Gebrauch philosophischer Weisheit, das sich explizit nicht an eine akademische Leserschaft richtet; seine Überlegungen stellt Dante im Gastmahl anhand von Kommentaren zu seinen eigenen Kanzonen an; das von Buber hier angeführte Zitat, das er der Abhandlung Burdachs entnommen hat (vgl. Burdach, Über den Ursprung des Humanismus, S. 170), stammt aus dem IV. Traktat, 12. Kapitel des Gastmahl (vgl. auch Dantes Gastmahl. Übersetzt und erklärt mit einer Einführung von Constantin Sauter, Freiburg im Breisgau 1911, S. 309: »Das höchste Verlangen, das zugleich von der Natur eingepflanzt ist, besteht in jedem Dinge darin, zu seinem Prinzip zurückzukehren.«) 82,2-5 »Rückkehr zum menschlichen Urgrund […] inneren Lebens«] Burdach, Über den Ursprung des Humanismus, S. 170 [Hervorhebungen bei Burdach]. 82,8-11 So fühlt Goethe […] Zustand zurückgeführt«] Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise. Zweiter römischer Aufenthalt, Bericht April 1788; zitiert bei Burdach, Über den Ursprung des Humanismus, S. 201. 84,12 Allokution] Förmliche Ansprache.

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84,30-31 der Psalmenchor, der gebetet hat: »Erlöse uns deiner Huld zu willen!«] Ps 44,27. 84,37 er ist ewigseiend (Heraklit)] Der griechische Philosoph Heraklit (um 550-um 475 v. Chr.) prägte die philosophische Konzeption des Logos; der Begriff bedeutet in seiner Grundbedeutung »Wort, Rede, Erzählung«; nach Heraklit ist in der Gesamtheit der Wirklichkeit ein allgemeines und ewiges Gesetz wirksam, das die Weltordnung bestimmt; dieses Gesetz nennt Heraklit Logos. 84,37-40 und wenn der Prolog […] »w a r das Wort« folgen.] Vgl. Joh 1,1. 85,3 »er selber sprach, und es ward«] Vgl. die einzelnen Schöpfungstage in Gen 1. 85,7-9 »eine Befreiung der […] das Appolinische heißen«.] Vgl. Burdach, Über den Ursprung des Humanismus, S. 111 u. 147. 85,21 »Eda«] Hebr. ‫עדה‬, Gemeinde, Gemeinschaft. Zu Jecheskel 312 Wie die »Bemerkungen zu Jesaja« wurde auch dieser Text in der Monatsschrift zur Geschichte und Wissenschaft des Judentums (MGWJ) veröffentlicht, und zwar 1934. Es handelt sich möglicherweise um Überlegungen, die aus der Verdeutschungsarbeit an den Büchern der Kündung hervorgegangen sind. Nur einige Wochen nach ihrem Erscheinen, am 15. November 1934, leitete Buber die fünfte dem Gedenken an Franz Rosenzweig gewidmete jährliche »Franz Rosenzweig-Lernstunde« am Frankfurter Jüdischen Lehrhaus. Das Thema lautete: »Die zweite Responsion der Keduscha (Jecheskel 3,12)«. (Vgl. Rita van de Sandt, Martin Bubers Bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen. Ein Beitrag zur Geschichte der Erwachsenenbildung, Stuttgart 1977, S. 164.) Es ist nicht auszuschließen, dass Bubers Veröffentlichung in der MGWJ auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung dieser Lernstunde stand. Buber beteiligt sich mit seiner Auslegung des Ezechiel-Verses am exegetischen Diskurs seiner Zeit. Entgegen der auf Samuel David Luzzatto (1800-1865) und Ferdinand Hitzig (1807-1875) zurückgehenden und in Bubers Zeit wieder diskutierten Auffassung, am Vers Ez 3,12 sei eine »tendenziöse Textänderung« (in diesem Band, S. 86) in Form einer Emendation vorzunehmen, um dessen Sinn erfassen zu können, vertritt Buber die Ansicht, der masoretische Text müsse bewahrt werden, da sich aus ihm die Bedeutung des Verses durchaus erschließe. Der Sinn des Verses liegt für Buber in der Aussage, der Ort der Gegenwart Gottes sei nicht

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mehr an Zion gebunden, Gottes Gegenwart sei vielmehr auch im Exil wirksam: »Das ist exilische Prophetie.« (In diesem Band, S. 88.) Peter Schäfer, The Origins of Jewish Mysticism, Princeton 2009, S. 49, bemerkt, Buber sei offenbar der erste gewesen, der darauf hingewiesen habe, dass Gott im Exil in der gleichen Weise verherrlicht werden könne wie zuvor von Zion aus. In Bubers Deutung der Botschaft Ezechiels in Der Glaube der Propheten wird erkennbar, dass diese Aussage zugleich mit der These verbunden ist, »der an den Grenzen der Prophetie, zwischen Prophetie und Priestertum, zwischen Prophetie und theologischer Konstruktion, zwischen Prophetie und Apokalyptik angesiedelte Mann« habe die Wiederherstellung des Volkes Israel als Gemeinschaft und Bundespartner Gottes ganz in die messianische Zukunft verlagert und die Gottesbeziehung individualisiert: »jetzt aber steht jeder als Person seinem Gott gegenüber, das heißt jeder in der Glaubenseinsamkeit des Propheten.« (In diesem Band, S. 308.) Der Rezitation von Ez 3,12 kommt in der jüdischen Liturgie eine besondere Bedeutung zu. Der Vers ist zusammen mit Jes 6,3 (»Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit!«) Teil der Keduscha (hebr. »Heiligung«), eines zentralen Gebetsstücks, das u. a. im Achtzehn-Bitten-Gebet (dem Hauptteil von Morgen-, Nachmittags- und Abendgebet) und im Musafgebet (Zusatzgebet am Schabbat und an Feiertagen) gesprochen wird. Nach traditioneller Vorstellung ahmt die Gemeinde mit dem Rezitieren der Verse die Keduscha der Engel nach, so dass sich irdischer und himmlischer Gottesdienst entsprechen. (Vgl. auch Peter Schäfer, Rivalität zwischen Engeln und Menschen. Untersuchungen zur rabbinischen Engelvorstellung, Berlin u. New York 1975, S. 231.) Textzeuge: D: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, LXXVIII, 9/10, September/Oktober 1934, S. 471-473 (MBB 513). Druckvorlage: D Übersetzungen: Hebräisch: Al Jechezkel 3,12, übers. von Jehoschua Amir, in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 334-336 (MBB 1260). Variantenapparat: 88,9 Zion aus. Das ist] berichtigt aus Zion aus, Das ist

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Wort- und Sacherläuterungen: 86,1] Ez 3,12 in der Übersetzung Luthers und Bubers: »Und ein Wind hob mich empor, und ich hörte hinter mir ein Getöse wie von einem großen Erdbeben. Gelobt sei die Herrlichkeit des HERRN an ihrem Ort!« (Luther) »Geistbraus erhob mich, hinter mir aber hörte ich den Hall eines großen Schütterns, – Gesegnet SEINE Erscheinung von ihrem Orte aus!« (Buber) Der Vers ist Teil der sog. »Thronwagenvision« Hesekiels (vgl. Ez 1-3). 86,2 H. D. Müllers Bedenken (Ezechiel-Studien 162)] Siehe: David Heinrich Müller, Ezechiel-Studien, neue Ausg., Wien 1904, S. 16, Anm 2: »So ausgezeichnet die Emendation ‫ ברום‬für ‫( ברוך‬Luzzatto und Hitzig) auch ist und so leicht sie sich aus der alten Schrift erklärt, so bin ich dennoch über die Zulässigkeit derselben wieder schwankend geworden. Von der Voraussetzung ausgehend, dass die Vision Jesaias’ dem Ezechiel vorgeschwebt hat, darf man mit Recht in dieser Wendung eine Wiederspiegelung von Jes. 6, 3-4 erkennen: ›Und sie (die Seraphim) riefen einander zu und sprachen: Heilig, heilig, heilig der Herr Sebâʾ ôt, dessen Herrlichkeit die Welt erfüllt. Und es erbebten die Grundfesten der Schwellen von dem Schall der Rufenden und das Haus ward voll von Ruach (wohl in Folge der Erschütterung).‹ Es scheint demnach ‫ ברוך‬durch das entsprechende ‫ קדוש‬gesichert zu sein. Dazu kommt noch die Erwägung, dass in den meisten Stellen unter ‫ בבוד ד׳‬nicht der ganze Thronwagen, sondern lediglich die auf dem Throne ruhende göttliche Herrlichkeit zu verstehen sei, und dass in der ersten Vision, wie wir weiter unten sehen werden, das Wort ‫ הנשא‬und nicht ‫ רום‬mit einer gewissen Consequenz vom Propheten angewendet wird.« 86,2-3 Luzzattos sonst allgemein angenommene Emendation ‫ ]ברום‬Zu Luzzatto vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,27; Luzzatto ändert im letzten Teil des Verses den überlieferten bibl. Text von ‫ברוך‬ (barukh, »gesegnet«) zu ‫( ברום‬berum), was zu einer Bedeutungsänderung insofern führt, als dass nicht mehr das »Getöse«, das der Prophet hinter sich vernimmt, sagt: »Gelobt sei die Herrlichkeit des HERRN an ihrem Ort!«, sondern der Satz bedeutet dann: der Prophet hörte ein »Getöse«, als sich die Herrlichkeit des HERRN von ihrem Ort erhob. 86,3 Jech 104] Vgl. Ez 10,4: »als nämlich SEINE Erscheinung sich erhoben hatte, auf vom Cherub, hinüber zur Schwelle des Hauses, hatte das Haus sich mit der Wolke erfüllt, und der Hof hatte sich erfüllt mit dem Glanz SEINER Erscheinung,«

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86,6 Geiger, Urschrift 318] Abraham Geiger, Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwicklung des Judenthums, Breslau 1857, S. 318. 86,Anm 1 schon im Deboralied bebt die Erde unter JHWHs Schritt.] Vgl. Ri 5,5. 86,14 Merx, Jahrb. f. protest. Theol. IX 75] A. Merx, Der Werth der Septuaginta für die Textkritik des Altes Testamentes, am Ezechiel aufgezeigt, in: Jahrbücher für protestantische Theologie, 9. Jg., 1. Heft (1883), S. 65-77, hier S. 75. 86,15 ‫ ]מקום‬makom, hebr. »Ort«. 86,16 Toy SBOT XII] Siehe zu der von Buber hier und im Folgenden paraphrasierten Deutung durch Toy: Crawford Howell Toy, The Book of the Prophet Ezekiel. Critical Edition of the Hebrew Text with Notes, Leipzig 1899, S. 46. 86,23 Marmorstein, The Old Rabbinic Doctrine of God, 92 f.] Arthur Marmorstein, The Old Rabbinic Doctrine of God. I. The Names and Attributes of God, London 1927, S. 92-93. 86,25 b. Chag 13b] Vgl. Merx, Der Werth der Septuaginta für die Textkritik des Alten Testamentes, S. 75. 86,30 mas. T.] Abkürzung für den masoretischen Text: der Text der hebräischen Bibel in seiner traditionell überlieferten Form, wie er von Gelehrten, den Massoreten, ca. in den Jahren von 700 bis 1000 nach streng geregelten Bearbeitungskriterien aus dem Vergleich älterer Bibelhandschriften erstellt und mit der verbindlichen Vokalisation versehen wurde. 86,31 Hitzig] Ferdinand Hitzig, Der Prophet Ezechiel, Leipzig 1847, S. 24. 86,31-32 den Brief vom 12. I. 1838, ‫ שד״ל אגרות‬411] Vgl. Samuel David Luzzatto, Igrot Shadal, Bd. 1, Przemyśl 1882. 86,33 ‫ ]רעש‬Hebr. »Lärm, Erdbeben« 86,34 ‫ ]חיות‬Hebr. »Tiere«, hier eher im Sinn von »Gestalten«, »Lebende« (so Bubers Übersetzung z. B. in Ez 3,13). 87,1 ‫ ]לאמר‬Hebr. »sagen«. 87,2 ‫ ]ממקומו‬Hebr. »von seinem Ort«. 87,2 ‫» ]קשה וסתומה מאד‬schwierig/hart und sehr vage/unklar«. 87,3-4 ‫ רד״ק‬und Abarbanel] ‫ =רד״ק‬RaDak, das Akronym für den Rabbiner, Bibelkommentator und Grammatiker David Kimchi (11601235), dessen philologisches Hauptwerk der Sefer ha-Mikhlol (‫ספר‬ ‫ )המכלול‬ist, ein zweiteiliges Werk bestehend aus einem grammatischen Kompendium und einem Lexikon hebräischer Wortwurzeln; darüber hinaus verfasste RaDak Kommentare zu verschiedenen bibli-

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schen Büchern, u. a. zu den Propheten; bei seiner Auslegung der »Thronwagenvision« Hesekiels (Ez 1-3) ging Kimchi entgegen seiner sonstigen hermeneutischen Methode nicht in erster Linie nach philologischen Gesichtspunkten vor, sondern er versuchte, die verborgene metaphysische Bedeutung des biblischen Textes aufzuspüren (vgl. Susanne Talabardon, »Qimchi«, in: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.; permanenter Link: http://www.bibel wissenschaft.de/de/stichwort/64614/); Jitzchak ben Jehuda Abravanel (1437-1508; auch Abrabanel u. Abarbanel), Bibelkommentator u. Philosoph; kennzeichnend für seine hermeneutische Methode, mit der er sich oftmals bewusst in Gegensatz zu früheren bedeutenden jüdischen Bibelkommentatoren setzte, war die Ablehnung sowohl einer einseitig linguistischen, wie einer zu sehr an den Vorgaben der rabbinischen Tradition orientierten, als auch einer rein philosophisch ausgerichteten Erklärung des biblischen Textes; stattdessen trat Abarbanel dafür ein, dass die Exegese auch theologische und spirituelle Fragen und Aspekte berücksichtigen müsse (vgl. Susanne Talabardon, »Abravanel, Don Jitzchak«, in: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.; permanenter Link: http://www.bibelwis senschaft.de/de/stichwort/11180/) 87,4 ‫ ]רחוקים ורחוקים‬Gemeint ist »abwegig«, »weit hergeholt«. 87,6 Elieser von Beaugency] Vgl. Samuel Poznánski, Kommentar zu Ezechiel und den XII Kleinen Propheten von Eliezer aus Beaugency. Zum ersten Male herausgegeben und mit einer Abhandlung über die nordfranzösischen Exegeten eingeleitet, Warschau 1913. 87,14-15 ‫( ברוך ה׳ מציון‬Ps 13521)] baruch JHWH mi-zion – »Gesegnet vom Zion her ER«. 87,15 Duhm] Vgl. Bernhard Duhm, Die Psalmen, Freiburg u. a. 1899 (2. Aufl. 1922), S. 282. 87,15 ‫ ]בציון‬be-zion – von Zion; »von Zion« ist hier im Sinne von »durch Zion« gemeint. 87,18 ‫ ]שכן‬Von der hebr. Wortwurzel für »wohnen«. 87,19 ‫ ]שכני סנה‬Nach Buber zu übersetzen mit »er nimmt im Dornbusch Wohnung / er wohnt im Dornbusch ein«; ‫ סנה‬sne, hebr. »Dornbusch«, ist die nur in der Bibel vorkommende Bezeichnung für Dornbusch und klingt an die spätere Bezeichnung »Sinai« für den Berg Horeb an. 87,20 Morgenstern, Biblical theophanies, Zt. F. Assyriol. XXV 149] Julian Morgenstern, Biblical Theophanies, in: Zeitschrift für Assyriologie

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und verwandte Gebiete, 25. Bd., Straßburg 1911, S. 139-193, hier S. 149. 87,32-33 (vgl. meine Datierung MGWJ 74, 341)] Martin Buber, Bemerkungen zu Jesaja, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 74. Jg. (Neue Folge, 38. Jg.), 1930, S. 341; jetzt in diesem Band, S. 70-80, hier S. 76. 87,34 er aber weilt im E x i l ] Ezechiel, der von ca. 593 bis 571 v. Chr. als Prophet im babylonischen Exil wirkte, wurde bereits mit der Oberschicht Judas mit der ersten Welle der Verbannung im Jahr 597 v. Chr. nach Babylon deportiert. 87,35 ‫ ]היכל‬Hebr. »Tempel«; vgl. Jes 6,1. 88,5 Nabitum (2,5)] Zum Begriff des »Nabi« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. Ez 2,5: »Sie nun, ob sie hören, ob sies lassen – denn sie sind Haus Widerspann –, erkennen werden sie, daß ein Künder dawar in ihrer Mitte.« 88,6 Kabod] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. Genesisprobleme Dieser Aufsatz, 1936 in Heft 2 der Monatsschrift zur Geschichte und Wissenschaft des Judentums (MGWJ) erschienen, stellt Bubers Auseinandersetzung mit der traditionellen Quellenscheidungstheorie dar (zum Hintergrund vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 89,1011). Bubers Stimme in diesem Kontext ist die eines entschiedenen, kenntnisreichen Kritikers der zeitgenössischen – zumeist protestantischen – historisch-kritischen Bibelforschung, der den gängigen Hypothesen, die sich insbesondere unter Einfluss der Schule Julius Wellhausens (1844-1918) durchgesetzt hatten, eine ganz eigene Sicht der Entstehung, historischen Ursprünge, literarischen Komposition und theologischen Bedeutung der unterschiedlichen Traditionsschichten des Pentateuchs und der Hebräischen Bibel insgesamt entgegensetzte. Wie bereits in seiner 1932 erschienenen Schrift Königtum Gottes (jetzt in: MBW 15) zeigt sich auch in diesem Text Bubers umfangreiche Kenntnis der bibelexegetischen Literatur seiner Zeit und seine Fähigkeit, deren Ergebnisse differenziert und produktiv-kritisch aufzugreifen, um seine eigenen Interpretationen wissenschaftlich zu fundieren. (Zu weiteren Details vgl. auch die Kommentare zu »Zum Einheitscharakter des Jesajabuchs«, in diesem Band, S. 799 f.; zu »Abraham der Seher«, S. 818-826; zu Der Glaube der Propheten, S. 849-882; zu Moses, S. 979-1003.) In seinem Essay über einen angemessenen exegetischen Zugang zum

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Buch Genesis setzt sich Buber kritisch mit der in der zeitgenössischen protestantischen Bibelwissenschaft vorherrschenden Unterscheidung und minutiösen Abgrenzung der von der Forschung seit dem 19. Jahrhundert identifizierten Quellenschriften – »Jahwist« (J), »Elohist« (E) und »Priesterschrift« – auseinander, wie sie in den einflussreichen Genesiskommentaren von Otto Procksch (1874-1947) aus dem Jahr 1913 und Hermann Gunkel (1862-1932) aus dem Jahre 1905 (und in 5. Auflage 1922) nach wie vor vertreten wurden, auch wenn letzterer aus der Sicht der Religionsgeschichtlichen Schule mit seinen literatur-, form- und überlieferungsgeschichtlichen Fragestellungen wichtige Differenzierungen zur Diskussion gestellt hatte (vgl. dazu insbesondere Hans-Joachim Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, 3., erw. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1982, S. 332 ff. und S. 341-367). Ausgehend von einer vergleichenden Analyse exemplarischer Abschnitte aus neueren exegetischen Kommentaren zum Buch Genesis von Paul Volz (1871-1941) und Wilhelm Rudolph (1891-1987), Benno Jacob (1862-1945) sowie Moshe David Cassuto (auch: Umberto Cassuto, 1883-1951), die alle drei in den Jahren 1933 bis 1934 erschienen waren und nach Bubers Einschätzung »einen Angriff […] gegen die Quellenscheidungslehre darstellen« (in diesem Band, S. 89), geht es Buber darum, die »Fiktion« der Vertreter der Quellenscheidungstheorie zu widerlegen, »daß Erzählung von so großer Gestalt aus dem Zerlegen von Quellenschriften und Neuverheften der Stücke entstehen könne.« (Ebd., S. 90.) Die von Volz und Rudolph 1933 publizierte Arbeit Der Elohist als Erzähler – Ein Irrweg der Pentateuchkritik?, die es unternahm, die Grundlagen der literarkritischen Konstruktion dreier großer ineinander verflochtener Erzählwerke zu destruieren, diente ihm nicht bloß als Nachweis einer allmählichen Distanzierung von scheinbaren exegetischen Gewissheiten innerhalb der protestantischen Bibelforschung selbst, sondern lieferte ihm zugleich Anhaltspunkte für eine alternative Akzentuierung der wesentlichen Einheit des Pentateuchs. Volz, aus dessen Sicht die Trennung von J und E zu trennen und zu zerstören drohte, was ihm als religiöser Wert und narrative Kunst der Pentateucherzählungen erschien, vertrat die These, »daß wir in der Genesis nur einen einzigen Erzähler vor uns haben (den wir den Jahwisten nennen wollen), daß vor allem der sogenannte Elohist, wenn er überhaupt existierte, höchstens Neuherausgeber des großen (jahwistischen) Erzählungswerkes war, daß in das große ursprüngliche (jahwistische) Erzählungswerk (sei es von einem sogenannten Elohisten, sei es von einem deuteronomistischen Redaktor) einzelne Abschnitte aus bestimmten Erwägun-

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gen heraus eingefügt wurden.« (Paul Volz u. Wilhelm Rudolph, Der Elohist als Erzähler – Ein Irrweg der Pentateuchkritik? An der Genesis erläutert, Gießen 1933, S. 11; zum Ansatz der beiden Exegeten vgl. Joel S. Baden, J, E and the Redaction of the Pentateuch, Tübingen 2009, S. 54-60.) Große Zustimmung signalisiert Buber gegenüber den Perspektiven, die Umberto Cassuto, der frühere Oberrabbiner von Florenz, der seit 1925 an der Universität Florenz und seit 1933 an der Universität La Sapienza in Rom lehrte, 1934 in seinem Buch La questione della Genesi vorgelegt hatte. Der konservativ-orthodoxe Denker war ein entschiedener Gegner der Bibelkritik, der im Gegensatz zu Wellhausens Hypothesen den Pentateuch als einheitliche, harmonische Schöpfung verstand, wenn er auch zugestand, dass darin unterschiedliche historische Traditionen und Quellen, allerdings keine eigenständigen Literaturwerke verarbeitet seien. Sein Versuch, den traditionellen jüdischen Bibelkommentar mit Elementen der modernen Kritik zu verbinden, lief auf die These hinaus, stilistische Differenzen im Pentateuch seien nicht auf eine Mehrzahl von Dokumenten zurückzuführen, sondern auf unterschiedliche inhaltliche Akzentuierungen, etwa im Falle der Gottesnamen JHWH (für den nationalen, partikularen Aspekt des Göttlichen) und Elohim (für Gottes universale Bedeutung). Die unterschiedlichen Traditionen und Erzählungen des Pentateuchs seien von einem Redaktor zu einem einheitlichen Werk geformt worden. Seine Ausführungen von 1934 präzisierte Cassuto nach seiner Emigration nach Palästina und seiner Übernahme der Professur für Bibelwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem 1939 in seinem hebräischen Werk Perush al Sefer Bereschit (2 Bde., 1944-1949) sowie in seinen englischen Werken The Documentary Hypothesis and the Composition of the Pentateuch: Eight Lectures (Jerusalem 1961) A Commentary on the Book of Genesis (3 Bde., 1961-1964), in denen er die Dokumentenhypothese für widerlegt erklärte. (Zu Cassutos Ansatz vgl. Yaacov Shavit und Mordecai Eran, The Hebrew Bible Reborn: From Holy Scripture to the Book of Books. A History of Biblical Culture and the Battles over the Bible in Modern Judaism, Berlin u. New York 2007, S. 390-393.) In besonderer Weise inspirierend waren für Buber zudem die Thesen des Dortmunder Rabbiners und Bibelwissenschaftlers Benno Jacob, die dieser seit Beginn des 20. Jahrhunderts im kritischen Gespräch mit der Wellhausen-Schule entwickelt hatte. Jacob, ein Schüler des Historikers Heinrich Graetz (1817-1891), der sich selbst kritisch mit den Hypothesen der Bibelkritik auseinandergesetzt hatte, kann als einziger deutschjüdischer Bibelwissenschaftler des Kaiserreichs und der Weimarer Zeit

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gelten, der den protestantischen Theologen auf dem Gebiet der Pentateuchforschung ernsthaft etwas entgegenzusetzen vermochte. Seine frühen Schriften über den Pentateuch, aber auch die Kommentare zu Genesis und Exodus sind dem Versuch gewidmet, eine eigene, spezifisch jüdische Hermeneutik jenseits kritikloser Rezeption oder grundsätzlicher Abwehr der Bibelkritik zu entwickeln und trotz literarkritischer Differenzierung die grundsätzliche Einheitlichkeit und Göttlichkeit der Tora zu begründen. In Der Pentateuch. Exegetisch-Kritische Forschungen (1905), Die Thora Moses (1912/13) und Quellenscheidung und Exegese im Pentateuch (1916) kritisierte Jacob zudem die Willkür, mit der die protestantischen Exegeten die Überlieferungen des Pentateuchs behandelten, um mit Hilfe historischer sowie religions- und literargeschichtlicher Hypothesen ihre Konstruktion der israelitischen Geschichte und Religion – insbesondere ihre antijudaistische Prämisse von der priesterlich-gesetzlichen Umwandlung der prophetischen Religion Israels in das sich im »Rabbinismus« versteinernde »Spätjudentum« – wissenschaftlich zu untermauern. Jacobs eigene Deutung des Entstehungsprozesses des Pentateuchs, nach der ein Redaktor Israels vielfältig-komplexe Traditionen letztlich zu einer organischen Einheit verschmolzen habe, die sich nicht mechanisch in Pentateuchquellen zerlegen lasse, zielte auf eine Würdigung der Tora als Gottes gültige Offenbarung für sein Volk Israel. Auch wenn Inspiration und mosaische Verfasserschaft der Tora nicht haltbar seien, so sei sie doch von einem einheitlichen Geist durchdrungen, der angesichts der in ihr vereinten vor- und nachmosaischen Überlieferungen, die Moses gleichsam zur Mitte der Tora machten, auch als der »Geist Moses« bezeichnet werden dürfe. (Benno Jacob, Die Thora Moses, Frankfurt a. M. 1912 u. 1913, S. 93 f.; zu Jacob und seinem Ansatz vgl. Almuth Jürgensen, »Die Exegese hat das erste Wort«. Zu Benno Jacobs Bibelauslegung, in: Walter Jacob und Almuth Jürgensen (Hrsg.), »Die Exegese hat das erste Wort«. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs, Stuttgart 2002, S. 124-147.) Das Schicksal der Tora und das Existenzrecht des Judentums hingen aber zuletzt nicht an der Verfasserfrage, sondern daran, dass sie die Tora Gottes, seine Lehre, sein Geschenk an Israel sei. Dieses Zeugnis könne ihr keine Wissenschaft geben, sondern allein der – von aller literarkritischen Differenzierung unberührbare – Glaube und das göttliche Gepräge der Tora selbst. In Jacobs mehr als 1000 Seiten und einen umfangreichen Anhang umfassenden Kommentar zum Buch Genesis, in dem er die gängigen literarkritischen Thesen zu widerlegen versuchte, spielten Leitworte, intertextuelle Zusammenhänge und der Hinweis auf Wiederholungen und Synonyme als Stilmittel der Tora eine zentrale Rolle. Die Tora wurde, so seine Annahme,

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von einem Redaktor – spätestens aus der Zeit König Davids – als ein einheitliches, kohärentes Werk auf der Grundlage verschiedener Quellen verfasst, und zwar so, dass eine Rekonstruktion dieser Quellenschriften unmöglich ist. (Vgl. Benno Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000 [Nachdruck der Ausgabe Das erste Buch der Tora. Genesis. Übersetzt und erklärt von Benno Jacob, Berlin 1934], S. 1049.) Das Augenmerk der Exegese soll daher nicht auf der Entstehung, sondern auf der Tendenz der Texte des Buches Genesis liegen. Während bei Buber das Anliegen Jacobs, die antijudaistische Tendenz der religionsgeschichtlichen Konstruktionen der Bibelkritik zu entkräften, keine erkennbare Rolle spielt, bewunderte er den Kommentar des Rabbiners aufrichtig als originelles, anregendes Werk, dessen Grenze allenfalls in seiner bisweilen »homiletisch« anmutenden Auslegung liege (in diesem Band, S. 89). Die Prämisse, Genesis sei auf das Werk eines Redaktors zurückzuführen, übernimmt er jedoch genauso wie Franz Rosenzweig, der Jacobs Deutungen in seinen Ausführungen zur Bibelkritik in den 1920er Jahren als höchst bedeutsam charakterisierte. Rosenzweigs Skepsis gegenüber der Bibelkritik und seine Suche nach der – komplexen, aber zugleich organischen – Einheit der Schrift, für die er im Werk Jacobs Orientierung fand, kommt am besten in einem Brief an den orthodoxen Frankfurter Gelehrten Jacob Rosenheim (1870-1965) aus dem Jahre 1927 zum Ausdruck. Seine – und Bubers – Differenz zur Orthodoxie liege darin, dass sie bei der »Verdeutschung« der Tora aus ihrem »Glauben an die Heiligkeit, also die Sonderstellung der Tora, und an ihren Offenbarungscharakter«, keine Schlussfolgerungen über den literarischen Entstehungsprozess ziehen zu können meinten – im Gegenteil, selbst eine Anerkennung aller Theorien Wellhausens würde diese Überzeugung »nicht im mindesten berühren«. Sie teilten jedoch mit der Orthodoxie die Überzeugung von der Einheit der Tora: »Auch wir übersetzen die Tora als das eine Buch. Auch uns ist sie das Werk eines Geistes. Wir wissen nicht, wer er war; daß es Mose war, können wir nicht glauben. Wir nennen ihn unter uns mit dem Sigel, mit dem die kritische Wissenschaft ihren angenommenen abschließenden Redaktor bezeichnet: R. Aber wir ergänzen dieses R nicht zu Redaktor, sondern zu Rabbenu. Denn, wer er auch war und was ihm auch vorgelegen haben mag, er ist unser Lehrer, seine Theologie unsre Lehre.« (Brief Franz Rosenzweig an Jacob Rosenheim, 21. April 1927, in: Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk: Gesammelte Schriften, Teil I: Briefe und Tagebücher, Bd. 2 (1918-1929), Den Haag 1979, S. 1134-1137, Zitate S. 1134 f.) In Anlehnung an die Perspektiven Cassutos und Jacobs tritt Buber in seinem Aufsatz insbesondere anhand von Beispielen aus dem Abrahams-

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zyklus Gen 12-22 für die Wahrnehmung des Sinnreichtums der Texte des Genesisbuchs ein, der leitmotivischen Wiederholungen und zusammenhängenden Erzählungen, des »Parallelismus« (in diesem Band, S. 92) zwischen den Erzählungen und der Homogenität innerhalb des jeweils Erzählten im masoretischen Text. Die Verwendung unterschiedlicher Gottesbezeichnungen deutet Buber – zumindest für die Geschichte der »Bindung Isaaks« in Genesis 22 – nicht als Dokument unterschiedlicher Quellen, sondern als Ausdruck einer »Spannung in Gott selbst«, die der Erzähler zur Verdeutlichung seiner Erzählintention benötigte – einer Spannung zwischen »Elohim« als dem, der von Abraham das Opfer verlangt, und »JHWH« als dem, der es erlässt (in diesem Band, S. 96; zu Bubers Deutung der akedah vgl. den Vortrag »Die Opferung Isaaks«, in diesem Band, S. 577-580, und den Einzelkommentar dazu S. 1111-1118). Aus seiner vergleichenden Analyse der drei Kommentare zu Genesis resümiert Buber, dass die »tendenzkritische« Betrachtungsweise die Quellenkritik verdrängt habe (ebd., S. 97). Schon in seinem Vorwort zu Königtum Gottes von 1932 hatte sich Buber zu dieser Methode als zu einem entscheidenden Instrument seiner eigenen Textanalysen bekannt: »Wesentlich bestimmend war für mich die tendenzgeschichtliche Analyse der Texte und Textgefüge.« (Martin Buber, Königtum Gottes, S. XVI; jetzt in: MBW 15, S. 97 f.) Ihr wesentliches Merkmal besteht darin, den Text auf seinen Zweck hin zu befragen, d. h. Überlegungen darüber anzustellen, an wen er gerichtet ist, welche Intention er im Hinblick auf seine Leserschaft verfolgt (vgl. ebd.). Im vorliegenden Text geht Buber davon aus, dass sich im Buch Genesis unterschiedliche »Grundtendenzen« widerspiegeln, die sich auf soziologisch zu bestimmende »Typen der Traditionsformung und Traditionsbearbeitung« zurückführen lassen, darunter auf den »frühhöfischen«, den »frühprophetischen« und den »frühpriesterlichen« Typus. Aus dieser Unterscheidung sei jedoch nicht auf gesonderte Autoren des Genesisbuches zu schließen, sondern, wie Buber in Anschluss an Benno Jacob urteilt, auf einen »bibelstiftende[n]« Prozess der Entstehung und Redaktion eines letztlich einheitlichen Werks, dessen Endgestalt einem »nicht zufällig anonym geblieben[en]« redigierenden Autor zuzuschreiben sei (in diesem Band, S. 98). An der exegetischen Methode der Tendenzkritik hält Buber auch in späteren Schriften (vgl. z. B. Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 216) weiter fest. Die Beispiele aus dem Buch Genesis, die Buber in diesem Aufsatz exemplarisch anführt, werden später, zusammen mit weiteren Abschnitten aus dem Abrahamszyklus, in dem Essay »Abraham der Seher« unter anderen Aspekten und mit anderer Blickrichtung

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– insbesondere unter dem Aspekt der prophetischen Dimension der Gestalt Abrahams neu aufgegriffen (in diesem Band, S. 114-131). Insgesamt spiegelt der Aufsatz »Genesisprobleme« Bubers Abgrenzung von der protestantischen Bibelkritik, insbesondere von den evolutionistischen Erklärungsmodellen der Wellhausen-Schule, und seine Hinwendung zu neuen sprachlichen und literarischen Methoden wider. Festzustellen ist eine gewisse Nähe zu Hermann Gunkels Gattungsforschung und Traditionsgeschichte, da Buber wie letzterer von einer langen Entwicklung mündlicher Überlieferung ausgeht, die der schriftlichen vorausliegt, bevor sie zu einer einheitlichen Gestalt verdichtet wurde. Dass Buber Wellhausen nicht direkt angriff, sondern ihm sogar seine Achtung aussprechen konnte (»(Ich) halte […] die in der Differenzierung von J und E […] zum Ausdruck gelangende Unterscheidung zweier großer Grundtypen der Traditionsbearbeitung für eine unverlierbare Entdeckung«, vgl. Buber, Königtum Gottes, MBW 15, S. 96 f.) ist Benjamin Uffenheiner zufolge allerdings eher als eine »unverbindliche Geste der Höflichkeit« zu werten (Benjamin Uffenheimer, Buber und die moderne jüdische Bibelforschung, in: Martin Buber. Bilanz seines Denkens, hrsg. von Jochanan Bloch und Haim Gordon, Freiburg et al. 1983, S. 182-230, Zitat S. 187), denn in seiner Interpretation von Genesis und Exodus werde das nicht rezipiert. Der vorliegende Text bestätigt den Eindruck, dass sich Buber mit seiner Interpretation »de facto von einer Bezugnahme auf die klassische Quellenkritik freimacht« (ebd., S. 187). Textzeuge: D: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, hrsg. von Isaak Heinemann, 80. Jg., Nr. 2, März/April 1936, S. 81-92 (MBB 545). Druckvorlage: D Übersetzungen: Hebräisch: Mi-beʿ ajot sefer Bereschit, übersetzt von Jehoschua Amir, in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 310-320 (MBB 1260). Wort- und Sacherläuterungen: 89,2-8 In der Einleitung […] bis auf das Wort zu bestimmen.«] Genesis, übersetzt und erklärt von Hermann Gunkel, Göttingen 5. unver-

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änderte Aufl. 1922, S. LXXXI; zur Unterscheidung in J, E und P vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 89,8 Otto Procksch in seinem Kommentar] Die Genesis, übersetzt und erklärt von Otto Procksch, Leipzig 1913. 89,10-11 die Unterscheidung eines »jahwistischen« und eines »elohistischen« Erzählers] Die historisch-kritische Bibelwissenschaft, insbesondere des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, vertrat die Auffassung, dass der Pentateuch in einem langen Bearbeitungsprozess aus mehreren, zunächst unabhängigen Quellenschriften entstanden sei. Diese drei Quellenschriften werden als »Jahwist« (J; nach dem in dieser Quellschrift bevorzugt verwendeten Gottesnamen JHWH), »Elohist« (E; da diese Quellschrift gekennzeichnet ist durch den Gebrauch der Gottesbezeichnung Elohim) und »Priesterschrift« (P; da angenommen wird, diese Quellschrift sei während des Babylonischen Exils von Mitgliedern der ehemaligen Priesterschaft von Jerusalem, die die älteren Quellschriften J und E kannten, verfasst worden) bezeichnet. Die Bezeichnungen gehen auf Julius Wellhausen (18441918), einem der Hauptvertreter der Quellenscheidungstheorie, und dessen Schrift Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 1883 (bereits 1878 unter dem Titel Geschichte Israels erschienen), zurück. (Wellhausen kennt noch eine vierte Quellschrift D, das »Deuteronomium«, die aber in Bubers Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Bibelwissenschaft keine Rolle spielt.) Im Vorwort zur ersten Auflage seiner Schrift Königtum Gottes stimmt Buber der grundsätzlichen Unterscheidung von J und E als »zweier großer Grundtypen der Traditionsbearbeitung« zu und erachtet diese Unterscheidung als richtig und wichtig; diese Typen seien aber »nicht Quellen, sondern Richtungen« der Bearbeitung des Pentateuchs, die »zwei sozial und geistig getrennten Kreisen« entstammten (vgl. Martin Buber, Königtum Gottes, S. XIIIf.; jetzt in: MBW 15, S. 96 f.). In einem bisher unveröffentlichten Text, in dem Buber »[Über Name und Ort Gottes]« handelt (jetzt in diesem Band, S. 604-613), stimmt Buber ebenfalls der grundsätzlichen Unterscheidung verschiedener Erzähltraditionen, aus denen der Bibeltext entstanden sei, zu, weist aber das Kriterium der Gottesnamen als Maßstab zur Unterscheidung der verschiedenen Traditionen zurück. (Vgl. ebd., S. 604 ff.) 89,12-13 »die Pentateuchwissenschaft […] geblieben« (Volz)] Paul Volz u. Wilhelm Rudolph, Der Elohist als Erzähler. Ein Irrweg der Pentateuchkritik? An der Genesis erläutert [Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 63], Gießen 1933, S. 11.

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89,27 auch nicht in dem Luzzattos] Samuel David Luzzatto (1800-1865), bekannt unter dem Akronym SchaDal, ital.-jüd. Gelehrter u. Dichter; am 1829 in Padua gegründeten Collegio Rabbinico Italiano, dem ersten Rabbinerseminar Italiens, erhielt Luzzatto eine Dozentur für Bibelkunde, Philosophie und Philologie; Luzzattos intensive Beschäftigung mit der hebräischen, aramäischen und syrischen Sprache hatte bedeutenden Einfluss auf seine Kommentare zu verschiedenen Büchern der Tora. 89,29 auch nicht in dem Dillmanns] Christian Friedrich August Dillmann (1823-1894), Orientalist u. protestantischer Theologe; Dillmann gilt als Neubegründer der äthiopischen Philologie; darüber hinaus verfasste er Kommentare zu den Büchern des Alten Testaments, die auf einer gründlichen Auswertung der bis dahin angestellten Forschungen auf dem Gebiet der historisch-kritischen Bibelexegese gründeten. 90,3 paronomastischen] Die Paronomasie ist eine rhetorische Stilfigur, die in einem Wortspiel entweder eine widersprüchliche Verbindung von Wörtern desselben Stammes herstellt, oder ähnlich klingende Wörter miteinander verbindet. Ein Beispiel dafür gibt Buber unten, S. 91,7-8. 90,Anm 4 einiges in meinen Vorträgen […] »Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen«] Martin Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936; jetzt in MBW 14, S. 35-152. Vgl. dort z. B. die Aufsätze Bubers »Über die Wortwahl in einer Verdeutschung der Schrift« (S. 135-167; MBW 14, S. 68-85), »Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs« (S. 211-238; MBW 14, S. 95110), »Das Leitwort und der Formtypus der Rede« (S. 262-275; MBW 14, S. 111-118). Franz Rosenzweig, Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen, in: Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 239-261. 90,Anm 5 »Königtum Gottes« 37 ff.] Martin Buber, Königtum Gottes, Berlin: Schocken Verlag 1932; jetzt in: MBW 15, S. 121 ff. 90,11-15 »Die Quellenscheidung«, sagt Volz […] unpsychologisch.«] Volz u. Rudolph, Der Elohist als Erzähler, S. 78. Gen 28 berichtet vom Gebot Isaaks an Jakob, zu seinem Onkel Laban zu ziehen und eine von dessen Töchtern zur Frau nehmen; auf dem Weg dorthin hat Jakob im Schlaf die Erscheinung von der Himmelsleiter, baut am nächsten Morgen am selben Ort einen Altar zu Gottes Ehre und nennt den Ort Beth-El, »Haus der Gottheit«. 90,21-23 In Kap. 15 […] Sonne untergeht.] In Gen 15 verheißt Gott Abram einen Sohn und schließt mit ihm den Bund, in dem er ihm und

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seinen Nachkommen das Land »vom Strom Ägyptens bis an den großen Strom, den Strom Euphrat« (Gen 15,18) verheißt. Vgl. Gen 15,5: »Er führte ihn hinaus ins Freie und sprach: Blicke doch himmelan und zähle die Sterne, kannst du sie wohl zählen? Und sprach zu ihm: So wird dein Same sein.« Gen 15,12: »Als nun die Sonne im Eingehn war, fiel auf Abram Betäubung – eine Angst, und große Verfinstrung fällt da auf ihn.« Gen 15,17: »Die Sonne war eingegangen, Nachtschwärze war, da: rauchender Ofen, Feuerfackel, das zog zwischen diesen Stücken querdurch.« 90,23-24 nach dem Vorgang Wellhausens] Vgl. Julius Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 3. Aufl. 1899, S. 21 f.; Wellhausen spricht von den »beiden Hälften von Kap. 15«: »Der Zusammenhang dieses Kapitels ist brüchig und zwar lässt sich eine Hauptfuge wahrnehmen zwischen v. 1-6 und v. 7-21.« (Ebd.) 90,24 v. 1-6 und v. 7 ff.] Die Verse 1-6 erzählen von der Verheißung eines Sohnes und einer großen Nachkommenschaft an Abram; die Verse 7-20 berichten vom Bundesschluss zwischen Gott und Abram mit der Verheißung des Landes. 90,27-28 ebenso wie das ‫ היה דבר ה׳ אל אברם‬am Anfang] Buber zitiert hier aus dem Beginn des ersten Verses: »ward SEINE Rede an Abram« (Gen 15,1). 90,28-31 sieben Berichte der Offenbarungen […] Volksgeschichte ansagt.] Zu den sieben Offenbarungen Gottes an Abraham vgl. Buber, Abraham der Seher, in diesem Band, S. 114-131, hier S. 126-130. Bei der hier von Buber besprochenen Stelle aus Gen 15 handelt es sich um die vierte Offenbarung, die Buber »die zentrale« nennt (ebd., S. 127); in ihr sagt Gott Abraham die Verknechtung des Volkes Israel in Ägypten und seine Herausführung aus der ägyptischen Sklaverei durch Gott an (vgl. Gen 15,13-16). 90,32-33 »ein inneres Erlebnis […] »nur Vision«] Benno Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000 (Nachdruck der Ausgabe Das erste Buch der Tora. Genesis. Übersetzt und erklärt von Benno Jacob, Berlin 1934), S. 392, 397. 91,7-8 (das ‫ ויוצא‬von v. 5 knüpft paronomastisch an das ‫ יצא‬von v. 4 an)] Im hebräischen Wortlaut klingen beide Worte ähnlich; Bubers Übersetzung der entsprechenden Stellen lautet: V. 4: »der von deinem Leibe ausfährt«, V. 5: »Er führte ihn hinaus«. 91,10 Bild des Staubes 1316] Vgl. Gen 13,16: »Ich will deinen Samen machen wie den Staub der Erde, – daß, vermöchte jemand den Staub der Erde zu zählen, auch dein Same würde gezählt.«

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91,12-13 der Zusammenhang der beiden Stellen ist ein urmidraschischer] Midrasch, abgeleitet vom hebr. Verb ‫דרש‬, drasch, »erkunden«, »erforschen«, »befragen«, bezeichnet eine nachtalmudische rabbinische Methode der Schriftauslegung und gleichzeitig eine Literaturgattung im rabbinischen Judentum der nachtalmudischen Zeit für die Auslegung einzelner Verse oder Abschnitte der Hebräischen Bibel, die reich an Legenden, Gleichnissen und Weisheitssprüchen ist und die mit dem zugrunde liegenden biblischen Text sehr frei umgeht. Buber meint wahrscheinlich, dass sich die zweite Stelle zur ersten wie ein Midrasch verhält. 91,14 JHWH] Das Tetragrammaton, der Eigenname Gottes, der auf Ex 3,14 zurückgeht; Buber hat sich verschiedentlich zur Problematik der Übersetzung des Tetragrammatons geäußert, u. a. in seinem Aufsatz »Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift«, S. 28-31 (jetzt in: MBW 14, S. 206-210); er selber übersetzt Ex 3,14 mit »Ich werde dasein als der ich dasein werde«. (Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 129,37-38.) 91,19-20 (wozu 221 die ‫ תרדמה‬erst durch das anschließende ‫ ויישן‬wird)] Vgl. Gen 2,21: »ER senkte auf den Menschen Betäubung, daß er entschlief«. 91,22 Die zweite der beiden Hagargeschichten] Zu den beiden Erzählungen über Hagar vgl. Gen 16 und Gen 21,9-21. 91,25-28 »durch den schleppenden Stil […] gehört hat.] Teils zitiert Buber hier Gunkel, teils paraphrasiert er ihn; vgl. Gunkel, Genesis, S. 184; vgl. Gen. 16,9-11: das dreimalige »SEIN Bote sprach zu ihr«. 91,28 Smends Auffassung] Rudolf Smend, Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912. 91,29-32 »Umdichtung« […] Anspruch Israels«.] Volz u. Rudolph, Der Elohist als Erzähler, S. 34 (Volz zitiert hier Smend). 91,34-36 »hatte die Aufgabe […] zu schaffen«.] Volz u. Rudolph, Der Elohist als Erzähler, S. 36. 92,2-4 »soll als Sohn Abrahams […] Beschneidung erfahren«] Jacob, Das erste Buch der Tora, S. 411. 92,5-7 »der wirksame Ausdruck […] reduziert wird«] Es handelt sich hier vermutlich um Bubers eigene Übersetzung; vgl. Umberto Cassuto, La questione della Genesi, Florenz 1934, S. 278 f. 92,11 »den Ger liebt«] »Ger« ist der Fremdling und bezeichnet in der Bibel denjenigen Fremdling, der dauerhaft unter den Israeliten lebt; Buber übersetzt »Ger« mit »Gastsasse«; siehe Dtn 10,18: »der den Gastsassen liebt, ihm Brot und Gewand zu geben«.

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92,Anm 7 »Leitwortstil in der […] »Die Schrift und ihre Verdeutschung«.] Martin Buber, Die Bibel als Erzähler – Leitwortstil in der Pentateuch-Erzählung, in: Der Morgen, 11. Jg., Nr. 11 u. 12, Februar u. März 1936, S. 482-489 u. S. 530-536; aufgenommen in Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 211-238; jetzt in: MBW 14, S. 95110. In der Veröffentlichung des Textes im Band Die Schrift und ihre Verdeutschung ist vermerkt, dass der Text aus einem längeren Vortrag vom Januar 1927 stammt; wo Buber diesen Vortrag hielt, lässt sich nicht mehr ermitteln. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 104,Anm 2. 92,17-18 »Wildesels«-Sohn] Vgl. Gen 16,12, Gott in seiner Verheißung an Hagar über ihren noch ungeborenen Sohn Ismael: »Ein Wildeselmensch wird der […].« 92,19 das ‫ קשת‬von v. 16] Hebr. keschet, »Bogen«. 92,21 ‫ ]מצרים‬Hebr. Mitzrayim, »Ägypten«. 92,23 Kap. 22] Die Opferung Isaaks. 92,25 »Ich kann nimmer zusehn, wie das Kind stirbt«] Gen 21,16. 92,29-30 dort der Ortsname […] der Ortsname »JHWH sieht«] Vgl. Gen 16,14 und Gen 22,14. 92,32 der »Redaktor«] Als Redaktor wird in der historisch-kritischen Bibelwissenschaft der Bearbeiter der Quellenschriften des Pentateuchs bezeichnet, der aus den verschiedenen Texten eine Einheit herausbildete; Buber anerkennt ebenfalls einen Redaktor, sieht dessen Rolle im Prozess der Textformung aber viel differenzierter als die zeitgenössische Bibelwissenschaft (vgl. auch Buber, Königtum Gottes, S. XVIf., jetzt in: MBW 15, S. 98); vgl. dazu auch Bubers Äußerung über die Verkennung der Rolle und Bedeutung des Redaktors durch die Bibelwissenschaft seiner Zeit in seinem Aufsatz »[Über Name und Ort Gottes]«, in diesem Band. S. 604: »Wir muessen dagegen vorschlagen den Redaktor ernst zu nehmen und ihn als das einzige Gewissen der Entscheidung des Textes bis ins letzte Einzelne anzusehen.« Als Beispiel für die von Buber konstatierte Missachtung der Leistung des Redaktors vgl. Gunkel in seinem Kommentar zu Gen 34, der Erzählung von der Schändung Dinas: »Der Red., der beide Varianten zusammengestellt hat, hat, wie gewöhnlich, die spätere der beiden Quellen, die seinem Geschmack näher stand, zu Grunde gelegt und die Sichemrezension, die er im wesentlichen vollständig überliefert hat, darin aufgeteilt. Durch eine Reihe von kleinen Zusätzen und Änderungen hat er einen leidlichen Zusammenhang hergestellt […].« (Gunkel, Genesis, S. 374.)

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92,33 Akeda] Hebr. »Bindung«, meint die Erzählung von der Bindung, der Opferung Isaaks, Gen 22,1-19. 93,3-4 circulus vitiosus] Fehlschluss oder Zirkelschluss, bei dem die Prämisse schon das zu Beweisende enthält. 93,10 »Zartgefühl«] Gunkel, Genesis, S. 237: »Die Sklaven – so berichtet der zartfühlende Erzähler – läßt er zurück: sie sollen nicht Zeugen des Schrecklichen sein.« 93,13-14 »daß sich Isaak nicht schneide oder verbrenne«] Ebd. 93,16-17 »Tränen im Auge« über das »ahnungslose« »kluge Kind«] Ebd., S. 237 f. 93,23-24 in dem Unterschied […] und 2211 andererseits] Gen 18,1: »ER ließ von ihm an den Steineichen Mamres sich sehen, als er bei der Hitze des Tags im Einlaß des Zeltes saß.« Gen 21,17: »[…] Gottes Bote rief Hagar vom Himmel her zu und sprach zu ihr: Was ist dir, Hagar! fürchte dich nimmer, denn gehört hat Gott auf die Stimme des Knaben ebendort wo er ist.« Gen 22,11: »Aber SEIN Bote rief ihm vom Himmel her zu und sprach: Abraham, Abraham! […]« 93,25 »künstlerische Freiheit und Vielfältigkeit«] Volz u. Rudolph, Der Elohist als Erzähler, S. 45. 93,29-30 daß Gunkels Hypothese […] v. 11 und 14 unhaltbar ist] Vgl. Gunkel, Genesis, S. 238 f. 93,31 El-Numen] Zu »El« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 169,33; vgl. auch Martin Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 169 f. und S. 177. 93,35-94,1 Hier setzt nun Jacobs […] und 15 gemeint.] Vgl. Jacob, Das erste Buch der Tora, S. 491 f.; ‫שטן‬, hebr. satan, »Gegner«, »Widersacher«, Buber übersetzt im Hiobprolog mit »Hinderer« (siehe Hi 1,612); ‫מלאך ה״‬, hebr. Malʾ ach Haschem, »Engel des Herrn« 93,36 ‫ ]האלהים‬Hebr. ha-Elohim, »Gott«; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 94,3-4 »Er heißt«, […] wie I K 2221 ‫ ]«הרוח‬Jacob, Das erste Buch der Tora, S. 492; I Kön 22,21: »Da fuhr hervor der Brausewind, er stand vor SEINEM Antlitz, er sprach: Ich bins, der ihn betören wird.« 94,10-13 Michas Erzählung […] ist der Wind.] Micha ben Jimla, Prophet, nach dem biblischen Bericht in I Kön 22,1-28 verkündet er Achab Niederlage und Tod im Kampf gegen Aram und wird dafür eingesperrt. In Michas Verkündigung des Unheils über Ahab sind es falsche Heilspropheten wie Zidkijahu, aus denen nicht der Geist, sondern der »Lügenbraus« (I Kön 22,22) spricht. Zu Zidkijahu vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 135,36-37.

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94,18-19 Jacob findet […] meint Abraham?«] Jacob, Das erste Buch der Tora, S. 497. 94,32-33 daß »ein Elohim f ü r s i c h kein Opfer fordern kann«] Ebd., S. 494. 94,37-38 Dieser letzte der sieben Offenbarungsberichte] Vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 90,28-31 und 121,31-32. 94,39 ‫ ]לך לך‬Hebr. Lekh Lekha, »Geh vor dich hin« (»Gehe hinweg«); vgl. Gen 12,1 und Gen 22,2. 94,41 »für sich heraus«] Jacob, Das erste Buch der Tora, S. 333. 95,2 durch das geboterfüllende, wortlose ‫( וילך‬124, 223)] Vgl. Gen 12,4: »Abraham ging«; Gen 22,3: »und ging«. 95,9-10 In dem mittleren […] von Abrahams »Vertrauen«] Vgl. Gen 15,6; vgl. oben, S. 90 und die Wort- und Sacherläuterung zu 90,2831. 95,12-13 »zu sehen geben«] Vgl. Gen 12,7. 95,20-21 »offenbar machen, was in einem Menschen ist«] Jacob, Das erste Buch der Tora, S. 491. 95,23-25 sagt (v. 12) […] für einen andern] Buber übersetzt hier mit »Denn jetzt habe ich erkannt«. 95,27 ‫ ]במה אדע‬Vgl. Gen 15,8: »Er aber sprach: Mein Herr, DU, woran mag ich erkennen, daß ichs ererben soll?« 95,Anm 9 als ‫ ]…[ נביא‬der also wirksam zu ‫ ]התפלל‬Hebr. Nabi, »Prophet«, Buber übersetzt »Künder«; hebr. hitpalel, eigentl. »beten«. 96,8-9 antimolechistische Tendenz] molech (hebr. ‫ )מלך‬ist in der Bibel die kultische Bezeichnung für die phönizisch-kanaanäischen Brandopferriten, insbesondere für das Kinderopfer; gleichzeitig bezeichnet Molech oder Moloch auch einen kanaanäischen Gott, dem Kinderopfer dargebracht werden. 96,Anm 10 »Königtum Gottes« 101 f.] Vgl. MBW 15, S. 154 f. 96,12-14 (Daß etwa gar an den Namen Morija […] zurückführte] In Gen 22,2 bezeichnet Morija das Land Morija, in II Chr 3,1 den Berg Morija, wobei nach jüdischer Tradition beide identisch sind. Nach volksetymologischer Deutung, die sich auf die von Buber hier angeführten Stellen aus Jesaja und dem Buch Hiob berufen kann, bezeichnet Morija das Land oder den Berg des Lehrers, des Unterweisers. 96,23 27. Kapitel] Die Erzählung, wie Jakob durch eine List den Erstgeburtssegen von seinem Vater erhält und dann vor seinem Bruder Esau nach Haran flieht. 96,Anm 11 Das ‫ ויברכהו‬in v. 23] Gemeint ist der letzte Teil von Gen 27,23: »so segnete er ihn«, der dem eigentlichen Bericht von der Seg-

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nung Jakobs durch Isaak vorangestellt ist; Volz bezeichnet diesen Teil als Glosse (vgl. Volz u. Rudolph, Der Elohist als Erzähler, S. 66). 96,25-28 »daß durch die Quellenscheidung […] verstümmelt werden«.] Ebd., S. 67. 97,1-2 des aggadischen ‫סימנים‬-Begriffs] Als »Aggada« werden die erzählenden, nicht gesetzlich bindenden Bestandteile der rabbinischen Literatur – im Gegensatz zur normativen Tradition der »Halacha« – bezeichnet; hebr. simanim, »Zeichen«, »Symbole« – ein Merkmal der Aggada ist die metaphorische, konnotative Rede, die von einem symbolhaften Verständnis der Schrift ausgeht und in die Exegese den Aspekt eines nicht-wörtlichen Schriftverständnisses einbezieht. 97,3 14. Kapitel] Gen 14 erzählt die Geschichte, wie Abraham seinen Neffen Lot rettet, als dieser nach der Niederlage der Könige von Sodom und Gomorra in Gefangenschaft gerät; nachdem Abarahm Lot befreit hat, wird er von Malkizedek, dem »König von Salem« und »Priester des Hohen Gottes«, gesegnet. 97,Anm 12 die Malkizedek-Episode […] und ihre Verdeutschung«)] Zur Malkizedek-Episode siehe Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, in: Ders., Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 235; jetzt in: MBW 14, S. 108. Buber spricht hier von einem »religionsphänomenologisch bedeutsamen Identifikationsakt«, wenn Abraham nach der Segnung durch Malkizedek dem Namen »JHWH« für seinen Gott die von Malkizedek verwendete Gottesbezeichnung des »Hohen Gottes« als Apposition hinzufügt (vgl. Gen 14,22). 97,Anm 13 Jacobs Vortrag […] Philo Verlag 1930)] Benno Jacob, Die biblische Sintfluterzählung. Ihre literarische Einheit. Vortrag gehalten auf dem internationalen Orientalistenkongress zu Oxford am 30. August 1928, Berlin 1930. 97,12 des 36. Kapitels] Gen 36 gibt ein genealogisches Register des Geschlechts Esaus sowie der Könige und Stammesfürsten der Edomiter, die von Esau abstammen. 97,15-17 »Für die Mühe […] s e i n e r A b s i c h t e n .«] Jacob, Das erste Buch der Tora, S. 692. 97,Anm 14 Vgl. »Königtum Gottes« XV f., 39 f.] Jetzt in: MBW 15, S. 97 f., 122 f. 98,Anm 15 vgl. »Königtum Gottes«, 2. Kapitel, passim.] Das zweite Kapitel aus Königtum Gottes, »Richterbücher und Richterbuch«, jetzt in: MBW 15, S. 108-124.

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Zum Einheitscharakter des Jesajabuches

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Zum Einheitscharakter des Jesajabuches Diese kurze Darstellung Bubers entstand, wie zu Beginn angegeben, als Beitrag für die 1937 erschienene Festschrift zum 70. Geburtstag des Rabbiners, Übersetzers und Literaten Armand Kaminka (1866-1950), wurde aber bereits in der Zeitschrift Der Morgen (Heft 8 vom November 1936) vorab publiziert. Kaminka, der seit 1926 an der Universität Wien Talmud und jüdische Religionsphilosophie lehrte, hatte sich 1925 in einer Abhandlung zu Jesaja – entgegen allgemeiner wissenschaftlicher Lehrmeinung – dafür ausgesprochen, das Jesajabuch als Werk eines einzigen Verfassers zu betrachten. Buber setzt sich mit dieser Position kritisch auseinander, allerdings auf eine zunächst etwas paradox anmutende, aber letztlich seinem exegetischen Grundansatz entsprechende Art und Weise. In seinem Versuch der Widerlegung der These von der einheitlichen Verfasserschaft greift er nämlich dennoch auf Kaminkas eigene Argumentation zurück, wonach eine »sprachliche und stilistische Verwandtschaft der beiden Teile des Buches« (in diesem Band, S. 99) bestehe. Denn es geht Buber, ungeachtet der Zurückweisung der These eines einzigen Verfassers, hauptsächlich darum, die Frage »nach dem inneren Zusammenhang der Teile« des Jesajabuches auf neue Art zu stellen (vgl. ebd., S. 99). Die historisch-kritische Bibelexegese teilt das Jesajabuch seit dem späten 19. Jahrhundert literargeschichtlich in drei Teile ein: Protojesaja (Kap. 1-39), der mit dem Propheten Jesaja aus dem 8. Jh. v. Chr. identifiziert wird, die Sammlung der Texte Deuterojesajas (Kap. 40-55) aus der Zeit während des Babylonischen Exils, und das Buch Tritojesaja (Kap. 56-66), das im Gefolge des Jesaja-Kommentars von Bernhard Duhm (1847-1928) aus dem Jahre 1892 als Werk eines anonymen Propheten aus der frühnachexilischen, persischen Zeit gilt (Bernhard Duhm, Das Buch Jesaja, Göttingen 1892). Buber befasst sich in seiner Argumentation lediglich mit den beiden ersten Teilen. Er geht von einem originalen Jesaja und einem »nachgeborenen Jünger« aus, der als Jesajaschüler namenlos bleiben wollte. Im Einklang mit seinen Grundsätzen, die er gemeinsam mit Franz Rosenzweig während der Arbeit an der Verdeutschung der Schrift aufstellte, rückt Buber ein Leitmotiv, das Leitwort Limud (»Lehrling« oder hier im Kontext auch »nachgeborener Jünger«), in den Mittelpunkt seiner Argumentation. Anhand dieses Leitworts zeigt Buber die Parallelen und Zusammenhänge des Erzählten auf, die sich als eine Linie von Jesaja zu Deuterojesaja ziehen und darum – trotz unterschiedlicher Verfasserschaft – die Vereinigung der Worte Jesajas mit denen seines nachgeborenen Schülers zu einem Buch recht-

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fertigen. Die Erörterungen über die limudim und über das Versiegeln der jesajanischen Botschaft werden später – teilweise wörtlich – in Bubers Schrift Der Glaube der Propheten noch einmal aufgegriffen (vgl. in diesem Band, S. 272 u. 322 f.) Buber setzt sich im vorliegenden Text auf äußerst originelle Weise mit der historischen Bibelkritik auseinander. Zwar stimmt er mit deren These, das Jesajabuch sei unterschiedlichen Verfassern zuzuschreiben, durchaus überein. Dennoch hält er den Kriterien der Quellenscheidungstheorie zur Begründung dieser These die Charakteristika des biblischen Sprachstils entgegen und kann dank dieses intertextuellen Verfahrens zugleich eine zusammenhängende Traditionslinie des Erzählten innerhalb des gesamten Jesajabuches aufzeigen. Entsprechend argumentiert Buber in seiner 1944 entstandenen und 1950 erschienenen Schrift Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee (Zürich: Artemis-Verlag 1950, S. 50 f.; jetzt in: MBW 20, S. 203 f.). Einen ähnlichen Ansatz verfolgt er auch in dem unveröffentlicht gebliebenen Dokument [»Über Name und Ort Gottes«] (jetzt in diesem Band, S. 604-613). Dort stimmt Buber im Kontext der Diskussion um den Gottesnamen wiederum mit der historischen Bibelkritik darin überein, dass von unterschiedlichen Verfassern des biblischen Textes auszugehen sei. Allerdings hält er die Methode, das Vorkommen unterschiedlicher Gottesnamen als Begründungskriterium für die unterschiedliche Autorenschaft geltend zu machen, für unangemessen. Statt einer textkritischen Erklärung spricht er sich aus einer Reihe von Gründen für die Verwendung verschiedener Gottesnamen aus, die aufgrund einer tendenzkritischen Analyse herausgearbeitet werden können (vgl. in diesem Band, S. 605, sowie auch den Kommentar zu »Genesisprobleme«, in diesem Band, S. 784-790). Textzeugen: D1: Der Morgen, hrsg. von Julius Goldstein, 12. Jg., Nr. 8, September 1936, S. 369-371 (MBB 552). D2: Festschrift Armand Kaminka zum siebzigsten Geburtstag, Wien: Verlag des Wiener Maimonides-Instituts 1937, S. 21-23 (MBB 567). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Hebräisch: Achdut sefer Jeschajahu, übers. von Jehoschua Amir, in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 321-323 (MBB 1260).

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Zum Einheitscharakter des Jesajabuches

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Variantenapparat: In D2 werden nach biblischen Begriffen oft die hebräischen hinzugefügt. Diese Ergänzungen werden im Variantenapparat nicht berücksichtigt. 99,32 Wahrsagegeister] wahrsagerischen Geister D2 99,33 zurückgewiesen haben] zurückgewiesen haben (die Stelle von ‫ המצפצפים‬bis ‫ המתים‬ist als parenthetischer präsumtiver Dialog zu verstehen, vgl. unsere Übersetzung) D2 100,4 fast zwei Jahrhunderte später] nach fast zwei Jahrhunderten D2 100,7 (Lehrling)] fehlt D2 100,12 Neubildung] Neologismen D2 100,13 der ältere Prophet] der Prophet D2 100,16 verheißenen] verheißenden D2 100,22 Daran nun knüpft] kein Absatzwechsel D2 100,23 nie wieder] noch nicht wieder D2 101,4 »Neues meld ich nun an«] fehlt D2 101,12-13 zu Gotteslehrlingen] fehlt D2 Wort- und Sacherläuterungen: 99,Anm. 1 Aus der demnächst […] Armand Kaminkas.] Festschrift Armand Kaminka zum siebzigsten Geburtstage [Schriften des Wiener Maimonides-Instituts], Wien: Verlag des Wiener Maimonides-Instituts 1937, S. 21-23. 99,2 Armand Kaminkas Abhandlung über den Propheten Jesaja] Armand Kaminka, Le prophète Isaïe. Nouvelles recherches sur le développement de ses idées et l’unité de son livre, Paris 1925. Armand (eigentl. Aharon) Kaminka (geb. 1866 in Berdychev, Ukraine, gest. 1950 in Tel Aviv) war ein Rabbiner, Religionswissenschaftler und Übersetzer klassischer griechischer und lateinischer Werke ins Hebräische; neben seinen religionswissenschaftlichen Studien verfasste er Aufsätze zur rabbinischen und jüdischen Literatur und schuf auch selber Gedichte in hebräischer Sprache. 99,5 die beiden Kyros-Stellen] Jes 44,28 und Jes 45,1. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 100,39. 99,10 »Deuterojesaja«] Auch »zweiter Jesaja«; ein namenloser Prophet, dem die Kap. 40-55 des Jesajabuches zugeschrieben werden; in diesen Kapiteln wird – im Gegensatz zu den früheren Kapiteln des Jesajabuches – dem Volk Israel die Katastrophe nicht angesagt, sondern sie ist bereits mit der Fortführung des Volkes ins babylonische Exil eingetreten, die Exilsituation wird vorausgesetzt; zugleich werden mit dem Hinweis auf den Perserkönig Kyros II. die Herausführung aus dem Exil, Rückkehr nach Jerusalem und Aufbau eines neuen Tempels

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erwartet (vgl. hierzu auch Jes 44,28 u. Jes 45,1 und die Wort- und Sacherläuterung zu 667,10-11). Zu Bubers Auffassung, dass Deuterojesaja sich selbst als »einen nachgeborenen Jünger Jesajas« ansah und es sich bei seinen Reden und Sprüchen nicht um eine spätere, von Jesaja vollkommen unabhängig entstandene Überlieferung handelt, sondern vielmehr um eine im Zeichen des Jesaja stehende, vgl. auch Martin Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 322 f.; sowie Martin Buber, Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee, Zürich: Artemis-Verlag 1950, S. 50 f.; jetzt in: MBW 20, S. 203 f. 99,15-20 wie Franz Rosenzweig und ich […] des Jesajabuchs.] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 90,Anm 4. 99,24 ‫ ]ְבִּלֻמָּדי‬be-limudai; von ‫למד‬, limud, »der Lernende«, vom hebr. Verb für »lernen«, ‫ללמוד‬, lilmod; vgl. auch unten S. 100,6-9. 99,28-29 (man denke an) […] zugesiegelt« ist] Der von Buber hier als Parallele zu Jes 8,16 genannte Vers Hi 14,17 ist dort Teil eines Flehens Hiobs zu Gott, in dem er Gott bittet, ihn solange im Totenreich zu verbergen, bis Gottes Zorn gegen ihn sich legt, er Hiob wieder zu sich ruft, nicht mehr auf dessen Sünden blickt, sondern diese »in einem Bündel versiegelt«; die Wortwahl beider Verse ist ähnlich, der Kontext ist jedoch in beiden Versen ein gänzlich anderer. 99,33-34 »Zur Weisung hin! zur Bezeugung hin!«] Jes 8,20. 100,39 in der Tat des Völkerherrn Kyros] Gemeint sind die in Jes 44,28 und Jes 45,1 angekündigten Taten des Kyros, der dort als »Hirte« und »Gesalbter« Gottes bezeichnet wird, der das Volk Israel aus dem Exil zurück bringen und Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen wird. Die Erwählung Israels Der in sechs Abschnitte gegliederte Text mit dem Untertitel »Eine Befragung der Bibel« erschien zuerst 1938 im Almanach des Schocken Verlages für das Jahr 5699, der letzten Ausgabe seiner Art, bevor der Verlag nach den Novemberpogromen 1938 – wie alle noch bestehenden jüdischen Verlage in Deutschland – zwangsaufgelöst wurde. (Einen Überblick über die Geschichte der Schocken-Bücherei bietet die Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hrsg. von Dan Diner, Bd. 5, Stuttgart 2014, S. 376-381; vgl. auch Stefanie Mahrer, Schreiben aus den Katakomben. Bücher als Widerstand – Der Schocken-Verlag Berlin, in: Julius H. Schoeps, Dieter Bingen u. Gideon Botsch [Hrsg.], Jüdischer

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Widerstand in Europa [1933-1945]: Form und Facetten, Berlin u. Boston 2016, S. 222-239.) Zwei Jahre vor der Veröffentlichung des Aufsatzes hatte Buber im Oktober 1936 im Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt einen Vortrag unter dem Titel »Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ?« gehalten (jetzt in diesem Band, S. 652-660; vgl. auch den ausführlichen Kommentar dazu, in diesem Band, S. 1172-1177). Einige Parallelen deuten darauf hin, dass es sich bei dem 1938 in den Schocken Almanach aufgenommenen Text um eine Überarbeitung und Fortführung des Vortragstextes handelt. Die Erwählung Israels gründet Buber zufolge nicht in einer geschichtlichen Besonderheit oder gar Überlegenheit, sondern ausschließlich in Gottes freier Gnadenwahl, in der »übergeschichtlichen« Gegebenheit des Bundes, der »unbedingt verbindlichen Verbindung« mit Gott (Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 103). Ausdruck dieses Bundes ist die Tora, die Israel als einziges Volk von Gott empfangen hat. In dieser Bindung an Gott durch die Tora liegt jedoch zugleich die Möglichkeit zur Verfehlung gegen Gott, die einzig Israel begehen kann, dann, wenn es die Tora verwirft, und die den einzigartigen Bund mit Gott in Gefahr bringt. Bereits im Gottesnamen (Ex 3), in dem sich eine dem Willen Gottes vorbehaltene Freiheit hinsichtlich der Art seiner Gegenwart ausdrückt, wird so nach Buber, trotz der grundsätzlichen Zusage göttlicher Treue, die Möglichkeit der Auflösung des Bundes und der Ahndung der Verfehlungen des Volkes sichtbar. Buber legt dar, dass Israels Erwählung, so wie das Recht einer Erstgeburt, von Anfang an, noch bevor es überhaupt als Volk vorhanden war, bestand. Sie wurde ihm von Gott in einem unverdienten Akt der »Ausheiligung« als Gottesvolk verliehen (ebd., S. 106). Die Bedeutung der Erwählung liegt darin, »zu einem wahren am […] [zu] werden« und als ein solches der Völkerwelt »ein Segen« zu sein, indem Israel den anderen Völkern als wahre Gemeinschaft »voranlebt« (ebd., S. 107). Abraham, der Stammvater Israels, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle als die Gestalt der Hebräischen Bibel, die die »Urerfahrung des Herausgeholtwerdens« verkörpert und am Beginn der Volkswerdung der noch vor seinem Bestehen zu Gottes Volk ausersehenen Gemeinschaft Israels steht (vgl. Abraham der Seher, in diesem Band, S. 120). Erst wenn diese wahre Gemeinschaft verwirklicht wird, kann sich Israels Erwählung erfüllen. Dem Begriff am kommt in Bubers Schriften, in denen er das Auserwähltsein Israels diskutiert, zentrale Bedeutung zu (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 107,35-108,1). am meint in der Bibel die Einheit als Volk nicht im biologischen Sinne einer bloßen Nation, sondern im so-

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ziologischen Sinn als Gemeinschaft, deren Mitglieder durch ein gemeinsames lebensbestimmendes Zentrum verbunden sind; dieses Zentrum ist im Kontext der Erwählung elohim, der Gott Israels. (Buber verwendet im vorliegenden Text die Begriffe am und Gemeinschaft synonym.) Israels Erwählung liegt Buber zufolge, wie gesagt, in der Aufgabe, »wahre Gemeinschaft« unter dem Anspruch der Königsherrschaft Gottes zu werden. Die Idee der Gemeinschaft spielt in verschiedenen Schriften Bubers aus den 1920er und 1930er Jahren eine wichtige Rolle, insbesondere in seinen politisch-sozialphilosophischen Überlegungen. (Vgl. auch die Einleitung zu MBW 11.) In diesen Schriften legt Buber die Konzeption eines Gemeinschaftsbegriffs dar, der im Zentrum seiner theopolitischen Idee steht, die er in dieser Zeit entwickelt (vgl. dazu Samuel Hayim Brody, Martin Buber’s Theopolitics, Bloomington, IN 2018). Für Buber ist die Theokratie, gegründet auf dem Aufbau der wahren Gemeinschaft, die einzige Israel gemäße Herrschaftsform, und sie ist es, die Israel von allen anderen Völkern unterscheidet. Diese Vorstellung artikuliert Buber erstmals in seinem im Gedenken an Gustav Landauer (1870-1919) 1919 erschienenen Text Der heilige Weg (jetzt in: MBW 11.1, S. 125-156; vgl. auch den Kommentar zum Text, ebd., S. 447-452); sie begegnet dann in zahlreichen Schriften aus der Zeit der Weimarer Republik (jetzt dokumentiert in MBW 11.1) und findet schließlich in seiner 1932 veröffentlichten großen Monographie Königtum Gottes (jetzt in: MBW 15; vgl. dort die Einleitung von Samuel Hayim Brody, S. 13-34) ihren umfassendsten Ausdruck. Nach dem Zweiten Weltkrieg greift Buber seine theopolitische Konzeption, die die Begründung für die Erwählung Israels darstellt, sowohl in seinen – neben Königtum Gottes – beiden anderen großen Werken zur biblischen Religion, Der Glaube der Propheten und Moses, als auch in seiner 1950 erschienenen Schrift Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee (jetzt in: MBW 20, S. 171-316; vgl. hier bes. Bubers Einleitung, S. 173 ff.) noch einmal abschließend auf. Anfang Januar 1933, kurze Zeit nach Erscheinen von Königtum Gottes und nur wenige Tage vor Hitlers Machtergreifung, hielt Martin Buber auf einer Tagung des Köngener Bundes, die unter dem Thema »Die religiösen und geistigen Grundlagen einer völkischen Bewegung« stand, bemerkenswerterweise einen Vortrag mit dem Titel »Israel und die Völker«. Überraschend vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der heraufziehenden Herrschaft des Nationalsozialismus war schon allein Bubers Teilnahme an der Tagung, noch mehr jedoch die dort von ihm verhandelte Thematik der Abgrenzung Israels von den anderen Völkern im Sinne seines Auserwähltseins. Dieser Vortrag weist einige wichtige

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Parallelen zum vorliegenden Text über »Die Erwählung Israels« auf und soll darum etwas genauer betrachtet werden. Der bisher unveröffentlichte Text ist jetzt aufgenommen in MBW 11.1, S. 388-411 (Zum Entstehungshintergrund des Vortrags und Bubers Teilnahme an der Konferenz vgl. den Kommentar zum Text in ebd., S. 658-671.) Buber, der gegenüber dem Indologen und Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962), dem Organisator der Tagung, zunächst offen aus politischen Gründen seine Teilnahme an der Tagung abgesagt hatte (vgl. Bubers Brief an Hauer vom 4. Oktober 1932, in: B II, S. 448), revidierte jedoch wenig später in einem Brief an Hauer vom 20. Oktober 1932 seine Entscheidung mit folgenden Worten: »Es ist mir noch in den Sinn gekommen, daß ich nicht über die Judenfrage im Zusammenhang eines völkischen Staatsbaus, aber – wenn es Ihnen erwünscht sein sollte – über die Gemeinschaftsidee des Judentums oder auch über Israel und die Völker referieren könnte; ich weiß freilich nicht, ob ein Thema dieser Art in den Rahmen der Tagung paßt.« (Buber an Hauer, 20. Oktober 1932, aufbewahrt im Bundesarchiv, Nachlass J. W. Hauer, Ordner 13, S. 14; zitiert nach MBW 11.1, S. 663.) Über den Gegenstand, den Buber in seinem Tagungsbeitrag behandeln wollte, sagt er zu Beginn: »[…] daß man Israel von den anderen Völkern nicht so abgrenzen kann, wie man diese untereinander abgrenzt, sondern daß hier eine Einzigkeit da ist, deren Verhalten und Verhältnis zu den andern nur in der Strenge des Einmaligen erfaßt zu werden vermag.« Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten des Vortrags eingehen zu können, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass Buber hier wiederum, wie in seinen Schriften von Der heilige Weg bis Königtum Gottes, seine Konzeption einer Theopolitik für das Volk Israel darlegt, die auf der Vorstellung gründet, Israel sei dazu auserwählt, »wahre Gemeinschaft« unter Gottes Herrschaft zu sein und in Erfüllung dessen den anderen Völkern die Möglichkeit einer Gemeinschaft aller Völker vorzuleben. Darin liege Israels universelle Aufgabe. (Vgl. dazu im vorliegenden Text ähnliche Äußerungen wie: »Ein Volk muß den Völkern die Gott gehorsame Eintracht vorleben.«; oder: »Dieses den Völkern voranlebende Volk aber kann keins von den zersprengten sein, keins von ihnen ist tauglich zum neuen Werk. Ein neues Volk muß erstehen.«; in diesem Band, S. 107 f.) Wie gewagt es war, solche Gedanken Anfang 1933 auf einer Tagung dieser Art auszusprechen, ist offenkundig. In der sich an Bubers Vortrag anschließenden – in Teilen äußerst scharfen – Aussprache geht es dann auch in weiten Teilen um das Thema der Erwähltheit Israels. Buber reagiert auf Nachfragen, ob es denn nicht auch für andere Völker, z. B. für China oder Deutschland gelte, dass sie auserwählt seien, indem er noch

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einmal seinen theopolitischen Erklärungsansatz erläutert: Zunächst geht er von dem Satz aus: »Jedes Volk ist auserwählt. Eine Schar wird Volk: d. h. sie wird zum Volkwerden auserwählt. Jedes Volk hat eine Aufgabe an der Menschheit […].« (MBW 11.1, S. 402 f.) Das, was Israel aber von anderen Völkern abhebe, sei die Tatsache, dass Israels Volkswerden mit einer bestimmten »Glaubenserfahrung und Glaubenshandlung« zu einer bestimmten erinnerten geschichtlichen Stunde zusammenfalle, nämlich dem Bund mit Gott (vgl. ebd.). Aus der Kritik Wilhelm Hauers, Israel verabsolutiere seinen Glauben daran, das Volk zu sein, dem Gott als einzigem eine universelle Aufgabe anvertraut habe, entwickelt sich eine Diskussion über den Absolutheitsanspruch der verschiedenen Völker und Religionen. Buber begegnet der Herausforderung, indem er betont, der Anspruch Israels, von dem er rede, bezeichne gerade keinen Absolutheitsanspruch. Israel habe weder eine Propaganda noch ein Heil zu bringen, sondern etwas Bestimmtes zu leisten, nämlich »eine bestimmte Art von Gemeinschaft zu bauen. […] Aber Israel ist nie eingefallen, mit dieser Gemeinschaft Mission zu treiben.« (Ebd., S. 409.) Auch wenn dieser Aufgabe, eine Gemeinschaft unter der Herrschaft Gottes zu bauen, immerwährende Gültigkeit zukomme, besitze Israel sie nicht ein für alle Mal, sondern Gottes Stimme spreche dieses Gebot immer wieder in die sich wandelnden Zeiten hinein. (Vgl. ebd.) Die Frage der Gültigkeit von Gottes Erwählung steht auch am Ende von Bubers Essay aus dem Jahre 1938. Gott könne, wie Israels Geschichte zeige, seinen Königsthron verlassen, wenn Israel mit der Verwirklichung der Erwählung nicht Ernst mache. Inmitten der angefochtenen Situation der jüdischen Gemeinschaft unter der Herrschaft des Nationalsozialismus erinnert der Philosoph die Leser des Almanachs an das »trostreiche Paradox« jüdischer Existenz, das sich im Bild des »neuen Bundes« ausspreche: »nie kann der Verwerfer aufhören, der Erwähler zu sein« (in diesem Band, S. 113). In diesem Zusammenhang mag daran erinnert werden, dass Buber – kurz vor der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten – in seinem berühmten Gespräch mit dem protestantischen Neutestamentler Karl-Ludwig Schmidt (1891-1956) am 14. Januar 1933 am Stuttgarter Jüdischen Lehrhaus, in dem die Frage der Gültigkeit der Erwählung Israels aus theologischer Sicht auf dem Spiel stand, auf eindrucksvolle Weise seine Sicht zur Sprache brachte. Gegen das christliche Narrativ der »Verworfenheit« des Judentums setzt er die Hoffnung auf Gottes Bundestreue: »Wir wissen […], daß wir, die wir gegen Gott tausendfach gesündigt haben, tausendfach von Gott abgefallen sind, die wir diese Jahrtausende hindurch diese Schickung Gottes über uns erfahren haben – die Strafe zu nennen zu leicht ist, es ist etwas Größeres als

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Strafe –, wir wissen, daß wir doch nicht verworfen sind. Wir wissen, daß das ein Geschehen nicht in der Bedingtheit der Welt, sondern in der Wirklichkeit des Raumes zwischen Gott und uns ist. Und wir wissen, daß wir eben darin, in dieser Wirklichkeit von Gott nicht verworfen sind, daß uns in dieser Zucht und Züchtigung die Hand Gottes hält und nicht losläßt, in dieses Feuer hinein hält und nicht fallen läßt.« (Martin Buber, Kirche, Staat, Volk, Judentum, jetzt in: MBW 9, S. 145-168, hier S. 156.) Dass sich Gott nicht in der Verleihung von Macht als Herr der Geschichte zu erkennen gibt, dass die Propheten von einem »Bund Gottes mit dem Leiden, dem Dunkel, der Verborgenheit« künden (ebd., S. 161), sollte Bubers Überzeugung in den Jahren der zunehmenden Gefährdung der jüdischen Gemeinschaft bleiben. Die sorgfältige Wortanalyse des biblischen Textes, die in allen Abschnitten dieses Textes aufscheint, ist vermutlich auch aus der Arbeit an der »Verdeutschung« der Bibel gewonnen. Textzeugen: h: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 16 lose, paginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; die erste Seite fehlt (entspricht dem Abschnitt »In den Weissagungen […] Mochte manches«, in diesem Band S. 102); mit Korrekturen versehen; als Titel ist mit Bleistift auf dem ersten Blatt (Seite 2) vermerkt: »Die Erwählung Israels«, wobei es sich vermutlich um einen späteren Zusatz des MBA handelt; die hebräischen Worte werden durchweg mit lateinischen Buchstaben geschrieben. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 11 lose, paginierte Blätter; einseitig beschrieben, ausgenommen Blatt 11, auf dessen Rückseite eine Fußnote des zweiten Blattes fortgesetzt wird; mit wenigen Korrekturen versehen; die erste Seite trägt den maschinenschriftlichen Titel: »Martin Buber. Die Erwählung Israels. Eine Befragung der Bibel«; des Weiteren ist ebendort mit blauem Stift von anderer Hand vermerkt: »Erschienen in Quatember Jahrgang 56-57 3. Heft« (das ist der Wiederabdruck des Textes, vgl. MBB 1054). D1: Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5699, Berlin: Schocken Verlag 1938, S. 12-31 (MBB 577). D1.1: Autorenexemplar von D1 im MBA (Arc. Ms. Var. 350, books 194); mit wenigen unbedeutenden Korrekturen versehen, unsicher, ob von Bubers Hand. D2: Quatember, Evangelische Jahresbriefe, 21. Jg., Nr. 3, 24. Juni 1957, S. 136-145 (MBB 1054). D3: Werke II, S. 1037-1051 (MBB 1252).

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Druckvorlage: D

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Übersetzungen: Englisch: The Election of Israel. A Biblical Inquiry (Exodus 3 and 19; Deuteronomy) übers. von Michael A. Meyer, in: Biblical Humanism, Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, S. 80-92 (MBB 1310) und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 211-216 (MBB 1316). Hebräisch: Bechirat Jisrael. Scheʾ ila be-khitwe qodesch, in: Teʿ uda weji’ud, Bd. 1: Maʾ amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 169-180 (MBB 1135); in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 88-99 (MBB 1260). Variantenapparat: Vorbemerkung: hebräisch geschriebene Begriffe werden in h, D2 und D3 allgemein in lateinischen Buchstaben wiedergegeben. 102,2 Eine Befragung der Bibel] fehlt D3 102,14 »Seid ihr mir] davor kein Absatzwechsel D2, D3 102,14 Äthiopensöhne] Mohrensöhne D3 102,15 heraufgeführt vom Lande Ägypten] aus dem Lande Ägypten heraufgeführt D3 102,16 Aram von Kir] Aramäer aus Kir D3 102,17 andern] fehlt TS, D3 102,Anm 1] fehlt D2, D3 102,24 empfinden] [verspüren] ! empfinden h 102,26 ihnen] jenen D3 102,27 nationale] nicht hervorgehoben D2, D3 102,29 Aber:] danach kein Absatzwechsel D3 102,30 »Nur euch] »Euch nur D3 102,30 Erdreichs] Bodens D3 103,1 Herausholen] Heranholen D3 103,1 erkannten] anerkannten D2 103,2-3 besonderen] [direkten] ! besonderen h 103, Anm 1] fehlt D2, D3 103,4 hier] nicht hervorgehoben D2, D3 103,10 daran] nicht hervorgehoben D2, D3 103,14-15 , zu friedlichem Miteinanderleben in die neuen Länder gesetzt,] h, zu friedlichem Miteinanderleben in die neuen Länder gesetzt,i h

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103,15 einander] nicht hervorgehoben D , D 103,16-17 zugleich an Gott verfehlen dadurch, daß es seine Weisung] dadurch verfehlen, dass es Gottes Weisung h 103,25 Bund] hervorgehoben D2, D3 103,25 Bindung] hervorgehoben D2, D3 103,26 Verbindung] hervorgehoben D2, D3 103,28 Verbindlichkeit] hervorgehoben D2, D3 103,31 des Gerichts] des Gerichts [und der Ahndung] h 103,33 stellt im Tor die Gerechtigkeit auf] erstellt im Tor die Gerechtigkeit D2 das Recht setzet im Tor ein D3 103,33-34 vielleicht erbarmt Er, Gott der Scharen, sich / des Überrestes Josefs] Gunst schenkt dann vielleicht JHWH, der Gott der Scharen / dem Überreste Josefs D3 104,Anm 1] fehlt D2, D3 104,3 eröffnet] [sagt] ! eröffnet h 104,4 beginnt er] [sagt er ihm] ! beginnt er h 104,4-5 »Gesehn, gesehn habe ich die Gebeugtheit meines Volks] Gesehn habe ich, gesehn habe ich die Bedrückung meines Volks D3 104,5 Gebeugtheit] [Bedrückung] ! Gebeugtheit h 104,6 Hole] Führe D3 104,8 als »Leitworts«] hals »Leitworts«i h 104,Anm 2] fehlt D2, D3 104,10 Volke] hervorgehoben D2, D3 104,12 die Begegnung ist nicht geschehen] [und doch nennt er es schon] ! [noch hat das Gespräch der beiden nicht begonnen] ! die Begegnung ist nicht geschehen h 104,15 weit] hweiti h 104,17-18 bei dir dasein] dasein bei dir D3 104,18 Zuspruch] [Zusicherung] ! Zuspruch h 104,Anm 3] fehlt D2, D3 104,21 Ehje] hervorgehoben D2 104,24 altärebauend] Altäre bauend D3 104,25 Zuspruch] [Zusicherung] ! Zuspruch h 104,26-27 »ich werde dasein, […] dasein werde«] h»ich werde dasein, als welcher (oder: je wie) ich dasein werde«i h 105,Anm 1] fehlt D2, D3 105,4 und verächtlich »dieses Volk«] fehlt D3 105,8 Teilschonung] [Schonung] ! Teilschonung h 105,10-11 des großen Zwiegesprächs] jenes Zwiegesprächs h 105,12 der die Botschaft] [der das was im Ereignis gleichsam zusam2

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mengefallen erscheint, hier anknüpft und zu Ende spricht] ! der die [vollständige] Botschaft h 105,17 Ehje] hervorgehoben D2 105,Anm 2] fehlt D2, D3 105,21 göttlichen Entgegnung] [Entgegnung] ! göttlichen Entgegnung h 105,23-24 unwirksam gemacht] [aufgehoben] ! unwirksam gemacht h 105,26 »Kehren lasse ich Heilswiederkehr] »Wiederkehr lasse ich kehren D3 105,27 will] werde D3 105,28 entscheidende] gewaltige h 105,29 Ihm] Jhwh D3 105,32-33 »Aus Ägypten rief ich meinen Sohn herbei] »Von Ägypten an rief ich meinem Sohn zu D3 106,2 erstgeborener Sohn] Erstlingssohn D3 106,6 Gnadenhandlung] [Gnadenakt] ! Gnadenhandlung h 106,7-8 Adoptivakt] Adoptionsakt D3 106,9 »Erstgeborenen«] »Erstling« D3 106,10 und so auch sein Volk] hund so auch sein Volki h 106,13-14 Ausgeheiligtes] Geheiligtes D3 106,15 Ihm] Jhwh D3 106,15 von der Ernte] [vom Ertrag] ! von der Ernte h 106,15-16 verzehren] verzehren wollen D3 106,16 Arges] [Missgeschick] ! Arges h Böses D3 106,17 Anbeginn des Ertrags] Beginn der Ernte D3 106,20 bezeichnet] bezeichnet [welches ist die Ernte, der es entsondert wird] h 106,21 schauen] [dringen] ! schauen h 106,23 gilt es als] [hat man es] ! gilt es als h 106,25-26 War denn aber Israel […] gereift] [Ist] ! War denn aber Israel hin seiner Frühzeit, von der der Prophet redeti [wirklich] schon gereift h 106,27 das ganze Wachstum] [die ganze Saat] ! das ganze Wachstum h 106,27 Ertrag] Ernte D3 106,28-29 Die ganze Geschichte des Auszugs zeugt dagegen] [Schon die nächste [Weissagung] ! Rede Jeremias, wie sie sich unmittelbar an diese anschliesst, sagt das Gegenteil; in grosser Geschichtsanklage, die die Motive Amos und Hoseas aufnimmt und [ausbildet] ! vollendet, wird dem Volk seine Abkehr und Verkehrung vorgestellt: »Ich selber pflanzte dich als Edelrotrebe, / allsamt echter Same, – / wie

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hast du dich mir verwandelt / in Triebe bastardischen Weinstocks!«] ! Die ganze Geschichte des Auszugs zeugt dagegen h 106,29 offenbar] [also] ! offenbar h 106,29-30 das Bisherige] das Bisherige [und Gegenwärtige] h 106,31-32 seine ihm in seiner Frühzeit kundgegebene Bestimmung] seine hihm in seiner Frühzeit kundgegebenei Bestimmung h 106,35 auserkannt] »auserkannt« D3 106,36 es gepflanzt] [diese Rebe gesät] ! es gepflanzt h 106,38 die Absicht] [das Ziel] ! die Absicht h 106,39 »erstgeborenen Sohn«] »Erstlingssohn« D3 107,2-3 Vertretungsbefugnis] [Machtbefugnis] ! Vertretungsbefugnis h 107,4 Gabe] [Begabung] ! Gabe h 107,4 zelem] »Bildes« D3 107,8-9 den Tieren […] Namen geben läßt] [den Lebewesen Namen geben] ! den Tieren […] Namen geben läßt h 107,12 Mühsal] Beschwernis D3 107,13 Aber auch] davor Absatzwechsel D3 107,19-20 zu walten] [über die Erde] zu walten h 107,22 »Namen«] schem h 107,37 gesellt zu] [gemeinsam mit] ! gesellt zu h 107,40 gegenseitige Lebensteilnahme] [Teilnahme aneinander] ! gegenseitige Lebensteilnahme h 108,1 verbunden sind.] verbunden sind. [Solch ein Volk muss den Völkern das Volksein vorleben, damit sie lernen, zu einem Volk aus Völkern, zu einem Menschheits] h 108,3-4 die der Mitte […] muß zerfallen] hdie der Mitte […] muss zerfalleni h 108,17 der unerhörte] dieser unerhörte D3 108,18-19 der Imperativ […] geknüpft ist] hder Imperativ […] geknüpft isti h 108,19 erst] zunächst D3 108,23-24 Nachahmung Gottes] imitatio Dei h 108,24 Bewährung] Wahrhaftigkeit D3 108,30 zwischen] [inmitten] ! zwischen h 108,31 inmitten] im Innern D3 108,33 In später, nachexilischer Stunde] [In einer späten Stunde des biblischen Zeitalters] ! In später, nachexilischer Stunde h 108,34 Befehls] [Wortes] ! Befehls h 108,37 »… so will ich euch befreien – / ihr sollt ein Segen werden!« ] »so befreie ich euch, / und ihr sollt ein Segen werden«. D3

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108,38 Unser Glaube] [Unsere Bibel] ! Unser Glaube h Der Glaube Israels D3 109,2-3 bei dir sein] dasein bei dir D3 109,6 führe dich] [steige mit dir] ! führe dich h 109,7 in] nicht hervorgehoben D2, D3 109,12-13 Gegenüber stehen […] sein Volk.] hGegenüber stehen […] sein Volki h 109,13 dem Gotte] der Gottheit D3 109,16 ich brachte euch] ließ euch kommen D3 109,18 ein Sonderschatz / aus allen Völkern] aus allen Völkern ein Wesensgut D3 109,19 die Erde all] all das Erdland D3 109,Anm 1] fehlt D2, D3 109,22-25 1. »Zu mir« […] am Sinai erfolgen.] h»Zu mir« […] am Sinai erfolgen.i h 109,25 Sonderschatz] Wesensgut D3 109,30 »Priester«] »Priester« [im kultischen Sinn] h 109, Anm 2] fehlt D2, D3 109,34 diesem] nicht hervorgehoben D2, D3 110,1 »ein heiliger Leib«] »sein heiliger Leib« D2 110,3 unserer] berichtigt aus unterer nach D2, D3 110,12 ewigen König] hewigeni König h 110,18 einen Sonderschatz] ein Wesensgut D3 110,20 Königsboten] [Adjutanten] ! Königsboten h 110,23 Urmidrasch] Zusammenhang der Selbstdeutung D3 110,25 Predigten und Gesetzeseinleitungen] Predigten hund Gesetzeseinleitungeni h 110,26 deutet es] [predigt es darüber] ! deutet es h 110,26-27 und besonders den »Sonderschatz«-Begriff aus] hund besonders den »Sonderschatz«-Begriff ausi h 110,27 aus: Ein Einziges und Unvergleichliches ist dies] fehlt TS 110,28 den Eingeweiden] dem Innern D3 110,Anm 1] fehlt D2, D3 110,Anm 2] fehlt D2, D3 111,4 hocken] ruhn h 111,6 schwebt] schwingt D3 111,8 geschwebt] geschwungen D3 111,Anm 1] fehlt D2, D3 111,9 eins] nicht hervorgehoben D2, D3 111,10 seine Schwinge] seinen Fittich D3 111,12 voranfliege!] nachfolgender 6. Abschnitt unmittelbar angehängt D3

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111,14 miteinander] hmiteinanderi h 111,14-15 erscheint] [tritt] ! erscheint h 111,17-18 Eliminierung] Streichung h 111,19 Berichtigung] [Korrektur] ! Berichtigung h 111,21 Gott sendet] davor kein Absatzwechsel D3 111,24 (und sie allein)] h(und sie allein)i h 111,25 werde bei dir sein] werde dasein bei dir D3 111,30 daranging] dahinging h 111,30-31 sich zum Volk (am) auszulösen! … Errichtet] zu einem Volk (am) sich abzuspalten … ! Gegründet D3 111,31 Weltzeit!] Weltzeit. D3 112,Anm 1] fehlt D2, D3 112,12 Du] Jhwh D3 112,14 bedeutet] ist h 112,21 nah ihm] ihm nah D3 112,21 Er] Jhwh D3 112,25 Er] Jhwh D3 112,27 berichtigende] [dort vermisste] ! berichtigende h 112,28 Seinen] Jhwhs D3 112,30 Gottheit versucht] ein Gott erprobt D3 112,32 Er] Jhwh D3 113,2-5 In einer Stunde […] tritt Jeremija] [Bald nach der verhängnisvollen Schlacht bei Megiddo, in der] ! In einer Stunde, da die [dem Südreich] ! Jerusalem nahende Katastrophe sich noch nicht anzuzeigen beginnt und alle sich sicher fühlen h 113,7 und zur Priesterschaft] hund zur Priesterschafti h 113,10 nichts Übles widerfahren] [nichts geschehn] ! nichts Übles widerfahren h 113,12 und keine Umkehr geschieht, dann] hund keine Umkehr geschieht, danni h 113,13 in der Richterzeit] hin der Richterzeiti h 113,13-14 in einer Stunde der Sündenreife] in seiner Sündenreife D2 113,14 der Vernichtung hingab] der Vernichtung hingab [und die Lade des Bundes] h 113,14-15 Fortwerfen] Fortschleudern D3 113,15-16 Nur eben […] so verwerfen.] hNur eben […] so verwerfen.i h 113,17 Er] Jhwh D3 113,19-20 Es hat nur die sichernde Königsmacht gekannt] [Es wusste von der Königsmacht nur] ! Es hat nur die sichernde Königsmacht gekannt h 113,23 unserer Existenz] dieser Existenz TS dieser unserer Existenz D3

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113,23-24 nie kann der Verwerfer aufhören] nie hört der Verwerfer auf D2, D3 113,25 dem Haus Israel] Volk ! dem Haus Israel h 113,25-26 geschlossen werden (3130-33), der den Widerspruch […] überwindet] geschlossen werden (3130-33) [. Denn (v. 36) »Könnten gemessen je werden / die Himmel droben, / könnten xxxx] ! , der den Widerspruch […] überwindet h 113,28 zum Volk.«] zum Volk.« Wie dem Menschen sein Amt an der Welt trotz allem nicht entzogen ist, so Israel trotz allem nicht sein [Amt] ! Volksamt an der Menschheit. Aber nur durch das Leben der eignen Gemeinschaft, in sich und mit den andern, kann das sich erfüllen. Wodurch aber das Leben? Der Prophet der Katastrophe verkündet, Gott müsse die Weisung dazu, wie einst auf Steintafeln, nun uns aufs Herz schreiben. Mit dieser Verkündigung sind wir seither durch die Zeiten gegangen. hUnd es ist geschrieben worden.i Ein harter Griffel hat »zuordnend« blutige Zeichen um Zeichen gerissen. Steht die Schrift nun da? h Wort- und Sacherläuterungen: 102,4 Samaria] Hauptstadt des Nordreichs Israel; zwischen Judäa im Süden und Galiläa im Norden gelegen. 102,15 Philister] Philister – ein Seevolk, das sich ab dem 12. Jh. v. Chr. in den südlichen Küstenebenen Palästinas sowie in der Ebene von Jesreel und Bet Shean (zwischen den Bergen Galiläas und Samarias) ansiedelte. 102,16 Kaftor] Nach biblischer Tradition das Ursprungsland der Philister und der alte Name für Kreta und die gesamte ägäische Region um Kreta. 102,16 Aram] Aram – die Aramäer waren eine semitische Volksgruppe, die aus Westen nach Nordmesopotamien drang und mehrere Königreiche gründete, u. a. das Königreich Aram auf den Gebiet des späteren Syrien mit der Hauptstadt Damaskus, das vermutlich vom 13. Jahrhundert v. Chr. bis 733 v. Chr. bestand. Die Bibel verwendet den Namen Aram auch für andere aramäische Königreiche. 102,16 Kir] Kir gilt nach biblischer Tradition als das Ursprungsland der Aramäer, wobei gesicherte Erkenntnisse über die genaue Lokalisierung des Ortes fehlen. 103,16-17 Weisung (Tora)] tora, hebr. »Lehre«, »Unterweisung«; von Gott Moses am Sinai offenbart; in der Hebräischen Bibel ist mit tora eine einzelne religiöse Vorschrift oder ein Komplex von Vorschriften gemeint; von der Tradition wird tora im engeren Sinn zur Bezeich-

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nung des Pentateuch, im weiteren Sinn zu der der jüdischen Lehre insgesamt gebraucht; Buber übersetzt tora stets mit »Weisung«. 103,24 eine Brit] Die Hebräische Bibel verwendet den Begriff ‫ברית‬, brit, »Bund« an zentralen Stellen über das Verhältnis Gottes zu seinem Volk – vgl. Gottes Bund mit Noah, Gen 6,18 u. Gen 9,9-11; Gottes Bundesschluss mit Abraham, Gen 15,18 u. Gen 17,1-8; der Bund Gottes mit Moses am Sinai, Ex 24,4-11; Gottes Bund mit David, II Sam 7,12-16; zum Charakter des Bundes zwischen Gott und Israel vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 186 f. 103,32-34 »Hasset das Böse […] des Überrestes Josefs.«] Am 5,15. 104,Anm 1 ‫ ]סנה‬sne, hebr. »Dornbusch«, ist die nur in der Bibel vorkommende Bezeichnung für Dornbusch und klingt an die spätere Bezeichnung »Sinai« für den Berg Horeb an, an dem sich Gott Moses offenbart und ihm die »Tafeln der Vergegenwärtigung« (Luther übersetzt: »Tafeln des Gesetzes«) gibt (vgl. Ex 31,18). 104,Anm 2 bei Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung] Der von Buber herausgegebene Band Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936 (jetzt in: MBW 14, S. 35-152), der Aufsätze von Rosenzweig und Buber versammelt, enthält zwei Aufsätze Bubers, die sich mit dem Thema des »Leitwortstils« in der Bibel befassen: »Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuch« (S. 211-238) und »Das Leitwort und der Formtypus der Rede« (S. 262-275); jetzt in: MBW 14, S. 95-110 und 111-118. Vgl. auch Buber, »Genesisprobleme«, in diesem Band, S. 89-98; bes. S. 90-92. 104,Anm 3 Vgl. Rosenzweigs Aufsatz […] »Königtum Gottes«] Franz Rosenzweigs Aufsatz in Die Schrift und ihre Verdeutschung, den Buber hier meint, erschien dort unter dem Titel »›Der Ewige‹. Mendelssohn und der Gottesname« (ebd., S. 184-210); Martin Buber, Königtum Gottes, 2. verm. Aufl., Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 71-86; jetzt in: MBW 15, S. 139-146. 105,1-2 der Sünde am goldenen Kalb] Ex 32,1-6. 105,Anm 1 Vgl. »Die Schrift und ihre Verdeutschung« S. 262 ff.] Buber verweist hier auf seinen Aufsatz »Das Leitwort und der Formtypus der Rede«, in: Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 262-275; hier S. 262; jetzt in: MBW 14, S. 111-118; hier S. 111; als Beispiel für den Leitwortstil der Bibel bezieht sich Buber in diesem Aufsatz auf das in Ex 32 bis 34 mehrfach aufgenommene »Zwiegespräch Gottes mit Mose« nach der Sünde des Volkes am goldenen Kalb. 105,13 anbefohlenen Ehe Hoseas mit der Buhlerin] Vgl. Hos 1; Gott gebietet Hosea, sich zum Zeichen dafür, dass das Volk Israel sich von seinem Gott abwendet und in die »Hurerei« mit anderen Göttern

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läuft, ein »hurerisches Weib und Kinder der Hurerei« zu nehmen. Auch die beiden ersten Kinder Hoseas aus dieser Ehe tragen zeichenhafte Namen: der erste Sohn Jesreel – zum Zeichen dafür, dass Gott die Königsherrschaft Israels, dessen Königssitz in Jesreel war, vernichten werde; die Tochter Lo-ruchama, »Ihr-wird-Erbarmen-nicht« – zum Zeichen dafür, dass Gott sich Israels nicht weiter erbarmen wird. 107,4 zelem] Die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott (zelem elohim), wie sie in Gen 1,27 beschrieben wird: »Gott schuf den Menschen in seinem Bilde«. In der Kabbala, der jüdischen Mystik, gibt es die Vorstellung vom zelem als einem individuellen, himmlichen Urbild eines jeden Menschen.« Vgl. Karl-Erich Grözinger, Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik, Bd. 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus, Frankfurt a. M. u. New York 2005, S. 582 ff. 107,22 (das ist der »Name« von 114)] Buber bezieht sich auf die Erzählung vom Turmbau zu Babel, Gen 11,1-9, hier Vers 4: »bauen wir uns eine Stadt und einen Turm, sein Haupt bis an den Himmel, und machen wir uns einen Namen«. 107,35-108,1 Aus einer bloßen Nation […] einander verbunden sind.] goj, hebr. für »Volk«, bezeichnet in der Bibel allgemein den biologischen oder geschichtlichen Zusammenschluss zu einer nationalen Einheit oder auch den Angehörigen eines Volkes in diesem allg. Sinn – ohne die heute zumeist pejorative Verwendung des Begriffs; am, hebr. ebenfalls für »Volk«, meint in der Bibel die Einheit als Volk im soziologischen Sinn, deren Mitglieder durch ein gemeinsames lebensbestimmendes Zentrum als Gemeinschaft verbunden sind; vgl. auch unten, S. 110 f.; in seinem Aufsatz »Das Leitwort und der Formtypus der Rede« erläutert Buber ebenfalls die unterschiedliche Bedeutung von goj und am: »Zum Unterschied von goj (32,10, 33,13), das die körperhafte Einheit (vgl. gwija: Körper, Leichnam) bezeichnet, bedeutet am die durch Gesellung, durch Bei- und Miteinander (vgl. im: zugesellt, bei, mit) gekennzeichnete Gesamtheit – jenes mag daher durch Stamm […], dieses durch Volk wiedergegeben werden.« (Buber, Das Leitwort und der Formtypus der Rede, S. 263; jetzt in: MBW 14, S. 111.) 108,23-24 das Prinzip der Nachahmung Gottes] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 254,33. 108,27 (Jesaja 1924)] »An jenem Tag wird Jissrael das Dritte zu Ägypten und zu Assyrien sein, ein Segen im Innern des Erdlands«. 109,2-3 »Mein Volk – ich werde bei dir sein.«] Ex 3,12.

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109,15-20 »Selber habt ihr gesehen […] ein heiliger Goj.«] Ex 19,4-6. Zu »Goj« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 107,35-108,1. 109,21-110,10 Zum Wortbestand des Spruchs […] als »Segen«.] Eine ausführlichere Erläuterung der Wortbestandteile des Adlerspruchs gibt Buber im Kapitel »Der Adlerspruch« in seiner Schrift Moses, in diesem Band, S. 438-445, bes. S. 441-443. 109,Anm 1 Königtum Gottes, 2. Aufl., S. 124 ff., 268 ff.] Jetzt in: MBW 15, S. 166 ff., 230 ff. 109,30 Kohanim] Mit Kohanim werden gewöhnlich in der Bibel die Priester bezeichnet, die als direkte Nachfahren Aarons, Moses’ Bruder, gelten; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 509,5-6. 110,23 Urmidrasch] Zu »Midrasch« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,12-13. Obwohl der Midrasch eigentlich eine nachtalmudische exegetische Methode bezeichnet, die die Bibel erklärt, wendet Buber ihn hier auf die Bibel selber als die Urform oder der Ursprung des Midrasch an, da sie Strukturen des Midrasch enthalte. 110,Anm 1 Die nachala-Stellen […] als die segulla-Stellen] Die Gegenüberstellung, die Buber hier vornimmt, ist die der beiden Begriffe »Eigentumsvolk« (am nachala, z. B. in Dtn 4,20) und »SondergutVolk« (am segulla, z. B. in Dtn 7,6 und im »Adlerspruch« selber, Ex 19,5). 110,36 (das, nicht Rang bedeutet eljon 2619 wie 281)] ‫עליון‬, hebr. elion, »oberer«; Buber selber übersetzt in beiden Versen nicht ganz eindeutig mit: »dich als höchsten zu begeben über alle Weltstämme«, »dich als höchsten begeben über alle Stämme der Erde«. 111,3 im Liede] Das Lied des Mose, Dtn 32,1-43. 111,24-25 die beiden Leitworte […] werde bei dir sein«] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 104,Anm 2. 111,33 Brit] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 103,24. 113,2-3 verhängnisvollen Schlacht bei Megiddo] 609 v. Chr. starb König Josia, König des Reiches Juda, bei Megiddo (in der Jesreelebene im Norden Israels) in der Schlacht gegen Pharao Necho II. (vgl. II Kön 23,29); Josia hatte nach biblischem Bericht vor seinem Tod eine Reihe von kultischen Reformen eingeleitet, um assyrische und kanaanäische Einflüsse zurückzudrängen und den Bund mit dem Gott Israels zu erneuern (vgl. II Kön 23); vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 287. 113,13-15 wie er einst […] von meinem Antlitz hinweg.«] Silo, im Nordreich Israels gelegen, war in den Jahrzehnten nach der Landnahme unter Josua das religiöse Zentrum der Israeliten, wo auch die Stiftshütte mit der Bundeslade als das zentrale Heiligtum Israels stand.

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Nach I Sam 4 eroberten die Philister in der Zeit des Propheten und letzten Richters Samuel in einer Schlacht gegen die Israeliten die Bundeslade von Silo. Zur Bundeslade vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 63,19; später zur Zeit des Propheten Jeremia lässt Gott dem Volk durch Jeremia sagen, er werde es von seinem Angesicht fortwerfen und erinnert es daran, wie er einstmals wegen der Bosheit des Volkes das Heiligtum in Silo verlassen habe; vgl. Jer 7,12 u. 15. 113,26-28 »Ich gebe meine Weisung […] mir zum Volk.«] Jer 31,33. Abraham der Seher Im Februar und März 1939 veröffentlichte die in Tel Aviv auf Hebräisch erscheinende Zeitung Ha-aretz in Fortsetzungen einen Aufsatz Bubers unter dem Titel ‫»( שליחות אברהם‬Die Sendung Abrahams«). Dieser wurde zur selben Zeit, im Februar 1939, auch als mehrteiliger Vortrag vom palästinensischen Rundfunk gesendet. (U. a. berichtet Hugo Bergmann davon in seinem Tagebuch; vgl. Schmuel Hugo Bergman, Tagebücher und Briefe, hrsg. von Miriam Sambursky, mit einer Einleitung von Nathan Rotenstreich, Bd. I, Königstein Ts., 1985, S. 495 f.). Kurz nach dem Erscheinen des hebräischen Textes in Ha-aretz und nur wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs reiste Buber im Frühjahr 1939 auf Einladung der Gesellschaft der Freunde der Hebräischen Universität Jerusalem für eine Vortragsreise nach Polen. In Warschau, seiner ersten Station, hielt er zwei Vorträge. Am 14. März sprach er zunächst über »Erziehung und Nation«. Seinen zweiten Vortrag einige Tage später hielt er auf Hebräisch am Institut für Judaistische Wissenschaften. Dabei handelte es sich um den in Ha-aretz kurz zuvor erschienenen Vortrag »Die Sendung Abrahams«. Buber hielt diesen Vortrag ein weiteres Mal während seiner Polenreise, und zwar am 1. April 1939 als einen von insgesamt drei Vorträgen in seiner Heimatstadt Lwów/Lemberg. (Zu diesen Hintergründen sowie zu Einzelheiten der Polenreise Martin Bubers vgl. Kazimierz Krzykalski, Martin Bubers Reise nach Polen am Vorabend des II. Weltkrieges (März-April 1939) im Spiegel der polnischsprachigen jüdischen Presse, in: Judaica, Bd. 51 (1995), S. 67-82, bes. S. 72.) Der vorliegende Text »Abraham der Seher« stellt die deutsche Fassung der »Sendung Abrahams« dar. Buber veröffentlichte ihn erstmals 1955 in dem Band Sehertum. Anfang und Ausgang (erschienen in Köln bei Jakob Hegner), zusammen mit dem Text »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde«, der 1954 in der Zeitschrift Merkur erschienen war (jetzt in: MBW 15, S. 380-393). In einem Vorsatz zum Band stellt Buber

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das Verbindende der beiden zunächst recht unterschiedlich erscheinenden Aufsätze heraus: »Der erste dieser beiden Versuche stammt aus dem Jahre 1938, der zweite aus dem Jahre 1954. So verschieden sie nach Absicht und Charakter sind, gemeinsam ist ihnen die Bemühung um den Sinn des Prophetischen und dessen Bedeutung für unsere Existenz.« (Martin Buber, Sehertum. Anfang und Ausgang, Köln u. Olten: Jakob Hegner 1955 [S. 7].) Im gleichen Jahr der Veröffentlichung seines hebräischen Vortrages, 1939, erschien im 83. und letzten Jahrgang der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums (MGWJ) eine im Vergleich mit der späteren Veröffentlichung in Sehertum um den ersten Abschnitt gekürzte deutsche Fassung unter dem Titel »Zur Erzählung von Abraham«. Anders als üblich, erschienen die Beiträge der MGWJ des Jahres 1939 nicht in einzelnen Heften, sondern geschlossen in einem Band. »Äußere Gründe sind hierfür bestimmend gewesen« – heißt es dazu lapidar im Editorial der MGWJ. Mit dem Jahrgang 1939 musste die 1851 gegründete Monatsschrift, das wichtigste publizistische Dokument der Wissenschaft des Judentums in Deutschland, ihr Erscheinen einstellen. Der offenbar an eine Zuhörerschaft gerichtete Beginn von »Abraham der Seher«, die im MBA erhaltenen Handschriften und ein Typoskript sowie schließlich der Vergleich mit der hebräischen Publikation in Haaretz bieten Hinweise darauf, dass es sich bei der 1955 in Sehertum veröffentlichten Fassung um den ursprünglich von Buber zur Publikation verfassten deutschen Text handelt, den er dann zum Zweck der Veröffentlichung in der MGWJ um den ersten Abschnitt kürzte. Interessanterweise ist im MBA eine aus neun Teilen bestehende Reihe maschinenschriftlicher Vorlesungsskripte erhalten (Teil V fehlt), die einen Vortragszyklus zu Abraham wiedergeben (Arc. Ms. Var. 350 003 57a). Darin behandelt Buber u. a. in einer deutlichen Parallele zu »Abraham der Seher« ausführlich die dort beschriebenen sieben Offenbarungen an Abraham. Leider fehlen eindeutige Hinweise auf Ort und Zeit der Vorträge, allerdings lassen sich aufgrund einer Bemerkung Bubers über den Charakter der Vortragsreihe Vermutungen über den Rahmen anstellen, in dem er die Vorträge hielt. Zu Beginn des ersten Teils heißt es: »Vorträge nenne ich dies in Anführungszeichen, denn ich muss gestehen, dass ich immer weniger eigentlich ein Herz für Vorlesungen habe, die ganz und gar keine Arbeitsgemeinschaften sind. Ich möchte diesen Unterschied, der da in unserem Programm gemacht ist, nicht als einen unbedingten angesehen haben. Mit anderen Worten: Ich möchte auch in dieser Vorlesung immer wieder fragen können, feststellen können, was ist da bei Ihnen selbst jeweils bei einer Sache zu sagen oder zu fragen oder

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zu bemerken. Damit ist es also nur dem Grade nach von der Arbeitsgemeinschaft verschieden.« (Ebd.) Der Ort, an dem es ein Programm gab, das sowohl Vorlesungen als auch Arbeitsgemeinschaften als Lehrund Lernform kannte, war das Frankfurter Jüdische Lehrhaus, das Buber von 1933 bis 1938 leitete. Darum liegt die Vermutung nahe, dass Buber den Vortragszyklus zu Abraham dort hielt. Er könnte ihm durchaus auch als Grundlage für seinen Aufsatz »Abraham der Seher« gedient haben. Im ersten Abschnitt legt Buber zunächst seine exegetische Maxime dar: Nicht das, was hinter der biblischen Erzählung steht, lässt sich aus ihr erschließen, sondern nur das, was in ihr steht. In der Erläuterung dieses Grundsatzes setzt Buber sich mit der historischen Bibelkritik des 18. und 19. Jahrhunderts, insbesondere der Quellenscheidungstheorie, kritisch auseinander. Da er seine hier am Beispiel der Genesiserzählung dargelegte Argumentation in verschiedenen seiner biblischen Schriften ab den 1930er Jahren bis hin zu Moses in ähnlicher Form wiederholt, soll sie hier in ihren Grundzügen zumindest kurz dargelegt werden. Wie die historische Bibelkritik erkennt auch Buber durchaus sprachliche Unterschiede innerhalb der Erzählung der Genesis wie überhaupt in den biblischen Erzählungen und führt diese ebenfalls auf verschiedene Verfasser oder »Quellen« zurück. Diese Tatsache legitimiert aus seiner Sicht allerdings in keiner Weise die Theorie der Quellenscheidung, nach der das Buch Genesis und die Bibel insgesamt eine Collage unabhängig voneinander stehender Quellentexte sei – diese Methode habe aufgrund der neueren Forschung »schwere Erschütterungen« erfahren (in diesem Band, S. 115). Vielmehr führt Buber die sprachlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Verfassern und ihre ihnen jeweils eigentümlichen Tendenzen auf unterschiedliche Erzählabsichten der verschiedenen Bearbeiter der Überlieferung zurück. Buber folgt damit, in Einklang mit anderen jüdischen Bibelwissenschaftlern, insbesondere Benno Jacob (1862-1945), statt einer textkritischen der sog. »tendenzkritischen Methode«, die den Text auf seine Intention hinsichtlich seiner ganz bestimmten Leserschaft hin befragt (vgl. auch Martin Buber, Königtum Gottes, S. XVI; jetzt in: MBW 15, S. 97 f.; vgl. ausführlicher die Kommentare zu »Genesisprobleme« und zu »Zum Einheitscharakter des Jesajabuches«, in diesem Band, S. 784-790 u. 799 f.). Allen Erzählungen gemeinsam sei aber, so Buber, eine bestimmte »urbiblische« Atmosphäre (in diesem Band, S. 116), aus der heraus sie entstanden seien und die den Genesiserzählungen letztlich einen einheitlichen Charakter verleihe. Diese Ur-Einheit, die über das Buch Genesis hinaus für Buber für alle biblischen Erzählungen gilt, sei in der Geschichte der Entstehung des

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Pentateuchs durch redaktionelle Bearbeitung noch weiter ausgeprägt worden. Die sog. Redaktoren (vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 92,32), »große, von der urbiblischen Anschauungseinheit begeisterte Männer«, hätten es unternommen, »diese Einheit in der Mannigfaltigkeit der überkommenen Erzählungen auszuprägen«, etwa, so Buber, durch Verwendung bestimmter Leitwörter, durch einen symmetrischen Aufbau und einen bestimmten Erzählstil. Das Verständnis dieser Einheit, die Buber das »Werk eines groß komponierenden religiösen Bildnertums« (ebd., S. 116) nennt, sei wesentlich, um die biblische Erzählung in ihrer auch theologisch bedeutsamen Gesamtarchitektur wirklich verstehen zu können. Einen besonderen Akzent legt Buber, getreu seinem in seinen biblischen Kommentaren insgesamt vorherrschenden Verständnis der historischen Bedeutsamkeit auch der in der Hebräischen Bibel überlieferten Sagen und Mythen (vgl. den Einzelkommentar zu Moses, in diesem Band, S. 979-1003), auf die legitime Möglichkeit, die Väterüberlieferungen als Widerspiegelung des geschichtlichen Gedächtnisses einer antiken Stammesgemeinschaft und insofern Abraham als eine »geschichtliche Person« zu verstehen, die etwas über das biblische Verständnis des Weges Gottes mit seinem Volk Israel aussagt: »Uns ist zwar nicht eine geschichtliche Wirklichkeit gegeben, aber die Urkunde ihrer Betrachtung. Was hinter der biblischen Erzählung steht, wird, da uns andere Quellen nicht gegeben sind, die Wissenschaft stets nur vermuten können; was in ihr steht, aus ihr zu erschließen ist uns gewährt.« (In diesem Band, S. 115; zu der für Buber charakteristischen Hermeneutik zwischen historischer Bibelexegese und Sinndeutung biblischer Texte für ein Verständnis der religiösen Rolle des Judentums in der Moderne vgl. u. a. Claire E. Sufrin, History, Myth, and Divine Dialogue in Martin Buber’s Biblical Commentaries, Jewish Quarterly Review 103 / 1 (2013), S. 74-100.) Aus der Betrachtung der in der Genesis entfalteten »erzählte[n] Theologie« (in diesem Band, S. 117), welche die Entstehung der Welt, der Menschheit und des Volkes Israel (von Buber mit dem Begriff Toledot, »Erzeugungen«, bezeichnet) als umfassenden, kosmogonischen Schöpfungs- und Offenbarungsprozess deutet, in dessen Zentrum die Geschichte einer universal bedeutsamen Volkswerdung steht, entwickelt Buber die Vorstellung zweier, mit der Entstehung des Volkes Israel in einen heilsgeschichtlichen Neuanfang mündender Weltalter der Menschheit. Beide Male hat das urgeschichtliche Menschengeschlecht – aus jeweils ganz unterschiedlichen Motiven – in seinem Scheitern die göttliche Absicht, eine wahre, einheitliche Menschheit, ein einiges Volk zu schaffen, durchkreuzt und somit zunichtegemacht. Das vielstämmige Volk

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Israel soll in einem dritten Anlauf helfen, dieses Ziel zu verwirklichen und die nach dem Turmbau zu Babel entstandene Völkervielheit zu einer »ihre Spaltung überwindende[n] und über ihnen sich vereinigende[n]« Menschheit, einem »Völkervolk« unter der Herrschaft Gottes zu formen (ebd., S. 119). Buber formuliert hier in nuce die Grundlagen seines 1932 in Königtum Gottes ausformulierten und für seine biblischen Schriften insgesamt charakteristischen Konzepts einer Theopolitik, der zufolge Israel, das durch Gottes Willen neu gebildete Volk, die Aufgabe zukommt, als »wahres Volk« den anderen Völkern auf dem Weg zur Erreichung der Völkermenschheit voranzugehen. (Vgl. dazu insgesamt Samuel Hayim Brody, Martin Buber’s Theopolitics.) Gleichzeitig erklärt Buber damit den Erwähltheitsgedanken des Volkes Israel, den er bereits an anderen Stellen dargelegt hat (vgl. »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 102-113, und den Kommentar zum Text, in diesem Band, S. 802-807). Anders als beispielsweise in seinem Aufsatz »Die Erwählung Israels«, in dem Abrahams Rolle nur am Rande erwähnt wird, stellt Buber den Stammvater Israels nun in den Mittelpunkt der Geschichte der Auserwählung, und zwar als denjenigen, an den erstmals die göttliche Kundgebung der Erwählung eines »ausgesondert[en] und ausgesandt[en]« Volkes erging, »an dessen Geburt die Offenbarung, die Verheißung und das Gebot von oben mitwirken«, mit dem Auftrag, eine zukünftige Einheit der Menschheit herbeizuführen (ebd., S. 119). Buber weist darauf hin, dass von diesem Ziel namentlich die Propheten zu reden wissen. Unter diese reiht er dann auch Abraham ein, dessen Erfahrung des »Herausgeholtwerdens« aus seiner ursprünglichen Heimat derjenigen des prophetischen Menschen entspreche. Abrahams Existenz sei eine prophetische, weswegen die Bibel ihn auch einmal einen »Künder«, d. h. einen Propheten nenne (ebd., S. 120). Als »Herold Gottes« (ebd., S. 125) gehört er mit in die Frühgeschichte der israelitischen Prophetie. Erinnert sei an dieser Stelle an Bubers Vorsatz zu Sehertum, in dem er die Absicht beider Texte – »Abraham der Seher« und »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« – darin bestimmt, »den Sinn des Prophetischen« aufzeigen zu wollen. Auch der Person Noahs aus dem zweiten Menschheitsgeschlecht stellt Buber Abraham gegenüber. Beide Männer seien Erwählte, beider Wesen sowie die Kundgebung Gottes an beide seien vergleichbar. Die Bibel ordne sowohl Noah als auch Abraham drei zentrale Eigenschaften zu: »Bewährung«, »Ganzheit«, »Einhergehen« (ebd., S. 123). Buber stellt jedoch heraus, wie diese Eigenschaften bei Abraham im Vergleich zu Noah in veränderter Gestalt erscheinen, was daraus zu erklären sei, dass Abraham eine mit seinem Tun zu bewährende geschichtliche Sendung empfange,

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anders als Noah, dessen Aufgabe auf die Geschlechter seiner Epoche begrenzt sei. Der Weg Abrahams wird im Folgenden als ein von keiner Quellentheorie zu erfassender Weg in Stationen »von Erprobung zu Erprobung und von Segen zu Segen« (ebd., S. 125) erzählt, genauer gesagt, als ein Weg von sieben Offenbarungen, die alle unter dem Leitwort des »Sehens« stehen. Dieser Weg vom Beginn bis zur Vollendung der Beziehung zwischen Gott und Abraham führt von der Verheißung der Volkswerdung, dem Zeigen des Landes und einem ersten Sich-Sehen Lassen Gottes über die Verheißung des Landes, die prophetische Vision der – in Abrahams Herausgeholtwerden antizipierten – Herausholung Israels aus Ägypten, der Namensgebung Abrams, der zu Abraham, dem »Vater einer Völkermenge« (ebd., S. 128) wird und das Bundeszeichen empfängt, bis hin zur Begegnung mit den drei Männern in Mamre, die eine wechselseitige Beziehung und Verpflichtung zur Gerechtigkeit stiftet, und zur Sendung Abrahams zum Berge Moria, ins Ungewisse. In dieser siebten Offenbarung droht Gottes Verheißung der Volkswerdung auf paradoxe Weise aufgehoben zu werden, wird aber durch den Akt der Erprobung und Bewährung Abrahams, durch die Geschichte der akedah, der Bindung Isaaks, in einer Weise bestätigt, die Gott als den »Gnädigen und Barmherzigen« erkennbar werden lässt. Von diesen Offenbarungen aus entwickelt Buber für Abraham den Begriff des Sehers bzw. Künders. Abraham ist der erste Mensch, von dem sich Gott sehen lässt, und sein Weg führt ihn zuletzt zum Berg Moria, von dem es heißt: »Auf JHWH’s Berg wird gesehen.« (Ebd., S. 130). Der tiefe Sinn der Geschichte von der »Opferung Isaaks«, der Buber auch in anderen Zusammenhängen beschäftigt (vgl. den Text »Die Opferung Isaaks«, in diesem Band S. 577580 und den Einzelkommentar dazu S. 1111-1118), erschließt sich im Bild der »Gegenseitigkeit des Sehens«, die Abrahams Beziehung zu Gott bestimmt: die »gegenseitige Beziehung des Fordernden, der nur fordert, um zu segnen, und des Opfernden, der im Augenblick der höchsten Opferbereitschaft den höchsten Segen empfängt.« (In diesem Band, S. 130.) Von daher ist der Titel des Aufsatzes zu verstehen. Abraham ist der Seher, der Gott sieht, seine Geschichte mit Gott erzählt »die Geburt der Prophetie« (ebd., S. 131). I Sam 9,9 erklärt, dass »Seher« einstmals ein Wort für »Künder«, d. h. Prophet, gewesen sei. So führt die Bibel nach Buber nicht nur die Herkunft Israels und seine Aufgabe an der Verwirklichung einer Menschheitseinheit, sondern auch »die Geburt der Prophetie« auf Abraham zurück, und entsprechend dieser drei Gründungen vereinigt die Abrahamserzählung zugleich drei Überlieferungen: die über den Ahnherrn des Volkes, die über die gött-

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liche Offenbarung des Weges, den das Volk Israel gehen soll, sowie die über die Anfänge des Prophetischen. Der Band Sehertum – und als ein Teil dieses der vorliegende Aufsatz – wurde in verschiedenen – zumeist deutschsprachigen – Zeitungen und Zeitschriften ausführlich rezipiert. Die meisten Beiträge stammen aus dem Bereich der christlichen Theologie, daneben erschienen einige in jüdischen Publikationsorganen. Einige Besprechungen von Sehertum, die in christlich-theologischen Zeitschriften erschienen, weisen darauf hin, dass Bubers Schrift vom Blickwinkel des Christentums aus in manchen Punkten christlichen Glaubensvorstellungen widerspreche. So schreibt beispielsweise ein Rezensent, vom Standpunkt eines »christlichen Lesers« sei das »einseitig jüdische Schriftverständnis Bubers« kritisch zu beurteilen. Abraham sei, von Paulus ausgehend, als »historische Persönlichkeit« zu betrachten, nicht aber, wie Buber es ausdrücklich beabsichtige, »theologisch zu würdigen«. (Civitas, Luzern, 7. März 1957.) Daneben gibt es aber auch Stimmen, die den Wert von Bubers Bibelauslegung gerade für die christliche Theologie betonen, u. a. deshalb, weil seine Exegese nicht allein auf wissenschaftlichen Erklärungen beruhe: »Buber spricht über Abraham aus einem ganz anderen Fundus als dem wissenschaftlicher Objektivität, nämlich aus dem vollkommener Einstimmigkeit mit dem biblischen Wort, aus intuitiver Erfassung des Schriftgeistes, die zwar auch formaler Art ist, aber wesentlich mehr verlangt als philologische Textspalterei, vielmehr eine quasi dichterische Einfühlung und ›Gleichzeitigkeit‹ mit den biblischen Erzählern und Redaktoren. Die aber ist Buber in höchstem Maße gegeben […]. Der gläubige Jude Buber« erweise mit seiner Erhellung des »literarischen Sinns der biblischen Erzählung in seiner ganzen Bedeutungstiefe und -breite« der christlichen Theologie einen unschätzbaren Dienst, auch wenn seine Schriftdeutung an manchen Stellen festgefahrene Vorstellungen innerhalb der christlichen Theologie infrage stelle. (Werkhefte katholischer Laien, Aschaffenburg, April 1956.) Etliche Rezensionen, sowohl aus christlich-theologischer als auch aus jüdischer Perspektive, befassen sich mit Bubers exegetischer Methode. So schreibt Hans-Joachim Schoeps (1909-1980), Buber unternehme eine Exegese in Anwendung dessen, was er den »Leitwortstil« der Bibel nenne. »An der Abrahamsgeschichte wird unbeschadet aller Quellenscheidung die innere Sinneinheit der ›Toledot‹ von Abraham aufgewiesen, der ein Seher und Prophet gewesen sei.« (Theologische Literaturzeitung, 1957, Nr. 7.) Ähnlich äußert sich Schalom Ben-Chorin (1913-1999): »Dieser Essay ist typisch für Bubers Exegese im allgemeinen, die den

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Text aus sich selbst heraus erklären will, den Akzent auf einmalige und auffallende Leitworte legt, und die mechanische Quellenscheidung und Formgeschichte als unsachgemäss (d. h. nicht aus dogmatischen Gründen) ablehnt.« Darüber hinaus stellt er fest, dass »Bubers Buch über die Prophetie eine wertvolle Ergänzung zu seinem Hauptwerke auf diesem Gebiete, ›Der Glaube der Propheten‹« darstelle. (Hakidmah, 6. Januar 1956.) Andere Rezensenten stellen die Ergebnisse der Bibelauslegung Bubers der zeitgenössischen theologischen Exegese als wertvolle Alternative gegenüber: So heißt es einmal, seine Bibelexegese sei durch eine »Aktualität seiner Gedanken inmitten der Schwierigkeiten [ausgezeichnet], in die unsere [die christlich-theologische] exegetische Wissenschaft geraten ist. (Hildmann, in: Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 2. Januarausgabe 1956.) Ähnliches findet sich in einem anderen Beitrag aus der Schweiz: Buber wisse »aus den heiligen Texten motivierte Zusammenhänge aufzuzeigen, an denen die rationalistische Exegese vollständig vorbeigegangen ist.« (B. St., in: Vaterland, Luzern, 4. Febraur 1956.) Max Selinger (1922-2018) vom Hebrew Union College in Cincinnati führt Bubers exegetische Erkenntnisse auch auf seine Methode bei der Bibelübersetzung zurück: »One rejoices to see such positive results of detailed textual investigation which so often merely produces knowledge but no understanding. Both discourses illustrate the fruitful results that flow from Buber’s approach to the translation of the Bible […].« (Max Selinger, in: Books Abroad, 30. Jg., Sommer 1956, S. 289.) Andere Beiträge nehmen positiv Stellung zu Bubers Deutung Abrahams als des Begründers der Prophetie. So heißt es im Israelitischen Wochenblatt Zürich: »In scharfem Gegensatz zu der Auffassung des 19. Jahrhunderts stellt Buber die Persönlichkeit Abrahams, des von Gott Herausgeholten, als eine prophetische dar […].« (L. R., in: Israelitisches Wochenblatt Zürich, 10. Februar 1956.) In einer Besprechung in der Trierer Theologischen Zeitschrift schreibt H. Groß: »Man muß es mit Nachdruck sagen, wie sehr Buber recht hat, daß er die Prophetie mit Abraham beginnen läßt und an dieser Gestalt eine Sinnerhellung des Prophetischen versucht.« (Trierer Theologische Zeitschrift, 3 [1956].) Und das Mitteilungsblatt des Oberrates der Israeliten Badens erklärt ganz allgemein, Buber vermittle »tiefste Erkenntnisse jüdischer Glaubenswirklichkeit«. (Mitteilungsblatt des Oberrates der Israeliten Badens, 5 [1956].) Schließlich heben einige Beiträge – teilweise auf Bubers Hinweis in seinem Vorsatz zu Sehertum verweisend (vgl. oben in diesen Kommentar, S. 819) – einen Bezug des Textes zur Gegenwart hervor. So konsta-

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tiert etwa ein Rezensent, Buber verhandle das Problem der Infragestellung der menschlichen Existenz bewusst mit Blick auf Phänomene der Gegenwart. Buber stelle Abraham »vor den Hintergrund einer religionsgeschichtlichen Situation, in der sich unsere Zeit ihres welt- und geistesgeschichtlichen Zusammenhanges mit der biblischen Problematik der Menschheit bewußt zu werden vermag.« In Bezug auf die beiden Male, als die Menschheit versagte (Brudermord, Turmbau zu Babel) heißt es im selben Beitrag: »Die Tragik einer menschlichen Organisation, die sich keinen Mittelpunkt in der Menschlichkeit, in einem allen Menschen gemeinsamen Sinn, geben kann, die Tragödie aller Kollektivierung, deren Ergebnis Spaltung ist – in diesem weiten Bogen faßt Buber die biblische und die moderne Infragestellung der menschlichen Existenz zusammen.« (Luzerner Neueste Nachrichten, 30. Juli 1960.) Textzeugen: h: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 57a); 29 lose, paginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen; Überschriften und Kapitelnummern mit Bleistift, scheinbar von fremder Hand; zum publizierten Text des ersten Kapitels hat sich lediglich das erste Blatt erhalten; die beiden anderen Blätter enthalten einen Textentwurf, der nicht in den Druck aufgenommen wurde, thematisch aber zum 1. Kapitel gezählt werden kann. Zum zweiten Kapitel findet sich auf der ersten Seite ein anderer Text, während die zweite und die vierte Seite fehlen. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 57a); 29 lose, paginierte Blätter, einseitig beschrieben; vereinzelte Korrekturen von Bleistift und schwarzem Stift. d1: Teildruck in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, hrsg. von Isaak Heinemann, 83. Jg., Nr. 1, Dezember 1939, S. 47-65 (MBB 606). Die MBB merkt an: »The issue of the journal was confiscated by the Gestapo and only offprints of the article survived. A reprint of the Monatsschrift was published in 1963 by J. C. B. Mohr, Tübingen.« (MBB, S. 50). D2: Sehertum, Köln: Jacob Hegner 1955, S. [9]-45 (MBB 989). D3: Werke II, S. 871-893 (MBB 1252). Druckvorlage: D2 Übersetzungen: Englisch: Abraham the Seer, übers. von Sophie Meyer, Judaism V/4, Herbst 1956, S. 291-305; Abraham the Seer (Gen 12-25), übers. von

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Sophie Meyer, in: Biblical Humanism, Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, S. 22-44 (MBB 1310) und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 22-44 (MBB 1316). Hebräisch: Schlichut Avraham, Ha-aretz vom 3., 10., 17. Februar und 3. März 1939 (MBB 622); Schlichut schel Avraham, in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 65-81 (MBB 1260). Spanisch: Abraham el visionaro, Pensa Israelita, Mexiko, 28. Juli 1962, S. [4], 7-9 und 4. August 1962, S. [4], 5,7 (MBB 1198). Variantenapparat: In TS und d1 wurden die biblischen Wendungen auf Hebräisch zitiert. Diese Abweichungen werden im Variantenapparat nicht berücksichtigt. 114,3-116,38 Ich will hier nicht davon reden […] steht ein Gedächtnis.] fehlt d1 114,10-11 mit menschlichen Schwächen und Nöten] [mit so menschlichen] ! mit menschlichen Schwächen und Nöten h 114,12 unbedingt] [absolut] ! unbedingt h 114,14 eines Berichts von den Eroberungen] einer Überlieferung von den Wanderungen ! eines Berichts von den Eroberungen h 114,15 wandernden Hirten] [Menschen] ! wandernden Hirten h 114,16 die offenbar darauf angelegt ist] [deren Grundfrage] ! die offenbar darauf angelegt ist h 114,19 über einen Stammvater] hüber einen Stammvateri h 114,21-22 jeder nicht bloß seinen Ursprung […] ableitet, sondern auch] jeder hnicht blossi seinen Ursprung […] ableitet [und] ! sondern auch h 114,22 sagenhafte] legendäre h, TS 114,23 sagenhafte, die] legendäre, die Abbruch von h; auf den beiden zusätzlichen Blättern in h findet sich ein nicht in den Druck aufgenommener Textabschnitt: Das Grosse an der Geschichte Abrahams ist, dass hier der Anfang eines Volkes und der Anfang eines Glaubens in unlösbarer Einheit erzählt werden. [Andere Völker] ! Auch andere Nationen bewahren [diese frühesten Genealogien] ! Annalen oder Legenden frühester Genealogien, hauchi andere Religionen [das] ! hBerichten vomi Leben ihres Stifters und [das] ! vom Werden seiner Gemeinde, aber soweit ich sehe, gibt es in der Welt keine Gemeinschaft, in deren Überlieferung ihrer Urzeit so beides [in einem Quell entspringt] ! ein einziger Quell und [ein einziger] Strom ist: die Auslese, durch die in der Reihe der leiblichen Fortpflanzung aus

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der Sippe ein Zweig [und], daraus wieder [ein Zweig] ! einer und zum dritten [ein Zweig] ! einer abbiegt, der nun zum Stamme erwächst, und die Erwählung von oben, die über dieser Auslese steht, sie befiehlt und bestimmt, ihr ihr Ziel und ihren Sinn gibt; Geschlechterfolge und Offenbarungsfolge; [Natur und Gnade;] ! Leben im Leibe und Leben in der Verheissung; Volksbeginn und Glaubensbeginn. Beides in einem stellt sich in der Person Abrahams dar, der bei uns Vater der Nation und im Urchristentum Vater des Glaubens heisst, den man aber erst dann wirklich sieht, wenn man sieht, dass hier keins ohne das andere ist, an diesem einen Punkt der [Weltgeschichte] ! Menschengeschichte keines ohne das andere. »Die Poesie keines Volks der Erde«, sagt Herder von der Erzählung von Abraham, »hat etwas dergleichen«; aber wichtiger ist, dass [die Geschichte] ! die Überlieferung, die Erinnerung keines Volks der Erde etwas dergleichen hat. Unter uns ist es üblich geworden [dieses Ungeheure] ! hsich zwar für die Poesie noch zu interessieren, aber das kostbare Gut der Volkserinnerungi nicht mehr ernst zu nehmen, die Einheit nicht und keine der beiden Seiten, die Stammesvaterschaft Abrahams nicht und seine Glaubensvaterschaft nicht. Durch dieses Aufgeben des Wichtigsten haben wir selbst unser Leben an der Wurzel verletzt. Wenn wir wieder in der Urzeit hstarkei Wurzeln schlagen wollen, müssen wir damit anfangen, das Bild unseres Vaters hAbrahami [zu erneuern] ! neu zu gewinnen. h 114,28 ferner überzeugt] sicher TS 114,33 im nordsyrischen Ugarit] in Ugarit TS 114,34 dürfte] muesste TS 114,38 heute ist manchen Gelehrten die Einsicht aufgegangen] wenn wir dagegen aufschlagen, was die Gelehrten, sei es die Archaeologen, sei es die Philologen und Historiker, heute ueber Abraham schreiben, so finden wir darin ein Gemeinsames, naemlich eben die Ansicht TS 115,1 Woolley] der Archaeolog Woolley TS 115,1 Ur] Ur [Kasdim] TS 115,2-3 in der Erzählung […] enthalten war] there was in the story as originally told a fair substratum of literal truth TS 115,4 Böhl] der hollaendische Historiker Böhl TS 115,9 der jüdischen Tradition] unserer Tradition TS 115,10-11 jene und diese] alle TS 115,11 wieder] von neuem D3 115,12 einen lebendigen Menschen] eine lebendige Person TS 115,15 diesen Menschen] diese Person TS

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115,19-20 aus ihr zu erschließen, ist uns gewährt] ist uns gewährt aus ihr zu erschliessen TS 115,22-23 zahlreichen Stücken] zahllosen kleinen Stücken TS 115,26 teure Theorie] teure Theorie, die vielen so gesichert erscheint, dass sie an einzelnen Schulen geradezu als feste wissenschaftliche Wahrheit unterrichtet wird, TS 115,35 Erzähler hervor] Erzähler hervor, verschiedener und verschiedenartiger TS 116,12 die Absicht] eben die Absicht TS 116,18 offenkundiger] offenbarer TS 116,22 große] bedeutende D3 116,28 mitunter] zuweilen TS 116,32 dahin] dazu TS 116,33 fragen] [– in der naechsten Vorlesung –] betrachten TS 116,38 Verständnisses] Verstehens TS 117,2 Das Buch Genesis] abweichender Kapitelbeginn: In strenger Tektonik steht der Spruch der Aussendung (12, 1-3) vor uns. Er setzt sich aus einem dreigliedrigen Gebot, dessen Mittelglied wieder dreigliedrig ist, und [aus] einer siebengliedrigen Verheissung (jedes Glied mit »Und« beginnend) zusammen, deren Mittelglied aber wieder ein Gebot ist, und zwar das nicht mehr wie jenes an der Einzelnen, sondern an das Volk im Einzelnen, an das künftige Volk, das im Volksvater als sein Same (v. 7) lebendig [werde] ! sein wird, gerichtete: »Und werde ein Segen!« Diesem zentralen Segenswort geht der Wortstamm »segnen« einmal voraus, dreimal folgt er ihm nach. So nachdrücklich fordert die Schrift ihren Leser auf, der Bedeutung des Segnens, des Gesegnetwerdens, des »Sich-segnens« (v. 3), des »Segenwerdens« nachzusinnen. / hIch weise nochmals auf den Platz des Spruchs in der Reihe der Segnungen hin.i Mit einem (siebengliedrigen) Segenspruch, der keine Forderung einschliesst, setzt Gott (1. 28) die ersten Menschen über die Erde ein [Anmerkung: B. Jacob meint, der Segen könne nicht in der Ansprache bestanden haben. Das tut ein wirklicher Segen nie: Segnen ist eine H a n d l u n g , die vom Spruch nur begleitet und »ausgewortet« wird.] [Sie versagen] ! [Die] hFruchtbarkeit wird ihnen zugeteilt und diei Herrschaft über die Erde und ihre Kreaturen ihnen übergeben. Sie versagen. Der Erstgeborne ihrer Fruchtbarkeit mordet den Bruder und in seinem Gefolge über die Generationen »Gewalttat«; durch das Blutvergiessen ist die Rechtmässigkeit des hüberlegeneni Verhältnisses zur Kreatur verletzt und mit ihr die der Herrschaft Seitenende und Abbruch des Textes h 117,2 , »Erzeugungen«] fehlt d1

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117,7-8 Weltursprungs, bis in die Absicht […] zurückverfolgen] Weltursprungs zurückverfolgen, bis in die Absicht […] hinein TS, d1 117,8-9 die Bibel] das Buch d1 117,20 des Kosmos] des Kosmos zu stehen TS, d1 117,21 Frühgeborener] Erstgeborener TS, d1 117,21 zu hausen] zu stehen TS, d1 118,3 sie aber] und nun TS, d1 118,4 Das Merkwürdigste] Aber das Merkwürdige h, TS, d1 118,8 eine falsche Weise] die falsche Weise D3 118,9 in einer Stadt] hin einer Stadti h 118,15 wiederholt die Sprache der Schuld] spricht die Sprache der Sünde h, TS, d1 118,22-23 der Erde im »Weltzeit-Bund«] im »ewigen Bund« h, TS, d1 118,25-26 »Sonst werden wir zerstreut« […] »zerstreute«] ‫ פן נפוץ‬antwortet ‫ ויפץ‬und nochmals ‫ הפיצם‬TS, d1 118,34 zu Völkern »zersprengt«] zu Völkern zerstreut D3 118,38 der Völkerwelt] inmitten der Völkerwelt TS, d1 118,39 des »Gemenges«,] fehlt TS, d1 119,5 Voraussetzung ist: nachdem] Voraussetzung ist die folgende. Nachdem h, TS, d1 119,13 Menschenschar] [Menschenvielheit] ! Menschenschar h 119,21-23 Kundgetan kann […] das Leben werden] Kundtun kann so etwas nicht das Wort, sondern nur das Leben h, TS, d1 119,23 eines in Stämmen aufgebauten wahren Volkes] eines wahren Volkes h, TS, d1 119,24 es] dies h, TS, d1 119,41 »ein Volk […] eines Volkes«] »ein Stamm […] eines Stammes« D3 119,41 dem Innern] dem Eingeweid h, TS, d1 120,2 Israels Staatsgeschichte] seine Staatsgeschichte h, TS die Staatsgeschichte Israels d1 120,4-5 »ein Volk das einsam wohnt und unter die Nationen nicht gerechnet wird«] ein Volk, einsam wohnt es, unter die Erdstämme rechnet sichs nicht D3 120,4 Nationen] Weltstämme h, TS, d1 120,5 gerechnet wird«.] gerechnet wird«. [Aber Ziel der Absonderung ist die Verbindung.] h 120,9 weist] [sagt] ! weist h 120,15-16 »Als mich die Gottmächte hinwegirren ließen aus meinem Vaterhaus«] »Als die Gottmächte mich vom Haus meines Vaters abirren ließen« D3

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120,16 hinwegirren ließen aus] abirren ließen von d 120,17 JHWH] Er h, TS, d1 120,17-18 »JHWH hat mich von hinter den Schafen genommen«] ›Aber Jhwh nahm mich von hinter der Herde weg‹ D3 120,21-22 , einer aus der Epoche des großisraelitischen Reiches etwa,] h, einer aus der [Spätzeit] ! Blütezeit des großisraelitischen Reiches etwa,i h 120,21 Epoche] Blütezeit TS, d1 120,26 dergleichen] so etwas h, TS, d1 120,34 aus ihrem Platz im Zusammenhang der biblischen Geschichte] von ihrem Platz im Zusammenhang der biblischen Geschichte aus D3 120,36 Berufung] [Aufgabe] ! Berufung h 121,1-2 sagt, wo sie erzählt, ihre Lehre nicht,] sagt ihre Lehre, nicht h, TS, d1 121,10 Spätlingen] [Spätgeborenen] ! Spätlingen h 121,14 ihre Verbindung] [die göttliche Berufung] ! ihre Verbindung h 121,20 hervorgehenden] hervorgegangenen h, TS, d1 121,24 Geschichte] Geschicke h, TS, d1 121,35 Ich beginne] davor Absatzwechsel h, TS, d1 121,35 Rückverbindung] ersten h, TS 122,11-12 in den Generationen also, die sein Leben umfaßt] in [denen also, die sein Leben umfassten, deren Zeitgenosse er war] ! den Generationen also, die sein Leben umfasste h 122,22 die Kreatur] [das Tier] ! die Kreatur h 122,24 mit seinem Gott] mit hseinemi Gott h 122,28 der bis zu seinem Ende] [den Kurzlebigsten aus der vorsintflutlichen Epoche, der so viel Jahre lebte wie das Sonnenjahr Tage hat und dann diese Zeit mit] ! der bis zu seinem Ende h 122,28 mit dem Gott] mit Gott D3 122,32-34 wie überhaupt […] Begriffe bedeuten] hwie überhaupt […] Begriffe bedeuteni h 122,35 Gottes Teilnahme] davor kein Absatzwechsel h, TS, d1 122,36-37 Gottes oder der Gottesstimme] hGottes oderi der Gottesstimme h 122,40-41 im Bild ihres Begleitens Gottes in dieser seiner Bewegung gesehen] im Bild [ihrer Teilnahme an dieser göttlichen Bewegung] ! ihres Begleitens Gottes [auf seinem Weg] ! in dieser seiner Bewegung gesehen h 123,3-4 treten ihnen auch hier keine anderen zur Seite] [dienen auch sie allein zur Kennzeichnung] ! treten ihnen auch hier keine anderen zur Seite h 1

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123,4 eigentümlich] auf das merkwürdigste h, TS, d 123,5 einheitlichen Aussage] heinheitlicheni Aussage h 123,5 das Wesen des Mannes] das Wesen [und dies Verhalten?] des Mannes h 123,6-7 in der Tat] wirklich h, TS, d1 123,15-16 die jüdische Tradition war] unsre Weisen waren h, TS, d1 123,19 und ganz gewesen.] und ganz gewesen. Anmerkung 1: Die wichtigste, weil entschiedenste Formulierung scheint mir die des M. Tanchuma z. St. zu sein. d1 123,19-21 hier wirklich […] das in der Erzählung [6,9] von Noah Ausgesagte […] variiert wird] in der Tat mit ihnen […] sie […] variiert werden h, TS, d1 123,22 als vor mir bewährt] bewährt vor mir D3 123,25-26 , obgleich er als »Mann des Ackers« [9,20] den Bodenbau erneuert und den Acker vom Fluch befreit,] h, obgleich er als »Mann [des Ackerbodens] ! der Adama« den Bodenbau erneuert und die Adama vom Fluch befreit,i h 123,26 des Ackers […] den Acker] der Adama […] die Adama TS, d1 123,29 des Blutvergießens] der Blutvergießung h, TS, d1 123,31 künftige Geschlechter] [eine künftige Menschheit] ! künftige Geschlechter h 123,31 nicht, daß er, wie Abraham] er soll nicht ! nicht, dass er, wie Abraham h 123,33 Vorbild] Muster h, TS, d1 123,37 die Verheißung] die [unmöglich klingende] Verheissung h 124,2 spürbar] [sichtbar] ! spürbar h 124,3 Selbsterläuterung] Selbsterklärung h, TS, d1 124,3 das Wort] [der Befehl] ! [das Gebot] ! das Wort h 124,4 das zu Beginn des Abschnitts steht] zu Beginn des Abschnitts stehend h, TS, d1 124,6 JHWH] Ihm h, TS, d1 124,9 Adjektiv] [Wort] ! Adjektiv h 124,9 einem persönlichen Gebot] [einem imperativischen? Satz] ! einem persönlichen Gebot h 124,9-14 , und die zweite Stelle […] zu verwischen] h, und die zweite Stelle […] zu verwischeni h 124,12 davon abgesehen] darauf verzichtet D3 124,16-17 »Mit dem Gott ging Noah einher«] »Mit Gott ging Noah um« D3 124,18-22 Wie wichtig es der Schrift ist […] Doch auch] [Wenn wir erkennen, dass wir es hier mit einer frühen [Erzählung] ! Gebilde zu 1

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tun haben, in dem jedes Bild aus] ! [In einer frühen Erzählung wie diese bedeutet] ! [In einer Erzählung wie diese, die wir als ein frühes Gebilde erkannt haben, bedeutet ein Bild] ! hWie wichtig es der Schrift ist […] Aber auchi h 124,22 diese Wendung] dieses Bild h, TS, d1 124,23 konkreter und präziser] konkreter [und sozusagen politischer] und [praktischer] ! präziser h 124,24 einhergehen] umgehen D3 124,24 ihn begleiten] [ihn auf seinen Zügen begleiten] ! ihn begleiten h ihn begleiten, in seiner Nähe verweilen, D3 124,25 Führer] [Führender] ! Führer h 124,25-26 zu Israel] fehlt h, TS, d1 124,27-28 das Bild des Heereszugs und des Feldherrn] vor uns den Heereszug und den Feldherrn h, TS, d1 124,27 sehen] so sehen h, TS, d1 124,33 Stadt] [Provinz] ! Stadt h 124,35 ihm den Weg bereitet] den Weg vor ihm räumt h, TS, d1 124,39 Als Gebet] Als Gebet Anmerkung 2: So zuletzt B. Jacob und Jecheskel Kaufmann. d1 124,40 an die Heiden] han die Heideni h 125,14 dem König] [seinem Herrn] ! dem König h 125,18 einiger Geschlechter] [seiner Geschlechter] ! einiger Geschlechter h 125,20 zum Berge Gottes] zum Berge [Morija] ! Gottes h 125,23 Ackers] Ackerbodens h, TS, d1 125,23-24 einen Weg in die Geschichte, ein Ausrufer der Herrschaft Gottes] einen Weg [den Weg Jhwhs (12,19) durch] ! [ein Künder durch Rufen und Tun das Leben] ! [ein Vater] ! in die Geschichte, ein Ausrufer [Gottes] ! der Herrschaft Gottes h 126,2 der zweite, ganz aktive] der zweite, hganz aktivei h 126,3-4 dem ersten, ganz visionären] dem ersten, hganz visionäreni 126,5 Feuerserscheinung] [Erscheinung] ! Feuerserscheinung h 126,6 Opferstücken] Tierstücken d1 126,6-12 Erst beide zusammen […] Zeugung Israels.] hErst beide zusammen […] Zeugung Israelsi h 126,10 öffentlichsten] [kosmischen] ! öffentlichsten h 126,11 Regenbogens] Bogens h, TS, d1 126,21-22 »Er ist ein Künder, er wird für dich einstehen«] »er ist ja ein Künder, er soll für dich sich einsetzen« D3 126,24 mittelt] mitteilt d1 126,26 Urgehalt der Selbstdeutung in] der Urmidrasch h, TS, d1

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126,29 der Gottheit] dem Gott h, TS, d 126,31 Erzvater] Urvater h, TS, d1 126,38 In der ersten] davor kein Absatzwechsel h, TS, d1 126,38-39 in das Land […] in seine] hin das Land […] in seinei h 126,39-40 er verheißt ihm, daß ein Volk aus ihm werden soll] her verheisst ihm, dass ein Volk aus ihm werden solli h 126,41 Die zweite] davor kein Absatzwechsel h, TS, d1 127,4-5 ihn seine Glorie sehen zu lassen] [seine Glorie zu schauen] ! ihn seine Glorie sehen zu lassen h 127,5 erfüllen läßt] erfüllen [muss] ! lässt h 127,6 ausruft] [mitteilt] ! ausruft h 127,8 Die dritte] davor kein Absatzwechsel h, TS, d1 127,8 Abraham] Abram D3 127,10-11 wird vom Sehen gesprochen, und zwar nun vom Sehen] [geht es um Sehen, und zwar nun um das Sehen] ! wird vom Sehen gesprochen, und zwar nun vom Sehen h 127,11-12 Abraham] Abram D3 127,12 »das ganze Land«] »alles Land« D3 127,14 Abrahams] Abrams D3 127,16 durchs ganze Land] durch alles Land D3 127,17 durchaus um Land, um »Erde«] ganz und gar um Land, um Erez h, TS, d1 127,18 »Staub der Erde«] Erez, der Erdenstaub h, TS, d1 127,21 Die vierte] davor kein Absatzwechsel h, TS, d1 127,24 Erzählung] [Offenbarung] ! Erzählung h 127,27 Schrift] Bibel h 127,27 die Absicht] [der Sinn] ! die Absicht h 127,28 wie in der dritten Offenbarung] [in der Erzählung] ! wie in der dritten Offenbarung h 127,32 bezeichnet.] bezeichnet. [Der Bezug wird nur noch unterschieden dadurch, dass die Anrede an den Mann, der eben seine Furchtlosigkeit erwiesen hat, mit dem hauf eine andere Furcht hin redendeni Wort beginnt, er solle sich nicht fürchten.] h 127,37 angesagt] [vorweggenommen] ! angesagt h 128,1 Ur] Ur Kasdim h, TS, d1 128,6 aus dem Innern eines Volkes] [aus Ägypten] ! aus dem Innern eines Volkes h 128,7 In der Ansage] [Auf die Erzählung von der Geburt Ismaels, wo die ägyptische Magd] ! In der Ansage h 128,10-11 der in der Umgebung sonst nicht vorkommende Wortstamm] der hin der Umgebung sonst nicht vorkommendei Wortstamm h 1

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128,11-12 den Zusammenhang […] Volksgeschichte einzuprägen] den Zusammenhang hzwischen den Vätergeschichten und der Volksgeschichtei [einzuhämmern] ! einzuprägen h 128,13 heimgesandt] [heimgeholt] ! heimgesandt h 128,15 nur hier vorkommenden] [einmaligen] ! nur hier vorkommenden 128,15-17 [man denkt […] »hinter ihm« hersah] ihm nachsah D3 128,18-20 wieder. / Er leitet […] über] wieder, der […] überleitet h, TS, d1 128,20 wo Gott sich nun zum zweitenmal] wo Gott sich nun [, nach der Schau der Feuererscheinung,] zum zweitenmal h 128,21 endgültig] hendgültigi h 128,22 und darin ganz zu sein] hund darin ganz zu seini h 128,26 schon früh] schon früh Anmerkung 3: j. Bikkurim I, 3 128,27-28 auf die kommende Völkermenschheit] hkommendei Völkermenschheit h 128,28 die durch Israel werden soll] hdie durch Israel werden solli h 128,32 Und wieder] davor kein Absatzwechsel h, TS, d1 128,34-35 vertraulichste] [intimste] ! vertraulichste h 128,35 biblischen Erzählung] [Schrift] ! biblischen Erzählung h 128,37 essen an seinem Tisch] [nehmen von ihm die Speise] ! essen an seinem Tisch h 128,37 während er »über ihnen steht«] hwährend er »über ihnen steht«i h 128,38-39 als spräche Gott allein. So] als wie wenn Gott allein spricht, so h, TS, d1 129,5 zu hüten] zu hüten [; als das Wesen dieses Weges aber] h 129,6-7 Geschichte der Welt] Weltgeschichte h, TS, d1 129,9-10 »Wahrheit und Gerechtigkeit zu tun«] »Bewährung und Gerechtigkeit zu üben« h, TS, d1 129,14-15 »Der die ganze Erde richtet, soll der nicht Gerechtigkeit tun?«] »Aller Erde Richter, soll der nicht das Recht tun?« D3 129,15-16 der Wortverbindung »Gerechtigkeit tun«] dieser Wortverbindung h, TS, d1 129,22 der Weg der Beziehung […] zu diesem Gott] hder Weg der Beziehung […] zu diesem Gotti h 129,24 Aufgabe] [Aussonderung] ! Aufgabe h 129,26 mit Sodom] mit [den Völkern] ! Sodom h 129,31-38 Die tätige Hingabe […] offenbaren wird.] h[Der aktive Charakter der Offenbarung] ! Die t ä t i g e Hingabe […] offenbaren wird.i h

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129,36-37 in einer der Offenbarungen […] Elohim genannt] heißt Gott nicht Jhwh, sondern »Elohim« h, TS, d1 130,2 mit einem Satz, der überhaupt nur] mit einem Satz, der [in dieser Form] überhaupt nur h 130,21-22 , wo die Tat vollzogen werden soll, von fern] h, wo die Tat vollzogen werden soll, von ferni h 130,26 JHWH sieht] Er wird sehen h, TS, d1 130,27 »Auf JHWH’s Berg wird gesehn«] »Auf dem Berg, wo Er sich sehen läßt« h, TS, d1 130,28 Gott sieht Abraham] Gott sieht [den Menschen] ! Abraham h 130,31 Abraham] [der Mensch] ! Abraham h 130,32 wie Mose] wie hernach Mose D3 130,32 ihn, die Glorie »von hinten« sehend, erkennen wird] fehlt D3 130,33 und Barmherzigen] fehlt D3 130,37 um zu segnen fordert] fordert um zu segnen h, TS, d1 131,1 Der Mensch sieht] [Dies, in die Fusstapfen Gottes] ! [Dieses, das Sehen] ! [Dieses Sehen] ! Der Mensch sieht h 131,21-22 Völkermenschheit] [Menschheit] ! Völkermenschheit h 131,23 Geburt] [Entstehung] ! Geburt h 131,25 Ahnen] [Ursprung] ! [Vorvater] ! Ahnen h 131,26 Kundgebung des Wegs an dessen Anfange] [Uroffenbarung] ! Kundgebung des Wegs an dessen Anfange h 131,27 die Urzeit den ersten Ursprung] den ersten Ursprung h, TS, d1 Wort- und Sacherläuterungen: 114,5-8 Das neunzehnte Jahrhundert […] in einem Einzelschicksal.] Mit der sich im 19. Jahrhundert etablierenden historisch-kritischen Bibelwissenschaft kamen auch verschiedene Deutungsmuster für die Figur Abrahams auf, denen allen gemeinsam war, dass sie in der biblischen Figur Abraham keine historische Person sahen, sondern das Sinnbild für die jeweilige erzählerische Intention, die man in den Abrahamsgeschichten zu finden glaubte. 114,20-23 aber wir wissen […] Überlieferung über ihn besitzt,] Moab war ein Reich östlich des Toten Meeres, im heutigen Jordanien gelegen, bestehend aus einer Stammesgesellschaft mit einem König an der Spitze; in der biblischen Überlieferung ist Moab zumeist negativ konnotiert. Bubers Quelle hinsichtlich der stammesgeschichtlichen Überlieferungen der moabitischen Stämme ist vermutlich die Studie von P. Antonin Jaussen, Coutumes des Arabes au Pays de Moab, Paris 1908, die Buber in seinem Moses-Buch erwähnt (vgl. in diesem Band, S. 411 u. 528) und die er wahrscheinlich auch bereits zur Zeit der

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Abfassung seiner Untersuchung zu Abraham kannte. Dort leitet Jaussen sein Kapitel über die Stämme der Moabiter folgendermaßen ein: »Je vais rapporter l’opinion des Arabes touchant l’origine de quelques tribus. Les légendes paraissent quelquefois se contredire; si on les enregistre quand même, c’est qu’elles reflètent toujours la pensée du nomade et contribuent à le faire connaitre. Chaque tribu a la prétention de descendre d’un ancêtre unique malgré les modifications survenues dans le cours des siècles.« (Jaussen, Coutumes des Arabes au Pays de Moab, S. 107). 114,28-32 Das neunzehnte Jahrhundert […] Jahrhunderte lang erhält] Die historisch-kritische Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts datiert die Vätergeschichten wie überhaupt den gesamten Pentateuch auf einen Entstehungszeitraum ca. vom 8. Jahrhundert v. Chr. bis um 500 v. Chr., dem Beginn der nachexilischen Zeit (538 endete das babylonische Exil). Die Frage nach früheren mündlichen Überlieferungen, die den Texten des Pentateuch möglicherweise zugrunde lagen, wird von der Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts ignoriert; mit dem Genesis-Kommentar von Hermann Gunkel (vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 89,2-8) setzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann eine Neubewertung der mündlichen Überlieferung ein, die davon ausgeht, dass die biblischen Quelltexte Texte (zur Theorie der verschiedenen Quellschriften vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11) von ihren Autoren nicht frei erfunden wurden, sondern die Verschriftlichung viel älterer mündlicher Traditionen darstellen. Dabei bewertet Gunkel diese mündlichen Überlieferungen als Sagen und archetypischen Muster, allerdings nicht als Belege für die Historizität der in der Bibel berichteten Begebenheiten oder der in ihr vorkommenden Personen. Demgegenüber schließt für Buber der sagenhafte Charakter einer Erzählung nicht deren Wahrheitsgehalt aus. Vgl. Buber zu der Überlieferung der Moabiterstämme, in diesem Band, S. 114: »gewiß, eine sagenhafte, die aber darum keineswegs eine erdichtete zu sein braucht«; sowie das einleitenden Kapitel »Sage und Geschichte« in Bubers Moses-Buch, in diesem Band, S. 357-363. 114,33 der im nordsyrischen Ugarit aufgefundenen mythologischen Texte] Ugarit, heute nach dem archäologischen Fundort als Ras Schamra bezeichnet, war ein semitischer Stadtstaat im Nordwesten Syriens und ein bedeutendes Handels- und Kulturzentrum; älteste Siedlungsspuren gehen zurück bis ins 7. Jahrtausend v. Chr. Seine Hochzeit erlebte Ugarit im 2. Jahrtausend v. Chr., gegen dessen Ende dann die Zerstörung der Stadt durch angreifende Seevölker erfolgte.

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Ugarit wurde 1928 per Zufall wiederentdeckt und ab 1929 systematisch ausgegraben; zu den wichtigsten archäologischen Funden gehören Keilschrifttexte auf Steintafeln, die über wirtschaftliche Belange und politische Verhältnisse der Zeit Auskunft geben, aber in aufgezeichneten Sagen, Mythen und Gebeten auch über die religiösen Vorstellungen des Volkes von Ugarit. 115,1-2 Woolley […] über Abraham] Leonard Woolley, Abraham. Recent discoveries and Hebrew origins, New York 1936; Leonard Woolley (1880-1960) war ein britischer Archäologe; er führte von 1922 bis 1934 Ausgrabungen in Ur in Mesopotamien (heute Irak) durch, das nach biblischer Tradition als Heimat Abrahams gilt und dessen Anfänge bis ca. 4000 v. Chr. zurück reichen. 115,3-6 wie Böhl […] Hypothese erscheint«.] Franz M. Th. Böhl, Das Zeitalter Abrahams, Leipzig 1930, S. 43. (= Der Alte Orient. Gemeinverständliche Darstellungen, Bd. 29, Heft 1); im Originalzitat heißt es: »die Annahme einer historischen Grundlage trotz aller Schwierigkeiten [keine Hervorhebung im Original] als die wissenschaftlich besser begründete Hypothese«. 116,21 Spätzeit des Salomonischen Reiches] Nach biblischer Überlieferung regierte Salomo das Königreich Israel im 10. Jahrhundert, ca. von 970 bis 930 v. Chr.; nach seinem Tod wurde das Königreich in das Nordreich Israel und das Südreich Juda aufgeteilt. 116,21-22 die Redaktoren] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 92,32. 117,1 »Toledot«] ‫תולדות‬, hebr. toledot, bedeutet »Nachkommenschaft«, »Geschlechter« – Buber übersetzt »Erzeugungen«; in der wöchentlichen Toralesung bezeichnet Toledot einen bestimmten Leseabschnitt, und zwar den Abschnitt Gen 25,19-28,9, der am 5. Schabbat des Monats Cheschwan oder des 1. Schabbats des Monats Kisslew gelesen wird; Buber verwendet den Begriff hier aber allgemein zur Bezeichnung der Erzählungen des Buches Genesis, die von den »Erzeugungen« der Welt, des Menschen und des Volkes Israel handeln. 117,21-22 Am Schluß des ersten Schöpfungsberichts steht ein doppelter Segen:] Gen 1,28 u. 2,3. 117,23-24 am Schluß des zweiten Berichtes steht ein doppelter Fluch:] Gen 3,14-19. 117,30 Vertreibung aus dem Paradies] Gen 3. 117,31-33 der mit dem Brudermord […] »verderbt« wird] Vgl. Gen 4,116; 6,11. 117,36-118,2 Sie empfängt den gleichen Segen […] dieses Bild verletzt] Gen 9,1-7.

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118,3-4 an einer Sünde gegen Gott] Die Sünde gegen Gott besteht im Auflehnen gegen die Macht Gottes im Turmbau zu Babel mit dem Ziel der Menschen, selber die Welt zu regieren; vgl. Gen 11,4. 118,13-14 in dem »Heran!« […] ihren Kriegsruf beantwortet.] Gen 11,4 u. 7. 118,19-20 und dafür, daß sie […] »die Erde zu verderben«] Gen 6,11; Gen 7,4. 118,23 »Weltzeit-Bund« »mit allen lebenden Wesen«] Gen 8,21-22. 118,25-26 auf das »Sonst werden […] nochmals »zerstreute«] Gen 11,4, 8, 10. 118,28-30 der mit »aller Erde« […] »übers Antlitz aller Erde«] Der gesamte Abschnitt Gen 11,1-9. 118,34-36 wird zu Völkern »zersprengt« […] [»Zungen«]] Gen 11,7 118,39-40 Babel, die Stadt des »Gemenges«, der Verwirrung] Gen 11,9. 118,40 Abram] Beim Bundesschluss Gottes mit Abraham in Gen 17 gibt Gott ihm statt seines bisherigen Namens »Abram« den Namen »Abraham«, in der Bedeutung »Vater vieler Stämme« (vgl. Gen 17,5); sprachgeschichtlich kann diese Namensbedeutung allerdings nicht nachgewiesen werden, sie ist wohl eher volksetymologischer Natur; eine ähnliche Namensänderung erfährt auch Sarai, die nach Gen 17,15 zukünftig Sara heißen soll. 118,41 den Ruf Gottes] Gen 12,1. 119,3-4 des dritten […] gleichlautenden ersten.] Gen 12,2-3. 120,5-6 Ur Kasdim] Ur oder Ur Kasdim in Mesopotamien gilt nach biblischer Tradition als Heimat Abrahams (vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 115,1-2); nach Gen 15,7 geschah der Ruf Gottes an Abraham hier; hebr. Kasdim meint Chaldäa, »Ur Kasdim« wird gewöhnlich mit »Ur der Chaldäer« oder »Ur in Chaldäa« übersetzt. Die Chaldäer waren ein semitisches Volk, das um das 9. Jahrhundert v. Chr. in Südmesopotamien siedelte, also in viel späterer Zeit als der Zeit Abrahams; bei der Bezeichnung Ur Kasdim handelt es sich somit um einen Anachronismus. 120,17 JHWH] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14. 120,20-21 Abraham ein Künder […] genannt wird.] Gen 20,7. 121,18-19 von Haran bis zum Berg Moria] In Haran, wo sich sein Vater Terach nach dem Wegzug aus Ur angesiedelt hatte, erhält Abraham von Gott Auftrag und Verheißung auf eine große Nachkommenschaft in einem ihm noch unbekannten Land. In das Land Moria schickt Gott nach Gen 22,2 Abraham, um seinen Sohn Isaak zu opfern; Moria wird noch ein weiteres Mal in der Hebräischen Bibel genannt, und zwar in II Chr 3,1 als der Ort, an dem König Salomo den

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Tempel in Jerusalem erbaute. Nach jüdischer Tradition sind die Stelle der Opferung Isaaks und der Platz, an dem der Tempel in Jerusalem stand, identisch (vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 96,1214). 121,21-22 zum Empfang der zweiten […] und Verheißung] Vgl. Ex 19,5-6. 121,22-23 von Beerseba also über Ägypten zum Berge Sinai] Der Zug Jakobs und seiner Nachkommenschaft von Sichem (heute Nablus) über Beerseba nach Ägypten und der Auszug des aus den Stämmen Israels gebildeten Volkes Israel aus Ägypten zum Berg Sinai. 121,31-32 sieben Offenbarungen an Abraham] Vgl. Buber ausführlich zu den sieben Offenbarungen, unten S. 126-130. 122,10 Epitheta] Pl. von griech. Epitheton, »das Hinzugefügte«, ein sprachliches Attribut; auch verwendet, wie hier von Buber, im Sinne einer Charakterisierung oder Individualisierung einer Person. 122,11-12 »in seinen Geschlechtern« […] und »ganz« gewesen.] Gen 6,9. 122,26 »mit dem Gott einhergegangen«] Gen 6,9. 122,27-28 Henoch, Noahs Urahn] Vgl. das Geschlechterregister von Adam bis Noah, Gen 5; die Erzählung von der biblischen Gestalt des Henoch, der vor seinem Tod von Gott von der Erde weggenommen wurde (Gen 5,24), ähnelt derjenigen von der Entrückung Elijas, II Kön 2,11; neben der kurzen Erzählung in Genesis zu Henoch gibt es drei verschiedene apokryphe Henochbücher, die von den Himmelreisen Henochs berichten. 123,6-8 in der mittleren […] »als Bewährung« geachtet] Die mittlere und für Buber zentrale der sieben Offenbarungen an Abraham findet sich in Gen 15: Gott verheißt Abraham einen Sohn und schließt einen Bund mit ihm; zur »Bewährung« Abrahams siehe Gen 15,6. 123,15-19 und die jüdische Tradition […] und ganz gewesen.] Im Midrasch Tanchuma, einer Sammlung von Aggadot zum Pentateuch (zu »Aggada« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 97,1-2), heißt es: »In his generation. Do these words imply that Noah would not have been considered righteous if he had lived in another generation? R. Judah and R. Nehemiah differed concerning this question. One said: He was righteous in comparison to the men who lived during the Generation of the Flood and the Generation of the Separation, but if he had lived in Abraham’s generation he would have been lost among them. For example, if a barral of balsam oil is placed in a filthy area, its scent permeates that area, but if it is placed in another locality (a clean area), its scent might not permeate that area. The

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other argued: If he was righteous in such a generation, how much more righteous would he have been he lived in any other generation! For example, if a vial of spikenard oil is set in a filthy place, it will give forth a pleasant fragrance, but how much more pleasant would its fragrance be were it placed in an attractive area.« (Midrash Tanhuma-Yelammedenu. An English Translation of Genesis and Exodus from the Printed Version of Tanhuma-Yelammedenu with an Introduction, Notes, and Indexes by Samuel A. Berman, Hoboken NJ 1996, S. 51.) 123,26 »Mann des Ackers«] Gen 9,20. 124,5 das Bundeszeichen Israels] Die Beschneidung als das Zeichen des Bundes zwischen Gott und Israel; vgl. Gen 17,10-13. 124,16-17 »Mit dem Gott ging Noah einher«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 122,26. 124,18 »Geh vor mir einher!«] Gen 17,1. 124,29 wenn etwa Gott [2, 30, 35] zu Eli sagt] Gemeint ist I Sam 2,30, 35: Gott sagt das Gericht über den Priesters Eli und sein Haus an, weil dessen Söhne gegen Gott sündigen. 124,37-39 zu Sichem und zu Bethel […] den Gottesnamen ausruft.] Zu Sichem und Bethel siehe Gen 12,6-8; Sichem, hebr. ‫שכם‬, »Schchem« (Teil des heutigen Nablus) ist der erste Ort in Kanaan, den Abraham nach seinem Auszug aus Haran erreicht; Bet-El bedeutet »Haus Gottes«, der Ort liegt nordöstlich von Sichem; zu Abraham in Beerseba vgl. Gen 21,22-34; bei Beerseba lag nach biblischer Überlieferung später die Südgrenze des israelitischen Siedlungsgebiets; Abraham schloss hier mit dem Philisterkönig Abimelech einen Bund, pflanzte die Tamariske und proklamierte den Namen Gottes. 125,4 Gideon] Gideon, einer der Richter Israels; vgl. Ri 6-8; nach seiner Berufung baute Gideon in seinem Heimatort Ofra, südwestlich von Sichem, Gott einen Altar und rief dessen Namen aus (Ri 6,24). 125,12 Lade] Gemeint ist die Bundeslade; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 63,19. 125,32 Quellentheorie] Zu Bubers Auseinandersetzung mit der Quellentheorie vgl. den Aufsatz »Genesisprobleme«, in diesem Band, S. 8998, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 125,37-38 den beiden Schöpfungsberichten] Gen 1-2,3; Gen 2,4-3,19. 126,7 Noahbund] Gen 9,11-17. 126,18 Fürbitte Abrahams für Sodom] Gen 18,16-33. 126,19 Erzählung von seinem Aufenthalt bei Abimelech] Gen 20 u. 21; der Philisterkönig Abimelech. 127,8 Die dritte Offenbarung] Gen 13,14-17.

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127,8 Lot] Lot war der Neffe Abrahams; nach Gen 13 zog Abraham zusammen mit Lot von Ägypten nach Kanaan, bis Bet-El (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 124,37-39), wo Abraham siedelte und von wo aus Lot weiter nach Osten bis Sodom zog (vgl. Gen 13,1-13). 127,14 Landtag zu Sichem] Jos 24,1-28. 127,21 Die vierte Offenbarung] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 123,6-8. 127,23-25 durch das Zusammenklingen […] Offenbarung [15, 1]] Das hebr. Wort ‫מגן‬, kann je nach Vokalisation miggen, »er schütze, er verteidigte« (Gen 14,20) oder magen, »Beschützer, Schild, Schutz« (Gen 15,1) bedeuten. 127,30-32 in der zwischen beiden […] und Erde« bezeichnet] Die Erzählung von Abraham und Malkizedek in Gen 14 (vgl. die Wort- und Sacherläuterungen zu 97,3 u. 97,Anm 12); zu den Sprüchen Malkizedeks und Abrahams vgl. Gen 14,19-22. 128,4-5 »herausgeführt«] Gen 15,7. 128,5 den Anfang des Dekalogs] Ex 20,2. 128,7-8 In der Ansage des Exils […] Israel »bedrücken«] Vgl. Gen 15,13. 128,9-10 wie die »ägyptische Magd« von Sara »bedrückt« wird] Gen 16, hier bes. die Verse 1 und 6; die »ägyptische Magd« ist Hagar, mit der Abraham seinen Sohn Ismael zeugt. 128,16-17 »von hinten sah«] Ex 33, 18-23, bes. Vers 23. 128,19 fünften Offenbarung] Gen 17. 128,22-24 nun gibt er ihm […] seines eigenen Namens wirft] Zur Namensgebung vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 118,40; gemeint ist der Buchstabe »H« aus dem Tetragrammaton »JHWH« (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14). 128,29 das Bundeszeichen] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 124,5. 128,32-33 sechsten Offenbarung] Gen 18,1-15. 129,9-10 »Wahrheit und Gerechtigkeit zu tun«] Gen 18,19. 129,14-15 »Der die ganze Erde richtet, soll der nicht Gerechtigkeit tun?«] Gen 18,25. 129,23-24 die Erzählung von der Geburt Isaaks] Gen 21,1-8. 129,24 die von der Fortschickung Ismaels] Gen 21,9-21. 129,25 Trennung von Lot] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 127,8. 129,28 Entstehung von Beerseba] Gen 21,28-31. 129,29-31 siebente Offenbarung […] höchsten Segen zu empfangen] Gen 22,1-19; zum Berg Moria siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 121,18-19.

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Falsche Propheten

129,33 »woran werde ich erkennen?«] Gen 15,8. 129,37-38 nicht JHWH sondern Elohim genannt […] offenbaren wird.] »JHWH« ist der sich zeigende Gott, der diesen Namen selber für sich im Dornbuschgespräch verwendet, als er sich Moses offenbart (vgl. Ex 3,14); »Elohim« ist ursprünglich ein Allgemeinbegriff für »Gott« aus der polytheistischen Götterwelt Kanaans und somit nicht spezifisch auf den Gott Israels bezogen; zum Gottesnamen »JHWH« vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14; zur Bezeichnung »Elohim« für Gott vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 130,1 »Geh vor dich hin!«] Vgl. Gen 12,1 u. Gen 22,2 (hebr. lekh lekha). 130,17 »und er ging«] Gen 12,4 u. Gen 22,3. 130, 27 »Auf JHWH’s Berg wird gesehn«] Vgl. Gen 22,14. 130,32-35 wie Mose ihn […] »hinter dem« sie hersieht] Zu Mose vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 128,16-17; zu Hagar vgl. Gen 16,13. Falsche Propheten Der handschriftlich alternativ auch mit »Chananja« betitelte Text dreht sich um diesen gegen Jeremia auftretenden Heilspropheten (vgl. Jeremia 28). Der Aufsatz wurde auf Deutsch zuerst in Die Wandlung (Jahrgang II, Heft 4 Mai 1947) veröffentlicht und anschliessend in Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich, Manesse 1953, S. 167-173 wieder abgedruckt, und dort auf 1941 datiert. Die Erstveröffentlichung geschah allerdings bereits 1940 auf Hebräisch. Der für den Druck verwendete und im Grunde auch ursprünglichere Titel »Falsche Propheten« charakterisiert Bubers Einschätzung dieser Art von Heilsprophetie. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Buber anhand der Geschichte um Chananja mit einem eigenen Thema ringt, der Auseinandersetzung mit dem Nationalismus seiner Zeit. Wer die Wahrheit Gottes kennt, weiß für Buber »was das heißt, fortzugehen und zu horchen« (»Falsche Propheten«, in diesem Band, S. 133). Buber selbst war 1938 nach Israel übergesiedelt. Während Sokrates nur die Stimme des Daimonions kennt, die ihm sagt, was er zu lassen hat, ist die Stimme Gottes aktiv konnotiert, man kann von Zeit zu Zeit etwas von ihr erfahren. Allerdings ist sie leise und lässt sich leicht von Heilsverkündern wie Chananja übertönen, die auch nicht lügen, sie sagen »nur« auch nicht die Wahrheit. Während Chananja guter Absicht war, »in der Stunde der Gefahr die Widerstandskräfte des Volkes aufrechtzuerhalten« (ebd., S. 134), erkennt Jeremia, dass es dafür zu spät ist. Er will Israel vor dem völligen Zusammenbruch retten. Die falschen Propheten beten den Erfolg an;

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Einzelkommentare

auch wenn sie dabei ehrlich sind, entsteht für Irael die Illusion der unbedingten Sicherheit, während Gottes Verheißungen in Wahrheit stets bedingt sind. »Der falsche Prophet lebt vom Traum aus und vefährt, als ob der Traum die Wirklichkeit wäre.« Buber versteht das als Mahnung auch für das Israel seiner Zeit, denn »wir haben in dieser Stunde keinen Jeremia« (ebd., S. 135). Buber gehörte zu denjenigen, die gegen die Proklamation eines rein jüdischen Staates in Palästina waren, was er durch diesen Essay als falsche Prophetie kennzeichnet (Zev Harvey, unpubliziert). In Die Wandlung fügen die Herausgeber einen kurzen Kommentar als Einleitung zum Abdruck der relevanten Bibeltexte (nach Luther zitiert) hinzu. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var 350 03 73); 3 lose paginierte Blätter, doppelseitig beschrieben in blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. TS1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var 350 03 73); 7 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben. Das Typoskript ist zweischichtig: TS1.1: Grundschicht. TS1.2: Korrekturschicht: vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand. D1: Die Wandlung, 2. Jg., Heft 4 Mai 1947, S, 277-281 (in MBB nicht verzeichnet). D2: Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich, Manesse 1953, S. 167-173 (MBB 919). D3: Werke II, S. 943-949 (MBB 1252). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: False Prophets, übers. von Olga Marx, in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken S. 113-118 (MBB 786); 2. Aufl. 1963 (MBB 1215); Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken S. 119-136 (MBB 786); 2. Aufl. 1963 (MBB 1215); False Prophets. (Jeremia 28), übers. von Olga Marx, in: Biblical Humanism. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, (MBB 1310) und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 166-171 (MBB 1316). Hebräisch: Neviʾ e scheqer, La-mo’ed (Einmalige Ausgabe), Jerusalem Nissan 700 (= 1940); in: Ha-ruach we-ha-metziʾ ut. Tischʿ a scheʿ arim le-berur ha-jachas sche-bejnejhem, S. 64-69 (MBB 652); in: Teʿ uda

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Falsche Propheten

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we-jiʿ ud, 2. Bd.: Maʾ amarim al injane ha-schaʿ a, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1961, S. 141-144 (MBB 1182); in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 119-122 (MBB 1260). Variantenapparat: 132,1 Falsche Propheten] [Die falschen Propheten] ! [Chananja] ! Falsche Propheten H 132,8 Jeremia ist unter den Propheten] [Von keinem anderen Propheten ist uns wie von Jeremia bekannt, dass er sich] ! Jeremia ist unter den Propheten H 132,13 bestellt,] bestellt, [»auszureuten, einzureissen«] H 132,14 verwirklichen soll] verwirklichen wird H 132,17 Geschichtsstunde] Stunde D2 132,20 horchen] [warten] ! horchen H 132,21 Jeremia hat] Chananja redet wie einer der Bescheid weiss. Jeremia hat H, TS1.1, TS1.2 132,23 Stunde] Zeit D2 132,24 Stunde] Zeit D2 132,25 Stunde] Zeit D2 132,25 der anderen gleicht] der anderen gleicht [, und dass man aus der Lage einer Stunde nicht auf die Lage einer anderen Stunde folgern kann – auch das Gotteswort einer Stunde nicht als] H 132,30 die Wahrheit;] fehlt H, TS1.1 133,1 fortgehn und von neuem horchen] fortgehn [warten und horchen] ! und von neuem horchen H 133,3 Jeremia] [Der wahre Prophet] ! Jeremia H 133,9-10 vielleicht weil »die Stimme […] Schweigens«] [denn das »dünne Schweigen«] ! vielleicht weil »die Stimme […] Schweigens« H 133,12 Chanania] [Der falsche Prophet] ! Chananja H 133,15 , der falsche Prophet,] h, der falsche Prophet,i H 133,15-16 ist kein Lügner] ist [ein ehrenwerter Mann. Man hat ihn mit Recht eine Karikatur Jesajas genannt. Mehr noch, er ist] kein Lügner H 133,16 die Wahrheit, die er weiss] [was er weiss] ! die Wahrheit, die er weiss H 133,17 keine weiß und keine wissen kann] [sie nicht weiss und nicht wissen kann] ! keine weiss und keine wissen kann H 133,20 Willen] [Schwur] ! Willen H 133,22 die gleiche] die gleiche [, und ein Wort Gottes ist nicht der Obersatz eines Syllogismus] H

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Einzelkommentare

133,23 das Wort gesprochen hatte] [Gottes Schwur verkündigt] ! das Wort gesprochen hatte H 133,24 geschichtliche Aufgabe] hgeschichtlichei Aufgabe H 133,25-26 ganze Volksleben durchdringende] [reale Volksleben umfassende] ! ganze Volksleben durchdringende H 133,33-34 Umkehr] [Erfüllung] ! Umkehr H 133,37 sich wandelnden] [neuen, gewandelten] ! sich wandelnden H 133,38 des Jochs Babels von seinem Halse weg verheißen] des Joches hBabels von seinem Halse wegi verheissen H 134,8 empfängt] [gewinnt] ! empfängt H 134,11 aufrichtiger Patriot] haufrichtigeri Patriot H 134,15 eine Ruine] zur Ödnis D2 134,19 Sein Gott] [Er] ! Sein Gott H 134,19-20 am Leben bewahren] [erhalten] ! am Leben bewahren H 134,21 großen Politiker] [Realpolitiker] ! grossen Politiker H 134,23 aufrecht zu erhalten] [wachzuerhalten] ! aufrechtzuerhalten H 134,23 Tatsächlich aber] [In Wirklichkeit] ! Tatsächlich aber H 134,25 aufrecht zu erhalten] [wachzuerhalten] ! aufrechtzuerhalten H 134,30-31 geschichtlichen Wirklichkeit] hgeschichtlicheni Wirklichkeit H 134,34 Suggestivwirkung] [Suggestionskraft] ! Suggestionswirkung H, TS1.1, TS1.2 134,37 Die falschem Propheten] [Chananja und seinesgleichen] ! Die falschen Propheten H 134,38 die zuständigen Menschen] [das Volk] ! die zuständigen Menschen H 134,40 anzunehmen] [zu erfüllen] ! anzunehmen H 135,1 Heilsbotschaft] [Botschaft] ! Heilsbotschaft H 135,2-3 sicheren Verheißung für ein seine Aufgabe erfüllendes Israel] [Verheissung der Sicherheit für ein erfüllendes Volk] ! sicheren Verheißung für ein seine Aufgabe erfüllendes Israel H 135,5 gekommen ist, wie es gekommen ist] [geworden ist wie es ist] ! gekommen ist, wie es gekommen ist H 135,8 verblenden] [Israel dafür] verblenden H 135,13 bedürfen selber immerzu des Erfolgs und erlangen] [ersehnen sich selber immerzu Erfolg und erreichen] ! bedürfen selber immerzu des Erfolgs und erlangen H 135,22 Sie selber können] [Sie selber streben keinen Erfolg an] ! Sie selber können H 135,23 zumeist keinen Erfolg] hzumeisti keinen Erfolg H

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Falsche Propheten

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135,25-27, und in aller Stille […] führen wird] h, und in aller Stille […] führen wirdi H 135,29 wahren Worte] hwahreni Worte H 135,32 Geltung hätte.] Geltung hätte. [Aber »was soll das Stroh dem Korn«?] H 135,33 dieser Stunde] dieser Stunde [der grössten Gefahr] H 135,35-37 oder seinem […] Wind im Munde] hoder seinem […] Wind im Mundei H 135,40 das Auge] [der Blick] ! das Auge H 135,40 Aber wenn er das nächstemal] Aber [mitten in seinem] ! wenn er das nächstemal H 136,4 solche Augenblicke der anfangenden Besinnung] [um solcher Augenblicke willen reden wir] ! solche Augenblicke der anfangenden Besinnung H Wort- und Sacherläuterungen: 132,2-6 Als Chanania das Joch […] ihm zu sagen hat.] Vgl. Jer 28; der Prophet Chananja trat gegen die Prophetie Jeremias als ein Prophet auf, der Juda Heil verkündigte; darum zerbrach er das Joch, das Jeremia als Symbol der von Gott befohlenen Unterwerfung unter den babylonischen König Nebukadnezar (eigentl. Nebukadnezar II.; um 640-562 v. Chr.; ab 605 v. Chr. König von Babylon) trug und verkündete die Befreiung innerhalb der nächsten zwei Jahre. Nach dem wortlosen Weggang Jeremias erhält er von Gott den Auftrag, Chananja der falschen Prophetie zu bezichtigen und ihm den baldigen Tod zu verkünden, der zwei Monate später tatsächlich eintrat. Vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 298 f. 132,12-13 »über die Völker, über die Königreiche«] Jer 1,10. 132,18 dem sonderbaren »Knechte« Gottes] Vgl. Jer 25,9: Gott bezeichnet den babylonischen König Nebukadnezar als »meinen Knecht«, dem Juda untertan sein soll. 133,2-3 Dergleichen erzählt uns Sokrates von sich.] Buber weist auf den dem Sokrates zugeschriebenen Satz hin: »Ich weiß, dass ich nichts weiß.« Der Ausspruch entstammt der Apologie des Sokrates-Schülers Platon, die eine literarische Bearbeitung von Sokrates’ Verteidigungsrede vor dem athenischen Volksgericht darstellt. Mit diesem Satz wollte Sokrates zum Ausdruck bringen, dass er sich bewusst sei, dass ihm Weisheit oder ein über jeden Zweifel erhabenes Wissens fehle. 133,4-6 Auch Sokrates vernimmt […] nicht zu tun hat.] Das Daimonion, in der griechischen Antike ein persönlicher Schutzgeist, erklärt Sokrates als eine innere Stimme, die göttlichen Ursprungs ist und das

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zu erkennen vermag, was der Vernunft verborgen bleibt; das Daimonion warnt ihn vor unrechtem Tun und Falschem, ohne sich jedoch jemals als zu etwas zuratende Stimme kundzutun. Für Sokrates war das Daimonion eine unfehlbare Instanz, deren Anweisungen er darum auch entgegen seiner eigenen Einsicht befolgte. 133,9-10 »die Stimme des verschwebenden Schweigens«] Vgl. I Kön 19,11-13: Gott offenbart sich dem Propheten Elia nicht im Sturm oder im Erdbeben, sondern in der Stille. 133,20 Assurs Joch] Das assyrische Reich, am mittleren Tigris in Mesopotamien gelegen, existierte vom 18. Jahrhundert bis 609 v. Chr.; es gilt in der Hebräischen Bibel als ständige feindliche Großmacht; 722 v. Chr. erobert Assur das Nordreich Israels und verschleppt seine Bevölkerung (die verlorenen zehn Stämme); das Südreich Juda wurde den Assyrern tributpflichtig, bis der babylonische König Nebukadnezar nach dem Untergang des assyrischen und dem Aufstieg des babylonischen Reiches Juda im Jahr 597 v. Chr. unterwarf. 133,27 Generation Hiskias] Hiskia (um 750-697 v. Chr.) war ab 725 v. Chr. König von Juda; in seine Regierungszeit fällt die Zeit der Prophetie Jesajas. 133,29 Generation Josias] Josia (um 647-609 v. Chr.), ab 640 v. Chr. König von Juda. Josia hatte nach biblischem Bericht vor seinem Tod eine Reihe von kultischen Reformen gegen die zunehmenden assyrischen Einflüsse eingeleitet und den Bund mit dem Gott Israels erneuert; die Frühzeit der Prophetie Jeremias fällt in die Herrschaftszeit Josias. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 113,2-3. 133,36-38 Später, nach der Katastrophe […] weg verheißen] Vgl. Jer 50 über den bevorstehenden Untergang Babels und die Heimkehr Israels aus dem Exil. 133,41 »diese Stadt«] Vgl. Jer 27,17. 135,16-17 »den Trug ihrer Herzen«] Jer 23,26. 135,34 Micha ben Jimla] Zum Propheten Micha ben Jimla, der dem König von Israel die Niederlage gegen Aram verkündet, vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 94,10-13. 135,36-37 Zidkija, dem Sohn Kenaanas […] Wind im Munde] Zidkija ist der Anführer einer Gruppe falscher Heilspropheten, die den Königen Ahab von Israel und Jehoschafat von Juda den Sieg im Kampf gegen die Aramäer prophezeien, während Micha ben Jimla ihnen die Niederlage verkündet, die sich bewahrheitet. Vgl. I Kön 22,1-28; II Chr 18,1-27.

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Der Glaube der Propheten Seinem Jerusalemer Kollegen Gershom Scholem (1897-1982) schien, wie er in einem Vortrag auf der Eranos-Tagung 1966 urteilte, mit Der Glaube der Propheten »der Höhepunkt von Bubers Bemühungen um das Verständnis der Bibel als eines großen Gespräches erreicht zu sein«, insofern in dessen Narrativ der prophetischen Glaubenstradition das Wesentliche seiner Deutung des spannungsreichen Verhältnisses zwischen Israel und Gott zur Sprache komme: »Der Prophet ist der Vernehmende, dem zugleich in Sinnbildern Gottes Ratschluß und Forderung verdeutlicht wird. Er ist aber ebensosehr der, welcher aus der Gewißheit des Auftrages und der Sendung her sein Volk in konkreten historischen Situationen zur Entscheidung für die Forderungen Gottes und zu deren Verwirklichung aufruft. Er verlangt von Israel die Umkehr, die im Hebräischen, worauf Buber oft hingewiesen hat, identisch mit dem hebräischen Wort für Antwort ist. Buber hat mit großer Energie dargelegt, was der in der Prophetie zum Ausdruck gelangende Anruf zur Umkehr nicht etwa an den Einzelnen, sondern an die Gemeinschaft für deren Konstitution als religiöse Gesellschaft des Judentums zu bedeuten hat. Er hat das Scheitern des Anrufs, die Unfertigkeit des nie vollendeten Dialoges, als ein konstitutives Element des Judentums dargestellt. Das Dialogische ist nämlich keineswegs vor dem Umschlag ins Gewalttätige und Zerstörerische gesichert.« (Gershom Scholem, Martin Bubers Auffassung des Judentums, in: Ders., Judaica 2, Frankfurt a. M. 1982, S. 133-192, hier S. 176.) Trotz der positiven Resonanz, welche diese Schrift bis in die Gegenwart erfährt, etwa bei Harold Bloom, der sie als Bubers »finest single book« bezeichnete (Harold Bloom, Introduction, in: Martin Buber, On the Bible: Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, Syracuse, NJ 2000, S. IX-XXXII, hier S. XXX; Maurice Friedman, Martin Buber’s Life and Work. The Later Years, 1945-1965, New York 1983, S. 41 urteilt, das Buch sei in vielfacher Hinsicht »his most impressive book of biblical exegesis«), liegen nur wenige Arbeiten vor, die sie in ihrer detaillierten Argumentation, ihrem Ort im Gesamtwerk Bubers und in ihrem spezifischen Beitrag zur für seine biblischen Kommentare so bedeutsamen »Theopolitik« analysiert haben. Ausführlich leistet das jüngst Samuel Hayim Brody insbesondere in Kapitel 6 seines Bubers »Theopolitik« gewidmeten Buches, auf dessen kontextuelle Interpretation an dieser Stelle verwiesen sei. (Samuel Hayim Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 175.) Bubers Bemerkungen im Vorwort zufolge verdankt sich die Entstehung seines großen Kommentarwerks zur Prophetie zunächst einem

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Impuls von außen. 1938, kurz nach der Aufnahme seiner Tätigkeit an der Hebräischen Universität Jerusalem, lud ihn der niederländische reformierte Theologe und Religionsphänomenologe Gerardus van der Leeuw (1890-1950) ein, im Kontext des von ihm konzipierten Sammelwerks Die Religionen der Welt eine Darstellung der Religionsgeschichte Israels zu verfassen. Da Buber der Wertschätzung, die darin zum Ausdruck kam, dass ihn der Kollege aus Groningen als einzigen beteiligten nicht-holländischen und zumal als jüdischen Gelehrten für diese Aufgabe ausersehen hatte, symbolische Bedeutung zuschrieb, nahm er den Auftrag trotz seiner persönlichen Umbruchsituation an. Die für diesen Anlass verfasste Schrift »Der Glaube Israels« muss in ihrer für den Zweck offenbar deutlich zu lang geratenen ersten Fassung nach derzeitigem Stand der Dinge wohl als verschollen gelten. Das von dem befreundeten Lektor und Verleger Moritz Spitzer (1900-1982) gekürzte Werk sandte Buber in Teillieferungen nach Amsterdam. Als er nach der deutschen Besetzung Hollands das letzte Kapitel über das »Leidensmysterium« (in diesem Band, S. 139) als nicht zustellbar zurückerhielt, arbeitete er die ursprüngliche Fassung in hebräischer Sprache in eine Schrift um, die sich ganz auf die Geschichte des prophetischen Glaubens bis zum Ende des babylonischen Exils konzentrierte. Das der Erinnerung an seinen Großvater Salomon Buber (1827-1906) gewidmete Werk erschien 1942 in Tel Aviv im Verlag Dvir unter dem Titel Torat Ha-Neviʾ im und 1949 in englischer Übersetzung in New York (Macmillan) als The Prophetic Faith. Bei der hier vorliegenden deutschen Fassung, die 1950 im Manesse-Verlag publiziert wurde, handelt es sich nach Bubers Aussage um eine Adaptation des ursprünglichen deutschen Texts an den hebräischen. (Die niederländische Übersetzung von Torat Ha-Neviʾ im erschien zum größeren Teil in Gerardus van der Leeuw (Hrsg.), De godsdiensten der wereld, Amsterdam 1941 und dann in der vollständigen Fassung in der zweiten Auflage 1948.) Unabhängig von dem unmittelbaren Anlass seiner Abfassung muss Bubers großes Werk über den Glauben der Propheten jedoch vor allem im Kontext seines anderen bedeutenden Bibelkommentars – Königtum Gottes – und seines dort angekündigten Forschungsprogramms verstanden werden. Ursprünglich aus dem – letztlich aufgegebenen – zweifachen Plan erwachsen, sich zu habilitieren, um sich für eine Position im Fach Religionswissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem zu qualifizieren, und um gemeinsam mit Franz Rosenzweig (18861929) einen Kommentar über »Probleme des Glaubens« in der hebräischen Bibel zu verfassen, erschien das Buch 1932 als erster Teil einer geplanten Trilogie unter dem übergreifenden Titel Das Kommende. Unter-

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suchungen zur Entstehungsgeschichte des messianischen Glaubens, die sich ganz auf die biblischen Wurzeln des Messianismus konzentrieren sollte. Wie Buber in seinem Vorwort darlegte, widmete sich der erste Band der Interpretation der Idee von Gottes Volkskönigtum in der Frühzeit Israels »als einer aktuell-geschichtlichen«. Unter dem Titel Der Gesalbte sollte der zweite Band sodann dem Prozess nachspüren, in dem sich während der Richterzeit unter dem Eindruck geschichtlicher Krisen Israels »der sakrale Charakter des israelitischen Königs als eines ›Gesalbten‹ Jhwhs« herausbildete, der dritte Band hingegen der Transformation der beiden Konzeptionen »aus der Geschichte in die Eschatologie«. (Vgl. Martin Buber, Königtum Gottes, jetzt in: MBW 15, S. 93276, insbesondere das Vorwort zur ersten Auflage von 1932, S. 94-100, Zitate S. 94.) Nachdem Buber das Projekt zwischen 1932 und der Zwangsauflösung des Schocken-Verlags, bei dem Königtum Gottes erschienen war, sowie seiner Emigration nach Palästina 1938 weiter vorangetrieben hatte, blieben die Arbeiten an Der Gesalbte Fragment. (Vgl. die mit drei Kapiteln unvollendet gebliebene Schrift mit ihren komplexen historisch-kritischen, literarischen und theopolitischen Reflexionen über die Rolle Samuels und Sauls beim Übergang von der Richterzeit zur Königszeit; jetzt in: MBW 15, S. 281-379; vgl. den Einzelkommentar dazu ebd., S. 588-593 und Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 151-174; es ist anzunehmen, dass die ursprünglich geplante zweite Hälfte des Buches die Verwerfung Sauls, den Aufstieg Davids, die Fortführung des davidischen Königtums bis zu Salomo und womöglich die Geschichte von der Abtrennung des Nordreichs Israel zum Gegenstand gehabt hätte; vgl. Brody, ebd., S. 151.) Material aus diesen Texten sowie Vorstudien zum dritten Band fanden erst später Aufnahme in Bubers Studien Der Glaube der Propheten und Zwei Glaubensweisen (1950). Obwohl der ambitionierte Plan der Trilogie angesichts der Zeitumstände unvollendet blieb, ist demnach festzuhalten, dass der Kommentar zum prophetischen Glauben ebenso wie das 1945 zunächst auf Hebräisch erschienene Buch Moses im Licht seiner Pläne für Das Kommende zu lesen sind – letztere sind, um mit Samuel Hayim Brody zu sprechen, »der Schlüssel zu Bubers theopolitischer Vision der Geschichte Israels als ganzer« (Samuel Hayim Brody, Einleitung, in: MBW 15, S. 13-34, hier S. 27). Königtum Gottes, für das Buber sich intensiv in die zeitgenössische Forschung der Bibelkritik, Ägyptologie, Assyriologie, Semitistik und Soziologie einarbeitete, kann – angesichts der detaillierten Auseinandersetzung mit den exegetischen und religionsgeschichtlichen Thesen insbesondere der protestantischen Bibelforschung – als der am stärksten

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wissenschaftliche seiner Bibelkommentare gelten und hat eine entsprechend kritische Rezeption durch protestantische, aber auch jüdische Exegeten erfahren, auf die er in seinen Vorworten zur zweiten Auflage 1936 und zur dritten Auflage 1955 reagierte (vgl. MBW 15, S. 242-276). Seine zentrale These lautete, dass in der frühen Phase der Geschichte Israels eine – vom Sinaibund her begründete – starke Tendenz zu einer echten Theokratie herrschte, einem System, in dem JHWH selbst als König seines erwählten Volkes verstanden wurde, bevor Schwäche, Furcht und Treulosigkeit dieses veranlassten, einen menschlichen König als Stellvertreter Gottes zu verlangen. Diese Interpretation setzte allerdings eine kritische Destruktion der gängigen Neigung der Bibelkritik voraus, die Geschichte vom Sinaibund als Rückprojektion theologischer Konzepte einer späteren Epoche und die Idee einer göttlichen Königsherrschaft als ein Produkt der Zeit nach Entstehung der Monarchie zu verstehen, der in der Frühgeschichte Israels niemals eine lebendige historische Realität entsprochen habe. Buber wehrte sich, wie die Forschung zeigt, gegen diese Spätdatierung der biblischen Konzeption des Königtums Gottes vor allem auch deshalb, weil seine bibelwissenschaftliche Arbeit schon damals eng mit seiner theopolitischen Vision des Zionismus verknüpft war. Anstatt sich auf die Gründung eines den Konzepten der gewöhnlichen staatlichen Souveränität entsprechenden jüdischen Staates zu konzentrieren, sollte sich die zionistische Bewegung an der – keiner Utopie, sondern geschichtlicher Realität entsprungenen – biblischen Idee der göttlichen Souveränität und einer »radikal freie[n] und gleiche[n], fast schon anarchistische[n] Gemeinschaft« orientieren (so Samuel Hayim Brody in seinem Einzelkommentar zu Königtum Gottes, in: MBW 15, S. 441-448, hier S. 448). Positive Rezeption der historisch-kritischen Forschung und polemische Bezugnahmen darauf fehlen auch in Der Glaube der Propheten ebenso wenig wie detaillierte exegetische Argumentation, doch vom literarischen Stil her unterscheidet sich die Schrift merklich von Königtum Gottes: »of all Buber’s works in that field it is the closest in character to his free-flowing religio-philosophical essays« (Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 177). In seinem Vorwort hebt der Verfasser hervor, es gehe ihm weniger um eine »umfassende religionsgeschichtliche« Studie als vielmehr um eine »spezielle glaubensgeschichtliche« Interpretation der Prophetie Israels, deren man in ihrer Essenz allein dann ansichtig werden könne, wenn man sich im Durchgang durch die Quellen aus unterschiedlichen Epochen und Stufen dieser Glaubensgeschichte die »doppelte Gotteserfahrung« des Volkes Israel »in aller Konkretheit« vergegenwärtige (in diesem Band, S. 140). Die eine Erfahrung sei die eines

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wandernden Volkes mit einem »herausholende[n], führende[n], wegweisende[n] Gott«, die andere beziehe sich darauf, dass dieser Gott einzelne »Künder« und durch sie das Volk anrede und ihm seine Weisung verdolmetsche. Der nabi sei jedoch kein Prophet in dem Sinne, dass er feststehende Ereignisse prophezeie, sein Signum sei vielmehr, dass er im jeweils konkreten historischen Augenblick »latentes Schicksal« ansage und das Volk in die Entscheidung rufe. Bubers mit dieser Definition des Prophetischen verbundenes Verständnis des Verhältnisses von Israel und JHWH findet seinen Ausdruck in der seiner Darstellung vorausgehenden theologischen Bestimmung des »biblische[n] Geheimnis [ses]«: Es ist das Geheimnis »des faktisch erschaffenen und damit freigegebenen Menschen als der mit ihren Entscheidungen des Gotteswegs mit hereingenommenen Kreatur und der auf ihn wartenden Gnade« (ebd., S. 141 f.). In seiner Einleitung erörtert Buber das Vorgehen, mit dem er die »Glaubenslehre von der Beziehung zwischen dem Gott Israels und Israel« erhellen möchte. Anstatt chronologisch von den schwierig zu rekonstruierenden Urstadien dieses Glaubens auszugehen, gelte es, die biblischen Traditionen zu bestimmen, in denen das Prophetische in seinem Wesen bereits enthalten sei, und von dort aus »Schritt um Schritt« zu den Ursprüngen zurückzugehen, um dann – weit ausführlicher – die Entfaltung dieses Wesenskerns »zur vollständigen Form« (S. 143) nachzuvollziehen und die wesentlichen Ausdrucksformen des Prophetischen im historischen Kontext zu beschreiben. Als Zielpunkt der zu schreibenden Geschichte benennt Buber explizit eine über die Prophetie hinausgehende entscheidende Frage – »die Frage der leidenden Gemeinschaft nach dem Sinn ihres Leidens«, welche die prophetische Lehre in sich aufgenommen und dieser in den Psalmen und bei Hiob »ihren persönlichsten Ausdruck« verliehen habe (S. 145). Was seine historische und exegetische Methode betrifft, beschränkt sich Buber auf eine kurze Zusammenfassung dessen, was er bereits im Vorwort zu Königtum Gottes (vgl. MBW 15, S. 94-100, bes. S. 96 ff.) und dann 1936 in »Genesisprobleme« (vgl. in diesem Band, S. 89-98 und den Einzelkommentar S. 784-790) sowie 1939 in »Abraham der Seher« (vgl. in diesem Band S. 114-131 und den Einzelkommentar S. 818-826) dargelegt hatte bzw. was auch im Kapitel »Sage und Geschichte« in Moses zur Sprache kommt (in diesem Band, S. 357-363). Anstelle der auf Hypothesen beruhenden kleinteiligen Quellenkritik der zeitgenössischen Pentateuchforschung, mit der die komplexe Frage der Datierung und Zusammensetzung der Erzählungen über das Frühstadium der Religion Israels nicht überzeugend zu klären sei, schlägt er ein Verfahren

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Einzelkommentare

der Traditions- und Tendenzkritik vor, mit dem sich in der Komposition der Erzählungen, die von unterschiedlichen Intentionen geleitet seien, bestimmte »Grundtypen der literarischen Traditionsbearbeitung« bereits verschriftlichter Textüberlieferungen herausarbeiten ließen (S. 145). Dass diesen Texten vielfach Sagen zugrunde lägen, spreche nicht gegen ihre mögliche Geschichtsnähe, da auch solchen Überlieferungen ein geistes- und religionsgeschichtlicher Gehalt »ausgeschmolzen« werden könne. Neben der historischen Kritik sollte – mit entsprechender methodischer Verantwortung – das »gleichsam an der Grenze der Wissenschaft«, nämlich im Bereich intuitiver Deutung liegende Kriterium der »Faktumseinzigkeit« Anwendung finden: »Es gibt Vorgänge, Zustände, Gestalten, Aeußerungen, Taten in der Geschichte der Religion, deren Einzigkeit von solcher Art ist, daß sie nicht als erdacht, erdichtet, erfunden, sondern nur als tatsächlich zu fassen sind« (S. 147). Es sind solche Formulierungen, die Buber Kritik seitens der Exegese bis in die Gegenwart eingetragen haben, auch wenn die Bedeutung von – allerdings komplexen, vielstimmigen – Redaktionsprozessen an Stelle schematischer Quellenhypothesen von der neueren Pentateuchforschung ebenfalls betont wird. (Vgl. etwa Erhard Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, Berlin u. a. 1990.) Eine an Buber vielfach gerichtete Anfrage lautet, ob er sich in seinen methodischen Entscheidungen und hinsichtlich der Prämisse von der Einheitlichkeit des Sinngehalts der biblischen Textüberlieferungen nicht zu stark von seinen philosophischen (und politischen) Grundgedanken hat leiten lassen, etwa der These von der Geschichtlichkeit eines ursprünglichen anti-institutionellen Königtums Gottes über Israel oder des Interpretaments der dialogischen Zwiesprache zwischen Gott, den Propheten und dem Volk. Shemaryahu Talmon (1920-2010) etwa gelangt in seiner Analyse der Motive und Errungenschaften der Bibelinterpretationen Bubers zu der kritischen Einschätzung, dieser habe nicht bloß sein Verständnis der prophetischen Dialogerfahrung unterschiedslos auf die vielfältigen Entwicklungsstadien der biblischen Tradition bezogen, sondern zudem die Methoden der Exegese seiner Intuition untergeordnet: »He uses ›methods‹ as long as they further his overall purpose, but disengages himself from them as soon as they conflict with his train of thought.« (Shemaryahu Talmon, Martin Buber’s Ways of Interpreting the Bible, in: Journal of Jewish Studies 27 (1976), S. 195-209, hier S. 209; vgl. auch R. Mack, Intuition und Interpretation in Martin Bubers Umgang mit der hebräischen Bibel, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 33 (1981), S. 21-31.) Die ersten fünf Kapitel der Darstellung Bubers gehen vom archimedischen Punkt seiner Interpretation aus, dem »Geschichtssang der

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Debora« in Richter 5 mit seinem Zentralsatz »JHWH Gott von Israel« (in diesem Band, S. 149-153), der die schon in dieser Phase der Frühgeschichte Israels längst etablierte faktische Exklusivität Gottes für das Volk widerspiegele. Sie verfolgen dann die Glaubensgeschichte Israels zunächst in die davor liegende Zeit. Unter dem Titel »Zum Ursprung hin« (S. 154-168) analysiert Buber die Erzählung vom »Landtag zu Sichem« (Josua 24,1-28), der Erneuerung des Bundes zwischen JHWH und Israel, das sich unter der Führung Josuas »gegen den Partikularismus« entscheidet und anderen Sippengöttern abschwört. Von dort aus blickt er weiter zurück zum eigentlichen Akt des Bundesschlusses am Sinai, der »die Gottesherrschaft und die Gottesordnung« in Gestalt des Dekalogs begründet (S. 165), und von dort aus zur Erzählung vom brennenden Dornbusch – hier sagt JHWH dem Volk durch Mose »sein schützendes Mitgehen« zu (S. 167; vgl. dazu Martin Buber, Moses, in diesem Band, S. 382-397). Die zentralen Glaubenselemente dieses göttlichen Mitgehens und der eifernden Forderung nach Exklusivität lassen sich jedoch, so Buber in dem Kapitel »Der Gott der Väter« (S. 169-178), noch weiter in das »Dunkel einer Vorzeit« zurückverfolgen, das auf dem Wege über die Traditions- und Tendenzkritik der Sagen der Vätergeschichte zumindest soweit zu erhellen ist, dass einige »Ursprungszüge« (S. 178) sichtbar werden: Tastend sei auch der Erzählung von der Herausrufung Abrahams ein »geschichtliche(r) Wahrheitsgehalt« (S. 170) abzugewinnen, ein Blick in die halbnomadische Existenz der Vorfahren Israels, die insofern »etwas Ungeheures in der Religionsgeschichte« verkörpern, als sie sich der Anrede eines zugleich verborgenen und offenbarenden Schutzgottes anvertrauten und daher am Anfang der prophetischen Erfahrung stehen, die sich dann von Mose bis zu den späten Propheten zieht (S. 172 f.; in »Abraham der Seher« hatte Buber Abraham bereits 1939 pointiert der Frühgeschichte der israelitischen Prophetie zugeordnet, vgl. in diesem Band S. 114-131, bes. S. 120 und S. 125 ff.). Aus dem »Weggott« der Väter wurde dann im Laufe der Glaubensgeschichte Israels der »Volksgott« und dann der »Völkergott«, der »Gott der Geschichte« (S. 173), doch schon in dieser Vorgeschichte – und nicht erst am Sinai – stellte sich das entstehende Glaubensvolk Israel unter die Führung Gottes. Von diesem Punkt aus bewegt sich Buber – im Kapitel »Heiliges Ereignis« (S. 179-193) – in der Chronologie wieder in die entgegengesetzte Richtung, in die Zeit des Auszugs aus Ägypten und der Führerschaft Moses, in der auf der menschlichen Seite mit dem Eintreten Israels als Volk in die Geschichte entscheidend Neues geschieht, während auf Gottes Seite lediglich das »vorgeschichtlich Verborgene« im Akt der Erwählung ge-

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schichtlich offenbar wird – die »gläubige Grunderfahrung«, aus der im Laufe der weiteren Entwicklung der »Universalismus des prophetischen Glaubens« erwächst (S. 180 f.). Was Buber, ausgehend von seinen Darlegungen in Königtum Gottes, in Moses im Detail entfaltete, wird hier relativ kurz in die Geschichte des Prophetischen eingezeichnet: der Exodus, die Wüstenwanderung, der Bundesschluss am Sinai mit der Konstitution des Volkes und der Selbstkundgebung JHWHS als melekh, das Paradox der Präsenz des unsichtbaren Gottes in der Lade, die Einsetzung des Passahfestes, die Stiftung des Sabbats und die Entstehung einer Rechtsordnung, in der die Ausrichtung der Gottesherrschaft auf eine von Gerechtigkeit bestimmte Gemeinschaft sichtbar wird. Der entscheidende Akzent in Der Glaube der Propheten liegt jedoch auf der Rolle des Moses als nabi, als »Künder«: Er ist der »machtlose und unbeamtete Mann des Geistes« (S. 185), der die Anrede Gottes vernimmt und als Mittler zwischen Gott und Volk dient. Im Gegensatz zu den religionsgeschichtlichen Konstruktionen etwa der Wellhausen-Schule, welche die Frühgeschichte Israels als vorprophetisch und somit nicht auf der Höhe der Zeit der Schriftprophetie stehend bewerten, formuliert Buber seine pointierte These von der Kontinuität des prophetischen Geistes in Israel. Der Glaube Israels ist von Anfang an, und zwar keineswegs beiläufig, sondern in seinem Zentrum durch das Kennzeichen prophetischer Existenz bestimmt. Bereits vom »Seher« Abraham und erst recht vom »Künder« Moses an »läßt sich kein Zeitalter der israelitischen Glaubensgeschichte historisch begreifen, ohne diese Menschenart mit ihrem Berufen- und Beauftragtwerden, mit ihrem Verkündigen und Vermitteln darin wirksam zu sehen« (S. 192; zur charakteristischen kulturprotestantischen Deutung, der zufolge die israelitische Religion erst in der universalistischen Auffassung der Schriftprophetie vom »sittlichen Monotheismus« eine weder zuvor noch später feststellbare ethische Kraft erreicht, an die Jesus unmittelbar anknüpfen konnte, vgl. insbesondere Julius Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 1894; zum Konzept des »vorprophetischen« Israel vgl. Bernhard Stade, Die Religion Israels und die Entstehung des Judentums, Tübingen 1905; zur Entwicklung der Tendenzen der Prophetieforschung, mit denen sich Buber ebenso wie die zeitgenössische jüdische Bibelforschung konfrontiert sah, vgl. Peter H. A. Neumann, Prophetenforschung seit Heinrich Ewald, in: Ders. [Hrsg.], Das Prophetenverständnis in der deutschsprachigen Forschung seit Heinrich Ewald, Darmstadt 1979, S. 1-51; im Gegensatz zu den protestantischen Deutungen hatte etwa der jüdische Forscher Max Wiener [1882-1950] in seinen Arbeiten zur Prophetie trotz grundsätzlicher Anerkennung der Bibelkritik Wellhausens betont, die

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Bedeutung der Propheten liege weniger in der Entwicklung grundsätzlich neuer Ideen als »vielmehr in der Läuterung, der Versittlichung längst überkommener religiöser Vorstellungen«; Max Wiener, Die Anschauungen der Propheten von der Sittlichkeit, Berlin 1909, S. 43). Das Kapitel »Die großen Spannungen« (S. 194-225) rekapituliert, wie Buber explizit festhält, zunächst Deutungen aus der seinerzeit noch unveröffentlichten Schrift Der Gesalbte und erzählt summarisch den tiefgreifenden Wandel der Glaubensgeschichte Israels von der Erbeutung der Bundeslade durch die Philister über die Salbung Sauls durch Samuel und die Entwicklung des an Stelle des Richtertums neu eingesetzten dynastischen Königtums bis hin zum Auftreten der legendarischen Propheten Elia und Elisa und zum Propheten Micha ben Jimla. Es sind im Wesentlichen drei Merkmale des Prophetischen, die im Kontext dieses Kapitels in den Vordergrund treten. Das erste Kennzeichen exemplifiziert Buber an der Gestalt Samuels, des Gottes Wort ausgesetzten prophetischen Priesters, der zwar scheitert, da er dem Begehren der Realpolitiker des Volkes nach einem König stattgeben muss, dessen Salbung Sauls als des Stellvertreters des melekh JHWH jedoch die »theopolitische Voraussetzung« der späteren, meist auf taube Ohren stoßenden prophetischen Kritik an den Königen Israels schafft: die Idee von der gehorsamen Verantwortung des Königs gegenüber dem Willen Gottes (S. 200). Die zweite Facette des Prophetischen in dieser Epoche wird in den wundersamen Legenden über Elia sichtbar, der Kampf gegen den für die nunmehr bäuerliche Gesellschaft Israels charakteristischen extremen Synkretismus, der den JHWH-Kult mit Mythen und Riten der Geschlechtlichkeit in Verbindung bringt. Nicht etwa das Vergessen oder Verdrängen JHWHs ist das Problem dieser Zeit, sondern seine »Baalisierung«, mit der seine Einheit und die Universalität seiner Herrschaft, einschließlich der Herrschaft über die Natur, auf dem Spiel steht (S. 207 ff.). Die prophetische Botschaft lautet entsprechend, dass der Gott der früheren nomadischen Zeit des Volkes zugleich jener der neuen Existenz auf dem Land und in den Städten Kanaans ist. (Erwähnenswert ist auch, dass Buber 1955 die biblische Erzählung über den Propheten Elia in einem dramatischen Text literarisierte, der 1963 unter dem Titel Elija. Ein Mysterienspiel erschien; jetzt in MBW 7, S. 370409.) Repräsentiert die Elia-Geschichte die religiöse Seite des prophetischen Kampfes, so Micha ben Jimla die soziale. Der machtlose, gleichwohl unerschrockene Prophet, den JHWH sendet, um die Hofpropheten König Ahabs mit ihrer Heilsbotschaft als Lügenpropheten zu entlarven, steht für das dritte bedeutsame Element in Bubers Deutung prophetischen

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Wirkens: die Betonung der Souveränität JHWHs über alles Irdische und Himmlische und den Protest gegen eine Entwicklung, die er als die »salomonische Reduktion« bezeichnet (S. 215), d. h. die für das Königtum seit Salomo charakteristische Tendenz, Religion und Politik voneinander zu trennen, also Tempel und Kult der Sphäre der Religion zuzuweisen, die Gestaltung der staatlichen und sozialen Wirklichkeit hingegen dem göttlichen Herrschaftsbereich zu entziehen. Die große Herausforderung der Zeit ist die sich unter dem Einfluss altorientalischer Mythen vollziehende »kosmische Erweiterung des Gottesbegriffs«, die Gleichsetzung des Schutzgottes Israels mit dem mythischen Himmelsgott, die zugleich zur »praktischen Irrealisierung seiner Autorität« ausgenutzt wird (S. 216). Der Kampf gegen diese mythisierende Entwirklichung Gottes sei bereits in der Komposition der Urgeschichte zu erkennen, die den göttlichen Schöpfer des Alls als den sich in der Geschichte Offenbarenden, in der Geschichte Mitgehenden und den Menschen in der Gestaltung der Welt Fordernden verkünde. Das große Kapitel »Die Wendung zum Kommenden« (S. 226-279) beschreibt eine grundlegend veränderte Periode der Glaubensgeschichte Israels, die sich durch wesentlich neue Klänge auszeichnet: die Vertiefung der in der späten Königszeit auftretenden »abgründigen Kluft«, die zu einer »neuen Phase des Kampfes für JHWH«, eines Kampfes »durch kämpferische Schrift und kämpferische Rede« (S. 212) führt, die zunehmende Bereitschaft, der gescheiterten Monarchie die Alternative zwischen Umkehr und Untergang anzusagen, die Universalisierung der prophetischen Botschaft, die das Schicksal des erwählten Volkes mit dem der umgebenden Mächte in Zusammenhang bringt, und die Idee eines treuen »Restes« Israels nach seiner Katastrophe. Die beiden letzteren Elemente sieht Buber bei den von ihm als komplementär gedeuteten Figuren Amos, dem Propheten der Gerechtigkeit (zedaka), und Hosea, dem Propheten der Liebe (chesed) angelegt. Amos verkündet JHWH als den Herrn und Richter der Völker, der ihnen die Bestrafung ihrer Versündigung widereinander ansagt, weil er eine »brüderliche Ordnung« zwischen ihnen will (S. 227), während er das erwählte Gottesvolk Israel an der Aufrechterhaltung des sozialen Rechts misst und von ihm die Einheit von »Gerechtigkeit und Bewährung« fordert (S. 230; zum Konzept der »Bewährung« bei Buber vgl. die Einleitung von Michael Fishbane in diesem Band, bes. S. 29 ff.). Am Beispiel der Botschaft des Amos akzentuiert Buber vor allem zwei Elemente, die für ihn das »eigentümliche Wesen der israelitischen Prophetie« ausmachen (S. 232). Zu nennen ist erstens der neue »Glaubensernst«, mit dem der Prophet erkennt, »daß die göttliche Gerechtigkeit in einer

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menschlichen fortwirken will und daß das Schicksal des Menschen davon abhängt, ob er sich diesem Willen ergibt oder versagt« (S. 231), verbunden mit der Forderung und dem Angebot der schicksalswendenden Umkehr. Amos ist kein Gerichtsprophet in dem Sinne, dass er ein unabänderliches Verhängnis ankündigt, vielmehr redet er »in die Entscheidungsmächtigkeit des Augenblicks hinein, und zwar so, daß gerade seine Unheilsbotschaft an diese Entscheidungsmächtigkeit rührt« (S. 232). Es ist die von Buber als »episches Paradigma für Wesen und Auftrag der Propheten« verstandene Botschaft des Büchleins Jona (S. 233) mit ihrer Betonung der Möglichkeit, dass Gott selbst umkehren und sich sein Gerichtsurteil gereuen lassen kann, die ihm bei Amos vorweggenommen scheint, ebenso wie die bei Jesaja voll entwickelte »Alternativik« (s. unten). Das zweite von Buber herausgearbeitete Element ist die von Amos in der Botschaft von der Umkehr und Wiederkehr eines »Restes« Israels angedeutete Paradoxie des Geschichtsgottes, der einst mit seinem Volk durch die Wüste gegangen ist und auch jetzt noch mit ihm geht, »mitten durch die Verwüstung, die das Werk seines eignen Gerichts ist«. Ob sich darin bereits ein voll entfalteter Monotheismus finde oder nicht, sei unerheblich: Wie niemand zuvor habe Amos mit seinem Wort »die Ausschließlichkeit eines Menschenvolks zu seinem Gott als zu dem Befreier, Führer und Richter der Völker, dem Herrn der Bewährung« in dieser Weise »unter die göttliche Forderung und Ahndung selber« gestellt (S. 238; zur Frage des Monotheismus bei Buber vgl. Paul Mendes-Flohr, Martin Buber on Monotheism and Its Discontents: Lessons from Judaism and the Modern Jewish Experience, in: Michael Zank und Ingrid Anderson (Hrsg.), The Value of the Particular: Festschrift for Steven T. Katz on the Occasion of His Seventieth Birthday, Leiden 2015, S. 138149; Samuel H. Brody zufolge ist Bubers Unterscheidung zwischen seiner Forderung an die Völker und jener an sein Volk »a manifesto on Israel’s chosenness«, zugleich seine spezifische Variante des im deutschen Judentum seiner Zeit einflussreichen Konzepts des »ethischen Monotheismus«, wenn er es auch vorziehe, nicht vom Monotheismus zu reden, sondern von der universalen ethischen Bedeutung von Israels Partikularität; vgl. Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 187 und S. 207 f., Anm. 59.) Unter dem Leitwort chesed erzählt Buber sodann von einer weiteren neuen Dimension des Prophetischen, die bei Hosea zutage tritt, jenem Propheten, der – noch vor Jeremia – nicht nur »wie ein Mund« JHWHs wird, sondern mit seiner ganzen persönlichen Existenz, bis in die Intimität seiner Ehe »mit einem buhlsüchtigen Weibe« hinein (S. 239), zeichenhaft Gottes Liebe zu seinem Volk (die »heischende Liebe«), sein

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Leiden an der verratenen Liebe (die »zornige Liebe«) und sein Erbarmen mit ihm (die »gnädige Liebe«) zum Ausdruck bringt. Besondere Betonung erfährt die Tatsache, dass chesed kein Begriff der wechselseitigen Liebe zwischen Gott und Israel ist, sondern die göttliche Forderung an sein Volk bedeutet, der im Exodus, dem ultimativen »Akt der Liebe« Gottes (S. 243), erfahrenen Zuwendung nachfolgend zu entsprechen. Die Konsequenz des Bundesbruchs, der anders als bei Amos und ähnlich wie bei Elia vor allem im Synkretismus, der »Baalisierung JHWHs« (S. 246) erkannt wird, ist die Verwerfung. Hosea, der »von der Geschichte Israels erfüllt [ist] wie kein anderer Prophet«, blickt auf eine »Kette von Entweihungen« (S. 248) zurück, mit denen das Volk seit dem Ende der Wüstenzeit die Liebe seines Gottes verraten hat, sieht in den hereinbrechenden geschichtlichen Umbrüchen seiner Zeit, dem drohenden Untergang des Nordreichs Israel, die Folge des Verrats, ohne jedoch mit seiner Botschaft die Möglichkeit der Umkehr zu verschließen. Im Gegenteil, er ist der »Künder der Umkehr« (S. 250), der Israel auffordert, sich neu der Erkenntnis Gottes zuzuwenden, und dem Volk einen neuen Bund verheißt – letzteren deutet Buber als »Augenblick einer göttlichen Umkehr« (S. 252). Seine detaillierte Auslegung der prophetischen Botschaft Jesajas schließlich stellt Buber unter den Titel »Die theopolitische Stunde« (S. 252-279) und macht so unmissverständlich deutlich, dass aus seiner Sicht diese überragende Gestalt der Glaubensgeschichte Israels nur dann angemessen zu verstehen sei, wenn das Motiv der »Theopolitik« als entscheidendes Interpretament allen anderen denkbaren Zugangsweisen übergeordnet werde. Entsprechend bezieht er sich ausschließlich auf ausgewählte drei Textzusammenhänge: Jes 6, den Bericht des Propheten über seine Berufung, Jes 7-9,6, seine politische »Denkschrift« (S. 252), und das messianische Lied Jes 11,1-9. Aus der Fülle der von Buber eröffneten Perspektiven auf Jesaja sind hier insbesondere drei hervorzuheben. An erster Stelle steht Jesajas Vision der den Tempel und die ganze Erde füllenden »Ausstrahlung« (kabod) Gottes (S. 254), die seiner Botschaft von Gottes Gericht und der »verhüllte(n) Alternative« (S. 259) für den umkehrenden »Rest« Israels vorangeht. Dem Konzept der »Heiligkeit Gottes« entspricht darin jenes der keduscha, der »Heiligung« Israels, des für diesen Propheten zentralen Grundbegriffs der göttlich-menschlichen Beziehung, Er zielt auf die Erkenntnis, »daß JHWH durch die Selbständigkeit des von ihm als selbständig geschaffenen Menschen wirken und sein Erdenwerk durch sie fortwirken lassen will« (S. 255). Zweitens ist festzuhalten, dass Buber die konkrete politische Konsequenz aus dieser für ihn essentiellen Aussage über die menschliche

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»Entscheidungsmächtigkeit« (S. 260) in der jeweiligen geschichtlichen Stunde in seiner Interpretation des prophetischen Protests gegen die Bündnispolitik von Königs Ahas angesichts der Gefährdung Israels durch die assyrische Großmacht zieht, indem er die historischer Vernunft als utopisch erscheinende, gleichwohl realistische »Theopolitik« Jesajas zum Maßstab eines dem göttlichen Willen entsprechenden Glaubenswagnisses erhebt. Diese »Theopolitik«, verstanden als eine Politik »besonderer Art […], der es darum zu tun ist, in einer bestimmten historischen Situation ein bestimmtes Volk der göttlichen Herrschaft einzuordnen, so daß es der Erfüllung seiner Aufgabe näher gebracht wird, der Anfangsteil des Gottesreichs zu sein« (S. 260 f.), besteht in der Bewährung von Gerechtigkeit nach innen und »Stillehalten« (S. 262) nach außen. Dies steht im Gegensatz zu einer Politik, die sich in die Machtkämpfe der Großmächte verstricken lässt. Samuel Hayim Brody vernimmt in Bubers ausführlicher Auseinandersetzung mit diesem »theopolitischen« Element des Jesajabuchs mit Recht ein unverkennbares Echo der politischen Situation im Palästina der frühen 1940er Jahre – »of Buber’s own polemics against Zionist alignment with the British Empire, and of his hope for Jerusalem as a third option vis-à-vis the ideologies of the ›two powers‹ of his time« (Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 193; vgl. auch die Ausführungen in ebd., S. 10 f. sowie Christoph Schmidt, Die theopolitische Stunde. Martin Bubers Begriff der Theopolitik, seine prophetischen Ursprünge, seine Aktualität und Bedeutung für die Definition zionistischer Politik, in: ders., Die theopolitische Stunde. Zwölf Perspektiven auf das eschatologische Problem der Moderne, München 2009, S. 205-225 und Nitzan Lebovic, The Jerusalem School: The Theopolitical Hour, in: New German Critique 105 (2008), S. 97120). Die dritte Perspektive ist jene der Frage nach dem Ursprung und Verständnis des messianischen Glaubens Israels bei Jesaja, das für Bubers ganz eigene Messianismusdeutung eine zentrale Rolle spielt. Ausgangspunkt der messianischen Hoffnung Israels ist der »tragische Widerspruch« (S. 267) zwischen der Ankündigung historischen Unheils, die keine Umkehr bewirkt, und der Heilsbotschaft für den »Rest«, die das Volk noch weiter verstockt. Die über Unheil und Verstockung hinausweisende Hoffnung des Jesaja, die in den Offenbarungen zutage tritt, welche er dem »Kreis der Getreuen« (S. 267) vorbehält, kommt in zwei messianischen Texten zur Sprache, die Buber zwei unterschiedlichen Phasen seines Wirkens zuordnet. In der Immanuelweissagung aus Jes 9,1-6, die vom Erstrahlen des Lichts in der Finsternis und dem ewigen Frieden über Davids Thron kündet, spiegelt sich noch die Hoffnung auf

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die Gottes Willen erfüllende Bewährung des davidischen Königshauses – womöglich durch König Hiskia – wider. Sie bedeutet weder eine Wendung zur Eschatologie noch richtet sie sich auf einen »Messias«, vielmehr geht es um die menschliche Erfüllung des Wartens Gottes auf den Gesalbten, der seinen Auftrag erfüllt, getreu dem biblischen »Paradox der von Gott gewollten und also auch geschaffenen menschlichen Selbständigkeit« (S. 269). Aus einer späteren Zeit, jener der Enttäuschung über das Versagen Hiskias, so Buber, stammt Jes 11,1-9, die Schilderung des Paradiesfriedens, in der das Bekenntnis zur herrschenden Dynastie fehlt und »der göttliche Anteil an dem Werk der Zukunft« in neuer Weise in den Vordergrund tritt (S. 273). Neu sei hier der nun tatsächlich »eschatologische« Ausblick in eine geschichtlich ferne Zeit, in der Israel im Mittelpunkt eines Völkerfriedens stehe, ohne dass damit jedoch eine grundsätzliche theologische Wandlung verbunden sei: Auch hier fehle die Gestalt des »Messias«, und erst recht gehe es nicht um eine Endzeit im apokalyptischen Sinne, sondern um die »Konzeption einer messianischen Fortsetzung der Geschichte, einer entgifteten Weltgeschichte«, in der Israel und die Völker Gott erkennen werden (S. 276). Bubers Interpretation des von Jesaja ausgehenden, in der Konsequenz der Glaubensgeschichte Israels liegenden Messianismus ist also ganz auf die menschliche Seite der Erfüllung des Königreiches Gottes ausgerichtet. Der Begriff des »Messias« ist letztlich lediglich das mythologische Gewand für die Hoffnung auf den mit dem Geist versehenen Menschen, der gemäß Gottes Willen, der »das Menschliche durch den Menschen wirken will«, in menschlicher Verantwortung Gottes Auftrag erfüllt, »gottähnlich« allenfalls in der Weise, »wie der Mensch gottähnlich ist, in dem sich die Ebenbildlichkeit entfaltet hat« (S. 278). Diese Interpretation Bubers, die er in seinen Ausführungen zu Deuterojesaja (s. unten) fortführt, ist Teil dessen, was Samuel Hayim Brody in seiner Darstellung der komplexen und gelegentlich widersprüchlichen Transformationen des Verständnisses des Messianismus in den unterschiedlichen Phasen des Denkens des Philosophen als Bejahung einer auf die menschliche Verwirklichung des göttlichen Willens zielenden »prophetische(n) Eschatologie« beschreibt (vgl. Samuel Hayim Brody, Einleitung, in: MBW 15, S. 13-34, Zitat S. 33. Brody zufolge wurzelt Bubers Analyse der theopolitischen Ursprünge des Messianismus, die ihre Grundlegung 1932 in Königtum Gottes erfuhr, trotz zwischenzeitlich verschobener Akzente letztlich in der allmählichen Ausformulierung seines gegen zeitgenössische politische Theologien gerichteten »theopolitischen Anti-Messianismus«, der sich im Zuge seiner Arbeit an der »Verdeutschung« der Schrift herausbildete und in seinem 1925 publizierten Auf-

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satz »Das messianische Mysterium (Jesaja 53)« deutlich zur Geltung kam; vgl. MBW 15, S. 37-45; vgl. dazu auch Paul R. Mendes-Flohr, The Kingdom of God. Martin Buber’s Critique of Messianic Politics, in: Behemoth: A Journal on Civilization 2 (2008, S. 26-38.) Bubers Interpretation des Glaubens der Propheten findet ihren Höhepunkt in dem Kapitel »Der Gott der Leidenden« (S. 280-350), das neben den Propheten Micha, Jeremia und Ezechiel auch das Buch Hiob, Psalm 73 und abschließend Deuterojesaja als Schlüsselfiguren und -texte der Glaubensgeschichte Israels in den Blick nimmt. Diesem eindrucksvollen Schlussakkord des Buches kommt schon aufgrund der Tatsache, dass es vom Umfang her nahezu ein Drittel des Gesamttextes ausmacht, entscheidende Bedeutung für Bubers Verständnis des Prophetischen im letzten Jahrhundert der israelitischen Monarchie zu. Die darin behandelten Einzelgestalten gewinnen – jeweils unter den gewählten Untertiteln – gegenüber Amos, Hosea und Jesaja – ihr ganz eigenes Profil: Unter dem Titel »Gegen das Heiligtum« (S. 280-304) erscheinen Micha und Jeremia im Kontext ihrer Zeit als die Propheten, die ihre Sozialkritik prononciert mit scharfer Kultkritik und der radikal neuen Ankündigung der Tempelzerstörung verbinden; Ezechiel wird – unter der Überschrift »Die Frage« (S. 305-321) – als Prophet der individualisierten personhaften Verantwortung dargestellt, der die existentiellen Fragen der Exilierten nach dem Grund ihres Leidens nicht mehr mit einer für die Gemeinschaft des Volkes Israel sinnhaften Botschaft zu beantworten vermag; nicht zuletzt widmet sich der Abschnitt »Das Mysterium« (S. 321-350) Deuterojesaja, dem »namenlosen Propheten« (S. 322), der mit seiner Trostbotschaft für das Volk im Exil und als Begründer einer universalen »Theologie der Weltgeschichte« (S. 327) eine Konzeption des Prophetischen verkörpert, die der bis dahin waltenden Tradition der Schriftprophetie einen ungekannten Klang hinzufügt und mit der Figur des »Gottesknechts« eine neue Dimension des Messianischen eröffnet. Die mit der Prophetie Michas gegebene Zäsur besteht in der Unerbittlichkeit, mit der bei ihm – im Gegensatz zu Jesaja, der bei aller Kritik an der Entleerung des Kults am Tempel als dem unantastbaren Ort göttlicher Präsenz festhält – die Anklage des sozialen Unrechts mit der präzedenzlosen Ansage der Vernichtung des Heiligtums einhergeht. Ihren Höhepunkt findet diese Zornbotschaft, in der Buber die letzte Konsequenz eines Verständnisses der Königsherrschaft JHWHs erkennt, das die Gnade seiner Gegenwart bei seinem Volk an den Gehorsam seinem Willen gegenüber bindet, schließlich im Buch Jeremia, vor dem Hintergrund der dramatischen zeitgeschichtlichen Ereignisse zwischen den Reformen König Josias und der Zerstörung Jerusalems sowie des Tempels

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durch Nebukadnezar II. Steht in Bubers Vorträgen über »Jeremia, ein Künder für unsere Zeit« aus dem Jahr 1932 (in diesem Band, S. 619-651) die explizite Warnung vor den drohenden Katastrophen am Ende der Weimarer Republik im Vordergrund, so konzentriert sich seine Interpretation in Der Glaube der Propheten ganz darauf, die bereits seinerzeit herausgearbeiteten theologischen Leitmotive mit Blick auf ihre Bedeutung für die prophetische Glaubensgeschichte zu entfalten. Die – wenn auch nur implizite – Transparenz der Botschaft Jeremias für die Zeit der frühen 1940er Jahre ist dennoch mit Händen zu greifen – nun insbesondere mit Blick auf die Thematik des Leidens Israels. Dass Jeremia – als Erbe Moses, Samuels und Hoseas – in Bubers Narrativ der Entwicklung der Prophetie Israels eine einzigartige Bedeutung zukommt, lässt sich an der Vielzahl und am Facettenreichtum der mit ihm verbundenen substantiellen Aspekte der Glaubensgeschichte Israels, des Wesens des Prophetentums und des Gottesbildes der Hebräischen Bibel ablesen. Mindestens vier miteinander verflochtene zentrale Motive einer das uralte Prinzip »JHWH der Gott Israels« und das Konzept der Erwählung ausdeutenden Systematisierung lassen sich benennen, mit der das Buch Jeremia »den Sturzbach der prophetischen Botschaft in ein geregeltes Bett« leitet (S. 284). 1) Das Motiv des durch das Gotteswort gestifteten dialogischen Zwiegesprächs: Nicht durch den Ritus, sondern durch das wirksame Wort Gottes und seine Antwort darauf wird der Prophet zum »Mittler zwischen Himmel und Erde« (S. 287), und es ist Jeremia, der bis in seine leibliche Existenz hinein das dialogische Glaubensverhältnis verkörpert. Auf einzigartige Weise wagt er das bis zur Anklage Gottes gesteigerte »verwegene und fromme Lebensgespräch des unbedingt Unterlegenen mit dem unbedingt Überlegenen aufzuzeichnen« (S. 288). 2) Das Motiv der prophetischen Kritik an der »Religion« und der Hoffnung auf einen »neuen Bund«: Noch vor Jeremias expliziter Ankündigung der Zerstörung des Tempels verweist sein auffälliges anfängliches Schweigen gegenüber der josianischen Zentralisierung und Reform des Kultus auf seinen stummen Protest gegen jede illusionäre Sicherheit des kultischen Besitzes von Gottes Gegenwart. Ihr hält er das Ideal des Hörens auf das »lebendige, ewig neue, unvorhergesehene, unvorhersehbare« Wort (S. 292) und die Botschaft von der Priorität der sozialen Gerechtigkeit vor der kultischen Korrektheit bzw. die Forderung nach der Heiligung des ganzen Lebens entgegen. Indem Jeremia die »selbstsichere und geistesverlassene Kulturreligion« seiner Zeit mit dem Dekalog, der »uralte[n] Gottesweisung der Wanderstämme«, konfrontiert (S. 295), repräsentiert er einen Aspekt des Prophetischen, der Bubers

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bereits vor dem Ersten Weltkrieg ausgesprochene eigene zutiefst kritische Sicht auf das Phänomen der »Religion« – im Gegensatz zur »Religiosität« – fundiert: Gott »will keine Religion, er will ein Menschenvolk: Menschen mit Menschen lebend, die Entscheidungsmächtigen den Gerechtigkeitsbedürftigen ihr Recht verschaffend, die Starken die Schwachen schonend […], Menschen mit Menschen Gemeinschaft haltend« (S. 294 f.; vgl. etwa Martin Buber, Jüdische Religiosität, in: MBW 2.1, S. 204-214). Der Akzent von Bubers Deutung der tröstenden Botschaft Jeremias von einem auf den Zusammenbruch folgenden »neuen Bund« liegt demnach ganz darauf, dass diese Heilszukunft keines Tempels mehr bedarf, auch keiner Bundeslade und nicht einmal der Tafeln des Bundes, da Gott sein Wort Israel unmittelbar ins Herz schreiben wird. 3) Das Motiv der Umkehrforderung in der Gerichtsbotschaft: Wenn Jeremia inmitten der Machtverhältnisse des Alten Orients von Gottes strafendem Handeln an seinem erwählten Volk redet, stellt er seine Hörer vor eine Entscheidung, die ihnen die Möglichkeit einer Umkehr und Wendung ihres Geschicks eröffnet, bei dem es sich also nicht einfach um ein geschichtliches Verhängnis handelt. Mit dem harten Gotteswort der Umkehrforderung und des Gerichts bekämpft er die falschen Propheten und ihr besänftigendes »Scheinwort« (S. 298), während der wahre Prophet von der Macht des Wortes Gottes bezwungen wird. Liest man diese Passagen mit Bubers zuerst 1940 in hebräischer Sprache verfassten Essay »Falsche Propheten« zusammen, so ist die gegenwartsbezogene Mahnung an seine politischen Gegner in Palästina auch hier nicht zu überhören. (Vgl. in diesem Band S. 132-136 und den Einzelkommentar S. 843 f.) 4) Das Motiv des leidenden Propheten und des Mitleids Gottes: Wie schon bei Moses findet sich bei Jeremia als zentrales Merkmal das »Bezwungenwerden von Gott, dieses intensive Zwiegespräch mit ihm, diese Glut der Fürbitte und dieses Leiden an dem widerspenstigen Volk und seinem Los« (S. 301). Das Leiden des Propheten, das ihn zum klagenden, aufbegehrenden und doch Gott im Gebet verbundenen Märtyrer macht, ist Leiden an der Widerspenstigkeit des Volkes Israel und somit um JHWHs willen. Ihre größte theologische Eindringlichkeit gewinnt Bubers Interpretation jedoch nicht zuletzt dort, wo er im Spiegel des Leidens des Propheten – und gerade »im Vollzug des Verhängnisses« (S. 304) – bei aller Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens eine neue, zutiefst paradoxe Dimension des Verhältnisses zwischen Gott und seinem erwählten Volk aufscheinen sieht: Inmitten der tiefsten Katastrophe, in der JHWH den von Israel gebrochenen Bund aufkündigt, den Tempel der Zerstörung preisgibt und sich als dem Weltgeschehen über-

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legener »Allgott« in die Ferne des Himmels zurückzieht, wird im Medium seiner Beziehung zu Jeremia sichtbar, dass er zugleich den Verstoßenen in ihrem Leid nahe bleibt, an seinem eigenen zerstörerischen Werk mitleidet, dass er »der Gott der Leidenden und das Leid ein Zugang zu ihm wird« (S. 304). Ist Jeremia aus Bubers Sicht der letzte »reine« Prophet, der in eine spezifische geschichtliche Situation spricht und »an die aktuelle Rede Gottes gebunden ist«, die »zitternde Magnetnadel, die in die Richtung Gottes weist« und die Hörer in die Entscheidung ruft (S. 298), der Prophet, nach dessen Auftreten die nationale Katastrophe eintritt und die Freiheit der Wahl zwischen Verfehlung und Umkehr der Verzweiflung und dem Leid angesichts von Untergang und Verschleppung weicht, so wandelt Ezechiel bereits »an den Grenzen der Prophetie«, bewegt sich »zwischen Prophetie und Priestertum, zwischen Prophetie und theologischer Konstruktion, zwischen Prophetie und Apokalyptik« (S. 308). Da das Konzept der Solidarität der Sühne, das dem Umkehrruf der vorangegangenen Propheten zugrunde lag, ebenso zerbrochen war wie der Bund, versuchte Ezechiel, so Buber, nun vom babylonischen Exil aus, dem Entsetzen über die zeitgeschichtliche Erfahrung zu begegnen, indem er die Vorstellung des »Restes« individualisierte: Der »Rest« ist seiner Botschaft zufolge nicht mehr Teil einer unter dem Anspruch kollektiver Verantwortung stehenden Lebensgemeinschaft, sondern »zunächst nur eine Summe von Einzelnen: Frommen und Büßern« (S. 307), die jeweils als Person und gleichsam als individuelle Bundespartner ihrem Gott gegenüberstehen. Der Gewinn dieser Deutung besteht darin, dass sie den an Gottes Gerechtigkeit und Verständlichkeit Verzweifelnden objektive, für sie fassbare Kriterien einer gerechten individuellen Vergeltung bietet. Buber misst diese theologische Antwort des Ezechiel, dem er – erkennbar in der lakonischen Kürze der Darstellung – auffällig distanziert begegnet und dem er in der Glaubensgeschichte Israels offenbar allenfalls vorübergehende Wirkung zugesteht, jedoch an seinem Ideal des Prophetischen. Ezechiels Konzeption sei »in sich problematisch wie alle Gottesbilder, die nicht einer überwältigenden Erfahrung, sondern dem Versuche entstammen, die Fraglichkeit einer Situation zu bewältigen« (S. 308). Auch in seiner messianischen Zukunftsschau der Wiedererweckung des Volkes Israel und dessen Begabung mit einem neuen Geist überschreitet Ezechiel die Grenzen der Prophetie, indem er in seiner Vision »eine gleichsam schon vorhandene Zukunft beguckt und beschreibt«, auf die das Handeln des Volkes keinerlei Einfluss mehr besitzt (S. 298). Was Buber hier nur vorsichtig andeutet, Ezechiels Eigenschaft als Grenzgänger zwischen Prophetie und Apokalyptik, ist an anderer Stelle seiner biblischen

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Schriften pointierter, wenn auch interessanterweise ohne Nennung des Exilspropheten ausgeführt, so etwa in seinem undatierten Essay »Über Prophetie« (in diesem Band S. 717-726; vgl. dazu den Kommentar S. 1200-1202), der die Situationsgebundenheit des zum Handeln auffordernden prophetischen Wortes und die dialogische Beziehung des Propheten zum göttlichen Urheber der Umkehrforderung zum Wesensmerkmal der Prophetie erhebt – im Gegensatz zur deterministischen Weltsicht des Apokalyptikers. Voll entfaltet liegt diese Akzentuierung einer Dichotomie von Prophetie und Apokalyptik dann in Bubers 1954 publizierten Aufsatz »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« (in: Merkur, 8. Jg., Heft 12, Dezember 1954, S. 1101-1114; jetzt in: MBW 15, S. 380-393) vor. Dort begegnen beide Phänomene als aus der Glaubensgeschichte des Judentums erwachsene idealtypische Grundhaltungen, in denen diametral unterschiedliche Auffassungen über den Anteil des Menschen an der von Gott bestimmten Zukunft zur Geltung kommen. Dabei können apokalyptische Elemente allerdings schon bei den klassischen Propheten begegnen, und noch in der Apokalyptik findet das Proprium der Prophetie, die »dialogische Tiefe der Gegenseitigkeit von Himmel und Erde« (ebd., S. 384), gelegentlich ihren Widerhall. Klaren Vorrang räumt Buber dem klassischen prophetischen Verständnis des Menschen als eines Wesens ein, »das mächtig ist, zwischen den Wegen faktisch zu wählen […]: denn nur ein solches Wesen taugt zum Gesprächspartner Gottes in der Geschichte« (ebd., S. 385). Demgegenüber gehört Ezechiel offenbar, obwohl gerade nicht er genannt wird, sondern reifere Varianten der Apokalyptik wie das 4. Buch Esra oder die Johannesapokalypse, mit zu den Wurzeln eines Geschichtsverständnisses, welches das »prophetische Prinzip der Umkehr [zwar] […] nicht schlechthin verleugnet«, aber nicht mehr an eine Umkehr der Gemeinschaft denkt oder ihr »eine die Geschichte wendende oder auch eschatologisch in Erscheinung tretende Wirkung« zuspricht (ebd., S. 389). Mit Blick auf seine eigene Gegenwart betont Buber 1954 die Priorität der von Jeremia verkörperten Haltung gegenüber dem Apokalyptischen, das Ezechiels Botschaft – seiner Darstellung in Der Glaube der Propheten zufolge – bereits in sich trägt: Wo immer »eine lebendige geschichtliche Dialogik von göttlichem und menschlichem Handeln durchbricht, da besteht, sichtbar oder unsichtbar, ein Band mit der Prophetie Israels. Und wo immer der Mensch vor der Bedrohung durch sein eigenes Werk erschaudert und der radikal fordernden Geschichtsstunde entfliehen möchte, naht ihm die apokalyptische Vision eines unhemmbaren Ablaufs« (ebd., S. 390). Den Ausführungen über Ezechiels wirkungslose Antwort auf die exis-

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tenziellen Fragen der Exilierten lässt Buber Reflexionen über das Buch Hiob und Psalm 73 folgen. Die eindrucksvollen Passagen zu Hiob gilt es dabei im umfassenderen Zusammenhang seiner unterschiedlichen kommentierenden Bezugnahmen auf das Hiobbuch zu lesen. Erstmals befasste sich Buber mit Hiob in einem hebräisch-sprachigen Aufsatz mit dem Titel »Die Frage der Generation Hiobs« (Martin Buber, Sheʾ elat shel doro Ijov, in: Moznajim 13 (1941), S. 322-331), der dann 1942 in Torat HaNeviim und später in The Prophetic Faith und Der Glaube der Propheten Aufnahme fand. Andere – weit knappere – Auseinandersetzungen mit Hiob finden sich dann nach dem Zweiten Weltkrieg und angesichts des Wissens um die volle Dimension des Völkermords an den europäischen Juden: 1950 in Zwei Glaubensweisen (vgl. MBW 9, S. 224), 1952 in dem Essay »Der Dialog zwischen Himmel und Erde« (jetzt in: MBW 20, S. 345-353, hier S. 352 f.), 1952 in Gottesfinsternis (vgl. MBW 12, S. 359444, bes. S. 396 f.) und zuletzt 1962 in dem der literarischen Gestalt des biblischen Textes gewidmeten Aufsatz »Zur Verdeutschung des Buches Ijob« (jetzt in: MBW 14, S. 228-231). Bei der vorliegenden Passage in Der Glaube der Propheten handelt es sich um die detaillierteste und nuancierteste Behandlung der biblischen Hiobtradition aus der Feder Bubers, während die späteren Hiobbezüge vor allem Teil seines Versuchs einer philosophischen Antwort auf die Theodizeefrage nach Auschwitz darstellen. (Vgl. dazu u. a. Noah Zvi Farkas, Martin Buber, the Book of Job, and the Shoah, in: Conservative Judaism 61 (2010), S. 43-53; Gesine Palmer, Some Thoughts on Surrender – Buber and the Book of Job, in: Michael Zank (Hrsg.), New Perspectives on Martin Buber, Tübingen, 2006, S. 185-202. Steven Kepnes, The Text as Thou: Martin Buber’s Dialogical Hermeneutics and Narrative Theology, Bloomington, IN 1992, S. 134 ff. versteht das gesamte Kapitel »Der Gott der Leidenden« als theologische Antwort Bubers auf die Verfolgungserfahrung der Zeit.) Historisch datiert Buber das Buch Hiob auf den Beginn der Exilszeit. Er versteht es als »Widerpart der ezechielischen Dogmatik« (in diesem Band, S. 309) und insofern als literarisches Zeugnis nicht über das Leiden eines Einzelnen, sondern – im Spiegel des persönlichen Schicksals Hiobs – über die religiöse Frage nach dem Sinn der kollektiven geschichtlichen Katastrophenerfahrung Israels und nach Gott als dem Verursacher dieses Leidens. In seiner Darlegung der vier Antworten, die er in der Gesamtkomposition des Buches findet, kommt unüberhörbar zur Sprache, weshalb Buber Hiob, dem »treue[n] Rebell«, ebenso prophetische Qualität zuspricht wie den anderen in der Bibel als »Knecht Gottes« bezeichneten Gestalten – Abraham, Mose, David und Jesaja – und ihn in die Nähe des deuterojesajanischen Ebed JHWH rückt, »mit dem ihn sein Leiden in

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besonderer Weise verbindet« (S. 316). Hiob ist zunächst der unverdient Leidende, der dem vom Satan angestifteten unberechenbaren Gott des Prologs ausgesetzt ist (in »Zur Verdeutschung des Buches Ijob« nimmt Buber an, diesem Prolog liege ein früheres, aber auf das »dialogische Werk« hin überarbeitetes »Volksbuch« zugrunde; vgl. MBW 14, S. 228), sodann aber jener, der sich der verfehlten konventionellen frommen Sicht göttlicher Vergeltungsgerechtigkeit auf Seiten seiner Freunde widersetzt. Damit begehre er nicht allein gegen sein Schicksal auf, sondern vor allem auch gegen das allzu rationale Verständnis Gottes als eines »Vernünftigen und Vernunftgemäßen«, den er »nirgends, weder im eigenen Dasein noch in der Welt, wahrnimmt und den es wohl nirgends gibt als eben in der Religion« (S. 311). Insbesondere aber ist Hiob der gegen den sich verbergenden und ungerecht handelnden Gott Protestierende. Er sucht die Konfrontation, weil er – wie der »Rest« des exilierten Israel – mit der Ferne des zürnenden und schweigenden, sich in eine unheimliche Macht verwandelnden Gott ringt, mit der »Gottesfinsternis«, wie Buber die geschichtliche Leidenserfahrung schon zu dieser Zeit bezeichnet. Was Buber an dieser Stelle als Hiobs noch und gerade in der Anklage als sein gegenwärtiges rebellisches Vertrauen auf Gottes erneute dialogische Zuwendung und Rückkehr zur Gerechtigkeit darstellt, sollte er in seinen Überlegungen über die »Verdeutschung« des Hiobbuchs noch weit positiver als dialogische Glaubenshaltung inmitten des Leidens kennzeichnen: »In all seinen Klagen und Protesten sagt er diesem seinem Gott nicht ab, vielmehr er bezeugt ihn, den übermächtig Geheimnisumwitterten, durch eben diese Klagen und Proteste, durch eben seinen Anspruch, seine nicht ablassende Ansprache.« (MBW 14, S. 229 f.) Der starke Akzent auf der dialogischen Dimension der Antwort Gottes, die den aufbegehrenden Hiob auf eine den menschlichen Gerechtigkeitserwartungen gegenüber andere, geheimnisvolle, in der Schöpfung offenbare Gerechtigkeit verweist, führt sodann ins Zentrum von Bubers Hiobdeutung. In der Gottesrede aus der Sturmwolke, die Hiob nicht ins Unrecht setzt, sondern ihm auf die Frage nach dem Leiden antwortet, wird die Gottesferne aufgehoben, vollzieht sich »die Selbstbeschränkung Gottes zur Person« (S. 315), die dialogische Zuwendung zum Verzweifelten, oder, wie Noah Zvi Farkas formuliert: »This God appears to be the God of Buber’s own heart, the God who is shrouded in mystery, who we cannot understand, and yet who enters into the famous ›I-Thou‹ relationship.« (Farkas, Martin Buber, the Book of Job, and the Shoah, S. 47.) Prophetische Elemente und eine dialogische Dimension schreibt Buber jedoch nicht nur dem Hiobbuch, sondern auch Psalm 73 zu, den

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er 1929 an Rosenzweigs Grab gelesen hatte und dem er sich auch in seiner persönlichen Sinnsuche nach Krieg und Völkermord zuwenden sollte, so etwa in dem 1948 verfassten und 1950 auf Hebräisch (sowie 1952 auf Deutsch) erschienenen Essay »Recht und Unrecht. Deutung einiger Psalmen«. Dort markiert der Psalm – im Kontext weiterer Psalmtexte – eine Stufe auf dem Weg des Ringens des Glaubenden mit der Frage nach Gut und Böse und der damit verbundenen Anfechtung angesichts der scheinbaren Gleichgültigkeit des allmächtigen Gottes gegenüber dem Leiden der Gerechten hin zur Gewissheit der geheimnisvollen Nähe Gottes im Leid. (Vgl. in diesem Band, S. 541-576, und den Einzelkommentar S. 1081-1089.) Wesentliche Deutungselemente des späteren Kommentars zu Psalm 73 sind in Der Glaube der Propheten vorweggenommen, so insbesondere die Erkenntnis der Nichtigkeit der Gottlosigkeit, die – gegen allen Anschein – »keinen Bestand« hat, da sie »in sich keine Existenz« besitzt, während der Weg derjenigen, die lauteren Herzens sind, gerade durch ihr Leid zur Erfahrung der Nähe Gottes führt: »Gott liebt die willig Leidenden« (S. 321). Damit ist das letzte Motiv benannt, mit dem Buber sein Buch über die prophetische Glaubensgeschichte Israels ausklingen lässt, indem er sich ausführlich mit der messianischen Botschaft Deuterojesajas und mit der Figur des leidenden »Gottesknechts« auseinandersetzt. Die Zeugnisse der Beschäftigung Bubers mit der Prophetie vor Der Glaube der Propheten zeigen, dass ihn diese biblische Tradition seit Mitte der 1920er Jahre in besonderer Weise faszinierte. Im Wintersemester 1924/25 hielt er an der Frankfurter Universität einen Kurs über Messianismus (vgl. Willy Schottroff, Martin Buber an der Universität Frankfurt a. M. (19231933), in: Dieter Stoodt [Hrsg.], Martin Buber, Erich Foerster, Paul Tillich. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt a. M. 1914 bis 1933, Frankfurt a. M. 1990, S. 69-131, hier S. 73), und im November 1925 veranstaltete er im Freien Jüdischen Lehrhaus eine Reihe von Vorträgen mit jeweils anschließender »Arbeitsgemeinschaft« zum Thema »Der namenlose Knecht Gottes: Jes. 52,13 bis 53,12«, aus denen der in diesem Band erstmals abgedruckte Text »Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas« hervorging. Hier und in seinem am 6. April 1925 in Berlin bei einer Feierstunde anlässlich der Eröffnung der Hebräischen Universität Jerusalem gehaltenen Vortrag »Das messianische Mysterium (Jesaja 53)« legte Buber die Kernaussagen der Interpretation dar, die später Eingang in Der Glaube der Propheten fanden. (Vgl. »Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas«, in diesem Band, S. 614618 und den Einzelkommentar dazu S. 1160-1165; dort auch ausführ-

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licher zum Zusammenhang von Bubers Deutung des deuterojesajanischen »Gottesknechts« mit seinem Messianismusverständnis und mit der Rolle dieser Interpretation in seiner Kritik am Christentum in den vermutlich 1934 am Freien Jüdischen Lehrhaus gehaltenen Vorlesungen über Judentum und Christentum sowie 1950 in Zwei Glaubensweisen; vgl. auch »Das messianische Mysterium (Jesaja 53)«, in: MBW 15, S. 3745 und den Kommentar dazu S. 409 ff.). Die exegetischen Grundlagen von Bubers Verständnis Deuterojesajas und des literarischen Zusammenhangs dieser nachexilischen Texttradition mit den Zeugnissen über den Propheten Jesaja finden sich in dem 1936/37 publizierten Aufsatz »Zum Einheitscharakter des Jesajabuches« (in diesem Band S. 99 ff.) und dem weit umfassenderen, aus der Arbeit im Freien Jüdischen Lehrhaus hervorgegangenen, bisher unpublizierten Text »Zweierlei Jesaja« aus dem Jahr 1937 (jetzt in diesem Band, S. 667-712, vgl. den Einzelkommentar S. 1184-1188). An dieser Stelle sollen nur einige wesentliche Aspekte der Interpretation genannt werden, sofern sie wichtige Linien aus der in Der Glaube der Propheten dargestellten Glaubensgeschichte Israels ausziehen. Literarisch erscheinen Buber die Kapitel Jes 40-55 als in mehreren Stadien entstandenes Buch, »das man als eine der ausgebildetsten Kompositionen innerhalb der hebräischen Bibel bezeichnen darf« und das in einem späteren Redaktionsprozess mit Jes 1-39 zu einer ausgeprägten inneren Einheit verschmolzen wurde (S. 324). Im Unterschied zu Jeremia, der Israel – gegen eine »Dogmatik des schützenden JHWH« – Unheil verkündet, sagt Deuterojesaja »das Heil um des Bundes zwischen Gott und Menschheit« willen an (S. 300 f.). Der »namenlose Prophet«, der sich trotz aller Diskontinuität zur vorexilischen Zeit zu den limmudim, der Tradition des zum umkehrenden Rest gehörenden Schülerkreises um Jesaja, zählt (S. 322; zur Bedeutung der limmudim bei Buber vgl. Dan Avnon, Limmud und Limmudim: Guiding Words of Buber’s Prophetic Teaching, in: Paul Mendes-Flohr [Hrsg.], Martin Buber: A Contemporary Perspective, Syracuse, NY/Jerusalem 2002, S. 101-119), verkörpert gleichwohl eine neue Phase der israelitischen Prophetie. Indem er die für Jesaja zentrale Vorstellung JHWHs als des »Heiligen Israels« aufgreift und mit der ihm eigenen Gottesbezeichnung »der Erlöser Israels« verbindet (S. 325), erschließt er die jesajanische Perspektive so, dass die Botschaft der Befreiung Israels als Beginn des messianischen Handelns Gottes in universaler Perspektive vernehmbar wird. Diese Trostbotschaft für die Exilierten eröffnet dem erwählten Volk einen neuen Weg der Heiligung Gottes, der es ins Zentrum eines Geschehens der Vollendung des kommenden Reiches im universalen Maßstab stellt.

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Die neue Qualität des Prophetischen bei Deuterojesaja kennzeichnet Buber mit dem Begriff einer »Theologie der Weltgeschichte«, die sich von den Ansätzen des Universalen bei Amos, Jesaja und Jeremia dadurch unterscheidet, dass sie Gott nicht nur in seinem Sich-Offenbaren zeigt, sondern zugleich in seiner theologischen Selbsterklärung (S. 327). Auch wenn Buber die Charakterisierung Deuterojesajas als des »ersten Monotheisten«, die in der zeitgenössischen Prophetieforschung vielfach begegnet, zurückweist, weil er die mit dem Begriff des »Monotheismus« verbundene Akzentuierung der Ausschließlichkeit JHWHs auch in früheren Phasen der Glaubensgeschichte Israels in einem weit umfassenderen Sinne verankert sieht, betont er gleichwohl die einzigartige Weise, in der Deuterojesaja den Gott Israels über andere Götter setzt, die bloßes »menschliches Machwerk« sind, und die Nichtigkeit ihres Anspruchs auf das Schicksal der Welt bestreitet (S. 327). Das eigentlich Umwälzende in Deuterojesajas »Theologie der Weltgeschichte« liegt aus Bubers Sicht hingegen in dem, was er in einer kühnen Zuspitzung seiner Interpretation des Prophetischen in die Formulierung fasst, JHWH erscheine nun selbst in einer prophetischen Eigenschaft – als der »weissagen lassende, weissagende, der prophetische Gott« (S. 328), der sein eigenes geschichtswendendes Tun als ein bereits Vollendetes ansagt, ohne Israel in die Umkehr zu rufen. Nicht Ezechiel, wie man vermuten könnte, sondern Deuterojesaja erscheint 1954 in »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« als Beispiel für einen Propheten, bei dem die zum Apokalyptischen tendierende Rede von einer göttlich vorherbestimmten zukünftigen Weltgeschichte aufscheint: »An die Stelle des Dialogs zwischen Gott und Volk ist der Zuspruch des die Erlösung Bereitenden an die von ihm zu Erlösenden getreten, und Gott spricht als einer, der alles, was sich jetzt geschichtlich begibt, wie die Umwälzungen in der Völkerwelt, so die damit verknüpfte Befreiung Israels, nicht bloß vorgewußt, sondern auch vorausgesagt hat. Für eine Alternativik ist hier kein Raum mehr: es wird von einer Zukunft geredet, die von je feststeht.« (In MBW 15, S. 385 f.) Die Dramatik der Dynamik zwischen dem heiligen Gott und »seinem unheiligen, seiner Heiligung widerstrebenden Israel« (S. 328) ist in Deuterojesajas Botschaft nur noch als Erinnerung gegenwärtig, weil Israels Schuld von Gott her überwunden ist, und doch ist der Prophet vom apokalyptischen Enthüllen des Geschickes der Welt noch weit entfernt: Auch er weiß um JHWH als um einen »geschichtslebendige(n) Gott« (S. 329), der selbst in die Geschichte eintritt, der Befreier Israels und aller von den menschlichen Gewaltmächten Geknechteten, die aufgerufen sind, sich dem Gott einer universalen Gerechtigkeit zuzuwenden. Aber auch Israel ist kein

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passiver Zuschauer der großen, universalen »erlösenden Handlung Gottes an der Menschenwelt« (S. 334), sondern übernimmt die Rolle, als »Licht der Völker« Zeuge der göttlichen Gerechtigkeit zu sein und sie zu bewähren – erst von daher, so Buber, erschließt sich die Bedeutung der einzigartigen Gestalt des Ebed, des deuterojesajanischen »Gottesknechts«, der Israel und die Völker auf die vollendete Erlösung vorbereitet (S. 334). Dem »Gottesknecht« widmet Buber eine komplexe, differenzierte sprachlich-exegetische Analyse, deren Quintessenz Samuel Hayim Brody in seinem Kommentar zu Bubers Vortrag »Das messianische Mysterium (Jesaja 53)« wie folgt zusammenfasst: Für Buber sei der leidende Gottesknecht »weder eine historische Einzelperson, wie z. B. Jeremia oder gar der Autor Jesaja/Deuterojesaja selbst, noch eine überzeitliche Kollektivperson, die ganz überwiegend mit Israel identifiziert wurde, sondern eine andere Art von Kollektivperson, die aus einer Abfolge von verborgenen, anonymen Gottesdienern besteht« (MBW 15, S. 410). Buber weist demnach die kollektive Deutung des Ebed als Verkörperung des leidenden Volkes Israel ebenso zurück wie seine Identifzierung mit einer – wie auch immer zu bestimmenden – historischen Einzelgestalt oder die Alternative zwischen historischer und messianischer Interpretation. Der Prophet ist mit in diese Figur »hineingenommen« (S. 341), doch mit ihrem Auftrag und ihrem Leiden reicht diese über ein persönliches Leben hinaus und repräsentiert unterschiedliche Stadien der prophetischen Situation – die Erfahrung der Last der vergeblichen Botschaft an Israel, das »Tun des Leidens« um Gottes willen und das Gelingen des Auftrags, die neue Gottesordnung der Völker wirksam zu verkünden (S. 345). Das Mysterium des in Bubers nur schwer zu fassender Deutung des leidenden Ebed, der »Vorgestalt des handelnden Messias« (S. 347), oszilliert zwischen dem individuell-Personhaften des nabi und dem Kollektiven, bis hinein in das Diasporaleiden Israels, das im Bild des Gottesknechts gedeutet wird: »Wer in Israel das Leiden Israels tut, ist der Ebed, und er ist das Israel, an dem sich JHWH verherrlicht« (S. 350). Am Schluss des Buches richtet sich Bubers Blick auf die Jahrtausende währende Exilserfahrung des jüdischen Volkes nach der Zerstörung des Zweiten Tempels und des jüdischen Staates durch die Römer, welche die messianischen Hoffnungen Deuterojesajas zunichtemachten, und er formuliert – wohl auch angesichts der zeitgeschichtlichen Umstände seiner eigenen Zeit – den Trost, der, wie er andeutet, das Gottesbild der hebräischen Bibel von der Herausrufung Abrahams bis zur Verheißung des »Gottes der Leidenden« im Exil durchzieht: »JHWH geh vor ihnen einher« (S. 350).

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Die vielstimmige Rezeption von Bubers Werk Der Glaube der Propheten in seiner hebräischen, englischen und deutschen Fassung durch jüdische wie nichtjüdische Exegeten und Theologen kann hier nur in den wichtigsten Akzenten aufgegriffen werden. Unter den Rezensionen, die sich in Bubers Nachlass in der National Library of Israel in Jerusalem befinden (vgl. die Mappe Arc. Ms. Var 350 013 2; sofern Zitatnachweise aus Rezensionsorganen im Folgenden nicht spezifisch nachgewiesen werden, entstammen sie dem dort gesammelten Material), sind zunächst einige bedeutsame christliche Stimmen zu nennen. Kritik aus vornehmlich exegetischer Perspektive äußerte etwa der amerikanische Religionswissenschaftler und biblische Archäologe James B. Pritchard (1909-1997), in dessen Werk die Bedeutung historischer, mythologischer und liturgischer Texte des antiken Orients eine zentrale Rolle spielen. Im Novemberheft 1951 der Zeitschrift The Review of Religion attestiert er Buber »some interesting expositions of the more important passages of the Old Testament«, vermisst jedoch die Rezeption der neueren amerikanischen Forschung und schätzt die exegetische Relevanz des Buches eher als begrenzt ein, sei er doch eher dem Lager der Traditionalisten – und überhaupt einem anderen als dem historisch-exegetischen Genre – zuzuordnen: »The presentation is along the broad lines of theology and, at times, is homiletical«. Deutlich kritischer noch fällt das Urteil des reformierten Semitisten und Züricher Alttestamentlers Ludwig Köhler (1880-1956) aus, aus dessen Sicht das Buch Bubers, der dort als »Jude durch und durch« erkennbar sei und auf dessen philosophisch-theologisches Denken das Judentum stolz sein könne, nur begrenzt als exegetische Leistung anerkannt zu werden verdiente. Dem Buch, »das fast schon das eines Historikers sein will« und in dem trotz der grundsätzlichen Ablehnung der lange bewährten zünftigen historisch-kritischen Arbeit »doch immer wieder einmal literar-kritische Späne fliegen«, mangele es an einer transparenten Begründung der konkreten exegetischen Urteile. Vor allem aber falle es hinter die Errungenschaften des Meisters der Prophetieforschung – Bernhard Duhm – zurück, der in seiner epochalen Schrift Die Theologie der Propheten (1875) eine unüberholte Deutungstradition geprägt habe, die in den großen Schriftpropheten bedeutende individuelle Persönlichkeiten, Genies der Begegnung mit Gott, erkannt habe und der zufolge der Begriff des Propheten »als einmaliger, von den alten Nabis wie von spätern Typen scharf abgegrenzter sichtbar« werde. Dass Buber den Begriff des Prophetischen in der Hebräischen Bibel viel weiter spannte und bis in die Vätergeschichten zurückverfolgte, irritierte Köhler, so dass er ihm vorwarf, »bei aller Größe seiner Leistung« das Wesentliche

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der Prophetie verkannt und seiner systematisierenden Interpretation untergeordnet zu haben: »Ihm wird die Person zum Typus, der Gedanke zur Idee, der individuelle Reichtum zur lehrhaften Einheit; wo die geschichtliche Wirklichkeit beginnt und wo sie endet, da hört das Erfassen des Religionsphilosophen auf.« Um diese seine theologische Idee zu untermauern, hätte es, so fügt Köhler hinzu, im Grunde all dessen, was er über die Propheten schreibe, nicht bedurft. Einen unzulässig subjektiven Zugang wirft auch der amerikanische Alttestamentler J. Coert Rylaarsdam (1907-1998) dem Philosophen vor: »Basically his interpretation of the Old Testament is a documentation of his own views. […] Buber’s work would have been more generally acceptable if he had more fully permitted objective historical reconstruction to perform an adequate critical function. Questions of literary criticism and history are frequently stalled by a too easy reliance on the writer’s a priori assumptions. […] Buber’s profound insights will be scorned by many on the ground that he is ›uncritical‹ and too ›philosophical‹.« (J. Coert Rylaarsdam, The Prophetic Faith, in: Theology Today 7 (1950), S. 309 ff.) Bei anderen christlichen Theologen erfuhr Bubers Schrift hingegen eine weit positivere Würdigung. Der von der Theologie Karl Barths (1886-1968) und von seinem exegetischen Lehrer Martin Noth (19021968) beeinflusste reformierte Alttestamentler Hans-Joachim Kraus (1918-2000), Verfasser einer einflussreichen Darstellung der Entwicklung der historisch-kritischen Exegese der hebräischen Bibel seit der Neuzeit (Hans-Joachim Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1956, 3. erw. Aufl. 1982), lobte in einer Besprechung Bubers sorgsamen Umgang mit den biblischen Quellen und die vorsichtig tastende Weise, in der er dem geschichtlichen Wert der älteren biblischen Überlieferungen vom Auszug aus Ägypten und dem Sinai nachspüre. Besonderen Wert misst der im christlich-jüdischen Dialog der frühen Nachkriegszeit engagierte Theologe dem Kapitel »Der Gott der Leidenden« und seiner Auslegung der Tradition des »Gottesknechts« bei und ermuntert die protestantischen Leser, sich »mit der jüdischen Deutung des Alten Testaments« zu befassen, um das Gespräch mit dem Judentum nicht abreißen zu lassen. Allerdings lässt er mit Blick auf Deuterojesajas Ebed JHWH eine vorsichtige christologische Sicht anklingen: »Im übrigen lernt man über Bubers nach der Erfüllung fragendem Buche ganz neu auf die Stimme Jesu achten: ›Heute ist diese Schrift (das Alte Testament) erfüllt vor euren Ohren!‹«. (Evangelischer Literaturbeobachter 5 (1951), S. 86; vgl. auch Hans-Joachim Kraus, Gespräch mit Martin Buber. Zur jüdischen und christlichen Auslegung des Alten Testaments, in: Evangelische Theologie

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12 (1952), S. 59-77, wieder abgedruckt in: Ders., Rückkehr zu Israel. Beiträge zum christlich-jüdischen Dialog, Neukirchen-Vluyn 1991, S. 300317; Kraus zeigt sich dort einerseits fasziniert von dem »stellenweise bis an eine Kongenialität zum Text heranreichende[n] Einfühlungsvermögen in die Welt der hebräischen Glaubenszeugnisse« und sieht die protestantische Bibelkritik durch die Tatsache zum Lernen herausgefordert, dass in Bubers Werk ein jüdischer Exeget »mit letzter Leidenschaft nach der ›ewigen Wirklichkeit‹ des im Texte lebenden Geheimnisses fragt«. Andererseits macht er eine prinzipielle Differenz zwischen Bubers Prophetiedeutung und einem christlichen Verständnis des wesentlichen Grundzugs der prophetischen Verkündigung: »Das prophetische Wort führt das Gericht und das Heil ohne das Zutun des Menschen herauf«. Seine einfühlsame Lektüre von Bubers Prophetiedeutung, insbesondere auch der Passagen zum Ebed JHWH, gipfeln gleichwohl in dem Ausruf: »Wieviel wird hier geahnt – und wie groß ist doch die Blindheit gegenüber der Erfüllung aller Offenbarung in Jesus Christus!«; (Zitate von Kraus in: ebd., S. 301 f., 313, und 316). Eine ähnliche Mischung aus aufrichtiger Würdigung und theologischer Zumutung aus der Perspektive christologischer Deutung wie bei Kraus steht auch im Zentrum der Rezension des Berliner Alttestamentlers Claus Westermann (1909-2000) in der Zeitschrift Die Zeichen der Zeit aus dem Jahr 1954. Im Kapitel über Jeremia, Hiob, Psalm 73 und Deuterojesaja träten die Linien der Theologie Bubers besonders klar und farbig hervor, doch stelle sich die Frage, »was es für die Deutung des Alten Testaments bedeutet, ob ein Forscher am Ende der Glaubensgeschichte Israels Jesus von Nazareth als den Christus stehen sieht oder nicht«. Buber sei zu danken, nicht nur für seine »eigenartige, sehr beachtenswerte« Interpretation des Geschichtswerks des Jahwisten und insgesamt für die klare Bejahung und Herausarbeitung des »geschichtlichen Grundzug[s] im Glauben des Alten Testaments«, sondern auch dafür, dass sein Schlusskapitel den Blick unvermeidlich auf die christologische Frage lenke: die Tatsache nämlich, dass im Schlusskapitel »die Frage nach dem Sinn der Geschichte Gottes mit seinem Volk nicht beantwortet werden kann ohne eine Antwort auf die Frage: wer ist dieser Jesus von Nazareth?« Bubers Interpretation des »Gottesknechts«, der zufolge in ihm zwei Linien zusammenträfen, die »Linie des Gottesvolkes, dessen Leid im Leid einer Person gelitten wird« und die »Linie der Propheten, deren Leid sie durch Israel erlitten, zugleich ein Leiden für Israel ist«, gehöre zu dem Besten, was zu dieser Thematik geschrieben worden sei. Ausgehend von Bubers Aussage: »Die Person des ebed umschließt die des Propheten und reicht über sie hinaus« (in diesem

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Band, S. 342) stellt Westermann die Frage: »Hat diese Linie ein Ziel in der Geschichte, in einer ganz bestimmten geschichtlichen Person, auf die dann die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk von Anfang an zielte?« Dass Buber diese Frage verneinen muss, ist ihm bewusst, doch aus christlicher Sicht vermag er dessen eigene Deutung der messianischen Hoffnung, die zu »einer Art Verewigung des ebed« in der menschlichen Geschichte führe, nicht nachzuvollziehen und fragt, wie eine solche Sicht »am Ende eines Weges stehen kann, an dessen Anfang so radikal und ausschließlich das Handeln Gottes an seinem Volk stand«. Gleichwohl – und obwohl es nicht auf die neuesten exegetischen Probleme der alttestamentlichen Exegese eingehe, in vielerlei Hinsicht vielmehr »in den Bahnen der Forschung des 19. Jahrhunderts« verbleibe – sei Bubers Werk von hoher Bedeutung für die Forschung, nicht zuletzt aufgrund seiner »schönen, klaren Sprache und der ausgezeichneten Herausarbeitung der großen Linien«, die »einen Blick über das Ganze des alttestamentlichen Glaubens ermöglicht, der in solcher Konzentration und Klarheit wohl selten erreicht wurde«. Vielleicht am positivsten fällt die Rezeption durch den katholischen Theologen Karl Thieme (1902-1963) aus, der Bubers Schrift 1950 in der Deutschen Universitätszeitung in einer Doppelrezension gemeinsam mit Martin Noths Geschichte Israels (Göttingen 1950) besprach und sie ohne Einschränkung als »die brauchbarste Einführung in das Verständnis der Religion Alt-Israels in ihrer Blütezeit« würdigte. Sein einziger Kritikpunkt nimmt die Anfrage vorweg, die er in den 1964 erschienen Philosophical Interrogations (in diesem Band S. 591-601, bes. S. 592 ff. und den Einzelkommentar S. 1134-1138) zur Sprache brachte: ob Buber nicht durch seine dichotomische Gegenüberstellung von Prophetie und Apokalyptik das innere Recht der letzteren übersehe, das dort liege, »wo der ›prophetische Appell‹ an von vornherein böswillige Machthaber sinnlos geworden und dafür ihr allerdings – ›vor Gott!‹ – schon vorhandenes Ende den Bedrängten zum Trost und zur Stärkung zu verkündigen ist«. Thieme beruft sich dabei auf Buber selbst, indem er auf dessen »noch reifere[s]« Werk Zwei Glaubensweisen verweist und daraus zitiert, um seine Deutung aus Der Glaube der Propheten zu widerlegen: »Man neigt nun nicht mehr bloß dazu, an der rettenden Tat des Königtums, sondern an der des irdischen Menschen überhaupt zu verzweifeln. Die Erde kann nicht mehr von der Erde aus erlöst werden« (in: Deutsche Universitätszeitung 6 (1950), Heft 18, S. 17; vgl. Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, jetzt in: MBW 9, S. 202-312, hier S. 271.) Dabei erwähnt Thieme jedoch nicht, dass Buber die von ihm dargelegte Entwicklung vor allem im frühen Christentum kulminieren sieht und keineswegs als gültige Auf-

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hebung des prophetischen Verständnisses menschlicher Teilhabe am Messianischen versteht. Vgl. auch die Kritik in Karl Thieme, Martin Buber als Interpret der Bibel, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 6 (1954), S. 1-9. Auf die Zusendung des Aufsatzes reagierte Buber in einem Brief an Thieme vom 22. März 1954 und betonte, dass er die Apokalyptik keineswegs geringschätze. (Vgl. B III, S. 367 und die Antwort Thiemes vom 5. April 1954, in: B III, S. 375 f.) Die ersten Rezensionen aus jüdischer Feder erschienen bereits anlässlich der Publikation der hebräischen Version von Bubers Prophetiedeutung. Auf eine dieser Besprechungen, jene seines Jerusalemer Kollegen Jecheskel Kaufmann (1889-1963), der in der Zeitschrift Moznajim (1942/43, S. 155-174 und S. 234-243) erhebliche inhaltliche Einwände erhoben hatte, reagierte Buber, indem er im Vorwort zur zweiten Auflage von Torat Ha-Nebiʾ im seine Grundsätze noch einmal präzisierte. (Dieses zweite Vorwort ist der Vollständigkeit halber im Kommentar mit abgedruckt, vgl. in diesem Band, S. 885-887.) Andere Besprechungen fielen deutlich positiver aus. Am 11. September 1942 erschien in Palästina in der deutsch-jüdischen Zeitschrift Press-Echo unter dem Pseudonym Schabach die gekürzte Fassung einer Besprechung des reformjüdischen Journalisten und Religionswissenschaftlers Schalom Ben-Chorin (1913-1999), deren ungekürzte Fassung er Buber persönlich zusandte (vgl. die Postkarte von Schalom Ben-Chorin vom 11. September 1942 im Martin-Buber Archiv der National Library of Israel, Arc. Ms. Var. 350 013 2; zitiert wird im Folgenden nach dem ungekürzten Typoskript). Ben-Chorin deutet Bubers Torat Ha-Nebiʾ im als Zeichen dafür, dass »auch in dieser beispiellosen Drangsal des jüdischen Volkes« – nun von Jerusalem aus – »jüdisch-wissenschaftliche Werke von höchstem Range« erscheinen. Wie schon Königtum Gottes handele es sich um ein »streng wissenschaftlich-exegetisches Buch, ein Stück alttestamentlicher Theologie und Religionsgeschichte im exaktesten Sinne«, »Wissenschaft von Religion« im Sinne Max Webers, jedoch durchaus so, dass des Verfassers Auge »auf den als Gegenstand nie gegebenen Weltrand gerichtet bleibt, an dem der Glaube behaust ist«. (Ben-Chorin zitiert hier zustimmend aus Bubers Selbstaussage in seinem Vorwort zu Königtum Gottes aus dem Jahre 1932; vgl. MBW 15, S. 94-100, hier S. 99 f.) Der Rezensent bewundert die große »Akribie und Intuition«, mit der Buber dank seiner Vertrautheit mit der modernen Forschung die Geschichte der Propheten von Abraham über Mose bis zu den großen Schriftpropheten rekonstruiere, und hebt bejahend den »konservativen Zug« seiner Auseinandersetzung mit der modernen Bibelexegese hervor, die sich aus seiner nachahmungswürdigen, gleichwohl

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undogmatischen »Ehrfurcht vor dem masoretischen Text« ergebe. Beeindruckt zeigt er sich nicht allein von der Prägnanz der Darstellung Bubers und den klaren Linien, die er zwischen den behandelten prophetischen Überlieferungen und Einzelgestalten zieht, sondern auch von dem auf die Gegenwart zielenden Schlussakkord des Buches: »Immer, so schliesst Buber, nun nicht mehr allein kühl-dozierender Professor, kommt es in unsrer leidensreichen Geschichte darauf an, dass wir das uns widerfahrene Leid im Sinne jenes Gottesknechtes, in welchem die Gestalt des Propheten zur Vorgestalt des Messias wird, rezipieren.« Auch andere Besprechungen jüdischer Rezensenten reflektierten über den Gegenwartsbezug von Bubers Werk, so die mit dem Pseudonym Har Nechoschet unterschriebene Rezension in der deutschsprachigen Exilszeitung Blumenthal’s »Neuste Nachrichten« (ab 1943 Jedioth Chadaschot), die es insbesondere aufgrund seiner charakteristischen Betonung der dialogischen Beziehung zwischen Prophet und dem Göttlichen als »Meisterwerk« pries. Mit Blick auf die zeitgeschichtliche Aktualität der theologischen Perspektiven Bubers und seiner Kritik an Fehlentwicklungen im Palästina der 1940er Jahre schreibt der Verfasser dessen politischen Interventionen selbst eine gewisse prophetische Qualität zu, trotz des mit Deuterojesaja gegebenen Endes der Prophetie: »Denn wenn wir auch keine Propheten haben, so benötigen wir doch jener, denen es im Rahmen ihres Könnens gegeben ist, uns anzuleiten, wie die Propheten den Vorvätern die Wahrheit ins Gesicht sagten. Und wir benötigen sie, die Mahner unseres Gewissens, um so dringlicher, weil wir keine Propheten haben. Martin Buber ist ein solcher Mahner«. Die substantiellste Besprechung im englischsprachigen Kontext legte der aus Halle stammende und im kanadischen Exil lebende Philosoph Emil L. Fackenheim (1916-2003) 1950 in der namhaften amerkanischjüdischen Zeitschrift Commentary vor. Buber erscheint darin als »voice crying in the wilderness«, als exegetisch wie theologisch-philosophisch bedeutsame Stimme des Widerspruchs gegen einen Zugang der modernen Religions- und Bibelwissenschaft, der den Charakter der Hebräischen Bibel als Bericht einer Folge von Dialogen zwischen Gott und Israel zwangsläufig verfehlen müsse, weil er übersehe, dass die Fähigkeit, historische und literarische Details der biblischen Quellen zu entwirren und auf diese Weise die religionsgeschichtliche Entwicklung des biblischen Glaubens zu rekonstruieren, keineswegs eine Garantie dafür biete, dessen Wesen zu erkennen. Buber, selbst mit dem ganzen Instrumentarium der Bibelkritik ausgerüstet, lehre, dass man, um die Bibel zu verstehen, zwar nicht an Gottes Existenz oder seine Selbstoffenbarung glauben, diese Glaubensüberzeugungen jedoch als »ultimate, serious,

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and irreducible working hypotheses« voraussetzen müsse, um dem Geist auf die Spur zu kommen, in der die Bibel verfasst wurde. Als besonders wertvoll empfindet Fackenheim, wie auch andere jüdische Rezensenten, Bubers begründete Weigerung, den Glauben der Propheten im Sinne einer allmählichen Entwicklung hin zu universalistischen »Ideen« und die Überlieferungen der Zeit vor der voll entfalteten Schriftprophetie als vor-monotheistisch zu verstehen. »What is primary in Biblical faith«, so fasst er Bubers Sicht präzise zusammen, »is not that only one God exists, but that only one God has a claim on Israel, a claim exclusive and all-demanding. Biblical man is concerned with God not in detached philosophic speculation, but in inescapable commitment. Looked at in this way, the development of prophetc faith no longer appears as a progress in objective insights, where former views are left behind as false and ›superstitious‹ ; it emerges as a vital unity. The exclusive commitment to the One of Israel remains the unaltered reality, and what changes is merely the interpretation and implications of that reality.« (Emil L. Fackenheim, In the Here and Now, in: Commentary 6 (1950), S. 393 ff., hier S. 393.) Oberflächlich sei auch die Neigung der modernen Bibeldeutung, die prophetische Botschaft auf die Verkündigung eines zeitlosen, in der Freiheit des Menschen wurzelnden ethischen Ideals menschlicher Verantwortung zu reduzieren. Buber betone mit Recht, dass die Propheten stattdessen, selbst noch in der universalistischsten Phase der Prophetie, spezifischen Menschen das absolute Risiko der Glaubensentscheidung im Hier und Jetzt der konkreten geschichtlichen Existenz zumuteten. Nicht zuletzt hebt Fackenheim hervor, der prophetische Glaube sei aus Sicht eines vollständigen Rationalismus nicht nachzuvollziehen, und zwar nicht, weil er ein Element des Irrationalen in sich berge, das eine religionspsychologische Deutung entweder als für die Religion unverzichtbar erachten oder aber eliminieren könne. Wichtiger sei das von Buber zur Geltung gebrachte »Außerrationale« (extra-rational), d. h. »Außer-Psychologische« (extra-psychological): »the prophet is confronted with the Other who, while becoming partly intelligible in His revelations, remains wholly Other in essence, i. e., not ›irrational‹, but a mystery«. Buber erfasse diese Dimension adäquat im Zusammenhang mit der »Dämonie« JHWHS, die er als essentiellen Teil biblischer Frömmigkeit verstehe, im Gegensatz zur Bibelkritik, die sie leichthin ignorieren könne, weil sie irrtümlich aus einer früheren Phase der Polydämonie in die Bibel eingedrungen sei (Fackenheim, ebd., S. 394; zum Dämonischen JHWHs bei Buber vgl. Der Glaube der Propheten, S. 186 f. in diesem Band und das Kapitel »Göttliche Dämonie« in Moses, in diesem Band, S. 398-401). Die Frage nach

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dem zentralen theologischen Beitrag von Bubers Werk beantwortet Fackenheim wie folgt: Einerseits könne man von ihm lernen, dass man, um die Bibel zu verstehen, den Glauben des biblischen Menschen an die Realität der Begegnung von Gott und Mensch ernstnehmen, diesen Glauben aber nicht selbst teilen müsse. Andererseits berge seine Interpretation auch eine andere Möglichkeit in sich, zumindest eine Anfrage an die allzu gewisse Absage an diesen Glauben: »Is it really beyond doubt that man always speaks to himself when he believes himself in dialogue with the Other? That human existence is closed? That Eternity cannot break into Time? If we learn to read the Bible from the standpoint of Biblical man, these questions might become genuine again, and we might end up reading the Bible, as it was once read, for genuine guidance – instead of using it, as we do now, for the odd decoration or reinforcement of views which are not the Bible’s, but ours.« (Fackenheim, ebd., S. 395.) Im Nachlass Martin Bubers findet sich ein achtseitiges Typoskript ohne Datum und Autorennamen unter dem Titel »Die Lehre der Propheten. Zu Martin Bubers neuem Buch«, das nach einer eingehenden Würdigung der Ergebnisse von Der Glaube der Propheten mit einer nachdenklich-melancholischen Reflexion über die Grenzen der Wirksamkeit seiner Deutungen im Spannungsfeld zwischen Bibelkritik und einer entschiedenen, aber undogmatischen Glaubensüberzeugung endet: »Was wird die Wirkung dieses bedeutenden Buches sein? Wer wird es lesen, und wie werden seine Leser auf den Ruf antworten? Mit dieser Formulierung der Frage soll eine Problematik aufgewiesen werden: anders als die üblichen wissenschaftlichen Bücher zeigt dieses Buch, das u. a. auch ein wissenschaftliches ist, nicht nur einen Tatbestand objektiv auf, sondern es geht, wenn auch in zurückhaltender Sprache und ohne die Form des direkten Appels ein ganz bestimmter Ruf von ihm aus. Hier liegen Grenzen und Möglichkeiten seiner Wirkung. Der ›voraussetzungslose‹ Wissenschaftler, der bestenfalls zu einem Monotheismus ›ohne Gott‹ kommen kann, wird das auch sicher in vielen einzelnen Forschungsergebnissen gerne benutzen, aber in seiner Gesamtheit möglicherweise ablehnen, als ein mehr pneumatisches als diskursives Denkwerk. Der einfach Gläubige wiederum wird die Schwierigkeiten des sehr gedrängt geschriebenen Buches kaum gewachsen sein und sich auch, falls er sich überwindet, von der Souveränität Buberschen Glaubens abgestossen fühlen, die der wissenschaftlichen Kritik einen so breiten Raum zubilligt und überhaupt so garnicht dogmatisch, ja, geradezu prinzipiell anti-dogmatisch ist. Es bleibt also zwar nicht für die Lektüre aber für die innere Aufnahme des Buches ein vermutlich kleiner Kreis

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übrig, der in seiner Glaubenshaltung Buber nahe genug steht, um sich mit ihm fruchtbar auseinandersetzen zu können und wissenschaftlich genügend geschult ist, um seine Darlegungen zu verstehen. Diese Begrenzung, schmerzlich festzustellen, kann überaus wichtig werden, wenn dieser Kreis sich zur Fortsetzung dessen aufgerufen fühlt, was das Mysterium des Lebens im Sinne des zweiten Jesaja und seiner Deutung durch Buber uns zu lehren hat.« (Nachlass Martin Buber in der National Library of Israel in Jerusalem, Arc. Ms. Var 350 013 2.) * Der ersten und der zweiten Auflage der hebräischen Ausgabe hat Buber eigene Vorworte hinzugefügt, die im Folgenden in Übersetzung abgedruckt werden. Im zweiten Vorwort setzt sich Buber detailliert mit der Kritik Jecheskel Kaufmanns an seinem Werk in der Zeitschrift Moznajim auseinander. Im Anschluss daran wird eine bibliographische Liste der von Buber verwendeten Literatur abgedruckt. Vorwort [zur ersten Auflage, 1942] Wenn wir den Ausdruck »Glaube an Gott« vollumfänglich verstehen wollen, kann es sich nicht darum handeln, ob diese oder jene Erzählungen über Gott der Wahrheit entsprechen, sondern um den Lebensbezug zu ihm. Das heißt: Die Kraft des Glaubens bemisst sich nicht an der Gewissheit, dass es diesen Gott gibt (»sein Wesen« ist ein Gegenstand der Religionsp h i l o s o p h i e und hat keinen Bezug zum Leben im Glauben, das sich auf den Kontakt zu ihm gründet), sondern an der Kraft der Hingabe an ihn, in der sich das Leben der Gläubigen artikuliert. Der Begriff des Glaubens, wie ich ihn verwende, ist der jüdischen Glaubensgeschichte entnommen. Er entspricht nicht dem griechischen Begriff, der den Gegenstand des Glaubens ausschließlich als eine Angelegenheit von Reflexion und kultischer Verehrung betrachtete, sondern dem hebräischen Begriff. Der Glaube des »gläubigen Abraham« (Gen 15,6) ist einer der Tat: Er weiht sich dem Wesen, an das er glaubt, er schenkt ihm, dem Gott des Glaubens, dem treuen Gott, seinen Glauben, sein Vertrauen: er vertraut auf ihn, er gibt seinen Geist in seine Hand. Dieser Glaube kann nicht, wie die »Pistis« der Griechen, gegenüber jemandem existieren, der nicht Anteil nimmt, das Wesen, an das man auf diese Weise glaubt, ist vielmehr gleichsam Partner. Dieser Glaube existiert nur i n n e r h a l b dieser Beziehung. Es ist charakteristisch, dass die

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Der Glaube der Propheten · Vorwort [zur ersten Auflage, 1942]

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Bibel jedes Mal, wenn sie die Heiden des Götzendienstes bezichtigt, diese niemals deshalb anklagt, weil sie an die Götzen »glauben«: Denn es ist praktisch unmöglich, an sie zu glauben, da sie nicht Partner der Beziehung sein können; man kann sich nur einbilden, an sie zu glauben. Daraus folgt: Die Glaubenslehre ist eine Anordnung von Zeugnissen über das Lebensverhältnis zu Gott. Die Lehre der Propheten, mit der sich dieses Buch beschäftigt, ist die Anordnung von Zeugnissen über das Lebensverhältnis »prophetischer« Menschen in Israel (deren Anfang so uranfänglich ist wie jener Israels) zu dem Gott, an den sie glauben. So ist nun der wichtigste Inhalt dieser Lehre eben nicht sein Wesen und seine Beschaffenheit, sondern die Beziehung zwischen ihm und ihnen, zwischen ihm und Israel – jenem Israel, das ihn als unter sich repräsentiert sah –, zwischen ihm und der Menschheit. Das Einzigartige am Auftrag Israels liegt darin, dass es die Menschheit auf die Führung Gottes vorbereiten soll, sie vorbereiten soll, indem es selbst durch ihn geführt wird. In dieser Beziehung gilt es zu unterscheiden zwischen Erscheinungen und Ausdrucksformen, die aus wechselnden historischen Situationen resultieren, und dem überdauernden Wesenskern, den die wechselnden historischen Situationen nicht im Geringsten verändern können. Man kann diesen Kern in seiner Einzigartigkeit nur in dem Bild eines Geschehens fassen: jenem der F ü h r u n g a u f d e m We g . Der Gott, an den die prophetischen Menschen glauben und auf den sie verweisen, stammt aus frühester Vorzeit: d e r G o t t d e s We g e s . Er nimmt und führt die Menschen von ihren Wegen und leitet sie auf seinen Weg, leitet sie auf diesem Weg, dem Weg, auf dem er selbst schreitet, auf dem er ihnen vorangeht. Sein Weg, »der Weg des Herrn«, ist der richtige Weg. Und er, der Herr, fordert von den Geführten nicht mehr, als dass sie ihm folgen, nicht von seinem Weg abweichen, dass sie sich seiner Führung ganz anvertrauen, dass sie keine Führung außer der seinen anerkennen und sich ihm verbunden fühlen, wenn sie von ihm geführt werden, ihm, dem Führer, der an ihrer Spitze vorangeht, so wie er sich ihnen verbunden fühlt – er fordert, dass »sie ihn lieben«, wie er sie liebt. Er fordert, dass das von ihm geführte Volk mit seinem gesamten Leben zu seinem Volk werde, dem Volk Gottes. Der Weg ist eins und der Führer ist eins. Wer – wie die Propheten Israels – sieht, dass die Wahrheit des gesamten Seins der Ausgangspunkt eines Weges ist, der zum Ziel führt, für den rührt die Absolutheit Gottes aus seinem Führertum und seine Einzigkeit aus seiner Absolutheit. Einem Menschen, für den sich das Sein auf verschiedene unabhängige Sphären verteilt, wird es vorkommen, als wirke in jeder dieser Sphären eine besondere göttliche Kraft; nicht so jemandem, der das Sein als Weg

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erkennt. Die Führung, die von ihrem Beginn bis zu ihrem Ziel reicht, ist ihrem Wesen nach eine absolute Hingabe ebenso wie die Hingabe an den, der führt. Der Glaube an den e i n e n Gott ist nichts anderes als das Zeugnis dieses Lebensverhältnisses, und unter dem Gesichtspunkt des Glaubens liegt sein Wert darin, dass er dafür Zeugnis ablegt. Folgt man Gott auf seinem Weg, so erkennt man die Herrschaft in jedem Bezirk als die seine, in allen wiederkehrenden Erscheinungen erblickt man ihn. Er ist der Eine über allen, weil er der Eine ist in Allem. Man sollte aber noch einen Aspekt hinzufügen, ohne den man die Eigenart des prophetischen Glaubens nicht vollständig erfassen kann. Der Gott, an den die Propheten glauben, ist ein sprechender Gott, einer, der sich den Menschen im Wort zuwendet. Er ergreift den Menschen mit dem Geist, der über den Wassern schwebte, und leitet ihn durch sein Wort, mit dem er die Welt erschuf. Der Geist ergreift und zwingt, während das Wort will, dass man ihm zuhört. In die Hände des Geistes ist der Mensch willenlos gegeben, während der Mensch vor dem Wort als Mensch mit eigenem Willen besteht: Er kann das Wort annehmen oder ablehnen. Dem Wort reicht das alleinige Zuhören nicht, es fordert auch Antwort. Es wendet sich an das Volk vermittels des Propheten, und ihm [dem Volk] obliegt es – mit seiner Tat oder seiner Weigerung – zu antworten. Aber nicht die prophetische Rede ist die absolute Wahrheit, sondern seine Auslegung der göttlichen Rede, die sich in den Zeichen des Geschehens ausdrückt – des Geschehens in der Geschichte von Persönlichkeiten, in der Geschichte des Volkes und der Völker. Die Situationen selbst, in denen und gegenüber denen die prophetische Rede ertönt, sind Zeichen Gottes, Sprache Gottes, und der Prophet ist damit betraut, die Zeichen zu deuten, die Sprache zu übersetzen. Die Situationen sind Stationen des Weges, und Gott ruft den Propheten dazu auf, sie dem Volk zu verkünden und ihm bekannt zu machen, an welcher Wegmarke es sich in dieser Stunde befindet, worin der Sinn der Entscheidung zwischen dem einen Weg Gottes und den tausend krummen Wegen der Welt liegt, worin der Sinn dieser Wegmarke liegt, in dieser historischen Situation, was die Bedeutung der ewigen Wahl in dieser besonderen Stunde ist. Und das Volk muss ihm mittels einer Entscheidung antworten. Und wenn es der Entscheidung ausweicht und sich vor den Göttern niederwirft und nicht auf dem Weg Gottes geht, sondern auf dem eigenen Weg weiterstapft, so ist auch dies eine Antwort. Denn bereits die Existenz – im historischen oder biographischen Sinne – ist ein Verhalten, ein Gespräch. Der Prophet, der Ausleger, der Übersetzer vermittelt zwischen Gottheit und Menschheit – denn das Volk wagt es nicht, die Stimme, die sich ihm vom Himmel aus zuwendet, zu empfangen (»Rede du mit uns, wir

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Der Glaube der Propheten · Vorwort [1950]

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wollen hören; aber lass Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst sterben« [Ex 20,19]). Er, der Prophet, spricht mit Gott und dem Volk. Seine Lehre, sein Zeugnis über sein Lebensverhältnis zu dem führenden und sprechenden Gott, ist Gegenstand dieses Buches. * Vorwort [1950] Aufgrund der detaillierten Kritik Jecheskel Kaufmanns [Anm.: Moznajim, 1942/43, S. 155-174 u. 234-243] an diesem Buch ist bei mir die Besorgnis entstanden, ich habe möglicherweise meine Anschauungen nicht präzise genug dargelegt und einen Raum für Interpretationen gelassen, den ich nicht beabsichtigte. Deswegen sehe ich mit dieser zweiten Auflage die Gelegenheit gekommen, einige zusammenfassende Bemerkungen über meine wichtigsten Anschauungen zu diesem Thema zu formulieren. 1) Ich bin weit davon entfernt, die Unterscheidung zwischen sakral und profan im Alten Israel zu bestreiten, wie mir Kaufmann irrtümlicherweise anlastete. Ich wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass die geistigen Führer Israels bestrebt waren, die beiden Bereiche unter die Oberherrschaft Gottes zu stellen, der im Bereich des Sakralen als eine Art »Gott Israels« und im profanen Bereich als eine Art echter König Israels, als »der König« (Jesaja 6) herrscht. 2) Wir kennen zwar ähnliche Tendenzen bei anderen Völkern, insbesondere des Alten Orients, aber dort ist die Bedeutung der Oberherrschaft Gottes auf das beschränkt, was Kaufmann als »gemäß der Idee« bezeichnet, d. h. man begnügte sich mit der Darstellung der göttlichen Oberherrschaft über den regierenden Menschen in Form symbolischer Rituale. Ähnliches finden wir im mittelalterlichen Christentum. Anders allerdings in Israel, wo die gesamte Geisteskraft auf die Realisierung in der Wirklichkeit des Volkes in allen Bereichen drängte, namentlich im Bereich der Wirtschaft, der Gesellschaft und des Staates. 3) Zwar gibt es auch bei anderen Nomadenstämmen Stammesgötter, die ihnen bei ihren Wanderungen vorangehen; aber nirgends finden wir einen Gott, der das Volk zu einem Ziel führt, das nicht dem Wünschen und Begehren des Volkes selbst entspricht; einen Gott, der das Volk aus seinen ihm liebgewordenen Bindungen reißt und ihm seine Forderung in aller Unerbittlichkeit aufzwingt. In Israel rückt der Glaube an die Führung Gottes aus der Sphäre der konventionellen Dogmatik und wird ganz und gar konkret. Darin drückt sich der Realismus des Glaubens in

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Israel aus, dass er nichts von den wirklich wichtigen Glaubensprinzipien in der Sphäre des Geistes ohne die Verpflichtung zum Tun lässt, sondern alles in das Leben hineinzieht. 4) Was daraus folgt, lässt sich an den Verträgen zwischen Gott und Volk erkennen, wenn wir zum Beispiel eine staatliche Urkunde eines solchen Vertrags des Alten Orients mit einer parallelen der Bibel vergleichen. Dort besteht die Funktion Gottes nur darin, die Auffassung von einem Erwerb, der zugunsten des Staates oder der Krone getätigt wurde, zu bekräftigen, d. h. die Eigentumsverhältnisse in ihrer bestehenden Form zu bestätigen; während hier, in Israel, Gott kommt, um die zugrunde liegenden Bedingungen im Geiste seiner Forderung, der Gerechtigkeitsforderung, zu ändern. Und jeder, der argumentiert, die Wurzel des Unterschiedes liege in der ethischen Gesetzgebung, irrt; er wurzelt, wie es aus Erzählungen wie jener über die Bindung Isaaks absolut deutlich hervorgeht, in der Unabhängigkeit Gottes gegenüber dem menschlichen Bereich. Der Ursprung der Forderung liegt in der wirklichen Hingabe an seinen Willen, dem Hinter-ihm-Hergehen sowohl in der Sphäre der Ethik als auch darüber hinaus. 5) Ich habe nicht gesagt, und das lag auch überhaupt nicht in meiner Absicht, dass im Alten Israel »Gott [JHWH] anfänglich nur als eine der Gottheiten galt«. Der Stammesverband, das Volk in seiner Einheit, kennt nur einen Gott, der allen Stämmen gemeinsam ist, und das ist JHWH. Aber diese Stunde stellte in den unterschiedlichen Sippen den Glauben an jeweils eigene anonyme Familiengötter daneben (»Teraphim« und ähnliches), und dem gegenüber nahmen einige der sesshaft werdenden Gruppen zusätzlich den kanaanäischen Glauben an verschiedene örtliche Fruchtbarkeitsgötter an (die »Baalim«, eine primitive Form im Vergleich zum »Baal« der entwickelten Kultur Ugarits). Beide Erscheinungen fügen sich nicht zu einem Pantheon, vielmehr handelt es sich um getrennte Sphären: die allgemeine des Volkes, jene des wandernden Familienverbandes und den landwirtschaftlichen Bereich sesshafter Gruppen. Die Propheten begehren gegen diese Aufspaltung in unterschiedliche Sphären auf und kämpfen für die Einheit und Absolutheit der Herrschaft JHWHs. 6) Jede große religiöse Verkündigung durchläuft eine Phase des Wachstums und eine Stunde des Durchbruchs. Die Forderung der Propheten vor Jesaja, die sich an die Stützen der Gesellschaft und des Staates und insbesondere an die Könige wandten, war es, in aller Wirklichkeit die Oberherrschaft Gottes anzuerkennen, und sie bricht in dem Augenblick durch, als Jesaja von Achas, dem König Judas, fordert, er solle seine Außenpolitik dem Willen JHWHs unterwerfen, und auf seine Weigerung hin mit der ersten ausdrücklich »messianischen« Prophezeiung reagiert.

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Der Glaube der Propheten · Vorwort [1950]

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Meine Anschauung über andere Gegenstände, die diesen Kontext berühren, habe ich zwischenzeitlich in meinem Buch »Moses« [Anm: Schocken, Tel Aviv 1945/46] dargelegt. Bibliographie der von Buber verwendeten Literatur (erstellt nach Bubers Anmerkungen in Der Glaube der Propheten): Albright, William Foxwell, The Archaeology of Palestine and the Bible, New York 1932. Ders., Primitivism in Ancient Western Asia, in: Primitivism and Related Ideas in Antiquity. With supplementary essays by W. J. Albright and P.-E. Dumont, hrsg. von Arthur Oncken Lovejoy u. George Boas, New York 1935, S. 421-432. Alt, Albrecht, Der Gott der Väter. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der israelitischen Religion, Stuttgart 1929. Ders., Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina. Verfassungsgeschichtliche Studien, Leipzig 1930. Ders., Die Ursprünge des israelitischen Rechts (= Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse, Bd. 86, Heft 1, 1934), Leipzig 1934. Ders., Josua, in: Hempel, Johannes, Stummer, Friedrich, Volz, Paul (Hrsg.), Werden und Wesen des Alten Testaments. Vorträge gehalten auf der internationalen Tagung alttestamentlicher Forscher zu Göttingen vom 4.-10. September 1935, Berlin 1936, S. 13-29 (= Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 66). Ders., Erwägungen über die Landnahme der Israeliten in Palästina, in: Palästina Jahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes zu Jerusalem., Jg. 35, 1939, S. 863. Bardtke, Hans, Jeremia, der Fremdvölkerprophet, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, Band 12, Heft 1, 1935, S. 209-239. Bartholomae, Christian, Die Gatha’s des Awesta. Zarathustras verspredigten, Straßburg 1905. Baudissin, Wolf Wilhelm von, Adonis und Esmun. Eine Untersuchung zur Geschichte des Glaubens an Auferstehungsgötter und an Heilgötter, Leipzig 1911.

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Ders., Kyrios als Gottesname im Judentum und seine Stelle in der Religionsgeschichte. Teil 3: Der Gottesname Kyrios der Septuaginta und die Entwicklung des Gottesbegriffs in den Religionen der semitischen Völker, hrsg. von Otto Eissfeld, Gießen 1929. Ders., Kyrios als Gottesname im Judentum und seine Stelle in der Religionsgeschichte. Teil 4: Nachträge und Register, hrsg. von Otto Eissfeld, Gießen 1929. Bauer, Hans, Die Gottheiten von Ras Schamra, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, Band 10, Heft 1, 1933, S. 81-101. Baumgärtel, Friedrich, Der Hiobdialog. Aufriss und Deutung, Stuttgart 1933 (= Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, IV. Folge, Heft 9). Begrich, Joachim, Das priesterliche Heilsorakel, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, Band 11, Heft 1, 1934, S. 81-92. Bertholet, Alfred, Hesekiel, Tübingen 1936. Bin Gorion, Josef Micha, Sinai und Garizim. Über den Ursprung der israelitischen Religion. Forschungen zum Hexateuch auf Grund rabbinischer Quellen, Berlin 1926. Böhl, Franz M. Th., Das Zeitalter Abrahams, Leipzig 1930 (= Der Alte Orient. Gemeinverständliche Darstellungen, Bd. 29, Heft 1). Brockelmann, Carl, Allah und die Götzen, der Ursprung des islamischen Monotheismus, in: Archiv für Religionswissenschaft, Bd. 21, Leipzig, Berlin 1922, S. 99-121. Budde, Karl, Das nomadische Ideal im Alten Testament, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 85 (1896), S. 57-79 (engl.: The Nomadic Ideal in the Old Testament, in: The New World 4, 1895, S. 724-745). Der., Die altisraelitische Religion, 3., verb. u. und reicher erläuterte Doppelaufl. Gießen 1912. Ders., Der Abschnitt Hosea 1 – 3 und seine grundlegende religionsgeschichtliche Bedeutung, in: Theologische Studien und Kritiken, Bd. 96/97, 1 Heft, 1925, S. 1-89 (= Sonderheft: Alttestamentliche Forschungen). Ders., Jesajas Erleben. Eine gemeinverständliche Auslegung der Denkschrift des Propheten (Kap. 6,1-9,6), Gotha 1928. Buttenwieser, Moses, The Psalms. Chronologically treated, with a new translation, Chicago 1938. Cassuto, Umberto, La questione della Genesi, Florenz 1934. Dalman, Gustav, Arbeit und Sitte in Palästina, 7 Bde., Berlin 1928-1942; Bd. 2: Der Ackerbau, Berlin 1932.

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Einzelkommentare

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Herrmann, Johannes, Ezechiel, übersetzt und erklärt, Leipzig 1924 (= Kommentar zum Alten Testament, Bd. 11). Heschel, Abraham, Die Prophetie, Krakow 1936. Hölscher, Gustav, Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion, Gießen 1922. Hoonacker, Albin van, Les douze petits prophètes. Traduits et commentés, Paris 1908. Humbert, Paul, La logique de la perspective nomade chez Osée et l’unité d’Osée, in: Vom Alten Testament. Karl Marti zum 70. Geburtstag gewidmet von Freunden, Fachgenossen und Schülern, hrsg. von Karl Budde, Gießen 1925, S. 158-166. Huntington, Ellsworth, The Pulse of Progress. Including a sketch of Jewish History, New York, London 1926. Jacob, Benno, Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934. Jepsen, Alfred, Nabi. Soziologische Studien zur alttestamentlichen Literatur und Religionsgeschichte, München 1934. Jirku, Anton, Das weltliche Recht im Alten Testament. Stilgeschichtliche und rechtsvergleichende Studien zu den juristischen Gesetzen des Pentateuchs, Gütersloh 1927. Ders., Das israelitische Jobeljahr, Leipzig 1929 (auch in: Reinhold Seeberg Festschrift, Bd. 2: Zur Praxis des Christentums, hrsg. von Wilhelm Koepp, Leipzig 1929, S. 169-179). Kittel, Rudolf, Geschichte des Volkes Israel, Bd. 1: Palästina in der Urzeit. Das Werden des Volkes. Geschichte der Zeit bis zum Tode Josuas, 5. u. 6., vielfach umgearbeitete Aufl. Gotha 1923 (bes. Beilage I. Das Alter des Dekalogs, S. 445-448). Klamroth, Erich, Lade und Tempel, Gütersloh 1932. Klostermann, August, Die Bücher Samuelis und der Könige, ausgelegt von August Klostermann, Nördlingen 1887. Köhler, Ludwig, Der Dekalog, in: Theologische Rundschau, Neue Folge, 1. Jg., Heft 3 (1929), S. 161-184. Ders., Theologie des Alten Testaments, Tübingen 1936. Kuenen, Abraham, De profeten en de profetie onder Israël. Historischdogmatische Studie, Leiden 1875. Kugler, Franz Xaver, Von Moses bis Paulus. Forschungen zur Geschichte Israels. Nach biblischen und profangeschichtlichen insbesondere neuen keilschriftlichen Quellen, Münster 1922. McCown, Chester C., The Wilderness of Judea and the Nomadic Ideal, in: Journal of Geography, Bd. XXIII, Nr. 9, Dezember 1924, S. 333349.

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Einzelkommentare

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Einzelkommentare

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Volz, Paul, Weisheit (Das Buch Hiob, Sprüche und Jesus Sirach, Prediger), übersetzt, erklärt und mit Einleitungen versehen von Paul Volz, Göttingen 1911 (= Die Schriften des Alten Testaments, Abteilung 3, Lyrik und Weisheit, Bd. 2) (2. verb. und verm. Aufl. Göttingen 1921, unter dem Titel Hiob und Weisheit). Der., Das Dämonische in Jahwe. Vortrag auf dem Alttestamentlertag in München, Tübingen 1924. Ders., Mose und sein Werk, 2. völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1932. Ders., Jesaja II, übersetzt und erklärt, Leipzig 1932 (= Kommentar zum Alten Testament; Bd. 9, 2. Hälfte). Ders., Psalm 49, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, Band 14, Heft 3-4, 1937, S. 235-264. Volz, Paul, Rudolph, Wilhelm, Der Elohist als Erzähler. Ein Irrweg der Pentateuchkritik? An der Genesis erläutert [Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 63], Gießen 1933. Weiser, Artur, Glaube und Geschichte im Alten Testament, Stuttgart 1931 (= Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, IV. Folge, Heft 4). Ders., I Samuel 15, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, Band 13, Heft 1-2, 1936, S. 1-28. Westphal, Gustav, Jahwes Wohnstätten nach den Anschauungen der alten Hebräer. Eine alttestamentliche Untersuchung, Gießen 1908 (= Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 15). Winckler, Hugo, Abraham als Babylonier, Joseph als Ägypter. Der weltgeschichtliche Hintergrund der biblischen Vätergeschichten auf Grund der Keilschriften, Leipzig 1903. Woolley, Leonard, Abraham. Recent discoveries and Hebrew origins, New York 1936. Yahuda, Abraham Shalom, Die Sprache des Pentateuch in ihren Beziehungen zum Aegyptischen. Mit einer hieroglyphischen Beilage. Erstes Buch, Berlin und Leipzig 1929. Textzeugen: h1: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56b); 6 lose Blätter, teils einseitig, teils doppelseitig beschrieben in blauer Tinte. Die Handschrift besteht aus unzusammenhängenden Fragmenten zu den einzelnen Kapiteln: a) aus dem Kapitel »Die Wendung zum Kommenden«, Abschnitt »3. Die theopolitische Stunde«; es handelt sich um den Schluss des Kapitels: 1 Blatt, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen, die Seitenzahl »3« ist vermerkt.

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Einzelkommentare

b) aus dem Kapitel »Der Gott der Leidenden«, Abschnitt »1. Gegen das Heiligtum«: 2 Blätter, eines davon doppelseitig, das zweite einseitig zur Hälfte beschrieben mit blauer Tinte, mit Korrekturen versehen. c) aus dem Kapitel »Der Gott der Leidenden«, Abschnitt »1. Gegen das Heiligtum«; es handelt sich um den Schluss des Kapitels: 1 Blatt, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen, die Seitenzahl »33« ist vermerkt. d) aus dem Kapitel »Der Gott der Leidenden«, Abschnitt »2. Die Frage«; 1 Blatt, einseitig zur Hälfte beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen, die Seitenzahl »4« ist vermerkt. h2: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56b); 2 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Enthält einen Teil des Vorworts. h3: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56b); 4 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Enthält das Vorwort unter dem Titel »Vorbericht«. ts1: unvollständiges Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56b); 7 lose paginierte Blätter einseitig beschrieben; das dritte Blatt fehlt. Enthält unter dem Titel »Aufgabe und Quellen« einen Teil der Einleitung. Das Typoskript ist zweischichtig: 1.1 ts : Grundschicht. ts1.2: Überarbeitungsschicht: zahlreiche Korrekturen von Bubers Hand. Eine Ergänzung ist von anderer Hand. ts2: unvollständiges Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56b); 22 lose paginierte Blätter einseitig beschrieben. Enthält unter dem Titel »Aufgabe und Quellen« die Einleitung, das Kapitel »Der Geschichtssang der Deborah« sowie den Beginn des nachfolgenden Kapitels »Zum Ursprung hin«. Das Typoskript ist zweischichtig: ts2.1: Grundschicht. Durchschlag von ts1.1. ts2.2: Überarbeitungsschicht: zahlreiche Korrekturen von Bubers Hand. ts3: unvollständiges Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56b); 1 loses Blatt, einseitig beschrieben. Das mit der Paginierung »324« versehene Blatt enthält ein Textfragment des Kapitels »Der Gott der Leidenden«. Das Typoskript ist zweischichtig: ts3.1: Grundschicht. ts3.2: Überarbeitungsschicht: Korrekturen von Bubers Hand. d1: »Um die Gerechtigkeit«, Neue Wege, XXXIII/11, November 1939, S. 496-508 (MBB 605) 2 d : »Um die Liebe«, Neue Wege, XXXIV, Januar 1940, S. 10-23 (MBB 626).

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D : Zürich: Manesse 1950, 334 S. (MBB 825). d3.1: Konvolut von losen Blättern des Erstdrucks von D3 im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56b); die Blätter scheinen aus einem Druckexemplar herausgerissen zu sein; das Konvolut enthält Teile des Vorworts sowie oft zusammenhangslose einzelne Blätter aus den Kapiteln die mehrere handschriftliche Korrekturen Bubers enthalten. Diese Korrekturen führen auf D4 hin. 3.2 D : Autorenexemplar im MBA (Arc. Ms. Var. 350 books 271); enthält vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand, die auf D4 verweisen. 4 D : Werke II, S. 231-484 (MBB 1252). 3

Druckvorlage: D3 Übersetzungen: Englisch: The Prophetic Faith, übers. aus dem Hebräischen von Carlyle Witton-Davies, New York: MacMillan 1949, 247 S. (MBB 809); nur der Abschnitt »Heiliges Ereignis« sowie Teildruck des Abschnitts »Der Gott der Leidenden«: The Holy Event (Exodus 19-27) und Job, übers. von Carlyle Witton-Davies, in: Biblical Humanism. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, S. 80-92 u. 188-198 (MBB 1310) und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 80-92 u. 188-198 (MBB 1316). Hebräisch: Thorat ha-neviʾ im, Tel Aviv: Mossad Bialik durch Devir 1942, 224 S. sowie 1950 (MBB 654); 2. verbesserte Aufl. 1961, 222 S. (MBB 1183). Japanisch: Der Glaube der Propheten I-II (japanische Übersetzung), übers. von Masashi Takahaschi, Tokio: Misuzu-shobo, 204 S. (MBB 1312a). Niederländisch: Het Geloof van Israel, übers. von L. Alons, in: De godsdiensten der wereld. Onder redactie van Gerhardus van der Leeuw, I. Amsterdam: H. Meulenhoff 1940, S. [149]-253 (MBB 625); 2. Aufl. 1948, S. 168-307; 3. Aufl. 1956, S. 161-300; Het geloofen der profeten, Wassenaar: Servire 1972, 285 S. (MBB 1362). Variantenapparat: 139,12 symbolischen] sinnbildlichen h2, h3 139,14-15 – weil es mir innerhalb […] besondern geht –] fehlt h2, h3 139,Anm] fehlt h2, h3 139,18-19 entstandene Text] entstandene Text (immer noch der längste des Sammelwerks) h2

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139,20-21 Leidensmysterium] Leidensmysterium Israels h3 139,28-29 sie sich ausgesprochenerweise] sie (was sich ohne einschneidende Änderungen bewerkstelligen liess) sich h3 140,1-2 Ich habe mir […] Aufgabe gesetzt] [Es ist, wie man sehen wird, eher ein glaubensgeschichtliches, als ein religionsgeschichtliches Buch zu nennen] ! Ich habe mir […] Aufgabe gesetzt h3 140,1gesagt] der Titel besagt D4 140,6-7 man als das vorpersönliche bezeichnen kann] ich das vorpersönliche nennen möchte h3 140,7-8 dargelegt finden] [und in meinem Vortrag »Die sinnbildliche Existenz in der Welt der Prophetie« X meinen Vortrag »Sinnbildliche und sakramentale Existenz im Judentum« (Eranos-Jahrbuch 1934) in etwas veränderter Gestalt in mein demnächst auch in deutscher Ausgabe erscheinendes Buch »Die chassidische Botschaft« aufgenommen] dargelegt finden h3 140,12-14 – freilich an der Hand […] beantwortende –] h– freilich an der Hand […] beantwortende –i h3 140,12 Versuche] mehr oder minder erfolgreichen Versuche h3 140,12-13 vom Hof […] Glaubensgewalt unternommen] zur Zähmung der prophetischen Glaubensgewalt [einerseits [vom [Hof] ! König] ! von der Dynastik, andererseits von der Priesterschaft] ! vom Hof und von der Priesterschaft h3 140,14 semitischer] vorderasiatischer h3 140,16-17 von jenen Instanzen […] zweckentsprechend verwendet] vorgefunden und verwendet h3 140,17-18 , und ohne solche […] nicht gerecht] fehlt h3 140,19 vergleichende Bemerkungen] Bemerkungen h3 140,19-20 die wesentliche Gestalt] das Wesen h3 140,22-23 demnächst auch in deutscher Ausgabe erscheinendes] fehlt D4 140,26 Es ist immer wieder darauf hinzuweisen] [Ich habe hier und anderswo immer wieder darauf hingewiesen] ! Es ist immer wieder darauf hinzuweisen h3 140,26-27 nur dann in seiner Wirklichkeit begriffen] in seinem Wesen nur [erfasst] ! verstanden h3 140,27-28 sich die doppelte Gotteserfahrung] [die Gotteserfahrung] ! sich die doppelte Gotteserfahrung h3 140,29-30 unser Gott] Gott h3 140,34-35 – dadurch von allen […] abgehoben –] fehlt h3 140,35-36 alle Höhen des religiösen Ethos] die höchste Geistigkeit h3 140,36 hinein, als welche] hin, die D4 140,36-141,1, als welche […] kundbar geworden sind] fehlt h3

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141,5 Menschenmund bedarf] ergänzt Er begnügt sich nicht damit, wie der Gott Zarathustras und in Israel der Gott der hspäteri von der iranischen Religiosität beeinflussten Apokalyptiker, Antwort auf Fragen zu erteilen; er selber redet an Mal um Mal h3 141,6-7 Berufenen aus der natürlichen Ruf-Taubheit des Menschen] Anzuredenden aus seiner Taubheit h3 141,7 heraus] hervor D4 141,12-13 durchaus als ein um dieser seiner Rede willen Angeredeter] als Hörender h3 141,13 in der Spätzeit Israels] fehlt h3 141,14-15 der an erscheinende Engel […] zu erhalten pflegt,] fehlt h3 141,20-23 (vielfach tun es […] zu bewahren)] fehlt h3 141,23 geschieht das] tut er es h3 141,28 , über die Zeit erhoben,] h, über die Zeit erhoben,i h3 141,29 ein latentes] fehlt h3 141,29-31 von der alternativischen Dynamik […] auf sie hin] als Gegenwart in der Entscheidung h3 141,31 das Wort ihm auftut] ihm aufgetan wird h3 141,32 in seiner Rede steht er] er steht h3 141,35 teilhaben] teilnehmen h3 141,36 der äußersten] [unerbittlicher] ! der äussersten h3 141,37zeitlich fixiertes und unabdingliches] unabdingliches h3 141,40-41 dessen »Umkehr« zur Gnade] die »Umkehr« Gottes h3 142,1-2 mit Notwendigkeit stets nur ahnungsartig] stets ahnungsartig bleibende h3 142,4 Gotteswegs] Wegs h3 142,5 und der auf ihn wartenden Gnade] fehlt h3 142,7 zahlenmäßigen] festen h3 142,7-8 der Phasen im Weltkampf […] Finsternis und] fehlt h3 142,09 , ihr und allen Fristansetzungen der Apokalyptik] über die Finsternis hund aller apokalyptischer Berechnungi h3 142,10 Mysterium der messianischen Zukunft] [messianische Mysterium] ! Mysterium der messianischen Zukunft h3 142,14-15 Aus technischen […] worden.] fehlt d3.1, D4 143,1 Einleitung] Aufgabe und Quellen ts1.1, ts1.2, ts2.1, ts2.2 143,2-145,7 Die Aufgabe dieses Buches […] im Psalm gewinnt] ersetzt durch Die Aufgabe {eines knappen Abrisses der israelitischen Religionsgeschichte wie dieser kann im wesentlichen nur darin bestehen ts1.1, ts2.1 dieses Buches ts2.2}, die Geschichte des G l a u b e n s Israels {bis zum Ende des babylonischen Exils ts2.2} in ihren Grundzuegen darzustellen. Damit soll zweierlei gesagt sein. / Erstens: Es handelt

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sich um ein Volk, das in das Land seiner Siedlung, nach Kanaan, gemeinsemitisches Religionsgut mitgebracht {und in ihm selbst aufgenommen ts1.2 und sodann kanaanaeisches Religionsgut aufgenommen ts2.2} hat, Vorstellungen von goettlichen und daemonischen Wesen sowie von »Macht« und »Maechten« unpersoenlicher Art, Mythen von Vorzeit und Urzeit, eine {religioese ts1.1, ts2.1 magisch-religioese ts1.2, ts2.2} Ordnung des Lebens in Riten und Braeuchen, wozu noch manches von nichtsemitischen Voelkern, mit denen es in Beruehrung gekommen war, Uebernommene hinzutritt. {All dies gehoert an sich in andere Abschnitte der Religionsgeschichte (Geschichte der semitischen Religionen, Geschichte der aegyptischen Religion usw.), wo es in seinen originaeren Erscheinungen und in einem gewissen Masse auch in deren Ausstrahlungen zu behandeln ist. ts1.1, ts1.2, ts2.1 gestrichen in ts2.2} {In unserem Zusammenhang dagegen kann es ts1.1, ts1.2, ts2.1 All dies kann in unserem Zusammenhang ts2.2} nur insofern Gegenstand des Berichts und der Eroerterung sein, als es, in positiver oder negativer Einwirkung, zur Entstehung des spezifischen Glaubens Israels beigetragen, sodann ihn selbst beeinflusst hat und hinwieder von ihm beeinflusst worden ist, als er es aufgesogen und als er sich mit ihm auseinandergesetzt hatte. {Wir koennen dieses Teilthema unserer Darstellung als Randsphaere des Glaubens Israels bezeichnen. ts1.1, ts2.1, ts2.2 gestrichen in ts1.2} / Zweitens: Alles was wir an religioeser Formenwelt in Israel finden, also auch alles, was wir als selbstaendige Gestaltung oder Ausgestaltung ihm selber zuschreiben duerfen, hat uns hier wesentlich nicht als Bestandteile einer religioesen Ku l t u r {(deren Bestand und Entwicklung zu schildern die Aufgabe dieses Abrisses weitaus ueberschreiten wuerde) ts1.1, ts2.1 gestrichen in ts1.2, ts2.2} zu beschaeftigen, sondern als jener objektivierte Bereich, in dem sich der Glaube ausdrueckt und den wir daher vor allem auf diesen seinen Ausdruckswert hin zu betrachten haben, zugleich aber der Bereich, mit dessen allzusehr verselbstaendigten Gebilden der um seine Reinheit eifernde Glaube in Konflikt geraet und den wir daher auch auf diese seine Problematik hin zu betrachten haben. / Der hier verwendete Begriff des Glaubens ist daher der israelitischen Glaubensgeschichte entnommen. Es ist nicht der griechische, fuer den nicht bloss das Geglaubte, sondern auch d e r Geglaubte ein hoher und hoechster G e g e n s t a n d ist, sondern der hebraeische. Der »glaubende« Abraham (Gen 13,6) t u t damit etwas: er gelobt sich dem von ihm Geglaubten an, er schenkt ihm als dem Gott der Treue (emuna) sein Vertrauen (emuna), er verlaesst sich auf ihn, ueberlaesst sich, uebergibt sich ihm. Diese emuna

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zu dem Treuen, dem neeman, kann es nicht wie die {πιστις ts2.2} einem gegenueber geben, der selber unbeteiligt bleibt. Der so Geglaubte ist nie bloss Gegenstand einer Betrachtung oder Anbetung; er ist immer auch P a r t n e r einer Beziehung. I n dieser Beziehung wird er geglaubt. Es ist kennzeichnend, dass, was immer die Bibel dem Goetzendienern hinsichtlich ihres Verhaeltnisses zu den Goetzen vorwirft, so niemals dies, dass sie an sie »glaubten«: das kann man naemlich in Wirklichkeit nicht, weil sie doch keine Partner sein koennen; man kann nur meinen, man glaube an sie. / Unter einer Glaubensgeschichte Israels ist demgemaess die Geschichte seiner Beziehungserfahrung, der Erfahrung seiner Beziehung zu dem spezifisch von ihm Geglaubten zu verstehen, soweit wir eine solche Geschichte aus den Zeugnissen der Selbstwahrnehmung Israels und seines Selbstverstaendnisses – seines Wahrnehmens und seines Verstehens seiner selbst als des menschlichen Partners der Beziehung – zu entnehmen vermoegen. Die Sammlung der erhaltenen Zeugnisse {ist das Alte Testament ts2.1 sind die 24 Bücher der hebräischen Bibel ts2.2}, welches die Stadien der Beziehung, all ihr Ja und Nein, Bewaehrung und Versagen, Textverlust in ts1.1, ts1.2 aufgrund fehlender Seite} Naehe und Ferne, Schuld, Verstrickung, Umkehr und Gnade, erzaehlt, verkuendigt und besingt. / Eine andere Quelle der Glaubensgeschichte Israels als diese Sammlung besitzen wir nicht. Auch die {zum Teil sehr beachtenswerten ts1.1, ts1.2, ts2.1 gestrichen in ts2.2} archaelogischen Funde bilden hier keine Ergaenzung; sie helfen aber manches in seinen Hintergrund und seinen Zusammenhaengen genau verstehen und sind nicht zuletzt dadurch wichtig, dass sie viele bislang angezweifelten Angaben der Bibel bestaetigen, die auch glaubensgeschichtlich von erheblicher Bedeutung sind. ts1.1, ts1.2, ts2.1, ts2.2 143,23 können] dürfen D4 143,40 zu offenbaren] erblicken zu lassen D4 144,9-10 Im zweiten Teil] In diesem Zusammenhang D4 145,13 feststellen] eruieren D4 145,16 eigenen Träume] berichtigt aus eigene Träume nach D4 145,22 zusammenhängender] berichtigt aus zusammenhängenden nach D4 145,26 hofprophetisch] hoefisch ts1.1, ts2.1, ts2.2 145,27 zu tun ist] zu tun ist und der etwa der sog. jahwistischen Quellenschrift entspricht ts1.1, ts1.2, ts2.1, ts2.2 145,30 zu tun ist] zu tun ist und der etwa der sog. elohistischen Quellenschrift entspricht ts1.1, ts1.2, ts2.1, ts2.2

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145,32 zu tun ist] zu tun ist und der etwa dem sog. Priestercodex entspricht ts1.1, ts1.2, ts2.1, ts2.2 146,1 Ist das wissenschaftlich möglich? Wie ist es möglich?] gestrichen in ts1.2 146,4 Wert] Wert eines religiösen Dokuments ts1.1, ts2.1, ts2.2 146,5 israelitischer religiöser Anschauung] gestrichen in ts1.2 146,8 beginnt aber ein Teil der Erzählung] setzt aber eine Erzählung ein ts1.1, ts2.1 146,12-14 eine, die sie in ihrem Charakter […] behandelt und] eine in ihrem Charakter als Ausdruck der Bearbeitung der Tradition, die ts1.1, ts2.1 146,20 , so auch im Nahen Orient sehr oft,] gestrichen in ts1.2 146,21-22 das heißt […] lebenswichtiger] gestrichen in ts1.2 146,27 (in Liedversen oder in rhythmisierender »Prosa«)] gestrichen in ts1.2 146,30-31 von Erzählergeschlecht zu Erzählergeschlecht] gestrichen in ts1.2 146,32-34 (das, wie z. B. […] gehen kann)] gestrichen in ts1.2 146,37-38 Hintergrunds; wo] Hintergrunds. Wo D4 146,40 ist der geschichtliche Kern nicht fern] ist uns der geschichtliche Kern nah D4 147,13-17 es steht nämlich […] Verantwortung] gestrichen in ts1.2 147,22-32 Nur eine spekulative […] verkörpert hat.] gestrichen in ts1.2 147,34 Glaubensgeschichte] Religionsgeschichte ts1.1, ts1.2, ts2.1 148,6-18 kulminiert. Man muß daher […] zu ermitteln] kulminiert; andererseits ist nicht zu verkennen, dass mancherorten schon in Einzelerzaehlungen frueher Ueberlieferung Sondertendenzen natuerlich anderer Art als jene, {walten ts1.1, ts2.1 zu finden sind ts2.2}. Sodann ist der glaubensgeschichtliche Gehalt dieser Tradition, sein besonderer Platz im Werden der Religion zu erkennen ts1.1, ts1.2, ts2.1 148,19 können] koennen selbstverstaendlich ts1.1, ts1.2, ts2.1 148,21 weiter geschehen.] weiter geschehen. / Dagegen muss die Darstellung selbst anders vorgehen. Sie kann nicht mit dem Anfang, mit den Urstadien hebraeischen Glaubens, also mit etwas bislang Problematischem, Bestrittenem beginnen. Sie muss mit einem spaeteren Stadium beginnen, aber mit dem fruehesten unanzweifelbar dokumentierten, literarisch unanfechtbaren. Mit anderen Worten: sie muss mit der Befragung eines Textes beginnen, der nach dem Consensus der Wissenschaft spontaner Ausdruck einer bestimmten Geschichtszeit ist; ihm hat sie abzufragen, welches der Glaube Israels in jener Geschichtszeit war. Und nun hat sie Schritt um Schritt rueck-

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wartsgehend zu ermitteln, in welchen frueheren Epochen ein so beschaffener Glaube als schon, wenn auch naturgemaess in einem frueheren Stadium, vorhanden angenommen werden muss, bis sie bei einer anlangt, fuer die das nicht mehr zutrifft. Damit ist dann das Problem der Entstehung dieses Glaubens zeitlich determiniert. Danach kann erst versucht werden, den Geschichtsweg des Glaubens Israels von seinen Anfaengen an abzuschreiten, sein Werden und seine Wandlungen in ihren grossen Zuegen zu erfassen. ts1.1, ts1.2, ts2.1, ts2.2 149,30-31 ist offenbar nicht eine] scheint nicht eine zu sein ts2.1 150,16 Wildlocken wild wuchsen] Kriegslocken sich lockten d3.1, D4 150,21 hin zu den Führern von Israel] den Führern Israels zu d3.1, D4 150,22 Ihr im Volk euch willig Hergebenden] Den sich Willigenden im Volk! d3.1, D4 150,25 Da stieg hinab, was entrann] Schon steigt hinab der Rest d3.1, D4 150,28 sie kamen nicht zu Hilfe dem JHWH] nicht kamen sie JHWH zu Hilfe d3.1, D4 150,29 Zu Hilfe dem JHWH] JHWH zu Hilfe d3.1, D4 151,3 Schwinden werden so] So müssen schwinden d3.1, D4 151,4-5 Die ihn aber […] Heldenkraft] Aber die ihn lieben sind, / wie die Sonne ausfährt in der Heldenwehr d3.1, D4 151,10 folgende] die nachstehenden D4 151,16-17 Zieht nicht JHWH dir voran] Fuhr nicht JHWH aus vor dir her d3.1, D4 152,6-7 finsternden Wolken] Dunkelwolken D4 152,8-9 in Ugarit […] Epen der] mythischen Epen von Ugarit der D4 152,21 dem Gott von Israel] Israels Gott d3.1, D4 152,31 die Lade des Bundes] der Bundesschrein d3.1, D4 152,31-32 des Cherubenthroners« (V. 4), die] der Sitz hat auf den Keruben« (V. 4), der d3.1, D4 152,37 zwei] goldenen ts2.1 153,12 Nichts] Keiner d3.1, D4 153,13 überm Himmel zur Hilfe dir reitet] die Himmel befährt zu Hilfe dir D3.2, D4 153,14 über die Dünste] die Lüfte d3.1, D4 153,15 Dir zu Hilfe] Zu Hilfe dir d3.1, D4 153,15 Nichts] Keiner d3.1, D4 153,20 Selig du, Israel! ] Glückzu, Israel, dir! d3.1, D4 153,21-22 Volk, das befreit ward […] Hoheit ist!] Glückzu, Israel, dir! / Wer ist dir gleich, / Volk, das befreit wird durch JHWH, den Schild deiner Hilfe, / ihn, der das Schwert deiner Hoheit ist! D4 153,31 Höhen] Koppen d3.1, D4

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154,22-23 »Gottesrede« (vgl. V. 27) vorausgegangen sein muß] Sprueche JHWHS Ansprache sich anschliessend zu verstehen ist ts2.1 154,25 glaubwürdig] zuverlässig ts2.1, ts2.2 154,31 Einfalt] Schlichtheit D4 154,36 verschwört sich, es wolle] erklaert, es verschwoere sich ts2.1 schwört, es wolle ts2.2 154,37 wir wollen JHWH] wir, JHWH wollen wir D4 155,3 Erklärung] Erklaerung: sie wollen, wie Josua ihnen nun verspricht, Zeugen wider sich selber sein ts2.1, ts2.2 157,3 verlasset und Fremdgöttern] verlasset, Göttern der Fremde d3.1, D4 157,5 Nicht (so)] Nein D4 157,31-34 die uns in […] gedeutet zu werden] daher wohl von dem Erzaehler mit dem Schimpfnamen Teraphim, der Faulende, bezeichnet ts2.1 157,35 Kraftmehrer] Lebenstaerker ts2.1 157,38Mythos] berichtigt aus Mythus nach D4 159,8 JHWH […] JHWH] ihn […] ihn D4 159,10 steht nicht in] ist kein Teil D4 159,23-24 übernommenen] berichtigt aus übernommener nach D4 161,2 die vorgeschlagene] der vorgeschlagene Text D4 161,8 Mache dir kein Schnitzidol] Nicht mache dir Schnitzgebild, D4 161,10-12 unterhalb der Erde […] nicht nehmen] unter der Erde ist, neige dich ihnen nicht, diene ihnen nicht D4 162,4 Angeredeten] Angesprochenen D4 162,15 »Wahn«] »Wahnhaften« D4 162,16-17 Wer seine Seele nicht hintrug zum Wahn] Der zum Wahnhaften nicht hintrug seine Seele D4 162,22-23 dich aus dem Land […] Sklavenhaus führte] dich führte aus dem Land […] Haus der Dienstbarkeit D4 162,29 Und danach habe ich euch herausgeführt] Danach führte ich euch heraus d3.1, D4 164,35-36 Jetzt weiß ich, […] alle Götter] Jetzt habe ich erkannt, ja, groß ist JHWH über alle Götter d3.1, D4 166,20-21 hat mich zu euch gesandt] schickt mich zu euch d3.1, D4 167,7 weshalb] weswegen D4 167,24 gnade, wem (immer) ich gnade] begünstige, wen (immer) ich begünstige d3.1, D4 168,10 gab mich dem] ließ von D4 168,11-12 meinem Namen […] kundgeworden] aus meinem Namen JHWH bin ich ihnen nicht kenntlichgeworden D4 168,Anm 34 Priesterschrift] Priesterschaft D4

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169,11 durchs ganze] alles D 170,16-17 Ein abgesprengter Aramäer mein Ahn] Abgesprengter Aramäer mein Ahnvater d3.1, D4 170,27-28 Es war, […] meines Vaters] Als nun die Gottesmächte mich vom Haus meines Vaters abirren ließen d3.1, D4 170,31-32 hat mich von hinter den Schafen genommen] nahm mich von hinter der Schafherde her d3.1, D4 170,37 herausführte] führte D4 174,Anm 53 schon wieder] fehlt D4 175,29-30 Erhoben habe ich] Ich hebe d3.1, D4 175,30 Stifter] dem Stifter d3.1, D4 179,14 somit] dem gemäß D4 179,14-15 andere, und somit] andere. Ihr entsprechend D4 179,27 das ist wahrscheinlich] einem Ruf, der wahrscheinlich D4 182,2 Denn er erhob sich erhaben] denn hoch steig er, hoch D4 182,11 lagernd] lehnen D4 182,13 »Erbteil«] »Erbgut« D4 184,21-22 Erhebe dich] Steh auf D3.2, D4 184,41 (24, 10) ] berichtigt aus 20 nach D4 185,4-5 »Wohnung nahm« ] »einwohnte« d3.1, D4 186,12 des Wachens] der Wache D4 188,8 »verschnaufen«] »verschnaufen, eratmen« D4 188,13 »verschnaufen«] »eratme« D4 188,25-26 »ewiger Bund«] »Weltzeit-Bund« D4 188,26 ewig] Weltzeit D4 188,28 verschnaufte] eratmete D4 191,15-16 Opferregeln scheint] berichtigt aus Opferregeln nach D4 191,32 Angesicht zu Angesicht] Antlitz zu Antlitz d3.1 191,32 zum Gefährten] zu einem Genossen d3.1 194,Anm 97 noch unveröffentlichten] noch unvollendeten d3.1 unvollendeten D4 194,Anm 97 , Das Kommende, […] 2. Band] fehlt D4 196,13 ihrer] berichtigt aus seiner nach D4 197,9 , der in der Tat] – einen Vortrag, der D4 198,29 allen Völkern gleich] gleich wie’s alle Erdstämme haben D4 198,36-37 sein, daß auch wir werden wie alle Völker] sein, daß wir werden, auch wir, wie die Erdstämme alle D4 199,14 Völker] Erdstämme D4 199,27 Völker] Erdstämme D4 4

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200,24 Richtschnur] zusätzliche Anmerkung Um gegenwärtigen Kontext muß das Wort freilich als eine »Gerechtsame« bedeutend verstanden werden. D4 201,27 dem Zusammenbruch] der Katastrophe D4 201,37 Herrscher über die Menschen, gerecht] Walter über die Menschheit, bewährt D4 202,1 Herrscher] Walter D4 202,11-12 ihm voranziehen] vor ihm her ausfahren D4 202,14 werden noch geführt] gibt es wohl noch D4 203,33 zugeflogene] berichtigt aus zugepflogene nach D4 206,10 unrein] maklig D4 206,16 »Höhen«] »Koppen« D4 206,21-23 »ihren Göttern nachhuren […] nachhuren lassen«] »im Gefolg ihrer Götter huren« und »deine Söhne im Gefolg ihrer Götter verhuren« D4 206,28 »Weihemädchen« und »Weiheknaben«] »Heiligtumsbuhlschaft« D4 207,13 niederzureißen] zu schleifen D4 208,35 Ras Schamra] Ugarit D4 209,14 kommt] überkommt D4 209,19 dünnen] verschwebenden D4 210,19 »hervorbringenden«] »sprießen lassenden« D4 210,22 Könige 18, 31 f.] berichtigt aus Könige 31 f. nach D3.2, D4 212,19 Nach beiden] Sodann jedoch D4 213,11 II Samuel] berichtigt aus I nach D4 213,15 II Könige] berichtigt aus I nach D4 213,31 ganz Israel] alles Israel D4 213,33 keinen Herrscher] einen Herrn nicht D4 214,36 I Könige 22, 21] berichtigt aus 22, 21 nach D3.2, D4 215,22 wie alle Völker] »wie alle Erdstämme« D4 215,32 II Samuel 7, 5 ff.] berichtigt aus II 7, 5 ff. nach D4 217,29 beginnt] bekundet sich D4 220,10 da sie erschaffen worden sind] ihr Erschaffenwordensein D4 220,33 verrenkt sich] entartet D3.2, D4 221,12 gut] Gutes D4 221,13 gut] Gutes D4 225,10 Macht JHWHs und Macht] zwischen der Macht JHWHs und der Macht D4 225,12 Lebensdienst] zwischen Lebensdienst D4 226,22-23 dieser Mann, […] Wüste] dieser fremde Mann (wie sich später ergibt, […] Wüste) d1

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229,4 wohlausgestatteten] wohlausgestaltelten d 230,18-29 dahinrolle und Bewährung wie ein urständiger Bach] aufrausche und Wahrhaftigkeit wie verständige Bachflut D4 230,32-33 »Bewährung«] »Wahrhaftigkeit« D3.2, D4 230,33 Bewährung] Wahrhaftigkeit D3.2, D4 230,38 er] jener Doppelbegriff D3.2, D4 231,15-16 »stiftet Gerechtigkeit« und »tut Gerechtigkeit und Bewährung in Jakob«] »stiftet die Gerechtigkeit« d1 »liebt Gerechtigkeit« und »tut Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit in Jakob« D3.2, D4 231,17 Wahrspruch] Wahrhaftigkeit D4 231,19 Bewährung] Wahrhaftigkeit D3.2, D4 231,21 hüte] wahre D4 231,22 Bewährung] Wahrhaftigkeit D3.2, D4 231,29 ein urständiger Bach] eine urständige Bachflut D3.2, D4 231,34 Bewährung] Wahrhaftigkeit D3.2, D4 231,35 Bewährungslosen] Wahrhaftigkeitslosen D3.2, D4 231,37 Leichenklage] Totenklage D4 232,28 hin, es wird dir gelingen] hinauf und habe gelingen D4 232,30 Alternative steht] Alternative steht, daß ihre Weissagung ohne Hintergrund ist d1 233,10 Innerste] Aeußerste d1 233,18 gnädige und barmherzige] gönnende und erbarmende D4 233,18-19 sich des Bösen gereuen] es sich des Argen leid sein D4 233,27 Gott mag umkehren und sich’s gereuen lassen] umkehren möchte der Gott, es möchte ihm leidsein D4 233,41-234,1 gereuen] leidsein D4 234,5 lebet] und ihr dürft leben D4 234,7 lebet] leben bleibet D4 234,10-11 richtet im Tor […] Josefs begnaden] das Recht setzet im Tor ein, Gunst schenkt dann vielleicht JHWH, der Gott der Heere, dem Überrest Josefs D4 234,33 Richtbleis] Senkbleis D4 235,8-9 »ihr aber seid nicht zu mir umgekehrt«] »Umgekehrt seid ihr aber nicht zu mir her« D4 235,10 jedoch] aber d1 235,11 dürfte] sollte D4 235,13 dich deinem Gott entgegen] dich, deinem Gott gegenüberzustehn D4 235,14 steht bevor] ist nah D4 235,34 schreitet über die Höhen der Erde] tritt einher über die Koppen D4 1

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235,36 das Ende] die volle Zeit D 236,34 den Schafen] der Herde D4 237,20-21 Schafhirt […] Schafhirten] Hirt […] Hirten D4 237,31 Sicherheit] Kunde d1 238,18-19 Bewährung und Gerechtigkeit] Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit D4 238,34 wiewohl] ohne dessen zu achten, daß d2 239,24 buhlsüchtiges] hurerisches D4 240,1-2 »Auf, weiter noch […] ehebrecherisch«] »Geh noch hin, liebe ein Weib, vom Genossen geliebt und buhlerisch« D4 240,31-32 im Pentateuch] in der Thora D4 241,15-16 »Ihre Abkehr […] sie lieben.«] »Ich werde ihre Abkehr heilen, werde sie aus Willigung lieben.« D4 241,25 verwendet] verwendet. Die Sinnbildrede nennt die Baale mehrfach »Liebhaber« Israels (2, 7, 9, 12, 4, 15), aber nirgends wird auch nur dies gesagt, daß sie »liebe« d2 241,38 (Exodus 20, 6)] berichtigt aus (Exodus 20, 5) nach D4 242,27 ewig] Weltzeit D4 242,28 Wahrspruch] Wahrhaftigkeit D4 244,7-8 ich nicht Ehjeh euch] ich, für euch bin ich nicht da D4 244,8-19 Es heißt nicht […] mein Volk136] fehlt D4 244,14 damals habe ich] er hat d2 244,Anm] fehlt d2 245,5 (keineswegs zu streichende)] fehlt d2 245,7 , das Menschengeschlecht,] fehlt d2 245,11 freudige] frohe d2 245,15 ihr Lieben] das, was sie lieben d2 245,19 Bewährung] Wahrhaftigkeit D4 245,21 Bewährung] Wahrhaftigkeit D4 245,22 die gläubige, gottesdienstliche »Huld«] den gläubigen, gottesdienstlichen Holdsinn D4 245,25 der Huld] des Holdsinns D4 245,27 Bewährung] die Wahrheit D4 245,37 Erkennen seiner] Ihn-erkennen D4 246,14 Weihemädchen] Weihedirnen D4 246,31-32 sie werden ihn nicht finden – – er hat sie abgestreift] finden werden sie ihn nicht – abgestreift hat er sie D4 246,35 bezahlen] entgelten D4 247,17 dem Leben] allem Leben d2 247,29-31 Gottesvermählungen […] Verstärkung bedürfen] über4

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menschlicher und doch menschlicher Nachahmung und Verstärkung bedürfenden Göttervermählungen gesteigert erscheint d2 247,38 ein Vogel] geflügelt D4 248,2 einfältigere] schlichtere D4 248,4 vormals] einst d2 248,5 dereinst] einst d2 248,39 All ihres Bösen gedenke ich] Ich gedenke all ihres Bösen D4 249,10 fressen] verzehren D4 249,19 vor kurzem] fehlt D4 249,27 Könige gemacht] gekönigt D4 249,32 aufgenommenen] angenommenen D4 250,3 verlangen nach] suchen D4 250,17 Unglück] Unheil D4 250,28 wird uns nicht helfen, auf Pferden werden] kann uns nicht befrein, auf Rossen wollen D4 250,31-32 zu JHWH seinem Gott heran] hin zu JHWH seinem Gott D4 250,33 verheißt] heißt d2 251,1-2 , so spricht […] zu dir«] fehlt d2 251,2 gekommen sind wir zu dir] laufen dir zu D4 251,24 der Zukunft] zur Zukunft d2 252,11-12 dreht sich an mir um, mitsammen wallen meine] wendet sich wider mich, allzumal wallt mein d2 252,30 und wer] und weil, wer D4 252,31 Redaktor, gewiß] Redaktor des Buches, wohl D4 253,33 Ungeheure] Unermeßliche D4 255,4 Es wird geschehen] Geschehen wird’s D4 255,5 übrigblieb] übrig war D4 255,10 seinen Zustrom] seine Zuwendung D3.2, D4 255,16 Huld] Holdhaft D4 255,29-30 bin vernichtet] werde geschweigt D4 255,30 von unreinen Lippen] maklig an Lippen D4 255,31 von unreinen Lippen] maklig an Lippen D4 256,5 verhülle] mumme D4 256,5 ›Unrein! unrein!‹] ›Makelig! makelig!‹ D4 256,36 Selbstgespräch] Sinnen D4 257,5 »schwer zu machen«] zu »verstumpfen« D4 257,27-28 beschwert] verstumpft D4 258,6-7 verwüstet ist] wieder zur Abweide wird D4 258,14 damit die richtige] mit der Absicht, daß die rechte D4

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259,11 Menschen; wenn er »Berg der Heiligung«] Menschen, die Bewegung, die ins Heiligtum (kodesch) eingeht; wenn er »Berg des Heiligtums« D4 260,16 seinem Namen] diesem Namen D4 260,16 Da dies] Nachdem das D4 261,9 einen] einzigen D4 261,20 Abkehr] Umkehr D4 261,21 im Stillehalten und in Zuversicht] in S t i l l e und in Gelassenheit D4 261,41-262,1 Bewährung […] Bewährung […] Bewährung] Wahrhaftigkeit […] Wahrhaftigkeit […] Wahrhaftigkeit D4 262,1 Zuversicht] Gelassenheit D4 262,22 Das wird nicht bestehn, das wird nicht geschehn] Nicht soll das bestehn, nicht soll das geschehn D4 262,29 Wenn ihr nicht vertraut, dann bleibt ihr] Vertraut ihr nicht, bleibt ihr D4 262,32 danebenstellt] berichtigt aus nebenstellt nach D3.2, D4 263,10-11 Der Vertrauende will nicht beschleunigen] Der vertraut, wird nicht beschleunigen wollen D4 264,1-2 erhält oder erhalten soll] gewährt wird oder werden soll D4 264,25 nicht] nimmer D4 265,24 Thron] Stuhl D4 265,24 die zu errichten] zu gründen die D4 265,25 Bewährung] Wahrhaftigkeit D4 265,25-26 der Eifer JHWHs der Heere wird das vollbringen] das wird vollbringen der Eifer JHWHs der Heere D4 266,2 verschmähen] verwerfen D4 266,17 der Beute] des Siegesgewinns D4 267,28 Mythos] berichtigt aus Mythus nach D4 268,1 Prüfung] Probe D4 268,4 fallende] zerfallende D4 268,23 Lanzeneisen und -holz] Speeres Eisen und Holz D4 269,9-10 den Gebeugten […] Söhnen des Dürftigen] für die Gebeugten des Volkes rechte, die Söhne des Dürftigen befreie D4 269,12 rette] löse D4 270,35-271,1 Zionsberg Wohnung nimmt] Berge Zion einwohnt D4 271,27 »warnt«] mahnt D4 271,37-38 »ausländisch«] »fremdländisch« D4 271,41 fassen] berühren D4 272,16 versehe] berichtigt aus versehen nach D4 272,31 Drangsal] Angst D4

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274,11 herrscht] waltet D 274,29 dem ganzen Berg] all dem Berg D4 275,38 inmitten der Erde] im Innern des Erdlands D4 278,4 statthalterlichen Auftrag] Beginn des Fragments von h1 278,5 der Führung JHWHs] [Gottes Führung] ! der Führung JHWHs h1 278,7 göttliche Ordnung] [unbedingte] göttliche Ordnung h1 278,9 können] [wollen] ! können h1 278,11 Mythos] berichtigt aus Mythus nach D3.2, D4 278,14 menschlichen Art«] menschlichen Art« [, keineswegs »gehört er in die Klasse des Elia«] h1 278,15-16 unbegründet […] unbegründet] [unzutreffend] ! unbegründet […] [unzutreffend] ! unbegründet h1 278,21-22 Ebenbildlichkeit entfaltet hat] menschliche Ebenbildlichkeit Gottes entfaltet h1 278,25 Er »berät«] [Er nimmt den Auftrag entgegen und führt ihn aus. Er »rät«] ! Er »berät« h1 278,27 verstattet] nicht vorenthalten will h1 278,28-30 Die Propheten […] entheiligt worden.] fehlt h1 278,31-32 weil der politische Bereich ihm fern wäre] um [das Politische] ! den politischen Bereich ihm fern zu halten h – er ist und bleibt eine »politische« Gestalt – i h1 278,34 einzigen wahren Melekh] einzigen Melech h1 279,4 Königswürde zugestehn] Königstitel [zuzugeben] ! zugestehn Ende des Fragments h1 280,4 auch sein Gott] sein Gott D4 280,6 all dies geht] so geht doch all das D4 280,7-8 ihm – das ist […] Gewißheit – seine] – das ist […] Gewißheit – dem Heiligtum seine D4 280,33 Tapferkeit] Heldenmut D4 280,35 gemeine] gemeinsame D3.2, D4 281,3 fressen] verzehren D4 281,13 »Bewährung«] »Wahrhaftigkeit« D4 281,13 »Huld«] »Holdschaft« D4 281,14 »Huldliebe«] »Holdschaftsliebe« D4 281,15 »züchtig«] »bescheiden« D4 281,24 mitten] drinnen D4 281,26 mitten unter] drinnen bei D4 281,26 Uebel] Böses D4 281,29-30 umgepflügt] gepflügt D4 282,1 stehende] zu lesende D4 282,25 zu »ewigem Sitz«] einen ewigen Sitz D4 4

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282,25-26 das dämmrige Haus gebannt zu sein] dem dämmrigen Haus zu haben D4 283,9 geleiden] leidsein D4 283,11 geleiden] leidsein D4 286,17-18 das ganze] alles D4 286,18 »vor JHWH«] »vor JHWHs Angesicht« D4 286,18 Worte] Reden D4 286,21 »mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele«] »mit allem Herzen und mit aller Seele« D4 286,22 die ganze Thora] alle Thora D4 286,32-33 Bewährung] Wahrhaftigkeit D4 286,33-34 ein Sachwalter war] als Sachwalter waltete D4 289,9 der Völkerwelt] den Weltstämmen D4 291,5 geleiden] leidsein D4 291,9 »tobt«] »wallt« D4 291,32 Worte] Reden D4 291,34 Auszug] Extrakt D4 292,13 nimmt] raubt D4 292,25 ziehen wir zum] steigen wir den D4 292,33 »Wie doch«] »Weh« D4 293,22 verworfenes] verschmähtes D4 294,40 ewige König] König der Weltzeit D4 295,4 schonend (7, 5 f.)] Beginn des Fragments von h1 295,5-6 »in diese Tore kommen, um sich vor JHWH zu bücken«] durch diese Tore kommen, um vor JHWH sich niederzuwerfen D4 295,6 er verwirft sie,] fehlt h1 295,9 entheiligte] [entweihte] ! entheiligte h1 295,11 Wohl, auch ich selber habe gesehen [daß es das ist]] Wohl, ich sehe es so an h1, D4 295,11-16 Ein Tempel […] nachgehn« (V. 9)] fehlt h1 295,19 Gott etwas anderes fordert als Religion] [es nicht Religion ist, was Gott fordert] ! Gott etwas anderes fordert als Religion h1 295,20-22 Aus einer Menschengemeinschaft […] wurde, der Anspruch] Gerade von dem Glaubensverhältnis aus und um seinetwillen geht hier der Anspruch h1 295,27 innersten Raum] [innersten Raum] ! innersten Zelle h1 295,28 Gegen die] [Wir spüren hier stärker als irgendwo anders, dass Thron und Prophetie hier, wie den zerfallenden städtischen] ! gegen die h1 295,29 geistverlassene] zerfallende h1 295,30 Gottesweisung] [Weisung] ! Gottesweisung h1

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295,37-38 warum und wie beide] warum und wie (die Frage ist [strittig und unentschieden] ! unentschieden und kaum zu entscheiden) beide h1 295,38-39 birgt die Gesetzestafeln, […] JHWHs] ist der Schrein der [Tafeln] ! Gesetzestafeln und [Thron JHWHs] sie trägt Kapporeth, den Thronsitz JHWHs h1 296,4-5 abgefaßt] niedergeschrieben h1 296,8 um dessen Erfüllung] [für den] ! um dessen Erfüllung h1 296,10-11 zu vollkommener Wirklichkeit] zur Wirklichkeit h1 296,11-12 Die Deuteronomiker] Das Deuteronomium h1 296,14-18 Jeremia, der, ungeachtet […] JHWH wird selber sein Wort] Jeremia hat erkannt, erst müsse es [Gott] ! JHWH selber h1 296,22 herbeischaffen] herbeiwünschen h1 296,24 Wohl grüßt in seinem] [Auch im Trostbüchlein sagt] ! Wohl grüsst in seinem Trostbüchlein h1 296,24 erlöste] [künftige] ! erlöste h1 296,26-27 Trift der Bewährung, Berg der Heiligung] Wahrhaftigkeitstrift, Berg der Heiligkeit D3.2, D4 296,27 Heiligung!«] Heiligung!« [Des Tempels gedenkt er nicht mehr] h1 296,30-31 , der ja nicht einmal […] bestehen läßt] fehlt h1 296,31 Der Tempel] [Nach dem Spruch von der »Räuberhöhle« gibt es in seiner Weissagung keinen Tempel mehr.] Er fehlt h1 296,33-34 unerwähnt] unerwähnt. Nach dem Spruch von der »Räuberhöhle« [gibt es für Jeremia und die Seinen keinen] ! und dem von dem Gott, der sein Haus verlassen hat, gibt es für Jeremia und die Seinen keinen Tempel mehr: über dessen [Zukunft] ! Erneuerung tut ihm JHWH nichts kund h1 296,34-40 Jeremia selbst […] Zugang (36, 5).] fehlt h1 297,1 äußersten] extremen h1, D3.2, D4 297,3 Weissagung und ihre Wirkung] Spruch und seine Wirkung auf König und Volk h1 297,4 Künders] [Propheten] ! Künders h1 297,6-9 Anklage des Prüfers […] »Wiederkehr«] Anklage des Prüfers – die grosse Anklage gegen die Machthaber und ihre Handlanger, gegen Könige und Fürsten, Priester und Propheten – und Klage, die grosse Klage über das sich vollziehende Unheil; [dazwischen hören wir, selten, einen dritten Zeugen] ! erst als es in all seinem Grauen über Israel hereingebrochen ist, vernehmen wir einen dritten, nicht minder grossen Ton, der über Anklage und Klage hinausweist, des Propheten Verheissung der »Wiederkehr« h1 297,17 »bewährte Sproß«] »Spross der Wahrhaftigkeit« D4

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297,18 Bewährung] Wahrhaftigkeit D 297,18 Jeremia 33, 15] berichtigt aus Jeremia 32, 5 nach D4 301,13 Mythos] berichtigt aus Mythus nach D3.2, D4 303,5 das Echte] berichtigt aus des Echte nach D4 303,16 persönlich] persönlich zu verstehen D3.2, D4 303,28-29 Niederlage um Niederlage] Niederbruch um Niederbruch D3.2, D4 303,30 verheert […] verheert] gewaltigt […] gewaltigt D3.2, D4 304,5 göttliche Erscheinung] Beginn des Fragments in h1 304,5-6 Erscheinung sich dem Glaubenden erneut zu wandeln beginnt] Erscheinung [des Gottes] sich [ohne zum zweitenmal X ändert. Wie der Gott der Wanderer, durchaus derselbe bleibend, doch] ! dem Glaubenden erneut zu wandeln beginnt h1 304,11 Streiten] [Kämpfen] ! Streiten h1 304,15 Allgott] Allgott [. Aber er bleibt zugleich bei den Verstossenen] h1 304,15 »ein Gott aus der Ferne«] »Ferngott« D3.2, D4 304,21-23 Geduckten […] Herz der Geduckten] Zermalmten und Geisterniederten, zu beleben das Herz der Gemalmten D3.2, D4 304,23 Geduckten«.] Geduckten«. [So nimmt er am Leiden der Leidenden teil] h1 304,29 in eine immer reinere und tiefere Gemeinschaft mit JHWH führt] [die Gottesgemeinschaft immer reiner und in ein immer reineres und tieferes Glaubensverhältnis führt] ! in eine immer reinere und tiefere Gemeinschaft führt h1 304,34 Sinns zu rücken.] Ende des Fragments in h1 305,5 so elementar] dermaßen elementar D3.2, D4 305,36-38 – hier schon Eigenname […] »Widersacher«-Geistes –] (oder »ein Hinderer«) D3.2, D4 307,8 Gerechte] Bewährte D3.2, D4 307,8-9 Gerechten] Bewährten D3.2, D4 307,10 (18, 21)] berichtigt aus (8, 21) nach D3.2, D4 307,35 (36, 22-28)] berichtigt aus (36, 24-28) nach d3.1, D4 309,5 »Frommer und Frevler«] »Schlichte und Schuldige« D3.2, D4 309,7 Frevler] Schuldigen D3.2, D4 309,9 Frommen] Schlichten D3.2, D4 309,11 waren] eilten D3.2, D4 309,11 schwanden] entglitten D3.2, D4 309,12-13 »friedlich sind […] Gott reizen«] »befriedet bleiben die Zelte der Vergewaltiger, Sicherheit ist derer, die Gott zürnen« D4 309,32-33 »Er bricht […] hinweggehn«] »Er reißt mich rings nieder, daß ich vergehe« D4 4

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309,34-35 »Gott überliefert […] er mich«] »Gott hat mich Falschgesinnten ausgeliefert, mich in Schuldbeladner Hände geschleudert« D4 310,23 »anstiften« oder »aufhetzen«] »reizen« oder »anstiften« D3.2, D4 311,30 so »verzäunt« ] sich gegen ihn so »abgeschirmt« D3.2, D4 311,30 sich ihm »sein Weg verbirgt«] ihm sein Weg verborgen bleibt D3.2, D4 311,37 diese seine] dessen D3.2, D4 312,1 Gedichts] Buches D3.2, D4 312,3 Bergung] Verbergung D3.2, D4 312,15 »behandelt ihn krumm«] »krümmt es ihm« D3.2, D4 312,16 es gibt] da ist D3.2, D4 312,24-25 »Eins ist’s, […] vernichtet« (9, 22)] fehlt D3.2, D4 313,14 »So wahr Gott […] entzog«] »Beim lebendigen Gott, der mein Recht hieß entweichen« D3.2, D4 313,17-18 »Gäb’s doch einen, der mich hörte!«] »Wer gäbe mir den, der auf mich hörte!« D3.2, D4 313,22 »Daß ich doch wüßte, wo ich ihn finde!«] »Wer gab’s, ich wüßte ihn zu finden!« D3.2, D4 313,27 den Rächer seines Blutes] seinen Auslöser D3.2, D4 313,27-28 , das die Erde […] an Gott] fehlt D4 313,30 geschickten Wirklichkeit] Beginn des Fragmentes von h1 313,31 untergehen] untergehen: nur sie kann darüber hinausführen. [Dadurch, dass er ihm gegenwärtig wird, wird Gott ihm Zeuge und Rächer] h1 313,32 er glaubt es nur] [er glaubt es ist unwissbar] ! er glaubt es nur h1 313,34-35 begehre gegen […] verleugnet«] [appelliere an einen Gott, der sich ihm gegenüber »nicht seinem innersten Wesen entsprechend verhält«] ! begehre gegen […] verleugnet« h1 313,36-37 Damit wird der Sinn des Problems verkehrt.] hDamit wird das Problem verkehrti h1 314,1 »sein innerstes Wesen« und] fehlt h1 314,2 Norm« wiederfinde] Vergeltungsnorm« wiedergewinne h1 314,3 ihm erscheine] [ihm seine Wirklichkeit offenbare] ! ihm erscheine h1 314,4 der Nachfolge] den Spuren h1 314,6 der Verzweiflung] des grossen Leidens h1 314,20 mit JHWHwird] berichtigt aus wird nach D3.2, D4 315,6 Grenze] Schranke D3.2, D4 315,9-10 »Gebieten« und »Bestimmen«] »Entbieten« und »Zuerkennen« D3.2, D4 316,28 soll für euch beten] bete für euch D3.2, D4

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317,3 die »Vertrautheit«] das »Einvernehmen« D , D 317,28 birgt] hüllt D3.2, D4 317,35 den die Erzählung] berichtigt aus dem die Erzählung nach D4 318,19 Gott ist doch] Gewiß, Gott ist D4 318,35-36 fetten] feisten D4 318,36 Gewalttätigkeit] Hoffart und ihre Unbill D4 318,37 einen Kragen, […] lag] ein Halsgeschmeid D4 319,23 schlüpfrigen Boden] Schlüpfriges D3.2, D4 319,24 der »Verheerung«] in »Berückungen« D4 319,25 zufallen] verfallen D4 319,26 »zur Wüstenei«] »zu Starrnis« D4 319,26 vergehen] schwinden D4 320,20 schwinden] verenden D3.2, D4 320,23 schwinden] verlieren sich D3.2, D4 320,24 nah sein] nahn D3.2, D4 320,26 wirst du mich leiten] leitest du mich D3.2, D4 321,35 »nachttiefer Bangnis«] »Angst und Verfinsterung« D3.2, D4 322,30 »mit einem Wort«] mit einer »Rede« D3.2, D4 324,2 gießen] schütten D3.2, D4 325,1 unverkennbare] fehlt D3.2, D4 325,30 Einlöser, Erlöser] Auslöser, Einlöser D3.2, D4 326,19 spätgeborenen] nachgeborenen D3.2, D4 326,20 der »Wurm Jakob«] das Jakobswürmlein D3.2, D4 326,33 nicht] nimmer D3.2, D4 326,37 Huld] Weltzeit-Huld D3.2, D4 328,24 Heilskunde] Heilsbotschaft D4 329,37 »heimgesucht«] »angeordnet« D3.2, D4 330,15-16 Ich bin JHWH, keiner ist sonst: […] der das Heil] Ich bins, JHWH, und keiner sonst: […] den Frieden D3.2, D4 331,35 Freiheit und Rechmäßigkeit] Heil und Bewährung D3.2, D4 332,10 durchbohrte] erstach D3.2, D4 332,11 Abgrunds] Wirbels D3.2, D4 332,12 die Erlösten] Ausgelöste D3.2, D4 332,18 wiederzugeben pflegen] wiederzugeben pflegen, das aber offenbar einen tosenden Wirbel bedeutet, D3.2, D4 333,12 sie wie Kyros] die Völker, wie Kyros D3.2, D4 333,20 Gerechtigkeit] Wahrhaftigkeit D3.2, D4 333,30-31 »die verödeten Erbteile zugeteilt«] »verödete Eigentume zugeeignet« D3.2, D4 333,31-32 »bis ans Ende der Erde«] »von allem Erdland« D3.2, D4 334,2 Elenden] Gebeugten D4 3.2

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334,7 neue Ordnung] neue, gerechte Ordnung D , D 334,8 Küsten seiner Unterweisung] Ozeanküsten seiner Weisung D3.2, D4 334,18-19 Wahrlich, du bist ein sich verbergender Gott] Gewiß, du bist eine Gottheit, die sich verbirgt D4 334,25-26 Versammelt euch […] herzu] Zuhauf! kommt! miteinander stellet euch ein D4 335,11 Erbteile zuzuteilen] Eigentume einzueignen D3.2, D4 336,11 einem späteren] berichtigt aus einer späteren nach D3.2, D4 336,20 im Mutterleib] vom Mutterleib auf D3.2, D4 336,32 der zu vollziehen] dessen Vollzug D3.2, D4 338,11 43, 15; 44, 6] berichtigt aus 43, 15, 44, 6 338,39-339,1 nicht lasse ich […] Schnitzbildern] meinen Ehrenschein (kabod) gebe ich nicht einem andern, noch den Schnitzbildern meinen Lobpreis D4 339,8 erschienen] gekommen D4 339,8-9 sage ich an […] zu hören] melde ich an; eh es wächst, lasse ich euch es erhorchen D4 340,31 »Morgen um Morgen weckt er mir das Ohr«] »Am Morgen weckt er das Ohr mir« D3.2, D4 341,37 Gerechtsame] Recht D3.2, D4 342,11 »Bund des Volks«] »Volksbund« D3.2, D4 342,17 »Mein Herr […] gegeben«] »Gegeben hat mein Herr JHWH mir eine Lehrlingszunge« D3.2, D4 343,1 »Gehörtes«] »Erhorchtes« D3.2, D4 343,18 »einlöst«] »auslöst« D3.2, D4 343,31-32 »die Zucht unseres Friedens«] die »Züchtigung und zum Heil« D3.2, D4 345,4 »Vielen«] berichtigt aus »vielen« nach D3.2, D4 347,39 verwischen] berichtigt aus vermischen nach D4 348,14 hinweg] hinaus D3.2, D4 348,22 persönlichen Element] Beginn von ts3 348,26 Volk Gottes […] Volk Gottes] Gottes […] Gottes ts3.1 348,39 dauernden] fehlt ts3.1, ts3.2 348,40 wie bei Deuterojesaja] fehlt ts3.1 349,4 geschlossenes] beschlossenes ts3.1, ts3.2 349,6 ganzes Gemeinschaftsleben] Ende von ts3 349,18 Königreich] Königsbereich D4 3.2

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Wort- und Sacherläuterungen: 139,2-3 bald nachdem ich […] angetreten hatte] Im März 1938 emigrierte Buber nach Palästina; im gleichen Jahr übernahm er an der Hebräischen Universität Jerusalem, die von ihm im Jahr 1925 mitbegründet worden war, den Lehrstuhl für Sozialphilosophie. 139,3-4 Prof. Gerardus van der Leeuw] Gerardus van der Leeuw (18901950) war ein niederländischer protestant. Theologe, Religionswissenschaftler und Ägyptologe; 1933 veröffentlichte er eine Phänomenologie der Religion; im Vorwort zur englischen Ausgabe (Religion in Essence and Manifestation. A study in Phenomenology, transl. by J. E. Turner, London 1938, S. 11) bezeichnet van der Leeuw Bubers religionswissenschaftliche Arbeiten – neben denjenigen einiger weiterer Autoren – als »research of the first order of importance and value«. 139,5 »Die Religionen der Welt«] De godsdiensten der wereld, onder redactie van G. van der Leeuw, met medewerking van J. N. Bakhuizen van den Brink [u. a.], Amsterdam 1941; 2. Aufl. Amsterdam 1948; darin Bubers Beitrag unter dem Titel: »Het Geloof van Israel«, S. 168-307. 139,Anm 1 Dr. Moritz Spitzer] Moritz Spitzer (1900-1982) war schon zu Schülerzeiten an zionistischen Aktivitäten beteiligt. Mit Martin Buber war er seit 1916 bekannt, als er sich an ihn mit der Bitte um Rat hinsichtlich der Bildung eines Kartells zionistischer Mittelschüler wandte. Eigentlich Indologe, war Spitzer von 1932 bis 1934 wissenschaftlicher Assistent Bubers und von 1934 bis zu dessen Schließung 1938 Lektor des Schocken Verlags; sein Interesse galt neben dem Lektorat auch der typographischen Gestaltung der Bücher. 1938 wanderte Spitzer nach Palästina aus, wo er als Verleger und Typograph Bedeutung erlangte. 140,6-7 in dem Kapitel […] Berlin 1936)] Martin Buber, Königtum Gottes, Berlin: Schocken 2. Aufl. 1936, S. 160-182 (nach der 1. Aufl. 1932 jetzt in: MBW 15, S. 186-199). 140,21 »Sinnbildliche und Sakramentale Existenz im Judentums«] Eranos-Jahrbuch 1934, Zürich: Rhein-Verlag 1935, S. 340-367 (jetzt in: MBW 17, S. 160-177). 140,23 »Die chassidische Botschaft«] Martin Buber, Die chassidische Botschaft, Heidelberg: Lambert Schneider 1952, S. 128-156; der Aufsatz erschien außerdem in Martin Buber, Deutung des Chassidismus – Drei Versuche, Berlin: Schocken Verlag 1935, S. 65-93. 141,2-3 den Künder, den Nabi] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7.

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141,4 »Weisung« (thora)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 103,16-17. 141,8 »Lehrling«] Vgl. Jes 8,16; zu den »Lehrlingen« (hebr. limmudim) vgl. auch Buber, Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, in diesem Band. S. 99-101; bes. S. 99 f.; sowie Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 272. 141,8-10 Mitten aus dem […] Stimme zu ihm.] Anspielung auf Ex 34,17, wonach Gottes Stimme zu Moses aus einem brennenden Dornbusch spricht; zur Erscheinung des brennenden Dornbuschs vgl. auch Martin Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102113; bes. S. 104; sowie das Kapitel »Der brennende Dornbusch«, in Martin Buber, Moses, Zürich: Gregor Müller Verlag 1948, S. 56-81; im vorliegenden Band, S. 382-397. 141,13-15 wie in der Spätzeit […] zu erhalten pflegt.] Zu Bubers Unterscheidung von Prophetie und Apokalyptik, vgl. Martin Buber, Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde, in: Merkur, 8. Jg., Heft 12 (Dezember 1954), S. 1101-1114; jetzt in: MBW 15, S. 380393. 141,39 »Wer weiß!« der Niniviter (Jona 3, 9)] Vgl. Jon 3; Jonas Ankündigung der Zerstörung der Stadt bewirkt bei den Menschen von Ninive Reue und Buße und darauf folgend die Hoffnung, dass Gott sein Vorhaben der Vernichtung aufgibt. 142,7-9 der iranischen zahlenmäßigen […] Sieges des Lichts] Die iranische Religion des Zoroastrismus vertritt die Lehre, wonach die Welt sich in ein Reich des Lichts und ein Reich der Finsternis teilt; deren Herrscher stehen in einem andauernden Kampf miteinander, der sich in vier Perioden bestehend aus jeweils 3000 Jahren teilt; am Ende wird der Herrscher des Lichts siegen und den Herrscher der Finsternis in den Abgrund stoßen. 143,3-4 von den letzten Jahrzehnten […] babylonischen Exils] Das Nordreich Israels wurde während der Königszeit Hoseas im Jahr 722 v. Chr. durch die Assyrer erobert. Im Jahr 586 v. Chr. begann das babylonische Exil (Zerstörung des Reiches Juda und des ersten Tempels in Jerusalem; eine erste Deportationswelle hatte bereits 597 v. Chr. die Oberschicht nach Babylon gebracht) und dauerte bis zum Jahr 538 v. Chr. (Rückkehr-Edikt des Perserkönigs Kyros II.; vgl. dazu auch die Wort- und Sacherläuterung zu 667,10-11). 144,26 »Umkehr«] Der Begriff der »Umkehr« (hebr. teschuwa) ist ein zentraler Bestandteil der biblischen und talmudischen Lehre des Judentums; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 233,11 sowie 668,34-35.

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145,17-20 Der große Versuch […] zu datieren unternimmt] Vgl. Buber, Genesisprobleme, in diesem Band, S. 89-98, vgl. insbes. die Wortund Sacherläuterung zu 89,10-11. 146,7-8 Wanderung der Terachiden] Terach war der Vater Abrahams (vgl. Gen 11,26); die Sippe der Terachiden zog nach bibl. Überlieferung von Ur nach Haran; vgl. auch unten, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 171 f. 146,19-22 Geschichtssang und […] lebenswichtiger Ereignisse.] Vgl. zum gesamten hier folgenden Abschnitt auch das einleitenden Kapitel »Sage und Geschichte« in Martin Buber, Moses, in diesem Band, S. 357-363. 146,32-33 in der Geschichtssänger-Kaste der schriftlosen Aschanti] Die Aschanti sind ein westafrikanisches Volk, im Gebiet des heutigen Ghana lebend; die mündliche Überlieferung stellt bis heute die wichtigste Form der Traditionsüberlieferung dar. 149,Anm 3 meine Verdeutschung […] Kap. 8] Das Buch Richter, verdeutscht von Martin Buber, gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Berlin: Lambert Schneider 1927; Buber, Königtum Gottes, Achtes Kapitel: Um die Theokratie, S. 137-182 (nach der 1. Aufl. 1932 jetzt in: MBW 15, S. 174-199). 149,8-9 der der Afghanen […] vor etwa einem Jahrhundert] Die drei afghanisch-britischen Kriege zur Zeit des Britischen Empire: 18381842, 1878-1880, 1919. 149,15 nephesch] Hebr. nefesch (‫ )נפש‬wird in der Hebräischen Bibel sehr differenziert gebraucht; allg. wird es mit »Seele« übersetzt, zumeist – so auch hier bei Buber – im Sinn eines lebenden Körpers, einer lebenden Kreatur. 149,21 aus akkadischem Schrifttum] Akkadisch, entstanden um 3200 v. Chr. und abgeleitet vom Namen der Stadt Akkad, ist die älteste bekannte, schriftlich überlieferte semitische Sprache; fast ausschließlich in Keilschrift geschrieben, wurde sie in Mesopotamien gesprochen, zeitweise aber auch weit über dieses Gebiet hinaus in Vorderasien bis nach Ägypten als Schrift- und Verkehrssprache benutzt; seine beiden Hauptdialekte sind Babylonisch und Assyrisch; mit der Ausbreitung aramäischer Stämme in Mesopotamien ab dem Ende des 2. Jt.’s und der damit einhergehenden Verbreitung der aramäischen Sprache im Vorderen Orient, verdrängte Aramäisch schließlich das Akkadische; 149,21 Marduk] urspr. der Stadtgott von Babylon, wurde mit der Entstehung des babylonischen Reiches im 2. Jt. v. Chr. zum Reichsgott erhoben.

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149,22 Elam] östl. des Tigris gelegen, wurde mehrfach von den verschiedenen herrschenden Mächten Mesopotamiens erobert, darunter von den Babyloniern und Assyrern. 149,22 Aschur] auch Assur, Stadtgott der gleichnamigen Stadt in Mesopotamien, wird, ähnlich wie Marduk in Babylonien, zur Zeit des assyrischen Reichs ab dem Ende des 2. Jt.’s als Reichsgott, insbes. als Kriegsgott, verehrt. 149,36-150,8 Die bemerkenswerteste […] aufzunehmen hat.] Die hier beschriebene hermeneutische Methode des Leitworts bzw. der »Wiederholungsformen« als zentral für den Sprachstil der Bibel wird von Buber in seinen Schriften zur Bibelübersetzung, zusammen mit Franz Rosenzweig gesammelt herausgegeben als: Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936, ausführlich behandelt: vgl. v. a. seinen Aufsatz »Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuch«, in: Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 211-238; jetzt in: MBW 14, S. 95-110; für weitere Aufsätze Buber zum Leitwortstil vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 90,Anm 4 u. 104, Anm 2. 150,16-18 Da Wildlocken wild […] Feind besiegt war)] In der Übersetzung von Buber/Rosenzweig lautet die Stelle: »Da Kriegslocken sich lockten in Jissrael« (Ri 5,2). 150,Anm 8 Gesenius im Thesaurus] Heinrich Friedrich Wilhelm Gesenius (1786-1842), Theologe und wegweisender Forscher auf dem Gebiet der semitischen Sprachen, bes. des Hebräischen; Buber bezieht sich hier auf: Wilhelm Gesenius, Thesaurus philologicus criticus linguae hebraeae et chaldaeae veteris Testamenti, Leipzig 1829-1858. 151,3-5 Schwinden werde so […] in ihrer Heldenkraft.] Ri 5,31. 152,3 wie der Hadad der Syrer, »ein Wettergott«] Der Wetter- und Sturmgott Hadad, auch Adad, ist eine der bedeutendsten Gottheiten im syrischen Pantheon. 152,4-5 wie der Aschur der Assyrer, »ein Kriegsgott«] Vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 149,22. 152,8 in Ugarit (Ras Schamra)] Nach seinem archäologischen Fundort als Ras Schamra bezeichneter semitischer Stadtstaat im Nordwesten Syriens, der um 1200 v. Chr. zerstört wurde; die bedeutendsten archäologische Funde sind auf Steintafeln geschriebene Keilschrifttexte, die u. a. umfangreiche Schriftzeugnisse religiöser Art wie Sagen und Göttermythen des Volkes von Ugarit beinhalten; die in diesen Texten dargelegten religiösen Vorstellungen weisen Parallelen zur kanaanitischen Religion auf; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 114,33.

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152,9 der phönizische Regengott Alijan-Baal] Im phönizisch-ugaritischen Raum verehrter Wettergott. 152,12 Horeb] Nach Ex 3,1 liegt der Berg Horeb im Land der Midianiter, wo auch Moses’ Schwiegervater Jethro lebte und Moses’ erste Begegnung mit JHWH stattfand, weswegen die Bibel den Berg in Ex 3,1 als »Berg Gottes« bezeichnet. Ob die häufig vorgenommene Gleichsetzung des Horeb mit dem Berg Sinai, an dem Moses von Gott die Zehn Gebote empfing (vgl. Ex 19-20), gerechtfertigt ist, lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen; später erscheint der Berg Horeb in der Bibel noch einmal als »Berg Gottes«: nach dem Gottesurteil gegen die Baalspriester dient er dem Propheten Elija als Fluchtort vor der Königin Isebel (siehe I Kön 19). Buber spielt hier darüber hinaus auf die sog. Keniter-Hypothese an, wonach der Gott Israels zuerst ein Wüstengott im Land Midian war, der auf einem Berg wohnte, bevor ihn Moses für die Israeliten »entdeckte« (vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 587,10). 152,16-18 an die im Wetterdunkel […] geschlossen worden ist.] Vgl. Ex 20,21. 152,21 Berg Tabor] Der Tabor ist ein isolierter Hügel am Ostrand der Jesreel-Ebene in Galiläa; er war eine Kultstätte für den Gott Baal. Nach christlicher Überlieferung ist er der Ort der Verklärung Jesu, an dem dieser den Jüngern in göttlicher Gestalt, zusammen mit Moses und dem Propheten Elija erschien. 152,26 Kisontal] Der Kischon-Fluss, der dem Tal den Namen gibt, entspringt nordöstlich des Gilboa-Gebirges und fließt durch die JesreelEbene in Galiläa. Nach Ri 4 (bes. Ri 4,7) besiegte das von Debora und Barak angeführte Heer der Israeliten im Kischontal in einer großen Schlacht das Heer der Kanaaniter. Der Bach Kischon wird später noch einmal erwähnt, und zwar soll hier nach I Kön 18,40 Elija nach dem Gottesurteil die Priester des Baal umgebracht haben. 152,30 Erzählung von der Katastrophe bei Eben ha-Eser] Vgl. I Sam. 4,1-11; eben ha-eser, hebr. »Stein der Hilfe«. Eben-ha-Eser war ein Ort nahe der Ortschaft Afek, auf einem Hügel gelegen, an der Grenze zwischen der von den Philistern beherrschten Küstenebene und dem Bergland Samarias, das von den Israeliten beansprucht wurde. Hier befand sich vor der Schlacht gegen die Philister das Lager der Israeliten; nach I Sam 4 brachten die Israeliten vor dem bevorstehenden Kampf die Bundeslade vom Heiligtum in Schilo nach Eben ha-Eser, dennoch besiegten die Philister Israel endgültig, nahmen den Israeliten die Bundeslade und brachten sie von Eben ha-Eser nach Aschdod (vgl. I Sam 5,1).

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153,6-7 als Rahmenlied mit dem sogenannten Segen Mose verknüpft worden ist] Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 182 u. die Wort- und Sacherläuterung zu 182,6-7. 153,10 »Jeschurun«] Poetische Variante des Namens Israel, als Ehrentitel gebraucht; gemäß Bubers Ableitung von hebr. jaschar bedeutet der Name »der Gerade«, »der Rechtschaffene«; ebenfalls zum Vorkommen des Wortes Jeschurun im Rahmenlied des Mosesegens sowie anderswo in der Bibel, vgl. auch Buber, Moses, in diesem Band, S. 443. 154,18 »deuteronomistisch«] Bezeichnung für biblische Texte, die in ihrer Sprache und ihren theologischen Aussagen stark an das Buch Deuteronomium erinnern; die historisch-kritische Bibelwissenschaft zählt die Bücher Josua, Richter, die beiden Samuelbücher sowie die beiden Bücher der Könige zu den deuteronomistischen Geschichtswerken. 154,31-32 (V. 14b ist zweifelhaft)] Vgl.: »schafft die Götter ab, denen eure Väter jenseits des Stroms und in Ägypten dienten, und dienet IHM« 155,Anm 11 »Königtum Gottes« 157 ff.] Buber vermutet, bei den neuen Satzungen und Rechten, die Josua einsetzt, handelte es sich um eine neue Organisationsform für den Stämmeverband der Israeliten, die sakralen Charakters und »kultisch-territorial« orientiert war, eine »um den Dienst seines Heiligtums verbundene Amphiktyonie«; jetzt in: MBW 15, S. 184-185. 155,29 Blutbund am Sinai (Exodus 24, 8)] »Mosche nahm das Blut, er sprengte auf das Volk, er sprach: Da, das Blut des Bundes, den ER mit euch schließt auf alle diese Rede.« 156,6 (II Könige 23, 3)] »Der König stand auf dem Hochstand, er schloß vor SEINEM Antlitz den Bund, in SEINER Nachfolge zu gehen, seine Gebote, seine Vergegenwärtigungen und seine Satzungen zu wahren mit allem Herzen und mit aller Seele, neuaufzurichten die Reden dieses Bundes, die in diesem Buch niedergeschriebnen. Alles Volk stand ein in den Bund.« 156,13 II Könige 11, 17] »Dann schloß Jehojada den Bund zwischen IHM und dem König und dem Volk, daß sie IHM zum Volk werden wollten, und zwischen dem König und dem Volk.« 156,13-14 altarabischen Urkunden von Bundeserneuerungen] Auf welche Schriftzeugnisse Buber sich hier bezieht, lässt sich nicht nachweisen; vor der Islamisierung im 7. Jh. kannte die altarabische Religion zahlreiche unterschiedliche Gottheiten, über die es aber kaum aussagefähige archäologische oder epigraphische Zeugnisse gibt. Eine der wichtigsten späteren Quellen zum Verständnis der ältesten ara-

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bischen Religionsverhältnisse ist das Kitab al-Asnam, das Götzenbuch, des Historikers und Genealogen Ibn al-Kalbī (ca. 737-820), in dem dieser, mündlichen Überlieferungen folgend, altarabische Gottheiten und die mit ihnen verbundenen kultischen Riten beschreibt. Julius Wellhausen veröffentlichte 1887 eine Monographie über die altarabischen Gottheiten, die auf dem Götzenbuch von Ibn al-Kalbī basiert. Es ist möglich, das Buber Wellhausens Darstellung kannte. 156,31 »Elim«] Plural von hebr. el, »Gott«. 157,31-34 die uns in Ugarit-Texten […] gedeutet zu werden] Zu den Ugarit-Texten vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,8; »Teraphim« waren wahrscheinlich Bildnisse oder figürliche Darstellungen primitiver semitischer Hausgötter. Die Etymologie des Wortes ist unklar; in der Hebräischen Bibel kommt die Bezeichnung »Teraphim« mehrmals vor, u. a.: Gen 31,19 u. 34 berichten, dass Rahel bei Jakobs Flucht von Laban Teraphim ihres Vaters Laban stahl und unter ihrem Kamelsattel versteckte. Nach I Sam 19,13 verhilft Michal, die Frau Davids, diesem zur Flucht vor Saul, legt dann Theraphim in ihr Bett und lässt es so aussehen, als liege David dort. In beiden genannten Stellen werden Theraphim offenbar als kultische Gebilde toleriert, denn eine ablehnende Kommentierung des Geschehens fehlt; diese Haltung verändert sich offenbar; in Sach 10,2 beispielsweise werden die Theraphim der Lüge und des Betrugs bezichtigt. In der rabbinischen Literatur wird die Bezeichnung »Teraphim« ausschließlich negativ konnotiert und bezeichnet schandhafte Dinge (vgl. z. B. das Mischna Trakat Avoda Sara, mAS II,41b). 157,36-37 und die Frauen führen sie aus dem Vaterhaus der Sippe ihres Mannes zu.] Gen 31,19 u. 34; vgl. die vorherige Wort- und Sacherläuterung. 158,15-16 aus der Zeit der Philisternot unter Samuel (I Samuel 7, 3)] »Schmuel sprach zu allem Hause Jissrael, sprach: Wollt ihr mit all eurem Herzen zu IHM umkehren, schafft die Götter der Fremde und die Aschtarten aus eurer Mitte hinweg, richtet euer Herz auf IHN und dient ihm allein, – dann wird er euch aus der Hand der Philister reißen.« 159,10 Was »zwischen den Pferchen« sitzenbleibt (Richter 5, 16)] Aus dem Deboralied: »Warum saßest du zwischen den Pferchen? um die Herdenschalmeien zu hören? Bei den Aufspaltungen Rubens gab es Herzensspürungen groß.« 159,38-160,1 »die Urkunde des Bundes« […] mit euch schloß.«] Alle Zitate aus Ex 24,7-8.

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160,2-8 Da »sehen sie […] dem Gott »zu Füßen« ist.] Alle Zitate aus Ex 24,10. 160,13 »Alles, was JHWH geredet hat, wir tun’s, wir hören’s«] Ex 24,7. 160,35-161,26 Zu diesem Urdekalog […] gesagt: »Liebet ihn!«] Für die von Buber in diesem Abschnitt diskutierten Verse vgl. Ex 20, 2-6. 161,2-4 »Du sollst dir kein Bild machen […] verleiten lassen«] Ludwig Köhler, Der Dekalog, Theologische Rundschau, Neue Folge, 1. Jg., Heft 3 (1929), S. 161-184, hier S. 179. 161,Anm 20 Vgl. Dillmanns Kommentar zur Stelle] August Dillmann, Die Bücher Exodus und Leviticus, Leipzig 1880, S. 208-210, hier S. 210: »Daher ist die Versabtheilung aufzugeben und […] zu übersetzen: und jegliche Gestalt, die im Himmel oben oder auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde ist – denen sollst du nicht niederfallen noch dienen«. 161,Anm 21 »Deuteronomistisch«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 154,18. 161,Anm 22 mein Buch »Moses« (1948) 206 ff.] Martin Buber, Moses, Georg Müller Verlag: Zürich 1948; jetzt in diesem Band, S. 351-538; hier S. 471 f. 162,13-14 in einem selbständigen […] (V. 7)] Vgl. Ex 20,7: »Trage nicht SEINEN deines Gottes Namen auf das Wahnhafte, denn nicht straffrei läßt ER ihn, der seinen Namen auf das Wahnhafte trägt.« 162,21-23 »Ich […] Sklavenhaus führte.«] Ex 20,2. 162,32-33 die Auszugssage […] einhergehen läßt] »Vor ihnen einher ging ER, des Tags in einer Säule Gewölks, sie den Weg zu leiten, des Nachts in einer Säule Feuers, ihnen zu leuchten, zu gehen tags und nachts.« 162,33 ebenso wie Spruch und Lied der Debora] Vgl. Ri 4,14 u. 5,13. 163,2-3 (Exodus 3, 6, 13, 15, 16; 6, 3 f., 8)] Die Verse in Ex 3 bezeugen, dass der Gott, der zu Mose spricht und ihn zum Volk Israel sendet »der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Jizchaks, der Gott Jaakobs«, »der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Jizchaks, der Gott Jaakobs« ist; in den Versen in Ex 6 bezeugt JHWH darüber hinaus, dass er mit »den Vätern« einen Bund geschlossen und ihnen das Land Kanaan versprochen habe. 163,7-168,28 3. JHWH und Israel […] Ursprungszüge ermöglicht.] Die Fragen, die Buber im vorliegenden Abschnitt behandelt: die sog. Keniter-Hypothese (vgl. hierzu die Wort- und Sacherläuterung zu 152,12 und 587,10) und die Frage nach der Bedeutung des Gottesnamens JHWH diskutiert Buber ähnlich, allerdings noch ausführlicher, im Kapitel »Der brennende Dornbusch« in seiner Schrift

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Moses; vgl. in diesem Band, S. 382-397; sowie auch in seinem Vorwort zur 2. Aufl. 1936 von Königtum Gottes, S. XXXIV-XXXVII; jetzt in: MBW 15, S. 249-251. 163,10-11 Keniterstammes] Die Keniter waren eine Sippschaft innerhalb des Stammes der Midianiter; Jethro, der Schwiegervater Moses’, gehörte ihnen an; nach seiner Flucht aus Ägypten lebte Moses unter den Kenitern. 163,12-13 der »jahwistische« Erzähler] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 163,23 der Elohist (oder der »jüngere Elohist«)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 163,30-31 der spätesten Quellenschrift, der priesterlichen] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 163,34 (18, 10 f.)] »Jitro sprach: Gesegnet ER, der euch rettete aus der Hand Ägyptens, aus der Hand Pharaos, der das Volk rettete unter der Hand Ägyptens hervor. Jetzt habe ich erkannt: ja, groß ist ER über alle Götter«. 164,6-7 (II Könige 10, 15 f.; Jeremia 35)] Die von Buber hier angegebenen Stellen handeln von den Rechabitern, einem ursprünglich nichtisraelitischen, nomadischen Stamm, der unter politischem Druck des babylonischen Reiches ca. um 600 v. Chr. in Jerusalem sesshaft wurde (vgl. Jer 35,11). Die Rechabiter zeichneten sich durch einen unbedingten Gehorsam gegenüber den Geboten aus, die ihnen ihr Stammvater Jonadab übermittelt hatte; eine religiöse Motivation für diesen Gehorsam wird nicht genannt. Gott stellt in Jer 35, 13-17 der nicht auf ihn hörenden Bevölkerung Judas den Gehorsam der Rechabiter als Vorbild vor Augen; für Jeremia lebten sie das Hören auf die Gebote, das den Israeliten aufgetragen war, beispielhaft vor (vgl. Jer 35, 18). Da I Chr 2,55 mehrere kenitische Sippenverbände nennt, die sich auf das »Haus Rechab« zurückführen, werden die Rechabiter manchmal, sowie hier von Buber, als Verwandte der Keniter betrachtet. 164,8 (Exodus 33, 3)] »Ja, ich werde nicht innen bei dir hinaufziehn, ein Volk ja hart von Nacken bist du, sonst müßte ich unterwegs dich vernichten.« 164,10-11 lasse ihn das Deboralied von seinem Wohnsitz herbeiziehen] Vgl. Ri 5,13. 164,11 darum pilgere Elia zum Horeb] Vgl. I Kön 19,8. 164,12-13 Hosea, wisse […] Israels Gott sei.] Vgl. Hos 12,10; 13,4. 164,Anm 25 Vorwort zur 2. Auflage […] »Moses« 138 ff.] Die entsprechenden Passagen aus Buber, Königtum Gottes, jetzt in: MBW 15, S. 247-253; sowie aus Buber, Moses, in diesem Band, S. 432-437.

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164,23 »nimmt er Wohnung«] Vgl. z. B. Lev 26,11. 164,Anm 26 Vgl. Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, 262 ff.] Buber verweist hier auf seinen Aufsatz »Das Leitwort und der Formtypus der Rede«, in Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 262-275; vgl. dort bes. S. 273; jetzt in: MBW 14, S. 111118; bes. S. 117. 164,32-34 in die Höhle […] Offenbarung empfangen hatte] I Kön 19,910: »Dort kam er in die Höhle, dort wollte er nächtigen. Da, SEINE Rede an ihn, er sprach zu ihm: Was willst du hier, Elijahu? Er sprach: Eifrig geeifert habe ich für DICH, den Umscharten Gott, – verlassen ja haben die Söhne Jissraels deinen Bund, deine Schlachtstätten haben sie zerscherbt, deine Künder mit dem Schwert umgebracht, ich allein bin übrig, so trachten sie mir nach der Seele, sie hinwegzunehmen.« Ex 33,22: »es wird geschehn: wann meine Erscheinung vorüberfährt, setze ich dich in die Kluft des Felsens und schirme meine Hand über dich, bis ich vorüberfuhr.« 165,20-21 Das Gespräch am brennenden […] zusammengeflossen behandelt] Ex 3-4,17. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 141,8-10. Zur These der verschiedenen Quellschriften, aus denen diese Stelle zusammengesetzt sei, vgl. z. B. den Exodus-Kommentar von August Dillmann, den Buber kannte: Dillmann, Die Bücher Exodus und Leviticus, S. 28: »Mose’s Berufung und Sendung, Cap. 3, 1–7, 7. Darüber liegen 2 Berichte vor, der zweite aus P in 6, 2–7, 7, der erste aus E und J in 3, 1–6,1, von R kunstvoll zusammengefügt.« 165,31-33 »Gesehn, gesehn […] aus Aegypten!«] Ex 3,7; Ex 3,10. 165,34-36 wenn man, wie es […] dem Elohisten zuteilt.] Zum Jahwisten und Elohisten vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. Vgl. Dillmann, Die Bücher Exodus und Leviticus, S. 35: »so nimmt man am besten an, dass V. 7. 8 durch R aus J eingearbeitet ist, wogegen […] V. 9 f. auf E weisen.« 166,2-3 (solche Wiederholung […] Stil Betonung)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 149,36-150,8. 166,Anm 29 Vgl. Königtum Gottes 82 ff.; Moses 70 ff.] Die entsprechenden Passagen aus Buber, Königtum Gottes, jetzt in: MBW 15, S. 144146; sowie aus Buber, Moses, in diesem Band, S. 390-396. 166,30-32 Genesis 32, 28 die beschämende Deutung […] ausgetilgt werden soll] Vgl. Gen 32,28: »Da sprach er zu ihm: Was ist dein Name? Und er sprach: Jaakob.« 166,32 oder auf ein Geheimnis (so Sprüche 30, 4] »Wer steigt zum Himmel auf und fährt nieder? wer ballt den Wind in seinen Fäusten? wer

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wickelt die Wasser ins Tuch? wer macht alle Enden der Erde bestehn? was ist sein Name, was der Name seines Sohns? du kennst sie ja!« 167,Anm 32 Königtum Gottes 233 ff. […] Moses 75 f.] Die entsprechenden Passagen aus Buber, Königtum Gottes, jetzt in: MBW 15, S. 217219. Bei Bubers Verweis auf Die Schrift und ihre Verdeutschung handelt es sich um den Aufsatz von Franz Rosenzweig, »›Der Ewige‹. Mendelssohn und der Gottesname«, ebd., S. 184-210; die entsprechenden Passagen aus Buber, Moses, in diesem Band, S. 393. 167,19-21 »Ich werde dasein« […] ich dasein werde.] Vgl. auch Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104. 168,Anm 33 Vgl. den Kommentar des Ibn Esra.] Vgl. Abraham ibn Esras langer Kommentar zum Buch Exodus, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Dirk U. Rottzoll, Berlin 2000, S. 174, 178: »denn wir wissen, daß ‫[ אל שדי‬el schaddaj] (mit) dem ehrenvollen Gottesnamen (identisch) ist, und es keinen (bedeutungsmäßigen) Unterschied zwischen ihnen gibt. […] Siehe, wir finden (das Tetragramm) bei Abraham geschrieben: Ich bin der Herr (‫)יי‬, der dich aus Ur-Kasdim führte (Gen 15,7), und bei Jakob (heißt es): Ich bin der Herr (‫)יי‬, der Gott Abrahams, deines Vaters (Gen 28,13). […] Es gibt (daher) keinen Zweifel, daß die Väter diesen Namen (sc. das Tetragramm) kannten. […] Die Bedeutung (von Gottes Antwort an Mose) ist, daß durch die Väter mein Name, der El Schaddai ist, bekannt wurde, durch dich [Moses] aber mein Name ‫יי‬, der ehrenvoll ist, in dieser Welt bekannt wird/werde, wie (die Schrift) sagt: Darum sprich zu den Israeliten: Ich bin der Herr (Ex 6,6), (was meint:) Siehe, ich schickte dich, um diesen Namen kundzutun!« Zu Ibn Esra vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 667,18-19. 168,18 Schaddaj] Hebr schaddaj oder el-schaddaj; die Bedeutung des Namens ist unklar und auch in biblischen Texten, anders als beim Tetragrammaton (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14), nicht überliefert; in seinem Moses-Buch stellt Buber folgende Überlegung zur Namensbedeutung an: »doch meint er offenbar die Gottheit als Macht, und zwar anscheinend (da 5 von den 6 Stellen der Genesis, an denen der Name steht, darauf hinweisen) als die die Menschensippe fruchtbar machende und so den Menschenstamm begründende Macht« (vgl. in diesem Band, S. 391). 168,19 Epitheton] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 122,10. 168,Anm 34 (Genesis 49,25).] »Vom Gott deines Vaters – er helfe dir, von dem Gewaltigen –er segne dich: Segnungen des Himmels von droben, Segnungen des Wirbels, der drunten lagert, Segnungen von Brüsten und Schoß!«

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169,16-17 bis in die äußerste Probe, wo das Verheißene und Geschenkte ihm abgefordert wird] Gemeint ist Gen 22,1-18: Gott befiehlt Abraham die Opferung seines von ihm verheißenen Sohnes Isaak. 169,19 (Jesaja 41, 8)] »Du aber, Jissrael, mein Knecht, Jaakob, den ich wählte, Same Abrahams, meines Liebenden!« 169,19-20 jenes Wort des Dekalogs und des Deboralieds von den Gott »Liebenden«] Vgl. Ri 5,31 u. Ex 20,6. 169,33 allgemeinsten gemein-semitischen Gottesbezeichnung, El] El ist eine allgemein-semitische Bezeichnung für »Gott«, im phönizischkanaanäischen Raum auch für den höchsten Gott; vgl. auch unten, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 177,7-16. 170,15 (Deuteronomium 26, 5)] Der vollständige Vers in Bubers Übersetzung: »Du aber stimm an, sprich vor SEINEM deines Gottes Antlitz: Abgeschweifter Aramäer mein Ahnvater, er zog nach Ägypten hinab, er gastete dort, wenige Leute, er wurde dort zu einem Stamm, groß, markig und zahlreich.« 170,Anm 37 Vgl. den Kommentar des Raschbam.] Raschbam, Akronym für Samuel ben Meir (ca. 1080/1085-1160), Kommentator der Bibel und des Talmud, erhalten ist allerdings nur noch sein Thora-Kommentar. In seinem Kommentar zu Dtn 26,5 interpretiert Raschbam den »abgesprengten Aramäer« als Referenz auf den Ahnherrn Abraham; vgl. Rashbam’s Commentary on Deuteronomy. An annotated translation, edited and translated by Martin I. Lockshin, Providence, R.I. 2004, S. 147. 170,36-37 »Ich bin JHWH, der ich dich aus Ur herausführte.«] Gen 15,7. 170,Anm 38 Den Zusatz »der Chaldäer« […] (Danach auch 11, 28, 31, 50.)] Zur hier von Buber diskutierten Frage, wie die Formulierung »der Chaldäer« zu bewerten sei, vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 120,5-6; die Verweise auf Bibelstellen meinen Gen 11, Verse 28 u. 31. Der Hinweis auf V. 50 ist unklar: das Buch Genesis verweist nur in den bereits angegebenen Versen auf Chaldäa oder die Chaldäer; darüber hinaus finden sich aber zahlreiche Hinweise auf die Ethnie der Chaldäer oder auf Chaldäa als Ortsangabe in den Prophetenbüchern, z. B. bei Jesaja, Jeremia und Ezechiel. 171,13 Hidschra Abrahams] Arab. hidschra, »Auswanderung, Auszug«; bezeichnet eigentlich die Auswanderung Mohammeds von Mekka nach Medina im Jahr 622; mit ihr beginnt die islamische Zeitrechnung. Buber übernimmt hier den Begriff für die Auswanderung Abrahams mit seinem Sippenverband von Ur nach Haran sowie für Abrahams alleinige Auswanderung von Haran nach Kanaan, um den

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glaubensgeschichtlichen Charakter beider Auswanderungen zu betonen. 171,22 Sippe der Terachiden] Die Terachiden gehen auf Terach, den Vater Abrahams zurück (vgl. Gen 11,26-32). 171,Anm 39 die Identität des biblischen Ur […] südbabylonischen Stadt] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 115,1-2. 174,2 (12, 5)] Vgl. Gen 12,5: »Abram nahm Ssarai sein Weib und Lot seinen Brudersohn, allen Zuchtgewinn, den sie gewonnen, und die Seelen, die sie sich zu eigen gemacht hatten in Charan.« 174,2 (14,14)] Vgl. Gen 14,13-14: »Ein Entronnener kam und meldete es Abram dem Ebräer, der wohnte an den Steineichen Mamres des Amoriters, des Bruders von Eschkol und Bruders von Aner, die waren Abrams Bundesmeister. Als Abram hörte, daß sein Bruder gefangen war, schüttete er seine Eingeweihten, seine Hausgebornen aus, dreihundertundachtzehn, und folgte bis Dan.« 174,Anm 51 Yahuda, Die Sprache […] zu Bundesgenossen] Hebr. chanikhim, Pl. von chanich, eigentl. »Zögling, Lehrling«. Zu Bubers Hinweisen auf die Pfeile im Köcher und auf das Schwert, vgl. Jes 49,2 u. Ez 21. Bubers Bezeichnung des Orientalisten und Linguisten Abraham Schalom Yahuda (1877-1951) als »Samaritaner« spielt offenbar auf Yahudas Forschungen zu den Samaritanern, ihrer Literatur und der samaritanisch-aramäischen Sprache an. 174,5 »mein El«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 169,33. 174,7 »mein Elohim«] Zu Elohim siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 174,10 »El Schaddaj«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 168,18. 175,5 21, 33] Es muss lauten: 21,34. 175,10 In der dritten dieser Ausrufungen] Gen 21,34. 175,24-30 wo Melchisedek […] Stifter von Himmel und Erde!«] Zur Melchisedek-Episode vgl. Gen 14,17-22; bereits in einem seiner früheren Aufsätze, in denen sich Buber Fragen der Bibelübersetzung widmet, bewertet er die Begegnung Abrahams mit Melchisedek als bedeutsamen Identifizierungsakt: »Abraham vollzieht einen religionsphänomenologisch bedeutsamen Identifikationsakt, indem er, wie um die allzeitliche Selbigkeit der auf dem Morija verehrten Gottheit auszusprechen und zugleich den wahren Namen als den ihm offenbarten zu bekennen, dem Tetragramm die von Malkizedek gebrauchte Gottesbezeichnung appositionell folgen läßt.« (Martin Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, S. 235; jetzt in: MBW 14, S. 108.). Das in Vers 17 genannte Tal Schawe oder Königs-

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tal liegt vermutlich in der näheren Umgebung Jerusalems, seine genaue Lokalisierung ist jedoch ungewiss. 175,29-30 »Erhoben habe ich […] Stifter von Himmel und Erde!«] Gen 14,22. 175,Anm 59 Die Schrift und ihre Verdeutschung 235.] Martin Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, S. 235; jetzt in: MBW 14, S. 108. 176,Anm 60 in einem so frühen […] Deuteronomium 32,6] Vgl. Gen 4,1: »Der Mensch erkannte Chawwa sein Weib, sie wurde schwanger, und sie gebar den Kajin. Da sprach sie: Kaniti – Erworben habe ich mit IHM einen Mann.« Dtn 32,6: »IHM wollt so ihr vergelten, schmähliches, unweises Volk! Ist er nicht dein Vater, dein Stifter, gemacht hat er dich, hat dich gegründet!« 176,7-8 die spätgriechischen Nachrichten von dem phönikischen Eljun] Da von den Phöniziern nur wenige schriftliche Zeugnisse (Inschriften) erhalten sind, gelten die in Griechisch abgefasste Phönizische Geschichte des Geschichtsschreibers Herennios Philon (lebte im späten ersten u. im 2. Jh. n. Chr.) aus dem 2. Jh. n. Chr., sowie aus früherer Zeit die Historien des griechischen Geschichtsschreibers Herodot (ca. 490-424 v. Chr.) als die wichtigsten Quellen über Volk und Religion der Phönizier. 177,13 wie wir ihn in Ugarit kennenlernen, der »Vater der Menschheit«] Der phönizische »El« galt als Göttervater, Schöpfer der Erde und Vater der Menschheit; in mythologischen Texten von Ugarit (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,8) wird er in Menschengestalt mit königlichen Gewändern, grauem Haar und einem Bart dargestellt; sein Symbol war der Stier. 177,17-21 Abart der Elim […] Geschlechtlichkeit gegenübertrat.)] Baal, Pl. Bealim; gemein-semitisch »Herr«, »Besitzer«; Titel, der verschiedene Lokalgottheiten im syrischen und levantinischen Raum bezeichnen konnte. Seit dem späten 2. Jahrtausend v. Chr. bezeichnet der Begriff im nordsyrischen Raum einen Hauptgott, der als Wettergott den Regen spendet und somit für den Ackerbau bedeutsam ist. Baalath ist das weibliche Baalswesen; im Baalskult herrschte die Vorstellung, dass durch Begattung von weiblichen und männlichen Baalswesen, von Baalath und Baal, die Fruchtbarkeit des Landes gezeugt würde; in Königtum Gottes nimmt Buber eine Einordnung des Baal in den religionsgeschichtlichen Kontext vor; vgl. dazu Buber, Königtum Gottes, S. 65-69; jetzt in: MBW 15, S. 135-137. 178,2-3 Nabatäerzeit] Die Nabatäer waren ein nordwestarabisches Nomadenvolk, das ab dem 6. Jh. v. Chr. im Gebiet zwischen Totem Meer

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und Rotem Meer siedelte und Handel betrieb; im 2. Jh. v. Chr. schlossen sich die einzelnen Stämme der Nabatäer zu einem Königreich zusammen, das jedoch im 1. Jh. v. Chr. als Vasallenstaat in das Römische Reich eingegliedert wurde; damit verloren die Nabatäer ihre politische, nach und nach auch ihre kulturelle und religiöse Eigenständigkeit und schließlich ihre ethnische Identität; Mitte des 3. Jahrhunderts erlosch die nabatäische Zivilisation vollständig. 179,3-4 Ezechiel 20, 7 f.] Vgl. Ez 20,7-8: »ich sprach zu ihnen: Werft weg, jedermann die Scheusale seiner Augen, mit den Klötzen Ägyptens bemakelt euch nimmer, ICH bin euer Gott! Aber widerspenstig waren sie mir, aber nicht gewillt, mir zu gehorchen, jedermann die Scheusale seiner Augen warfen sie nicht weg, die Klötze Ägyptens verstießen sie nicht. Da sprach ich zu mir, ich wolle meinen Grimm auf sie schütten, meinen Zorn auslassen an ihnen inmitten des Landes Ägypten.« 179,27-28 das ist wahrscheinlich nicht »Gott streitet«, sondern »Gott herrscht«] Die Deutung des Namens »Israel« als »Gott streitet« bezieht sich auf Gen 32,29, nachdem Jaakob am Jabbok mit Gott in Gestalt eines Mannes gekämpft hat und Gott ihm anschließend den Namen »Israel« verleiht: »Da sprach er: Nicht Jaakob werde fürder dein Name gesprochen, sondern Jissrael, Fechter Gottes, denn du fichtst mit Gottheit und mit Menschheit und übermagst.« In Königtum Gottes erläutert Buber die Möglichkeit, den Namen als »Gott herrscht« zu deuten: »Ich halte es aber für wahrscheinlich, daß es sich hier nur um Volksetymologie [die Rückführung des Namens »Israel« auf ein Verb mit der Bedeutung von »streiten, fechten«] handelt und daß der Name von einem (nur in dem davon abgeleiteten Nomen miſsra, Jes 9, 5 f., erhaltenen) ſsara, herrschen, stammt.« Buber, Königtum Gottes, 2. Aufl. 1936, S. 193. 179,Anm 65 Moses 166 f.] Vgl. auch in diesem Band, S. 449. 180,9 nach Kenitischem zu suchen] Anspielung auf die sog. KeniterHypothese; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,12 und 587,10. 180,10-11 dem ägyptischen Aton, den etwelche als »monotheistisch« heranziehen möchten] Der ägyptische Sonnengott Aton wurde von Pharao Echnaton (altägyptischer König der 18. Dynastie, regierte im 14. Jh. v. Chr.) zunächst zum obersten Gott erhoben, im Laufe seiner Regierungszeit verloren viele andere Gottheiten ihre Funktion. Echnaton ließ deren Namen, Bilder und Kultstätten zerstören. In der Ägyptologie herrscht darum bis heute eine kontroverse Debatte über die Frage, ob die von Echnaton vorgenommenen Änderungen im religiösen System Ägyptens die frühesten Bestrebungen waren, einen

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Monotheismus einzuführen. Auch Sigmund Freud vertritt in seiner Studie Der Mann Moses und die monotheistische Religion (Amsterdam 1939) die These, der jüdische Monotheismus sei das über Moses vermittelte Erbe der Religion Echnatons. 180,30-32 enthüllt Amos (9, 7) […] mit den Völkern ist.] Zur Bedeutung von Am 9,7 vgl. auch Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102. 181,5-6 »ordne euch ich zu alle eure Verfehlungen«] Am 3,2. 181,20-23 begegnen wir in der Botschaft […] (Richter 11, 23 f.)] Jephta oder Jiftach war sechs Jahre lang Richter über Israel (vgl. Ri 12,6; für den biblischen Bericht über Jephta siehe Ri 10-12). Das Volk der Ammoniter, zu dessen König nach biblischem Bericht Jephta seine Botschaft sendet und die die Israeliten im anschließenden Kampf besiegen werden, waren ein Brudervolk der Moabiter. Buber korrigiert den biblischen Bericht, indem er Jephta seine Botschaft nicht dem Ammoniterkönig, sondern dem Moabiterkönig überbringen lässt; Grund hierfür ist vermutlich der Hinweis Jephtas auf den Gott Kemosch, der der Hauptgott der Moabiter war. 181,Anm 67 Vgl. Königtum Gottes 119 ff.] Vgl. jetzt auch in: MBW 15, S. 164-165. 181,39 (Exodus 14, 31)] »Jissrael sah die große Hand, die ER an Ägypten dargetan hatte, das Volk fürchtete IHN und vertraute IHM und Mosche seinem Knecht.« 182,Anm 68 Vgl. Moses 108 ff.] Vgl. im vorliegenden Band, S. 468-471. 182,6-7 das Rahmenlied des Mosesegens] Dtn 33,2-5 und 26-29; zum Verständnis dieser Verse als Ausdruck eines Königsbundes zwischen JHWH und Israel vgl. auch Buber, Moses, in diesem Band, S. 443. 182,10-15 daß erst die »Heiligen« […] zum Melekh ausrufen] Alle Zitate aus Dtn 33,3-5. 182,12 die »Weisung« (thora)] Zur Bedeutung von thora als »Weisung« siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 103,16-17. 182,14-15 Melekh] Hebr. melekh, »König«, entspricht malk in verschiedenen semitischen Sprachen; Buber vertritt in seinen Schriften (v. a. in Königtum Gottes, Der Glaube der Propheten und Moses) die Ansicht, dass der Melekh Israels, wie auch die Malkgötter anderer semitischer Völker, ein Weg- oder Führergott ist, ein Gott, der das nomadische Volk auf seinen Wanderungen begleitet und es führt. Beim Volk Israel, so Buber u. a. im vorliegenden Abschnitt in Der Glaube der Propheten, vollzieht sich ein Bedeutungswandel in dem Sinn, dass die Führung des Melekh auch »die Errichtung einer Volksordnung unter der Führung des Melekh« bedeutet (vgl. in diesem Band,

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S. 182 f.). Zur Entwicklung und Bedeutung der Vorstellung von JHWH als dem Melekh siehe auch das Kap. »JHWH der Melekh«, in Buber, Königtum Gottes, S. 71-86; jetzt in: MBW 15, S. 139-146; und Bubers Vorwort zur 2. Aufl. von Königtum Gottes (ebd., S. IL-LX; jetzt in: MBW 15, S. 259-265). 182,18-19 das Eindringen des Kindesopfers] Die Melekhkulte der phönizisch-kanaanäischen Nachbarvölker der Israeliten kannten Brandopferriten, darunter auch Kinderopfer. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 96,8-9. 182,20 (6, 5)] Jes 6,5: »denn den König, IHN den Umscharten, haben meine Augen gesehn!« 182,23 Schlußvers des Meerlieds (Exodus 15, 18)] Der von Buber hier als »Meerlied« bezeichnete Gesang des Moses, in den das ganze Volk Israel einstimmt – vgl. Ex 15,1-18 –, auch als »Israels Lobgesang« bezeichnet, rühmt die Taten JHWHs, der beim Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer (Ex 14) die Streitmacht der Ägypter im Meer versinken ließ, und endet mit der Proklamation JHWH’s zum König; an anderer Stelle bezeichnet Buber den Gesang auch als »das Lied der Miriam«, Moses Schwester (vgl. Buber, Moses, in diesem Band, S. 414, 417). 183,4 (19, 4)] Ex 19,4: »Selber habt ihr gesehn, was ich an Ägypten tat, ich trug euch auf Adlerflügeln und ließ euch kommen zu mir.« 183,Anm 71 Vgl. Moses 148 ff.] Vgl. im vorliegenden Band, S. 492 f. 183,6 Deuteronomium 32, 11] »Wie ein Adler erweckt seinen Horst, über seinen Nestlingen schwingt, seine Flügel spreitet, eins aufnimmt, es auf seinem Fittich trägt« 183,10-14 »Sondergut« werden […] (das bedeutet goj).] Vgl. Ex 19,5-6. In seinem Aufsatz »Die Erwählung Israels« gibt Buber eine genauere Erläuterung des gesamten Adlerspruchs (Ex 19,4-6) und seiner zentralen Begriffe, wie der auch hier genannten »Sondergut«, »Königsbereich«, »kohanim« (siehe Buber, »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 109 f.; Wort- und Sacherläuterung zu 109,30). Zu goj vgl. Wort- und Sacherläuterung zu 107,35-108,1. 183,28 Lade] Die Lade oder Bundeslade wird in Aussehen und Bedeutung in Ex 25,10-22 beschrieben; in ihr wurden die Steintafeln mit dem Gesetz, das Moses am Sinai empfangen hatte, aufbewahrt; bei kriegerischen Auseinandersetzungen in vorstaatlicher Zeit wurde die Lade in die Schlacht getragen, und JHWH zog so seinem Volk voran. Vgl. die »Ladesprüche« Num 10,35-36 und I Sam 4. Die Bundeslade war als Teil der »Stiftshütte« (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu

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248,7-9) der Ort, an dem JHWH dem Volk Israel gegenwärtig war (»Dort werde ich dir begegnen«; Ex 25,22). 183,Anm 73 Buber, Königtum Gottes 228 ff.; Moses 214 ff.] Zu Buber, Königtum Gottes, vgl. jetzt auch in: MBW 15, S. 215 f.; zu Buber, Moses, vgl. in diesem Band, S. 478-490 (das Kap. »Der Stier und die Lade«). 184,23 (23, 21)] Num 23,21: »Nicht gewahrt man in Jaakob Arg, nicht sieht man in Jissrael Harm, seine Gottheit, ER, ist bei ihm, Jubelschmettern dem König in ihm.« 184,24 Zebaoth] Hebr. Zebaot (Pluralform), »Heerscharen, Heere«; Attribut zum Gottesnamen JHWH, das ausschließlich in Kombination mit diesem vorkommt und die besondere Majestät und Macht JHWH’s ausdrücken will; die Gottesbezeichnung Zebaot kommt in der Hebräischen Bibel sehr häufig vor, findet sich allerdings noch nicht im Pentateuch und in den Büchern Josua und Richter. 184,27 bis Amos es wieder lehrt] Vgl. z. B. Am 4,13 u. Am 9,5-6, wo die Bezeichnung JHWH Zebaot verwendet und in hymnischem Stil die Majestät JHWH’s gepriesen wird. 184,33 (»das Zelt« von Exodus 33, 7 ff.)] Das »Zelt der Begegnung« oder »Zelt der Gegenwart« ist das mitziehende Heiligtum, das während der Wüstenwanderung Israels der Ort der Gegenwart Gottes ist, an dem Gott Moses begegnet und zu ihm spricht. Vgl. Ex 25,8; 27,21 u. 33,7-11. Bei Luther wird es »Stiftshütte« genannt, eine Entlehnung aus Lat. tabernaculum, abgeleitet vom Wort taberna, »Hütte« oder »Gasthaus«; Buber übersetzt den hebr. Begriff ohel moed gemäß der Ableitung aus der hebr. Wurzel von moed, »Gemeinschaft« und »Begegnung«. Vgl. Martin Buber, Arbeitsgemeinschaft zu ausgewählten Abschnitten aus dem Buche Samuel [Vorträge Bubers, gehalten vom 13. bis 19. August 1928] erstmals veröffentlicht in: MBW 15, S. 4691; hier S. 57. 184,34 Sühnung des Jungstier-Dienstes] Vgl. Ex 32: die Sünde von der Anbetung des goldenen Stierbildes. 185,3 »Kabod«] Das hebräische Wort kabod (‫ )כבוד‬bedeutet »Ehre«, »Glanz«, »Herrlichkeit«; in der Hebräischen Bibel wird es zumeist als Attribut Gottes und als Ausdruck seiner Gegenwart in der Welt gebraucht (vgl. Jes 6,3); laut Buber ist kabod die Wucht oder Mächtigkeit Gottes, die durch ihre Ausstrahlung Erscheinung, also Gegenwart wird (vgl. unten, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 254). 185,13-14 Urim-Orakel] Urim und Thummim waren vermutlich Losund Orakelsteine des Hohepriesters; vgl. Ex 28,30: das Gebot Gottes an Aaron, den er als Priester einsetzt, in seiner Brusttasche stets die Lose Urim und Thummim zu tragen, wenn er vor JHWH tritt; Dtn

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33,8: Moses’ Segen über den Priesterstamm Levi; Num 27,21: als JHWH Josua zum Nachfolger Moses’ einsetzt, soll der Priester Elasar das Los Urim befragen. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 509,36-39. 185,15 (Hosea 12, 13)] Es handelt sich um den Vers Hos 12,14, in dem es über Moses heißt: »Aber durch einen Künder führte ER Jissrael herauf aus Ägypten, durch einen Künder ward es behütet.« 185,Anm 75 meinen »Moses«, 101 ff.] Das Kap. »Passah«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 410-413. 185,25 uraltes Nomadenfest] Eine verbreitete Ansicht ist, dass das Pessachfest auf nomadische Opferriten zurückgeht. Von nichtsesshaften Araberstämmen ist bekannt, dass sie ein junges Schaf oder eine junge Ziege schlachteten und die Zelteingänge zum Schutz vor bösen Geistern mit dem Blut des Opfertieres bestrichen. Bekannt ist auch ein Ritus nomadischer Hirten, die zu Frühlingsbeginn ein junges Tier opferten, um Fruchtbarkeit und Wohlergehen für ihre Herden zu erbitten. 186,15 Bʾ rith] Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 103,24. 186,27-28 zwei gleiche Verbalformen durch ascher] Vgl. die Übersetzung der beiden Verse von Buber/Rosenzweig: Ex 3,14; »Gott sprach zu Mosche: Ich werde dasein, als der ich dasein werde.«; Ex 33,19; »daß ich begünstige, wen ich begünstige, daß ich mich erbarme, wes ich mich erbarme.« 186,Anm 78 meinen »Moses«, 82 ff.] Das Kap. »Göttliche Dämonie«, in: Buber, Moses, in diesem Band, S. 398-401. 187,6-7 »Blutsbräutigam«] Der Ausdruck »Blutsbräutigam« findet sich in der Übersetzung Luthers; siehe Ex 4,25-26; Buber gebraucht in seiner Übersetzung den ungewöhnlichen Ausdruck »Im Geblüte Hochzeiter«; vgl. auch Bubers ausführliche Diskussion dieser Stelle in seiner Schrift Moses, in diesem Band, S. 398-401 (Kap. »Göttliche Dämonie«). 187,10 (Genesis 32)] Vgl. Ex 3,10 u. 4,12: JHWH befiehlt Moses die Wanderschaft zu seinem Volk nach Ägypten; als Moses sich auf den Weg gemacht hat, versucht Gott ihn zu töten, was seine Frau Zippora verhinderte (Ex 4,24-26). Vgl. dazu Gen 31,3: Gott befiehlt Jakob die Wanderschaft in das Land seiner Väter und den Wegzug von seinem Schwiegervater Laban; anschließend berichtet Gen 32 von Jakobs Kampf am Jabbok, an dessen Ende ihm Gott den Namen Israel verleiht. 187,17-18 Auch dieser scheint […] woher er stammt.] Im Kapitel »Sabbat« seines Moses-Buches setzt sich Buber ausführlicher mit den ver-

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schiedenen Theorien zum Ursprung des Sabbats auseinander, letztlich ohne einer dieser Theorien zuzustimmen; für Buber ist der eindeutige Nachweis über den Ursprung des Sabbats zweitrangig; entscheidend für ihn ist, dass Moses »das Vorgefundene ergriffen, um das schon für den Anfang seines Stiftungswerkes Notwendige zu schaffen: eine heilige Ordnung der Zeit« (vgl. Buber, Moses, in diesem Band, S. 421). 187,Anm 79 Moses 117 ff.] Das Kap. »Sabbat«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 419-424. 187,22-23 Man hält vielfach […] »kultischen« (34)] Zur Theorie der zwei Dekaloge, ihrer Bezeichnung als »ethischer« Dekalog (Exodus 20) und als »kultischer« Dekalog (Ex 34) deren Interpretation durch die Bibelwissenschaft, vgl. Buber, Moses, in diesem Band, S. 454-463. 187,Anm 80 meinen »Moses« 174 ff.] Das Kap. »Die Worte auf den Tafeln«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 454-472. 188,4-5 Exodus 23, 12 und 31, 12 ff.] Vgl. Ex 23,12: »Ein Tagsechst wirk deine Werke, aber am siebenten Tag feiere, damit ausruhe dein Ochs und dein Esel und eratme der Sohn deiner Magd und der Gast.«; sowie Ex 31,12-17: »ER sprach zu Mosche, sprach: Und du, rede zu den Söhnen Jissraels, sprich: Jedoch meine Wochenfeiern wahrt! Denn ein Zeichen ist sie zwischen mir und euch in eure Geschlechter, zu erkennen, daß ICH es bin der euch heiligt. Wahret die Feier, ja, Heiligung sei sie euch; die sie schänden: sterben muß der, sterben! ja, allwer an ihr Arbeit macht, gerodet werde solch Wesen aus dem Innern seiner Volkleute. Ein Tagsechst werde Arbeit gemacht, aber am siebenten Tag ist Feier, Feiern, in Heiligung IHM, allwer Arbeit macht am Tag der Feier, sterben muß er, sterben. Wahren sollen die Söhne Jissraels die Feier, zu machen die Feier in ihre Geschlechter als Weltzeit-Bund. Zwischen mir und den Söhnen Jissraels ist sie Zeichen auf Weltzeit, denn ein Tagsechst machte ER den Himmel und die Erde, aber am siebenten Tag feierte er und eratmete.« 188,5-6 Man pflegt sie […] verschiedenen Zeiten zuzuteilen] Vgl. Dillmann, Die Bücher Exodus und Leviticus, S. 242, 274, zu Ex 23,12: »[…] da endlich E sonst nirgends als Gesetzesschreiber sich ausweist, so ist die überwiegende Wahrscheinlichkeit […], dass E hier einen schon vorgefundenen, also älteren Gesetzescodex aufgenommen […] hat.«; »sondern V. 10-12 [sind] ein ursprünglicher Theil des alten Gesetzbuches […] Dass aber hier V. 12 überhaupt ein Gebot, das schon 20, 8 ff. gegeben ist, vorkommt, erklärt sich daraus, dass E. diesen Codex vorgefunden, nicht selbst zusammengestellt hat […].«; sowie ebd., S. 366, zu Ex 31, 12-17: »[…] so wird man nicht zweifeln

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können, dass hier ein Abschnitt aus P vorliegt, in welchem er Wesen und Bedeutung des Sabbaths den Israeliten zum erstenmal erklärt werden liess […]. Ja nicht einmal alles, was hier steht, kann auf P zurückgeführt werden: vielmehr scheint R in Anbetracht davon, dass er schon 16, 22 ff. 20, 9 f. 23, 12 Gesetze über den Sabbath hat vorangehen lassen, den Anfang V. 13 mit Worten aus einem andern alten Gesetzbuche ersetzt zu haben […].« 188,8 »verschnaufen«] Buber übersetzt das hebr. Verb »‫«נפש‬, nafasch, das die gleichen Wortwurzeln wir das Substantiv nefesch, »Seele«, hat (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 149,15) in den Versen Ex 23,12 u. 31,17 mit »eratmen«; in II Sam 16,14 übersetzt er mit »aufatmen«. 189,23-25 Wie hier mit »Gottesherrschaft« […] des Gottes gemeint ist] Ähnlich Buber in einer Antwort auf eine Kritik an seinem Begriff der »Theokratie« im Vorwort zur dritten Auflage von Königtum Gottes: »Es geht hier eben nicht um einen schlechtweg verfassungsgeschichtlichen, sondern um einen religionsgeschichtlichen Begriff, der sich verfassungsgeschichtlich zu verwirklichen tendiert: um das in den Anfängen eines Volkes Ausdruck gewinnende, in seiner Folgegeschichte wirksame Streben nach einer real-irdischen Gottesherrschaft.« (Vgl. Martin Buber, Königtum Gottes, 3., neu verm. Aufl. Heidelberg: Lambert Schneider 1956, S. LXII; jetzt in: MBW 15, S. 275.) 189,37 den ger] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 92,11. 190,14 Sabbatjahr] Das siebente Jahr, vgl. Lev 25,2-7. Vgl. auch Bubers Interpretation des Sabbatjahres, in: Martin Buber, Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee, Zürich: Artemis-Verlag 1950, S. 31; jetzt in: MBW 20, S. 118-191. 190,15 Jobeljahr] Auch »Erlassjahr«; das Jahr nach dem siebten von sieben Sabbatjahren; vgl. Lev 25,8-24; siehe auch Bubers Interpretation des Jobeljahres, in: Martin Buber, Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee, Zürich: Artemis-Verlag 1950, S. 31; jetzt in: MBW 20, S. 189. 190,Anm 88 Königtum Gottes 56 ff.] Buber diskutiert hier eine sakrale Handlung eines Fürsten aus der Zeit um 700 v. Chr., die in einer altsabäischen Urkunde beschrieben wird. Die Handlung hat sowohl kultischen wie politischen Charakter, in ihrer Mitte steht die Erneuerung des Bundes zwischen Gott und Volk: die Urkunde berichtet, dass zum Zweck der Bundeserneuerung in einer feierlichen Übergabe alle eroberten Länder in den Besitz des Gottes und des Volkes gehen; aufgrund des gestifteten Bundes zwischen beiden bedeutet dies, dass

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der Boden Eigentum der theokratischen Einheit von Gott und Volk wird und letztlich Eigentum des Gottes, dem das Volk ja gehört.Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 130-132. 191,14 (Anschluß der Keniter, Bundesschluß am Sinai)] Vgl. Ex 18,1012; Ex 24,4-8. (Zu den Kenitern vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 163,10-11.) 191,16 (5, 25)] Am 5,21-25: JHWH habe keinen Gefallen an den Festen und Speiseopfern der Israeliten; darum V. 25: »Habt ihr mir Schlachtungen, Spende gereicht in der Wüste vierzig Jahre, Haus Jissrael?« 191,25 wird biblisch nabi, Künder, genannt] Vgl. unten die Wort- und Sacherläuterung zu 191,34-37. 191,25 Hosea (12, 14)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,15. 191,27 in einer merkwürdigen Erzählung (Numeri 12)] Weil Miriam, die Schwester Moses’, und ihr Bruder Aaron Schlechtes über Moses reden, da seine Frau nicht aus ihrem, sondern aus dem Volk der Kuschiter stammte, schlägt JHWH sie mit Aussatz. 191,28-29 Nebiim] Plural von Nabi. 191,31-32 »von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann zum Gefährten redet«] Ex 33,11. 191,34-37 Eben diese aber entspricht […] gleichsam angewiesen ist.] Ähnlich Buber schon zum Begriff des »Nabi« in seinem Essay »Mose«, in diesem Band, S. 57. Vgl. dort auch die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 192,10 (I Samuel 9, 9)] »Vormals sprach in Jissrael ein Mann so, wann er ging, Gott zu beforschen: Laßt uns gehn, wir wollen hingehn zum Seher, – denn den Künder von heutzutag rief man vormals Seher.« 192,Anm 92 Königtum Gottes 143 f.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 176-179. 192,24 qahal] Der Qahal (hebr. ‫ )קהל‬war ein theokratischer Zusammenschluss bzw. eine Organisationsstruktur innerhalb des Volkes der Israeliten, der für die Organisation der religiösen Belange innerhalb des Volkes zuständig war. 192,30 die Ruach, der Sturmhauch (»Geist«)] Hebr. ruach, im Allgemeinen mit »Geist« oder »Wind« übersetzt; Buber übersetzt zumeist mit »Wehen« oder »Braus«; eine Diskussion des Wortes ruach findet sich auch in Bubers Schriften »Biblisches Führertum«, in diesem Band, S. 62 – vgl. dort v. a. auch zur Übersetzungsproblematik des Begriffs die Wort- und Sacherläuterung zu 62,10-15 –, und Moses, in diesem Band, S. 492 f. 192,35-36 die Einschaltung der priesterlichen […] V. 21 f.] Zu den Orakeln Urim und Thummim siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 185,13-14; vgl. Ex 27,21: »Vor Elasar dem Priester soll er stehn, der

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soll für ihn den Rechtspruch der Lichtenden erfragen vor IHM, auf dessen Geheiß sollen sie ausfahren, auf dessen Geheiß sollen sie rückwenden, er und alle Söhne Jissraels mit ihm, all die Gemeinschaft.« 193,4 Amphiktyonie] Das Lehnwort aus dem Griechischen bezeichnete in der griech. Antike ein loses Bündnis von Stadtstaaten, im alttestamentlichen Kontext ein Bündnis von Stämmen, die sich um ein Heiligtum herum bilden, um dieses zu schützen und dessen Kult zu pflegen. Die alttestamentliche Wissenschaft ab ca. 1900 vertrat die These, eine solche Einrichtung habe in der vorstaatlichen Frühzeit Israels, zur Zeit der Richter, existiert; aufgrund unzulänglicher Belege findet diese These heute kaum noch Beachtung. 193,Anm 94 Königtum Gottes 157 f., 287 f.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 184, 239. 193,16-17 Gideon, dessen Ablehnung […] angesehen werden darf.] Vgl. Ri 8,23: »Gidon sprach zu ihnen: Nicht ich will über euch walten, nicht mein Sohn soll über euch walten, ER soll über euch walten.« Zu Bubers Einschätzung der Geschichtlichkeit der Handlung Gideons, vgl. Buber, Königtum Gottes, S. 3-5; jetzt in: MBW 15, S. 102-103. 193,Anm 95 Königtum Gottes 3 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 102-103. 193,19-21 auf dem Schlachtfeld […] Lade des Bundes] Zur Schlacht bei Eben-ha-Eser, vgl. I Sam. 4,1-11; vgl. zur Bedeutung der Schlacht die Wort- und Sacherläuterung zu 152,30. 194,6 die Ruach] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 190,30. 194,16 Kriegsnasiräer] Nasiräer waren Männer oder Frauen, die sich durch ein besonderes Gelübde, das sie zeitweilig zur Askese verpflichtete, Gott weihten; vgl. Num 6,1-21, die Bestimmungen für Nasiräer. Für die israelitische Frühzeit vertritt Buber hier sowie in Königtum Gottes, S. 150 f. (jetzt in: MBW 15, S. 180 f.) die Auffassung, dass es sich bei den theokratischen Kämpfern der Richterzeit um Nasiräer handelte, sog. »Kriegsnasiräer«; sie waren charismatischen Gestalten, auf die der Geist Gottes gekommen war (vgl. z. B. Ri 3,10; Debora und Barak in Ri 4 u. 5; Simson in Ri 13,5 u. 7). In Am 2,11 f. findet sich eine Parallelisierung von Propheten und Nasiräern. 194,17 (Richter 13, 25)] Über Simson: »SEIN Geistbraus begann ihn umzutreiben im Lager Dans, zwischen Zora und Eschtaol.« 194,17-19 wundersamen Berserkertaten […] Bilde Simsons ausmalt.] Simson, der bereits vor seiner Geburt zum Nasiräer ausersehen war (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 194,16), war 20 Jahre lang Richter über Israel (vgl. Ri 13-16). Seine übermenschlichen Taten im Kampf gegen die Philister bewegen Buber hier zum Vergleich mit

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den Berserkern, aus mittelalterlichen skandinavischen Quellen bekannte Krieger, die im Rausch kämpfen und weder Schmerz noch Wunden wahrnehmen. 194,23 Priesterschaft von Silo] Silo war der Aufstellungsort der »Stiftshütte« und damit Sitz der Priesterschaft. 194,28 Katastrophe von Eben-ha-eser] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,30. 194,31 Kabod] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 194,33 (I Samuel 4, 21 f.)] Vgl. I Sam 4,22: »sie sprach es aus: Gewandert ist die Ehre aus Jissrael, denn Gottes Schrein ist genommen.« 194,Anm 97 aus meinem noch unveröffentlichten Buch »Der Gesalbte«] Buber plante eine Trilogie unter dem Titel Das Kommende, von der allerdings nur der erste Band, Königtum Gottes, erschien (1932). Bubers Emigration nach Palästina 1938 und die Veränderungen, äußeren Zwänge und neuen Verpflichtungen, die damit einhergegangen waren, verhinderten den Abschluss der Trilogie; der geplante zweite Band, Der Gesalbte, blieb Fragment: Buber konnte lediglich drei Kapitel vollenden, die jetzt in MBW 15 aufgenommen wurden (vgl. »Das Volksbegehren«, jetzt in: MBW 15, S. 282-294; »Die Erzählung von Sauls Königswahl«, jetzt in: MBW 15, S. 295-351; »Samuel und die Abfolge der Gewalten«, jetzt in: MBW 15, S. 352-379). Für den dritten Band kam Buber nicht über das Stadium der thematischen Konzeption hinaus, in der dritten Auflage von Königtum Gottes (1956) weist er jedoch darauf hin, dass die Grundgedanken des geplanten dritten Bandes in den Büchern Der Glaube der Propheten und Zwei Glaubensweisen (1950; jetzt in: MBW 9) dargelegt sind (Buber, Königtum Gottes, 1956, S. IX; jetzt in: MBW 15, S. 450). 195,15 V. 11] I Sam 3,11: »ER sprach zu Schmuel: Wohlan, ich tue etwas in Jissrael, allwer es hört, dem gellen seine beiden Ohren«. 195,18 das Ephod des Orakelsprechers] Das ephod war ein Kleidungsstück der Priester in der Frühzeit Israels, manchmal mit einer Brusttasche, die die Orakelsteine urim und tummim enthielt. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 185,13-14. 196,1 Leviten] Priestergeschlecht aus dem Stamm Levi; zuständig für die kultischen Handlungen in der »Stiftshütte«, später im Tempel (vgl. Dtn 18,1-8; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 509,5-6). 196,14 kohen neeman, 2, 35) der Eliden-Weissagung] kohen neeman, hebr. »treuer Priester«; die Eliden waren eine nach Eli, dem Hohepriester im Heiligtum in Silo, benannte Familie von Priestern am Heiligtum in Silo gegen Ende der Richterzeit. Der Prophet Samuel wuchs im Dienst für JHWH unter der Aufsicht Elis auf (vgl. I Sam

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2,11; I Sam 3,1). Da die Söhne Elis gegen JHWH sündigten, weissagte JHWH Eli den Tod der meisten Männer seines Hauses, kündigte für Elis Söhne Chofni und Pinchas den Tod an einem Tag an (beide sterben im Kampf gegen die Philister; vgl. I Sam 14,3) und kündigte die Berufung eines neuen »getreuen« Priesters an – dieser wird Samuel sein; für die Weissagung über die Eliden, vgl. I Sam 2,27-36. 196,Anm 99 Zadokiden] Bezeichnung für die Nachkommen Zadoks, eines Nachfahrens Aarons (vgl. I Chr 5,27-34) und Hohepriesters im Jerusalemer Tempel zur Zeit Davids (vgl. II. Sam 15,24-37); sie erhoben in vorexilischer Zeit den Alleinanspruch auf das Hohepriesteramt und konnten sich in nachexilischer Zeit erneut für das Priesterund Hohepriesteramt durchsetzen (vgl. Ez 44,15-31). 196,24 (2, 11 f.)] Vgl. Am 2,11-12: »ich ließ von euren Söhnen zu Kündern erstehn, von euren Jünglingen zu Kampfgeweihten, – war dies etwa nicht, Söhne Jissraels? ist SEIN Erlauten. Ihr aber tränktet die Geweihten mit Wein, und den Kündern gebotet ihr, sprechend: Ihr sollt nicht künden!« 196,28 Amphiktyonenbundes] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 193,4. 196,33 (I Samuel 10, 5)] »Danach wirst du zum Gotteshügel kommen, wo die Weihpfosten der Philister sind, es wird geschehen, wann du dorthin, in die Stadt kommst: du wirst auf eine Bande von Kündern treffen, die von der Koppe herabschreiten, vorauf ihnen Harfe, Pauke, Flöte und Leier, und sie künden einher.« 197,25 Dabar oder Ruach] Hebr. dabar, »Wort«, »Rede«; mit dabar und ruach, hier von Buber dem griech. Logos und Pneuma parallel gesetzt, beschreibt Buber die zwei Grundtypen der prophetischen Begegnung mit der göttlichen Macht, die jedoch in der Regel nicht unabhängig voneinander existieren, sondern sich ergänzen und zusammenwirken, indem auf das Erfasstwerden von der Ruach das Aussprechen des Wortes folgt. 198,13 Bama] Hebr., Singular von bamoth, »Heilige Höhen«; vgl. oben, S. 196,35-36. 198,33 V. 20 f.] Vgl. I Sam 8,20: »daß wir werden, auch wir, wie die Erdstämme alle, richten soll uns unser König, ausfahren soll er vor uns her und unseren Kampf kämpfen.« 198,34-35 »Zieht JHWH nicht aus vor dir her (jaza lʾ phanekha)?] Vgl. auch schon oben, Der Glaube der Propheten, S. 151. 198,36-197,2 »Nein, sondern ein Melekh […] unseren Kampf kämpfen«] I Sam 8,19-20.

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199,Anm 102 scriptio defectiva] Bezeichnung für ein Schreibsystem, in dem, wie in den semitischen Sprachen, nur Konsonanten, nicht aber die Vokale, durch Zeichen repräsentiert sind. 199,5-7 »nur daß« ihnen […] »Richtschnur«, anzusagen sei] I Sam 8,9. 199,10 die 10, 25 zur Verlesung gelangende Verfassung] Vgl. I Sam 10,25: »Schmuel redete zum Volk: das Recht des Königtums, er schriebs in ein Buch, das legte er nieder vor IHN«. 199,11 als nagid (10, 1)] Vgl. neben dem hier angegebenen Vers auch I Sam 9,16: »ihn salbe zum Herzog über mein Volk Jissrael«; nagid ist ein etymologisch nicht genau bestimmbarer Titel, etwa »Fürst«; die nur ungenaue Bestimmbarkeit kommt in Bubers Umschreibungen »Vorangestellter«, »Herrschaftsvertreter« zum Ausdruck. In seiner Bibelübertragung übersetzt Buber nagid mit »Herzog«, womit er vermutlich die historische Bedeutung des Wortes als Heerführer im Kriegsfall zum Ausdruck bringen will, die ja auch das Volk Israel in seiner Forderung nach einem König, der sie richte und sie im Kampf führe, betont. Aufschlussreich vor dem Hintergrund des Gebrauchs des Ausdrucks nagid ist auch Bubers Hinweis auf I Sam 15,23, wonach der nagid JHWH gegenüber »verantwortlich« und »von oben absetzbar« ist. Zum einen wird der »Gesalbte« als nagid und nicht als melekh (siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 182,14-15) bezeichnet, zum zweiten ist er an JHWH gebunden; in der biblischen Erzählung über die Einsetzung eines »Königs«, den das Volk fordert, ist der nagid demnach also nicht der melekh, wie ihn das Volk gefordert hatte (vgl. I Sam 8,19-20), sondern der »Vorangestellte«, der den Willen JHWH’s ausführen soll; Buber verwendet darum den Ausdruck des »statthalterlichen Königtums« (vgl. unten, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 199,35; sowie die Ausführungen, S. 200). 199,Anm 104 Königtum Gottes 124] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 166. 200,Anm 105 Das. 49 f.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 126. 200,24 Erwählung und Salbung Sauls] Vgl. I Sam 9 u. 10. 201,10-12 in einem illegitimen […] Kinderopfer dargebracht wurden] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 182,18-19. Das Hinnomtal bezeichnet ein Tal, westlich und südlich Jerusalems außerhalb der Stadtmauern gelegen, in dem dem kanaanäischen Gott Moloch geopfert wurde. 201,Anm 107 Königtum Gottes 97 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 151-154. 201,14-17 Erst Jesaja stellt […] zürnenden Herrn] Vgl. Jes 6,5b: »denn den König, IHN den Umscharten, haben meine Augen gesehn!« Zu Jesajas Berufung und der dort vollzogenen Bezeichnung JHWH’s als

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»der melekh« vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, im vorliegenden Band, S. 252 f. 201,20 (mit Ausnahme Omris)] Omri, zuerst Feldherr und General, regierte nach kurzen wechselnden Königsherrschaften während der ersten Hälfte des 9. Jh.s v. Chr. von ca. 882 bis 871 v. Chr. das Nordreich Israel (vgl. I Kön 16); wer Omri zum König ausruft, bleibt unklar; in I Kön 16,16 ist zunächst vom Volk die Rede, das im Feldlager ist, unmittelbar im Anschluss heißt es jedoch, »ganz Israel« habe Omri zum König erhoben. 201,Anm 108 Lagarde hat […] David zuzuschreiben.] Paul Anton de Lagarde (1827-1891), Orientalist u. Professor für orientalische Sprachen in Göttingen; seine Forschungen galten hauptsächlich einer jedoch unvollendet gebliebenen historisch-kritischen SeptuagintaAusgabe. Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit in Göttingen hielt Lagarde u. a. Vorlesungen zu den Psalmen; auf welche Vorlesung im einzelnen Buber sich hier bezieht, konnte nicht ermittelt werden; ihm lag aber offensichtlich die Mitschrift einer Vorlesung Lagardes zu den Psalmen vor. Vgl. Bubers Anmerkung in, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 268, Anm 150. 202,Anm 109 Diese Interpretation […] nicht überholt worden.] August Klostermann (1837-1915), protestantischer Theologe u. Universitätsprofessor; arbeitete sowohl zum Neuen Testament wie zur Hebräischen Bibel. Buber meint hier wahrscheinlich Klostermanns Schrift: Die Bücher Samuelis und der Könige, ausgelegt von August Klostermann, Nördlingen 1887. 202,9-10 jenen Spruch der Debora an Barak wiederholend] Der Spruch der Debora in Ri 4,14, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 198,3435. 202,22-30 gedenkt er (II Samuel 7, 6) […] »ein Haus machen«.] Vgl. II Sam 7, 6-11; zum Hintergrund der Rede Nathans an David vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 67,39-40. 202,32 (23, 5)] Vgl. II Sam 23,5: »Ja, ist so nicht mein Haus bei Gott? setzte er mir ja einen Weltzeitbund, ausgerichtet in allem und verwahrt! – Ja, all meine Freiheit, alle Lust, ja, ihm zu lasse ichs sprießen.« II Sam 23,1-7 gibt die »letzten Worte« König Davids wieder. 203,8 (8, 12 f.)] Vgl. I Kön 8,12-13: »Damals hat Schlomo gesprochen: Im Wetterdunkel sprach einst ER, einwohnen zu wollen, ein Söllerhaus baute, erbaute ich dir, Grundfeste deinem Sitz in die Zeiten.« 203,34 Sched] Ägyptischer Schutzgott in Notsituationen. 204,12 in der Stunde des Offenbarungsbundes] Der Bund JHWH’s mit dem Volk Israel am Sinai; vgl. Ex 24,1-11.

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204,25-26 Baal und Baalath] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 177,17-21. 204,Anm 110 Königtum Gottes 65 f., 205 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 135 f.; 210 f. 205,2-3 im entwickelteren syrischen Gemeinwesen] Im syrisch-phönizischen Raum des zweiten und ersten Jahrtausends v. Chr. 205,7-8 in den mythologischen Texten von Ugarit] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,8. Der längste Mythenzyklus der Keilschrifttexte von Ugarit beschäftigt sich mit dem Gott Baal. 205,8 vorphönizischen Wettergott Hadad] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,3. 205,9-14 auch Alijan genannt […] einen Jungstier zeugt.] Zum Gott Alijan vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,9. Zu der hier von Buber gegebenen Beschreibung Alijans vgl. Hans Bauer, Die Gottheiten von Ras Schamra, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, 10. Band, 1933, S. 81-101; hier S. 86-89. 205,12 sein Vater El] Zum phönizischen »El« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 177,13. 205,29 Steppe von Moab] Moab ist eine geographische Bezeichnung und gleichzeitig der Name eines Volkes und Reichs östlich des Toten Meeres im heutigen Jordanien gelegen; in der biblischen Überlieferung ist das Bild von Moab durchgängig negativ konnotiert. 205,30 »Baal der Schluft«] Auch Baal-Peor, Buber übersetzt hier »Baal von Por« (vgl. Num 25,3: »Jissrael verjochte sich dem Baal von Por.«). Der Name Baal kommt oft in Verbindung mit Namen oder Ortsbezeichnungen vor, so hier in Verbindung mit »Peor«, dem Namen eines Berges in Moab, auf dem sich die Kultstätte des Baal-Peor (»Herr des Peor«) befand, der als lokale Ausprägung des syrischlevantinischen Wettergottes Baal zu verstehen ist. 205,32-36 dem Volk Kanaans des Sohn Hams […] nichts verbrochen hat.] Gen 9,18-28 berichtet, wie Ham, der Sohn Noahs, nachdem dieser sich an Wein berauscht hatte, Noah nackt in seinem Zelt liegen sieht und seinen Brüdern davon berichtet, anstatt Noah zuzudecken; als Noah erfährt, was Ham getan hat, verflucht er Hams Sohn Kanaan dreimal. 205,Anm 111 Vgl. zum Folgenden […] meinen »Moses« 280 f.] Buber verweist hier auf seinen Aufsatz »Die Sprache der Botschaft«, in: Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 55-75; hier S. 58-62; jetzt in: MBW 14, S. 56-67; hier S. 57-60; zu Bubers Verweis auf Moses siehe im vorliegenden Band, S. 519. 205,38 »die Blöße des Vaters«] Gen 9,22-23.

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206,1-2 »nach dem Tun des Landes Kanaan, wohin ich euch bringe«.] Lev 18,3. 206,7-8 »Verfehlung des Amoriters«] Die Amoriter waren ein Volk, das von Kanaan, dem Sohn Hams (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 205,32-37), abstammte. Sie werden in der Bibel ungenau lokalisiert, offenbar waren sie zeitweise östlich als auch westlich des Jordans im Gebirge ansässig. Die Amoriter waren einer der mächtigsten Volksstämme, gleichzeitig galten sie als moralisch verdorben; in der Bibel stehen sie manchmal allgemein für die Kanaaniter, und in der israelitischen Frühzeit gelten sie als der stereotypische Feind. 206,9 (Testament Judas 12) als »Brauch der Amoriter«] Das »Testament Judas« ist Teil der sog. Testamente der zwölf Patriarchen, einer pseudepigraphen Schrift, die den zwölf Söhnen Jakobs zugeschrieben wird, deren Grundschrift wahrscheinlich dem hellenistischen Judentum zugeordnet werden kann, die aber nur noch in mittelalterlichen Handschriften erhalten ist. Im »Testament Judas« im 12. Kap. findet sich der Verweis auf den »Brauch der Amoriter«: »Die Witwe Thamar hörte nach zwei Jahren, / daß ich zur Schafschur ging. / Da schmückte sie sich bräutlich / und setzte sich ans Tor der Stadt Enaim. / So ist’s ja Brauch der Amoriter, / daß eine Neuvermählte / zur Buhlerei ans Tor sich sieben Tage setzt.« (Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel. Übersetzt und erläutert von Paul Rießler, Augsburg 1928, S. 1183 f.; dieser Teil aus dem »Testament Judas« bezieht sich auf die in Gen 38 berichtete Begebenheit zwischen Juda und seiner Schwiegertochter Thamar). Hinweise auf den »Brauch der Amoriter« finden sich auch im rabbinischen Schrifttum, in Mischna und Talmud, hier zumeist bezogen auf verwerfliche magische Praktiken, so z. B. in mShab VI,10. 206,26 die radikale Reform des Königs Josia] Zum biblischen Bericht über das Wirken Josias siehe II Kön 22 u. 23; Josia, veranlasst durch den Fund eines verschollenen und in Vergessenheit geratenen Gesetzbuches, führt eine radikale Kultreform, verbunden mit sozialen Maßnahmen durch; vgl. auch Buber ausführlich zur Reform des Josia, in: Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 283-287. 206,Anm 112 Vgl. aber hierzu meinen »Moses« 214 ff.] Vgl. Buber, Moses, in diesem Band, S. 478-480. 207,28 Astarte] Auch Aschera, in der Bibel die göttliche Partnerin des Baal; in den mythologischen Texten von Ugarit erscheint sie als die Gattin des Schöpfergottes El. 207,30 Anath, der »Königin des Himmels«] Anath ist eine ägyptische u. syrische Schutz- und Kriegsgöttin; in den mythologischen Texten

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von Ugarit ist sie die Tochter des höchsten Gottes El und seiner Gemahlin Aschera. Die Bibel nennt nirgendwo den Namen Anath, spielt jedoch mit der Bezeichnung »Königin des Himmels« auf sie an; vgl. neben der von Buber genannten Stelle in Jer 44 auch Jer 7,18. 207,32-33 jüdischen Nilkolonie Elephantine] Flussinsel im Nil an der Südgrenze des alten Ägyptens, gegenüber der heutigen Stadt Assuam gelegen; für Elephantine ist spätestens ab der Mitte des 6. Jh. v. Chr. eine judäo-aramäische Gemeinde belegt, die dort bis zum Ende des 5. oder Beginn des 4. Jh. v. Chr. lebte. Sie besaß einen Tempel, der dem Gott Jahu geweiht war, im Jahr 410 v. Chr. zerstört, anschließend aber wieder aufgebaut wurde; für den Namen Jahu findet sich die Schreibweise JHW oder JHH, das Tetragrammaton, JHWH, ist für die judäo-aramäische Gemeinde in Elephantine jedoch nicht belegt; neben dem Hauptgott Jahu wurden noch weiter Götter verehrt, u. a. die Göttin Anath, die auch als Anath-Jahu bezeichnet und damit dem Jahu zugeordnet wird. 207,33-34 Zustände in Jerusalem vor der josianischen Reform] Die assyrische Oberherrschaft in Juda (von der sich Josia lösen konnte) hatte im religiösen und kultischen Bereich zur Folge, dass im Jerusalemer Tempel astrale Gottheiten verehrt wurden. 207,35 »Jaho«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 207,32-33. 208,2-3 wiewohl erst Hosea die tiefe Gefahr der Verquickung ausspricht.] Vgl. Hos 2. 208,11 Tat Elias des Thisbiters] Tischbe ist der Herkunftsort des Propheten Elia, weswegen er in der Bibel auch den Beinamen »der Tischbiter« erhält (vgl. u. a. I Kön 17,1); Tischbe liegt im Gilead, einem Gebirgszug östlich des Jordan, der sich im Norden vom Fluss Jarmuk südlich des Sees Genezareth nach Süden bis zum nördlichen Rand des Toten Meeres erstreckt; die Tat Elias ist das sog. »Gottesurteil auf dem Karmel« (vgl. I Kön 18). 208,15 bʾ rakha] »Segen«, »Segnung«. 208,26 sidonische Gemahlin] Nach biblischem Bericht nahm sich König Salomo gegen das Gebot JHWH’s Frauen aus fremden Völkern, u. a. aus dem phönizischen Sidon, wo die Göttin Astarte eine herausragende Stellung einnahm, und verfiel dadurch dem Götzendienst (vgl. I Kön 11,1-6, 33). 208,27 Ahab für seine Tyrerin] Isebel, die Gemahlin des Königs Ahab; sie war die Tochter Ethbaals, des Königs von Tyrus; dem biblischen Bericht zufolge brachte sie durch ihre Verbindung mit Ahab den Baalskult in das Nordreich Israel.

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208,34-36 inzwischen haben wir […] gewaltigeren Bruder kennengelernt] Die Keilschrifttexte von Ugarit (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,8); in ihrem längsten Mythenzyklus beschäftigen sie sich mit dem Gott Baal; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 177,17-21, sowie Buber, Der Glaube der Propheten, jetzt in diesem Band S. 205. 209,1 Elia aus der Ostjordansteppe] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 208,11; 1955 schrieb Buber ein Theaterstück mit dem Titel Elija. Ein Mysterienspiel (erschienen erst 1963), das die biblische Geschichte des Propheten Elija zum Gegenstand hat und in dramatischer Form darbietet (Martin Buber, Elija. Ein Mysterienspiel, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1963; jetzt in: MBW 7, S. 370-409). 209,3 ohne Grab verschwindend] Die Bibel weiß nichts von einem Sterben des Elia; gemäß der biblischen Überlieferung wurde er von Gott in den Himmel entrückt (vgl. II Kön 2,1-11). 209,5-6 Enkidu des Gilgameschepos] Wegbegleiter des Gilgamesch; laut der Sage wurde er von der Muttergöttin aus Lehm erschaffen, war zu zwei Dritteln Mensch und zu einem Drittel Gott und verkörpert den Ur- oder Naturmenschen. 211,2 des Rebellen Jehu] Vor seiner Königsherrschaft diente Jehu als Oberst im Heer des Nordreichs Israel. Die Bibel macht unterschiedliche Angaben zu seiner Königssalbung: nach I Kön 19,16 war es Elia, der ihn zum König salbte, nach II Kön 9 wird er von einem Schüler des Propheten Elischa in dessen Auftrag noch zur Regierungszeit des Königs Joram zum König gesalbt und erhält den Auftrag, das »Haus Ahabs« wegen dessen Baalsdienst zu vernichten. Nach der Königssalbung, so der biblische Bericht, initiiert Jehu darum eine Verschwörung gegen Joram, den Sohn Ahabs, in deren Verlauf er Joram und danach das ganze Haus Ahabs tötet (II Kön 9,14-10,17); anschließend rottet Jehu den Baalsdienst aus, indem er durch eine List alle Baalspriester töten lässt (vgl. II Kön 10,18-28). 211,8 Jonadab Sohn Rechabs] Zu Jonadab und den Rechabitern vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 164,6-7. 211,14 Adama] Hebr. adama bezeichnet den Erdboden, insbesondere den bebaubaren Boden, das Ackerland. 212,33 in der Erzählung von der Verwerfung Sauls] Vgl. I Sam 15. 213,4 16, 5] »Er sprach: Friede! IHM zu schlachten bin ich gekommen, heiligt euch und kommt mit mir ans Schlachtmahl. Er ließ auch Jischaj und seine Söhne sich heiligen, er berief sie zum Schlachtmahl.« 213,13 Sezessions-Heiligtums.] Nach dem Tod König Salomos trennten sich die zehn nördlichen Stämme Israels von der Dynastie Davids ab

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und bildeten unter König Jerobeam das Nordreich Israel, während die verbleibenden Stämme Juda und Benjamin das Südreich Juda bildeten und den Tempel in Jerusalem als Heiligtum behielten. Damit auch das Nordreich über eine eigenes Heiligtum verfüge, zu dem das Volk pilgern und auf dessen Altar es opfern könne, errichtete Jerobeam in Bethel ein Heiligtum in Form eines Kalbes und setzte dort eine eigene Priesterschaft ein (vgl. I Kön 12,26-33). 213,24-25 erst Salomo weiß anscheinend ihn sich gefügig zu machen] Als es zwischen Salomo und dessen Bruder Adonija noch zu Lebzeiten Davids zu Streitigkeiten um die Thronnachfolge Davids kommt, ergreift Nathan Partei für Salomo und unterstützt diesen bei der Thronbesteigung (vgl. I Kön 1). 213,26-27 der Unfügsame, Unerschrockene] Gemeint ist Micha ben Jimla; nach dem biblischen Bericht in I Kön 22,1-28 verkündet er Ahab Niederlage und Tod im Kampf gegen Aram und wird dafür eingesperrt. Erwähnenswert ist, dass in Bubers »Mysterienspiel« Elija (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 209,1) Beziehungen zwischen Elija und Micha ben Jimla bestehen, von denen allerdings das Buch Könige nichts berichtet; möglicherweise identifiziert Buber den in I Kön 20 auftretenden namenlosen Propheten mit Micha ben Jimla. 213,30-31 das Wort, das auch Hosea nicht wird überbieten können] Der Prophet Hosea kündigte wiederholt den Untergang des Nordreichs Israel an (vgl. insbes. Hos 5-9). 214,3-5 (die vom Rhythmus bestimmte […] amar ba-ʿ araphel lischkon)] Die von Buber hier genannte Wortfolge ist der zweite Teil von I Kön 8,12, der gewöhnlich, so auch bei Luther, der Septuaginta folgend, als »Er hat aber gesagt, er wolle im Dunkel wohnen« (amar li-schkon ba-ʾ araphel) übersetzt wird, während Buber die Wortfolge umstellt und übersetzt: »Im Wetterdunkel sprach einst ER, einwohnen zu wollen«. 214,27 Micha Sohn Jimlas] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 213,26-27. 214,28-33 den beiden Königen […] zur Rechten und zur Linken.] Vgl. I Kön 22,10, 19. 214,35-39 sendet einen seiner Geister […] Untergang zu jagen.] Zur Deutung der Stelle I Kön 22,21 f. vgl. auch Buber, Genesisprobleme, in diesem Band, S. 94, und die Wort- und Sacherläuterung zu 94,1013. 215,9-10 Berufungsvision Jesajas] Jes 6. 215,17-18 »die Rosse«, die »Weiber« und »die Schätze«] Vgl. das Königsgesetz Dtn 17,16 f.; Salomo übertrat alle drei Gebote: nach I Kön 5,6

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besaß er 40 000 Stallplätze für Pferde, I Kön 11,3 spricht von 700 Haupt- und 300 Nebenfrauen, die Salomo hatte, und II Chr 1,15 u. II Chr 9,20 f. berichten vom Reichtum an God und Silber, den Salomo anhäufte. 215,19-20 Rehabeam, dem Sohn der Ammoniterin] Rehabeam, Sohn Salomos, seine Mutter war eine der Nebenfrauen Salomos, die Ammonitern Naama (vgl. I Kön 14,31); er wurde nach dem Tod Salomos König. Als das Reich nach kurzer Zeit in das Nordreich Israel und das Südreich Juda zerfiel (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 213,13), blieb Rehabeam König über Juda. 215,26-27 Auch der I Samuel 8 eingeschaltete kritische Spruch (V. 1117)] Vgl. Buber, Der Glaube des Propheten, jetzt in diesem Band, S. 199. 216,12-13 der »im Zelte […] »Zedernhaus« gesperrt werden] Vgl. II Sam 7,6-7. 216,35-36 nicht Marduk […] Chaosdrachen bezwang.] Marduk war ursprünglich der Stadtgott von Babylon, später Hauptgott des babylonischen Reichs; er gilt im babylonischen Weltschöpfungsmythos Enūma eliš als Erschaffer der Welt, weil er im sog. »Chaosdrachenkampf« die Göttin Tiamat, die zahlreiche Ungeheuer mit der Absicht der Vernichtung der Götter geboren hatte, in zwei Hälften spaltet, aus denen er die Welt und den Himmel formt. 217,10 Hethitern] Kleinasiatisches Volk des Altertums, über dessen Herkunft wenig bekannt ist; aus Keilschrifttexten hat man allerdings gesicherte Erkenntnisse über die Sprache der Hethiter, die zur indogermanischen Sprachfamilie gehört. Die Hethiter siedelten in Anatolien; im 2. Jahrtausend v. Chr. erstreckte sich das Reich der hethitischen Großkönige über den größten Teil der heutigen Türkei und teilweise bis nach Nordsyrien. 217,Anm 121 Königtum Gottes 100 f., 247 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 153 f.; 223 f. 217,15 ʾ olah] »Aufstiegsopfer«, »Ganzopfer«, »Brandopfer«. 217,31-34 Ich meine damit […] Darbringung Isaaks] Vgl. Gen 2,4b22,19. 218,Anm 122 vgl. auch Buber […] Wissenschaft des Judentums 1936, 81 f.] Vgl. jetzt im vorliegenden Band, S. 89 f. 218,11 Josefsgeschichte] Vgl. Gen 37-50. 218,16 elohistische Quelle] Vgl die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 218,20 die Priesterschrift] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11.

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219,17-18 Der aus der Völkerwelt Herausgeholte empfängt den dritten Segen.] Gen 12,2-3; Gen 22,17-18. 219,18-19 nicht mehr wie jene beiden […] Fruchtbarkeit verheißender ist] Vgl. die beiden ersten Segen nach der Erschaffung des Menschen, der Segen über den Menschen sowie nach der Sintflut der Segen über Noah und seine Nachkommen: Gen 1,28; Gen 9,1. 219,19-20 sondern ein dialogischer] Buber beschreibt und betont in seinen Schriften zur Bibel immer wieder den dialogischen Charakter, der die Beziehung zwischen Gott und Mensch kennzeichne und den die Hebräische Bibel deutlich zum Ausdruck bringe. So beschreibt er in seinem Vorwort zur dritten Auflage von Königtum Gottes (1956), S. LXIII, schon die Frühphase im Gottesglauben Israels als »das je und je realisierte, stets aber intendierte Verhältnis der dialogischen Ausschließlichkeit zwischen dem Führenden und den Geführten« (jetzt in: MBW 15, S. 275). In seinem Aufsatz »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« (1954), S. 1105, heißt es, in der Prophetie Israels werde die »dialogische Tiefe der Gegenseitigkeit von Himmel und Erde […] zum stärksten Ausdruck gebracht« (jetzt in: MBW 15, S. 384) und die Vorstellung vom Walten Gottes, die dieser Prophetie zugrunde liege, sei die vom »Geheimnis des dialogischen Umgangs zwischen Gott und Mensch vor allem Verlangen nach dogmatischer Verkapselung« (ebd., S. 385). Auch die biblischen Führergestalten charakterisiert Buber im Sinn dieses »dialogischen Umgangs«: »Die biblischen Führer sind Entwürfe des dialogischen Menschen, des Menschen, der mit seinem Wesen im Zwiegespräch Gottes mit der Welt steht und diesem Zwiegespräch standhält.« (Buber, Biblisches Führertum, in diesem Band, S. 67). In Bubers Antwort an seine Kritiker entgegnet er auf den Vorwurf, dass er »das menschliche Handeln zu einem Faktor der Erlösung mache«, ebenfalls mit seiner dialog-philosophischen Auffassung: »Gott ist es, der immer wieder und wieder in das dialogische Verhältnis zum Menschen treten will. Hier waltet keine Dialektik, sondern das nicht zu dialektisierende Geheimnis der Urbeziehung zwischen Gott und Mensch.« (Buber, Antwort, in diesem Band, S. 588; vgl. auch unten, Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 220: »Aber explicite sagt er, daß das menschliche Schicksal sich vom Dialog zwischen Gott und Mensch aus entscheidet.«) Schließlich verbindet Buber in einer Erklärung über sein Bibelstudium seine Vorstellung von der dialogischen Beziehung zwischen Gott und Mensch mit der von der dialogischen Beziehung zwischen Mensch und Mensch und benennt als »central portion of my life work« die folgende Grundeinsicht, die ihn

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u. a. zum Studium der Bibel geführt habe: »that the I-Thou relation to God and the I-Thou relation to one’s fellow man are at bottom related to each other. […] All my work on the Bible has ultimately served this insight […].« (Buber, Philosophical Interrogations, in diesem Band, S. 594). 220,3-4 Abschnitt vom Siebentagewerk] Der Schöpfungsbericht, Gen 12,4a. 220,6 das babylonische Weltschöpfungsepos] Enūma eliš (»Als da droben«, benannt nach dem Beginn der ersten Zeile des Epos); der Mythos wurde am vierten Tag des babylonischen Neujahrsfestes rezitiert; er erzählt die Auseinandersetzung zwischen kosmischer Ordnung und Chaos, symbolisiert im Kampf zwischen dem Gott Marduk und der Göttin Tiamat. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 216,35-36. 220,13 »Am Tag, da JHWH, Gott, Erde und Himmel machte …«] Gen 2,4b. 221,2 (Genesis 4, 1 ff.)] Gen 4,1-13; Kain opfert von den Früchten seines Feldes, Abel von den Erstgeburten seiner Tierherde. 221,24 Erzählung vom Opfer, mit der das Werk schließt (Kap. 22)] Die Opferung Isaaks. 221,24-25 Die Melekhgötter der westsemitischen Stämme lieben das Kindesopfer] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 182,18-19. 221,Anm 123 Königtum Gottes 68 ff., 93 ff., 211 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 137 f., 149 f., 213, 485-495. 222,14-17 Wohl auch den Hof […] angewiesen bekommen hat] Gemeint ist der Hof König Salomos; I Kön 11,1-8 berichtet von den zahlreichen Nebenfrauen Salomos, die aus fremden Völkern stammten und für deren Götter Salomo jeweils »auf dem Berg, der Jerusalem zugewandt ist« (I Kön 11,7) eine Kultstätte errichtete. 223,5-6 Bab-ilu, Gottestor] Etymologisch leitet sich der Name »Babylon« von Akkadisch Babilla ab, das in der gebräuchlichen mesopotamischen Form zu Babillu, »Tor Gottes« wurde. Worauf Buber im Folgenden verweist, ist, dass es in Babylonien nördlich des MardukTempels einen Tempelturm gab, der den Namen Bab-ilu trug; darüber hinaus besteht einen klangliche Ähnlichkeit zwischen »Babel« und dem hebräischen Wort balal, das »vermischen«, »mischen«, »verwirren« bedeutet. 223,12 im Weltschöpfungsepos »Als droben«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 220,6.

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223,29-32 Und wie wir bei Amos (9, 7) […] Israel anvertraut ist] Vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, jetzt in diesem Band, S. 180; sowie Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102. 224,23-32 In Salomos Nachfolger […] an die Seite.] Salomos Nachfolger wurde sein Sohn Rehabeam, nach der Teilung des Reiches verblieb er lediglich König über die Stämme Juda und Benjamin (vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 215,19-20; sowie I Kön 12,1-19, I Kön 14, 21-31). Jerobeam wurde König des Nordreichs, für das er ein eigenes Heiligtum samt einer Priesterschaft errichtete (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 213,13, sowie I Kön 12,20-33). Ahab, der Sohn Omris, Begründer der Omriden-Dynastie, errichtete für seine Gemahlin Isebel, die die Tochter des tyrischen Königs war, ein Baalsheiligtum in Samaria, der Hauptstadt des Nordreichs Israel (vgl. I Kön 16,23-33 und die Wort- und Sacherläuterung zu 208,27). 224,33-34 Jehus Revolution] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 211,2. 224,35 Aber bei Elisa mit seinen »Kündersöhnen«] Elisa war ein Prophet im Nordreich Israel im 9. Jh. und Schüler des Propheten Elia; der hebr. Ausdruck benei nebiim wird oft – so etwa bei Luther – mit »Prophetenjünger« wiedergegeben; Buber übersetzt auch mit »Jungkünder« (vgl. z. B. II Kön 2,3). 226,6-7 zum Unterschied von den späteren Apokalyptikern] Zu Bubers Gegenüberstellung von Propheten und Apokalyptikern vgl. »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde«, jetzt in: MBW 15, S. 380-393. Nach Buber stellen Prophetie und Apokalyptik »zwei wesensverschiedene Sichten« (MBW 15, S. 381) auf die Welt dar: während der Prophet in eine aktuelle Stunde der Gegenwart hinein spricht und in dieser das Volk vor die Wahl stellt, den Weg der »Umkehr« einzuschlagen oder den momentan eingeschlagenen Weg der Abkehr von den Geboten und dem Willen Gottes weiter zu gehen, verkündet der Apokalyptiker das bevorstehende Unheil vor dem Hintergrund einer Weltsicht, nach der dem Menschen keine Wahlmöglichkeit über sein Schicksal gegeben ist, sondern alle Ereignisse unabhängig von einer Entscheidung des Menschen nach einem festgelegten Plan ablaufen, weswegen er für seine apokalyptische Verkündigung auch keiner bestimmten Situation bedarf, in die hinein er spricht. 226,12-14 dem königlichen Heiligtum […] Jungstierbild aufgerichtet hat.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 213,13. Die Ephraimiter, eigentl. die Angehörigen des Stammes Ephraim, dem jüngsten Sohn Josefs; manchmal bezeichnet die Bibel mit »Ephraim« aber auch das gesamte Nordreich Israel.

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226,16-19 jene Hochstunde […] für die Siegsverleihung dankte] Vgl. II Kön 14,23-29. 226,33-36 In einem anderen Spruch […] Führergott jedes Einzelnen] Vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, jetzt in diesem Band, S. 180; sowie Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102. 227,27 Kir (vermutlich = Ur)] Im Zuge der Forschungen und Ausgrabungen der mesopotamischen Stadt Ur wurde die These vertreten, dass es kein Land »Kir« gebe, sondern dass es sich bei »Kir« um die assyrische Form des Namens »Ur« handele (vgl. z. B. Paul Haupt, Kir = Ur of the Chaldees, in: Journal of Biblical Literature, Bd. 36, Nr. 1/2 (1917), S. 93-99). Zu »Ur« vgl. auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 115,1-2 u. 120,5-6. 227,31-35 Kundgebung Jephthas […] beiden Völkern entscheide.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 181,20-23. 228,Anm 129 Vgl. das im Abschnitt […] des Amoriters« Gesagte.] Vgl. oben, S. 206; sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 206,7-8 u. 206,9. 228,26 die »Weisung« (thora)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 103,16-17. 228,38 in Jerusalem wie in Samaria] Die Hauptstädte des Südreichs Juda (Jerusalem) und des Nordreichs Israel (Samaria). 229,35 (V. 10)] Druckfehler im Original: Buber meint Vers 11, nicht Vers 10. 229,36-37 Nasiräer] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 194,16. 230,1-3 wie man alsbald […] zum Schweigen zu bringen] Vgl. Am 7,1013. 230,20 Wadis] Wadi, Arabisch »Tal«; oft auch Bezeichnung für einen ausgetrockneten Flusslauf, der nur während Zeiten starken Regens Wasser führt. 230,29-31 (die späte, zusammenfassende […] dieser Grundvorstellung] Die Bezeichnung qorban wird abgeleitet von der Verb-Wurzel ‫קרב‬, qrb, »sich nähern«, und beschreibt den Vorgang einer Annäherung oder eines Sich-Nahens. Der Ausdruck kommt in der Hebräischen Bibel hauptsächlich in den Büchern Leviticus und Numeri vor, wo er entweder einzelne Opferarten, sonstige Rituale oder wertvolle Objekte, die dem Heiligtum übergeben werden, bezeichnet, darüber hinaus wird qorban auch als Oberbegriff zur Bezeichnung unterschiedlicher Opferarten verwendet; auf diese letzte Bedeutung verweist Buber hier. 230,37 vorezechielischen] Der Prophet und Priester Ezechiel (auch Hesekiel) wurde bereits mit der ersten Welle der Verbannung im Jahr

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597 v. Chr. nach Babylon deportiert; dort wirkte er ca. von 593 bis 571 v. Chr. Das babylonische Exil stellt auch in der Prophetie Israels eine Zäsur dar; der Tempelkult in Jerusalem kann nicht mehr praktiziert werden, Jerusalem und der Tempel, die JHWH als Ort seiner Präsenz erwählt hatte, sind unerreichbar. Ezechiel antwortet auf diese veränderte religiöse Situation mit einer priesterlichen Theologie und prägt vor allem die Vorstellung von der Herrlichkeit JHWH’s (kabod; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3). 232,3 Bethelrede] Vgl. Am 2 u. 3; in Bethel stand das Heiligtum des Nordreichs Israel. Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 213,13. 232,18 Micha ben Jimla] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 213,26-27. 232,26 »falschen Propheten«] Vgl. auch Bubers Aufsatz unter dem gleichen Titel: Martin Buber, Falsche Propheten, in diesem Band, S. 132136; vgl. auch Buber über die »falschen Propheten«, denen Micha ben Jimla entgegentritt, in: Buber, Genesisprobleme, in diesem Band, S. 94, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 94,10-13. 232,32-35 Der echte Prophet tut kein […] Entscheidungsmächtigkeit rührt.] Was Buber hier als »echte Prophetie« charakterisiert, erläutert er an anderer Stelle in einer Gegenüberstellung von Prophetie und Apokalyptik; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 226,6-7. Die »echte Prophetie« in Gegenüberstellung zur Apokalyptik diskutiert Buber auch noch einmal im Hinblick auf die beiden Propheten Jeremia und Ezechiel in: Buber, Der Glaube der Propheten, jetzt in diesem Band, S. 298. 233,11 Umkehr] Hebr. teschuwa, »Reue«, »Umkehr«, Buber übersetzt in der Regel mit »Umkehr«; in zahlreichen seiner Schriften thematisiert er diesen zentralen Bestandteil der biblischen und talmudischen Lehre des Judentums; so heißt es z. B. im Mischna Traktat Pirke Avot: »Kehre einen Tag vor deinem Tode um.« (mAvV II,15; BT, Bd. IX, S. 669.) Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 668,34-35. 233,13 der Erzählung von Jona] Vgl. das prophetische Buch Jona. 233,41-234,1 »es sich hat gereuen lassen«] Vgl. Am 7,3 u. 6. 234,14-15 Entscheidungsaufruf des Deuteronomiums] Vgl. Dtn. 30. 234,26 Sohn Rest-kehrt-um] Beide Söhne Jesajas, die die Bibel erwähnt, tragen zeichenhafte Namen. Vgl. Jes 7,3 (»Rest-kehrt-um«) u. Jes 8,3 (»Eilebeute-Raubebald«). 235,17-18 »Doxologien«] Lobspruch, ein Wort zur Verherrlichung; die Schlusspassage eines Gebets oder Bekenntnisses, das die Herrlichkeit Gottes rühmt. 235,22 Ruach] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 192,30.

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235,25-27 und den »Mann des Geistes« […] führt Hosea 9, 7 an)] Vgl. Hos 9,7: »Närrisch ist der Künder, rasend der Mann des Geists!« 235,27-29 »sagt er […] Selbstgespräch] ist«.] Amos 4,13. 235,33-34 »macht nun aus […] Höhen der Erde«.] Ebd. 236,14-17 die uns Leser nötigt […] Mesopotamien zu denken] Nach dem biblischen Bericht in II Kön 17,1-23 belagerte der assyrische König Salmanassar Samaria (um 722 v. Chr.), die Hauptstadt des Nordreichs Israel, drei Jahre lang, nahm die Stadt dann ein, deportierte den Großteil der israelitischen Bevölkerung nach Mesopotamien und siedelte neue Bewohner in Samaria und seiner Umgebung an. 236,32-35 In seiner Antwort sagt Amos […] zum Volke schickt.] Vgl. Am 7,14-17. 237,3 der »Ueberrest«] Vgl. oben, S. 234,3-31. 237,16-17 der »fallenden Hütte Davids«] Am 9,11. 237,21 (ßukkot)] Hebr. sukkot ist ebenfalls die Bezeichnung für das Laubhüttenfest, eines der drei Wallfahrtsfeste, das in Hütten gefeiert an das Wohnen in den Hütten während des Auszugs aus Ägypten erinnert. 238,31-32 (vgl. z. B. Hosea 4, 15 mit Amos 5, 5)] Vgl. Hos 4,15: »Mußt du, Jissrael, huren, verschulde doch Jehuda sich nimmer: nimmer sollt nach dem Ringwall ihr kommen, nimmer aufsteigen zum Hause des Args, nimmer schwören da: Sowahr ER lebt!« Am 5,5: »Betel sucht nimmer auf, kommt nach dem Ringwall nicht, ziehet nicht nach Berscheba, denn der Ringwall, rings gewalzt wird er, abgewalzt, und Betel, das ›Gotteshaus‹, wird zur Argstätte.« 238,33 »wie Licht aufgehe«] Hos 6,5. 239,24 »Nimm dir ein buhlsüchtiges Weib«] Hos 1,2. 240,33-34 »Hasset das Böse und liebet das Gute«] Am 5,15. 241,27 in deuteronomischen Mosereden (mehrfach)] Vgl. z. B. Dtn 6,5; 10,12 u.15; 11,1, 13 u. 22. 241,40 cheßed] Buber erläutert den schwierigen Begriff der chessed in ähnlicher Weise im Sinn eines feststehenden Wohlwollens und einer immerwährenden Bundestreue auch in seinem Aufsatz »Zur Verdeutschung der Preisungen«, S. 174; jetzt in: MBW 14, S. 89: »Cheſsed ist eine Zuverlässigkeit zwischen den Wesen, und zwar wesentlich die des Bundesverhältnisses zwischen dem Lehnsherrn und seinen Dienstmannen, ganz überwiegend die Bundestreue des Herrn, der seine Diener erhält und beschützt, sodann auch die der Untertanen, die ihrem Herrn treu ergeben sind. Der diesem Gegenseitigkeitsbegriff entsprechende deutsche Wortstamm ist ›hold‹: sowohl

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das Adjektiv hold wie das Nomen Huld bezeichnen ursprünglich auch die Treue von unten nach oben […], der ›Holde‹ hieß mittelhochdeutsch der Dienstmann […] In den Psalmen sind Gottes chaſsidim seine Holden, seine treue Gefolgschaft.« 243,6 (Amos 9, 7)] Vgl. auch oben, S. 180,30-32; sowie Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102. 243,6-7 »es gibt keinen Befreier als mich«] Hos 13,4. 243,39-244,1 die beiden Leitworte […] »ich werde (bei dir) dasein«] Zum Gespräch JHWH’s mit Moses aus dem brennenden Dornbusch, vgl. Ex 3-4,17. Die Bedeutung der beiden Leitworte ʿ amni und ehjeh erläutert Buber ausführlicher in seinem Essay »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 102-113, hier S. 104 f.; vgl. auch das Kapitel »Der brennende Dornbusch«, in Buber, Moses, S. 56-81; im vorliegenden Band, S. 382-397. 244,Anm 136 Vgl. van Hoonackers Kommentar zur Stelle.] Für Hoonakkers Kommentar zu Hos 1,9 bezieht sich Buber vermutlich auf dessen kommentierte Übersetzung der wegen ihres Umfangs sog. zwölf »Kleinen Propheten« (das sind die Bücher Hosea bis Maleachi); siehe Albin van Hoonacker, Les douze petits prophètes. Traduits et commentés, Paris 1908, S. 18 f. 244,21-22 »ich werde dasein, wie immer ich (je und je) dasein werde«] Ex 3, 14; vgl. Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102. 245,10 (Jeremia 2, 3)] Vgl.: »ein Geheiligtes ist Jissrael IHM, sein Anfangsteil von der Ernte, alle, die den verzehren wollen, müssen es büßen, Böses kommt an sie, SEIN Erlauten ists.« 246,5 Gott der stürmenden Ruach] Dass Buber hier der Ruach Gottes das Adjektiv »stürmend« beigibt, scheint zunächst ungewöhnlich, denn Buber übersetzt ruach in der Regel mit »Wehen« oder »Braus«, um hervorzuheben, dass Gott sich gewöhnlich gerade nicht »stürmend« mit Macht oder Gewalt zeigt, sondern auf behutsamere Art und Weise; an einer Stelle spricht er darum auch vom »Sturmhauch« Gottes (Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 194; Hervorhebung nicht im Original). Verständlich wird der Begriff der »stürmenden Ruach«, wenn man bedenkt, dass Buber sie in seinem Aufsatz »Die Führungskraft der Schrift« als eine dynamische Erscheinung charakterisiert, die neben dem Wehen und Brausen auch eine ursprüngliche an »Gischt« anklingende Sinnlichkeit besitzt (vgl. in diesem Band, S. 582 f.). Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 192,30. 246,12 des samarischen »Kalbes«] Gemeint ist das Heiligtum des Nordreichs Israel, das in Bethel stand; die Bezeichnung »samarisch« bezieht sich auf die Hauptstadt Israels, Samaria.

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247,19 nicht rechabitisch gesinnt] Der Stamm der Rechabiter erhob den nomadischen Lebensstil zum Ideal; für eine genauere Beschreibung der Rechabiter vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 164,6-7. 247,32 Hosea (9, 10)] Vgl.: »Wie wenns Trauben in der Wüste wären, befand ich da Jissrael, wie Erstreifes am Feigenbaum in seinem Anfang sah eure Väter ich an, – kaum kamen die nach Baal-Por weihten sie dem Schandzeug sich zu, wurden greulich wie ihr Lieben.« 247,34 Sünde vom Baal-Peor] Zur Unterwerfung der Israeliten unter den Baal-Peor vgl. Num 25,1-18. Zur Bezeichnung Baal-Peor vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 205,30. 247,41-248,1 Wiewohl Hosea kein »nomadisches Ideal« hat] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 247,19. 248,7-9 nach diesem Wort moʾ ed […] Zelt der Begegnung] »Zelt der Begegnung«, hebr. ohel moed, bei Luther »Stiftshütte« genannt; das mitziehende Heiligtum, das nach der Offenbarung am Sinai während der Wüstenwanderung des Volkes Israel der Ort der Gegenwart Gottes ist, an dem Gott Moses begegnet und zu ihm spricht; vgl. Ex 25,8; 27,21 u. 33,7-11. 248,41-249,2 In Gibea […] (Hosea 10, 9)] Die sog. Schandtat von Gibea, einer Stadt im Gebiet des Stammes Benjamin, von der Ri 19 berichtet, handelt von einem Leviten, dessen Nebenfrau von den Bewohnern Gibeas in einer Nacht zu Tode vergewaltigt wird. Vgl. Hos 10,9: »Seit den Tagen von Giba, der ›Hügelstadt‹, sündigst du, Jissrael, – dort sind sie stehengeblieben«. 249,3 Jehus Bluttat] Vgl. oben, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 211, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 211,2. 249,5-6 die jesajanische Vorstellung […] zerbrochen wird] Nach Jes 10,5-7 ist das Reich Assyrien die Rute des Zornes Gottes, die das Gericht über Israel bringen soll, dann aber aus Hochmut ihre Befugnisse übertritt und darum zerbrochen werden, d. h. selber untergehen soll. 249,13 Jerobeams II.] Zur Regierungszeit Jerobeams II. vgl. II Kön 14,23-29; vgl. auch oben, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 226, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 226,16-19. Der Beginn der Wirkungszeit Hoseas fiel in die letzten Regierungsjahre Jerobeams II. in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Jerobeam II. war der letzte bedeutende König des Nordreichs, bevor dieses um 722 v. Chr. von den Assyrern erobert wurde. 249,18-19 wie in einem späteren […] vor dessen Zusammenbruch.] Gemeint ist die Zerstörung Jerusalems und des Reiches Juda und die Deportation seiner Bewohner nach Babylon. Jeremias Wirkungszeit

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begann 627 v. Chr. in der Regierungszeit des Königs Josia, setzte sich fort unter den Königen Jojakim und dessen Sohn Jojachin, der 597 v. Chr. samt der Oberschicht Jerusalems nach Babylon deportiert wurde, und Zidkija, dem letzten König von Juda, in dessen Regierungszeit die Zerstörung Jerusalems und des Staates Juda und damit der Beginn des babylonische Exils 587/6 v. Chr. fiel; damit endete das Wirken Jeremias. 249,21-22 Gott Melekh oder Molekh (dem sogenannten »Moloch«)] Melech oder Moloch war der Name eines kanaanäischen Gottes, dem Kinderopfer dargebracht wurden; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 182,18-19 und 96,8-9. 250,9 ein Mann der Ruach] In der Begegnung Gottes mit dem prophetischen Menschen fährt die göttliche Ruach auf den Menschen nieder und erfasst ihn. Vgl. oben, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 197 und die Wort- und Sacherläuterung zu 197,25. 250,Anm 138 Das den Zusammenhang unterbrechende Wort »Ephraim« ist Anrede] Vgl. Hos 9,8: »Der als Späher, o Efrajim, zugesellt ist meinem Gott, ein Künder, – Vogelstellerschlinge auf all seinen Wegen, Widersachertum noch im Haus seines Gottes!« Ephraim meint hier das Nordreich Israel (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 226,1214). 250,19-21 in dem syrisch-ephraimitischen […] nach Assyrien.] Im sog. syrisch-ephraimitischen Krieg 734-732 v. Chr. zwischen dem assyrischen Reich und einer Allianz aus Syrien und dem Nordreich Israel eroberte Assyrien 733 v. Chr. den Großteil Israels und deportierte seine Oberschicht nach Assyrien (vgl. II Kön 15,29). Als der nächste König des Nordreichs, Hoschea, die Tributzahlungen an Assyrien verweigerte, zog der assyrische König Salmanassar gegen Israel, eroberte 722 v. Chr. Samaria und deportierte den Großteil seiner Bevölkerung (vgl. II Kön 17,1-6). 251,30-31 Diese Verheißung ist in einen dialogischen Zusammenhang eingefügt.] Für Buber ist die Beziehung zwischen Gott und Israel und darüber hinausgehend die Beziehung zwischen Gott und der Welt eine dialogische Beziehung; seine These von der wesensmäßig dialogischen Begegnung zwischen Gott und Mensch vertritt Buber auch an anderen Stellen seiner Schriften zur Bibel; siehe hierzu ausführlicher schon die Wort- und Sacherläuterung zu 219,19-20. 251,37-39 wie aus »Ihr-wird-Erbarmen-nicht,« […] »Mein-Volk« wird] Hos 2,25. 251,39-252,2 so wird Jesreel […] »Den-Gott-sät«.] Vgl. Hos 2,24 f. Zur Bluttat und der Bedeutung des Namens Jesreel in Verbindung mit ihr

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vgl. Hos 1,4, und oben, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 211, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 211,2. 252,23 seiner wichtigsten politischen Handlung (Kap. 7)] Jesaja fordert Ahas, den König von Juda, auf, im syrisch-ephraimitischen Krieg (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 250,19-21) keine Koalition mit Assyrien einzugehen, sondern sich still und ruhig zu verhalten und auf die Befreiung durch JHWH zu warten. Vgl. Bubers Deutung von Jes 7, unten, S. 258 ff. 253,22-26 Am Eingang seines Berichtes […] preisen hört:] Vgl. Jes 6,1-3. 253,38 Exodus 24, 10] »Sie sahen den Gott Jissraels: zu Füßen ihm wie ein Werk aus saphirnen Fliesen, wie der Kern des Himmels an Reinheit.« 253,41-254,3 wie die Gewandsäume […] ist sein Kabod.] Vgl. Jes 6,3; zu kabod vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 254,15 iranischer Religiosität] Die iranische Religion des Zoroastrismus ist auf eine eschatologisch ausgerichtete Lehre gegründet; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 142,7-9. 254,33 Nachahmung Gottes] Auf die Vorstellung der »Nachahmung Gottes« als eines der wichtigsten Prinzipien in der jüdischen Religion verweist Buber in unterschiedlichen seiner Schriften; vgl. im vorliegenden Band z. B. Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 108, Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 231, S. 240 (hier mit dem Hinweis auf die Ebenbildlichkeit des Menschen, auf der sich nach Buber das Prinzip der »Nachahmung Gottes« im Judentum gründet); 1926 veröffentlichte Buber einen Aufsatz unter dem Titel »Nachahmung Gottes« (in: Der Morgen, 1. Jg., Heft 6 (Februar 1926), S. 638-647; jetzt in: MBW 20, S. 35-44), in dem er über die Bedeutung der Vorstellung von der »Nachahmung Gottes« im Judentum sagt: »Die Nachahmung Gottes, nicht des Wunschgebildes [wie in der griech. Antike], sondern des wirklichen Gottes, und nicht eines menschgestaltigen Mittlers [wie im Christentum], sondern Gottes selber, ist die zentrale Paradoxie des Judentums.« (Ebd., S. 642; jetzt in: MBW 20, S. 39). 254,39 Bileamspruch Numeri 23, 9)] »Da, ein Volk, einsam wohnt es, unter die Erdstämme rechnet sichs nicht.« Zum Propheten Bileam, der Israel verfluchen will, es aber segnen muss, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 444,22-23. 255,23-24 jenes Da-sein des »Daseienden« für das Israel, »bei dem« er da ist] Die Offenbarung des Namens Gottes in Ex 3,14; vgl. auch Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104.

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256,31-32 Die Frage, die Micha ben Jimla hörte (I Könige 22, 20)] »ER aber sprach: Wer kann Achab betören, daß er ziehe, daß er falle bei Ramot in Gilad? Nun sprach der: Damit! und der sprach: Damit!« 256,39-257,5 »diesem Volk da« zu sagen […] seine Augen zu »verkleben«.] Vgl. Jes 6,9-10. 257,11-12 wie jener Windgeist des Micha ben Jimla] In Micha ben Jimlas Verkündigung des Unheils über Achab sind es falsche Heilspropheten, aus denen nicht der Geist, sondern der »Lügenbraus« (I Kön 22,22) spricht. 257,38-39 Erzählung von der Begegnung mit dem König Ahas] Jes 7. 257,39 Rest der Denkschrift] Jes 8-9,6. 258,6-7 Bis das Volk auf ein Zehntel reduziert (V. 13) und der Boden verwüstet ist.] Vgl. Jes 6,13: »Dann, wenn nur noch ein Zehntteil darin ist und es wieder zur Abweide ward: der Eiche gleich, der Steineiche gleich, von denen beim Fällen ein Stumpf blieb: sein Stumpftrieb ist Same der Heiligung.« 258,13-14 »wieder der Vertilgung anheimfallen«] So im Allgemeinen die Übersetzung des Teils von Jes 6,13, den Buber dagegen mit »wieder zur Abweide ward« übersetzt; im Folgenden erläutert er seine Übersetzung. 258,17 Numeri 24, 22] »gleichwohl wird Kajin zur Weide, wie lang hält dich Aschur gefangen?«; so Bubers Übersetzung; Luther dagegen übersetzt auch hier mit »ausgetilgt«. 258,Anm 142 ein Kommentator wie Duhm] Das Buch Jesaja, übersetzt und erklärt von Bernhard Duhm (= Handkommentar zum Alten Testament, III. Abteilung, 1. Band. In Verbindung mit Fachgelehrten hrsg. von W. Nowack), 2. verbesserte Aufl. Göttingen 1902, S. 33, 46. 259,8 Esra 9, 2] »denn sie haben von ihren Töchtern für sich und für ihre Söhne genommen und haben sich, Same der Heiligung, vermischt mit den Völkern der Länder, und die Hand der Obern und Präfekten war in dieser Untreue voran.« 259,20-22 da er, offenbar noch nicht […] »Rest-kehrt-um« gibt.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 234,26. 260,1-3 Damaskus und Samaria […] gegen Juda vor.] Gemeint ist der syrisch-ephraimitische Krieg 734-732 v. Chr. Vgl. die Wort- und Sacherläuterungen zu 250,19-21 u. 252,23. 260,4-5 »wie die Bäume des Waldes vor dem Windbraus beben«] Jes 7,2. 260,8 II Könige 16, 3] »er ging in der Wegspur der Könige von Jissrael, er führte sogar seinen Sohn durchs Feuer dar, den Greueln der Stämme gleich, die ER vor den Söhnen Jissraels her enterbt hatte«.

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260,13 im Tale Hinnom] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 201,1012. 260,Anm 143 Königtum Gottes 69 f., 211, 222 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 137 f., 213, 493-495. 260,13-14 Molochisierung des Melekh JHWH] Die Übernahme der Kulte der phönizisch-kanaanäischen Nachbarvölker, die ihrem Gott Melekh oder Moloch Brandopferriten, darunter auch Kinderopfer darbrachten. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 96,8-9. 260,17-19 entsendet JHWH den Jesaja […] Rest-kehrt-um mitzunehmen.] Vgl. Jes 7,3. 262,18-19 »vor diesen zwei qualmenden Fackelstummeln«] Jes 7,4. 263,24-25 »von JHWH seinem Gotte her heischen«] Jes 7,11. 263,32-34 daß die symbolische Handlung […] ein Zeichen genannt wird] Vgl. Jes 20,3: »ER sprach: Wie mein Knecht Jeschajahu entblößt und barfuß gegangen ist, über drei Jahre ist das ein Zeichen und ein Erweis für Ägypten und für Äthiopien:« 264,14-15 Er lehnt ab; er wolle JHWH nicht versuchen.] Vgl. Jes 7,12. 265,1-2 der Hagar die Ismaels, dem Weibe Manoahs die Simsons] Vgl. Gen 16,11; Ri 13,5. 265,4-9 ein bestimmtes mannbares Mädchen […] einen Sohn gebären.] Vgl. Jes 7,14. 265,11 »die ʾ almah«] Das hebr. Wort ‫עלמה‬, ʿ almah, bezeichnet eine junge, in der Regel unverheiratete Frau; das Wort impliziert jedoch nicht, dass sie Jungfrau ist; zur ausdrücklichen Bezeichnung einer Frau als Jungfrau verwendete die Bibel stattdessen das hebr. Wort betulah. Nach christlicher Tradition wird allerdings die ʿ almah aus Jes 7,14 mit der Jungfrau Maria identifiziert; Luther z. B. übersetzt ʿ almah nicht mit »junge Frau«, sondern mit »Jungfrau«. 265,27 »geistlicher Gegenkönig« (Procksch)] Otto Procksch, Jesaia I, Leipzig 1930, S. 124. 266,10-14 so wird jetzt […] offenbart:] Vgl. Jes 9,5, in der Übersetzung Bubers: »Denn ein Neugeborner ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, auf seiner Schulter wird die Fürstenschaft sein. Seinen Wundernamen ruft man: Ratsmann des heldischen Gottes, Vater des Siegesgewinns, Fürst des Friedens.« 266,15-16 (nicht, wie man anzunehmen pflegt, aus vier) Gliedern] So z. B. in der Übersetzung von Jes 9,5 bei Luther: »Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst«.

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266,Anm 149 Die Dreigliederung ist bereits […] anders interpretiert.] Vgl. Samuel David Luzzatto, Il profeta Isaia, Padua 1855, S. 133-135. Zu Luzzatto vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,27. 266,29 die »messianische« Bedeutung des Neugeborenen] Buber vertritt die These, dass »Immanuel« ein König im theopolitischen Sinn ist, der, das messianische Königtum verkörpernd, ausgestattet mit politischer Macht, als der menschliche Helfer die göttliche Neuordnung der Welt zu verwirklichen sucht. Das Christentum dagegen sieht die Prophetie Jesajas über den kommenden »Immanuel« in der Geburt Jesu in Erfüllung gegangen (vgl. Mt 1,23), der aber nicht als ein menschlicher König vorgestellt wird, der als Statthalter Gottes seinen Auftrag, bei der göttlichen Neuordnung der Welt mitzuwirken, erfüllt, sondern der selber der göttliche Messias ist, der sich der Welt als Mensch zeigt. Vgl. auch Buber, unten, S. 267: »Für den ursprünglichen messianischen Glauben gibt es ›den Messias‹ als besondere Kategorie überhaupt nicht: der Vermißte, Erwartete, Verheißene ist der Gesalbte, der seinen Auftrag erfüllt. Mehr ist nicht not.« 267,8 mit der stärksten sinnbildlichen Verleiblichung bezeugen] Gemeint ist Jesajas Zeugung eines Sohnes, den er auf Gottes Geheiß hin »Eilebeute-Raubebald« nennt (vgl. Jes 8,3). 267,17 8, 16] Jes 8,16: »Die Bezeugung ist einzuschnüren, die Weisung ist zu versiegeln in meinen Lehrlingen.« 268,3-4 Bei Amos (9, 11) verhieß […] Hütte Davids wiederaufrichten.] Vgl. oben, S. 237. 268,10-25 Aber dies war eben […] überwältigt und vernichtet.] Die »letzten Worte« Davids, vgl. II Sam 23,1-7. 268,Anm 150 Auch Lagarde hat […] so ist dies davidisch«)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 201,Anm 108. 268,Anm 150 meine und Rosenzweigs Uebersetzung (»Die Schrift« Bd. 8).] Die Schrift, zu verdeutschen unternommen von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Bd. VIII Schmuel, Berlin 1928. 268,32-33 Regierungszeit Usias] Usia, König von Juda 783-742 v. Chr. 268,33-34 aus der Hiskias] Hiskia, König von Juda, Regierungszeit 725696. 268,34-269,1 Dankgesang Hannas] Der Lobgesang Hannas, der Mutter Samuels, in dem sie Gott für die Geburt ihres Sohnes dankt, nachdem sie lange Zeit keine Kinder bekommen konnte. Hanna hatte ein Gelübde abgelegt, sollte Gott ihre Gebete um einen Sohn erhören, werde sie diesen an Gott zurückgeben (vgl. I Sam 1,11).

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269,5 seiner Chaßidim] Pl. von chaßid, Buber übersetzt mit »der Getreue«, »der Holde«; vgl. oben, S. 242. 269,24 »Richtschnur des Königs«] Vgl. oben, S. 199 und die Wort- und Sacherläuterung zu 199,10. 270,1 Begegnung am oberen Teich] Vgl. Jes 7,3. 270,6 dem »Volk der in Finsternis Gehenden« als »ein großes Licht«] Vgl. Jes 9,1. 270,16 »Eilebeute-Raubebald«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 267,8. 270,Anm 155 Auch ich habe noch […] statt »sich ergötzend« gelesen.] Buber bezieht sich offenbar auf den Vers Jes 8,6; in der Überarbeitung seiner Bibelübersetzung übersetzt er dann aber mit »sich ergötzend«; vgl. oben: »und ums Ergötzen an Rezin und dem Remaljasohn«. 271,2-4 die Samarier auf […] hohen Verbündeten] Gemeint ist Pekach, der Sohn Remaljas, der als Ritter unter König Pekachja von Israel diente, diesen aber in einer Verschwörung stürzte und tötete und selber König von Israel wurde; zu dieser Zeit bildete Israel eine militärische Allianz mit Syrien, jedoch eroberten die Assyrer noch in der Herrschaftszeit Pekachs 733 v. Chr. den Großteil Israels (vgl. II Kön 15,25-30; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 250,19-21). 272,3-5 als »Bezeugung« […] Belehrung, Thora (8, 16, 20)] Hebr. ‫תעודה‬, teʿ uda »Zeugnis«; und hebr. ‫תורה‬, tora, »Lehre«, »Weisung«; beide Verse enthalten je beide Begriffe, was Buber als zwei Arten von Offenbarung interpretiert. 272,16-17 »die Augen zu verkleben«] Jes 6,10; siehe auch oben, S. 256,39-257,5. 272,17-23 Es gilt […] sie anvertraut wird.] Zu den limmudim und Jes 8,16 vgl. auch Buber, Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, in diesem Band, S. 99-101; bes. S. 99 f., und die Wort- und Sacherläuterung zu 99,24. 272,25-26 »die Kinder, die JHWH mir gegeben hat«] Jes 8,18. 272,30-273,5 Harren sollt ihr […] zur Bezeugung hin!«] Alle Zitate aus Jes 8,19-22. 273,9 Lied vom Kinde] Vgl. Jes 9,1-6. 273,19-21 das in der Berufungsvision […] einen Stumpftrieb erneut] Vgl. Jes 6,13; vgl. auch oben, S. 258 f. und die Wort- und Sacherläuterung zu 258,6-7. 273,28-31 daß es die göttliche Ruach […] V. 3 zu verstehen).] Vgl. die Verse Jes 11,2-3a in der Übertragung Bubers: »auf dem ruht SEIN Geisthauch, Geist der Weisheit und Unterscheidung, Geist des Rats

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und der Heldenkraft, Geist SEINER Erkenntnis und Fürchtigkeit, mit SEINER Fürchtigkeit begeistet er ihn.« Zu ruach vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 192,30. 273,35-274,1 »von diesem Tag an und weiterhin«] Vgl. I Sam 16,13. 274,10-11 wie jener »Bewährte« […] Frucht Gottes herrscht«] II Sam 23,3; vgl. auch oben, S. 268. 274,15-16 »mit Wahrspruch […] Ausgleich schafft«] Jes 11,4. 275,11-14 nachdem er ihren wichtigen […] Schluß hinzugedichtet hat)] Vgl. Jes 2,5 und Mi 4,5: »Haus Jaakobs, laßt nun uns gehn, einhergehn in SEINEM Licht!«; »Mögen denn alle Völker noch gehn jeder im Namen seines Gottes, wir aber gehn in SEINEM, unseres Gottes Namen auf Weltzeit und Ewigkeit.« 275,32-33 im Gegensatz zur herrschenden Meinung] Vgl. z. B. der weithin bekannte Jesaja-Kommentar von Bernhard Duhm, Das Buch Jesaja, übersetzt und erklärt von Bernhard Duhm, 2. verbesserte Aufl. Göttingen 1902, S. 111 f.: »Schon längst ist behauptet, dass das cap. nicht von Einer Hand sei und mit v. 16 oder 17 oder 18 ein Nachtrag aus sehr junger Zeit beginne […]. In der That ist kaum ein Stück im ganzen Buch so ›unecht‹ wie v. 16 ff.; Jes. müsste geradezu seine sonstigen Weissagungen verleugnet haben, wenn er diese Verse geschrieben hätte, und der zerfahrene Stil, die brockenhafte Aneinanderreihung von allerlei kleinen Weissagungen haben wohl ihre Parallelen in den Nachahmungen und Ergänzungen des 2. Jahrh., nicht aber in der alten Prophetie. […] die Hoffnung, dass die Ägypter sich zu Jahve ›bekehren‹ werden, die so viele jüdische Schriften seit dem 2. Jahrh. hervorgerufen hat, […] zeigen deutlich genug, dass diese ›Weissagungen‹ in die Mitte des 2. Jahrh. fallen; die Freundschaft, die zwischen Ägypten und Syrien entstehen und Juda mit umfassen soll, erinnert sofort an die Hochzeit des Alexander Balas mit der Tochter des Ptolemäus Philometer, der Jonathan im Purpur beiwohnte I Mak 1051-66.« Vgl. ähnlich auch der Jesaja-Kommentar von August Dillmann, der die dem Jesaja fremde Sprache, einen schleppenden Stil, die nicht-jesajanische Redeweise, wie auch den Inhalt selbst als Gründe anführt, warum der Abschnitt Jes 19,16-25 nicht von Jesaja, sondern aus einer späteren Zeit stammt (siehe: Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zum Alten Testament. Fünfter Band. Der Prophet Jesaja, S. 170 f.) 276,21 dem Kabod] Zu kabod vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 276,29-277,12 Man hat gemeint […] oder »König« obliegen.] Die hier und im Folgenden von Buber dargelegte Auffassung von der ur-

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sprünglichen biblischen Aufgabe des »Messias« unterscheidet sich fundamental von der christlich-neutestamentlichen Vorstellung des Messias; dieser ist gerade nicht »die menschliche Vertretung Gottes«, der Mensch, der als eingesetzter Statthalter den Auftrag Gottes endlich erfüllt, sondern er ist göttlicher Art, er ist Gott selbst. Vgl. dazu auch Bubers Ausführungen zum »Immanuel«, oben, S. 265 f., sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 266,29. 277,21 »Richtschnur des Königs«] Bubers Verweis gilt I Sam 10,25; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 199,10. 278,18-20 Solche Vorstellungen haben […] in Jerusalem Eingang gefunden.] Zur Zeit des talmudischen Judentums – in der Periode des zweiten Tempels und auch noch danach – entstanden unterschiedliche spekulative Auffassungen zur Idee des Messias, die zumeist von einer apokalyptischen Eschatologie geprägt waren. Falsche Messiasse wie Simon bar Kochba (»Sternensohn«), der Führer einer fehlgeschlagenen Rebellion im Jahr 135 n. Chr. gegen die römische Herrschaft, traten auf, und in Traktaten des Babylonischen Talmuds (z. B. im Traktat Sanhedrin) finden sich zahlreiche unterschiedliche Vorstellungen zur messianischen Idee (vgl. auch die Einleitung zu MBW 15, S. 13 ff.). 280,12 die Stätte seiner »Einwohnung«] Der Ausdruck der »Einwohnung« ist die wörtliche Übersetzung des hebr. Begriffs schechina; in der rabbinischen Literatur ist damit die Gegenwart Gottes in der geschaffenen Welt und besonders im Volke Israel gemeint. In der Kabbala wird die Schechina zum Symbol der Exilsituation, weil durch Schuld und Schicksal der Welt die göttliche Gegenwart außerhalb der geschaffenen Welt im Exil weilt, siehe auch Buber, unten, S. 280,22: »hier weilt schon göttliche Wirklichkeit auf der Erde«. 280,18 Sanherib] Von 705-681 v. Chr. König von Assyrien; Jes 36-37 berichtet, wie Sanherib ca. 701 v. Chr. in der Regierungszeit des Königs Hiskia mehrere judäische Städte eroberte und anschließend Jerusalem belagerte. Nach biblischem Bericht tötete der Engel JHWH’s dann jedoch in einer Nacht 185.000 assyrische Soldaten und zwang damit Sanherib zum Rückzug nach Assyrien. 281,4-5 in einem Zwiegespräch […] Micha absprechen will] Vgl. Micha 6,6-8: »Womit soll ich entgegenkommen IHM, mich bücken vor dem Gott der Höhe? Soll ich ihm entgegen mit Darhöhungen kommen, mit einjährigen Kälbern? schätzt zugnaden ER Tausende von Widdern, Mengen von Ölbächen? soll um meine Abtrünnigkeit meinen Erstling ich geben, um meine Seelenschuld die Frucht meines Leibes? – Angesagt hat mans dir, Mensch, was gut ist, und was fordert ER

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von dir sonst als Gerechtigkeit üben und in Holdschaft lieben und bescheiden gehen mit deinem Gott!« Zur Autorschaft dieser Passage vgl. z. B. den Hinweis bei Duhm: »Nicht so leicht ist zu sagen, ob dem Micha auch die vier Gedichte in Kap. 6,1-7,7 zugeschrieben werden können.« (Die Zwölf Propheten. In den Versmassen der Urschrift übersetzt von Bernhard Duhm, Tübingen 1910, S. XXVII.); sowie Albin van Hoonacker, Les douze petits prophètes. Traduits et commentés, Paris 1908, S. 347: »A première vue avec plus de raison que les chapitres IV-V, les deux chapitres VI-VII sont attribués par plusieurs critiques à une autre main, ou à plus d’une autre, que celle de Michée et ramenés à une époque plus récente.« 281,31-32 Koppen, bamoth, […] übernommen hat.] Vgl. oben, S. 196,34-36, und die Wort- und Sacherläuterung zu 198,13. 281,40-282,1 der jesajanische Spruch […] zu Häupten der Berge«.] Micha 4,1. 282,10-13 Wir wissen aus den […] Brüder es haben.«] Zu den UgaritTexten vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,8. Zur syrischen Schutzgöttin Anath und ihrer Darstellung in den mythologischen Texten von Ugarit vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 207,30; zur Botschaft der Göttin Anath, vgl. Hans Bauer, Die Gottheiten von Ras Schamra, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, 10. Band, 1933, S. 81-101; hier S. 88, 90. 282,16 (II Samuel 7, 4 ff.)] Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 61,9-10. 282,16-17 einstigen silonischen Heiligtums] Nach der Landnahme der Israeliten stand in Schilo das Heiligtum, die Bundeslade, die später von David nach Jerusalem gebracht wurde. 282,20-21 »in denen das Wunder der Vorzeit sich ständig erneuert« (Hempel)] Das von Buber hier angegebene Zitat des Alttestamentlers Johannes Hempel (1891-1964) konnte keiner seiner Schriften eindeutig zugewiesen werden; evtl. bezieht sich Buber auf Hempels Schrift, Das Ethos des Alten Testaments, Berlin 1938, die er bereits zuvor in einer Anmerkung erwähnt. 283,21-22 die radikale Kultreform] Vgl. auch schon die Wort- und Sacherläuterung zu 206,26. 284,2 Mose-Logia oder Mose-Hadith] Mose-Logia sind schriftliche Überlieferungen von vorgeblichen Aussprüchen Moses. Der Begriff Hadith, von arab. hadit, »Erzählung, Bericht, Überlieferung«, bezeichnet im Islam speziell die schriftlichen Überlieferungen von Handlungen und Aussprüchen des Propheten Mohammed sowie diejenigen Dritter, die vom Propheten gebilligt wurden; Buber ver-

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wendet den Begriff hier für Überlieferungen von Aussprüchen und Handlungen Moses. 284,4-5 nicht aus der Zeit Josias […] Hiskias stammte] Josia regierte 639-609 v. Chr.; Hiskia ca. 80 Jahre früher, 725-696 v. Chr. 284,36 der Adlerspruch (Exodus 19, 4-6a)] Vgl. Buber, »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 109 f.; sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 183,10-14; vgl. auch das Kapitel »Der Adlerspruch«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 438-445. 285,24 »Ger«] Hebr. »Fremdling«; die Bibel bezeichnet mit dem Begriff denjenigen Fremdling, der dauerhaft unter den Israeliten lebt; Buber übersetzt ger stets mit »Gastsasse«. 285,40-41 man vergleiche, was der Gastsasse Jakob Genesis 28, 20 sagt] »Jaakob gelobte ein Gelübde, sprechend: Wird Gott dasein bei mir und mich behüten auf diesem Weg, den ich nun gehe, und mir Brot geben zum Essen, Gewand zur Bekleidung,«. 286,14 die befragte Prophetin] Die Prophetin ist Hulda, die nur in der hier behandelten Stelle II Kön 22,14-20 sowie in der Parallelerzählung in II Chr 34,22-28 genannt wird; darüber Hinausgehendes berichtet die Bibel nicht von ihr. 286,31-32 er würde wie ein Esel begraben werden] Vgl. Jer 22,19. 286,34-35 »ist jenes Micherkennen«] Vgl. Jer 22,16. 287,12 bei Meggido] König Josia starb 609 v. Chr. bei Megiddo in der Jesreelebene im Norden Israels in der Schlacht gegen Pharao Necho II. (vgl. II Kön 23,29). 287,15-20 Jeremia entstammt einem […] gebunden war.] Zum Priestergeschlecht der Eliden vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 196,14; Ebjathar (auch Abjatar) war ein Priester unter König David, er gehörte zu dessen wichtigsten Beamten und bekleidete das Amt des Oberpriesters (vgl. u. a. II Sam 8,17; II Sam 20,25; I Chr 18,16). Da Ebjathar aber in den Thronstreitigkeiten nach Davids Tod gegen Salomo Partei ergriff (vgl. I Kön 1), entzog Salomo ihm nach seiner Königskrönung das Priesteramt und verbannte ihn auf den Familienbesitz Ebjathars nach Anatot (vgl. I Kön 2,26 f.). Zur Zerstörung des Laden-Heiligtums in Schilo, wo die Familie Ebjathars als Priester gewirkt hatte, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,30. 288,34-35 Alles Glaubensverhältnis Israels ist dialogisch:] Buber vertritt in Der Glaube der Propheten wie auch in anderen seiner Schriften zur Bibel die Auffassung, dass die Beziehung zwischen Gott und Israel, aber darüber hinaus auch die zwischen Gott und der Welt wesensmäßig eine dialogische ist. Vgl. hierzu ausführlicher die Wortund Sacherläuterung zu 219,19-20.

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289,9-10 »als Künder der Völkerwelt habe ich dich gegeben«] Jer 1,5. 289,38-290,1 dieses letzten Propheten des vorexilischen Jerusalem] Zur Wirkungszeit Jeremias vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 249,1819. 290,1-4 Im Haus des Töpfes […] in der des Töpfers:] Vgl. Jer 18,1-17. 290,13-14 nachdem schon mit […] das Verhängnis begonnen hatte] Schon im Jahr 597 v. Chr. wurde die Oberschicht Jerusalems von Nebukadnezar nach Babylon deportiert; die eigentliche Deportation der gesamten Bevölkerung ins babylonische Exil geschah 587/586 v. Chr. nach der Zerstörung Jerusalems; damit endete auch die Wirkungszeit Jeremias. 290,14-15 im Feigengleichnis] Vgl. Jer 24,1-10. 290,25-26 Baruch, den treuen Schüler und Schreiber Jeremias] Baruch werden einige Teile des Jeremia-Buchs zugeschrieben, v. a. die Kapitel 36-45. 291,10 Ephraim] Hier meint die Bezeichnung »Ephraim« wieder das Nordreich Israel; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 226,12-14. 291,16 sein schirmender Kabod] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 291,28 Priesterhaus zu Anathoth] Anatot war die Heimat Jeremias (vgl. Jer 1,1). 291,29 »Reden Mose«] Vgl. oben, S. 283 f. zum wiedergefundenen »Gesetzbuch« (bes. »Mose-Logia oder Mose-Hadith«). 291,29 Manasse] 696-641 v. Chr. König von Juda; Nachfolger Hiskias, für dessen Regierungszeit Buber die Entstehung des unter Josia aufgefundenen »Gesetzbuches« annimmt; nach II Kön 21 errichtete Manasse Altäre für zahlreiche Gottheiten, betrieb Zauberei, Totenbeschwörung und Zeichendeuterei und »warf sich vor aller Schar des Himmels nieder und diente ihnen« (II Kön 21,3). Weil Manasse mehr Böses »als alles, was das Amoritervolk, das vor ihm war, tat, und mit seinen Klötzen auch Jehuda versündigte« (ebd., V. 11), kündigt Gott Jerusalem und Juda den Untergang an. 292,5-6 Einheitsbekenntnis des Deuteronomiums (6, 4)] »Höre Jissrael: ER unser Gott, ER Einer!«; dieser Vers stellt das Glaubensbekenntnis des Judentums dar; er ist der Beginn des sog. Schma Jisrael, des zentralen Gebets innerhalb des Morgen- und des Abendgebets im Judentum. 293,33 Schlacht bei Meggido] Vgl. oben, S. 287 und die Wort- und Sacherläuterung zu 287,12. 294,5 dem Götzendiener Manasse] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 291,29.

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295,33 (3, 16 f.)] Vgl. Jer 3,16-17: »Geschehen solls: wenn ihr euch mehrt, ihr fruchtet im Land in jenen Tagen, ist SEIN Erlauten, wird man nicht mehr sprechen: Schrein SEINES Bundes! nicht steigt der im Herzen dann auf, nicht wird man seiner gedenken, nicht wird man ihn vermissen, nicht wird je wieder einer gemacht. In jener Zeit wird Jerusalem man rufen: SEIN Thron! Dahin stauen alle Weltstämme sich, zu SEINEM Namen hin, hin zu Jerusalem, und der Sucht ihres bösen Herzens gehen sie nicht mehr nach.« 296,28-29 Ezechiel, der Mann an der Grenze von Prophetie und Apokalyptik] Ezechiel oder Hesekiel, der mit der Oberschicht Jerusalems bereits 597 v. Chr. nach Babylon deportiert wurde, wirkte ca. 20 Jahre im babylonischen Exil (zwischen 593 und 571 v. Chr.); typisch für Ezechiel sind Visionen und Zeichenhandlungen. Auf seine Gerichtsworte folgen Heilsworte, die von der Möglichkeit der »Umkehr« handeln, die die Perspektive auf die Begnadigung Israels eröffnet, die dann von Ezechiel auch angekündigt wird (vgl. Ez. 36). Die Schilderung des Kampfes von Gog aus Magog als eines letzten Ansturms der Feinde gegen Israel, in dem Gott Gog besiegen wird (vgl. Ez 38 u. 39) endet mit der Zusicherung, dass Gott sein Antlitz nicht mehr vor Israel verbergen und seinen Geist (ruach) über es ausgießen werde. Dieser Kampf und Sieg Gottes gegen innerweltliche Mächte des Bösen vermittelt erstmals in der Prophetie Israels eine apokalyptische Geschichtsbetrachtung. Damit finden sich in der Prophetie Ezechiels – gemäß der Vorstellung und Unterscheidung Bubers von prophetischer und apokalyptischer Rede (siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 226,6-7) – sowohl prophetische wie apokalyptische Elemente; vgl. in diesem Sinn auch Buber, unten, S. 298, dort u. a.: »Der Unterschied zwischen Jeremia und seinem Zeitgenossen Ezechiel ist der zwischen der reinen Prophetie, die ganz an die geschichtliche Stunde, an die aktuelle Rede Gottes gebunden ist, und der problematisch werdenden, die eine gleichsam schon vorhandene Zukunft beguckt und beschreibt.« 296,30 jenes versteckte »Waldheiligtum« Michas] Vgl. Micha 3,12: »Ebendrum, euretwegen: Zion wird als Feld gepflügt, Jerusalem wird eine Ruinenstatt, der Berg des Hauses zum Kuppenhain!« 297,3 Michas unvergessene Weissagung und ihre Wirkung] Vgl. Jer 26,17-19: »Männer von den Ältesten des Landes standen auf, die sprachen zu aller Versammlung des Volkes, sprachen: Micha der Moraschtit hat in den Tagen Chiskijahus Königs von Jehuda gekündet, er sprach zu allem Volk von Jehuda, sprach: So hat ER der Umscharte gesprochen: Zion wird als Feld gepflügt, Jerusalem wird eine Schutt-

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halde, der Berg des Hauses zum Kuppenhain. Hat ihn etwa töten lassen, töten Chiskijahu, König von Jehuda, und alles Jehuda?! fürchtet er nicht IHN, sänftete IHM das Antlitz?! da ließ ER sichs leidsein des Bösen, das wider sie er geredet hatte! wir aber wollen ein Großböses tun – wider unsre eigenen Seelen!« 297,16 (II Samuel, 23, 3)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 268,10-25. 297,17 Micha 5, 1] »Du aber, Betlehem-Efrat, gering, um zu sein unter den Tausendschaften Jehudas, aus dir fährt mir einer hervor, in Jissrael Walter zu sein, dessen Ausfahrt ist von urher, von den Tagen der Frühzeit.« 297,24 daß die Ruach sich auf ihn niederläßt] Zu ruach vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 192,30; zur Begegnung Gottes mit dem auserwählten prophetischen Menschen vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 250,9. 298,16 Bileamspruch] Zum Propheten Bileam, der Israel verfluchen will, es aber segnen muss, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 444,22-23. 298,18-19 Der echte Prophet] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 232,32-35. 298,29 »falschen Propheten«] Vgl. auch Bubers Aufsatz unter dem gleichen Titel »Falsche Propheten«, in diesem Band, S. 132-136. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 232,26. 299,33-41 Der Nabi Hanania […] und es vernommen hatte.] Vgl. Jer 28 sowie Bubers Aufsatz »Falsche Propheten«, in diesem Band, S. 132136, der sich ausführlich mit dem Propheten Hanania befasst. 302,9 Augustin] Augustinus von Hippo (354-430), bedeutender lateinischer Kirchenlehrer und Philosoph der Spätantike; 395 Bischofsweihe und Bischof von Hippo (antike Küstenstadt in Nordafrika, im heutigen östlichen Algerien); neben zahlreichen und unterschiedlichen Schriften zur Bibelhermeneutik und Exegese verfasste Augustinus auch zwei autobiographische Werke: die Confessiones (Bekenntnisse, entstanden zwischen 397 und 401), die zu den einflussreichsten autobiographischen Texten der Weltliteratur gehören, sowie die Retractationes (Überarbeitungen, entstanden 427), eine chronologische Übersicht seiner Schriften mit Korrekturen und Anmerkungen. 304,21-23 »bei dem Geduckten […] Herz der Geduckten«] Jes 57,15. 305,29-30 »diese Schafe«] II Sam 24,17. 305,35-38 einer späten theologischen Reflexion […] Gottes treten (I Chronik 21, 1).] In der Erzählung von Davids Volkszählung in II Sam 24 ist es der Zorn Gottes, der David dazu reizt, eine Volkszählung zu veranlassen (vgl. II Sam 24,1). Der Bericht über dieselbe

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Begebenheit im Chronik-Buch lässt jedoch an die Stelle des Zorns Gottes satan treten, der David zur Volkszählung reizt (vgl. I Chr 21,1). Der Ausdruck satan (‫)שטן‬, kommt in der Hebräischen Bibel in unterschiedlicher Bedeutung und Funktion vor; er bezeichnet einen Widersacher, der oft als Mitglied des himmlischen Hofstaats, als einer der »Gottessöhne« verstanden wird (vgl. z. B. I Kön 22,1922), daneben wird er auch als personifiziertes himmlisches Wesen vorgestellt (vgl. Num 22,22 u. 32; Hi 1,6-12); satan kann aber auch einen menschlichen Widersacher bezeichnen, z. B. einen politischen Gegner (vgl. I Kön 11,14.23.25). In der Regel erscheint das Wort satan mit bestimmtem Artikel, wenn es ein himmlisches Wesen bezeichnet, und nur dann, wenn satan einen menschlichen Widersacher meint, wird es indeterminiert gebraucht. In I Kön 21,1 scheint es sich bei satan zwar um ein himmlisches Wesen zu handeln, der bestimmte Artikel ist jedoch weggelassen; vermutlich bringt dies Buber zu der Annahme, dass hier satan als Eigenname verwendet wird. 307,8-9 (Habakuks Wort vom Gerechten erscheint hier umgeprägt)] Vgl. Hab 2,4 (auch Hab 1,4 u. 13). 307,Anm 173 Buber, Zu Jescheskel […] des Judentums 78 (1934) 471 ff.] Vgl. jetzt in diesem Band, S. 86-88. 308,30-34 der an den Grenzen […] wiewohl spekulative Visionär] Zu Ezechiel und seiner Verkündigung, die geschichtlich und theologisch an Grenzpunkten angesiedelt ist, vgl. auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 230,37 u. 296,28-29. 309,21-22 Antworten wie die des 73. Psalms] Vgl. auch Bubers Auseinandersetzung mit Ps 73 im Kontext eines Vergleichs mit dem Buch Hiob, unten, S. 309-313; eine ausführliche Diskussion des 73. Psalms gibt Buber auch in Recht und Unrecht, im vorliegenden Band, S. 560570. 310,1 Hiobsfrage] Die Frage, warum es den Guten schlecht gehe; sie durchzieht das gesamte Buch Hiob und kommt insbesondere in Hiobs Klagen an Gott in den Kapiteln 3 und 29 bis 31 zum Ausdruck. 310,18 Prologs] Der Aufbau des Buchs Hiob zeigt eine Dreiteilung: der Prolog (Hi 1-2), der Dialogteil mit Reden in Versform (Hi 3-42,6), der Epilog (Hi 42,7-17). 310,23 »Hinderer«] In seiner Bibelübertragung übersetzt Buber das Wort satan mit »Hinderer«. Zur Bezeichnung satan vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 305,35-38.

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310,29-30 auf echt biblische Methode in der Wiederholung des Wortes] Zur hermeneutischen Methode des Leitworts, auf die Buber hier verweist, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 149,36-150,8. 313,13 »Reinigungseid«] Vgl. Hi 27,1-6. 314,15 Sein »Bis wann?«] Vgl. Jes 6,11. 316,1 Reden des Elihu] Vgl. Hi 32-37. In der Hiob-Forschung wird allgemein angenommen, dass die Reden Elihus später hinzugefügt wurden. Ein Hinweis darauf findet sich z. B. darin, dass der Redner von einem gerechten Handeln Gottes ausgeht, dem Menschen diese Gerechtigkeit aber nicht zugänglich ist; hierin liegt bereits ein Verweis auf das Ergebnis der Gottesreden, die dann folgen. 316,25-26 deuterojesajanischen »Knecht JHWHs«] Deuterojesaja, der zweite Teil des Jesajabuches, erzählt in vier Liedern, den sog. »Gottesknechtsliedern« (Jes 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9 und 52,13-53,12) von der Aufgabe, dem Leiden und dem Tod des »Knechts Gottes« gemäß dem Willen und dem Auftrag Gottes. Die Vermutungen darüber, wer mit dem »Knecht Gottes« gemeint sei, sind vielfältig und reichen von Deuterojesaja selber, über andere historische Gestalten, über Israel oder ein besonderer Teil Israels bis hin zu einer kommenden messianischen Figur. Buber versteht die Gestalt des Gottesknechts als eine Reihe oder Abfolge anonymer, im Verborgenen gebliebener Gottesdiener. Vgl. Buber ausführlich hierzu in Der Glaube der Propheten, unten, S. 334 ff.; und in dem bisher unveröffentlichten Text »Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas«, in diesem Band, S. 614-618; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 67,10-12. 316,35 Epilog] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 310,18. 317,1-3 von denen das letzte […] epigonisch abwandelt.] Vgl. Hi 4,16: »Einer steht, nicht erkenn ich sein Aussehn, als Gestalt mir den Augen entgegen, was ich höre, ist Schweigen und Stimme«; und I Kön 19,12: »und nach dem Beben ein Feuer: ER im Feuer nicht –, aber nach dem Feuer eine Stimme verschwebenden Schweigens«. 317,12-18 Man hat gemeint […] beim Dichter nicht kennen.] Eine ausführliche Diskussion des 73. Psalms gibt Buber in seiner Psalmendeutung Recht und Unrecht, in diesem Band, S. 560-570. 317,19 (42, 6)] »Drum verwerfe ich und es gereut mich hier in dem Staub und der Asche.« 317,36 Micha ben Jimla] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 213,2627. 318,16 (V. 1, an dessen Wortlaut nichts zu ändern ist)] Ps 73,1: »Gewiß, gut ist zu Jissrael Gott: zu den am Herzen Lautern«. Zu den weiteren

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Versen des 73. Psalms, die Buber hier im Folgenden diskutiert, vgl. Bubers Übersetzung des Psalms, aufgenommen in seine Schrift Recht und Unrecht, in diesem Band, S. 560 f., sowie dort auch weitere Ausführungen Bubers zum Psalm. 320,35-36 Henochs (Genesis 5, 24) und Elias (II Könige 2, 3, 5, 9, 10)] Zu Henoch vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 122,27-28. 322,6-10 Man muß sich […] im deuterojesajanischen Text.] Zu den limmudim, den »Lehrlingen«, und zu Jes 8,16 vgl. auch Buber, Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, in diesem Band. S. 99-101; bes. S. 99 f.; vgl. auch schon oben, S. 272,17-23. Zu Deuterojesaja vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 99,10. Das Wort limmud, Pl. limmudim, findet sich außer in Jes 8,16 nur noch in Jes 50,4 (hier kommt es zweimal vor; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 322,20) und in Jes 54,13. 322,Anm 188 Jesus Sirach (51,28)] Das apokryphe Buch »Jesus Sirach« wurde nicht in den Kanon der Hebräischen Bibel aufgenommen; im Buch selber wird der Verfassername, Jesus ben Sirach, genannt; das Buch entstand am Übergang vom dritten zum zweiten vorchristlichen Jahrhundert, vermutlich in Jerusalem, und ist einerseits in der jüdischen Tradition, v. a. in priesterlichen Vorstellungen tief verwurzelt, andererseits aber auch von hellenistischem Denken geprägt; Sir 51,28 lautet nach der Einheitsübersetzung: »Hört auf meine knapp bemessene Lehre! / Durch sie werdet ihr viel Silber und Gold erwerben.« 322,20 (50,4)] Jes 50,4: »Gegeben hat ER, mein Herr, mir eine Lehrlingszunge. Daß ich wisse, den Matten zu ermuntern, weckt er Rede am Morgen. Am Morgen weckt er das Ohr mir, daß ich wie die Lehrlinge höre.« 322,24-25 den Exulanten in Babylon] Zur Zeit des deuterojesajanischen Textes war Israel bereits nach Babylon deportiert, die Exilsituation war eingetreten (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 99,10). 323,33 Kabod JHWHs] Zu »kabod« siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 323,41-324,1 durch eine Ergießung seiner Ruach zu Nebiim werden] Zur prophetischen Begegnung mit Gott vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 250,9. 324,29 (wie Duhm meint)] Duhm, Das Buch Jesaja, S. 255. 327,7-8 Die Heiligung als wechselseitiges […] ist erfüllt.] Auch die Vorstellung von JHWH als dem Heiligen Israels stellt Buber in den Kontext der dialogischen Beziehung zwischen Gott und Mensch, die für ihn das Wesen dieses Verhältnisses ausmacht (vgl. hierzu die Wort-

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und Sacherläuterung zu 219,19-20); die »Heiligung« ist eine gegenseitige, in der der Heilige Israels sein Volk heiligt, und dieses wiederum heiligt JHWH. 327,25 Völkerherrn Kyros] Kyros II, auch Kyros der Große, regierte ca. von 559-530 v. Chr.; unter seiner Herrschaft expandierte das Altpersische Reich deutlich und stieg nach einem Sieg gegen die Lyder, der Unterwerfung Kleinasiens und schließlich der Eroberung Babylons im Jahr 539 v. Chr. zur Großmacht auf. 328,19-20 die Frage nach dem Einfluß der Umkehr auf Gottes Tun] Zur Idee der »Umkehr« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 233,11. 330,3-4 (bekanntlich politisch erfolglose) Warnung an Kyros vor dem Geiste Babylons] Nach der Eroberung Babylons anerkannte Kyros Marduk, den Hauptgott des babylonischen Reiches, als obersten Gott von Babylon, er bestätigte und erneuerte dessen kultische Verehrung, förderte die Mardukpriester und holte bei seiner Ernennung zum babylonischen König gemäß babylonischem Protokoll die Legitimation durch Marduk für seine Königsernennung ein. 330,7 Gathas (Yasna 44, 5)] Das Wort Ghata bedeutet »Lied«, »Gesang«, »Hymnus«. »Yasna« ist das erste Buch des Awesta, der Heiligen Schrift des Zoroastrismus. Die Gathas stellen als fünf Hymnen einen Teil des »Yasna« dar und sind zugleich die ältesten Teile des Awesta; sie gelten als Worte, die direkt vom Religionsstifter Zarathustra stammen. Kyros wird seitens antiker Historiker mit der iranischen Religion des Zoroastrismus in Verbindung gebracht, obwohl es dafür allerdings keine Zeugnisse in Form von Inschriften o. ä. gibt. 330,13 »Schätze der Finsternis«] Jes 45,3. 330,26 die Achämeniden] Königsdynastie, der Kyros II. als deren sechster König der Überlieferung nach zugeordnet wird; das Altpersische Reich wird auch als Achämenidenreich bezeichnet. Der Name der Dynastie geht auf deren Stammvater Achaimenes zurück, der die Perser in das dann nach ihnen benannte Land Persis im Südwesten des heutigen Iran geführt haben soll. 330,37-331,2 und nicht tow, das Gute […] ferngehalten werden soll.] Vgl. hierzu: Im rabbinischen Judentum gibt es die Vorstellung von den beiden Prinzipien jetzer ha-tow, hebr. »der gute Trieb«, und jetzer ha-ra, hebr. »der schlechte Trieb«, die die beiden von Gott geschaffenen Urtriebe im Menschen bezeichnen, über deren Ausgleich der Mensch selber immer wieder entscheiden muss. 331,12 persischen Dualismus] Die iranische Religion des Zoroastrismus ist geprägt von einem System des Dualismus, das seinen stärksten Ausdruck in der Zweiteilung der Welt in ein Reich des Lichts und ein

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Reich der Finsternis findet, deren Herrscher in einem andauernden Kampf miteinander stehen. In diesem Kampf ist der höchste Gott Ahura Mazdāh der Gott des Guten und des Lichts, während Ahriman die Macht des Bösen und der Finsternis ist. Innerhalb dieses dualistischen Systems können sich zwei Gottheiten auch ergänzen. Ein Beispiel dafür findet sich im Awesta, der Heiligen Schrift des Zoroastrismus, wo vom höchsten Gott Ahura Mazdāh und dem Urkönig Yima oder Yama berichtet wird. Als Zarathustra Ahura Mazdāh fragt, mit wem er zuerst die religiösen Lehren und Ordnungen (die Daena) geteilt habe, verweist dieser auf Yima und erklärt, da Yima es aber abgelehnt habe, die Lehren zu bewahren, habe er, Ahura Mazdāh, Yima als Urkönig und zum Bewahrer der Welt und aller Lebewesen eingesetzt; vgl. auch Martin Buber, Bilder von Gut und Böse, Köln: Hegner 1952, S. 64-71; jetzt in: MBW 12, S. 340-342. 333,19 »der gerechte Gott«] Vgl. Jes 45,23 f. 333,21 zʾ daka] Hebr. »Gerechtigkeit«; auch »Wohltätigkeit«; biblisch in Verbindung mit JHWH aber zumeist in der Bedeutung von »Gerechtigkeit«. 333,37 gojim] Pl. von goj, hebr. für »Volk«, das die Bibel im Gegensatz zur heutigen Verwendung ohne negative Konnotation gebraucht. Das Wort bezeichnet in der Bibel allgemein den biologischen oder geschichtlichen Zusammenschluss zu einer nationalen Einheit; zum Unterschied von goj und am (ebenfalls hebr. für »Volk«) vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 107,35-108,1. 334,6 mischpat] Hebr. »Recht«, »Gesetz«; Buber (auch Luther) übersetzt in Jes 42,4 mit »Recht«. 334,13-18 Deuterojesaja sagt an […] so glaube ich […] vielleicht auch 16 f.)] Vgl. Jes 45,14-17: »So hat ER gesprochen: Die Arbeit Ägyptens, der Handel Äthiopiens, die ssebäischen Männer von Unmaß, zu dir sollen sie übertreten, dein werden sie sein wollen, hinter dir hergehn mögen, in Fesseln herübertreten, nach dir hin sich niederwerfen, nach dir hin beten: Nur in dir ist Gottheit, keiner sonst, nirgends ein Gott! Gewiß, du bist eine Gottheit, die sich verbirgt, Jissraels Gott, Befreier! Beschämt, gar enttäuscht allesamt, in Enttäuschung gehn hinweg miteinander die Former der Gebilde, Jissrael aber, befreit ists durch IHN zu Siegfreiheit für die Zeiten, nicht werdet ihr beschämt, nicht werdet ihr enttäuscht fort in die Zeiten, ewig fort.« 334,34-35 Die zahlreichen Versuche […] von dreierlei Art.] Zur folgenden Auseinandersetzung Bubers mit den unterschiedlichen Deutungsversuchen der Gestalt des Gottesknechts vgl. auch zusammenfassend die Wort- und Sacherläuterungen zu 67,10-12 und 316,25-26.

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335,17 Märtyrer der Makkabäerzeit] Der »Makkabäeraufstand« gegen die Herrschaft der Seleukiden in Palästina im zweiten vorchristlichen Jahrhundert unter Führung des Judas Makkabäus begründete für die Zeit zwischen 165 und 63 v. Chr. das souveräne Hasmonäer- oder Makkabäerreichreich in Palästina (beide Begriffe werden häufig synonym verwendet). In den ersten Jahrzehnten nach dem siegreichen Aufstand begründete die Familie der Makkabäer eine erbliche Herrschaftsdynastie, der sie nach Josephus Flavius nach dem Namen des Ur-Urgroßvaters des Judas Makkabäus, Asamonaios, den Namen Hasmonäer gaben. Die Dynastie der Hasmonäer hatte gleichzeitig bis zum Jahr 37 v. Chr. das Amt des Hohepriesters inne. Das zweite Makkabäerbuch schildert das Martyrium des Schriftgelehrten Eleasar, seiner sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk 6,18-31; 2 Makk 7,1-42), die sich der Überlieferung zufolge weigerten, Schweinefleisch zu essen und daraufhin von den Seleukiden zu Tode gefoltert wurden. 335,22-23 An das Wunder […] präzise Sprache.] Vermutlich spielt Buber hier auf die christliche Tradition an, die in Jesus die Gestalt des Gottesknechts zu erkennen glaubt. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 67,10-12. 335,24-26 Die dritte Deutung […] Apostelgeschichte (8, 30 ff.) begegnet.] Apg 8,30-39 berichtet von einer Begegnung zwischen dem Apostel Philippus und einem Kämmerer aus Äthiopien, während der Philippus dem Kämmerer einen Teil aus dem vierten der Gottesknechtslieder (Jes 53,7-8) deutet, indem er den Gottesknecht mit Jesus als dem Messias erklärt. 335,33-35 Es wird denn auch versucht […] nur dieses messianisch zu verstehen] Vgl. die vorherige Wort- und Sacherläuterung, die zeigt, dass sich diese messianische Interpretation bereits auf das Neue Testament berufen kann. 336,15 Ebed] Hebr. »Knecht«. 336,25-26 über beide wird die göttliche Ruach gegeben oder ausgegossen] Das Zeichen der Begegnung Gottes mit dem prophetischen Menschen. Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 250,9. 338,31-32 wohl aber nach […] seine Verehrung bezeigt] Vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 330,3-4. 339,2 Bel und Nebo] Bel ist im mesopotamischen Raum die Bezeichnung für den Gott Marduk, den Hauptgott des babylonischen Reichs; Nebo, auch Nabu, war der babylonisch-assyrische Gott der Schreibkunst und der Weisheit.

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340,15-16 das messianische Mysterium Deuterojesajas] Gemeint sind die Gottesknechtslieder, kulminierend im 53. Kapitel des JesajaBuchs. Vgl. auch Bubers gleichnamigen Vortrag aus dem Jahr 1925 »Das messianische Mysterium (Jesaja 53)«, erstmals abgedruckt in MBW 15, S. 37-45. 342,10 »Licht der Gojim«] Zu gojim vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 333,37. 343,16 Amos (3, 2)] Vgl. Buber in »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 102 f. 344,Anm 203 So R. Kittel in seiner Bearbeitung von Dillmanns JesajaKommentar] Vgl. Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zum Alten Testament. Fünfter Band. Der Prophet Jesaja von August Dillmann, S. 456. 347,4 Ezechiels Entwurf einer sakralen Theokratie] Vgl. Buber, oben, S. 296 ff., 308 f. Zu Ezechiels Verkündigung vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 296,28-29. 347,24 Meschullam, »der Vollendete«] In der Bedeutung von »der Vollendete« ist das Wort hier abgleitet vom hebr. Adjektiv meschuchlʾ all, »vollendet, vollkommen«; daneben kann meschuchlʾ all auch »friedfertig, friedlich, friedliebend« bedeuten, und so übersetzt Buber davon abgeleitet in seiner Übertragung der Bibel in Jes 42,19 meschullam mit »der Gefriedete«. 347,31-33 (53, 11; nach dem Wort […] Absicht Gottes mit ihm)] Vgl. die Übersetzung des Verses Jes 53,11 bei Luther und bei Buber: »Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.« (Luther) »Der Pein seiner Seele los wird er sehen, wird ersatten an dieser seiner Erkenntnis: Bewähren sollte die Vielen der Bewährte, mein Knecht, indem er ihre Fehle sich auflud« (Buber). 348,29-30 die Wirklichkeit »Jeschuruns« (44, 2), des »Geradvolks«] Zur Bedeutung von hebr. jeschurun vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 153,10. 349,10 »Anfangsteil seiner Ernte«] Jer 2,3. 349,26-27 frühchristliches Apokryphon] Gemeint ist das Hebräerevangelium, ein nur fragmentarisch überlieferter Text aus dem frühen 2. Jh. n. Chr.; Buber bezieht sich hier auf eine Stelle aus dem Hebräerevangelium, die sich im Jesaja-Kommentar des Hieronymus findet. Vgl. dazu genauer die Wort- und Sacherläuterung zu 67,24-27. 349,35-36 Messias Sohn Josefs] Der sog. Messias ben Josef, auch Messias ben Ephraim, aus dem Stamm Ephraim und ein Nachfahre Josefs, Ja-

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kobs Sohn, ist eine Vorläufergestalt des in der Endzeit zur Herrschaft berufenen sog. Messias ben David; der Talmud berichtet an mehreren Stellen davon, dass der Messias ben Josef in den der Endzeit vorausgehenden Ereignissen mit messianischer Kraft auftritt, aber zu Tode kommt. Buber erläutert auch schon in seinem »Geleitwort« zu Die chassidischen Bücher (Hellerau: Jakob Hegner 1928, S. XI-XXXI, hier S. XXVII; jetzt in: MBW 15, S. 129-143) die Bedeutung des Messias ben Josef im Chassidismus und schreibt u. a.: »›Messias Sohn Josefs erscheint von Geschlecht zu Geschlecht.‹ Das ist der Leidensmessias, der immer wieder um Gottes willen die tödliche Pein erduldet.« (MBW 15, S. 140.) 350,13-15 der in der Urzeit […] treuer Hirt voranging] Vgl. Gen 12,1. Moses »Das eindrucksvollste Mose-Buch verdanken wir Martin Buber«, urteilte der deutsche Alttestamentler Rudolf Smend 1959 in seinem Forschungsüberblick über die zeitgenössische Mose-Forschung und verlieh damit dem Empfinden Ausdruck, das Bubers in vielerlei – exegetischer, theologischer und politischer – Hinsicht außergewöhnliche Schrift Moses, trotz aller immer auch betonten Einwände, bei zahlreichen jüdischen wie nichtjüdischen Lesern auslöste. (Rudolf Smend, Das Mosebild von Heinrich Ewald bis Martin Noth, Tübingen 1959, S. 66). Auch der Züricher Verlag Gregor Müller warb mit diesem Eindruck des Unverwechselbaren des Buches, wenn er den Umschlag der deutschen Erstauflage mit der folgenden in großen Lettern geschriebenen Empfehlung versah: »Zum ersten Mal hat echte Forschung hier ein Leben Moses zu geben gewagt und vermocht. Auf streng wissenschaftlicher Grundlage baut sich vor unseren Augen die geschichtliche Gestalt, wie in ihrem Leben so in ihrem Werk, Religionsstiftung und Gesetzgebung in einem, anschaulich und folgerichtig auf.« Die Schrift, eine im Exil verfasste Quintessenz seiner langjährigen Auseinandersetzung mit der Frage der Relevanz der modernen Pentateuchexegese für ein zeitgemäßes Verständnis der Grundlagen des Judentums, ist der dritte umfassende Kommentar des Philosophen zur Hebräischen Bibel, neben Königtum Gottes (1932, jetzt in MBW 15, S. 93-276) und Der Glaube der Propheten (in diesem Band, S. 137-350, zur Entstehungsgeschichte und zum Zusammenhang mit Königtum Gottes vgl. ebd., S. 139 f.). In seinem 1944 in Jerusalem vollendeten, ursprünglich auf Deutsch verfassten Buch, das aufgrund der zeitgeschichtlichen Umstände jedoch zunächst in hebräischer

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Sprache (Mosche, Tel Aviv 1945), sodann auf Englisch (Moses: The Revelation and the Covenant, New York 1946) und erst 1948 im Züricher Verlag Gregor Müller auf Deutsch erschien, setzte er sein Unterfangen fort, die von der Hebräischen Bibel bezeugte Glaubensgeschichte des Volkes Israel als in den Texten historisch greifbare konkrete geschichtliche Erscheinung zu erhellen und zugleich als übergeschichtlich bedeutsames, auch in seine Gegenwart hineinredendes theopolitisches Projekt zu deuten. (Zu dem auch für die anderen Kommentare entscheidenden Konzept der »Theopolitik« vgl. Samuel Hayim Brody, Martin Buber’s Theopolitics, Bloomington, IN 2018, darin zu Moses bes. S. 124150.) Michael Fishbane hat in seiner Einleitung zu diesem Band herausgearbeitet, dass Bubers Versuch einer historisch angemessenen Deutung der um Mose kreisenden biblischen Traditionen nicht auf die Vermittlung abstrakten Geschichtswissens, sondern auf die Gegenwart seiner Leser zielt, darauf, ihnen in Gestalt einer midraschartigen Lektüre den Weg zur persönlichen Erneuerung ebenso zu weisen wie zu einem neuen Verständnis des Handelns Gottes in der Geschichte. (Vgl. in diesem Band, S. 13-54, bes. S. 40 f.) Buber schrieb Moses nicht nur als Antwort auf die unmittelbare Krise seiner Zeit in Europa und Palästina, sondern zugleich im Kontext einer vielstimmigen Rezeption der Figur des Mose, in der sich zahlreiche – jüdische wie nichtjüdische – deutschsprachige Autoren aus unterschiedlichen Motiven heraus in ihrem Spiegel mit einer Reihe von Herausforderungen auseinandersetzten: mit einer als bedrängend empfundenen umfassenderen Kulturkrise (vgl. Eveline Goodman-Thau, Freuds Moses, Bubers Moses, Schönbergs Moses. Moderne Konstruktionen einer Identitätskrise, in: Dies. und Fania Oz-Salzberger (Hrsg.), Das jüdische Erbe Europas. Krise der Kultur im Spannungsfeld von Tradition, Geschichte und Identität, Wien 2005, S. 253-296; vgl. auch Bluma Goldstein, Reinscribing Moses: Heine, Kafka, Freud, and Schoenberg in a European Wilderness, Cambridge, MA 1992) ebenso wie mit dem politischen Diskurs über die Legitimität jüdischer Emanzipation im Zeitalter ideologisch aufgeladener Debatten über das Verhältnis von »Deutschtum und Judentum« sowie über Konzepte wie »Volk«, Nationalismus und Antisemitismus (vgl. Bernd Witte, Moses und Homer. Griechen, Juden, Deutsche. Eine andere Geschichte der deutschen Kultur, Berlin u. Boston 2018). Explizit bezieht sich Buber, mit der Ausnahme von Sigmund Freuds 1939 erschienenem Werk Der Mann Moses und die monotheistische Religion (vgl. dazu u. a. Witte, ebd., 211-223), dessen Thesen er vehement ablehnte, lediglich auf die Werke der – zumeist protestantischen – alttestamentlichen Forschung und Religionswissenschaft. Abgesehen

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von den vielen Arbeiten vom späten 19. Jahrhundert bis in seine Gegenwart, die Mose im Kontext der literar- und traditionskritischen Hypothesen zur Entstehung des Pentateuchs oder übergreifender Konstruktionen der israelitischen Religionsgeschichte oder alttestamentlicher Theologien behandelten, konnte Buber namentlich auf Spezialstudien von Georg Beer (1865-1946), Hugo Gressmann, Ernst Sellin (18671946) und Paul Volz zurückgreifen, denen er jedoch überwiegend kritisch begegnete. (Vgl. Georg Beer, Mose und sein Werk, Gießen 1912 und Ders., Exodus, Tübingen 1932; Hugo Gressmann, Mose und seine Zeit. Ein Kommentar zu den Mose-Sagen, Göttingen 1905; Ernst Sellin, Mose und seine Bedeutung für die israelitisch-jüdische Religionsgeschichte, Leipzig 1922; Paul Volz, Mose. Ein Beitrag zur Untersuchung über die Ursprünge der israelitischen Religion, Tübingen 1907; Ders., Mose und sein Werk, Tübingen 1932; zur Moseforschung der Zeit vgl. Smend, Mosebild, passim). Als weiterer Kontext sind jedoch auch die zeitgenössischen jüdischen Arbeiten (neben jener Freuds) vor und nach dem Erscheinen von Moses mit in den Blick zu nehmen, für die Mose zum Symbol ihrer Erfahrung jüdischer Existenz in ihrer Gegenwart wurde. Das gilt für den Kulturzionisten Ahad Haʾ am (1856-1927), der nach der Jahrhundertwende unabhängig von allen Ergebnissen der kritischen Forschung den »idealen Moses« als für die Krise des jüdischen Exils in Europa bedeutsamen Propheten beschwor, »den Moses, der nicht nur die vierzig Jahre in der Wüste Sinai vor uns einherzog, sondern der tausende Jahre in all den Wüsten uns leitete, durch die wir seit dem Auszug aus Ägypten gezogen sind« (Achad Haam, Moses, Ost und West 4 (1904), S. 227-246, hier S. 231). In gleichem Maße gilt dies für den Gelehrten Leo Baeck (1873-1956), der in seinem in Theresienstadt begonnenen und erst nach der Shoah vollendeten Spätwerk Dieses Volk. Jüdische Existenz Mose als Gegenbild gegen das nationalsozialistische Führerprinzip und Schöpfer eines heiligen, erwählten Volkes deutet (vgl. dazu Witte, ebd., S. 225-240, bes. S. 239 f.). Im Chor dieser und anderer jüdischer Stimmen gewinnt Bubers Moses dadurch einen besonderen Klang, dass der Philosoph durch die Erinnerung an die geschichtlichen Ursprünge des Volkes Israels in der Erfahrung der Befreiung durch den sich offenbarenden, erwählenden, eine gerechte Gemeinschaft fordernden Gott JHWH »eine detaillierte und intensive Kommentierung des Buches Exodus ins kollektive Gedächtnis der Juden in Palästina zurück[rief]« und auf diese Weise der zionistischen Bewegung den Weg zu einem nicht-chauvinistischen Selbstverständnis und einer friedlichen Koexistenz mit der arabischen Bevölkerung wies (vgl. das Kapitel »Moses der Führer und das Volk JHWHs. Martin Buber in Jeru-

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salem«, in: Witte, ebd., S. 241-262, hier S. 257). Als Grundlage dieses Anliegens bedurfte es jedoch aus seiner Sicht einer überzeugenden Begründung der Geschichtlichkeit der biblischen Mose-Überlieferung. In seinem »Vorwort« (in diesem Band, S. 353-356) grenzt sich Buber mit aller Klarheit von den vorherrschenden Tendenzen der Mose-Deutung seiner Zeit ab, wobei der umfangreiche wissenschaftliche Apparat des Buches sowohl seine präzise Kenntnis der Forschungslandschaft als auch seine positive Rezeption vereinzelter ihrer Thesen und Ergebnisse widerspiegelt. Sein Einspruch betrifft im Wesentlichen drei Aspekte. Erstens wendet er sich gegen die Bestreitung der Historizität Moses, wie sie sich in der Schrift Die Israeliten und ihre Nachbarstämme (1906) des Altertumshistorikers und Altorientalisten Eduard Meyer (1855-1930) findet. Diese These zu widerlegen und – auf der ihm »selbstverständlichen Grundlage unbefangener, weder der religiösen Überlieferung, noch den wissenschaftlichen Schulmeinungen verhafteter, kritischer Forschung« (S. 353) – Mose als konkrete, individuelle geschichtliche Gestalt mitsamt ihrem Werk darzustellen, versteht er als zentrale Aufgabe seines Buches. Möglich erschien ihm eine solche historische Rekonstruktion trotz der Legendenform und des Fragmentarischen zahlreicher Texte der Exodusund Wüstenwanderungserzählung insofern, als sich darin zwar kein kohärenter historischer Bericht, aber eine »Folge von Ereignissen« finden lasse, »in denen sich ein grosser geistesgeschichtlicher Prozess wie in sichtbaren Gliedern« kundgebe (S. 354). Zweitens bestreitet Buber grundsätzlich die Plausibilität der literarkritischen Hypothesen der modernen Bibelkritik und verweist auf seine diesbezüglichen Ausführungen in früheren Arbeiten, einschließlich Königtum Gottes. Als alternative Methode führt er die »Tendenzkritik« an, die es in Verbindung mit einer präzisen Wahrnehmung des hebräischen Textes und der intertextuellen Zusammenhänge ermögliche, die Traditionsbearbeitung, die zur Endgestalt der Texte geführt habe, bis hin zu deren früher Gestalt, wenn möglich zu der ihr zugrundeliegenden mündlichen Überlieferung zurückzuverfolgen. (Zu Bubers Kritik der Methoden der zeitgenössischen Pentateuchexegese und seiner eigenen Vorgehensweise vgl. seine Essays »Genesisprobleme« und »Abraham der Seher«, in diesem Band, S. 89-98 und S. 114-131 sowie die Einzelkommentare dazu S. 784-790 und S. 818-826; vgl. Claire Sufrin, History, Myth, and Divine Dialogue in Martin Buber’s Biblical Commentaries, in: The Jewish Quarterly Review 103 (2013), S. 74-100, spezifisch zu Moses S. 84-91). Auf dieser Grundlage möchte Buber jedoch weniger den religiösen Lehren, Sinnbildern oder Institutionen der israelitischen Gemeinschaft als vielmehr der sich darin aussprechenden »Glaubensgeschichte« auf die Spur kom-

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men (in diesem Band, S. 355). Die dritte Fehlentwicklung der zeitgenössischen Mose-Forschung sieht Buber nicht zuletzt in der These von der ägyptischen Herkunft und Identität Moses und der Herleitung des Monotheismus Israels aus diesem Zusammenhang. Sigmund Freuds Interpretation in Der Mann Moses und die monotheistische Religion tut er dabei in einer kurzen Fußnote als irrelevante, weil unwissenschaftliche Hypothese ab, während er die Charakterisierung des Glaubens Moses als monotheistisch als für seine eigene Deutung unerheblich bezeichnet. (Zu Bubers Verhältnis zu Freud vgl. Lorenz Wachinger, Martin Buber und Sigmund Freud, in: Willehad Paul Eckert, Hermann Levin Goldschmidt und Lorenz Wachinger (Hrsg.), Martin Bubers Ringen um Wirklichkeit. Konfrontation mit Juden, Christen und Sigmund Freud, Stuttgart 1977, S. 65-130.) Nicht die Fragen nach Ursprung und Definition des Monotheismus seien für ein angemessenes Verständnis des mosaischen Gottesbildes entscheidend, sondern jene nach dem Wesen des Gottes Israels – seinem befreienden, erwählenden Handeln an dem zur »Gerechtigkeit und Treue geheiligt(en)« Volk und seiner dialogisch anredenden und offenbarenden Zuwendung. Darin – und nicht in der hypothetischen religionsgeschichtlichen Rekonstruktion – sieht Buber das eigentliche Ziel seines Buches, im Erfassen dessen, was Moses »als lebendig wirkende Kraft in alle Zeiten gestellt hat und so wieder neu in unsere, vielleicht wie keine frühere seiner bedürfenden Zeit stellt« (in diesem Band, S. 356). Die wissenschaftliche Grundlage seiner These, aus den biblischen Texten in ihrer vorliegenden Gestalt lasse sich ein historisch authentisches Bild des Wirkens und Gottesverständnisses Moses gewinnen, legt Buber in dem Kapitel »Sage und Geschichte« (S. 357-363) dar. Gegenüber der gängigen Auffassung der Forschung, die Erzählungen über Mose gehörten einer viel späteren Zeit an, macht er auf ein alternatives Verständnis des historischen Gehalts von zunächst mündlich bewahrten »Geschichtssagen« früher Stammesgesellschaften aufmerksam. Im Falle des frühen Israel hätten diese Sagen im Zuge ihrer weiteren Tradierung durch jene, die sie mit unterschiedlichen religiösen und politischen Akzenten weitererzählt und transformiert hätten, einen »fortdauernde(n) Kristallisationsprozess« erfahren. Dem ursprünglichen »Geschichtskern« der mythisierenden Sagen könne die Forschung jedoch durch ein »reduktives« Verfahren auf die Spur kommen. Hilfreich sei in diesem Zusammenhang der spezifische Charakter der biblischen Sagen, die ihre zentralen Gestalten nicht als mit Göttergeschichten verwobene Heroen, sondern in ihrer »ganz unverklärten Menschlichkeit« darstellten, und die schon in ihren frühen Formen – über Einzelepisoden hinaus – eine kontinuierliche Er-

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eignisabfolge erzählten (S. 360 f.). Buber geht davon aus, dass sich mit dieser Methode zwar kein »einheitliches Geschichtsbild« gewinnen lasse, man aber »geschichtsechter Linien« ansichtig werden könne, und betont, dass auch das im Tradierungsprozess Hinzugekommene nicht einfach irrelevant, sondern Teil des in die Seele des Volkes eingeprägten kollektiven Gedächtnisses mitsamt seinen Wandlungen sei. Unabhängig von der genauen Mischung aus Tatsache, Legende und legitimer Fortschreibung, so Bubers These, ist die den biblischen Berichten »einwohnende Glaubensgeschichte […] in all ihren wichtigsten Zügen authentisch« (S. 362). Mit einigem Recht ist Moses aufgrund dieser methodologischen Reflexion im Verhältnis zur historisch-kritischen Wissenschaftstradition seiner Zeit als »the most ›conservative‹, perhaps even reactionary, of Buber’s biblical writings« gekennzeichnet worden, nicht ohne den Zusatz, dass dieser Konservativismus paradoxerweise im Dienste seiner herausfordernden, politisch radikalen »theopolitischen« Interpretation des Judentums stand (Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 126). Die Komposition des Buches, das in 21 Episoden den Weg Moses von der Sklaverei Israels in Ägypten und seiner in Form einer Legende erzählten Geburtsgeschichte über die zentralen Narrative der biblischen Exodus-, Sinai- und Wüstenwanderungstradition bis hin zu seinem Tod an der Schwelle des verheißenen Landes erzählt, zeichnet sich durch eine facettenreiche, kunstvolle Entfaltung wichtiger Motive der Buberschen Interpretation der Frühgeschichte Israels aus. Um die unterschiedlichen theologischen Höhepunkte der Exodustradition herum – die Dornbuschszene mitsamt der Darlegung der Bedeutung des Gottesnamens, die Texte zur göttlichen Erwählung Israels sowie die Erzählungen über den Bundesschluss am Sinai und den Empfang des Dekalogs – fügen sich die Reflexionen über jene beiden übergreifenden Motivkreise, die für Bubers Mosebild entscheidende Bedeutung besitzen. Samuel Hayim Brody hat auf überzeugende Weise den Kampf gegen Ägypten – das typologische Gegenbild des von Mose verkörperten religiösen Selbstverständnisses Israels – und die Herausforderung der mosaischen Botschaft von JHWHs Rolle als dem wegweisenden, durch den immer neuen Unglauben sowie den Götzendienst des Volkes hindurch ins dialogische Vertrauen rufenden Gott Israels als die beiden Gravitationszentren der Interpretation Bubers identifziert. (Vgl. Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 127-143; ähnlich akzentuiert Michael Fishbane, Martin Buber’s Moses, in: Ders., The Garments of Torah: Essays in Biblical Hermeneutics, Bloomington, IN 1989, S. 91-98, bes. S. 96 ff. sowie in der Einleitung zu diesem Band, bes. S. 38-40.) Indem es die prinzipielle Antithese zwischen Israel und der beherr-

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schenden Zivilisation seiner Frühzeit errichtet, reiht sich das Kapitel »Gegensatz zu Ägypten« (in diesen Band, S. 364-376) in die von dem Ägyptologen Jan Assmann kritisierte lange Tradition der Mose-Deutung ein, in der »Ägypten« für Götzendienst und kulturelle Stagnation, die Exodusgeschichte hingegen symbolisch für Transformation, Erneuerung und Fortschritt steht. (Vgl. Jan Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München u. Wien 1998; hier wie an anderer Stelle versteht Assmann das biblische Konzept »Mose der Hebräer« als eine theologische Rückprojektion aus der Königszeit, mit der Mose als Erinnerungsfigur »von überwältigender Strahlkraft« und die Erzählung über den Exodus aus Ägypten als Gründungslegende einer neuen, auf Offenbarung, Gottesbund und Gerechtigkeit zielenden Ordnung, als »Auszug aus dem Alten ins Neue« inszeniert wird; vgl. Jan Assmann, Der hebräische und der ägyptische Mose – Bilder und Gegenbilder, in: Manfred Oeming, Konrad Schmid und Michael Welker (Hrsg.), Das Alte Testament und die Kultur der Moderne, Münster 2004, S. 147-155, hier S. 148.) Wenn Buber Ägypten nicht nur als den Beginn der Zivilisation, sondern als den ersten maßgeblichen Versuch beschreibt, »das Leben und den Geist des Menschen, der sich auf den Weg seiner Geschichte begeben hat, im genauesten Wortsinn festzulegen« und die Fronarbeit im Kontext des Baus der Pyramiden sowie die Zentralisation der Macht in Gestalt des Pharaos (in diesem Band, S. 364 f.) als Inbegriff einer technischen Verdinglichung der Welt wie des Religiösen und einer hierarchisch determinierten Unfreiheit beschreibt, klingen dort Elemente seiner Deutung der Ich-Es-Modalität in seiner Dialogphilosophie nach. Die halbnomadische Existenzform der Israeliten, die Buber im Bild der wandernden »Hebräer« der Väterzeit beschreibt, verkörpert hingegen in den sie kennzeichnenden libertär-anarchischen Merkmalen der Stammesfreiheit und des Glaubens an einen mitwandernden Gott das Ideal der Ich-Du-Beziehung. Im Kapitel »Legende des Anfangs« (S. 377-381) gesteht Buber zunächst offen zu, dass die Quellenlage der modernen Forschung eine präzise Periodisierung des in der Exodustradition Erzählten verwehre: Die Darstellung der Drangsal der Israeliten in Ägypten ebenso wie jene der Rettung des Knaben Mose vor dem Kindesmord habe – als Präludium der eigentlichen Auszugsgeschichte – im Überlieferungsprozess eine erkennbare Ausschmückung durch Sagenmotive erfahren. Dennoch dürfe man von der »Geschichtlichkeit der Versklavung« ausgehen, da »kein Volk seiner Geschichte eine solche Schmach andichtet« (S. 377). Das Ziel der Erzählung bestehe darin, symbolisch zur Sprache zu bringen, dass der zur Befreiung Israels und zur Stiftung einer exklusiven Beziehung

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zwischen dem Volk und JHWH Ausersehene zunächst selbst in die »Hochburg der Fremde« gegeben werden und »ins Innerste der fremden Kultur« mitsamt ihren Fremdgöttern tauchen musste, »um sein Volk daraus zu ziehen« (S. 379). Die Geschichte über Moses Flucht ins Land der Midianiter nach der Tötung des Ägypters, der einen hebräischen Sklaven misshandelt, schreibt Buber zufolge ein wesentliches Element der mosaischen Rechtsordnung, den »Schutz der Schwachen vor der Gewalt der Starken«, in die Biographie des späteren Gesetzgebers ein und erzählt seine Rückkehr aus der ägyptischen Zivilisation »in die naturnahe Atmosphäre des halbnomadischen Daseins« (S. 381). Das Kapitel »Der brennende Dornbusch« (S. 382-397) enthält mit die wichtigsten theologischen Aussagen des Werkes. Die Geschichte der Offenbarung am Gottesberg, aus Bubers Sicht eine weitgehend einheitliche Komposition aus frühen Überlieferungselementen, erzähle von dem »Angerufenwerden« (S. 384), der Erwählung Moses, zugleich von der Selbstidentifizierung des sich in seinem Namen offenbarenden Gottes mit dem Gott der Väter. Entschieden weist Buber, wie schon ausführlich im Vorwort zur zweiten Auflage von Königtum Gottes (vgl. MBW 15, S. 242-265, bes. S. 246-256; vgl. auch das Kapitel »Zum Ursprung hin« in Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 163-168) die sog. »Keniter-Hypothese«, der zufolge Mose durch die Vermittlung seines Schwiegervaters Jethro am Sinai den ihm zuvor fremden Berg- oder Feuergott JHWH, den Stammesgott der Keniter, kennengelernt und zum Volksgott Israels gemacht habe, als reine Vermutung zurück (S. 385 f.; vgl. MBW 15, S. 247: Wie im Falle des vergeblichen Unterfangens, den ägyptischen Ursprung des mosaischen Werkes zu erweisen, sei auch mit Blick auf die »Keniter-Hypothese« zu bedenken, »daß der Ursprung eines namhaften Gottesglaubens nicht zu ermitteln ist, ja daß Ursprungsfragen Grenzfragen sind, welche der Forscher als solche anerkennen muß, wenn seine Forschung selber nicht problematisch werden soll. Eine Ursprungsfrage durch Ableitung von einem andern Geschichtsbereich, wo man die Ursprungsfrage nicht zu stellen braucht, beantworten heißt sie zum Schein beantworten«). Religionsgeschichtlich liege der Erzählung nicht die Begegnung mit einem an eine Manifestationsstätte gebundenen fremden Gott zugrunde, sondern vielmehr der Vorgang einer »Identifizierung« des eigenen, mitgehenden Gottes mit dem vor Ort angebeteten. (S. 386 f.; vgl. MBW 15, S. 255: Hier stellt Buber den Vorgang der Identifizierung als einen wechselseitigen dar, in dem die Israeliten erkennen, dass ihr Volksgott auch »über die Erdgewalten waltet«, während die Keniter feststellen, dass »ihr Bergoder Bergfeuer-Gott Stämme errettet und leitet«; das Gottesbild beider

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wachse zur Erkenntnis des Einen, »der der Herr der Natur und der Herr der Geschichte ist«.) Der eigentliche Zielpunkt des Kapitels liegt in der Interpretation des Zwiegesprächs, in dem JHWH dem widerstrebenden Mose die Bedeutung seines Namens JHWH offenbart. Anstatt das Ehjeh ascher ehjeh als »Ich bin der ich bin« zu verstehen, so als wolle sich Gott abstrakt als den »Seienden« oder »Ewigseienden« mitteilen, betont Buber, indem er die Übersetzung »Ich werde dasein als der ich dasein werde« wählt und als Zusage Gottes deutet, er werde für seinen Erwählten »da sein, ihm gegenwärtig bleiben, ihm beistehen« (in diesem Band, S. 393 f.). Mose, so der Sinn der Erzählung, wird zum Pharao gesandt, um den Ägyptern mitzuteilen, dass das Volk Israel in seinem Streben nach Freiheit unter dem Schutz des in der Geschichte Handelnden, für Israel Daseienden steht. Unabhängig davon, wann und durch wen diese Überlieferung der Dornbuschszene Gestalt gewonnen habe, könne man den Ursprung des Spruchs Ehjeh ascher ehjeh letztlich allein in der Glaubenserfahrung Moses finden – er sei auf jene »Urtheologie« zurückzuführen, »die in der Form der Geschichtserzählung an der Schwelle jeder echten Geschichtsreligion steht« (S. 396). Im Kapitel »Göttliche Dämonie« (S. 398-401) widerspricht Buber einer Auslegung der kurzen unheimlichen Episode aus Exodus 4,24-26, die erzählt, wie JHWH ihn auf dem Weg nach Ägypten zu töten trachtete, im Sinne einer Adaptation einer phantastisch-primitiven Erzählung über eine Begegnung mit einem unbekannten Dämon. Stattdessen geht er davon aus, dass auch in der ältesten zugrundeliegenden Erzähltradition JHWH als der Handelnde erscheint, und plädiert dafür, das Schrecklich-Fordernde, das auch in der Geschichte über die Bindung Isaaks (Genesis 22) und den Gotteskampf mit Jakob am Jabbok (Genesis 32,23-33) aufscheint, als Teil des biblischen Gottesbildes zu integrieren: »Es gehört zum Urwesen dieses Gottes, dass er den, den er erwählte, auch restlos anfordert; wen er anredet, den reisst er an sich« (S. 399). Das Motiv der Beschneidung des Sohnes Moses durch Zippora, die den Schrecken beendet, greift Buber auf, indem er hier, ausgehend von Moses Klage vor Gott, er sei »vorhäutig an Lippen« (Exodus 6,12) und unfähig, als Mittler des Wortes Gottes gegenüber den Menschen zu wirken, erstmals das – mit unterschiedlichen Akzenten wiederkehrende – Motiv der »Tragik« anklingen lässt. Moses Stammeln, das nur dadurch zu überwinden ist, dass Aaron als sein »Mund« dient, begründet die Einsamkeit des erwählten »Lehrer[s], Prophet[en], Gesetzgeber[s]« in der Sphäre des göttlichen Wortes, zugleich aber eine seinem Schicksal innewohnende »Tragik« der

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Offenbarung selbst: »Das Stammeln ist es, das die Stimme des Himmels zur Erde bringt« (S. 401). Die folgenden Kapitel entfalten im Spiegel der eigentlichen Auszugsgeschichte wesentliche Aspekte des Buberschen Verständnisses der prophetischen Funktion Moses und des von ihm offenbarten Wesens des Gottes Israels. Das Kapitels »Mose und der Pharao« (S. 402-409) deutet die Erzählung über die Konfrontation mit dem Pharao als Geschichtssage, die als mythisierende Vorgeschichte der »historisch unanfechtbaren Tatsache des Auszugs« zwar keine geschichtlich greifbaren Tatsachen, aber den gleichwohl aussagekräftigen »Anhauch eines fernen Geschehens« enthalte (S. 403). Der eigentliche Fokus liegt jedoch auf der These der Wesensverwandtschaft des zum Nabi, zum »Künder«, berufenen Mose mit den späteren biblischen Propheten. Als möglicherweise später, im Kreise der Jünger Elisas ausgestaltete Überlieferung beziehe der Legendenkranz der zehn Plagen Mose in eine nun tatsächlich historische, wiederkehrende Konstellation der biblischen Prophetie von Samuel bis Jeremia mit ein – den großen »Geschichtsrefrain Israels« von dem kritischen Wort des Propheten gegen den König im Namen der Gerechtigkeitsforderung Gottes (S. 404; zur Deutung Moses als Prophet vgl. auch Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 191 f.). Inmitten des Legendären könne genau diese Eigenschaft als tatsächliches Merkmal des »geschichtliche[n] Mose« gelten. Dieser sei keineswegs ein durch übernatürliche Phänomene agierender Magier, sondern ein durch das prophetische Wort wirkender Befreier gewesen, der sich allerdings von allen nachfolgenden Propheten durch ein entscheidendes »Geschichtsgeheimnis« unterschieden habe: Er allein sei aus seinem Ringen mit dem Herrscher aufgrund der Macht des erwählenden, herausführenden Gottes Israels letztlich siegreich hervorgegangen (S. 404 f.). Mose ist zudem, wie Buber im Kapitel »Passah« (S. 410-413) ausführt, der Mann, dessen wichtigste Eingebung darin besteht, die Stämme Israels in der »freien Atmosphäre der Wüste« durch den Bund mit JHWH zu einen (S. 410). Die Einsetzung des Passahfestes auf der Grundlage eines neu gedeuteten uralten Hirtenmahls erscheint in diesem Zusammenhang als Vorform des Sinaibundes, zugleich als Stiftung eines im Laufe der Geschichte Israels verschiedenen Wandlungen unterworfenen »Geschichtsfest[s]«, das alljährlich die Generationen des Volkes zur Feier des »ureinst Geschehenen« versammle (S. 413). Das Ereignis, das im Zentrum dieses Erinnerns steht, interpretiert Buber in dem Kapitel »Das Wunder am Meer« (S. 414-418) unter dem Aspekt des für seine Hermeneutik entscheidenden Motivs des wegweisenden Handelns Gottes. Entscheidend

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sei nicht, ob sich hinter der Erzählung über das Rettungswunder tatsächlich etwas »Übernatürliches« oder »Übergeschichtliches« verberge, sondern die Tatsache, dass das Volk den Exodus als Tat ihres Gottes erfahren habe. Die geschichtliche Wirklichkeit des für die Glaubensgeschichte Israels und der Menschheit konstitutiven Staunens über dieses Geschehen sei nicht ohne die »Vorstellung des mitgehenden, voranziehenden, führenden Gottes« zu verstehen, die in den Vätererzählungen über den mitwandernden JHWH vorgeprägt gewesen sei und im Bild der Wolkenund Feuersäule ihren poetischen Ausdruck finde (S. 415 f.). Erst die Einsicht in die Bedeutung der Erfahrung des Wunderwirkens JHWHs, der Offenbarung durch ein Ereignis noch vor der Offenbarung durch das Wort, gestatte es, den Glauben Moses an die wundersame Führung Gottes als Gefolgschaft gegenüber dem zu begreifen, der sich als jene Macht erweist, »deren Führung und Entscheidung alle Bereiche der Gemeinschaft untertan sein müssen«, als »der Herr des Wunders, der ewige Melek« (S. 418). Der religiös-soziale Sinn der damit angesprochenen Königsherrschaft Gottes erschließt sich, wie Buber im Kapitel »Sabbat« (S. 419-424) nachdrücklich betont, in der Erneuerung der uralten Tradition des Sabbats durch Mose, des israelitischen Sabbats, der im Gegensatz zu den TabuTagen der babylonischen Kultur eine »heilige Ordnung der Zeit« (S. 421) schaffe und die Idee der kosmischen Ruhe des Schöpfers mit der Forderung nach der Gerechtigkeit gegenüber den Schwachen der Gesellschaft verbindet. Darin wird der Geist Moses sichtbar, der »von Anbeginn um das Kommen der Gerechtigkeit streitet; die Herrschaft seines Gottes und die gerechte Ordnung zwischen den Menschen sind ihm eins; auch als Gesetzgeber will er dem Unfreien, dem Exponierten zu seinem Recht verhelfen« (S. 423). Mit dem Kapitel »Die Murrenden« (S. 425-428) wendet sich Buber sodann dem zweiten Motivstrang zu, jenem der Auseinandersetzung Moses mit dem hadernden Widerspruch des Volkes. Bei aller Parallelität seiner Erfahrungen zu jener der späteren Propheten, den machtlosen Repräsentanten Gottes gegenüber den Königen, sei seine Situation durch eine entscheidende Differenz gekennzeichnet, insofern er – als der »beauftragte Führer« Israels, also als Machthaber – mit dem Volk in Konflikt gerate. Allerdings deutet Buber Moses Macht als eine zutiefst prekäre, als die Macht eines »charismatischen ›Führers‹, der von Gott geführt wird« und keine Herrschaft für sich selbst in Anspruch nimmt, weil er mit der irdischen Herrschaft Gottes Ernst machen möchte (S. 426). Das Volk missversteht diese Idee der charismatischen Führung, weil es Gott mit »Erfolg« verwechselt, die Entbehrungen der Wüstenwanderung als

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Scheitern deutet und an der Treue JHWHs zweifelt. Was Buber bereits 1928 in seinem Essay »Biblisches Führertum« u. a. auch am Beispiel der Figur des Mose als Gegenkonzept zu zeitgenössischen autoritären Herrschaftskonzepten entworfen hatte (vgl. in diesem Band, S. 58-69 und den Einzelkommentar dazu S. 738-743), kommt jetzt im Bild des mit dem angefochtenen, rebellischen Volk leidenden im Gegensatz zum vertrauten »majestätischen« Mose zum Ausdruck, des Mose also, der zugleich zum Fürsprecher der »heilige[n] Dreistigkeit« Israels vor Gott wird (S. 427). Dass neben dem Aufbegehren immer auch eine andere, auf Vertrauen auf Gott beruhende Dimension des Verhältnisses zwischen dem Volk und seinem Führer erhalten blieb, betont Buber im Kapitel »Die Schlacht« (S. 429-431). Am Beispiel von Moses Hochhalten des sinnbildlichen Bannerstabes während der Schlacht gegen die Amalekiter (Exodus 17) reflektiert er über den Begriff emunah, der ebenso für die Festigkeit des Führers wie für dessen Vertrauen auf die Treue und Gegenwart JHWHs steht (S. 429 f.). In dem Kapitel »Jethro« (S. 432-437), das noch einmal die Keniterhypothese zurückweist, beschreibt Buber im Spiegel der Gotteserkenntnis des aus dem midianitischen Priestertum stammenden Schwiegervaters Moses das Wesen des Gottes Israels als das »des hoch über den Bergen, in der Himmelstiefe selber wohnenden, von dort aus sich ein Volk wählenden, zu ihm niedersteigenden, mit ihm wandernden, es führenden Herrn« (S. 435) und leitet damit zu den zentralen Motiven des Geschehens zwischen Gott und Volk Israel am Sinai über. Das erste dieser Motive ist jenes der Erwählung, dem Buber im theologisch ungeheuer dichten Kapitel »Der Adlerspruch« (S. 438-445) große Aufmerksamkeit widmet. Das hängt damit zusammen, dass ihm die klassische Passage Exodus 19,3-6, die aus seiner Sicht »ein altes, traditionsechtes Bruchstück« enthielt, welches seiner Essenz nach auf Moses zurückgehe, als die wichtigste und klarste Äußerung dessen erschien, was er als den »theopolitischen Gedanken Moses« bezeichnet: »seine Konzeption des Verhältnisses zwischen JHWH und Israel, die ihrem realistischen Wesen nach nicht anders als politisch sein kann, aber in der politischen Setzung von Ziel und Weg eben nicht von der Nation, sondern von dem Gotte ausgeht« (S. 438). Das Bild Gottes, der Israel auf Adlerflügeln trug und zu sich brachte (Exodus 19,4), sei weit mehr als eine schöne Metapher, vielmehr ein Gleichnis, das Grundlegendes über die geschichtliche Beziehung JHWHs zu seinem Volk, über Erwählung, Befreiung und Erziehung verkünde. Bund, Erwählung, Königsherrschaft Gottes – das sind die drei Elemente der theopolitischen Botschaft, denen für Bubers Verständnis der Hebräischen Bibel insgesamt entscheidende Bedeutung zukommt. Der Sinaibund, alles andere als ein Vertrag zwi-

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schen gleichrangigen Partnern, ist ein »Königsbund«, der in ein Lebensverhältnis zwischen Gott und Volk ruft und – im von Mose verlesenen »Bundesbuch« – in eine Gehorsam fordernde königliche Gesetzgebung mündet (S. 440). In diesem Bund konstituiert sich überhaupt erst Israel als Volk, und zwar als erwählte und daher unter Gottes besonderem Anspruch stehende Gemeinschaft. Getreu seinen Überlegungen über die »Erwählung Israels«, die er in den 1930er Jahren mit Blick auf die zeitgeschichtliche Situation in Deutschland wie in Palästina als besondere Beauftragung des jüdischen Volkes zur Bewährung von Gottes Gerechtigkeitsforderung – gegen die Herrschaftsnationalismen der Völker der Welt – gedeutet hatte (vgl. Bubers Essays zur Erwählung Israels in diesem Band, S. 102-113; S. 652-660; S. 661-666 sowie die jeweiligen Einzelkommentare S. 802-807, 1172-1177 und 1182 f.), warnt Buber vor einem partikularistischen Missverständnis der Konzeption eines »heiligen Volkes«. Näher zu bestimmen ist letztere durch die Idee eines »mit seiner leiblichen Volksexistenz«, mit der Gesamtheit seiner Institutionen und Rechtsordnungen dem Heiligen geweihten goj kadosch (S. 442 f.). Der »Adlerspruch«, der zugleich die Absage des befreiten Israel »an das ewige Pharaonentum« verkörpert, begründet, so Buber, das biblische Verständnis von Freiheit als »Gottesfreiheit«, als freie Anerkennung der Herrschaft des Melek JHWH über alle Belange der Existenz Israels (S. 444 f.). Die Offenbarung am Sinai, das Werden Israels als Bundespartner JHWHs und das heilige Bundesmahl als Besiegelung des Zusammenschlusses Gottes mit Israel »zu einer politischen, theopolitischen Einheit« (S. 450) stehen im Mittelpunkt des Kapitels »Der Bundschluss« (S. 446453). Obwohl ein Vordringen zu den tatsächlichen Geschehnissen hinter den biblischen Texten mit ihren für den modernen Leser fremden Darstellungen gewaltiger Naturereignisse unmöglich sei, sieht Buber – etwa gegen das Urteil Martin Noths (vgl. dessen Buch Das System der zwölf Stämme Israels, Stuttgart 1930) – keinen Grund, an der prinzipiellen Geschichtlichkeit des Geschilderten zu zweifeln (S. 447). Wichtiger als die exegetische Beweisführung dafür sind Buber jedoch die theologischen Aussagen der Texte über die Funktion Moses als Mittler zwischen dem Volk und Gott und über das an Jesajas Berufungsvision gemahnende »Sehen einer Gottesgestalt« nach dem Opfer. Jenseits moderner Rationalisierungen verbirgt sich dem Philosophen zufolge hinter solchen Theophanieschilderungen eine für die biblische Gottesbeziehung konstitutive »Urerfahrung«: das »Sich-sehen-lassen« des befreienden und in der Herrlichkeit seines Lichtes »sichtbar werdend[en] und unsichtbar bleibend[en]« Gottes, in dem die Befreiten und zum Priestervolk Erwählten die Gegenwart des Offenbarers erkennen (S. 452).

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In seinem Kapitel »Die Worte auf den Tafeln« (S. 454-472) muss sich Buber, bevor er sein Verständnis des Dekalogs entfaltet, zunächst mit einer Reihe von durch christliche Prämissen geprägten historischen wie theologischen Urteilen der alttestamentlichen Forschung auseinandersetzen. Insbesondere wendet er sich gegen eine Spätdatierung des Dekalogs in Exodus 20 in die exilisch-nachexilische Zeit und die herrschende Skepsis gegenüber der Möglichkeit seiner mosaischen Herkunft als Sammlung sittlicher Gebote, die religionsgeschichtlich mit der Primitivität der mosaischen Volksreligion argumentierte: Ein zum Prinzip erhobener bildloser Kult oder die Schaffung eines »Katechismus«, der die Essenz der Religion in rein ethischen Grundsätzen statt im Kultus erblicke, sei zur Zeit des Mose noch undenkbar gewesen (S. 462). Aus Bubers Perspektive ließ eine solche Position wesentliche Aspekte außer Acht, etwa die innere Tendenz von Moses Verständnis Gottes als eines vorangehenden Geschichtsgottes zur Idee des »bildlosen Dasein[s] des Unsichtbaren, der sich zu sehen gibt« (S. 461), aber auch die Tatsache, dass Mose die uralten Riten, die zu seiner Zeit Geltung beanspruchten, bereits damals im Sinne der Ausschließlichkeit des JHWH-Kults umgeformt habe. Keinen Katechismus von Glaubensartikeln oder Sittengesetzen schuf Mose mit dem Dekalog, sondern eine auf die Konstituierung einer Gemeinschaft zielende Gesetzgebung, vor allem aber eine Sammlung von Geboten, in denen der Befreier Israels sein Volk mit »Du« anspricht und von ihm die exklusive Anerkennung des ausschließlichen Herrn fordert (S. 465). Die historische Schlussfolgerung Bubers aus seiner Auslegung lautet, der Dekalog in seinem Kernbestand könne glaubhaft als die aus der Mose-Zeit stammende »Satzung« verstanden werden, die das auf dem Sinai konstituierte Volk mit JHWH verband, d. h. als die auf den Bundesschluss folgende »Proklamation des Melek JHWH«, das »Gottesgesetz für das Volk« (S. 470 f.). Das Motiv der Ausschließlichkeit JHWHs erfährt im Kapitel »Der eifernde Gott« (S. 473-477) eine sozialethische Zuspitzung, insofern Buber Exodus 20, 5b-6 nicht auf die Frage des Kultischen und des Götzendienstes, sondern auf Unrecht in der Gemeinschaft bezieht. Am Beispiel des Rechts der Witwen und Waisen, des Pfandrechts und des Sklavenrechts betont er die enge Verflechtung des Religiösen und Sozialen als im Vergleich zur umgebenden altorientalischen Kultur kennzeichnendes Merkmal der biblischen Tradition, den Zusammenhang zwischen exklusivem Dienst an JHWH und »jene[r] gerechte[n] Treue zwischen den Menschen ohne die Israel nicht Israel, nicht Volk JHWH’s werden kann« (S. 476; zum Aspekt des Sozialen und der Sozialkritik in der Bibeldeutung Bubers vgl. Laurence J. Silberstein, Martin Buber’s Social and

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Religious Thought: Alienation and the Quest for Meaning, New York u. London 1989, bes. S. 204-263). Die berühmte Geschichte vom Goldenen Kalb behandelt Buber unter der Überschrift »Der Stier und die Lade« (S. 478-490) als Erzählung über den inneren Zusammenhang zwischen einer tiefen Krise, ja Katastrophe der Glaubensgeschichte Israels (dem Aufruhr des Volkes gegen die scheinbare Abwesenheit des vorangehenden Gottes) und einer neuen Glaubenserfahrung (jener der Barmherzigkeit JHWHs, der seine schützende Präsenz sinnbildlich verbürgt). In den Mittelpunkt seiner Deutung stellt Buber nicht so sehr die Katastrophe selbst, die Anfertigung des Stierbilds, die gewaltsame Niederschlagung des Aufstands und das Zerschmettern der Tafeln des Bundes, sondern die religionsgeschichtliche und theologische Frage nach den Ursprüngen der Bundeslade. Der »Tatsachenkern«, den er dem aus seiner Sicht literargeschichtlich »wohl schwierigsten Abschnitt des Pentateuchs« abgewinnt (S. 480), liegt darin, dass Mose mit der Lade – als Antwort auf die Krise – aus im Alten Orient religionsgeschichtlich vorgegebenen Elementen ein einzigartiges »Geschichtssymbol« schafft: ein großes »Sacrum«, das für die tiefe Paradoxie der Präsenz eines unsichtbaren Gottes steht, der kommt, mitgeht und entschwindet, auf dessen Wiederkehr das Volk jedoch vertrauen kann (S. 487 ff.). Als Zentralsatz der Episode betrachtet Buber Gottes auf Moses Fürbitte hin erfolgte Zusage in Exodus 33,19 (»Ich werde begnaden, wen ich begnaden will und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen will«) – eine »Urerfahrung«, die keiner anderen Figur in der Geschichte Israels zugeschrieben werden könne als Mose, von dem es in Exodus 33,11 heißt, JHWH habe zu ihm im Zelt der Begegnung »Antlitz zu Antlitz« geredet und dem Volk durch ihn Schutz gegen die feindliche Welt und »mitgehende Gegenwart im Innern des Lagers« versprochen (S. 485). Die biblischen Aussagen über Gottes unmittelbare Anrede Moses als ein »Du« (S. 494) nimmt Buber zum Anlass, im Kapitel »Der Geist« (S. 491-499) noch einmal über Moses einzigartiges Prophetentum zu reflektieren – gegen das Urteil von Forschern wie Gustav Hölscher (18771955), Hugo Greßmann oder Martin Noth, die Texte über Mose, die auf prophetische Wirksamkeit deuten, seien als sekundär einzustufen (vgl. Gustav Hölscher, Die Profeten. Untersuchungen zur Religionsgeschichte Israels, Leipzig 1914, S. 99; Greßmann, Mose und seine Zeit, S. 267 f.; Martin Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, S. 140 ff.), aber auch gegen eine vereinfachende Gleichsetzung seiner prophetischen Züge mit jenen frühisraelitischer Ekstatiker oder »Seher«. Die Differenz zu diesen Phänomenen einer ekstatischen Wirkung der

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göttlichen ruach liegt Buber zufolge darin, dass Mose als »von Person zu Person« Angesprochener Träger eines »ruhenden und steten Geistes« gewesen sei, der mit seinem »Aufgenommensein in das dialogische Verhältnis zur Gottheit« gleichzusetzen sei (S. 493 f.). Das Kapitel »Das Land« (S. 500-508), das sich der Erzählung von Numeri 13 und 14 über die von Kadesch aus nach Kanaan ausgesandten Kundschafter und das Aufbegehren des Volkes im Gefolge ihrer Rückkehr zuwendet, thematisiert die Rolle Moses als des Erfüllers der Landverheißung der Vätergeschichten, namentlich die sozialethische Bedeutung der theopolitischen Idee für die neue Phase der bevorstehenden Sesshaftigkeit des Volkes Israel. Das Konzept des »Gotteseigentums an allem Grund und Boden« (S. 502), das in der Sozialgesetzgebung des alten Israel zum Ausdruck kommt (Sabbatjahr, Jobeljahr und die Mahnung, die Fremden nicht zu bedrücken) hält er durchaus für mosaisch, entspreche es doch Moses »sabbatlichem Denken« und dem Wirtschaftsverhalten der halbnomadischen Gemeinschaft, deren Führer er war (S. 506; hier klingt an, was Buber 1950 in Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee im Kontext seiner auf den Zionismus bezogenen Reflexionen über die Verbindung des Judentums zu dem unter Gottes Herrschaftsanspruch stehenden Land Israel ausführte; vgl. MBW 20, S. 171-316, bes. S. 173-207). Im Kapitel »Der Widerspruch« (S. 509-516) interpretiert Buber die Erzählung über den Aufstand der »Rotte Korah« gegen Mose in Numeri 16 unter einem dreifachen Aspekt. Der erste Aspekt berührt das eigentliche Motiv des Konflikts, dem im selbstsicheren Bewusstsein der Heiligkeit des ganzen Volkes und des festen Besitzes der göttlichen Präsenz in der Lade wurzelnden Protest gegen das Vorrecht Moses, als prophetischer Mittler Gottes Forderung zur Sprache zu bringen: »Göttliche Gegenwart hiess dem Volk als Volk: den Gott besitzen, mit anderen Worten: den eigenen Willen zu Gottes Willen zu machen« (S. 511). Der zweite Aspekt betrifft die Einzigartigkeit Moses, auf den keine »religiöse« Kategorie, weder die des Priesters noch jene des Propheten, zutrifft, sondern der zugleich in der Geschichte handelnder Volksführer und Gesetzgeber ist, dessen Ziel darin besteht, das theopolitische Prinzip der Herrschaft Gottes und die »Verwirklichung der Einheit von religiösem und gesellschaftlichem Leben in der Gemeinschaft Israels« durchzusetzen (S. 512) – gegen diese Zumutung lehnt sich das Volk auf, indem es ihm die Vollmacht zur Gesetzgebung bestreitet. Damit ist der dritte Aspekt verbunden, die Frage des Gesetzes. Samuel Hayim Brody (Martin Buber’s Theopolitics, S. 141 ff.) verweist auf die Spannung, die darin liegt, dass Buber, der mit Blick auf Ägypten so hellsichtige Kritik an der Staatszentralisation

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Ägyptens übt und dessen Denken generell durch eine erhebliche Distanz zur Halacha – der religionsrechtlichen Dimension der jüdischen Tradition – geprägt ist, nun so pointiert die unerlässliche Bedeutung des »Gesetzes« für die geschichtliche Verwirklichung göttlicher Herrschaft in der Welt hervorhebt (Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 143 f.). Der wahre Kern der Rebellion, so Buber, liege in der Gefahr der Entleerung des Geistes durch das »Gesetz«, sofern es nicht, wie es dem mosaischen Prinzip der »immer wiederkehrenden Erneuerung« entspreche, stets neu mit Gottes aktuellem Willen konfrontiert werde; falsch sei jedoch die Annahme, dass das »Gesetz« per se Geist und Freiheit entgegenstehe (S. 514). An dem Widerspruch der »Rotte Korah« macht Buber nicht zuletzt seine Diagnose der »Tragödie« Moses fest, die darin liegt, dass dieser die »unbedingte Unterwerfung unter den Willen Gottes« nicht durch Zwang durchsetzen will, sondern der freien Entscheidung des Volkes anheimgibt, aber genau damit auch die Freiheit zum Widerstand gegen Gottes Herrschaft ermöglicht, der zum Untergang der Aufbegehrenden führt (S. 514 f.). Das Kapitel »Der Baal« (S. 517-520) richtet den Blick auf die späte Zeit der Wüstenwanderung und die Gefahr, die dem JHWH-Glauben und der »Seele Israels« »an der Schwelle des verheissenen Landes« (S. 518 f.) aus der – von Mose gewollten – Sesshaftigkeit mit ihrer agrarischen Existenzform erwächst: die Infragestellung der Ausschließlichkeit und Einheit Gottes durch Mysterien göttlicher Geschlechtlichkeit sowie die Tendenz zur »Baalisierung« JHWHS, die einst Elia und Hosea bekämpfen sollten. Mose, so Buber, bekommt »bis in den Herzensgrund zu spüren […], welches innere Ringen noch nottun wird, ehe die Verheissung ihre wahre Erfüllung finden wird« (S. 520; vgl. die Überlegungen zur »Baalisierung« in: Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 246 ff.). In der Schlussepisode unter dem Titel »Das Ende« (S. 521-525), greift Buber das Motiv des Tragischen der Wirksamkeit Moses auf, fügt ihm jedoch an dieser Stelle einen anderen Akzent hinzu. Nicht mehr bloß die Einsamkeit des stammelnden Mittlers des göttlichen Wortes und das Scheitern der vollständigen Durchsetzung des theopolitischen Ideals gegen den Widerspruch Israels machen »Moses Tragödie« (S. 524) aus, auch nicht die Tatsache, dass ihm der Übergang ins verheißene Land verwehrt bleibt, sondern seine Einzigartigkeit, die dazu führt, dass ihm kein Gleichrangiger nachfolgt. Josua, den Mose zum Nachfolger erhebt und über dessen Wirksamkeit sich Buber zufolge historisch nicht viel aussagen lässt, mag ein erfolgreicher Kriegsführer sein, aber er ist »kein Offenbarungsempfänger« (S. 522). So sieht sich Mose zu einer »Teilung der Gewalten« gezwungen, in der sich die Zweiheit von »Priester« und

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»Richter«, die Sonderung der kultischen von der zunehmend eigengesetzlichen politischen Sphäre ankündigt, die zur ständigen Herausforderung für die spätere Glaubensgeschichte Israels werden sollte. Mit der Einsetzung Josuas vollzieht Mose, dessen Wirken auf die ganzheitliche Antwort der Gemeinschaft auf Gottes Offenbarung zielte, um der Bewahrung seines Werkes willen etwas, »in dessen Folge ein zentrales Stück aus den Fundamenten des Werkes gebrochen wird.« (S. 523 f.). In der Erkenntnis dieser Tatsache sieht Buber den Sinn der biblischen Aussage von Exodus 34,10, hinfort sei in Israel kein Prophet mehr wie Mose erstanden, den JHWH von »Angesicht zu Angesicht erkannte«. Allerdings lässt er sein Buch nicht auf dieser tragischen Note enden, sondern bezieht sich auf die in Deuteronomium 18,15 überlieferte Verheißung Gottes, er wolle dem Volk Israel von Zeit zu Zeit einen Propheten wie Mose senden und ihm sein Wort offenbaren, um das hoffnungsvolle Motiv einer Kontinuität mitten in der Diskontinuität zu betonen: Mose bleibe der Einzigartige, von der späteren Prophetie Unterschiedene – »aber die Propheten Israels, Männer des Geistes nur noch im Sinne des Geisteswortes, setzen sein Werk fort, jeder von ihnen nimmt es von neuem auf, und alles Neue will nur Wiederbringung sein« (S. 525). Die unmittelbare Resonanz des Moses unter jüdischen und christlichen Gelehrten, wie sie sich etwa in den von Buber gesammelten zahlreichen Besprechungen wiederspiegelt (vgl. die Mappe Arc. Ms. Var. 350 013 14 im MBA), zeugt von der großen Wirkung, die das Buch hinterlassen hat, von der Bewunderung, die es aufgrund seiner literarischen Gestalt, seinem theologischen Gepräge und seiner politisch-ethischen Implikationen hervorrief, allerdings auch von der Zwiespältigkeit, mit der Fachexegeten auf seinen Umgang mit der etablierten Forschung und seinen hermeneutischen Zugriff auf die Erzählungen der Exodusüberlieferung reagierten. Unter dem Titel »›Theopolitik‹. Zu Martin Bubers ›Mosche‹« besprach Schalom Ben-Chorin (1913-1999) die hebräische Fassung des Werkes im August 1946 in der Zeitschrift Jedioth Chadaschot; eine gleichlautende Rezension erschien im Oktober des Jahres in der Zeitschrift Judaica. Der Reformrabbiner begrüßte Bubers Interpretation – im Gegensatz zu Sigmund Freuds Der Mann Moses und die monotheistische Religion und Thomas Manns Erzählung Das Gesetz, die Mose zum Ägypter bzw. zum »Halbjuden« gemacht und auf diese Weise »allerlei Verwirrung in den Köpfen eines großen Leserkreises« gestiftet hätten – als bedeutende »kritische Monographie«. Sie zeichne sich durch das Unterfangen aus, die Gestalt Moses aus dem »sorgfältig rekonstruierten Werk des Führers, Propheten und Gesetzgebers« heraus sichtbar zu machen (Schalom

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Ben-Chorin, in: Judaica 2 (1946), S. 231-234, hier S. 231). Der Rezensent lobt ausdrücklich die »naturgemäß subjektivistische« Methode, mit der Buber versuche, »aus dem überlieferten Text die ursprüngliche Botschaft herauszuhören« (ebd.), und die Akribie seiner jenseits von Traditionalismus und kritikloser Rezeption der Bibelkritik, aber auch ohne Willkür verfahrenden Exegese, die »viele dunkle und übersehene Stellen des Pentateuchs transparent« mache und in neuem Lichte erscheinen lasse. Ausdrücklich bejaht er Bubers Konzentration auf die Bedeutung der »Theopolitik« als eines maßgeblichen Interpretaments der Figur des Mose, der als Präfiguration der klassischen Propheten Israels erscheine, gibt allerdings zu bedenken, das Buch blende eine bedenkenswerte Dimension aus, auf die der Philosoph Oskar Goldberg (1885-1953) in seinem Werk Die Wirklichkeit der Hebräer (1925) zu Recht verwiesen habe. Moses vor dem Pharao, so Ben-Chorin, sei eben nicht allein das »Urbild des machtlos-mächtigen Propheten vor dem irdischen Repräsentanten einer im tiefsten immer usurpierten Macht«, sondern zugleich auch Magier, »ja Erzmagier, welcher im Wettbewerb mit den Magiern Ägyptens obsiegt«. Diese Seite seines Wirkens dürfe nicht einfach dem Bereich des Sagenhaften zugewiesen werden (ebd., S. 233; vgl. Oskar Goldberg, Die Wirklichkeit der Hebräer, Berlin 1925). Insgesamt beurteilt Ben-Chorin Bubers Schrift jedoch als das »reife Werk eines Forschers und Gelehrten, der zutiefst eingedrungen ist in die Probleme der Religionswissenschaft im Allgemeinen und des Pentateuchs im Besonderen; aber darüber hinaus ist es das Zeugnis eines Juden, der um die Geheimnisse des Glaubens mit einem Wissen weiß, das nicht allein aus Büchern geschöpft werden kann. Bubers Moses ist die Krönung seines exegetischen Werkes und ein Markstein in der Entwicklung einer neuen Wissenschaft des Judentums, die jetzt in unseren Tagen in hebräischer Sprache von Jerusalem ausgeht« (Ben-Chorin, ebd., S. 234). Aus dem orthodoxen Judentum musste Buber, anders als im Fall des reformjüdischen Denkers Ben-Chorin, größere Skepsis erwarten. Spürbar ist das in einer von H. Heinemann (höchstwahrscheinlich der 1939 von Köln aus nach Manchester emigrierte, religiös-sozialistisch orientierte Rabbiner Hans Heinemann) unterschriebenen Besprechung in der Zeitschrift Chayenu: Organ of the Torah Vaʾ Avodah Movement and Brit Chalutzim Datiʾ im of Western Europe, die Bedauern darüber äußert, dass Buber, der in früheren Arbeiten – zumindest als Hypothese – so stark die Einheit und Integrität des biblischen Textes betont habe, sich nun willkürlicher Textkritik bediene. Dennoch gesteht ihm der Rezensent zu, er benutze seine Kenntnisse der Archäologie, Religionspsychologie und Philosophie nicht dazu, den biblischen Text zu zergliedern

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und zu verstümmeln, sondern um Zugang zu seiner fundamentalen Wahrheit zu gewinnen. Das Fazit fällt letztlich überraschend positiv aus: Obgleich orthodoxe Juden im Gegensatz zu Buber daran glaubten, dass alle in der Bibel erzählten Ereignisse den Tatsachen entsprächen, könnten sie in Moses eine Fülle an Material und wertvollen Gedanken finden. »There is much here on which orthodox scholars could build, if they are bold enough to attempt a new understanding of the Tenach. Through Buber’s interpretation, Moses as well as his Torah, regain, to a large extent, their true significance and actuality for our generation.« (H. Heinemann, The Torah and our Generation, Chayenu, August 1947, S. 14.) Der konservative amerikanische Rabbiner Jacob S. Minkin (18851962) bezweifelte, dass Moses Bubers Ruf als exakter Wissenschaftler befestigen werde, da Kritiker das Buch wohl weniger als historische Darstellung denn als »a more fantastic than real, a kind of beautiful Midrash« lesen dürften. Gleichwohl verteidigte er das Werk als kühne, originelle und radikale Alternative zur vielfach pseudowissenschaftlichen, weil vorurteilsgeleiteten Bibelkritik. Mit seiner Gelehrsamkeit und seinem Sprachempfinden gelinge es Buber, Mose dem Bereich der mythischen Imagination zu entreißen und als konkrete historische Figur neu erstehen zu lassen – »he makes us behold a great soul, wrestling with itself, wrestling with God, wrestling with the people«. Besonders positiv zu bewerten sei, dass der Verfasser zwar die wunderhaften und übernatürlichen Aspekte der biblischen Mose-Überlieferung der historischen Kritik unterziehe, aber wenig Zweifel an der geschichtlichen Authentizität der wichtigsten sozialen, kulturellen und spirituellen Errungenschaften des Propheten lasse. (Jacob S. Minkin, Buber Lifts Moses Out of the Mists, Congress Weekly, 13. Februar 1948, S. 12 f.). Ein anderer amerikanisch-jüdischer Gelehrter, Immanuel Lewy (1884-1970), Verfasser des Buches The Growth of the Pentateuch: A Literary, Sociological and Biographical Approach (New York 1955), hob 1947 in der Zeitschrift The Reconstructionist hervor, Moses sei »too wonderful, too modern, too idealistic to be true« und daher im Grunde, obgleich das wissenschaftliche Werk eines wahrhaften Gelehrten, keine historische Studie. Vielmehr schaffe das Buch einen neuen, aus Bubers Philosophie erdachten Mythos: »the Moses whose work Buber describes with so much love and lucidity looks like a photograph of Buber himself. He has nearly the same ideas and ideals which Buber holds essential for philosophy and Judaism«. (Immanuel Lewy, The Reconstructionist, 26. Dezember 1947, S. 23 f.; ähnlich urteilt Michael Fishbane, wenn er in seiner Einleitung zu diesem Band, S. 38 von einer »hermeneutische[n] Übertragung« spricht; vgl. auch Karl-Johann Illman, Buber and the

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Bible: Guiding Principles and the Legacy of His Interpretation, in: Paul Mendes-Flohr (Hrsg.), Martin Buber: A Contemporary Perspective, Syracuse, NY u. Jerusalem 2002, S. 87-100, bes. S. 96.) Der amerikanische Kunst- und Kulturkritiker Harold Rosenberg (1906-1978) kennzeichnete Bubers Verfahren, trotz der Plausibilität mancher seiner exegetischen Thesen, ebenfalls als das des Philosophen, der – im Gegensatz zum Historiker – sein eigenes Denken in den Text hineinlese, ohne dies allerdings offen einzugestehen. Er behaupte, Geschichte zu schreiben, nehme aber die Gottesgeschichte als Gottesgeschichte an: »Though Moses has the form of a scholarly inquiry, it is actually a hymn to the work of fashioning the people of Israel in relation to their god. […] He aims to discover in the Bible story of Moses a coherent metaphysical adventure, developing through various phases of vision, action moved by faith, and spiritual renewal. Wherever possible he defends the traditional sequence of the Biblical narrative against the arguments of students who would pull the story apart and connect the pieces with other data they have dredged up; and he tries to preserve and deepen the accepted religious meanings of the text.« Ob Leser damit dem historischen Kern des Exodus näher gebracht würden, bezweifelt Rosenberg jedoch, begegneten sie doch in Bubers Werk eher einer metaphysischen Dichtung auf biblischer Grundlage, die dessen Verständnis der Verantwortung des Menschen und wahrer Gemeinschaft wiederspiegele. »It is, of course, legitimate for a philosopher to find that a great ancestor enacted in life what he, the philosopher, conceives in his mind as an ideal process. But it seems better to state frankly that one is building a myth, though one may contend that it is a myth that reflects the truth.« (Harold Rosenberg, History and Saga, Commentary 4 (1947), S. 395-399, Zitate S. 397 f.) Die für einige der jüdischen Besprechungen charakteristische Spannung zwischen Würdigung des Grundanliegens Bubers und Zweifel an der Relevanz seiner konkreten historischen und exegetischen Argumente für die Forschung kehrt auch in Rezensionen nichtjüdischer Kollegen wieder. Harold H. Rowley (1890-1969), ein der baptistischen Bewegung nahestehender britischer Alttestamentler, begrüßte 1947 das Unterfangen, Moses prophetischen Charakter ebenso zu erweisen wie seine Historizität, warf Buber jedoch Unklarheit in seiner Kritik der Wellhausen-Schule und das Fehlen eines begründeten alternativen historischen Ansatzes, ja eine gewisse methodische Willkür vor: »This is an undoubted weakness of his work, giving the impression that he uses what he wishes to use, and ignores what will not serve his purpose.« (Harold H. Rowley, Theology Today 50 (1947), S. 316-318, hier S. 317.)

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Auch Rudolf Smend bewertet Bubers Ansatz – bei aller Würdigung seiner souveränen Kenntnis der Forschung und der Besonderheit seiner gewagten intuitiven Methode – als letztlich außerhalb der wissenschaftlichen Bibelforschung stehend; sein Werk stehe »wie ein erratischer Block inmitten der Bemühungen unserer historischen Methoden« und nehme sich eine souveräne Freiheit gegenüber der Geschichte, den textlichen Überlieferungen und den üblichen Kriterien ihrer Deutung heraus, die ganz offenbar mit seiner schwer zu fassenden spezifisch jüdischen Hermeneutik, aber auch mit seinem philosophischen Verständnis der Glaubensgeschichte Israels zusammenhänge. Ohne sie zu bewerten, zitiert er als Charakterisierung dieses Ansatzes Buber selbst, der 1950 in seiner Schrift Israel und Palästina von einer »Geisteswirklichkeit« gesprochen hatte, von der gelte, dass »solang sie lebt, die Geschichte ihr, nicht sie der Geschichte verantwortlich bleibt« (Smend, Das Mosebild von Heinrich Ewald bis Martin Noth, S. 66; Martin Buber, Israel und Palästina, (jetzt in: MBW 20, S. 171-316, die von Smend zitierte Aussage S. 172). Einen anderen Akzent als die Fachexegeten setzte Karl Thieme (19021963), der sich auch intensiv mit Bubers Der Glaube der Propheten auseinandergesetzt und als christlicher Theologe zur Exegese des jüdischen Denkers positioniert hatte (vgl. den Einzelkommentar in diesem Band, S. 877 f.). Die historisch-exegetische Bedeutung des Moses schätzte er, obwohl es einige bedenkenswerte Anregungen enthalte, gering ein, da es statt einer innovativen Geschichtsdarstellung allenfalls eine »Anzahl historisch-kritisch-rabbinisch-theologischer Abhandlungen« biete und das Anliegen des Verfassers ohnehin »nicht auf der geschichtlichen, sondern auf der theologischen Linie« liege (Karl Thieme, Moses. Gedanken zu Martin Bubers gleichnamigem Buch, Schweizer Kirchenzeitung 116 (1948), Nr. 51, 16. Dezember 1948, S. 605-608, hier S. 605 f.). Den theologischen Wert des Buches sah er allerdings darin, dass Buber, einst selbst von der Religion entfremdet, mit seinem Werk jüdische wie nichtjüdische Leser mit auf den »Heimweg zum Geltenlassen der Offenbarungswahrheit« nehme und gegen die destruktiven Kräfte des Naturalismus und Historismus wappne. (Karl Thieme, Martin Buber und sein »Moses«. Ein Stück Heimweg modernen Denkens zu Gott, in: Schweizer Rundschau, Dezember 1949, S. 1-5, hier S. 2.) Dass Bubers Offenbarungsdenken seinen Ausdruck im Ringen um eine dem Anspruch der Offenbarung entsprechende politische Existenz finde, etwa in dem konsequenten Eintreten für eine ehrliche Versöhnung mit der arabischen Bevölkerung Palästinas, empfand Thieme zudem als Brücke zwischen dem Christentum und einem solchen »geläuterten Judentum«. Als An-

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gehörige des »neuen Israel« sähen Christen in Mose »eine nicht minder wichtige Gestalt […] als die Juden, auch wenn wir über die jüdische Lehre hinaus glauben, daß Gottes durch Moses offenbartes Geheiß – wie Seine Verheißung – in Jesus erfüllt ist (und nur darum auch von und an uns erfüllt werden kann und erfüllt werden wird)«. (Ebd., S. 3.) Zu würdigen sei Bubers mit großer kritischer Vorsicht entworfenes Bild des Mose als eines wirklichen Menschen, dem sich Gott offenbart und zu dem er in ein dialogisches Verhältnis trete. Der Glaube »an diesen lebendigen, ewigen Gott, zu dem wir ›Du‹ sagen dürfen und der bei seinem Volke ›da sein wird‹ […], so oft es ihn von Herzen anruft«, verbinde Christen mit Juden, die diese Überzeugung teilten, weit enger als mit »Nicht-Juden (und Juden), die diesen Glauben bewußt oder unbewußt mit irgendeiner mehr oder minder pantheistischen Humanitäts-Religion vertauscht« hätten. Trennend bleibe aber, so Thieme, die von der Christologie markierte Differenz, die es zu bezeugen gelte, damit »gerade die wie Buber hinter dem tötenden Buchstaben den lebendigen Geist suchenden Juden erkennen, daß auch ›Moses und alle Propheten‹ auf Jesus Christus hinweisen, in dem Geheiß und Verheißung des Gottes Israels erfüllt ist« (ebd., S. 5). Bei aller Kritik der Fachwelt daran, dass Bubers Interpretation nicht den gängigen Mustern und Kriterien der etablierten historisch-kritischen Forschung entspreche und als exegetischer Gegenentwurf wenig überzeugend sei, spiegeln die Stimmen jener, die Moses nicht als Bibelwissenschaftler, sondern als Literaten oder andere Kulturschaffende lasen, die Gründe für die Faszination wider, die gleichwohl von dem Werk ausging. Sichtbar wird das etwa im Urteil des Verlegers und Schriftstellers Wolf Jobst Siedler (1926-2013), der Moses 1953 in dem Journal Deutsche Kommentare unter der merkwürdigen Rubrik »Bücher zur Judenfrage« besprach. Er urteilte, die Behutsamkeit, mit der Buber die biblischen Texte ernst nehme und Mose zu einer »lebendigen Gestalt von großer Anschaulichkeit« werden lasse, unterscheide sich wohltuend von sonstigen bibelkritischen Darstellungen – das Buch werde gerade dadurch zu einem »Abenteuer im höchsten, im geistigen Sinn« (Wolf Jobst Siedler, in: Deutsche Kommentare, 14. Februar 1953). Max Brod (1884-1968) dankte Buber in einem Brief vom 17. Februar 1949 für die Zusendung des Buches, das ihn ergriffen habe wie »schon lange nichts durch das Wort Mitgeteilte«: »Das, was Sie sagen, ist einfach das Richtige, das Wahre – es ist gleich weit entfernt von Skepsis wie von Buchstabenglaube wie von Pseudokritik. Das heißt: es hat mit all dem eigentlich gar nichts zu tun, sondern bewegt sich auf einer andern Ebene, ist liebende Erfassung des Wirklichen.« (B III, S. 189 f., hier S. 189; Buber

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erwiderte am 24. Februar 1949: »Danke für Ihren guten Brief: nur noch um solche Leser wie Sie ist es mir eigentlich zu tun«; B III, S. 190 f.). Seine in dem Brief bekundete Absicht, das Buch »in würdiger Weise in einem Schweizer Blatt« zu besprechen (B III, S. 190), setzte Brod ein Jahr später in einer in der Neuen Schweizer Rundschau unter der Überschrift »Geschichtsnahe Sage« veröffentlichten Rezension um. Weit wichtiger als der exegetische Beitrag dieses »revolutionierende(n)« Werks, das mit seinem dritten Weg jenseits von Tradition und selbstsicher vorgetragenen kritischen Hypothesen sowie mit seiner Meisterung des hebräischen Textes eine »klassische Darlegung des Wesens jüdischer Religion« biete (Max Brod, Geschichtsnahe Sage, Neue Schweizer Rundschau, Heft 70, Februar 1950, S. 646-650, hier S. 646 f. und S. 649), sind Brod dessen literarischer Charakter und universale religiös-politische Bedeutung. Als »ungemein fesselndes und lebendiges Kunstwerk erzählerischer Kraft« (ebd., S. 647) entwerfe Moses das zukunftsweisende Bild eines Menschen auf der Suche nach der rechten Antwort auf Gottes Offenbarung, nach der ungeteilten Herrschaft des Willens Gottes in der religiösen wie politischen Sphäre: »Hier die Größe dieses Heros, hier seine noch kaum gesichtete Zukunftsbedeutung, die aus der ›Geläufigkeit‹«, mit der man die Bibel zu lesen gewohnt ist, von Buber befreit wird und die bei so machtvoller Intuition des modernen Interpreten, bei seiner Vertrautheit mit den alten Texten wie mit der ganzen neuen sacheinschlägigen Literatur in das scharfe Licht eines gleichsam erstmaligen Erlebnisses rückt«. (Ebd., S. 650). In einem Nachruf auf Buber 1965 bekräftigte Brod noch einmal sein Urteil: Moses sei unter Bubers Werken zu biblischen Themen dasjenige, »auf dem am klarsten der Glanz der Dichtung liegt.« (Ders., Martin Buber in memoriam, in: Scopus 1 (1965), Nr. 1, S. 10 f., hier S. 11.) Eine Würdigung ganz anderer Art findet sich in einem Brief seines Freundes und Kollegen Eduard Strauss (1876-1952), der ihm seit den Zeiten des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt verbunden war. In einem Brief vom 18. Oktober 1947 aus New York schrieb er ihm über seine Erfahrung mit dem Werk, dessen Eigenart er weder in der exegetischen Analyse noch im poetischen Hineinlesen seiner Philosophie, sondern in einer ganz anderen, auf das Wort Hören lehrenden Erschließung des biblischen Textes sah: »Den Moses habe ich ganz langsam gelesen und alles dazu herbeigeholt, was Du zitiert hast – das heißt, den heiligen Text selber. Mir ist dabei etwas aufgegangen: Du hast nichts, aber rein nichts, zu dem Text hinzugetan – Du hast ihn nur gelesen. Wenn’s einer weiß, daß dieses ›Nur‹ unendlich viel ist – dann bin ich es […]. Du hast eben das Auge, das […] ›durch das Palimpsest hin-

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durchliest‹. Wer Dir sagt, dies Buch sei eines Dichters Werk, der tut dem Geber und der Gabe Unrecht. Das Buch ist etwas ganz Anderes: es spricht vor – es lehrt lesen, bis man auf einmal hört – die Stimme hört: die Stimme dess’, den wir Rabbenu nennen« (B III, S. 148 ff., hier S. 149).

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Einzelkommentare

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Einzelkommentare

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Einzelkommentare

Schmidt, Hans, Kerubenthron und Lade, in: Eucharisterion. Studien zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Festgabe für Hermann Gunkel zum 60. Geburtstage, dem 23. Mai 1922, dargebracht von seinen Schülern und Freunden, Bd. 1, Göttingen 1923, S. 120-144. Ders., Mose und der Dekalog, in: Eucharisterion. Studien zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Festgabe für Hermann Gunkel zum 60. Geburtstage, dem 23. Mai 1922, dargebracht von seinen Schülern und Freunden, Bd. 1, Göttingen 1923, S. 78-119. Schmökel, Hartmut, Das angewandte Recht im Alten Testament. Eine Untersuchung seiner Beziehungen zum kodifizierten Recht Israels und des alten Orients, Leipzig 1930. Schrader, Eberhard, Die Keilinschriften und das Alte Testament, 3. Aufl., mit Ausdehnung auf die Apokryphen, Pseudepigraphen und das Neue Testament, neu bearbeitet von H. Zimmern und H. Winckler, Berlin 1930. Seligman, Brenda Zara, Sacred Litters among the Semites, in: Sudan Notes and Records, Bd. 1, 1918, S. 268-282. Sellin, Ernst, Geschichte des israelitisch-jüdischen Volkes. Teil 1: Von den Anfängen bis zum babylonischen Exil, Leipzig 1924. Ders., Das Zelt Jahwes, in: Alttestamentliche Studien. Rudolf Kittel zum 60. Geburtstag dargebracht, von Albrecht Alt u. a., Leipzig 1913, S. 168-192. Sethe, Kurt, Die Totenliteratur des alten Ägypten, Berlin 1931 Smend, Rudolf, Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912. Smith, J. M. Powis, The Origin and History of Hebrew Law, Chicago 1931. Smith, William Robertson, The Prophets of Israel and Their Place in History to the Close of the Eighth Century B.C., London 1897. Speiser, Ephraim Avigdor, Ethnic Movements in the Near East in the Second Millennium B.C.: The Hurrians and their connections with the Habiru and the Hyksos, in: The Annual of the American Schools of Oriental Research, Bd. XIII (1931-1932), New Haven 1933, S. 13-42. Staerk, Zum alttestamentlichen Erwählungsglauben, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Neue Folge, Band 14, Heft 1-2, 1937, S. 1-36. Staples, William Ewart, The Third Commandment, in: Journal of Biblical Literature, Bd. 58, Nr. 4 (Dez. 1939), S. 325-329.

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Steuernagel, Carl, Der jehovistische Bericht über den Bundesschluß am Sinai (Ex. 19-24 und 31, 18-34, 28), in: Theologische Studien und Kritiken, Bd. 72, 1899, S. 319-350. Ders., Lehrbuch der Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 1912. Strzygowski, Josef, Asiens Bildende Kunst in Stichproben, ihr Wesen und ihre Entwicklung. Ein Versuch, Augsburg 1930. Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, begr. von Gerhard Kittel, hrsg. von Gerhard Friedrich, Stuttgart, Berlin, Köln 1933-1942. Torczyner, Harry, Die Bundeslade und die Anfänge der Religion Israels, 2. Aufl. Berlin 1930. Toynbee, Arnold J., A Study of History, Bd. III: The Growths of Civilizations, London, New York, Toronto 1934. Usener, Hermann, Kleine Schriften, Vierter Band: Arbeiten zur Religionsgeschichte, Leipzig u. Berlin 1913. Ders., Der Stoff des griechischen Epos, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Classe, Bd. CXXXVII (1897), S. 1-63 (Wiederabdruck in: Ders., Kleine Schriften, Bd. IV, S. 199-258). Van Hoonacker, Albin, Le sacerdoce lévitique dans la loi et dans l’histoire des Hébreux, Louvain 1899. Vincent, Albert, La religion des Judéo-Araméens d’Éléphantine, Paris 1937. Volz, Paul, Das Dämonische in Jahwe. Vortrag auf dem Alttestamentlertag in München, Tübingen 1924. Ders., Mose und sein Werk, 2. völlig neu bearb. Aufl., Tübingen 1932. Wardle, William Landsell, The history of Israel. The imperial backgrounds, in: Henry Wheeler Robinson (Hrsg.), Record and Revelation. Essays on the Old Testament, Oxford 1938, S. 110-186. Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 3: Das antike Judentum, Tübingen 1921. Webster, Hutton, Rest days. A study in early law and morality, New York 1916. Weill, Raymond, Le séjour des Israélites au désert et le Sinai dans la relation primitive: l’évolution du texte biblique et la tradition christianomoderne, Paris 1909. Wellhausen, Julius, Ein Gemeinwesen ohne Obrigkeit. Rede zur Feier des Geburtstages seiner Majestät des Kaisers und Königs am 27. Januar 1900 im Namen der Georg-Augustus-Universität, Göttingen 1900. Ders., Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 1883. Ders., Reste arabischen Heidentums. Gesammelt und erläutert, 2. Aufl. Berlin 1927.

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Einzelkommentare

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d : »Der Mann Moses«, Mitteilungsblatt, XXII, 13/14, 5. April 1955, S. 2 (MBB 996). Enthält den Abschnitt »Der Kern der Erzählung von Moses Wirken […] ›Fort mit Euch‹, schreit er.« (In diesem Band, S. 407,13-409,9.) d4: in: Stationen des Glaubens – Aus den Schriften gesammelt, Wiesbaden: Insel Verlag 1956, S. 10-17; S. 20-34. D5: Werke II, S. 9-230 (MBB 1252). 3

Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Moses, East and West Library 1946, 226 S.; 2. Aufl. 1956 (MBB 742); Moses. The Revelation and the Covenant, Harper’s Torchbooks 27, New York: Harper and Brothers 1958, 226 S. (MBB 1089); Moses. The Revelation and the Covenant, Harper’s Torchbooks 837, New York: Harper and Brothers 1969, 226 S. (MBB 1332); nur die Abschnitte »Der brennende Dornbusch« und »Die Worte auf den Tafeln«: »The Burning Bush« und »The Words on the Tablets«, übers. von I. M. Lask, in: Biblical Humanism. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, S. 44-62 u. 93-117 (MBB 1310) und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 44-62 u. 93-117 (MBB 1316). Französisch: Moïse, übers. aus dem Deutschen von Albert Kohn, Sinaï, Collection des sources d’Israël, Paris: Presses Universitaires de France 1957, 267 S.; Neuausgabe 1974 als Taschenbuch, 317 S. (MBB 1044). Hebräisch: Mosche, Jerusalem: Schocken 1945, 205 S.; 2. Aufl. 1963, 215 S. (MBB 725) Niederländisch: Mozes, übers. und bearbeitet von F. de Miranda, Wassenaar: Servire 1970, 214 S.; 2. Aufl. 1978 (MBB 1346). Spanisch: Moisés, übers. aus dem Deutschen von Sigisfredo Krebs, Décalogo [1], Buenos Aires: Imán, 373 S.; 2. Aufl. 1959 (MBB 807). Variantenapparat: 353,2 nahmhafter] bedeutender D2, D5 353,15-16 umfassende Versuch] humfassendei Versuch H 354,5-6 Diesen disparaten Sagenkomplex] [Auch die zusammenhängenden Teile der Erzählung] ! Diesen disparaten Sagenkomplex H 354,12 kundgibt] aufbaut H, TS1.1 354,16 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 354,21 Traditionsbearbeitung] einzige Traditionsbearbeitung H

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354,25 , mehr oder weniger lang mündlich bewahrten] h, mehr oder weniger lang mündlich bewahrteni H 354,26-356,33 Aufgabe […] verzichtet werden] Textverlust wegen fehlender Seiten in H 354,27 erste Teil] erste Teil der Aufgabe D2 354,32-35 Der zweite Teil […] mitsammen.] fehlt TS1.2 355,2 Vornehmlich] Insbesondere TS1.1, TS1.2 355,10 Aufsätze] Aufsätze über biblische Probleme D5 355,12-13 (wovon […] erschienen sind)] fehlt D5 355,14 abgefasst haben] zusätzliche Anmerkung Die meisten sind weiter unten, 1093 wiederabgedruckt, die Rosenzweigs in seinen »Kleineren Schriften« (1937). D5 355,24 Fleisch] Fleisch heines Volkesi TS1.2 355,25 dieses Buch] mein Buch D5 355,28 Yorck von Wartenburg] berichtigt aus York von Wartenberg nach D5 356,27-29 Ich danke […] wertvollen Bemerkungen.] fehlt TS1.1, TS1.2 356,32-33 Aus drucktechnischen Gründen […] verzichtet werden.] ersetzt durch zusätzlichen Abschnitt Nachdem dieses Buch bereits in Druck gegangen war, im September 1944, habe ich durch die Freundlichkeit von Dr. Elias Auerbach in Haifa das Manuskript eines von ihm verfassten Buches ueber Mose erhalten, das im wesentlichen auf der (sich an Darlegungen Eduard Meyers in dessen oben zitiertem Werk »Die Israeliten und ihre Nachbarstaemme« anschliessenden) ebenso reizvollen wie problematischen Hypothese aufgebaut ist, in Kadesch habe in vormosaischer Zeit eine Siedlung des Levitenstammes bestanden, die von den Amalekitern verdraengt wurde, bis Israel unter Mose die Oase wiedereroberte. Ueberzeugender wirkt Auerbach auf mich, wo er geschichtliche Vorgaenge, so namentlich den Aufbruch von Kadesch nach Kanaan eroertert. Jedenfalls sei all dies der Beachtung und Prüfung empfohlen. Auch ist es ein besonderes Verdienst des Buches, dass es eine Anzahl fragmentarischer und unklarer Berichte der Bibel, die ich zumeist in meine Darstellung nicht einbezogen habe, aufzuhellen sucht. Die eigentlichen religionsgeschichtlichen Gegenstaende sind von Auerbach {etwas allgemein TS1.1 in etwas allgemeiner Form TS1.2} behandelt worden In einigen Punkten tritt er meinen schon in meinen früheren Arbeiten geäusserten Auffassungen entgegen, doch genuegt es, dem gegenueber auf die betreffenden Abschnitte dieses meines Buches hinzuweisen, die fast durchweg die Antikritik vorwegnehmen. TS1.1, TS1.2, fehlt D5 357,6 bewahrt] erhalten D5

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357,9-10 älterem Schrifttum] Schrifttum H, TS 357,12 brauchbare Geschichtsquelle] hbrauchbarei Geschichtsquelle H 357,14 historisch geläufigen] hhistorischi geläufigen H 357,25 zusammengesetzt oder zusammengebracht] hzusammengesetzt oderi zusammengebracht H 357,30 Kunst] [Art] ! Kunst H 357,32 ihrer Nation] ihrem Volke D5 358,24-25 eigentümliche Grundvorstellung] eigentümliche [, wiewohl begreiflicherweise kaum bewusst gewordene] Grundvorstellung H 358,25 Geschichtswunder] Geschichtswunder [, das Geschichtsgeheimnis] H 358,26-27 , natürlich in mündlicher Äusserung,] h, natürlich in mündlicher Äusserung,i H, TS1.2 fehlt TS1.1 358,30-32 wofür, da die Überlieferung […] darstellte] wofür die Überlieferung in rhythmischer Form die geistigere Voraussetzung war H 358,33 Form] Gestalt H 358,35 rechtet] rechtet [, und noch in unserem Zeitalter in jenen Gesängen aufständischer Afghanen, die man »einen Schrei der Geschichte selber« genannt hat oder in den Bylinen zwischen Bauern unter Nikolaus I. auf zeitgenössische Ereignisse] H 358,36 von höfischem Auftrag bestimmten] hvon höfischem Auftrag bestimmteni H, TS1.2 fehlt TS1.1 358,39 komponierten] [ausgebildeten] ! komponierten H 358,41 spontanen, nicht auftraggebundenen] [natürlichen] ! spontaneren h, nicht auftraggebundeneni Formen H spontaneren Formen TS1.1 spontaneren h, nicht auftraggebundeneni Formen TS1.2 359,2-3 Es ist wichtig […]. Die Sage ist] Sie ist H 359,19 religiöse] religiöse [, soziale] H 359,23 Momenten geradezu gewandelt] [Zügen geradezu verändert] ! Momenten geradezu gewandelt H 359,34-36 Das Verfahren […] zu erreichen.] fehlt H 360,4-5 Vorgängen] [Ereignissen] ! Vorgängen H 360,23 dass aber die am »brennenden Berg«] [mag auch die Hypothese des Vulkans der des Gewitters rational vorzuziehen sein] ! dass aber die am »brennenden Berg« H 360,23-24 ihres Führers Mose] hihres Führersi Mose H 360,26 wesentlich] seinem Wesen nach H 360,26 Vorgang] Vorgang h, geschichtlich wirkende Tatsachei H 360,27 Sinn, weil] Sinn, eine spezifisch geschichtliche Tatsache TS1.1 360,32-33 , zum Unterschied […] Begriff,] nicht im üblich religionswissenschaftlichen Sinne zu verstehen ist, sondern H 1.1

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Einzelkommentare

360,35 letztlich wahrheitsgemässer] [treuer] ! letztlich wahrheitsgemässer H 360,39-40 Stärke […] beigetragen haben] [Erhöhung des geschichtlichen Gehalts der biblischen Sage im Verhältnis zu den anderen Völkern X] ! Stärke […] beigetragen haben H 360,41 der biblischen Sage] hder biblischen Sagei H 361,15 schöne oder lehrreiche] schöne [und erbauliche] ! oder lehrreiche H 361,17 aber sie sind] [aber er ist nicht, wie der Bericht hdes Buches Josuai von den Eroberungszügen in Kanaan] ! aber sie sind H 361,21 Verknüpfung] Kontinuität H, TS1.1 361,23 Verknüpfung] Kontinuität H, TS1.1 361,26 zugehörige] [ursprüngliche] ! zugehörige H 361,30-31 des ursprünglichen Zusammenhangs] der Kontinuität H 362,13 vielen Zeiten] [Jahrtausenden] ! vielen Zeiten H 362,14 vielen Zeiten] [Jahrtausenden] ! vielen Zeiten H 362,15 Texten] [Quellen] ! Texten H 362,16 Unser Blick] [Die Darstellung] ! Unser Blick H 362,30 Frühzeit-Glaube] [Urzeit-Glaube] ! Frühzeit-Glaube H 362,31 Erzählung] [Geschichte] ! Erzählung H 362,31 Frühzeit] [Urzeit] ! Frühzeit H 362,32 Tatsache und Legende] [Geschichte und Sage] ! Tatsache und Legende H 362,36 »Projektion«] [nachträgliche] »Projektion« H 364,19 obersten] [höchsten] ! obersten H 364,23 insbesondre] und zwar H, TS1.1, TS1.2 364,23-24 semitischen Hyksos-Könige] hzum Teili semitischen HyksosKönige H zum Teil semitischen Hyksos-Könige TS1.1 364,23-24 semitischen] fehlt D5 365,5-6 lückenlos organisierte] [in Raum und Zeit fast lückenlose Arbeitspflicht] ! lückenlos organisierte H 365,8-10 Es verdient […] organisiert sind.] hEs verdient […] organisiert sind.i H 365,12 wandernd] wandernd am Horizont H 365,21 geschichtliche Wirklichkeit] [Geschichte] ! geschichtliche Wirklichkeit H 365,27 letztlich vom König] letztlich vom König [, schon von einer sehr frühen Stufe ist X gesagt worden, dass Ägypten ein Staat von Funktionen] H 365,28 streng geregelten Riten] hstreng geregelteni Riten H 365,33 Sippe] Familie H, TS1.1, TS1.2

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365,34 Der vollkommenen] [Aber die deutliche Tendenz zur Festlegung, die Tendenz, alles statisch und unwandelbar zu machen, unwandelbar wie der Nil und wie die ägyptische Sonne, greift über das Leben hinaus.] Der vollkommen H 365,34 vollkommenen] berichtigt aus vollkommen nach D2, D5 365,38-39 Gerechtigkeit, die den totalen Raum] Gerechtigkeit, [die lässt keinen Raum für die Freiheit] ! die den totalen Raum H 366,1 kaum von einer] von keiner H, TS1.1 366,5 Ungeheures] Großes D2, D5 366,8-9 Verwesung soll] Verwesung, die in der Nilluft augenfälliger als irgendwo ihr Werk treibt, H, TS1.1 366,11 unverwesliche] [dauernde] ! unverwesliche H 366,13 in jahrzehntelanger Mühe] [in Jahrhunderten der Mühsal] ! in jahrzehntelanger Mühe H 366,18 in die er eingeht] in die er [, der »Doppelgänger«, X] eingeht H 366,19-20 für ewige Zeit] um nicht wieder aufzustehen H 366,32-33 , mag sie sich […] bedienen] h, mag sie sich […] bedieneni H 366,33-34 Konvention] Formel H, TS1.1, TS1.2 366,35 und nichts weiter […] handhaben] [man brauch sie nur richtig zu gebrauchen, und der Zauber ist erreicht] ! und nichts weiter […] handhaben H 366,38 mitgab; ihm wird] [mitgab. Das »Totenbuch« ist durch und durch magische Worttechnik; leider sind uns nur die geschriebenen Reden erhalten geblieben, was »dort« zu sagen ist, nicht aber, in welchem Ton und mit welchen Bewegungen es zu sagen ist. Auch hierin war gewiss alles festgelegt.] ! mitgab; ihm wird naturgemäss H 366,39-40 fertigen Beschwörungen] [Schutzformeln] ! fertigen Beschwörungen H 367,16-17 , Ägyptens grosse Rivalin,] h, Ägyptens grosse Rivalin,i H 367,17 ausgerichtete] strukturierte D2, D5 367,23 Es sind] Dieses Element bilden TS1.2 367,34 einigermassen] heinigermasseni H 368,1-2 oder etwa »Genossen […] Scharen passen)] fehlt D2, D5 368,3 »Wanderer«] »Wanderer« [, »Nomaden«] H 368,12-14 ; wir dürfen […] einnimmt] h; wir dürfen […] einnimmti H 368,15 bezeichnet nicht einen Stamm oder] bezeichnet anscheinend D2, D5 368,21 vorherrscht] vorherrscht [, und zwar in magischen Epochen so, dass sie dem Ganzen allmählich einen volksmässigen Charakter verleiht] H

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Einzelkommentare

368,22 ohne Land, die sich] ohne Land, großenteils wohl Flüchtlinge, die D5 369,5-7 – ohne, wie es scheint, […] zu unterscheiden –] h– ohne, wie es scheint, […] zu unterscheiden –i H 369,23 in der Seele] auf der Seite H 369,27 Weltkampf] Weltkampf [– innerhalb dessen jede Urbamachung eines Stücks Boden als eine Zurückdrängung der Feinde Gottes gilt –] H 369,29-30 nicht bekannt.] nicht bekannt. [Nomaden haben Dichtungen, aber keine Bibliotheken.] H 369,30-33 Immerhin wissen wir […] Knecht dienen«.] hImmerhin wissen wir […] Knecht dienen«.i H 370,14 Condottieri] Leute D5 370,28-29 , auf den jene uralte Formel hinweist] fehlt D5 370,31-32 – so unvergleichlich […] steht –] h– so unvergleichlich […] steht –i H 370,36 Habiru] berichtigt aus Sabiru nach H, TS, D2, D5 370,41 wahrscheinlich] wohlmöglich D5 371,6 annehmen] jedenfalls annehmen D5 371,12-13 die Gottesbezeichnung Elohim] Elohim H, TS1.1 371,34-35 , jede seiner kleineren […] verbunden,] h, in seinen kleineren […] verbunden,i H 371,36 und zu heiliger Handlung] hund zu heiliger Handlungi H 372,3 primitiv] [elementar] ! primitiv H 372,3 Staatsrecht dem Stammesrecht,] hStaatsrecht dem Stammesrecht,i H 372,11 ein kühner Forscher] [man] ! ein kühner Forscher H 372,13-15 – die, wie nachmals […] scheinen –] h– die, wie nachmals […] scheinen –i H 372,21-22 im wesentlichen] [durchaus] ! im wesentlichen H 372,24 und sind […] zerfallen] hund sind […] zerfalleni H 372,25 Wo sie in ihrer] [Man darf nicht verkennen, dass die Nomadenvölker [wie gesagt] ein Kulturelement eigener Art darstellen. Kulturschaffend im historischen Sinn wirkt es sich aber nur da aus, wo sie sich wie die [Mauren] ! Nachkommen der Berbern in Spanien, weder einer bestehenden Kultur einfügen müssen, noch eine nach der andern überrannten, sondern Raum und Ruhe für die Errichtung einer eigenen gewinnen; es ist beachtenswert, dass die »Mauren« den spanischen Ackerbau [entwickelt] ! hochgebracht haben, es ist aber auch charakteristisch, dass sie in ihren Bildern Motive ausgestalteten, die sie in der Teppichweberei ihrer nomadischen Vorzeit ausgebildet

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hatten. [Von solchen seltenen Fällen abgesehen, ist eine wesentliche] ! Die entscheidende kulturelle Entwicklung der Nomadenvölker ist, wie mit Recht betont worden ist, oft gerade in der Zeit zu finden, ehe sie in die Geschichte eintraten.] ! Wo sie in ihrer H 372,41 wesentliche] [entscheidende] ! wesentliche H 373,21-24 Schon in der Väterzeit […] Elements.] hSchon in der Väterzeit […] Elements.i H 374,35-36 in der nachfolgenden Epoche Jehuda eine Kanaanäerin] nach der Väterzeit H 374,37-38 zu rügen findet] zu rügen findet und Davids h, des Helden und Lieblings des Volkes, moabitischer Ahnherr von ihr verherrlicht, seine kanaanitische Urahnin jedenfalls nicht missbilligt wirdi H 375,3-5 hat sich hier […] repräsentiert,] hhat sich hier […] repräsentiert,i H 375,8 etwas in ihm Angelegtes] [seiner wesentlichsten Anlage] ! etwas in ihm Angelegtes H 375,8 göttlichen Auftrag] hgöttlicheni Auftrag H 375,12-13 das einsam wohnt […] gerechnet] einsam wohnt es, unter die Erdstämme (gojim) rechnet sich’s nicht D5 375,18 etwas Verwandtes] [ebendasselbe] ! etwas Verwandtes H 375,22 Ganzes] berichtigt aus ganzes nach D2, D5 375,26 geht in das Reich der starren Form ein] fügt sich in das Reich der starren Form D2, D5 376,1 irdischen] menschlichen H, TS1.1 377,5-6 und ebensowenig […] ausgezogen sind] hund ebensowenig […] ausgezogen sindi H 377,18 letzten] folgenden D2, D5 377,19 um 1700, wohl noch] zur Zeit D2, D5 377,20-24 , und trotz aller Bedenken […] angehören würde] fehlt D2, D5 377,21 verschiedene geschichtliche Motive] [manche geschichtliche Momente] ! verschiedene geschichtliche Momente H 377,27-29 Doch ist den Argumenten […] abzusprechen.] hDoch ist den Argumenten […] abzusprechen.i H 378,1 Leitmotiv] [Leitwort] ! Leitmotiv H 378,3 hebräischen] [jüdischen] ! hebräischen H 379,13 einer grossen Rettung] großer Errettung D5 379,13-14 der »Kasten« aus Papyrus] das »Kästlein« aus Papyrusrohr D5 379,35 von Gott: »Er gedachte der Tage der Urzeit«] »Da mußte man gedenken der Vorzeittage« D5 379,39-40 (worauf in […] worden ist)] fehlt H, TS1.1, TS1.2 379,40 Gott gedachte] man gedachte D5

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Einzelkommentare

380,2-4 »Wo ist, der sie […] heiligen Geist?«] »Wo ist nun er, der aus dem Meer sie aufsteigen ließ mit dem Hirten seiner Schafe? Wo ist, der ihm ins Innere setzte den Geist seiner Heiligung?« D5 380,33 gesetzt?] gesetzt! D2, D5 382,2-6 Der Abschnitt […] Verständnis des Textes] [Man pflegt den Abschnitt, der die Offenbarung im brennenden Dornbusch erzählt, als aus verschiedenen Quellenschriften zusammengetragen anzusehen und etwa auch innerhalb der einzelnen Bestandteile verschiedene Schichten zu unterscheiden. Aber die Kriterien, die bei der Anklage? verwendet werden, erweisen sich bei genauerer Untersuchung als trügerisch.] ! Der Abschnitt […] Verständnis des Textes H 382,9-10 tragen wesentliche] tragen hwesentlichei H 382,14 kommt er unversehens] kommt er hunversehensi H 382,16 von altersher] von [den Medianitern] ! altersher H 382,18-19 und man daher […] hausen] hund man daher […] hauseni H 382,21-22 (erst nach […] genannt)] h(erst nach […] genannt)i H 382,24 steht] wächst H, TS1.1, TS1.2 382,29-30 Lohe […] Lohe] [Flamme] ! Lohe […] [Flamme] ! Lohe H 382,36 Die Flamme] [Das Feuer] ! Die Flamme H 383,9-11 , und demgemäss […] durchlodert] h, und demgemäss […] durchloderti H 383,13 überfällt] entgegentritt H 383,15 beistehend] [gegenwärtig] ! beistehend H 383,16-18 – abgesehen davon […] »herabgekommen« –] h– abgesehen davon […] »herabgekommen« –i H 383,18 Auffassung] [Vorstellung] ! Auffassung H 383,28 Heere] Scharen D5 383,29 sondern] vielmehr D2, D5 383,30-31 deutlich zu verstehen geben] [sorgfältig vermieden, den Anschein zu erwecken] ! deutlich zu verstehen geben H 383,32 sich zu sehen gibt] [erschienen ist] ! sich zu sehen gibt H 383,36 Schau] Sicht D5 384,9 reicht ihre] berichtigt aus reicht ihr nach D2, D5 384,11 Offenbarungserzählung] [Offenbarungsgeschichte] ! Offenbarungserzählung H 384,25 hinzutritt] hinzutritt, um anzuschauen, H, TS1.1, TS1.2 384,25-26 der Absicht des Erzählers gemäss] ersichtlich H, TS1.1 385,1-2 vielleicht weil […] okkupierender Schuh] [denn der Mensch soll nicht mit der toten Tierhaut, sondern mit dem eigenen lebendigen Fleische den Boden berühren, der mit »Heiligkeit«] ! vielleicht weil […] okkupierender Schuh H

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385,3 Fremde antritt] Fremde antritt [, er, von dem sich die Medianiter erzählen, er hause auf diesem Berg] H 385,9-10 (von denen […] Schmiede waren)] h(von denen […] Schmiede waren)i H 385,14 sind uns nur Vermutungen möglich] [ist uns nichts bekannt] ! sind uns nur Vermutungen möglich H 385,14-16 Man hat daher […] bezeichnet.] hMan hat daher […] bezeichnet.i H 385,27 wohl in jener den Wanderern] [in einer von der Überlieferung her] ! wohl in jener den Wanderern H 385,33 nicht bloss als Sitz] nicht als Sitz allein D5 385,34 sein Niederfahren ihn] ihn dies H 385,39-41 – in der Erzählung […] Kritik, geübt –] [(nebenbei gesagt von dem ägyptischen Sonnengott Aton, mit dem man ihn zusammenzubringen versucht hat, hat er keinen einzigen aufgenommen)] ! – in der Erzählung […] Kritik, geübt – H 385,41 Fremdgott] [»Gott der Väter«] ! Fremdgott H 386,22 beauftragt, sie in seinen Bund aufnimmt] beauftragt h, sie in seinen Bund aufnimmti H 386,26-27 dabei aber, […] unsichtbar bleibt] hdabei aber, […] unsichtbar bleibti H 386,27 Analogien] [äusserlicher] Analogien H 386,30-31 ihn nicht umhegen] [nicht als seine Wehr] ! ihn nicht umhegen H 386,36 Mächtigkeit] [Gewaltigkeit] ! Mächtigkeit H 386,40-41 Wieder wird […] Erscheinung.] hWieder wird […] Erscheinung.i H 387,5 Berge hause] Berge hause [und etwa auch noch dies, dass seine Gegenwart sich in hervorbrechenden Flammen bekunde] H 387,10 offenkundig] sichtbarlich H, TS1.1 387,34 war Hilfe mir] ist meine Hilfe D5 387,35 der Verbundenheit] [dem Zusammenhang] ! der Verbundenheit H 388,6 Richtung] Richtung der Handlung H 388,7 das Elend meines Volkes, des in Ägypten] die Bedrückung meines Volkes, das in Ägypten D5 388,7-8 »Führe heraus […] Ägypten«] »Führe mein Volk, die Söhne Israels, aus Ägypten« D5 388,15-16 Volksahnen, denen er einst […] führen wird,] Volksahnen h, denen er einst […] führen wird,i H 388,26 gleichsam privaten Mitteilung] hgleichsam privateni Mitteilung H

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388,30 Bearbeiter-Zusätze] [Zusätze eines Bearbeiters oder zweier] ! Bearbeiter-Zusätze H 389,1 lockerer] loser D2, D5 389,2 ausgefüllter] aufgefüllter D2, D5 389,17-18 – gleichviel […] »wunderbar« ist –] h– gleichviel […] »wunderbar« ist –i H 389,24-25 durch den Bundesschluss mit ihm] [durch den Bundesschluss mit ihm] H 389,35 kein Beweis)] zusätzliche Anmerkung Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten S. 200 f. D2 Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, s. unten 383 f. D5 391,3 Interpretation] [Bedeutung] ! Interpretation H 391,7 durch die Nennung] mit der Nennung D5 391,13 das hätte doch wohl als bekannt gelten müssen] das dürfte dem Sprecher doch wohl bekannt sein H, TS1.1, TS1.2 391,33-34 (man darf […] Anrufen verstehen)] h(man darf […] Anrufen verstehen)i H 391,36 gekannt] gebraucht H 392,2 in einem] berichtig aus einem nach D2, D5 392,7 bedeutendsten] [bekanntesten] ! bedeutendsten H 392,8 Einen suche ich,] Einen suche ich, Einen kenne ich H 392,24-25 emporgestreckten] [ausgestreckten] ! emporgestreckten H ausgestreckten TS1.1, TS1.2 392,31 fast keine] hfasti keine H 392,35 besonderen Sippentradition] [Familientradition] ! besonderen Sippentradition H besonderen Familientradition TS1.1, TS1.2 392,36 ein neues Verhältnis zu dem] [bereits eine Wandlung in den Auffassungen des] ! ein neues Verhältnis zu dem H 392,39 dem Namen] [dem Namen] ! dem Ausrufen des Namens H 393,20 Form] Gestalt D2, D5 393,37 des Daseins] der Menschenwelt H, TS1.1 394,18 bleibe gegenwärtig;] zusätzliche Anmerkung So jetzt auch Vriezen, Ehje ʿ ašer ʿ ehje, Festschrift Bertholet (1950) S. 508: »Es ist die Zusicherung Gottes, daß Er immer gegenwärtig ist.« D2, D5 394,25-26 »Ich werde begnaden, wen ich begnaden werde.«] »Ich begünstige, wen ich begünstige.« D5 394,34-35 Kundgebung] [Sprache] ! Kundgebung H 395,16 allerkühnsten] [kühnen] ! allerkühnsten H 395,33 der Gott] [JHWH] ! der Gott H 395,38 mitten im Menschenreich] [hier] ! mitten im Menschenreich H

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396,1-3 oder, noch deutlicher […] (52, 6)] hoder, noch deutlicher […] (52, 6)i H 396,30 der Form] [geschichtlicher Form] ! der Form H 398,23-24 Mannbaren abgelöst hat] Mannbaren dadurch abgelöst worden war D2, D5 398,27 berührten Wesen] berührten Wesen [, hier X ein Sich-vertreten lassen durch es] H 399,13 Entscheidend] Überaus D2, D5 399,21-22 Erzählung] Geschichte H 399,33-34 ihn überfällt] [an der Grenze zu Kanaan] ihn überfällt H 399,36 der Gott] [JHWH] der Gott H 400,4 hüten überall wohin] hüten, wo all hin D5 400,4 heimbringen] heimkehren lassen D5 400,9-10 Entsandten] [Erwählten] ! Entsandten H 400,20 den plötzlichen Einsturz] [diese Nacht des Überfalls, der plötzlichen Erschütterung] ! den plötzlichen Einsturz H 400,36-37 mehr als eine Metapher] [nicht eine sonderbare Metapher] ! mehr als eine Metapher H 401,11 frühprophetisches Geistesgut] [Traditionsgut] ! frühprophetisches Geistesgut H 402,6 des Führers und Stifters] [der stifterischen Person] ! des Führers und Stifters H 402,12-13 den Vätern sittenverwandten] den sittenverwandten H 402,28 Grundwesen] [Charakter] ! Grundwesen H 403,11 Damals und Dort hinnimmt] Damals und Dort [hinnehmende Haltung des Traditionsgelingens und] ! hinnimmt H 403,24 ich bekenne mich] [wir bekennen uns] ! ich bekenne mich H wir bekennen uns TS1.1 403,27 mich] [uns] ! mich H uns TS1.1 403,37 ausgebildet] kristallisiert H 404,4 Unsere Frage] davor Absatzwechsel H 404,18-19 früher bis in die späte Zeit] der Frühzeit bis in späte Tage D2, D5 404,20-21 Glaubensleben] [Geistesleben] ! Glaubensleben H 404,27 vollzogen hat] [entstanden ist] ! vollzogen hat H 404,36 Urzeit] [Frühzeit] ! Urzeit H 405,21 zumeist versagt] versagt H, TS1.1 405,26 nicht von der gewohnten Art der »nationalen Befreier«] [kein »nationaler Befreier«] ! nicht von der gewohnten Art der »nationalen Befreier« H kein »nationaler Befreier« TS1.1 405,37 Ereignisse] [– an sich wohl nicht zahlreichen –] Ereignisse H

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Einzelkommentare

406,7 ungeheuer] gewaltig D , D 406,11 Ist es auch nicht möglich] [Selbstverständlich geht es nicht an] ! Ist es auch nicht möglich H 406,21 regnete JHWH über das Land Ägypten] ließ JHWH über das Land Ägypten regnen D5 406,23 im Land] in allem Land D5 406,26 der Sprache der Schilderung] [einer Schilderung] ! der Sprache der Schilderung H 406,28 den Ausblick] den Anblick H, TS1.1, TS1.2, D2 das Antlitz D5 406,30 wächst] wächst [, voll werden deine Häuser] H 407,1-2 erstgeborner Sohn] Erstlingssohn D5 407,2-3 habe zu dir gesprochen: Entlasse meinen Sohn] sprach zu dir: Schicke meinen Sohn frei D5 407,3-4 zu entlassen, nun töte ich deinen erstgebornen Sohn] freizuschicken, nun bringe ich deinen Erstlingssohn um D5 407,26 frühen] [ursprünglichen] ! frühen H 407,29 Ich bin JHWH] [Sprich zu den Kindern Israel:] Ich bin JHWH H 407,33 als solches] solcherweise D5 408,4 vermögen ihr nicht] haben Bedenken ihr H, TS1.1, TS1.2 408,8 das JHWH] berichtigt aus dass JHWH nach D2, D5 408,13 Platz für die Begebenheit, da Massen] Ort für die Massen H, TS1.1 408,35 Bodenwirtschaft] Landwirtschaft H, TS1.1 409,3 Strassen] Strassen, von Tanis, H, TS1.1, TS1.2 409,5 (10, 23)] zusätzliche Anmerkung Der Text ist hier von einer Einwandlung des Metaphorischen in die Tatsachensprache der Sage aus zu verstehen. D2, D5 410,4-5 diesem Text] diesem [aus Stücken unterschiedlichen Alters zusammengesetzten] Text H 411,3 verletzt] verlässt TS1.1 411,16-17 , insbesondre […] es bedroht] h, insbesondre […] es bedrohti H 411,20 Aufbruch] Auszug H, TS1.1, TS1.2 411,25-26 , jede in ihrem Haus […] (Exodus 12, 22)] h, jede in ihrem Haus […] (Exodus 12, 22)i H 411,30 und damit zugleich […] auslösen] hund damit zugleich […] auslöseni H 411,34 zwar »Schlachtopfer« genannt, aber] hzwar »Schlachtopfer« genannt, aberi H 411,38-39 natürliche und gewohnte] natürliche hund gewohntei H 412,1-2 Worauf […] angespielt hat] [Was passah ursprünglich bedeutete] ! Worauf […] abgezielt hat H Worauf […] abgezielt hat TS1.1, TS1.2 2

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412,7 vermuten, dass] berichtigt aus vermuten, das nach D , D 412,10 »Ein Gesang wird euch sein«] »Werden soll da euch Gesang« D5 412,12-13 Reigen] Festreihn D5 412,14 mimisches] himmlisches TS1.1, TS1.2 412,16-17 Stab in der Hand] Stecken in eurer D5 412,19-20 Und vielleicht […] dazu gehört.] hUnd vielleicht […] dazu gehört.i H 412,22 das gewünschte Ereignis] [die bevorstehende Handlung] ! das gewünschte Ereignis H 412,25 der Wanderung in den Aufbruch] [des Auszugs in den Auszug] ! der Wanderung in den Aufbruch H 412,27 (auch die Mazzoth, […] Nomadenbrot)] h(auch die Mazzoth, […] Nomadenbrot)i H 413,4-5 Das alljährliche […] JHWH«.] [In der Legende freilich drängt sich dann alles, Erstgeborenensterben, Flucht, Verfolgung, Durchgang durchs Meer, Untergang der Ägypter, in der einen Festnacht, der »Nacht der Wache« zusammen.] H fehlt TS1.1, TS1.2 413,11 Sippen] berichtigt aus Sippe nach D2, D5 413,25 immer wiederkehrenden] [vollkommenen] ! immer wiederkehrenden H 413,31 Haupt von Monaten] Anfang der Monate D5 413,31-33 der nicht […] haben scheint,] hder nicht […] haben scheint,i H 413,33-34 mag nachträglich sein] [ist ungeschichtlich] ! mag nachträglich sein H 414,3 hebräisch] im Original H, TS1.1 415,4 – am wahrscheinlichsten am Sirbonischen See –] h– am wahrscheinlichsten am Sirbonischen See –i H 415,5-7 (es ist aber […] erreicht hätten)] h(es ist aber […] erreicht hätten)i H 416,2-3 es als Wunder aufzunehmen bereiten] zureichend als Wunder aufzunehmen bereiten und fähigen D5 416,3-4 Das Aussergewöhnliche […] Geschehen aus] Dass das Aussergewöhnliche diese Begegnung begünstigt, zeichnet es nicht aus H, TS1.1 416,5-6 erschliessen] [offenbaren] ! erschliessen H 417,3 vertraute] fasste Vertrauen zu H, TS1.1, TS1.2 417,29 Davids oder Salomos] hDavids oderi Salomos H 417,33 Kraft] Macht H 418,14 Melek-Ausrufung] Melek-Verkündigung H, TS1.1, TS1.2 419,15 dass JHWH euch den Sabbat gegeben hat] JHWH hat euch den Sabbat gegeben D5 2

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Einzelkommentare

419,22-23 es wird nur geboten, seiner zu gedenken] hes wird nur geboten, seiner zu gedenkeni H 419,27-28 am siebenten aber nicht] fehlt D5 420,2-3 Sie verstehen sich […] Lebensordnungen] [Im Verhältnis zu den Lebensordnungen] ! Sie verstehen sich […] Lebensordnungen H 420,10-11 Besänftigung des Götterzorns] [Versöhnung der Götter] ! Besänftigung des Götterzorns H 420,16 mit ihr auch] mit ihr anscheinend D2, D5 420,16 der Begriff] [die Vorstellung] ! der Begriff H 420,33-34 , dem König […] vorgeschrieben] h, dem König […] vorgeschriebeni H 420,35 , ja alles Erschaffenen] und alles Zugehörigen D2, D5 421,1-2 Vorübersein] [Abgeschlossenwordensein] ! Vorübersein H 421,11-12 – der nicht Sabbat heisst –] h– der nicht Sabbat heisst –i H 421,26 Notwendige] Erforderliche D2, D5 421,41-422,1 herausgehoben] [abgesondert] ! herausgehoben H 422,31 ruhe] ausruhe D5 422,31 verschnaufe] eratme D5 422,41 »Priesterschrift«] »Priesterschaft« D5 423,17 Man] berichtigt aus Mann nach H, TS1.1, TS1.2, D2, D5 423,17-18 zulängliches Bild] Bild H, TS1.1 423,28 von Mose nicht zu trennen zu sein] [ihren Ursprung in Mose selber zu haben] ! von Mose nicht zu trennen zu sein H 423,34 Epoche] Zeit H, TS1.1 423,35-36 (und zweifellos […] eines Zeitalters reifer tektonischer Kunst)] h(und zweifellos […] einer Epoche reifer tektonischer Kunst)i H 423,36 tektonischer] kompositorischer D2, D5 423,41-424,1 legendären] [sagenhaften] ! legendären H 424,2 an seinem Ausgang sich sammelt] han seinem Ausgangi sich sammelt H 424,5 Konzeption] [Gedanke] ! Konzeption H 424,10 Priesterspekulation] [Theologenspekulation] ! Priesterspekulation H 425,8 komponierten] gefügten D2, D5 425,13 »vertrauen«] »glauben« H, TS1.1, TS1.2 425,20 das Hadern] [die Auflehnung] ! das Hadern H 425,32-33 Gewiss mag bei seiner Ausgestaltung] Bei seiner Ausgestaltung mag D5 425,37-38 – abgesehen […] Verschiedenheiten –] h– abgesehen […] Verschiedenheiten –i H

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425,38 grundwichtiger] belangreicher D , D 426,6 fordernden Geist] [Propheten] ! fordernden Geist H 426,8 hemmungslos] [ungehindert] ! hemmungslos H 426,23 es ist der leidenschaftliche Wunsch] [es scheint mir der Wunsch zu sein] ! es ist der leidenschaftliche Wunsch H 426,24 irdische Herrschaft] hirdischei Herrschaft H 426,33-34 werde über euch walten und nicht mein Sohn wird] will über euch walten, nicht mein Sohn soll D5 426,34-35 walten […] walten […] walten] herrschen […] herrschen […] herrschen H, TS1.1 426,34-35 JHWH wird] JHWH soll D5 426,35-36 die mir unverkennbar nach Geschichte schmeckt] [deren historischer Gehalt von einer in ihren hyperkritischen Geleisen verfahrenen Wissenschaft verkannt worden ist und] die mir unverkennbar nach Geschichte schmeckt H 426,37 Parallelen] Parallelen [, z. B. wenn eine frühe Dichterin noch vor ihrer Bekehrung zum Islam verkündigt] H 426,40 der Frühzeit] [der mosaischen Epoche] ! der Frühzeit H 427,7 verlassen könne] verlassen könne h(Nebenbei gesagt: das unterscheidet den echten charismatischen Führer von den Charismatiker Karikaturen, von denen manche in der Weltgeschichte agieren, dass sie erst nach ihrem Zusammenbruch verraten werden.)i H, TS1.1, TS1.2 427,15-16 Überwindung des Leidens, des] auch Überwindung des Leidens, des eben D2, D5 427,16 Leidens] [kreatürlichen] Leidens H 427,17 darf] muss H, TS1.1 427,20 Überwindung] Überwindung hdes Übelsi H 427,23-24 in der auf die grosse […] folgenden] hin der auf die grosse […] folgendeni H 427,27 lösche] [wische] ! lösche H 427,32-34 Gewiss, das erklärt sich […] Gott verzeihe.] hGewiss, das erklärt sich […] Gott verzeihe.i H 427,39-40 seine Glaubenstaten zu tun] [die Offenbarung zu empfangen] ! seine Glaubenstaten zu tun H 429,1 Die Schlacht] [Amalek] ! Die Schlacht H 429,14 Völkerbrauch] geheiligten Völkerbrauch D5 430,2-3 »Gottesmann«] »Mann Gottes« D5 430,22 um von ihm] berichtigt aus nur von ihm nach D2, D5 430,36-37 , da es offenbar […] erkämpft wird] h, da es offenbar […] erkämpft wirdi H 431,14 Ja] Wohl D2, D5 2

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431,14 hat JHWH mit] für JHWH gegen D 431,15 JHWH’s eigener Krieg, weil,] [nicht, wie man gewöhnlich annimmt, ein Krieg, den JHWH führte, sondern einer, der für ihn geführt wird (vgl. die gleiche Konstruktion in Bezug auf das Kämpfen JHWH’s »für« Israel 14, 14), und zwar] ! JHWH’s eigener Krieg, weil, H 431,22 verbünden] [verpflichten] ! verbünden H 431,24-25 Mose ruft […] JHWH an] Mose [schwört dem uns vorliegenden Text nach, indem er die Hand an den »Thron von Jah«] ! ruft […] JHWH an H 431,27-28 die Hand […] Israel einstimmt] hdie Hand […] Israel einstimmti H 432,2-4 Und Jethro, […] Moses] Jethro, der Priester Midians, Moses Schwäher, hörte … Und Jethro, Moses Schwäher D5 432,4 gehobene] [feierliche] ! gehobene H 432,22 »am Gottesberg«] »an dem Berg Gottes« D5 432,37 eindringlich] [ausführlich] ! eindringlich H 433,2-3 dass JHWH grösser als alle Götter ist] ja, groß ist JHWH über alle Götter D5 433,4 zunächst dreifach, später siebenfach] [dreifach] ! zunächst dreifach, später siebenfach H 433,10-13 Die Tatsache, dass […] zu beleuchten.] hDie Tatsache, dass […] zu beleuchten.i H 433,41 er »hole«] er »nehme«, er »hole« D5 434,5 »Zelt der Begegnung«] »Zelt der Begegnung«, das Mose, wie in einer (33,7) nachgetragenen Notiz berichten wird, ausserhalb des Lagers aufgeschlagen hatte; um sich dort in der Einsamkeit ungestört seinem Gott zuwenden zu können H, TS1.1 434,5 seinem Eingang] seinem, des Offenbarungszeltes, Eingang H, TS1.1, TS1.2 434,9 ausdrücklich] besonders H, TS1.1 434,26 versteht] [bedenkt] ! versteht H 434,27 »monolatrische«] [»henotheistische«] ! »monolatrische« H 434,28 abgeneigt] abhold D5 435,13 midianitischen] berichtigt aus medianitischen nach D2, D5 435,31 offenbar gewesen ist] [gewesen zu sein scheint] ! offenbar gewesen ist H 435,39 muss er] mag er es D2, D5 436,8 Erstrahlung] Strahlung H 436,13 Naturkräfte] Naturgewalten H 438,9-10 dem Auszug der Kinder] der Ausfahrt der Söhne D5 5

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438,11 Und Israel lagerte dort] Dort lagerte Israel D 438,17 Sinn] [Gestalt] ! Sinn H 438,20 Überarbeitung] Überarbeitung [oder Einschub] H Überarbeitung oder Einschub TS1.1, TS1.2 438,28-31 , die ihrem […] Gotte ausgeht] h, die ihrem […] Gotte ausgehti H 438,33-34 sakralen] [technischen oder] sakralen H 439,1 »vertrauten«] [glaubten] ! »vertrauten« H 439,17 und darüber hin und her schwebt,] hund darüber hin und her schwebt,i H 439,20 Der grosse Adler] [JHWH, der grosse Adler, schwebt über JHWH] ! Der grosse Adler H 439,22-23 bis er selber] bis er [mit neuer Kraft] selber H 439,39 einigermassen] [an Macht nur] einigermassen H 440,18 Sie ist es] [In Anbetracht der absoluten Machtüberlegenheit JHWH’s kann nur sie es sein, die es mit Israel schliesst.] ! Sie ist es H 440,24 nur hier, nur] hier allein, D2, D5 440,25 Erneuerungen] Erneuerungen allein D2, D5 440,29 Exodus 19,6] berichtigt aus Exodus 17,6 nach D2, D5 441,15 verkündigt] [proklamiert] ! verkündigt H 441,17-18 Königsausrufung] Königsproklamation H, TS1.1, TS1.2 441,24 herausgenommen] [abgetrennt] ! herausgenommen H 441,27 erläutert] [bedeutet] ! erläutert H 441,34 Völkerbefreier] [völkerbefreienden Gott] ! Völkerbefreier H 441,38 Varianten] [Ausgestaltungen] ! Varianten H 442,13 faktischen göttlichen Herrschaft] hfaktischeni göttlichen Herrschaft H 442,26 Herrn] [Königs] ! Herrn H 442,27-28 Sie alle, alle […] zu ihm.] hSie alle, alle […] zu ihm.i H 442,30-31 Ergänzung] Ergänzung, ja eine klärende Ergänzung H 442,35 Gewalt] [Eigenschaft] ! Gewalt H 443,2-3 leiblichen] ganzen leiblichen H, TS1.1 443,13 Leben erfüllt] Leben erfüllt [und so die ganze Erde bereitet, wie Israel durch Hingabe an ihn als Herrn sein Königtum zu werden] H 443,35 mit einander Israels Stämme] in eins Israels Zweige D5 443,38 scheint es denn auch zu sein] ist es denn auch offenbar D2, D5 443,39 preist] [und (wenn man den X so verstehen darf) als »Erbgut der Gemeinde Jakobs«] ! preist H 444,10-11 altsemitischen Vorstellungen von den Stammesgöttern] [semitischen Stammesgöttern] ! altsemitischen Vorstellungen von den Stammesgöttern H 5

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Einzelkommentare

445,8 Vollkommenwerden] [Vollendung] ! Vollkommenwerden H 446,5 brennend] einst D2, D5 446,15-16 weglässt] streicht H, TS1.1, TS1.2 446,24 geschichtliche] wirkliche H, TS1.1, TS1.2 446,35 Jedenfalls ist alles] [Wie er in uns widerklingt, ist es der Protest] ! Jedenfalls ist alles H 446,36 ungeheure] biblische D2, D5 446,37-447,3 Mag etwa eins […] nicht mehr einzufügen.] hMag etwa eins […] nicht mehr einzufügen.i H 447,13 in allem wesentlichen zu zweifeln] hin allem wesentlicheni zu zweifeln H 447,14-15 oder doch sieben Handlungen] hoder doch sieben Handlungeni H 447,16 , offenbar noch vor der Mörgendämmerung,] h, offenbar noch vor der Mörgendämmerung,i H 447,18-19 – Steine, die […] bezeugen –] h– Steine, die […] bezeugen –i H 447,31-32 Wiedererstehung] Wiederbringung H, TS1.1 447,37 »der Gott Israels«] – nunmehr – wie vorher nur im ersten Spruch an dem Pharao (5, 1) in bedeutsamer Vorwegnahme – »der Gott Israels« D2, D5 447,40 zu Israel] wahrhaft zu Israel D2, D5 449,5 Stämmesystem] [Stämmeordnung] ! Stämmesystem H 449,7 Festigung] berichtigt aus Fertigung nach D2, D5 449,8 ermöglicht hat.] ermöglicht hat. [Das würde die unmotivierte Destruktion einer der elementaren personhaften Ganzheiten der menschlichen Geschichte bedeuten.] H 449,10 Es heisst wohl zu weit gehen] Man geht wohl zu weit D5 449,10 heisst wohl zu weit gehen, wenn man meint] [ist wohl mit Unrecht vermutet worden] ! heisst wohl zu weit gehen, wenn man meint H 449,12-14 dagegen darf man […] worden ist, wofür] hdagegen darf man […] worden ist, wofüri H 449,18-20 »Gott herrscht«, […] vereinigt haben.] h»Gott herrscht«, […] vereinigt haben.i H 449,23 selbstverständlich klang.] ergänzt Dass der Ruf lautete »Gott herrscht« und nicht »JHWH herrscht«, erklärt sich offenbar, abgesehen davon, dass der Name »Israel« eben schon vorgefunden wurde, daraus, worauf es ankam: den Scharen fühlbar zu machen, dass kein Mensch, sondern Gott selber über sie herrscht, dass er aber auch wirklich über sie herrscht. H

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449,27 levitisches] [organisiertes] ! levitisches H 449,27-28 überhaupt eigentlich keine] hüberhaupt eigentlichi keine H 449,29 geweihten Jünglinge] hgeweihteni Jünglinge H 449,31 Naturzustand einer Altersstufe] der der jugendlichen Altersstufe zugehörige Naturzustand D5 449,31-32 einer Altersstufe der einem Vollreifen auferlegten] der geforderten H, TS1.1 449,34-40 Zu vermuten ist […] (Exodus 33, 11).] hZu vermuten ist […] (Exodus 33, 11).i H 450,2 Akt des Bundesschlusses] [Bundesakt] ! Akt des Bundesschlusses H 450,5 den Bund] [die »Urkunde des Bundes«] ! den Bund H 450,8-9 Dies ist das Blut] Da, das Blut D5 450,10 vermutlich] [wahrscheinlich] ! vermutlich H 450,14 vorstaatlicher Staatsakt] hvorstaatlicheri Staatsakt H 450,31-32 einen Doppelpunkt] berichtigt aus ein Doppelpunkt nach D2, D5 450,37 augenfälligen] ungeheuren H, TS1.1, TS1.2 451,1 gewagt haben?] gewagt haben? [Wir kommen den rätselhaften Versen nur näher, wenn wir uns auch hier zur Frage entschliessen, welche mögliche Wirklichkeit dem Bericht zugrunde liegt.] H 451,9 Wirklichkeit] [mögliche] Wirklichkeit H 451,11 erhabenen] ragenden D5 451,12 die Tempelhalle] den Hallenraum D5 451,23 Heere] Scharen D5 451,24 empfindet] [erfährt] ! empfindet H 451,26 schriftprophetische] [prophetische] ! schriftprophetische H 451,28-29 heutige Menschenwelt] hheutigei Menschenwelt H 451,34 Phantasien oder Fiktionen] hPhantasien oderi Fiktionen H 451,34-35 manchem Belange Beachtung verdienen] [der historischen und etwa auch der psychologischen Beachtung wert sind] ! manchem Belange Beachtung verdienen H 451,37 der Sinn] die Bedeutung D2, D5 452,3 bestimmten, besonders wichtigen Station] bestimmten h, besonders wichtigeni Station H 452,8-9 Visionslegende] [naiven Prophetielegende] ! volkstümlichen Visionslegende H 452,10-14 Die Vätersage […] sich kundgibt.] hDie Vätersage […] sich kundgibt.i H 452,11-12 Menschengestalten] berichtigt aus Menschengestalt nach D2, D5

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452,22 vor Morgengrauen] fehlt H, TS 452,23 da sie das] berichtigt aus das sie das nach H, TS, D2, D5 452,24-25 bis auf ein […] Wolkengebild] hbis auf ein […] Wolkengebild,i in der steigenden Sonne H bis auf ein […] Wolkengebild, in der steigenden Sonne TS1.1 452,28 erschliesst] offenbart H, TS1.1, TS1.2 452,30 thronenden Melek] [Gottes] ! thronenden Melek H 452,37-38 Die Netzhaut […] den Offenbarer.] fehlt H, TS1.1, TS1.2 454,7 Malsteine sollt ihr zerhämmern] Standmale soll ihr zertrümmern D5 454,9 sich freilich nur mit einiger Not] [man immerhin] ! sich freilich nur mit einiger Not H 455,3-5 seine Lehrmeister […] Leben gewinnt] [Herder zurückgegangen, der jenes Partikulare als das notwendige Gefäss und Werkzeug jenes Universellen erkannt hatte] ! seine Lehrmeister […] Leben gewinnt H 455,6-8 – dem die kritische Forschung […] folgt –] h– dem die kritische Forschung […] folgt –i H 455,13 Der Dekalog] [Wenn wir diesen sogenannten »kultischen Dekalog« unbefangen betrachten, sehen] ! Der Dekalog H 455,16-17 , wenn auch […] Ausgestaltung,] h, wenn auch […] Ausgestaltung,i H 455,31 geliefert] geboten H 455,37 ursprünglichen Form] ursprünglichen Form [(dagegen nicht älter als die uns vorliegende Redaktion des »Bundesbuchs«)] H 455,41-456,3 Immerhin ist die Auswahl […] vor uns haben.] hImmerhin ist die Auswahl […] vor uns haben.i H 456,4 kritische] berichtigt aus kultische nach H, TS1.1, TS1.2, D2, D5 456,4-5 den wirklichen Charakter der Zusammenstellung zumeist] [die einfachen Tatsachen] ! den wirklichen Charakter der Zusammenstellung zumeist H 456,12 im Exil«] im Exil« [wie es im neuesten mir zugänglichen Exodus-Kommentar (von 1930) heisst, und zuvor sei es in X Urform, d. h. nachdem man ihn von späteren Zusätzen befreit habe] H 456,18 gewachsen] gewachsen [, vor allem in geistesgeschichtlicher Hinsicht] H 457,6 Bestreiter] Bekämpfer H 457,27 den ältesten Sagen] dem Stoff der ältesten Sagen H, TS1.1, TS1.2 457,29 Dekalog begreifen] Dekalog als ein Werk begreifen H, TS1.1, TS1.2 457,41 wirklichen Taten] hwirklicheni Taten H 1.1

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458,5-6 – offenbar unter […] Vorstellungen –] h– offenbar unter […] Vorstellungen –i H 458,6 Vorstellungen] berichtigt aus Wortstellungen nach D2, D5 458,18 Aussprüche] Kundgebungen D2, D5 458,20 über die »religiöse Anschauung« der Person] hüber die »religiöse Anschauung« der Personi H 458,37 die mosaische Herkunft] [das hohe Alter] ! die mosaische Herkunft H 459,13 bestehe] bestehe jedoch D2, D5 459,33 früh] ursprünglich H 459,34-36 womit ich meine […] worden ist] und nur dann lässt sich der Plural »ihnen« in Vers 5 befriedigend erklären H, TS1.1 459,37-38 all der Gestalten] von allen Gestalten D2, D5 460,20 – abgesehen davon […] Sippe führt –] h– abgesehen davon […] Sippe führt –i H 460,25 -vorgänge] berichtigt aus -Vorgänge nach D2, D5 460,36 Wolke und Rauch] hWolke undi Rauch H 461,1-3 Freilich wechseln […] identifizieren wäre.] hFreilich wechseln […] identifizieren wäre.i H 461,9 insbesondre] fehlt H, TS1.1 461,15 entgegenstand] [gegenüberstand] ! entgegenstand H 461,25-26 sich wider den Glauben auflehnende Phantasie] Auflehnung [des Sichtbaren wider das Gemachte wider das Gegebene] ! der Phantasie wider den Glauben H Auflehnung der Phantasie wider den Glauben TS1.1 461,27 , den plastischen Stunden] fehlt D2, D5 461,28 Geheimnis] [Unsichtbaren] ! Geheimnis H 462,11-12 In diesem Sinne aber sei sogar] [In diesem Sinne aber sei nicht bloss die prophetische Religion Israels, sondern sogar] ! In diesem Sinne aber sei sogar H 462,17 um den Glauben] um den Glauben [, um die Offenbarrungen] H 462,25 den Urkampf] [das geschichtliche Vorbild aller späteren] ! den Urkampf H 462,37 Kategorien,] berichtigt aus Kategorien nach D2, D5 462,41 Sitten] Bräuche D2, D5 462,41-463,2 – gerade hier […] zu stellen« –] h– gerade hier […] zu stellen« –i H 463,6 das sakrale Prinzip] [an die Stelle des Beschwörungsgesanges und ähnlicher magischer Praktiken trat] ! das sakrale Prinzip H 463,28 haben müssen] haben D2, D5

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463,40-41 Wir verfehlen […] verstehen.] hWir verfehlen […] verstehen.i H 464,18 göttlichen Stimme] hgöttlicheni Stimme H 464,19 nun nicht mehr literarkritisch, sondern] nunmehr H, TS1.1 464,21 von allen] , ja seinen Gegensatz zu allen H 464,27-28 sie auch in ihrer Gesamtheit als] sie hauch in ihrer Gesamtheiti als H 464,38 undifferenziertes Gemeinschaftsleben] undifferenziertes h, ja chaotischesi Gemeinschaftsleben H undifferenziertes, ja chaotisches Gemeinschaftsleben TS1.1 465,14-15 (vergl. Genesis […] Gesicht«)] fehlt D2, D5 465,16-17 Versinnlichung] [willkürlichen] Versinnlichung H 465,19 magischen »Wahn«] hmagischeni »Wahn« H 465,23 göttlichen Herrn] hgöttlicheni Herrn H 465,32-33 (Genau genommen […] vor uns.)] h(Genau genommen […] vor uns.)i H 466,15 Grundverfassung] [Verfassung des Dekalogs] ! Grundverfassung H 466,20 , dem Nacheinander] fehlt H, TS1.1 466,21 , ihrem Nacheinander] fehlt H, TS1.1 466,28 wodurch] wodurch, ob mit oder ohne Absicht H, TS1.1 467,2 ist als das Verbot] ist genauer als das Verbot H, TS1.1 467,3 des Herzens allein] des Herzens H, TS1.1 467,17-18 zentrale Sammlung] hzentralei Sammlung H 467,19 das soziale Unrecht nicht ausdrücklich bekämpft] [dem sozialen Morast nicht Rechnung trägt] ! das soziale Unrecht nicht ausdrücklich bekämpft H 467,20 Zeit] [Situation] ! Zeit H 467,22-23 vordringliche Gefahr] hvordringlichei Gefahr H 467,24-25 Innerhalb des einzelnen Clans] [Bei Nomaden und Halbnomaden] ! Innerhalb des einzelnen Clans H 467,28 verpönte] verurteilte D2, D5 467,40 schicksalhaften] [entscheidenden] ! schicksalhaften H 468,13 Führer] machtlose Führer H, TS1.1 468,25-26 dass dies der Wille Gottes ist] dies sei der Wille Gottes D2, D5 468,27 Gott] Gott [des Volks] H 468,28-29 muss er Israel eine Grundverfassung geben] muss Israel eine Grundverfassung gegeben werden D2, D5 468,35 Wohl, es geht ihm] [Bei der Offenbarung] ! Wohl, es geht ihm H 468,39-40 wie den uns vorliegenden] berichtigt aus wie die uns vorliegenden nach D2, D5

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469,4 ihres an Kristall-Lauge gemahnenden] [des plasmaartigen] ! ihres an Kristall-Lauge gemahnenden H 469,4-5 als Vollgesellschaft, als »Volk«] hals Vollgesellschaft,i als »Volk« H 469,5-7 Es ist […] Grundlage vollzog] [Wir haben es als ein einzigartiges Ereignis der Menschheitsgeschichte zu betrachten, dass beim Auszug der Mosesschar aus Ägypten eine Religionsgerinnung im Rahmen einer völkischen Neuwerdung geschehen ist] ! Es ist […] Grundlage vollzog H 469,10 Einmalige] berichtigt aus einmalige nach D2, D5 469,24 geschichtlichen] [einmaligen] ! geschichtlichen H 469,41-470,1 auf jeden Fall aber hat der Dekalog] [der Dekalog aber hat] ! auf jeden Fall aber hat der Dekalog H 470,4-5 der Schar, wie vorher den Ältesten,] der Schar h, wie vorher den Ältesten,i H 470,8 Eigentümer] [heiligende] Eigentümer H 470,18-20 Bericht der Vertreter […] sich wohl an.] hBericht der Vertreter […] sich wohl an.i H 470,21 – früher oder später –] h– früher oder später –i H 470,24 verbundenen] [zusammengeschlossenen] ! verbundenen H 470,27 Verbot] Gebot D5 470,31 oder erst] oder erst [, wofür manches spricht] H 470,38 Tafeln oder Stelen] [eine Erdichtung in späterer Zeit] ! Tafeln oder Stelen H 470,38 der Gottheit zugeschriebenen] [heiligen] ! gottgegebenen H, TS1.1 471,13 des Zeugnisses] der Vergegenwärtigung D5 471,18 damit Gott sie erneut beschreibe] hdamit Gott sie erneut beschreibei H 471,30 geschehenden] möglicher H, TS1.1, TS1.2 471,30-31 vergegenwärtigen] vorstellen D5 471,32 Schattenriss] [Umriss] ! Schattenriss H 471,38-39 Augen und Ohren] [Menschenaugen und Menschenohren] ! Augen und Ohren H 472,18 vorsamuelischen Zeit] vorsamuelischen Zeit [– vielleicht auch in der davidischen –] H 472,24-25 jeweils lebendig werdende Urzeugen] [als Urzeugen] ! jeweils lebendig werdende Urzeugen H 473,4 im wesentlichen] [zum grössten Teil] ! im wesentlichen H 473,25 Gunst] Huld D5 474,15-16 aller anderen Götteransprüche] [jeden andern Anspruchs] ! aller anderen Götteransprüche H

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474,23 Schuld] [Verfehlung] ! Schuld H 474,24 Sühne] Strafe H, TS1.1, TS1.2 474,25 geschieht] ergänzt – und zwar nur da, wo Gott gehaßt wird, aus welchem Gotthaß eben der »Fehl«, die Störung der Weltordnung, hervorgeht – D2, D5 474,37 , die von zu ahndenden Vergehen handeln,] h, die von zu ahndenden Vergehen handeln,i H 475,5-6 in dem sogenannten […] Einzelgesetzen] Einzelgesetzen des sogenannten »Bundesbuchs« H, TS1.1, TS1.2 475,12 aus einem Guss] aus einem Guss [bis auf kleine erforderliche Kürzungen] H 475,18-19 schreit, schreit er […] entflammen] schreit er, schreit er auf zu mir, höre ich, höre seinen Schrei, mein Zorn entflammt D5 475,20 werden eure Frauen Witwen und] sind eure Frauen Witwen, D5 475,22 Duldenden] Zulassenden D5 475,24 für Missbräuche des Pfandrechts] hfür Missbräuche des Pfandrechtsi H 475,26 richtender] [ahnender] ! richtender H 475,34 Gnadender] Gönnender D5 476,2 jene gerechte Treue zwischen den Menschen] [unverbrüchliche Erfüllung] ! [jene Treue zum Mitmenschen] ! jene gerechte Treue zwischen den Menschen H 476,3-4 eng zusammen.] eng zusammen. [Auch wenn er nun die Ausschliesslichkeit der Hingabe an ihn eifert?, eifert? er als »heiliger Gott« (Josua 14, 24), hier das heilige Leben der ihm anhängenden Gemeinschaft.] H 476,9-10 ruhenden] lauernden D2, D5 476,15-16 in unserm Gemüt sehen wir] wer sähe nicht H, TS1.1 476,36-37 , wogegen in Israel […] entsagte] fehlt H, TS1.1 476,40 , auch der Volksgenosse,] fehlt H, TS1.1 476,41 ist der hebräische Sklave] fehlt H, TS1.1 477,9-12 , und ihm, dem Stifter […] folgen soll] h, und ihm, dem Stifter […] folgen solli H 477,17-18 den eifernden Gott] [JHWH] ! den eifernden Gott H JHWH TS1.1 478,3 Gottes Weisung zu hören] [mit Gott zu reden] ! Gottes Weisung zu hören H 478,10-11 die von Gott beschriebenen Tafeln] die hvon Gott beschriebeneni Tafeln H 478,21-22 heraufholten aus dem Land Ägypten] aus dem Land Ägypten heraufbrachten D5

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478,22 Darauf] Sodann D 478,24 Die Übereinstimmung] [Im allgemeinen sieht man in der Sage vom »goldenen Kalb« eine] ! Die Übereinstimmung H 478,29 ergibt] ergibt mir D5 478,30 Der Sakralruf] [Man erklärt den Plural »X Elohim« in den X damit, dass] ! Der Sakralruf H 478,36-37 , in Jerobeams Munde befremdlich,] [hat einen primitiven Charakter (vgl. Genesis 20, 13)] ! , in Jerobeams Munde befremdlich, H 478,37-38 als Äusserung […] fordernden Volk] hals Äusserung […] fordernden Volki H 478,39-40 und die Philister […] (I Samuel 4, 8)] hund die Philister […] (I Samuel 4, 8)i H 478,40-479,4 Auch dass Motive […] Traditionscharakter.] hAuch dass Motive […] Traditionscharakter.i H 479,5 von der volksbekannten Sage] [gleichviel ob sie von prophetischen Kreisen des Nordreichs oder von [jerusalemischen, die ihre Herkunft von Aaron ableiten, ist die Verbreitung] ! judäischen Priesterkreisen ausserhalb Jerusalems, die den Aaroniden nicht wohlgesinnt sind, stammt] ! von der volksbekannten Sage H 479,10-11 sich gegen das überlieferte Gottesgesetz aufzulehnen] [die berühmte Verfehlung des Volkes zu sanktionieren und die Tradition umzuwerten] ! sich gegen das überlieferte Gottesgesetz aufzulehnen H 479,16-17 aus der Religionsgeschichte wohlbekannte] aus [verschiedenen Kulturen bekannt] ! der Religionsgeschichte wohlbekannte H 479,18-19 königlicher] körperlicher H 479,21-22 des Harran] jenes Haran D2, D5 479,30 Diese Haltung […] wachsam gewesen.] hDiese Haltung […] wachsam gewesen.i H 480,7 ursprüngliche Absicht] [Intention] ! Absichten Aarons H 480,15 setzt sich] setzt sich [nach einer Epoche der Verzweiflung] H 480,17-19 wiewohl auch […] enthält,] hwiewohl auch […] enthält,i H 480,19 Symbol] [religiöse] Symbol H 480,25 Grundgedanken] [Charakter] ! Grundgedanken H 480,38 sänftenartige tragbare Palladium] hsänftenartigei tragbare Palladium H 481,37-38 die Gotteskraft] seine Kraft H, TS1.1, TS1.2 482,2-3 hinauf, da wir […] da wir sind, –] hhinauf, wo wir […] wo wir sind, –i H 482,13 gekommen ist, können wir] gekommen ist, [oder es in der Erzählung ebenso wie die Orgien, von dem späteren Treiben um den Baal 5

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Peor (Numeri 25), das Hosea (9,10) geisselt, hierher übertragen worden ist, wissen wir nicht, aber Aufstand ist es gewesen] ! können wir H 482,18 sakralen] heiligen H, TS1.1 482,19-29 Doch weist […] des Sakralrufs. ] hDoch weist […] des Sakralrufs.i H 482,19 wie gesagt offenbar] anscheinend H, TS1.1, TS1.2 482,40 Masoreten] Punktators H, TS1.1, TS1.2 483,1 unrevidierten] unpunktierten H, TS1.1, TS1.2 483,12-13 Mose den treu gebliebenen Leviten nachrühmt] [von den treugebliebenen Leviten berichtet wird] ! da Mose den treu gebliebenen Leviten nachrühmt H 483,19-21 Da wir annehmen dürfen, dass der altertümliche […] chronologisch] Da der altertümliche […] zweifellos chronologisch H, TS1.1 483,24 Wegstationen] [Wanderstationen] ! Wegstationen H 484,15 vermutlich weil sie] hvermutlichi weil sie H 484,21 »Ich werde da sein, als der ich da sein werde«] [»Ich bin da als der ich da bin«] ! »Ich werde da sein, als der ich da sein werde« H 484,25-26 das Nomen gleicher Wurzel] die Wortwurzel H, TS1.1 484,26-27 , also auf die Nähe des Gottes hingewiesen wird] fehlt H, TS1.1 484,27-28 dass JHWH] berichtigt aus das JHWH nach D5 485,9 in unserm Innern] bei uns innen D5 485,14 (Exodus 33, 16)] berichtigt aus (Exodus 23, 16) nach D5 485,22-23 Aber Mose wagt noch darüber] Mose wagt jedoch darüber noch D2, D5 486,18 Königsbund] [Melek-Bund] ! Königsbund H 486,23-487,12 in den salomonischen […] Mächtigkeit] hin den salomonischen […] Mächtigkeiti fehlt TS1.1, TS1.2 487,6 Angesicht] Antlitz D5 487,7 der Inhalt dieses Textes geschichtlich] dieser Text H 487,8-9 jeder Text geschichtlich] jeder echte Text hgeschichtlichi H 487,15 wenn das, was dort gesagt wird, geschichtsmöglich ist] [vielmehr darf hier die Möglichkeit sich gegen die Wahrscheinlichkeit stellen] ! wenn das, was dort gesagt wird, geschichtsmöglich ist H 487,20-21 den […] gezimmerten Schrein] die […] gezimmerte Lade H, TS1.1 487,25-27 die Keruben, […] Sitz zu bereiten] [X im Stil altorientalischer, vornehmlich ägyptischer Plastik], die Keruben, um auf ihren waagerecht ausgespannten einander berührenden Flügeln, [»zugleich ein Schirmdach für die Lade und einen Thron für die unsichtbare Majestät Jahwes bilden«] ihrem Herrn den Sitz zu bereiten H

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487,28 , nach dem uns bekannten Material zu schliessen,] h, nach dem uns bekannten Material zu schliessen,i H 488,9 Tafeln der Verfassung] Tafeln hder Verfassungi H 488,15 aus dem Munde] [mehrfach] ! wiederholt aus dem Munde H 488,18 Herstellung] Konzeption H, TS1.1, TS1.2 488,19 getan] gestellt H, TS1.1, TS1.2 488,20 vorhanden] da H, TS1.1, TS1.2 488,33-37 In Babylon […] unmittelbar erfahren.] hIn Babylon […] unmittelbar erfahren.i H 489,3 göttliche Bewegung] göttliche Bewegung [, das Sich-niederlassen beim Aufbruch des Lagers, insbesondere zum Kampf] H 489,6 Gegenwärtigwerden und Mitgehen] Gegenwärtigwerden hund Mitgeheni H 489,9-14 Was der alte Wandergott […] Wiederkehren.] hWas der alte Wandergott […] Wiederkehren.i H 489,17-18 Gegenbewegung des Geistes, die sie herausfordert] von ihr herausgeforderte Gegenbewegung des Geistes D5 489,29 Mitte] Mitte Israels D5 489,33-34 wie berichtet wird] wie [wir hören] ! berichtet wird H 489,41-490,2 – in frühen Texten […] (Numeri 7, 89) –] h– in frühen Texten […] (Numeri 7, 89) –i H 490,3 sichtbar vor dem Volke] sichtbar [als sonnendurchglühte Wolkenhülle oder als die himmlische Ausstrahlung der Gottessubstanz, der »Kabod«] vor dem Volke H 490,4 als die Ausstrahlung] [als die von der Morgensonne durchglänzte »Wolke«, in der die Gottessubstanz ausstrahlte, der »Kabod«, die göttliche Gegenwart, um zu weisen und zu warnen, zu schlichten und zu richten. Beide gehören zusammen als das Sinnbild der doppelten Funktion des Melek: der, sein Volk schutzreich durch eine feindliche Welt zu führen, und der, es durch all die inneren Hindernisse zur Heiligkeit zu leiten, als die Ausstrahlung der Gottessubstanz] ! als die Ausstrahlung H 490,5 Morgenröte] [Morgensonne] ! Morgenröte H 490,6-8 in dem den Nachthimmel […] hindeutend –] hin dem den Nachthimmel […] hindeutend,i H 491,15 erst in der samuelischen Zeit] [erst in der Epoche der Landnahme oder] erst in der samuelischen Zeit H erst in der Epoche der Landnahme oder erst in der samuelischen Zeit TS1.1 491,27 die Einfältigen] [die von guten Geistern Besessenen, wie die »einherrasenden?« Männer bei Jeremia (19,26) weissagend durch die Dorfgasse rennen] ! die Einfältigen H

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491,36 ekstatischen Nebiim-Scharen] [kollektiven Erscheinung der Nebiim] ! ekstatischen Nebiim-Scharen H 492,3 frühen] berichtigt aus führenden nach H, TS1.1, TS1.2, D2, D5 492,6 So beziehen sich die Fragen] [Da ein Kontakt mit syrisch-kanaanäischen Ekstatikern naturgemäss nicht in Betracht kommt] ! So beziehen sich die Fragen H 492,7 israelitischem Ekstatikertum] [israelitischer kollektiver Ekstase] ! israelitischem Ekstatikertum H 492,8 Sehertum] Sehertum [, drittens, mit nichtisraelitischem »arabischem«, genauer midianitischem] H 492,9-10 sich unser Buch Numeri entfaltet hat] unser Buch Numeri erwachsen ist D2, D5 492,25 entdecken] [finden] ! entdecken H 493,9-10 Ereignisreihen] [Vorgangsreihen] ! Ereignisreihen H 493,10 verwoben] [verschlungen] ! verwoben H 493,10 des Seins] [der Menschenwelt] ! des Seins H 494,6 ist, was sie vernehmen lassen] [ist es ein ungegliedertes Lautgewirr] ! ist, was sie vernehmen lassen H 494,41 Last] Tracht D5 495,18-19 begehrt von Mose, dass er den Vermessenen wehre] will, dass Mose die Vermessenen in ihre Schranken weise H, TS1.1, TS1.2 496,9 daraus] berichtigt aus darauf nach H, TS, D2, D5 496,13 Sippensache] [Familiensache] ! Sippensache H Familiensache TS1.1, TS1.2 496,15-16 Es ist wohl mit Recht vermutet worden] [Man darf wohl vermuten] ! Es ist wohl mit Recht vermutet worden H 496,17 Sippe] Familie H, TS1.1, TS1.2 496,40 zu Mose] zu Mose oder vielmehr in ihn D5 496,41 »von Angesicht zu Angesicht«] Antlitz zu Antlitz D5 497,1 (»inspiriert«)] fehlt H, TS1.1, TS1.2 497,6 zur Gottheit] zu Gott D5 497,7 Gestalt] Gestalt oder Abgestaltung D5 497,25 solcher Tat] [solchem Werk] ! solcher Tat H 498,3 bekennen] [sagen] ! bekennen H sagen TS1.1 498,11 den Sinn der jeweiligen Situationen] [die jeweiligen Situationen und das in ihnen X Gebot] ! den Sinn der jeweiligen Situationen H 498,17 fern] [fremd] ! fern H 498,36 nichts wissen will?] nichts wissen will [und seinem göttlichen Herrscher zu X]? H 499,4 anzusagen] [anzusprechen] ! anzusagen H 499,6 , wie sie uns vorliegt,] h, wie sie uns vorliegt,i H

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500,9 Samen] Sippe H, TS 500,25 von Palästina, auf dem Weg von Akaba nach Beerseba] Beerseba D2, D5 500,26 Talebenen] Talstrichen D2, D5 500,27 Hügeln] Hügeln und Bergen D2, D5 500,28-29 überwiegend wasserreich und fruchtbar] hier D2, D5 500,29-30 , stellenweise von »paradiesischer Fruchtbarkeit«,] h, stellenweise von »paradiesischer Fruchtbarkeit«,i H 500,31 reiche] gute D2, D5 500,31 Getreideernten] Getreideernten [, es fehlt nicht an Bäumen und Vögeln, worunter Wachteln überwiegen] H 500,37 Das Volk dürfte] [Den Bodenbedingungen nach dürfte das Volk den hierfür] ! Das Volk dürfte H 500,38-40 , in dem – vermutlich […] ausschwärmten] h, in dem – vermutlich […] ausschwärmteni H 501,5 – so wird gefragt –] h– so wird gefragt –i fehlt H, TS1.1, TS1.2 501,10 Umbildung] [Entwicklung] ! Umbildung H 502,12 Parallele] [Analogie] ! Paralelle H 502,17 gewaltigen] [entscheidenden] ! gewaltigen H 502,25-26 im wesentlichen auf Viehzucht beschränkt] him wesentlicheni auf Viehzucht beschränkt H 502,33 dürfte] berichtigt aus durfte nach D2, D5 503,3-4 auf der noch heute […] Höhe] hauf der noch heute […] Höhei H 503,9-10 – von der wir […] geweiht war –] h– von der wir […] geweiht war –i H 504,4 die Erde (das Land) ist mein] mein ist all die Erde (das Land) D5 504,16 die Erde ist mein] mein ist die Erde D5 504,17 die ganze Erde ist mein] mein ist die Erde all D5 504,22 ausspricht] bekundet D2, D5 504,33 jenes Abschnitts] [eines literarisch zweifellos deutlich späteren] ! jenes Abschnitts H 505,30 Ähnliches] berichtigt aus ähnliches nach D2, D5 506,5-9 »Der unbedingte […] gebunden ist.] h»Der unbedingte […] gebunden ist.i H 506,11-12 und unter Ausnutzung […] Wirtschaftstraditionen] hund unter Ausnutzung […] Wirtschaftstraditioneni H 507,13-14 , aber unter Anlehnung […] Halbnomaden,] h, aber unter Anlehnung […] Halbnomaden,i H 507,22 Differenzen] [Unterschiede] ! Differenzen H 507,24 Differenzen] [Unterschiede] ! Differenzen H 1.1

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507,31-32 , wenn jene plausiblen […] zutreffen,] h, wenn jene plausiblen […] zutreffen,i H 507,37 grosses Sinnbild] grosses [allgemein fühlbares] Sinnbild H 508,6 So entfaltet sich] [Das ist] ! So entfaltet sich H Das ist TS1.1 509,14 Pentateuch-Schicht] [Erzählungsschicht] ! Pentateuch-Schicht H 509,20-21 Auf jeden Fall […] sakralen Macht.] hAuf jeden Fall […] sakralen Macht.i H 509,32-33 ohne Beteiligung von Leviten] hohne Beteiligung von Leviteni H 510,7-11 Überhaupt […] verstehen ist.] hÜberhaupt […] verstehen ist.i H 510,25 JHWH ist ja in ihrer Mitte] in ihrer Mitte ist ja JHWH D5 510,26 Gesamtheit] Gesamt D5 510,38 steht in älteren Schichten des Pentateuch] [kommt im Pentateuch] ! steht in älteren Schichten des Pentateuch H 510,41 das ganze] alles D5 511,16 Dieser aus dem Volk] [Wenn wir nicht auf die Kreuz und Querwege der in vielen Generationen entstandenen Erzählung, sondern lediglich auf die Luftlinien zwischen den Gipfeln achten, in denen sich die Geschichte des Geistes zeichnet, sehen wir, wie,] ! Dieser aus dem Volk H 511,25 dem Volke Israel auferlegt] dem heiligen Volke [aufzuerlegen wagte] ! auferlegt H dem heiligen Volke auferlegt TS1.1, TS1.2 512,4-5 Elemente […] Elemente] Motive […] Motive D2, D5 512,6-7 seiner Sendung und seinem Werk] [seiner Art und seinem Auftrag] ! seiner Sendung und seinem Werk H 512,36 Das ganze Volk] All die Gemeinschaft D5 512,38-39 Seit das Volk […] mehr not.] hSeit das Volk […] mehr not.i H 513,10-11 die die Struktur der Gesellschaft] die [im allgemeinen nur dem Willen zur Macht entspringt] ! die Struktur der Gesellschaft H 513,21-24 , dem gegenüber […] selber zu sein] h, dem gegenüber […] selber zu seini H 513,28 Ernst] [realisierten] Ernst H 513,36-37 sekundäre Auswirkung, der keine Beachtung geschenkt wird] [sekundäre und keine Beachtung verdienende Auswirkung] ! sekundäre Auswirkung, der keine Beachtung geschenkt wird H sekundäre und keine Beachtung verdienende Auswirkung TS1.1 514,4-5 umsetzen] übertragen H, TS1.1 514,7 überlieferbare] [erfahrbare] ! überlieferbare H

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514,10-11 ständig in der Welt des Gesetzes Inspiriertes] Inspiriertes in der Welt des Gesetzes ständig D2, D5 514,32-34 Dem gegenüber […] zu bereiten.] hDem gegenüber […] zu bereiten.i H 514,39 Widerspruch] Widerspruch [auf gleicher Ebene] H 515,5 leere] schiere D2, D5 515,5 Befehl] [Gebot] ! Befehl H 515,7 innersten] innern D2, D5 515,7 Hinwendung] [Hingabe] ! Hinwendung H 515,8 von der Freiwilligkeit] [auf der Grundlage der Freiwilligkeit] ! von der Freiwilligkeit H 515,9 innersten] [eigensten] ! innersten H innern D2, D5 515,19-20 wahrhaft anerkenne] wahrhaft anerkenne [und in seinen Wegen gehen] H 515,23 auf Moses eigne Worte gegen ihn] gegen Mose auf dessen eigne Worte D5 515,31 Unheimliches] Furchtbares H, TS1.1 517,17 Greuelwesen] [Greueln] ! Greuelwesen H 517,32 Gott] [Stammesgott] ! Gott H 518,2 dem Verb] der gleichen Wurzel D5 518,13 frühen] naturnahen H, TS1.1 518,15 gespendet wird] [zufliesst] ! gespendet wird H 518,20-21 differenzierten] höheren H, TS1.1 518,28 entfalten sich] [erwachsen] ! entfalten sich H 519,7 Absicht] [Gedanke] ! Absicht H 519,27 Gottes] [Gottesbewusstseins] ! Gottes H 519,40-41 in der Kunst Vorderasiens] hin der Kunst Vorderasiensi H 520,2-3 seine Schwester in Gestalt einer Wildkuh] [eine kuhgestaltige Göttin] ! seine Schwester in Gestalt einer Wildkuh H 520,11 durchsichtig] flüchtig H, TS1.1 521,2-4 in den uns […] gekommenen] hin den uns […] gekommeneni H 521,21 führende] führerische D2, D5 521,28 der »Widerspenstigkeit«] des »Widerstrebens« D5 522,28 erzählt] [mitgeteilt] ! erzählt H 523,3-4 jeweils berichteten] [jeweiligen] ! jeweils berichteten H 523,21-22 kenitischen] [medianitschen] ! kenitischen H 524,2 sehr bald] [in der nächsten Stunde] ! sehr bald H in der nächsten Stunde TS1.1 524,21 »im vierzigsten Jahr«] »im vierzigsten Jahr [der ersten Monderneuerung]« H

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524,27-28 einen frühen geistigen Ursprung] [den Ursprung] ! einen frühen geistigen Ursprung H 525,1 Gottesbotschaft] Botschaft des Geistes H, TS1.1 525,15-17 Wie er jetzt […] edlen Tiere] Wie ich ihn in dem zerklüftenden Gelände, zwischen den rings aus den Felsen brechenden Bächen, den Weg zum kornbewachsenen Sattel nehmen und von da zum flachen Gipfel fortschreiten sehe, muss ich an eins der edlen Tiere denken H, TS1.1 526,8-9 behauptet in einer […] gekommen ist] meint in seiner Abhandung D2, D5 526,26 Die Lehre der Propheten (hebräisch, 1942)] Der Glaube der Propheten D2, D5 526,36 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 526,44 Inschriften] berichtigt aus Handschriften nach D5 527,14-16 Yahuda, The Judges […] S. 126 ff.] vgl. aber auch Rowley, From Joseph to Joshua (1950). Das letztgenannte Werk gibt die beste Darlegung der involvierten Probleme D2, D5 527,21 Old Testament (1919) I] berichtigt aus Old Testament (1919) II nach D5 527,27-32 tatsächlich […] anschliessen] von der des Hebräischen kundigen oder linguistic advisers besitzenden Prinzessin faktisch in diesem Sinn gegeben worden, sie habe damit ihre Hoffnung ausdrücken wollen, dass he himself to X his people out oft he waves of death, wobei die »Todesfluten« als a popular simile of poetic speech anzusehen seien. Ich kann mich dieser Auslegung nicht anschliessen; insbesondere zeigt die Jesajastelle deutlich, dass man bei dem Namen nicht an die metaphysischen Wasser des Todes, sondern an das Schilfmeer dachte. H 528,8 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 528,13 unmittelbar angeht.] ergänzt Es besteht somit religionsgeschichtlich kein Grund, an der Ursprünglichkeit der in unserem Text zu ihrer endgültigen Gestaltung gelangten Tradition zu zweifeln. D2, D5 528,17 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 528,19-20 Von der Literatur […] ist ein] Beachtenswert ist auch ein D2, D5 530,1 S. 208] ergänzt neuerdings auch Rowley, From Joseph to Joshua S. 150 f., der auf meine Gegenargumente nicht genügend eingeht. D2, D5 530,15 zu viel beweisen] zu viel beweisen [und weist wohl mit Recht auf die befestigte Siedlung des Kupferbergbaus auf der Sinaihalbinsel (Petrie, Researches in Sinai, 1906, 38 ff.) hin] H

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530,23 gegenüber zu sein« (V. 19)?] ergänzt Die interessante Abhandlung von Feigir?, Das Gesetzbuch Jethros, Jahrbuch der Juden Amerikas IV (1945, hebräisch) S. 89-128, schreibt die in dem »Bundesbuch« enthaltenen Gesetze Jethro zu, indem sie die Worte »Und dies sind die Rechtssätze, die du ihnen vorlegen sollst«, Exodus 21,1, ihm in den Mund legt und sich unmittelbar an 18,24 anschliessen lässt (dem Zusammenhang nach freilich müsste Feigir? sie vielmehr an V. 23 anschliessen? und V. 24 streichen). Aber es erscheint mir höchst unwahrscheinlich, dass zu irgendeiner Zeit eine Erzählung vorlag, die Jethro zum Urheber des ältesten Gesetzbuches Israels machte. Die vom Verfasser mit Recht X Analogien mit der Vätergeschichte lassen eine solche Erklärung keineswegs als nötig erscheinen, da sie sich ohne weiteres durch Tradition erklären lasse. H 530,46 in meinem noch unveröffentlichten Buch] im 2. Kap. meines unvollendeten Buches D5 530,46-47 (Abschnitte […] S. 1 ff.)] ergänzt und in der Zeitschrift »Tabriz« XXII 1950/51, S. 1 ff., ein anderer deutsch in »In memoriam Ernst Lohmeyer«, 1951, S. 53 ff. D2 fehlt D5 531,9 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 532,8 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 532,23 Einsicht] berichtigt aus Einheit nach D2, D5 532,46 Journal of Biblical Literature LVIII (1939) S. 325 ff.] ergänzt Die Konstruktion des Verbs »Fragen« oder »heben« mit dem Nomen s c h a w , »Wahn« begegnet uns Psalm 24,5 wieder, wo der »am Herzen Lautere« gepriesen wird, »der nicht hinhob zum Wahn seine Seele«, d. h. seine Seele nicht dem Wahn ergab. H 533,18 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 533,41 hierher] zu Jerobeams Unternehmung D2, D5 533,49 Stier] berichtigt aus Stein nach D2, D5 535,41 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 536,23 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 536,25 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 537,2 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 537,32 Die Lehre] Der Glaube D2, D5 538,4 Jirku] berichtigt aus Zirker nach H, D2, D5 538,36 das Kapitel […] Die Lehre] Buber, Der Glaube D2, D5 538,39 Die Lehre] Der Glaube D2, D5

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Wort- und Sacherläuterungen: 353,2 Eduard Meyer] Eduard Meyer (1855-1930) war Althistoriker, Orientalist und Ägyptologe; sein Hauptwerk ist die fünfbändige Geschichte des Altertums (Stuttgart 1884-1902). 353,4-9 »Es hat denn auch […] geschichtliches Werk wäre.«] Eduard Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme. Alttestamentliche Untersuchungen, Halle 1906, S. 451. 353,Anm 1 »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« (1939)] Sigmund Freud, Der Mann Moses und die monotheistische Religion, Amsterdam 1939; Freud stellt in dieser Schrift Mose als Ägypter dar und vertritt die These, der jüdische Monotheismus sei das über Moses vermittelte Erbe der Religion des ägyptischen Pharaos Echnaton (14. Jh. v. Chr.) 353,18-20 »Mose und seine Zeit« […] Neuauflage 1932)] Hugo Greßmann, Mose und seine Zeit. Ein Kommentar zu den Mose-Sagen, Göttingen 1913; Paul Volz, Mose und sein Werk, 2. völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1932 (Ders., Mose. Ein Beitrag zur Untersuchung über die Ursprünge der Israelitischen Religion, Tübingen 1907.) 353,Anm 2 Ernst Sellins interessante Arbeiten] Der Alttestamentler und Archäologe Ernst Sellin (1867-1946) veröffentlichte zahlreiche Studien zum Alten Testament, in denen er oftmals theologische Fragen mit archäologischen Erkenntnissen verband. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: Mose und seine Bedeutung für die israelitisch-jüdische Religionsgeschichte, Leipzig 1922; Geschichte des israelitisch-jüdischen Volkes. Teil 1: Von den Anfängen bis zum babylonischen Exil, Leipzig 1924; Teil 2: Vom babylonischen Exil bis zu Alexander dem Großen, Leipzig 1932; Israelitisch-jüdische Religionsgeschichte, Leipzig 1933. Sellin vertrat die These von der Identität des leidenden Gottesknechts bei Deuterojesaja mit Moses; Buber, der die Gestalt des Gottesknechts als eine Reihe oder Abfolge anonymer, im Verborgenen gebliebener Gottesdiener versteht, legt seine These ausführlich in seiner Studie Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 334 ff., dar. 354,16-17 »Königtum Gottes« […] »Die Lehre der Propheten« (hebräisch, 1942)] Die erste Auflage von Königtum Gottes (1932) jetzt in: MBW 15, S. 93-241; die dt. Ausgabe der hebr. Veröffentlichung Die Lehre der Propheten erschien 1950 als Der Glaube der Propheten, jetzt in diesem Band, S. 137-350. 354,19 aus »Quellenschriften« (»Jahwist«, »Elohist«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 355,8-14 Ausführliche Darlegungen […] biblische Probleme abgefasst haben.] Vgl. Martin Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Ber-

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lin: Schocken Verlag 1936; jetzt in: MBW 14, S. 35-152; bes. Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, ebd., S. 211-238; jetzt in: MBW 14, S. 95-110. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 149,36-150,8. 355,29-36 »Ich würde für […] geschichtliche Erkenntnis an.«] Der Brief von Wartenburg an Dilthey stammt vom 8. Juni 1892. Vgl. Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck v. Wartenburg 1877-1897, Halle 1923, S. 144 f. 356,4-5 Der universale Sonnengott […] Amenophis’ IV.] Der ägyptische Pharao Echnaton, dessen ursprünglicher Name Amenophis IV. war (Regierungszeit im 14. Jh. v. Chr.), erhob den ägyptischen Sonnengott Aton zum Reichsgott und zerstörte die Kultstätten der meisten anderen Gottheiten, die damit ihre Funktion verloren. 356,20-21 dem Gotte zum »Munde« werden;] So Gott zu Moses in Ex 4,12. 356,27 meinem Freunde Dr. Ernst Simon] Der Religionsphilosoph und Pädagoge Ernst Simon (1899-1988) war ein enger Freund Bubers, mit dem zusammen er am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt in der jüdischen Erwachsenenbildung tätig war. Simon war außerdem von 1923 bis zu seiner Emigration nach Palästina 1928 Mitarbeiter an der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude. In Palästina war Simon Dozent für Geschichte und Philosophie der Pädagogik an der Hebräischen Universität in Jerusalem, an der er nach der Staatsgründung Israels ab 1950 eine Professur für Pädagogik innehatte. 358,33-35 wie in dem Lied der Debora […] ruft und rechtet.] Das Lied der Debora in Ri 5; vgl. dazu auch Bubers Kapitel »Der Geschichtssang der Debora« in Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 149-153. 358,38-39 Königslisten der Sumerer] Die Sumerer waren ein wahrscheinlich schon im 4., bestimmt aber im 3. Jahrtausend v. Chr. in Südmesopotamien lebendes Volk; sie gelten als eine der frühesten Hochkulturen und als Erfinder der Keilschrift. Eines der wichtigsten Zeugnisse der sumerischen Geschichte stellen die sumerischen Königslisten dar; sie verzeichnen auf einer Tontafel in Keilschrift sumerische und akkadische Herrscher vom Ende des 4. bis zum Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. mit Namen, Herrschaftsort und Herrschafsdauer. 359,36-37 »wie es eigentlich gewesen ist« (Ranke)] Leopold Ranke (1795-1886), Historiker und Historiograph, gilt mit seiner Forderung nach Objektivität, seiner Methode der systematischen Quellenforschung und der Quellenkritik als einer der Begründer der modernen

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Geschichtswissenschaft. Die Aufgabe des Historikers verstand Ranke so: »Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen.« Leopold von Ranke’s Sämmtliche Werke, Bd. 33/34: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber, Leipzig 1874, S. VII (= Vorrede zu den »Geschichten der romanischen und germanischen Völker«, 1824). 360,23 »brennenden Berg«] Vgl. Ex 19,18: »Der Berg Ssinai rauchte all, darob daß ER im Feuer auf ihn herabfuhr, sein Rauch stieg wie des Schmelzofens Rauch, all der Berg bebte sehr.« Auch Ex 24,17: »Das Ansehn SEINER Erscheinung war wie eines fressenden Feuers am Haupte des Bergs den Augen der Söhne Jissraels.« 360,29-30 »Historisierung des Mythos«] Der Ausdruck kam mit der Entwicklung der historisch-kritischen Bibelwissenschaft im 18. und 19. Jh. auf, die von der historischen Bedingtheit des Mythos ausging. Die moderne Bibelwissenschaft überwand jedoch die Vorstellung von der strikten Trennung der zum Gegensatzpaar stilisierten Begriffe »Historisierung« und »Mythisierung« und erkannte, dass die Historisierung des Mythos oft mit der Mythisierung der Geschichte einhergeht. 361,5-6 Der wundertätige Stab in seiner Hand] Vgl. Ex 4,17: »Und diesen Stab nimm in deine Hand, mit dem du die Zeichen tun sollst.« 361,8 wenn beim Niederstieg vom Sinai sein Antlitz strahlt] Vgl. Ex 34,29: »Es geschah, als Mosche vom Berge Ssinai herabstieg die zwei Tafeln der Vergegenwärtigung in Mosches Hand, als er vom Berg herabstieg – Mosche wußte aber nicht, daß von seinem Reden mit ihm die Haut seines Antlitzes strahlte«. 364,1-7 Die biblische Erzählung […] Namen erhalten haben.] Gemeint ist einerseits Josef, Sohn Jakobs, der vom Pharao, nachdem dieser ihn zum Verwalter über Ägypten und zu seinem Stellvertreter gemacht hat, den Ehrennamen »Zofnat Paneach« verleiht, den Buber in seiner Bibelübertragung mit »er sprichts zu, und man lebt auf« deutet (vgl. Gen 41,44 f.); Moses erhält seinen Namen von der Tochter des Pharao, die ihn als Säugling findet und adoptiert; der ägyptische Name leitet sich vom ägypt. Verb »gebären« ab, allerdings gibt die Bibel dem Namen eine andere Bedeutung, indem sie ihn von der hebr. Wurzel msh für »herausziehen« ableitet (vgl. Ex 2, 10). 364,14 Amarna-Zeit] Die Amarna-Zeit bezeichnet die Periode der späten 18. Dynastie der ägyptischen Pharaonen und umfasst damit das

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14. u. 13. Jh. v. Chr. mit den Pharaonen Echnaton und Semenchkare (zu Echnaton, den einige Theorien in Verbindung zu Moses und dessen Gottesbild setzen, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 180,1011; Thomas Mann legt in seiner Joseph-Tetralogie (Joseph und seine Brüder, 1933-1943) Josephs Zeit in Ägypten in die Herrschaftszeit Echnatons). Die Bezeichnung Amarna-Zeit kommt von der Benennung der Ruinen der altägyptischen Hauptstadt zur Regierungszeit Echnatons (am Ostufer des Nils, ca. 310 km südlich von Kairo gelegen) als Amarna; Echnaton gründete hier zu Ehren des Gottes Aton seine neue Hauptstadt Achet-Aton. Buber nennt keine Quelle für die Erkenntnisse über die Amarna-Zeit, die er im Folgenden darstellt; es kann aber angenommen werden, dass ihm Übersetzungen und Erläuterungen der sog. Amarna-Briefe oder Amarna-Tafeln bekannt waren und die von ihm hier vermittelten Erkenntnisse über die Amarna-Zeit auf diesen beruhen (vgl. die bis heute grundlegende Edition von Knudtzun: Die El-Amarna-Tafeln, mit Einleitung und Erläuterungen herausgegeben von Jørgen Alexander Knudtzon, bearbeitet von Otto Weber u. Erich Ebeling, 2 Bde. Leipzig 1908-1915). Bei den Amarna-Tafeln handelt es sich um ein umfangreiches Archiv von Tontafeln in akkadischer Keilschrift, das hauptsächlich aus diplomatischer Korrespondenz zwischen der ägyptischen Staatsverwaltung und Repräsentanten anderer Großreiche oder unabhängiger Reiche des östlichen Mittelmeeres oder auch mit Vasallenstaaten besteht. Die Gesamtkorrespondenz umfasst einen Zeitraum ca. von 1360 bis 1330 v. Chr.; der Fundort der Amarna-Tafeln ist die Residenz des Pharaos Echnaton in Achet-Aton, heute Amarna. 364,23-24 der semitischen Hyksos-Könige] Die Hyksos-Könige waren eine Gruppe fremder Könige, die von ca. 1648 bis 1550/1540 v. Chr. in Ägypten herrschte; der Name Hyksos ist ein Herrschertitel, keine Volksbezeichnung – die Hyksos setzten sich aus verschiedenen ethnischen Elementen zusammen. Die Ägypter bezeichneten den ersten Hyksos-König als Heka-chasut, gräzisiert Hyksos, »Herrscher fremder Länder«; die Eigennamen der Hyksos stammen aus dem westsemitischen Sprachraum, was zu der Vermutung führt, dass sie mehrheitlich Kanaanäer oder Amoriter waren. Die dreibändige, nur noch in Abschriften erhaltene Chronik zur altägyptischen Politik, Religion und Geschichte des ägyptischen Geschichtsschreibers Manetho (drittes Jahrhundert v. Chr.) unter dem Titel Aegyptiaca. Geschichte Ägyptens von den ältesten Zeiten an bis zur makedonischen Eroberung gilt als Hauptquelle für die altägyptische Geschichte, der vermutlich auch Buber seine Informationen über die Hyksos-Könige verdankte. Unter

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dem altägyptischen König Kamose (Regierungszeit ca. 1554-1550 v. Chr.) aus dem thebanischen Herrschergeschlecht der Ahmosiden begann die Vertreibung der Hyksos aus Ägypten, die sich schließlich bis nach Südpalästina zurückzogen. 364,35-36 Die Äusserung der […] Geschenk des Nils] In seinen Historien überliefert der griech. Geschichtsschreiber Herodot einen ägyptischen Schöpfungsmythos, den ihm ägyptische Priester in Heliopolis erzählt haben. Vgl. Herodot, Historien, II. Buch, 5, 1. 365,8-9 die Dämonen […] Unterwelt ziehen] Nach ägyptischem Glauben fuhr der altägyptische Sonnengott Re tagsüber mit einer Barke über den Himmelsbogen und nachts durch das Wasser der Unterwelt; bei seiner Fahrt durch die Unterwelt wurde er von neun Göttern der Unterwelt begleitet. 365,15-17 wie es in einem Pyramidentext […] auswirft] Die Pyramidentexte sind eine Sammlung religiöser Sprüche, die an den Innenwänden verschiedener Pyramiden aus der Zeit des Alten Reiches angebracht waren; sie stellen die größte zusammenhängende Sammlung altägyptischer Texte dar. In den Pyramidentexten wird der Pharao als »Sohn des Chnum« bezeichnet; der ägyptische Gott Chnum wird als Schöpfergott und als Hüter des lebenspendenden Nil angesehen, dessen jährliche Überschwemmung er hervorbringt; Skorpion war ein altägyptischer König der vordynastischen Zeit, dessen Regierungszeit um 3200 v. Chr. liegt. 365,36-37 Breasted hat in seinem schönen Buche »The Dawn of Conscience«] James Henry Breasted, The Dawn of Conscience, New York u. London 1933. Der amerikanische Ägyptologe James Henry Breasted (1865-1935) vertritt in seiner Studie die These, dass die biblisch fundierten moralischen und sozialen Vorstellungen bereits lange vor ihrer angenommenen Offenbarung an die Israeliten als Maßstäbe des altägyptischen Denkens entwickelt wurden. 367,1 »Totenbuch«] Sammlung von ca. 200 magischen Sprüchen und liturgischen Anweisungen; der ägyptische Titel lautet übersetzt »Sprüche vom Herausgehen am Tage«. Den Namen »Totenbuch« verdankt die Sammlung dem Umstand, dass sie dem Toten bei der Bestattung mit ins Grab gelegt wurde, um ihn so mit dem notwendigen Wissen über das Totenreich auszustatten, damit er dessen zahlreiche Gefahren überstehen kann. Die Bezeichnung »Totenbuch« wurde von dem deutschen Ägyptologen Carl Richard Lepsius (1810-1884) geprägt, der 1842 ein ptolemäisches Totenbuch-Papyrus unter dem Titel Das Todtenbuch der Ägypter herausgab (Das Todtenbuch der Ägypter. Nach dem Hieroglyphischen Papyrus in Turin, mit einem Vorworte

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zum ersten Male herausgegeben von Dr. R. Lepsius, Leipzig 1842) und in dieser Edition den Ausdruck erstmals benutzte, der sich danach als Terminus in der Ägyptologie etablierte. 367,24 Habiru] Buber stellt im Folgenden die Erkenntnisse, die die Forschung seiner Zeit über die Habiru gewonnen hatte, ausführlich dar; diese decken sich weitgehend auch noch mit dem heutigen Forschungsstand. Für die Frühgeschichte Israels und die Geschichte Ägyptens sind Belege zu den Habiru, die sich in den Amarna-Tafeln finden (vgl. dazu die Wort- und Sacherläuterung zu 364,14) von besonderem Interesse. 369,7-11 in einem sumerischen Hymnus […] nicht begräbt.«] Zu den Sumerern vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 358,38-39. Die sumerische Literatur gilt als die älteste Literatur der Welt, ihre Texte sind allerdings nur in Abschriften aus altbabylonischer und assyrischer Zeit erhalten. Zu den ältesten literarischen Texten in sumerischer Sprache gehören die Hymen, die zum größten Teil Preisungen der Götter und Könige darstellen. Als bedeutendstes Werk der sumerischen Literatur gilt das Gilgamesch-Epos; zu der Beschreibung des Amoriters des Westlandes, die Buber hier wiedergibt, vgl. William Foxwell Albright, Von der Steinzeit zum Christentum. Monotheismus und geschichtliches Werden, ins Deutsche übertragen von Irene Lande, München 1949, S. 164. 369,12-15 »Da ist der elende Fremdling […] wird nicht besiegt«.] Horus ist ein Hauptgott und einer der ältesten Götter in der ägyptischen Mythologie, der im Laufe ihrer Entwicklung zahlreiche unterschiedliche Wesensformen angenommen hat. Seinem ursprünglichen Wesen nach in der frühen ägyptischen Mythologie war er ein Himmelsgott; sein Symbol ist der Falke; für das Zitat siehe: Adolf Erman, Die Literatur der Aegypter. Gedichte, Erzählungen und Lehrbücher aus dem 3. und 2. Jahrtausend v. Chr., Leipzig 1923, S. 116. 369,18-22 in den »Ermahnungen […] (des Delta)«.] Buber zitiert hier aus den »Klagen des Ipuwer«, ein fragmentarisch erhaltener Text auf Papyrus, vermutlich verfasst am Ende des Mittleren Reiches im 2. Jahrtausend v. Chr. Bei den »Klagen des Ipuwer« handelt es sich um einen Dialog zwischen dem »Weisen« Ipuwer und einem »Weltherrn«, wahrscheinlich dem König. Ipuwer schildert dem König den chaotischen Zustand der Welt, gekennzeichnet von gesellschaftlichem Aufruhr, dem Eindringen Fremder in das eigene Land und einem schwachen Königtum; eine Deutung, v. a. der älteren Forschung, der Buber zu folgen scheint, versteht den Text als Darstellung des Niedergangs des Alten Reiches in der Mitte des 3. Jahr-

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tausends v. Chr. Buber zitiert die Abschnitte 3,1 und 4,4 aus den »Klagen des Ipuwer«; vermutlich kannte er die erste Übersetzung des Textes von Alan Gardiner, The Admonitions of an Egyptian Sage, from a Hieratic Papyrus in Leiden, Leipzig 1909, vgl. dort S. 30 u. 38. 369,24-29 wie bei den Iraniern […] über das Böse enden werde.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterungen zu 331,12 u. 590,1-3. 369,36 »die Mauer des Westens«] Auch »Amoriter-Mauer«; die Amoriter, die in der 2. Hälfte des 3. Jahrtausends erstmals in Texten aus Mesopotamien auftauchen und deren Name vermutlich nach ihrer Herkunft »Westen/westlich« bedeutet, wurden in der sog. Ur-III-Zeit im letzten Drittel des 3. Jahrtausends zunehmend als Bedrohung empfunden, weswegen die sumerischen Herrscher von Ur eine Mauer errichteten, um die Eindringlinge fern zu halten; die Ur-III-Zeit markiert die Zeit der dritten Dynastie der alten sumerischen Stadt Ur und gleichzeitig die letzte Phase der sumerischen Geschichte. 369,38 »die Mauer des Herrschers«] Zur Beginn der 12. Dynastie unter dessen erstem Pharao Amenemhet I. (Regierungszeit ca. 1994 bis 1975 v. Chr.) errichtete dieser im Osten des Deltas eine Verteidigungslinie, die sog. Mauer des Herrschers. 369,38-40 »um die Fremdscharen […] Vieh zu tränken«] Vgl. Altorientalische Texte und Bilder zum Alten Testament, hrsg. von Hugo Greßmann, Tübingen 1909, S. 206. 370,13-14 von denen einer das ottomanische Reich gegründet hat] Begründer der osmanischen Dynastie und des Osmanischen Reiches war Osman I. (1258-1324/1326); die Bezeichnung Ottomanisches Reich geht auf die arabische Namensform Uthman für Osman zurück. Osman I. war Clanführer eines halbnomadischen Stammes in Anatolien im Grenzgebiet des byzantinischen Reiches; er löste sich Anfang des 14. Jahrhunderts aus der Abhängigkeit vom Sultanat der Rum-Seldschuken und gründete mit dem offiziellen Titel eines Fürsten sein eigenes Herrschaftsgebiet. 370,14 Condottieri] Pl. (Sg. condottiere); Bezeichnung für Söldnerführer, wie sie in Italien vom Spätmittelalter bis ins 16. Jh. von Stadtstaaten beschäftigt wurden. 370,Anm 11 Vgl. Buber […] S. 30 f.)] Für Bubers Verweis auf die hebr. Ausgabe von Der Glaube der Propheten vgl. die dt. Ausgabe, in diesem Band, S. 170 f.; zum Zeitpunkt des Erscheinens von Moses war die deutsche Ausgabe von Der Glaube der Propheten noch nicht erschienen; für Dtn 26,5 siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 170,15. 370,33-36 jener Grossvater […] »Tettisch der Habiru«] Bubers Quelle konnte nicht ermittelt werden.

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371,13 Gottesbezeichnung Elohim] elohim, hebr. für »Gott«, ist die Bezeichnung für Gott allgemein, wird aber in der Bibel vorwiegend als Eigenname des Gottes Israel gebraucht; es handelt sich eigentlich um eine Pluralform; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 129,3738. 371,Anm 14 Vgl. Buber Königtum […] S. 29 ff.] Zu Königtum Gottes, vgl. jetzt in: MBW 15, S. 139-142; zu Der Glaube der Propheten, vgl. in diesem Band, S. 169-173. 372,10 die ägyptische Königin Hatschepsut] Altägyptische Königin der 18. Dynastie, sie regierte ca. 1479-1458 v. Chr. Hatschepsut war die Gemahlin des Königs Thutmosis II., der ca. 1492-1479 v. Chr. regierte; nach seinem Tod übernahm Hatschepsut die Regierungsgeschäfte, da Thutmosis III., der der Ehe des Königs Thutmosis II. mit einer Nebenfrau entstammte, bei der Thronbesteigung noch ein Kind war; sie machte sich zur Alleinherrscherin, bis Thutmosis III. ca. in seinem 20. Regierungsjahr die Alleinherrschaft übernahm. 372,13 Vertreibung der Hyksos] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 364,23-24. 373,4 sarazenischen Kultur] Die Sarazenen waren ursprünglich ein Nomadenstamm, der im Nordwesten der arabischen Halbinsel lebte. Nach und nach wurde die Bezeichnung »Sarazenen« in der Spätantike auch auf andere Stämme der vorislamischen Zeit ausgeweitet, und im Zuge der islamischen Expansion ab dem siebten nachchristlichen Jahrhundert wurden die eindringenden arabischen Völkerschaften schlechthin als »Sarazenen« bezeichnet. 373,30-31 seinen »Eingeweihten«] Vgl. Gen 14,14 in der Übersetzung von Buber/Rosenzweig: »Als Abram hörte, daß sein Bruder gefangen war, schüttete er seine Eingeweihten, seine Hausgebornen aus, dreihundertundachtzehn, und folgte bis Dan.« Das hebr. Wort ‫חניכיו‬, das sich an dieser Stelle in V. 14 findet und auf das sich Buber bezieht, bedeutet auch »seine Lehrlinge« oder »seine Zöglinge«, so kommt Buber zu der Bedeutung »seine Eingeweihten« (vgl. auch seine Anm.) 374,5-17 den Gott seiner Gemeinschaft […] eigene Überlegenheit zu wahren] Vgl. Gen 14,19-23. In seinem Aufsatz »Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs« (S. 235; jetzt in MBW 14, S. 108) nennt Buber die hier im 14. Genesis-Kapitel berichtete Begebenheit einen »religionsphänomenologisch bedeutsamen Identifikationsakt«, wenn Abraham nach der Segnung durch Malkizedek dem Namen »JHWH« für seinen Gott die von Malkizedek verwendete Gottesbezeichnung des »Hohen Gottes« als Apposition hinzufügt.

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374,Anm 23 In einem epischen Text […] »Hervorbringerin« der Götter genannt.] Zu den Texten aus Ras Schamra vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,8; zu dieser Bezeichnung der obersten Göttin, vgl. Hans Bauer, Die Gottheiten von Ras Schamra, S. 89 f. 375,12 Bileam-Spruch] Zum Propheten Bileam vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 444,22-23. 375,13-17 was man vielleicht dahin […] (goj, eigentlich: Leib) ist.] Buber deutet hier die Unterscheidung zwischen den hebr. Wörtern goj und am an, die er im Folgenden weiter ausführt. Vgl. hierzu auch Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102-113; hier S. 109 f. und die Wort- und Sacherläuterung zu 107,35-108,1. 375,17-20 Die Josefsgeschichte […] zur Siedlung überlassen wird.] Vgl. Gen 45,10; 46,31-34; 47,27. 375,37-318,4 Hier steht für »Volk« […] einfachster Ausdruck gegeben.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 375,13-17; zu ʿ ammi vgl. Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104. 377,4-5 Lande Gosen, im östlichen Delta] Das Land Goschen (auch Gosen), in dem die Stämme Israels siedelten (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 375,17-20), befindet sich wahrscheinlich zwischen dem östlichen Nildelta und dem heutigen Suezkanal; da Gen 47,11 das Land als »Land Ramses« bezeichnet, handelt es sich wohl um das Gebiet um die Ramses-Residenz. 377,19-20 Hyksosherrschaft] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 364,23-24. 377,21-23 Thutmosis III. […] des 15. Jahrhunderts fällt] Zu Hatschepsut und ihrer Herrschaft während der gleichzeitigen Regierungszeit von Thutmosis III. vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 372,10. Der Gemahl Hatschepsuts war allerdings nicht Thutmosis III., sondern Thutmosis II.; Thutmosis III. war der Stiefsohn Hatschepsuts und bei seiner Thronbesteigung noch ein Kind; er regierte von 1479 bis 1425 v. Chr., davon als Alleinherrscher ab ca. 1458 v. Chr. Die Gemahlin Thutmosis’ III. trug den Namen Meritre Hatschepsut; sie war die Hauptfrau des Königs und Mutter von Amenophis II; es ist möglich, dass Buber hier Hatschepsut, die Gemahlin des Königs Thutmosis II und Stiefmutter von Thutmosis III., und Meritre Hatschepsut, die Gemahlin des Königs Thutmosis III., verwechselt. 377,24 seines Nachfolgers] Nachfolger von König Thutmosis III. war dessen Sohn Amenophis II.; Regierungszeit ca. 1426-1400. 378,20-25 dem vielbesprochenen […] auf den Thron brachte] Sargon von Akkad (Regierungszeit 2356 bis 2300 v. Chr.), war der Dynastiegründer und Begründer des Reiches von Akkad in Mesopotamien.

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Das akkadische Reich war das erste zentral verwaltete Großreich in der Geschichte Mesopotamiens, das von einer Dynastie regiert wurde; gleichzeitig war es der erste Staat, der von einer semitischen Führungsschicht getragen wurde und dessen offizielle Sprache eine semitische, nämlich das Akkadische, war (zum Akkadischen vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 149,21). Die von Buber hier berichtete Legende findet sich in der Sumerischen Königsliste (vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 358,38-39) sowie in der Sumerischen Sargonlegende, deren Datierung ungewiss ist und deren Text in unvollständigen neuassyrischen Abschriften und einem neubabylonischen Fragment erhalten ist (vgl. Walter Beyerlin (Hrsg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament, 2. Aufl. Göttingen 1985, S. 123, wo der Legendentext auch wiedergegeben ist). 379,27 »der (aus dem Nil) Gezogene«] Vgl. Ex 2,10; zur Bedeutung und Etymologie des Namens vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 364,1-7. 379,35-36 »Er gedachte […] mosche ʿ ammo] Vgl. Jes 63,11. 379,Anm 33a Vgl. Ibn Esra zur Stelle.] Vgl. The commentary of Ibn Ezra on Isaiah, edited from mss. and translated, with notes, introductions and indexes, by M. Friedländer, London 1873 (reprint New York 1964), S. 288. 380,2-4 »Wo ist, der sie […] seinen heiligen Geist?«] Vgl. Jes 63,11. 380,6-10 in echt biblischer Komposition […] auf das Wesentliche hin.] Buber weist hier auf die hermeneutische Methode des Leitworts als eines zentralen Kompositionsstils der Bibel hin. Vgl. dazu die Wortund Sacherläuterung zu 149,36-150,8. 380,39-381,3 Was nun folgt […] als Idyll verstanden] Vgl. Ex 2,16-22. 381,3-4 Jakobs Begegnung mit Rahel am Brunnen] Vgl. Gen 29,1-14. 381,6 Midianitern oder Kenitern] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 163,10-11; verschiedene Anspielungen Bubers in dieser Textpassage (z. B.: »(gleichviel ob dieses mit dem Berg Sinai auf der Sinai-Halbinsel oder im nordwestlichen Arabien oder sonstwo zu suchen ist)«; »welche sich Israel auf seinem Auszug aus Ägypten angeschlossen hatten«) deuten schon auf die sog. Keniter-Hypothese hin, wonach der Gott Israels zuerst ein Wüstengott im Land Midian war, der auf einem Berg wohnte, bevor ihn Moses für die Israeliten »entdeckte«, und auf die Buber im folgenden Kapitel direkt zu sprechen kommt (vgl. unten, S. 385 ff.; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 587,10). 382,1-397,8 Der brennende Dornbusch […] die Erfahrung ist einsam.] Vgl. zu den in diesem Kapitel von Buber verhandelten Fragen auch

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den Abschnitt »3. JHWH und Israel« in Bubers Schrift Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 163-168. 383,32-34 »in der Lohe des Feuers« […] bleibt unversehrt«] Ex 3,2. 383,36-37 »Ich will doch hintreten […] nicht verbrennt.«] Ex 3,3. 384,13-14 die des Pythagoras] Die Sage von »Pythagoras in der Schmiede«, die in römischer Zeit erzählt wurde, berichtet, wie der griech. Philosoph Pythagoras von Samos (um 570-um 480 v. Chr.) in einer Schmiede in den Tönen der Hämmer Harmonien erkannt und herausgefunden habe, dass die Konsonanz vom Gewicht der Hämmer abhing. Daraufhin habe er Experimente mit unterschiedlich schweren, an gleich langen Saiten aufgehängten Metallkörpern unternommen und herausgefunden, dass die Tonhöhe vom Gewicht der Metallkörper abhänge. Diese Experimente des Pythagoras wurden zur Grundlage musiktheoretischer Beschreibungen von Intervallen. Seit der Neuzeit weiß man allerdings, dass die Angaben der PythagorasLegende physikalisch falsch sind. 384,14-15 alexandrinische Ausgestaltung der Lebensgeschichte Moses] Der hellenistisch-jüdische Philosoph Philon von Alexandria schrieb eine Geschichte des Lebens Moses (De vita Mosis / Über das Leben Moses), die zu Philons apologetischen Schriften zählt. In ihr zeichnet Philon ein idealisiertes Bild von Moses’ Jugend und Erziehung, seiner Tätigkeit als politischer Führer, Gesetzgeber, oberster Priester und Prophet; um die Philosophie Moses’ zu erklären, interpretiert Philon das Leben und die Taten Moses’ auf allegorische Weise, um hierdurch die Allgemeingültigkeit des Pentateuch beweisen zu können. Vgl. Philon von Alexandria, Über das Leben Mosis, in: Die Werke Philos von Alexandria, in deutscher Übersetzung, hrsg. von Leopold Cohn, Bd. 1, Breslau 1909, S. 221-365. 384,Anm 40 noch unveröffentlichten Kommentar Jacobs zu Exodus] Vgl. Benno Jacob, Das Buch Exodus, nach dem bis 1943 überarbeiteten und revidierten Manuskript herausgegeben im Auftrag des Leo Baeck Institutes, Stuttgart 1997 (vgl. Das zweite Buch der Tora. Exodus. Übersetzt und erklärt von Benno Jacob, aus dem Nachlass des 1945 verstorbenen Verfassers, hrsg. von Ernest I. Jacob, Microfilm, Publikationsort und -Datum unbekannt). 384,38 »Da bin ich«] Ex 3,4. 385,6 »zu seinen Brüdern«] Vgl. Ex 2,11. 385,Anm 42 Eine ausführliche Kritik […] S. XXXI ff. gegeben.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 248-251; vgl. auch schon die Wort- und Sacherläuterung zu 381,6. Auch in seiner Schrift Der Glaube der Propheten geht

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Buber an verschiedenen Stellen auf die »Keniter-Hypothese« ein, siehe v. a. in diesem Band, S. 163-168. 385,21 Tabor] Zum Berg Tabor vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,21. 387,12-13 So hatte Abraham […] JHWH wieder erkannt] Vgl. Gen 14,22; zur religionsgeschichtlichen Interpretation dieser Stelle durch Buber vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 374,5-17. 387,13-14 Abrahams Kebsweib, der ägyptischen Magd] Gemeint ist Hagar, die Magd von Abrahams Frau Sarah, mit der Abraham den Ismael zeugte. Vgl. Gen 16,1-15. 387,24-25 imperialistischen Theologie Amenophis’ IV.] Zur Religionspolitik des ägyptischen Pharaos Amenophis IV., auch Echnaton, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 180,10-11. 387,Anm 45 Vgl. Buber, Die Lehre der Propheten S. 36 ff.] Vgl. in diesem Band, S. 173-175. Bubers Erörterungen, die er an dieser Stelle des Moses zum Phänomen der »Identifizierung« anstellt, finden sich bereits in ähnlicher Weise in der angegebenen Passage in Der Glaube der Propheten. 387,29-31 nicht bloss als […] als den Gott seines Vaters bezeichnet.] Vgl. Ex 3,6. 387,31-32 Text der Samaritaner] Die Samaritaner waren eine religiöse Gruppierung, die sich im 5./4. Jh. v. Chr. innerhalb des religiös heterogenen jüdisch-israelitischen Bevölkerungsspektrums der damals persischen Provinz Samariens konstituierte. Kennzeichnend für die Samaritaner, die prinzipiell auf die Tora verpflichtet waren, war ihre kultische Ausrichtung nicht auf den Tempel in Jerusalem, sondern auf ihr eigenes Heiligtum auf dem Berg Garizim bei Nablus (biblisch Sichem); innerhalb der jüdisch-israelitischen Religiosität unterschieden sie sich so lange Zeit primär durch ihren Kultort Garizim. Im Zuge der Kanonisierung der heiligen Schriften des Judentums Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. trennten sich die Samaritaner dann allerdings als eigenständige Religionsgemeinschaft vom Judentum ab, da sie die Prophetenbücher und die Schriften (hebr. ketubim, das sind die poetischen Schriften, die fünf Festrollen – Rut, Hoheslied, Kohelet, Klagelieder, Ester – und die späteren geschichtlichen Schriften) ablehnten und nur den Pentateuch als ihre heiligen Schriften kanonisierten. Darüber hinaus prägten die Samaritaner eine spezielle Form des Pentateuch aus, den sog. »Samaritanischen Pentateuch«; damit verbunden ist eine besondere Verehrung Moses’, der für die Samaritaner als der Prophet schlechthin gilt; auch die Messiasgestalt wird

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im Glauben der Samaritaner kein König, sondern ein Prophet, wie Moses es war, sein. 388,6-7 »Gesehn, gesehn […] in Ägypten«] Ex 3,7. 388,7-8 »Führe heraus […] aus Ägypten«.] Ex 3,10. 388,31-32 die zwei ersten Einsprüche des Widerstrebenden] Vgl. Ex 3,11 u. 13. 388,34-35 und den letzten andererseits] Vgl. Ex 4,10. 388,36-37 Mose fragt, womit […] Wunderzeichen zu tun.] Vgl. Ex 4,1-9. 389,22 »Wohl, ich werde dasein bei dir«] Ex 3,12. 390,16-17 »Geh, ich selber werde […] was du reden sollst.«] Ex 4,12. 390,25-27 Man muss die beiden […] im Blickfeld behalten] Vgl. Ex. 3,14; vgl. hierzu auch Martin Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104. 391,21-27 Was »Schaddai« ist […] begründende Macht] Die Bedeutung des Namens Schaddai ist unklar und auch in biblischen Texten, anders als beim Tetragrammaton (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14), nicht überliefert; zum sechsmaligen Vorkommen von El Schaddai in Genesis siehe Gen 17,1; Gen 28,3; Gen 35,11; Gen 43,14; Gen 48,3; Gen 49,25. 391,Anm 49 Vgl. Buber […] angegebene Literatur] Die entsprechenden Passagen aus Buber, Königtum Gottes, jetzt in: MBW 15, S. 145, 217 f., 536. Bei Bubers Verweis auf Die Schrift und ihre Verdeutschung handelt es sich hier um den Aufsatz von Franz Rosenzweig, »›Der Ewige‹. Mendelssohn und der Gottesname«, ebd., S. 184-210; die entsprechenden Passagen aus Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 166-168, 174 f. 392,3-6 »Vielleicht ist der Name […] der Eine, Unnenbare.«] In einer Anmerkung in seiner Schrift Königtum Gottes, in der Buber die gleiche Äußerung Duhms zitiert, gibt er an, diese einer Vorlesungsnachschrift entnommen zu haben (vgl. Buber, Königtum Gottes, S. 236, jetzt in MBW 15, S. 536). Genaueres zu Bubers Quelle konnte nicht ermittelt werden. Bernhard Duhm (1847-1928) war ein protestantischer Theologe, dessen alttestamentliche Forschungen v. a. zu den Prophetenbüchern weitreichende Bedeutung erlangten; Buber verweist in Der Glaube der Propheten an mehreren Stellen auf Duhms Jesaja-Kommentar (Das Buch Jesaja, übersetzt und erklärt von Bernhard Duhm, 2. verbesserte Aufl. Göttingen 1902). 392,8 Dschelaleddin Rumi] Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī (kurz Rumi genannt; 1207-1273) war ein Sufi-Mystiker (ein Derwisch – Angehöriger einer muslemischen asketisch-spirituell ausgerichteten Gemein-

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schaft) und einer der bedeutendsten persischen Dichter des Mittelalters. 392,20-21 dass etwa im […] gebildet wurden] Bestandteil des DionysosKults war der freudevolle Ruf »Euai«; gleichzeitig wurde Dionysos selber so bezeichnet, als »Dionysos Euios«, »Er, der freudvolle Ruf Euai«. 392,29 (Genesis 49, 18)] Vgl. Bubers Übersetzung: »Zu deiner Freiheit streck ich mich, DU!« Der Vers unterbricht die Segnungen Jakobs über seine Söhne und steht zwischen den Segnungen an Dan und Gad. 393,38-394,5 Auf seine Frage […] aber nicht sein an sich.] Vgl. auch Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104. 395,22-32 Aber als, kurz vor […] auf jenes hin.] Vgl. dazu auch Buber ähnlich in: »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 105; sowie Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 243 f. 395,33-34 »Dann werden die Ägypter erkennen, dass ich JHWH bin«] Vgl. z. B. Ex 7,5; Ex 14,4.18. 395,34-35 »Ihr werdet erkennen, dass ich JHWH bin«] Vgl. z. B. Ex 6,7; Ex 10,2. 396,22 »Elohisten«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 396,40 Bne Jisrael] Hebr.: »Söhne Israels«; biblische Bezeichnung für das Volk Israel. 398,2-9 Da Mose sich […] dem Überfallenen ab.] Die von Buber beschriebene Begebenheit wird in Ex 4,24-26 berichtet; das Zitat aus Ex 4,26. 398,7-8 chathan-dammim] Gewöhnlich übersetzt mit »Blutsbräutigam«; vgl. Bubers Erläuterung im Folgenden; vgl. auch Bubers Deutung dieser Stelle in Der Glaube der Propheten: »Dies ist die älteste Offenbarung der Gnade: die echte Gnade ist eine Todesgnade, eine Begnadigung – der Mensch schuldet, urschuldet sich dem Gott.« (In diesem Band, S. 187.) 399,24-28 Man erzählte sich […] ihn hinweggenommen.] Gemeint ist Henoch; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 122,27-28. 399,33 aus Aram nach Kanaan zurückkehren heisst] Die Rückkehr Jakobs von seinem Onkel Laban aus Aram zu seinem Vater Isaak nach Kanaan. 399,38-400,1 Zum Unterschied von […] besteht Jakob die Probe.] Vgl. Gen 32,23-30. 400,35 (6, 12, 30)] Es muss heißen: Ex 6,12, 29. 401,9-12 Moses wird (4, 16) […] ein »Gott« genannt.] Zur einsprechenden göttlichen Macht und dem aussprechenden prophetischen Men-

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schen vgl. auch Martin Bubers kleiner Beitrag zur Monatsschrift Der Jude aus dem Jahr 1916 mit dem Titel »Mose«, in diesem Band, S. 57. 402,15-16 »Keiner wird Prophet, der nicht zuvor ein Hirt war«] Vom Propheten Mohammed ist überliefert, dass er als junger Mann Schafhirte war. 404,4-5 Unsere Frage […] Mose angehöre.] Einordnungen der Figur des Mose reichen von Moses als Volks- oder Religionsgründer, als Gesetzgeber, als Reformator, der als Ägypter die religionspolitischen, monotheistisch ausgerichteten Reformen des Pharaos Echnaton übernommen und diese dem israelitischen Volk vermittelt habe (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 180,10-11), bis zu Moses als eine aus ägyptischen Quellen bekannte historische Figur. 404,7-11 ist es offenkundig […] »Künder« Israels berichten.] Vgl. auch Buber über die Aufgabe und den Begriff des Nabi, »des Künders«, in Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 191 f.; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 401,9-12. 404,21-22 wie sie etwa von Elia und besonders von Elisa erzählt wurden] Die Bibel zeichnet das Bild eines engen Verhältnisses zwischen den Propheten Elia und Elisa (vgl. z. B. die Erzählung von der Entrükkung Elias, II Kön 2,1-14); Elisa wird der Nachfolger Elias, zu dem nach dem Bericht in I Kön 19,19-21 Elia Elisa selbst bestimmt; zu den Wundertaten Elias siehe I Kön 17,8-16, 17-24; II Kön 1,9-17; II Kön 2,8; für den Propheten Elisa berichtet die Bibel von zahlreichen Wundertaten, vgl. dazu II Kön 2,14; II Kön 2,19-24; II Kön 4,17, 8-37, 38-41, 42-44; II Kön 5,1-14; II Kön 6,1-7. 406,23 (goj)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung 375,13-17. 407,23-24 jenes Motiv ʿ ammi der Gottesrede] Vgl. Ex 3,7 u. 10; vgl. auch Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104. 407,40-408,1 Jetzt hören sie nicht […] zu hören haben.] Vgl. Ex 6,9 und Ex 19-20. 409,5-9 Und da, […] schreit er.] Vgl. Ex 12,29-31. 410,6 »ätiologische« Sage] Eine sagenhafte Erzählung, die eine ungeklärte Gegebenheiten der Gegenwart, wie etwa Bräuche, Ereignisse, heilige Orte, Naturerscheinungen, landschaftliche Gegebenheiten – in diesem Fall die Festbräuche des Passahfestes –, aus Vorgängen in der Vergangenheit erklärt. Buber impliziert hier – und so das gängige Verständnis eines ätiologischen Textes –, dass die ätiologische Sage schon allein deshalb für historisch zweifelhaft erklärt wird, weil sie ätiologisch ist. Dagegen ist einzuwenden, dass der ätiologische Charakter eines Textes an sich noch nichts darüber aussagt, ob die in

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ihm erzählten Ereignisse der historischen Wirklichkeit entsprechen oder nicht. 411,5-6 So setzt Mose das uralte heilige Hirtenmahl neu ein] Ein interessanter Hinweis darauf, dass sich Bubers Annahme, die Einsetzung des Pessachfestes durch Moses sei die Erneuerung einer viel älteren Tradition eines heiligen Hirtenfestes, auch schon in älteren jüdischen Erzähltraditionen findet, ist eine Erzählung, die der hebräische Schriftsteller und Mythenforscher Micha Josef Berdyczewski (18651921) in die von ihm unter seinem Schriftstellerpseudonym Bin Gorion herausgegebene Sammlung Die Sagen der Juden (3 Bde., 2. verm. Aufl. Frankfurt a. M. 1919) aufgenommen hat. Die Erzählung handelt von dem Abend und der Nacht, als Isaak seinen erstgeborenen Sohn Esau segnen will und ist überschrieben mit »In der Passahnacht«; es heißt dort: »Es kam die Passahnacht, und Isaak rief seinem ältesten Sohne und sprach: Mein Sohn, in dieser Nacht loben alle den Herrn, in dieser Nacht werden die Kammern aufgetan, da der Tau aufbewahrt wird; mache mir ein Mahl zurecht; solange ich noch am Leben bin, will ich dich segnen.« (Bin Gorion, Sagen der Juden, Bd. 2, S. 381 f.) Dass es sich bei dieser Nacht um die Pessachnacht gehandelt habe, ist ein Anachronismus, aber es ist möglich, dass die Erzählung darauf hinweisen will, dass es sich bei der Nacht der Segnung seines Erstgeborenen durch Isaak um eine außergewöhnliche Nacht handelte, in der ein heiliges Fest ähnlich dem späteren Pessachfest gefeiert wurde. 411,33-34 »Ein Passah ist es für JHWH«] Ex 12,11. 412,15-17 »Und sollt ihr’s essen […] für JHWH«.] Ebd. 412,35-36 wie später Jesus durch die Einsetzung eines neuen Sinns und Sinnbilds.] Das »Abendmahl«, auch »letztes Abendmahl«, das Jesus laut neutestamentlicher Tradition mit seinen Jüngern zur Zeit des Pessachfestes in Jerusalem am Abend vor seiner Hinrichtung am Kreuz feierte und zum Gedenken an seinen Tod und seine Auferstehung einsetzte; die Symbole sind Brot und Wein; vgl. Mt 26,2628; Mk 14,22-26; Lk 22,1-20; 1 Kor 11,23-26. 413,7-9 wiewohl er […] abgeschwächter Form, fortlebt.] Zu den Samaritanern vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 387,31-32. Für die Samaritaner stellt das Pessachfest das höchste aller Feste dar; es wird bis heute streng nach den Vorschriften aus Ex 12 auf dem Garizim, dem heiligen Berg der Samaritaner, gefeiert, indem Lämmer geopfert und deren gegartes Fleisch noch in der Pessachnacht zusammen mit Bitterkräutern und ungesäuertem Brot gegessen wird. 413,31 »Dieser Monat sei euch ein Haupt von Monaten«] Ex 12,2.

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414,1-5 Aus der Mosezeit […] stürzte er ins Meer.«] Das gesamte Lied, auch als »Israels Lobgesang« bezeichnet, findet sich in Ex 15,1-18; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 182,23. Da es im Anschluss an das Lied in Exodus heißt, Miriam, die Schwester Moses, habe das Lied vorgesungen, bezeichnet Buber es manchmal auch als »das Lied der Miriam« (vgl. unten, S. 417), an anderer Stelle nennt er es »Meerlied« (vgl. unten, S. 441, Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 182). 415,1-2 in der Gegend des heutigen Suez] Die ägyptische Stadt Suez liegt 135 km östlich von Kairo an der Nordspitze des Roten Meeres und der Mündung des Suezkanals. 415,4 am Sirbonischen See] Sumpfiger Salzsee an der Küste Ägyptens. 415,5 Golf von Akaba] Eine der beiden langgestreckten Buchten am Nordende des Roten Meeres; die andere Bucht ist der Golf von Suez; trennt die Arabische Halbinsel von der Sinai Halbinsel. 417,Anm 64 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 130 f.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 170. 417,31-32 »JHWH wird König sein in Weltzeit und Ewigkeit!«] Ex 15,18. 417,Anm 65 Vgl. Buber a. a. O. S. 63 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 134136. 419,11-12 »eine Feierfrist […] geheiligtes Feiern (schabbath)«] Ex 16,23. 419,15 »Seht, dass JHWH euch den Sabbat gegeben hat«] Ex 16,29. 420,8-11 Aus Babylon kennen wir […] bezeichnet werden;] Die hier und im Folgenden von Buber dargestellte These, die der frühen bibelwissenschaftlichen Forschung entstammt und einen Zusammenhang zwischen dem babylonischen schapattu und dem schabbat der Israeliten konstatiert, wird bis heute von einem Teil der Forschung weiterhin diskutiert, konnte sich allerdings im Allgemeinen nicht durchsetzen. 422,39 »Bundesbuchs«] Das Bundesbuch, Ex 20,22-23,33, ist eine Sammlung von Rechtssätzen, Hinweisen und Mahnungen, die auf den Dekalog folgt. 422,41 »Priesterschrift«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 423,12 dem »Ger«] Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 285,24. 425,19-21 Und alsbald folgt […] sie steinigen mich!«] Vgl. Ex 17,2-4. 426,Anm 75 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 47 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 125-133 (3. Kap. »Das Gotteskönigtum im alten Orient«). 426,Anm 76 Vgl. Buber a. a. O. S. 4 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 102-107 (1. Kap. »Der Gideonspruch«).

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429,6 Amalekiter] In der Bibel gelten die Amalekiter als räuberisches Nomadenvolk, das im Süden Kanaans, im heutigen Negev, siedelte und nach Gen 36,12 aus der Nachkommenschaft Esaus stammte (Amalek wird hier als ein Enkel Esaus benannt). In der biblischen Tradition gelten die Amalekiter als Erbfeind Israels (vgl. Ex 17,16), und der Name »Amalek« wurde zu einer wiederkehrenden Figur in der jüdischen Geschichte und bis in die heutige Zeit zur Chiffre für jede Feindschaft gegen Juden oder Israel. 429,18-19 (so wird auch Elisa im Verhältnis zu Elia genannt)] Zum Verhältnis zwischen Elia und Elisa vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 404,21-22; in I Kön 19,21 heißt es, dass Elisa Elia »diente«. 429,31-32 bleibt seine Hand emunah, d. h. Festigkeit, Treue] Vgl. Ex 17,12 in der Übersetzung von Buber-Rosenzweig: »Es blieben seine Hände in Treuen, bis die Sonne einging.« Vgl. auch Buber unten, S. 430,32-33. Zur Bedeutung des hebr. Wortes emunah allg. sowie in diesem Vers vgl. Buber, Zweierlei Jesaja, in diesem Band, S. 682, und die Wort- und Sacherläuterung zu 682,2-5. 430,36-37 Zugang zu Kadesch] Der Name Kadesch leitet sich von der hebr. Wortwurzel für »heilig sein« ab und bedeutet »heiliger Ort«, oder auch »Heiligtum«. Die Ortsbezeichnung Kadesch kommt in der Bibel mehrfach, allerdings mit sehr unterschiedlichen Angaben zur Lage vor. Nach biblischer Erzählung ist Kadesch einer der wichtigsten Lagerplätze während der Wüstenwanderung des Volkes Israel; von hier aus entsendet Moses Kundschafter nach Kanaan, und von hier aus unternehmen die Israeliten gegen den Willen Moses und JHWH’s einen Versuch, gewaltsam nach Kanaan einzudringen, und werden dabei von den Amalekitern und Kanaanäern geschlagen (vgl. Num 13 u. 14). Im Norden der Sinaihalbinsel zwischen der SinaiWüste und der Negev-Wüste, im heutigen Ägypten, liegt eine Oase, die sich aus zwei ganzjährig aktiven Quellen speist, deren arabische Name En el-Quderat und En Qudes lauten. Es wird allg. angenommen, dass es sich bei Kadesch um die Gegend um die Oase von En el-Quderat und En Qudes handelt. Buber nimmt an, dass es sich bei Kadesch um »die ganze südlich von Palästina, auf dem Weg von Akaba nach Beerseba gelegene Reihe von Talebenen [handelt], die sich an den so benannten Ort anschliesst, von Hügeln umgeben, denen Quellen entspringen« (vgl. unten, S. 500; vgl. auch Buber zur Bedeutung des Namens, unten, S. 503). 431,Anm 80 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 284.] Vgl. jetzt in MBW 15, S. 237, 545. 431,20-21 »Ja, löschen, löschen […] unterm Himmel hinweg.«] Ex 17,14.

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432,1 Jethro] Dieses gesamte Kapitel widmet Buber der Auseinandersetzung mit und Zurückweisung der »Keniter-Hypothese« (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 587,10). Es wurde bereits verschiedentlich auf Bubers Behandlung dieser Frage auch an anderen Stellen seines Werks hingewiesen, die hier noch einmal zusammengefasst seien: Buber, Königtum Gottes, 5. Kap. »JHWH der Melekh«; jetzt in: MBW 15, S. 139-146; Bubers Vorwort zur 2. Aufl. 1936 von Königtum Gottes, S. XXXIV-XLI; jetzt in MBW 15, S. 249-253; Buber, Moses, Abschnitt »Der brennende Dornbusch«, in diesem Band, S. 382397, bes. S. 385 ff.; sowie in Der Glaube der Propheten geht Buber an verschiedenen Stellen auf die »Keniter-Hypothese« ein, vgl. v. a. in diesem Band, S. 163-168. 432,1-3 »Und Jethro, […] Schwiegervater Moses, kam …«] Vgl. Ex 18,15. 432,40-433,2 Jethro preist JHWH […] des gemeinsamen Feindes] Vgl. Ex 18,9-10. 433,3-4 Das Wort elohim, das sowohl Götter wie Gott bedeutet] Vgl. oben, S. 371, und die Wort- und Sacherläuterung zu 371,13. 433,8-10 Jethro holt Opfervieh […] »vor Elohim«.] Vgl. Ex 18,12. 434,Anm 88 S. die Kommentare von Ibn Esra und Raschbam] Vgl. zu Ex 18,12 Abraham ibn Esras langer Kommentar zum Buch Exodus, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Dirk U. Rottzoll, Berlin 2000, S. 502: »Es gibt (hier) keine Notwendigkeit, Mose (gesondert) zu erwähnen, da sie in seinem Zelte waren.« (In seiner Ibn EsraÜbersetzung verweist Rottzoll in einer Anmerkung ebenfalls auf den Kommentar von Raschbam zur Stelle.) Sowie Rashbam’s Commentary on Exodus. An annotated Translation, edited and translated by Martin I. Lockshin, Atlanta 1997, S. 194: »The text did not have to mention that Moses was there, as the gathering took place in his tent.« 434,5 »Zelt der Begegnung«] Vgl. Ex 25,8; 27,21 u. 33,7-11; vgl. zum »Zelt der Begegnung« die Wort- und Sacherläuterung zu 184,33. 434,19-32 Jethros Preisungsspruch […] zu identifizieren geneigt ist.] Vgl. zum hier von Buber dargestellten Akt der »Identifizierung« auch schon oben, S. 374, und die Wort- und Sacherläuterung zu 374,5-17. 436,1-4 »Ja, wir wissen […] von allen Göttern.«] Vgl. Ex 18,11. 436,10-15 »Israel bekehrt sich […] Gottesbild wächst.«] Martin Buber, Königtum Gottes, jetzt in: MBW 15, S. 255. 436,16-37 Am Tag nach dem […] führt ihn aus.] Vgl. Ex 18,13-24. 438,6 »Mose! Mose!«] Ex 3,4. 438,9-15 In der dritten […] »das Haus Jakobs«] Vgl. Ex 19,1-3.

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438,16 ein rhythmischer Spruch] Der sog. Adlerspruch Ex 19,4-6. 438,18-19 »wenn ihr hört […] meinen Bund wahrt«] Ex 19,5. 438,36-37 »Selber habt ihr gesehen […] euch zu mir.«] Ex 19,4. 439,14 »Liede Moses«] Vgl. Dtn 32,1-43. 439,25-31 Der nächste Vers […] mit Israel schliessen wolle.] Zu Bedeutung und Vorkommen des Begriffs berith (häufiger in der Transkription brit zu finden) in der Hebräischen Bibel vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 103,24; zum Charakter des Bundes zwischen Gott und Israel vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 186 f. 440,Anm 97 Buber, Königtum Gottes S. 112 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 159 ff. 441,14-15 JHWH hatte […] Stunde vorweggenommen.] Vgl. Ex 3,7 u. 10; zu ʿ ammi, hebr. »mein Volk«, und seiner Bedeutung in den beiden Exodus-Stellen, vgl. Martin Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 375,13-17. 441,17 im Endvers des Meerlieds] Vgl. Ex. 15,18. Zum »Meerlied« vgl. die Wort- und Sacherläuterungen zu 182,23 u. 414,1-5. 441,21-443,16 Auf die Ankündigung […] mit ihm schliessen will.] Eine zusammenfassende Interpretation des Adlerspruchs mit einer Erläuterung seines Wortbestands zu »Sondergut« sowie zu den Begriffen mamlaka, kohanim und goj qadosch und einer Darstellung der Erklärung des Adlerspruchs in Deuteronomium nimmt Buber auch bereits in seinem Aufsatz »Die Erwählung Israels« vor. Vgl. in diesem Band, S. 109-111; zu Am 9,7 vgl. ebd., S. 102. 441,38-39 Hadith Mohammeds] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 284,2. 442,10-11 »Ihr sollt mir […] heiliges Volk werden.«] Ex 19,6. 443,2-3 als goj, d. h. mit seiner leiblichen Volksexistenz] Vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 375,13-17. 443,17-20 Die biblische […] schliessen will] Vgl. Ex 19,7. 443,27-28 zweimal mit dem Namen »Jeschurun« […] Stellen vorkommt] Vgl. Dtn 33,5, 26; zur Bedeutung von Jeschurun vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 153,10. Die beiden einzigen weiteren Stellen, an denen der Name Jeschurun vorkommt, finden sich in Dtn 32,15 (»Das Lied des Mose«, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 439,14) und bei Deuterojesaja, Jes 44,2. 443,31 Sepher-ha-jaschar, Buch des Aufrechten] Vgl. Jos 10,13, wo ein »Buch des Redlichen« genannt wird; das Sefer ha-Jaschar, auch Toldot Adam genannt, ist eine anonyme Nacherzählung der biblischen Ge-

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schichte von Adam bis zum Auszug aus Ägypten; dabei dienen ihr Bibel, Talmud, Midrasch sowie auch nichtjüdische Erzähltraditionen als Quellen. Zumeist wird die Erzählung ins 11. oder 12. Jh. datiert (vgl. Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 8., neubearb. Aufl. München 1992, S. 331). 443,Anm 100 Vgl. Buber a. a. O. S. 126 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 168170. 444,Anm102 Vgl. Buber a. a. O. S. 140 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 174176. 444,Anm 103 Buber a. a. O. S. 132 ff., 273 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 171-173. 444,22-23 dem heidnischen Propheten Bileam] Der Prophet Bileam, der einer Aufforderung des Moabiterkönigs Balak entsprechen und gegen den Willen Gottes Israel verfluchen will; durch die Weigerung seiner Eselin vorwärts zu gehen, als diese einen Boten (Engel) Gottes mit Schwert vor sich auf dem Weg sieht, wird Bileam vor der Tötung durch Gott bewahrt, er erkennt sein Unrecht, und statt es zu verfluchen, muss er Israel segnen. Vgl. Num 22 u. 23. 444,Anm 105 Vgl. Buber a. a. O. S. 69 f., 93 ff., 211 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 137-138, 149-150, 213; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 96,8-9. 444,Anm 106 Zu Gideon vgl. Buber […] 1939, S. 1 ff.) erwiesen.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 102-107 (1. Kap. »Der Gideonspruch«); zu Bubers geplantem, aber Fragment gebliebenen Buch Der Gesalbte, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 194,Anm 97; das dritte Kapitel zu Der Gesalbte konnte Buber unter dem Titel »Samuel und die Abfolge der Gewalten« fertigstellen, jetzt in MBW 15, S. 352-379. 447,Anm 108 Vgl. Buber Königtum Gottes S. 254 f.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 225, 542. 448,3 »Amphiktyonien«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 193,4. 448,16 »Josefsstämme«] Unter den Josefsstämmen werden die Stämme Manasse und Efraim verstanden, die auf die beiden Söhne Josefs zurückgehen, die diesem in Ägypten geboren werden; vgl. Gen 41,5052. 448,Anm 112 Diese Exegese habe ich in meinem Buch »Die Lehre der Propheten« gegeben.] Vgl. den Abschnitt »Der Landtag zu Sichem«, in: Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 154-158. 449,Anm 116 Vgl. Buber Königtum Gottes S. 219, 224] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 490 f., 495. 450,8-9 »Dies ist […] mit euch schliesst«] Ex 24,8. 450,Anm 118 Buber a. a. O. S. 111 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 159-160.

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450,Anm 119 Vgl. Buber a. a. O. S. 123 f.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 166. 450,28-30 »Sie sahen den Gott […] an Reinheit«.] Ex 24,10. 451,2 Kabod] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 451,Anm 120 Buber, Die Lehre der Propheten S. 118] Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 253. 452,6-8 Ezechiel […] Spekulationen Bestimmte hinüberführt] Für Buber steht der Prophet Ezechiel (oder Hesekiel) »an der Grenze von Prophetie und Apokalyptik« (Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 296). Zur Bedeutung dieser Charakterisierung Bubers vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 296,28-29. 452,9 Micha ben Jimla] Zu Micha ben Jimla vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 213 f. und die Wort- und Sacherläuterung zu 213,26-27. 452,11 in dem erzählungsfreudigen 18. Kapitel der Genesis] Das Kapitel erzählt in seiner ersten Hälfte davon, dass Gott Abraham erscheint, als dieser am Eingang seines Zeltes im Hain Mamre sitzt; der zweite Teil des Kapitels berichtet, wie Abraham mit Gott über dessen Vorhaben, die Stadt Sodom zu vernichten, diskutiert und Gott dazu bewegen kann, von der Vernichtung abzulassen. 453,2-3 »Sie schauten die Gottheit und assen und tranken.] Ex 24,11. 454,2-4 In uns erhalten […] nachchristlichen Jahrhunderts] Es handelt sich um die sog. »Tübinger Theosophie«, eine Handschrift, die eine Sammlung von Orakeln der griechischen Antike darstellt und die 1889 erstmals von dem Philologen Karl Buresch unter dem Titel Untersuchungen zum Orakelwesen des späteren Altertums nebst einem Anhange das Anecdoton [Chresmoi ton Hellenikon Theon] enthaltend, Leipzig 1889, herausgegeben wurde; darin die »Theosophie«, S. 87131; Bureschs Edition diente Buber als Quelle (vgl. Bubers Anm. 122). 454,17-20 Goethe, der […] der Israeliten wären«] Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 12. Buch, in: Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, I. Abt., Bd. 28, Weimar 1890, S. 104: »Ich arbeitete mich mit unsäglicher Mühe, mit unzulänglichen Hülfsmitteln und Kräften durch die fünf Bücher und geriet dabei auf die wunderlichsten Einfälle. Ich glaubte gefunden zu haben, daß nicht unsere Zehn Gebote auf den Tafeln gestanden, daß die Israeliten keine vierzig Jahre, sondern nur kurze Zeit durch die Wüste gewandert, und ebenso bildete ich mir ein, über den Charakter Mosis ganz neue Aufschlüsse geben zu können.« Das Zitat, der Dekalog stelle keine Bundesgesetze dar, stammt aus den Erinnerungen des Weimarer Gymnasialdirektors Karl August Böttiger (17601835), in denen er den Bericht eines Jugendfreundes Goethes, Franz

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Christian Lersés (1749-1800), wiedergibt. Vgl. Literarische Zustände und Zeitgenossen. In Schilderungen aus Karl August Böttiger’s handschriftlichem Nachlasse, 1. Bd., Leipzig 1838, S. 60. 454,21-23 »Zwo wichtige […] in Schwaben«.] Der vollständige Titel der Schrift lautet: Zwo wichtige bisher unerörterte biblische Fragen. Zum erstenmal gründlich beantwortet, von einem Landgeistlichen in Schwaben. Lindau am Bodensee 1773. Die Schrift wurde aufgenommen in: Hanna Fischer-Lamberg (Hrsg.), Der junge Goethe, neu bearb. Ausgabe in fünf Bänden, Band III. September 1772 – Dezember 1773, Berlin 1966, S. 117-124. Goethe verschleiert in der Publikation seine Autorschaft, indem er keinen Verfassernamen angibt, und auch die Ortsangabe ist fiktiv. Tatsächlich erschien der Text im Frühjahr 1773 entweder in Frankfurt oder in Darmstadt. Vgl. Thomas Tillmann, Hermeneutik und Bibelexegese beim jungen Goethe, Berlin u. New York 2006, S. 122 f. 454,26-33 »Du sollst keinen […] als Israeliten voraussetzte.«] Die Zitate dieses Abschnitts aus Goethe, Zwo wichtige bisher unerörterte biblische Fragen, S. 120-121. 454,38-455,1 Noten und Abhandlungen […] angeht und verbindet«.] Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, West-östlicher Divan. Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans, in: Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, I. Abt., Bd. 7, Weimar 1888, S. 159: »Um mich nun in diesem Labyrinthe zu finden, gab ich mir die Mühe, sorgfältig zu sondern, was eigentliche Erzählung ist, es mochte nun für Historie, für Fabel oder für beides zusammen, für Poesie, gelten. Ich sonderte dieses von dem, was gelehret und geboten wird. Unter dem ersten verstehe ich das, was allen Ländern, allen sittlichen Menschen gemäß sein würde, und unter dem zweiten, was das Volk Israels besonders angeht und verbindet.« 455,24-25 »Bundesbuch« (20, 22-23, 19)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 422,39. 456,34-37 einem Bekenntnis […] babylonischen Beschwörungstafeln] Zum ägyptischen »Totenbuch« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 367,1. In der Mythologie des Alten Ägypten gab es die Vorstellung eines Totengerichts, das aus einem Tribunal von Totenrichtern bestand und zum Ziel hatte, die Sünden vom Körper des Verstorbenen zu lösen, damit dieser anschließend nach seiner Verklärung in die Götterwelt übertreten konnte. Der Totenbuchspruch 125 handelt von diesem Totengericht; er zählt alle Dinge auf, von denen der Tote freigesprochen werden muss, der dann vor den Richtern einen Monolog darüber hält, welche negativen Taten er nicht begangen hat und be-

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tont am Ende, durch welche Taten er sich im Leben ausgezeichnet hat. Aus der babylonischen »Šurpu-Sammlung« (šurpu bedeutet »Verbrennung«), einer auf insgesamt neun Tontafeln verfassten Sammlung von Beschwörungen, ist auf Tafel II, der sog. »Tafel der Sünden«, ein »Sündenkatalog« überliefert, der aus einer Aufzählung moralischer Vergehen, Vergehen gegen die soziale Ordnung, Ritualdelikten und Tabubrüchen besteht. 459,32-460,3 Darf man aber […] Naturgestalten anzubeten.] Vgl. Ex 20,3-5. 460,Anm 141 In meinem Buch […] Königtum Gottes S. 73 ff.] Das Kapitel »Der Gott der Väter« aus Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 169-178; zu Buber, Königtum Gottes, vgl. jetzt in: MBW 15, S. 139-142. 460,12 Nabatäer] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 178,2-3. 460,13-14 Epiphanius] Epiphanius von Salamis, auch Epiphanius von Konstantia (um 315-403); orthodoxer Kirchenvater, ab 367 Erzbischof von Konstantia auf Zypern (früher Salamis); vertrat eine traditionalistische Bibelauslegung gegen die spekulative Theologie seiner Zeit, v. a. gegen die des Origenes (ca. 185-254). 460,14-18 Es ist gewiss nicht […] wo sie ausziehen«] Zur Wanderung des Stammes der Terachiden, dem Abraham angehörte, von Ur nach Harran, sowie zum Mondkult beider Städte, siehe auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 171-172. 460,32-33 »Ich werde dasein, als der ich dasein werde«] Ex 3,14. 465,Anm 155 Vgl. Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung S. 176 ff.] Aus Bubers Aufsatz »Zur Verdeutschung der Preisungen«, vgl. jetzt in: MBW 14, S. 90-91. 465,27-30 Dieser erste Teil […] Zusatz zu sein).] Vgl. Ex 20,1-7. 465,33-35 Zwischen beiden […] umfasst] Vgl. Ex 20, 8-12. 466,20-23 so ist der dritte […] Gemeinschaft normiert wird.] Vgl. Ex 20,13-17. 468,9-12 Nicht zu Unrecht […] seinen Kodex schuf.] Hammurabi, ab 1792 bis zu seinem Tod 1750 v. Chr. sechster König der ersten Dynastie von Babylonien. Die von ihm geschaffene Sammlung von Rechtssprüchen umfasst insgesamt 282 Rechtssätze, denen ein Prolog voran- und ein Epilog nachgestellt ist. Ein Teil der Rechtssätze betrifft den öffentlichen Bereich, worunter Königtum, Religion und Volk fallen; die übrigen Rechtssätze betreffen den Privatbereich des einzelnen Bürgers und beschäftigen sich mit Vermögens-, Familien- und Erbrecht, mit Fragen zu Arbeit, körperlicher Integrität und Sachbeschädigung.

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470,33 Oase von Kadesch] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 430,36-37. 470,36-39 Dass die Niederschrift […] Griechenland bekannt] Auch der von Buber oben, S. 410 erwähnte »Kodex Hammurabi« ist auf einer nahezu komplett erhaltenen Stele überliefert, daneben auf mehreren Bruchstücken anderer Stelen sowie auf zahlreichen Tontafelabschriften. 471,41 (Genesis 31, 45 ff.)] Der Bund zwischen Jakob und Laban. 472,Anm 169 Buber, Die Lehre der Propheten, S. 78 f.] Vgl. im vorliegenden Band, S. 202 f. 473,23-25 »Ich JHWH dein Gott […] die mich lieben.] Ex 20,5b-6. 475,5 »Bundesbuch«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 422,39. 475,18-21 »Denn schreit […] eure Kinder Waisen.«] Ex 22,22-23. 475,34-35 »Denn ein Gnadender bin ich«] Ex 22,26. 476,26-28 Das Gesetzt weist […] vierten Jahr angeordnet wird.] Zum »Kodex Hammurabi« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 468,912. Der 117. Rechtsspruch des »Kodex Hammurabi« lautet: »Gesetzt, einen Mann hat eine Schuldverpflichtung erfasst, und er hat seine Gattin, seinen Sohn und seine Tochter für Geld verkauft oder in Schulddienst gegeben, so werden sie drei Jahre im Hause ihres Käufers oder Dienstherrn arbeiten, im vierten Jahre wird ihre Freilassung ausgeführt werden.« (Hugo Gressmann, Altorientalische Texte zum Alten Testament, Berlin 1926, S. 380 ff.) 476,32-36 (eine Prozedur […] Ohr abgeschnitten wird] Vgl. den 282. Rechtssatz aus dem »Kodex Hammurabi«: »Gesetzt, ein Sklave hat zu seinem Herrn gesagt: ›Du bist nicht mein Herr‹, so wird man ihn überführen, dass er sein Sklave ist, und sein Herr wird sein Ohr abschneiden.« (Gressmann, Altorientalische Texte zum Alten Testament, 392). 477,17 im siebenten Jahr] Gemeint ist das Sabbatjahr; vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 190,14. 478,2-15 Die biblische Erzählung […] den Widerstand nieder.] Zur von Buber hier dargestellten Begebenheit vgl. Ex 32,1-29; für die Zitate vgl. die Verse 4 u. 27. 478,5 (elohim)] Hier in der eigentlichen Wortbedeutung als Plural von hebr. »Gott« verwendet. Vgl. dazu die Wort- und Sacherläuterung zu 371,13. 478,17 Jerobeam] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 249,13. 478,19-20 an den beiden alten Kultstätten von Bethel und Dan] Der Ort Beth-El, hebr. »Haus der Gottheit«, ca. 16 km nördlich von Jerusalem, lag an der Südgrenze des Nordreichs Israel. Als Abraham durch

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Kanaan zieht, errichtet er in Beth-El einen Altar für Gott (vgl. Gen 12,8); am selben Ort baut Jakob auf seiner Flucht vor Esau einen Altar zu Gottes Ehre, nachdem er in der Nacht im Schlaf die Erscheinung von der Himmelsleiter hatte (vgl. Gen 28,16-19). Die Umgebung von Dan, an der Nordgrenze des Nordreichs Israel gelegen, hieß ursprünglich Lajisch und wurde von kanaanitischen Stämmen besiedelt; nach Ri 18 eroberte und bewohnte der Stamm Dan später Lajisch, gab dem Ort den Namen Dan und errichtete ein Heiligtum. Zur Errichtung der Heiligtümer durch Jerobeam vgl. auch die Wortund Sacherläuterung zu 213,13. 480,14 »Bundeslade«] Zur »Bundeslade« vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 183,28. 482,15-18 aus dem von Hosea […] den Moabiterinnen ergab] Vgl. Hos 9,10 und dazu die Wort- und Sacherläuterung zu 247,32; Numeri 25,1-18 berichtet von der Unterwerfung der Israeliten unter den Baal-Peor; vgl. dazu auch unten das Kapitel »Der Baal«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 517-520, bes. S. 517 f.; zur Bedeutung des Namens Baal-Peor vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 205,30. 483,6-7 »Wer JHWH angehört, zu mir her«] Ex 32,26. 483,Anm 194 So schon Ibn Esra in seinem Kommentar] Vgl. zu Ex 33,7 Abraham ibn Esras langer Kommentar zum Buch Exodus, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Dirk U. Rottzoll, Berlin 2000, S. 1010: »(Das meint) Moses’ Zelt. […] Siehe Mose wurde von (den anderen) Israeliten abgeschieden wegen der Herrlichkeit (Gottes), die mit ihm redete. Dies geschah, nachdem er die zweiten beschriebenen Tafeln herabgebracht hatte und die Israeliten begannen, das Zeltheiligtum herzustellen. Er (sc. Mose) nannte sein Zelt aber ‫מועד‬ ‫אהל‬, da Gott ihm dort bis zu dem Zeitpunkt begegnete, zu dem das Zeltheiligtum hergestellt wurde. Es gibt aber kein früher und später in der Tora!« 484,Anm 195 Über die Komposition […] S. 262 ff.] Bubers Hinweis gilt seinem Aufsatz »Das Leitwort und der Formtypus der Rede«, jetzt in MBW 14, S. 111-118. 485,Anm 197 Vgl. Buber und Rosenzweig a. a. O. S. 273.] Vgl. jetzt in MBW 14, S. 116 f. 487,Anm 204 Der zweite Spruch […] Führerschaft bedarf).] Buber bezieht sich auf den Vers Num 10,36. 487,20 »ein Werk aus saphirnen Fliesen«] Ex 24,10. 487,20-26 nun stellt er […] den Sitz zu bereiten] Vgl. Ex 25,17-22. 489,Anm 212 predigtartig bearbeiteten Gottesrede] Vgl. II Sam 7,5-16.

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489,Anm 214 Vgl. Buber, Die Lehre der Propheten S. 158 f.] Vgl. jetzt in diesem Band, S. 295. 490,5 »Kabod«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 491,24-25 in der Verzückung wie Saul die Kleider vom Leibe zu werfen pflegten] Vgl. I Sam 19,23-24. 491,26-27 sich wie Elisa durch Musik begeistern lassen] Vgl. II Kön 3,15. 492,2-3 Der geschichtliche Mose […] zu betrachten.] Vgl. auch Buber, oben, S. 404, über die Wesensverwandtschaft des Auftrags Moses mit dem eines Nabi im Hinblick auf die »geschichtliche Funktion des Propheten Israels«. 492,15 des Volksbuchs von Bileam] Die Erzählung von Bileam findet sich in Num 22-24; Bileam ist die einzige prophetische Gestalt der Bibel, die auch außerbiblisch, und zwar in der sog. »Bileam-Inschrift« von Tell Dēr ʿ Allā (im heutigen Jordanien), belegt ist; zur Gestalt des Bileam vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 444,22-23. 492,32 Wüste Paran] Südlich von Beʾ er Scheva im Gebiet der heutigen Negev-Wüste gelegen; nach Gen 21,21 Zufluchtsort Ismaels nach Hagars und seiner Vertreibung von Abraham. 492,41 ruach] Hebr. ruach, im Allgemeinen mit »Geist« oder »Wind« übersetzt; Buber übersetzt zumeist mit »Wehen« oder »Braus«. Eine Diskussion des Wortes ruach findet sich auch in Bubbers Schriften »Biblisches Führertum«, in diesem Band, S. 62 – vgl. dort v. a. auch zur Übersetzungsproblematik des Begriffs die Wort- und Sacherläuterung zu 62,10-15. Zu ruach als Merkmal der prophetischen Begegnung mit Gott vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 250,9. 493,Anm 230 Vgl. Buber und Rosenzweig […] 160 ff., 279 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 14, S. 48-51, 81-82, 121-122 (die als zweites genannte Stelle – S. 131 ff. – verweist auf den Aufsatz von Franz Rosenzweig: »Unmittelbare Einwirkung der hebräischen Bibel auf Goethes Sprache«, der nicht in MBW 14 aufgenommen wurde). 493,24-27 bitteren Spott des Propheten […] von sich geben.] In Micha ben Jimlas Verkündigung des Unheils über Ahab sind es falsche Heilspropheten, aus denen nicht der Geist, sondern der »Lügenbraus« (I Kön 22,22) spricht. 494,Anm 231 Vgl. Buber, […] der Propheten S. 60.] Zu Königtum Gottes, vgl. jetzt in: MBW 15, S. 190 f.; zu Der Glaube der Propheten, vgl. in diesem Band, S. 197. 494,Anm 232 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 173 f.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 193 f. 494,11-13 einmalig fährt […] zu seinem Amt.] Vgl. I Sam 10,6-12.

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494,Anm 233 Über das Verhältnis […] der Propheten S. 61.] Vgl. in diesem Band, S. 197. 495,4-6 Auf sein »Wer […] bei dir.«] Vgl. Ex 3,11-12. 495,27-29 was JHWH im […] Melek zu werden.] Vgl. auch oben, S. 442 f. 495,39-496,8 Mit dem israelitischen […] bezeichnet wird.] Zu dieser Begebenheit vgl. Num 12. 496,Anm 242 Buber, Die Lehre der Propheten S. 29 ff.] Vgl. in diesem Band, S. 169-178, das Kapitel »Der Gott der Väter«. 496,Anm 243 Vgl. Dillmann Kommentar zur Stelle.] Vgl. August Dillmann zu Num 12,7, in: Ders., Die Bücher Numeri, Deuteronomium und Josua, Leipzig 1886, S. 66: »Das Haus Gottes, dessen Verwaltung u. Leitung es gilt, kann in diesem Zusammenhang nur sein Volk u. Reich, sein Eigenthumsbesitz, sein; in diesem hat Mose alles zu verwalten u. zu ordnen […].« 496,31-497,2 Er ist JHWH’s […] dem Menschen ein.] Vgl. Num 12,6-8. 497,27 Hauran] Hauran ist eine hügelige, von vulkanischer Tätigkeit geprägte Landschaft, die im Norden bis zur südöstlichen Ebene von Damaskus und im Süden bis nach Jordanien in das Gebiet des Grenzflusses Yarmuk reicht. 497,31 die beiden ersten Verssprüche] Der erste Spruch Bileams findet sich in Num 23,7-10, der zweite Spruch in Num 23,18-24. 497,Anm 247 Vgl. Buber, Königtum Gottes S. 133] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 171 f. 498,1-2 Gottesgeist kommt […] seinen Mund«] Vgl. Num 23,4-5, 18. 499,8 Segenssprüchen] Die Segenssprüche finden sich im zweiten Bileamspruch; vgl. bes. Num 23,20-24. 500,3-4 von Kadesch aus] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 430,36-37. 500,25 von Akaba nach Beerseba] Akaba, im heutigen Jordanien gelegen, ist eine Hafenstadt am Golf von Akaba, einem Seitenarm des Roten Meeres; Beʾ er Scheva ist eine Stadt in der nördlichen NegevWüste. Nach biblischem Bericht schloss Abraham hier mit Abimelech einen Bund um die Nutzungsrechte eines Brunnens (vgl. Gen 21,22-31), und nach Ri 20,1 lag bei Beʾ er Scheva die Südgrenze des israelitischen Siedlungsgebietes. 501,39-41 »Isaak bekennt sich […] und so fort.«] Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 175. 502,Anm 264 Vgl. Buber a. a. O. S. 36.] Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 124.

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503,2 »Quelle des Gerichts«] Gen 14,7 setzt den Ort Kadesch mit »EnMischpat« gleich, das »Quelle des Gerichts« bedeutet. 504,17 »Denn die ganze Erde ist mein«] Ex 19,5. 504,24-25 Bundesbuchs] Zum »Bundesbuch« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 422,39. 505,37 Jobeljahr] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 190,15. 509,3 »Korah und seine Rotte«] Korah (oder Korach), der Anführer der Rebellion gegen Moses, kam aus dem Stamm der Leviten; die negativ konnotierte Bezeichnung der Rotte Korachs geht auf Luthers Übersetzung zurück (vgl. Num 16,5 f.). Das hebr. Wort an dieser Stelle hat keine negative Bedeutung, es bedeutet »Gemeinschaft, Gemeinde«. Vgl. auch Bubers Ausführungen zur Wortbedeutung unten, S. 510. Vgl. auch Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, S. 217-223; jetzt in MBW 14, S. 98-101. 509,5-6 das Privileg der »aaronidischen« Priester den »Leviten« gegenüber] Am Sinai setzt Gott Moses’ Bruder Aaron und dessen Söhne als Priester ein (vgl. Ex 28,1; Ex 29,1); darauf wurde später für Israel das erbliche Priestergeschlecht der Aaroniten mit Aaron als dessen Ahnherr zurückgeführt. Die aaronitischen Priester allein durften den Dienst im Stiftszelt, später als Hohepriester den Dienst am Altar im Tempel verrichten. Die Leviten, benannt nach ihrer Abkunft aus dem Stamm Levi, verrichteten alle anderen kultischen Handlungen (vgl. Dtn 18,1-8), später die verschiedenen Dienste im Tempel in Jerusalem; sie stellen ebenfalls ein Priestergeschlecht dar, stehen jedoch in der Hierarchie unter den aaronitischen Priestern. Die aaronitischen Priester werden hebr. als Kohanim bezeichnet; Buber spricht sich im Folgenden in seiner Interpretation des Aufstands um Korach gegen die Annahme eines schon in mosaischer Zeit bestehenden Priesterstandes aus, wobei er allerdings beispielsweise die Einsetzung Aarons und seiner Söhne zu Priestern in Ex 28-29 unberücksichtigt lässt, ebenso wie deren in Ex 28,43 und Ex 29,44 genannter Dienst in der Stiftshütte. 509,36-39 in einem wohl […] an die Leviten] Dtn 33,8: »Und für Lewi sprach er: Deine Schlichtenden und deine Lichtenden für die Mannschaft des dir Holden, den du prüftest bei Prüfe, auszanktest ihn ob der Wasser von Gezänke.« Dieser Vers ist Teil des »Segens Moses« (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 510,6-7); Urim und Thummim waren vermutlich Los- und Orakelsteine des Hohepriesters. Buber/Rosenzweig übersetzen die Worte mit »die Lichtenden und die Schlichtenden«, Luther übersetzt mit »Licht und Recht«. Als Gott Aaron zum Priester einsetzt, weist er ihn an, wenn er in das Stiftszelt

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geht und vor JHWH tritt, in seiner Brusttasche stets die Lose Urim und Thummim zu tragen (vgl. Ex 28,30): »Und du gibst in das Gewappen des Rechtspruchs die Lichtenden und die Schlichtenden, sie seien auf dem Herzen Aharons, wann er kommt vor IHN. So trage Aharon den Rechtspruch der Söhne Jissraels auf seinem Herzen vor IHM stetig.« 510,6-7 »Segen Moses«] Vgl. Dtn 33; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 182,6-7. 510,28 goj und ʿ am] Zur Bedeutung und Unterscheidung beider Begriffe vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 375,13-17. 510,Anm 287 Vgl. Buber und Rosenzweig […] S. 217 ff.] Vgl. jetzt in MBW 14, S. 98-101. 510,36 die Bezeichnung goj qadosch, heiliges Volk, des Adlerspruchs] Vgl. zur Bedeutung von goj qadosch im Kapitel »Der Adlerspruch«, in diesem Band, S. 441,28-443,10, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 441,21-443,16. 514,Anm 291 Zur Ergänzung […] S. 140 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 174-177. 517,7 (Hosea 9, 10)] Den Vers aus Hosea zitiert Buber unten, S. 517,1517; Numeri 25,1-18 berichtet von der Unterwerfung der Israeliten unter den Baal-Peor; zur Bedeutung des Namens Baal-Peor vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 205,30. 517,19 Nasiräer] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 194,16. 517,Anm 292 Vgl. das Kapitel über Hosea in meinem Buch Die Lehre der Propheten.] Das Kapitel »Um die Liebe«; vgl. in diesem Band, S. 238-252. 517,32 »und Israel verjochte sich dem Baal-Peor«] Num 25,3. 517,33-35 Dieser Baal ist nicht […] besonderen Kult.] Zur Bedeutung des Namens Baal-Peor vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 205,30. 517,37-39 der Paarungen von Baal […] des Bodens bewirken.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 177,17-21. 518,Anm 293 Vgl. Königtum Gottes […] der Propheten S. 67 ff.] Zu Königtum Gottes, vgl. jetzt in MBW 15, S. 135-138; 210-213; 483-495; zu Der Glaube der Propheten, vgl. in diesem Band, S. 204-207. 518,21 der phönizischen, zu dem grossen Regengott Baal] Der phönizische Regengott Alijan-Baal. 518,22-23 (wie es in einem […] tiefen Quellen« ist.] Zu den Texten von Ras Schamra vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 152,8. In ihrem längsten Mythenzyklus beschäftigen sich diese mit dem Gott Baal; zu Bubers Quelle vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 205,9-14.

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518,40-519,1 »Die Baale sind […] wie sie es wollen«] Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 205. 519,21 »Verfehlung des Amoriters«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 206,7-8. 519,Anm 295 Vgl. Buber und Rosenzweig […] S. 58 ff.] Vgl. jetzt in: MBW 14, S. 57-60. 520,1-4 dass er, wie uns […] einen Jungstier zeugt] Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 205, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 205,9-14. 520,10 »Israel ist mein erstgeborener Sohn.«] Ex 4,22. 521,Anm 297 Zur Textanalyse […] S. 282 Anm. 19.] Vgl. jetzt in: MBW 15, S. 236 f. 521,34-39 er solle seine Hand […] auf ihn geben.] Vgl. Num 27,16-20. 522,16-17 Dass Mose dem jungen […] Wache übergibt.] Vgl. Ex 33,11. 522,27-28 aus den zwei […] uns erzählt werden] Vgl. Ex 32,17-18; Num 11,28. 522,39 »Geist ist in ihm«] Num 27,18. 523,37 (dritter Teil des Dekalogs)] Vgl. Ex 20,13-17. 524,21 »im vierzigsten Jahr«] Dtn 1,3. 524,23 viel mehr als die vier, die Goethe annimmt] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 454,17-20. 525,14 Nebo] Der Berg Nebo liegt im heutigen Jordanien und ist Teil eines Gebirgsplateaus, das zum Toten Meer abfällt. 525,21-22 »Sein Auge war […] nicht entflohn«] Dtn 34,7. 525,24 Hermon] Der Hermon ist ein Bergmassiv im Grenzgebiet zwischen Syrien, Libanon und Israel und erstreckt sich über 25 km an der syrisch-libanesischen Grenze. 525,29-30 »So starb dort […] JHWH’s Geheiss«] Dtn 34,5. 525,36-37 »Und er begrub ihn […] Beth-Peor zu«] Dtn 34,6. 525,40 »kennt niemand sein Grab bis auf diesen Tag.«] Dtn 34,6. Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus Die in Heft 9 des Jahres 1949 der Zeitschrift Neue Wege publizierte Erwiderung Martin Bubers bezieht sich auf eine Buchbesprechung von einem oder einer nicht näher zu ermittelnden F., welche in der vorherigen Ausgabe derselben Zeitschrift erschienen war. Buber kritisiert F.s Deutung von Dtn 32,8, der zufolge der Vers eindeutig von Elohim als höchstem Gott spricht, der über eine Vielzahl von Göttern – auch über den Gott Israels – regiert und die Herrschaft über die Völker der Erde

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Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus

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unter all diesen Gottheiten verteilt hat. Dass Buber diese Deutung einer – wenn auch lakonischen – philologisch-exegetischen Klarstellung für würdig hielt, lässt erkennen, dass ihn die implizite Infragestellung der frühen Wirksamkeit monotheistischer Konzepte in der israelitischen Religionsgeschichte irritierte. Die Schweizer Zeitschrift Neue Wege war 1906 von einer Gruppe pazifistisch engagierter Theologen zunächst mit dem Untertitel Blätter für religiöse Arbeit gegründet worden. Unter der Leitung von Leonhard Ragaz (1868-1945), der von Beginn an zu den Redakteuren der Zeitschrift gehörte und diese von 1924 bis zu seinem Tod allein leitete, entwickelten sich die Neuen Wege von einer Zeitung, die für die Arbeiterbewegung und gegen Militarismus Partei ergriff, zum wirksamen Publikationsorgan des religiösen Sozialismus. Zwischen 1926 und 1958 veröffentlichte Buber in den Neuen Wegen zahlreiche wichtige Aufsätze. So kommentierte die Redaktion in einer dem eigentlichen Text Bubers vorangestellten Einleitung (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 539,3-15), die Erwiderung komme »von besonders berufener Seite«. Ragaz, der mit Buber über Jahrzehnte hinweg freundschaftlich verbunden war und mit ihm in einem kritischen Dialog über das Verhältnis von Judentum und Christentum stand, würdigte ihn 1938 anlässlich seines sechzigsten Geburtstags als den »größte[n] Erneuerer des prophetischen Geistes innerhalb Israels, und vielleicht auch außerhalb. Er vertritt ihn mitten in der höchsten und geistvollsten Kultur unserer Tage, mit ihr und, wenn nötig, auch gegen sie. Dieser prophetische Geist wird durch ihn vielen verständlich, die ihn von keiner andern Seite angenommen hätten.« (Leonhard Ragaz, Zu Martin Bubers sechzigstem Geburtstag, in: Neue Wege: Beiträge zu Religion und Sozialismus 32 (1938), S. 71 f.) Buber widmete Ragaz im Vorwort zu seiner 1950 erschienen Schrift Zwei Glaubensweisen einen eigenen Abschnitt, in dem er Ragaz’ »urtreue Freundschaft zu Israel« würdigte, die darin zum Ausdruck kam, dass er »ein künftiges, noch unvorstellbares Einvernehmen zwischen der Kerngemeinschaft Israels und einer wahren Jesusgemeinde [ahnte], das weder auf jüdischem noch auf christlichem Boden, wohl aber auf dem jener Jesus mit den Propheten gemeinsamen Botschaft von der Umkehr des Menschen und dem Königtum Gottes erstehen würde.« (Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, Zürich: Manesse 1950; jetzt in: MBW 9, S. 202-312; hier S. 207; vgl. zum Verhältnis zwischen Buber und Ragaz auch die in MBW 9 abgedruckten Aufsätze Bubers: »Religion und Gottesherrschaft« (1923; jetzt in: MBW 9, S. 84 ff.), »Unserem Verbündeten« (1943; jetzt in: MBW 9, S. 184 ff.) und Ragaz und »Israel« (1946; MBW 9, S. 187 ff.) sowie die Kommentare zu den Texten.)

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Textzeuge: D: Neue Wege, XLIII/9, September 1949, S. 408 (MBB 813). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 539,3-15 Zu der Bemerkung […] entspr. hebr. bnê ʾ elîm).] Bei diesem Abschnitt handelt es sich offenbar um eine Vorbemerkung der Redaktion der Neue[n] Wege. 539,3-4 Zu der Bemerkung […] von O. Spann] F., Religionsphilosophie. Buchbesprechung zu Othmar Spann, Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage, Wien u. Zürich 1947, in: Neue Wege, 43. Jg., Heft 7/8, 1949, S. 359-360. 539,4-5 »nur einer neben […] die Erde verteilt hatte«] F., Religionsphilosophie, S. 359. 539,13-15 entsprechend der Zahl […] hebr. bnê ʾ elîm).] Im hebr. Text der Stelle aus Deuteronomium findet sich der Ausdruck bnê jisraʾ el, »Söhne Israels«, die griech. Septuaginta schreibt »Göttersöhne«, was hebr. bnê ʾ elîm ausgedrückt würde. 539,16 Heft 7/8 der »Neuen Wege«, Seite 359 unten] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 539,3-4. 539,17 »eindeutigen Sinn«] F., Religionsphilosophie, S. 359. 539,18 »Elohim«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7 und zu 129,37-38. 539,20 älohîm, Psalm 82,1b] Buber übersetzt Ps 82,1b mit: »Gott steht in der Gottesgemeinde, im Ring der Gottwesen hält er Gericht.« »Gottwesen« sind die hier von Buber als »Engelfürsten« bezeichneten Wesen. 539,21 danielischen sarîm] Hebr. sar (Pl. sarim), »Fürst«; im Buch Daniel in der Bedeutung von Engelfürsten, die erscheinen, um die Visionen Daniels zu deuten; außerdem nennt Dan 10,20 Engelfürsten als Vertreter der Länder Persien und Griechenland. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 557,4-7. 539,21 ʾ äljôn] Hebr. für »der Hohe« oder auch »der Höchste«. In Gen 14,22, einer der Verse, die Buber hier als Beispiele für die Identifizierung von JHWH mit ʾ äljôn anführt, fügt Abraham bei seiner Begegnung mit dem König Malkizedek dem Namen »JHWH« die Gottesbezeichnung »der Hohe Gott« hinzu. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 97,Anm 12. 539,22 Jhwh] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14.

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539,24 LXX und Pesch] »LXX« ist eine Kurzbezeichnung für die griech. Septuaginta. »Pesch« meint Peschitta, der Name der Bibelübersetzung in syrischer Sprache, die in der syrisch-orthodoxen Kirche und den Ostkirchen syrischer Tradition verwendet wird und während des ersten bis fünften Jahrhunderts n. Chr. entstand. Recht und Unrecht. Deutung einiger Psalmen Martin Bubers Deutung von fünf ausgewählten Psalmen (12, 14, 82, 73, 1) erschien zuerst 1950 auf Hebräisch, dann 1952 auf Englisch und Deutsch. Die deutsche Ausgabe wurde in der von Hans Urs von Balthasar (1905-1988) herausgegebenen »Sammlung Klosterberg. Europäische Reihe« im Schweizer Verlag Benno Schwabe veröffentlicht. Entstanden sind Bubers Psalmen-Kommentare jedoch offenbar schon 1948. In einem Brief an Buber vom November des Jahres berichtet ihm Ludwig Strauss (1892-1953) über sein Lektüreerlebnis (vgl. Ludwig Strauss an Martin Buber am 26. November 1948, in: Briefwechsel Martin Buber – Ludwig Strauss, 1913 – 1953, hrsg. von Tuvia Rübner und Dafna Mach, Frankfurt a. M. 1990, S. 253-254; ausführlicher dazu siehe unten in diesem Kommentar). Das allen ausgewählten Psalmen zugrunde liegende Motiv besteht letztlich in der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Verhältnis von Gut und Böse. Sie stammen zwar, wie ihre stilistischen Differenzen zeigen, offenkundig von verschiedenen Autoren, ergänzen einander aber, wie Buber argumentiert, in der von ihm gewählten Reihenfolge »wie die Stadien eines persönlichen Wegs« (in diesem Band, S. 543): von der Erfahrung der Verlogenheit der Welt und der Hoffnung auf die Durchsetzung von Gottes Wahrheit auf Erden (Ps 12) und der Gewissheit des göttlichen Beistandes gegenüber dem gerechten »Rest« (Ps 14) über die nur von dem Vertrauen auf Gottes gerechtes Gericht über die »Schändlichen« begrenzte Anfechtung angesichts der scheinbaren Gleichgültigkeit Gottes (Ps 82) und das verzweifelte Ringen mit der Frage nach dem Verhältnis der Allmacht Gottes zur Sinnlosigkeit des menschlichen Schicksals, das zur Erkenntnis der geheimnisvollen Nähe Gottes führt (Ps 73), hin zum Glück des Menschen, der auf Gottes Wegen wandelt (Ps 1). Was Buber beabsichtigt, ist seiner Aussage zufolge »ein Versuch existentialer Exegese«: Er möchte anhand der ausgewählten Psalmen »den Unterschied zwischen selbstbewußtem Vorhandensein und wahrhaftem Existieren, als der Nähe Gottes« verdeutlichen. Psalm 12 bietet Buber die Möglichkeit, über das Verhältnis der Herr-

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schaft der Lüge der Mächtigen in der Gesellschaft zur prophetischen Rede von der befreienden Wahrheit des Wortes Gottes als einer verborgen mitten im Unheil wirksamen Wirklichkeit nachzudenken, die von der Zukunft des Heils her bereits in der Gegenwart das »Lügengeschlecht« als nichtig entlarvt: Im Licht von Gottes Wahrheit haben die Frevler schon jetzt »kein andres Sein mehr als ihr Nichts.« (Ebd., S. 548) Psalm 14 bringt den »Riss« zwischen Gottestreue und Abtrünnigkeit zur Sprache, der in der Zeit der Krise nicht einfach zwischen dem Volk Israel und den Völkern verläuft, sondern durch jedes Volk, jede einzelne Volksgruppe und »quer durch jede Seele« geht (ebd., S. 553; vgl. dazu weiter unten). Als messianisches Gebet spricht der Psalm denen in Israel, die auf die kommende Befreiung hoffen, aber an der Gottesferne zu verzweifeln drohen, Mut zu, an der Gegenwart Gottes festzuhalten, der »in Wahrheit die Zuflucht der Gebeugten ist« (ebd., S. 552). Bubers Deutung von Psalm 82 greift diesen Faden auf, indem er dessen Hauptmotiv herausarbeitet: dass den Gebeugten von Gott her Recht geschaffen wird. Dazu bedarf es einer Zwischenüberlegung über die prophetische Kunde der Souveränität JHWHs über alle Völker und Nationalgötter, die lediglich »Masken oder Zerrbilder des einen wahren Völkerbefreiers, des Herrn der Geschichte« sind (ebd., S. 556). Die im Psalm vorausgesetzte mythische Vorstellung von Gottes Gericht über die Fürsten der Völker und über die Zwischenwesen, die über die Völker gesetzten »Götter«, »Gottessöhne« und »Engel«, die sich Gottes Willen für den Schutz der Macht- und Rechtlosen widersetzen, zielt auf die Zusage der »Entgottung« aller ungerechten Machthaber durch Gottes absolute Geschichtsmacht (ebd., S. 558). Interessant ist, dass Buber Franz Kafka (1883-1924) bescheinigt, mit seinen Werken einen – trost- und verheißungslosen – »Kommentar zu den Voraussetzungen dieses Psalms« verfasst zu haben, indem er die Menschenwelt als willkürlichen »Zwischenwesen« ausgeliefert beschrieb. (Hier scheint so etwas wie ein fernes Echo einer Begegnung Bubers mit Kafka im Februar 1914 in Berlin vorzuliegen, bei dem der Schriftsteller im Vorfeld der Aufnahme der Arbeit an seinem Roman Der Prozess mit dem Philosophen »in eine religiöse Debatte über Fragen der Psalmenauslegung und das Motiv des gottlosen Richters (Ps 82)« geriet, »die ihn auf sein großes literarisches Thema des Jahres 1914 – die Gerichtsbarkeit ohne verbindliche Rechtsbasis – einstimmt« (so Peter-André Alt, Franz Kafka. Der ewige Sohn. Eine Biographie, München 2005, S. 375; vgl. dazu auch Ritchie Robertson, »Von den ungerechten Richtern«. Zum allegorischen Verfahren Kafkas im Proceß, in: Hans Dieter Zimmermann (Hrsg). Nach erneuter Lektüre: Franz Kafkas »Der Proceß«, Würzburg 1992, S. 201-209). Was Buber von Kafka trennt, formuliert er

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im Schlusssatz der Reflexion zu Psalm 82: »Was in die Betrachtung Kafkas als des Menschen unserer Zeit nicht eingegangen ist, steht in diesem Psalm.« (In diesem Band, S. 559.) Die vielleicht persönlichsten Reflexionen widmet Buber Psalm 73, jenem Text, den er, wie er selbst betont, auf Rosenzweigs Bitten 1929 bei dessen Grablegung gelesen habe und dessen zentrale Botschaft in Vers 23 (»Und doch bleibe ich stets bei dir, / meine rechte Hand hast du erfaßt.«) sowohl Bubers als auch Rosenzweigs Grabstein ziert. Bubers Kommentar zu diesem Psalm führt schon daher mitten ins Herz seiner eigenen religiösen Existenz, aber auch in die tiefe Spannung, die seinem Gottesverständnis innewohnt, ins Zentrum seines diskreten Nachdenkens in den Jahren nach 1945 über eine Deutung des Vertrauens auf Gottes Nähe im Leid, die dem Völkermord am jüdischen Volk und der tiefen Infragestellung jeglichen religiösen Glaubens nach Auschwitz angemessen wäre. Psalm 73 spielt in diesem Kontext mehrfach eine zentrale Rolle, so in Der Glaube der Propheten im Kapitel »Der Gott der Leidenden« (in diesem Band, S. 280-350, bes. S. 317-321). Die Frage des Psalms nach dem Leiden des Restes Israels im Exil – im Gegensatz zum Wohlergehen der Frevler – führt ihn, so Buber, an den Abgrund der Verzweiflung, in die Versuchung der Anklage des als abwesend erfahrenden Gottes. Den Wendepunkt des Psalms erkennt er dort, wo dem Betenden in der beharrlichen Anrufung Gottes und seinem Ringen mit ihm eine zweifache Offenbarung zuteil wird: das Wissen, dass von der zukünftigen Befreiung aus betrachtet die grundlegende »Nichtexistenz« der »Gott Fernen« (ebd., S. 570) sichtbar wird, deren Dasein allenfalls ein nun zerfließendes »Schattenbild in einem Traume Gottes« war (ebd., S. 566), und die Zusage, dass jene, die lauteren Herzens sind, Gott nahe sind, weil dieser stets bei ihnen ist. Die Konsequenz daraus ist eine ethische, die Forderung, dieser Nähe Gottes entsprechend zu handeln; die Verheißung lautet, dass diese Zuflucht und Geborgenheit ewig währt, nicht nur im kollektiven Leidensschicksal, sondern auch im individuellen Tod. In seiner abschließenden Deutung von Psalm 1 unterscheidet Buber zwischen dem »Bewährten«, dem »Frevler« und dem »Sünder«: »Dem rechten Weg, dem Weg Gottes, folgen die ›Bewährten‹. ›Frevler‹ sind, die sich, auf ihrem eigenen Weg beharrend, weigern, jenen zu betreten, ›Sünder‹, die ihn immer wieder verfehlen.« (Ebd., S. 571.) Bubers Unterscheidung zwischen ›Frevlern‹ und ›Sündern‹ wurde von unterschiedlicher Seite in Frage gestellt. James Muilenburg (1896-1974), Professor für Altes Testament und semitische Sprachen in den USA, bezweifelt die Legitimität dieser Unterscheidung, indem er sich auf Bubers eigene hermeneutische Methode des Leitwortstils beruft. Eine »eingehende Analyse

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der Form und Schlüsselworte« führe vermutlich nicht zum Schluss einer solchen Unterscheidung. (James Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, in: Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman (Hrsg.), Martin Buber, Stuttgart 1963, S. 373.) Ludwig Strauss, der ansonsten Bubers Psalmenkommentar mit »großer Freude, ja mit Erregung […] gelesen und viel neue Klarheit dabei gewonnen« habe, »besonders der Aufsatz über den Zweiundachtzigsten scheint mir wichtig und schön«, kritisiert Bubers Unterscheidung zwischen ›Frevler‹ und ›Sünder‹ ebenfalls, allerdings aus anderer Perspektive: »Wenn ich mehr als über meine dankbare Zustimmung über einen Widerspruch schreibe, der sich in mir meldet, so nicht, weil der wichtiger wäre, sondern einfach, weil er mehr zu sagen gibt. Es handelt sich um deine Unterscheidung von chataim [hebr. »Sünder«] und reschaim [hebr. »Frevler«] in den Bemerkungen zum ersten und zum dreiundsiebzigsten Psalm […]. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass der Psalmist wirklich den rascha für eine ›Menschenart‹ nimmt, das heißt doch wohl, die menschliche Freiheit bei ihm für aufgehoben erachtet und dem Schöpfer die ganze Verantwortung für sein Böses und Nichtiges zuschiebt. Ich halte es hier mit dem Kommentar zum Schluss von Ps. 104 in Berachot 10a […]: ›Bete ihretwegen, daß sie sich wenden in Umkehr und keine Frevler mehr sind.‹ […] Es sieht aus, als ob Du Dich mit dem Psalmisten, wie Du ihn verstehst, identifizierst, und mir ist die sachliche Glaubensfrage hier noch wichtiger als die Deutungsfrage. So kann ich mir das Verhältnis von Gott und Mensch nicht vorstellen. […] Die Erschaffung des Menschen im Bilde Gottes schließt das Vorhandensein einer Menschenart ›Frevler‹ als eines Festgegebenen aus und läßt auch das Frevlertum nur als ›Wesensstand‹ möglich sein. Mich lehrt das auch alle Erfahrung, und ich sehe im Text nichts, was zu Deiner Deutung zwingt.« (Strauss an Buber, 26. November 1948, in: Briefwechsel Martin Buber – Ludwig Strauss, S. 253 f.) Strauss bezieht sich hier wohl hauptsächlich auf die folgende Passage in Bubers Kommentar zu Psalm 1, in der dieser schreibt: »›Frevler‹ ist hier wirklich die Bezeichnung einer Menschenart, einer dauernden Beschaffenheit, ›Sünder‹ hingegen bezeichnet eher einen Zustand, eine Anwandlung, die den Menschen jeweils überkommt, ohne zur Anhaftung zu werden. Die Sünder verfehlen jeweils den Weg Gottes, die Frevler widerstreben ihm ihrer konstitutiven Grundhaltung nach. Der Sünder tut Böses, der Frevler ist böse.« (In diesem Band, S. 575.) In seiner Antwort an Strauss weist Buber dessen Annahme, er identifiziere sich mit der Haltung des Psalmisten, zurück. Auch geht ihm Strauss’ Interpretation der Deutung des Begriffs »Menschenart«, den Buber verwendet, zu weit; allerdings beharrt er auf der Angemessenheit des Begriffs im Hinblick auf das, was

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der Psalmist ausdrücken wolle: »Ich selber bin radikal gegen alle Verstockungslehre […]. Der Psalmist selber ist darin freilich, wenn ich so sagen darf, unfreier als ich, aber auch er geht m. E. nicht so weit wie Du meinst, daß ich ihn gehen lasse. […], aber Menschenarten scheint er mir doch zu meinen; […] Die ›Grundhaltung‹ […] ist verschieden, aber auch eine Grundhaltung läßt sich durchbrechen, das wird auch der Psalmist, wie ich ihn verstehe, nicht leugnen. Darum sage ich am Schluß des vorletzten Absatzes von 1 meine eigene Ansicht, die die objektive Möglichkeit des Durchbruchs ›von Gott aus‹ doch wohl eindeutig behauptet, als ›Fortsetzung‹ der seinen.« (Martin Buber an Ludwig Strauss, 1. Dezember 1948, in: Briefwechsel Martin Buber – Ludwig Strauss, S. 257; vgl. zu Bubers Hinweis auf seinen eigenen Text, in diesem Band, S. 575.) Der eigentliche Zielpunkt seiner Interpretation von Psalm 1 (und des ganzen im Spiegel der ausgewählten Psalmen dargestellten existentiellen Fragens nach Gottes Gegenwart) liegt in der Beschreibung des wahren menschlichen Glücks, das – noch in der biographischen Erfahrung widrigen Schicksals – darin liegt, den Weg der göttlichen »Weisung« in der Tora zu beschreiten und darin von Gott »erkannt« zu werden (ebd., S. 573). Die letzte Frage, die sich als verborgenes Motiv durch alle fünf Psalmen zieht, jene nach dem Fortbestehen des Bösen trotz der Gegenwart Gottes, muss Buber unbeantwortet lassen, da ihre Abgründigkeit noch tiefer als Hiobs Theodizeefrage »zum Dunkel des göttlichen Geheimnisses« vordringe: »Der Psalmendeuter steht davor und verstummt.« (S. 576.) Da sowohl die deutsche als auch die englische Ausgabe von Recht und Unrecht im gleichen Jahr (1952) erschien, finden sich – vornehmlich aus der Zeit kurz nach Erscheinen von Bubers Psalmenkommentar – neben Buchbesprechungen in verschiedenen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften zahlreiche Rezeptionszeugnisse aus englischen Zeitungen. (Die englische Ausgabe war 1952 bei S.C.M. Press in London erschienen, übertragen von Ronald Gregor Smith (1913-1968), der u. a. auch Bubers Schriften Ich und Du, Bilder von Gut und Böse, Urdistanz und Beziehung sowie die Essays aus dem Band Dialogisches Leben. Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften übersetzte.) Unter den Rezeptionszeugnissen, die über die Nennung der behandelten Psalmen und eine knappe, sich an Bubers Vorwort orientierende Darlegung seiner Absicht hinausgehen, sei zunächst auf diejenigen Beiträge hingewiesen, die in Bubers Psalmenkommentar einen deutlichen Bezug zur geschichtlichen Gegenwart erkennen. So schreibt ein Rezensent unter den Initialen E. L. A. in Reconciliation vom September 1952: »Special interest attaches to Psalm 82, with its assertion of God’s will to

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righteousness as against the powers that rule the world for the time being.« Im Kirchenblatt für die reformierte Schweiz, Basel, 25. 9. 1952, charakterisiert der Schweizer Altorientalist Johann Jakob Stamm (19101993) als den »Wesenszug« von Bubers Auslegung »und mit ein Zeichen ihres ›existentialen‹ Charakters […] das Bestreben […], einzelne Aussagen und Begriffe neu und eher dynamisch, weder mythisch noch streng eschatologisch, sondern realistisch und gegenwartsbestimmend zu verstehen.« Als richtungsgebend in einer chaotischen Gegenwart versteht der jüdische Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin (19131999) Bubers Schrift. In Bezug auf Bubers Deutung von Psalm 14 schreibt er, der Philosoph sei in der gegenwärtigen Krisenzeit, in der ein »Riss« (Bubers Überschrift für Ps 14) durch alles gehe, »einer der ganz wenigen Wegweiser in dieser Wirrnis, der uns zur Orientierung auf unsere wahre Aufgabe hin verhelfen kann.« (Hakidmah, 29. August 1952.) Bernard Canter konstatiert unter der Überschrift »Wisdom of the Psalms« am 2. Januar 1953 im Jewish Chronicle, London, in Bubers Schrift finde sich mehr als reiner Kommentar und mehr als die Erhellung der Geschichte des Alten Israel. Vielmehr: »The relevance of these poems to the contemporary world, to the personal and communal life of man today, becomes clear.« Als ein Beispiel hierfür zitiert Canter die folgende Passage aus Psalm 12: Die Lügner »reden ›Wahn‹ […], insbesondere spiegeln sie ihnen [den anderen Menschen] eine Gesinnung vor, die sie nicht hegen.« Die Lügner setzen »seiner [des Mitmenschen] Welt- und Lebenskenntnis erlogenes Material ein und fälschen so die Beziehung seiner Seele zum Sein.« (In diesem Band, S. 547.) Lapidar stellt er anschließend fest: »The reference here to recent European history is clear enough.« Zu Bubers Deutung von Psalm 14 hält Canter fest, dieser weise eine gängige Interpretation zurück, die unter den »Menschenkindern« und den »Schändlichen« die anderen Nationen im Gegensatz zu Israel verstehe. Der Rezensent verweist hier auf eine Interpretation Bubers, die vor dem Hintergrund der jüngst vergangenen europäischen Geschichte, der Shoah, erstaunen mag, bedenkt man, dass Bubers Psalmendeutung offenbar schon 1948 entstanden ist (vgl. oben in diesem Kommentar). Buber setzt sich mit einem bestimmten, vorgeblich seit langem artikulierten jüdischen Verständnis des Psalms auseinander. Danach meint der Psalmist mit den schändlichen, verderbten, den von ihrer ursprünglichen Menschlichkeit abgefallenen »Menschenkindern« die anderen Völker, mit den Gebeugten und Verzehrten, die dem »bewährten Geschlecht« Angehörigen das Volk Israel. Betrachte man den Ort, den das jüdische Volk in der Menschheitsgeschichte und bis heute einnehme, gesteht Buber zunächst ein, so wäre eine solche In-

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terpretation nur zu verständlich, und er fügt bedeutsam hinzu: »zumal in unserem Zeitalter«. Dann aber fährt er in einer unmissverständlichen Wendung gegen diese Betrachtungsweise fort: »nichts ist verkehrter«. (Ebd., S. 551.) Im Folgenden distanziert er sich, ganz in Einklang mit seinen grundsätzlichen Reflexionen zur Erwählung Israels (vgl. in diesem Band, S. 102-113, 652-666) ebenso vehement wie eindeutig von einem solchen Verständnis des Psalms, das er als »erbärmliche Selbstgerechtigkeit« kennzeichnet. Als Ausgangspunkt für die Darlegung seiner eigenen Deutung der Zweiteilung, die der Psalmist vornimmt, dient ihm einerseits die exegetische Überlegung, dass die Wortwahl des Psalms eine Zuordnung der »Schändlichen« und der »Menschenkinder« als die anderen Nationen im Unterschied zu Israel nicht rechtfertige, andererseits das bereits in Der Glaube der Propheten immer wieder betonte prophetische Konzept des »heiligen Restes« Israels, der das »eigentliche« Gottesvolk im Gegensatz zum vom göttlichen Weg abgewichenen Teil des Volkes verkörpert (ebd., S. 552 f.). Stattdessen spreche der Psalmist von einem »entzweigerissenen Israel«, den »Hochfahrenden« und den »Demütigen« (ebd., S. 552). Wenn Buber das Heil, das vom Zion ausgeht, als »das Zion der im Lande Israel erfüllten Gerechtigkeit« (ebd., S. 553) qualifiziert, so eignet diesen Reflexionen im zeitgeschichtlichen Kontext, kurz nach der Shoah und der Gründung des Staates Israel, angesichts seiner eigenen exponierten Position in den innerisraelischen politischen Debatten ein Klang der Mahnung für seine eigene Gegenwart (zu Bubers Rolle als mahnende Stimme in den ersten Jahren des Staates Israel vgl. Bubers Schriften zur zionistischen Politik und zur jüdisch-arabischen Frage, MBW 21). Einige Besprechungen heben anerkennend Bubers präzise Untersuchung und eingehende Diskussion des Gebrauchs bestimmter Wörter in den Psalmen und den Erkenntnisgewinn hervor, den der Leser daraus ziehen könne. Gleichzeitig merken jedoch die allermeisten dieser Beiträge kritisch an, dass der Leser – z. B. aus christlicher Perspektive – von Bubers Argumentation nicht immer überzeugt sein könne, oder sie stellen, teilweise als harsche Kritik vorgetragen, fest, dass Buber den Text der Psalmen streckenweise überinterpretiere. Insgesamt schwankt die Rezeption zwischen Bewunderung für die genaue Textanalyse und Ablehnung der aus ihrer Sicht überzeichneten Interpretation der Psalmen. F. D. Kidner zieht in seiner im Dezember 1952 in The Churchman (ein wissenschaftliches Publikationsorgan der evangelikal-anglikanischen Kirche) erschienenen Besprechung folgendes Fazit: »Whether or not we are convinced by the author’s main contention, we are held closely to the text and are drawn along in the current of the Psalmist’s thoughts. We are

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likely to find that we have gained quite a new insight into these Psalms.« Ein Rezensent charakterisiert im Volksblatt, Basel, am 17. Oktober 1953 – aus Sicht eines »katholischen Christen« – Bubers Schriften Recht und Unrecht und Bilder von Gut und Böse, die beide 1952 erschienen waren, als eine »bewußt jüdische und in großer Tiefe offenbarungsgläubige Bibel-Exegese, die dennoch weder an den gesetzlichen, noch an den geschichtlichen Buchstaben der Heiligen Schrift gebunden ist«. Beide Schriften Bubers seien eine »für unsere geistige Bequemlichkeit nicht eben zuträgliche Erscheinung«, und der christliche Leser könne, auch wenn er nicht alle Deutungen zu teilen vermöge, »doch mehr von diesem Juden für das Verständnis der letzten religiösen Wahrheit lernen«, als von zahlreichen anderen Schriften, die die Ansichten derjenigen bedienten, die die Offenbarung v. a. des »Alten Bundesbuches« verachteten. Einige der Rezensenten erkennen Parallelen zwischen Bubers Psalmendeutung und seinem Dialogdenken. Anthony Curtis verweist in The New Statesman and Nation, 25. Oktober 1952, S. 486, mit Blick auf Bubers Reflexionen über die »Nichtigkeit« der Frevler zustimmend darauf, dass dem Philosophen zufolge eine der großen Offenbarungen der ausgewählten Psalmen die sei, dass die Bösen nicht wirklich existierten, während Gott den Weg der Bewährten »kenne« (vgl. in diesem Band, S. 573). An dieser Stelle, so der Rezensent, komme Bubers Psalmenkommentar zurück zu seiner Schrift Ich und Du, insbesondere dort, wo er erläutere, dass das Wort »kennen, erkennen« im Hebräischen nicht einfach die Wahrnehmung oder Betrachtung von etwas oder jemandem bedeute, sondern »Wesenskontakt« und »Gegenseitigkeit« anzeige (vgl., ebd., S. 574). Auch für einen nur mit den Initialen R. T. H. kenntlich gemachten Rezensenten in Books Abroad, Bd. 27, Nr. 1 (Winter 1953), S. 41, liegt die eigentliche Aussage von Bubers Psalmendeutung in der Erkenntnis, Religion sei ein Dialog zwischen Gott und Mensch: »There are a hundred incidental observations in the little book which deserve attention, but at bottom it is a solidly grounded restatement of Buber’s much-discussed confrontation of the I and the Thou. Religion is a dialogue: God is Thou.« Anzumerken ist zudem, dass interessanterweise manche englischsprachigen Rezensionen Bubers Recht und Unrecht neben der im gleichen Verlag und Jahr erschienenen englischen Übersetzung von Karl Jaspers Vernunft und Widervernunft unserer Zeit (1950), Reason and Anti-Reason in Our Time, besprechen. So kommt ein Rezensent beim Vergleich der beiden Schriften zu folgendem Schluss: »The difference between Jas-

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pers and Buber may be stated thus: the God who is in the background for the former, as the Transcendent that gives meaning to all our experience, is in the foreground for the latter, as the God of Israel’s faith and humanity’s need. Both end on the note of mystery. For beyond our knowledge, beyond our decision and action, yes, beyond our faith even, there is a realm we can only enter in silent awe.« (E. L. Allen, Right and Wrong, in: British Weekly, 11. September 1952.) Textzeugen: h1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); 3 lose, paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit zahlreichen Korrekturen versehen; enthält einen Entwurf des Vorworts. h2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); 2 lose, paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit vereinzelten Korrekturen versehen; Reinschrift von h1. 3 h : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41), 50 lose, paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit vielen Korrekturen teils von verschiedenen Stiften versehen. Enthält die Psalmen und die zugehörigen Interpretationen, das Vorwort ist hierin nicht enthalten. Die Paginierung setzt mit jedem Abschnitt neu ein. ts1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); enthält auf losen, teils paginierten Blättern Bubers Übersetzungen der besprochenen Psalmen. Das Typoskript ist zweischichtig: ts1.1: Grundschicht. ts1.2: Überarbeitungsschicht: vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand, teils in Tinte, teils mit Bleistift. ts2: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); 6 lose, paginierte Blätter. Enthält das Kapitel »Gegen das Lügengeschlecht«. Neben diesem Typoskript existieren zwei weitere Exemplare, die identische Durchschläge sind und gleichlautende handschriftliche Korrekturen aufweisen. Diese werden im Variantenapparat nicht gesondert berücksichtigt. Das Typoskript ist zweischichtig: ts2.1: Grundschicht. ts2.2: Überarbeitungsschicht: vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand. ts3: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); 4 lose, paginierte Blätter. Enthält das Kapitel »Der Riss«. Neben diesem Typoskript existiert ein weiteres, bei dem es sich um einen identischen Durchschlag handelt und das die gleichen handschriftlichen Korrekturen aufweist. Diese werden im Variantenapparat nicht gesondert berücksichtigt. Das Typoskript ist zweischichtig: ts3.1: Grundschicht.

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ts : Überarbeitungsschicht: vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand. ts4: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); 8 lose, paginierte Blätter. Enthält das Kapitel »Gericht über die Richter«. Neben diesem Typoskript existieren zwei weitere Exemplare, die identische Durchschläge sind und gleichlautende handschriftliche Korrekturen aufweisen. Diese werden im Variantenapparat nicht gesondert berücksichtigt. Das Typoskript ist zweischichtig: ts4.1: Grundschicht. ts4.2: Überarbeitungsschicht: vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand. ts5: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); 14 lose, paginierte Blätter. Enthält das Kapitel »Das Herz entscheidet«. Neben diesem Typoskript existiert ein weiteres, bei dem es sich um einen identischen Durchschlag handelt und das die gleichen handschriftlichen Korrekturen aufweist. Diese werden im Variantenapparat nicht gesondert berücksichtigt. Das Typoskript ist zweischichtig: ts5.1: Grundschicht. ts5.2: Überarbeitungsschicht: vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand. ts6: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41); 8 lose, paginierte Blätter. Enthält das Kapitel »Die Wege«. Neben diesem Typoskript existieren zwei weitere Exemplare, die identische Durchschläge sind und gleichlautende handschriftliche Korrekturen aufweisen. Diese werden im Variantenapparat nicht gesondert berücksichtigt. Das Typoskript ist zweischichtig: ts6.1: Grundschicht. ts6.2: Überarbeitungsschicht: vereinzelte Korrekturen von Bubers Hand. D0: Korrekturfahnen zu D1 im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 41). Die Korrekturfahnen sind zweischichtig: D0.1: Korrekturfahnen. D0.2: Handschriftliche Korrekturen von Buber. D1: Sammlung Klosterberg, Europäische Reihe, Klosterberg-Basel: B. Schwabe 1952, 75 S. (MBB 891). D2: Werke II, S. [951]-983 (MBB 1252). 3.2

Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Right and Wrong. An Interpretation of some Psalms, übers. von Ronald Gregor Smith, London: S.C.M. Press 1952, 62 S. (MBB 892); I. Right and Wrong in: Good and Evil. Two Interpretations, übers. von Ronald Gregor Smith, New York: Ch. Scribner’s Sons 1953, S. 360 [enthält außerdem Images of Good and Evil] (MBB 917); nur der

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Abschnitt »Das Herz entscheidet«: The Heart Determines, übers. von Ronald Gregor Smith, in: Biblical Humanism. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, London: Macdonald 1968, (MBB 1310), S. 199-210 und in: On the Bible. Eighteen Studies, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1968, S. 199-210 (MBB 1316). Hebräisch: Ha-tzedek we-ha-awel al pi tzror mizmore tehilim, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität, 1950, 29 S. (Vorträge zum Gedächtnis an Jehuda Leib Magnes, 2. Folge, Tischre 711 [= 1950] (MBB 844); in: Darko schel miqra, Ijjunim bi-dfuse- signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 139-162 (MBB 1260). Niederländisch: Recht on Onrecht, übers. von F. de Miranda, Wassenaar: Servire 1975, 63 S. (MBB 1386). Variantenapparat: 541,Titel] Mühsal und Erleuchtung D0.1 543,2 Buch] [kleinen] Buch h1 543,4-5 , damit aber auch […] überhaupt] h, damit aber auch […] überhaupti h1 543,6-7 Stildifferenzen] [Sprach- und Strukturdifferenzen] ! [Formdifferenzen] ! Stildifferenzen h1 543,8-9 Wesenshaltung] Grundhaltung h1, h2, D0.1 543,9-10 sich nur eben mannigfach darstellende Gestalt] [mannigfaches Leben gewinnende Urgestalt] ! sich nur eben mannigfach darstellende Gestalt h1 543,15 »glatte Zunge«] [Lüge] ! »glatte Zunge« h1 543,18 erscheinen] erscheinen [und gelten] h1, h2 543,18 Schlupfwinkel] [Ort] ! Schlupfwinkel h1 543,23 das Rechte] [das Gute] ! das Rechte h1 543,25 beharrt in der Gerechtigkeit] beharrt hin der Gerechtigkeiti h1 543,26 Gott, so weiß er,] Gott h, so weiß er,i h1 543,28 Niederwerfung] [Ahndung] ! Niederwerfung h1 543,29 Gunst] [Gnade] ! Gunst h1 543,30-31 die Wende tritt nicht ein] keine [Wandlung] ! Wende tritt ein h1 keine Wende tritt ein h2, D0.1 543,31 »Schändliche«] »Nichtige« D2 543,34 daß Gott] dass [, wie man sich erzählt] Gott h1 543,34-35 irdische Regiment] hirdischei Regiment h1 543,36 untreu geworden seien] untreu [wurden, und das Unrecht begingen. Wieder jedoch] ! geworden seien h1 544,2 daß er »auferstehe«] er möge »auferstehen« D2

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544,2 daß er »auferstehe« vgl. Gottes Verheißung im 14. Psalm] dass er »auferstehe« – wie er im 14 Psalm Gott selber verheissen liess, er wolle »auferstehen« – h1 544,5 Gemeinheit] [Brutalität] ! Gemeinheit h1 544,5-6 dünkt es ihn, es könne] [sieht es so aus, als ob es] ! dünkt es ihn, es könne h1 544,7 Allmacht] [Weltherrschaft] ! Allmacht h1 544,9-10 nah, der Verzweiflung anheimzufallen] daran, der Verzweiflung zu verfallen h1 544,11 Erleuchtung] [grossen] Erleuchtung h1 544,11 Wandlung] [inneren] Wandlung h1 544,12 Herzen] [gewendeten] Herzen h1, h2 544,19 diesem Buche] dieser Schrift D2 544,20-21 selbstbewußtem] [blossem] ! selbstbewusstem h1 544,21-22 der Nähe Gottes] [dem Bereitsein für Gott] ! der Nähe Gottes h1 544,22-23 ein Versuch existentialer Exegese] [existentiale Exegese] ! ein Versuch existentialer Exegese h1 544,24-35 Die den einzelnen Abschnitten […] wiedergegeben.] fehlt D2, D0.1, D0.2 545,2 12] (Der zwölfte) h3, ts2.1, ts2.2 Psalm 12 D2 545,3-33 Des Chormeisters, […] Menschenkindern.] fehlt h3, ts2.1, ts2.2 545,3 eine Weise] ein Psalm D0.1 545,7 Menschenkindern] Adamskindern ts1.1, D2 545,8 Wahn] Wahnspiel ts1.1, D0.1, D2 545,23 in die Freiheit] ins Heil ts1.1 545,33 Menschenkindern] Adamskindern D2 546,2 verschieden ist] verschieden [weil eben tierhaft] ist h3 546,3 das Sein der Wahrheit] [die Wahrheit als sie selber] ! das Sein der Wahrheit h3 546,8 die Absicht hier auf] [es in dieser Urverfassung um] ! die Absicht hier auf h3 546,8-9 Festigung einer Gemeinschaft] Festigung einer Gemeinschaft [einerseits in ihrem Bund mit ihrer Gottheit, anderseits] h3 546,19 Perfektion] Ausbildung h3, ts2.1 546,24 Motivworte »Menschenkinder«] Leitworte »Adamskinder« D2 546,25 Sprüche, befreien, Freiheit] Sprüche h, befreien, Freiheiti h3 546,26 negativen Einfluß] hnegativeni Einfluss h3 546,29 diesen Einfluß] diesen Einfluss, um ihre Durchsetzung mit der Lüge h3, ts2.1

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546,29-31 Ihr steht die »befreiende« Tat […] ihm ausgeht] [Ihr stehen die »Sprüche« gegenüber: das urechte Wort, wie es von Gott ausgeht] ! Ihr steht die »befreiende« Tat […] ihm ausgeht h3 546,34 Grundeigenschaften] [Grundqualitäten] ! Grundeigenschaften h3 546,34 das Miteinanderleben] [das Verhältnis] ! das Miteinanderleben h3 546,36 die Bereitschaft […] Zuverlässigkeit] fehlt ts2.1 546,38-39 verbindliche Übereinstimmung […] geäußerten Gesinnung] [Übereinstimmung zwischen meinen Äusserungen und meiner Gesinnung] ! verbindliche Übereinstimmung […] geäußerten Gesinnung h3 546,39 dahin] hinweg h3, ts2.1, D0.1 547,4-5 – in bezug […] Zweck] h– in Bezug […] Zwecki h3 547,5 die der Psalmist] die [Menschen] ! Leute, die der Psalmist h3 547,7 einem Wahn anhingen] einen Wahn hegten h3 547,8-9 , insbesondere […] nicht hegen] h, insbesondere […] nicht hegeni h3 547,10 Menschen] [Menschheit] ! Menschen h3 547,12-13 erlogenes] [falsches] ! erlogenes h3 547,21 Und das dritte] davor Absatzwechsel D2 547,22-23 durch das ihnen Vorgetäuschte gefügig] hdurch das ihnen Vorgetäuschtei gefügig, ja vertrauend h3 547,23 gefügig] gefuegig, ja vertrauend, ts2.1 547,24-25 macht ihnen die Hörigen […] Ahnen sie aber] schafft ihnen damit immer mehr Grund zur Grossrednerei. Und ahnen sie h3, ts2.1, ts2.2, D0.1 547,26 regt und eine Hoffnung erwacht] regt [in einem mit der Hoffnung] ! und eine Hoffnung erwacht h3 547,33 Unheils] Urteils D0.1 547,36-37 sein Königtum] [seine Herrschaft] ! sein Königtum h3 547,38 zum Entsetzen und Entzücken offenbar] hzum Entsetzen und Entzückeni offenbar [und allbekannt] h3 548,3 In die Freiheit] Ins Heil, in die Freiheit h3, ts2.1, ts2.2 548,5 in die Gottesfreiheit] ins Heil, in die Gottesfreiheit h3, ts2.1, ts2.2 548,7 »jetzt«] eben »jetzt« [, jetzt endlich,] h3 548,10-11 Nichts, nichts weiter] Nichts D2 548,12-13 Menschenkindern] Adamskindern D2 548,17 gehört] [bezeugt] ! gehört h3 548,18 dieser Spruch, wie alle Sprüche Gottes] er [vollkommen wahr ist, denn] ! wie alle Sprüche Gottes h3

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548,25 Gott entgegen] Gott entgegen [, wie eben das Sein der Nichtigkeit, das nichtexistente Sein, dem Sein Gottes, als der vollkommenen Existenz] h3 548,27 wirst du »ihn«] wirst du [, das heisst, einen jeden von uns Armen und Gebeugten, vor dem Lügengeschlecht da »auf ewig« bewahren.] ! »ihn« h3 548,35 anscheinend von einem einzigen Geschlecht] hanscheinendi von einem einzigen Geschlecht h3 548,40 Betrogenen und Mißbrauchten] [Unterdrückten und] ! Betrogenen und [Bedrückten] ! Missbrauchten h3 548,40 Beistand] [Schutz] ! Beistand h3 549,1 ins Heil versetzt] [im Reich der Wahrheit weilen lässt] ! ins Heil versetzt [, welches die dem Menschen zugeteilte Wahrheit ist. In der Zeit ist die Lüge immer wieder mächtig, bis dass sie verschlungen wird, aber in der Ewigkeit] h3 550,1 Der Riß] [Zerfall] ! [Zwei Völker in einem] ! Der Riss / (Der vierzehnte) h3 550,2 14] (Der vierzehnte) h3, ts3.1 Psalm 14 D2 550,3-31 Des Chormeisters, […] Israel freuen.] fehlt h3, ts3.1, ts3.2 550,4 Schändliche] Nichtige D2 550,9 Menschenkinder] Adamskinder D2 550,12 abgefallen] abgewichen ts1.1, D0.1 550,13 angefault sind sie mitsammen] mitsammen sind sie verfault ts1.1 550,17 Harmwirker] Argwirkenden D2 550,24 beschämen] zuschanden machen D2 550,25 Burg] Bergung ts1.1, D2 551,1 Liest man diesen Psalm nur flüchtig, so] Wenn man diesen Psalm flüchtig liest, dann h3, ts3.1, ts3.2, D0.1 551,2 unsicheren] fragwürdigen h3, ts3.1 551,3 von Israel und den Völkern] von [dem Verhältnis zwischen] Israel und den Völkern h3 551,3 sind »schändlich«] seien nichtig D2 551,4 ist »verderbt«] sei »verderbt« D2 551,4 unter ihnen ist] unter ihnen sei D2 551,4-5 , wie Mal um Mal wiederholt wird, kein einziger] [keiner] ! , wie Mal um Mal wiederholt wird, kein einziger h3 551,6-7 keiner, der nach Gott und seinem Walten fragt] keiner fragt nach Gott [und seinem Walten] h3 551,7 alle sind] alle seien D2

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551,8-9 »abgefallen« […] »angefault«] [»abgewichen«, alle sind sie »zersetzt«] ! »abgefallen«, ihre Gesamtheit ist, wie [verlorene] ! verdorbene Milch, »angefault« h3 551,9 Speise, »angefault«] Milch, »zersetzt« ts3.1, D0.1 551,10 der Gemeinschaft dieser Missetäter] [diesen »Harmwirkern der Gemeinschaft«] ! [dem Klüngel] ! der Gemeinschaft dieser Missetäter h3 551,13-14 hat gewiß der Juden nicht wenige gegeben] gibt der Juden nicht wenige h3, ts3.1, ts3.2, D0.1 551,14-16 eine in ihrer […] und des Platzes] den Ausdruck ihrer Betrachtung der gegenwärtigen Menschenwelt und des Platzes empfinden h3, ts3.1 551,17 einnahm und einnimmt] einnimmt h3, ts3.1 551,17 zumal in unserem Zeitalter] nach diesem Jahrzehnt h3 551,20 Schändliche] Nichtige D2 551,21 zum Unterschied] [im Gegensatz] ! zum Unterschied h3 551,21 Juden] »Juden« D0.1 551,22 Menschenkinder] Adamskinder D2 551,22 die fremden Völker] [einen Teil des Menschengeschlechts im Gegensatz zu einem andern, eine Mehrheit] ! die fremden Völker h3 551,35 Wirklichkeit] [Wahrheit] ! Wirklichkeit h3 551,36-37 von Gott schwatzenden und gegen ihn lebenden] gottvoll schwätzenden und gottlos [existierenden] ! lebenden h3 gottvoll sich wähnenden und gottlos lebenden ts3.1 gottvoll schwätzenden und gottlos lebenden ts3.2, D0.1 551,37-38 von Gott schweigenden und ihm nachfolgenden] es umgekehrt haltenden h3, ts3.1, ts3.1, D0.1 552,1 das den Namen Israel führt] das [man Israel nennt] ! den Namen Israel führt h3 552,3 Schändlichen] Nichtigen D2 552,7 »Angefaulten«] »Zersetzten« h3, ts3.1, ts3.2, D0.1 552,8 Ganzheit] Ganzheit [, die man »alle« nennen kann] h3 552,12 Volk, Gottes Volk,] Volk h3, ts3.1 552,13-14 andern, aber […] erscheinen] andern »alle« h3, ts3.1 552,15-18 entzweigerissen […] faulende Volkssubstanz] [in zwei Wesenheiten zerrissen, – aber nur die eine von diesen hat noch das echte innere Leben des Volkes, die andere ist eine zersetzte Schicht] ! entzweigerissen […] faulende Volkssubstanz h3 552,19-20 Presser] [Unterdrücker] ! Presser h3 552,20 Gepreßten] [Unterdrückten] ! Gepressten h3 552,20 Hochfahrenden] [Schändlichen] ! Hochfahrenden h3

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Einzelkommentare

552,20-21 Demütigen] [Bewahrten] ! Demütigen h 552,22-23 Lippen, mit den Lippen bekennen sie ihn] Lippen h, mit den Lippen bekennen sie ihni h3 552,39 prophetische Psalmist] hprophetischei Psalmist h3 552,41 es gibt keinen Sinn] [es geht nicht an] ! es gibt keinen Sinn h3 553,1-2 im Lande Israel erfüllten Gerechtigkeit] him Lande Israeli erfüllten Gerechtigkeit h3 553,4 später Psalmendeuter] [Psalmensprecher] ! später Psalmendeuter h3 speater Psalmensprecher ts3.1 553,5 Zweiteilung Israels] Zweiteilung [der Menschenwelt] ! Israels h3 553,10-11 Nur noch […] Volkes offenbar] Aber auch heute ist zu erkennen, wie in den grossen Krisenzeiten die heimliche Zerrissenheit eines Volkes offenbar wird h3, ts3.1 554,2 82] (Der zweiundachtzigste) h3, ts4.1, ts4.2 Psalm 82 D2 554,3-24 Ein Psalm Asafs […] Weltstämme alle.] fehlt h3, ts4.1, ts4.2 554,3 Psalm] Harfenlied D2 554,5 ›Götter‹] ›Gottwesen‹ D2 554,10 bestätigt] bewahrheitet ts1.1, D0.1 554,18 Höchsten] Hohen ts1.1, D0.1 554,21 Auf] Erhebe dich D2 554,26 letztlich so eindeutigen] [so einfachen] ! letztlich so eindeutigen h3 554,27-28 Er will freilich […] betrachtet werden] [Für sich betrachtet gibt er seinen Sinn gern her] ! Er will freilich […] betrachtet werden h3 554,32-33 – imaginären oder visionären – Vorgang] h– imaginären oder visionären –i Vorgang h3 555,5 gleichsam aus ihm folgernd] [aus der Vision] ! gleichsam aus ihm folgend h3 555,10 Götter] Gottwesen D2 555,11 Götter] Gottwesen D2 555,17 Recht gegen die Frevler werde] Recht hgegen die Frevleri werde h3 555,17 »Götter«] »Gottwesen« (das bedeutet hier das Wort elohim als Plural) D2 555,17-18 weil sie in ihrer richterlichen Funktion] weil sie hin ihrer richterlichen Funktioni h3 555,22 Einberufung] hbesonderei Einberufung h3 555,22-23 Gemeinschaft von Wesen »vorsteht«.] Gemeinschaft von Wesen »vorsteht«. [Man mag sich diese Wesen] h3 555,24 als Chorführer] hoffenbari als Chorführer h3 3

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555,32 mit Macht göttlichen Ursprungs] mit Macht hgöttlichen Ursprungsi h3 555,37 »Götter«] Gottwesen (eigentlich »Götter«) D2 555,38 Obrigkeit] [Behörde] ! Obrigkeit h3 555,39 »Götter«] »Gottwesen« D2 556,4 Völker] [semitische] Völker h3 556,4 Überlieferungen] [Traditionen] ! Überlieferungen h3 556,7 Stamm oder Stammesbund] Stamm hoder Stammesbundi h3 556,8 eingeschritten] [eingetreten] ! eingeschritten h3 556,10 Souveränität] [volle Verfügungsgewalt] ! Souveränität h3 556,19 Gottesverhältnis] [Verhältnis zu JHWH] ! Gottesverhältnis h3 556,21 im Kampf niederzwang] [bekriegte] ! im Kampf niederzwang h3 556,22 Gestalt] Erscheinungsform h3, ts4.1 556,23 sehr mannigfache Antworten] [die grossen Antworten] ! sehr mannigfache Antworten h3 556,27 bundestreuen] [JHWH treuen] ! bundestreuen h3 556,29 in letzter Instanz] [der sie sich früher oder später] ! in letzter Instanz h3 557,3 Geschichtsmacht versetzt] [Macht erhoben] ! Geschichtsmacht versetzt h3 557,13 beauftragt] [angewiesen] ! beauftragt h3 557,18 gemeinsam] [miteinander] ! gemeinsam h3 miteinander ts4.1, ts4.2, D0.1 557,25-26 ihre Ungerechtigkeit nach innen] die innere Ungerechtigkeit h3, ts4.1, ts4.1, D0.1 557,33 ertönt] [erklingt] ! ertönt h3 557,33 Staatszeit] [Königszeit] ! Staatszeit h3 557,34 die sakramentale Besiegelung] [der sakramentale Ausdruck] ! die sakramentale Besiegelung h3 557,35-36 zu erbauen] aufzubauen h3, ts4.1, ts4.2, D0.1 557,39 Rechtsbräuche] Rechtssprüche h3, ts4.1 557,40-41 rettende Gerechtigkeit] hrettendei Gerechtigkeit h3 558,2 Herrn] [Königs] ! Herrn h3 558,6 Erkenntnis] [Wahrheit] ! Erkenntnis h3 558,7 nur in dem Maße wahrhaft] hnur in dem Maßei wahrhaft h3 558,10 »Götter«] Gottwesen D2 558,10 »Götter« und anderswo »Gottessöhne«] h(und ähnlich in Ps. 58,1)i »Götter« [und anderswo »Gottessöhne«] h3 558,12 Struktur] [Bau] ! Struktur h3 558,12 Gerechtigkeit des Weltrichters] [göttliche] Gerechtigkeit hdes Weltrichtersi h3

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558,14 seiner Ordnung und Anordnung] [der Ordnung und Anordnung Gottes] ! seiner Ordnung und Anordnung h3 558,17 ihnen gegebenen Vollmacht] [himmlischen Vollmacht] ! ihnen gegebenen Vollmacht h3 558,23-24 auch der Mahnung] dem Geheiss h3, ts4.1, ts4.2, D0.1 557,28 verstehen das Gotteswort] [erkennen] ! verstehen das [Wort Gottes] ! Gotteswort h3 557,35 Zuständigkeit] [Überlegenheit] ! absolute Zuständigkeit h3 557,40-41 bei Gott […] Vollstreckung] [Gottes Urteil ist Gottes Tat] ! bei Gott […] Vollstreckung h3 559,1 Götter] Gottwesen D2 559,5-6 – mit dem nur […] »Götter« –] h– mit dem nur […] »Götter« –i h3 559,7 Gesang] berichtigt aus Gang nach h3, ts4.1, ts4.2 559,7 Gesang] [Gedicht] ! [Spruch] ! Gesang h3 559,11 Geschichtsregiment] [falsche Regiment] ! Geschichtsregiment h3 559,12 Herr] Herr [der Geschichte] h3 559,13 Zwischenwelt] [Mittelbarkeit] ! Zwischenwelt h3 559,14-15 in deiner Gerechtigkeit […] Erdreich] du selber unmittelbar richte das Erdreich in deiner Gerechtigkeit h3, ts4.1, ts4.2 559,16 Wahn und Frevel] [Schein und Wahn] ! Wahn und Frevel h3 559,21 überantwortete] überantwortete, [ausgelieferte, preisgegebene] h3 559,22 unbekannt Verbleibenden] hoffnungslos Unbekannten h3, ts4.1, ts4.2, D0.1 559,25-26 Was in die Betrachtung […] diesem Psalm] [Wer erkennen will, das in diese X Kafkas als des Menschen unserer Zeit nicht eingegangen ist, lese Mal um Mal diesen Psalm] ! Was in die Betrachtung […] diesem Psalm h3 560,2 73] (Der dreiundsiebzigste) h3, ts5.1, ts5.2 Psalm 73 D2 560,3-561,27 Ein Psalm Asafs […] Arbeiten zu berichten.] fehlt h3, ts5.1, ts5.2 560,3 Psalm] Harfenlied D2 560,5 am Herzen Lautern] Herzenslautern ts5.1, D0.1 560,11 Klammern] Beklemmungen D2 560,13 Mühsal des Menschen] Menschenpein D2 560,19 Argen] Bösen D2 560,21 ihr Maul] ihren Mund ts1.1, D0.1 560,21-22 ihr Maul, ihre Zunge] ihren Mund und ihre Zunge D2 560,23 Kehre nur hierher sich sein Volk] Bringe er sein Volk nur wieder hierher D2 560,26 Höchsten] Hohen ts1.1, D0.1

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560,32 Schuldlosigkeit] Unsträflichkeit ts , D 560,35 Berichten] Erzählen ts1.1, D0.1 561,1 Mühsal wars] Pein war es D2 561,2 Heiligtümer] Heiligtume ts1.1, D0.1, D2 561,3 Zukunft] Späte D2 561,5 Berückungen] Verheerungen ts1.1 561,7 verenden, verscheiden] verscheiden, schwinden D2 561,13 viehgleich] ein Vieh ts1.1, D0.1, D2 561,17 danach nimmst du mich in Ehren] künftig nimmst du mich auf in die Ehre ts1.1, D0.1 561,17 in Ehren] in Ehren hinweg D2 561,21 Schwindet] Verendet D2 561,24 aufreibst du alles, was abbuhlt von dir] Du schweigst alljeden, der abhurt von dir – D2 561,24 abbuhlt] abhurt ts1.1 561,27 berichten] erzählen ts1.1, D0.1, D2 561,29 bei seiner Grablegung] an seinem frischen Grabe h3, ts5.1 561,31 Bericht] Erzählung h3, ts5.1 561,32 zusammengefügten] [gemischten] ! zusammengefügten h3 562,5-6 gewichtigen] [entscheidend wichtigen] ! gewichtigen h3 562,8-9 eigentliche Hiobsfrage] Hiobsfrage h3, ts5.1 562,9-11 , wie wir sie […] Frevler?«] fehlt h3, ts5.1 562,12-13 dem Bericht vorausgeschickten Satz] hdem Bericht vorausgeschickteni Satz h3 562,15 der Vorspruch] das Proömium h3, ts5.1 562,20 , wie in manchem deutlich wird,] [offenbar] ! , wie in manchem deutlich wird, h3 526,21 es ist] [es ist] ! birgt sich darin h3 562,21 in der Katastrophe] [im Anbeginn] ! in der Katastrophe h3 562,23 ermessen] [ermessen] ! ausgelotet h3 562,28 wahrhaft offenbar] wahrhaft [wie ihr selbst der Welt] offenbar h3 562,31 »Warum geht es Israel schlecht?«] ergänzt Oder vielmehr in seiner eigenen, der gläubigen Sprache: »Warum ist Gott nicht gut zu Israel?« h3 563,8 Somit verläuft die wesentliche Scheidelinie] [Damit ist aber auch schon gesagt, dass die Scheidelinie nicht zwischen] ! Somit verläuft die wesentliche Scheidelinie h3 563,15-16 in der Unlauterkeit […] Beharrenden] am Herzen Unlauteren h3, ts5.1, ts5.2, D0.1 563,17 Wesensstand] [Stand] ! Wesensstand h3 563,19 Wahnbild] [Wahn] ! Wahnbild h3 1.1

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563,20 nicht gut sei] nicht gut sei [, aber auch die Tatsache, dass es einem »gut geht«, mit dem Wahnbild, dass Gott einem gut sei. Denn der am Herzen Unlautere kann das wirkliche Gutsein Gottes gar nicht erfahren] h3 563,22 Wort] Motivwort h3, ts5.1, ts5.2 563,26-28 Unglaubens […] Glaubenkönnens] [Unglaubens […] Glaubenkönnens] ! Vertrauenslosigkeit im Verhältnis zu Gott h3 563,29 ins Straucheln.«] ins Straucheln.« h[»Ich aber«, genauer »Und ich«, ist das wie den ersten Teil so auch den Schlussteil eröffnende und gegen Ende des Psalms an entscheidend zusammenfassender Stelle wiederkehrende Motivwort, in dem sich X Grundhaltung ausdrückt.]i h3 563,30 Vorzugsstellung] privilegierten Stellung h3, ts5.1 563,31-33 Es ist nicht Neid, […] Schicksal gegenüber.] hEs ist nicht Neid, […] Schicksal gegenüber.i h3 563,34 andern alle] [übrigen Menschen] ! alle andern h3 563,34 »Klammern«] »Beklemmungen« D2 563,35 Mühsal des Menschen] Menschenpein h3, D2 564,2 Ihr Verhältnis] [Ihre Beziehung] ! Ihr Verhältnis h3 564,4 ihr Maul] ihren Mund D2 564,5 dieses an den Himmel gesetzte Maul] dieser an den Himmel gesetzte Mund D2 564,6 zwei als bekannt vorausgesetzte] zwei hals bekannt vorausgesetztei h3 564,7 (durch »darum« […] eingeleiteten)] h(durch »darum« […] eingeleiteten)i h3 564,8 Beziehung] [Verhältnis] ! Beziehung h3 564,16 der Himmelsgott] [Gott] ! der Himmelsgott h3 564,21-22 Dies war […] schwere Lebenserfahrung] [Jetzt, nachdem er seine grosse Lebenserfahrung] ! Dies war […] schwere Lebenserfahrung h3 564,23 erzählen] [berichten] ! erzählen h3 564,24 von Grund aus gewandelt] hvon Grund ausi gewandelt h3 564,25-26 und ihr »grinsendes« Behagen gegeneinanderhalten] [mit ihrem »grinsenden« Behagen verglichen] ! und ihr »grinsendes« Behagen nebeneinanderhalten h3 564,26 gegeneinanderhalten] nebeneinanderhalten D0.1 564,26 überwältigt es ihn] [überwältigt es ihn] ! stieg es in ihm auf h3 564,28 zu reinigen. Umsonst!] zu reinigen. hUmsonst!i h3 564,28-29 Unschuld waschen] Unsträflichkeit baden D2 564,30 echte] [wirkliche] ! echte h3

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Recht und Unrecht

564,40 berichten] erzählen D 565,1 der des Anrufs] berichtig aus dem des Anrufs nach D2 565,3 dem innern Drängen gefolgt wäre] [so gesprochen hätte] ! dem innern [Antrieb] ! Drängen gefolgt wäre h3 565,4 deinem Walten] diesem Walten ts5.1, ts5.2 565,12 gereinigte] [»geklärte«] ! gereinigte h3 565,13 Kraft] [Anstrengung] ! Kraft h3 565,17 »Mühsal«] »Pein« D2 565,30 Vorspruch] Proömium h3, ts5.1 565,33 verleiten läßt] verleitet fühlt h3, ts5.1, ts5.2, D0.1 565,33-34 durch einen […] abgelöst würde] hdurch einen […] abgelöst würdei h3 565,35-36 der Sprache des modernen Denkens] [unserer Sprache] ! der Sprache des modernen Denkens h3 565,39-40 Bestand […], er war darauf angelegt] [Dasein […], es konnte jeden Augenblick] ! Bestand […], er war darauf angelegt h3 565,40 aus der »Berückung«] fehlt h3, ts5.1 566,2 ein Schattengebild] gleichsam ein Schattengebild D2 566,3-4 sieht verächtlich dem zerfließenden Schattenbild nach] [verlacht das zerfahrende Schattenbild] ! sieht verächtlich dem zerfließenden Schattenbild nach h3 566,9-10 bekennt er […] der Irrtumsstand auftat] [bekennt er nun, was sich ihm damals zugleich aufgetan hatte: seinen Irrtumsstand] ! bekennt er […] der Irrtumsstand auftat h3 566,12 viehgleich] ein Vieh D2 566,12 viehgleich bin ich bei dir gewesen] [ein Vieh bin ich bei dir gewesen] ! ein Vieh war ich bei dir h3 ein Vieh war ich bei dir ts5.1 566,14-15 des nun folgenden […] Bekenntnis –] hdes nun folgenden […] Bekenntnis –i h3 566,17 »Und doch bin stets bei dir«] [»Und doch bleibe ich«: Gott rechnet dem lauter gewordenen Herzen nicht an, dass es früher »aufzugären« pflegte] ! »Und doch bin stets bei dir« h3 566,24 zum Unterschied vom Hiobbuch] im Gegensatz zum Hiobbuch h3, ts5.1 566,27 Heiligtümer] Heiligtume D2 566,33 vermag] [kann] ! [darf] ! vermag h3 566,35 den Vätern und zu den ersten Volksführern] [Jakob, zu Moses] ! den Vätern und zu den ersten Volksführern h3 566,37 nur in seltenen] [nur zum künftigen Israel lässt ein später Prophet (Jesaja 43,2,5) Gott sprechen: »Ich bin mit dir«] ! nur in seltenen h3 2

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Einzelkommentare

566,40 Fundamentale] [Entscheidende] ! Fundamentale h3 566,40 hinweggenommen] hinweggekommen h3 567,1 Du bist] [Gott ist] ! Du bist h3 567,5 zentrale] [entscheidende] ! zentrale h3 567,5 wagt der Psalmist] wagt [, ich sagte es,] der Psalmist h3 567,11-12 in den Ängsten der Finsternis] hin den Ängsten der Finsternisi h3 567,15 wirst du mich leiten] [leitest du mich] ! wirst du mich leiten h3 leitest du mich D2 567,31 träge] [zähe] ! träge h3 567,32 Mühsal] Pein D2 567,34 »nimmt«] [»hinwegnimmt«] ! »nimmt« h3 568,1 Jedoch abgelten wird Gott meine Seele] Meine Seele jedoch wird abgelten Gott D2 568,1 der Scheol,] fehlt h3, ts5.1 568,9 wirst du mich leiten] leitest du mich D2 568,15 Vorstellungswelt] [jüdisch-christlichen] Vorstellungswelt h3 568,27-28 ein jeder […] Grabe geworfen] jedermann in seiner Behausung, du aber, hingeworfen bist du, abseits von deinem Grab D2 568,31-32 , dem Wurzelsinn […] eines Wesens,] fehlt h3, ts5.1, ts5.2, D0.1 568,34-35 Kabod, in der Erfüllung meines Daseins] Ehren h3, ts5.1, ts5.2, D0.1 568,39 Nichtigkeit] Ödnis D2 568,39 ein später Text] [die Weisheit des Predigers] ! ein später Text h3 568,40 Bewußtsein] [Wissen] ! Bewusstsein h3 569,1 nichtigen] entwesten D2 569,1 nichtigen Sein] Nichtigen h3 569,2 unmittelbar ihr Nichtsein] [ihre Nichtexistenz] ! unmittelbar ihr Nichtsein h3 569,7 haust] [wohnt] ! haust h3 569,11-13 Unsterblichkeit nennen, das heißt […] Denn nun bedeutet] Unsterblichkeit nennen. [Denn nun, im Tode, ist er nicht mehr, wie in der ersten Zeit seines Lebens, zwar seiner Wirklichkeit, nicht aber auch seinem Wissen um sie nach »bei Gott«, aber auch nicht mehr, wie in der zweiten Zeit] ! Denn nun bedeutet h3 569,11-13, das heißt, eine Fortsetzung […] der Zeit] fehlt ts5.1, ts5.2, D0.1 569,14 Klarheit] [Deutlichkeit] ! Klarheit h3 569,17 das Menschenlos] [die Beschaffenheit des Menschen] ! das Menschenlos h3 569,21-22 , und diese Ewigkeit […] urverschieden] fehlt h3, ts5.1, ts5.2, D0.1

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569,26 gehen sie verloren.] gehen sie verloren. hWas im ersten Psalm noch nicht gesagt war, wird hier gesagt: nicht bloss ihr Weg, sie selber gehen verloren.i h3 569,29-30 Hier, in dieser Konzeption […] Gute gegeben] [Er, der Gott nahen darf, hat es gut] ! Hier, in dieser Konzeption […] Gute gegeben h3 569,33 beendet] [geschlossen] ! beendet h3 569,34 seine Zuflucht,] fehlt h3, ts5.1 569,38 berichten«] erzählen« h3, ts5.1, ts5.2, D0.1, D2 569,38 berichten] erzählen h3, ts5.1, ts5.2, D0.1 569,39 Wirklichkeit zu berichten] [Wahrheit] ! Wirklichkeit zu erzählen h3 569,39 berichten] erzählen ts5.1, ts5.2, D0.1 569,40 Der erste […] des Werks] Die erste seiner Erzählungen, die Erzählung von dem Werk h3, ts5.1, ts5.2, D0.1 569,41 ist in diesem Psalm erstattet.] ist dieser Psalm. / Welcher wäre so angetan, am Grab eines grossen Leidenden und Herzenslautern gesprochen zu werden? / Ich denke von neuem der Wahrheit dieses Psalms nach. Ich kann ja die Worte eines Psalms nur dann als meine eigenen in die Unmittelbarkeit sprechen, wenn mir ihre Wahrheit aufgegangen ist, und immer wieder nur, wenn sie mir neu aufgeht. Sie geht mir immer tiefer auf. In den nun bald zwanzig Jahren seit jenem Tag bin ich ein Stück weit in die Tiefe vorgedrungen. h3, ts5.1 570,4 »viehgleich«] ein »Vieh« h3, ts5.1, ts5.2, D0.1 570,5 sieh, Gott hält ihn an der Hand] [er erfährt, dass Gott seine Hand] ! sieh, Gott hält ihn an der Hand h3 570,6 Wesensstand] [Wesensverfassung] ! Wesensstand h3 570,8-9 , und auch dann […] Menschenart an] h, und auch dann […] Menschenart ani h3 570,14 Existenz […] Existenz] [wahren] Existenz […] [wahren] Existenz h3 570,15 nur teilhaben.] ergänzt Der Psalmist stellt ja nicht einmal Fernsein und Nahsein, sondern nur Fernsein und Nahen gegeneinander. h3, ts5.1, ts5.2 570,18 die menschliche Person] [der Mensch] ! die menschliche Person h3 570,24 wir wissen von keiner] [es gibt über den Tod hinaus keine Fortdauer] ! es gibt keine h3 570,26 der Welt] [des Kosmos] ! der Welt h3 570,28 vollkommene] [wahre] ! vollkommene h3 571,2 1] (Der erste) h3, ts6.1, ts6.2 Psalm 1 D2

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Einzelkommentare

571,3-19 Oh das Glück […] verliert sich.] fehlt h , ts , ts 571,3 Oh das Glück des Mannes] Selig der Mann ts1.1 Selig ist der Mann D0.1 571,4 im Frevlerrat nicht ging] nicht ging im Rat der Frevler D2 571,5 nicht beschritt den Sünderweg] den Weg der Sünder nicht beschritt D2 571,6 nicht saß an dem Dreistensitz] am Sitz der Dreisten nicht saß D2 571,19 von Frevlern] der Frevler D2 571,20 Oft] Immer h3 571,20 zuallernächst] [zuallererst] ! zuallernächst h3 571,21-22 verstanden] [erkannt] ! verstanden h3 571,22 Ich könnte mir denken, daß bereits die älteste] [Ich möchte annehmen, dass schon die erste] ! Ich könnte mir denken, dass bereits die älteste h3 571,26 Lehrreden] [Reden] ! Lehrreden h3 571,30-31 Dem rechten Weg, dem Weg Gottes, folgen] [Den rechten Weg geht Gott selber, ihm folgen] ! Dem rechten Weg, dem Weg Gottes, folgen h3 571,31-32 , auf ihrem eigenen Weg beharrend,] h, auf ihrem eigenen Weg beharrend,i h3 571,33 ihn immer wieder verfehlen] [immer wieder von ihm auf ihre falschen [Pfade] ! Sonderpfade abbiegen] ! ihn immer wieder verfehlen h3 571,37-38 Hymnen und Lieder] [Psalmen] ! Hymnen und Lieder h3 571,38 Motivworte] Leitworte D2 571,38 Motivworte dieses Psalms] Motivworte dieses ersten Psalms, d. h. die in ihm wiederkehrenden Worte ts6.1, ts6.2, D0.1 572,4 Motivworte] Leitworte D2 572,16-17 »Oh die Seligkeit« oder »Oh das Glück!«] h»Oh die Seligkeit« oderi »Oh das Glück!« h3 572,17 Der Psalmist ruft] Hier also h3, ts6.1, ts6.2, D0.1, D0.2 572,18-21 , es geht nicht […] künftigen, sondern] h, es geht nicht […] künftigeni, sondern h3 572,35-37 Darum kann […] gelingt.] hDarum kann […] gelingt.i h3 572,40 wahren zu unterscheiden] wahren [hGlück, zwischen dem Scheingelingen und dem wahren Gelingeni] zu unterscheiden h3 572,41 mächtiger] gewaltiger h3, ts6.1, ts6.2, D0.1 573,3 was sie gemeinsam haben, ist] [es ist] ! was sie gemeinsam haben, ist h3 3

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6.2

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573,9-10 kann durch ethische Werte nicht erfaßt werden] [ist etwas anderes als Sittlichkeit] ! kann durch ethische Werte nicht erfaßt werden h3 573,14-15 Grundthema des Psalmenbuchs] [Thema aller Psalmen] ! Grundthema des Psalmenbuchs h3 573,24 Wem dergleichen gesagt würde] [Man sollte nun meinen, dass dem gegenüber der Weg der Bewährten] ! Wem dergleichen gesagt würde h3 573,33-34 , die hier diesen Sprachgebrauch beibehalten,] h, die hier diesen Sprachgebrauch beibehalten,i h3 573,37 die aramäische Übertragung] [der aramäische Targum] ! die aramäische Übertragung h3 574,1 der Sphäre] [ein Begriff] ! der Sphäre h3 574,3 Hebräisch] Hebräer h3 574,3-4 man einen Gegenstand betrachtet] seine Augen einen Gegenstand wahrnehmen h3, ts6.1 574,7 das Einander-Wahrnehmen] die Beobachtung h3, ts6.1 574,8 Wesenskontakt] [seelische Kontakt] ! Wesenskontakt h3 574,22 Weg, der Lebens-Weg] Weg h, der Lebens-Wegi h3 574,36-37 Gott, der zwischen […] lehrt] zwischen dem wahren Weg und dem falschen unterscheiden lehrender Gott h3, ts6.1, ts6.2, D0.1 574,38-39 wir müssen] [man muss] ! wir müssen h3 574,39 wir müssen] [man muss] ! wir müssen h3 574,41 wir müssen] [man muss] ! wir müssen h3 575,1 nachsprechen] nachsprechen [, ja es sprechend zu unserem eigenen Worte] h3 575,3 heute in unserer […] Situation] heute hin unserer […] Situationi h3 575,5 dienstbar wird, der ist] [widerhallt, ist einem Baum zu vergleichen, der, mag er einst] ! dienstbar wird, der ist h3 575,5-6 auch von Natur kargem] von Natur aus einem [dürren] ! kargen h3 von Natur aus einem kargen ts6.1, ts6.2, D0.1 575,8-9 im Leben […] Welkens einander] [Grünen und Welken einander im Leben der Lebewesen] ! im Leben […] Welkens einander h3 Zeiten des Grünens und Zeiten des Welkens einander im Leben der Lebewesen D0.1 575,12-14 , ein Wort […] bedeutet,] gestrichen in ts6.2 575,13 das Ziel oder] fehlt h3 575,17-18 , einer dauernden Beschaffenheit,] h, einer dauernden Beschaffenheit,i h3 575,19 Anwandlung] [Verfassung der Seele] ! Anwandlung h3

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Einzelkommentare

575,19-20 ohne zur Anhaftung zu werden] [aber im Gegensatz zum »Frevlertum« ihm nicht anhaftet] ! ohne zur Anhaftung zu werden h3 576,1 Psalmdeutern] [Lesern] ! Psalmensagern h3 Psalmensagern ts6.1 576,2 Menschenwort] [gesprochenes oder geschriebenes] Menschenwort h3 576,4 unheimlicher] [tiefer] ! unheimlicher h3 576,5 zum Dunkel] [zum Dunkel] ! zur Finsternis h3 zur Finsternis ts6.1, ts6.2, D0.1 576,6 Psalmendeuter] Psalmensager h3, ts6.1 Wort- und Sacherläuterungen: 543,15 »glatte Zunge«] Ps 12,3; Buber selbst übersetzt hier »glatter Lippe« (vgl. in diesem Band, S. 545,10). 543,19 »jetzt aufstehen«] Ps 12,6 (vgl. in diesem Band, S. 550,21). 543,24 »sein Volk«] Ps 14,4 (vgl. in diesem Band, S. 550,18). 543,31 »Schändliche«] Ps 14,1 (vgl. in diesem Band, S. 550,4). 544,16-18 Der Psalmist erkennt […] ihm naht.] Ps 1,1-2 (vgl. in diesem Band, S. 571,3-8). 544,25-26 vom Summa-Verlag […] meiner Schriftverdeutschung] Zwischen 1954 und 1962 erschien im Summa-Verlag von Jakob Hegner (Köln und Olten), eine neu bearbeitete Ausgabe von Bubers Verdeutschung der Bibel. 544,27 »Die Schrift und ihre Verdeutschung«] Martin Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936; Bubers Aufsätze jetzt in: MBW 14, S. 35-152; vgl. auch u. a. die Wort- und Sacherläuterung zu 99,15-20 u. 90,Anm 4. 544,29 Tetragrammaton] JHWH; zur Bedeutung und Übersetzungsproblematik des Tetragrammatons vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14. 544,32-33 Die »Pausen«-Bezeichnung sela] »sela« bezeichnet ein Tonzeichen, das in der Hebräischen Bibel fast ausschließlich in den Psalmen vorkommt (darüber hinaus nur bei Habakuk, 3. Kapitel, Verse 3, 9 u. 13). Sowohl die Etymologie des hebr. Wortes ‫»( סלה‬sela«) als auch dessen Bedeutung sind unklar; ein Deutungsversuch geht von der hebr. Wortwurzel ‫סלל‬, »erheben«, aus, auf die sich offenbar auch Buber bezieht, wenn er »sela« mit »Empor!« übersetzt. 547,36-38 »Tag des Herrn«, […] offenbar macht] Der »Tag des Herrn« ist in der Hebräischen Bibel der Tag des göttlichen Gerichts, an dem die von den Propheten angekündigten Ereignisse, die sowohl Ver-

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nichtung und »Entsetzen«, aber für die Gottesfürchtigen Gerechtigkeit und »Entzücken« bringen, eintreten. 551,33 wie Jeremia, zu »Prüfern« eingesetzt] Vgl. Jer 6,27; vgl. Buber über Jeremia als ein »Prüfer«, in: Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 293. 552,4-6 die prophetische, auf die kommenden […] das wahre Volk ist] Vgl. Jes 4,3: »Geschehen wirds: was als Rest blieb in Zion, was übrig war in Jerusalem, Heilig! wird von ihm gesprochen, alles, was zum Leben eingeschrieben ist in Jerusalem.« 552,33 in der längeren Lesart des 53. Psalmes] Ps 14 und Ps 53 sind nahezu wörtlich identische Psalmen; nur der hier von Buber gemeinte Vers 6 des 53. Psalms weicht etwas von dem ihm entsprechenden Vers 5 des 14. Psalms ab und ist in Bezug auf den »Schrecken« auch ausführlicher; Ps 53,6 lautet: »Dort, sie schrecken zusammen im Schreck, da Schreckendes nicht geschah, denn Gott hat deines Belagrers Gebeine zerstreut. Du machst sie zuschanden, denn Gott hat sie verworfen.« 555,23 (1 Samuel 19, 20)] In I Sam 19,20 heißt es: »Sie sahen den Schwarm der Künder, die kündeten, und aufrecht über ihnen stehend Schmuel.« 555,30 »El«-Gemeinschaft] Zu »El« vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 169,33. 556,12-15 jenem Spruche Amos’ (9, 7) […] gewürdigt habe.] Vgl. Buber ausführlicher zu den Versen Am 9,7 und Am 3,2 in: Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 102. 556,22 besonders in ihrer empfindlichsten Gestalt, unter Josia] Josia, König des Reiches Juda, ordnete verschiedene kultische Reformen an, um Israel zum Bund mit dem Gott Israels zurück zu führen; dann fällt er jedoch in der Schlacht gegen Ägypten und sein Reformwerk zerfällt. Vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 287, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 206,26 und 287,12. 556,31-32 Botschaft Jephtas an den Ammoniterkönig (Richter 11)] Nach Ri 11 wurde Jephta, der Sohn Gileads und einer Prostituierten, von seinen Brüdern aus dem Haus des Vaters vertrieben, weil er nicht der Sohn ihrer Mutter, der Frau Gileads, war; als jedoch der Kampf der Ammoniter gegen Israel ausbricht, rufen die Brüder Jephta zur Hilfe und bitten ihn, den Kampf gegen den Ammoniterkönig anzuführen. Zur Botschaft Jephtas vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 227 und die Wort- und Sacherläuterung zu 181,20-23. 556,36-38 »richte JHWH der Richter […] und den Söhnen Ammons!«] Ri 11,27.

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Einzelkommentare

557,4-7 jener Geschichtsperspektive des Danielbuches […] eingebüßt hat.] Im Buch Daniel erscheinen Engelfürsten, die die Visionen Daniels deuten; in Dan 8,15-27 beispielsweise erscheint in dieser Funktion der Fürstenengel Gabriel und deutet Daniels Vision vom Widder und Ziegenbock, in Dan 9,20-27 erscheint wiederum Gabriel, um Daniel über die Dauer und das Ende des Exils zu weissagen. In Dan 10-12 erscheint ein weiterer Engelfürst und spricht in Dan 10,20 von Engelfürsten, die die Länder Persien und Griechenland vertreten, und in Dan 12,1 wird ausdrücklich der Engelfürst Michael als derjenige bezeichnet, der das Volk Israel vertritt (»Zu jener Zeit ersteht Michael, der große Fürst, der den Söhnen deines Volkes beisteht.«). 558,10 und anderswo »Gottessöhne« genannt] Buber bezieht sich hier wohl auf die Übersetzung der Septuaginta von Dtn 32,8, die dort von »Göttersöhnen«, hebr. bnê ʾ elîm, spricht. In seiner ein Jahr vor »Recht und Unrecht« erschienenen Erwiderung auf eine Rezension zu Othmar Spanns Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage vergleicht Buber die Stelle im Vers aus Deuteronomium, die von den »Gottessöhnen« spricht, mit Ps 82,1b. Vgl. dazu Text und Kommentar zu »Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus«, in diesem Band, S. 539 u. 1078 f. 559,18-26 Ein jüdischer Mensch unserer Zeit […] steht in diesem Psalm.] Buber stand mit Franz Kafka über mehrere Jahre in brieflichem Kontakt; zu Pfingsten 1914 besuchte Kafka Buber auf dessen Einladung hin in seinem Haus in Berlin (vgl. den Brief Kafkas an Buber vom 25. Mai 1914, der sich im MBA befindet [Arc. Ms. Var 008 344]); 1917 wandte sich Buber mit der Bitte an Kafka, ihm einige seiner Texte zu Veröffentlichung in der von Buber herausgegebenen kulturzionistischen Monatsschrift Der Jude zu übersenden; Kafka kam dieser Bitte nach, und in zwei Heften des zweiten Jahrgangs des Juden erschienen zwei Erzählungen Kafkas unter dem Titel »Zwei Tiergeschichten«: 1. Schakale und Araber. 2. Bericht für eine Akademie, in: Der Jude, 2. Jg., Heft 7 u. Heft 8, 1917/1918, S. 488-490 u. S. 559-565. In einem Brief an Max Brod vom 22. Januar 1927 schreibt Buber über seine Lektüre von Kafkas unvollendet gebliebenem Roman Das Schloss, den Brod 1926 postum herausgegeben hatte: »Kafkas ›Schloß‹ war für mich ein Gegenstand nicht des Lesens, sondern wirklichen Geschehens. Es ist eine Körperhaftigkeit des Geheimnisses darin, die die Überlebenden in ihrem eigensten Leben angeht.« (B II, S. 277.) 561,28-30 den ich einst […] bei seiner Grablegung gesprochen habe.] Am 10. Dezember 1929 starb Franz Rosenzweig; nicht nur sprach

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Martin Buber bei der Grablegung den 73. Psalm, sondern kurz nach Ausbruch seiner Krankheit im Jahr 1922 hatte Rosenzweig selber den Beginn von Ps 73,23 als Inschrift für seinen Grabstein ausgewählt: »Und doch bleibe ich stets bei dir« (auf Bubers Grabstein in Jerusalem findet sich übrigens ebenfalls – in hebräischer Sprache – der Vers Ps 73,23). In Der Glaube der Propheten behandelt Buber ebenfalls ausführlich Ps 73, dort im Zusammenhang mit dem Buch Hiob und der Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen dem Psalm und der Hiobserzählung (vgl. in diesem Band, S. 317-321). 562,8-9 Hiobsfrage, warum es den Guten schlecht gehe] Die Hiobsfrage durchzieht das gesamte Buch Hiob und kommt insbesondere in Hiobs Klagen an Gott in den Kapiteln 3 und 29 bis 31 zum Ausdruck. 562,11 »Warum glückt der Weg der Frevler?«] Jer 12,1. 562,36 »heilige Rest«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 552,4-6. 564,11-12 Wasser hat ihnen der Prophet des Exils verheißen (Jesaja 41, 17 f.)] Vgl. Jes 41,8-20, bes. die Verse 17-20; Jes 41 ist das zweite Kapitel des »Deuterojesaja« (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 99,10) und damit schon aus der Exilsituation des Volkes Israel heraus gesprochen; Deuterojesaja kündigt die Herausführung aus dem Exil an; vor diesem Hintergrund ist die Zusage Gottes in Jes 41,8-20 zu verstehen, seinem auserwählten Volk beizustehen. 564,28-31 »seine Hände in Unschuld […] Reinheit bedeutet)] Buber spielt hier auf die neutestamentliche Erzählung von der Verurteilung Jesu durch die römische Gerichtsbarkeit an: danach wäscht der römische Statthalter Pontius Pilatus, als er auf Drängen des Volkes das Todesurteil gegen Jesus ausspricht, seine Hände und erklärt seine Unschuld (vgl. Mt 27,24). Anders als der Beter in Ps 73,13 gelangte Pilatus nicht nach innerem Kampf zu »höherer Reinheit«, sondern sein »Waschen der Hände in Unschuld« ist eine bloße Handlung, lediglich ein Zeichen von Selbstgerechtigkeit; die selbe Redewendung findet sich auch in Ps 26,6 und ähnlich in Dtn 21,6-7. 565,10 »Knecht Gottes«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 67,1012 u. 316,25-26. 566,35-36 »Ich bin bei dir«] Vgl. u. a.: Gen 26,24 (Gott zu Isaak); Gen 28,15 (Gott zu Jakob); Ex 3,12 (Gott zu Moses); Jos 1,9 (Gott zu Josua); Jes 41,10 (Gott zum Volk Israel). 567,36-37 die Entrückung des lebenden Henoch, des lebenden Elias in den Himmel] Vgl. Gen 5,24 zu Henoch und II Kön 2,11 zu Elia. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 122,27-28.

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568,1-2 »Jedoch abgelten wird […] mich nimmt.«] Ps 49,16. »scheʾ ol« (‫ )שאול‬ist in der Hebräischen Bibel die hebräische Bezeichnung für das Totenreich. 568,20 kabod] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 185,3. 568,25 Liedspruch Jesajas auf den toten König von Babel] Das gesamte Triumphlied findet sich in Jes 14,1-23; im vorangehenden Kapitel verkündet Jesaja den bevorstehenden Fall des babylonischen Reiches, in Kap. 14 spricht er einen Spottgesang über den gestürzten ehemaligen Weltherrscher. 568,37-38 »Denn«, so heißt es […] der Scheol nicht überlassen.«] Ps 16,10. 571,21 Prooemium] Bezeichnung für ein Vorspiel, Vorwort oder ein einleitendes Kapitel insbesondere bei dichterischen Werken. 571,22-23 die älteste […] zusammengestellte Psalmensammlung] Eine eindeutige Datierung der Entstehung einer oder mehrerer Psalmensammlungen ist nicht möglich; traditionell wurden die ersten Psalmen König David zugeschrieben und eine erste Grundsammlung von Psalmen bereits für die salomonische Zeit angenommen. Die kritische Psalmenforschung des späten 18. u. frühen 19. Jahrhunderts hinterfragte diese Datierung und datierte die Psalmen auf eine viel spätere Entstehungszeit: ins zweite und erste Jahrhundert v. Chr. in die Zeit der Makkabäer und Hasmonäer. Die Forschung des 20. Jahrhunderts wandte sich gegen jegliche präzise Datierungsversuche hinsichtlich der Entstehung von Psalmsammlungen und ordnet stattdessen Einzelpsalmen in größere Epochen wie die Königszeit, die exilisch-nachexilische Zeit und die hellenistische Zeit ein; die ältere Forschung vermutete, ebenso wie Buber hier, dass eine erste Psalmensammlung zur Zeit des Hiskia (um 750-696 v. Chr.), dem König von Juda, entstand, von dem es in II Chr 29,30 heißt, er habe dem Priestergeschlecht der Leviten angeordnet, die Psalmen Davids und Assafs zu singen. 573,40-514,2 daß das hebräische Verb […] des Kontakts angehört] In der Hebräischen Bibel steht in Ps 1,6 das Verb ‫( יודע‬jodeʿ a), »er kennt«. 576,3-5 Wie kann der böse Wille sein […] des göttlichen Geheimnisses vor.] Zur Hiobsfrage vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 562,8-9. In Bubers Ausführungen des vorangehenden Abschnitts, die in diesen Schlusssatz münden, klingt die rabbinische Vorstellung von jetzer ha-tow, hebr. »der gute Trieb«, und jetzer ha-ra, hebr. »der schlechte Trieb«, an. Die Begriffe bezeichnen die Vorstellung, dass Gott im Menschen diese beiden Urtriebe geschaffenen hat und der Mensch selber über deren Ausgleich entscheiden muss.

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Die Opferung Isaaks Der Text erschien zuerst im September 1951 in den Frankfurter Heften. Zeitschrift für Kultur und Politik, ein Jahr später zudem in französischer Übersetzung. Er bildet dann in dem 1953 in Zürich bei Manesse veröffentlichten Band Gottesfinsternis (jetzt in: MBW 12, S. 359-444) das Kapitel »Von einer Suspension des Ethischen« (ebd., S. 433-436). Gottesfinsternis versammelt unter der Überschrift »Betrachtungen zur Beziehung zwischen Religion und Philosophie« Gastvorträge Bubers, die er 1951 während einer Amerikareise hielt, sowie einige weitere Aufsätze. (Vgl. den Einzelkommentar zu Gottesfinsternis, in: MBW 12, S. 717721). Das Manuskript von »Die Opferung Isaaks« hatte Buber am 31. Januar 1951 bereits vor einem kleinen Kreis in der Wohnung des Münsteraner Neutestamentlers Karl Heinrich Rengstorf (1903-1992), vorgetragen, worauf sich ein Gespräch anschloss. Buber selber hatte das Thema für die Zusammenkunft bei Rengstorf vorgeschlagen: »Ich kann eine kleine (natürlich unveröffentlichte) Sache von mir vorlesen, die ein besprechenswertes Problem behandelt, etwa einen ›Die Opferung Isaaks‹ betitelten Aufsatz, dessen Gegenstand das Problem der falschen Absoluta ist.« (Martin Buber an Karl Heinrich Rengstorf, 19. Januar 1951, in: B III, S. 266, dort auch Anm. 1.) Der protestantische Theologe Karl Heinrich Rengstorf war eine der ersten und auch entschlossensten Stimmen in Deutschland, die sich wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung des Staates Israel um eine Wiederaufnahme der Verbindung zwischen Buber und Deutschland bemühten. (Er war es auch, der schon 1949 mit der Bitte an Buber herantrat, seine 1938 mit seiner Übersiedelung nach Palästina abgebrochene Bibelübersetzung wieder aufzunehmen und abzuschließen; vgl. Rengstorf an Buber, 10. Dezember 1949, und Bubers Antwort vom 31. Dezember 1949, in: B III, S. 229 f., 232). Rengstorf war Direktor des Institutum Judaicum Delitzschianum an der Universität Münster, dessen Gründung (ursprünglich in Leipzig) auf den Alttestamentler Franz Delitzsch (1813-1890) im Jahr 1886 zurückgeht. Das Institut gründete sich 1948 in Münster neu, nachdem es 1935 im nationalsozialistischen Deutschland hatte schließen müssen, und verlagerte seinen Schwerpunkt nunmehr auf die Förderung der Vermittlung von Kenntnissen über das Judentum. Außerdem war Rengstorf Vorsitzender des 1945 neu gegründeten »Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel« und des 1948 etablierten »Deutschen Evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel«, einer Plattform, die dem Gesprächsaustausch judenmissionarischer Vereini-

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gungen diente. In dieser Eigenschaft lud er Buber zu einer Studientagung »Kirche und Judentum« für Anfang 1951 nach Deutschland ein. Buber hatte 1930 bereits einmal auf einer solchen Studientagung – trotz ihres judenmissionarischen Charakters – vorgetragen (vgl. den hier folgenden Auszug aus Rengstorfs Brief). Am 11. März 1950 schreibt Rengstorf an Buber: »Heute komme ich mit einem besonderen Anliegen zu Ihnen und bitte Sie, es freundlich aufzunehmen. Wir haben gerade die zweite Studientagung ›Kirche und Judentum‹ nach dem Kriege, veranstaltet durch den deutschen Evangelischen Ausschuß für Dienst an Israel […] in Kassel beendet. […] Die nächste Studientagung soll sich mit den durch die Entstehung eines jüdischen Staates in Palästina entstandenen Fragen beschäftigen, vor allem auch mit den theologischen Fragen. Als Vorsitzender des genannten Ausschusses und Leiter seiner Studientagung habe ich mich ermächtigen lassen, Sie zu bitten und einzuladen, auf der geplanten nächsten Studientagung als Bürger des Staates Israel zu uns über ›Israel – unser Land‹ zu sprechen. Ich richte diese Bitte an Sie als Teilnehmer an jener letzten Studientagung zur Judenfrage vor 1933 in Stuttgart (1930), auf der Sie Ihren unvergessenen Vortrag über ›Die Seele des Judentums‹ hielten. [Buber, »Die Brennpunkte der jüdischen Seele«, in: Der Morgen, 8. Jg., Heft 5, Dezember 1932, S. 375384; jetzt in: MBW 9, S. 128-137.] Sie werden mir zubilligen, daß ich einen Eindruck davon habe, was es für Sie bedeuten würde, noch einmal nach Deutschland zu kommen, nachdem Sie unter so schmählichen Umständen dies Land Ihrer jahrzehntelangen Wirksamkeit haben verlassen müssen. Aber im Blick auf die Bedeutung unseres Anliegens und die Wichtigkeit unserer Arbeit für den künftigen Weg unseres Volkes und unserer Kirchen wage ich es doch, Sie zu bitten, sich trotz alles Geschehenen und trotz Ihres hohen Alters unserer Bitte nicht zu versagen.« (B III, S. 239 f.) Wie aus Briefen Rengstorfs an Buber hervorgeht (einige von Bubers Briefen aus dieser Korrespondenz sind nicht mehr auffindbar), zögerte Buber im Verlauf des Jahres 1950 zunächst, die Einladung anzunehmen. Im Sommer 1950 sagte er schließlich zu, da er ohnehin den Dezember in Deutschland verbringen wolle. Allerdings wollte er nicht vor einer größeren Versammlung sprechen, sondern nur nach Münster kommen, um dort mit Rengstorf und ihm nahestehenden Kollegen und Studenten zusammenzutreffen (vgl. Buber an Rengstorf, 20. August 1950, ebd., S. 259 f.). Am 31. Januar 1951 las Buber dann bei Karl Heinrich Rengstorf in Münster im privaten Kreis »Die Opferung Isaaks« vor. (Der Kreis setzte sich zusammen aus dem Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Franz Norbert Mennemeier (1924-), der Philosophin Eva Schaper (1924-1992), dem späteren Kardinal und Bischof

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von Mainz, Hermann Volk (1903-1988), dem Germanisten Clemens Heselhaus (1912-), dem Theologen Ernst Haenchen (1894-1975) sowie einigen von Rengstorfs Studenten, darunter der spätere Neutestamentler Ulrich Luck (1923-1998), der Sozial- und Religionsphilosoph Günter Rohrmoser (1927-2008) und der spätere Professor für Kirchengeschichte Osteuropas, Peter Hauptmann (1928-2018); vgl. Karl Heinrich Rengstorf, Begegnung mit Martin Buber, in: Theokratia. Jahrbuch des Institutum Judaicum Delitzschianum, Bd. III, 1973-1975. Festgabe für Harald Koch zum 70. Geburtstag, hrsg. von Karl Heinrich Rengstorf, Leiden 1979, S. 199-216, hier S. 208 f. Vgl. zu Rengstorfs Bemühungen um die Wiederaufnahme der Verbindung Bubers zu Deutschland auch Dominique Bourel, Martin Buber. Was es heißt, ein Mensch zu sein, Gütersloh 2017, S. 592 ff.) Bubers Text steht in einem zweifachen – weiteren und engeren – Kontext: Er ist einmal im Zusammenhang des für seine Zeit charakteristischen Phänomens einer breiten, vielstimmigen Rezeption des Denkens Kierkegaards und insbesondere auch seiner Interpretation der akedah sowie seines Konzepts einer »teleologischen Suspension des Ethischen« im religiösen Diskurs der jüdischen Moderne zu lesen, d. h. jener zahlreichen jüdischen Intellektuellen, die die Kierkegaard-Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Anlass nahmen, nach der Relevanz des dänischen Philosophen für eine geistige Erneuerung des Judentums zu fragen und ihre eigene Stellung zur christlichen Signatur seines Denkens zu bestimmen (vgl. dazu Joanna Nowotny, »Kierkegaard ist ein Jude!« Jüdische Kierkegaard-Lektüren in Literatur und Philosophie, Göttingen 2018, darin konkret zu Buber bes. S. 98-137, S. 150-157 und S. 180-194). Den unmittelbaren Zusammenhang stellt Bubers eigene intellektuelle Begegnung mit Kierkegaard dar, die seit seinen frühen Studienzeiten einen integralen Bestandteil seines Denkweges bildete und sich »zwischen Bewunderung und Ablehnung« bewegte (Nowotny, ebd., S. 98; vgl. Peter Šajda, »Martin Buber: ›No-one Can so Refute Kierkegaard as Kierkegaard Himself‹, in: Jon Steward (Hrsg.), Kierkegaard and Existentialism, Farnham 2011, S. 33-62). Seinem Biographen Maurice Friedman zufolge ist Kierkegaard »one of the most important single influences on Buber’s thought« (Maurice Friedman, Martin Buber: The Life of Dialogue, 4. Aufl., London 2002, S. 39); zugleich kann er selbst als einer der einflussreichsten Kierkegaard-Rezipienten aus dem Milieu des europäischen Kulturzionismus gelten. Die Wegmarken und Facetten dieser intensiven Auseinandersetzung Bubers mit Kierkegaards Ideen können hier nur kurz angedeutet werden. Explizit in den Vordergrund tritt diese Begegnung in Bubers Schriften seit den 1930er Jahren, vor

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allem in den zahlreichen Abhandlungen, die im weiteren Kontext seines dialogischen Denkens entstanden. In Die Frage an den Einzelnen (1936) gewinnt Bubers Lektüre des Werkes Kierkegaards eine dezidiert politische Bedeutung. Dabei dient der Bezug auf dessen Kategorie des Einzelnen, der in der persönlichen Beziehung zu Gott die Verantwortung für sein Handeln übernimmt, der Kritik eines exzessiven kollektiven Denkens, der für die nationalsozialistische Ideologie des völkischen Bewusstseins charakteristischen »Vermassung«. Zum Einzelnen werde man durch eine »abrahamische« Beziehung zu Gott, die zugleich jüdisch und »christlich« – im Sinne eines in Kontinuität zur Hebräischen Bibel stehenden jesuanischen Urchristentums – sei (Martin Buber, Die Frage an den Einzelnen, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 16; jetzt in: MBW 4, S. 151-195, hier S. 155). Wie bereits in impliziten kritischen Reflexionen in Ich und Du (1923) über die Problematik des »religiöse[n] Mensch[en]«, dem eine wesentliche ethische Beziehung zur mitmenschlichen Welt fehle, weil er »als Einzelner, als Einziger, als Abgelöster vor Gott« stehe, der die Stufe des sittlichen Menschen überschritten habe (vgl. Martin Buber, Ich und Du, Leipzig: Insel Verlag 1923, S. 124; jetzt in MBW 4, S. 37-109, hier S. 102), begegnet Buber in Die Frage an den Einzelnen Kierkegaards Glaubensverständnis zugleich mit Skepsis und unterstellt ihm eine an markionitische Tendenzen gemahnende Haltung, die dem biblischen wie jesuanischen Akzent auf der ethischen Verantwortung für Gottes Schöpfung widerspreche. In seinem 1942 auf Hebräisch und 1948 in deutscher Sprache publizierten Essay Das Problem des Menschen, seiner Grundlegung einer dialogischen Anthropologie, greift Buber diese Kritik an Kierkegaard auf, dessen Individualisierung des Glaubens zu einem wesentlichen »Absehen von allem« führe, »was außer Gott und mir überhaupt ist« (Martin Buber, Das Problem des Menschen, in: MBW 12, S. 221-312, hier S. 286). So gewiss Buber Kierkegaards philosophische Leistung, die Entdeckung des »Einzelnen« vor Gott, zu würdigen bereit war, so sehr vermisste er bei ihm den Aspekt der Gemeinschaft und des ethischen Weltbezugs, der für seine im Ideal des Chassidismus und im dialogischen Denken verwurzelte Anthropologie prägend war. In seinem vorliegenden Aufsatz über die »Opferung Isaaks« setzt Buber sich mit Kierkegaards Werk Furcht und Zittern auseinander, das auf der biblischen Erzählung der akedah, der »Bindung Isaaks« beruht. Diese Schrift gab Buber als jungem Mann »den Anstoß […], über das Verhältnis des Ethischen zum Religiösen nachzudenken« (in diesem Band, S. 577). In seinem Essay diskutiert er Kierkegaards These von der »teleologischen Suspension des Ethischen«, der zufolge es ein höheres Ge-

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bot als die ethische Verpflichtung gibt, durch welches die Allgemeingültigkeit eben jener Verpflichtung aufgehoben, möglicherweise sogar in ihr Gegenteil verkehrt wird. Die Unbedingtheit des Ethischen wird bei Kierkegaard durch eine »absolute Pflicht gegen Gott« ersetzt, die sich im persönlichen Verhältnis einer Person zu Gott ausdrückt, der derjenige ist, der festlegt, was Gut und was Böse ist und diese Ordnung jederzeit durchbrechen kann. (Vgl. zu Kierkegaards Idee einige Passagen aus Furcht und Zittern in der Wort- und Sacherläuterung zu 64,37-39.) In seiner kurzen, selektiven Darstellung der Ideen Kierkegaards liegt der Akzent vor allem auf dessen biographisch zugespitzter Deutung der akedah auf den Bereich des privaten Opfers, der göttlichen Forderung nach der Lösung des »Bund(es) mit der geliebten Braut« (in diesem Band, S. 578), Regina Olsen, der Forderung, die ihn mit einem mehrdeutigen Befehl konfrontierte und somit vor die Notwendigkeit stellte, seine Entscheidung mit sich selbst auszumachen. Im Hinblick auf den persönlichen Befehl Gottes an Abraham betont Buber, anders als Kierkegaards existenziale Interpretation, der überlieferte biblische Befehl sei vollkommen eindeutig: »Da ist nichts zu interpretieren, der hörende Mensch erfährt restlos, was von ihm gefordert wird; der Gott, der hier redet, gibt keine Rätsel auf.« (Ebd.) Buber stimmt Kierkegaard darin zu, dass Abraham die Entscheidung, seinen einzigen Sohn zu opfern, in der »absoluten Isolation« treffen müsse, niemand könne ihm bei dieser Entscheidung helfen (ebd.). Einen wichtigen Unterschied zwischen Kierkegaards auf christlicher Tradition beruhender Position und dem biblischen Text stellt Buber allerdings deutlich heraus: Während Kierkegaard mit Gewissheit annimmt, die an Abraham ergehende Aufforderung zur Aufhebung der ethischen Verpflichtung komme tatsächlich von Gott, sei die Hebräische Bibel von der Ungewissheit bestimmt, wessen Stimme es sei, die zu einer Person rede. Buber deutet diese Unsicherheit als »eine Problematik des Hörens selber«, die der »Problematik der Glaubensentscheidung« vorausgehe (ebd.). Die Bibel bringt diese Unsicherheit darin zum Ausdruck, dass sie die Anstiftung zu ein und derselben Handlung sowohl Gott als auch dem Satan zuschreiben kann, aber auch von der Möglichkeit einer Täuschung weiß: »Der Moloch ahmt die Stimme Gottes nach«, die – abgesehen von der exzeptionellen Versuchung Abrahams, seines Auserwählten, mit der er diesen zur »innerste(n) HingabeBereitschaft« herausfordere – vom gewöhnlichen Menschen »nichts weiter fordert als Gerechtigkeit und Liebe, und daß dieser Mensch mit ihm, mit Gott, ›bescheiden umgehe‹, mit anderen Worten, nicht viel mehr als das fundamental Ethische.« (Ebd., S. 579.) Bubers Reflexion über das Abgründige der Forderung Gottes in der biblischen Geschichte bleibt

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somit ambivalent, insofern er trotz des Akzents auf der Bedeutung dieser weit schlichteren Ethik die Möglichkeit einer »Suspension des Ethischen« offenhält, ein Aspekt, der mit Bubers genereller Betonung der einmaligen dialogischen Situation als Ausgangspunkt jeder ethischen Entscheidung in Einklang steht (vgl. Joanna Nowotny, »Kierkegaard ist ein Jude!«, S. 113.) In »Die Opferung Isaaks« zielt Buber allerdings stark auf die Fragwürdigkeit der Deutung Kierkegaards, insbesondere mit Blick auf seine Gegenwart, der es zunehmend schwerfalle, Gottes Stimme eines »verschwebenden Schweigens« (I Kön 19) und die lautstark brüllende Stimme der Moloche zu unterscheiden. Im Schlussteil warnt Buber vor der Möglichkeit einer gefährlichen Hybris in einem »Zeitalter, in dem die Suspension des Ethischen in einer karikaturhaften Gestalt die Menschenwelt erfüllt«. Die Menschen hätten die verinnerlichten »Bilder des Absoluten«, die sie davor bewahrten, trügerischen Stimmen zu erliegen, verloren, ihnen sei die Fähigkeit abhandengekommen, »die Erscheinung des Absoluten« aufzufangen; weil sie das »wahre Absolute« nicht mehr erkennen, erliegen sie den »falschen Absoluta«, die Buber mit dem Bereich des Molochs identifiziert, wie etwa die Aufopferung junger Menschen zugunsten absolut gesetzter Werte, für die selbst die »Aufrichtigen« und »Barmherzígen« die schlichten Forderungen der Menschlichkeit preisgäben. Bezeichnenderweise wechselt Buber am Ende seiner Analyse des Zeitalters in die Ich-Form, wo er von der Opferung »junger Seelen« an die falschen Absoluta spricht, die er selber beobachtet hat. Ein Entrinnen aus diesem »übelsten aller Götzendienste« könne es nur mit einem neu erwachenden Gewissen geben, das sich der Verwechslung von bedingten und unbedingten Werten widersetze und den falschen Schein entlarve (in diesem Band, S. 580). Ob Buber Kierkegaards eigentlichem Anliegen in Furcht und Zittern, das Existenzrecht des Glaubens jenseits aufklärerisch-rationalistischer Positionen plausibel zu machen, mit seiner von der geschilderten Zeitanalyse aus formulierten kritischen Deutung wirklich gerecht geworden sei, war in der jüdischen Rezeption der Argumentation Bubers durchaus umstritten. Der französische Philosoph Jean Wahl (1888-1974) würdigte in der Rückschau Bubers scharfe Kritik von dessen Standpunkt aus, stellte aber sein Urteil in Frage, Kierkegaard trenne das Ethische vom Religiösen, und unternahm es, den Nachweis dafür zu führen, dass sein Denken tiefer und dialektischer sei, als Buber es darstelle, und dass die Suspension des Ethischen bei ihm »ein notwendiger Moment, aber ein Moment« sei, auf dem ein neues ethisches Verhalten zu Gott und den Mitmenschen aufbaue (Jean Wahl, Martin Buber und die Existenzphi-

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losophie, in: Martin Buber, hrsg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 420-447, hier S. 427.) Auch der Philosoph und Schriftsteller Samuel Hugo Bergmann (1883-1975), der sich intensiv mit Kierkegaard auseinandersetzte und sein positives Bild eines radikalen christlichen Glaubensverständnisses an ihm ausrichtete, plädierte in seinen 1974 in hebräischer Sprache und 1991 in englischer Übersetzung erschienenen Jerusalemer Vorlesungen zur Dialogphilosophie von Kierkegaard bis Buber für eine differenziertere Wahrnehmung der Perspektiven, die Kierkegaards unterschiedliche Variationen der AbrahamGeschichte zu Beginn von Furcht und Zittern kennzeichneten. Bergmann bescheinigt Kierkegaard ein auf Gott und Mensch bezogenes dialogisches Denken und nimmt ihn gegen Bubers Warnung vor der Gefahr einer teleologischen Suspension des Ethischen als moralischer Anarchie in Schutz. Nicht zuletzt kritisiert er, Buber lasse die Tiefe des Rätsels der Geschichte der akedah, das Dilemma der scheinbaren Absurdität und Amoralität des göttlichen Befehls, unberücksichtigt, indem er den Glauben als wesentlich identisch mit der allgemeinen Ethik darstelle. (Vgl. Samuel Hugo Bergman, Dialogical Philosophy from Kierkegaard to Buber, Albany, NY 1991; vgl. dazu Nowotny, »Kierkegaard ist ein Jude!«, S. 116-124.) Auch mit der seiner Kierkegaard-Lektüre verbundenen Christentumskritik, die er in Zwei Glaubensweisen explizierte (1950; vgl. dazu Nowotny, ebd., S. 150-157), stieß Buber auf Widerspruch. Bereits ein Jahr vor der deutschen Ausgabe des Bandes Gottesfinsternis, der unter verändertem Titel auch Bubers Aufsatz von der »Opferung Isaaks« enthält (s. o.), erschien 1952 eine amerikanische Ausgabe unter dem Titel Eclipse of God. Studies in the Relation between Religion and Philosophy. Hierzu veröffentlichte im Dezember 1952 der amerikanisch-jüdische Religionsphilosoph Will Herberg (1906-1977) eine Rezension in der einflussreichen – 1945 durch das American Jewish Committee gegründeten – Zeitschrift Commentary. In seiner ausführlichen und zwischen Lob und Kritik schwankenden Besprechung nimmt Herberg im Kapitel »Religion und Ethik« eine problematische Auffassung Bubers hinsichtlich des Christentums wahr: »Buber seriously misapprehends […] the nature of normative Christian ethics, because in spite of everything he thinks of Christianity as the kind of ›individualistic‹ faith which 19th century Protestantism and (in part) Catholicism conceived it to be.« (Will Herberg, How Can You Say »God«? Eclipse of God by Martin Buber, in: Commentary 12, Dezember 1952, S. 615-619; hier S. 617.) Diese Sicht Bubers auf das Christentum als eines in erster Linie individualistischen Glaubens und sein Herberg zufolge daraus folgendes falsches Verständnis

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des normativen Charakters der christlichen Ethik kommen in gewisser Weise auch in Bubers Interpretation Kierkegaards zum Ausdruck, etwa wenn er kritisiert, bei diesem werde die Unbedingtheit des Ethischen durch eine »absolute Pflicht gegen Gott« ersetzt, deren ethischer Maßstab von Person zu Person je nach persönlichem Befehl Gottes an die jeweilige Person variieren könne. Obwohl im MBA zwei Teilhandschriften zum Text »Die Opferung Isaaks« vorliegen, die im Folgenden auch als Textzeugen aufgeführt sind, werden diese hier nicht in einem Variantenapparat abgebildet, da sie bereits in MBW 12 im kritischen Apparat zu Bubers Schrift Gottesfinsternis als Textvarianten berücksichtigt wurden (vgl. dort S. 725-752). Textzeuge: D1: Frankfurter Hefte, VI/9, September 1951, S. 623-625 (MBB 872). D2: »Von einer Suspension des Ethischen«, in: Gottesfinsternis, Zürich: Manesse Verlag S. 138-144 (MBB 918). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Französisch: »Le Sacrifice d’Isaac«, übers. von Champollion, Dieu Vivant, 22, 1952, S. 69-76 (MBB 908). Variantenapparat: 579,31 jener] berichtigt aus jeher nach D2 Wort- und Sacherläuterungen: 577,4 »Furcht und Zittern«] Søren Kierkegaard, Furcht und Zittern. Dialektische Lyrik, Kopenhagen 1843; von Kierkegaard unter dem Pseudonym »Johannes de Silentio« publiziert. 577,9 »teleologische Suspension des Ethischen«] Søren Kierkegaard, Furcht und Zittern, in: Kierkegaard, Gesammelte Werke, Bd. 3., übers. von Hinrich Cornelius Ketels, Hermann Gottsched u. Christoph Schrempf, Jena 1923, S. 53. 577,22-24 »Aber was ist denn […] für Gottes Willen!«] Kierkegaard, Furcht und Zittern, S. 57. 577,29-30 »wer aber«, fragt er, »ist ein solcher?«] Kierkegaard, Furcht und Zittern, S. 27. 577,30-34 Insbesondere versichert er […] die Abraham vollzieht.] Kierkegaard, Furcht und Zittern, S. 29.

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577,34-37 Man muß jedoch […] setzen zu lassen.] Søren Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller (Kopenhagen 1859), in: Kierkegaard, Gesammelte Werke, Bd. 10. übers. von August Dorner u. Christoph Schrempf, Jena 1922, S. 92. 578,5 »lag ein göttlicher Protest vor«] Buber gibt die Aussage Kierkegaards nicht ganz korrekt wieder; Kierkegaard schreibt: »Aber es trat ein göttlicher Protest dazwischen; so verstand ich es.« Siehe Søren Kierkegaard, Stadien auf dem Lebensweg (Kopenhagen 1845), in: Kierkegaard, Gesammelte Werke, Bd. 4. übers. von Christoph Schrempf u. Wolfgang Pfleiderer, Jena 1922, S. 463. 578,Anm 1 Auch sie selber […] Gott geopfert.] Einige Zeit nach Kierkegaards Tod schreibt seine ehemalige Verlobte Regine Olsen, inzwischen verheiratet Regine Schlegel, in einem Brief an den Arzt Henrik Lund, der ihr nach Kierkegaards Tod ein Paket mit dessen hinterlassenen Briefen und Aufzeichnungen geschickt hatte, über Kierkegaards Gründe, warum er die Verlobung mit ihr gelöst hatte: »Gott gegenüber, dem er mich geopfert«. Sören Kierkegaards Verhältnis zu seiner Braut. Briefe und Aufzeichnungen aus seinem Nachlaß, hrsg. u. mit einem Begleitwort versehen von Henriette Lund, einzig autorisierte deutsche Uebertragung von E. Rohr, Leipzig 1904, S. 100. 578,7-8 »Hätte ich den Glauben gehabt, so wäre ich bei ihr geblieben.«] Ein Tagebucheintrag Kierkegaards vom 17. Mai 1843 beginnt mit dem Satz: »Hätte ich Glauben gehabt, so wäre ich bei Regine geblieben.« Søren Kierkegaard, Die Tagebücher 1834-1855, Auswahl u. Übertragung von Theodor Haecker, 2. Aufl. Leipzig 1941, S. 156. 578,12-13 »Was er unter Isaak […] für sich selbst ausmachen«.] Kierkegaard, Furcht und Zittern, S. 68. 578,18-19 »Deinen Sohn, deinen Einzigen, den du liebst, den Isaak.«] Gen 22,2. 578,23-33 Diese tut sich uns […] liegt das Entsetzliche.«] Kierkegaard, Furcht und Zittern, S. 75-77. 579,4-6 wird hier doch sogar […] (I Chronik 21) dem Satan.] In beiden biblischen Erzählungen, die Buber hier erwähnt, gibt König David den Befehl, eine Volkszählung durchführen zu lassen; während es aber in II Sam 24 der gegen Israel entbrannte Zorn Gottes ist, der David dazu reizt, die Volkszählung anzuordnen, ist es in I Chr 21 der Zorn Satans gegen Israel, der David zu dieser Handlung anstiftet. 579,28-29 die Stimme eines »verschwebenden Schweigens« ist (I Könige 19)] I Kön 19,12; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 133,9-10.

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580,3 Nietzsches Wort, »Gott tot ist«] »Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon gehört, dass Gott todt ist!« Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Chemnitz 1883; hier: Zarathustras Vorrede, § 2. Die Führungskraft der Schrift Der Artikel erschien 1955 im Almanach des Verlags F. Wittig mit dem redaktionellen Zusatz am Schluss, er sei »mit geringen, vom Verfasser herrührenden Änderungen einem Vortrag Martin Bubers aus dem Jahre 1926 entnommen«, stammt also nach diesen Angaben aus demselben Jahr wie der lange unveröffentlicht gebliebene Text »Zu Luthers Übertragung von Ruach« (jetzt in: MBW 14, S. 155-157). Schon vor seiner eigenständigen Veröffentlichung im Jahr 1955 bildete der Text den zweiten Teil von Bubers Aufsatz »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel«. Dieser entstand 1936 für den Band Die Schrift und ihre Verdeutschung (Berlin: Schocken Verlag 1936; jetzt in: MBW 14, S. 33-152), eine Sammlung von Texten Martin Bubers und Franz Rosenzweigs, die Grundzüge und Methoden der gemeinsamen Übersetzungsarbeit an der Verdeutschung der Bibel darstellen wollen (»Der Mensch von heute und die jüdische Bibel«, jetzt in: MBW 14, S. 38-55; dessen zweiter Teil, der dem Aufsatz »Die Führungskraft der Schrift« entspricht, ebd., S. 47-51). Auch der Text »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel« vermerkt das Jahr 1926 als Entstehungsjahr – es heißt dort: »Aus einer Vortragsfolge (November 1926)«. Zu Beginn seines Aufsatzes benennt Buber als die »eigentliche Not« des heutigen Menschen die Trennung von Geist und Leben. In dieser Not habe die Hebräische Bibel, welche die »heilige Vermählung« der beiden Bereiche lehre (S. 581), auch heute noch die Macht, dem Menschen zu helfen. Mit seinem Aufsatz will Buber deutlich machen, dass und in welcher Weise die Bibel Hilfestellung in den Aporien des Menschen der Moderne sein kann. Liegt hierin Bubers Absicht seines nach eigenen Angaben 1926 zunächst als Vortrag konzipierten Textes, so wird ersichtlich, warum er ihn später als Teil seines Aufsatzes »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel« in seine Schriften zur Bibelübersetzung aufnahm. Wenn die Bibel dem modernen Menschen tatsächlich in seiner Not helfen kann, so begründet dies zugleich die Notwendigkeit einer neuen Bibelübersetzung. So schreibt dann auch Ran HaCohen über Bubers Aufsatz »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel«: »Tatsächlich liest sich dieser Aufsatz als Manifest, das die Notwendigkeit einer neuen Bi-

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belübersetzung in der gegenwärtigen Zeit rechtfertigt: die Kluft zwischen Geist und wirklichem Leben, die polarisierte Geschichtsauffassung der Moderne und die heutige Auseinandersetzung mit Religion und Glauben dienen alle dazu, die Relevanz der Bibel in der ihr von Buber zugeschriebenen Leseweise zu beweisen; die Beispiele im zweiten Teil [das ist »Die Führungskraft der Schrift«] demonstrieren diese Leseweise.« (MBW 14, S. 239.) Ran HaCohen referiert an dieser Stelle außerdem eine These von Martina und Walter Lesch, wonach Buber den Aufsatz »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel« im Kontext der Kritik Siegfried Kracauers (1889-1966) an der Buber/Rosenzweig-Bibelübersetzung verfasst habe. Buber habe »in diesem Essay, angestoßen durch Kracauers Kritik, ausführt, was er nicht direkt im Zusammenhang mit Kracauers Angriff hatte erläutern wollen: daß und warum er und Rosenzweig Kracauers These von der Stummheit der Bibel in unserer Zeit ›für irrig und verderblich halten‹«. (Martina Lesch u. Walter Lesch, Verbindungen zu einer anderen Frankfurter Schule. Zu Kracauers Auseinandersetzung mit Bubers und Rosenzweigs Bibelübersetzung, in: Siegfried Kracauer – Neue Interpretationen, hrsg. von Michael Kessler u. Thomas Y. Levin, Tübingen 1989, S. 171-193; hier S. 188; zitiert nach MBW 14, S. 239.) Dass der Aufsatz »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel« und als Teil dessen »Die Führungskraft der Schrift« als Erwiderung auf Kracauers Kritik entstand, ist vor dem Hintergrund des Zeitpunkts der öffentlichen Kontroverse zwischen Kracauer und Buber-Rosenzweig – im Frühjahr 1926 – durchaus denkbar. Kracauers grundlegende Kritik an Bubers und Rosenzweigs Bibelübersetzung erschien am 27. und 28. April 1926 unter dem Titel »Die Bibel auf Deutsch. Zur Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig« in der Frankfurter Zeitung, in deren Feuilletonredaktion Kracauer tätig war. Buber und Rosenzweig antworteten auf Kracauers Übersetzungskritik mit dem Aufsatz »Die Bibel auf Deutsch. Zur Erwiderung«, der am 18. Mai 1926, leicht gekürzt, in der FZ erschien und später vollständig in dem Band Die Schrift und ihre Verdeutschung abgedruckt wurde (jetzt in: MBW 14, S. 119-127). Auf diese »Erwiderung« reagierte Kracauer in derselben Ausgabe der FZ unter der Überschrift »Duplik«. Ausführlich zur Kontroverse über die Bibelübersetzung zwischen Kracauer und Buber-Rosenzweig vgl. Ran HaCohen, Einleitung, in MBW 14, S. 27-30. In »Die Führungskraft der Schrift« dient Buber das Wort Ruach und seine Bedeutung in der Hebräischen Bibel dazu, gemäß seiner zu Beginn des Aufsatzes dargelegten Absicht darzustellen, inwiefern die Bibel den modernen Menschen aus seiner Krise herausführen kann, die von der

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Trennung von Geist und Leben gekennzeichnet sei. Bubers These besagt, die allgemein vertretene Auffassung, ruach sei entweder mit »Geist« oder mit »Wind« zu übersetzen, man müsse sich also für eine der beiden Deutungen entscheiden, eröffne eine falsche Alternative. Anhand von Beispielen aus den beiden Schöpfungsgeschichten, aus Numeri 11 (Die Einsetzung der Ältesten), aus dem Richter-Buch sowie aus 1. Samuel interpretiert Buber die Ruach als dynamische göttliche Einheit von Natur und Geist, »schöpferisches Wehen, das beide, Natur und Geist, erst werden lässt«. Gott ist weder Natur noch Geist, »sondern beides hat seinen Ursprung in ihm« (S. 582). Es ist derselbe »Geistbraus«, der die Ältesten zu Kündern macht, der auch als Windbraus vom Meer die Wachteln herantreibt. So sind Schöpfung und Offenbarung miteinander verbunden. »Wo sich persönliche Offenbarung vollziehen wird, wird es die Ruach sein, die in den Menschen eindringt.« (S. 584.) Zur Bedeutung der Ruach für die prophetische Begegnung mit der göttlichen Macht vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 197, sowie die Wort- und Sacherläuterung dort) Textzeuge: D: Almanach auf das Jahr des Herrn 1955, Hamburg: F. Wittig 1955, S. 20-24 (MBB 992). Druckvorlage: D Wort und Sacherläuterungen: 581,5-11 Die moderne Lebensphilosophie […] sehr erschwert.] Buber bezieht sich auf die im 19. Jahrhundert entstandene Lebensphilosophie im Sinne von Henri Bergson (1859-1941), Wilhelm Dilthey (1833-1911) oder Ludwig Klages (1872-1956), die sich mit ihrer Geistfeindlichkeit und Ablehnung des Intellektualismus, zumeist einhergehend mit einer fatalistisch-kulturpessimistischen Philosophie, als eine Gegenbewegung zu Aufklärung und Rationalismus verstand. Bei zwar unterschiedlichen philosophischen Ansätzen, die die Vertreter der Lebensphilosophie entwickelten, war ihnen die negative Abgrenzung gegen den Rationalismus und demgegenüber eine absolute Überhöhung des Lebens gemeinsam. Anders als in der Lebensphilosophie, die Geist und Leben als zwei getrennte, in völliger Opposition zueinander stehende Prinzipien versteht, ist für den biblischen Begriff der ruach gerade die Einheit von Geist und Leben konstitutiv, wie Buber im Verlauf seines Aufsatzes über »Die Führungskraft der Schrift« ausführt.

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581,30 Im zweiten Vers der Bibel] Gen 1,2. Buber übersetzt: »Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser«. 581,30 R u a c h ] Zum Begriff der ruach, zu Bubers Beschäftigung mit ihm und der Schwierigkeit der Übersetzung des Begriffs vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 62,10-15. 581,35-582,2 5. Mose 32, 11 […] (vgl. 2. Mose 19, 4] Dtn 32,11: »Wie ein Adler erweckt seinen Horst, über seinen Nestlingen schwingt, seine Flügel spreitet, eins aufnimmt, es auf seinem Fittich trägt.« Zum Verständnis des Verses aus Deuteronomium vgl. auch Martin Buber, »Die Erwählung Israels«, in diesem Band. S. 111,2-12. 582,7 Moseslied] Dtn 32,1-43. 582,16 »sehr alt« (Gunkel)] »Auch daß das göttliche Weltprinzip ‫ רוח‬genannt wird, kann sehr alt sein.« Genesis, übersetzt und erklärt von Hermann Gunkel, Göttingen 5. Aufl. 1922, S. 104. 582,17 »sehr altertümlich« (Procksch)] Die Genesis, übersetzt und erklärt von Otto Procksch, Leipzig 1913, S. 426. 583,7-8 »Wer gäbs, […] über sie gäbe!«] Num 11,29. 583,11-12 »Ein R u a c h aber […] Wachteln heran …«] Num 11,31. 583,21 »ein Brausen und Wehen zugleich« (Rudolf Hildebrand)] Rudolf Hildebrand, Geist, Halle 1926, S. 1 (unveränderter Sonderdruck von Hildebrands Artikel »Geist« im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm, IV. Bd., I. Abt., 2. Hälfte, Sp. 2623-2741). 583,23-24 wie wenn Lübecker […] als »Geist« bezeichnen] Auf welche Quelle Buber sich mit diesem Vergleich bezieht, ließ sich nicht ermitteln. 583,25-27 »Der Himmel ist […] den Geist seines Mundes.«] Ps 33,6. 583,28-31 »Er wird … den Gottlosen […] mit dem Odem seiner Lippen«] Jes 11,4. 583,36-37 »den Menschen unmittelbar anwehte«] »Die frische Luft des freien Feldes ist der eigentliche Ort, wo wir hingehören; es ist, als ob der Geist Gottes dort den Menschen unmittelbar anwehte und eine göttliche Kraft ihren Einfluss ausübte.« Johann Peter Eckermann. Gespräche mit Goethe, Dritter Teil: 1822-1832, 11. März 1828, in: Johann Wolfgang von Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Bd. 24, hrsg. von Ernst Beutler, Zürich 1948, S. 681. 583,40-41 »O Schwester des Geistes, der feurig in uns waltet und lebt, heilige Luft!«] Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland, in: Ders., Werke, Bd. 3, hrsg. von Friedrich Beissner, Stuttgart 1958, S. 52.

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584,6 (wie aus 6, 3 hervorgeht)] Gen 6,3: »ER sprach: Nicht niedre mein Geistbraus sich im Menschen für eine Weltzeit, dieweil er auch Fleisch ist, seien denn seine Tage: hundertundzwanzig Jahre.« Antwort [an meine Kritiker]. Zur Bibel-Interpretation Martin Bubers Antwort an seine Kritiker zu Fragen seiner Bibelinterpretation erschien in der prominenten Reihe Library of Living Philosophers (der deutsche Titel des Bandes lautet Martin Buber – Philosophen des XX. Jahrhunderts), die seit 1939 von Paul Arthur Schilpp (1897-1993) herausgegeben wurde. (Die Reihe besteht bis heute, 1981 gab Schilpp die Herausgeberschaft ab.) Das Konzept dieser Reihe besteht darin, einem renommierten Gelehrten in einem seinem Denken gewidmeten Band Interpretationen und kritische Analysen zentraler Aspekte seines Werkes vorzulegen, mit der Bitte, direkt zu den Kommentaren und Anfragen prominenter Zeitgenossen Stellung zu beziehen und dem Band autobiographische Reflexionen voranzustellen. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe wird dieses dialogische Verfahren als Bubers Philosophie des Dialogs besonders angemessen gekennzeichnet. (Vgl. Martin Buber. Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 1963, S. IX). Mit seiner Aufnahme in die Library of Living Philosophers fand sich Buber in Gesellschaft mit so bedeutenden Denkern wie John Dewey (1939), G. E. Moore (1942), Bertrand Russell (1944), Ernst Cassirer (1949), Albert Einstein (1949), Rudolf Carnap (1963) und Karl Jaspers (1957). Der Band, der sich zentralen Fragen der Philosophie Bubers widmet, wurde gemeinsam von Paul Arthur Schilpp, Fritz Kaufmann (1891-1958) und Maurice Friedman (1921-2012) vorbereitet. Er erschien erst 1967 in englischer Sprache, während die deutsche Ausgabe bereits 1963 veröffentlicht wurde. Er versammelt Kommentare und Kritiken zahlreicher Gelehrter aus Europa, Amerika und Israel, darunter die von Hugo Bergmann, Max Brod, Emil Fackenheim, Nahum N. Glatzer, Mordechai M. Kaplan, Emmanuel Lévinas, Gabriel Marcel, Nathan Rotenstreich, Ernst Simon, Jacob Taubes, und Robert Weltsch. In seiner »Antwort« reagiert Buber Punkt für Punkt auf nahezu alle vorgebrachten Äußerungen. »Dieses Werk ist für jedes tiefere Verständnis Bubers unentbehrlich; es kommt im Übrigen nicht oft vor, dass ein Philosoph sich einem solchen Exerzitium aussetzt«, so die Einschätzung von Dominique Bourel in seiner Biographie Martin Bubers (Bourel, Martin Buber. Was es heißt, ein Mensch zu sein. Biografie, Gütersloh S. 681).

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Zur Entstehungsgeschichte des Martin Buber-Bandes der Library of Living Philosophers, die bis zu einer Vortragsreise Bubers 1956 in Amerika zurückreicht, siehe ausführlich MBW 12, S. 799-802. In MBW 12 ist außerdem der komplette Text der »Antwort« Bubers abgedruckt (vgl. ebd., S. 467-524). In Bubers dem Band vorangestellten anekdotischen »Autobiographische[n] Fragmente[n]« formuliert der Philosoph die hermeneutischen Prämissen seines Verständnisses menschlicher Begegnung mit der Offenbarung der Heiligen Schrift als eines »freien Partnertums des Menschen in einem Gespräch zwischen Himmel und Erde« (in: Schilpp u. Friedman, Martin Buber, S. 29; jetzt in: MBW 7, S. 304), einschließlich der Möglichkeit, dass menschliche Deutung des göttlichen Wortes letzteres verzeichnet, so dass der Exeget der Spannung zwischen der göttlichen und der menschlichen Dimension der Schrift nicht zu entgehen vermag. Die folgende Passage lässt sich als Vorspruch zu Bubers biblischen Schriften insgesamt und auch zu seiner »Antwort« verstehen: »Der Mensch ist so geschaffen, daß er verstehen kann, aber nicht verstehen muß, was Gott ihm sagt. Gott gibt den erschaffenen Menschen den Nöten und Ängsten nicht preis, er leiht ihm den Beistand seines Worts, er spricht zu ihm, er spricht sein Wort zu ihm. Der Mensch aber horcht nicht getreuen Ohrs auf das ihm Zugesprochene, er vermengt schon im Hören Himmelsgebot und Erdensatzung miteinander, Offenbarung des Seienden und die Orientierungen, die er sich selbst zurechtmacht. Von diesem Tatbestand sind auch die heiligen Schriften der Menschen nicht ausgenommen, auch die Bibel ist es nicht. Es geht letztlich nicht darum, daß diese oder jene Person der biblischen Geschichtserzählung Gott mißverstanden hat; es geht darum, daß in dem Werk der Kehlen und der Griffel, aus dem der Text des ›Alten Testaments‹ entstanden ist, sich wieder und wieder Mißverstehen ans Verstehen heftete, Hergestelltes sich mit Empfangenem verquickte. Wir haben kein objektives Kriterium für die Scheidung; wir haben einzig den Glauben, – wenn wir ihn haben. […] Immer, wenn ich einen biblischen Text zu übertragen oder zu interpretieren habe, tue ich es mit Furcht und Zittern, in einer unentrinnbaren Schwebe zwischen dem Wort Gottes und den Worten der Menschen.« (Ebd., S. 28.) (Der Text der »Autobiographische[n] Fragmente« erschien bereits 1960 als eigenständige Veröffentlichung unter dem Titel Begegnung (Martin Buber, Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart: Kohlhammer 1960), jetzt in: MBW 7, S. 274-309; seine Konzeption fällt damit zeitlich in etwa mit der des Martin BuberBandes der Library of Living Philosophers zusammen.) Im vorliegenden Abschnitt »VIII. Zur Bibel-Interpretation« aus Bu-

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bers »Antwort« reagiert dieser in kurzen Erwiderungen auf insgesamt elf von James Muilenburg (1.-9.), Nahum Glatzer (10.) und Jacob Taubes (11.) vorgebrachte – teilweise kritische – Überlegungen zu seiner Bibelinterpretation. Der amerikanische Exeget James Muilenburg (1896-1974) hatte den Philosophen in seinem Essay »Buber als Bibel-Exeget« (Schilpp u. Friedman, Martin Buber, S. 354-383) als einen Denker gewürdigt, der das Instrumentarium der historischen Kritik umfassend beherrsche, es aber nicht für zureichend hielt, um »ins Herz der biblischen Botschaft zu dringen«, sondern den Akzent ganz auf die existentielle Begegnung des Lesers mit dem biblischen Geschehen lege (ebd., S. 364 f.) Als Interpret der Bibel sei er der »größte jüdische Lehrer der Christenheit«, zugleich der schärfste Kritiker »des beharrlichen Marcionismus großer Teile der christlichen Kirche« geworden (ebd., S. 365). In seiner Detailanalyse der hermeneutischen Methodik Bubers hob Muilenburg zahlreiche Elemente seiner Auslegungen als besonders positiv hervor: den Akzent auf der Kohärenz der unterschiedlichen literarischen Schichten der Bibel, den inneren Zusammenhang mit der Dialogphilosophie, den tiefen Sinn für das Wesen der hebräischen Sprache, die scharfsinnige Deutung der Propheten und die in Königtum Gottes vorgelegte pionierhafte Deutung der Anfänge des Messianismus im sakralen Königtum Israels. Die Kritik Muilenbergs im Einzelnen ist diskret, meist in Frageform formuliert, und stellt Bubers Interpretationen nicht grundsätzlich in Frage, so dass sich dieser im Wesentlichen auf kurze exegetische Klarstellungen beschränkt und ohne jede Polemik spezifische Ungenauigkeiten und Missverständnisse seines Kritikers korrigiert. So bestreitet er den Einwand, er habe der Vielschichtigkeit spezifischer biblischer Begriffe nicht hinreichend Gerechtigkeit widerfahren lassen, oder verteidigt seine Entscheidung, Loblieder wie Klagepsalmen unter dem Begriff der »Preisungen« zu fassen. Muilenburgs erhebliche Einwände gegen seine Auffassung des Tetragrammatons und die Keniterhypothese lässt Buber unbeantwortet, da dies »ein besonderes Kapitel verlangen« würde (in diesem Band, S. 587), und verweist stattdessen allgemein auf seine Darstellungen in Königtum Gottes und Moses. Als herausfordernder empfand Buber offenbar die Kritikpunkte seiner beiden jüdischen Kollegen Nahum N. Glatzer (1903-1990) und Jacob Taubes (1923-1987), betrafen Sie doch mit seiner Auffassung des biblischen »Gesetzes« und seiner geschichtstheologischen Deutung des Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Handeln grundlegende Aspekte seines Denkens. Glatzer, sein Kollege an der Frankfurter Universität und am Freien Jüdischen Lehrhaus in den 1930er Jahren, verteidigte ihn gegen Vorwürfe, seine Deutung der Hebräischen Bibel sei in erster

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Linie von seiner philosophischen Anschauung bestimmt, und kennzeichnete ihn als »echt jüdisch[en] Bibelexeget[en]« (ebd., S. 358), identifizierte aber einen bedeutsamen kritischen Punkt: Buber interpretiere die Offenbarung der Tora am Sinai als die »theopolitische Tat der Aufrichtung der göttlichen Königsherrschaft, die vom Standpunkt des Menschen aus gesehen gleichbedeutend ist mit der konkreten Annahme der Herrschaft Gottes im menschlichen Leben«, stelle aber die »unmittelbare Beziehung zwischen dem niedergeschriebenen Inhalt der sinaitischen Offenbarung und der Tatsache der Offenbarung selbst« in Frage (ebd., S. 360). Gegen Bubers Auffassung, Offenbarung sei keinesfalls Gesetzgebung und Gott kein Gesetzgeber, die Tora umfasse Gesetze, sei aber »wesenhaft kein Gesetz« (Glatzer zitiert hier Zwei Glaubensweisen, vgl. MBW 9, S. 202-312, bes. S. 234 f.; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 587,Anm 9), machte Glatzer geltend, unabhängig von der Frage der Autorität des biblischen Gesetzes für das gegenwärtige Judentum müsse eine textnahe Exegese, die Buber ansonsten so meisterhaft beherrsche, anerkennen, »daß die Gesetze innerhalb des alttestamentlichen Zusammenhangs als Absolutum auftreten« (Schilpp u. Friedman, Martin Buber, S. 361). Als der »große Erläuterer des prophetischen Sinns der aus der Offenbarung redenden Stimme und der prophetischen Kritik über die Einengung des Gesetzes in Ritualismus und Legalismus« habe Buber die Einmaligkeit und Zentralität der Tora vom Sinai als bleibend gültiges »Gesetz« ausgeblendet und den Sinai – gegen die biblische und nachbiblische Tradition Israels – ausschließlich als Ort der Offenbarung interpretiert. Man wird nicht fehlgehen, wenn man in Glatzers Kritik ein Echo auf den zentralen Dissens zwischen Buber und Franz Rosenzweig erkennt, wie er in der Kontroverse über dessen 1924 in der Zeitschrift Der Jude erschienenen Artikel »Die Bauleute. Über das Gesetz« zutage getreten war. In seiner Antwort auf Glatzer bestreitet Buber die absolute Geltung der Tora nicht, trifft aber die Unterscheidung zwischen dem Offenbarungscharakter zentraler Texte wie des Dekalogs und anderen »Gesetzen«, in denen menschliche Fortschreibungen zu Unrecht als göttlicher Offenbarung entsprechend erscheinen, und betont, Kriterium der Gültigkeit ihres Anspruchs könne nicht der objektivierende Blick auf die biblischen Texte sein, sondern allein die Bereitschaft zur immer neuen existentiellen Begegnung mit ihnen. Er hält damit auch in exegetischer Hinsicht an dem fest, was er Rosenzweig am 13. Juli 1924 in einem Brief entgegenhielt: »Da Gott mir kein Gesetzgeber, sondern nur der Mensch ein Gesetznehmer ist, gilt mir das Gesetz nicht universal, sondern personal, nämlich nur das von ihm, was ich als zu mir gesagt anerkennen muß« (B II, S. 200).

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In Bubers Reaktion auf Einwände, die Jacob Taubes in seinem Beitrag »Martin Buber und die Geschichtsphilosophie« (Schilpp u. Friedman, Martin Buber, S. 398-413) geltend gemacht hatte, geht es um das Verständnis des Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Handeln in der Geschichte in den prophetischen Schriften und um die Deutung der Botschaft Deuterojesajas in Bezug auf Denktraditionen der Apokalyptik. Aus der Perspektive seiner eigenen Forschungen zur Geschichte der abendländischen Eschatologie interpretiert Taubes Bubers historische Analyse der israelitischen Prophetie und der Traditionen der späthellenistischen jüdischen Apokalyptik als »existentialistischen Protest gegen Hegels Geschichtsphilosophie« (ebd., S. 402) und als Einspruch der messianischen Hoffnung gegen die heilsgeschichtliche paulinische Theologie messianischer Erfüllung. Buber konfrontiere die apokalyptische Lehre in Königtum Gottes, Der Glaube der Propheten und selbst noch in seinem Essay »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« aus dem Jahre 1954 (jetzt in MBW 15, S. 380-393) mit seiner Interpretation der von einem Dialog zwischen göttlichem Ruf und menschlichem Handeln bestimmten prophetischen Geschichtserfahrung. Dabei übersehe er jedoch, dass für die Propheten weniger »das menschliche Handeln als Agent der Erlösung« entscheidend sei, als vielmehr die Vorstellung des unergründlichen und verborgenen Gottes als »erste Ursache in der Geschichte« (Schilpp u. Friedman, Martin Buber, S. 405 f.). Insbesondere missverstehe Buber Deuterojesaja, wenn er nicht erkenne, dass sich dieser Prophet des babylonischen Exils seinem Unterscheidungskriterium zwischen Prophetie und Apokalyptik entziehe und seine Botschaft vielmehr als »Auftakt zur apokalyptischen Geschichtserfahrung« zu verstehen sei (ebd., S. 406). Buber hält Taubes entgegen, dass sich die Souveränität des unerforschlichen Gottes in der Geschichte und der Akzent auf der Freiheit und Verantwortung menschlichen Handelns in keiner Weise ausschlössen, und verweist auf das »geschichtsdialogische Wenn« Gottes (in diesem Band, S. 589), das sein Verbergen seines Antlitzes (nicht seine Verborgenheit!) und sein befreiendes Handeln an die Umkehr des Volkes Israel binde. Obwohl bei Deuterojesaja – in der historischen Situation der vollzogenen Befreiung aus dem Exil – diese charakteristische »Alternativik« fehle, weist Buber Taubes’ These von der Nähe des namenlosen Propheten zur Apokalyptik entschieden zurück. Er tut dies auf der Grundlage der historischen Überlegungen zu Prophetie und Apokalyptik, denen man in zahlreichen seiner biblischen Schriften begegnet, etwa in seinem undatierten Vortrag »Über Prophetie« (in diesem Band, S. 717-726), in dem die idealtypische Unterscheidung in aller Grundsätzlichkeit formuliert wird: Richtet sich die Pro-

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phetie auf die Mitwirkung des Menschen an der Vollendung der Schöpfung, so handeln Eschatologie und Apokalyptik »von der Verwandlung der Welt, davon, wovon der Mensch nicht handeln kann« (in diesem Band, S. 726). Zur Interpretation Bubers geben Einleitung und Kommentar zu »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« Auskunft (MBW 15, S. 659-685). Textzeuge: D: Antwort. VIII. Zur Bibel-Interpretation, in: Martin Buber. Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg, von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart: W. Kohlhammer 1963, S. 622-626 (MBB 1220). Druckvorlage: D Übersetzungen: Englisch: »Replies to my Critics«, in: The Philosophy of Martin Buber, hrsg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, [The Library of living Philosophers XII], La Salle/Illinois: Open Court 1967, S. 726-731 (MBB 1308). Variantenapparat: 585,32 Bundesverhältnisses] berichtigt aus Bandesverhältnisses Wort- und Sacherläuterungen: 585,Anm 1 Muilenburg 366] »Offenbarung, sagt Buber, geschieht in der Gemeinschaft durch die Unmittelbarkeit von Wort und Geschehen.« James Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, in: Martin Buber, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 364-383, hier S. 366. James Muilenburg (1896-1974) war ein amerikanischer Professor für die Exegese des Alten Testaments und für semitische Sprachen. 585,Anm 2 Muilenburg 366] »Buber stimmt mit Oscar Cullmann überein, daß das Judentum keine Mitte der Heilsgeschichte kennt; selbst die Offenbarung am Berge Sinai ist keine solche Mitte, sondern eher ein immer wiederkehrendes Hören und Innewerden in der Vergegenwärtigung.« Ebd. 585,17 Oscar Cullmann] Oscar Cullmann (1902-1999), dt.-franz.-protestantischer Theologe, dessen Hauptinteresse der neutestamentlichen Exegese und der Erlösungslehre galt; einer der führenden Per-

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sonen in der nach 1945 entstehenden ökumenischen Bewegung der christlichen Kirchen. 585,Anm 3 Muilenburg 369] »Großer Wert ist auf sprachliche Probleme gelegt. Viele Fachausdrücke des Kultwesens, Wörter wie mischpat, zedaka, chesed, emuna, ruach, kabod, sowie die göttlichen Benennungen JHWH und EL werden ausführlich behandelt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob Buber die Verschiedenheit ihres Gebrauchs genügend berücksichtigt hat. Zum Beispiel bedeutet chesed selten göttliche Güte oder Gnade im Alten Testament; ›Bundesliebe‹ und die ›unerschütterliche Liebe‹ drückt den Begriff des Bundes besser aus.« Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, S. 369. 585,25-26 chessed] Ähnlich Bubers Ausführungen zur Wortbedeutung von chessed, die er in seiner Schrift Zur Verdeutschung der »Preisungen« gibt und hier als Antwort auf die Kritik Muilenburgs zitiert (vgl. die Stelle 585,31-586,3), äußert er auch schon in seinem Buch Der Glaube der Propheten. Dort spricht er von dem »kaum übersetzbaren Begriff cheßed«, um dann einen Deutungsversuch anzubieten, der – wie in Zur Verdeutschung der »Preisungen« – den Bedeutungsschwerpunkt auf ein feststehendes Wohlwollen und immerwährende Bundestreue legt. (Vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 241 f.) 585,28-586,3 was ich selbst seinerzeit […] seine ›treue Gefolgschaft‹.«] Martin Buber, Zur Verdeutschung der Preisungen, S. 174; jetzt in: MBW 14, S. 89 (im Original keine Hervorhebung). 586,Anm 4 Muilenburg 372] »Bei allem verwendet er [Buber] die Methode von ›Leitworten‹ mit großem Erfolg. Dafür ist seine Behandlung des Debora-Liedes (Richter, 5) ein großartiges Beispiel. […] In seinem ›Königtum Gottes‹ bespricht Buber ein anderes, sehr frühes Gedicht, das ›Moselied‹ (Exodus 15, 1b-18). Er ist geneigt, die Verse 1b-11, 18 als das ursprüngliche Gedicht, und die Verse 12-17 als spätere Zugabe auszusondern. Wenn man jedoch sich an Leitworte hält, eine Methode, die sich beim Deboralied als fruchtbar bewährte, erweist es sich, daß das Gedicht eine literarische Einheit ist, denn hier haben wir die gleiche grundlegende Beziehung zwischen JHWH und seinem Volk Israel.« Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, S. 372. 586,10-11 Exodus 15, 12-17 mit dem Deboralied] Ex 15,12-17 ist der letzte Teil des von Mose und dem ganzen Volk gesungenen Lobgesangs (von Buber zumeist »Meerlied« genannt), nachdem JHWH das Volk beim Durchzug durchs Meer vor den Ägyptern gerettet hat. Zum »Meerlied« vgl. Martin Buber, Königtum Gottes, Berlin: Schokken Verlag 1932, S. 129 f.; jetzt in: MBW 15, S. 169 f.; zum Deboralied

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(Ri 5) siehe das Kapitel »Der Geschichtssang der Debora«, in Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 149-153. 586,12 »Leitwortstil«] In seinen Schriften zur Bibelübersetzung legt Buber die hermeneutische Methode des Leitworts ausführlich dar, v. a. in seinem Aufsatz »Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuch«, in: Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 211-238; jetzt in MBW 14, S. 95-110; auch in seinen bibelexegetischen Schriften kommt Buber immer wieder auf diese Besonderheit des biblischen Stils zu sprechen; siehe u. a. seine Aufsätze »Genesisprobleme« (in diesem Band, S. 89-98), »Zum Einheitscharakter des Jesaja-Buches« (in diesem Band, S. 99-101) und »Die Erwählung Israels« (in diesem Band, S. 102-113); vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 104,Anm 2. 586,Anm 5 Muilenburg 373] »In seiner Übersetzung des Psalters spricht er von all diesen Gedichten als Preisungen, freilich überwiegt die Zahl der Klagen die der Lobgesänge; somit ist der Psalter ein echter Ausdruck von Israels Leben im Verhältnis zu dem ›Gott der Leidenden‹ (»Der Glaube der Propheten«, 223-324).« Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, S. 373. 586,22-23 Im 1. Psalm […] »das Gesetz« vor.] Vgl. Bubers Übersetzung Ps 1,2: »sondern Lust hat an SEINER Weisung, über seiner Weisung murmelt tages und nachts!« (Das Buch der Preisungen, verdeutscht von Martin Buber, Berlin: Schocken Verlag 1935.) 586,32 Exodus 19,5] »Und jetzt, hört ihr, hört auf meine Stimme und wahrt meinen Bund, dann werdet ihr mir aus allen Völkern ein Sondergut. Denn mein ist all das Erdland«. 587,Anm 6 Muilenburg 377] »Aber dann wird uns zu unserer Verwunderung gesagt, daß die Worte ›Hört ihr, hört auf meine Stimme und wahrt meinen Bund‹ aus dem ehernen Rhythmus fallen. Die Wahrheit ist, daß der Rhythmus diese Worte fordert, die grammatikalische Konstruktion verlangt sie; ohne sie ist der ausgezeichnete literarische Aufbau zerstört […]. […] die Tilgung der fraglichen Wörter zerstört faktisch den Parallelismus der Zeilen, der ein wesentliches Merkmal der Stelle ist, eine Erwägung, auf die sich Buber so oft und so richtig beruft. Der Satzbau der Erzählung ist deutlich zu erkennen, was besonders auf die Wörter der drei Unterabteilungen zutrifft, von denen jedes mit einem Leitwort eingeführt wird (ʾ atem, ʾ atah, ʾ atem 4, 5, 6). Wichtiger ist das gewichtige Wort ›Und jetzt‹. Hierauf folgt der große Spruch […]. Die Auslassung beraubt den Spruch des großen Zusammenhangs […]«. Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, S. 377.

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587,9 meine Auffassung des Tetragrammatons] Das Tetragrammaton ist der aus vier Buchstaben bestehende Gottesname JHWH. Zur Problematik der Übersetzung vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,14. 587,10 »Keniterhypothese«] Die Keniter-Hypothese besagt, dass der Gott Israels zuerst, dem israelitischen Volk noch unbekannt, vom nomadischen Wüstenvolk der Keniter als Berggott und deren Stammesgott verehrt wurde, dass Moses ihn bei den Kenitern kennenlernte und ihn dann als Gottheit für das Volk Israel »entdeckte«; Moses’ Schwiegervater Jethro war Priester von Midian und ein Angehöriger der Keniter, die offenbar eine Sippschaft innerhalb der Midianiter bildeten. 587,12-13 namentlich in »Königtum Gottes« und in »Moses«] Vgl. Buber, Königtum Gottes, Fünftes Kapitel: JHWH der Melekh; jetzt in: MBW 15, S. 139-146; sowie insbesondere Bubers Vorwort zur 2. Aufl. 1936 von Königtum Gottes, S. XXXIV-XLI; jetzt in: MBW 15, S. 249-253; vgl. Buber, Moses, Abschnitt »Der brennende Dornbusch«, in diesem Band, S. 382-397, bes. S. 385 ff.; sowie Buber, Moses, Abschnitt »Jethro«, in diesem Band, S. 432-437. 587,Anm 8 Muilenburg 377 f.] »[…] aber auch hier [in der »Erörterung des Dekalogs«] findet sich eine gewisse Anzahl von Interpretationen, die zu Zweifeln Anlaß geben. Die wichtigste davon ist die, der Dekalog sei nicht die Urkunde gewesen, auf Grund derer der Bundesbeschluß erfolgte. […] Den Dekalog von seinem gegenwärtigen Zusammenhang oder von der Theophanie zu trennen, widerspricht nicht nur allem, was wir von anderen alttestamentlichen Theophanien kennen, wo die Theophanie sich immer in Worte und lebendige Rede ergießt, sondern bedeutet auch eine Auslöschung Israels als das Volk der Thora in ihren Bundesursprüngen […].« Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, S. 377-378. 587,Anm 9 Glatzer 360/361.] »Und allgemeiner gesprochen [Glatzer paraphrasiert im Folgenden aus Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, Zürich: Manesse 1950, S. 55, jetzt in: MBW 9, S. 202-312, hier S. 234]: ›Die Thora umfaßt Gesetz, aber die Thora ist wesenhaft kein Gesetz.‹ Die Argumente gegen Bubers Einstellung lassen sich auf eines reduzieren. Unabhängig von unserer persönlichen Einstellung zur Autorität des biblischen Gesetzes und unserer historischen Orientierung über nahöstliche Parallelen kann mit Sicherheit gesagt werden, daß die Gesetze innerhalb des alttestamentlichen Zusammenhangs als Absolutum auftreten.« Nahum Glatzer, Buber als Interpret der Bibel, in: Martin Buber, S. 346-363, hier S. 360 f.

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Antwort [an meine Kritiker]. Zur Bibel-Interpretation

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588, Anm 10 Taubes 405 ff.] Jakob Taubes, Martin Buber und die Geschichtsphilosophie, in: Martin Buber, S. 398-413, bes. S. 405-407. 588,23-26 Man wirft mir vor […] Faktor in der Geschichte«.] »Bubers historische Analyse des prophetischen Theologems über die Geschichte betont […] nach wie vor das menschliche Handeln als Agent der Erlösung […]. In der prophetischen Botschaft höre ich jedoch vor allem die überwältigende Verkündigung, daß Gott Gott ist und nicht Mensch, und daß seine Wege nicht mit der Elle des Menschen zu messen sind. Selbst das Ereignis des Bundesschlusses vermag für die Propheten nicht den unergründlichen und verborgenen Gott als erste Ursache in der Geschichte auszumerzen.« Ebd., S. 405 f. 589,4 Deuterojesaja] Zum namenlosen Propheten vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 99,10. 589,5 (45, 15)] Jes 45,15: »Gewiß, du bist eine Gottheit, die sich verbirgt, Jissraels Gott, Befreier!« 589,8-9 Jesaja (8, 8, 17, 20)] Vgl. den gesamten Abschnitt Jes 8,5-22; eine ausführliche Besprechung gibt Buber in Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 272 f. 589,15-16 von Hosea (14, 2, 5) bis Maleachi (3, 7)] Hos 14,2: »Kehre um, Jissrael, hin zu IHM deinem Gott! über deinen Fehl ja bist du gestrauchelt.«; Hos 14,5: »Ich werde ihre Abkehrung heilen, werde sie aus Willigung lieben, ja, mein Zorn kehrt sich von ihm ab.«; Mal 3,7: »seit den Tagen eurer Väter seid ihr von meinen Gesetzen gewichen, habt ihr sie nicht gewahrt. Kehret um zu mir und ich kehre um zu euch, hat ER der Umscharte gesprochen. Ihr aber sprecht: ›Wie sollen umkehren wir?‹« 589,20-23 deuterojesanischen Doppelbotschaft […] Sendung des »Knechts«] Vgl. Jes 44,28 u. 45,1 zur geschichtlichen Bedeutung des Perserkönigs Kyros II und vgl. dazu die Wort- und Sacherläuterung zu 100,39; zur Gestalt und zum Verständnis des »Gottesknechts« vgl. die sog. »Gottesknechtlieder«: Jes 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9; 52,13-53,12; sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 67,10-12 u. 316,25-26. 589,23-27 Man hält mir entgegen […] nicht mehr kennen.] »Wenn Buber jedoch als grundlegenden Maßstab für die Unterscheidung zwischen Prophetie und Apokalyptik die Alternativik im Laufe der Geschichte anlegt, dann müßte er, seiner eigenen Analyse folgend, die Botschaft Deuterojesajas als Auftakt zur apokalyptischen Geschichtserfahrung ansehen. Denn für Deuterojesaja gilt die Zukunft als von Anfang an bestimmt. Seine Prophetie läßt keinen Raum für eine Alternative im Lauf der Geschichte. / Wenn wir uns an den Maßstab halten, den Buber für die Unterscheidung von Prophetie

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Einzelkommentare

und Apokalyptik geeicht hat, so will es uns scheinen, daß es Buber entgeht, wie in Deuterojesaja und in der gesamten späteren apokalyptischen Literatur eine ganz neue Form der Alternativik durchbricht. […] Die neue Alternative […] stellt die Frage, ob der Mensch den Wechsel der Aeonen sichtet oder ob er sich dem Neuen, das in der Geschichte aufbricht, verschließt.« Taubes, Martin Buber und die Geschichtsphilosophie, S. 406 f.; zu Bubers Unterscheidung von Prophetie und Apokalyptik vgl. Martin Buber, Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde, in: Merkur, 8. Jg., Heft 12 (Dezember 1954), S. 1101-1114; jetzt in: MBW 15, S. 380-393. 589,31-590,1 Es trifft aber auch nicht zu […] erfüllen vermöge.] Zu dieser Kritik Taubes vgl. den zweiten Teil des Zitats in der vorangegangenen Wort- und Sacherläuterung 589,23-27. 590,1-3 Das Bild von den Söhnen des Lichts […] übernehmen werden] Das Bild von den Söhnen des Lichts und der Finsternis findet sich in verschiedenen Texten der Qumrangemeinschaft. Deren Denken war dualistisch geprägt und ihr gesamtes Schrifttum von einer dualistischen Ausdrucksweise durchzogen; die Kriegsregel, beispielsweise, schildert einen endzeitlichen Kampf zwischen den »Söhnen des Lichts und den Söhnen der Finsternis«. Es wird vermutet, dass der Dualismus der Qumrangemeinschaft von der iranischen Religion und dem Awesta, der Heiligen Schrift des Zoroastrismus, beeinflusst war, nach dessen Lehre sich die Welt in ein Reich des Lichts und ein Reich der Finsternis teilt, deren Herrscher in einem ständigen Kampf miteinander stehen, bis am Ende der Herrscher der Finsternis besiegt sein wird. 590,4 »das Licht bildet und die Finsternis schafft«] Jes 45,7. Philosophical Interrogations Die wachsende internationale Bedeutung und Anerkennung, die Buber in den 1950er Jahren als philosophischer Denker erlangte, kam u. a. darin zum Ausdruck, dass er in die Reihe der Library of Living Philosophers aufgenommen wurde (vgl. den Kommentar zu »Antwort. Zur Bibel-Interpretation«, in diesem Band, S. 1124-1129). Ein weiteres Zeichen der intensiven Rezeption seiner Werke war der Buber gewidmete Teil in dem etwa zur gleichen Zeit entstandenen Band Philosophical Interrogations (vgl. dazu auch den Einzelkommentar zu »Philosophical Interrogations« in: MBW 12, S. 817 ff.). Die Idee der Philosophical Interrogations ähnelt derjenigen, die der Library of Living Philosophers zugrunde

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liegt. Sie sind eine thematisch angeordnete Zusammenstellung ausgewählter Anfragen an einen bedeutenden Philosophen der Zeit durch Fachkollegen zu zentralen Aspekten seines Denkens sowie der Stellungnahmen des Befragten zu diesen kritisch-kommentierenden Anmerkungen. Dies ermöglicht eine unmittelbare, dialogisch-kritische Auseinandersetzung zwischen dem befragten Philosophen und seinen Kollegen. Ursprünglich sollten die Fragen an Buber und seine Antworten in der von Paul Weiss (1901-2002) herausgegebenen Vierteljahresschrift Review of Metaphysics erscheinen. Buber begann mit der Ausarbeitung seiner Stellungnahmen bereits im Sommer 1958 (vgl. Martin Buber an Maurice Friedman, 11. Juli 1958, in: B III, S. 459). Nach langer Verzögerung, die u. a. Schwierigkeiten bei der Übersetzung der von Buber auf Deutsch verfassten Antworten geschuldet war, erschienen die »Befragungen« Bubers schließlich erst 1964, aber statt in der Review of Metaphysics in dem Band Philosophical Interrogations, der von Sydney und Beatrice Rome herausgegeben wurde. In ihm sind neben Bubers Befragung auch die Fragen und Antworten von John Wild, Jean Wahl, Brand Blanshard, Paul Weiss, Charles Hartshorne und Paul Tillich versammelt. Maurice Friedman koordinierte die Befragungen Bubers, übernahm die Übersetzung seiner Antworten und redigierte den gesamten Teil des Bandes zu Martin Buber. Dieser enthält Fragen von insgesamt mehr als 30 Denkern aus Europa, Amerika und Israel und behandelt in sieben Abschnitten die Themen Dialogphilosophie, Erkenntnistheorie, Erziehung, Sozialphilosophie, Philosophie der Religion, Bibel und biblisches Judentum sowie das Böse und die Theodizeefrage. Der in diesem Band abgedruckte Teil umfasst drei von vier Abschnitten zum Thema »Bibel und biblisches Judentum« (der vierte Abschnitt, der dem Aspekt Judentum und Christentum gewidmet ist, ist jetzt abgedruckt in MBW 9, S. 329-330). Bubers eigene dialogische Philosophie legt die Konzeption einer unmittelbaren Frage-Antwort-Situation nahe. In diesem Sinn schreibt Maurice Friedman in seinem Vorwort zu den »Befragungen« Bubers: »Buber’s own philosophy of dialogue makes this Interrogation particularly appropriate. Dialogical ›truth‹ takes the form of question and answer much more readily than of simple statement, of dynamic interchange between persons much more than of substantive or dialectical contents of a single consciousness.« (Philosophical Interrogations, Edited with an Introduction by Sydney and Beatrice Rome, New York 1964, S. 15.) Und in der Einleitung in den gesamten Band heißt es über die Buber eigene Besonderheit, »that every effort to compress his sense of dialogue into a standard sentence structure, or into conventional forms

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of expression, tended to transform his eloquence into something commonplace.« (Ebd., S. 5.) In den hier abgedruckten Abschnitten aus Teil »VI. The Bible and Biblical Judaism« wird Buber zunächst von Friedrich Thieberger und Karl Thieme (A. The Bible), dann von Ewald Wasmuth (B. The Biblical View of History) und schließlich von Samuel Hugo Bergmann (C. The Ontic Status of the Mythical Image) befragt. Friedrich Thieberger (1888-1958) war Buber seit ihrer Begegnung in Prag vor dem Ersten Weltkrieg verbunden und stand auch in Jerusalem seit 1939 in engem Austausch mit ihm. In einer Vorbemerkung zu seinem Buch Die Glaubensstufen des Judentums, das erkennbar von der Lektüre der biblischen Interpretationen Bubers geprägt ist, dankt er seinem Mentor für dessen sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und bringt seine »tiefe Verpflichtung« dem Philosophen gegenüber zum Ausdruck, der »wie kaum ein zweiter das Menschliche im Judentum herausgestellt« habe (Friedrich Thieberger, Die Glaubensstufen des Judentums, Stuttgart 1952, S. 7). Seine Anfrage bezieht sich auf Darstellungen Bubers in dessen Buch Der Glaube der Propheten (in diesem Band, S. 137-350, bes. S. 213-217), denen zufolge das »Zelt der Begegnung« mit der Bundeslade der ursprünglichen Konzeption des unmittelbaren Königtums Gottes entsprach, während die Entstehung des Tempels eine Reduktion des Gottesverhältnisses auf den reinen Kult darstelle. Thieberger betont hingegen – auf der Grundlage seiner Forschungen zu König Salomo (Friedrich Thieberger, King Solomon, London 1947) und seiner Deutung in Die Glaubensstufen des Judentums (S. 66 ff.) – die positive Bedeutung des Tempels Salomos, der trotz der mit ihm vollzogenen Abwendung vom Ideal der Wüstenwanderung ein Verhältnis intensiver spiritueller Nähe zwischen Israel und seinem Gott geschaffen habe, das von einer tiefen Paradoxie bestimmt sei: »das unendliche Wesen entzieht sich nicht dem Endlichen, der Schöpfer des Lichts waltet im kleinsten Raum des Dunkels, das Ewige geht in das Zeitliche ein« (ebd., S. 72). Thiebergers Frage, ob es sich bei der von Buber beklagten »salomonischen Reduktion« (Der Glaube der Propheten, S. 214) nicht eher um eine historische Transformation handle, die religionsgeschichtlich sogar eine Höherentwicklung des Gottesverständnisses bedeute, beantwortet Buber, indem er den Tempel – im Gegensatz zum Zelt – zum Inbegriff von »religious possession«, des »intentionless sacrifice, the intentionless fulfillment of command« und somit als »arch enemy of religion that rises against it from within« (in diesem Band, S. 592). Der Dissens betrifft demnach Bubers charakteristische Kritik der institutionalisierten Religion, seine Bevorzugung des Prophetentums gegenüber

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dem Priestertum des antiken Israel, die Thieberger in dieser Form nicht teilt. Der Historiker und Theologe Karl Thieme, der sich intensiv mit Bubers und Franz Rosenzweigs »Verdeutschung« der Schrift befasst hat (vgl. Franz Rosenzweig, Die Schrift. Aufsätze, Übertragungen und Briefe, hrsg. v. Karl Thieme, Frankfurt am Main 1964) und dessen Buch Biblische Religion heute. Hinweise und Ausblicke auf ihre geschichtliche und endgeschichtliche Entfaltung (Heidelberg 1960) erkennbare Spuren seiner Lektüre Bubers aufweist, möchte zunächst wissen, ob Buber seine Studien zur Bibel als Quintessenz seines Lebenswerks und die Entdeckung des Leitwortstils als seinen bedeutsamsten Beitrag zur Bibelinterpretation versteht. Bubers Antwort lautet, Kernstück seines Schaffens sei im Wesentlichen die Einsicht in die Reziprozität der Ich-DuBeziehung zu Gott und der Ich-Du-Beziehung zum Mitmenschen, die sich in der Bibel in der Gesprochenheit und dem Leitwortstil ausdrücke. Thiemes auf der Überzeugung einer jüdisch-katholischen Affinität hinsichtlich des Verständnisses des »offenbarten Gesetzes« beruhendem Versuch, seinen jüdischen Kollegen zumindest zu einer historischen Anerkennung seiner Relevanz zu bewegen, begegnet Buber mit dem pointierten Hinweis auf die Unterscheidung von »Gesetz« und »lebendiger Thora« als Weisung, die es in Liebe zum Gebietenden zu erfüllen gelte. (Vgl. zur Frage des Gesetzes auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 593,13-14 und 593,18-20.) Auf Thiemes Infragestellung von Bubers starker Antithese von Prophetie und Apokalyptik reagiert dieser mit der Akzentuierung seiner bleibenden Distanz zur Apokalyptik, insofern diese die prophetische Forderung nach tätiger Mitwirkung an der Erlösung zum Schweigen brächten. (Vgl. zur Frage der Apokalyptik die Wortund Sacherläuterung zu 593,25-26.) In Bezug auf die Zusammenarbeit mit Franz Rosenzweig an der Bibelübersetzung und dessen Beitrag an der Entdeckung wesentlicher bibelexegetischer Methoden verweist Buber lakonisch auf einige Publikationen, vor allem auf seinen Aufsatz »Aus den Anfängen unserer Schriftübertragung« (jetzt in: MBW 14, S. 142-149). Der Philosoph Ewald Wasmuth (1890-1963) unterstellt Buber in einem ausführlichen Argumentationsgang, er folge in seinem Werk Das Problem des Menschen stellenweise einem eher geschichtsdialektischen denn dialogischen Prinzip, was dieser in einem nicht weniger komplexen Passus zurückweist und als zentrale Kategorie zur Deutung des geschichtlichen Geschehens weniger die metaphysisch-prinzipienhafte Frage nach dialektischen Geschichtsprozessen als jene nach der Verantwortung des Menschen vor Gott für bedeutsam hält, einschließlich des

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Einzelkommentare

Rätsels des Verhältnisses von Gottes Allmacht und menschlicher Freiheit. Auf seine Interpretation des Bösen in seiner Schrift Bilder von Gut und Böse (vgl. MBW 12, S. 315-358) und die Rolle angesprochen, welche darin das Element der »Entscheidungslosigkeit« gegenüber dem in die Entscheidung rufenden Gott spiele, und auf die Frage hin, ob es einen Dialog mit dem Gegenteil des Guten geben könne, antwortet Buber, für das Böse entscheide man sich nicht, man verfalle ihm, und verweist auf die Grenzen des Dialogischem dem Bösen gegenüber: Während im Grunde eine dialogische Zuwendung gefordert sei, wo der »Böse« noch für irgendeine Ansprache offen sei, verkörpere Hitler ein Böses, das sich jedem Dialog verschlossen habe. Bubers Jerusalemer Kollege Hugo Bergmann (1883-1975) fragt nach der Wirklichkeit mythischer Bilder in der Bibel und schlägt vier Standpunkte vor, wie bzw. als was die mythische Welt in der Bibel verstanden werden könne: vom Standpunkt der naiven Frömmigkeit aus, durch die Interpretation von Mythen als psychische Realitäten, durch die rationale Wegdeutung des Mythischen (die er Buber zuschreibt) oder mittels der Anerkennung des Mythischen als Wirklichkeit sui generis. Buber identifiziert sich mit keiner dieser ihm angebotenen Positionen. Stattdessen greift er Überlegungen auf, denen er in seinem Moses-Buch das einleitende Kapitel »Sage und Geschichte« widmete (vgl. in diesem Band, S. 357-363) und mit denen er auch schon 1928 seinen Vortrag »Biblisches Führertum« eingeleitet hatte (vgl. in diesem Band, S. 58 f. und die Wort- und Sacherläuterung zu 58,12-59,36). Bubers Argumentation lässt sich unter dem Stichwort der Geschichtlichkeit der Bibel fassen, wie er sie versteht. So lehnt er Erklärungen ab, die bestimmte Begebenheiten wie etwa die der sprechenden Eselin Bileams (Num 22,22-34) als »übernatürlich« deuten, und ist vielmehr der Ansicht, diesen Bildern liege eine jeweils tatsächlich stattgefundene äußerst ungewöhnliche und darum einmalige Erfahrung zugrunde. Diese besondere, aber durchaus »leibhafte Erfahrung«, die vergleichbar mit dem ist, wovon das mythische Bild erzählt, lasse sich dann nur in einem mythischen Bild ausdrücken – oder umgekehrt: Das mythische Bild bringt zum Ausdruck, was in keiner anderen Sprache als der mythischen ausgesprochen werden kann. Buber bezeichnet das mythische Bild in der Bibel darum auch als einen »Erfahrungsmythus« (vgl. Bubers deutschsprachige Antwort, unten, S. 1145). Weiter unten in diesem Kommentar werden Bubers auf Deutsch verfasste Antworten nach der Fassung des Typoskripts abgedruckt.

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Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 bet 85); Konvolut loser paginierter Blätter, einseitig beschrieben, mit vielen Korrekturen versehen. Es handelt sich um die deutschsprachigen Entwürfe Bubers zu den Antworten auf die auf Englisch formulierten Fragen. Da es sich um erste Formulierungsversuche, zumal in anderer Sprache als die der Veröffentlichung handelt, wird auf eine Berücksichtigung der einzelnen Korrekturen in Gestalt eines kritischen Apparats verzichtet. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 bet 85); Konvolut loser paginierter Blätter, einseitig beschrieben. Es handelt sich um die Abschrift von H, mit einigen Korrekturen versehen. Diese den englischsprachigen Antworten Bubers ensprechenden deutschen Vorlagen werden im Anschluss abgedruckt. D: Philosophical Interrogations: Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl, Brand Blanshard, Paul Weiss, Charles Hartshorne, Paul Tillich. Edited with an Introduction by Sydney and Beatrice Rome, New York u. Evanston: Holt Rinehart and Winston 1964, S. 96108 (MBB 1257). Druckvorlage: D Abdruck der deutschsprachigen Passagen aus TS: [A. The Bible]

Friedrich Thieberger Gewiss ist diese Reduktion eine »geschichtliche« Erscheinung, aber sie ist nicht »bloss« eine geschichtliche. Die Entwicklung einer Religion besteht ja leider nicht aus einer Folge von echten Glaubenskonzeptionen; immer wieder stehen hier eine echte Glaubenskonzeption und ihr Widerpart, der sich ebenfalls »religiös«, nämlich in der Entwicklung von Kult und Credo, darstellt, einander gegenüber, und nur allzuoft wird die geschichtliche Gestalt, die ja mit zur »Religion« gehört, zum Widerpart bestimmt. Gar bald gesellt sich dann zu ihr eine Exegese, eine Theologie, eine Apologetik. Sind die Priester, gegen deren Lehre vom Tempel als o b j e k t i v e S i c h e r h e i t sich Jeremia wendet, aus der Geschichte der Religion zu streichen? Ich sehe in dieser Scheinsicherung des »religiösen Besitzes«, des intentionslosen Opfers, der intentionslosen Gebotserfüllung, in allem opus operatum den Erzfeind der Religion, der sich in ihrem Innern gegen sie erhebt. Wird die »Magie« wie Thieberger sagt, wirklich dadurch eingeschränkt, dass sie zentralisiert wird, in einem »engen Tem-

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pelbezirk«, zu dem alles Volk dreimal im Jahr wallfahren soll? Gewiss wohnt der Neuerung der festen Mitte und des rhythmisch geregelten Herbeiströmens des Volks zu ihr eine religiöse Idee inne; aber sie ist geschichtlich ihrem Wiederspruch gepaart, weil mit dem Ende des Zeltes sich keine neue Gestalt der göttlichen Führung verband, – mit anderen Worten: weil es nach Moses keinen prophetischen Menschen als Volksführer gab, und weil zwar zwischen Moses und Salomo noch einzelne staatlich autorisierte Warner am Hof weilen durften, von Salomo an aber die »Prophetie« in beamtete Wahrsager und mehr oder weniger suspekte outsider zerfiel. Karl Thieme 1. Wenn ich selber etwas als »Kernstück meines Lebenswerkes« bezeichnen soll, so kann es nichts Einzelnes sein, sondern nur die eine Grundeinsicht, die mich sowohl zum Studium der Bibel als zu dem des Chassidismus als aber auch zu einer selbständigen philosophischen Darlegung geführt hat: Dass die Ich-Du-Beziehung zu Gott und die Ich-Du-Beziehung zum Mitmenschen zutiefst aufeinander bezogen sind. Dieses Aufeinander-bezogensein ist – wenn ich den Ausdruck beibehalten darf – das Kernstück der dialogischen Wirklichkeit, die sich mir immer mehr eröffnet hat. All mein Werk an der Bibel hat letztlich dieser Einsicht gedient, und innerhalb seiner auch der von Thieme hervorgehobene Hinweis auf die Wiederholungsformen im biblischen Schrifttum. Es sind eminent dialogische Formen: die Gottesrede der hebräischen Bibel geht darauf aus, dass der Mensch das Wort nicht bloss seinem »Was«, seinem Inhalt nach, sondern in seinem inneren Zusammenhang, seinem »Wie« nach aufnehme und verstehe. Das heisst: die Sprache ist hier kein Gewand, das man gegen ein anderes tauschen könnte, sie ist die einmalige und unersetzliche Gebärde selber. Die Wiederholung in ihrer biblischen Gestalt ist die Gebärde, mit der das Wort sich selber deutet. Auch dem Menschen sind für seinen wahren Umgang mit dem Mitmenschen die dialogischen Formen, die Einheit von Was und Wie, die Selbstdeutung des Wortes gegeben und aufgegeben. 2. Ich kann nicht ablassen darauf hinzuweisen, dass T h o r a in ihrer biblischen Ursprünglichkeit nicht »Gesetz«, d. h. ein von seinem Geber ablösbares Objektivum, sondern die Weisung eines Weisenden im rechten Lebensgang, die Lehre eines Lehrers vom wahren Weg bedeutet, und zwar so, dass die Weisung und der Weisende, die Lehre und der Lehrer im Vernehmen des Vernehmenden nicht voneinander zu trennen sind. Gewiss sind, zum Teil schon früh, auch manche einzelne »Anweisungen«, ritualer und allgemeinerer Art, mit diesem Wort bezeichnet wor-

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den, und der Begriff hat sich biblisch und nachbiblisch immer stärker verselbständigt, bis die Siebzig ihn wie mit Selbstverständlichkeit durch »Gesetz« wiedergeben konnten. Aber die Gedächtnisbindung an die verbale Dynamik in der Wurzeltiefe des Nomens, die innere Macht, die durch den Mund von Erzählern, Propheten und Psalmisten Gott als den pries, der Israel »in seien Wegen unterweist«, ist in keiner der religiös lebendigen Zeiten gelockert worden. In der Tat, die lebendige Thora, die Weisung des lebendigen Gottes, ist es, die das Judentum erhalten hat. Aber wie in manchen anderen Religionen, so hat auch hier geschichtlich eine verhängnisvolle Dialektik zwischen dem objektiv festgelegten und je und je von dem »Griffel der Schreiber« erweiterten »Gesetz« und der auf die ewige Stimme des Offenbarers horchenden Schar der zu ihm »Umkehrenden« gewaltet. Von den Propheten bis zu den Chassidim hat niemand die Thora »ersetzen« wollen; immer wieder ging es darum, dass das Gebot als ein vom Gebieter gebotenes mit der ungeteilten Intention der ihn liebenden Seele erfüllt werde. 3. Der Gegensatz zwischen den Propheten und den Apokalyptikern ist nicht der von »Erlösung von der Erde aus« und »Erlösung vom Himmel aus«. Kein Prophet hat je eine Erlösung von der Erde her verkündigt, jeder hat Gott als den Erlöser verherrlicht, aber gefordert haben sie vom Menschen seinen Anteil an der Bereitung der Erlösung: tätige Bereitschaft des ganzen Daseins, also eben das, was sie als »Umkehr«, Umkehr zu Gott bezeichneten und was hernach die griechischen Übersetzer der überlieferten Predigten des Täufers, Jesu und der Apostel abschwächend durch Metanoia, Sinnesänderung wiedergaben. Was mich von den Apokalyptikern scheidet, ist nicht etwa, dass der Ruf zur Metanoia aus ihrem Munde schwindet, sondern dass er daraus sozusagen grundsätzlich schwindet. Gott ruft weiter den Menschen an, Gott ruft immer den Menschen an, sie aber wollen nichts davon wissen. 4. Über Franz Rosenzweigs Anteil an unserer Übertragung der Schrift habe ich dem 1930 geschriebenen Aufsatz »Aus den Anfängen unserer Schriftübertragung« getreulich berichtet; der Aufsatz ist in dem Buch »Die Schrift und ihre Verdeutschung« (1936), das unser beider Beiträge zu den durch das Werk aufgeworfenen Problemen enthält, auf S. 316-329 wiederabgedruckt. Ihre Frage nach der Entdeckung des »Leitwortstils« hat Rosenzweig selbst in dem von Ihnen angeführten Ansatz »Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen«– auf S. 242 des genannten Buches – beantwortet. Was ich dazu hinzuzufügen hatte, steht in meinem vorhin erwähnten Aufsatz, auf S. 323 f. desselben Buches.

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[B. The Biblical View of History]

E w a l d Wa s m u t h Die Frage, die sich hinter den von Wasmuth formulierten auftut, ist so abgründig, dass ich nicht versuchen kann, sie hier auch nur einigermassen zureichend zu behandeln. Ich muss mich mit einer knappen Entgegnung auf die einzelnen formulierten Fragen begnügen. Wenn unter Dialektik hier der Zusammenhang von Prozessen zu verstehen ist, die sich in der Geschichte nach immanenten Gesetzen zwischen formenreichen gegensätzlichen Urmächten vollziehen, so vermag ich ihre Realität nicht anzuerkennen; ich kann hier nur einen der bewundernswürdigen Versuchen des menschlichen Denkens erblicken, der verwirrenden Fülle geschichtlichen Geschehens nicht bloss historisch-kategorial ordnend, sondern metaphysisch-prinzipienhaft gründend beizukommen. Wohl sehe ich, wie im biographischen, so auch im geschichtlichen Bereich, in jeder Stunde entgegengesetzte Kräfte miteinander ringen, aber eine schlicht erfassbare Notwendigkeit, wie in der Biographie das Verhängnis des individuellen Todes, finde ich in der Geschichte nicht vor. Geschichte ist ja im Wesen nach nichts anderes, als was eben jetzt in der Menschenwelt geschieht, und da bedrängt es mich Tag um Tag, wie das Schicksal der jetzt lebenden Generationen von den Entscheidungen, Entscheidungslosigkeiten und Scheinentscheidungen von Personen und Gruppen abhängt. Das »entlarvende« Denken des modernen Menschen hat es grandios fertiggebracht, »dahinter« die List der Weltvernunft oder den Zwang wirtschaftstechnischer Wandlungen zu entdecken; mir aber macht die auf mich eindringende »geschichtliche« Wirklichkeit all diese Art von Hintergründigkeit fragwürdig. Wasmuth beruft sich darauf, dass nach meiner eigenen Darlegung die gegenwärtige Epoche der »Hauslosigkeit« aus dem kopernikanischen Einbruch des Unendlichen hervorgegangen sei. Aber dieser Einbruch hat ja doch nur darum so gewirkt wie er gewirkt hat, weil der Mensch ihm lediglich die kantische Antinomik des raumzeitlichen Unendlichen und Endlichen gegenübergestellt hat, bislang aber noch nicht ein grösseres Gottesbild als die überlieferten, ein grösseres und doch noch ansprechendes, das Bild eines Gottes, der aus seiner Ewigkeit, diese unendlichendliche Raumzeitwelt ins Sein gesetzt hat, sie mit seiner Ewigkeit umfängt und überwaltet. Versucht man aber geschichtsdialektisch zu erklären, warum der Mensch dies nicht getan, nicht vermocht hat, so erklärt man die Frage – hinweg. Womit wir es in dem Abgrund zu tun haben, der sich hinter der Frage nach der Dialektik auftut, ist das Mysterium des Verhältnisses zwischen

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Gottes »Allmacht« und der faktischen Freiheit des Menschen. Es lässt sich, wie Wasmuth ja weiss, durch keine Geschichtstheorie ersetzen und durch keine umschreiben. Aber auch die Apokalyptik verletzte das Geheimnis, weil es in ihrer Perspektive nur noch Gott, nicht auch den Menschen wirklich gibt. Ich habe weder die Absicht noch die Fähigkeit, den Wechsel der Epochen aus dem dialogischen Prinzip abzuleiten. Aber lehrt uns doch die Geschichte nicht, dass in Zeiten der Fruchtbarkeit einer Kultur ein grossser menschlicher Umgang zwischen Mensch und Mensch leuchtet und ausstrahlt, und dass er in Zeiten des Zerfalls am Erlöschen ist? Und zum Problem des Bösen: ich habe in »Bildern von Gut und Böse« darauf hingewiesen, dass das eigentlich Böse die Bejahung und Bekräftigung der eigenen Entscheidungslosigkeit gegen den Entscheidung fordernden Gott ist, also ein Ja und Nein zugleich. Aber das Ja darin ist keineswegs ein Ja der Entscheidung. Man entscheidet sich nicht für den Baal, man verfällt ihm; mit anderen Worten: man entscheidet sich nicht für das Haben (Baal ist der »Inhaber«, der das Haben gewährt) gegen das Sein, man wird vom Haben eingeschlungen. Und wo erwiese sich hier »ein dialogisches Verhältnis zum Bösen«? Adolf Hitler, der baalische Mensch, ist doch gerade das exemplarische Lebewesen, mit dem kein Gespräch mehr möglich ist. Wo aber der Lebensgrund eines als »böse« berufenen noch der Ansprache zugänglich geblieben ist, sind wir, wenn wir in eine gemeinsame Situation mit ihm geraten, in die Pflicht genommen, uns eben diesem Lebensgrund, wo die versäumte Entscheidung modert, dialogisch zuzuwenden. Selbstverständlich nicht als Prediger: abyssus abyssum clamat. Eine »Dialektik« sehe ich auch hier nicht. [C. The Ontic Status oft he Mythical Image]

Samuel Hugo Bergman Meine Auffassung des mythischen Bildes kann ich mit keinem der von Bergmann angeführten Standpunkte identifizieren. Das lässt sich an den zwei von ihm angeführten Beispielen leicht deutlich machen. »Naiv« zu glauben, dass zu einer bestimmten Stunde an einem bestimmten Ort eine Eselin gesprochen hat, ist mir nicht gegeben. Aber die Ansicht, solch ein Sprechen sei zwar »real«, aber der heutige Mensch besitze die Organe nicht, es wahrzunehmen, scheint mir von jenem Glauben gar nicht so sehr zu differieren, es sei denn darin, dass für den ersteren es nur die eine grosse biblische Ausnahme gibt, die zweite Ansicht hingegen bereit ist, das Sprechen von Eselinnen als einen einigermassen häufigen, nur eben von unseren Bewusstseinsorganen »nicht

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mehr oder noch nicht« erfassbaren zu verstehen. Darin eine »psychische Realität«, sei es ein Symbol im Freudschen oder ein Archetypus im Jungschen Sinn, zu erblicken würde mir vermutlich sogar dann fernliegen, wenn ich ein Psychotherapeut wäre und ein Patient mir einen Traum erzählte, worin eine sprechende Eselin vorkommt. Aber auch den vierten Standpunkt, den Bergmann mir selbst zuzuschreiben geneigt scheint, den der »rationalistischen« Erklärung, kann ich mir nicht zu eigen machen: ein mythisches Bild mag zwar durch einen geschichtlich wirklichen Vorgang ausgelöst worden sein, aber das Bild selbst wird mir dadurch nicht erklärt. Um bei dem von Bergmann angeführten Sterben der Erstgeborenen zu bleiben: dieses Bild mag durch einen Vorgang allgemeinerer Art ausgelöst worden sein, entstanden wäre es wohl nicht, wenn der erste Erzähler nicht von dem Gottespruch, »Mein Erstgeborenener ist Israel« durchdrungen gewesen wäre. Ich wüsste aber auch gar nicht, wie ich die Erzählung von der sprechenden Eselin zu rationalisieren hätte. Vielmehr neige ich dazu anzunehmen, dass dieser Erzählung eine wirkliche, zwar keineswegs »übernatürliche«, aber doch recht besondere, ja wohl einmalige Begebenheit zu Grunde liegt, noch genauer: eine Erfahrung, die entweder nicht anders als in einem mythischen Bilde ihren Ausdruck finden konnte oder sogar im Erleben selber in irgendeinem Maße und auf irgendeine Weise von dem Charakter dieser Bildlichkeit tingiert worden war. Um richtig verstanden zu werden, muss ich etwas vorausschicken: meiner Überzeugung nach kann eine Sage wie die von Bileam nicht entstehen, wenn es nicht einen Menschen gegeben hat, dem etwas dem Analoges widerfahren ist, wovon die Sage in mythischen Bildern erzählt. Was ich meine, ist dies, dass ein Mensch, der den Beruf des Wahrsagers ausübte, einmal von der echten Macht der Prophetie ergriffen worden ist. Er soll nun nicht mehr magische Spiegelungen einer vermeintlichen Zukunft den Wissbegierigen vorführen, sondern Eingegebenes verkünden, Vergangenes, Gegenwärtiges und Werdendes in einem, und seine Hörer an die aktuelle Situation gemahnen, in der sie sich zu bewähren haben. Die Wahrsagernatur in ihm widersetzt sich, wie leise auch (der biblische Text deutet kaum an, worin die Widersetzlichkeit bestand); da vertritt ihm ein göttlicher Bote, als »Satan«, als Widersacher, den Weg. Bileam merkt es nicht, aber das Naturwesen, sein vertrautes Reittier, merkt es und weigert sich weiterzugehen. Diese von ihm erfahrene Weigerung der Natur, am Widerstand gegen Gott teilzunehmen, ist es, die sich in dem mythischen Bild der sprechenden Eselin darstellt; ich kann mir kein anderes ersinnen, das dem Gemeinten so adäquat, aber eben mythisch, nicht rational, adäquat wäre. Das mythische Bild ist keine Allegorie; es geht hier nicht um etwas

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Abstraktes, das in die Sphäre der sinnlichen Wahrnehmung übertragen würde; es ist leibhafte Erfahrung, die das Bild erzeugt hat. In wem? Man mag antworten: Im Sagenerzähler, – aber war es nicht etwa schon im Herzen des Magiers selber aufgegangen, in der Stunde, als ihm widerfuhr, was ihm widerfuhr: als ihm die Natur den Dienst absagte und er ihre Absage zwar nur mit den das Tier berührenden Gliedern spürte, aber so, als tönte sie ihm in die Ohren? Das mythische Bild spricht etwas aus, was nicht anders als in solcher Sprache auszusprechen ist. Noch präziser wohl gibt sich der Charakter des mythischen Bildes in dem anderen Beispiel kund. Eine Volksschar gewinnt ihr entscheidendes Verhältnis zu Gott in ihrem Glauben, auf der Wanderschaft von ihm geführt zu werden. Naturerscheinungen, die ihr begegnen, fügen sich diesem Glauben ein: indem die Schar einer leuchtenden Wolke folgt, wird sie übermächtig vom Vertrauen zur göttlichen Führung durchdrungen. Sie sieht den Gottesboten in der Wolke, sie wird von ihm erzählen, und ihre Erzählung wird ein Erfahrungsmythus sein. Ich bin durchaus nicht geneigt anzunehmen, dass frühere Menschen »durch besondere Bewusstseinsorgane« eine göttliche Wolke als Realität sui generis wahrzunehmen imstande waren; aber andererseits ist die Tatsache, dass Menschen ihre Verbindung mit Gott durch die Glaubenserfahrung finden, von ihm geführt zu sein, und dass sie naturhafte Begebenheiten in diesem Sinnzusammenhang wahrnahmen, für mich keineswegs bloss eine »psychische Realität«. Variantenapparat: 588,12 Schreiber] berichtigt aus Schrieber Wort- und Sacherläuterungen: 591,3 Friedrich Thieberger] Der Religionsphilosoph, Übersetzer und Lehrer Friedrich Thieberger (1888-1958) wurde 1910 Mitglied des Prager kulturzionistischen Studentenvereins Bar Kochba, nachdem er Bubers einflussreiche »Drei Reden zum Judentum« (jetzt in MBW 3, S. 219-256) gelesen hatte, die dieser kurz zuvor 1909/1910 im Bar Kochba Verein gehalten hatte. Später veröffentlichte Thieberger zahlreiche Aufsätze in der von Buber herausgegebenen Monatsschrift Der Jude sowie in der Prager zionistischen Zeitung Selbstwehr. Zusammen mit Felix Weltsch (1884-1964) gab Thieberger zwischen 1924 und 1931 in Prag den Jüdischen Almanach heraus; im Jahr 1939 ging Thieberger nach Palästina, wo er hauptsächlich als Verfasser religionsphilosophischer Schriften zur jüdischen Religion tätig war.

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592,3-5 The differentiation between […] (Der Glaube der Propheten)] Für den entsprechenden Abschnitt in Bubers Schrift Der Glaube der Propheten, auf den sich Thieberger hier bezieht, vgl. in diesem Band, S. 213-216. 592,5-6 the priests, against whom Jeremiah turns […] offers objective security] In Jer 7,1-15 findet sich die sog. »Tempelrede« Jeremias; in ihr spricht Jeremia gegen die falsche Heilssicherheit, die die Priester verkünden, indem sie von dem Ruf (Jer 7,4): »SEINE Halle, SEINE Halle, SEINE Halle ist das« (Luther übersetzt: »Hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel!«) die Gewissheit ableiten, der Tempel werde ewig bestehen. Jeremia dagegen verkündet den Untergang des Tempels und der Stadt Jerusalem, falls das Volk Israel nicht nach den Weisungen Gottes lebe und auf die Worte der Propheten höre. 592,23 Karl Thieme] Der Historiker Karl Thieme (1902-1963) konvertierte nach 1933 zum Katholizismus – u. a. aus Protest gegen den mangelnden Widerstand der evangelischen Kirche, der er bis dahin selber angehörte, gegen die Einführung des »Arier-Paragraphen«; nachdem ihm selber seine Professur an der Pädagogischen Akademie in Elbing entzogen wurde, ging Thieme 1935 in die Schweiz und widmete sich dort hauptsächlich Bibelstudien. Nach 1945 befasste sich Thieme intensiv mit dem Verhältnis von Juden und Christen, wovon etliche seiner Schriften sowie seine Mitherausgeberschaft des Freiburger Rundbriefs zeugen, einer 1948 von Dr. Gertrud Luckner (1900-1995) gegründeten Zeitschrift, die sich der »Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk – im Geist der beiden Testamente« verpflichtet hatte. Buber und Thieme standen über viele Jahre in brieflichem Kontakt; ihr Briefwechsel ist sowohl bibelwissenschaftlichen Fragen sowie dem Verhältnis von Juden und Christen gewidmet. Im Dezember 1949 veröffentlichte der Freiburger Rundbrief unter dem Titel »Echo und Aussprache« einen brieflichen Austausch zwischen Buber und Thieme, in dem es um die Frage der Judenmission ging. (Freiburger Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk – im Geiste der beiden Testamente, 2. Folge, Nr. 5/6, Dezember 1949, S. 20-23; jetzt in: MBW 9, S. 192-201). Zur Beziehung zwischen Buber und Thieme vgl. auch MBW 9, S. 418-420. 592,24 Die Schrift und ihre Verdeutschung] Martin Buber u. Franz Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936; Bubers Beiträge jetzt in: MBW 14, S. 35-152.

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592,25-26 The Prophetic Faith as well as Das Sehertum] Martin Buber, Der Glaube der Propheten, Zürich: Manesse Verlag 1950; jetzt in diesem Band, S. 137-350; Martin Buber, Sehertum. Anfang und Ausgang, Köln u. Olten: Verlag Jakob Hegner 1955; der Band enthält die beiden Schriften Bubers »Abraham der Seher« (jetzt in diesem Band, S. 114-131) und »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« (jetzt in: MBW 15, S. 380-393). 592,27 »key-word-style«] Zum »Leitwortstil« vgl. Bubers Aufsätze »Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuch« (Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 211-238; jetzt in: MBW 14, S. 95-110) und »Das Leitwort und der Formtypus der Rede« (Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 262-275; jetzt in: MBW 14, S. 111-118). Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 104,Anm 2, sowie Buber, »Genesisprobleme«, in diesem Band, S. 89-98; bes. S. 90-92. 592,34 kerygma] Griech. »Bekanntmachung, Verkündigung, Botschaft, Predigt«; angelehnt an die Verwendung des Begriffs im Neuen Testament, v. a. in den Paulusbriefen, meint er in der Theologie insbesondere die Botschaft vom Kreuzestod und der Auferstehung Jesu. Thieme bezieht den Begriff hier aber sowohl auf die Botschaft des Neuen Testaments wie auf die der hebräischen Bibel. 592,36-593,2 »the secret of form […] on February 8, 1928.] Franz Rosenzweig, Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen, aufgenommen in: Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 239-261. Der 8. Februar 1928 war Martin Bubers 50. Geburtstag. In der Erstveröffentlichung von Rosenzweigs Aufsatz im Kunstwart findet sich unter dem Titel folgende Widmung: »Martin Buber zum 8. 2. 1928« (Franz Rosenzweig, Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen, in: Der Kunstwart. Rundschau über alle Gebiete des Schönen. Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben, Jg. 41.1 (Okt. 1927-Febr. 1928), Heft 5, Februar 1928, S. 286-296.) 593,9 Ezra] Esra, den die Bibel als »Priester« und »Schriftkundigen im Gesetze des Himmelsgottes« bezeichnet (vgl. Esr 7,12), tritt zur Zeit des babylonischen Exils, ca. um das Jahr 458 v. Chr. auf, als ein Teil der Israeliten wieder nach Jerusalem ziehen konnte. Esra wird vom Perserkönig Artaxerxes beauftragt, die Israeliten, die willig sind, nach Jerusalem zu ziehen, dort hinzuführen und anschließend in Jerusalem dafür zu sorgen, dass das »Gesetz des Himmelsgottes« gelehrt, eingesetzt und befolgt wird (vgl. Esr 7,11-28, bes. Vers 21); darüber hinaus ermächtigt Artaxerxes Esra auch, Richter einzusetzen, die über das Volk gemäß des »Gesetzes deines Gottes« (Esr 7,25) urteilen sollen. Esra bekommt den Titel »Schreiber«, im Sinne von »der

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Schrift Kundige« verliehen (vgl. Esr 7,12,21). In den außerbiblischen, frühjüdischen Schriften wird Esra als ein zweiter Moses dargestellt, der, wie zuvor eben Moses, den Auftrag bekommt, die göttliche Offenbarung aufzuschreiben (vgl. 4Esr 14 und im Babylonischen Talmud im Traktat Sanhedrin bSan 21b, BT, Bd. VIII, S. 541). 593,11-12 by H. H. Schaeder in his Esra der Schreiber] Hans Heinrich Schaeder, Esra der Schreiber, Tübingen: Mohr 1930 (Reihe Beiträge zur historischen Theologie 5). 593,13-14 my currently continuing debate […] for the Una Sancta] Martin Noth, Gesammelte Studien zum Alten Testament, München 1957. Martin Noth (1902-1968) war ein evangelischer Theologe, der hauptsächlich historisch-kritische Forschungen zum Alten Testament und zur Geschichte Israels betrieb. Die Debatte zwischen Noth und Karl Thieme fand 1957 in UNA SANCTA. Rundbriefe für interkonfessionelle Begegnung, statt, Anlass war das Erscheinen von Noths Gesammelten Studien; ein Punkt in der Auseinandersetzung zwischen Thieme und Noth war die Frage des Gesetzes; Thieme, sich auf Noths umfangreiche Studie »Die Gesetze im Pentateuch« beziehend, warf Noth vor, bei seiner Studie handele es sich um einen »glänzend geführten Frontalangriff auf das, was der jüdischen Orthodoxie zweier Jahrtausende das Allerheiligste aber auch – als in Jesus Christus erfüllt und so für uns sinngemäß erfüllbar geworden – der katholischen Christenheit je und je unabdingbare Gottesweisung war und ist: DAS GESETZ.« (Karl Thieme, Gesetz, Heilige Stadt und Apokalyptik. Eine Auseinandersetzung mit Martin Noth, Gesammelte Studien zum AT, in: Freiburger Rundbrief, XIV. Folge 1962, 25. 5. 1962, Sonderausgabe zum 60. Geburtstag von Karl Thieme, S. 23-26; hier S. 24). Ganz offensichtlich war die Kritik Thiemes von seiner Wahrnehmung geleitet, dass Noths Studien »von einem sehr dezidiert protestantischen Standort aus geschrieben« seien (ebd.). 593,18-20 your incisive argument […] »Die Bauleute« (1923)] Im Augustheft 1924 der Zeitschrift Der Jude erschien Franz Rosenzweigs Offener Brief an Martin Buber: »Die Bauleute. An Martin Buber« (vgl. Der Jude, 8. Jg. (1924), Heft 8, S. 433-445). Rosenzweig hatte den Brief schon ein Jahr zuvor verfasst und an Buber geschickt (vgl. den Brief Martin Bubers an Franz Rosenzweig vom 10. August 1923, in: B II, S. 168-169). Buber beabsichtigte, auf Rosenzweigs Brief zu antworten (vgl. ebd.), obwohl Rosenzweig ihn laut eigenen Worten so geschrieben hatte, »daß kein Antwortzwang für Sie daraus entstünde« (Franz Rosenzweig an Martin Buber, 12. August 1923, in: B II, S. 169). Tatsächlich kann Buber sich während des folgenden Jah-

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res aber nicht zu einer Antwort entschließen, ermutigt Rosenzweig allerdings, seinen Brief auch ohne eine Erwiderung Bubers zu veröffentlichen (siehe Martin Buber an Franz Rosenzweig, 24. 6. 1924, in: B II, S. 196). Gegenstand von Rosenzweigs Kritik waren Bubers Reden über das Judentum, die Buber 1923 gesammelt herausgegeben hatte (Martin Buber, Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1923). Konkret ging es Rosenzweig um das Problem des Gesetzes, das in allen Reden berührt, v. a. aber in der letzten Rede, »Cheruth. Eine Rede über Jugend und Religion« behandelt wird. (Vgl. Buber, Cheruth, in: Ders., Reden über das Judentum, S. 199-235; jetzt in: MBW 8, S. 109-127.) In der Kontroverse zwischen Rosenzweig und Buber ging es um die Frage, welche Bedeutung dem Gesetz im jüdischen Glauben zukomme und um den Zusammenhang zwischen Gesetz und Offenbarung. Buber glaubt nicht, »daß Offenbarung je Gesetzgebung ist« (Martin Buber an Franz Rosenzweig, 24. Juni 1924, in: B II, S. 196). Buber wendet sich gegen eine dogmatische Befolgung des Gesetzes, die nur auf einer Oktroyierung desselben beruht, und proklamiert stattdessen eine »Gewißheit der Offenbarung«: nur wenn der Einzelne mit seinem ganzen Leben den Geboten der Tora folgt, »weil er in seiner ganzen Seele die Gewißheit trägt, daß diese sechshundertunddreizehn Gebote und Verbote der zentrale Inhalt des Gotteswortes an Israel sind«, hat die Bejahung des Gesetzes religiösen Wert. (Buber, Cheruth, jetzt in: MBW 8, S. 120121.) »Denn wie ich Ihnen gesagt habe, da Gott mir kein Gesetzgeber ist, sondern nur der Mensch ein Gesetznehmer ist, gilt mir das Gesetz nicht universal, sondern personal, nämlich nur das von ihm, was ich als zu mir gesagt anerkennen muß.« (Buber an Rosenzweig, 13. Juli 1924, in: B II, S. 200.) Rosenzweig wirft Buber vor, mit dieser Haltung eine innere personale Kraft im Einzelnen als Auswahlprinzip einzuführen, die über das Befolgen des Gesetzes entscheidet und somit die Unterscheidung eines »›Wesentlichen‹ und ›Unwesentlichen‹« hinsichtlich des Gesetzes zu betreiben. Vgl. Rosenzweig, Die Bauleute, S. 435. 593,25-26 Is your blunt antithesis […] on this subject?] Thieme bezieht sich hier auf Bubers erstmals 1954 in der Zeitschrift Merkur erschienenen Aufsatz »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde«, den Buber unter dem verkürzten Titel »Prophetie und Apokalyptik« ein Jahr später in den Band Sehertum aufnahm, aus dem Thieme ihn vermutlich kennt (vgl. S. 585; Martin Buber, Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde, in: Merkur, 8. Jg., Heft 12 (Dezember 1954), S. 1101-1114; jetzt in: MBW 15, S. 380-393); in

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diesem Aufsatz stellt Buber die Dichotomie, die »zwei wesensverschiedene Sichten« (S. 1103; jetzt in: MBW 15, S. 381) von prophetischer und apokalyptischer Weltsicht dar und zeigt »den essentiellen Unterschied der Grundhaltungen« (jetzt in: MBW 15, S. 382) auf. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 226,6-7. 593,27-29 Zwei Glaubensweisen […] by earthly means«] Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, jetzt in: MBW 9, S. 202-312. Das Zitat lautet im Original: »Die Erde kann nicht mehr von der Erde aus erlöst werden.« Buber, Zwei Glaubensweisen, S. 114; jetzt in: MBW 9, S. 271. 594,29-30 the Septuagint] Die Septuaginta, die griech. Übersetzung des Pentateuch. 595,17-20 »Aus den Anfängen […] to the problems raised by the work.] Martin Buber, Aus den Anfängen unserer Schriftübertragung, in: Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 316-329; jetzt in MBW 14, S. 142-149. 595,21-22 Rosenzweig himself […] »Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen.«] Zu Rosenzweigs Aufsatz vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 592,36-593,2. Rosenzweig schreibt auf S. 242 seines Aufsatzes: »Martin Buber hat im Übersetzen dies Formgeheimnis des biblischen Stils entdeckt und gelehrt, es übersetzerisch wiederzugeben.« 595,23 in my aforementioned essay] Buber, Aus den Anfängen unserer Schriftübertragung, jetzt in: MBW 14, S. 145-146. 595,25 Ewald Wasmuth] Ewald Wasmuth (1890-1963) war Philosoph und Übersetzer, bekannt v. a. für seine Übersetzung der Werke Blaise Pascals (1623-1662) sowie Abhandlungen über Pascal. Buber kannte Wasmuths Arbeiten zu Pascal und stand mit ihm darüber in kritischem Austausch, wie u. a. die Korrespondenz zwischen beiden aus dem Jahr 1949 zeigt. In diesem Jahr war Wasmuths Buch Die Philosophie Pascals (Heidelberg 1949) erschienen. Über seine Lektüreeindrücke schreibt Buber am 2. Dezember 1949 an Wasmuth, er habe das Buch »mit tiefem Eindruck gelesen« (B III, S. 226), woraufhin dann aber einige kritische Anmerkungen Bubers folgen, deren Ausgangspunkt eine »alte Kontroverse« (ebd., S. 227) in der unterschiedlichen Pascal-Deutung Bubers und Wasmuths bildet, von der Wasmuth auch in seinem Pascal-Buch von 1949 berichtet und die offenbar ihren Anfang bei einem »Gespräch in Berlin« nahm (vgl. Wasmuth an Buber, 17. Dezember 1949, in: B III, S. 231). Buber verstand Pascal als jemanden, der die kopernikanische Wende als eine erschütternde Erfahrung erlebt hatte, weil es in der neu entdeckten Unendlichkeit des Raumes nicht nur keinen Platz mehr für Gott und

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den Raum des Himmels zu geben schien, sondern weil auch der Mensch selber ohne Ort bleibe und Pascal damit die Beschränktheit und Fragwürdigkeit des Menschen im unendlichen Raum erkenne. Für Wasmuth dagegen ahnte Pascal »den Umriß des neuen Hauses« (zitiert in Bubers Brief an Wasmuth vom 2. Dezember 1949, B III, S. 227), eine neue Ordnung der Welt, die in allem auf ihren Schöpfer hinweist (vgl. auch den Kommentar zu Bubers Brief an Wasmuth vom 2. Dezember 1949 in B III, S. 227). In Bubers Schrift Das Problem des Menschen (Heidelberg: Lambert Schneider 1948; jetzt in: MBW 12, S. 221-312), aus der Wasmuth in seiner zweiten Frage an Buber zitiert, findet sich eine Deutung Pascals durch Buber. Buber zitiert dort u. a. einen Satz aus Fragment 206 der Pensées Pascals, der offenbar auch den Ausgangspunkt der Kontroverse zwischen Buber und Wasmuth bildete: »le silence éternel de ces espaces infinis m’effraie« (»die ewige Stille dieser unendlichen Räume erschreckt mich«; Buber, Das Problem des Menschen, S. 31; jetzt in: MBW 12, S. 236; Blaise Pascal, Pensées, hrsg. von Léon Brunschvicg, 3 Bde., Paris 1904, Bd. 2, Fragment 206, S. 127). Vgl. insgesamt Bubers PascalDeutung in Das Problem des Menschen, S. 31-35; jetzt in: MBW 12, S. 236-238. 596,10-15 In the history […] with it, independence.] Martin Buber, Das Problem des Menschen, Heidelberg: Lambert Schneider 1948, S. 22 f.; jetzt in: MBW 12, S. 231. 596,22-24 And in this company […] Heidegger and others.] Vgl. Buber, Das Problem des Menschen, jetzt in: MBW 12, S. 221-312; Buber, Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde, jetzt in: MBW 15, S. 380-393. 596,27-29 »The first, i. e. […] cultures and religions«.] Wasmuth zitiert aus: Martin Buber, Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde, S. 1111; jetzt in: MBW 15, S. 390 (zu dieser Abhandlung Bubers vgl. oben die Wort- und Sacherläuterung zu 593,25-26); Bubers Satz lautet im deutschen Originaltext: »Die erste [die Prophetie] stammt aus der Stunde der höchsten Kraft und Fruchtbarkeit morgenländischen Geistes, die zweite [die Apokalyptik] aus der des Zerfalls seiner Kulturen und Religionen.« 597,8-9 to which Pascal […] Fragment 72 (Pensées)] Pascal, Pensées, Edition Brunschvicg, Bd. 1, S. 84. 597,11 Havet] Die Pensées Pascals erschienen postum aus Notizen und Fragmenten aus Pascals Nachlass (erstmals Paris 1670); sie wurden mehrfach, von verschiedenen Bearbeitern und teilweise in divergierender Zusammenstellung herausgegeben. Eine der bekanntesten

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Ausgaben ist die kommentierte Ausgabe von Ernest Havet (18131889): Pensées de Pascal. Publiées dans leur texte authentique avec une introduction, des notes et des remarques par Ernest Havet, Paris 1852 (u. ö.). Die Bemerkung von Ernest Havet, auf die Wasmuth hier anspielt, findet sich in einer Anmerkung zu »Article Premiere« (vgl. Havet, Pensées de Pascal, S. 5). 597,15-16 Cartesian system of co-ordinates] Ein »Cartesisches Koordinatensystem«, benannt nach dem latinisierten Namen Cartesius für den franz. Philosophen und Mathematiker René Descartes (15961650), durch den das »Cartesische Koordinatensytem« bekannt wurde, ist ein Koordinatensystem, dessen beide Richtungsachsen in einem rechten Winkel aufeinander stehen. 597,19-20 Zoroastrian and Manichaean world-view] Die Religion des Zoroastrismus oder Zarathustrismus entstand im östlichen iranischen Hochland und breitete sich etwa im 7. bis 4. Jahrhundert v. Chr. in Persien und Zentralasien, aus. Ihr Stifter war Zarathustra oder Zoroaster, der entweder im zweiten oder ersten Jahrtausend v. Chr. lebte. Die Lehre Zarathustras ist geprägt vom Kampf zwischen Gut und Böse, wobei der Mensch die freie Wahl hat, sich für den rechten, d. h. wahrhaftigen Weg zu entscheiden. Der Manichäismus ist eine synkretistische Offenbarungsreligion der Spätantike, benannt nach seinem Gründer, dem Perser Mani (ca. 216-276); da Mani sich selbst als Nachfolger Zarathustras, Buddhas und Jesus und als letzten Propheten in dieser Reihe verstand, stellt der Manichäismus eine synkretistische, aus zoroastrischen, christlichen und buddhistischen Elementen aufgebaute Lehre dar. 598,18-19 Kantian antinomy of the infinity and finiteness of space and time] Nach Immanuel Kant (1724-1804) gibt es vier Antinomien der reinen Vernunft, das sind sich logisch widersprechende Antworten auf Fragen, die die Vernunft stellt und deren Gegenstand die Idee eines Weltganzen ist. Kant diskutiert diese Antinomien in seiner Kritik der reinen Vernunft (Riga, 1781). These und Antithese der ersten Antinomie lauten: »Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.« »Die Welt hat keinen Anfang und keine Grenzen im Raume, sondern ist sowohl in Ansehung der Zeit als des Raumes unendlich.« Vgl. Immanuel Kant, Gesammelte Schriften. Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff., Bd. III. Kritik der reinen Vernunft. Zweite Abtheilung, Zweites Buch, Zweites Hauptstück, Zweiter Abschnitt: Antithetik der reinen Vernunft. Erste Antinomie, S. 294-300.

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598,37 »Images of Good and Evil«] Martin Buber, Bilder von Gut und Böse, Köln: Hegner 1952; jetzt in: MBW 12, S. 315-358. 599,2 Baal] Buber verwendet hier die Bezeichnung »Baal« in der gemein-semitischen Wortbedeutung von »Herr«, »Besitzer«; darüber hinaus war Baal ein Titel, der verschiedene Lokalgottheiten im syrischen und levantinischen Raum bezeichnen konnte, zumeist aber als ein Attribut für den höchsten Gott gebräuchlich war. 599,10-11 »Abyssus abyssum clamat.«] Lat.: »Ein Abgrund ruft einen anderen Abgrund« – im Sinne von »zieht nach sich«. 599,13 Samuel Hugo Bergman] Der Philosoph Hugo Bergmann und Martin Buber kannten sich bereits aus der Zeit des Prager Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba, dessen Mitglied Bergmann war und der den Verein auf Buber hingewiesen hatte. Bergmann wanderte 1920 nach Palästina aus, gründete die Jüdische Nationalbibliothek, die er auch bis 1935 leitete; u. a. zusammen mit Martin Buber war er am Aufbau der Hebräischen Universität beteiligt, deren erster Rektor er auch war (1936-1938). Bergmann war, gemeinsam mit Buber, eines der führenden Mitglieder des Brith Schalom und später des Ichud, beides Vereinigungen, die sich für Verständigung mit der arabischen Bevölkerung Palästinas, später des Staates Israel, und für einen binationalen jüdisch-arabischen Staat einsetzten. 599,14-15 the speaking ass of Baalam] Gemeint ist der Prophet Bileam, der gegen den Willen Gottes Israel verfluchen will und durch die Weigerung seiner Eselin vorwärts zu gehen, als diese einen Boten (Engel) Gottes mit Schwert vor sich auf dem Weg sieht, vor der Tötung durch Gott bewahrt wird. Gott verleiht der Eselin die Gabe der Sprache und sie klagt Bileam an, weil dieser sie schlug, als sie sich weigerte, weiter zu gehen. Vgl. Num 22; bes. 22,21-35. 599,21-22 such as we find in the work of Jung] Aus seiner Beschäftigung mit Märchen, Mythen und Vorstellungsbildern aus unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Kulturen und Epochen gelangte der schweizerische Psychologe Carl Gustav Jung (1875-1961) zu der Erkenntnis, dass in der unbewussten Psyche aller Menschen bestimmte Vorstellungen, Ideen und Bilder existieren, die unabhängig von Tradition, Kultur und Geschichte universell vorhanden sind. Diese sog. archetypischen Bilder oder Symbole stellen nach Jung die Strukturelemente der menschlichen Psyche dar. 599,27 »a pestilence, a children’s epidemic«] »die Seuche, eine Kinderseuche«, Martin Buber, Moses, in diesem Band, S. 409. 599,33-36 This may be the approximate […] and an actual reality.] Rudolf Steiner (1861-1925), Begründer der Anthroposophie, vertrat die

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Auffassung, dass es eine geistige, übersinnliche Welt gebe, die der Mensch in einem Erkenntnisakt wahrnehmen könne, dessen Ziel die Überwindung der Trennung von »Ich« und »Welt« sei. Für den Kultur- und Religionsphilosophen Leopold Ziegler (1881-1958) ist der Mythos »kollektive Weltsinndeutung und Welterklärung« (Leopold Ziegler, Das Heilige Reich der Deutschen, Bd. II, Darmstadt 1925, S. 318). In ihm ist nach Ziegler das Urwissen enthalten, das allem neuzeitlichen Kausaldenken vorausgeht; Ziegler proklamiert darum eine Rückbesinnung auf verschüttete mythologische Urbilder, um einen Weg aus der Sinnkrise der gegenwärtigen Welt zu finden. 600,8 demythologized religion] Der Begriff der Entmythologisierung im Zusammenhang mit Religion bzw. der Bibel geht auf den evangelischen Theologen Rudolf Bultmann (1884-1976) zurück, der 1941 seinen programmatischen Aufsatz »Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung« veröffentlichte (Nachdruck der 1941 erschienenen Fassung hrsg. von Ernst Jüngel, München 1985). Da, so Bultmann, dem modernen Menschen die mythischen Denk- und Sprachformen des Neuen Testaments fremd und unverständlich seien, müsse der nichtmythologische Sinn, d. h. die eigentlich Aussageabsicht hinter den mythologischen Aussagen der Bibel herausgearbeitet werden, damit die wesentlichen Wahrheiten der Bibel für den Menschen der heutigen Zeit verständlich und annehmbar würden. 600,22-23 a symbol in the Freudian or an archetype in the Jungian sense] Sigmund Freud deutete den Mythos als Projektion menschlicher Erfahrungen auf übermenschliche, außerweltliche Wesen und somit als Sublimierung seelischer Verdrängungsprozesse. Zu Jung vgl. oben die Wort- und Sacherläuterung zu 599,21-22. 600,33-601,36 But I also do not know at all […] merely a »psychic reality«] Vgl. hierzu Bubers Ausführungen im ersten Abschnitt von Moses, »Sage und Geschichte«, in diesem Band, S. 357-363. [Über Name und Ort Gottes] Der vorliegende Text ist nur unvollständig in Form eines Typoskripts überliefert. Im Redestil verfasst, im Schlussteil z. T. auch in Gestalt ausführlich formulierter Notizen gehalten, bildete er wahrscheinlich die Grundlage eines Vortrages. Für eine eindeutige Datierung des Textes fehlen die notwendigen Hinweise. Der Katalog des MBA verzeichnet als Entstehungsjahr das Jahr 1925, jedoch ohne Anhaltspunkte zu benennen,

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worauf sich diese Datierung stützt. Ein Hinweis darauf, dass es sich hier tatsächlich um einen eher frühen Text Bubers handelt, könnte aber der Inhalt selber geben. Die zahlreichen Beispiele aus unterschiedlichsten mystischen und mythischen Quellen aus einer Vielzahl religiös-kultureller Traditionen, von hellenistischen Mysterien über ägyptische, altindische, chinesische und buddhistische Texte bis hin zu nordischen Sagen, die Buber in seinen Ausführungen zur Frage angibt, wie Gott einen Namen haben könne, zeugen von einer reichen Kenntnis dieser Überlieferungen. Bedenkt man, dass Buber die Jahre zwischen 1900 und dem Beginn der 1920er Jahre intensiven Studien mystischer und mythologischer Texte aus unterschiedlichen Kulturkreisen widmete – 1909 erschien seine Anthologie mystischer Texte unter dem Titel Ekstatische Konfessionen (jetzt in: MBW 2.2), zwischen 1900 und ca. 1924 veröffentlichte er eine Reihe von Texten, die diverse mystische und mythologische Themen behandelten, jetzt unter der Überschrift Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften versammelt in MBW 2.1, und auch seine ersten Veröffentlichungen chassidischer Erzählungen fallen in diese Zeit – liegt die Vermutung nahe, dass der vorliegende Text in zeitlicher Nähe zu Bubers »mystischer Phase« entstanden sein könnte. Obwohl Buber an den Anfang zwei Fragen stellt, die auf die »Urfrage nach der Immanenz Gottes« zielen (S. 604), nämlich darauf, wie Gott einen Namen und wie er einen Ort haben könne, behandelt der vorliegende Text lediglich die Frage nach dem Namen Gottes. Eine Erklärung dafür könnte im fragmentarischen Charakter des überlieferten Typoskripts liegen, dessen verloren gegangener Teil möglicherweise die zweite Frage nach dem Ort Gottes zum Gegenstand hatte. Buber unterscheidet eine an der Anrufung und Vergegenwärtigung des Du orientierte »singularistische« Namenstheorie von der verbreiteten »pluralistischen Theorie« (nach Minutius Felix), der zufolge Namen zur Unterscheidung einer Vielheit gleichartiger Wesen dienen. Die Theorie des Minutius Felix (vgl. dazu die Wort- und Sacherläuterung zu 606,19) wird problematisch, wenn es um den Glauben an einen einzigen Gott geht, der einen Namen trägt. Der größte Teil von Bubers Ausführungen widmet sich dem für die Thematik des Namens Gottes wesentlichen Grenzgebiet zwischen Magie und Religion. Das Ausrufen des wahren und geheimen Namens eines Wesens gehört seit jeher in den Bereich der Magie, den Buber anhand zahlreicher Traditionen skizziert. Aber auch in der Religion gibt es die Anrufung des Gottesnamens. Diese ist nach Buber dort vom Eintritt in eine wirkliche Beziehung zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit geprägt, insofern der anrufende Mensch das Göttliche als wahres

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»Du« anredet. Demgegenüber sei in der Magie die Anrufung des Gottesnamens vom »Bann der Zweckhaftigkeit« (S. 607) geprägt: Der anrufende Mensch will nicht in eine echte Beziehung zum Göttlichen treten, sondern betrachtet dieses als ein »verwendbares Objekt« (S. 608), von dem er nur etwas erlangen will. Letztlich, so Buber, gehe es der Magie hauptsächlich darum, durch das Kennen und Anrufen des göttlichen Namens die Gegenwart des Göttlichen herbeizuzwingen. Hierin manifestiere sich der Unterschied zwischen Magie und Religion. Für die Magie gilt: »Der Name bedeutet den Gegenwaertigkeitszwang« (S. 610), während der Anfang der wirklichen Religiosität dort liege, »wo der Mensch nicht mehr glaubt, dass Gott gegenwaertig werden muesse« (S. 612). Während in der Forschung oft angenommen wurde, Franz Rosenzweigs Sichtweise sei für die Wahl des Personalpronomens »ER« zur Wiedergabe des Gottesnamens in der gemeinsamen Verdeutschung ausschlaggebend gewesen, macht der Text deutlich, dass Buber – zumindest ansatzweise – »eine Namenstheorie entwickelt hat, die in engem Kontakt zu seiner Dialogphilosophie und seinem ›wissenschaftlichen Stützwerk‹ zur Fundierung der gemeinsam gefundenen Übersetzung des Gottesnamens in dem Verdeutschungsprojekt steht.« (Andreas Losch, Kann Gott einen Namen haben?, in: 50 Jahre Martin Buber Bibel. Beiträge des Internationalen Symposiums der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg und der Martin Buber-Gesellschaft Heidelberg 2012, hrsg. von Daniel Krochmalnik, Hans-Joachim Werner, Münster 2014, S. 178.) Zu Beginn des Textes setzt sich Buber kurz mit der historischen Bibelkritik und ihrer Interpretation der Gottesnamen auseinander. Zwar geht auch Buber wie die zeitgenössische Quellenkritik der in der WellhausenSchule dominierenden historisch-kritischen Bibelexegese von unterschiedlichen Verfassern und damit auch von verschiedenen Quellentexten aus, aus denen der Bibeltext entstanden ist. Die These, das Unterscheidungskriterium für die unterschiedlichen Quellentexte liege in der Verwendung verschiedener Gottesnamen, lehnt er jedoch ab. Statt das Vorkommen unterschiedlicher Gottesnamen textkritisch zu erklären, müssten andere Gründe berücksichtigt werden, die u. a. in religiösen Entwicklungen ihre Ursache hätten. In ähnlicher Weise argumentiert Buber auch in den in diesem Band abgedruckten Texten »Genesisprobleme« und »Zum Einheitscharakter des Jesajabuches« (vgl. in diesem Band, S. 89-98 u. 99-101 und die entsprechenden Kommentare zu den Texten) gegen die textkritische Interpretation der verschiedenen Gottesnamen durch die Bibelkritik.

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Textzeuge: ts: unvollständiges Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var 350 02 161); 13 lose, paginierte Blätter, mit vereinzelten handschriftlichen Korrekturen versehen, die Tippfehler betreffen; hebräische Begriffe wurden von Hand nachgetragen. Druckvorlage: ts Wort- und Sacherläuterungen: 604,27 Kapitel »Dornbusch«] Ex 3; vgl. auch Martin Buber, »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 102-113; bes. S. 104; das Kapitel »Der brennende Dornbusch«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 382-397; Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 165168 (u. a.). 604,30 »Bau des Stiftszeltes«] Vgl. Ex 25,8; Ex 26; Ex 27,21; Ex 33,7-11; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 184,33, sowie Martin Buber, Moses, in diesem Band, S. 486. 604,34 Die moderne bibelwissenschaftliche Schule, etwa die Wellhausen’sche] Vgl. Martin Buber, »Genesisprobleme«, in diesem Band, S. 89 f.; und die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 604,39 (erstmals der franzoesische Arzt Astruß)] Gemeint ist Jean Astruc (1684-1766), franz. Arzt, Naturforscher und Religionswissenschaftler; gilt als einer der Begründer der kritischen Bibelwissenschaft. 605,1 Elohim] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 605,2 Adonai] Hebr. »mein Herr«; entspricht in der Septuaginta dem griech. Wort kyrios, »Herr«. 605,22 R = Redaktor] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 92,32. 605,31-32 Nach Usener […] des Polytheismus.] Hermann Usener (18341905), Philologe und Religionswissenschaftler. Vgl. Usener, Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Bonn 1896, S. 330 f. 606,19 Minutius Felix] Apologet aus dem späten zweiten oder frühen dritten Jahrhundert, der in seinem einzigen überlieferten Werk, einem religiösen Streitgespräch mit dem Titel Octavius, das zwischen einem Christen namens Octavius und einem Heiden namens Caecilius Natalis stattfindet und dessen Schiedsrichter der Verfasser Minucius Felix selbst ist, das Christentum gegen pagane Angriffe verteidigt. Es wird argumentiert, dass der eine Gott keinen Namen brauche. »Frage auch nicht, wie Gott heiße. Gott ist sein Name. Man hat nur da Woe rter noe thig, wenn man eine Vielheit durch ihre einzel-

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nen Glieder, vermittelst eigener Benennungs=Zeichen, unterscheiden soll. Gott, der allein ist, gehoe rt das Wort: Gott, ganz zu …«. Des Markus Minucius Felix, Oktavius oder Gespraech zwischen einem Heiden und Christen, von der Religion, Berlin 1763, 49. 608,10-11 In der Kalewala heisst dieser Ursprungsname Suenti.] Kalewala ist das finnische Nationalepos. Buber veröffentlichte 1912 im Literarischen Echo eine Abhandlung zu Kalewala, die zwei Jahre später als Nachwort zu einer von Elias Lönnrot (1802-1884) zusammengestellten dt. Ausgabe des Kalewala erschien (Kalewala, das National-Epos der Finnen, übers. von Anton Schiefner, München 1914, Bubers Nachwort S. 467-478). Für eine neue Auflage von Schiefners Übersetzung, die 1922 erschien, übernahm Buber die Bearbeitung, versah die Ausgabe mit eigenen Anmerkungen, und seine Abhandlung wurde der Übersetzung als Einleitung vorangestellt (vgl. Kalewala, das National-Epos der Finnen, übers. von Anton Schiefner. Bearbeitet und durch Anmerkungen und eine Einführung ergänzt von Martin Buber, München: Meyer & Jessen 1922, S. IX-XX); Bubers Abhandlung »Kalewala, das finnische Epos«, jetzt in: MBW 2.1, S. 152-164, zu seiner Bearbeitung der dt. Übersetzung siehe den Kommentar, ebd., S. 359 f. 608,27 (»Wer die schweigsamen Namen der Daemonen kennt« Euripides)] Vgl. Martin Buber, Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, Leipzig: Insel Verlag 1913; jetzt in MBW 1, S. 183-245; hier S. 219. 608,40 Dahomè] Dahomé war ein Königreich in Westafrika, das zwischen dem 17. und dem Ende des 19. Jahrhunderts bestand; 1892 fiel Dahomé an Frankreich, von dem es bis 1894 vollständig erobert wurde. König von Dahomé während des ersten Krieges zwischen Frankreich und Dahomé 1890 war Béhanzin (1844-1906); heute befindet sich ein Teil der Republik Benin auf dem Gebiet des ehem. Königreichs Dahomé. Eine Quelle für die von Buber hier berichtete Begebenheit ließ sich nicht ermitteln. 609,3 In der nordischen Sage nennt Sigurd einen Decknamen] Die nordische Sagenfigur des Sigurd stammt aus dem skandinavischen Götter- und Heldenepos Edda und kommt insbesondere in den Nibelungensagen vor. In allen Sagenkreisen, in denen er vorkommt, gilt er als besonders mutige Figur, Einzelheiten über seine Herkunft, sein Leben und seine Taten variieren jedoch in den verschiedenen Sagenkreisen. 609,14 Anamiten] Annamiten, frühere Bezeichnung für Vietnamesen; abgeleitet von der historischen Bezeichnung »Annam« für eine Region in Südostasien, die sich über den größten Teil Vietnams erstreckt.

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609,38-41 In Eleusis durfte […] selbst ausgesprochen werden.] Die Mysterien von Eleusis waren Initiations- und Weiheriten, die dem Mythos um die Göttin Demeter, Göttin des Lebens und der Fruchtbarkeit, und dem Raub ihrer Tochter Persephone durch den Gott der Unterwelt, Hades, gewidmet waren. Hierophantes, von griech. »der das Heilige zeigt«, war der Hohepriester im Tempel der Demeter. 610,15-16 Abigonen] Gemeint sind die Abipón oder Abiponen, ein indigenes Volk Südamerikas. 610,21-23 Worrishofer, Darstellung des Lebens […] verstorben waren.] Gemeint ist der Jesuitenpater Martin Dobrizhoffer (1717-1791), der als Missionar im Gebiet des heutigen Paraguay tätig war und auch ethnologische Forschungen betrieb; er lebte u. a. unter den Abiponen und veröffentlichte 1784 sein Werk Historia de Abiponibus, das über die Geschichte und Kultur der Abiponen wie auch verschiedener anderer Indianerstämme Paraguays berichtete. Martin Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer, einer berittenen und kriegerischen Nation in Paraquay. Bereichert mit einer Menge Beobachtungen über die wilden Völkerschaften, Städte, Flüße, vierfüßigen Thiere, Amphibien, Insekten, merkwürdigsten Schlangen, Fische, Vögel, Bäume, Pflanzen, und andere Eigenschaften dieser Provinz, aus dem Lateinischen, übersetzt von A. Kreil, 3 Bde., Wien 1784. 611,1 Orphische Mysterien] Die Mystik der Orphiker entstand im 5. Jh. v. Chr., evtl. schon früher, in Thrakien, der Heimat des mythischen Dichters und Sängers Orpheus, auf den sich die Orphiker beriefen, und breitete sich in Griechenland und bis nach Süditalien aus. Die Orphiker hatten keine einheitliche Lehre, auch keinen gemeinsamen heiligen Kultort, gemeinsames Ziel war aber die Vorbereitung auf das Weiterleben der Seele nach dem Tod, was u. a. durch komplizierte Reinigungsvorschriften mit der Neigung zur Askese erreicht werden sollte; im Mittelpunkt der orphischen Mysterien stand das ekstatische Erlebnis. 611,11-12 »Der boese Gott […] um Macht zu gewinnen.«] Zum ägyptischen Gott Horus vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 369,12-15. Der Horusname ist der älteste Teil des altägyptischen Königstitulars und einer der fünf herrschaftlichen Titel des Pharaos; ihm liegt die Vorstellung zugrunde, der ägyptische Herrscher sei der Repräsentant des Gottes Horus auf der Erde. Mit dem »bösen Gott« ist Seth gemeint, der nach dem Mythos Osiris, den Vater des Horus, tötete, um auf den ägyptischen Götterthron zu steigen, von dem er aber später wieder von Horus vertrieben wird.

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611,21 ägyptischen Totenbuch] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 367,1. 611,29 Pariser Zauberbuch] Papyri Graecae Magicae (»Griechische Zauberpapyri«), zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 5. Jh. n. Chr. verfasste Sammlung von Beschwörungen, Zauberformeln, Rezepten für verschiedenste Zwecke, Dämonenaustreibungen und Verfluchungen. Einen Teil davon bildet das sog. Große Pariser Zauberpapyrus, das sich in der Bibliothèque Nationale in Paris befindet. 611,32-33 Jamblichus »eigentliche Namen […] sondern die Barbaren.«] Jamblichus oder Iamblichos von Chalkis (ca. 245-325), syrischer Neuplatoniker. Vgl. Jamblichus. Über die Geheimlehren, aus dem Griechischen übersetzt, eingeleitet und erklärt von Theodor Hopfner, Leipzig 1922, S. 168. 612,6 Mithraslithurgie] Im Zentrum des Mithraskultes, ein seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert im Römischen Reich verbreiteter Mysterienkult, den exklusiv Männer vollziehen durften, steht die röm. Göttergestalt des Mithras, die die Sonne personifiziert; Anhänger des Mithraskultes waren v. a. röm. Legionäre. Buber kannte vielleicht die Studie von Albrecht Dieterich, Eine Mithrasliturgie, Leipzig 1903 (2. Aufl. Leipzig 1910). 612,10-11 indische Bakhtisekte] Die Bhakti-Bewegungen im Hinduismus lehren eine Form der Gottesliebe, die in der Hingabe an eine personale Gottheit besteht. Der persönliche Bezug zur gewählten Gottheit drückt sich in den religiösen Texten der Bhakti-Bewegung in romantischen Ausdrucksweisen aus; mit der Hingabe an den personalen Gott geht in der Bhakti-Bewegung in der Regel die Hingabe an einen menschlichen Heiligen einher. 612,37 z. B. Kalewala (Loenrod)] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 608,10-11. Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas Dieser Vortrag Bubers liegt im MBA in handschriftlicher Form vor, jedoch handelt es sich nicht um Bubers eigene Handschrift. Wer das Manuskript angefertigt hat, ließ sich nicht ermitteln. Gegen eine Vortragsmitschrift spricht, dass das Manuskript nahezu in Reinschrift vorliegt, es gibt nur sehr vereinzelte, wenige kleine Korrekturen, die mit Bleistift offenbar nachträglich hinzugefügt wurden. Möglicherweise wurde es nach einer früheren, nicht mehr überlieferten Fassung angefertigt. Auf dem

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Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas

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Manuskript findet sich neben dem Titel mit Bleistift notiert der Vermerk: »(Kap. 52,13-53,12)«. Dieser sowie die Angabe im Titel, dass es sich um den »dritten« Vortrag zum Thema handele, führen zur genauen Einordnung des bisher unveröffentlichten Textes. Vom 28. Oktober bis 22. Dezember 1925 fand der erste Lehrgang des sechsten Lehrjahres des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt statt. In diesem Rahmen veranstaltete Buber am 17., 18. und 19. November eine dreiteilige Reihe, bestehend jeweils aus einem einführenden Vortrag und einer anschließenden sog. »Arbeitsgemeinschaft«, zum Thema »Der namenlose Knecht Gottes: Jes. 52,13 bis 53,12«. Bei dem im MBA erhaltenen Text handelt es sich um den dritten Teil der Veranstaltungsreihe. (Für einen Überblick über Bubers Veranstaltungen am Freien Jüdischen Lehrhaus vgl. van de Sandt, Martin Bubers Bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 78-83.) Die Form des Lehrens und Lernens, die aus einem die allgemeinen Zusammenhänge des Themas erschließenden oder auch Interpretationsansätze bietenden Vortrag und einer sich daran anschließenden Aussprache bestand, war typisch für Bubers Lehrmethode am Freien Jüdischen Lehrhaus. Das Lehrhaus war 1920 von Franz Rosenzweig als Ort gegründet worden, der jüdische Menschen der Zeit, denen die Verwurzelung im Judentum verloren gegangen war, wieder einen neuen, lebendigen Zugang zum Schrifttum und zur Lehre ihrer Tradition ermöglichen wollte. In seinem Eröffnungsvortrag am 17. Oktober 1920 beschrieb Rosenzweig den Sinn des Lehrhauses: »Ein Lernen in umgekehrter Richtung. Ein Lernen nicht mehr aus der Tora ins Leben hinein, sondern umgekehrt, aus dem Leben, aus einer Welt, die vom Gesetze nichts weiß oder sich nichts wissen macht, zurück in die Tora. Das ist die Signatur der Zeit. […] Es ist heut keiner, der nicht entfremdet ist, oder der nicht wenigstens ein Stück Entfremdung in sich hat. […] Wir alle, soweit uns das Judentum, das Judesein wieder die zentrale Tatsache unsres Lebens geworden ist […] wir alle wissen, daß wir unserm Judesein zwar alles opfern müssen, aber nichts opfern dürfen. Nichts preisgeben, nichts verleugnen, aber alles zum Jüdischen zurückführen.« (Zitiert nach van de Sandt, Martin Bubers Bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 75.) Martin Buber unterrichtete ab dem dritten Lehrjahr 1922 am Freien Jüdischen Lehrhaus; im Herbst 1923 trat er auch in die Leitung des Lehrhauses ein, die er sich mit Richard Koch (1882-1949), Franz Rosenzweig und Eduard Strauss (1876-1952) teilte. Aufgrund der klaren zeitlichen Nähe zu einem anderen Text, dem am 6. April 1925 zu Ehren der Eröffnung der Hebräischen Universität in Jerusalem gehaltenen Vortrag »Das messianische Mysterium (Jesaja 53)«

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(jetzt in: MBW 15, S. 37-45), gilt es, Bubers Ausführungen im Kontext der frühen Stadien seines Nachdenkens über den jüdischen Messianismus zu verstehen, die 1932 in Königtum Gottes mündeten (zu Bubers Denkweg mit Blick auf den Messianismus und sein charakteristisches Konzept der »Theopolitik« vgl. die Einleitung von Samuel Hayim Brody zu MBW 15, S. 13-34 und insbesondere den Einzelkommentar zu »Das messianische Mysterium (Jesaja 53)«, in: ebd., S. 409 f.; vgl. jetzt auch Samuel Hayim Brody, Martin Buber’s Theopolitics, Bloomington, IN 2018). Die Überlegungen, die Buber in seinem Lehrhaus-Vortrag zur Bedeutung des Gottesknechtes anstellt, hat er später in seiner 1950 in deutscher Sprache erschienenen Schrift Der Glaube der Propheten in neuer Form aufgegriffen (vgl. insbesondere in diesem Band, S. 334 ff., den Einzelkommentar zu der Schrift). Liest man die beiden Texte aus dem Jahre 1925 zusammen, so ergeben sich mehrere für Bubers Deutung des Messianismus im Spiegel des deutero-jesajanischen Knechts Gottes zentrale Aspekte. In seinem LehrhausVortrag vertritt Buber pointiert seine Auffassung, die Figur des Gottesknechtes sei jenseits der irreführenden Alternative zwischen individueller Personhaftigkeit und kollektiver Verkörperung Israels zu verorten. Wie er in »Das messianische Mysterium« betont, verdankt sich die von der klassischen jüdischen Exegese vertretene und von Raschi über Joseph Karo, Ibn Esra und Jehuda Halevy bis Samuel David Luzzatto reichende kollektive Deutung auf Israel vor allem einer polemischen antichristlichen Tendenz, die der Komplexität der Figur des leidenden Gottesknechts nicht gerecht wird (MBW 15, S. 39; Samuel Hayim Brody, Martin Buber’s Theopolitics, S. 210, Anm. 122 weist darauf hin, dass sich Buber damit auch von der Position Hermann Cohens abgrenzt, der 1919 in seinem Werk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums die Gestalt des Knechts als Kollektivgestalt des um seiner messianischen Mission in der Diaspora leidenden Volkes Israel deutet). Die unbezweifelbare Personhaftigkeit des Knechts bei Deuterojesaja stehe aber nicht im Gegensatz zu seiner kollektiven Dimension: Er sei vielmehr eine geheimnisvolle Person, die stellvertretend für Israel stehe, denn die »verborgene Wirklichkeit der Geschichte« liege nicht in einer »Geschichte von Einzelnen oder von Völkern«, sondern es gehe um die »von dem Einzelnen dargelegte Schicksalswirklichkeit der Völker« (in diesem Band, S. 614; vgl. MBW 15, S. 40). Der Knecht Gottes ist Buber zufolge der geschichtlich und in der Konkretheit der Menschenwelt praeexistente, in allen Dimensionen der Zeit wiederkehrende und sich darum nicht nur einmalig manifestierende, in der Verborgenheit erscheinende Messias in der vor-messianischen Ära,

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Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas

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d. h. vor der endgültigen Vollendung und Erlösung der Welt. Dieser Aussage liegt ein Konzept des Messianischen zugrunde, das der Idee der Aufhebung der Geschichte durch den Messias widerspricht: »Hier scheidet sich die jüdische Religion und was wahrhaft von ihr stammt, etwa von der iranischen, die auch eine Erlösung verheissende Religion ist, aber auch innerhalb des Judentums die echte messianische Weissagung von der späteren unter iranischem Einfluss stehenden Apokalyptik. Die wirklich prophetische Weissagung scheidet die Vollendung der Schöpfung von aller Jenseitigkeit. Die Messiaswelt ist die erfüllte, vollendete Schöpfung, die zum Reich Gottes geworden ist. Ist aber die Messiaswelt die Vollendung der Schöpfung, so bereitet sie sich in der Geschichte vor. Hier spricht entscheidend mit, der jüdische Glauben an das wahrhafte Geschaffensein des Menschen von Gott zu einem selbständig wollenden, also am Falle der Welt, also aber auch an der Erlösung der Welt mitwirkenden Wesen.« (MBW 15, S. 40 f.) Die Namenlosigkeit des Knechtes Gottes verweist darauf, dass er nicht durch eine mit Namen zu behaftende »Einmaligkeit« gekennzeichnet ist, sondern durch die »Allmaligkeit mit immer neuen Namen«, und hilft die grundlegende »Verborgenheit« seiner geschichtlichen Erscheinungen zu begreifen. Der Knecht personifiziert die »Armen und Elenden«, die mit ihrem Leiden an der Erlösung mitwirken und somit selbst messianische Qualität gewinnen: »Der Messias, nach dem sie verlangen, ist die Manifestation, die reine, erfüllende, vollendende Offenbarung ihrer selbst.« (In diesem Band, S. 615.) Damit verbunden ist eine Sinngebung ihres Leidens, die sich in der Stufenfolge der Lektüre des Hiobbuches, der Psalmen und des Deuterojesaja erschließt: Erhält Hiob noch die Antwort, der Grund des Leidens sei Gottes Geheimnis, so erfahren die Psalmbetenden, der »willig Leidende« sei »Gott lieb«, während die Lieder des Gottesknechtes schließlich die wahrhaft sinnstiftende Botschaft empfangen: »Der willig Leidende leidet um Gottes willen« (ebd., S. 616; vgl. MBW 15, S. 43 f.), d. h. er wirkt an der messianischen Vollendung mit. Nicht zuletzt spricht sich in dieser Interpretation Bubers fundamentale Kritik an dem aus, was er »Automessianismus« nennt, an allen Messiasbewegungen, die sich aus seiner Sicht anmaßen, die verborgene und in allen Zeiten immer wiederkehrende Praeexistenz zu »vereinmaligen« (in diesem Band, S. 617 f.; vgl. MBW 15, S. 45), d. h. in einen sich endgültig und einmalig sichtbar manifestierenden Messias zu verwandeln. Unter dieses Verdikt fällt auch Jesus, der sich zwar nicht selbst als Erfüllung des Messias verstanden, diese aber in der Zukunft seiner Auferstehung erblickt und damit den durch die Zeiten hindurch immer wiederkehrenden Messias in die Einmaligkeit verwandelt habe. Damit aber gehört er

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zu den Ersten, die den jüdischen Messianismus verzeichnen, insofern sie »unter dem Schatten des ins Einmalige messianisierten Knechtes stehn.« (Ebd., S. 618.) Bubers Verständnis von Jesaja 53 ist daher ebenfalls zentral im Hinblick auf die für das Christentum bedeutsame christologische Interpretation der Figur des leidenden Gottesknechts, insbesondere des vierten der »Gottesknechtslieder« (Jes 52,13-53,12), von dem Bubers Vortrag handelt. In den folgenden Jahren sollte Buber immer wieder neu auf diesen wesentlichen Gegensatz von christlichem und jüdischem Messianismus aufmerksam machen und griff dabei die Motive aus dem vorliegenden Text auf. 1928 charakterisierte er Jesus in einem Geleitwort zu Die chassidischen Bücher, in dem er das Verhältnis des Judentums zur Zentralfigur des christlichen Glaubens darlegte, als ersten »Automessias«: »Was auch seine Erscheinung der Völkerwelt bedeutet (und ihre Bedeutung für die Völkerwelt bleibt für mich der eigentliche Ernst der abendländischen Geschichte), vom Judentum aus gesehn ist er der erste in der Reihe der Menschen, die, aus der Verborgenheit der Gottesknechte, dem wirklichen ›Messiasgeheimnis‹, tretend, in ihrer Seele und in ihrem Wort sich die Messianität zuerkannten. Daß dieser Erste – wie ich immer wieder erfahre, wenn sich mir die personhaft klangechten Worte zu einer Einheit fügen, deren Sprecher mir schaubar wird – in der Reihe der unvergleichlich Reinste, Rechtmäßigste, mit wirklicher messianischer Kraft Begabteste war, ändert nichts an dem Faktum dieser Erstheit, ja, es gehört wohl eben dazu, gehört zu dem furchtbar eindringlichen Wirklichkeitscharakter der ganzen automessianischen Reihe.« (Martin Buber, Geleitwort zu Die chassidischen Bücher, Hellerau 1928, S. XXVIII, jetzt in: MBW 17, S. 129-143, hier S. 140 f.) Ausführlicher begegnen diese Überlegungen in einem anderen Kontext wieder, in den wohl 1934 am Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt gehaltenen Vorlesungen über Judentum und Christentum, in denen Buber noch einmal seine Deutung von 1925 zusammenfasst und mit Blick auf den Gegensatz der jüdischen und christlichen Konzeption des Messianismus verschärft: Im Text von Jes 53 gehe es weder um das Volk Israel noch um eine historische Gestalt, sondern um »die Wiederkehr dieses heiligen Restes, Geschlecht um Geschlecht in immer erneutem Leiden, aber in einem Leiden in jener Tiefe der Leidenswirklichkeit, wo der Mensch nun wirklich um Gottes Willen leidet als der Mensch, der nun Gott mit dem Leiden entgegenkommt eben damit, dass er den Widerspruch der Welt bis in die Tiefe seines Leidenkönnens erleidet und eben damit überwindet. In der ganzen Breite, in der ganzen Vielfältigkeit der messianischen Konzeption, jedenfalls der biblischen, jedenfalls

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Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas

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der selbständigen Konzeption. Nichts führt davon ab, von dieser Echtheit einer menschlichen, durchaus menschlichen, durchaus im Menschlichen verbleibenden, auf dieser Menschenseite verbleibenden, niemals auf die göttliche Seite hinübergeworfenen Messianität. Nichts führt über sie hinaus, nichts führt von ihr ab.« (Martin Buber, Vorlesungen über Judentum und Christentum, (Fassung I), jetzt in: MBW 5, Zitat S. 237; vgl. auch Bubers kritische Deutung der christlichen Interpretation des Gottesknechts in: ebd. S. 245 ff.; 282 f.; 317 f.; 323 ff.; diese Ausführungen bilden die Grundlage für Bubers Kritik des christlichen Messiasverständnisses in Zwei Glaubensweisen; vgl. Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, jetzt in: MBW 9, S. 202-312, hier S. 266 ff.; zu Bubers Auseinandersetzung mit dem Christentum siehe die Einleitung von Karl-Josef Kuschel zu MBW 9). Textzeuge: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 48); 9 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben in blauer Tinte; undatiert; mit wenigen Korrekturen versehen. Die Handschrift ist nicht von Martin Buber. Druckvorlage: H Wort- und Sacherläuterungen: 614,8 dieses Wort: die Armen und Elenden] So die Übersetzung durch Luther; Buber übersetzt in seiner Bibelübersetzung die Worte »die Armen und Elenden« in Jes 41,17 mit »die Gebeugten und die Bedürftigen«. 614,9-10 Alle die drei vorherigen Deutungen] Vermutlich hatte Buber in den beiden Vorträgen, die diesem »dritten Vortrag« vorausgingen, drei Deutungsmöglichkeiten für die Gestalt des Gottesknechts, auf die sich seine Bemerkung offensichtlich bezieht, vorgestellt. Um welche Deutungen im Einzelnen es sich dabei handelte, kann nur vermutet werden. In seiner Schrift Der Glaube der Propheten stellt Buber ebenfalls drei Deutungsmöglichkeiten vor, bevor er seine eigene Interpretation des Gottesknechts darlegt: der Gottesknecht wird entweder kollektiv verstanden, und zwar als Israel oder als ein besonderer Teil Israels, oder er wird als eine historische Gestalt, entweder eine bekannte oder eine unbekannte, verstanden. Die dritte Deutungsmöglichkeit versteht den Gottesknecht als eine kommende messianische Figur (vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 334-336; vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 67,10-12 u. 316,25-26). Es kann angenommen werden, dass Buber sich hier in

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seinem Vortrag über den Gottesknecht bzw. in den beiden vorangegangen, nicht mehr überlieferten Vorträgen ebenfalls auf diese drei üblicherweise vorzufindenden Deutungsmuster zur Gestalt des Gottesknechts bezieht. 615,12-17 »Wohl habe ich […] das Schuldopfer bringt).] Es handelt sich hier wohl nicht um ein Zitat, sondern um Bubers eigene Interpretation. Vgl. auch Jes 53,4-5. 616,24-26 »Wenn diese Seele […] Menschen gelingen.«] Jes 53,10. 616,40 das geknickte Rohr nicht brechen] Vgl. Jes 42,3. 617,2 »er hat mich […] seinem Köcher verseckt.«] Jes 49,2. 617,3-4 »Umsonst habe ich […] meine Kraft verbraucht.«] Jes 49,4. Jeremia, ein Künder für unsere Zeit Das im MBA befindliche Typoskript zweier Vorträge Bubers, auf dem der vorliegende Text beruht, nennt den 9. und 10. Januar 1932 als Datum der Vorträge über »Jeremia, ein Künder für unsere Zeit«. Wo und in welchem Rahmen Buber die Vorträge hielt, ließ sich nicht eindeutig ermitteln. Zu Beginn des Textes gibt Buber lediglich den Hinweis, dass es sich um zwei Abendvorträge handelte. In einem Brief an Martin Buber vom 26. November 1931 erwähnt Ludwig Strauss einen bevorstehenden Aufenthalt Bubers in Stuttgart Anfang Januar 1932 (Strauss an Buber, 26. November 1931, in: Briefwechsel Martin Buber – Ludwig Strauss, S. 148). Es wäre möglich, dass Buber die Vorträge zu Jeremia am 9. und 10. Januar 1932 am Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart hielt, zu dem er seit dessen Gründung 1926 regelmäßig als Referent eingeladen worden war. (Vgl. Anja Waller, Das Jüdische Lehrhaus in Stuttgart 1926-1938. Bildung – Identität – Widerstand, Stuttgart 2017, bes. S. 81-111.) Eine Quelle, die diese Vermutung belegen würde, konnte zwar nicht ermittelt werden, jedoch sind die Lehrprogramme des Stuttgarter Jüdischen Lehrhauses nur teilweise überliefert. Darüber hinaus fanden die Vorträge am Lehrhaus in unregelmäßigen Abständen statt und wurden sowohl in den Arbeitsplänen des Lehrhauses als auch kurzfristig in Form von Anzeigen in der Gemeindezeitung der Jüdischen Gemeinde angekündigt (vgl. ebd., S. 88). Trotz einer fehlenden Quelle ist die Vermutung, dass es sich bei Bubers Vortrag zu Jeremia um einen Vortrag am Stuttgarter Lehrhaus handelte, somit durchaus berechtigt. Die Vorträge Bubers behandeln Leben und Botschaft Jeremias vor dem geschichtlichen Hintergrund seiner Zeit und konzentrieren sich besonders im zweiten Teil auf die unmittelbare zeitgenössische Relevanz dieser

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Jeremia, ein Künder für unsere Zeit

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Botschaft, an der sich die Lebendigkeit der biblischen Prophetie misst, ja ihre »Ewigkeitsbedeutung« mit Blick auf das Verhältnis von göttlicher Offenbarung und menschlicher Verantwortung in der Geschichte (in diesem Band, S. 619). Beide Teile sind in erheblichem Maße auf Zitaten und Paraphrasen aus Bubers und Rosenzweigs »Verdeutschung« der Schrift aufgebaut. Buber gliedert das Wirken Jeremias anhand der jeweils regierenden Machthaber – insbesondere Josia, Jojakim und Zidkia – in drei Phasen seiner Verkündigung. Die zentralen Motive, die auch seine Deutung der Botschaft des Propheten in seinem späteren Kommentar Der Glaube der Propheten (vgl. das Kapitel »Gegen das Heiligtum«, in diesem Band, S. 280-304) bestimmen, sind hier vorweggenommen: das in der Geschichte der Prophetie einzigartige Zwiegespräch Jeremias mit Gott, einschließlich der Gleichnishandlungen, mit denen er »mit seinem ganzen leiblichen, seelischen Leben« die Macht des göttlichen Wirtes widerspiegelt (in diesem Band, S. 630); das – an Hiob gemahnende – Leiden des Propheten, der nicht nur ein von allen befehdeter »Mensch des Haders« (ebd., S. 621) wird, sondern der – um JHWHs willen – am widerspenstigen Volk Israel und dem Schicksal leidet, das er diesem verkünden muss, und fürbittend für es eintritt; die Transparenz des Leidens des Propheten für das Leiden Gottes an den Folgen der ethischen Entscheidungsfreiheit des Menschen, aber auch für das Mitleiden Gottes mit den im Zorn Verstoßenen; die prophetische Einsicht in die Mitverantwortung des Menschen für die Zukunft, d. h. das Wissen, dass die bevorstehende Katastrophe sich nicht als Verhängnis vollzieht, »unabhängig davon, ob die Menschen umkehren auf den Weg Gottes« (ebd., S. 620), sondern dass eine Wendung noch immer möglich ist; die Eindeutigkeit, mit der Jeremia das Kriterium der Umkehr nicht im »Religionshafte[n]« (ebd., S. 644), im – vielfach sinnentleerten – Kult, sondern in der Heiligung des ganzen Lebens und in der zwischenmenschlichen Gerechtigkeit verortet, in der allein das »Urgebot Gottes« verwirklicht wird (ebd., S. 646); und nicht zuletzt die an solche Umkehr gebundene Hoffnung auf einen dem Zusammenbruch folgenden neuen Bund Gottes mit Israel und der ganzen Menschheit. Besonders im zweiten Teil des Vortrags wird deutlich, dass Buber im Prophetischen seine theologisch-philosophischen Grundüberzeugungen am ehesten wiederfindet. (Vgl. dazu ausführlicher den Einzelkommentar zu Der Glaube der Propheten, in diesem Band S. 849-882.) Prophetie ist nicht Vorhersage des Zukünftigen »als etwas Feststehendes« (in diesem Band, S. 619), sondern Anrede an den Menschen, der die Zukunft durch sein Handeln, durch Bewährung der Gerechtigkeit mitzubestimmen ver-

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mag. Auffällig ist, wie stark Buber den Universalismus der Propheten betont, deren Wort »durch dieses Israel hindurch […] an die Welt geht« (ebd., S. 639). Dieser Universalismus sei letztlich »wie eine Weltschau im Sinne eines Ueberschauens der Schöpfung durch den Schöpfer in dem Stand, in den diese Schöpfung geraten ist«. (Ebd., S. 642.) Spürbar wird in diesen Ausführungen, dass es Buber dabei – neben dem für die jüdische Prophetiedeutung seiner Zeit insgesamt, etwa für die Akzentuierung des »ethischen Monotheismus« in der Philosophie Hermann Cohens (1842-1918) und Leo Baecks charakteristischen Beharren auf der bleibenden religiösen Bedeutung eines universalistischen Judentums in der Moderne – noch um etwas Anderes geht: Er möchte seinen Zuhörern mit großer Eindringlichkeit vermitteln, dass der Botschaft Jeremias von der Alternative zwischen historischem Unheil, und zwar einer in der Katastrophe Israels zum Ausdruck kommenden »Katastrophe einer Kultur, einer Weltepoche« (ebd., S. 637), und der politischen Verantwortung der Menschheit eine universale Bedeutung für das Verständnis der tiefen Krise der Gegenwart und eines möglichen Auswegs daraus innewohnt. Am Ende seines Vortrags zieht Buber daher in Andeutungen Parallelen zwischen den Worten Jeremias an Israel und der zeitgenössischen Situation der Menschheit vor dem Hintergrund der weltpolitischen Entwicklungen zu Beginn der 1930er Jahre, des wachsenden Nationalismus, der Tendenz, Wirtschaft und Politik ihren eigenen Gesetzen zu überlassen, anstatt sie im Lichte der göttlichen Gerechtigkeitsforderung verantwortlich zu gestalten. Auch der gegenwärtigen Menschheit sei eine Katastrophe angesagt, auch sie schaue Exil und Befreiung, und zwar ebenso wie in der Prophetie Jeremias »unter dem Zeichen des Wenn, unter dem Zeichen des Wenn nicht« (ebd., S. 650) – die Zukunft auch der heutigen Menschheit, wie die Israels in der Bibel, wird sich aufgrund dieser Alternative entscheiden. Deshalb betont Buber am Ende die Notwendigkeit, sich vom »Wahn« des Glaubens an eine von den Entscheidungen des persönlichen Lebens unabhängige Weltpolitik zu befreien und zu erkennen, dass letztlich alle Entscheidungen der Lebensführung des Einzelnen – »auch in dieser dunkelsten Stunde der Not« (ebd., S. 651) – wirksamen Einfluss auf eine Wandlung des Krisenhaften nehmen kann. (Vgl. zu diesem letzten Gedanken auch den bisher unveröffentlichten Vortrag Bubers »Über Prophetie«, in diesem Band, S. 717726 sowie den Kommentar zum Text, S. 1200-1202.)

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Jeremia, ein Künder für unsere Zeit

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Textzeuge: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56a); 50 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben, ohne Korrekturen. Das Typoskript trägt auf dem Deckblatt einen Vorsatz und Datumsvermerk: »Professor Dr. Martin Buber spricht über ›Jeremia, ein Künder für unsere Zeit‹ am 9. und 10. Januar 1932.« Druckvorlage: TS Wort- und Sacherläuterungen: 620,1-2 Jona, der Ninivehs […] die Prophezeiung wendete.] Vgl. Jon 3 u. 4. 620,4-5 das haben die jüdischen Weisen mit einem herrlichen Wort gekennzeichnet] Bei dem Wort der Weisen, auf das Buber hier anspielt, handelt es sich um den Begriff der teschuwa, »Reue«, »Umkehr«, von Buber zumeist mit »Umkehr« übersetzt; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 233,11. Die Bedeutung, die das rabbinische Judentum dem Buch Jona im Kontext der teschuwa zuspricht, zeigt sich drin, dass es im Talmud (bMeg 31a) heißt, das Buch Jona solle beim Nachmittagsgebet am Jom Kippur, dem Versöhnungstag, gelesen werden. 620,27-28 sondern aus einer kleinen Landstadt stammte] Jeremia stammte aus »Anatot im Lande Binjamin« (vgl. Jer 1,1); die Stadt Anatot war eine Priesterstadt, gelegen wenige Kilometer nordöstlich von Jerusalem im Land, das dem Stamm Benjamin gehörte. 621,8-9 ein Mensch des Haders wird, der von allen befehdet wird] Vgl. Jer 15,10. 621,14-16 Ehe ich Dich […] ich Dich gegeben.] Jer 1,5. 621,21-29 Ach, mein Herr […] in Deinen Mund.] Vgl Jer 1,5-9. 621,34-41 Du aber gürte […] Dich zu retten.] Jer 1,17-19. 622,32-33 diese ganze Geschichtswelt […] Eimern Gottes tropft.] Buber bedient sich hier in seiner Argumentation des Verses Jes 40,15: »Siehe, die Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage.« (in der Übersetzung Luthers). 623,13-18 Was rennst Du […] denen nicht bringen.] Jer 2,34-35. 623,23-26 Zugesprochen wirds […] zu voll dafür.] Vgl Jer 4,11-12. 623,31-32 Aus dem Gewölk […] leichter als Adler.] Vgl Jer 4,13. 623,35-624,2 Meine Eingeweide […] Posaunenhall hören?] Jer 4,19-21. 624,12-13 Ich gebe Dich […] ehernen Mauer] Jer 1,8. 624,15-26 Als Warte hatte ich Dich […] hat sie verschmäht.] Vgl Jer 6,27-30. 624,33-36 Von ihren Kleinen […] ist kein Friede.] Jer 8,10-11.

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625,9-14 An wen soll ich […] den Jünglingskreis.] Jer 6,10-11. 625,21 josianische Reform] Zur Reform des Königs Josia vgl. II Kön 22 u. 23. 626,11 medische] Das ursprüngliche Gebiet der Meder lag im heutigen iran-irakischen Grenzgebiet, dehnte sich aber zeitweise bis nach Anatolien im Westen und Iran im Osten aus. Ein Königreich Medien gab es nicht, stattdessen gingen medische Fürsten Konföderationen miteinander ein. In einem Bündnis mit Babylonien zerschlugen die Meder 614 v. Chr. das assyrische Reich, zwei Jahre später fiel auch dessen Hauptstadt Ninive. 627,2-3 Schlacht bei Meggido] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 287,12. 627,15-16 Nähert Euch nimmer […] seine Halle ist das] Jer 7,4. 627,19-37 Da sichert ihr Euch […] vom Stamme Efrajim.] Jer 7,8-15. 628,22-27 Bewahrheitet bist Du […] von ihrem Sinn.] Jer 12,1-2. 628,31-40 Verflucht sei der Tag […] meine Tage vergehen.] Jer 20,14-18. 629,6-18 Betört hast du mich […] unsere Rache.] Jer 20,7-10. 629,33-41 Wisse es, wie ich Hohn […] das ungetreu ist.] Jer 15,15-18. 630,3-10 Wohl denn, […] steinernen Mauer.] Vgl. Jer 15,19-20. 630,18-19 Heile mich Du […] dann bin ich frei.] Jer 17,14. 630,33-34 Das Zeichen des Schurzes […] verborgen herauszieht;] Vgl. Jer 13,1-11. 630,36-38 das Zeichen des Schöpfkruges […] gemacht werden kann.] Vgl. Jer 19,1-13. 631,6-7 Rüstet Schild […] legt die Panzer an] Jer 46,4. 631,14-24 Kurz darnach […] daraus vorlesen will.] Für die hier geschilderte Begebenheit vgl. Jer 36. 631,25-31 Der König sass […] diese Rede hörte.] Jer 36,22-24. 632,25-35 er kommt in den Hof […] gegeben hat,] Für die hier geschilderte Begebenheit vgl. Jer 27,1-8. 633,6-15 Nun kommt einer […] lässt Hamonia den Tod ansagen.] Für die hier geschilderte Begebenheit vgl. Jer 28,1-17. In 622,14 liegt offenbar ein Fehler im Textzeugen vor; gemeint ist der Prophet Chananja. 633,27-34 So spricht er […] Euch Friede sein.] Jer 29,4-7. 633,38-634,2 Dann ruft Ihr mich an […] habe verschleppen lassen.] Jer 29,12-14. 634,3-7 Und etwa gleichzeitig […] eine Zukunft hat.] Vgl. Jer 32,1-15. 637,39-638,2 ein Wort in einem […] Israel zu segnen.] Zu Bileam vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 444,22-23; zu dem hier Geschilderten vgl. Num 22 u. 23. 638,5-6 Israel ist nicht […] was Gott gewahrsagt hat.] Num 23,23.

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Jeremia, ein Künder für unsere Zeit

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639,26-28 Seid Ihr mir […] Aramäer aus Kir?] Am 9,7. Vgl. Buber ausführlicher zur Bedeutung dieses Verses in »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 102. 640,1-2 das josianische Wort, […] ein echt josianisches Wort im 19. Kapitel] Offenbar Fehler im Textzeugen; gemeint ist das jesajanische Wort in Jes 19, das Buber im Folgenden zitiert (vgl. die folgende Wort- und Sacherläuterung). 640,5-9 an jenem Tag […] Mein Eigentum.] Jes 19,24-25. 640,24-27 Da ich gebe […] zu bauen, zu pflanzen.] Jer 1,9-10. 641,3-7 wo ihm befohlen wird […] des Töpfers Auge] Vgl. Jer 18,2-4. 641,9-11 Vermag ich nicht […] Ihr, Haus Israel] Jer 18,6. 641,14-21 Im Nu rede ich […] ich gesprochen habe.] Jer 18,7-10. 641,40-642,10 dieser Baruch hatte sich […] begehren, nimmermehr!] Für die hier geschilderte Begebenheit vgl. Jer 45. 642,33-643,3 Du mein Trotz […] Ich bin da.] Vgl. Jer 16,19-21. 643,7-8 Ich werde da sein als der Ich je und je da sein werde.] Ex 3,14. 643,24-30 dann reicht ihnen Gott […] alle Siedler der Erde.] Vgl. Jer 25,15-29; für das Zitat die Verse 28-29. 643,35-41 Ich sah das Erdenelend an […] Flamme seines Zornes.] Jer 4,24-26. 644,10-20 In meinem Volke […] am Ende davon?] Jer 5,26-31. 644,30-645,5 Wehe ihm […] wird man ihn.] Vgl. Jer 22,13-19. 645,11-12 Verriet je ein Weib […] aus Israel.] Jer 3,20. 645,26-27 Ihr seid einmal […] zu Mute ist] Dtn 5,15. 646,3-19 Ich selber habe […] Königreichen der Erde.] Jer 34,13-17. 646,29-39 Ja besser als aller Kult […] und für ewige Zeiten.] Jer 7,5-7. 647,4-5 kehret um […] Abkehrungen geheimhalten] Jer 3,22. Fehler im Textzeugen; das Versende lautet: »ich will eure Abkehrungen heilen«. 647,16-22 Gehet zu Eurem Gott […] wird seine Herde.] Jer 13,16-17. 647,38-648,7 der Künder, bei dem […] nichts diesem Volk.] Jer 23,2832. 648,21-24 Ruft den Klagemüttern […] Wasser überrieselt.] Jer 9,16-17. 648,25-30 Ja, dann hört […] keiner heilts.] Jer 9,19-21. 649,9-20 Wohlan, Tage kommen […] bis zu ihren Grossen.] Jer 31,3134. 649,29-35 Eine Stimme ist in Rama […] in ihre Gemarken.] Jer 31,1517.

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Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹? (Fassung A) Im MBA finden sich unter den handschriftlichen und maschinenschriftlichen Textzeugen zu Bubers Aufsatz »Die Erwählung Israels« (vgl. den entsprechenden Variantenapparat, in diesem Band, S. 807) auch zwei Typoskripte unter der Überschrift »Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ?«. Beide Dokumente wurden in den vorliegenden Band aufgenommen und sind als »Fassung A« und »Fassung B« gekennzeichnet. Zwar macht das Typoskript zu Fassung A in handschriftlichen Notizen auf der ersten Seite, die nicht von Buber stammen, widersprüchliche Angaben zur Datierung des Texts, die einmal von einer »Abschiedsrede« Bubers und einmal vom »1. Vortrag des Herbstlehrgangs« 1936 sprechen und beide Male auf das Frankfurter Jüdische Lehrhaus bezogen sind. Die Forschungen von Rita van de Sandt zu Bubers Tätigkeit an dem von ihm 1933 wieder eröffneten Frankfurter Jüdischen Lehrhaus erlauben jedoch die Klärung dieses Widerspruchs und eine genaue zeitliche Einordnung des Textes sowie die Interpretation seines Entstehungshintergrundes. Bei van de Sandt ist zu lesen: »Der Herbstlehrgang 1936 (10. Oktober bis 19. Dezember) wurde eingeleitet mit einem Vortrag Bubers zum Thema ›Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ?‹ Diese Rede Bubers war zugleich die erste von fünf Samstagsvorlesungen unter dem Rahmenthema ›Der Jude in der Welt‹. Dieser Zyklus ist neben dem Normalprogramm des Lehrhauses angezeigt. Die weiteren Vorträge: 24. Oktober: ›Judentum und Umwelt‹, Prof. Dr., Walter Sulzbach, 7. November: ›Der Jude und der Mensch nach der Lehre des Judentums‹, Rabbiner Dr. Jacob Hoffmann, 21. November: ›Juden und Umwelt im Mittelalter‹, Dr. Ludwig Feuchtwanger (München), 5. Dezember: ›Juden und Umwelt in der Neuzeit‹, Rabbiner Dr. Max Eschelbacher (Düsseldorf). Der Vortrag Bubers ist nicht veröffentlicht worden.« (Rita van de Sandt, Martin Bubers Bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 166 f.) Van de Sandt merkt dazu an, dass der Vortrag auch im Manuskript bisher nicht aufgefunden werden konnte, was mit dem vorliegenden Abdruck korrigiert wird. In der C.V.-Zeitung, dem Publikationsorgan des Central-Vereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens, erschien anlässlich der Eröffnung des Herbstlehrgangs des Frankfurter Lehrhauses auch ein kurzer Artikel über Bubers Vortrag. (Auf diesen stützen sich vermutlich die Ergebnisse von van de Sandt.) Die C.V.-Zeitung stellt in ihrem Bericht in der Ausgabe vom 22. Oktober 1936 zunächst kurz die Bedeutung des ersten 1920 von Franz Rosenzweig gegründeten Freien Jüdischen Lehr-

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Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹? (Fassung A)

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hauses in Frankfurt für die Entwicklung der jüdischen Lehrhäuser in Deutschland heraus und betont die führende Rolle des jetzigen von Martin Buber geleiteten Frankfurter Lehrhauses in der Weiterführung dieser Tradition. Besonderen Wert legt der Bericht dabei auf die aktuelle Funktion des Lehrhauses im zeitgeschichtlichen Kontext, vor allem mit Blick auf die »Festigung jüdischen Bildungsgutes«. Als wichtigen Beitrag zu dieser Aufgabe der Stärkung der Identität der verfolgten jüdischen Gemeinschaft und des jüdischen Wissens sieht der Bericht die den Herbstlehrgang begleitenden »Samstags-Vorlesungen« unter der thematischen Überschrift »Der Jude in der Welt«. Über Bubers ersten Vortrag in dieser Reihe heißt es: »Mit einer Fülle von Belegen aus dem jüdischen Schrifttum zeigte Buber, daß für den Urbeginn und die Erfüllung der jüdischen Geschichte der Begriff der Auserwählung fehle. Hier wie dort ist das Judentum wie alle Völker. Eine Auserwählung Israels gibt es, wenn überhaupt, nur in der Geschichte: als Leiden und Läuterung. Martin Bubers Vortrag war von ungewöhnlicher Klarheit des Aufbaus, eindringlicher Straffheit der Sprache und von tiefansprechender menschlicher und jüdischer Haltung.« (Martin Buber eröffnet die Winterarbeit des Lehrhauses Frankfurt a. M., in: C.V.-Zeitung, 15. Jg., Nr. 43, 22. Oktober 1936; zu Bubers Bildungsarbeit in der Nazi-Zeit vgl. Ernst Simon, Aufbau im Untergang. Jüdische Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland als geistiger Widerstand, Tübingen 1959). In seinem Vortrag stellt Buber seinen Ausführungen zum Thema eine kurze Erläuterung der Zielsetzung seines Vortrags voran. Es gehe ihm um die Klärung von Fehldeutungen und Unwissen, die in dem »Schlagwort von der Auserwählung Israels« zutage träten, und zwar sowohl hinsichtlich der Vorurteile der nichtjüdischen Umwelt als auch »nach innen«, mit Blick auf das Selbstverständnis des gegenwärtigen Judentums selbst. Ausgehend von Dostojewskis Roman Die Dämonen, insbesondere auch von dem dort akzentuierten Bezug auf die angebliche Selbstüberhebung des jüdischen Volkes, setzt sich Buber kritisch mit der Deutung der Erwählung als völkische Überlegenheit auseinander, die ein großes Volk charakterisiere, und weist sie entschieden zurück. Wie auch im individuellen Leben weder der Anspruch der Überlegenheit über die anderen noch der Wille zur Macht die Größe eines Menschen ausmache, so könne auch einem Volk, das einen Überlegenheitsanspruch gegenüber den anderen erhebe, keine wahre Größe zugeschrieben werden, vielmehr gehöre solches Streben nach Macht, wie Buber in subversiver Umkehrung nationalsozialistischer Rhetorik betont, in den Bereich »der Entartung, der Pathologie« (in diesem Band, S. 653). An anderer Stelle

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und in einem anderen Kontext, in seinem 1941 veröffentlichte Essay »Hebräischer Humanismus«, wird aus dem Subversiven eine explizite Gegenüberstellung: Während die Nationalsozialisten das deutsche Volk für das providentiell zur Weltherrschaft bestimmte halten, kann sich das jüdische Volk auf seine faktisch einzigartige geschichtliche Existenz berufen, erkennt aber, dass die Erwählung, die dieser Rolle zugrunde liegt, »ganz und gar eine fordernde Erwählung ist«, eine Erwählung, die der mythologischen Selbstüberhöhung der nationalen Machtträume anderer Völker etwas Entscheidendes entgegenzusetzen hat: »Hier spricht nicht ein Gott, den sich das Volk in seinem Ebenbilde geschaffen hat, nicht einer, der als dessen Sublimierung aus ihm aufsteigt: er tritt ihm gegenüber und er tritt ihm entgegen, er fordert und er richtet. […] Was er fordert, nennt er ›Wahrheit‹ und ›Gerechtigkeit‹. Er fordert sie nicht für einzelne Bezirke des Lebens, sondern für das ganze Dasein des Volkes. Er will, daß der Mensch, daß das Volk ›ganz mit ihm sei‹. Israel wird erwählt, um dem biologischen Gesetz der Macht, das die Völker in ihren Wunschträumen verklären, in die Sphäre der Wahrheit und Gerechtigkeit zu entwachsen. Gott will, daß der Mensch, den er erschaffen hat, wahrhaft Mensch werde, und zwar nicht bloß in einzelnen Erscheinungen, wie bei allen Völkern, sondern in der Lebensordnung eines Volkes, das damit die Lebensordnung einer künftigen Menschheit, eines Volkes aus Völkern, entwirft. Israel ist erwählt, ein wahres Menschenvolk, und das heißt: ein Volk Gottes zu werden.« (Martin Buber, Hebräischer Humanismus, S. 8 f., jetzt in: MBW 20, S. 155 f.). Dieser Maßstab der »hebräischen Humanität« ist aber in gleicher Weise an das jüdische Volk der Gegenwart anzulegen. Als kaum weniger bedenklich erschien Buber die Verkennung der Bedeutung der Erwählung Israels innerhalb der jüdischen Gemeinschaft selbst. Seine scharfe Kritik in seinem Vortrag richtet sich gegen zwei Phänomene, die er nur andeutend benennt. Erstens wendet er sich gegen einen »abstrakten, leeren Stolz auf eine Auserwählung«, den er insbesondere bei ihrem Judentum entfremdeten Juden diagnostiziert. Es ist anzunehmen, dass er damit auch den – aus seiner Sicht assimilatorischen – reformjüdischen Diskurs über die »Mission des Judentums« in der Diaspora meint, mit dem er sich seit seinen frühen Prager Reden über das Judentum (vgl. jetzt in MBW 3, S. 211-259) vor dem Ersten Weltkrieg und seiner Kontroverse mit Hermann Cohen während des Krieges (vgl. seinen Text »Völker, Staaten und Zion«, jetzt in: MBW 3, S. 293-320) immer wieder kritisch auseinandergesetzt hatte. Zweitens aber, und im Gegensatz dazu, bezieht er sich auf die Neigung einer jüngeren Generation zionistischer Intellektueller, deren Protest gegen das Konzept der Auserwählung auf dem

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Wunsch nach der Normalität eines natürlichen Volkslebens statt einer abgesonderten Existenz in der Diaspora beruhe und sich in folgender Haltung widerspiegele: »es ist am Besten, wenn wir all diesen Ballast der Auserwähltheitsidee mit allem, was drum und dran hängt, hinwegschaffen.« (In diesem Band, S. 654.) Ohne an dieser Stelle näher auf Bubers Positionierung gegenüber dem letzteren der beiden Einstellungstypen eingehen zu können, lassen sich doch kurz einige Bezüge zu seinem Denken aufzeigen, die sichtbar machen, wo die Motivation gerade dieses zweiten Aspekts seiner Polemik liegt. Ebenfalls in »Hebräischer Humanismus« kämpft er gegen Erscheinungen des Nationalismus in der neuen Heimstätte in Palästina an, in die er 1938 emigriert war, und stellt die zionistische Bewegung vor die Entscheidung, »ob sie nationalegoistisch oder nationalhumanistisch sein« wolle, mit der Warnung, dass sie im ersteren Fall alle »leeren Nationalismen« erleiden werde. Streben nach Normalität verfehle die Aufgabe des jüdischen Volkes: »Israel ist ein Volk wie kein anderes, denn es ist das einzige Volk in der Welt, das von seinem Anbeginn zugleich Nation und Glaubensgemeinschaft ist«, Träger eines Bundes mit Gott. (MBW 20, S. 154.) Von den Reden über das Judentum über spätere Texte wie »Der Geist Israels und die Welt von heute« (jetzt in: MBW 20, S. 321-328) bis hin zu Bubers Intervention im Mai 1948 angesichts der Staatsgründung Israels, unter dem Titel »Zweierlei Zionismus« (jetzt in: MBW 21, S. 285-287) zieht sich das Leitmotiv, dass sich die Wiedergeburt des jüdischen Volkes als Nation nur unter dem Anspruch Gottes vollziehen könne, als sein Priestervolk die wahre Gemeinschaft zu verwirklichen. Genau in diesem Sinne argumentiert Buber in seinem Vortrag aus dem Jahre 1936. Anhand biblischer, rabbinischer und kabbalistischer Beispiele macht er deutlich, dass Erwählung keinesfalls im Sinnes eines Strebens nach Vorrang verstanden werden dürfe: »Erwählung, auf die man stolz ist, deren man sich sicher wähnt, die Erwählung besteht nicht!« (In diesem Band, S. 654.) Sie bedeutet kein Privileg, sondern ist an eine spezifische Aufgabe gebunden, deren Verfehlung in der Geschichte Israels auch zur göttlichen Verwerfung führen konnte: den anderen Völkern das Ideal einer besonderen Gemeinschaft vorzuleben, »die Einheit der Verschiedenen« (ebd., S. 659), und auf diese Weise die Möglichkeit einer einheitlichen Menschheit aufzuzeigen. Doch diese Gemeinschaft, stellt Buber am Ende selbstkritisch fest, »haben wir nicht gelebt und leben wir nicht. […] Vielleicht darf man sagen, es ist die Erwählung zu einem noch nicht gewirkten Werk.« (Ebd., S. 660.) Die Grundüberzeugungen, die Buber in diesem Vortrag von seinem Verständnis der Auserwählung Israels darlegte, trug er zwei Jahre später

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noch einmal, dann aber systematischer und ausführlicher, in dem 1938 im Schocken Almanach veröffentlichten Aufsatz »Die Erwählung Israels« vor. (Vgl. in diesem Band, S. 102-113 sowie den Kommentar dazu, S. 802-807.) Der zeitgeschichtliche Bezug von Bubers Lehrhausvortrag wird an verschiedenen Stellen klar erkennbar. Dass es ihm darum ging, falsche Vorstellungen über das jüdische Erwählungsverständnis nicht nur innerhalb des Judentums, sondern vor allem auch »nach außen« auszuräumen (S. 652), ist sicherlich vor dem Hintergrund der traditionellen christlichen Vorwürfe und der immer schon im Diskurs antisemitisch konnotierter Nationalismen sowie des modernen Rassenantisemitismus vorherrschenden, durch die hasserfüllten Publikationen über die sogenannten »Protokolle der Weisen vom Zion« zusätzlich angestachelten und zur Zeit des Nationalsozialismus auch in der breiteren Öffentlichkeit immer unverhohlener rezipierten Vorstellung zu verstehen, wonach eine internationale jüdische Verschwörung zum Ziel habe, alle anderen Völker einer – judäo-bolschewistischen – Weltherrschaft zu unterwerfen. Insofern handelt es sich bei Bubers Text, der die Argumentationsstrategien jüdischer Gelehrsamkeit mit Blick auf dieses zentrale Motiv des antisemitischen Ressentiments aufgreift (vgl. z. B. Max Dienemann, Israels Erwählung, in: Korrespondenzblatt des Verbandes deutscher Juden 1912, Nr. 11, S. 1-9), um den verzweifelten Versuch, im Medium allgemeiner Reflexionen über die Frage nach dem Charakter des Überlegenheitsanspruchs eines Volkes einen Gegenakzent zu setzen und dem Judentum eine zentrale Rolle im spirituellen Widerstand gegen den um sich greifenden nationalen Chauvinismus und Rassenwahn zuzuschreiben. Auch wenn Buber hier die eigentliche politische Zielrichtung seiner Deutung verhüllt, indem er sich explizit auf die Anschauungen Dostojewskis über die Bedeutung des russischen Volkes bezieht und betont, es gehe ihm in erster Linie darum, die Vorstellung einer Überlegenheit Israels gegenüber den anderen Völkern auszuräumen, dürfte jedem Zuhörer klar gewesen sein, dass sich sein Augenmerk auf eine Konfrontation des jüdischen Erwählungsverständnisses mit dem entscheidenden Element der nationalsozialistischen Ideologie – dem völkischen Überlegenheitsanspruch der arischen Rasse – richtete. In seinen Schlusssätzen schlägt Buber sodann den Bogen von dem, was er zuvor als den Kern der Erwählung Israels ausgemacht hatte – das modellhafte Vorleben wahrer Gemeinschaft – zur Situation des jüdischen Volkes in der gegenwärtigen geschichtlichen Stunde. Seinen Zuhörern mutet Buber als Schlussfolgerung die Botschaft zu, dass auch das Erdulden der gegenwärtigen Verfolgung mit in das Erwählungsbewusstsein gehört und

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dass Juden als festen Besitz »nur dieses Leiden« haben, das vielleicht eine »Läuterung« sei (in diesem Band, S. 660). Eine Parallele zu Bubers Text über die Erwählung zeigt sich etwa in Leo Baecks 1940 begonnenen und erst kurz vor seinem Tod 1956 vollendeten Buch Dieses Volk. Jüdische Existenz, einem ebenso eindrucksvollen Dokument des geistigen Widerstands gegen Gewalt, Zwang und existentielle Bedrohung. Wie Buber formuliert Baeck eine selbstbewusste Theologie der göttlichen Erwählung Israels, die Widerspruch gegen menschenverachtende völkische Ideologien und die nationalsozialistische Vorstellung einer Erwählung der »arischen Rasse« zur Weltherrschaft einlegt: Gerade das von den Nazis zum Gegenvolk, zum vernichtungswürdigen Todfeind erkorene jüdische Volk ist das messianische Volk, in dem die Hoffnung der Menschheit auf eine Zukunft von Frieden und Gerechtigkeit begründet liegt, dessen Tradition die Gleichheit aller Menschen betont, das in der Geschichte auch unter den bedrückendsten Bedingungen an Gott als dem Hüter des Menschenrechts und des Humanen festgehalten hat. (Leo Baeck, Dieses Volk. Jüdische Existenz, Werke Bd. 2, hrsg. von Albert H. Friedlander und Bertold Klappert, Gütersloh 1996). Textzeuge: TS1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 15 lose, paginierte Blätter; paginiert und einseitig beschrieben. Aufgrund vieler sprachlicher Wendungen, die auf eine mündliche Rede verweisen, scheint es sich um ein Stenogramm des Vortrags Bubers zu handeln, das die Grundlage für die Erstellung der nachfolgenden Typoskripte bildete. Das Typoskript ist zweischichtig: TS1.1: Grundschicht. TS1.2: Korrekturschicht von Bubers Hand. TS2: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 15 lose, undatierte Blätter; paginiert und einseitig beschrieben. Das Typoskript ist zweischichtig: TS2.1: Grundschicht: Durchschlag von TS1.1. TS2.2: Korrekturschicht von Bubers Hand, gleichlautend zu TS1.2. Da die Korrektuschichten lediglich die Tilgung sprachlicher Eigenheiten vornehmen, die der mündlichen Rede geschuldet sind, werden sie im Variantenapparat nicht gesondert berücksichtigt. TS3: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 6 lose Blätter; einseitig beschrieben; mit wenigen Korrekturen von Tippfehlern versehen.

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TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 6 lose, paginierte Blätter; einseitig beschrieben; mit wenigen Korrekturen von Tippfehlern versehen. Das Typoskript trägt eine maschinenschriftliche Ortsund Zeitangabe: »Abschiedsrede, gehalten im Jüd. Lehrhaus z. Fr’f. am M.«. Ein handschriftlicher Vermerk, nicht von Bubers Hand, weist deises Typoskript als Besitz von »Prof. Dr. Wilhelm Flitner« aus. TS5: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 6 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben, vereinzelt mit geringfügigen Korrekturen versehen. Das Typoskript trägt über der Überschrift einen handschriftlichen Vermerk, der nicht von Buber stammt: »1. Vortrag des Herbstlehrgangs des Freien jüdischen Lehrhauses in Frankfurt (10. Oktober – 19. Dezember 1936)«. Obwohl TS3, TS4 und TS5 textidentisch sind, handelt es sich um keine Durchschläge, sondern um vermutlich durch Abschriften von TS1 neu erstellte Exemplare. 4

Druckvorlage: TS5 Variantenapparat: 652,12 derjenige seiner Romane, in dem er] der Roman von Dostojewski, in dem unter all seinen Romanen wohl TS1.1, TS2.1 652,14 dargestellt hat] dargestellt werden sollte und worden ist TS1.1, TS2.1 652,14-18 Dostojewski hat […] im wesentlichen folgendes] In diesem Roman hat Dostojewski wohl seine eigensten Anschauungen über diese Problematik des Völkerlebens von heute zum Ausdruck gebracht, indem er sie den Personen und insbesondere einem merkwürdigen Menschen namens Schatow in den Mund legte. Dostojewski legt grossen Wert darauf, was da gesagt wird, was Schatow zu dieser Problematik sagt, nicht verwechselt zu sehen mit der üblichen slawophilen Ansicht. Die den Roman kennen, werden sich erinnern, dass in einem entscheidenden Gespräch zwischen Schatow und Stawrogin Schatow, nachdem er seine Problematik, wenn wir so sagen wollen, dargelegt hat, in heftiger, leidenschaftlicher Weise darauf hinweist, dass das etwas ganz anderes sei, als was man jeweils von Slawophilen zu hören bekommt. Was ist das, was er sagt? Im wesentlichen dies TS1.1, TS2.1 652,22 Berufung] Berufung, diese Erwählung TS1.1, TS2.1 652,24-25 andern Völkern überlegen] anderen Völkern eben als grosses Volk überlegen TS1.1, TS2.1 652,31 den wahren] den eigentlichen, den wahren TS1.1, TS2.1

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653,4 wir einen großen Menschen nennen] wir, wenn wir dieses Adjektiv überhaupt gebrauchen wollen TS1.1, TS2.1 653,9-12 von der er weiß […] meine Sache] wozu er sich – das kann ich wohl zugestehen – sich berufen weiss: dies hier habe ich zu tun, ich sehe, dass ich es einigermassen vollbringen kann, vielleicht kann ich es auch nicht, aber dies ist meine Sache, dies ist meine Aufgabe TS1.1, TS2.1 653,20 Willen zur Macht.] ergänzt Wille zur Macht ist Hysterie, wer die Mächtigkeit hat, hat keinen Willen zur Macht. TS1.1, TS2.1 654,4-5 verwirrt uns nur] ergänzt , diese Behauptung, wir seien auserwählt TS1.1, TS2.1 654,6 natürliches] gesundes, natürliches TS1.1, TS2.1 654,7 mit allem, was drum und dran hängt,] fehlt TS1.1, TS2.1 654,9 anderen, gegen das es sich erhebt, zusammen] anderen in eine falsche Perspektive zusammen, so sehr es sich dagegen erhebt TS1.1, TS2.1 654,17-19 Habe ich nicht […] Kir? (Am. 9,7)] Seid ihr mir nicht wie Mohren, Söhne Israels TS1.1, TS2.1 655,8 Israel] Israel, das doch Gott erkannt hat, TS1.1, TS2.1 655,25 Gefangenschaft] babylonische Verbannung TS1.1, TS2.1 655,37 können wir wissen] wissen wir. Und dieses Etwas, das wir von dem Warum wissen, das ist das, womit wir uns zu befassen haben TS1.1, TS2.1 655,40 Es geht mir nicht] Ich kann das, was ich meine, nur an Beispielen darlegen, denn es geht mir TS1.1, TS2.1 656,5 an den andern?] ergänzt Wie steht es mit den Händeln und Streitigkeiten zwischen Israel und den anderen? TS1.1, TS2.1 656,19 Ägypter] Ägypter, die den Kindern Israels nachsetzen wollten TS1.1, TS2.1 656,26 Geschichte] Geschichte, zwar die Niederwerfung der Verfolger TS1.1, TS2.1 657,1 verwendet] verwendet, etwa zu heiligem Zweck verwendet TS1.1, TS2.1 657,28-29 auch hier keine Erwählung] auch hier, wo wir nun wirklich an das herankommen, was die Erwählung bedeutet, Pflicht, Auferlegung, Forderung, auch da keine Erwählung TS1.1, TS2.1 657,33 Wir wollen es tun.] ergänzt Aber nicht genug daran, sondern da nun die Offenbarung geschieht, geschieht sie so, dass die Stimme nicht etwa bloss an dieses Volk sich wendet, das solchermassen gesprochen hat, sondern die eine Stimme wandelt sich in die 70 Sprachen der 70 Völker ein, sie selbst, in diesem Augenblick, ihr Wort

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sprechend, wandelt sich ein in die Vielfältigkeit der Völkersprachen, und in den 70 Sprachen sprühen die Worte in die Welt, so wie, so heisst es, die Funken vom Amboss sprühen, auf den der Hammer schlägt. TS1.1, TS2.1 657,38 Antwort gegeben] herrliche Antwort gegeben, über die man nachsinnen und nachsinnen kann. Wenn gefragt wird: ja, warum hat Israel die Thora, wird geantwortet TS1.1, TS2.1 658,4 das sich niederwirft] das nicht wähnt, anders als gering zu sein, das sich niederwirft TS1.1, TS2.1 658,10 dann ist es nicht erwählt] tut es sich etwas darauf zugute, dass es erwählt sei, meint es nun, irgend eine Sicherheit und Sicherung daran zu besitzen, dass es erwählt sei, dann ist es nicht erwählt TS1.1, TS2.1 658,23-14 fühlen, die sprechen: […] zerstören lassen] dünken, die glauben, sie seien im Bunde mit Gott, sprechend: »Uns kann nichts geschehen«, sprechend: »Seine Halle, seiene Halle, seine Halle ist das, das ist Gottes Heiligtum, Gott wird sein Heiligtum nicht zerstören lassen!« TS1.1, TS2.1 658,16-17 die man besitzen kann] der man sicher sein kann, die man haben, die man besitzen kann, deren Besitzes man bewusst sein kann TS1.1, TS2.1 658,19 Sie ist nicht] Die Erwählung ist nicht ein Besitz, die Erwählung ist nicht etwas, was man bekommen hat TS1.1, TS2.1 658,21 Augenblicken] verhängnisvollen Augenblicken TS1.1, TS2.1 658,24 Wort] Wort, das die Erwählung ankündigt: so spricht Gott – und das Wort scheint in einem Gegensatz zu stehen zu jenem Wort: – Seid ihr nicht wie die Mohren, Söhne Jsraels) und dennoch ist es kein Gegensatz, sondern unmittelbar dessen Ergänzung TS1.1, TS2.1 658,25 eure Verfehlungen.] ergänzt Seid ihr mir nicht wie die Mohren? und doch: Euch nur habe ich auserkannt. TS1.1, TS2.1 658,32 wahr macht] wirklich macht. Darum ordne ich euch zu alle eure Verfehlungen, Das ist die Erwählung TS1.1, TS2.1 658,33 wir erfahren] ergänzt Strenger, härter als alle Geschicke der anderen. Es ist gefordert, es ist auferlegt. So streng, so hart ist es gemeint und wird es getan. TS1.1, TS2.1 659,15 wahre Gemeinschaft,] ergänzt ein wahres Menschenvolk werde, eine Menschheit TS1.1, TS2.1 659,30-31 erwählt worden, daß es die Einheit] erwählt worden, dass es mit der Volkwerdung beginne, die Einheit TS1.1, TS2.1 659,32 Einheit, Gemeinschaft] Einheit, Zusammenhang, Zusammenschluss, Gemeinschaft TS1.1, TS2.1

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659,36-37 damit wie die Glieder] was das ist, Gemeinschaft der Verschiedenen, es den Völkern vorzuleben, damit die Völker so wie die Glieder TS1.1, TS2.1 Wort- und Sacherläuterungen: 652,10 »Dämonen«] Die Dämonen, Roman von Fjodor Dostojewski (1821-1881) aus dem Jahr 1873. 654,18-19 die Philister aus Kaphter und die Syrer aus Kir?] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 102,15 u. 102,16. 654,21 Aramäer] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 102,16. 654,40 (Jes. 19)] Vgl. Jes 19,24: auch zitiert in der Wort- und Sacherläuterung zu 108,27. 655,22-26 Gewiß spricht Gott […] »Mein Knecht«] Kyros II (um 600530 v. Chr.), auch Kyros der Große. Vgl. zur Tat des Kyros und seiner Bezeichnung als »Hirte« und »Gesalbter« Jes 44,28 bzw. Jes 45,1 und die Wort- und Sacherläuterung zu 667,10-11. Jer 25,9 bezeichnet den Nebukadnezar, der ab 605 v. Chr. König von Babylon war, als »meinen Knecht«, dem Juda untertan sein soll. 655,40 haggadischen Literatur] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 97,1-2; unter die haggadische Literatur fallen hauptsächlich Midraschim (zu Midrasch vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 91,12-13). 656,7-8 der große Handel zwischen Jakob und Esau] Vgl. Gen 27,1-40. 656,9-12 Der Midrasch erzählt […] seinem Auge haften geblieben.] Vgl. Gen 27,34-38; mehrere Midraschim erzählen von den drei Tränen Esaus; vgl. z. B. Midrasch Tehillim zu Ps 80,6; Midrasch Tanchuma (Buber) Toldot, zu Gen 27,34; vgl. auch Buber, Der große Maggid und seine Nachfolge, darin der Abschnitt »Die Tränen Esaus«, jetzt in: MBW 18.1, Nr. [328]. 656,12 In einem kabbalistischen Text] Gemeint ist der Sohar (hebr. »Glanz«), das gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstandene Hauptwerk der Kabbala; vgl. Sohar II, 12b: »Jene Tränen, die Esau weinte, brachten Israel ins Exil. Wenn jene Tränen versiegen, durch Israels Weinen wird es aus dem Exil erlöst werden.« 656,18-19 Die zweite große […] Israel und Ägypten.] Vgl. Ex 14. 656,19-22 Davon sagte der Midrasch […] und ihr wollt jubeln?] Vgl. Ex 14,28. Der hier von Buber wiedergegebene Midrasch stammt aus dem Babylonischen Talmud, vgl. bMeg 10b (BT, Bd. IV, S. 40) sowie bSan 39b (BT, Bd. VIII, S. 615). 656,29-30 der Kampf Davids mit dem Philister Goliath] Vgl. I Sam 17. 656,30-33 Da wird im Midrasch […] zu Freunden zu machen.] Bubers Quelle war nicht zu ermitteln.

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656,41-657,7 Der Heilige, gesegnet […] goj zaddik.] Vgl. Midrasch Schemot Rabba XIX zu Ex 12,43 und Sifra zu Lev 18,5; goj zaddik, hebr. »gerechte Volk«, »bewährte Volk«; zur Bedeutung von goj als »Volk« siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 107,35-108,1. 657,22-28 Die Haggada drückt das so aus […] (naasse we nischma)] Vgl. Midrasch ha-gadol zu Dtn 33,2. 657,39-40 Spruch aus dem 5. Buch Mose] Vgl. Dtn 7,7. 658,2-8 Dies aber wird in einer Talmudstelle […] und kein Mensch.] Vgl. Talmud Traktat Chullin: bChul 89a (BT, Bd. XI, S. 272 f.). 658,11-16 die Tempelrede Jeremias […] wird zerstören lassen.] Vgl. Jer 7. 658,24-25 Euch allein habe ich auserkannt […] alle eure Verfehlungen.] Am 3,2. 658,34-39 Als Gott dem Propheten Hosea […] we-anochi lo ehje lachem] Vgl. Hos 1; bes. Vers 9. 659,1-4 als Gott im brennenden Busch […] bei euch je und je] Zu Gottes Rede an Moses aus dem brennenden Dornbusch, vgl. Ex 3, hier bes. Ex 3,14; vgl. auch Buber über den Namen Gottes, »ehje ascher ehje«, in: »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 104; das Kapitel »Der brennende Dornbusch«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 382-397; Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 163168 (u. a.); Buber, »Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnamen in Ex. 3,13 vorhanden?«, in diesem Band, S. 713-716. 659,16-20 die Flut und das Versagen […] Zerstreuung über sie bringt.] Vgl. Gen 7-11,8. 659,27-28 erwählt Gott e i n e n Menschen als Vater eines Volkes] Vgl. die Erwählung Abrams, Gen 12,2-3. Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? (Fassung B) Bei diesem im Vergleich zur Fassung A deutlich kürzeren Text unter der Überschrift »Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ?« handelt es sich möglicherweise um eine Vorarbeit von Fassung A. Nach kurzen Prolegomena zur Bibelinterpretation, in denen Buber die Möglichkeit verteidigt, die biblischen Texte, auch wenn sie zu unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlichen Verfassern entstanden sind, als eine zu einem einheitlichen Ganzen gewordene Glaubenslehre zu behandeln (vgl. auch den Kommentar zu »Abraham der Seher«, in diesem Band, S. 818-826), äußert er anhand ausgewählter Bibelstellen (Amos 3,2; 9,7; Hosea 1,3; Gen 12,1-3; Ex 19,3-6) seine Überlegungen

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zur Frage der Auserwählung Israels und stellt seine Überzeugung dar, dass Erwählung, die sich einem »Gnadenakt Gottes« (in diesem Band, S. 663) verdankt, nicht Sicherheit bedeute, sondern an die Erfüllung des Bundes mit dem heiligen Gott gebunden sei, der Israel durch die Gabe der Tora zu seinem »Sonderschatz« gemacht habe (ebd., S. 665). Auch in dieser kürzeren Fassung von Bubers Auserwählungsvortrag nimmt er – wie dann in der endgültigen Vortragsfassung (Fassung A) und später in seinem Aufsatz »Die Erwählung Israels« – zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen die beiden scheinbar gegensätzlichen Verse Amos 9,7 und Amos 3,2. Gottes Gnadenakt der Befreiung und Erwählung Israels ist nur dann angemessen erfasst, wenn er im Sinne eines »nationale[n] Universalismus« (in diesem Band, S. 102) als Mittel zur Herbeiführung einer menschheitlichen Gemeinschaft verstanden wird. Textzeuge: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 68); 4 lose Blätter, doppelseitig beschrieben, ohne Korrekturen. Druckvorlage: TS Wort- und Sacherläuterungen: 662,29 rak esʾ chem] Hier liegt offenbar ein Fehler im Typoskript vor – es muss lauten: rak etʾ chem (‫)רק אתכם‬, »nur euch«. 662,34-35 Im Talmud Traktat Chulin […] nicht überhebt.] Vgl. bChul 89a; vgl. auch oben, S. 658. 663,10-13 Dieses ehjeh wäre nicht […] bei euch da sein.] Vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 659,1-4. 663,29 Tewua] Buber übersetzt in Jer 2,3 »Anfangsteil«, Luther übersetzt, der hier von Buber gegebenen Worterläuterung nahekommend, mit »Erstlingsfrucht«. 663,40 lech lecho] Hier liegt offenbar ein Fehler im Typoskript vor – es muss lauten: lech lecha, »Geh hinweg«; vgl. Gen 12,1: Abrams Berufung und der Befehl Gottes an ihn, sein Heimatland zu verlassen und wegzuziehen; in der wöchentlichen Toralesung wird auch der gesamte Abschnitt Gen 12-17 »Lech Lecha« genannt. 664,13 goj und am] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 107,35108,1. 664,20 reschit tewua] Hebr. »Anfang einer Ernte«; vgl. unten, S. 666,3-4. 665,1-2 »Selber habt ihr […] euch zu mir.«] Ex 19,4. 665,7-9 »Und jetzt, hört […] ein Sonderschatz.«] Ex 19,5. 665,11 brit] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 103,24.

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665,13 Segula] Hebr. »Sonderschatz«; in seinem Aufsatz »Die Erwählung Israels« gibt Buber eine genauere Erläuterung des gesamten Adlerspruchs (Ex 19,4-6) und seiner zentralen Begriffe, vgl. in diesem Band, S. 109 f. 665,18-19 »Denn zwar mir gehört […] wegoj kadosch.«] Ex 19,5-6; vgl. die vorangegangene Wort- und Sacherläuterung; vgl. auch Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 183. 666,2 beracha] Hebr. »Segen«. 666,7-8 Die Stelle in der grossen Tempelrede […] Gottes Tempel … usw.«] Vgl. Jer 7, bes. Jer 7,4. Zweierlei Jesaja Dieses vierteilige Typoskript stellt die Mitschrift einer Arbeitsgemeinschaft dar, die Buber in vier Sitzungen im Winterlehrgang 1937 (18. Januar bis 20. März) des von ihm 1933 wieder eröffneten Frankfurter Jüdischen Lehrhauses zum Thema »Die jesajanische und die ›deuterojesajanische‹ Verheißung« veranstaltete (vgl. Rita van de Sandt, Martin Bubers Bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 168). Arbeitsgemeinschaften waren Formen des Lernens, die typisch für die in den 1920er Jahren sich entwickelnde jüdische Erwachsenenbildung und besonders für die sich ebenfalls in dieser Zeit an verschiedenen Orten bildenden Jüdischen Lehrhäuser war. Im Unterschied zum reinen Vortragswesen charakterisierte die aktive Mitarbeit der Teilnehmer die Arbeitsgemeinschaften. Buber bevorzugte während seiner Tätigkeit am Lehrhaus stets diese dialogische Lehrmethode, die auf dem Meinungsaustausch und Dialog zwischen dem Vortragenden und den Zuhörern aufbaute. Die Mitschrift der Arbeitsgemeinschaft zu Jesaja verzeichnet auch die Einwürfe und Antworten der Teilnehmer (im Original in Klammern, im vorliegenden Druck in Petit gesetzt). Diese sind im Vortragstext in der Regel anonym festgehalten, die einzige Ausnahme bildet ein gewisser »Strauss«, dessen Äußerungen offenbar eine besondere Rolle spielten. Mit »Strauss« ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der promovierte Chemiker und Bibelforscher Eduard Strauss (1876-1952) gemeint, der im Jüdischen Lehrhaus auch selber Arbeitsgemeinschaften zum Bibelstudium leitete und gemeinsam mit Martin Buber, Franz Rosenzweig und Richard Koch das erste von Rosenzweig 1920 gegründete Freie Jüdische Lehrhaus in Frankfurt bis zu dessen Auflösung nach Rosenzweigs Tod im Dezember 1929 geleitet hatte. Strauss blieb dem Lehr-

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haus auch während der Nazi-Zeit verbunden, bevor er 1938 über Italien nach New York emigrierte. In seinem Nachlass, der vom Leo Baeck Institute New York aufbewahrt wird, finden sich auch Notizen zu einer undatierten »Jesaja-Vorlesung« (AR 7192 III.1, 4/35). In der Arbeitsgemeinschaft erörtert Buber, ausgehend von dem Kommentar des mittelalterlichen jüdischen Bibelexegeten Abraham Ibn Esra (ca. 1089-1164) zu Jesaja, die Frage, inwiefern das Jesajabuch – bei zwei offenkundig unterschiedlichen Verfasserschaften – gleichwohl eine tiefe Einheit widerspiegeln könne. (Einen Tritojesaja, auf den die Kapitel 56 bis 66 zurückgehen, wie ihn die zeitgenössische bibelwissenschaftliche Forschung postulierte, lehnt er ab.) Buber weist auf klar erkennbare Parallelen in der Sprache, d. h. in der Wortwahl zwischen Protojesaja (dem Propheten des 8. Jahrhunderts) und dem sog. Deuterojesaja (dem späteren namenlosen Propheten) hin, ungeachtet der deutlichen stilistischen Unterschiede der beiden Teile. Diese Synchronität von Ähnlichkeiten in der Sprache und Unterschieden im Stil dient Buber als Argumentationsgrundlage für seine These, trotz unterschiedlicher Autorenschaft bestehe ein enger Zusammenhang zwischen beiden Teilen des biblischen Buches. Im Dialog mit den Teilnehmern der Arbeitsgemeinschaft arbeitet Buber in einem weitgespannten Bogen das Wesen dieser inneren Einheit heraus und begründet so die Legitimität der Lektüre der »zweierlei« prophetischen Traditionen als ein biblisches Buch mit einer dynamisch aufeinander bezogenen theologischen Botschaft. Das in der zeitgenössischen Bibelkritik herrschende »wissenschaftliche Chaos« (in diesem Band, S. 674) aus widersprüchlichen Hypothesen zum Charakter von Jes 4066 rechtfertige, so Buber, einen gegenläufigen Ansatz: eine unbefangene Lektüre, die in philologischer Hinsicht den Gegensatz zwischen dem ausholenden, lyrischen Stil Deuterojesajas und jenem Jesajas erkenne, der ein »knapper, harter, strenger, zündend redender« (ebd., S. 676) sei, die sich jedoch historisch und theologisch vor Augen führe, dass das kanonische Buch Jesaja nicht willkürlich, sondern aufgrund der »Erfahrung einer grossen die Zeiten mit einander verbindenden Wirklichkeit« (ebd., S. 712) zusammengefügt worden sei. Bubers These und Argumentation ähneln unverkennbar seinen Ausführungen in dem kurzen Aufsatz »Zum Einheitscharakter des Jesajabuches«, den er für die Festschrift zum 70. Geburtstag Armand Kaminkas verfasste und der im November 1936, wenige Monate vor dieser Arbeitsgemeinschaft, vorab gedruckt wurde (in diesem Band, S. 99-101). Dort will Buber die Frage »nach dem inneren Zusammenhang der Teile« des Jesajabuches neu stellen (ebd., S. 99). Er selbst kommt im Verlauf seiner Ausführungen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft auf Kaminkas

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These zu sprechen, das Jesajabuch sei das Werk eines einzigen Verfassers. Wie in seinem Aufsatz nimmt auch in den hier vorliegenden Ausführungen Bubers das Leitwort Limud (»Lehrling« oder hier im Kontext auch »nachgeborener Jünger«) eine Schlüsselstellung innerhalb seiner Argumentation ein. In ihm finden Buber zufolge die »tiefe Wirklichkeit« (ebd., S. 712) der Einheit des Jesajabuches und somit der Grund für die Verbindung der Worte Jesajas mit jenen des späteren namenlosen Propheten ihren Ausdruck. Aufgrund der engen Parallelen in Bubers Argumentationsstruktur in beiden Texten scheint die Annahme berechtigt, dass ihm sein Aufsatz »Zum Einheitscharakter des Jesajabuches« als Grundlage für die Diskussion in der Arbeitsgemeinschaft diente. Im Kontext der biblischen Schriften Bubers weist das Typoskript enge Bezüge zu dem 1932 vollendeten Werk Königtum Gottes auf, insbesondere dort, wo das Thema der messianischen Verheißung – und in diesem Zusammenhang die Frage nach der Rolle Israels und jener Gottes als des Melekh von Israel – aufgegriffen wird (S. 709 ff., vgl. Königtum Gottes, jetzt in: MBW 15, S. 93-276), und nimmt Reflexionen über die Prophetie Jesajas und Deuterojesajas vorweg, die später Eingang in seinen Kommentar Der Glaube der Propheten finden sollten (in diesem Band, bes. das Kapitel »Die theopolitische Stunde«, S. 252-279 und »Das Mysterium«, S. 321-350; vgl. den Einzelkommentar zu Der Glaube der Propheten, S. 860). Interessant ist, auf welche Weise Buber im Medium der Erörterung der inneren Einheit der beiden Teile des Jesajabuches mehrere zentrale Elemente seiner historisch-theologischen Interpretation der Botschaft Jesajas und Deuterojesajas diskutiert und als Belege seiner These heranzieht. Jesaja erscheint als der Prophet, der – im Gegensatz zum trügerischen Vertrauen auf die Bündnisse mit den Weltmächten und zu einem fehlgeleiteten »Gottvertrauen«, das auf den Besitz des Heiligtums als der Gegenwart Gottes setzt (in diesem Band, S. 686) – auf die Umkehr zu Gott drängt, darauf, Gottes Willen nachzuleben, als Volk Israel eine vorbildhafte Gemeinschaft zu schaffen; über seine andeutenden Aussagen über die von Gott verhängte Katastrophe des Exils hinaus hinterließ der Prophet ein messianisches Vermächtnis, vermittelt durch die Limudim, das von dem späteren namenlosen Propheten in einem völlig anders gearteten geschichtlichen Kontext aufgenommen wurde: Die Botschaft Deuterojesajas, des »Nachgeborene[n], um Jahrhunderte Getrennte[n]« ist die »eines Menschen, der in einer anderen Situation als die Jesaia eigentlich bewusst ansagte, an seine Worte als ein in Erfüllung Gehendes anknüpft, in der Situation, die eigentlich objektiv im Innersten des Prophetenwortes Jesaias gemeint ist und also rechtmäßig anknüpft« (ebd.,

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S. 690). Der namenlose Prophet findet ein mutloses, verängstigtes Volk im Exil vor und verkündet ihm die Hoffnung auf einen Gott, der sein Volk nicht verlässt, der nicht nur die geschichtliche, sondern auch die spirituelle Not aufzuheben verheißt, unter dessen Führung sich der zweite Exodus, die »Heimkehr aus räumlichem Exil in räumliche Heimat« vollziehen wird (ebd., S. 702). Die Katastrophe des Exils führt Deuterojesaja, ganz im Sinne Jesajas, darauf zurück, dass das Volk Israel sich von Gott nicht führen ließ, ihn nicht als Melekh anerkannte, lässt aber nun als Trostbotschaft wie kein anderer Prophet verlauten, was inmitten der historischen Wirklichkeit aufscheint: »Gott der König von Israel« (ebd., S. 704). Die innere Einheit zwischen den beiden Teilen des Jesajabuches besteht letztlich darin, dass Deuterojesaja zwar die Katastrophe, von der Jesaja spricht, »geschichtlich anders lokalisiert«, nämlich im babylonischen Exil statt in der Bedrohung durch Assyrien, und doch das in seiner Zeit Geschehende, die »Anerkennung des Königtums Gottes über Israel«, als Erfüllung des einst von Jesaja Angesagten versteht, wenn auch in anderer Gestalt (ebd., S. 706). Der Text endet mit einer Deutung der Figur des »Knechts« in Jes 52,13-53,12, den Buber hier, wie schon in den 1920er Jahren in seinem aus der Arbeit des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt hervorgegangenen Text »Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas« (in diesem Band, S. 614-618), als Gegenbild zu allen geschichtlichen Machthabern beschreibt, und zwar nicht als einmalige geschichtliche Person, sondern als Verkörperung einer »Menschenart«, die »im Verborgenen, in der dunkeln Verborgenheit, der heimlichen Geschichte von Geschlecht zu Geschlecht geht« (ebd., S. 708). Auch damit, so Buber, knüpft Deuterojesaja an Jesajas Verheißung der nationalen Befreiung an, verwandelt sie aber in die Kunde einer universalen »Menschheitserlösung« durch die Leiden der »durch die Geschichte Israels Geschlecht um Geschlecht hindurchgehenden Lebenden, ihr Leben durchleidenden und so sterbenden Menschen, deren Reihe hinführt bis zur Erfüllung in Einem, der zugleich ihrer Reihe angehört, aber ihre Reihe schliesst und vollendet« (ebd., S. 709). Wichtig ist Buber, dass diese Verwirklichung und Vollendung des Königtums Gottes nicht durch göttliche Macht erfolgt, sondern dem Menschen obliegt, dass der geschichtsmächtige Gott, statt zu zwingen, die Freiheit des Menschen, auch jene, sich ihm zu widersetzen, zulässt, und dass auch die menschliche Verwirklichung nicht durch Machtentfaltung erfolgt, sondern durch das »Leiden des Knechtes im Dunkeln« (ebd., S. 711). In seiner kurzen, diskreten Kritik der christlichen Deutung des »Knechts« als des eingeborenen Sohnes Gottes, zielt er auf das, was ihm

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Einzelkommentare

als zentrales Missverständnis des Christentums erschien, insofern es den von Geschlecht zu Geschlecht fortgeschriebenen Beitrag des Menschen zur göttlichen Erlösung durch die Identifikation mit dem einmalig stellvertretend leidenden Jesus Christus ersetzt, damit jedoch den Sinn des Messianischen verfehlt: »Dann ist die Erlösung damals geschehen. Und was bedeutet die unerlöste Welt seither?« (Ebd., S. 712.) (Zu Bubers Deutung des »Gottesknechts« und dem Zusammenhang mit seiner Kritik des Christentums siehe den Einzelkommentar zu dem Text »Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas«, S. 1163 ff.). Textzeuge: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56a); 62 lose Blätter, einseitig beschrieben; ohne Korrekturen. Der Titel wurde per Hand nachgetragen. Druckvorlage: TS Variantenapparat: 703,12 Blossgestreift] berichtigt aus Blossgestreigt Wort- und Sacherläuterungen: 667,3 Arbeitsgemeinschaft] Die Bezeichnung »Arbeitsgemeinschaft« findet sich für die meisten Veranstaltungen im Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt; sie macht deutlich, dass die Art der Veranstaltung nicht dem reinen Vortragswesen entsprechen wollte, sondern die aktive Mitarbeit der Teilnehmer im Dialog mit dem Referenten anstrebte. 667,10-11 dass die Weisungen […] geschrieben sein dürften] Der Perserkönig Kyros II. oder auch Kyros der Große eroberte Babylon im Jahr 539 v. Chr. Das Volk Israel, das seit 586 v. Chr. nach der Zerstörung des Reiches Juda und des ersten Tempels in Jerusalem im babylonischen Exil lebte (die Oberschicht wurde bereits ca. ab dem Jahr 597 v. Chr. exiliert), kam somit unter persische Herrschaft. Per Edikt gewährte Kyros dem Volk Israel 538 v. Chr. die Rückkehr aus dem Exil. Jes 44,28 und 45,1 bezeichnen Kyros als »Hirte« und »Gesalbter« Gottes, der das Volk Israel aus dem Exil zurück bringen und Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen wird. Hiskia (um 750696 v. Chr.) war ab 725 v. Chr. König von Juda und lebte somit ca. 150 Jahre vor Kyros. In seine Regierungszeit fällt die Zeit der Prophetie Jesajas.

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667,18-19 Ibn Esra […] Andeutungen finden] Abraham Ibn Esra (ca. 1089-1164) war ein spanischer Rabbiner, Bibelexeget, Grammatiker, Philosoph, Poet, Astronom und Arzt; unter den Schriften seines umfangreichen Werks nehmen seine bibelexegetischen Schriften einen bedeutenden Stellenwert innerhalb der rabbinischen Bibelauslegung ein. Zu den »Andeutungen«, die sich bei Ibn Esra hinsichtlich der Annahme von zwei verschiedenen Autoren für den ersten und den zweiten Teil des Jesaja-Buches finden, vgl. The commentary of Ibn Ezra on Isaiah, edited from mss. and translated, with notes, introductions and indexes, by M. Friedländer, London 1873 (reprint New York 1964), S. 170; der lat. Ausdruck, den Buber hier auf Ibn Esra bezieht, bedeutet »ein freier Mann des Geistes«. 667,23 Döderlein-Eichhorn] Johann Christoph Döderlein (1746-1792), Professor der Theologie zuerst in Altdorf, später an der Universität Jena. 1781 formulierte Döderlein erstmals die Hypothese, dass es sich von Jesaja, Kap. 40 an um einen späteren, einen exilischen Verfasser handeln müsse; in dem von ihm herausgegebenen Rezensionsjournal Auserlesene Theologische Bibliothek schreibt er: »Noch ließe sich fragen: ob es nicht sehr glaublich sey, daß dieser ganze Abschnitt erst während des Babylonischen Exils sey niedergeschrieben worden?« (Auserlesene Theologische Bibliothek, hrsg. von Johann Christoph Döderlein, 4 Bde., Leipzig 1780-1792, Bd. 1, S. 832). Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827), Philologe und Historiker, Professor für orientalistische Sprachen zuerst in Jena, dann in Göttingen; in seiner Einleitung in das Alte Testament (Leipzig 1780-1783) nahm Eichhorn die These Döderleins, ohne diesen zu benennen, auf und führte sie weiter aus: »Ferner, je öfter ich die Orakel vom vierzigsten bis zwey und funfzigste Kapitel des Jesaias lese, desto weniger will es mir einleuchten, daß sie vor dem Babylonischen Exil abgefaßt seyn sollten. […] In der genannten Reihe von Orakeln (Jes 40-52) ist überall das Babylonische Exilium die Scene, die zum Grunde liegt; der Dichter spricht, als lebte er im Exil, als spräche er zu Exulanten, welche bey der Zögerung ihrer Wiederkehr ins Vaterland schon verzweifeln, ob auch die Verheißungen ihrer alten Propheten in Erfüllung gehen würden. Sollte nicht der Verfasser der darin enthaltenen tröstlichen Verheißungen im Exil selbst gelebt haben?« (Johann Gottfried Eichhorn, Einleitung in das Alte Testament, 4. Auflage, Göttingen 1824, Bd. 4, S. 89-90.) 668,34-35 Baale teschuwa] Hebr. teschuwa, »Reue«, »Umkehr«; Buber übersetzt in der Regel mit »Umkehr«; teschuwa ist ein zentraler Bestandteil der biblischen und talmudischen Lehre des Judentums und

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wird von Buber in zahlreichen seiner Schriften thematisiert (vgl. z. B. im vorliegenden Band, Buber, Der Glaube der Propheten, S. 233-235; 250-251); baal teschuwa beschreibt eine Änderung in der Lebensweise: die Umkehr von einem Leben ohne Bindung an Gott hin zu baal, in der allg. Wortbedeutung von »Herr«, »Besitzer«, d. h. Umkehr zu einem Leben im Befolgen der Gebote Gottes. 669,1 Nowi] Für hebr. nabi, »Prophet«. 669,3 Strauss] Vermutlich Eduard Strauss (1876-1952), Chemiker und Religionswissenschaftler; Strauss war von 1920 bis 1938 als Dozent am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt tätig, wo er u. a. Arbeitsgemeinschaften zum Bibelstudium leitete und wöchentliche ToraVorlesungen gab. Ab Herbst 1923 war Strauss auch an der Leitung des ersten von Franz Rosenzweig gegründeten Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt beteiligt, das sich nach Rosenzweigs Tod im Dezember 1929 auflöste. Aufsätze von Strauss erschienen u. a. in Bubers Monatsschrift Der Jude. 669,22-23 Die zwei Stellen […] Cyros genannt wird] Gemeint sind die Stellen Jes 44,28 und Jes 45,1, die Kyros explizit als denjenigen nennen, der dem Volk Israel die Rückkehr aus dem Exil gewährt. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 667,10-11. 669,31 In der Quellenscheidung der Genesis.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11. 671,14-15 Kaminka […] Arbeit über Jesaja] Armand Kaminka, Le prophète Isaïe. Nouvelles recherches sur le développement de ses idées et l’unité de son livre, Paris 1925; zu Kaminkas 70. Geburtstag erschien eine Festschrift, in der Buber mit seinem Aufsatz »Zum Einheitscharakter des Jesajabuches« vertreten war; jetzt im vorliegenden Band, S. 99-101; vgl. die Wort- und Sacherläuterung 99,Anm. 1 und 99,1. 673,31-32 »The second Jesaia« von Tory] Tory: verschrieben für Torrey, vgl. Charles Cutler Torrey, The Second Isaiah. A new Interpretation, Edinburgh 1928. 674,40-675,5 »Der Prophet […] der Rückwandernden«] Ludvig Glahn u. Ludwig Köhler (Hrsg.), Der Prophet der Heimkehr (Jesaja 40-66), Kopenhagen u. Gießen 1934; Wilhelm Caspari, Lieder und Gottessprüche der Rückwanderer (Jesaja 40-55), Gießen 1934 (= Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 65). 676,40 Botschaft an Sanherib] Sanherib (ca. 745-681 v. Chr.), von 705681 v. Chr. König von Assyrien; Jes 36-37 berichtet, wie Sanherib ca. 701 v. Chr. in der Regierungszeit des Königs Hiskia mehrere judäische Städte eroberte und anschließend Jerusalem belagerte; nach bi-

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blischem Bericht erkannte Hiskia, der zuerst auf die Hilfe Ägyptens gebaut hatte, schließlich den Gott Israels als den einzigen Retter gegen Sanherib, und als Antwort auf seine eindringlichen Gebete brachte der Engel JHWH’s in der Nacht 185.000 assyrische Soldaten um und Sanherib war zum Rückzug nach Assyrien gezwungen; die Sprüche Jesajas gegen Sanherib in Jes 37,22-29, 33-35. 678,2-15 Zu verfetten nur […] ein Zehnteil derer …] Vgl. Jes 6,10-13. 678,22-23 Und was sind […] Zeichen, Erweise.] Die Bibel erwähnt zwei Söhne Jesajas, die beide zeichenhafte Namen tragen; der erste Sohn heißt »Rest-kehrt-um«, der zweite Sohn »Eilebeute-Raubebald«; vgl. Jes 7,3-4: »ER aber sprach zu Jeschajahu: Zieh doch hinaus, Achas entgegen, du und Rest-kehrt-um dein Sohn, ans Ende der Rinne des oberen Teichs, an der Straße zum Wäscherfeld, und sprich zu ihm: […]« und Jes 8,3-4: »Als ich dann der Kündersfrau nahte, sie schwanger wurde, sie einen Sohn gebar, sprach ER zu mir: Rufe seinen Namen Eilebeute-Raubebald, denn ehe der Knabe weiß zu rufen: Mein Vater, meine Mutter, trägt man das Vermögen Damaskens und die Beute Samarias vor den König von Assyrien.« Vgl. auch unten, S. 688. 679,4 eigentümlichen Sache vom Tod des Königs Hosea] Fehler im Textzeugen; es muss heißen: Tod des Königs Usijahu (bzw. nach Luther: Usija); König Usija wurde bis zu seinem Tod mit Aussatz geschlagen, weil er auf dem Höhepunkt seiner Macht hochmütig wurde und sich gegen Gott erhob; vgl. II Chr 26,16-22. 680,19-20 seit David sie in Bezug auf Salomo gebrauchte] Vgl. I Kön 1,35. 680,20-23 mit der David selbst […] zu wählen bekomme.] Vgl. I Sam 16,6-12. 680,35 Berufungsgeschichte] Jes 6. 680,37-38 mit den beiden Begriffen Herz – Ohr, Ohr – Herz] Vgl. Jes 6,10: »Zu verfetten ist das Herz [‫ ]לב‬dieses Volks, seine Ohren [‫]אזניו‬ zu verstumpfen, seine Augen zu verkleben, sonst könnte es mit seinen Augen sehn, mit seinen Ohren [‫ ]אזניו‬hören, in seinem Herzen [‫ ]לבבו‬unterscheiden, umkehren und Genesung würde ihm!« 681,29-30 wahrscheinlich ein alter […] von den 65 Jahren] Vgl. Jes 7,8; vgl. auch Buber, Bemerkungen zu Jesaja, in diesem Band, S. 71. 681,38-682,1 wenn ihr nicht vertraut, dann besteht ihr nicht] Jes 7,9. 682,2-5 Was bedeutet eigentlich […] sie waren emunah.] Zu der von Buber bezeichneten Begebenheit vgl. Ex 17,8-13; hebr. emunah, ‫אמונה‬, stammt von der Wort-Wurzel ‫( אמנ‬alef, mem, nun) und bedeutet eine Grundhaltung von Vertrauen, Treue, Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit;

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Buber-Rosenzweig übersetzen den von Buber hier angesprochenen Vers Ex 17,12: »Es blieben seine Hände in Treuen, bis die Sonne einging.« Vgl. auch zu diesem Vers Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 430: »Emunah bedeutet hier geradezu: zuverlässiges Signal.« 682,10-11 2. Buch Chronik, 20. Kapitel, 20. Vers.] »Am Morgen machten sie sich früh auf und zogen nach der Wüste Tekoa. Als sie auszogen, trat Jehoschafat vor und sprach: Hört mich, Jehuda und Insassen Jerusalems! vertraut IHM, eurem Gott, und ihr bleibt betreut, vertraut seinen Kündern, und ihr habt Gelingen!« 683,2-9 Das Kind soll selber […] darstellen sollen.] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 678,22-23. 683,21-23 Wasser der Schiloa […] sachte geht, verachtet.] Vgl. Jes 8,67: »Weil aber dieses Volk verachtet hat die Wasser der Schiloachleitung, die sachte gehn, und ums Ergötzen an Rzin und dem Remaljahusohn, darum, wohlan, läßt mein Herr herübersteigen, über sie her, die Wasser des Stroms, die mächtigen, vielen – den König von Assyrien und all seine Wucht«. Der Kanal oder auch Teich von Schiloa befindet sich in Jerusalem in der Nähe der sog. Davidsstadt, dem ältesten besiedelten Teil Jerusalems, und wurde von der Gihonquelle im Kidrontal, das zwischen Tempelberg und Ölberg liegt, gespeist; die Schiloachleitung stellte die Wasserversorgung Jerusalems sicher. 686,36-37 Diese Bezeugung soll man zoi, einbündeln.] Vgl. Jes 8,16. 687,11 Limudim] Zu den limudim und zu Jes 8,16 vgl. auch Buber, Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, in diesem Band, S. 99-101; bes. S. 99 f. 688,34-35 »Harren will ich […] Haus Jaakob verbirgt …«] Jes 8,17. 689,23-30 Was, zu Geistern […] dann zur Bezeugung] Vgl. Jes 8,19-20. 693,26-694,22 »Das Volk, in Finsternis […] nicht König genannt wird.] Für die Zitate in diesem Abschnitt vgl. Jes 9,1-6. 694,3 Gideons Sieg über Midian.] Vgl. Ri 7. 694,24 Die Geschichte mit […] König zu wählen.] Vgl. I Sam 8. 694,25-27 Nagid. Es wird […] Ausdruck Melech vermieden] Zur Bedeutung von nagid und zur Abgrenzung des Ausdrucks nagid von melech im Kontext der Königssalbung vgl. Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 199-202, sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 199,11. 694,37 wajikra] »Und er rief«, Jes 9,5; Wajikra ist auch der Name einer Parascha, eines Abschnitts der wöchentlichen Tora-Lesung (Lev 1,15,26) und der hebräische Name des Buches Levitikus.

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695,3-9 Wo gibt es […] Geheimnisnamen nennt man.] hebr. schem und pele sind hier zu übersetzen mit »Name« und »Wunder«; zu der Begegnung von Simsons Vater mit dem Engel vgl. Ri 13,17-18. 695,14 10. Kap. 21. Vers] Jes 10,21: »Ein Rest kehrt um, Jaakobs Rest, zum heldischen Gott.« 696,8-9 Dann fährt ein Reiss auf aus dem Strunke Isais.] Jes 11,1. 696,16 Ruach] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 62,10-15. 696,20-21 »Dann hauset der Wolf […] an jenem Tag …«] Jes 11,6 u. 10. 697,20-21 »Banner der Völker […] meines Heiligtums …«] Jes 11,10. 697,22-23 Fest gegründet ist der Berg seines Hauses.] Jes 2,2. 699,33-34 dass er wie kein anderer Prophet in Leitworten spricht] Vgl. auch Buber über die Verwendung von »Leitworten« im Jesajabuch, in: Buber, Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, in diesem Band, S. 99,15-20; vgl. auch Buber, Die Erwählung Israels, in diesem Band, S. 104,7-8. 700,3-8 Fürchte dich nimmer […] Heilige Judas ist’s.] Vgl. Jes 41,10 u. 14. 700,9-11 »Jetzt aber […] mit Namen berufen.«] Jes 43,1. 701,8 43,20] Jes 43,20: »das Wild des Feldes wird mich verehren, Schakale und Strauße, daß in die Wüste ich Wasser gab, Ströme in die Einöde, mein Volk, meinen Erwählten zu erquicken«. 702,4-5 In der Wüste bahnet […] für unseren Gott.«] Jes 40,3. 702,11 Weichet, weichet, fahret von dort aus] Jes 52,11. 707,19-21 »Er machte meinen Mund […] mich versteckt dort …«] Jes 49,2. 708,5-6 Da steht der Plural: Tode] Vgl. Jes 53,9: »Man gab sein Grab neben Frevlern an, neben Übeltätern bei seinen Toden, obgleich er nie Unbill getan hatte, Betrug nie in seinem Mund war …«. 708,33-34 Ich bin da […] nicht einem anderen.] Jes 42,8. 708,39-709,1 Er spricht zu mir […] prangen darf] Jes 49,3. 709,7-10 Jetzt aber hat er […] Rand des Erdenreichs.] Jes 49,5-6. 710,18 (53,11)] »Der Pein seiner Seele los wird er sehen, wird ersatten an dieser seiner Erkenntnis: Bewähren sollte die Vielen der Bewährte, mein Knecht, indem er ihre Fehle sich auflud«. 711,37 wo bei Cäsarea Philippi Jesus sich sagen lässt, er sei der Sohn Gottes] Cäsarea Philippi, ein am Fuß des Hermongebirges an der Quelle eines der drei Quellflüsse des Jordan gelegener Ort, der diesen Namen z. Zt. der römischen Herrschaft in Palästina erhielt. Die urspr. Bezeichnung war griech. paneas, zurückgehend auf ein Heiligtum des Gottes Pan, das sich in hellenistischer Zeit dort befand; später wandelte sich der Name des Ortes zu Arabisch banyas, die bis

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heute gültige Bezeichnung. Nach der Überlieferung des Neuen Testaments bekannte Petrus in Cäsarea Philippi Jesus als den Messias und Sohn Gottes, woraufhin Jesus Petrus als den Felsen bezeichnete, auf den er seine Gemeinde bauen wolle (vgl. Mt 16,13-20). 712,14-16 »Ich aber, ich habe […] mir das Ohr …«] Jes 50,5. Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnahmen in Ex. 3,13 vorhanden? Über Anlass, Ort und Zeitpunkt der Abfassung des vorliegenden Textes, der im MBA als Typoskript vorliegt, ließ sich nichts ermitteln, so dass eine präzise Verortung unmöglich ist. Bubers Ausgangsthese zum Thema besagt, dass sowohl in der jüdischen Tradition als auch in der allgemeinen Religionsgeschichte die Auslegung von Ex 3,14 eine »Stufenfolge von menschlicher Geistesentwicklung« (S. 713) abbilde. Das Bewusstsein der Interpreten für die reale Wirklichkeit des Offenbarungsgeschehens sei einer zunehmenden Abstrahierung der Ereignisse gewichen, die bei jüdischen Autoren auf das Verblassen des Zusammenhangs mit der »bodenständigen Realität der Offenbarungsereignisse«, bei Autoren »nichtjüdischen Blutes« auf die mangelnde Affinität zu der mit ihnen zusammenhängenden geistigen Welt zurückzuführen sei (S. 713). Im jüdischen Bereich reiche diese Tendenz von den Midraschim über Nachmanides bis hin zu Maimonides, wo sie ihren ihren Höhepunkt erreichte (vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 714,29); in der Gegenwart tendierten die Auffassungen allerdings wieder zu einer Überwindung der Abstraktion durch die Rückbesinnung auf die Realität der Gottesoffenbarung an Moses. Im ersten Teil seines Aufsatzes versucht Buber, seine These mit Beispielen aus der rabbinischen Auslegungstradition zu belegen. Dem folgen im zweiten Teil durch Beispiele unterfütterte Hinweise auf die allgemeine Religionsgeschichte vom Hellenismus über Luther bis ins 20. Jahrhundert. Buber belässt es hier jedoch größtenteils bei der reinen Aufzählung von Namen einschlägiger Religionswissenschaftler und Theologen oder knappster Paraphrasen ihrer Deutungen, ohne diese jedoch näher auszuführen oder genauere Auskunft über seine Quellen zu geben. Seine Ausführungen ermöglichen es daher kaum, die interpretatorischen Linien zu Ex 3,14 in der religionswissenschaftlichen Forschung genauer anhand konkreter Texte zu verfolgen, und erschweren damit die Nachvollziehbarkeit seiner Argumentation. Buber lehnt selbstverständlich alle Bestrebungen, das »ehje ascher eh-

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je« nicht mehr als reales Offenbarungsereignis, sondern metaphysischabstrakt zu verstehen, ab. Er begrüßt daher die neuere protestantische Auslegung und bescheinigt ihr die Nähe zum ursprünglichen Gedanken, dem er mit seiner eigenen »Verdeutschung« ebenfalls Gerechtigkeit widerfahren zu lassen glaubt. Die philologische Erklärung der Verknüpfung des ‫ אהיה אשר אהיה‬mit einer alten arabischen Wurzel mit der Bedeutung »fallen« und der daraus abgeleiteten »Vorstellung eines alten Gewittergottes vom Sinai« (S. 716) lehnt Buber ab. Sie erinnert an die vor allem von den protestantischen Alttestamentlern Bernhard Stade (1848-1906) in seiner Geschichte des Volkes Israel (2 Bde., Berlin 1887/88) und Karl Budde (1850-1935) in seinem Buch Die altisraelitische Religion (Gießen 1912) vertretene sog. Keniter-Hypothese, gegen die Buber an verschiedenen Stellen in seinen biblischen Schriften argumentiert, so z. B ausführlich im Abschnitt »3. JHWH und Israel« in Bubers Schrift Der Glaube der Propheten (in diesem Band, S. 163-168) sowie in Moses (in diesem Band, S. 385 ff.), aber auch schon 1932 in Königtum Gottes (vgl. MBW 15, S. 248-255). Die Keniter-Hypothese besagt, der Gott Israels sei zuerst ein Wüstengott und Stammesgott der Keniter im Land Midian gewesen, der dort auf einem Berg wohnte, bevor ihn Moses für die Israeliten »entdeckte«, während Buber darauf beharrt, dass der Berg Sinai für den Gott, der sich Moses offenbart, nicht Wohnsitz, sondern Manifestationsstätte ist und dass dieser Gott kein fremder Sippengott ist, den Moses erst »entdecken« muss, sondern der »Gott der Väter«. Noch in der Erstausgabe von Ich und Du (1923) hatte Buber die Stelle Ex 3,14 klassisch mit »Ich bin, der ich bin« übersetzt, eine Auffassung, gegen die er sich später immer wieder entschieden wandte – u. a. in diesem unveröffentlicht gebliebenen Aufsatz, insbesondere aber auch in Moses (in diesem Band, S. 390-397; vgl. die dazugehörigen Wort- und Sacherläuterungen) und auch in seinem Aufsatz »Die Erwählung Israels« (in diesem Band, S. 104 f.). Betrachtet man Bubers Überlegungen zum Gottesnamen in Ex 3,14 vor dem Hintergrund der gemeinsam mit Franz Rosenzweig unternommenen Bibelübersetzung, so lässt der Text die Vermutung zu, dass sich »Buber noch umfassender als Rosenzweig […] mit den traditionellen Positionen zur Stelle« befasste. (Andreas Losch, Kann Gott einen Namen haben?, in: Daniel Krochmalnik, HansJoachim Werner (Hg.), 50 Jahre Martin Buber Bibel. Beiträge des Internationalen Symposiums der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg und der Martin Buber-Gesellschaft Heidelberg 2012, Münster 2014, S. 179.)

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Textzeuge: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 58); 5 lose Blätter, einseitig beschrieben; vereinzelt mit geringfügigen Korrekturen von schwarzem Stift versehen; hebräische Begriffe wurden nachträglich per Hand eingefügt. Das Typoskript selbst ist ohne Datumsvermerk. Druckvorlage: TS Wort- und Sacherläuterungen: 713,Titel Gottesnamen in Ex. 3,13] Es handelt sich hier offensichtlich um einen Fehler im Typoskript: der Gottesname findet sich in Ex 3,14 – in Ex 3,13 fragt Moses nach dem Namen Gottes. 713,4 ‫» ]אהיה אשׁר אהיה‬Ehje ascher ehje«. »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14). Vgl. auch Buber über das »ehje ascher ehje«, in: »Die Erwählung Israels«, in diesem Band, S. 104; das Kapitel »Der brennende Dornbusch«, in Buber, Moses, in diesem Band, S. 382-397; Buber, Der Glaube der Propheten, in diesem Band, S. 163-168 (u. a.). 714,1-3 die in der Midrascherklärung steckt […] Gottes ihm gegenüber] ‫צדקה‬, zʾ daka, hebr. »Wohltätigkeit«, »Gerechtigkeit«; biblisch in Verbindung mit JHWH zumeist in der Bedeutung von »Gerechtigkeit«. Als Nachweis wird hier oftmals der biblische Ausspruch »Wer sich des Armen erbarmt, der leiht dem HERRN, und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat« (Spr 19,17) angeführt. Vgl. auch den Midrasch Mischle zu Kapitel 19. In den Midraschim um Moses Berufung findet sich die Erklärung, nach der die Befreiung Israels aus Ägypten auf das Verdienst der Stammväter zurückgeführt wird. Vgl. ShemR III,7. 714,6 Rabbi Schimeon Ben Simon, eines der Tanaiten] Die Tannaiten waren die Meister der Mischna, die im zweiten nachchristlichen Jahrhundert redigiert wurde und den ersten Teil des Talmuds darstellt. Zur Person des Rabbi Schimeon Ben Simon können keine Angaben gemacht werden. Schemot Rabba gibt eine Auslegung des Rabbi Schimeon von Lydda im Namen des Rabbi Simon zu Ex 3,13 wieder; vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 714,12. Der hier behandelte Inhalt, nämlich Gottes Beistand sowohl in der gegenwärtigen Not wie auch in der zukünftigen ist allerdings einem anderen Rabbi in diesem Midrasch in ShemR III,6 zugeordnet, nämlich Rabbi Jacob ben Rabbi Abina im Namen R. Huna von Sepphoris. Vgl. Der Midrasch Schemot Rabba. Das ist die haggadische Auslegung des Zweiten Buches Moses, übers. von August Wünsche, Leipzig 1882, S. 41 f.

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Was ist in … über den Gottesnahmen in Ex. 3,13 vorhanden?

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714,10 ‫ ]בני ישראל‬Hebr. Bene Israel, »Söhne Israels«; biblische Bezeichnung für das Volk Israel. 714,12 ‫ ]שסן הגדל‬Wohl nicht ‫שסן‬, sondern ‫ שם‬zu lesen., d. h. »Der große Name«, hier als Bezeichnung für das Tetragramm. Rabbi Schimeon, auf dessen Ausführungen sich Buber hier bezieht, geht von der Beobachtung aus, dass Moses hier die seltene Ich-Form anokhi für sich verwendet, mit der auch die Zehn Gebote eingeleitet werden (»Ich bin der Herr, dein Gott«, Ex 20,1). Damit spielt diese Erklärung auf die zukünftige Mittler-Rolle Moses am Sinai an; mit der Erkenntnis seiner zukünftigen Aufgabe begehrt Moses nun den »großen Namen« zu wissen. ShemR III,5. Vgl. Wünsche, Der Midrasch Schemot Rabba, S. 41. 714,15 Rabbi Jzchak (Palästinenser)] Gemeint ist wohl Rabbi Jizchak, der hier in ShemR III,6 zitiert wird: »ich bin der, welcher ich gewesen bin, ich bin der, welcher jetzt ist und ich bin der, welcher sein wird, und darum heisst es hier dreimal: ‫ אהיה‬ich bin.« Vgl. ebd., S. 41. 714,17 Nachmanides] Eigentl. Moses ben Nachman (1194-1270), bekannt unter dem Akronym RaMBaN, bedeutender spanischer Rabbiner und kabbalistischer Bibelkommentator. 714,18 Onkelos in seinem] Hier liegt offenbar eine Textlücke im Textzeugen vor, vermutlich muss es heißen: »Onkelos in seinem Targum«. Die Identität des Onkelos ist nicht gesichert, er wird aber oft mit dem Bibelübersetzer Aquila gleichgesetzt, einem zum Judentum konvertierten Römer, der im 1./2. Jahrhundert lebte und um 125 n. Chr. die Hebräische Bibel ins Griechische übersetzte. Onkelos gilt als Verfasser des bedeutenden Targum Onkelos, eine vermutlich aus dem 2. Jh. stammende Übersetzung der Tora ins Aramäische, die schon in talmudischer Zeit hohe Anerkennung im Judentum erlangte; Onkelos wird erstmals im Babylonischen Talmud erwähnt. 714,24-26 Kapitel 33 […] mich erbarmen will] Vgl. Ex 33,19. 714,27 Rabbi Saadja Gaon] Saʿ adia ben Joseph Gaon, arab. Saʿ īd bin Yūsuf al-Fayyūmī (882-942), aus Sura im südlichen Babylonien, war ein Rabbiner, Philosoph und Bibelexeget; er war der erste jüd. Philosoph, der seine Werke hauptsächlich auf Arabisch verfasste. »Gaon« ist der Titel zur Bezeichnung des Leiters einer bedeutenden Talmudhochschule, gleichzeitig galt der Gaon im frühen Mittelalter als Führer der babylonischen Judenheit. 714,29 Rambam] Eigentl. Moses ben Maimon (1135/1138-1204), auch Maimonides, bekannt unter dem Akronym RaMBaM, war ein sephardisch-jüdischer Philosoph und Bibelkommentator; er gilt als der bedeutendste jüdische Philosoph des Mittelalters und bis heute als herausragende Autorität auf dem Gebiet der jüdischen Rechtslehre

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und Rechtsphilosophie (Halacha). Maimonides diskutiert die Stelle Ex 3,14 im 63. Kapitel des ersten Teils seines Hauptwerks Führer der Unschlüssigen ausführlich und versteht sie als Aussage Gottes über seine Transzendenz, also als Ausdruck einer metaphysischen Idee. Buber dagegen versteht das »ehje ascher ehje« als Aussage über die jeweilige Gestalt, in der sich Gott in der jeweils konkreten geschichtlichen Situation zeigt. In einer Rede über »Die Gotteserscheinungen im Pentateuch«, die Buber 1927 in Berlin hielt, kritisiert er dann auch die Interpretation des Maimonides scharf. Ähnlich wie im vorliegenden Text, in dem er Maimonides mangelndes Bewusstsein für die konkrete Situation, in der hinein die Worte gesprochen sind, vorwirft, stellt Buber auch in seinem Vortrag klar, dass Gott hier keine theologischen Gedankengebilde verkünde, sondern aus und für eine konkrete wirkliche Situation rede. (Die Rede Bubers jetzt in: MBW 2.1, S. 238-243; hier S. 242). 714,34 Jbn Esra] Vgl. die Wort- und Sacherläuterungen zu 667,18-19 u. 168, Anm 33. 715,12-13 Hamburgers Realenzyklopädie (»adonai«)] Jacob Hamburger, Real-Encyclopädie des Judentums, Abt. 1. Biblische Artikel, neue verb. 3. Aufl. Neustrelitz 1905, S. 48-57 (Artikel »Adonai«). 715,23 ἐγὼ εἰμὶ ὁ ὤν] Griech. »Ich bin der, der ich bin.« 715,26 Bischofs von Kyrrhos, Theodoret] Theodoret (393-ca. 460), 423457 Bischof von Kyrrhos, war ein bedeutender Kirchenhistoriker und Bibelkommentator, in der Ostkirche wird er als Seliger verehrt. Theodoret verteidigte die Lehren des Nestorius (vgl. die folgende Wort- und Sacherläuterung), weswegen er auf dem Konzil von Ephesos 449, das die These von der göttlichen Natur Christus’ als dessen einziger Natur als Dogma festschrieb, verurteilt, zwei Jahre später allerdings rehabilitiert wurde. 715,27-28 Abspaltungskämpfe […] Jakobiten und Nestorianern] Nestorius (381-ca. 451), 428-431 Patriarch von Konstantinopel, vertrat in seiner Lehre die Auffassung, dass Maria nicht als »Gottesgebärerin«, sondern als »Christusgebärerin« zu bezeichnen sei, da Jesus Christus eine Person sowohl mit einer menschlichen wie einer göttlichen Natur sei, die nicht vermischt, sondern geteilt als zwei Personen in Jesus Christus vorkämen. Auf dem Konzil von Ephesos im Jahr 431 wurde Nestorius als Patriarch abgesetzt und seine Lehre als Häresie verurteilt. Aus dem Streit um die Lehre der sog. Nestorianer spaltete sich nach 451 die erste orthodoxe Kirche ab, die der Lehre des Nestorius folgte; von dieser sog. Nestorianischen Kirche spalteten sich später die Jakobiten ab, benannt nach ihrem

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Was ist in … über den Gottesnahmen in Ex. 3,13 vorhanden?

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Begründer Jakob Baradai (gest. 578), aus denen die syrisch-orthodoxe Kirche hervorging. 715,29 (Quaestiones 15)] Vgl. Theodoreti Cyrensis Quaestiones in Octateuchum: Editio critica, Textos y estudios »Cardenal Cisneros«, hrsg. von N. Fernández Marcos u. A. Sáenz-Badillos, Madrid 1979; das folgende Zitat, das im Textzeugen an dieser Stelle offenbar fehlt, aus: Theodoret of Cyrus. The Questions on the Octateuch, Vol I, On Genesis and Exodus, Greek text revised by John F. Petruccione, English translation with introduction and commentary by Robert C. Hill, Washingtn D.C. 2007, S. 251: »What is the meaning of ›My name ›Lord‹ I did not make known to them‹ ? / This conveys the great honor and kindness with which God treated Moses. Declaring, ›I am who am,‹ he disclosed to Moses the name he had never revealed to the patriarchs. Among the Hebrews this is known as the unspoken name; they are forbidden to utter it aloud. It is written in four consonants, and so they speak of it as the ›Tetragrammaton.‹ This name was also inscribed on a plate of gold worn on the forehead of the high priest and bound to his head with a fillet. The Samaritans call it ›Iabe,‹ the Jews ›Ia.‹« 715,30-31 Aquila, Theodotion] Zu Aquila siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 714,18; Theodotion war ein hellenistisch-jüdischer Gelehrter des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts; vermutlich aus Ephesus stammend und zum Judentum konvertiert, übersetzte er die Hebräische Bibel ins Griechische. 715,31 bis herauf zu Luther […] in der Welt kennzeichnen.] Luther übersetzt: »Ich werde sein, der ich sein werde.« 715,39-716,3 Kittel übersetzt: […] unerklärtes Wesen.] Rudolf Kittel (1853-1929), protest. Theologe und Alttestamentler, Herausgeber der unter seinem Namen bekannt gewordenen Biblia Hebraica (1906), einer textkritischen Ausgabe der hebr. Bibel. Zu Kittels Verständnis von Ex 3,14 vgl.: Ders., Die Religion des Volkes Israel, Leipzig 1921, S. 46; zu Wellhausen vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 89,10-11; zu seiner Übersetzung von Ex 3,14 vgl.: Julius Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl. Berlin 1899, S. 70; William Robertson Smith (18461894), schottischer Orientalist und Alttestamentler, W. Robertson Smith, Die Religion der Semiten. Autorisierte deutsche Übersetzung aus dem Englischen, nach der zweiten Auflage der »Lectures on the Religion of the Semites« von R. Stübe, Freiburg 1899, ders., The Old Testament in the Jewish Church. A course of lectures on biblical criticism, Edinburgh 1881. Die genaue Quelle für Bubers Darstellung der

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Deutung von Ex 3,14 durch Smith konnte nicht ermittelt werden; Heinrich Ewald (1803-1875), Orientalist und protest. Theologe, Ewald verfasste u. a. eine Geschichte des Volkes Israel bis Christus (3 Bde., Göttingen 1843 ff.), die genaue Quelle für Bubers Darlegung der Deutung von Ex 3,14 durch Ewald konnte nicht ermittelt werden. 716,5-10 während Lagarde […] der Leben-schaffende deutet.] Zu Paul Anton de Lagarde vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 201,Anm 108. Die Quelle für Bubers Darstellung der der Deutung von Ex 3,14 durch Lagarde konnte nicht ermittelt werden. 716,11 Gesenius im Thesaurus] Der Orientalist Wilhelm Gesenius (1786-1842) verfasste das Hebräisch-deutsche Handwörterbuch über die Schriften des Alten Testaments mit Einschluß der geographischen Nahmen und der chaldäischen Wörter beym Daniel u. Esra, 2 Teile, Leipzig 1810/1812, das bis heute als Standardwerk zum biblischen Hebräisch gilt und in zahlreichen Auflagen, zuletzt in 18. Aufl. Berlin u. Heidelberg 2013, erschien. 716,28 Lange’s Bibelwerk] Johann Peter Lange, Theologisch-homiletisches Bibelwerk. Die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments. Des Alten Testamentes zweiter Theil: Exodus, Leviticus, Numeri, Bielefeld und Leipzig 1874, S. 9. Über Prophetie Dieser Text Bubers über Prophetie ist im MBA als Typoskript erhalten, das teils wegen eingerissener Ränder, teils wegen Leerstellen im Text einige Textlücken aufweist, die sich nur zum Teil aus dem Inhalt rekonstruieren ließen und dann entsprechend gekennzeichnet sind. Da Buber zu Beginn des Textes ein Publikum anspricht, handelt es sich offenbar um einen Vortrag. Weil jedoch jegliche Hinweise fehlen, die eine zeitliche Einordnung ermöglichen oder auf den Anlass des Vortrags hindeuten, lassen sich zum Entstehungshintergrund des Textes keine verlässlichen Angaben machen. Buber baut seine Erörterungen über das Wesen der Prophetie auf zwei Grundpfeilern auf, die sein Verständnis dieses Phänomens der jüdischen Religionsgeschichte wesentlich prägen und in seinen biblischen Schriften immer wiederkehren. (Zu Bubers Interpretation der Prophetie und ihrer Besonderheit im Kontext der zeitgenössischen protestantischen wie jüdischen Prophetiedeutung vgl. den Einzelkommentar zu Der Glaube der Propheten.) Das eine ist die Situationsgebundenheit des prophetischen

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wie des biblischen Wortes überhaupt, das in einer konkreten Situation von Gott zu einer bestimmten Person gesprochen und von einer besonderen Worthaltung gekennzeichnet ist und darum dem Offenbarungsgeschehen eine reale Wirklichkeit verleiht. Trennt man das prophetische Wort von seiner Situation ab oder versucht man es zu psychologisieren, geht das Wesentliche verloren. (Vgl. z. B. auch den vorangegangenen Aufsatz Bubers zum Gottesnamen in Ex 3,14, in dem er sich gegen eine Abstraktion des Offenbarungsgeschehens wendet und die Ereignisse stattdessen als eine konkrete geschichtliche Situation erfasst.) Der zweite Grundgedanke Bubers ist die »Gesprochenheit« des prophetischen Wortes, die, wie die Ausführungen des Philosophen zur »Verdeutschung« der Schrift zeigen, aus seiner Sicht eine fundamentale Gegebenheit des biblischen Textes überhaupt darstellt. (Zur Bedeutung der »Gesprochenheit« vgl. insbesondere den Essay »Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift«, in: MBW 14, S. 186-220, bes. S. 190 ff.) In ihr drückt sich die ursprüngliche Unmittelbarkeit der Ereignisse aus, von denen das Wort spricht. (Diese Annahme gehört auch zu den zentralen Deutungskategorien in Bubers Moses-Buch.) Die Vorstellung des Gesprochenseins hängt unmittelbar mit der Situationsgebundenheit des prophetischen Wortes zusammen. Ausgehend von diesen beiden Grundannahmen hinsichtlich des prophetischen Wortes behandelt Buber im Folgenden in Abgrenzung zu den Ekstatikern anderer Völker einerseits und den Apokalyptikern andererseits die »Totalität« der Wirklichkeit, in der das prophetische Wort steht und die den zum Propheten Redenden, den Redenden selbst (den Propheten) und den Angeredeten umfasst. In der Prophetie im Allgemeinen unterscheidet Buber drei Stufen des Verhältnisses des Göttlichen zum Menschlichen, die von den biblischen Schriftpropheten, den Ekstatikern und den Apokalyptikern vertreten werden. Bei den Schriftpropheten kann am wenigstens zwischen Menschlichem und Göttlichem getrennt werden, wobei sich Buber der jüdischen Tradition (u. a. Maimonides) anschließt, der zufolge noch einmal eine Abstufung von Moses zu den übrigen Schriftpropheten vorzunehmen ist, da Moses – im Gegensatz zu allen Schriftpropheten – als einziger Gott unmittelbar schaute. Was die Propheten hinsichtlich des Verhältnisses vom Göttlichen zum Menschlichen von den Ekstatikern und Apokalyptikern unterscheidet, fasst Buber darin zusammen, dass es »nur hier Wirklichkeit des Gespräches, der Unterredung, des Ich und Du« gebe (S. 722), d. h. die dialogische Beziehung zwischen Gott und Mensch. Bubers weitere Ausführungen gelten der Frage, zu wem und in welcher Absicht der Prophet spricht, und auch in diesem Zusammenhang spielt

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die Abgrenzung des biblischen Propheten vom Ekstatiker und vom Apokalyptiker eine bedeutsame Rolle. Der für Buber entscheidende Unterschied zwischen Prophetie und Apokalyptik ergibt sich aus der Beantwortung der Frage nach der Intention des prophetischen Wortes: Es spricht immer in Entscheidungssituationen des Menschen hinein, weil der Prophet um die Freiheit der Entscheidung und die Mitwirkung des Menschen an seinem Schicksal und dem der Welt aufgrund seiner Entscheidungen weiß. Das prophetische Wort will – im Sinne eines Appells zur Umkehr – in die »Wirklichkeit des menschlichen Tuns« (S. 726) hineinrufen, d. h. in genau die Situation, in der die Menschen über ihr Ergehen – und das heißt Bubers theopolitischem Konzept zufolge letztlich: über das Kommen des Reiches – entscheiden müssen. Im Gegensatz dazu vertritt der Apokalyptiker eine Weltsicht, der zufolge der Mensch über keinerlei Freiheit verfügt, sein Schicksal mitzubestimmen, Gut und Böse auf dualistische Weise getrennt sind und die Welt sich unbeeinflusst vom menschlichen Tun plötzlich katastrophal wandeln wird. Dieser letzte Aspekt der Differenz von Prophetie und Apokalyptik begegnet auch in Bubers 1954 erschienenem Aufsatz »Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde« (in: Merkur, 8. Jg., Heft 12, Dezember 1954, S. 1101-1114; jetzt in: MBW 15, S. 380-393). Der Akzent liegt hier ebenfalls auf dem zentralen Unterscheidungsmerkmal des Prophetischen zur Apokalyptik: dem für die Beziehung des Göttlichen zum Propheten kennzeichnenden dialogischen Charakter. Textzeuge: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 78); 7 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben, teils durch Risse und Falten beschädigt, so dass der Text nicht mehr an allen Stellen lesbar ist. Das Typoskript ist vereinzelt mit geringfügigen Korrekturen von schwarzem Stift versehen. Druckvorlage: TS Variantenapparat: 720,34 Gottes] [Wortes] ! Wortes TS Wort- und Sacherläuterungen: 719,21-22 »Und ich werde mit […] was du reden sollst.«] Ex 4,12. 719,24 »Er wird dir zum Munde sein, und du wirst ihm zum Gotte sein.«] Ex 4,16. 719,25-26 »Ich habe dich […] dein Prophet sein.«] Ex 7,1.

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719,27 Elohim] Vgl. zum hebr. Wort elohim und zu Bubers weiteren Ausführungen in diesem Absatz Buber, Mose, in diesem Band, S. 57 sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 57,7. 719,32 wird hier Prophet, der Verkünder, der »Aussprechende«.] Hebr.: Pe (Mund). 719,35 Der [Leerstelle] Verfasser [Leerstelle]] Textlücken vermutlich aufzulösen mit Targum und Onqelos; also: Der Targum Verfasser Onqelos. 719,36 Elohim ersetzt durch [Leerstelle]] Textlücke aufzulösen mit Rav. 719,37 und Prophet durch »Dol[metscher]«] Im Targum Onqelos zu Ex 7,1 meturgeman (Übersetzer). 719,38-39 Und bei dem Bibelkommentar […] Lehrer und Fürst sein.«] Bibelkommentator Raschi zu Ex 4,16: »Lehrer« (hebr. rav) und »Fürst« (hebr: sar) 720,2-3 Dazu sagt […] neues Geschöpf machen.«] Rabbi Jehuda ben Simon im Midrasch Tanchuma (Buber) Shemot 18. 720,6-7 »Die Frau wird schwanger …«] Vgl. Ex 2,2. 720,9 das Wort vom zweiten Psalm] Ps 2,7: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.« 720,35-37 sowie [Leerstelle] spricht: […] der Schlaf niederfällt] Hiob 4,12a u. 13. 720,37-39 Oder er ist wie ein König […] mit Vorhang.] Jalqut Schimoni § 897 zu Hi 4,13. Das Gleichnis findet sich schon in BerR LII,7 (zu Gen 20,3) und LXXIV,5 (zu Gen 31,26) sowie in WaR I,13 zu Lev 1,1. 721,3 Nach dem Religionsgesetz von [Leerstelle]] Vermutlich meint Buber hier das Religionsgesetz des Maimonides. Dieser stellt in seinem Kommentar zur Mischna 13 fundamentale Glaubenslehren des Judentums auf. Der 7. Glaubensartikel behauptet die Überlegenheit der Prophetie des Moses über die aller anderen Propheten. 721,7-8 »Alle Propheten […] im leuchtenden.«] Die Stelle findet sich im Midrasch Leviticus Rabba (Wajjiqra Rabba), WaR I,14. 721,8 Wort des ersten Korintherbriefs: [Leerstelle]] Vgl. IKor 13,12: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.« 721,12 System bei Maimonides] Zu Maimonides vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 714,29. Im zweiten Teil in den Kapiteln 32 bis 48 seines Hauptwerks Führer der Unschlüssigen (hebr. Titel Moreh Nevuchim) behandelt Maimonides ausführlich die Prophetie und entwickelt ein Stufenschema, das elf Grade der Prophetie unterscheidet.

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721,20-23 Darum heisst es […] Reinheit empfangen.«] Aus dem zweiten Teil von Maimonides’ Führer der Unschlüssigen; vgl. die vorangehende Wort- und Sacherläuterung. 721,29-31 im 12. Kapitel Hosea […] vermehrte die Weissagung.«] Hos 12,11. 721,33-34 durch die Propheten zeige ich mich an] MekhJ zu Ex 19,11. 721,36-37 Oder wenn es heißt […] mit dem Munde.«] Bubers Quelle war nicht zu ermitteln. 722,4 »ruach«] Vgl. die Wort- und Sacherläuterungen zu 62,10-15 und 192,30. 724,14-15 In der [Leerstelle] wird einmal der erste Satz der Bibel so ausgelegt:] Wegen des Textverlustes an dieser Stelle ist ein Nachweis darüber, auf welche Quelle Buber sich bezieht, nicht möglich. 724,18-19 Wer sich zu reinigen kommt, find[et] Beistand.] bJoma 38b (BT, Bd. III, S. 105). 724,25-27 »Kehret zurück […] euren Abfall heilen.«] Jer 3,22. 724,28-29 Prophezeiung des Jonas […] unmittelbar abhänge.] Vgl. Jon 3. 724,30-31 »Die Weissagung aller Propheten gilt nur den Umkehrenden.«] PesR 44. 724,31-33 Talmud vom Noah […] Sintflut über euch.«] Vgl. bSan 108a (BT, Bd. IX, S. 123). 724,35-38 Es wird erzählt […] sie ihren Bestand.] Vgl. bPes 54a (BT, Bd. II, S. 470); Tanchuma (Buber) Naso 19. 725,4-5 »Die Umkehr wendet das Schicksal, denn sie bringt Vergebung.«] Vielleicht mit bShab 32a, (BT, Bd. I, S. 526). 725,5 »Gross ist die Umkehr, sie zerreisst das Verhängnis.«] bRSh 17b (BT, Bd. III, S. 571). 725,6 »Gross ist die Umkehr, sie bringt der Welt Heil.«] bJoma 86a (BT, Bd. III, S. 254) »bringt Heilung« (hebr: refuʾ a). 725,6-7 »Die Umkehr erhebt den Menschen zu Gott, sie bringt ihn auf den Weg Gottes.«] Bubers Quelle war nicht zu ermitteln. 725,9-10 »Friede, Friede den Fernen […] Thron der Herrlichkeit.«] Jes 57,19. 725,10-11 »Gross ist die Umkehr, sie reicht an den Thron der Herrlichkeit.«] bJoma 86a (BT, Bd. III, S. 254). 725,11-12 »Kehre um, Israel, bis zu dem Herrn, deinem Gott.«] Hos 14,2. 725,12-15 In einer anderen Schrift […] Thron der Herrlichkeit] PesR 44. 725,16-17 »Gross ist die Umkehr, sie bringt die Erlösung.«] bJoma 86b (BT, Bd. III, S. 255).

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Über Prophetie

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725,17-18 »Es kommt zu Zion ein Erlöser und zu den von Sünde Umkehrenden.«] Jes 59,20. 725,20-22 »Alle Ende sind vergangen […] an der Umkehr allein.«] bSan 97b (BT, Bd. IX, S. 68). 725,25-28 Das wird in einem […] neuen Schöpfung geworden.«] Bubers Quelle war nicht zu ermitteln. 725,29-31 dasselbe Wort, das Paulus […] die in ihm waltet.«] Vgl. 2 Kor 5,17. 725,35-38 »Das ist zur ganzen Welt […] allen liegt es ob, umzukehren.«] Bubers Quelle war nicht zu ermitteln. 725,37-38 »Zu dem Herrn […] liegt es ob, umzukehren.«] Bubers Quelle war nicht zu ermitteln. 725,41-726,1 »O Israel, kehre um zu dem Herrn, deinem Gott.«] Hos 14,2.

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Biblischer Humanismus in dunkler Zeit: Martin Bubers Kommentare im Kontext jüdischer Auseinandersetzungen mit Bibelkritik und Antisemitismus Essay von Christian Wiese Das Wichtigste von allem, was die biblische Daseinsbetrachtung für alle kommenden Zeiten erschlossen hat, wird uns kenntlich, sowie wir die heilige Schrift Israels mit allen unabhängig von ihr entstandenen heiligen Büchern der Völker vergleichen. Keines dieser Bücher ist so wie sie von einem Dialog zwischen Himmel und Erde erfüllt. Es wird uns erzählt, wie Gott immer wieder den Menschen anspricht und vom Menschen angesprochen wird. Gott sagt dem Menschen an, was er für die Welt im Sinn hat, er läßt ihn, wie der älteste der Schriftpropheten es ausdrückt (Amos 4, 13), ›sein Selbstgespräch‹ erfahren, er gibt ihm seinen Willen bekannt und fordert ihn an, an dessen Verwirklichung teilzunehmen; aber der Mensch ist kein blindes Werkzeug, er ist als ein freies Wesen erschaffen, frei auch Gott gegenüber, frei, sich ihm zu ergeben oder sich ihm zu versagen. Auf Gottes souveräne Anrede gibt der Mensch seine selbständige Antwort; auch wenn er schweigt, ist es eine Antwort. Sehr oft hören wir Gottes Stimme allein, so zumeist in den prophetischen Büchern, wo nur in einzelnen Fällen, wie in einigen Visionsberichten und in den tagebuchartigen Aufzeichnungen Jeremias, die Erwiderung des Propheten laut wird, und zuweilen nehmen diese Aufzeichnungen geradezu eine dialogische Form an; aber auch da, wo Gott allein redet, wird uns zu spüren gegeben, daß der von ihm Angeredete mit seiner wortlosen Seele antwortet, daß er also in der dialogischen Situation steht. Und sehr oft hören wir die Stimme des Menschen allein, so zumeist in den Psalmen, wo nur in einzelnen Fällen der Beter uns die göttliche Entgegnung zu kennen gibt; aber auch hier ist die dialogische Situation offenbar, offenbar wird es uns, daß der klagende, flehende Mensch sich von dem, an den er sich wendet, gehört und verstanden, angenommen und bestätigt erfährt. Die Grundlehre, die die jüdische Bibel füllt, ist diese, daß unser Leben ein Gespräch zwischen Oben und Unten ist. 1

In dieser eindrucksvollen eröffnenden Passage einer 1951 am Jewish Theological Seminary in New York gehaltenen Rede unter dem Titel »Der Dialog zwischen Himmel und Erde« kommen in nuce die für Bubers Interpretationen der Hebräischen Bibel entscheidenden theologischen Elemente zur Sprache, die insbesondere seine Deutung der Prophetie auszeichnen: der dialogische Charakter von Gottes Anrede und Willenskundgabe an den Menschen, die Freiheit des in die Gestaltung und Vollendung der Welt gerufenen Menschen, Antwort zu geben oder 1.

Martin Buber, Der Dialog zwischen Himmel und Erde, in: ders., An der Wende. Reden über das Judentum, Köln: Jakob Hegner, 1952, S. 85-107, hier S. 85 f.; jetzt in: MBW 20, S. 345-353, hier S. 345.

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sich zu verweigern, und die Verheißung an den Menschen, seinerseits Gott – preisend, flehend, klagend – anzurufen und Gehör zu finden. Wenige Jahre nach Vollendung seiner großen biblischen Kommentare und unter dem Eindruck des Völkermordes an den europäischen Juden verfasst, lässt diese Rede erkennen, was die in diesem Band versammelten Schriften des Philosophen zur biblischen Tradition insgesamt kennzeichnet. Alles andere als rein akademische religionsgeschichtliche und exegetische Studien, sind diese Essays und Kommentare tiefsinnige, herausfordernde theologische und politische Texte, Plädoyers für eine prophetische Existenz in der Gegenwart, die in der biblischen Literatur der Zeit einzigartig dastehen und in dieser Einzigartigkeit bis in die Gegenwart faszinieren. Die Bedeutung von Bubers Reflexionen über die Bibel, die sich nicht auf die hier vorliegenden Schriften und auf die in anderen Bänden der Werkausgabe edierten Arbeiten zur ›Verdeutschung‹ der Schrift oder den Studien zum Messianismus beschränken, sondern sein Denken von den frühen zionistischen Schriften über die Deutungen des Chassidismus und die Schriften zum Christentum bis in die späteren religionsphilosophischen Essays durchdringen und daher einen unverzichtbaren Schlüssel zum Verständnis aller Dimensionen seines monumentalen Œuvres bieten, reicht daher weit über das Genre bibelexegetischer Literatur hinaus. »Bubers Werk an der Bibel, das viele Bände umfaßt und auf viele biblische Bücher hinzielt ist«, wie Shemaryahu Talmon treffend formuliert, »kein Kommentar im landläufigen Sinn. Es ist ein Monument einer allumfassenden Geistigkeit unserer Zeit und ein unzerstörtes Merkmal deutsch-jüdischer Kultur. 2 Dass Bubers Texte in dieser Unzerstörbarkeit in ihrer Mehrzahl inmitten von Verfolgung und unfassbarer Zerstörung entstanden und vor diesem Hintergrund zu verstehen sind, ist in »Der Dialog zwischen Himmel und Erde« mit Händen zu greifen. Von dieser Rede her gelesen, erschließen sich die Essays und Kommentare zur Hebräischen Bibel in all ihren Facetten, insbesondere jene, welche im Angesicht zweier verheerender Weltkriege und eines präzedenzlosen Völkermords über die conditio humana und über Gottes Zumutung menschlicher Verantwortung in einer verfinsterten, in schrecklichster Weise unerlösten Welt nachdenken, auch als Dokumente der Zeitgeschichte. Sie sind Zeugnisse einer Besinnung auf den biblischen Humanismus im Schatten von Nationalismus und »Gottesfinsternis«, eine prophetische Gegengeschichte gegen die Kräfte 2.

Shemaryahu Talmon, Martin Buber als Bibelinterpret, in: Werner Licharz (Hrsg.), Dialog mit Martin Buber (Arnoldshainer Texte – Band 7), Frankfurt a. M. 1982, S. 269-289, hier S. 289.

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der Zeit, zugleich Ausdruck der Hoffnung auf ein Ende der prägenden existentiellen Erfahrung eines »des Gottesatems ledigen Geschichtsraums«, einer grausamen Verborgenheit des Göttlichen und eines zu unvorstellbarer Grausamkeit führenden Widerstrebens des Menschen. 3 Buber konfrontierte sein amerikanisches Publikum mit der Diagnose, die Botschaft der Hebräischen Bibel von Gottes nie abbrechender Zuwendung zu seinem erwählten Volk sei in der Gegenwart, stärker noch als durch Atheismus oder philosophische Infragestellungen der Dialogik der Schrift, durch die Erfahrung der Abwesenheit göttlichen Waltens in der Menschengeschichte verstellt – mit schwerwiegenden Folgen. In »gleichsam stummen Zeiten«, in denen »alles, was sich in der Menschenwelt ereignet und den Anspruch auf geschichtliche Bedeutung erhebt, uns gottesleer erscheint, nirgends ein Wink seines Fingers, nirgends ein Zeichen, daß er gegenwärtig ist und in diese unsere geschichtliche Gegenwart hineinwirkt«, sei es einzelnen Menschen wie dem Volk »schwer, sich als von Gott angesprochen zu verstehen« und den Ruf in die Verantwortung ernst zu nehmen. 4 Bubers Antwort, eine biblische, die an seine Deutung Hiobs und der Psalmen in Der Glaube der Propheten anknüpft, nimmt weder spätere Theologien nach der Shoah vorweg noch versucht sie sich an einer Sinngebung des Sinnlosen. Es gemahnt vielmehr an andere biblisch fundierte Denkversuche, wie jene Abraham J. Heschels (1907-1972), 5 wenn der Philosoph die Möglichkeit andeutet, die eigene Erschütterung in der Sprache der Bibel zu bergen, die den Zweifel, den Aufschrei, die Klage ebenso kenne wie die Annahme des rätselhaften Geheimnisses des Gottes, der sein Angesicht abwendet. Doch gestattet es seine New Yorker Rede, die in zeitlicher Nähe zur Entstehung seiner 1952 in englischer und 1953 in deutscher Sprache veröffentlichten Schrift Gottesfinsternis verfasst wurde, nicht, Hiobs Antwort auf Gottes Stimme als Einverständnis mit dem Erlebten zu deuten. Buber trieb die Dramatik dessen, was mit dem Völkermord für die Überlebenden, für die Menschheit überhaupt, auf dem Spiel stand, auf die Spitze, wenn er fragte: »Wie ist in einer Zeit, in der es Ausschwitz gibt, noch ein Leben mit Gott möglich? Die Unheimlichkeit ist zu grausam, die Verborgenheit zu tief geworden. ›Glauben‹ kann man an den Gott noch, der zugelassen hat, was geschehen ist, aber kann man noch zu ihm sprechen? Kann man ihn noch anrufen?« 6 Buber ging hier bis an die Grenze der 3. 4. 5. 6.

Buber, Der Dialog zwischen Himmel und Erde, S. 352. Ebd., S. 350. Vgl. Morris M. Faierstein, Abraham Joshua Heschel and the Holocaust, Modern Judaism 19 (1999), S. 255-275. Buber, Der Dialog zwischen Himmel und Erde, S. 352.

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Auseinandersetzung mit der quälenden Erkenntnis, dass Auschwitz das Fundament seines biblischen Denkens erschütterte, insbesondere seinen Gottesbegriff und seine Überzeugung vom Menschen als Gottes dialogischem Partner. Er überschritt sie nicht, ersparte aber weder sich selbst noch seinen Zuhörer*innen die Gratwanderung zwischen Preisgabe des Vertrauens auf Gottes erneute Anrede und klaglosem Akzeptieren des Rätsels der göttlichen Verborgenheit. Am Ende steht eine leise, zugleich entschlossene Hoffnung, von der menschlichen Seite her am Dialog mit Gott festzuhalten, in dem Bewusstsein, dass auch Hiobs Erfahrung der neuerlichen Zuwendung Gottes nicht mit der Erklärung oder Aufhebung des Unrechts und der Grausamkeit gleichzusetzen sei. Was David Forman-Barzilai »Agonism in Faith« nennt, 7 bringt Buber am Schluss seiner Rede so zur Sprache: Und wir? Was ist es mit uns? Stehen wir bezwungen vor dem verborgenen Antlitz Gottes, wie der tragische Held der Griechen vor dem antlitzlosen Verhängnis? Nein, sondern wir rechnen auch jetzt noch, auch wir noch, mit Gott, eben mit ihm, den wir einst, wir hier, ihn, den Herrn des Seins, zu unserm Herrn erwählt haben. Wir schicken uns nicht in das irdische Sein, wir ringen um seine Erlösung, und wir rufen rechtend die Hilfe unseres Herrn, des wieder und noch Verborgenen, an. In solchem Stande harren wir seiner Stimme, komme sie aus dem Sturm oder aus einer Stille, die darauf folgt. Mag seine künftige Erscheinung keiner früheren gleichen, wir werden unsern grausamen und gütigen Herrn wiedererkennen. 8

In übergreifenden Darstellungen und spezifischen Studien liegt eine reiche Forschungsliteratur zu nahezu allen Aspekten der Bibelinterpretation Bubers vor. Das gilt für die exegetisch-philologischen Grundlagen 9 7.

8. 9.

David Forman-Barzilai, Agonism in Faith: Buber’s Eternal Thou After the Holocaust, Modern Judaism 23 (2003), S. 156-179; zu Bubers Denken nach der Shoah vgl. Jerry D. Lawritson, Martin Buber and the Shoah, in: Maurice Friedman (Hrsg.), Martin Buber and the Human Sciences, Albany, NY 1996, S. 295-309; Tamra Wright, Beyond the »Eclipse of God«. The Shoah in the Jewish Thought of Buber and Levinas, in: Peter Atterton, Matthew Calarco u. Maurice Friedman (Hrsg.), Levinas & Buber. Dialogue & Difference, Pittsburgh 2004, S. 203-225; Noah Zvi Farkas, Martin Buber, the Book of Job and the Shoah, Conservative Judaism 61 (2010), S. 43-53; Gesine Palmer, Some Thoughts on Surrender – Buber and the Book of Job, in: Michael Zank (Hrsg.), New Perspectives on Martin Buber, Tübingen 2006, S. 185-202. Buber, Der Dialog zwischen Himmel und Erde, S. 353. Vgl. u. a. Nahum N. Glatzer, Buber als Interpret der Bibel, in: Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman (Hrsg.), Martin Buber, Stuttgart 1963, S. 346-363; James Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, in: ebd., S. 364-383; Uwe Vetter, Im Dialog mit der Bibel. Grundlinien der Schriftauslegung Martin Bubers, Frankfurt a. M. et al. 1992; Claire E. Sufrin, History, Myth, and Divine Dialogue in Martin Buber’s Biblical Commentary, The Jewish Quarterly Review 103 (2013), S. 74-100.

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ebenso wie für seine religionsgeschichtlichen Prämissen, seine Hermeneutik 11 und die sprachphilosophischen Überlegungen zur ›Verdeutschung‹ der Schrift, 12 aber auch für eine Deutung seines Werkes in politischer Perspektive, mit Blick auf seine zentralen theopolitischen Ideen im Kontext des jüdischen Nationalismus. 13 Erst in den Anfängen stehen hingegen komparative Studien zu Entwicklungen in der zeitgenössischen

10. S. Daniel Breslauer, Martin Buber on Myth. An Introduction, New York u. London 1990; Michael Zank, Buber and Religionswissenschaft – The Case of His Studies on Biblical Faith, in: ders. (Hrsg.), New Perspectives on Martin Buber, S. 61-82. 11. Vgl. u. a. Rudolf Mack, Intuition und Interpretation in Bubers Umgang mit der hebräischen Bibel, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 33 (1981), S. 21-31; Michael Weinrich, Grenzgänger. Martin Bubers Anstöße zum Weitergehen, München 1987, S. 183-216; Michael Fishbane, The Biblical Dialogue of Martin Buber, in: ders., The Garments of Torah. Essays in Biblical Hermeneutics, Bloomington u. Indianapolis 1989, S 81-98; Steven Kepnes, The Text as Thou. Martin Buber’s Dialogical Hermeneutics and Narrative Theology, Bloomington u. Indianapolis 1992; Ehud Luz, Buber’s Hermeneutics. The Road to the Revival of the Collective Memory and Religious Faith, Modern Judaism 15 (1995), S. 69-93; Steven Kepnes, Martin Buber’s Dialogical Biblical Hermeneutics, in: Friedman (Hrsg.), Martin Buber and the Human Sciences, S. 173-189; Richard Freund, Martin Buber’s Biblical and Jewish Ethics, in: ebd., S. 77-92; Dan Avnon, Martin Buber. The Hidden Dialogue, Lanham, Boulder, New York u. Oxford 1998; Karl-Johan Illman, Buber and the Bible. Guiding Principles and the Legacy of His Interpretation, in: Paul Mendes-Flohr (Hrsg.), Martin Buber. A Contemporary Perspective, Syracuse, NY 2002, S. 87-100; Jonathan Cohen, Buber’s Biblical Hermeneutics and Education – Some New Perspectives, in: Sam Berrin Shonkoff (Hrsg.), Martin Buber. His Intellectual and Scholarly Legacy, Leiden u. Boston 2018, S. 233-257; Michael Fishbane, Religious Authenticity and Spiritual Resistance. Martin Buber and Biblical Hermeneutics, in: ebd., S. 219-232; vgl. auch Michael Fishbanes Einleitung zu diesem Band, S. 13-54. 12. Aus der Fülle der Literatur vgl. Rolf Rendtorff, Martin Bubers Bibelübersetzung, in: Licharz (Hrsg.), Dialog mit Martin Buber, S. 290-305; Mara H. Benjamin, Rosenzweig’s Bible. Reinventing Scripture for Jewish Modernity, Cambridge 2009; Daniel Krochmalnik u. Hans-Joachim Werner (Hrsg.), 50 Jahre Martin-Buber-Bibel. Beiträge des Internationalen Symposiums der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und der Martin Buber-Gesellschaft in Heidelberg 2012, Berlin 2014; vgl. auch das Quellen- und Literaturverzeichnis in MBW 14. 13. Vgl. Paul Mendes-Flohr, The Politics of Covenantal Responsibility. Martin Buber and Hebrew Humanism, in: ders., Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, S. 194-206; Christoph Schmidt, Die theopolitische Stunde. Martin Bubers Begriff der Theopolitik, seine prophetischen Ursprünge, seine Aktualität und Bedeutung für die Definition zionistischer Politik, in: Friedman (Hrsg.), Martin Buber and the Human Sciences, S. 205-225; Nitzan Lebovic, The Jerusalem School. The Theopolitical Hour, New German Critique 35 (2008), S. 97-120; Uri Ram; The Return of Martin Buber. National and Social Thought in Israel from Martin Buber to the Neo-Buberians (hebr.), Tel Aviv 2015; Samuel Hayim Brody, Martin Buber’s Theopolitics, Bloomington, IN 2018.

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jüdischen wie christlichen Exegese zur Hebräischen Bibel. 15 Der vorliegende Essay, der in Zusammenschau mit den Einleitungen zu den einzelnen Schriften im Kommentarteil zu lesen ist, setzt sich auf der Grundlage dieses Forschungsstandes ein begrenztes Ziel. Er kontextualisiert Bubers Essays und Kommentare auf zweifache Weise: Er fragt erstens nach dem Profil seines exegetischen und hermeneutischen Ansatzes im Kontext anderer jüdischer Stimmen in der kritischen Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Bibelforschung und beleuchtet sodann die zeitgeschichtlich wie für gegenwärtige Diskurse über die Hebräische Bibel bedeutsame Dimension seines Widerspruchs gegen antisemitische Tendenzen in der protestantischen Theologie vor der Shoah. »Es ist aber in Wahrheit Ein Buch«: Gespräch mit der historisch-kritischen Exegese Zentrale philosophische, theologische und politische Dimensionen der biblischen Schriften und Kommentare Bubers werden zunächst sichtbar, wenn man sie im Kontext der Beziehungsgeschichte zwischen der zeitgenössischen protestantischen und jüdischen Bibelforschung vor der Shoah liest. Eine solche Kontextualisierung legt sich schon aufgrund der intensiven – expliziten wie impliziten – Auseinandersetzung des Philosophen mit den Hypothesen der modernen historischen Bibelkritik nahe, die seit dem 19. Jahrhundert vor allem eine Domäne der protestantischen Exegese geworden war. Mittels eines vergleichenden Blicks auf die kritische Rezeption der Hypothesen der protestantischen Forschung durch die Wissenschaft des Judentums, die sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Spannungsfeld zwischen jüdischen Modernisierungsdiskursen, Streben nach Anerkennung der Legitimität des Judentums als eines politisch gleichberechtigten religiösen und kulturellen 14. Vgl. u. a. Benjamin Uffenheimer, Buber und die moderne jüdische Bibelforschung, in: Jochanan Bloch u. Haim Gordon (Hrsg.), Martin Buber. Bilanz seines Denkens, Freiburg et al. 1983, S. 182-230; Alexander Even-Chen u. Ephraim Meir, Between Heschel and Buber. A Comparative Study, Boston 2012, S. 103-157; Jonathan Cohen, Concepts of Scripture in Martin Buber and Franz Rosenzweig, in: Benjamin D. Sommer (Hrsg.), Jewish Concepts of Scripture. A Comparative Introduction, New York u. London 2012, S. 179-201; Michael Fagenblat u. Nathan Wolski, Revelation Here and Beyond. Buber and Levinas on the Bible, in: Atterton, Calarco u. Friedman (Hrsg.), Levinas & Buber, S. 157-178; Robert Gibbs, Reading Torah. The Discontinuity of Tradition, in: ebd., S. 179-202. 15. Vgl. Willy Schottroff, Die israelitischen Propheten in der Sicht von Martin Buber und Leonhard Ragaz, in: ders., Das Reich Gottes und der Menschen. Studien über das Verhältnis der christlichen Theologie zum Judentum, München 1991, S. 81-98.

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Faktors in der modernen Gesellschaft sowie dem intellektuellen Abwehrkampf gegen den Antisemitismus vollzog, lässt sich die besondere Eigenart von Bubers Interpretation der Hebräischen Bibel – und insbesondere der Botschaft der Propheten – noch deutlicher herausarbeiten. Die moderne Bibelkritik, deren Wurzeln bereits bei den Humanisten der Renaissance liegen, erhielt entscheidende Impulse in der Frühaufklärung des 17. Jahrhunderts und erreichte ihre Blüte im 19. Jahrhundert vor allem im Gefolge der zunehmend verfeinerten Hypothesen über die literarische Zusammensetzung des Pentateuchs sowie die Periodisierung und den Charakter der israelitischen Religionsgeschichte. Das Hauptziel der philologisch-historischen Bibelauslegung, die – vorangetrieben von Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780-1849), Heinrich Ewald (18031875) und Karl Heinrich Graf (1815-1869) – ihren wichtigsten Ausdruck in der »Dokumentenhypothese« fand, bestand weniger in der theologisch-philosophischen Interpretation der biblischen Religion, als vielmehr in der historischen Analyse der Entwicklungsgeschichte der biblischen Quellen bis hin zur Kanonisierung der Hebräischen Bibel. Demnach waren die biblischen Bücher über einen jahrhundertelangen Zeitraum hinweg von unterschiedlichen Autoren verfasst worden, und die Aufgabe der historischen Forschung bestand darin, diesen Prozess mittels literarischer Abgrenzung unterschiedlicher Schichten des Pentateuchs aus den biblischen Quellen zu rekonstruieren. Ihren symbolischen Höhepunkt fand diese Deutung im Werk Julius Wellhausens. Er entwikkelte die Ansätze seiner Vorgänger zu einer differenzierten text- und literarkritischen Theorie fort, die für Generationen von Bibelwissenschaftlern zur beherrschenden Methode und für die – christlichen wie jüdischen – Gegner der Bibelkritik zur entscheidenden Herausforderung wurde. Wellhausen vertrat eine hegelianisch inspirierte evolutionäre Deutung der biblischen Religionsgeschichte, die bekanntlich auf der Grundlage der philologischen Unterscheidung zwischen vier zu einem späteren Zeitpunkt redaktionell zusammengefügten Quellen – dem Jahwisten (J), dem Elohisten (E), dem Deuteronomisten (D) und der Priesterschrift (P) – ein aus jüdischer Perspektive hochproblematisches Bild der israelitischen Religion und des entstehenden Judentums zeichnete. Herausfordernd war diese Konstruktion vor allem deshalb, weil sie traditionelle christliche Vorurteile gegenüber dem nachbiblischen Judentum wissenschaftlich fortzuschreiben und zu legitimieren schien. Aus Wellhausens Sicht waren die ältesten Quellen des Pentateuchs Ausdruck einer natürlichen ›Volksreligion‹, die sich in der klassischen Periode der biblischen Zeit zum ›sittlichen Monotheismus‹ der Propheten entwickelte, dem Höhepunkt der israelitischen Religionsgeschichte, an den später

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das frühe Christentum anknüpfen konnte. Demgegenüber verkörperte die nachexilische Priesterschrift den Niedergang zu einer unschöpferischen, theokratischen Priesterreligion, die die Grundlage des pharisäischen und rabbinischen ›Spätjudentums‹ bildete. 16 Die Hypothesen der Wellhausen-Schule, die als Grundlage des theologischen Selbstverständnisses des modernen Kulturprotestantismus dienten, wurden somit nicht nur zum Symbol einer säkularen, historistischen Interpretation der biblischen Religion und Geschichte, sondern erschienen aus der Sicht jüdischer Gelehrter zugleich als modernisierte, wissenschaftliche Variante des traditionellen christlichen Antijudaismus. Solomon Schechter (18471915), der Präsident des Jewish Theological Seminary in New York, brachte diesen Zusammenhang 1903 drastisch zum Ausdruck, indem er den »higher criticism of the Bible« als »higher anti-Semitism« charakterisierte und als Konsequenz eine eigenständige jüdische Bibelforschung forderte. 17 Die jüdische Auseinandersetzung mit den Hypothesen der historischkritischen Forschung zur Hebräischen Bibel in der protestantischen Universitätstheologie hatte ihren Ursprung im Kontext des komplexen Prozesses der ›biblischen Revolution‹ innerhalb des europäischen Judentums seit der Haskala.18 Unter dem Einfluss der Aufklärung kam es – verstärkt seit Mitte des 19. Jahrhunderts – im Zuge der Modernisierung des Juden16. Vgl. Julius Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 1883; ders., Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 1894; vgl. Hans-Joachim Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, 3. erw. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1982, S. 255-274. Zum umstrittenen Verhältnis Wellhausens zum Judentum vgl. u. a. Hans Liebeschütz, Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von Hegel bis Max Weber, Tübingen 1967, S. 245-268; Rudolf Smend, Wellhausen und das Judentum, Zeitschrift für Theologie und Kirche 79 (1981), S. 249-282; Ulrich Kusche, Die unterlegene Religion. Das Judentum im Urteil deutscher Alttestamentler, Berlin 1991, S. 30-74. Zu Wellhausens Pharisäerbild vgl. Roland Deines, Die Pharisäer. Ihr Verständnis als Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz, Tübingen 1997, S. 40-67 und Hans- Günther Waubke, Die Pharisäer in der protestantischen Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts, Tübingen 1998, S. 196-226. 17. Solomon Schechter, Higher Criticism – Higher Anti-Semitism, in: ders., Seminary Addresses and Other Papers, Cincinnati, OH 1915, S. 35-39. 18. Vgl. Yaacov Shavit u. Mordechai Eran, The Hebrew Bible Reborn. From Holy Scripture to the Book of Books. A History of Biblical Culture and the Battles over the Bible in Modern Judaism (Studia Judaica 38), Berlin u. New York 2007, S. 17-84. Zur Modernisierung der biblischen Exegese vgl. Alan T. Levenson, The Making of the Modern Jewish Bible. How Scholars in Germany, Israel, and America Transformed an Ancient Text, Lanham, Boulder, New York u. London 2011; Baruch J. Schwartz, The Pentateuch as Scripture and the Challenge of Biblical Criticism. Responses among Modern Jewish Thinkers and Scholars, in: Sommer (Hrsg.), Jewish Concepts of Scripture, S. 203-229.

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tums durch religiöse Reform, Säkularisierung und Nationalismus sowie der Integration der jüdischen Minorität in die christliche europäische Gesellschaft zu einer Rückkehr der Hebräischen Bibel ins Zentrum jüdischen Selbstverständnisses und jüdischer Kultur. Diese ›Wiedergeburt‹ der Bibel, die z. T. auf Kosten der normativen Stellung der rabbinischen Literatur erfolgte, war von internen jüdischen Kulturkämpfen begleitet und zugleich mit einer intensiven Auseinandersetzung insbesondere mit der protestantischen Bibelexegese verbunden. Die ›Wiederaneignung‹ der biblischen Tradition, die – als Reaktion auf eine übergreifende Tendenz im protestantischen Europa – von Kritikern auch als ›Protestantisierung‹ des jüdischen Diskurses wahrgenommen wurde, 19 übte eine prägende Wirkung auf das jüdische Selbstverständnis aus, ging mit einer verstärkten Zuwendung zum historischen Denken einher und wurde jenseits der divergierenden religiösen Identitätsentwürfe auch zu einem Schlüsselelement in der Entwicklung des säkularen nationaljüdischen Denkens. Der Kulturzionist Ahad Haʾ am (1856-1927), dessen Denken starken Einfluss auf Buber ausübte, sprach sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Bibel als dem grundlegenden Element der nationalen Selbstfindung des Judentums aus, warnte allerdings auch vor der Übernahme nichtjüdischer Deutungsmuster und betonte, die Bibel solle als ganzheitliche Schöpfung gelesen werden, wie sie sich im Zuge von Traditions- und Redaktionsprozessen herausgebildet habe. 20 Eine eigenständige jüdische Bibelforschung nahm in Deutschland jedoch erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Kontext der Profilierung der neuen Disziplin der Wissenschaft des Judentums, insbesondere ihrer liberalen Strömung, stärkere Konturen an. Ihre Haltung gegenüber der zeitgenössischen protestantischen Bibelexegese war von einer erkennbaren Spannung zwischen ausdrücklicher Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Errungenschaften, partieller Rezeption ihrer Thesen und wachsendem Widerspruch gegen die von ihr entworfene Sicht der Geschichte und Religion Israels bestimmt. 21 Namhafte jüdische Forscher, so etwa der Offenbacher Rabbiner Max Dienemann (18751939), beklagten die Defizite der Wissenschaft des Judentums auf diesem 19. Ebd., S. 23. 20. Vgl. Ahad Haʾ am, Moses, Ost und West 4 (1904), S. 227-246; vgl. Alfred Gottschalk, Ahad Ha-Am as Biblical Critic, Hebrew Annual Review 7 (1982), S. 105119. Zu frühen nationaljüdischen Reaktionen auf die Bibelkritik vgl. Shavit u. Eran, The Hebrew Bible Reborn, S. 149-155. 21. Vgl. Ran HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible. German-Jewish Reception of Biblical Criticism, Berlin u. New York 2010.

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Gebiet und forderten eine eigene leistungsfähige, dogmatisch ungebundene jüdische Forschung, die sich nicht von der Befürchtung leiten lassen sollte, dass mit der historischen und literarischen Erforschung der Tora »der Entwicklungsgedanke in die Köpfe einziehen […] und […] von daher das ganze Gebäude des Judentums ins Wanken geraten würde«, sondern dazu befähigen müsse, dem hegemonialen Deutungsanspruch der protestantischen Theologie ebenso wirksam entgegenzutreten wie antijüdischen oder antisemitischen Stereotypen. 22 Tatsächlich gab es trotz der wertvollen Beiträge jüdischer Semitisten auf dem Gebiet der philologischen Exegese um die Wende zum 20. Jahrhundert eine der modernen protestantischen historisch-kritischen Exegese parallele jüdische Disziplin allenfalls in Ansätzen. 23 Max Wiener (1882-1950), einer der wenigen jüdischen Bibelwissenschaftler jener Zeit, deren Forschung – wenn auch in kritischer Distanz – auf den Prämissen der Bibelkritik basierte, 24 beschrieb 1933, wie der traditionelle Glaube an die Inspiriertheit der zentralen Glaubensurkunden auch bei liberalen Forschern fortwirkte, so dass die Tora, die übrigen Teile der Schrift, Mischna, Gemara, targumische, midraschische und rabbinische Literatur außerhalb des Talmud »gleichsam konzentrische Kreise absteigender Heiligkeit hinsichtlich des Begriffs der an sie sich wagenden Kritik« bildeten. Die Orthodoxie unterscheide sich in dieser Frage von der liberalen Tradition nur graduell, insofern sie das »Tabu der Unberührbarkeit« von der Pentateuchkritik auch auf die Bereiche ausstrahlen lasse, welche die Tora umgäben. 25 Jüdischen Exegeten gelang es daher kaum, 22. Vgl. Max Dienemann, Unser Verhältnis zur Bibel, Allgemeine Zeitung des Judentums 81 (1917), Nr. 25, S. 289-291; Nr. 26, S. 301-302, hier S. 289; vgl. Felix Perles, in: Ludwig Geiger (Hrsg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, Berlin 1910, S. 327: »Selbst das entschieden freisinnige Judentum, das den kritischen Standpunkt prinzipiell anerkennt, hat leider völlig versagt und die Bibelwissenschaft bis heute der protestantischen Theologie als unbestrittene Domäne überlassen«; Ismar Elbogen, Ein Jahrhundert Wissenschaft des Judentums, Berlin 1922, S. 19: »Vor allem ist die mangelhafte Pflege der Bibelwissenschaft zu beklagen, an den bewundernswerten Leistungen des letzten Jahrhunderts auf diesem Gebiet hatten die Juden nur geringen Anteil.« 23. Vgl. Hans Liebeschütz, Das Judentum im deutschen Geschichtsbild, S. 130-132; Christhard Hoffmann, Juden und Judentum im Werk deutscher Althistoriker des 19. und 20. Jahrhunderts, Leiden et al. 1988, S. 35; Moshe H. Goshen-Gottstein, Christianity, Judaism and Modern Bible Study, Vetus Testamentum, Suppl. 28 (1975), S. 69-88. 24. Vgl. dazu Robert Schine, Jewish Thought Adrift. Max Wiener (1882-1950), Atlanta, GA 1992. 25. Max Wiener, Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation, Berlin 1933, S. 228229. Zur Entwicklung der jüdischen Bibelforschung im 19. Jahrhundert vgl. Hans Joachim Bechthold, Die jüdische Bibelkritik im 19. Jahrhundert, Stuttgart, Berlin u. Köln 1995.

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die protestantische Forschung zu einem kritischen Dialog herauszufordern, da letztere den jüdischen Exegeten keine unvoreingenommene wissenschaftliche Interpretation der literar- und religionsgeschichtlichen Grundlagen der Hebräischen Bibel zutraute. Dazu kam, dass eine Rezeption der jüdischen Tradition der Schriftauslegung schon deshalb außerhalb der Vorstellung der alttestamentlichen Wissenschaft lag, weil sie die Hebräische Bibel selbst nicht als lebendige Tradition eines kulturell relevanten zeitgenössischen Judentums, sondern als – teilweise inferiore – Vorgeschichte des Neuen Testaments verstand. Das Judentum sah sich dagegen vielfach durch die protestantischen Hypothesen im Kern herausgefordert. Die kritische Destruktion der Heiligkeit, Autorität, Originalität, literarischen Einheit und historischen Zuverlässigkeit der Hebräischen Bibel bedeutete einerseits eine tiefe Infragestellung einer theozentrischen Weltanschauung, die die Bibel als einzigartiges Dokument göttlichen Ursprungs betrachtete, und wurde andererseits als antijüdische Herabwürdigung der biblischen Tradition empfunden. Bei der Verteidigung der Bibel gegen diese Implikationen mit Hilfe der modernen Wissenschaft handelte es sich um einen dialektischen Prozess, der zugleich Ausdruck einer Modernisierung jüdischer Kultur war. Frühe Reaktionen auf die Bibelkritik erfolgten nur zögernd und fielen je nach religiösem Hintergrund unterschiedlich aus. So akzeptierte der Historiker Isaak Markus Jost (1793-1860) die These der nachexilischen Entstehung der Endfassung des Pentateuchs und bezweifelte die historische Zuverlässigkeit der biblischen Darstellung, verteidigte die Bibel aber als göttlich inspiriertes Buch. 26 Der Reformer Abraham Geiger (1810-1874) stellte in privaten Äußerungen die göttliche Autorität der Bibel in Frage, hielt aber die Bibelkritik mit Blick auf die Gemeindepraxis für ein gefährliches Thema, um das man »wie um einen heißen Brei umgehen muss«. 27 Anders als Ludwig Philippson (1811-1889), der zwar einen wissenschaftlichen Zugang zur biblischen Tradition befürwortete, der historischen Kritik jedoch zunehmend kritisch begegnete, 28 betrachtete Geiger letztere allerdings nicht als Bedrohung, sondern als legitimes Instrument der Erhellung der jüdischen Religionsgeschichte. 29 Einem traditionellen Gelehrten wie Samuel David Luzzatto erschien sie hingegen als Häresie, die die Existenzgrundlage des Judentums zu untergraben drohte. 30 26. 27. 28. 29. 30.

Vgl. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, S. 49-71. Zit. n. Shavit/Eran, The Hebrew Bible Reborn, S. 124. Vgl. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, S. 188-193. Ebd., S. 81-83, 184-188. Vgl. Shavit u. Eran, The Hebrew Bible Reborn, S. 118-120.

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Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts richtete sich die jüdische Auseinandersetzung mit der Bibelkritik dann vor allem gegen die Hypothesen der Wellhausen-Schule, die insbesondere aus Sicht des orthodoxen Judentums vollkommen inakzeptabel waren. 31 Osteuropäische Gelehrte wie Zeʾ ev Jawitz (1847-1924) und Isaac Halevy (1847-1914) kritisierten die historisch-kritische Exegese in aller Schärfe als antisemitischen Angriff. Die Sorge neo-orthodoxer Gelehrter wie Samson Raphael Hirsch (1808-1888) und David Zvi Hoffmann (1843-1921) galt dagegen weniger dem christlichen Antijudaismus als vielmehr dem starken Einfluss der aus ihrer Sicht destruktiven Bibelkritik auf das Selbstverständnis der liberalen Strömung der Wissenschaft des Judentums und den möglichen Folgen für die Tora-Frömmigkeit. Waren sich alle Richtungen der Orthodoxie einig in der Ablehnung der Historisierung der jüdischen Geschichte und der evolutionären Deutung der religiösen Tradition, der sie ein ahistorisches Offenbarungsverständnis entgegensetzten, so gab es doch unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des Verhältnisses von Glauben und Wissenschaft. Während Gelehrte wie Hoffmann, Jacob Barth (1851-1914) oder Esriel Hildesheimer (1820-1899), die mit dem Rabbiner-Seminar zu Berlin verbunden waren, eine historische Auseinandersetzung mit der biblischen Epoche für unumgänglich hielten und den Versuch unternahmen, den protestantischen Exegeten auf ihrem eigenen Feld entgegenzutreten, erblickte Hirsch schon allein darin eine verhängnisvolle Öffnung gegenüber der historischen Kritik. Auch Isaac Breuer (1883-1946), führende Gestalt der Frankfurter Austrittsorthodoxie, schrieb in seinem Buch Der neue Kusari (1934) Bibelkritik und Glauben an die göttliche Inspiration der Tora zwei völlig getrennten Sphären zu und lehnte jeglichen Kompromiss mit der historischen Forschung als Ausdruck der Apostasie ab. 32 Dabei spiegelt gerade Hoffmanns Forschung die apologetische Perspektive des orthodoxen Ansatzes wider. Seit den 1880er Jahren setzte er seinen ganzen Scharfsinn für die Widerlegung der literarkritischen Hypothesen Wellhausens und für den Nachweis der Einheit der Tora und der Integrität des masoretischen Textes ein. 1903 unternahm er es in seinem Werk Die wichtigsten Instanzen gegen die Graf-Wellhausensche Hypothese, durch eine Spätdatierung der Priesterschrift gegenüber dem Deuteronomium das gesamte System der Quellenscheidung zu erschüttern. 33 In den hermeneutischen Überlegun31. Ebd., S. 139-149; HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, S. 154-168. 32. Isaac Breuer, Der neue Kusari. Ein Weg zum Judentum, Frankfurt a. M. 1934, S. 325-335. 33. David Z. Hoffmann, Die wichtigsten Instanzen gegen die Graf-Wellhausensche Hypothese, Heft 1 (Beilage zum Jahres-Bericht des Rabbiner-Seminars zu Berlin für

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gen zu seinem Leviticus-Kommentar (1905/06) bekannte er dabei unumwunden, orthodoxe Bibelforschung könne sich nicht als voraussetzungslos begreifen, sondern stehe unter dem Herrschaftsanspruch der göttlichen Offenbarung. Diese Prämisse ließ allenfalls das Zugeständnis zu, die Tora sei von Mose zu unterschiedlichen Zeiten seines Lebens verfasst worden. 34 Anders akzentuierten Vertreter der positiv-historischen Breslauer Schule der Wissenschaft des Judentums. So wandte sich Heinrich Graetz (1817-1891) zwar Mitte der 1880er Jahre vehement gegen die ›Dokumentenhypothese‹, stellte Wellhausens Hebräischkenntnisse in Frage und kritisierte insbesondere dessen Thesen zur Spätdatierung der ›Priesterschrift‹ scharf als Ausdruck antijüdischer Vorurteile. 35 Er bestritt jedoch zugleich, dass die Bibelkritik die Grundlagen des Judentums in Frage stelle, da der Glaube an die Wahrheit der Tora nicht davon abhänge, ob der Pentateuch als einheitlicher Text in der Ordnung seiner kanonisierten Textgestalt verfasst worden und seine historische Darstellung in allen Details zutreffend sei. Als Historiker bezweifelte er sogar die Zuverlässigkeit der biblischen historischen Überlieferung über den Exodus aus Ägypten und war durchaus geneigt, den Entwicklungsgedanken auf den jüdischen Glauben anzuwenden. Trotz seiner scharfen Kritik an der Methode und ideologischen Motivation Wellhausens folgte Graetz in mancher Hinsicht der inneren Tendenz seiner Hypothesen und wurde dafür von orthodoxen Kritikern als Häretiker angegriffen. 36 Graetz’ Schüler Benno Jacob muss wohl als einziger deutsch-jüdischer Bibelwissenschaftler des Kaiserreichs und der Weimarer Zeit gelten, der den protestantischen Theologen auf dem Gebiet der Pentateuchforschung ernsthaft etwas entgegenzusetzen vermochte. Seine frühen Schriften über den Pentateuch sind dem Versuch gewidmet, eine eigene, spezifisch jüdische Hermeneutik jenseits kritikloser Rezeption oder grundsätzlicher Abwehr der Bibelkritik zu entwickeln und trotz literardas Jahr 1902), Berlin 1903; ein zweiter Teil erschien erst 1916. Zur orthodoxen Bewertung Wellhausens vgl. auch Jakob Neubauer, Wellhausen und der heutige Stand der Bibelwissenschaft, Jeschurun 5 (1918), S. 203-233. 34. David Z. Hoffmann, Das Buch Leviticus übersetzt und erklärt, Bd. 1, Berlin 1905, S. VII-VIII und S. 1-9, hier S. VII. Vgl. auch ders., Thora und Wissenschaft, Jeschurun 7 (1920), S. 497-504. Zu Hoffmanns Ansatz vgl. David H. Ellenson u. Richard Jacobs, Scholarship and Faith. David Hoffmann and his Relationship to »Wissenschaft des Judentums«, Modern Judaism 8 (1988), S. 27-40. 35. Heinrich Graetz Die allerneueste Bibelkritik, Wellhausen-Renan, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 35 (1886), S. 193-204; 233-251. 36. Zu Graetz’ zwiespältiger Haltung gegenüber der Bibelkritik vgl. Shavitz u. Eran, The Hebrew Bible Reborn, S. 133-139; HaCohen, S. 170-181.

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kritischer Differenzierung die grundsätzliche Einheitlichkeit und Göttlichkeit der Tora zu begründen. 37 Zugleich kritisierte er die Willkür, mit der die protestantischen Exegeten die Überlieferungen des Pentateuchs behandelten, um mit Hilfe historischer sowie religions- und literargeschichtlicher Hypothesen auch ihre antijudaistische Prämisse von der priesterlich-gesetzlichen Umwandlung der prophetischen Religion Israels in das sich im ›Rabbinismus‹ versteinernde ›Spätjudentum‹ wissenschaftlich zu untermauern. Jacobs eigene Deutung des Entstehungsprozesses des Pentateuchs, der zufolge ein Redaktor Israels vielfältigkomplexe Traditionen letztlich zu einer organischen Einheit verschmolzen habe, die sich nicht mechanisch in separate Quellenschriften zerlegen lasse, zielte auf eine Würdigung der Tora als Gottes gültige Offenbarung für sein Volk Israel. Selbst wenn die Behauptung der Inspiration und mosaischen Verfasserschaft der Tora wissenschaftlich unhaltbar sei, so sei letztere doch von einem einheitlichen Geist durchdrungen, der angesichts der in ihr vereinten vor- und nachmosaischen Überlieferungen, die Moses gleichsam zur Mitte der Tora machten, auch als der »Geist Moses« bezeichnet werden dürfe. 38 Das Schicksal der Tora – und damit das Existenzrecht des Judentums – hingen aber letztlich nicht an der Verfasserfrage, sondern daran, dass sie die Tora Gottes, seine Lehre, sein Geschenk an Israel sei. Diese Würde könne ihr keine Wissenschaft geben, das vermöchten allein der – von aller literarkritischen Differenzierung unberührbare – Glaube und das göttliche Gepräge der Tora selbst. Indem Jacob jeglicher Abwertung der Tora die feste Überzeugung von ihrer Göttlichkeit entgegensetzte, markierte er die entscheidende theologische Differenz zwischen einer protestantischen Forschung, welche die Hebräische Bibel, speziell den Pentateuch, als mehr oder weniger wertvolle Vorstufe der Wahrheit ihrer eigenen Religion betrachtete, und einer jüdischen Wissenschaft, die nicht von der Lebendigkeit der Tora und ihrer existentiellen Bedeutung für den jüdischen Glauben abstrahieren dürfe: Die zahllosen Lobpreisungen der Thora bei Propheten und Psalmisten, bei Frommen und Denkern gelten nicht so sehr der Thora Moses als der Thora Gottes. An der Lehre Gottes haben sie ihre Lust und sinnen darüber Tag und Nacht; sie ist ihr Weg und Ziel, ihre Wonne und ihr Trost. Als Thora des Ewigen hat sie das Juden37. Vgl. Benno Jacob, Der Pentateuch. Exegetisch-Kritische Forschungen, Leipzig 1905; ders., Die Thora Moses, Frankfurt a. M. 1912/13; ders., Quellenscheidung und Exegese im Pentateuch, Leipzig 1916. Zu Jacob vgl. etwa Almut Jürgensen u. Walter Jacob (Hrsg.), »Die Exegese hat das erste Wort«. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs, Stuttgart 2002. 38. Jacob, Die Thora Moses, S. 93-94.

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tum geschaffen und erhalten. Das ist denn auch die wahre Aufgabe und der höchste Lohn aller Thora-Forschung, ihren Inhalt zu ergründen, und zu begreifen, daß die Lehre Moses eine Lehre Gottes ist, daß der Israelit, der vor die aufgerollte Thora tritt, mit Fug Gott dafür preisen kann, daß er uns in ihr seine »Thora, die Lehre der Wahrheit gegeben und ewiges Leben in uns gepflanzt hat«. 39

Jacob beharrte daher – trotz seiner prinzipiellen Bejahung einer potentiellen Zusammenarbeit mit der protestantischen Forschung – stets ausdrücklich auf der identitätsstiftenden Funktion jüdischer Bibelwissenschaft und postulierte in polemischer Zuspitzung sogar, nur das Judentum könne – aufgrund einer geistigen Affinität, die dem Christentum versagt sei – die Hebräische Bibel angemessen verstehen: »Nur der Jude ist Geist von ihrem Geist, nur er ist ihr unwandelbar treu geblieben und hat nie den Zusammenhang mit ihr zerrissen.« 40 Die reife Frucht seiner Bibelstudien legte Jacob 1934 in seinem monumentalen Genesiskommentar vor, der auf Buber, wie er 1936 in seinem Essay »Genesisprobleme« bezeugt, großen Eindruck machte und ihn in seiner charakteristischen Abgrenzung von den evolutionistischen Erklärungsmodellen und literarkritischen Methoden der Wellhausen-Schule sowie seiner seit Königtum Gottes greifbaren Hinwendung zur ›tendenzkritischen Methode‹ bestärkte, die den Text der Tora auf die Intentionen seiner unterschiedlichen redaktionellen Bearbeitungsstufen und die wesentliche Einheit ihrer Endgestalt hin befragte. 41 Im Vorwort zu seinem Kommentar, der seine Entstehung der Anregung durch Franz Rosenzweig verdankte, berief sich Jacob auf das dringende Desiderat eines modernen, unabhängigen jüdischen Kommentars, »der von unserer Gemeinschaft die Beschämung nehmen sollte, zur wissenschaftlichen Belehrung über ihr eigenstes und heiligstes Buch nur auf christliche Kommentare angewiesen zu sein«. 42 Sein zentrales Ziel bestand darin, »unabhängig von alten und neuen Autoritäten, Dogmen und Lehrmeinungen durch eine möglichst genaue Exegese den ursprünglichen, d. h. den von der Tora selbst gewollten Sinn der Schrift zu ermitteln und damit zu ihren wahren Gedanken und Absichten vorzudringen«. Auf diese Weise wollte er sowohl der durch externe Werturteile bestimmten Auffassung vom ›alten‹ Testament als auch den scheinbar streng wissen39. Ebd., S. 95. 40. Benno Jacob, Unsere Bibel in Wissenschaft und Unterricht, Allgemeine Zeitung des Judenthums 62 (1898), Nr. 43, S. 511-513; Nr. 45, S. 534-536, hier S. 511. 41. Vgl. in diesem Band S. 89-98 und Bubers Überlegungen in »Abraham der Seher« (ebd., S. 114-131). 42. Benno Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000 [Nachdruck der Ausgabe Das erste Buch der Tora. Genesis. Übersetzt und erklärt von Benno Jacob, Berlin 1934], S. 12.

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schaftlichen Hypothesen der Pentateuchkritik eine sowohl durch die Tradition jüdischer Exegese als auch durch moderne literarische Methoden fundierte Interpretation des Buches Genesis und der Tora insgesamt entgegensetzen. Die gängige protestantische Exegese sei, insofern sie »einen sinnvollen Organismus, bei dem alle Teile sich aufeinander beziehen, voreilig zerstückelt«, gänzlich unfähig, »die Zusammenhänge zu begreifen und die eigenartige Kompositionsweise des Buches zu erfassen«. Ähnlich wie Buber kommt Jacob zu dem Ergebnis, die Genesis sei, ungeachtet des Zusammenflusses unterschiedlicher Quellen »ein einheitliches Werk, in Einem Geiste entworfen, durchdacht und durchgearbeitet«. 43 Bubers auf intimer Kenntnis der exegetischen Forschungsliteratur beruhende eigene eingehende kritische Auseinandersetzung mit den Thesen und Methoden der historisch-kritischen Exegese, die sich in den Kommentaren Königtum Gottes, Der Glaube der Propheten und Moses, aber auch in zahlreichen Essays widerspiegelt, bezieht sich jedoch nicht allein auf Benno Jacob (und die hier nicht näher in den Blick zu nehmende Auseinandersetzung mit der Bibelkritik an der 1925 gegründeten Hebräischen Universität Jerusalem). 44 Sie gewinnt noch einmal an 43. Ebd., S. 9-10. Vgl. Shimon Gesundheit, »Dieser Kommentar will und soll ein jüdischer sein« – Zur Intention der Schriftauslegung Benno Jacobs, in: Jacob, Das Buch Genesis, S. 4-7. 44. Zentrale Merkmale der jüdischen Auseinandersetzung mit der Bibelkritik blieben auch über das deutsche und europäische Judentum hinaus bestimmend und wirkten bis in die säkularen Teile der israelischen Gesellschaft hinein. Aufschlussreich für die Anfänge des Staates Israel ist die Entwicklung der Bibelforschung an der Hebräischen Universität in Jerusalem seit den 1930er Jahren; vgl. Shavit u. Eran, The Hebrew Bible Reborn, S. 384-398. Nachdem der Versuch, mit Hirsch Perez Chajes (1876-1927) einen Gelehrten zu gewinnen, der einer historisch-kritischen Betrachtung der Bibel offen gegenüberstand, gescheitert war, besetzte 1939 mit Moshe David (Umberto) Cassuto ein entschiedener Gegner der Bibelkritik den Lehrstuhl, der im Gegensatz zu Wellhausens Hypothesen den Pentateuch als einheitliche, harmonische Schöpfung verstand, wenn er auch – wie Jacob und Buber – zugestand, dass darin unterschiedliche historische Traditionen und Quellen, aber keine eigenständigen Literaturwerke verarbeitet seien. Yehezkel Kaufmann, der seit 1949 in Jerusalem Bibelwissenschaft lehrte, ging dagegen davon aus, der Autor des Pentateuchs habe Material benutzt, das bereits feste literarische Formen angenommen hatte, und erkannte grundsätzlich die literarkritischen Unterscheidungen der Dokumentenhypothese an. Allerdings versuchte Kaufmann eine Antithese zu Wellhausens Geschichtsbild zu begründen und die Spätdatierung der ›Priesterschrift‹ sowie den Vorrang der Prophetie zu widerlegen. Anstatt P als ›Gesetz‹, d. h., als ›spätjüdische‹ Degenerierung des vorexilisch-prophetischen ›Evangeliums‹ zu verstehen, deutete Kaufmann die Schrift in seinen religionsgeschichtlichen Arbeiten als Dokument der vorexilischen Zeit im Zusammenhang mit der Entstehung des Monotheismus aus dem Genius des jüdischen Volkes. Zwar enthält auch seine Deutung ein evolutionistisches Element, doch mit der Vorordnung der Tora vor der prophetischen

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Profil, wenn man sie mit Franz Rosenzweigs Konzept einer jüdischen biblischen Hermeneutik ins Gespräch bringt, das dieser bereits vor – und dann im Zuge – der gemeinsamen Arbeit an der ›Verdeutschung‹ der Schrift entwickelte. Ausgangspunkt Rosenzweigs war die Wahrnehmung einer Krise des Historismus, 45 die aus seiner Sicht auch die Grundlagen der historisch-kritischen Exegese betraf, mit deren Prinzipien er – wie Buber – selbstverständlich bestens vertraut war. Dass er zunächst die Hochachtung vieler jüdisch-liberaler Gelehrter gegenüber den Forschungen der liberalen Protestanten zum ›Alten Testament‹ zumindest prinzipiell teilte, ist aus frühen Bemerkungen ersichtlich – etwa wenn er 1920 in einem Brief an seine Frau Edith die Unentbehrlichkeit des Studiums der protestantischen Kommentarliteratur hervorhob. Unverzichtbar sei sie nicht, »um jüdisch zu lernen, aber um jüdisch zu lehren. Das kann heute nur, wer die Weisheit der Ägypter beherrscht. Erst für das Geschlecht, dem wir dann wieder das Sinaiwort vermittelt haben, wird die Weisheit Ägyptens wieder entbehrlich geworden sein«. 46 Die Bewunderung für die wissenschaftlichen Errungenschaften gerade der Wellhausen-Schule bewahrte er sich, wie ein Brief aus dem Jahr 1927 an seine Cousine Gertrud Oppenheim verrät, auch in späteren Jahren: Wellhausens Israelitische und Jüdische Geschichte preist er darin als »kurzes und prachtvoll zu lesendes Buch, eine der literarischen Leistungen der deutschen Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts«, dessen Lektüre allenfalls jene der Übersetzung der Bibel selbst vorzuziehen sei. 47 Wie sein Lehrer Hermann Cohen (1842-1918) war sich RosenLiteratur entsteht ein völlig anderes Bild des Frühjudentums, das der christlichen Substitutionstheologie den Boden entzieht; zu Kaufmann, der sich mehrfach kritisch auf Bubers Arbeiten bezog, vgl. Thomas Krapf, Yehezkel Kaufmann. Ein Lebens- und Erkenntnisweg zur Theologie der Hebräischen Bibel, Berlin 1990; Aly Elrefaei, Wellhausen and Kaufmann. Ancient Israel and Its Religious History in the Works of Julius Wellhausen and Yehezkel Kaufmann (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft), Berlin u. Boston 2016; Job Y. Jindo, Benjamin D. Sommer u. Thomas Staubli (Hrsg.), Yehezkel Kaufmann and the Reinvention of Jewish Biblical Scholarship, Fribourg u. Göttingen 2017; vgl. auch Bubers Entgegnungen auf Kaufmanns Kritik in dessen Rezension zur hebräischen Erstausgabe von Der Glaube der Propheten, die Buber in seinem Vorwort zur zweiten hebräischen Auflage seiner Prophetiedeutung darlegt, in deutscher Übersetzung in diesem Band, S. 885-887. 45. Vgl. David N. Myers, Resisting History. Historicism and Its Discontents in GermanJewish Thought, Princeton, NJ 2009 (zu Rosenzweig vgl. bes. S. 68-105). 46. Franz Rosenzweig an Edith Rosenzweig, Ende November 1920, in: Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk: Gesammelte Schriften, Teil I: Briefe und Tagebücher, Bd. 2 (1918-1929), hrsg. von Rachel Rosenzweig und Edith RosenzweigScheinmann unter Mitwirkung von Bernhard Casper, Den Haag 1979 (im Folgenden GS I/2), S. 691-692. 47. Franz Rosenzweig an Gertrud Oppenheim, 29. August 1927, in: GS I/2, S. 1170.

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zweig jedoch zugleich der antijudaistischen Implikationen der kulturprotestantischen Geschichtskonstruktionen bewusst, 48 und er konnte die Kritik daran gelegentlich polemisch zuspitzen – am schärfsten in Bemerkungen zur üblichen Wiedergabe des Tetragramms mit ›Jahwe‹, die den Gottesnamen zum Götzennamen degradiere: »eine mit modernen Kriegsmitteln unternommene Fortführung des alten theologischen Kampfs gegen das ›Alte Testament‹ oder wenigstens seinen Autarkieanspruch, seine Biblizität, die es für den Juden hat«. 49 Schon früh, in einem 1921 in Hanau gehaltenen Vortrag zur Bibelkritik, begründete er seine Distanz zur historisch-kritischen Methode, die ihm früher – als Historiker – »schnuppe« gewesen sei, in Frankfurt, wo er seit 1920 lebte, aufgrund der starken Präsenz der Orthodoxie im Gefolge Samson Raphael Hirschs allerdings als »Schiboleth« gelte, auch unabhängig vom Aspekt antijudaistischer Deutungen. Entscheidend erschienen ihm nun vornehmlich die Grenzen der Bedeutsamkeit der historischen Kritik für ein genuin jüdisches Bibelverständnis. So gewiss die Bibel zunächst ein Buch »wie alle andern Bücher«, also den Methoden der Philologie auszusetzen sei, so gewiss verfehlten letztere den Sinn der Schrift, wenn sie den Akzent allein auf die historischen Quellen und Autoren legten statt auf die Leser. Darin aber werde ein entscheidender Unterschied zwischen christlicher und jüdischer Lektüre der Hebräischen Bibel sichtbar:

48. Vgl. die Tagebucheintragung vom 21. 5. 1914, in der Rosenzweig die Jesajadeutung Bernhard Duhms als Ausdruck der Überzeugung interpretiert, »daß das Christentum eine direkte Fortsetzung dieses älteren Profetismus sei, das Judentum nur ein Seitenzweig«; vgl. Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk: Gesammelte Schriften, Teil I: Briefe und Tagebücher, Bd. 1 (1900-1918), hrsg. von Rachel Rosenzweig und Edith Rosenzweig-Scheinmann unter Mitwirkung von Bernhard Casper, Den Haag 1979 (im Folgenden GS I/1), S. 152. Vgl. den Brief Franz Rosenzweigs an seine Eltern vom 29. Oktober 1916, in dem er die lange etablierte Übermacht der protestantischen Deutung beklagt. Eine »lebendige Einwirkung jüdischer Gelehrter auf die Anschauungen vom A.T.« sei nicht mehr zu erwarten, weil die »klassische Zeit der Konsolidierung dieser Ansichten« abgeschlossen sei: »Wellhausen beeinflußt Cohen, nicht umgekehrt«. Erst wenn die jüdische Forschung ihre Deutung der jüdischen Religionsgeschichte durchgesetzt habe, werde möglicherweise »ganz von selbst« die Einseitigkeit der protestantischen Exegese verschwinden, »die bisher den ›Profetismus‹ nur als den Ursprung des Christentums begriff und nicht, was doch mindestens genauso berechtigt ist, auch des Judentums«; vgl. Rosenzweig, GS I/1, S. 262-265, hier S. 264. 49. Franz Rosenzweig, ›Der Ewige‹. Mendelssohn und der Gottesname, in: ders., Der Mensch und sein Werk: Gesammelte Schriften, Teil III: Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, hrsg. von Reinhold Mayer und Annemarie Mayer, Dordrecht 1984 (im Folgenden GS III), S. 801-815, hier S. 813.

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Der Christ muß anders lesen wie wir. Er bleibt selbst wenn er den wahren Autor kennt, immer in der Gefahr, sich in die Autoren zu verlieren. Die Bibel ist nicht sein Buch. Sie ist ihm gesagt und von Gott gesagt, aber – nicht durch seinesgleichen. Sie bleibt ihm immer ein bißchen Buch. Uns aber ist sie, wenn wir richtig lesen, – unbeschriebenes Blatt. Wort, das wir erst zu schreiben, – nein, zu sprechen haben. 50

»Die Bibelkritik – nebbich«. 51 Das lakonische Schlusswort des Vortrags deutet an, was im Nachdenken Rosenzweigs über die protestantische Bibelkritik in den folgenden Jahren und im Kontext der Vertiefung in die Arbeit an der ›Verdeutschung‹ der Schrift immer klarer in den Vordergrund trat: die Einsicht in die Irrelevanz, ja Schädlichkeit der Bibelkritik für das Projekt der Neubelebung des Judentums in der Begegnung mit der Hebräischen Bibel und die Bedeutsamkeit des Akzents auf ihrer wesentlichen Einheit jenseits historischer und literarischer Hypothesen zum Prozess ihrer Entstehung. Der vollkommen hypothetische Charakter der Bibelkritik, so Rosenzweig 1922 in einer privaten Korrespondenz, lasse sie – »trotz allen Scharfsinns« – faktisch als »schauderhaft ergebnislos« erscheinen, als eine »heillose Wissenschaft, Heil-los in jeder Beziehung«. 52 Das bedeute nicht, dass moderne Leser der Bibel ihr wissenschaftliches Bedürfnis »einfach in die Ecke kuschen lassen« sollten, die eigentlich bedeutsame Frage betreffe jedoch nicht das »woher« eines biblischen Textes, sondern seine Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart: Meine Methode ist folgende: Da der Weg rückwärts vorläufig reiner Schwindel ist – hypotheses non fingo – so muß ich den Weg vom Bibelwort vorwärts versuchen. Also: nicht die Ursachen, die es erzeugt haben, sondern die Wirkungen, die es hervorgerufen hat. Ich lese also, wenn mich eine Bibelstelle interessiert, alles was ich an alten Kommentaren dazu finde, und sehe, was mit dieser Stelle im Lauf unsres jüdischen Lebens alles geschehen ist, nebenher auch was christlicherseits von dem Wort ausgegangen ist. Das ist auch Geschichte, und – hypothesenfrei. Und wenn ich auf die Weise plötzlich mich selbst in der Reihe der ›Kommentatoren‹ finde, dann weiß ich, daß ich verstanden habe, vielleicht sogar mehr und besser verstanden als wenn ich dem Schreiber über die Schulter geguckt hätte. 53

50. Franz Rosenzweig, Die Bibelkritik, in: GS III, S. 747-748. 51. Ebd., S. 748. 52. Franz Rosenzweig an Ernst Markowicz, Ende Februar 1922, in: GS I/2, S. 753-754, hier S. 753. In einem Brief an Buber vom 9. Juni 1927 zur Frage der Quellenscheidung urteilte Rosenzweig, der Text der Tora sei erkennbar »aus verschiedenen Quellen zusammengeflossen«, es sei aber hoffnungslos, »in dem Strom noch die Gewässer der Quellen unterscheiden zu wollen«; GS I/2, S. 1155-1156, hier S. 1155. 53. Franz Rosenzweig an Ernst Markowicz, Ende Februar 1922, in: GS I/2, S. 754.

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Rosenzweigs Skepsis gegenüber der Aussagekraft der historisch-kritischen Methode und seine Suche nach der – komplexen, aber zugleich organischen – Einheit der Schrift, für die er vor allem im Werk Benno Jacobs Orientierung fand, 54 veranlassten ihn, wie Buber eine Position jenseits der orthodoxen Gegnerschaft gegen die historische Kritik und einer kritiklosen liberalen Rezeption der protestantischen Forschung einzunehmen. Die Differenz zur Orthodoxie lag, wie er 1927 in einem Brief an den Frankfurter orthodoxen Gelehrten Jacob Rosenheim (1870-1965) darlegte, darin, dass Buber und er bei der ›Verdeutschung‹ der Tora aus ihrem »Glauben an die Heiligkeit, also die Sonderstellung der Tora, und an ihren Offenbarungscharakter«, keine Schlussfolgerungen über den literarischen Entstehungsprozess ziehen zu können meinten – im Gegenteil, selbst eine Anerkennung aller Theorien Wellhausens würde diese Überzeugung »nicht im mindesten berühren«. Sie teilten jedoch mit der Orthodoxie die Überzeugung von der Einheit der Tora: Auch wir übersetzen die Tora als das eine Buch. Auch uns ist sie das Werk eines Geistes. Wir wissen nicht, wer er war; daß es Mose war, können wir nicht glauben. Wir nennen ihn unter uns mit dem Sigel, mit dem die kritische Wissenschaft ihren angenommenen abschließenden Redaktor bezeichnet: R. Aber wir ergänzen dieses R nicht zu Redaktor, sondern zu Rabbenu. Denn, wer er auch war und was ihm auch vorgelegen haben mag, er ist unser Lehrer, seine Theologie unsre Lehre. 55

Die Vision einer historisch-kritisch fundierten, aber von der Vorherrschaft der protestantischen Perspektive befreiten »Wissenschaft von morgen«, 56 die Rosenzweig in Auseinandersetzung mit dem Rationalismus und Historismus der deutsch-jüdischen liberalen Tradition ebenso wie mit dem neo-orthodoxen Bibelverständnis vorschwebte, entfaltete er 1929 in einer ausführlichen Rezension des ersten Bandes der von Jakob Klatzkin (1882-1948) und Ismar Elbogen (1874-1943) herausgegebenen Encyclopedia Judaica, in der er sich auch mit der Situation der jüdischen 54. In einem Brief an Benno Jacob vom 22. Mai 1921 schrieb Rosenzweig, er habe dessen Arbeiten »mit atemloser Spannung« gelesen und wünsche sich einen Kommentar zur Tora aus dessen Feder. Besonders bewundere er die »Beiseiteschiebung der quellenkritischen Künsteleien durch eine sorgfältige Exegese« und die Heranziehung der alten jüdischen Exegeten: »man fühlt bei fast allem, was Sie sagen, den Pulsschlag der jüdischen Geistesgeschichte; es sind nicht die Fündlein von gestern und vorgestern, die einen bei den modernen Kommentaren sonst nicht zur Ruhe kommen lassen«; GS I/2, S. 706. 55. Franz Rosenzweig an Jacob Rosenheim, 21. April 1927, in: GS I/2, S. 1134-1137, hier S. 1134-1135; vgl. Franz Rosenzweig, Die Einheit der Bibel. Eine Auseinandersetzung mit Orthodoxie und Liberalismus, in: GS III, S. 831-835. 56. Franz Rosenzweig an Rudolf Hallo, 24. Oktober 1927, in: GS I/2, S. 1173-1174, hier S. 1174.

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Bibelwissenschaft auseinandersetzte. Die Kritik an der jüdischen Orthodoxie fällt harsch aus: Sie sei die einzige der europäischen Orthodoxien, die nicht über das Dogma der Verbalinspiration hinausgewachsen sei und Bibelkritik noch immer als »feindselige Kritik der biblischen Inhalte« missverstehe, sich so aber zugleich jeglichen geistigen Einflusses außerhalb des Judentums und ihrer Relevanz innerhalb des Judentums beraube. Dagegen sei im protestantischen Bereich als Vorbild an den »von Ehrfurcht gegen das Alte Testament und von festem Glauben an seinen göttlichen Ursprung durchdrungenen Bibeltextkritiker Franz Delitzsch« zu erinnern, und selbst die Wellhausen-Schule, die »bête noire unsrer Orthodoxie«, habe der jüdischen Forschung – bei aller Differenz des Ansatzes – wertvolle Impulse gegeben, etwa beim Verständnis der Prophetie. 57 Das eigentliche und dringlichste Problem, so Rosenzweigs Diagnose, bestehe letztlich im Fehlen einer zeitgemäßen jüdischen Bibelwissenschaft, die auf Ebenbürtigkeit gegenüber der protestantischen Forschung ziele, anstatt sich deren Hegemonieanspruch zu unterwerfen: Unsre Bibelwissenschaft, soweit sie modern sein will, hat den inneren Anschluß an die jüdisch-wissenschaftliche Vergangenheit verloren und macht sich zu einem Teil der protestantischen Alttestamentsforschung. Was von Ansätzen zu einer neualt jüdischen Bibelwissenschaft da ist, ist entweder, wie das, was die neue Bibelübersetzung zu diesem Ziele beisteuert, noch wirkungslos oder wie das Werk B. Jacobs noch unsichtbar. 58

Gegenüber der protestantischen Forschung, die sich »in natürlicher Fortsetzung des alten christlichdogmatischen Bestrebens, alles Jüdische zu einer Vorgeschichte zu machen«, fast ausschließlich für die »Vor-Frage« nach der literarischen Entstehung der biblischen Texte interessiere, müsse sich die jüdische Forschung der »Nach-Frage« nach der Absicht des vorliegenden Ganzen der Schrift widmen. Der Text in seiner vorliegenden Gestalt müsse im Sinne der abschließenden Redaktion gelesen und verstanden werden, »nicht im Sinne der etwa einzeln herauszuschälenden Quellen«. Diese »neue Bibelwissenschaft«, die »sich vor keinem Problem der kritischen Moderne die Augen« zuhalten dürfe, diese Probleme aber aus der Perspektive des »letzten Redaktors« oder aber »vom ersten Leser her« aufrollen müsse, werde dann von selbst auch zu den Fragen der älteren jüdischen Bibelexegese zurückfinden. Keine wissenschaftliche Möglichkeit des von der historischen Kritik entwickelten Instrumenta57. Franz Rosenzweig, Zur Encyclopedia Judaica. Zum ersten Band. Mit einer Anmerkung über jüdische Bibelwissenschaft, in: GS III, S. 731-734, hier S. 732-733. 58. Ebd., S. 733-744.

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riums dürfe ihr fremd sein: »Aber so weit zurück in die Vergangenheit sie ihren Scheinwerfer richtet, – nie vergißt sie, daß sie selber, sie die Sehende, die Enkelin und Erbin jener Vergangenheit ist.« Erst wenn sich diese Erkenntnis durchgesetzt habe, könne jüdische Bibelforschung die ängstliche Trennung zwischen biblischem Text, traditioneller Exegese und moderner Wissenschaft überwinden. 59 Rosenzweig konnte mit diesen Überlegungen Bubers Einverständnis voraussetzen, da auch dieser in seinen Essays zur ›Verdeutschung‹ der Schrift hervorhob, die Leser der Hebräischen Bibel sollten mit den Hypothesen der modernen Wissenschaft vertraut sein, dürften ihr aber unbefangen begegnen, als hätten sie sie nicht »im Schein ›religiöser‹ und ›wissenschaftlicher‹ Sicherheiten vorgesetzt bekommen«. 60 Diese Unbefangenheit werde dann die wesentliche Einheit der Bibel sichtbar machen und sie nicht nur als antikes Literaturwerk, sondern als fundamentale Urkunde der dialogischen Begegnung des jüdischen Volkes mit dem Göttlichen erweisen: »Biblia, Bücher, ein Buch, ein Buch aus Büchern«, so heißt es zu Beginn des 1926 gehaltenen Vortrags »Der Mensch von heute und die jüdische Bibel«: »Es ist aber in Wahrheit Ein Buch. Alle diese Erzählungen und Gesänge, Sprüche und Weissagungen sind vereint durch das Grundthema der Begegnung einer Menschenschar mit dem Namenlosen, den sie, seine Anrede erfahrend und ihn anredend, zu benennen wagte, ihrer Begegnung in der Geschichte, im Gang des irdischen Geschehens«. 61 Ähnlich wie bei Rosenzweig ist auch Bubers Distanzierung von der historischen Kritik der protestantischen Theologie nicht allein als Protest gegen deren hegemoniale Ansprüche zu verstehen, sondern vornehmlich Ausdruck der Überzeugung, weit wichtiger als die Rekonstruktion des Historischen sei, dass sich der zeitgenössische Leser das biblische Geschehen existentiell aneigne. 62 Was Buber bewegte, war die Frage, auf welche Weise sich die Kluft überwinden lasse zwischen dem offenbarten Anspruch der Schrift, »als Urkunde der wahren Geschichte der Welt anerkannt zu werden, als jener nämlich, in der die Welt einen Ursprung und ein Ziel hat«, und ihre Forderung an den Einzelnen, »in diese wahre Geschichte das eigne Leben einzubetten«, 63 einerseits und dem Menschen der Gegenwart, der der Bibel allenfalls noch ein »religiö59. Ebd., S. 734. 60. Martin Buber, Der Mensch von heute und die jüdische Bibel, in: ders., Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken-Verlag 1936, S. 13-45, jetzt in: MBW 14, S. 38-55, hier S. 41. 61. Ebd., S. 38. 62. Vgl. Muilenburg, Buber als Bibel-Interpret, S. 365. 63. Buber, Der Mensch von heute und die jüdische Bibel, S. 41.

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ses« oder religions- und kulturgeschichtliches bzw. ästhetisches Interesse entgegenbringe, andererseits. Ein neuer Zugang, eine »Rückkehr zur Bibel«, aber sei nicht durch philologisch-historische Analyse möglich, sondern indem sich der Mensch in seinem Leben ansprechen, in die Verantwortung rufen lasse, »dem Himmel auf Erden gerecht (zu) werden und nirgendwo anders«, d. h. indem er zum Hören des ganzheitlichen Worts umkehre: Meinen wir ein Buch? Wir meinen die Stimme. Meinen wir, daß man lesen lernen soll? Wir meinen, daß man hören lernen soll. Kein andres Zurück, als das der Umkehr, die uns um die eigne Achse dreht, bis wir nicht etwa auf eine frühere Strecke unsres Wegs, sondern auf den Weg geraten, wo die Stimme zu hören ist! Zur Gesprochenheit wollen wir hindurch, zum Gesprochenwerden des Worts. 64

Damit ist ein Aspekt angesprochen, der in Bubers dialogischer Deutung der biblischen Prophetie eine entscheidende Rolle spielt und der seinem biblischen Denken seinen – auch gegenüber der zeitgenössischen jüdischen Exegese – ganz unverwechselbaren Charakter verleiht. Angesichts des Stellenwerts, welcher dem Prophetischen in Bubers Werk zukommt, gilt es den Blick daher noch auf eine andere einflussreiche Tradition der Rezeption der protestantischen Bibelkritik durch die Wissenschaft des Judentums zu richten, von der sich die Interpretation des Philosophen erkennbar unterscheidet – jene des zeitgenössischen liberalen Judentums. Obwohl sich auch liberale jüdische Gelehrte durch die antijudaistischen Implikationen der Geschichtskonstruktionen der Wellhausen-Schule herausgefordert fühlten, teilten sie mehrheitlich die Prämissen der historisch-kritischen Herangehensweise an die biblischen Quellen und nutzten vor allem einen charakteristischen Aspekt der protestantischen Deutungsmuster – die besondere Wertschätzung der Prophetie – auf kreative Weise für ihre Strategie der Verteidigung der religiös-kulturellen Geltung des Judentums in der Moderne. »Die Bibelkritik der protestantischen Theologie ist das beste Gegengift gegen den Judenhass«, formulierte etwa der Philosoph Hermann Cohen 1907 in seinem bedeutenden Essay »Religion und Sittlichkeit« und verlieh der Hoffnung Ausdruck, die Thesen der Wellhausen-Schule könnten eine Veränderung des Judentumsbilds der deutschen Gesellschaft bewirken, da sie ausgezeichnete Voraussetzungen für eine religionsphilosophische Deutung des Judentums als einer universalen prophetischen Menschheitsreligion böten. 65

64. Ebd., S. 55. 65. Hermann Cohen, Religion und Sittlichkeit, in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 3, hrsg. von Bruno Strauß, Berlin 1924, S. 98-168, hier S. 167.

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Nun war Cohen nicht so naiv, dass ihm entgangen wäre, dass gerade das Geschichtsbild der Wellhausen-Schule eine auffällige Tendenz aufwies, Teile der biblischen Überlieferung, vor allem die nachprophetischpriesterliche und die pharisäische Tradition, zugunsten scheinbar objektiv fundierter christlicher Überlegenheitsansprüche herabzuwürdigen und das Existenzrecht des gesamten nachbiblischen Judentums grundsätzlich in Frage zu stellen. Die von Adolf von Harnacks (1851-1930) berühmten Vorlesungen über das Wesen des Christentums (1899/1900) ausgelöste erbitterte Kontroverse zwischen Wissenschaft des Judentums und protestantischer Theologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts über das ›Wesen‹ von Judentum und Christentum resultierte gerade daraus, dass der Berliner Kirchenhistoriker Wellhausens geschichtliche Darstellung der israelitischen Religionsgeschichte völlig kritiklos aufgriff, um Jesu Persönlichkeit und Botschaft von einem äußerst negativ stilisierten pharisäischen Judentum abzugrenzen, und die jüdischen Ursprünge und Elemente des Christentums als längst überwundene äußere Merkmale herabwürdigte. 66 Cohen sprach daher 1918 in seinem Nachruf auf Wellhausen die negative Wirkung seiner literarkritischen und religionsgeschichtlichen Interpretationen deutlich an, wenn er einerseits an die »wahrhaft herzliche Eintracht und Vertraulichkeit des jüdischen mit dem christlichen Universitätskollegen« erinnerte und Wellhausen als einen Forscher charakterisierte, »der eine gewaltige Lebensarbeit der Durchforschung des Alten Testaments gewidmet und der für das Verständnis der israelitischen Propheten unvergängliche Verdienste sich erworben hat«, andererseits jedoch sein fehlendes Bewusstsein für die Legitimität der Fortexistenz des Judentums nach dem Auftreten Jesu kritisierte. 67 Dennoch versprach sich Cohen von der protestantischen 66. Vgl. Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorlesungen vor Studierenden aller Facultäten im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin, Leipzig 1900; zur theologischen und politischen Dimension der Debatte vgl. u. a. Uriel Tal, Theologische Debatte um das »Wesen« des Judentums, in: Werner E. Mosse u. Arnold Paucker (Hrsg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland 18901914, Tübingen 1976, S. 599-632; Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im Wilhelminischen Deutschland. Ein »Schrei ins Leere«?, Tübingen 1999. 67. Hermann Cohen, Julius Wellhausen. Ein Abschiedsgruß, in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 2, hrsg. von Bruno Strauß, Berlin 1924, S. 463-468, hier S. 463-464 u. S. 466-467. Entsprechend zwiespältig blieb Cohens Verhältnis zur Bibelkritik: Wenn es darum ging, die Schaffung von Lehrstühlen für die Wissenschaft des Judentums an deutschen Universitäten zu begründen und eine eigenständige jüdische Bibelwissenschaft zu fördern, konnte Cohen explizit davor warnen, »das Studium unserer Bibel der protestantischen Theologie [zu] überlassen«, und betonen, »daß eine noch lebendige Religion […] das Studium ihrer eigenen Quellen nimmermehr einer Wissenschaft anvertrauen darf, welche tatsächlich und pro-

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Bibelkritik weitreichende politisch-kulturelle Wirkungen: »Der Prophetismus ist als die Seele der jüdischen Religion erkannt«, schrieb er 1913 in der Besprechung eines Essays von Alfred Bertholet über Die Eigenart der alttestamentlichen Religion und bezeichnete es angesichts der antisemitischen Anfeindungen seiner Zeit als Trost, »daß die Anerkennung unserer Religion in bisher unbekannter Tiefe sich zu entfalten und auszubreiten begonnen hat, und daß die Wissenschaft es ist, die von der protestantischen Kathedertheologie gepflegte Wissenschaft, welche diese Erkenntnis sich errungen hat und durch dieselbe ihre eigene religiöse Einsicht vertieft«. 68 Entscheidende Anziehungskraft auf liberale jüdische Gelehrte wie Cohen übte das neuromantische Prophetieverständnis aus, das etwa in den einflussreichen Forschungen Bernhard Duhms (1847-1928) zum Ausdruck kam und in dessen Zentrum die Persönlichkeit und Individualität der Propheten standen, die dank ihres schöpferischen religiösen Genius dem Volk Israel ein vollkommen neues Ethos eingeprägt hätten. 69 In der universalistischen Auffassung der Prophetie, so die Konstruktion der liberalen Bibelkritik, habe die israelitische Religion eine weder zuvor noch später feststellbare ethische Kraft erreicht, an die Jesus mit seiner Botschaft des Reiches Gottes unmittelbar anknüpfen konnte und die er schließlich zur Vollendung brachte. Der aus der Wellhausen-Schule stammende Alttestamentler Carl Heinrich Cornill (1854-1920) hatte diesen Ansatz 1894 in seiner Arbeit Der israelitische Prophetismus in den folgenden, von jüdischen Gelehrten geradezu beschwörend immer wieder zitierten Formulierungen zusammengefasst: Die Geschichte der gesamten Menschheit hat nichts hervorgebracht, was sich auch nur entfernt mit dem israelitischen Prophetismus vergleichen ließe: durch seinen Prophetismus ist Israel der Prophet der Menschheit geworden. Möchte das doch

grammatisch keineswegs lediglich Wissenschaft sein, sondern durch diese ihre Wissenschaft ihre Religion, eine andere Religion begründen und befestigen will. Wir werden immerdar mit tiefer Dankbarkeit der Verdienste gedenken, welche die protestantische Kathedertheologie um die Bibelkritik sich erworben hat, aber wir dürfen darüber nicht der eigenen Pflicht untreu werden, welche die Haltung unseres eigensten Gutes uns auferlegt«; Hermann Cohen, Gedächtnisfeier der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums am 25. Oktober 1908, in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 2, S. 425-438, hier S. 431-432. 68. Hermann Cohen, Die Eigenart der alttestamentlichen Religion, in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 2, S. 410-415, hier S. 415; vgl. Alfred Bertholet, Die Eigenart der alttestamentlichen Religion. Eine akademische Antrittsrede, Tübingen 1913. 69. Vgl. Bernhard Duhm, Die Theologie der Propheten als Grundlage für die innere Entwicklungsgeschichte der israelitischen Religion, Bonn 1875; ders., Israels Propheten, Tübingen 1916.

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niemals übersehen und vergessen werden: das köstlichste und edelste, was die Menschheit besitzt, sie verdankt es Israel und dem israelitischen Prophetismus. 70

Die Strategie liberaler jüdischer Gelehrter, die etwa in den Arbeiten Max Wieners über die Prophetie deutlich wird, bestand darin, die protestantische Hochschätzung der Prophetie zu akzentuieren, zugleich aber der impliziten Abwertung der vorprophetischen Ursprünge der israelitischen Religionsgeschichte und das negative Bild der nachexilischen Entwicklung bis hin zum sogenannten ›Spätjudentum‹ zu widersprechen und eine grundsätzliche Kontinuität des prophetischen Geistes durch alle Epochen der jüdischen Geschichte zu behaupten. 71 Die zwiespältige Beziehung zur protestantischen Bibelforschung wird in dieser Rezeption der Prophetiedeutung besonders sichtbar. Bot die negative Darstellung der vorprophetischen und nachexilischen Zeit Anlass zur Polemik, so lieferte gerade die positive Deutung der Prophetie im Sinne des ›ethischen Monotheismus‹ – das heißt des Glaubens an den einen Gott und seinen Anspruch auf die menschliche Verwirklichung seines heiligen Willens – ein wichtiges Fundament jüdisch-liberaler Identität. Cohens Lob der Bibelkritik beruhte auf dem Wissen, dass die von protestantischer Seite zur normativen Mitte der Hebräischen Bibel erhobene Prophetie mit ihrer universalen und sozial geprägten Botschaft in der jüdischen Reformbewegung spätestens seit Abraham Geiger zum Kern einer Neuinterpretation des Judentums geworden war, die ihrerseits dem prophetischen Element – entgegen der traditionellen Betonung der mosaischen Gesetzgebung – eine normative Funktion zuschrieb. Dies war zugleich die wichtigste Grundlage für eine liberale Apologie des Judentums: Es galt nicht nur als Schöpfer, sondern – mit seinem Glauben an den einen Gott, mit seinem Universalismus und seinem sozialen Ziel einer messianischen Menschheit – auch als nach wie vor wichtigster Träger der universal gültigen und nun selbst vom Protestantismus als wertvolle jüdische Errungenschaft anerkannten Idee des prophetischen ›ethischen Monotheismus‹. Aus der Sicht Cohens, in dessen Religionsphilosophie die Prophetie »das klassische Bild des Judentums in allen Zeiten« wurde, 72 war dadurch das Vorurteil des jüdischen Partikularismus endgültig entkräftet. Statt70. Carl Heinrich Cornill, Der israelitische Prophetismus. In fünf Vorträgen für gebildete Laien geschildert, Straßburg 1894 (3. Aufl. 1909), S. 175-176. 71. Vgl. Max Wiener, Die Anschauungen der Propheten von der Sittlichkeit, Berlin 1909; ders., Die Religion der Propheten, Frankfurt a. M. 1912; zu Wieners Prophetiedeutung vgl. Wiese, Wissenschaft des Judentums, S. 199-205. 72. Hans Liebeschütz, Von Georg Simmel zu Franz Rosenzweig. Studien zum jüdischen Denken im deutschen Kulturbereich, Tübingen 1970, S. 40.

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dessen führte Cohen die Prophetie ins Feld, um die Zukunftsbedeutung des Judentums als einer modernen, religiös wie sozial fortschrittlichen Religion zur Sprache zu bringen. So nutzte er 1910 die Einladung, vor dem »Weltkongreß für freies Christentum und religiösen Fortschritt« zu sprechen, um in einem Vortrag mit dem Titel »Der Beitrag des Judentums zum religiösen Fortschritt« vor den versammelten Größen des Kulturprotestantismus das religiöse und philosophische Selbstverständnis des liberalen Judentums zu entfalten. Er charakterisierte darin das Judentum als universale Religion der Vernunft, die mit ihrem ethischen Monotheismus die angemessenste Grundlage der modernen Kultur darstelle, weil sie mit ihrem messianischen Beharren auf der Unerlöstheit der Welt und ihrem Drängen auf die Erfüllung von universalem Frieden und Gerechtigkeit auf Erden Garantin sozialer Verantwortung in der Gesellschaft sei. Während das Christentum mit seinem innerlichen Mythos von Jesus Christus als dem personifizierten Messias diese politisch-soziale Dimension des Messianismus preisgegeben und seine ethische Kraft verloren habe, sei das Judentum – als wahres Erbe der Prophetie – die »Religion der Zukunft«. 73 So sehr war Cohens religionsphilosophische Verteidigung des Judentums auf die Gültigkeit des kulturprotestantischen Paradigmas der Propheten als Vertreter des religiösen Universalismus angewiesen, dass er 1917 mit Entsetzen auf Ernst Troeltschs (18651923) Aufsatz »Glaube und Ethos der hebräischen Propheten« reagierte, der die Prophetie aus religionssoziologischer Perspektive in ihrer universalen Bedeutung relativierte. 74 Während etwa Max Wiener seine eigene Interpretation mit Hilfe dieser neuen Forschungsperspektiven einer eingehenden Revision unterzog, 75 erblickte Cohen darin einen beispiellosen antisemitischen Angriff, durch den »das Judentum als Religion vernichtet« würde und sprach von dem »schwersten Anfall, den uns eine ver73. Vgl. Hermann Cohen., Die Bedeutung des Judentums für den religiösen Fortschritt, in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 1, S. 18-35. Zu Cohens Beziehung zum Protestantismus und seiner Prophetiedeutung vgl. vor allem William Kluback, The Idea of Humanity. Hermann Cohen’s Legacy to Philosophy and Theology, Lanham u. London 1987; Hans-Martin Dober u. Matthias Morgenstern (Hrsg.), Religion aus den Quellen der Vernunft. Hermann Cohen und das evangelische Christentum, Tübingen 2012; Daniel H. Weiss, Paradox and the Prophets. Hermann Cohen and the Indirect Communication of Religion, New York 2012; Frederick Beiser, Hermann Cohen. An Intellectual Biography, Oxford u. New York 2018. 74. Ernst Troeltsch, Glaube und Ethos der hebräischen Propheten, Logos VI (1917), S. 1-28. Zur Kontroverse zwischen Cohen und Troeltsch vgl. Wendell S. Dietrich, Cohen and Troeltsch. Ethical Monotheistic Religion and Theory of Culture, Atlanta, GA 1986, S. 29-43. 75. Vgl. Max Wiener, Nationalismus und Universalismus bei den jüdischen Propheten, Der jüdische Wille 2 (1919), S. 190-200.

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meintliche Wissenschaft in diesem ganzen Zeitalter des Antisemitismus gebracht hat.« 76 Die Funktion, welche die protestantische Prophetiedeutung zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Selbstverständnis des liberalen Judentums spielte, lässt sich nicht zuletzt an den Arbeiten Leo Baecks (1873-1956) ablesen. 1905 legte er in seinem Buch über Das Wesen des Judentums eine glänzende Apologie der jüdischen Religion vor, die der jüdisch-christlichen Debatte gerade deshalb neue Eindringlichkeit verlieh, weil sie – als Reaktion auf Adolf von Harnacks Wesen des Christentums – den kulturhegemonialen Ansprüchen des liberalen Protestantismus und der religionsgeschichtlichen Herabwürdigung des antiken (implizit auch des zeitgenössischen) Judentums mit dem selbstbewussten Postulat der religiösen und ethischen Überlegenheit der jüdischen Tradition begegnete. Das ›Wesen‹ des Judentums, begründet im ›ethischen Monotheismus‹ der biblischen Propheten, erscheint, anders als in Harnacks Verdikt, nicht als partikulare ›Gesetzesreligion‹, sondern als zukunftsweisender, zutiefst universaler Glaube, in dem Religion und Humanität unauflöslich miteinander verbunden sind. 77 Zentrale Aspekte des Baeck’schen Verständnisses des jüdisch-christlichen Verhältnisses, die sein gesamtes späteres Werk durchziehen und in der Unterscheidung zwischen dem Judentum als dogmenloser ›klassischer‹ Religion der ethischen Hingabe an den einen Gott und dem Christentum als der ›romantischen‹, durch die Abkehr von seinen prophetischen Ursprüngen und durch die Einflüsse der griechischen Philosophie verdunkelten und ihrer ethischen Kraft beraubten Religion des trinitarisch-christologischen Dogmas gipfeln, sind hier erstmals systematisch entfaltet. 78 Baecks spätere Arbeiten über »Romantische Religion« (1922) und »Judentum in der Kirche« (1925) zeigen die große apologetische Stärke dieses Konzepts gegenüber dem zeitgenössischen liberalen Protestantismus. 79 Letzterer bewahrte 76. Hermann Cohen, Der Prophetismus und die Soziologie (1917), in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 2, S. 398-401, hier S. 399-400; vgl. Benzion Kellermann, Der ethische Monotheismus der Propheten und seine soziologische Würdigung, Berlin 1917. Tatsächlich führte Troeltschs Interpretation zu einer Sichtweise, wonach das Christentum die ethischen Ansätze der Prophetie zu universeller Größe erhoben und in die moderne Kultur eingebracht habe, während das Judentum im Partikularismus befangen blieb; vgl. Annette Disselkamp, Das Wesen der Prophetie. Ernst Troeltschs Aufsatz »Glaube und Ethos der hebräischen Propheten«, in: Kurt Nowak u. Gerhard Raulet (Hrsg.), Protestantismus und Antisemitismus in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. New York 1994, S. 85-94. 77. Leo Baeck, Das Wesen des Judentums, Berlin 1905, bes. S. 1-58. 78. Als kritische Analyse von Baecks Auseinandersetzung mit dem Christentum vgl. u. a. Albert H. Friedlander, Leo Baeck. Leben und Lehre, München 1990, S. 107-142. 79. Beide Arbeiten abgedruckt in: Leo Baeck, Werke, Bd. 4: Aus drei Jahrtausenden /

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mit seiner Prophetiedeutung die Verbindung zur Hebräischen Bibel und verstand sich selbst als alleinigen rechtmäßigen Erben dieser Tradition, während das Judentum als überlebte Religion seine Existenzberechtigung verloren habe. Indem Baeck dagegen das Judentum in seinem Wesen als prophetische Religion des ›ethischen Monotheismus‹ und der moralischen Tat definierte, wandte er die protestantische Bibelkritik kritisch gegen das Christentum selbst und erhob das prophetische Judentum zum Maßstab für die Treue der christlichen Religion gegenüber der Lehre ihres Stifters, des pharisäischen Juden Jesus von Nazareth. Vergleicht man Bubers Arbeiten zur Prophetie mit jenen Cohens und Baecks, so fällt unmittelbar auf, dass ihm die Anliegen des jüdisch-liberalen Diskurses einschließlich der daraus gezogenen religionsphilosophischen Schlussfolgerungen für das Verständnis des Judentums fremd waren und er erkennbar andere Ziele verfolgte. Seit den Prager Reden über das Judentum vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich angekündigt, dass Buber die reformjüdische Deutung des ›ethischen Monotheismus‹ und der an die Diasporaexistenz gebundenen universalen ›Mission‹ des Judentums im Sinne Cohens und Baecks aus kulturzionistischer Perspektive als rationalistisches, substanzloses Konstrukt betrachtete, das mit für die tiefe Krise des modernen Judentums verantwortlich war. Seinen klarsten Ausdruck fand dieser Dissens 1916, als Buber und Cohen in eine heftige Kontroverse über ihre jeweiligen Konzepte von Religion, Nation und Staat gerieten und dabei auch ihre einander widerstreitenden Deutungen der Prophetie thematisierten. Anstoß nahm Buber insbesondere an Cohens scharfem Urteil, der Botschaft des von den Propheten verkündeten ›ethischen Monotheismus‹ entspreche jene Gottes als des Vaters aller Menschen im Gegensatz zu einem jüdischen Nationalgott, sowie an seiner positiven Deutung der Zerstreuung der jüdischen Gemeinschaft in der Diaspora als des gottgewollten Ortes ihrer kosmopolitischen messianischen Menschheitsmission, die jeder nationalen Partikularität widerspreche. Diese ›Mission‹, eine eminent ethisch-politische Aufgabe, die der Mensch – mit Beistand der Religion – in der Welt selbst vollenden müsse, stellte die jüdische Gemeinschaft in Deutschland aus Cohens Sicht jedoch in ein Loyalitätsverhältnis zum Staat und seiner Kultur. Der Zionismus hingegen stehe in klarem Gegensatz zum prophetischen Universalismus und übersehe, dass der moderne Staat zahlreiche unterschiedliche ethnische Gruppen und religiöse Überzeugungen in sich vereinige und in dieser legitimen Vielfalt doch Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte), hrsg. von Albert H. Friedlander et al., Gütersloh 2000, S. 59-129 u. S. 130-147.

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eine Nation zu bilden imstande sei. Diese in seinem 1916 publizierten Essay »Religion und Zionismus« polemisch gegen jegliche jüdisch-nationale Bestrebungen zugespitzte Überzeugung 80 veranlasste Buber zu der These, ohne jüdisches Nationalgefühl gebe es auch keine wahre jüdische Religiosität, und zu dem Urteil, das liberale Judentum sei allenfalls ein fiktives, abstrakt-konstruiertes im Gegensatz zu einem realen, gelebten Judentum. 81 Neben der Differenz der beiden Denker mit Blick auf das Verhältnis von Volkstum, Nationalität, Nation und Staat ging es im Wesentlichen um ihre unterschiedliche Deutung von Exil und Messianismus. Während Cohen Buber vorwarf, er mache das Ghettobewusstsein, die Heimatlosigkeit zum wahren Signum des Judentums und trete für die Entwurzelung der Juden aus dem modernen Europa ein, 82 urteilte Buber, Cohen übersehe, dass die Erlösung des Volkes der Kern jüdischer Religiosität sei, und verstehe schlicht die Realität des Exils nicht. Dabei gehe es dem Zionismus nicht um einen jüdischen Staat, um ein »kleinwinziges Machtgebilde mehr in dem Gewimmel«, sondern um die Schaffung einer »Siedlung, die, vom Getriebe der Völker unabhängig, und der ›äußeren‹ Politik enthoben, alle Kräfte um den inneren Ausbau und damit die Verwirklichung des Judentums versammeln kann«. 83 War Cohen zufolge das entscheidende Merkmal der jüdischen Religion die Überzeugung von der ›messianischen Menschheit‹ und die prophetische Botschaft der göttlichen Erwählung des jüdischen Volkes als des Boten der Menschheit, deren Verwirklichung an die Zerstreuung als Zukunftsstätte der jüdischen Religion gebunden sei, so konnte Buber darin nur eine Verzerrung des Prophetischen und des Messianismus erkennen: die Verherrlichung der Heimatlosigkeit des jüdischen Volkes als »etwas absolut Wertvolles und Segensreiches«. 84 Auch der Zionismus strebe nach einem universalen Ziel, dem Heil der Welt, aber der Weg dazu sei die Befreiung des gepeinigten jüdischen Volkes, seine Einwurzelung im heimatlichen 80. Hermann Cohen, Religion und Zionismus, in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 2, S. 319-327. 81. Martin Buber, Begriffe und Wirklichkeit. Brief an Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Hermann Cohen, Der Jude 1 (1916/17), Heft 5, S. 281-289, hier S. 284 u. 288; ders., Zion, der Staat und die Menschheit. Bemerkungen zu Hermann Cohens »Antwort«, Der Jude 1 (1916/17), Heft 7, S. 425-433; jetzt unter dem Titel »Völker, Staaten und Zion« in MBW 3, S. 293-320, hier S. 297 u. S. 304; zur Kontroverse vgl. u. a. Eleonore Lappin, Der Jude 1916-1928. Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus, Tübingen 2000, S. 140-167. 82. Hermann Cohen, Antwort auf das offene Schreiben des Herrn Dr. Martin Buber an Hermann Cohen, in: ders., Jüdische Schriften, Bd. 2, S. 328-340, hier S. 333. 83. Buber, Völker, Staaten und Zion, S. 314. 84. Ebd., S. 301.

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Boden, die »vorbildliche Gestaltung einer Menschengemeinschaft auf der schmalen kanaanitischen Erde«. 85 Die universale Dimension liege darin begründet, dass Palästina nicht für die Juden erstrebt werde, sondern für die Verwirklichung des Judentums und so zugunsten der Menschheit, aber nicht als konfessionalisierte Religion inmitten des Exils, sondern als ein dieser Menschheit gegenüber »frei und ungehindert verwirklichendes Volkstum«. 86 Aus Cohens Sicht handelte es sich dabei um eine krasse Fehldeutung: Gewiss sei Palästina »das Land unserer Propheten, der idealen Stiftungsvollender unserer Religion« und als solches »das Land unseres ewigen Heiligtums«: »Aber wie unsere religiöse Gegenwart vielmehr immer nur und immer mehr die Zukunft ist, so ist die sittliche Welt in ihrer geschichtlichen Welt unser eigentliches gelobtes Land.« Für die Menschheit hätten die Propheten die Welt erschlossen, den ›neuen Himmel‹ und die ›neue Erde‹, während ihnen Palästina lediglich das Symbol dieser künftigen Welt sei. 87 Für Buber stand hingegen fest, dass Juden in dem nicht von ihnen selbst bestimmbaren Leben der Zerstreuung die prophetisch-messianischen Ideale nicht zu verwirklichen vermochten. Das Land Israel sei eben kein Symbol, sondern reale Verheißung, Verheißung des wiederhergestellten Zion als des Bethauses aller Völker und als Mitte der neuen Erde und der Welt von Frieden und Gerechtigkeit: Die neue Menschheit braucht uns. Aber sie braucht uns nicht zerstreut und auseinanderstrebend, sondern gesammelt und geeint, nicht von Getue und Gered besudelt, sondern gereinigt und bereit, nicht Gott bekennend mit unserem Wort und Gott verratend mit unserem Leben, sondern Gott getreu dienend durch die Bildung einer Menschengemeinschaft nach seinem Sinn. Nicht dies liegt uns ob der neuen Menschheit zu geben, daß wir ihr erklären und beteuern, es sei ein Gott, sondern dies, daß wir ihr zeigen, wie Gott in uns lebt – wie er in uns das wahrhafte Menschenleben lebt: daß wir uns selbst und Gott in uns verwirklichen. 88

Der Konflikt zwischen Buber und Cohen inmitten der Katastrophe des Ersten Weltkriegs hing mit den vollkommen unterschiedlichen Akzenten ihrer jeweiligen Deutung einer prophetisch inspirierten menschheitlichuniversalen ›Mission‹ des Judentums und dem Gewicht zusammen, dem sie dabei dem Aspekt des Nationalen beimaßen. Cohens (und Baecks) subversive Rezeption der Prophetiedeutung der Wellhausen-Schule mit 85. 86. 87. 88.

Ebd., S. 303. Ebd., S. 302. Cohen, Antwort auf das offene Schreiben, S. 338-339. Buber, Völker, Staaten und Zion, S. 318. Zum Messianismus bei Cohen und Buber vgl. Elke Dubbels, Figuren des Messianischen in Schriften deutsch-jüdischer Intellektueller 1900-1933, Berlin u. Boston 2011, S. 188-192 u. S. 213-250.

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dem Ziel, die gleichberechtigte Zugehörigkeit des Judentums zur deutschen Gesellschaft und Kultur zu begründen und zugleich seine Eigenständigkeit als fortschrittliche religiös-kulturelle Kraft zu sichern, nahm Buber als Beweis für seine Diagnose der mangelnden Substanz und Vitalität nicht allein eines allzu rationalistischen liberalen Judentums, sondern jüdischer Existenz in der Diaspora überhaupt wahr. Seine eigene Interpretation des Glaubens der Propheten, die in seinen Essays und Kommentaren kraftvoll zur Sprache kommt, schlug eine alternative, zwar in Auseinandersetzung mit der protestantischen Exegese entwickelte, aber gegenüber den apologetischen Motiven der liberalen Strömung der Wissenschaft des Judentums vollkommen anders orientierte Richtung ein. Dabei trat bereits in der Kontroverse mit Cohen die theopolitische Konzeption in Erscheinung, die zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Entstehung des Staates Israel Bubers Nachdenken über den prophetisch inspirierten biblischen Humanismus und seine Bedeutung für das Selbstverständnis eines im Land Palästina verwurzelten Israel bestimmen sollte, eines Volkes, das in Verantwortung gegenüber dem göttlichen Anspruch seiner Auserwähltheit steht. Wider den Neo-Marcionismus und die ›Entjudung‹ des Christentums Ging es in der Auseinandersetzung jüdischer Gelehrsamkeit mit der protestantischen Exegese in Deutschland vor der Shoah wissenschaftlich um die Frage nach der Legitimität eines eigenständigen jüdischen hermeneutischen Ansatzes und politisch um die Existenzberechtigung des Judentums als einer legitimen religiös-kulturellen Kraft in einer pluralistischen Gesellschaft, so betraf ein zweiter Strang der Debatten über die Hebräische Bibel, in deren Kontext Bubers biblische Schriften zu lesen sind, die jüdische Gemeinschaft noch einmal weit existentieller. Als einer der ersten diagnostizierte Leo Baeck die heraufziehende Gefahr. 1925 veröffentlichte er einen fulminanten Essay mit dem Titel »Das Judentum in der Kirche«. Darin erhob er programmatisch die jüdischen Ursprünge des Christentums zum Maßstab seiner religiös-sittlichen Relevanz in der Gegenwart und lieferte zugleich eine herausfordernde historische Darstellung des spannungsreichen Verhältnisses von Nähe und Distanz der christlichen Tradition zu dem ihr unverlierbar eingeschriebenen Jüdischen. Nachdem er, ähnlich wie Martin Buber, seit der Jahrhundertwende in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen christlichen Deutungen des Neuen Testaments und der neutestamentlichen Zeit-

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geschichte immer wieder nachdrücklich auf die jüdische Essenz des Christentum hingewiesen hatte, die in Leben und Botschaft des pharisäischen Juden Jesus begründet sei, 89 ging er in seinem Essay der Geschichte des Widerstreits zwischen der Orientierung des Christentums an seinen jüdischen Ursprüngen und der seit der Frühzeit der Kirche bestehenden Neigung nach, sich davon zu distanzieren. Am Anfang dieser Geschichte steht Baeck zufolge Paulus, der noch tief gespalten gewesen sei zwischen der Bindung an die jüdische Bibel und seiner christologisch begründeten Wendung gegen das ›Gesetz‹, bald schon gefolgt durch den Gnostizismus und den Dualismus Marcions mit seiner Feindseligkeit gegen den Schöpfergott des ›Alten Testaments‹ und seinem Programm der Selbstbefreiung des Christentums von allem Jüdischen. Die Alte Kirche sei dem vor allem deshalb entgegengetreten, weil sie nicht »alles Leben in der Welt und alle Verbindung mit der Kultur« preisgeben wollte. 90 In der weiteren Geschichte des Christentums sei dieser Zwiespalt zwischen jüdischem Erbe und einem reinen Paulinismus immer wieder aufgetreten, insbesondere bei Luther, der zwar am ›Alten Testament‹ festgehalten, sich aber insgesamt in seiner Rechtfertigungslehre vom prophetisch-sittlichen Erbe des Judentums abgewandt habe, zum Schaden des reformatorischen Christentums, während etwa der Calvinismus – vor allem aufgrund seiner Akzentuierung der Kontinuität zwischen Hebräischer Bibel und Neuem Testament – an wesentlichen Aspekten des Jüdischen festgehalten habe und somit das Fortwirken des Judentums in der Kirche bis in die Gegenwart verkörpere. Am Ende seines Essays brachte Baeck einerseits seine Hoffnung auf eine zunehmende Annäherung des zeitgenössischen Protestantismus an die jüdischen Ursprünge des Christentums zum Ausdruck. Insbesondere im Kulturprotestantismus sei ein »Zug zum Judentum« zu erkennen, etwa in der Distanzierung vom kirchlichen Dogma und in der starken Orientierung an Themen der religiösen Sittlichkeit, die das Christentum in die Nähe der prophetischen jüdischen Botschaft bringe. Andererseits sah er sich genötigt, vor gegenläufigen Tendenzen seiner Zeit zu warnen, die 89. Vgl. Christian Wiese, Ein unerhörtes Gesprächsangebot. Leo Baeck, die Wissenschaft des Judentums und das Judentumsbild des liberalen Protestantismus, in: Georg Heuberger u. Fritz Backhaus (Hrsg.), Leo Baeck 1873-1956. ›Mi gesa rabbanim‹ – Aus dem Stamme von Rabbinern, Frankfurt a. M. 2001, S. 147-171; zu Bubers Reflexionen über die in Jesus begründete jüdische Signatur des Christentums vgl. die in MBW 9 versammelten Schriften zum Judentum sowie Karl-Josef Kuschel, Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum, Gütersloh 2015. 90. Leo Baeck, Judentum in der Kirche, in: ders., Werke Bd. 4: Aus drei Jahrtausenden / Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte, Gütersloh 2000, S. 130-147, hier S. 137.

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er als fatalen Rückfall in die immer wieder aufkeimende marcionitische Versuchung der Kirche und als Gefährdung nicht allein der jüdischchristlichen Beziehungen, sondern vor allem auch der Substanz des Christentums selbst wahrnahm: Glaube soll nun [im Kulturprotestantismus] ein sittlicher Glaube sein, und das meint doch schließlich jüdischen Glauben. Die meisten Gestaltungen im modernen Protestantismus weisen einen Weg auf, der von dem alten kirchlichen Gebiete fort und zu dem geistigen, religiösem Bereiche des Judentums hingeht. Allerdings sind im deutschen Protestantismus, meist auch von einem judenfeindlichen Empfinden her, Gedanken rege geworden, ähnlich denen des Marcion, die alles Jüdische aus dem Christentum entfernt haben wollen. Die Geschichte der Kirche hat gezeigt, was vom Christentum übrig bleibt, wenn es von allem Jüdischen gesäubert und gereinigt werden soll. 91

Baecks Warnung vor den Gefahren eines Neo-Marcionismus war eine Antwort auf die Herausforderung, der sich jüdische Gelehrte bereits seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts im Zusammenhang ihrer Debatten mit der protestantischen Universitätstheologie hatten stellen müssen, weil die zunehmenden Angriffe auf die religiöse Bedeutung der biblisch-jüdischen Tradition im Kontext des sich verschärfenden Antisemitismus der Zeit auch die gesellschaftliche Stellung der jüdischen Minderheit auf radikale Weise in Frage stellten. 92 In dem Maße, in dem zeitgenössische völkisch-antisemitische Stimmen immer entschiedener nicht nur das Judentum, sondern auch den ethischen und kulturellen Wert der Hebräischen Bibel als des gemeinsamen Erbes von Judentum und Christentum bestritten und das biblische Gottesverständnis als Ausdruck des zu bekämpfenden ›zersetzenden‹, von einer minderwertigen Rasse bestimmten ›jüdischen Geistes‹ verleumdeten, mussten sich auch protestantische Theologen insofern positionieren, als die antisemitische Hetze, die bisweilen auch antichristliche Züge annahm, 93 sie dazu zwang, sich mit den biblischen Grundlagen und somit den jüdischen Wurzeln des Christentums sowie mit der Versuchung auseinanderzusetzen, letztere aus dem eigenen Selbstverständnis zu eliminieren. Einen ersten Höhepunkt hatte die Diskussion über den sittlichen Wert der Hebräischen Bibel während des ›Babel-Bibel-Streits‹ zu Beginn des 91. Ebd., S. 147. 92. Vgl. Christian Wiese, ›Das beste Gegengift gegen den Judenhaß‹ ? Judentum, Bibelkritik und Antisemitismus vor der Shoah, in: Peter Schäfer u. Irina Wandrey (Hrsg.), Gelehrte, Denker, Ideologen und Spinner (Pforzheimer Reuchlin-Schriften 11), Stuttgart 2005, S. 251-284. 93. Vgl. Uriel Tal, Religious and Anti-Religious Roots of Modern Anti-Semitism (Leo Baeck Memorial Lecture 14), New York 1971.

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20. Jahrhunderts erreicht. Archäologische Funde in Ägypten und im Zweistromland, die – im Zusammenspiel mit der religionsgeschichtlichen Erforschung der Stoffe und Überlieferungen der Umwelt Israels – Anlass gaben, neu über die Frühgeschichte der israelitischen Religion und den Einfluss altorientalischer Kulturen auf die Bibel nachzudenken, hatten die Forschung mit Thesen und weltanschaulichen Haltungen konfrontiert, die innerhalb der christlichen Theologie die Wertschätzung der Hebräischen Bibel als eines Teils der im Neuen Testament zu ihrer Gültigkeit gelangenden Offenbarung Gottes grundlegend in Frage stellten. Die Religionsgeschichte Israels drohte zum epigonalen Abbild eines uralten, babylonisch geprägten, einheitlichen mythologischen Weltbildes reduziert zu werden. 94 Der Konflikt hatte sich zwischen 1902 und 1904 an der in Vorträgen über Babel und Bibel entfalteten These des Assyriologen Friedrich Delitzsch (1850-1922) entzündet, dessen Auffassung zufolge die Wurzeln des biblischen Monotheismus nicht in der israelitischen Religionsgeschichte, sondern in Babylon lagen. Er hatte zudem grundsätzlich den Offenbarungscharakter der Hebräischen Bibel bestritten, behauptet, sie sei der babylonischen Kultur sittlich unterlegen gewesen, gefordert, die überwiegende Zahl der alttestamentlichen Schriften aus dem christlichen Kanon zu entfernen, und Jesus als Reformer dargestellt, der durch die Destruktion der angeblich ›sittlich minderwertigen‹ jüdischen Tradition eine völlig neue Religion geschaffen habe. Delitzschs Vorträge wurden in der Folge von antisemitischen Kreisen als Legitimation einer rassisch begründeten Ablehnung des ›Alten Testaments‹ in Anspruch genommen – im Übrigen nicht gegen die Intentionen des Verfassers, der wenige Jahre später auch Jesu Jude-Sein bestritt 95 und dessen 1920/21 veröffentlichtes Buch Die große Täuschung als antisemitische Kampfschrift auftrat, die gleichzeitig auf die Hebräische Bibel und das zeitgenössische Judentum zielte. 96 Die jüdischen Gelehrten, die sich in die Debatte einmischten, um die Eigenart und den geschichtlichen Wert der Hebräischen Bibel zu verteidigen, 97 deuteten Delitzschs Vorträge als beispiellose antisemitische Infragestellung der kulturellen und religiösen Originalität sowie des sittlichen Charakters der jüdischen Überlieferung. Vor allem aber stellten sie besorgt fest, dass selbst diejenigen protestantischen Alttestamentler, 94. Vgl. Klaus Johanning, Der Bibel-Babel-Streit. Eine forschungsgeschichtliche Studie, Frankfurt a. M., Bern, New York u. Paris 1988, S. 265-290; Shavit u. Eran, The Hebrew Bible Reborn, S. 195-352. 95. Vgl. Friedrich Delitzsch, Zur Weiterbildung der Religion, Stuttgart 1908, S. 9. 96. Friedrich Delitzsch, Die große Täuschung, 2 Bde., Stuttgart u. Berlin 1920/21. 97. Vgl. Johanning, Der Bibel-Babel-Streit, S. 219-247.

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die an der wesentlichen Kontinuität von ›Altem Testament‹ und christlichem Glauben festhielten, im Zuge ihrer Kritik völkisch-antisemitischer Angriffe in der Regel zugleich eine scharfe Distanzierung vom Judentum vollzogen, indem sie Schichten der biblischen Überlieferung, die angeblich nicht auf der sittlichen Höhe der Prophetie oder der Psalmen standen, als ›jüdisch‹ identifizierten und abwerteten. 98 Benno Jacob konstatierte daher bereits 1903 bitter, die Wissenschaft des Judentums sei im Streit um die antisemitische Hetze gegen die Hebräische Bibel ganz auf sich alleine gestellt, da die christlichen Theologen jegliche Solidarität vermissen ließen. Wo sie das ›Alte Testament‹ verteidigten, zeigten sie »ein klägliches Bestreben, sich von dem Verdachte zu reinigen, als wenn sie damit zugunsten des Judentums redeten. […] Uns kann das nicht Wunder nehmen. Ein Christ, und sei er noch so bemüht, unbefangen zu urteilen, kann und darf das Alte Testament nicht nach seinem absoluten Werte würdigen, und für Juden und Judentum einzutreten, dazu gehört ein in unserer tiefgesunkenen Zeit selten gefundener Mut«. 99 In Deutschland konzentrierte sich das Interesse der jüdischen Bibelwissenschaft in der Folge zunehmend auf die Frage nach der Positionierung protestantischer Theologen gegenüber einer antisemitisch motivierten Herabwürdigung der Hebräischen Bibel. Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg, endgültig jedoch während der Nazi-Zeit wurde, von wenigen Stimmen abgesehen, die eine Wertschätzung der Hebräischen Bibel mit einer grundsätzlichen Anerkennung des nachbiblischen und des zeitgenössischen Judentums verbanden, gerade die hermeneutische Diskussion über das ›Alte Testament‹ der Ort, an dem protestantische Theologen der jüdischen Gemeinschaft am deutlichsten die Solidarität aufkündigten. Dramatisch wurden die politischen Implikationen dieses Diskurses spätestens dann sichtbar, als die Frage nach der Haltung gegenüber der völkisch-antisemitischen Bewegung, ihrer Negierung des Christentums und ihrer – nicht allein von den ›Deutschen Christen‹ enthusiastisch mitgetragenen – Forderung nach einer ›Entjudung‹ der deutschen Kultur und Gesellschaft die protestantische Theologie vor eine klare Entscheidung stellte. Spätestens jetzt zeigte sich, dass – bei allem Facettenreichtum der unterschiedlichen protestantischen Positionen – die tradierten Werturteile eine Begründung der Relevanz und Gleichwertigkeit der Hebräischen Bibel als Teil des christlichen Kanons und eine 98. Vgl. etwa Hermann Gunkel, Israel und Babylonien. Der Einfluß Babyloniens auf die israelitische Religion, Göttingen 1903. 99. Benno Jacob, Prof. Delitzsch’ zweiter Vortrag über »Babel und Bibel«, Allgemeine Zeitung des Judenthums 67 (1903), Nr. 17-20, S. 197-201, 213-215, 223-226, 233235, hier S. 197.

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darauf beruhende Solidarität mit dem Judentum weitgehend verhinderten. Auch wenn vielfach das ›Alte Testament‹ als Teil der christlichen Tradition verteidigt wurde, nahmen protestantische Theologen gewöhnlich eine scharfe Trennung zwischen wertvollen und ›jüdisch-minderwertigen‹ Schichten der biblischen Überlieferung vor. 100 Die zugrunde liegende Argumentationsstrategie war denkbar simpel: Die lebendige prophetische Tradition des frühen Israel war gar nicht ›jüdisch‹ – ›jüdisch‹ war erst die nachexilische Tradition, während das Prophetische seine authentische Fortsetzung und Erfüllung im Wirken Jesu von Nazareth gefunden hatte. 101 Die christologische Aneignung des ›Alten Testaments‹, die zahlreiche Theologen der ›Bekennenden Kirche‹ zur Grundlage seiner Bewahrung für den christlichen Glauben machten, 102 lief dabei auf eine Bestreitung des jüdischen Anspruchs auf eine gleichberechtigte und widerstreitende Interpretation der biblischen Tradition hinaus. Theologen, die deutsch-christliche Neigungen hegten, akzentuierten hingegen grundsätzlich den strikten Gegensatz von Christentum und ›Altem Testament‹. Drastisch vollzog etwa der systematische Theologe Emanuel Hirsch (1888-1972) die Desolidarisierung, wenn er in seiner 1936 veröffentlichten Schrift Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums betonte, das ›Alte Testament‹ sei »in seiner Ganzheit das Dokument einer fremden Religion, die für uns durch den Glauben an Jesus aufgehoben und zerbrochen ist«, und dafür plädierte, es allenfalls mit dem Ziel zu bewahren, es möge »als ewiges Bild der im Evangelium verneinten Gesetzesreligion dem christlichen Selbstverständnis vor Gott als Stachel […] dienen« – also als bloßes Gegenbild, als feindliche Antithese. 103 Auf diese Weise vermochte er einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Judentum und Christentum zu konstruieren: eine verhängnisvolle Metho100. Vgl. dazu etwa Marikje Smid, Deutscher Protestantismus und Judentum 1932/33, München 1990, S. 225-242; Cornelia Weber, Altes Testament und völkische Frage. Der biblische Volksbegriff in der alttestamentlichen Wissenschaft der nationalsozialistischen Zeit, dargestellt am Beispiel von Johannes Hempel, Tübingen 2000. 101. Vgl. dazu etwa Rolf Rendtorff, Die jüdische Bibel und ihre antijüdische Auslegung, in: ders. u. Ekkehard Stegemann (Hrsg.), Auschwitz – Krise der christlichen Theologie, München 1980, S. 99-116. 102. Vgl. Wilhelm Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments, München 1934; dazu Stefan Felber, Wilhelm Vischer als Ausleger der Heiligen Schrift. Eine Untersuchung zum Christuszeugnis des Alten Testaments, Göttingen 1999. 103. Emanuel Hirsch, Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums, Tübingen 1936, S. 83; vgl. dazu Willy Schottroff, Theologie und Politik bei Emanuel Hirsch, in: ders., Das Reich Gottes und der Menschen, S. 137-193; zur antisemitischen Verstrickung Hirschs vgl. Robert Ericksen, Theologians under Hitler. Gerhard Kittel, Paul Althaus and Emanuel Hirsch, New Haven 1985.

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de, die mit zum Versagen von Theologie und Kirche angesichts des modernen Antisemitismus und zur Preisgabe der jüdischen Gemeinschaft an die nationalsozialistische Entrechtungs- und Vernichtungspolitik beitrug. Der Gipfel dieser Entwicklung war schließlich dort erreicht, wo die Identifikation mit dem Nationalsozialismus die mit dem Eisenacher ›Institut für die Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‹ 104 verbundenen Theologen zu einer vollständigen ›Arisierung‹ des Christentums inspirierte, die ihren Ausdruck nicht nur in der Eliminierung der Hebräischen Bibel, sondern in abenteuerlichen Thesen vom ›arischen Jesus‹ fanden 105 – eine antisemitische Gegengeschichte gegen den Versuch jüdischer Forscher wie Martin Buber und Leo Baeck, durch ihre Interpretation Jesu als Gestalt der jüdischen Glaubensgeschichte auf die essentielle Verbindung von Judentum und Christentum hinzuweisen. Zu dieser Zeit war jüdische Bibelforschung in Deutschland im wahrsten Sinne längst ein existentiell einsames Unterfangen und die Wissenschaft des Judentums von einer ohnehin traditionell von den Universitäten ausgeschlossenen Disziplin zur ghettoisierten und jeglicher Wirkungsmöglichkeit beraubten Stimme einer tödlich gefährdeten jüdischen Minderheit geworden. Benno Jacob vollendete seinen Exoduskommentar 1944 im Londoner Exil, zu dem er sich nach dem Novemberpogrom 1938 entschlossen hatte, und sein Genesiskommentar wurde 1939 von der Gestapo eingestampft. 106 Abraham J. Heschel konnte sein Buch über 104. Vgl. u. a. Susannah Heschel, Theologen für Hitler. Walter Grundmann und das ›Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‹, in: Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hrsg.), Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Frankfurt a. M. 1994, S. 125-170; Roland Deines, Volker Leppin u. KarlWilhelm Niebuhr (Hrsg.), Walter Grundmann. Ein Neutestamentler im Dritten Reich (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 21), Leipzig 2007; Oliver Arnhold, »Entjudung« – Kirche im Abgrund (Studien zu Kirche und Israel, 25), Berlin 2010. 105. Vgl. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008; Dirk Schuster, Die Lehre vom »arischen«Christentum. Das wissenschaftliche Selbstverständnis im Eisenacher »Entjudungsinstitut«, Göttingen 2017. 106. Eine Vorahnung der politischen Gegenwirkung gegen sein Werk spiegelt sich in den Worten wider, mit denen Jacob in seinem am 13. Dezember 1933 gezeichneten Vorwort den von der zeitgeschichtlichen Erfahrung herausgeforderten apologetischen Charakter des Kommentars zur Sprache brachte: »Dieser Kommentar will und soll ein jüdischer sein, das soll heißen: von einem Sohne des Volkes verfaßt, für das die Tora geschrieben ist, läßt er sich nicht von vorneherein das Verständnis durch die Zielsetzung oder stillschweigende Voraussetzung verbauen, daß das ›alte‹ Testament nur Vorbereitung auf ein ›neues‹ sei und erst in diesem seine Vollendung und seinen wahren Sinn finde. Noch weniger hat er selbstverständlich mit einer Denkweise ge-

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die Prophetie 1936 zwar noch in deutscher Sprache, aber nur noch in einem Krakauer Verlag publizieren, 107 wenige Jahre bevor er 1939 über England in die USA entkam. Zahlreiche der in diesem Band versammelten biblischen Schriften Martin Bubers, darunter Moses und Der Glaube der Propheten, entstanden während der Nazi-Zeit oder nach seiner Emigration in Jerusalem und spiegeln die Erfahrung der verheerenden Folgen von Nationalismus und Antisemitismus wider. Ein Werk aber war es in besonderer Weise, das bereits seit Mitte der 1920er Jahren der Austreibung der Hebräischen Bibel aus dem Christentum wie aus der deutschen Kultur entschieden widersprochen und das am prononciertesten allen Formen des zeitgenössischen Neo-Marcionismus eine eigenständige jüdische Perspektive entgegengesetzt hatte: die von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig ins Werk gesetzte ›Verdeutschung‹ der Schrift. Der zeitliche und sachliche Zusammenhang der biblischen Kommentare Bubers mit diesem monumentalen Übersetzungsprojekt ist so eng, dass die mit ihm verbundenen Implikationen für sein (und Rosenzweigs) Verständnis der weltgeschichtlichen Bedeutung der Hebräischen Bibel für die jüdische wie die christliche Tradition und seine Reflexionen über die theologische wie politische Bedrohung durch marcionitischen Tendenzen für die Interpretation seines biblischen Denkens unmittelbar relevant sind. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang vor allem zwei Aspekte, die bei beiden Denkern auch zu politisch bedeutsamen Leitmotiven ihrer biblischen Hermeneutik wurden: einerseits – wie bei Benno Jacob – der Anspruch auf eine besondere Affinität des Judentums zur Hebräischen Bibel, die sich einer dem Judentum eigentümlichen Begegnung mit der Schrift verdanke, andererseits aber das ausgeprägte Bewusstsein der Einzigartigkeit des biblischen Textes als eines kulturellen Besitzes von Juden und Christen, der die Zugehörigkeit der jüdischen Minderheit zur europäischen – und insbesonmein, welche das Alte Testament als Zeugnis und Erzeugnis einer minderwertigen Rasse betrachtet, einer Denkweise, die hier und da auch in die (deutsche) biblische Wissenschaft Eingang gefunden hat, so daß eine Herabwürdigung des Juden und seiner Heiligen Schrift sich auf angeblich sachverständige Gewährsmänner glaubt berufen zu dürfen. Diese Behandlung der biblischen Erzählungen und Gestalten hat sich für das Leben weit einflußreicher herausgestellt, als man insgemein glaubt. Mich hiergegen an den betreffenden Stellen im Kommentar in der gebührenden Weise gewandt zu haben, dürfte der ›Würde der Wissenschaft‹ jedenfalls weniger widersprechen, als jene Tendenz selbst. Ihr gegenüber kann das Judentum mit einem seinen Ursprung nicht verleugnenden Christentum, das das Alte Testament gleichfalls hochhält und verteidigt, eine gemeinsame Front bilden und für solche Bundesgenossenschaft und Hilfe wollen wir von Herzen dankbar sein«; Jacob, Das Buch Genesis, S. 10-11. 107. Abraham J. Heschel, Die Prophetie, Krakau 1936.

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dere zur deutschen – Kultur begründete. 108 Die Herausforderung an die zeitgenössische protestantische Theologie mit ihren Ansprüchen auf Kulturhegemonie und ihrer vielfach antijüdisch oder antisemitisch motivierten Bestreitung jüdischer Partizipation am ›Deutschtum‹ war darin unüberhörbar. Letzteres hat vor allem Rosenzweig in Briefen und Essays immer wieder angesprochen, am pointiertesten 1929 in seinem programmatischen Essay »Weltgeschichtliche Bedeutung der Bibel«. Angesichts der zentralen Bedeutung, die das Verhältnis zum Christentum für Rosenzweigs Deutung des Judentums besaß, stellten aus seiner Sicht auch die Rolle und Kraft der Hebräischen Bibel in der christlichen Theologie ein entscheidendes Element ihrer weltgeschichtlichen Funktion dar. Bei der Darstellung des unterschiedlichen Schicksals der Schrift in der Geschichte von Judentum und Christentum legte Rosenzweig daher den Akzent auf ihre Wirkung in der christlichen Welt, in der »die jüdische Bibel zwar die stets gegenwärtige Grundlage, aber doch nur ›Altes Testament‹ war«. 109 Zu den »unmittelbaren Wirkungen« der jüdischen Bibel in der christlichen Weltgestaltung zählte Rosenzweig zufolge der dem Neuen Testament vielfach widersprechende, mehr oder weniger bewusste, wenn auch nur selten prinzipielle »Rückgriff auf die prophetiegeborene Gesetzlichkeit des AT«, der daher rührte, dass das Neue Testament mit seinen aus der Naherwartung resultierenden »pointierten Paradoxen« eine christliche Kirche, Staatlichkeit, Gesellschaft oder Wirtschaftsordnung kaum zu begründen vermochte. Im Gegensatz dazu habe »die aus der ganzen Breite eines Volkslebens und in der gan108. Benjamin, Rosenzweig’s Bible, S. 103-134 vertritt die überzeugende These, hinter Rosenzweigs und Bubers Nachdenken über die Notwendigkeit einer am Hebräischen orientierten ›Verdeutschung‹ verberge sich ein – auch in politischer Hinsicht bedeutsamer – mehrfacher subversiver Impuls. Dazu zähle neben der Destruktion protestantischer Deutungsmacht im theologischen Sinne und der Betonung der Rolle der jüdischen Exegese wie der hebräischen Sprache bei dem Unterfangen, den authentischen Sinn der Schrift sichtbar zu machen, auch der Versuch, das exklusive Verhältnis von deutscher Sprache und christlichem Herrschaftsanspruch aufzubrechen. Ziel des Projekts sei nicht etwa die ›Germanisierung‹ der jüdischen Minderheit, sondern die Schaffung eines Hebräisch-Deutschen gewesen, welches »das Wesen der deutschen Sprache und Kultur umdeutet, ja faktisch ›hebraisiert‹ und so den jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur hervorhebt« (ebd. S. 22). Es handele sich also um den impliziten Versuch, das ›Deutschtum‹ vom Christentum loszulösen und den Nachweis zu führen, die jüdische Tradition sei auf mindestens ebenbürtige Weise imstande, das volle Potential der deutschen Sprache zu verwirklichen. War aber das ›Deutschtum‹ geistig und sprachlich durch die Hebräische Bibel geprägt, so war damit zugleich zum Ausdruck gebracht, dass jeglicher Marcionismus letztlich nicht bloß das Judentum, sondern auch eine wesentliche Dimension der deutschen Kultur bedrohte (ebd., S. 134). 109. Franz Rosenzweig, Weltgeschichtliche Bedeutung der Bibel, in: GS III, S. 837-840, hier S. 837.

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zen Breite einer Nationalliteratur erwachsende jüdische Bibel mit ihrer selbst noch in der scheidenden und ausscheidenden prophetischen Polemik lebendigen tiefen Schöpfungsgläubigkeit tragfähigen Grund für ein Bauen in und an der Welt« geboten. Wichtiger noch sei die mittelbare Wirkung der jüdischen Bibel »durch das NT hindurch«, das zwar »im Gegensatz zu der Bibel des Judentums« entstanden sei, sich jedoch in seiner kanonischen Gestalt gleichwohl der Bindung an das Jüdische im Christentum verdanke. Denn die Rückkehr des auf die »erfüllte Zeit« ausgerichteten christlichen Erlöstheitsglaubens »in die noch bestehende Schöpfung« sei nur dadurch möglich geworden, dass die christliche Kirche – gegen gnostische Versuchungen – an der Identität des Schöpfergottes mit dem Gott Jesu Christi festgehalten habe: Nichts geringeres als der Zusammenhang mit der geschaffenen Welt steht für das Christentum in dieser theologischen Gleichsetzung, die es im trinitarischen Dogma vollzog, wie in der anderen des »Worts«, das »Gott war«, mit dem davidischen Messias, auf dem Spiel. Es ist kein Zufall, daß eben in dem Kampf um diese Gleichsetzungen, in dem Kampf gegen Marcions »fremden Gott« – fremd: nämlich dem alten Bunde, – die Kirche sich ihren neutestamentlichen Kanon schuf, als ein ebenfalls dreigeteiltes Gegenstück zum alttestamentlichen, den er jedoch nicht verdrängen, sondern ergänzen und überhöhen sollte. Was das Christentum in den beiden Jahrtausenden seitdem an Kulturkraft, an Kraft also, sich in die Welt und dadurch die Welt in sich einzuleben, entfaltet hat, verdankt es diesem seinen Kampf um sein AT. 110

Die Vehemenz, mit der Rosenzweig die Gefahren des Marcionismus hervorhob, hängt auch mit seiner – für Buber gleichermaßen wesentlichen – Überzeugung zusammen, das jüdische Volk erfülle eine entscheidende Rolle bei der Erlösung der Welt, insofern es dafür Sorge trage, dass das Christentum nicht dem Marcionismus verfalle, und es immer wieder an seine Weltverantwortung erinnere. Er hielt daher den Kräften innerhalb der zeitgenössischen protestantischen Theologie, die das Christentum von seinen Wurzeln in der Hebräischen Bibel und im frühen Judentum zu lösen bestrebt waren, implizit den Spiegel vor: Bei der Verhältnisbestimmung von Christentum und Hebräischer Bibel gehe es nicht allein um historische Einflüsse und Berührungen, die man für obsolet erklären konnte, sondern »schlechtweg um den ganzen Bereich dessen, was man irgendwie noch so entfernt als Kulturwirkungen des Christentums beanspruchen kann«. Was auf dem Spiel stehe, sei demnach die religiöskulturelle Signatur des Christentums, seine Fähigkeit, »überhaupt eine Synthese mit der Welt einzugehen«. Europa verdanke seine geistige Vor110. Ebd., S. 838-839.

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macht genau dieser Fähigkeit, selbst wenn die Spannung, die in dieser Bindung an die jüdische Bibel liege, vom Christentum immer wieder als »quälend« empfunden worden sei, als »etwas, dem man eigentlich entrinnen müßte«. Die Warnung, die sich anschließt, ist unüberhörbar: Die »immer wieder versuchte Flucht aus der Enge und Fremdheit des AT in philosophische Weite oder in völkische Nähe wäre, wenn sie je voll gelänge, das Ende des Christentums. Und damit denn freilich auch das Ende des weltgeschichtlichen Wegs der Bibel, auch der jüdischen.« 111 Das Christentum zerstörte sich selbst, wenn es sich des ihm eingeschriebenen Jüdischen entledigte, aber auch das Judentum verlöre auf diese Weise die universale kulturelle Bedeutung, die ihm das Christentum verleihe. Beide Religionen bleiben demnach in ihrer Rezeption der jüdischen Bibel unwiderruflich aufeinander angewiesen, und Rosenzweig scheint – wie Buber – die zeitgenössische protestantische Theologie implizit zu beschwören, diese Schicksalsgemeinschaft nicht preiszugeben. Dass sich die Neigung, das wechselseitige Aufeinander-Verwiesensein christlicherseits aufzukündigen, nicht auf randständige völkische Theologien beschränkte, sondern mitten ins Zentrum der kulturprotestantischen wissenschaftlichen Theologie vorgedrungen war, war dabei überdeutlich. Die dichotome Gegenüberstellung des »Gottes des Alten Testaments« und des »Vaters Jesu Christi«, so klagte Rosenzweig 1929 in einem Brief an seine Mutter, stamme »nicht etwa aus vulgärantisemitischer Sphäre, sondern von Harnack«. 112 Adolf von Harnack, der schon 1900 in Das Wesen des Christentums durch die Behauptung, das ›Alte Testament‹ sei zwar ein »wertvolles Erbauungsbuch«, durch seine Aufnahme in den Kanon sei jedoch »ein inferiores, überwundenes Element« in das Christentum eingedrungen, den leidenschaftlichen Widerspruch jüdischer Gelehrter hervorgerufen hatte, 113 verfasste 1921 mit seinem Buch Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott ein offenes Plädoyer für den Ausschluss des ›Alten Testaments‹ aus dem für den christlichen Glauben relevanten Schrifttum. Was in der Alten Kirche mit Recht geschehen sei, die Ablehnung der Verwerfung des ›Alten Testaments‹, der sich auch die Reformation nicht habe entziehen können, sei in der Moderne nur als Folge einer »religiösen und kirchlichen Lähmung« zu verstehen. Man werde dem ›Alten Testament‹ in seiner Eigenart und Bedeutung in der Gegenwart erst dann gerecht werden, wenn ihm »die kanonische Autorität, die ihm nicht gebührt, entzogen« sei. 114 111. 112. 113. 114.

Ebd., S. 839. Franz Rosenzweig an seine Mutter, 5. August 1929, in: GS I/2, S. 1226. Harnack, Das Wesen des Christentums, S. 116-117. Adolf von Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, Darmstadt 1960,

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Martin Buber, der mit Rosenzweig das aufmerksame Bewusstsein für neo-marcionitische Tendenzen in der protestantischen Theologie teilte, verstand seine eigenen biblischen Studien und die ›Verdeutschung‹ der Schrift dezidiert auch als Beitrag im Kampf gegen Bestrebungen zur Loslösung des christlichen Glaubens vom Judentum. In seinem 1928 gehaltenen Vortrag »Der Glaube des Judentums« legte er dar, die Neigung zur Selbstbefreiung vom Jüdischen habe dem Christentum von Anfang an innegewohnt, als das ›Alte Testament‹ im Bewusstsein der Kirche zum »Prolog des Neuen« reduziert worden sei. Über Marcion, der Schöpfergott und Erlösergott auseinandergerissen und das ›Alte Testament‹ als jüdisches, widergöttliches Buch verworfen habe, reiche diese verhängnisvolle Tendenz bis hin zu modernen Varianten, welche die einst von der Alten Kirche gebannte Gefahr neu aktualisierten. Am gefährlichsten erschien auch ihm die »marcionisierende These Harnacks«, der die Bewahrung des ›Alten Testaments‹ als Teil des christlichen Kanons als religiöse Fehlentwicklung gebrandmarkt und allenfalls den Propheten religiöse Gültigkeit zugesprochen habe. Die Folge eines Sieges dieser Haltung, so Buber, wäre jedoch nicht allein »die Trennung zweier Bücher und die Entheiligung des einen für die Christenheit: der Mensch wäre von seinem Ursprung losgeschnitten, die Welt verlöre ihre Schöpfungsgeschichte und damit ihren Schöpfungscharakter, oder die Schöpfung selber würde zum Sündenfall, das Sein zerfiele nicht bloß kosmologisch, sondern in letzter religiöser Betrachtung unaufhebbar in eine ›Welt‹ der Materie und des Moralgesetzes und in eine Überwelt des Geistes und der Liebe«. 115 Der biblische Glaube des Judentums, einschließlich seiner Botschaft von der Weltgeschichte als eines Dialog zwischen Gott und seiner Kreatur sowie von der Rolle des Menschen als eines »wirklichen Partners des wirklichen Zwiegesprächs mit Gott« 116 erscheint in diesem Zusammenhang, wie bei Rosenzweig, als wirksame Gegenkraft gegen die von Harnack verkörperte Gefährdung der religiösen Bedeutung von Judentum und Christentum gleichermaßen. Bubers und Rosenzweigs Intention, nichtjüdische Leser in Deutschland von der religiös-kulturellen Bedeutung der Hebräischen Bibel zu S. 217 u. S. 223; zu den Implikationen mit Blick auf das historische und zeitgenössische Judentum vgl. Wolfram Kinzig, Harnack, Marcion und das Judentum. Nebst einer kommentierten Edition des Briefwechsels Adolf von Harnacks mit Houston Stewart Chamberlain, Leipzig 2004. 115. Martin Buber, Der Glaube des Judentums, in: Bernhard Harms (Hrsg.), Volk und Reich der Deutschen, 3 Bde., Berlin: R. Hobbing 1929, Bd. 1, S. 429-440, hier S. 439, jetzt in: MBW 20, S. 63-74, hier S. 72-73. 116. Ebd., S. 67.

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überzeugen und der deutschen Sprache das Hebräische und Jüdische einzuschreiben, blieb angesichts der historischen Verwerfungen ihrer Zeit auf tragische Weise unerfüllt. Als Hoffnungssymbol für ein geglücktes Zusammenleben und -wirken zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen in Angriff genommen und mit dem selbstbewussten Anspruch auf Ebenbürtigkeit jüdischer Bibelexegese verbunden, wurde das Werk zumeist ignoriert und seit 1933 von der Zerstörung des deutschen Judentums überschattet. Die Rezeption innerhalb der protestantischen Theologie blieb mehr als zurückhaltend, während es seitens der antisemitischen Bewegung als Ausdruck eines fremden, ›zersetzenden‹ Geistes angegriffen wurde 117 – im Rückblick eine symbolische Vorwegnahme des Endes der Gleichberechtigung des deutschen Judentums und der Preisgabe jüdischer Menschen an Entrechtung und Vernichtung. Nach dem Tode Franz Rosenzweigs im Jahre 1929 und Bubers Entlassung durch die Frankfurter Universität 1933 wurde das Projekt zu einem Teil seines intellektuellen und spirituellen Widerstands gegen die Austreibung des Jüdischen aus der deutschen Gesellschaft und Kultur, der auch in seinen biblischen Essays und Kommentaren der 1930er und 1940er Jahre zum Leitmotiv seines Denkens wurde. Der Zweite Weltkrieg und der Völkermord an den europäischen Juden bedeuteten jedoch eine tiefe Zäsur, so dass der inzwischen Einundachtzigjährige das Werk erst 1959 vollenden konnte. Bekanntlich würdigte Gershom Scholem (18971982) die ›Verdeutschung‹ in einer Feierstunde im Hause Bubers am 19. Mai 1961 als überragendes Meisterwerk eines großen »Sprachmeisters«, brachte aber in nachdenklichen Worten auch die Tragik des gesamten Projekts zur Sprache, indem er es als aus einer utopischen Hoffnung erwachsenes »Gastgeschenk« kennzeichnete, das die deutschen Juden dem deutschen Volk »in einem symbolischen Akt der Dankbarkeit noch im Scheiden hinterlassen konnten«, das sich aber historisch nur noch als »das Grabmal einer in unsagbarem Grauen erloschenen Beziehung« verstehen lasse, da es die Juden, für die Buber und Rosenzweig übersetzt hätten, nicht mehr gebe. 118 Buber war sich der Ernsthaftigkeit und Radikalität dieser Infragestellung seit langem schmerzlich bewusst. In seiner – unmittelbar nach der 117. Der einflussreiche völkisch-religiöse Publizist Wilhelm Stapel (1882-1954) urteilte, im Vergleich zur Volksbibel Luthers erscheine Bubers Sprache als »Halbjargon«, als ein »Sprachbankert«, dessen Lektüre für jeden »Deutschen, der ein lebendiges Verhältnis zu seiner Sprache hat, […] eine grimmende Pein« bedeute; Wilhelm Stapel, Antisemitismus und Antigermanismus. Über das seelische Problem der Symbiose des deutschen und des jüdischen Volkes, Hamburg / Berlin u. Leipzig 1928, S. 60-61. 118. Gershom Scholem, An einem denkwürdigen Tage, in: ders., Judaica 1, Frankfurt a. M., S. 207-215, hier S. 209 u. S. 214-215.

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Emigration nach Palästina entstandenen – sehr persönlichen Rückschau auf die Entstehung der ›Verdeutschung‹ der Schrift hatte er diese als Gegenprojekt gegen alle Versuche einer ›Germanisierung‹ des Christentums« gedeutet. Der Nationalismus habe das Anliegen Marcions, das Christentum von der ständigen Konfrontation mit der Forderung des gebietenden Gottes zu befreien, zu ihrem Höhepunkt geführt: »Um zu einer, von keinem bösen Gewissen mehr gestörten völkischen Selbständigkeit zu gelangen, die kein anderes Gesetz als das der eigenen Macht und Herrlichkeit kennt, musste man sich diesen Stachel, das ›Alte Testament‹, aus dem Fleische reissen.« 119 Das Projekt, die Stimme der Schrift neu vernehmbar zu machen, verstand Buber in diesem Zusammenhang als Teil des Kampfes gegen »Marcion und die Seinen«, insbesondere die antisemitisch motivierte Negierung der biblischen Überlieferung. Marcions Gott schweige bzw. seine Stimme dringe aus seiner maßlosen Ferne nicht zum Menschen, während allein der ›Menschensohn‹ rede. Der Gott der Hebräischen Bibel hingegen spreche, denn er sei »nicht der Fremde, der ferne Gott«, sondern »der, der zugleich ›in der Erhabenheit und Heiligkeit‹ und ›bei den Zermalmten und Geisterniederten‹ wohnt«. 120 1947, nach der Erfahrung von Verfolgung, Krieg und Völkermord, gewannen Bubers Reflexionen über Marcion eine weitere eindringliche, für das zeitgenössische Christentum herausfordernde und schmerzhafte Note. In seinem Essay »Der Geist Israels und die Welt von heute«, einer tiefgründigen Meditation über das Ziel der Schöpfung Gottes, die »nicht zu einer gegenseitigen Vernichtung der Nationen verdammt«, sondern zum »Bau des großen Friedens« bestimmt sei, und über die Betrauung des jüdischen Volkes mit der Vollendung dieses Ziels, findet sich ein herausfordernder Passus über den Ursprung des christlichen Judenhasses. Den tiefen, unbewussten Grund dieses Hasses erkennt Buber in der geschichtlichen Tatsache, daß in den Kreis dieser Völker ein Volk eintrat und sich darin zerstreute, das Träger einer in einem Buch aufgezeichneten himmlischen Betrauung war, und daß dieses Buch den Völkern heilig wurde, als sie das Christentum annahmen. Es ist einzig in der Menschengeschichte, einzig und unheimlich: der Himmel stellt eine besondere Forderung an die Erde, und diese Forderung ist in einem Buch bewahrt, und dieses Buch ist das Erbe eines Volkes, das unter diese Völker zerstreut ist, mitsamt diesem seinem heiligen Buch, das auch ihnen allen heilig ist. Die Forderung 119. Martin Buber, Warum und wie wir die Schrift übersetzten, hebr. veröffentlicht: »Targum ha-Miqra, kawwanato u-derakhaw«, in: Martin Buber, Darko schel Miqra, Jerusalem: Mossad Bialik, 1964, S. 344-358; nach einer Handschrift aus dem MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 46a) auf Deutsch jetzt in: MBW 14, S. 170-185, hier S. 174. 120. Ebd., S. 176.

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schwebt über allen Völkern, eine allumfassende Forderung, die Gott an sie stellt. Und die Völker weigern sich, ihr genugzutun. Wohl wünschen sie, den Gott zu behalten, den sie empfangen haben, aber zugleich verwerfen sie seine Forderung. 121

Die Wurzel des Judenhasses, mitsamt seinen mörderischen Folgen im 20. Jahrhundert, so lassen sich Bubers Worte deuten, liegt darin, dass »dieses unselige jüdische Volk« in seiner Exilsexistenz der Bestreitung der Forderung der Tora aus dem Bewusstsein seiner göttlichen Erwählung heraus widersprach, dass es trotz der christlichen Verwerfungstheologie fortbestand – »und das Buch war in seiner Hand, und auch vom Scheiterhaufen her waren die Worte des Buches zu hören. Dies ist der beständige Grund des Judenhasses«. 122 Marcion, so Buber, der zu einer Zeit, als Kaiser Hadrian den Aufstand Bar Kochbas niederschlug, sein eigenes Evangelium als »einen geistigen Beitrag zur Zerstörung Israels« nach Rom mitgebracht habe, verkörpere die immer neu zum Hass verführende Rebellion des Christentums gegen seine jüdischen Ursprünge und zugleich gegen die Forderung Gottes. Das Echo dieser Rebellion sei aber nicht bloß in den völkischen und deutsch-christlichen Theologien, sondern selbst noch bei den protestantischen Theologen zu finden gewesen, die – wie Harnack – keine Antisemiten, sondern Repräsentanten eines emanzipatorischen Liberalismus gewesen seien und die dennoch die Schriften der Hebräischen Bibel, mit Ausnahme von Propheten und Psalmen, für ein für das Christentum schädliches Element gehalten hätten. Die zerstörerische politische Wirkung des Neo-Marcionismus während der Nazi-Zeit beschrieb Buber in der folgenden Passage: Harnack starb 1930; drei Jahre danach war sein Gedanke, der Gedanke Marcions, in Handlung umgesetzt, nicht mit Mitteln des Geistes, sondern mit denen der Gewalt und des Terrors. Der Staat, dessen Bürger Harnack gewesen war, stellte die Kirchen vor die Wahl, entweder den Geist Israels gänzlich auszuschalten und damit allem Einfluß auf die Geschäfte dieser Welt, die des Staates und der Gesellschaft, zu entsagen oder mitsamt dem Judentum liquidiert zu werden. Marcions Gabe an Hadrian war in andere Hände übergegangen. Inzwischen sind diese Hände abgehauen worden. Aber wir wissen nicht, in wessen Händen sich Marcions Gabe wiederfinden wird, wissen heute nicht, wann die Kirchen wieder vor die Wahl zwischen dem Verzicht, welcher der innere Tod ist, und dem äußeren Untergang, welche die Aussicht auf Wiedergeburt aus dem Dunkel der Katakomben bedeutet, gestellt werden. Dies jedoch wissen wir, daß die Entfernung des jüdischen 121. Martin Buber, Der Geist Israels und die Welt von heute, in: ders., An der Wende. Reden über das Judentum, Köln: Jakob Hegner, 1952, S. 13-33, hier S. 24 f., jetzt in: MBW 14, S. 321-328, hier S. 325 f. 122. Ebd., S. 325.

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Elements die Entfernung der göttlichen Forderung und des konkreten Messianismus bedeutet. 123

Bubers Deutung der tieferen Ursachen des Judenhasses und der Mitverantwortung der christlichen Theologie für die Zerstörung des europäischen Judentums ist jedoch bestrebt, in vollkommener Übereinstimmung mit dem für Essays wie »Die Erwählung Israels« oder »Biblischer Humanismus« charakteristischen Zuspitzung, auch den jüdischen Nationalismus der Kritik zu unterziehen und das jüdische Volk in die Verantwortung zu rufen: Nur indem das jüdische Volk in seinem »eigenen Umkreis«, d. h. in der neuen Heimstätte in Palästina, an der »Verwirklichung« von Gottes Forderung arbeite, werde es berechtigt sein, »den Geist Israels gegen den offenen oder versteckten Marcionitismus der Völker zu setzen: gegen den Dualismus der erlösten Seele in einer der Unerlöstheit preisgegebenen körperlichen Welt das Leben der Verantwortung im Dienste der Einheit«. 124 Bubers 1947 tief empfundene Befürchtung, der Neo-Marcionismus könne auch in der Zukunft jederzeit wieder aufbrechen und verhängnisvolle politische Folgen zeitigen, ließe sich als starke Desillusionierung mit Blick auf die Wirksamkeit des Projekts lesen, das Rosenzweig und er in den Weimarer Jahren begonnen hatten – etwa in dem Sinne der späteren Reflexionen Scholems. Dennoch wollte er, wie spätere Texte bezeugen, die Hoffnung nicht aufgeben, dass die ›Verdeutschung‹ der Hebräischen Bibel in Zukunft etwas von ihrem ursprünglichen Sinn zurückgewinnen könne. In der leicht abgewandelten veröffentlichten Fassung der Rede, die Buber selbst 1961 anlässlich der Feierstunde in Jerusalem gehalten hatte, setzte er sich mit der Infragestellung des Sinns des Übersetzungswerks angesichts der – wie er es bezeichnete – »widergeschichtlichen Selbsterniedrigung des deutschen Volkes« auseinander und berief sich, als er Scholem eine andere, positivere Einschätzung entgegenhielt, auf Franz Rosenzweig: Im Gebiet des Geistes müssen alle Prognosen dessen gewärtig sein, dass sich ihnen ein Fragezeichen anhängt. Aber eine andersartige Antwort ist bei Rosenzweig zu finden. Er hat zwar nicht mit der Möglichkeit dessen gerechnet, was dann in der Hitlerei Gestalt gewann, wohl aber hat er die Vulgarisierung eines geistigen Prozesses genau erkannt, die dann in den Tätigkeiten der »Deutschen Christen« und der weitergehenden »Deutschen Glaubensbewegung« ihren freilich recht problematischen Ausdruck fand. Es geht um die Lossagung von einem schaffenden und seiner Schöpfung offen bleibenden Gott als einem nur »Gerechten«, nicht »Lieben123. Ebd., S. 327. 124. Ebd., S. 328.

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den«, und damit vom »Alten Testament«, eine Tendenz, die auf den christlichen Gnostiker Marcion zurückgeht und daher in ihren modernen Ausprägungen als Neomarcionismus bezeichnet werden kann. Rosenzweig schreibt an mich schon während der Arbeit am Genesis-Band (29. 7. 25): »Ist Ihnen eigentlich klar, daß heut der von den neuen Marcioniten theoretisch erstrebte Zustand praktisch schon da ist? Unter Bibel versteht heut der Christ nur das Neue Testament, etwa mit den Psalmen, von denen er dann noch meist meint sie gehörten zum Neuen Testament. Also werden wir missionieren.« Und ein halbes Jahr danach ist sein Gedanke zu unüberbietbarer Präzision gediehen. Er schreibt (an Eugen Mayer 30. 12. 25): »Ich fürchte manchmal, die Deutschen werden diese allzu unchristliche Bibel nicht vertragen, und es wird die Übersetzung der heut ja von den neuen Marcioniden angestrebten Austreibung der Bibel aus der deutschen Kultur werden, wie Luther die der Eroberung Deutschlands durch die Bibel war. Aber auch auf ein solches Golus Bowel [Babylonisches Exil] könnte ja dann nach siebzig Jahren ein neuer Einzug folgen, und jedenfalls – das Ende ist nicht unsere Sache, aber der Anfang und das Anfangen.«

Und dann fährt Buber fort, weit hoffnungsvoller: Es sieht mir nicht danach aus, als ob Die Schrift siebzig Jahre zu warten hätte. Aber ›missionieren‹ – ja, auf jeden Fall! Ich bin sonst ein rabiater Gegner alles Missionierens und habe auch Rosenzweig gründlich widersprochen, wenn er sich für eine jüdische Mission einsetzte. Aber diese Mission da lasse ich mir gefallen, der es nicht um Judentum und Christentum geht, sondern um die gemeinsame Urwahrheit, von deren Wiederbelebung beider Zukunft abhängt. Die Schrift ist am Missionieren. Und es gibt schon Zeichen dafür, dass ihr ein Gelingen beschieden ist. 125

Zeichen, die Anlass zur Hoffnung auf die Wirksamkeit der biblischen Botschaft gaben, konnte Buber zu Lebzeiten dort finden, wo christliche Theologen angesichts der Erfahrungen der Nazi-Zeit neu über die Bedeutung der Hebräischen Bibel und des Jüdischen überhaupt für das Selbstverständnis des Christentums nachdachten – etwa bei Paul Tillich (1886-1965), in dessen Reflexionen über Juden und Judentum nach dem Krieg sich ein unüberhörbares Echo auf den Anti-Marcionismus Bubers und Rosenzweigs findet. Nachdem er sich bereits während des Krieges aus dem Exil an die protestantischen Christen in Deutschland mit der Forderung gewandt hatte, sie möchten sich entgegen dem herrschenden Antisemitismus der jüdischen Substanz des Christentums bewusst werden, 126 forderte Tillich seine christlichen Zeitgenossen in einem Essay 125. Martin Buber, Schlussbemerkungen, in: Die Schrift – Zum Abschluss ihrer Verdeutschung. Sonderbeilage des Mitteilungsblatts, 19. Jg., Nr. 20, 19. Mai 1961, S. 8-9, jetzt in: MBW 14, S. 221-227, hier S. 226-227. 126. Am 31. März 1942 wandte sich Tillich an die protestantischen Christen, also an Menschen, wie er hervorhob, »die an der Tatsache nicht vorbei können, daß ihre

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über »Die Judenfrage – Ein christliches und ein deutsches Problem« (1953) dazu auf, die Hebräische Bibel »als einen integrierenden Bestandteil der christlichen Bibel und die Religion des Alten Testaments als einen integrierenden Bestandteil der christlichen Existenz« nicht allein hinzunehmen, sondern ausdrücklich zu bejahen. Vor dem Hintergrund der Debatten über die Kanonizität des ›Alten Testaments‹, welche die protestantische Theologie vor und während der Zeit des Nationalsozialismus erschüttert hatten, erinnerte Tillich an die seit den gnostisch-synkretistischen Angriffen der Spätantike immer wieder auftauchende Versuchung, das Christentum von seinen historischen Wurzeln abzuschneiden und »Jesus in einen Kultgott neben anderen oder einen nationalen Führer und Propheten zu verwandeln«. Zerbreche die Kontinuität des Neuen Testaments zur Hebräischen Bibel, die den »Gott der Zeit, der Schöpfung, der Gerechtigkeit, der Erlösung, den Gott des prophetischen Urteilens und Verheißens« repräsentiere, ohne den sich die christliche Gemeinde »in eine heidnische Sekte mystisch-okkulter Art« verkehren müsse, so habe das Christentum seine Wahrheit verspielt. Zudem wäre noch eine weitere Dimension der christlichen Botschaft verloren, die in den religiös-sozialen Bewegungen der Zeit vor dem Nationalsozialismus sichtbar geworden sei: Im Gegensatz zur vorrangig individuellen Frömmigkeit des Neuen Testaments spreche die prophetische Botschaft der Hebräischen Bibel »von Völkern, sozialen Schichten, politischen Formen«, d. h. von der aktiven, verantwortlichen Weltgestaltung, ohne die sich das Christentum in mystische Weltflucht verliere. 127

Religion im Schoße der jüdischen Geschichte vorbereitet ist, daß der, in dem sie die Gegenwart Gottes in der Welt anschauen, von jüdischer Abstammung war, daß das Alte Testament auch für die Christen Bibel ist, daß die Tat der Reformatoren im Geiste und Namen des Juden Paulus geschehen ist, daß seit zweitausend Jahren Juden und Christen aus den gleichen Geboten des Gesetzes und den gleichen Verheißungen der Propheten und den gleichen Gebetsworten der Psalmen religiöse Kraft ziehen. Wir können es aufgeben, Christen sein zu wollen, aber solange wir Christen bleiben wollen, können wir es nicht aufgeben, aus den gleichen religiösen Wurzeln zu leben, aus denen der religiöse Jude lebt«; vgl. Paul Tillich, Die jüdische Frage, in: ders., Gesammelte Werke Erg. Bd. III: An meine deutschen Freunde. Die politischen Reden Paul Tillichs während des Zweiten Weltkriegs über die »Stimme Amerikas«, Stuttgart 1973, S. 19-22, hier S. 19. 127. Paul Tillich, Die Judenfrage – Ein christliches und ein deutsches Problem, in: ders., Gesammelte Werke Bd. III: Das Religiöse Fundament des moralischen Handelns. Schriften zur Ethik und zum Menschenbild, Stuttgart 1965, S. 128-170, hier S. 168169. Vgl. dazu Christian Wiese, Spuren des Dialogs mit Martin Buber in Paul Tillichs Reflexionen über Judentum und »Judenfrage«, in: Gerhard Schreiber u. Heiko Schulz (Hrsg.), Kritische Theologie. Paul Tillich in Frankfurt (1929-1933), Berlin u. Boston 2015, S. 361-410.

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Zur Gegenwartsbedeutung der biblischen Kommentare Bubers Die bleibende Relevanz der in diesem Band versammelten Schriften Martin Bubers zur Bibel besteht nicht allein darin, dass sie – aufgrund ihrer zentralen Stellung in seinem Werk – für ein angemessenes Verständnis seines religiösen, philosophischen und politisch-sozialen Denkens im Kontext seiner Zeit unverzichtbar sind. Gemeinsam mit seinen sprachphilosophisch-hermeneutischen Reflexionen über die ›Verdeutschung‹ der Schrift, den in Königtum Gottes verdichteten Gedanken über das Messianische in der Geschichte, den Schriften zum Verhältnis von Judentum und Christentum sowie den Essays, die um die Bedeutung eines biblisch fundierten Humanismus für das Verständnis des jüdischen Nationalismus und die Gestaltung der israelischen Gesellschaft kreisen, fügen sie sich zu einem – zugleich zeitgebundenen und über die eigene Zeit hinausweisenden – facettenreichen Werk, das im klassischen Sinne die Figur des Kommentars als »Denkform des Judentums zwischen religiöser Tradition und philosophischer Moderne« 128 verkörpert: Als solcher deutet und aktualisiert er die Traditionen der Hebräischen Bibel, tritt aber zugleich immer wieder hinter den Text selbst zurück und in einen beständig neuen Dialog mit ihm, ruft seine Leser*innen in die dialogische Begegnung mit Text und Kommentar im Licht der je eigenen Gegenwart. Dabei war Buber wichtig und bewusst, dass seine Kommentare keine Deutungshoheit beanspruchen konnten, sondern – von dem offenbarten Wort herausgeforderte – Denkversuche, Annäherungen, Antworten darstellten, die auch der Kritik, Infragestellung und Korrektur auszusetzen seien. Mit Dominique Bourels Worten: »Buber betrachtete seine Kommentare als Dialoge, die gerade vom Nicht-Einverständnis, von der Nicht-Übereinstimmung und der Differenz der Positionen leben. Und besser als andere hatte er begriffen, dass ein Text überhaupt nur mit einem Kommentar verständlich wird, einem Kommentar, der – über die Differenzen hinweg – eine Form der Teilhabe ermöglicht.« 129

128. Vgl. Liliane Weissberg u. Andreas B. Kilcher, Einleitung. Ein Kommentar zum Kommentar, oder: Der Kommentar als Denkform des Judentums zwischen religiöser Tradition und philosophischer Moderne, in: Andreas B. Kilcher u. Lilane Weissberg (Hrsg.), Nachträglich, grundlegend. Der Kommentar als Denkform der jüdischen Moderne von Hermann Cohen bis Jacques Derrida, Göttingen 2018, S. 7-23; vgl. auch Yael Almog, Caroline Sauter u. Daniel Weidner (Hrsg.), Kommentar und Säkularisierung in der Moderne, Paderborn 2017. 129. Dominique Bourel, Der Kommentar als Dialog bei Martin Buber, in: Kilcher und Weissberg (Hrsg.), Nachträglich, grundlegend, S. 121-144, hier S. 143.

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Der in diesem Essay beschriebene kritische Dialog Bubers mit zeitgenössischem protestantischem wie jüdischem Denken ist daher, bei allem Wandel der Forschungsergebnisse und -konstellationen der Bibelauslegung, der jüdisch-christlichen Beziehungen, der zeitgeschichtlichen Umstände, der theologisch-philosophischen Problemstellungen und der politisch-sozialen Herausforderungen nicht abgeschlossen, ebenso wenig wie die christliche wie jüdische Auseinandersetzung mit seinen Deutungen. Zwei Dimensionen dieses fortdauernden Dialogs seien abschließend angedeutet. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Abschluss der ›Verdeutschung‹ der Schrift und der Publikation der Kommentare Bubers hat sich das Verhältnis von protestantischer (und überhaupt christlicher) alttestamentlicher Forschung und jüdischer Bibelexegese grundlegend gewandelt. Seine hermeneutischen Reflexionen und die anderer zeitgenössischer jüdischer Gelehrter haben neuere Tendenzen der Bibelexegese vorweggenommen, die ihre Überzeugungskraft jenseits der christlich-jüdischen Differenz im Bereich der wissenschaftlichen Methodik der Forschung zur Hebräischen Bibel entfalten. 130 Vor allem aber wäre nach der Shoah und im Kontext des christlich-jüdischen Dialogs der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland und anderen Teilen der Welt eine ungebrochene Fortsetzung der Tradition christlicher Usurpation des ›Alten Testaments‹, Missachtung der jüdischen Forschung oder Ausgrenzung der Hebräischen Bibel aus dem Bereich christlichen Selbstverständnisses im Grunde undenkbar. Der Versuch, Theologien zu entwerfen, welche die Existenzberechtigung des Judentums bewusst und selbstverständlich anerkennen und in diesem Zusammenhang eine neue Sicht der Hebräischen Bibel als des gemeinsamen Erbes von Judentum und Christentum sowie eine Anerkennung ihrer – differenten – »zweifachen Nachgeschichte« zu begründen, zählt nach wie vor zu den wichtigsten Aufgaben kritischer Selbstreflexion des Christentums. 131 Bubers Essays und Kommentare bleiben eine Herausforderung an christliche Theologien, sich nicht allein der Existenz einer eigenständigen, der eigenen widersprechenden jüdischen Auslegung der Schrift, sondern immer wieder 130. Vgl. Frederick E. Greenspahn (Hrsg.), The Hebrew Bible. New Insights and Scholarship, New York 2008; zur bleibenden Differenz aus der Sicht jüdischer Exegeten vgl. u. a. Jon D. Levenson, The Hebrew Bible, the Old Testament, and Historical Criticism. Jews and Christians in Biblical Studies, Louisville 1993; James L. Kugel, How to Read the Bible. A Guide to Scripture, Then and Now, New York 2008. 131. Vgl. Erhard Blum, Christoph Macholz u. Ekkehard Stegemann (Hrsg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. Festschrift für Rolf Rendtorff zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 1990.

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auch der jüdischen Wurzel und der jüdischen Signatur ihres Glaubens bewusst zu werden, 132 sie sind zugleich auch Mahnung und Schutz mit Blick auf Rückfälle in vergangene Haltungen und marcionitische Neigungen unterschiedlicher Couleur. Die von jüdischen Denkern vor und nach der Shoah mit Leidenschaft vertretene Auffassung von der Einzigartigkeit der Hebräischen Bibel als eines konstitutiven kulturellen Besitzes von Juden und Christen – und gerade nicht nur des Judentums –, und so auch die Vergegenwärtigung von Bubers und Rosenzweigs Projekt, »den Verächtern der Hebräischen Bibel deren Wahrheit nahezubringen«, begründet, wie es der Alttestamentler Willy Schottroff formuliert hat, eine fortdauernde »offene Anfrage an das christliche Bibelverständnis« – nämlich »wann es endlich aus der Distanz eines verobjektivierenden Umgangs mit dem Alten Testament heraustreten und jenseits von umdeutender Aneignung oder abwertender Verwerfung zu einer wirklichen Gemeinsamkeit mit dem Judentum im Bemühen um die Erschließung des wahren Gehaltes der Schrift kommen werde«. 133 Aus Bubers Sicht, wie er sie 1930 in einem Vortrag mit dem Titel »Die Brennpunkte der jüdischen Seele« vor einem christlichen Publikum darlegte, geht es um eine wesentliche gemeinsame Aufgabe inmitten unaufhebbarer Differenz: Die Hebräische Bibel ist demnach »ein Buch und eine Erwartung. Für euch ist das Buch ein Vorhof, für uns ist es das Heiligtum. Aber in diesem Raum dürfen wir gemeinsam weilen, gemeinsam die Stimme vernehmen, die in ihm spricht. Das bedeutet, daß wir gemeinsam arbeiten können an der Hervorholung der verschütteten Gesprochenheit dieses Sprechens, an der Auslösung des eingebannten lebendigen Wortes«. 134 Neben dem christlichen Dialog mit Bubers Kommentaren ist auch das jüdische Gespräch mit ihnen ein fortdauerndes, spannungsreiches, vielstimmiges, in dem seinem Denken – in exegetischer, religionsgeschichtlicher und theologisch-philosophischer Hinsicht – Zustimmung und Kritik gleichermaßen zu Teil wird. In neuester Zeit hat etwa der amerikanisch-jüdische Bibelwissenschaftler Jon D. Levenson in seinem Vorwort zur jüngsten Auflage von The Prophetic Faith die bleibende Bedeutung 132. Vgl. Willy Schottroff, Die Bedeutung der Verdeutschung der Schrift von Buber / Rosenzweig für die christliche Theologie, in: Werner Licharz u. Jacobus Schoneveld (Hrsg.), Neu auf die Bibel hören. Die Bibelverdeutschung von Buber / Rosenzweig heute. Sieben Beiträge zum Verstehen, Gerlingen 1996, S. 55-84. 133. Willy Schottroff, Franz Rosenzweig und die Bibel, in: ders., Das Reich Gottes und der Menschen, S. 99-135, hier S. 135. 134. Martin Buber, Die Brennpunkte der jüdischen Seele, Der Morgen 8 (1932), Heft 5, S. 375-384, hier S. 384, jetzt in: MBW 9, S. 128-137, hier S. 136.

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und die Grenzen von Bubers Prophetiedeutung und seiner Bibelinterpretation überhaupt differenziert dargelegt. Neben der Betonung von Bubers Vertrautheit mit der religionsgeschichtlichen und historischen Forschung und der Überzeugungskraft seiner detaillierten philologischen Analysen steht der Hinweis auf Shemaryahu Talmons Beobachtung einer gewissen subjektiven Anarchie, mit der er sich den etablierten Methoden der fachlichen Forschung entzogen habe. 135 Interessant sind jedoch insbesondere zwei miteinander zusammenhängende Anfragen aus Sicht der gegenwärtigen jüdischen Bibelexegese. Erstens konstatiert Levenson kritisch, Bubers anti-institutionelle Haltung und seine Distanz zur Halacha habe ihn daran gehindert, sich auch mit den Rechtstraditionen der Hebräischen Bibel auseinanderzusetzen, und auf diese Weise wichtige Dimensionen ausgeblendet, die auch für eine Deutung der Prophetie bedeutsam seien. Im Gegensatz dazu seien sich die meisten Exegeten heute dessen bewusst, dass soziale, kulturelle, religiöse und politische Institutionen bei der Entstehung und Überlieferung prophetischer Traditionen eine wichtige Rolle gespielt hätten. 136 Festzustellen sei zudem, dass seine biblischen Schriften überwiegend in Auseinandersetzung mit der christlichen Forschung entstanden seien und ihre Resonanz vor allem in der nichtjüdischen Welt fänden. Demgegenüber gebe es namentlich zwei Gründe dafür, dass Bubers Ansatz der jüdischen Leserschaft eher als »fremd« erscheine: erstens seine »fehlende Aufmerksamkeit für das Gesetz und die Gebote« sowie seine »Vorliebe für die spontane religiöse Erfahrung«, zweitens aber die Tatsache, dass er die Bibel vollständig aus dem Kontext der rabbinischen Literatur und Tradition wie der mittelalterlichen exegetischen Überlieferung der Kommentarliteratur herausgelöst habe und gleichsam ein jüdisches sola scriptura-Prinzip voraussetze. 137 Gerade in dieser Eigentümlichkeit erblickt Levenson jedoch den möglichen Gewinn der Lektüre etwa des Werkes Der Glaube der Propheten für Juden ebenso wie für Christen oder der Religion entfremdete Leser*innen: The Prophetic Faith continues, nearly three quarters of a century after its publication, to provide a renewed appreciation of the Hebrew Bible and many of its distinctive voices. For Jews with a more traditional religious orientation, Buber, precisely by refusing to assimilate those voices to rabbinic Judaism with its heavy 135. Jon D. Levenson, Introduction to the 2016 Edition, in: Martin Buber, The Prophetic Faith, Princeton 2016, S. IX-XXV, hier S. XVI-XVII; vgl. Shemaryahu Talmon, Martin Buber’s Way of Interpreting the Bible, Journal of Jewish Studies 27 (1976), S. 195-209. 136. Ebd., S. XXII-XXIII. 137. Ebd., S. XXIV.

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emphasis on law and textual study, can open their eyes to dimensions of the Tanakh that they may never have noticed. Buber’s failure to see the need for a thick and transmittable religious culture does not mean that those who live within such a culture have nothing to learn from it. Jews with a less traditional religious commitment, in turn, may find it refreshing to discover that the religious vision of the Tanakh was not limited to social reform, nor the message of the prophets to predictions of doom or of a cheery future. Christians for their part may welcome the thought that their Old Testament in general and the prophets in particular were not generally focused on messianic predictions. For them, The Prophetic Faith can prove to be a valuable resource in recovering the teachings of the older of the two testaments of their Bible, so often subsumed into the newer. Finally, readers of The Prophetic Faith who have no defined religious or spiritual orientation will find the popular notion that prophecy means nothing other than fortune-telling or social critique to be woefully inadequate. Many of them may also find their distinctive distaste for the Hebrew Bible profoundly shaken – in some cases perhaps replaced, as Buber would wish, by a strange sense that the living God revealed himself in the very foreign, often repellent, but endlessly fascinating world of ancient Israel. 138

138. Ebd., S. XXIV-XXV.

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Abkürzungsverzeichnis B I-III

BT

JuJ

MBA MBB

MBW

Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bde., hrsg. und eingel. von Grete Schaeder, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1972-75. Bd. II: 1918-1938 (1973), Bd. III: 1938-1965 (1975). Lazarus Goldschmidt, Der Babylonische Talmud. Nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter Berücksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materials neu übertragen, Berlin 1929-1936. Martin Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, mit einer Einl. von Robert Weltsch, Köln: J. Melzer Verlag 1963. Martin Buber-Archiv der National Library of Israel. Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität und München/New York et al.: K. G. Saur 1980. Martin Buber Werkausgabe: Bd. 1 Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1981-1919, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2001. Bd. 2.1 Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. Bd. 2.2 Ekstatische Konfessionen, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012. Bd. 3 Frühe jüdische Schriften 1900-1922, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Barbara Schäfer, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. Bd. 4 Schriften über das dialogische Prinzip, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Andreas Losch und Paul Mendes-Flohr, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. Bd. 5 Vorlesungen über Judentum und Christentum, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Orr Scharf, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017. Bd. 7 Schriften zu Literatur, Theater und Kunst. Lyrik, Autobiographie und Drama, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Emily D. Bilski, Heike Breitenbach, Freddie Rokem u. Bernd Witte, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2016. Bd. 8 Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Juliane Jacobi, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. Bd. 9 Schriften zum Christentum, bearbeitet, eingeleitet und kommen-

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Abkürzungsverzeichnis

tiert von Karl-Josef Kuschel, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. Bd. 11.1 Schriften zur politischen Philosophie und zur Sozialphilosophie (1906-1938), eingeleitet von Francesco Ferrari, bearbeitet und kommentiert von Stefano Franchini, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. Bd. 11.2 Schriften zur politischen Philosophie und zur Sozialphilosophie, bearbeitet und kommentiert von Massimiliano De Villa, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. Bd. 12 Schriften zur Philosophie und Religion, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Ashraf Noor und Kerstin Schreck, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017. Bd. 14 Schriften zur Bibelübersetzung, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012. Bd. 15 Schriften zum Messianismus, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Samuel Hayim Brody, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. Bd. 17 Chassidismus II. Theoretische Schriften, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Susanne Talabardon, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. Bd. 18 Chassidismus III. Die Erzählungen der Chassidim, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. Bd. 20 Schriften zum Judentum, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Michael Fishbane und Paul Mendes-Flohr, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. Bd. 21 Schriften zur zionistischen Politik und zur jüdisch-arabischen Frage, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Paul MendesFlohr, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019

Hebräische Bibel Gen Ex Lev Num Dtn Jos Ri I Sam II Sam

Genesis (1. Mose) Exodus (2. Mose) Leviticus (3. Mose) Numeri (4. Mose) Deuteronomium (5. Mose) Josua Richter 1. Samuel 2. Samuel

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1263

Abkürzungsverzeichnis

I Kön II Kön Jes Jer Ez Hos Am Jon Mi Nah Ha Sach Mal Ps Spr Hi Rut Klgl Pred Dan Esr Neh II Chr

1. Könige 2. Könige Jesaja Jeremia Ezechiel Hosea Amos Jona Micha Nahum Habakuk Sacharja Maleachi Psalm(en) Sprüche Solomons Hiob Ruth Klagelieder Prediger Daniel Esra Nehemia 2. Chronik

Neues Testament Mt Mk Lk Apg Röm 1 Kor 2 Kor Phil

Matthäus Markus Lukas Apostelgeschichte Römerbrief 1. Korintherbrief 2. Korintherbrief Philipperbrief

Außerkanonische Schriften 4 Esr Sir 1 Makk

4. Esra Jesus Sirach 1. Makkabäer

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2 Makk TestJud

Abkürzungsverzeichnis

2. Makkabäer Testament Judas

Rabbinische Literatur mAs mAv mShab

Mischna, Traktat Avoda Sara Mischna, Traktat Avot Mischna, Taktat Shabbat

jBik

Talmud Jeruschalmi, Traktat Bikkurim

bChag bChul bJoma bMeg bPes bRHSh bSan bShab

Talmud Bavli, Traktat Chagiga Talmud Bavli, Traktat Chullin Talmud Bavli, Traktat Joma Talmud Bavli, Traktat Megilla Talmud Bavli, Traktat Pesachim Talmud Bavli, Traktat Rosh haShana Talmud Bavli, Traktat Sanhedrin Talmud Bavli, Traktat Shabbat

BerR Jalq MekhJ MHG Dev MMish MTeh PesR ShemR Tan TanB TO WaR

Bereshit Rabba (Genesis Rabba) Jalqut Schimoni Mekhilta deRabbi Jischmaʾ el Midrasch HaGadol Devarim Midrasch Mishle Midrasch Tehillim Pesiqta Rabbati Shemot Rabba (Exodus Rabba) Midrasch Tanchuma Tanchuma, Ausgabe Buber Targum Onqelos Wajiqra Rabba

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographien 2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3 Verwendete Werke Martin Bubers 2.4 Verwendete Literatur 2.5 Literatur zum Essay 1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber Archiv (MBA) der National Library of Israel sind folgende unveröffentlichte Quellen verwendet worden:

1.1 Handschriften und Typoskripte Biblisches Führertum (Typoskript) Biblischer Humanismus (Handschriften) Die Erwählung Israels (Handschrift und Typoskript) Abraham der Seher (Handschrift und Typoskript) Falsche Propheten (Handschrift und Typoskript) Der Glaube der Propheten (Handschriften und Typoskripte) Moses (Handschrift) Moses (Handschrift) Moses (Typoskript) Recht und Unrecht in den Psalmen (Handschriften und Typoskripte) Philosophical Interrogations (Handschrift und Typoskript) [Über Name und Ort Gottes] (Typoskript) Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas (Handschrift) Jeremia, ein Künder für unsere Zeit (Typoskript) Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? [Fassung A] (Typoskripte) Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? [Fassung B] (Typoskript)

Arc. Ms. Var. 350 05 38a Arc. Ms. Var. 350, hei 12a Arc. Ms. Var. 350 03 68 Arc. Ms. Var. 350 03 57a Arc. Ms. Var 350 03 73 Arc. Ms. Var. 350 03 56b Arc. Ms. Var. 350 03 51 Arc. Ms. Var. 350 03 51b Arc. Ms. Var. 350 03 51a Arc. Ms. Var. 350 03 41 Arc. Ms. Var. 350 bet 85 Arc. Ms. Var 350 02 161 Arc. Ms. Var. 350 03 48 Arc. Ms. Var. 350 03 56a Arc. Ms. Var. 350 03 68 Arc. Ms. Var. 350 03 68

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Zweierlei Jesaja (Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 03 56a Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnamen in Ex. 3,13 vorhanden? (Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 03 58 Über Prophetie (Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 03 78

1.2 Notizen und Briefe Materialien zu Zwiesprache Arc. Ms. Var. 350 02 57 Größenschauer (Abschrift) Arc. Ms. Var. 350 11 22 Briefe Bubers an Hugo Bergmann Arc. Ms. Var. 350 008 91.I Abraham der Seher (Vorlesungszyklus) Arc. Ms. Var. 350 003 57a Postkarte Schalom Ben-Chorins vom 11. September 1942 an Buber Arc. Ms. Var. 350 013 2 Notizen Arc. Ms. Var. 350 08 705.I [o. N.], Die Lehre der Propheten. Zu Martin Bubers neuem Buch [Rezension] Arc. Ms. Var 350 013 2 Brief Franz Kafkas an Martin Buber Arc. Ms. Var 008 344

1.3 Rezensionen Rezensionen zu Der Glaube der Propheten Arc. Ms. Var 350 013 2; Rezensionen zu Moses: Arc. Ms. Var. 350 013 14 Ben-Chorin, Schalom, »Theopolitik«. Zu Martin Bubers »Mosche«, Jedioth Chadaschot, August 1946 (= Judaica 2 (1946), S. 231-234, Oktober 1946). Heinemann, H., The Torah and our Generation, Chayenu: Organ of the Torah Vaʾ Avodah Movement and Brit Chalutzim Datiʾ im of Western Europe, August 1947, S. 14. Minkin, Jacob S., Buber Lifts Moses Out of the Mists, Congress Weekly, 13. Februar 1948, S. 12 f. Rosenberg, Harold, History and Saga, Commentary 4 (1947), S. 395-399.

2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographie Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn u. Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität Jerusalem u. München [u. a.]: K. G. Saur 1980.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers Abraham der Seher, in: Ders., Sehertum, Köln: Jacob Hegner 1955, S. [9]-45. Antwort. VIII. Zur Bibel-Interpretation, in: Martin Buber. Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart: W. Kohlhammer 1963, S. 622-626. Bemerkungen zu Jesaja, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, LXXIV, 5/6, 9/10, Mai /Juni u. September/Oktober 1930, S. 191-197 u. S. 340-344. Biblischer Humanismus, Der Morgen, 9. Jg., Nr. 4, Oktober 1933, S. 241-245. Biblisches Führertum, in: Ders., Kampf um Israel. Reden und Schriften (1921-1932), Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 84-106. Dritter Vortrag über die Lieder vom namenlosen Knecht Gottes. Jesajas, Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 48). Die Erwählung Israels, in: Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5699, Berlin: Schocken Verlag 1938, S. 12-31. Falsche Propheten, Die Wandlung, 2. Jg., Heft 4 Mai 1947, S, 277-281. Die Führungskraft der Schrift, Almanach auf das Jahr des Herrn 1955, Hamburg: F. Wittig 1955, S. 20-24. Genesisprobleme, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, hrsg. von Isaak Heinemann, 80. Jg., Nr. 2, März/April 1936, S. 81-92. Der Glaube der Propheten, Zürich: Manesse Verlag 1950, 334 S. Jeremia, ein Künder für unsere Zeit, Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 03 56a). Der Mann Moses, Mitteilungsblatt, XXII, 13/14, 5. April 1955, S. 2. Mose, Der Jude, 1. Jg., Nr. 3, Juni 1916, S. 207-208. Moses, Zürich: G. Müller 1948, 334 S. Die Opferung Isaaks, Frankfurter Hefte, VI/9, September 1951, S. 623-625. Philosophical Interrogations: Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl, Brand Blanshard, Paul Weiss, Charles Hartshorne, Paul Tillich. Edited with an Introduction by Sydney and Beatrice Rome, New York u. Evanston: Holt Rinehart and Winston 1964, S. 96-108. Recht und Unrecht. Deutung einiger Psalmen, Sammlung Klosterberg, Europäische Reihe, Klosterberg-Basel: B. Schwabe 1952, 75 S. [Über Name und Ort Gottes], Typoskript im MBA (350 02 161). Über Prophetie, Typoskript im MBA (350 03 78). Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? [Fassung A],Typoskript im MBA (350 03 68). Was bedeutet die ›Auserwählung Israels‹ ? [Fassung B], Typoskript im MBA (350 03 68). Was ist in der jüdischen Tradition, was in der Religionsgeschichte über den Gottesnamen in Ex. 3,13 vorhanden?, Typoskript im MBA (350 03 58).

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Zu Jecheskel 312, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, LXXVIII, 9/10, September/Oktober 1934, S. 471-473. Zum Einheitscharakter des Jesajabuches, Der Morgen, hrsg. von Julius Goldstein, 12. Jg., Nr. 8, September 1936, S. 369-371. Zum israelitisch-jüdischen Monotheismus, Neue Wege, 43. Jg., Heft 9, September 1949, S. 408. Zweierlei Jesaja, Typoskript im MBA (350 03 56a).

2.3 Verwendete Werke Martin Bubers Arbeitsgemeinschaft zu ausgewählten Abschnitten aus dem Buche Schmuel (MBA Arc. Ms. Var. 350, gimel 2a; jetzt in: MBW 15, S. 46-91. Aufgaben jüdischer Volkserziehung, in: Ders., Die Stunde und die Erkenntnis. Reden und Aufsätze. 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 104-110; jetzt in: MBW 8, S. 252-255. Aus den Anfängen unserer Schriftübertragung, in: Ders. u. Franz Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 316-329; jetzt in: MBW 14, S. 142-149. Aus Tiefen rufe ich Dich. Dreiundzwanzig Psalmen in der Urschrift mit der Verdeutschung von Martin Buber, Berlin: Schocken 1936 (Bücherei des Schocken Verlags 61). Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart: Kohlhammer 1960; jetzt in: MBW 7, S. 274-309. Begriffe und Wirklichkeit. Brief an Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Hermann Cohen, Der Jude 1 (1916/17), Heft 5, S. 281-289, jetzt unter dem Titel »Völker, Staaten und Zion« in: MBW 3, S. 293-307. Bekenntnis des Schriftstellers [Gedicht], Neue Schweizer Rundschau, Neue Folge, 20. Jg., Heft 3, Juli 1952, S. 144; jetzt in: MBW 7, S. 98. Die Brennpunkte der jüdischen Seele, Der Morgen 8 (1932), Heft 5, S. 375-384, jetzt in: MBW 9, S. 128-137. Die Bibel als Erzähler – Leitwortstil in der Pentateuch-Erzählung, Der Morgen, 11. Jg., Nr. 11 u. 12, Februar u. März 1936, S. 482-489 u. S. 530-536; jetzt in: MBW 14, S. 95-110. Bilder von Gut und Böse, Köln: Hegner 1952; jetzt in: MBW 12, S 315-358. Das Buch Im Anfang (Die Schrift I), Berlin: Verlag Lambert Schneider [1925]. Das Buch Namen (Die Schrift II), verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Berlin: Lambert Schneider [1926]. Das Buch der Preisungen, verdeutscht von Martin Buber, Berlin: Schocken Verlag [1935]. Das Buch Reden (Die Schrift V), Berlin: Verlag Lambert Schneider [1927].

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Glossar 1 Ag(g)ada, ag(g)adisch: aramäisch »Ansammlung«, »Verkündung«, »Erzählung«; erzählende, nicht gesetzliche Bestandteile des Talmud im Gegensatz zu ! Halacha. Aschera: ! Baal Astarte: ! Baal Baal: gemeinsemitisch »Herr«, »Besitzer«. Zunächst nur als ein Epitheton für den höchsten Gott gebräuchlich, bezeichnet der Begriff seit dem späten 2. Jahrtausend v. Chr. einen Hauptgott im nordsyrischen Raum, der als Wettergott den Regen spendet und somit für den Ackerbau bedeutsam ist. Der Name kommt oft in Verbindung mit Ortsnamen vor. Als göttliche Partnerin wird ihm die Aschera oder Astarte zugeordnet. Wenn die Bibel den Götzendienst bekämpft, so werden vorrangig diese drei Gottheiten genannt, wobei deren Namen oft in der Pluralform verwendet werden. Laut Buber sind die Baalgottheiten an einen festen Ort gebunden im Gegensatz zu den ! Malkgöttern. Charisma: nach Max Weber stellt die charismatische Herrschaft neben der traditionalen und rationalen eine von drei Herrschaftsformen dar. Ein charismatischer Führer übt Herrschaft über seine Anhänger aus, die ihm eng verbunden sind und in ihm eine herausragende Persönlichkeit sehen – ein Legitimationsmodell, dem laut Weber in revolutionären Phasen große Bedeutung zukommt. Deuterojesaja: anonymer Prophet aus der Zeit des babylonischen Exils, dem insbesondere die Kapitel Jesaja 40-55 zugeschrieben werden. (Ur-) Deuteronomium: Nach Wellhausen eine Rechtssammlung aus älterem Material (Dtn 12-26, ggf. mit dem in II Kön 22-23 erwähnten Josiagesetz gleichzusetzen), die den Kern des Buchs Deuteronomium bildet und die in das wahrscheinlich während der Zeit des Babylonischen Exils entstandene deuteronomistische Geschichtswerk eingefügt wurde. Deuteronomistisch: Eine Bearbeitungsschicht in der hebräischen Bibel, die sowohl inhaltlich als auch stilistisch gut identifizierbar ist. Man schließt daraus auf eine breite theologische Bewegung, die stark von den Forderungen des Deuteronomiums wie dem exklusiven Monotheismus und der Kultzentralisation geprägt ist, wodurch der Jerusalemer Tempel zur einzig legitimen Opferstätte erklärt wird, sowie die Tora als bindendes Religionsgesetz in den Mittelpunkt rückt. Dabei erhalten die sozialen Bestimmungen ein besonderes Gewicht. Diese Bewegung wird in die Zeit von ca. 700 bis 500 v. Chr. eingeordnet und betrachtet den Verlust staatlicher Souveränität und die Zerstörung des Tempels als Folge des Ungehorsams gegen Gottes Gebote.

1.

Sofern der Begriff in den Schriften Bubers vorkommt, wird dessen Schreibweise übernommen. Alle anderen im Glossar angeführten hebräischen Begriffe folgen der für die MBW festgelegten Umschrift.

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Glossar

El: hebr. »Gott«, Bezeichnung, die aber eher selten und zumeist in Zusammensetzungen gebraucht wird wie »höchster El«. Daneben gibt es aber auch eine altkanaanitische Gottheit namens »El«. Elohim: hebr. für »Gott«. In der Bibel häufig gebrauchte Bezeichnung für den Gott Israels, so dass sie fast den Charakter eines Eigennamens erhält. Elohist: Nach Wellhausen die Bezeichnung einer der vier Quellenschriften des Pentateuchs, die die Bezeichnung Elohim als Gottesname bevorzuge. Freies Jüdisches Lehrhaus: 1920 von Franz Rosenzweig in Frankfurt a. M. gegründete Bildungseinrichtung; 1926/27 Einstellung des regulären Lehrbetriebs; im November 1933 unter dem Namen Jüdisches Lehrhaus von Martin Buber wieder eröffnet; bestand bis 1938. Galut(h): hebr. »Verbannung«; Bezeichnung des Exils, der Diaspora, des Aufenthaltes der Juden in Ländern außerhalb Palästinas seit der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70; häufig mit negativem Beiklang. Halacha: hebr. »Gang«, »Lebensweg«; Bezeichnung des jüd. Religionsgesetzes, wie es die Rabbinen aus der Überlieferung entwickelt haben; sie regelt das Leben der Gläubigen in allen Einzelheiten; im Unterschied zur ! Aggada. Jahwist: Nach Wellhausen die Bezeichnung einer der vier Quellenschriften des Pentateuchs, die das Tetragramm als Gottesnamen bevorzuge. JHWH: Tetragramm zur Bezeichnung des Eigennamens Gottes in der Hebräischen Bibel; da im Judentum der Name Gottes unaussprechlich ist, wird das Tetragramm beim Beten durch die Anrede Adonaj (»Herr«) oder Adonaj Elohim (»Herr Gott«) und beim Vorlesen eines Bibel- oder Gebetstextes durch haSchem (»der Name«) ersetzt. Malk: König in den verschiedenen semitischen Sprachen, entsprechend dem hebräischen melekh. Die Bezeichnung wird auch als Götterbeiname verwendet. Laut Bubers These sind die Malkgötter semitische Weggötter, die einen nomadischen Stamm auf seinen Wanderungen begleiten im Gegensatz zu den mit einem Ort verbundenen ! Baalgottheiten. Maschiach: hebr. für »der Gesalbte«. Die Salbung war Teil des Krönungsrituals in Altisrael. Die gräzisierte Form lautet Messias, die griechische Übersetzung Christos. Nach der Zerstörung des ersten Tempels im 6. Jh. v. Chr. entwickelte sich der Glaube, Israel und die Welt würden mit dem Kommen des Messias erlöst. Massoretischer Text: Textgestalt des hebräischen Textes der Bibel, wie er innerhalb des Judentums (7.-10. Jh.) kanonisiert wurde. Dabei wurden dem Konsonantentext die Vokale sowie die diakritischen Zeichen hinzugefügt. Melekh, pl. Melakhim; zugehöriges Verb malakh, hebr. für »König«, bzw. »als König herrschen«. Midrasch: hebr. für »Auslegung«, »Studium«; Auslegung der Bibel im rabbinischen Judentum, sowie ein einzelner Text, der einen biblischen Text deutet. Mischna: erste autoritative Sammlung des jüdischen Religionsgesetzes; redigiert um 200 n. Chr.; wird in der Gemara (200-500 n. Chr.) kommentiert, mit der zusammen sie den ! Talmud bildet.

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Glossar

1291

Nabi, pl. Nabiʿ im (sprich nawi, newiʿ im): hebr für »Prophet«, von Buber mit »Künder« übersetzt. Dabei ist nicht nur an die großen Einzelgestalten wie Jesaja oder Hosea zu denken. So wird beispielsweise auch die Richterin Debora als Prophetin bezeichnet. Daneben scheint es in der biblischen Zeit auch Ekstatikergruppen gegeben zu haben, die mit diesem Begriff bezeichnet wurden. Außerdem wird mit »Propheten« die zweite Abteilung der biblischen Schriften in der Hebräischen Bibel bezeichnet, die die Bücher Josua, Richter, Samuel, Könige (die »früheren« oder »vorderen Propheten«) sowie Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das Zwölfprophetenbuch (die »späteren« oder »hinteren Propheten«) umfasst. Nagid: ein hebr. Titel, etwa »Fürst«. Der Begriff wird in den biblischen Berichten zur Einführung der Monarchie auffällig oft für das spätere Königsamt verwendet. Paronomasie: Rhetorische Figur, eine Form des Wortspiels. Bei Buber und Rosenzweig ein Schlüsselbegriff in ihrer bibelexegetischen Methode. Nach ihrer Auffassung bringe die Bibel indirekt durch den Gebrauch von Wörtern derselben Wurzel oder klangähnlichen Wörtern ihre erzählerische Intention zum Ausdruck. Rabbi: hebr. »mein Lehrer«, »mein Meister«; Anrede verehrter jüd. Lehrer, Gelehrter; seit talmud. Zeit der Titel des ordinierten jüd. Rechtsgelehrten, der die Tora verbindlich auslegen kann und Auskunft in relig. Fragen erteilt; Führer einer chassidischen Gemeinde. Ruach: hebr. für »Geist«, aber auch »Wind«. Buber und Rosenzweig übersetzen zumeist mit »(Geist-)braus«, um beiden Bedeutungen gerecht zu werden. Da ruach zumeist als femininum behandelt wird, spricht Buber von »die ruach«. Sabbat (hebr. Schabbat): der siebte Tag der Woche; ein Freuden- und Feiertag, Ruhetag Gottes, der die Erschaffung der Welt abschließt; die halachisch begründeten Einschränkungen sollen sicherstellen, dass der Mensch an diesem Tag von Arbeit befreit ist und die Heiligkeit des Sabbat gewahrt bleibt. Schophet, pl. Schophetim: hebr. für »Richter« von Buber mit »Rechtschaffer« übersetzt. Die Zeit der Richter, in der ein loser Stammesverbund oder einzelne Stämme sich im Kriegsfall Beistand geleistet haben sollen, bezeichnet nach der biblischen Geschichtsdarstellung einen Zeitabschnitt zwischen der Landnahme und der Einführung der Monarchie. Septuaginta: Jüdische Bibelübersetzung ins Altgriechische aus vorchristlicher Zeit, die später von der christlichen Kirche übernommen wurde. Sie bietet gelegentlich andere Versionen als der ! Massoretische Text. Talmud: Bezeichnung von ! Mischna und Gemara als den rabbinischen Auslegungen der Bibel; Hauptwerk der jüdischen Lehre und des Religionsgesetzes; wurde in zweifacher Form in Palästina (Jerusalemer Talmud) und in Babylonien (Babylonischer Talmud) schriftlich niedergelegt. T(h)ora: wörtl. Lehre; bezeichnet im engeren Sinn den Pentateuch (die fünf Bücher Moses), im weiteren Sinne die jüdische Glaubenslehre insgesamt.

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Stellenregister Bibelstellen Hebräische Bibel Gen 1,1-2,4a 1,1-2,3 1 1,2 1,11 1,1-27 1,27 f. 1,28 2 2,3 2,4-3,19 2,4b-25 2,4 2,4a 2,4b 2,4b-22,19 2,5 2,19 f. 2,21 3 3,8 3,14-19 3,16 3,17 3,17 ff. 4,1-13 4,1-16 4,1 ff. 4,1 4,5 4,7 4,25 5 5,22 f. 5,22 5,24 6,3 6,9 6,11 6,12 6,18

584, 952 841 738, 755, 779 235, 332, 1123 210 816 107 838, 951 755 838 841 584 176 220 952 950 220 107 91, 794 838 122 838 221 220 107 952 838 221 176, 527, 931 221 221 215 840 399 122 122, 320, 840, 1109 584, 1124 123, 840 (2 �) 107, 222, 838, 839 220 440, 815

7-11,8 7,1 7,4 8,21-22 9,1-7 9,1 9,9-11 9,9 ff. 9,11-17 9,11 9,18-28 9,18 ff. 9,20 9,22-23 11,1-9 11,1 ff. 11,1 11,3-9 11,4 11,6 11,7 11,8 11,9 11,10 11,13 11,26-32 11,28 11,31 12-22 12-17 12 12,1 12,1-3 12,2-3 12,2 12,4 12,5 12,6-8 12,7 12,8 12,10-20 13 13,1-13

1182 123 839 839 838 951 815 440 841 220 945 205 123, 841 945 816, 839 222 222,223 222 f. 107, 816, 839 (2 �) 108 839 (2 �) 839 839 839 222 930 171, 929 171, 929 789 1183 170 95, 108, 169, 452, 797, 839, 843, 979, 1183 126, 664, 829, 1128 839, 951, 1182 108, 508, 519 95, 169, 797, 843 174, 930 841 126, 452, 508, 797 175, 502, 1073 374 842 842

13,4 13,6 13,14-17 13,15 13,16 14 14,7 14,13-14 14,13 14,14 14,17-22 14,18 ff. 14,19-23 14,19-22 14,19 14,20 14,22 14,23 15 15,1-6 15,1 15,4 15,5 15,6 15,7 15,7-20 15,7-21 15,7 ff. 15,8 15,12 15,13-16 15,13 15,16 15,17 15,18 16 16,1-15 16,7 16,9-11

175, 502 900 841 127 91, 793 60, 97, 373 f., 754, 798, 842 503, 1076 930 174, 368, 370 174, 1055 930 175 1055 842 374, 434 127, 175, 842 374, 539, 798, 931, 1059, 1080 374 90, 125, 173, 792, 840 90, 793 (2 �) 127, 169, 793, 842 91, 793 90, 91,793 (2 �) 48, 49, 50, 169, 170, 797, 840, 882 173, 391, 839, 842, 928, 929 793 793 90 797, 843 90, 793 793 92, 842 102, 104, 519 90, 793 793, 815 92, 794, 842 1059 387 794

MBW 13 (02689) / p. 1294 / 18.3.2019

1294 16,9 16,9 f. 16,11-12 16,11 16,12 16,13 16,14 17 17,1-8 17,1 17,2 ff. 17,5 17,10-13 17,15 17,18 18,1-15 18,1 18,2 18,8 18,16-33 18,17 18,19 18,22 ff. 18,23 ff. 18,25 20 20,6 20,7 20,13 20,17 21 21,1-8 21,1-7 21,9-21 21,12 21,14-21 21,16 21,17 21,21 21,22-34 21,22-31 21,33 21,34 22 22,1-18 22,1-19 22,1

Stellenregister 91 91 92 962 162, 795 176, 387, 843 795 125, 839, 842 815 124, 175, 841, 1060 440 839 841 839 95 842 93, 796 128 128 759, 841 221 108, 231 (2 �), 842 305 95 192, 221, 842 374, 841 95 126, 192, 316, 839 170, 370, 478 95 841 794, 842 757 842 92 92 92, 795 93, 796 1074 841 1075 125, 170, 175, 502 930 92, 92 f., 221, 789, 987 929 757, 796, 842 93

22,2 22,3 22,5 22,6-8 22,6 22,7 22,8 22,9 22,11 22,12 22,14 22,15 22,17 f. 23 23,6 23,20 24,3 f. 24,27 24,40 25,2 25,18 25,19-28,9 25,27 26,1-7 26,25 26,12 26,24 26,25 27 27,1-40 27,23 27,34-38 27,36 27,46 28 28,3 28,13 28,15 28,16-19 28,17 28,20 29,1-14 31,3 31,5 31,13 31,19 31,34 31,42 31,45 ff.

94, 95, 129, 797 (2 �), 839, 843, 1119 93, 95, 169, 797, 843 93 93 93 95 94 93 93 (2 �), 94, 796 95 93, 795, 843 93 219, 951 374 373 125 374 242 124, 175 381 162, 465 838 535 374 502 501 1109 175 96 1181 96, 797 1181 166, 391 374 90, 792 1060 928 169, 400, 1109 1073 222, 386 285 1057 167, 169, 936 387 399 924 (2 �) 924 (2 �) 387, 399 471

31,53 32 32,10 32,23-33 32,23-30 32,28 f. 32,28 32,29 33,17 34 35,2 35,2-4 35,7 35,10 35,11 36 36,12 37-50 38 41,40 41,42 41,43 41,44 f. 41,50-52 43,14 45,7 45,10 46,4 46,8 46,31-34 47,11 47,20 47,27 48,3 48,15 48,16 49,12 49,18 49,25 50,26 Ex 1,11-14 1,8 1,11 1,13 1,14 1,21 2,2 2,3 2,10 2,11

177 187, 936 387 987 1061 399, 755 166, 391, 927 72, 399, 932 237 795 169 158 170 391, 399 1060 97, 798 1065 950 946 364 364 364 1050 1068 1060 379 1056 109, 164, 387 375 1056 1056 365 1056 1060 124, 175 326 190 392 168, 208, 1060 364 377 377 377 377 377 467 1203 379 526, 1050, 1057 1058

MBW 13 (02689) / p. 1295 / 18.3.2019

1295

Stellenregister 2,11-15 2,16-22 2,19 3,1-7,7 3,1-6,1 3-4,17 3 3,1-4 3,1 3,2 3,3 3,4 3,6 3,7 3,8 3,10 3,11 3,11 f. 3,12

3,13

3,14

3,15 3,16 3,17 3,18 4,1-9 4,8 f. 4,10

380 1057 381 927 927 919, 927, 957 104, 803, 1157, 1182 382 104, 922 1058 1058 383, 1058, 1066 104, 163, 166, 497, 1059 104, 243, 375, 927, 1060, 1062, 1067 164, 383, 385, 501 104, 243, 375, 927, 936,1060, 1062, 1067 104, 389,1060 1075 104, 109, 167, 244, 394, 816,1060, 1109 163 (2 �), 166, 713-716,1060, 1182, 1194, 1196 (2 �) 104, 186, 244, 794, 843, 936, 957, 960,1060, 1071, 1171, 1182, 1194 (2 �), 1195 (2 �), 1196 (2 �), 1198, 1199 (2 �), 1200 (3 �), 1201 163, 244 163 382 246 1060 389 390, 737, 1060

4,12

4,13-16 4,15 4,16 4,17 4,19 4,22 f. 4,22 4,24 4,24-26 4,25 4,26 4,27 4,31 5,18 5,20 f. 5,22 f. 5,22 6,2-7,7 6,2 6,2 f. 6,3 f. 6,3 6,6 f. 6,6 6,7 6,8 6,9 6,12 6,29 6,30 7,1 7,5 7,7 7,15 7,17 7,28 9,23 f. 10,2 10,5 f. 10,8 10,9 10,11 10,21 10,23 10,24

104, 167, 244, 394, 737, 936, 1049,1060, 1202 390 104, 167, 244 191, 401, 737, 1202 1050 403 227, 407 106, 165, 663, 1078 187, 383 28, 936, 987, 1061 936 1061 383 123, 425 378 425 407 109 927 166 168 163 (2 �) 391 (2 �) 407 326, 928 1061 163 1062 400, 987, 1061 1061 400, 737 191, 390, 737, 1202 1061 408 408 390 408 406 1061 406 378 246 378 406 409 378

12 12,1-14 12,2 12,11 12,13 12,21-27 12,21 ff. 12,22 12,23 12,27 12,29-31 12,31 12,37 12,42 13,2 13,11 ff. 13,12 13,13 13,17 f. 13,19 13,21 f. 13,21 14 14,4 14,5 14,11 f. 14,14 14,18 14,24 14,25 14,28 14,31 15,1-19 15,1-18 15,1 15,2 15,3 15,5 15,8 15,11 15,12-17 15,13 15,14 ff. 15,18 15,21 15,24 15,25 16,1 16,2-36

1063 410 1063 185, 1063 (2 �) 410 410 410 411, 1026 410, 412 410, 412 1062 378 414 186, 412 221 455 191 221 416 364 416 162 758, 934, 1181 1061 414 425 202 1061 485 202 1181 123, 181, 417, 425 417 758, 934, 1064, 1130 182 28 184 332 332 418 586, 1130 242, 326 418 110, 182, 1064, 1067 182,414 425 155, 425, 503 382 419

MBW 13 (02689) / p. 1296 / 18.3.2019

1296 16,3 16,7 16,10 16,22 ff. 16,23 16,29 17 17,2-4 17,2 f. 17,6 17,8-13 17,11 17,12 17,14 17,15 17,16 18,1-5 18,2 18,4 18,5 18,7 18,9-10 18,10-12 18,10 f. 18,11 18,12 18,13-24 18,19 18,23 18,24 19-20 19 19,1-3 19,2 19,3-6 19,3 19,4-6 19,4 19,5-6 19,5 19,5b 19,6 19,7 19,16 19,18 19,18 f. 19,18

Stellenregister 425 536 536 938 1064 1064 990 1064 425 484, 1031 1191 429 1065, 1192 1065 125, 170 429, 1065 1066 432 387 104, 432 483 1066 939 163 164, 433, 1066 164, 1066 (2 �) 1066 530 1047 1047 (2 �) 922, 1062 25 1066 109 664, 990, 1182 109, 384 284, 817, 934, 1067, 1184 183, 582, 758, 934, 990, 1067, 1183 840, 934, 1184 586, 817, 1067,1076, 1183 465 254, 440, 1067 1067 446 1050 446 385

19,20 19,22 20 20,1 20,1-7 20,2-17 20,2-6 20,2

385 109, 509 187, 937, 992 1197 1071 454 925 160, 391, 842, 925 20,3 160, 161, 460 20,3-5 161, 241, 1071 20,4 184 20,4a 459 20,4-5 161 20,5 161 20,5b-6 465, 473, 1072 20,5b 161, 241 20,6 241 (3 �), 929 20,7 162, 925 20,7b 465 20,8-12 1071 20,8 ff. 937 20,9 f. 938 20,13-17 465, 1071, 1078 20,19 141, 885 20,21 160, 214, 922 20,22-23,33 1064 20,22-23,19 455 20,22 387 20,23 455 20,24 ff. 191 21,1 1047 21,2 ff. 476 22,20 189, 285, 504 22,21-23 474 22,21 189 22,22-23 1072 22,25-26 474 f. 22,26 1072 22,29 455 22,30 443 23,9 189, 285, 504 23,10-12 937 23,10 f. 504 23,12 188, 422, 937 (3 �), 938 (2 �) 23,13 938 23,13-15 188 23,16 1040 24 159 24,1-11 944

24,1 24,1 f. 24,4-11 24,4-8 24,5 24,6-8 24,7 f. 24,7 24,8 24,9 24,10 24,11 24,12 24,16 24,17 24,18 25,8 25,10-22 25,10 ff. 25,15 25,17-22 25,22 26 27,21 28-29 28,1 28,30 28,41 28,43 29,1 29,44 29,45 30,20 31,12-17 31,12 ff. 31,13 31,15 31,17 31,18 32 32-34 32,1-29 32,1-6 32,4 32,7-14 32,7-10 32,7 32,9

493 109 447, 815 939 447 411 440, 924 22, 43, 44, 925 (2 �) 155, 1068 109, 493 182, 184, 253, 317, 447, 925, 1069, 1073 447, 1069 471 185 244, 317, 1050 471 935, 958, 1066, 1157 756, 934 486 184 1073 756, 935 1157 935, 939, 958, 1066, 1157 1076 1076 935, 1077 268 297,1076 1076 1076 214 297 937 (2x) 188 255 422 422, 938 471, 815 935 815 1072 815 184 759 105 105 105

MBW 13 (02689) / p. 1297 / 18.3.2019

1297

Stellenregister 32,10 32,11 32,12 32,14 32,15 32,17 f. 32,19 32,25 32,26 32,29 32,32 32,35 33 33,3 33,7-11 33,7 33,9 33,11

33,12 33,13 33,14 33,15 33,16 33,17 33,18-23 33,18 33,19

33,20 33,22 33,23 33,31 34 34,1 34,4 34,5-7 34,5 ff. 34,5 34,6 34,7 34,9 34,10 34,13-26 34,14 34,16

105 105 105, 233 105 472 482, 1078 471 482 1073 483, 509 427 105 191, 714 164, 485 483, 935, 958, 1066, 1157 185, 1073 490 195, 449, 485, 496f., 531, 939, 993, 1033, 1078 574 276 164, 184, 484 484 104, 485 184, 484 842 276, 494, 497 125, 167, 175, 186, 394, 484, 528, 936, 993, 1197 450, 485 164, 385, 484, 927 485, 497 484 187, 937 471 471 (x) 471 276 125, 175, 497 233, 242, 484 533 427, 485 (2 �) 996 454 474 206

34,19 34,27 34,28 34,29 40,34 40,35

191 440 446, 471 471, 1050 185 185, 254

Lev 1,1-5,26 1,1 11,44 f. 12,8 13,45 14,11 ff. 18 18,3 18,5 18,7 18,25 18,27 18,28 19,2 19,33 20 20,7 20,26 25 25,2-7 25,8-24 25,23 26,11

1192 384 110, 254 165, 433 256, 342 344 205 f. 946 1182 206 206 206 206 254, 664 285 205 f. 254 254 190 504, 938 938 190, 504 927

Num 3,12 6,1-21 7,89 9 9,14 9,21 10,33 10,35 f. 10,35 10,36 11 11,11 11,25 11,26 ff. 11,26 11,28 11,29 11,31 12

449 940 490, 1041 412 199 536 382 184, 756, 934 485, 487 1073 23, 197, 491, 583, 1122 437, 494 493 495 535 1078 323, 1123 1123 191, 1075

12,3 12,4 12,6-8 12,7 13-14 13 15 14,4 14,14 14,21b 16 f. 16 16,3 16,5 f. 16,5 16,9 16,10 17,6 20,12 21,17 21,20 21,29 22-24 22-23 22 22,7 22,22-34 22,22 22,34 23,4 f. 23,7-10 23,9 23,10 23,18-24 23,18 23,20-24 23,21 23,23 24,1 24,20 24,22 25 25,1-18 25,1 ff. 25,3 25,5 27,11 f. 27,12 ff. 27,14

495 535 191, 1075 1075 994, 1065 500 500 425 535 254 538 509, 994 510 (2 �) 1076 297 297 297 510 754 77 525 227 1074 1068, 1170 1153 497, 537 1138 972 972 1075 1075 120, 254, 375 498 1075 1075 1075 184, 444, 498 (2 �), 935 298, 497, 537, 1170 497, 537 429 258 482, 1040 958, 1073, 1077 205, 517 206, 517, 945, 1077 517 192 521 521

MBW 13 (02689) / p. 1298 / 18.3.2019

1298 27,15 ff. 27,16-20 27,18 27,19 27,21 31,8 31,16 35,33 Dtn 1,3 1,19 1,22-46 1,46 3,27 4,1-40 4,2 4,7 4,11 4,16 4,20 4,23 4,25 4,34 4,37 4,40 5,2 f. 5,8 5,15 6,4 6,5 6,25 7,1-11 7,6 7,7 f. 7,7 7,8 f. 9,5 f. 10,12 10,13 10,15 10,17 10,18 10,18 f. 10,20 10,21 f. 11,1 11,13 11,22

Stellenregister 192 1078 1078 523 936 537 537 220 1078 481 500 470 755 110 293 112 446 161 112, 119, 183, 817 112 (2 �) 161 112, 119, 375 285, 485 112 186 161 1171 15, 292 285, 956 46, 48 110 183, 254, 284, 441, 817 285 110, 662, 1182 285 110 241, 285 (4 �), 956 285 241, 285 (2 �), 956 329 794 285 285 (3 �) 285 285, 956 285, 956 285 (2 �), 956

12,4-12 13,1 13,4 13,5 14,1 f. 14,2 14,6 14,21 17,11 17,14-17 17,15 17,15 ff. 17,16 f. 18,1-8 18,13 18,15 18,18 18,21 f. 19,9 20,1 21 21,6-7 23,15 23,18 24,4 25,18 26,5 26,16-19 26,16 26,18 f. 26,18 26,19 28,1 28,4 28,9 28,10 28,18 28,51 29,28 30 30,15 31,10 ff. 32,1-43 32,6 32,8 32,11 f. 32,11

291 293 285 285 (6 �) 110 183, 254, 284, 441 306 254 586 215 215 199 949 941, 1076 24, 122, 124 301, 346, 524, 996 346 300 285 294 305 1109 122 206 220 429 170, 370, 929, 1054 110 285 285 441 110, 183, 254 110 208 254 125 208 208 293 955 234, 515 506 1067, 1068, 1123 176, 931 439, 539 (3 �), 1078, 1108 111 183, 439, 581,

32,15 32,51 33 33,1 33,1-7 33,2-6 33,2-5 33,2 33,3-5 33,5 33,8 33,16 33,26-29 33,26 33,29 34,5 34,6 34,7 34,10 Jos 1,9 3,10 5,13 ff. 7,13 ff. 8,30 10,13 10,14 13,22 14,24 22,5 23,11 24 24,1-28 24,1 24,2 24,3 24,5 24,7 24,14 24,14b 24,15 24,16 24,17 24,18a 24,19 24,20 24,23 24,24

183, 439, 665, 1123 1067 521 1077 430 443 153 (2 �) 153 153, 1182 933 443, 470, 1067 242, 509, 935 f., 1076 383 153, 443 1067 153 1078 1078 (2 �) 1078 525 1109 204 523 305 154 1067 202 537 1038 241 241 448 154, 842, 855 154, 156 155, 156 127, 169 162 154 156 154 154 156 154 154 157, 474 157 169 155

MBW 13 (02689) / p. 1299 / 18.3.2019

1299

Stellenregister 24,25 24,25-27 Ri 3,10 4 4,6 4,7 4,14 5 5,2 5,3 5,4 5,5 5,8 5,9 5,11 5,12 5,13 5,15b-17 5,16 5,20 5,21 5,23 5,31 6-8 6,3 6,11-8,35 6,15 6,24 6,28 6,34 7 7,12 7,20 8,23 9,8-15 10-12 11 11,23 f. 11,24 11,27 12,6 13-16 13 13,5 13,7 13,17 f. 13,17 13,18

155 154 940 535, 922, 940 152, 385 922 151, 198, 925, 944 149 f., 940, 1049, 1131 150, 473, 921 150 152, 153 150, 385, 782 151 150 151 (2 �) 150 150, 925, 926 151 159 151, 152, 202 149 150, 473 241, 473, 921, 929 841 437 755 530 125, 170, 841 207 194, 584 1192 437 194 426, 940 758 933 556, 1107 181 227 227, 1107 933 755, 940 695, 762 940, 962 940 1193 166 72, 266

13,25 14,6 14,19 15,14 18 19 20,1 I Sam 1,11 2,1-9 2,2 2,10 2,11 2,27-36 2,30 2,35 3,1 3,3 3,11 3,20 4 4,1-11 4,4 4,8 4,21 f. 4,22 5,1 6,2 7,1 7,3 7,5 7,9 7,16 f. 8 8,5 8,9 8,11-17 8,11-18 8,12 8,14 8,19 f. 8,20 8,20 f. 9-10 9,9 9,15-27 9,15 9,16 9,23 10,1

194 584 584 584 1073 249, 958 1075 963 269 269 269 941 f. 942 124, 841 124, 175, 196 195 (2 �), 531, 942 195 195, 941 196 152, 480, 756, 818, 922, 934 922, 940 152, 486 80, 478, 1039 194 941 922 125 195 158 196 195 196 1192 215 943 215 199, 758 215 215 942, 943 942 198 943 131, 192, 823 758 198 943 196 199

10,5 10,6-12 10,6 10,10 10,19 10,24 10,25 11,6 12,2 13,9 14,3 14,18 14,35 14,38 ff. 15 15,6 15,9 15,17 15,22 15,23 16,5 16,6-12 16,13 16,14 17 18,1 18,3 18,17 19-24 19,13 f. 19,13 19,20 21,5 22,7 23,18 25,28 26,12

196 1074 273, 297, 584 (2 �) 297, 584 530 215 199, 943, 966 584 124 212 212, 942 212 212 305 948 432 213 201 195 199, 943 213 1191 297, 584, 965 273 1181 109 439 194 756 1074 924 555, 1107 449 215 439 194 91

II Sam 3,28 5,3 5,8 5,24 6 6,2 6,12 6,17 6,20 7 7,1-27 7,1 7,4 ff.

183 440 73, 763 202 756 486 202 213 757 111 759 202 282

MBW 13 (02689) / p. 1300 / 18.3.2019

1300 7,5-16 7,5-13 7,5 ff. 7,6-11 7,6 f. 7,6 7,7 7,8 7,9 7,10 7,11 7,12-16 7,12-15 7,14 7,23 f. 8,15 8,17 8,18 12,7 12,28 14,14 15,14-18 15,24-37 16,5 16,14 20,25 20,26 22,10 f. 22,17 23,1-7 23,1 23,3 23,5 24

Stellenregister

24,1 24,17

1073 754 215 944 950 206, 489 111 202 202 111, 202 111, 202 815 215 106, 526 111 231 968 183, 442, 665 201 125 73 756 942 948 188, 938 968 442 152 527 201, 944, 963 268 268, 297, 965 202, 944 307, 579, 971, 1119 971 971

I Kön 1 1,35 1,50 f. 2,26 f. 2,28 4,5 5,6 6,12 f. 6,13 8,4 8,8 8,9 8,12 8,12 f.

949, 968 1191 294 968 294 109, 442 949 216 214 489 184 472, 480 949 203, 213, 944

8,13 8,22-53 8,30 8,43 8,44-53 8,46 8,50 8,50 ff. 8,51 8,53 8,62 f. 9,3 ff. 10,9 11,1-8 11,1-6 11,1 11,3 11,5 11,7 11,8 11,14 11,23 11,25 11,29 ff. 11,33 12,1-19 12,1 12,20-33 12,26-33 12,26 ff. 12,32 14,7 14,9 14,21-31 14,31 16 16,16 16,23-33 16,31 17 f. 17,1 17,8-16 17,17-24 18 18,1 18,12 18,18 18,21 18,30 ff. 18,31 f. 18,36 18,40 18,45

282 112 87 125 112 112 111 112 119 183 213 216 231 (2 �) 952 947 208 950 208 952 208 203, 972 203, 972 972 203 947 953 953 953 949 478 213 201 479 953 950 944 944 953 208 209 209, 947 1062 1062 947 210 209 208 210, 232 447 210 210, 447 211, 922 210

18,46 19 19,4 19,8 19,9 f. 19,9 19,10 19,11-13 19,11 ff. 19,11 f. 19,12

22,23 22,28

209 579, 922 209 926 927 164, 385 210 848 446 385 133, 209, 317, 973, 1119 210 336 211, 948 234 1062 1065 949 972 209 209 208 796, 848, 949 213 949 232 214 215 213 972 215, 452, 557, 949 215, 256 493 949 796 796, 961, 1074 232 317

II Kön 1,9-17 2,1-14 2,1-11 2,3 2,5 2,8 2,9 2,10 2,11 2,14

1062 1062 948 320, 953 320 1062 320 320 840, 1109 1062

19,14 19,15 19,16 19,18 19,19-21 19,21 20 21,1 21,17 ff. 21,18 21,26 22,1-28 22,6 22,10 22,11 ff. 22,12 22,13 22,17 22,19-22 22,19 22,20 22,21 ff. 22,21 f. 22,21 22,22

MBW 13 (02689) / p. 1301 / 18.3.2019

1301

Stellenregister 2,19-24 3,15 3,27 4,1-7 4,8-37 4,38-41 4,42-44 5,1-14 6,1-7 9 9,14-10,17 10,15 10,15 f. 10,18-28 10,18 ff. 10,23 10,29 11 11,17 11,18 14,23-29 15,5 15,25-30 15,29 15,37 16,2 16,3 16,10 ff. 17,1-23 17,1-6 18,2 18,4 18,17 19,22 21 21,3 21,11 22-23 22,3 22,8 ff. 22,10 22,11 22,14-20 22,14 22,17 22,19 22,25 23 23,3 23,4-24 23,7 23,29

1062 1074 221, 260 1062 1062 1062 1062 1062 1062 948 948 211 164, 432 948 211 211, 432 479 213 156 211 954, 958 201, 253 964 959 691 270 260 264 956 959 270 282 270 325 969 969 969 946, 1170 286 283 286 286 968 968 286 286 286 817 156 286 206 817, 968

Jes 1-39 1-36 1,4 1,7 1,9 1,12 1,27 2 2,1 ff. 2,1-5 2,2-5 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 3-5 3,14 4,2-5 4,3 4,4 4,5 4,13 5,1-7 5,5 5,6 5,7 5,8-10 5,19 5,24 6 6,1-3 6,1 6,3-4 6,3 6,5-7 6,5 6,6 6,9-13 6,9 f. 6,10-13 6,10 6,11 6,13 7-9

671, 871 671 326 70, 761 70 259, 280 47, 48, 230 252 334 125, 274 70 280, 761, 1193 78, 761 78 70, 761, 965 70 252 258 255 255,1107 258 261 259 258 258 (2 �) 77 231 280 255, 263 326 252, 677, 680, 860, 885, 949, 1191 960 201, 252, 451, 784 781 780, 935, 960 737 182, 201, 252, 255, 383, 445, 934, 943 451 680 100, 960, 961 1191 964 (2 �), 1191 258, 681, 973 258 (2 �), 338, 961 (2 �), 964 677, 678

7-9,6 7 7,2 7,3 f. 7,3 7,4 7,7 7,8 7,8 f. 7,8b 7,9 7,11 7,12 7,14 7,15 7,16 7,22 7,25 8-9,6 8 8,1-8 8,3 f. 8,3 8,5-22 8,5-8 8,6 f. 8,6 8,8 8,9 f. 8,11 ff. 8,14 8,16

8,17 8,18 8,19-22 8,19 8,19 f. 8,20 8,20b-22 8,21 8,22

860 252, 677, 680, 682, 960, 961 961 1191 100, 255, 234, 955, 962, 964 261, 962 262, 271 762 (2 �), 1191 70 f. 73 262, 1191 389, 962 962 962 (2 �) 266 (2 �) 266 266 258 252, 961 682 267 1191 259, 955, 963 1133 270 1192 265, 964 265, 589, 684 271 271 99 72, 99, 100, 267, 272 (2 �), 321, 802, 919, 916, 963, 964, 974 (2 �), 1192 (2 �) 272, 294, 314, 589, 1192 263, 271, 272, 280, 964 964 272, 762 72, 762, 1192 99, 272, 273, 589, 762, 802 72 272, 691, 762 100, 266, 272, 322

MBW 13 (02689) / p. 1302 / 18.3.2019

1302 9 9,1-16 9,1-6 9,1 9,3 f. 9,3 9,4 9,5 f. 9,5 9,6 9,12 10-11 10,5-7 10,5 10,21 10,21 f. 10,27 10,32 10,34 11 11,1-10 11,1-9 11,1-2 11,1 11,2-3a 11,2 11,3 11,4 11,6-8 11,6-9 11,6 11,8 11,9 11,10 13,11 14,1-23 14,18 17 17,3 18,4 18,7 19 19,16-25 19,16-18

Stellenregister 690, 691, 705, 708 99, 861 1192 72, 688, 691, 861, 964, 1192 266, 964 338 266 (2 �) 78 932 72, 265, 329, 338, 762, 962 (2 �), 1192 231 (2 �), 266, 268, 338 257, 272 677 958 263, 695 234, 329, 695, 1193 100, 255, 259 73, 763 280 80, 766 583, 691, 705 691 273, 860, 862 688 338, 1193 964 338, 349, 297, 759 273, 338 268, 338 (2 �), 965, 1123 274 266 1193 1193 259, 274 1193 (2 �) 75 1110 568 71, 267 71 261, 282, 290 276, 280 (2 �), 334 654, 1171 965 965

19,23-25 19,24 f. 19,24 20 20,3 23,1 23,13 24 24,5 24,21 24,23 25,6-8 25,7 f. 25,8 26,1-6 26,2 26,7-10 26,7-27,1 26,9 26,10 26, 11-14 26,12-19 26,14 26,15 26,15-19 26,16-18 26,18 26,19 26,20 26,21 27,2-6 27,2 27,6 28,9 28,19 28,21 28,14 ff. 28,15 28,16 28,17 28,18 28,20 29,5 29,8 29,10 29,13 29,17-23 30,1 30,11 30,12 30,15 30,20 30,29

275 1171 108, 219, 1181 263 263, 389, 962 71 73, 763 329 220 329 329 78 333 78, 765 (2 �) 75 42, 122 75 87 75 764 75 75 76 76 75, 764 76 764 76, 765 (2 �) 76 86 77 f. 765 765 343 343 271 263 78, 765 263 230 78, 765 73 280 280 79, 91 280 326 260 78 f., 255, 766 79, 255 255, 261, 681 96, 323, 586 412

31,3 31,4 31,5 31,9 32,15 ff. 33,5 33,15 33,16 33,20 33,21 33,22 33,23 33,24 35 35,2 35,8 36-37 36,2 37,22-29 37,23 37,33-35 40-66 40-55 40-53 40-52 40,2 40,3 40,5 40,6 40,10 40,11 40,12 ff. 40,15 40,22 40,26 40,27 41 41,8-20 41,8 ff. 41,8 f. 41,8 41,10 41,12 41,14 41,17.20 41,17 41,17 f. 41,20 41,21 41,22 f. 41,22

493 280 280, 412 280 261 79, 230 79 766 80 79 80 80 343 327 254 327 966, 1190 270 280, 1191 325 280, 1191 668, 670 (3 �), 674 (2 �), 675, 1185 324, 801, 871 708, 712 1189 328, 343 323, 1193 254, 314, 323 323 703 350 332 1169 698 329 314, 334 699 1109 339 336 169 1109, 1193 332 325, 326, 1193 1109 614, 701, 1165 564 331, 336 338, 705 337 323

MBW 13 (02689) / p. 1303 / 18.3.2019

1303

Stellenregister 41,23 41,25 41,26 42,1-8 42,1-4 42,1 42,2 42,3 42,3 f. 42,4 42,5 42,6 42,7 42,8 42,9 42,13 42,18 ff. 42,19 42,21 43 43,1 43,2 43,5 43,5 f. 43,6 43,7 43,9 43,10 43,12 43,14 43,15 43,16 43,18 43,19 43,20 44 44,1 f. 44,2 44,3 44,6 44,7 44,8 44,23 44,28

704 337, 338,339 337, 706 337 758, 973, 1133 336 (3 �), 339, 349 (2 �) 338 346, 1166 338 334, 336 (2 �), 976 334 190, 334, 336, 708 333 338, 396, 1193 101, 323, 337, 339, 705 329 339 347, 978 336 (2 �) 707 331, 336, 1193 1101 1101 337 333 331 337, 705 617 317 325, 326 331, 338 703 705 337, 703 319, 701, 1193 707 336 336, 348, 700, 1067 324, 336, 337, 614 338 337 317 336, 348 336, 801, 802 (2 �), 1133, 1181, 1188, 1190

45,1

330, 336, 801, 802 (2 �), 1133, 1181, 1188, 1190 45,3 975 45,4 f. 333, 336 45,6 f. 330, 331 45,7 400, 1134 45,8 331 45,14-17 976 45,14 334 45,15 334, 314, 589, 1133 45,16 f. 334 45,19 334 45,20 334 45,21 333 45,22 333 45,23 f. 976 46 674 46,1 339 46,1 f. 330 46,2 343 46,3 343 46,4 329, 343 46,7 339 46,9 337 46,10 336 46,11 337, 338 47 324 47,11 716 48,3-6 337 48,3 323, 706 48,6 f. 331 48,6 323 (2 �) 48,8 336 48,10 326, 336 48,11 339 48,14 337 48,16 337 48,14 336 48,16 334, 338 48,17 325, 326, 350, 702 48,18 f. 589 48,21-49,10 701 48,21 703 49 616 49,1-6 758, 973, 1133 49,1 ff. 335, 339 49,2 757, 930, 1166, 1193

49,3

336, 340, 348, 1193 49,4 1166 49,5 f. 1193 49,5 335, 336 (2 �) 49,6 101 (2 �), 333, 334, 336 49,7 325, 326, 336, 708 49,8 333, 334, 335, 336 49,9 333 49,10 703 49,11 702 49,12 333 49,13 334 49,14-26 324 50,1-3 324 50,1 326 50,4-9 758, 973, 1133 50,4 ff. 340 50,4 100, 141, 322, 340, 341 (2 �), 589, 974 (2 �) 50,5 f. 341 50,5 340, 1194 50,6 335, 340,342 (3 �), 343 50,7 342 (2 �) 50,8 340, 342 (3 �) 50,9 341 51,6 71, 396 51,7 700 51,9 f. 332 51,12 700 51,15-16 707 52-53 707, 709 52,7 329, 338, 349 52,10-11 703 52,11 1193 52,12 350 52,13-53,12 342, 614-618, 758, 973, 1133, 11601165, 1187 52,14 342, 343 52,15 342, 343 53 614, 615, 700, 701, 702, 711, 741, 11601165 53,1 343 (2 �), 344 53,3 342

MBW 13 (02689) / p. 1304 / 18.3.2019

1304 53,4 f. 53,4 53,5 53,6 53,7 f. 53,7 53,8-12 53,9 53,10 53,10 ff. 53,11 53,12 53,16 53,18 54 54,4 54,5 54,6 54,8 54,10 54,13 54,14 55 55,3 57,15 57,14-19 57,19 59,20 61,1 63,7-19 63,11 66,1 f. Jer 1,1 1,5-9 1,5 1,6 1,8 1,9 f. 1,9 1,10 1,17-19 1,18 2,3 2,8

Stellenregister 1166 343 (2 �) 101, 343 (3 �), 758 344 977 335, 758 335 335, 345 (2 �), 759, 1193 336, 344, 345, 1166 335 347, 710, 978 345 348 348 712 326, 700 325, 326 326 326 326 101, 323, 974 700 701 338 304, 971 324 1204 1205 324, 336, 338 (2 �), 346 379 1057 (2 �) 304 969, 1169 1169 103, 180, 288, 341, 574, 969, 1169 288, 737 1169 1171 288, 737 289, 847 1169 293 106, 228, 245, 663, 978, 1183 297

2,24 2,34 f. 3,1 3,9 3,14 3,16 f. 3,17 3,20 3,22 4,11 f. 4,13 4,19-21 4,19 ff. 4,23 4,24-26 5,1 ff. 5,9 5,14 5,26-31 6,10 f. 6,11 6,14 6,27-30 6,27 6,29 6,30 7 7,1-15 7,2 7,4 7,5-7 7,5 f. 7,6 7,6b 7,8-15 7,8 7,9 7,9b 7,10 7,11 7,12 7,15 7,16 7,18 8,8 8,9 8,10 f. 8,19 8,21

100, 322 1169 220 220 250 295, 489, 970 295 1171 250, 1171, 1204 1169 1169 1169 303 302 1171 302 340 293, 302 1171 1170 302 300 1169 293, 1107 293 293 1182, 1184 113, 283, 1146 295 294, 295, 1146, 1170, 1184 1171 295 295 283 1170 295 295 283 294 295 287, 818 818 302 947 291, 292, 295, 587 292 1169 113 302

9,1 9,16 f. 9,19-21 9,23 10,10 10,19 f. 10,21 10,22 10,23 f. 10,25 10,27 11-20 11,2 11,3 12,1 f. 12,1 12,5 12,7 13,1-11 13,16 f. 13,17 13,23 14,13 15,1 15,6 15,10 15,15-18 15,17 15,18 15,19 f. 15,19 15,20 16,11 16,19-21 17,14 18,1-17 18,2-4 18,6 18,7-10 18,11 f. 19 19,1-13 19,15 19,26 20,7-10 20,7 20,9 20,14-18 20,14 22,1-23,4 22,3 22,6 ff.

302 (2 �) 1171 1171 230,231 294 303 303 303 303 303 133 760 291 296 1170 288, 294, 302, 307, 1109 294 291 1170 1171 302 100, 291, 322 300 287 291 1169 1170 302 288, 303 1170 239, 303, 737 293, 758 301 1171 1170 969 1171 290, 1171 290, 1171 290 640 1170 296 1041 1170 288, 302,738 302 1170 303 297 231 201

MBW 13 (02689) / p. 1305 / 18.3.2019

1305

Stellenregister 22,13-19 22,15 f. 22,15 22,16 22,19 23,23 f. 23,16 23,17 23,18 23,22 23,25 23,26 23,27 23,28-32 23,29 24,1-10 24,6 25,9 25,15-29 25,28-29 25,29 26,1-6 26,3 26,13 26,17-19 26,17 ff. 26,19 27,1-8 27,17 28 28,1-17 28,8 ff. 28,10 28,11 29,4-7 29,12-14 30 30,21 31 31,5 31,9 31,10 31,15-17 31,15 31,20 31,23 31,29 f. 31,30-33 31,31-34 31,31 31,32 31,33 32,1-15

1171 283, 286 231 968 968 304 299 300 317 317 301 301, 848 301 (2 �) 1171 293 969 290 339, 847, 1181 1171 1171 125 113, 283 297 297 970 297 282, 283 1170 134, 848 843 f., 847, 971 1170 300 299 299 1170 1170 296 297 296 292 291 326 1171 303 291 296 306 113 1171 296 296 818 1170

32,18 32,35 33,15 33,18 33,21 33,22 34,8 ff. 34,13-17 35 35,6 f. 35,11 35,13-17 35,18 36-45 36 36,5 36,22-24 39,1-10 42,10 44 44,17 ff. 45 46-51 46,4 50 50,6 50,25 Ez 1-3 1,5 1,26 1,24 2,5 3,12 3,13 3,14 3,17-21 4,3 4,5 f. 7,26 10,4 11,23 18 18,21 18,25 18,29 18,31 20,7 f. 20,7 20,38 21

329 201 231, 297 297 297 297 477 1171 164, 381 211 926 926 926 969 1170 296 1170 296 290 947 207 290, 1171 289 1170 848 170 321 781, 783 307 307, 452 86 88, 784 86-88, 307, 779-780,781 782 88 308 389 343 716 86, 781 307 307 307 307 307 307 179, 932 410 307 930

21,8 f. 23,8 24,17 24,22 34,4 34,16 36 36,22-28 37 38 43,7 44,15-31 Hos 1 1,2-9 1,2 1,3 1,4 1,9 2 2,1 2,4-25 2,13 2,21 2,10 2,16 2,17 2,18 2,21 2,20 ff. 2,21 2,21 f. 2,23 f. 2,24 f. 2,25 3,1 3,1-5 3,2 3,3 3,4 3,5 4,1 4,6 4,9 4,13 4,14 4,15 5-9 5,4

307 410 256 256 170 170 970 307 76, 87, 307 970 486 942 815, 1182 239 105, 239, 247 (2 �), 956 239, 1182 249, 960 244, 395, 663, 1182 947 227 239 420 230,231 210, 247 248 251 248 242 251 326 242 251 959 244, 959 240 239 239 249 249, 323 243, 244, 250 (2 �), 268 242, 243 243 246 246 246 238, 956 949 243

MBW 13 (02689) / p. 1306 / 18.3.2019

1306 5,6 5,15 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 6,6 6,7 7,2 7,3 ff. 7,10 8,1 8,4 8,5 f. 8,11 8,12 9,7 9,8 9,10

9,11 9,15 10,2 10,5 10,7 10,9 10,12 10,15 11,1 11,2 11,4 11,5 11,8 11,9 12 12,4 12,6 12,7 12,10 12,11 12,13 12,14 13,2 13,3 13,4

Stellenregister 246 243 251 251 243 242 238, 956 242, 243 245 248 249 250 245 249 246 246 245 235, 239, 250, 956 250, 959 180,181, 205, 244, 247, 517, 958,1040, 1073, 1077 247 241 246 246 249 249, 958 242, 243, 245 249 105, 165, 181, 241, 243 181, 241 241 250 252, 291 254 721 166, 391 244 242 165, 248, 926 1204 185 191, 250, 404, 936 246, 248, 479 242 165, 243, 926, 957

13,5 13,6 13,15 14,2 14,3 14,4 14,5 14,8 14,9 Am 1,1 1,3-2,11 1,3-2,3 1,5 1,9 1,11 2-3 2,4 2,4 f. 2,6 2,6 ff. 2,7 2,7a 2,7b 2,8 2,9 ff. 2,9 2,10 2,11 f. 2,11 2,13 3,1 3,2

3,8 4 4,4-13 4,11 4,12 4,13 5,2 5,3 5,4

243, 248, 574 181 247 250, 589, 1133, 1204, 1205 105, 246, 343 246, 250 241, 250, 252, 589, 1133 252 247, 252 235, 236 226 103 227 226 226 955 103 228 229 228 248 229 229 229 229 227 102, 180, 229 (2 �) 196, 940, 942 232 232 180 (2 �) 102, 180, 228, 242, 343, 556, 574, 661, 662,933, 1107, 1182 (2 �), 1183 232 250 235 235, 236, 306 235 103, 252, 256, 935, 956 236, 251 258 233, 243

5,5 5,5 f. 5,6 5,7 5,14 f. 5,15 5,18 5,18 ff. 5,21-26 5,21-25 5,22 5,23 5,24 5,25 5,26 5,27 5,22 f. 5,25 5,26 5,27 6,1 6,1-7 6,6 6,7 6,8-10 6,11 6,11-14 6,12 6,17 7,3 7,6 7,7 ff. 7,10-13 7,10 ff. 7,14-17 7,14 7,15 7,16 8,2 8,6 8,9 8,10 8,11 f. 9,1 ff. 9,4 9,5 f. 9,5 9,7

238, 956 243 243 231 (2 �) 234 815, 956 225 237 230 939 230 230 230, 231 230 230 230 229 191 238 236 (2 �) 225, 228 236 228 236 235 236 236 231 (2 �) 236 955 955 234 954 236 956 196, 232 170 233 235 229 237 231 237 236 236 935 105 102, 180 (2 �), 223, 226, 227, 228, 243, 441, 556, 661 (2 �), 933, 1171, 1179, 1183

MBW 13 (02689) / p. 1307 / 18.3.2019

1307

Stellenregister 9,8 9,9 9,11 9,13 9,14 9,15

102, 227 237 237, 268, 956 237 237 237

Jon 1,5 3-4 3 3,8 3,9 4,2

91 1169 919, 1204 233 141, 233 233

Mi 1,2 1,3 2,1-5 2,11 3,1 ff. 3,3 3,4 3,7 3,8 3,9 3,10 3,11 3,12 4,1 4,1-5 4,5 4,7 4,10 5 5,1 6,1-7,7 6,6-8 6,6 ff. 6,7

317 86 280 300 281 281 294 256 280 281 281 281 281, 970 967 275, 280 276, 965 282 326 579 297, 971 967 966 281 221, 280

Nah 1,7

574

Hab 1,4 1,13 2,4 3,3 3,7 3,9 3,13

972 972 972 1106 536 1106 1106

Sach 4,6 8,13 8,19 10,12

755 108, 219 240 924

Mal 3,7

589, 1133

Ps 1 1,1-2 1,2 1,6 2 2,7 5,5 5,13b 7,18 12 12,3 12,6 14

14,1 14,4 14,5 16 16,10 18,10 f. 18,17 21,13 23 23,5 24,5 24,7-10 25,8 25,12 26,6 31,8 33 33,6 37,18 40,7 ff. 44,27 45,9 46,6

544, 571-576, 586, 1081, 1083 f., 1084 f., 1106 1131 1110 720 106, 215,277, 526, 1203 53 53 539 543, 545-549, 1081, 1081 f. 1106 1106 543, 544, 550553, 1081, 1082, 1086, 1092, 1107 1106 1106 1107 568 1110 152 527 79 53 566 162, 1047 444 571 571 1109 574 583 1123 574 317 779 557 281

47 47,3 49 49,12 49,16 5,13b 53 53,6 57,2 58,1 58,5 68,5 72 72,1 f. 72,1-17 72,4 72,13 72,19 73

73,1 73,3 73,4 73,5 73,6 73,7 73,8 73,9 73,10 73,11 73,12 73,13 73,14 73,16 73,17 73,18 73,19 73,20 73,21 73,22 73,23 73,23 f. 73,24 73,25 73,26 73,27 73,28 76,3

333 539 317 125 320, 1110 53 1107 1107 716 1097 79 152 (2 �), 211 202 557 269 269, 274 269 254 309, 317, 318, 544, 560-570, 863, 868, 869 f., 876, 972, 973, 1081, 1083, 1084, 1109 973 318, 318 318 318 318 318 319 319 319 317 (2 �), 319 318 318, 1109 318 319 319 319 319 319 319 317, 319 1109 320 320 320 320 319, 320 321 (2 �) 175

MBW 13 (02689) / p. 1308 / 18.3.2019

1308 76,10 82

Stellenregister

89,27 94,3 99,4 99,5 104 106,28 106,38 119,178 132,7 135,21 139,6

547 f. 543, 554-559, 1081, 1082 f., 1085 f., 539, 1080, 1108 106 716 230,231 486 1084 518 220, 170 486 87, 783 72

Spr 19,17 30,4

1196 166, 391, 927 f.

82,1b

Hi 1-2 1,5 1,6-12 1,8 1,9 1,11 1,21 2,3 2,5 2,9 3 3-42,6 3,3 ff. 3,23 4,12a 4,12 ff. 4,13 4,16 6,2 7,6 7,18 7,20 7,21 9,11 9,17 9,22 10,3 10,6

972 310 796, 972 310, 312 310 310 310 310 (3 �), 312 310 310 972 972 316 311 1203 317 1203 317, 973 716 309 313 312 313 312 312, 313 309, 312 313 313

12,6 13,3 13,8 13,18 13,24 14,16 f. 14,17 16,11 16,18 16,19 19,6 19,7 19,9 19,10 19,25 19,26 20,14 ff. 21,7 22,13 23,3 27,1-6 27,2 29-31 29,4 29,15 30,13 30,20-22 30,21 30,29 31,35-37 31,35 32-37 36,22 38,1 38,4 38,5 38,9 f. 38,10 38,12 40,4 40,6 42,3 42,5 42,6 42,7-17 42,7 42,8 42,10

309 313 313 313 312 312 99, 321, 802 309 313 313 312 312 312 309 313 313 316 309 317 315 973 313 972 317 566 716 566 311 309 566 313, 315 973 96 315 315 315 315 315 315 315 315 315 315 317 972 316 315, 316 316

Rut 4,7

385

Klgl 3,57

264

Pred 9,10 19,3

568 716

Dan 8,15-27 9,20-27 10-12 10,20 12,1

1108 1108 1108 1080, 1108 1108

Esr 7,11-28 7,12 7,21 7,25 9,2

1147 1147, 1148 1147, 1148 1147 259, 961

Neh 4,14 6,6 f.

202 201

I Chr 2,55 5,27-34 17,5 17,11 18,16 18,17 21 21,1 27,33

381, 926 942 535 215 968 183, 442, 665 579, 1119 305, 971, 972 442

II Chr 1,3 f. 1,15 3,1 9,20 f. 18,1-27 20,20 26,16-22 26,16 ff. 29,30 34,18 34,22-28

489 950 797, 839 950 848 71, 262, 682 1191 201, 253 1110 286 968

MBW 13 (02689) / p. 1309 / 18.3.2019

1309

Stellenregister Außerkanonische Schriften

Talmud

Sir 51,28

mAs II, 41b

322, 974

1 Makk 10,51-66

965

mAv I,17 II,15

2 Makk 6,18-31 7,42

977 977

mShab VI,10

206, 946

jBik I,3

1148

bBer 10a

TestJud 12 4Esr 14

Neues Testament Mt 1,23 16,13-20 26,26-28 27,24

963 1194 1063 1109

Mk 14,22-26

1063

Lk 22,1-20

1063

Joh 1,1 Apg 7,22 8,30-39 8,30 ff.

738, 779 408 977 335

Röm 3,21

49

1 Kor 11,23-26 13,12

1063 1203

2 Kor 5,17

1205

Phil 3,5-6

49

bChag 13b bChul 89a

Midrasch, Targum, Sammelwerke 924 41 955

BerR III,6 LII,7 LXXIV,5

19 1203 1203

Jalq § 897 zu Hi 4,13 1203 946 MekhJ zu Ex 19,11 1204 128 MHG Dev zu Dtn 33,2 1182 1084 MMish zu 19

1196

MTeh zu Ps 80,6

1181

PesR 44

1204 (2 �)

ShemR III,5 III,6 III,7

1197 1196, 1197 1196

86, 782 1182, 1183

bJoma 38b 86a 86b

1204 1204 1204 (2 �)

bMeg 10b 31a

1181 1169

bPes 54a

1204

bRSh 17b

1204

bSan 21b 39b 97b 108a 119b

1148 1181 1205 1204 42

bShab 32a

1204

Sifra zu Lev 18,5 1182 Tan zu Gen 6,9

840 f.

TanB Toldot, (zu Gen 27,34) 1181 Shemot 18 1203 Naso 19 1204 TO zu Ex 7,1 1203 zu Dtn 6,25 46 WaR I,13 (zu Lev 1,1) 1203 I,14 1203

MBW 13 (02689) / p. 1310 / 18.3.2019

1310

Stellenregister

Mittelalterliche Kommentatoren Raschi zu Ex 4,16 zu Jes 1,27 Sohar II 12b

1203 47

1181

Maimonides Führer der Unschlüssigen Teil 1 63 1197 Teil 2 32-48 1203

Kommentar zur Mischna Sanhedrin Einleitung

1203

Ibn Esra zu Ex 6,2 f. Ex 18,12 zu Ex 33,7 zu Dtn 6,25

168, 928 1066 1073 46, 48

Raschbam zu Ex 18,12 1066

MBW 13 (02689) / p. 1311 / 18.3.2019

Sachregister Aaron 56, 390, 400, 407, 434, 478-479, 482, 491-492, 495-496, 497, 517, 538, 658, 719, 935, 939, 987, 1076-1077 Abimelech 120, 126, 758, 1075 Abraham 18, 25, 48-49, 50, 53, 60, 67, 68, 90, 91-95, 104, 108, 114-115, 116, 119131, 169, 170, 173-174, 177, 178, 192, 211, 218, 219, 221, 305, 316, 350, 370371, 373-374, 387, 399, 427, 434, 460, 478, 501, 519, 577-579, 658, 720, 739, 740, 757, 759, 789-790, 793, 798, 803, 822-824, 825-826, 827-828, 836-837, 839, 840, 841, 855, 873, 882, 900, 929, 930, 1055, 1069, 1072, 1075, 1115 Adam 118, 220, 584, 615 Adlerspruch 110-111, 284, 438-445, 449, 470, 495, 499, 504, 509, 510 Ägypten 38, 180, 364-367, 369, 371, 377, 394, 438, 459, 502, 611, 626, 634-635, 640, 655, 656, 984-985, 994-995 Amalekiter 429, 430, 431, 432, 500, 1065 Antijudaismus 1214, 1218 Antike 82, 84, 1255 Antisemitismus 735, 980, 1176, 1207, 1213, 1234, 1240, 1244-1245, 1254 Apokalypse, Apokalyptik 142, 275, 726, 877, 878, 953, 955, 1128-1129, 11331134, 1137, 1143, 1201-1202 Apokalyptiker 141, 589-590, 595, 596, 598, 718, 722-723, 726, 1141 Apostelgeschichte 335 Arischer Jesus 1244 Astarte 207-208 Aton 180, 1049, 1051 Auferstehung 335, 345 Baal 204-205, 206, 208-211, 225, 234, 282, 517-518, 520, 599, 750, 886, 922, 931, 945, 948, 1132, 1153 Babel-Bibel-Streit 1240 Babylon, Babel 75, 118, 217, 223, 333, 420421, 450, 487-488, 503, 626, 632, 633634, 640, 673, 706, 952 Bar Kochba Verein 1145, 1153 Beschneidung 398, 400, 463 Bewährung 18, 30-31, 43, 44, 45-54, 85, 122-124, 230-231, 242, 245, 261-262, 281, 858 Bewegung, zionistische 1175

Bibel, Hebräische 14, 16, 17, 20-24, 28, 30, 34-35, 37-38, 40, 41, 44, 52, 58-60, 61, 62, 82, 84, 116, 117, 146, 385, 581, 594, 661, 692, 734, 744, 754, 821, 879, 951, 1120, 1126, 1140, 1207-1209, 1212-1217, 12201221, 1224-1225, 1228, 1232, 1235, 1238, 1240-1242, 1244-1247, 1249, 1251-1259 Bibelkritik 1207, 1212-1213, 1215-1219, 1222, 1224-1225, 1227, 1229-1232, 1235 Bibelübersetzung 17, 1227 Bibelwissenschaft 58, 145, 173, 432, 791, 795, 836, 1050, 1216, 1221, 1227, 1242 Bilderverbot 161-162, 455, 458-459, 519 Bileam 444, 492, 497-499, 517, 637-638, 960, 1068, 1074, 1138, 1144, 1153 Böses 52-53, 319, 331, 545, 577, 599, 726, 1138, 1143 Buber, Martin –, Biblischer Humanismus 14, 21, 44, 52, 769, 1208, 1238, 1253 –, Bilder von Gut und Böse 598, 1088, 1138, 1143 –, Die chassidische Botschaft 140 –, Die chassidischen Bücher 1164 –, Cheruth 15, 44 –, Der Dialog zwischen Himmel und Erde 1207-1208 –, Ekstatische Konfessionen 1155 –, Die Forderung des Geistes und die geschichtliche Wirklichkeit 742-743 –, Die Frage an den Einzelnen 1114 –, Der Geist Israels und die Welt von heute 1251 –, Der Gesalbte 740, 851, 941, 1068 –, Geschehende Geschichte 741 –, Der Glaube des Judentums 1249 –, Gottesfinsternis 1111, 1117, 1208-1209 –, Hebräischer Humanismus 769, 771, 1174 –, Der heilige Weg 804-805 –, Ich und Du 15, 19, 29, 38, 42, 44, 48, 1088, 1114, 1195 –, Israel und Palästina 1000 –, Jüdische Renaissance 14, 769 –, Kampf um Israel 742 –, Königtum Gottes 18, 34, 140, 354, 587, 740, 784, 789, 791, 804-805, 822, 850852, 855, 862, 878, 931, 932, 941, 982,

MBW 13 (02689) / p. 1312 / 18.3.2019

1312 986, 1060, 1126, 1128, 1162, 1186, 1195, 1221-1222, 1256 –, Das messianische Mysterium 1162 –, Der Mythos der Juden 739 –, Das Problem des Menschen 1114, 1137, 1151 –, Prophetie, Apokalyptik und die geschichtliche Stunde 40, 872, 1149 –, Reden über das Judentum 14-15, 1174, 1175, 1235 –, Die Schrift und ihre Verdeutschung 34, 45, 90, 99, 355, 544, 1120 –, Sinnbildliche und sakramentale Existenz im Judentum 140 –, Vorlesungen über Judentum und Christentum 1164 –, Zwei Glaubensweisen 50, 593, 851, 871, 877, 941, 1117, 1165 Buch Amos 230 Buch Daniel 557 Buch Deuteronomium 110, 234, 241, 283, 285, 288, 291-292, 294, 301, 314, 346, 375, 431, 441, 524, 923 Buch Exodus 471, 491 Buch Genesis 115, 116, 117, 163, 218, 331, 373, 669, 785, 787-789, 820, 838, 929, 1221-1222, 1254 Buch Hiob 18, 309, 797, 863, 972, 1109, 1163 Buch Jesaja 75, 324, 667, 712, 760, 797, 799-800, 801, 1185-1186 Buch Jona 234, 859, 1169 Buch Josua 361 Buch Numeri 491, 492 Buch Richter 65-66, 98, 522, 676, 750 Buddhismus 613 Bund 27, 103, 109, 112, 155, 159, 162, 186, 304, 314, 438-440, 447, 450, 664, 740, 768-769, 803, 815, 990-991 Bundesbuch 422, 475, 476, 509 Bundeslade 183-184, 194-196, 199, 202, 282, 295-296, 444, 451, 470-472, 479480, 485-490, 500, 511, 533, 535, 756, 818, 857, 934, 967, 993, 1136 Bundesschluss 159-160, 164-165, 182, 186, 296, 389, 443, 447, 450, 469-470, 471472, 587 Charisma 192, 193 Chassidismus 31, 38, 349, 594, 979, 1114, 1140, 1208 Chessed 241-242, 246, 248, 252, 585, 956, 1130

Sachregister Christentum 454, 711, 751, 963, 1117, 1164, 1188, 1208, 1214, 1221, 1224, 1230, 1233-1235, 1238-1240, 1242-1249, 12511252, 1254-1257 Cohen, Hermann –, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums 1162 Dabar 197-198, 942 Debora 151, 198, 202 Deboralied 149-150, 152-153, 154-155, 158, 159, 160-162, 164, 169, 189, 193, 194, 196, 232, 285, 358, 385, 443, 473, 533, 586, 1130 Dekalog 128, 161, 169, 171, 181, 187, 285, 419, 454-459, 463-467, 468-470, 473-474, 483, 546, 587, 733, 992, 1069, 1127, 1132 –, Ur- 473 Deuterojesaja 18, 99, 100, 300, 314, 322323, 325, 327-336, 338, 340, 342, 344350, 589-590, 670, 676, 678, 681, 690, 699, 702, 704-706, 708-710, 711-712, 758, 799, 801-802, 863, 870-872, 873, 875, 879, 973, 1048, 1109, 1128, 11331134, 1162, 1185-1187 Dialog, Dialogik 67-68, 220, 288, 588, 740, 1114, 1207, 1209-1210, 1217, 1249, 12561258 Dokumentenhypothese 786, 1231, 1219, 1222 Dornbusch 165, 255, 375, 382, 452, 495, 659, 855 Dostojewski, Fjodor –, Die Dämonen 652, 1173 Eda 85 Ekstatiker 718, 722-723, 1201-1202 El 175, 176-177, 203, 205, 227 Eli 124, 941-942 Elia 164, 208-211, 213, 214, 224, 232, 245, 248, 320, 385, 404, 429, 434, 446, 479, 520, 567, 857, 947-948, 953, 995, 1062 Elisa 232, 404, 429, 491, 857, 963, 988, 1062 Elohim 95, 129, 174, 370-371, 433, 539, 719-720, 737, 786, 789, 845, 1055, 1078 Elohist 165-166, 396, 785, 791, 1213 Emuna 26, 30-31, 42, 49, 52, 53, 430, 900, 990, 1065, 1191-1192 Entscheidung 144, 232-233, 273, 620, 723724, 1143, 1202 Erlösung 48, 332-334, 595, 615, 712, 1141

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Sachregister Esau 656, 798, 1065, 1073 Ethischer Monotheismus 859, 1168, 12321235 Eschatologie 514, 726, 851, 1129 Ewigkeit 51, 548-549, 569 Exil, babylonisches 143, 259, 308, 338, 395, 562, 589, 655, 673, 697-698, 701, 706, 713, 801, 955, 969, 1147, 1236-1237, 1244, 1254 Freies Jüdisches Lehrhaus 768, 779, 803, 820, 870-871, 1049, 1126, 1161, 1164, 1172-1173, 1184, 1187, 1188, 1190 Freud, Sigmund –, Der Mann Moses und die monotheistische Religion 32, 38, 353, 933, 983, 996, 1048 Frevler 563, 565, 569-570, 571-572, 573, 574-575 Führer, Führertum, biblischer 60, 63, 64, 67-69, 427, 739-741, 744, 951 –, charismatischer 426, 437, 444, 989, 1029 Gebet 303, 317-318, 321 Geist 23, 62, 85, 94, 117, 192, 444, 489, 491499, 514, 521, 522, 525, 582 Gemeinschaft 83, 144, 190, 277, 295, 305, 466-467, 558, 585, 659-660, 664, 803-805 Ger, Gastsasse 285, 423, 504, 794, 968 Gerechtigkeit 49, 230-231, 242, 245, 255, 261, 312, 313, 314-315, 444, 557-558 Geschichte 61, 62, 69, 132, 224, 329, 331332, 418, 598, 742, 1142, 1163 –, Welt- 62, 63, 327, 328, 346, 623, 683-684, 699 Gesetz 26-27, 514, 586-587, 588, 593, 596, 995, 1127, 1132, 1137, 1140-1141, 1149, 1222, 1239, 1251, 1255, 1259 Gesetzestafeln 470-471, 488 Gideon 62, 125, 170, 193, 426, 444, 758, 841 Glaube 17, 26, 49, 281, 578, 726, 757, 882, 883 Gnosis 26 Goethe –, West-östlicher Divan 454 Gott –, Allmacht 544 –, Gegenwart 43, 46, 48, 50, 52-53, 104105, 173, 186, 282, 287, 292, 297, 313, 320, 394-396, 463, 488-489, 498, 511, 514, 552, 567, 604 –, Güte 563

1313 –, Herrschaft 276, 444, 468, 502, 512, 514 –, Königtum 24-25, 27, 65, 110, 282, 444, 498, 591, 706, 709-711, 741, 852, 854, 1187 –, Nachahmung 187, 231, 239, 254, 281, 960 –, verborgener 180, 299, 314, 334, 588-589 –, Weg 544, 571, 575, 702, 724-725 Gottesknecht 67, 101, 316, 334-349, 589, 615, 618, 632, 706-709, 711, 741, 758759, 863, 870-871, 873, 876, 879, 973, 977, 1048, 1133, 1162, 1164-1166, 11871188 Gottesname 29, 104, 166-168, 169, 176, 390-393, 394-396, 419, 431, 489, 604606, 608, 659, 695, 708, 713-715, 800, 987, 1155-1156, 1196, 1224 Götzendienst 39, 174, 625, 750 Gutes 569-570, 577, 726 Habiru 367-368, 369-371, 373, 1053 Hagar 176 Hebräische Universität Jerusalem 850, 1153, 1161, 1222 Heiligung 259 Henoch 122, 320, 567, 840 Historismus 1000, 1223, 1226 Hiob, siehe auch Buch Hiob 129, 310-317, 320, 321, 345, 564-566, 615-616, 628, 802, 853, 868-869, 1085, 1163, 1167, 1209-1210 Horeb 106, 152, 164, 186, 382, 783, 815, 922 Humanismus 82, 83, 85 –, biblischer 30, 82-83, 85, 770, 1207-1208, 1238 –, hebräischer 14, 81-83 Hyksos 372, 377 Isaak, siehe auch Opfer Isaaks 178, 375, 501, 740, 792, 1063 Ismael 92 Israel 24, 39, 59, 83, 102-103, 106, 108, 109, 110, 113, 120, 124, 128, 129, 151, 155, 158, 159, 162, 165, 171, 179, 180-181, 199-200, 210, 219, 223, 227, 231, 241, 244-245, 254, 275, 278, 284-285, 290, 304, 318, 325-326, 334-340, 343, 344, 348-349-350, 375, 386, 388, 415-416, 418, 421, 439-443, 447, 449, 454, 465, 468, 470, 472, 488, 491, 498, 511, 515, 551, 562-563, 614, 616, 638, 639, 649, 654-657, 664, 696, 708-709, 720, 740,

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1314 803-808, 822, 855, 883, 886, 932, 991, 1175, 1207, 1215, 1220, 1231-1232, 12371238, 1241, 1243, 1252-1253, 1260 –, Erwählung 103, 219, 284, 348, 443, 556, 652-660, 661, 662-664, 666, 803, 806, 1173-1176, 1236, 1252 –, Glaube 120, 143, 255, 900 Jahwist 165, 218, 501, 785, 791, 1213 Jakob 164, 169, 170, 177, 237, 375, 381, 387, 391, 400, 614, 656, 695, 721, 755, 792, 936 Jehu 211, 212, 224, 245, 479 Jephtha 181, 227, 556, 746, 933, 1107 Jerobeam 478-479, 482, 534 Jethro 164, 432-437, 496, 530, 1047, 1066, 1132 Jobeljahr 190, 505, 938 Johannesapokalypse 723, 867 Johannesevangelium 84, 738 Jona 177, 233, 390, 620, 640, 669, 724, 725, 919 Josef 375, 377, 379, 416 Josua 25, 60-61, 65, 127, 154, 156-158, 159, 161, 171, 192-193, 429, 448, 482-483, 495, 510, 521-523, 817, 855, 936, 995996 Jotam 66, 751, 758 Juda 277, 306, 950, 959 Der Jude 733, 734, 1049, 1108 Judentum 15, 55-57, 585, 653-654, 769, 1163 –, Erneuerung des 13, 1113 Kabod, Kawod 185, 194, 254, 276, 291, 451, 490, 497, 568, 935, 1041 Kadesch 500-503, 506-507, 538 Kain 220 Kalewala 608, 612, 1158 Kanaan 205-206, 448, 489, 500-501, 518519, 521, 626, 634, 655, 1065 Keniter 164, 385, 432, 434-436, 530, 926, 1195 Keniter-Hypothese 385, 390, 433, 441, 587, 932, 986, 990, 1057, 1059, 1066, 1126, 1132, 1195 Kierkegaard, Sören –, Furcht und Zittern 64, 577-578, 11141117 Königtum 215, 269, 277 –, israelitisches 200-201, 212, 268 Korah, Rotte Korahs 509-511, 514, 516, 994, 1076

Sachregister Kult 284, 297, 298, 462, 466, 627, 1139 Kulturprotestantismus 1214, 1233, 12391240 Laban 177, 178 Lebensphilosophie 581, 1122 Leid 304, 310-311, 313, 315-316, 345, 349350, 616-618, 660, 708-712, 742, 853, 1163, 1164, 1167 Leitwort, Leitwortstil 16, 37, 99, 104, 150, 592, 595, 699, 764, 815, 1057, 1131, 1137, 1141 Leviten 449, 480, 483, 509, 511, 515, 538 Liberales Judentum 1229, 1233-1234, 1236, 1238 Limud 322-323, 340, 696, 698-699, 707, 712, 974, 1186 Lüge 545-547, 548-549 Magie 366, 394, 606-607, 612, 1139, 11551156 Manichäismus 597, 1152 Marduk 149, 216, 920, 950, 952, 975 Meerlied 182, 417, 934, 1064, 1130 Melekh 201, 933 Mensch, dialogischer 26, 28, 30, 67, 742 –, hebräischer 82, 770 –, primitiver 608 Messias 269, 275-276, 278, 347, 349, 614, 615, 617-618, 862, 963, 966, 978-979, 1162-1163, 1233, 1247 Messianismus 66, 674, 741, 851, 861-862, 1126, 1162-1164, 1208, 1233, 1236, 1253 –, Auto- 617, 1163 Micha ben Jimla 94, 135, 214, 232, 256-257, 848, 857, 949, 955, 961, 1074 Midrasch 41, 794, 817, 1216 Miriam 414, 491, 495-496, 497, 517, 1064 Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung 767 Moloch 444, 579-580, 749, 750, 762, 797, 943, 959, 962, 1115-1116 Monotheismus 238, 355-356, 872, 933, 983, 1213, 1222, 1241 Moses 18, 25, 26-27, 28, 32, 39, 55-56, 6061, 62-63, 67, 104-105, 109, 123, 127, 160, 163, 166, 170, 173, 179, 185, 186, 191-192, 250, 287, 301, 316, 346, 356, 357, 378-525, 571, 583, 592, 643, 658, 682, 714, 719-721, 733-734, 739, 740, 745, 750, 788, 855, 933, 934, 936-937, 958, 980-985, 986-999, 1048, 1050,

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Sachregister 1057, 1062, 1065, 1140, 1194, 1197, 1199, 1201 –, Tod 525 Mythos 58-59, 360 Nabi, siehe Prophet Nasiräer 229, 940 Natur 23, 61, 117, 237, 247-248, 314, 415416, 418, 461, 582 Nebukadnezar 290 Neo-Markionismus 1238, 1240, 1245, 1249, 1252-1253 Neues Testament 717, 758 Neue Wege 1079 Noah 121-125, 205, 724, 822-823, 840, 945 Nomaden 371-373 Nordreich 228, 277, 292, 306, 395, 480, 691, 949, 950, 953, 958, 959 Offenbarung 19, 22, 26, 30, 42, 43, 49, 103, 120, 182, 184, 228, 243, 299, 315, 318, 388, 400, 418, 462, 566, 584, 585, 588, 733, 738, 988, 1000, 1122, 1125, 1127, 1128, 1167, 1194, 1219-1220, 1241 Opfer 217, 220, 222, 246, 580 –, Kindes- 221 –, Sinai- 446 Opferung Isaaks 53, 64, 92-93, 94, 217, 344, 577-579, 757, 839, 886, 987 Orakel 669 Orthodoxie 788, 1148, 1216, 1218, 1224, 1226-1227 Paradies 117 Passah, Pessach 185, 411-413, 419, 422, 458, 936, 988, 1063 Patriarch 64 Paulus 1239 –, Römerbrief 49 Pentateuch, siehe Tora Philister 194, 199, 654, 814 Pistis 50, 882 Politik 622, 684 Priester 287-288, 297, 298, 509, 512, 523524, 620, 1139 Prophet, Propheten, Nabi 25-26, 39, 63, 64, 66-68, 115, 120, 129, 134-135, 141, 144, 173, 182, 185, 191-192, 197, 200, 214, 217, 219, 221, 232, 238, 277, 278, 287, 289, 298, 300, 304, 306, 308, 346-347, 404-405, 406, 426, 462, 488, 491, 493, 496, 512, 524-525, 557, 588-589, 594595, 619-620, 630, 636, 637, 639, 648,

1315 677, 690, 704, 718, 720-724, 738, 741, 853, 880, 882-883, 886, 1133, 1167-1178, 1207, 1213, 1220, 1222, 1230-1231, 12331235, 1237-1238, 1249, 1252, 1255, 1260 –, falscher 133-135, 232, 298, 300-301, 493, 647, 865 Prophetie 126, 131, 142, 144, 232, 233, 384, 491, 668-669, 670, 677, 683, 717-718, 852, 877, 953, 955, 1128, 1167, 12001202, 1207, 1222, 1227, 1229, 1231-1235, 1237, 1242, 1245, 1259 Psalmen 30, 37, 84, 1207, 1209, 1242, 1252, 1254-1255 Psalm 73 317, 868, 869-870, 1083 Rabbinische Literatur 798, 924, 966, 12151216, 1259 Rahel 381 Recht 312 Redaktor 116, 387, 450-451, 485, 605, 795, 821, 1220, 1226-1227 Reformjudentum 1232, 1235, 1322, 1330 Reich Gottes 515 –, messianisches 654 Religion 16, 294-295, 311, 312, 394, 442, 462, 592, 606-607, 622, 865, 1139, 11551156 Religiosität, jüdische 308, 1236 Renaissance, jüdische 14, 734, 776 Rest, heiliger 234, 255, 259, 267, 306-307, 552-553, 562, 649, 680, 685, 696, 709, 859, 866, 1087 Richter 64, 65, 277, 494, 522-524, 557 Richterzeit 346, 851 Ritus 287-288 Rosenzweig, Franz –, Die Bauleute 593, 1127, 1148 –, Stern der Erlösung 51 Ruach 62, 192, 194, 197, 235, 246, 250, 273274, 276, 297, 324, 336, 346, 492-495, 581-584, 696, 755-756, 939, 942, 957, 959, 970, 994, 1074, 1121-1122 Sabbat 117, 187-188, 191, 419-424, 455, 458, 463, 466, 477, 505, 507, 529, 855, 937, 938, 989 Sabbatjahr 190, 504-507 Sage 58-59, 146, 357-360, 361-362, 384, 458, 983 Salbung 60, 66, 278, 741 Samaritaner 413, 1059-1060, 1063 Samuel 66, 124, 194-199, 200, 202, 203, 210, 212-214, 218, 262, 287, 404, 417,

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1316 434, 444, 480, 509, 530, 555, 680, 694, 741, 818, 851, 857, 941-942, 963 Satan 305, 310, 312, 313, 400, 601, 972, 1144 Saul 200, 207, 212, 215, 273, 431, 491, 509, 741, 851, 857 Schechina 742, 966 Scheol 568 Schicksal 724 Schöpfung 314-315, 331-333, 1122, 1215, 1222, 1247, 1249, 1251, 1253, 1255 Septuaginta 594 Schoah 981, 1086-1087, 1209-1210, 1212, 1238, 1257-1258 Sichem 156, 159 Simson 61, 194, 695, 746, 940 Sinai 120, 121, 153, 155, 156, 164, 178, 189, 360, 361, 382, 385, 411, 419, 435, 436, 443, 446, 450, 478, 494, 495, 662, 665, 713, 852, 855, 991-992, 1076, 1127 Sintflut 117,121, 659 Sklave 476 Sohar 1181 Sünde, Sünder 117, 320, 571-572, 575, 615, 751 Talmud 204, 721, 1216 Tempel 280, 282, 287, 291, 292, 293, 295, 297, 472, 486, 489, 591, 620, 627, 686, 688 Tetragramm, siehe auch Gottesname 95-96, 175, 287, 544, 587, 794, 1106, 1132, 1199 Theokratie 25, 347, 804, 852, 938 –, primitive 65-66, 741 Theologie 604, 1209, 1212, 1216, 1223, 1226, 1228-1231, 1240-1242, 1244, 12461250, 1252-1253, 1255, 1257 Theopolitik 17, 193, 200, 209, 260, 261, 262, 265, 277, 438, 440, 442, 443, 450, 488, 512, 720, 742, 804-806, 822, 849, 860-861, 997 Tod 320-321, 567-570 Tora, Pentateuch 27, 54, 240, 245, 272, 292, 297, 469, 474, 522, 571, 574, 586-587,

Sachregister 594, 657, 662-663, 785-789, 814, 837, 981, 1127, 1132, 1140-1141, 1161, 1213, 1216-1222, 1226, 1252 Totenbuch, ägyptisches 367, 456, 611 Turmbau zu Babel 107-108, 217, 659, 663664 Ugarit 114, 282, 837-838, 921, 931, 946-947 Umkehr 134, 141, 144, 233, 234, 235, 250, 286, 304, 306, 307, 575, 630, 641, 644, 646-647, 649, 724-725, 849, 859-860, 865, 867, 872, 919, 953, 955, 970, 1141, 1167, 1169, 1189, 1202 Universalismus 639, 642 Ur 172, 460 Verdeutschung der Schrift 1208, 1211, 1223, 1225, 1228, 1245, 1249, 1251, 1256-1257 Verwerfungstheologie 1252 Volk 179, 189-190, 228, 1209, 1220, 1222, 1228, 1231, 1236, 1238, 1247, 1250-1253 –, Gottes- 228 –, heiliges 356, 441-443, 510, 514, 515 Wellhausen-Schule 456, 604, 784, 786, 790, 856, 999, 1156, 1214, 1218, 1221, 1223, 1227, 1229-1231, 1237 Wissenschaft des Judentums 1212, 1215, 1218-1219, 1229-1230, 1238, 1242, 1244 Wort, biblisches 83-84 –, religiöses 717 Wunder 415-418 Zaddik 53 Zehn Gebote, siehe Dekalog Zeichen 682-683, 688-689 Zelt der Begegnung 248, 434, 476, 483-484, 489, 492, 591, 935, 958, 1136 Zion 275, 276, 280, 292, 296, 552-553, 712, 780, 1087 Zionismus 852, 994, 1235-1236 Zippora 398, 496, 536 Zukunft, messianische 142

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Personenregister

Abraham ibn Esra, auch Abraham Ben Ezra, Aben Esra, Avenesra, Ebenesra; Akronym Raba (ca. 1092-1167): span.-jüd. Gelehrter und Schriftsteller; Verfasser bedeutender bibelexegetischer Schriften, die als Standardkommentare in die rabb. Bibelausgaben aufgenommen wurden. 46, 48, 714, 1185, 1189 Abravanel, Jitzchak ben Jehuda, auch Abrabanel u. Abarbanel (1437-1508): port.jüd. Gelehrter, Philosoph und Bibelkommentator; bedeutender Staatsmann und Politiker im Dienste der Könige von Portugal und Spanien. Verfasste zahlreiche Kommentare zum Pentateuch, zu den biblischen Propheten und zu Maimonides. 87, 783 Achad Haam (1856-1927): hebr. »Einer aus dem Volke«, eig. Ascher Ginzberg (1856-1927): hebr. Schriftsteller und zionistischer Theoretiker aus Russland; Verfechter des sog. Kulturzionismus; Gegner Theodor Herzls. 32, 981, 1215 Ahab (ca. 871-852): König des Nordreichs Israel; Heirat mit der phönizischen Prinzessin Isebel; führte den Baalskult ein. 206, 207, 208-209, 213, 214, 947, 948, 953, 1074 Ahas (ca. 755-715 v. Chr.): König von Juda seit ca. 735 v. Chr.; wurde assyrischer Vasall und führte im Tempel assyrische Kultpraktiken ein. 257, 260-261, 262, 263-265-267, 269-272, 678, 679-682, 691, 861, 960 Alt, Albrecht (1883-1956): dt. prot. Theologe und Alttestamentler. 177-178, 188189 Amenophis IV (14. Jh. v. Chr.): altägyptischer König der 18. Dynastie; nannte sich Echnaton (= »dem Sonnengott Aton wohlgefällig«); erhob Aton zur alleinigen Gottheit und führte den Monotheismus in die ägyptische Kultur ein. 356, 387, 932-933, 1049, 1051 Amos von Tekoa (8. Jh. v. Chr.): erster Schriftprophet; im Nordreich wirkend; prangerte besonders die fehlende soziale Gerechtigkeit an. 102, 105, 120, 180181, 184, 191, 196, 200, 202, 223, 226, 227, 228, 230, 231-232, 233-234, 236, 237238, 240, 241-245, 246, 248, 250-252, 255, 258, 268, 271, 281, 283, 289, 306, 327, 333, 343, 638, 639, 654, 658, 692, 721, 858-860, 863 Aquila (1./2 Jh.): jüd. Gelehrter, konvertierte zum Judentum; übersetzte die Hebräische Bibel um 125 n. Chr. erneut wortgetreu ins Griechische. 714, 715, 1197 Astruc, Jean (1684-1766): franz. Arzt, Professor der Medizin, Naturforscher und Begründer der modern. Bibelkritik des Pentateuch. 604, 1157 Auerbach, Elias (1882-1971): dt.-jüd. Arzt und Bibelexeget; engagierte sich frühzeitig für den Zionismus; später Auswanderung nach Palästina; bekannt für sein Hauptwerk Wüste und Gelobtes Land (1932). 1016 Augustinus von Hippo (354-430): Kirchenvater und Philosoph. Wichtige Werke: De civitate (»Vom Gottesstaat«) und Confessiones (»Bekenntnisse«). 302, 971

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Baeck, Leo (1873-1956): dt. Rabbiner und Religionsphilosoph; seinerzeit bedeutendster Vertreter des dt. liberalen Judentums; 1933 Präs. der Reichsvertretung dt. Juden; 1943 Internierung in Theresienstadt; nach 1945 Lehrtätigkeit in London und Cincinnati; verfasste u. a. Das Wesen des Judentums (1905). 716, 981, 1168, 1177, 1234-1235, 1237-1240, 1244 Balthasar, Hans Urs von (1905-1988): schweiz. kath. Theologe; einer der geistigen Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils; stand mit Buber in einem Briefwechsel. 1081 Bar Kochba, hebr. »Sternensohn« (gest. 135): messianischer Beiname des Simon bar Koseba, aus der Stadt Koseba in Juda; Führer des letzten großen Aufstandes der Juden gegen die Römer (132-135); wurde zu Beginn des Aufstands von Rabbi Akiba zum Messias erklärt; Rückeroberer Jerusalems, schließlich aber von den Römern besiegt. 966, 1252 Barth, Jacob (1851-1914): dt.-jüd. Arabist und Orientalist; seit 1874 Dozent für Bibelexegese am orthodoxen Rabbinerseminar zu Berlin; seit 1876 Lehrbeauftragter und seit 1880 Assistenz-Prof. für semitische Philologie an der Universität Berlin. 1218 Barth, Karl (1886-1968): schweiz. reformierter Theologe; Begründer der Dialektischen Theologie; Prof. für Systematische Theologie an den Universitäten Göttingen, Münster und Bonn; Sprecher der Bekennenden Kirche; 1935 Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten und Wechsel an die Universität Basel. 78, 875 Beer, Georg (1865-1946): dt. Theologe und Hochschullehrer; war für den Nationalsozialistischen Lehrerbund tätig und ab 1939 Mitarbeiter des Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. 981 Beer-Hofmann, Richard (1866-1945): österr.-jüd. Dramatiker und Lyriker; 1939 Emigration erst in die Schweiz, später in die USA; mit Buber befreundet. 777 Ben-Chorin, Schalom (1913-1999): dt.-jüd. Publizist und Schriftsteller; gebürtig Fritz Rosenthal; 1935 Emigration nach Palästina; Schüler Bubers; setzte sich für den Dialog zwischen Judentum und Christentum ein, indem er besonders auf die jüdischen Wurzeln des Christentums aufmerksam machte. 825, 878, 996-997, 1086 Berdyczewski, Micha Josef, Pseudonym Micha Josef bin Gorion (1865-1921): hebr. Dichter und Literaturhistoriker; geb. in Russland, chassidisch erzogen, lebte seit 1890 in Deutschland; ab 1911 Aufbau eines Archivs jüdischer Legenden; u. a. Herausgeber der Midrasch-Sammlung Die Sagen der Juden, 5 Bde. (1913-27). 1063 Bergman(n), Hugo (1883-1975): österr. Philosoph und Zionist; Mitschüler ! Franz Kafkas; Mitglied des Vereins Jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; enger Vertrauter Bubers und Freund ! Gershom Scholems; Übersetzer wichtiger philosophischer Werke ins Hebräische; 1920 Auswanderung nach Palästina; erster Direktor der Jüdischen Nationalbibliothek; 1928 Prof. für Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem, deren erster Rektor (1935-1938) er war; Mit-

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begründer des Brith Schalom. 599-600, 777, 818, 1117, 1136, 1138, 1143-1144, 1153 Bergson, Henri-Louis (1859-1941): franz. Philosoph jüd. Herkunft; 1927 Nobelpreis für Literatur; bedeutender Vertreter der Lebensphilosophie. 1122 Berossos (ca. 340-270 v. Chr.): Priester des babylonischen Gottes Marduk und einer der bedeutendsten Priesterastronomen der Antike; veröffentliche um 280 v. Chr. eine Babylonische Geschichte in griech. Sprache. Die Babyloniaca des Berossos sind nur in Form fragmentarischer Zitate, u. a. bei Flavius Josephus erhalten. 763 Bertholet, Alfred (1868-1951): Schweiz. prot. Theologe; seit 1895 a. o. Prof., seit 1905 Prof. für Altes Testament an der Universität Basel, 1913 in Tübingen, seit 1914 in Göttingen und 1928-1936 an der Universität Berlin. 1231 Blanshard, Brand (1892-1987): US-amerik. Philosoph. 1135 Blüher, Hans (1888-1955): dt. Schriftsteller; frühes Mitglied und Historiker der Wandervogelbewegung; Verfasser antisemitischer Schriften. 55, 733, 735, 736737 Böttiger, Karl August (1760-1835): dt. Philologe, Archäologe, literarischer Journalist und Schriftsteller; einflussreiche Persönlichkeit der Goethezeit in Weimar. 1069 Breasted, James Henry (1865-1935): US-amerik. Ägyptologe und Historiker; studierte in Deutschland ägypt. Altertumswissenschaften; Gründer des Oriental Institute of the University of Chicago. 365, 1052 Breuer, Isaac (1883-1946): jüd. Jurist und Philosoph; Enkel von ! Samson R. Hirsch; Rechtsanwalt in Frankfurt a. M., literarischer Vorkämpfer der Separatorthodoxie; 1936 Emigration nach Palästina. 1218 Brod, Max (1884-1968): österr.-jüd. Schriftsteller aus Prag; Mitglied des Vereins Jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; 1939 Emigration nach Palästina; Dramaturg der Habima in Tel Aviv, Freund und Nachlassverwalter ! Franz Kafkas; mit Buber befreundet. 1001-1002, 1108, 1124 Buber, Salomon (1827-1906): Großvater Martin Bubers; Großgrundbesitzer und Unternehmer in Galizien; jüd. Gelehrter und wiss. Herausgeber von Midraschim, die in seiner Bearbeitung teilweise noch heute in Gebrauch sind. 850 Budde, Karl (1850-1935): dt. prot. Theologe und Alttestamentler. 1195 Buddha, eig. Siddharta Gautama (um 560-480 v. Chr.): ind. Adeliger; Stifter des Buddhismus. 613, 1152 Bultmann, Rudolf (1884-1976): dt. prot. Theologe; ab 1921 Prof. für Neues Testament an der Universität Marburg; Vertreter der Dialektischen Theologie; löste 1941 eine später in Theologie und Kirche leidenschaftlich geführte Debatte um eine »Entmythologisierung« des Neuen Testaments und des christlichen Glaubens aus. 1154 Burdach, Konrad (1859-1936): bedeutender dt. Germanist; seit 1887 Prof. in Berlin; Autor des Sammelwerks Vom Mittelalter zur Reformation (7 Bde.; 1893 ff.). 81-82, 85, 772, 778

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Cassuto, Umberto, Moshe David (1883-1951): ital.-jüd. Historiker, Bibelwissenschaftler, Rabbiner und Zionist; seit 1939 Professor für Bibelwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem. 89, 91, 92, 95-97, 785-786, 788 Chajes, Zwi Perez (1876-1927): Rabbiner, Historiker und Bibelwissenschaftler; 1902 Prof. für Geschichte und Bibel am Collegio Rabbinico Italiano in Florenz; 1914-1912 Dozent für Bibelexegese an der Universität Florenz; 1912 Oberrabbiner in Triest, 1918 Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. 1222 Chanania (6. Jh. v. Chr.): Hofprophet, Gegenspieler von ! Jeremia. 132-134, 135, 843, 847 Cohen, Hermann (1842-1918): dt.-jüd. Philosoph; Hauptvertreter des Marburger Neokantianismus und einer der wichtigsten Vertreter der jüd. Philosophie des 20. Jh.; 1919 erschien postum sein Hauptwerk: Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. 1168, 1174, 1223-1224, 1229-1238 Cornill, Carl Heinrich (1844-1920): dt. prot. Theologe, Vertreter der WellhausenSchule; 1888 Prof. für Altes Testament in Königsberg, 1898 in Breslau und seit 1910 an der Universität Halle. 1231 Cullmann, Oscar (1902-1999): dt.-franz. prot. Neutestamentler; engagiert im ökumenischen Dialog. 585, 1129-1130 Cyrus ! Kyros II. Dante Alighieri (1265-1321): ital. Dichter und Philosoph; Verfasser der Göttlichen Komödie. 81, 778 David (11./10. Jh. v. Chr.): nach Saul zweiter König Israels. Seine Dynastie herrschte im Südreich Juda bis zu dessen Untergang. Der Messias soll nach traditionell jüd. Auffassung von ihm abstammen. 25, 61, 63, 67, 111, 202, 207, 208, 213, 215, 237, 268, 274, 305, 310, 316, 338, 417, 431, 439-440, 444, 489, 615, 656, 680, 694, 741, 751, 759, 788, 948-949, 967, 968, 971-972, 1119 Delitzsch, Franz Julius (1813-1890): dt. ev.-luther. Theologe, bedeutender alttestamentl. Exeget; Aktivist der chr. Judenmission, schuf eine weit verbreitete Übersetzung des Neuen Testaments ins Hebräische. 1111, 1241, 1227 Delitzsch, Friedrich (1850-1922): dt. Semitist und Assyriologe; Sohn des Alttestamentlers ! Franz Delitzsch; 1885 Prof. für Assyriologie an der Universität Leipzig, 1893 in Breslau und 1899 an der Universität Berlin; löste 1902/03 die sog. »Babel-Bibel-Debatte« aus und wandte sich in der Folge zunehmend antisemitischen Positionen zu. 1241 Descartes, René (1596-1650): franz. Mathematiker und Philosoph. 1152 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht (1780-1849): dt.-schweiz. Exeget und systematischer Theologe; 1907 Prof. an der Universität Heidelberg,1810-1819 an der Universität Berlin; seit 1822 Prof. und später Rektor der Universität Basel; verfasste ein Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in die Bibel (1817). 1213 Dienemann, Max (1875-1939): dt. Rabbiner, Publizist und Philologe; 1903-1919 Rabbiner in Ratibor, 1919-1938 in Offenbach; eine der zentralen Gestalten der Vereinigung für das liberale Judentum in Deutschland. 1215

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Dillmann, Christian Friedrich August (1823-1894): dt. Orientalist und Theologe; seit 1869 Professor für Altes Testament und orientalische Sprachen in Berlin; verfasste einige grundlegende Werke zur äthiopischen Sprache. 89, 716, 792, 927, 955 Dilthey, Wilhelm (1833-1911): dt. Philosoph, Geistes- und Literaturhistoriker; 1867 Prof. der Philosophie an der Univ. Basel, ab 1882 an der Univ. Berlin; Vertreter der Lebensphilosophie; Lehrer Bubers an der Universität Berlin. 13, 36, 355, 1122 Dobrizhoffer, Martin (1717-1791): dt. Jesuitenmissionar und Pionier der modernen Ethnologie; hauptsächlich in Südamerika tätig; verfasste ein Werk über die Geschichte und Kultur Paraguays (Historia de Abiponibus). 1159 Döderlein, Johann Christoph (1746-1792): dt. ev. Aufklärungstheologe, Alttestamentler und Bibelexeget; Begründer der Deuterojesaja-Hypothese. 667, 1189 Dostojewski, Fjodor (1821-1881): russ. Schriftsteller. 652, 653, 656, 1176, 1178 Dschelaleddin Rumi eigentlich Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī (kurz Rumi genannt) (1207-1273): bedeutendster Dichter der persisch-islamischen Mystik. 392, 1060 Duhm, Bernhard (1847-1928): dt. prot. Theologe; 1877 Prof. für Altes Testament an der Universität Göttingen, seit 1888 an der Universität Basel; Vertreter der Wellhausen-Schule, prägte das Bild der Entwicklungsgeschichte der israelitischen Prophetie. 87, 324, 392, 799, 874, 965, 1060, 1224, 1231 Echnaton ! Amenophis IV Eichhorn, Johann Gottfried (1752-1827): dt. Philologe, Orientalist und Theologe. Prof. für orientalische Sprachen in Jena u. später Prof. für Philosophie in Göttingen. Die über seine Zeit hinausreichende Bedeutung beruht auf seinen Arbeiten über das Alte Testament, Hauptwerk Historisch-kritische Einleitung in das Alte Testament, 1780. 667, 1189 Elbogen, Ismar (1874-1943): dt.-jüd. Gelehrter und Rabbiner; 1899-1902 Dozent für Geschichte und Bibelforschung am Collegio Rabbinico Italiano in Florenz; 1902 Dozent für jüdische Geschichte und Liturgie an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, seit 1906 auch Inhaber des dortigen Stiftungslehrstuhls für Ethik und Religionsphilosophie des Judentums; 1938 Emigration in die USA, lehrte am Jewish Institute of Religion in New York. 1226 Elieser von Beaugency (12. Jh.): franz.-jüd. Bibelexeget. 87 Epiphanius von Salamis, auch Epiphanius von Konstantia (um 315-403): Bischof von Konstantia (Salamis) auf Zypern; orthodoxer Kirchenvater. 460 Esra (5. Jh. v. Chr.): stellte die Rechtsordnungen der aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem zurückkehrenden Gemeinden wieder her. 529, 1147-1148 Euripides (485/484 o. 480-406 v. Chr.): klass. griech. Dramatiker. 608 Ewald, Heinrich (1803-1875): dt. Orientalist und Theologe; bedeutendster Orientalist des 19. Jahrhunderts; verfasste bedeutende Arbeiten zur hebräischen und arabischen Sprache, zur biblischen Exegese des Alten Testaments und zur Geschichte der Hebräer. 716, 1200, 1213

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Ezechiel, auch Hesekiel, Jechseskel (6. Jh. v. Chr.): Prophet; wirkte während des babylonischen Exils. 33, 86, 87, 296-297, 307-310, 320, 343, 452, 721, 780, 781, 783784, 863, 866-867, 872, 954-955, 970, 1069 Fackenheim, Emil L. (1916-2003): dt.-jüd. Philosoph u. Rabbiner; verfasste Studien zu ! Kant, ! Hegel und Schelling; 1939 Flucht nach England; später Lehrtätigkeit in Toronto; seit 1984 Prof. in Jerusalem. 879-881, 1124 Freud, Sigmund (1856-1939): österr. Mediziner und Kulturphilosoph jüd. Herkunft; Begründer der Psychoanalyse; 1938 Emigration nach England. 32, 36, 353, 980, 981, 983, 996, 1048, 1154 Friedman, Maurice (1921-2012): US-amerik. Religions- und Kulturphilosoph; Biograph Bubers; übersetzte und editierte zahlreiche Werke Bubers. 1124, 1135 Geiger, Abraham (1810-1874): dt. Rabbiner und Historiker, bedeutendster Vertreter des Reformjudentums in Deutschland im 19. Jahrhundert; 1832 Rabbiner in Wiesbaden, 1838 Rabbinatsassessor und zweiter Rabbiner in Breslau, 1860 Rabbinat in Frankfurt, 1870 in Berlin; seit 1872 Dozent für Geschichte des Judentums und seiner Literatur an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. 1217, 1232 Gerson, Hermann (1908-1989): dt.-jüd. Pädagoge; Gründer der Werkleute, eines zionistischen Bundes; 1933/34 Auswanderung nach Palästina; 1936 Gründung des Kibbuz Hasorea; führender Erziehungswissenschaftler der Kibbuzbewegung; in jungen Jahren Schüler Bubers. 767 Gesenius, Heinrich Friedrich Wilhelm (1786-1842): dt. Theologe, christl. Hebräist und Orientalist; bedeutender Gelehrter der semitischen Sprachen, insbesondere des Hebräischen. 921 Glatzer, Nahum N. (1903-1990): österr.-jüd. Religionsphilosoph, Freund Bubers und dessen Schüler an der Universität Frankfurt; 1938 Emigration in die USA; von 1950-1973 Professor an der Brandeis University 1124, 1126, 1127 Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832): dt. Dichter und Universalgelehrter. 82, 353, 454, 524, 531, 583, 1070 Goldberg, Oskar (1885-1953): dt.-jüd. Arzt u. Religionsphilosoph; sein Hauptwerk Die Wirklichkeit der Hebräer erschien 1925. 997 Goldstein, Julius (1873-1929): dt.-jüd. Soziologe; gab seit 1925 die dt.-jüd. Zeitschrift Der Morgen heraus. 767 Graetz, Heinrich (1817-1891): dt.-jüd. Historiker und ein bedeutender Vertreter der Wissenschaft des Judentums in Deutschland; Begründer einer eigenständigen jüdisch-nationalen Geschichtsschreibung; 1854-1891 Dozent für jüdische Geschichte und Bibelexegese am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau. Seine Geschichte der Juden (1856 ff.), erfreute sich großer Beliebtheit. 786, 1219 Graf, Karl Heinrich (1815-1869): dt. prot. Alttestamentler und Orientalist; gilt im Bereich der historisch-kritischen Bibelexegese als einer der entscheidenden Weg-

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bereiter der später von Julius Wellhausen fortentwickelten Neueren Urkundenhypothese. 1213 Gressmann, Hugo (1877-1927): dt.-prot. Theologe, Vertreter der religionsgeschichtlichen Schule. 32, 353, 527, 536, 981, 993 Grimm, Jacob (1785-1863): dt. Sprachhistoriker und gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm Herausgeber des Deutschen Wörterbuchs. 36, 358 Gunkel, Hermann (1862-1932): dt.-prot. Theologe und Alttestamentler; entwickelte die Form- und Gattungsgeschichte als Methode für die Exegese des Alten Testaments. 32, 89, 90, 91, 92-93, 269, 532, 790, 795, 837 Haenchen, Ernst (1894-1975): dt. ev. Theologe. 1113 Halevy, Jizhak Isaac (1847-1914): russ. Rabbiner, Talmudist und Historiker; Vertreter einer religiös geprägten jüdischen Geschichtsschreibung. 1218 Hammurabi (Regierungszeit 1792-1750 v. Chr.): erster babyl. König; trug den Titel König von Sumer und Akkad. 468, 1071 Harnack, Adolf von (1851-1930): dt. prot. Kirchen- und Dogmenhistoriker, zentrale Gestalt des Kulturprotestantismus; 1876 a. o. Prof. in Leipzig, 1879 Prof. in Gießen, 1886-1888 in Marburg, seit 1888 an der Universität in Berlin. Löste 1899/1900 mit seinen Vorlesungen über Das Wesen des Christentums eine heftige Kontroverse mit Vertretern der Wissenschaft des Judentums aus und stellte 1921 in seinem Buch über Marcion die Kanonizität des Alten Testaments in Frage. 1230, 1234, 1248-1249, 1252 Hartshorne, Charles (1897-2000): US-amerik. Philosoph und Theologe; Begründer der Prozessphilosophie und -theologie; lehrte u. a. in Chicago und Austin/Texas. 1135 Hatschepsut: altägypt. Pharaonin wird der 18. Dynastie (Neues Reich) zugerechnet. 372, 377, 1055, 1056 Hauer, Jakob Wilhelm (1881-1962): dt. Indologe und Religionswissenschaftler; gründete 1920 den pietistischen Jugendbund Bund der Köngener und 1933 die am Nationalsozialismus orientierte Deutsche Glaubensbewegung. 805-806 Hauptmann, Peter (1928-2018): dt. ev.-luth. Theologe, Prof. für Kirchengeschichte Osteuropas. 1113 Havet, Ernest August (1813-1889): franz. Philologe und Gelehrter; Rhetorikprofessor am Collège de France. 1152 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770-1831): Philosoph des dt. Idealismus. 596, 1128 Heidegger, Martin (1889-1976): dt. Philosoph; der Existenzphilosophie zugerechnet. 596 Heine, Heinrich, eigentlich Harry Heine (1797-1856): dt. Schriftsteller, Essayist, Satiriker und Journalist jüdischer Herkunft. 32 Hempel, Johannes (1891-1964): dt. Theologe und Prof. für Altes Testament. 1933 gehörte Hempel zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler sowie seit 1939

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Leiter der »Arbeitsgruppe Altes Testament« am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben. 967 Heraklit (um 550-um 475 v. Chr.): griech. Philosoph. 84, 779 Herberg, Will (1906-1977): Us-amerik.-jüd. Religionsphilosoph; von der dialektischen Theologie und Buber beeinflusst; 1947 erschien Judaism and Modern Man. 1117 Herder, Johann Gottfried (1744-1803): dt. Theologe und Philosoph; seine Sprachund Völkerphilosophie beeinflusste die romantische Bewegung. 455, 828, 1034 Herennios Philon, auch Philon von Byblis (lebte im späten ersten u. im 2. Jh. n. Chr.): phönikischer Grammatiker, Gelehrter und Geschichtsschreiber. 931 Herodot (490/480-ca. 424 v. Chr.): griech. Geschichtsschreiber der Antike; gilt als Begründer der Geschichtsschreibung. 62, 364, 756, 931, 1052 Herzl, Theodor (1860-1904): österr.-jüd. Schriftsteller und Journalist; Feuilletonredakteur der Wiener Neuen Freien Presse; Schöpfer des modernen Zionismus, für den er diplomatisch, literarisch, organisatorisch und publizistisch tätig war. 34 Heschel, Abraham J. (1907-1972): jüd. Religionsphilosoph poln. Herkunft; 1933 Vollendung seiner Dissertation über »Das prophetische Bewußtsein«, Publikation 1936 in Krakau; 1937 Nachfolger Bubers als Leiter des Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt a. M.; 1938 Ausweisung nach Polen, 1939 Emigration über London in die USA; Dozentur am Hebrew Union College in Cincinnati, seit 1945 Prof. für jüdische Ethik und Mystik am Jewish Theological Seminary of Amerika. 1209, 1244 Hesekiel ! Ezechiel Heselhaus, Clemens (1912-2000): dt. Germanist, Dozent f. Neuere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Halle. 1113 Hieronymus (347-419/420): Kirchenvater, Theologe und Übersetzer der Bibel ins Lateinische (Vulgata). 759 Hildesheimer, Esriel (1820-1899): dt. Rabbiner und Talmudgelehrter; 1851 Rabbiner in Eisenstadt, seit 1869 Rabbiner der orthodoxen Berliner Separatgemeinde »Adass Jisroel«; 1873 Begründer und bis 1895 Direktor des Rabbinerseminars zu Berlin; Dozent für Talmud, Religionsphilosophie und jüdische Geschichte. 1218 Hirsch, Emanuel (1888-1972): dt. luth. Theologe; seit 1921 Prof. für Kirchengeschichte, ab 1936 auch für Systematische Theologie an der Universität Göttingen; Spezialist zum Denken Luthers und Kierkegaards; stand später der nationalsozialistischen Ideologie und den »Deutschen Christen« nahe. 1243 Hirsch, Samson Raphael (1808-1888): dt. Rabbiner und Gelehrter; 1830-1841 Landesrabbiner von Oldenburg; seit 1841 Distriktrabbiner in Emden, seit 1847 in Nikolsburg und 1851-1888 Rabbiner der orthodoxen »Israelitischen Religionsgesellschaft« in Frankfurt; Vordenker der Separatorthodoxie und entschiedener Gegner der liberalen Wissenschaft des Judentums. 1218, 1224

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Hiskia (um 750-696 v. Chr.): ab 725 v. Chr. König von Juda; regierte zur Zeit des historischen Jesaja. 268, 269-271, 273, 282-284, 287, 667, 680, 848, 963, 1110, 1188, 1190-1191 Hitler, Adolf (1889-1945): dt. Diktator; 1933-1945 Reichskanzler. 599, 770, 1138, 1143 Hitzig, Ferdinand (1807-1875): dt. prot. Theologe. 86, 779 Hölderlin, Friedrich (1770-1843): dt. Dichter. 583 Hölscher, Gustav (1877-1955): dt. ev.-luth. Theologe und Alttestamentler. 993 Hoffmann, David Zwi (1843-1921): jüd. Gelehrter, Bibel- und Talmudforscher; 1871-1873 Lehrer in Frankfurt a. M., seit 1873 Dozent für Talmud, Ritualcodices und Pentateuchexegese am orthodoxen Rabbinerseminar zu Berlin, seit 1899 dessen Direktor; entschiedener Gegner der prot. Bibelkritik. 1218 Hosea (8. Jh. v. Chr.): bibl. Prophet, der im Nordreich Israel wirkte zur Zeit seines Niedergangs; das Buch Hosea enthält eine scharfe Königskritik. 105, 164, 181, 191, 200, 205, 208, 210, 211, 213, 238-239, 241-247, 248-252, 254, 267, 281, 284, 286, 291, 323, 395, 404, 517, 520, 589, 658, 679, 815-816, 858, 863, 949, 958, 995 Ibn Esra, Abraham ! Abraham ibn Esra Jacob, Benno (1862-1945): dt. Rabbiner und Bibelexeget, Schüler von ! Heinrich Graetz; seit 1891 Rabbiner in Göttingen, 1906-1929 in Dortmund; 1939 Emigration nach England. Leistete bedeutende Beiträge zu einer eigenständigen jüd. Bibelexegese und veröffentlichte 1934 einen einflussreichen Kommentar zum Buch Genesis. 89, 90, 91, 93-95, 96-97, 527, 528, 785-788, 789, 820, 1219-1222, 12261227, 1242, 1244-1245 Jamblichus oder Iamblichos von Chalkis (ca. 245-325): neuplatonischer Philosoph. 611, 1160 Jaspers, Karl (1883-1969): dt. Philosoph. 1088-1089 Jawitz, Zeʾ ev (1847-1924): osteurop.-jüd. Schriftsteller und Historiker, ließ sich 1888 in Palästina nieder. 1218 Jeremia, Jermija (Wirkungszeit 626-585 v. Chr.): bibl. Prophet, der sich dafür aussprach, die politische Oberherrschaft der Babylonier als von Gott gewünscht anzuerkennen und deshalb politisch verfolgt wurde. Die Missachtung seines Rates führte zur Rebellion, die von ! Nebukadnezar niedergeschlagen wurde und die Zerstörung des Südreichs Juda und des Tempels zur Folge hatte. 57, 66, 67, 68, 106, 113, 132-135, 201, 210, 228, 238, 249, 283, 286-290, 291, 292, 294, 295-303, 306-307, 317, 325-326, 327, 329, 340, 390, 404, 489, 520, 551, 562, 587, 592, 619620, 622-623, 626-628, 629, 630-631, 632-635, 638, 640-642, 644, 646, 647, 650, 658, 666, 686-688, 692, 719, 721, 724, 733, 818, 843, 847, 848, 859, 863-865-867, 926, 955, 959, 969, 1139, 1146, 1166-1168, 1169 Jerobeam I (Regierungszeit 926-907 v. Chr.): erster König des Nordreichs Israel. 206, 224, 226

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Jerobeam II.: von 787 bis 747 v. Chr. der letzte bedeutende König des Nordreichs Israel. 226, 249, 958 Jesaja (8. Jh. v. Chr.): bibl. Prophet in Juda, der ähnlich wie ! Amos eine starke Sozialkritik übte. Er gehörte der oberen Gesellschaftsschicht an und besaß politischen Einfluss am Königshof. Der Großteil der ersten 40 Kapitel des Buches Jesaja wird ihm zugerechnet. 55, 57, 72, 73-74, 87, 99, 100-101, 108-109, 133, 134, 182, 215, 217, 234, 252-258, 259, 260-263, 265, 266-268, 269-273, 274, 279, 280281, 283, 289, 290, 294, 297, 300, 316, 321-323, 325, 326, 327-329, 334, 338, 340, 344, 383, 412, 444, 451, 552, 568, 589, 615, 616, 632, 673, 676-678, 679, 680-681, 682-683, 685, 686-688, 690-691, 695, 696, 698, 704, 706, 712, 718, 733, 781, 799, 859, 860-863, 871-872, 886, 943, 963, 991, 1110, 1185-1187, 1191 Jesus (ca. 5 v.-ca. 30 n. Chr.): zentrale Gründergestalt des Christentums. 50, 67, 412, 457-458, 595, 600, 618, 711, 758, 875, 876, 922, 963, 977, 1001, 1063, 1109, 1141, 1147-1148, 1152, 1163, 1164, 1188, 1194, 1198 Jojakim (634-598 v. Chr.): einer der letzten Könige des Königreichs Juda vor dem babylonischen Exil. 626-627, 959 Josephus Flavius, auch Joseph ben Mathitjahu (ca. 38-ca. 100): jüd. Historiker; einer der wichtigsten Vertreter der jüd.-hell. Literatur. 977 Josia (um 647-609 v. Chr.): ab 640 v. Chr. König von Juda. 156, 206, 283-284, 286287, 291, 293, 307, 556, 625-626, 632, 817, 848, 946, 959, 1107 Jost, Isaak Markus (1793-1860): dt.-jüd. Historiker und Vertreter der Reformbewegung; 1835-1860 Lehrer am Frankfurter Philanthropin; Verfasser einer neunbändigen Geschichte der Israeliten seit der Zeit der Makkabäer (1820-1829). 1217 Judas Makkabäus (gest. 160 v. Chr.): jüd. Freiheitskämpfer aus dem Geschlecht der Hasmonäer, 166/165 v. Chr. Anführer des Aufstandes gegen die Herrschaft der Seleukiden; befreite Jerusalem und richtete im Jahr 164 v. Chr. den Tempeldienst wieder ein. 977 Jung, Carl Gustav (1875-1961): schweizer. Psychologe und Psychiater; Schüler, später Kritiker ! Sigmund Freuds; modifizierte mit seiner Archetypenlehre die Psychoanalyse. 599, 1153 Kafka, Franz (1883-1924): deutschsprachiger Schriftsteller; stand dem Prager Kreis um ! Max Brod und ! Hugo Bergmann nahe; in Bubers Zeitschrift Der Jude erschienen kurze Erzählungen Kafkas. 559, 1082-1083, 1108 Kahler, Erich (1885-1970): österr.-jüd. Schriftsteller, Kulturphilosoph und Soziologe; emigrierte 1933 erst in die Tschechoslowakei, dann in die Schweiz, schließlich in die USA; seit 1947 Professur in Ithaka. 776-777 Kaminka, Aaron (auch Armand) (1866-1950): Rabbiner, jüd. Gelehrter, Übersetzer und neuhebräischer Dichter. 70, 99, 671, 673-674, 762, 799, 801, 1185, 1190 Kant, Immanuel (1724-1804): dt. Philosoph. 1152 Kaplan, Mordechai M. (1881-1983): US-amerik. Rabbiner und Philosoph; Lehrtätigkeit am konservativen New Yorker Jewish Theological Seminary; Begründer des »Reconstructionism«. 1124

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Karl (d. Große) (747/48-814): König des Fränkischen Reichs (Regierungszeit 768814); wurde 800 als erster westeuropäischer Herrscher seit der Antike zum Kaiser gekrönt. 62, 756 Kaufmann, Fritz (1891-1958): dt.-jüd. Philosoph, Schüler ! Husserls; 1938 Emigration in die USA, wo er Husserls Phänomenologie verbreiten half; 1946-1958 Lehrtätigkeit an der Northwestern University und in Buffalo; Mitherausgeber der Library of Living Philosophers. 1124 Kaufmann, Yehezkel (1889-1963): seit 1928 in Jerusalem tätiger Bibelwissenschaftler; wandte sich in seinem vierbändigen Hauptwerk Toldot Ha-emunah ha-israelit [Geschichte des israelischen Glaubens] (1960) u. a. gegen die Wellhausen-Schule. 535, 536, 878, 882, 885, 1222-1223 Kierkegaard, Søren (1813-1855): dän. Philosoph; Vorläufer der modernen Existenzphilosophie; großer Einfluss auf die prot. Theologie nach dem Ersten Weltkrieg. 577-579, 757, 1113-1118, 1119 Kimchi, David ben Josef, auch David Qimchi, unter dem Akronym Radak bekannt (1160-1235): jüd. Grammatiker und Exeget. 782-783 Kittel, Rudolf (1853-1929): dt. protest. Theologe und Alttestamentler, Herausgeber der unter seinem Namen bekannt gewordenen Biblia Hebraica (1906). 80, 715, 1199 Klages, Ludwig (1872-1956): dt. Lebensphilosoph und Psychologe; beeinflusste nationalsozialistische Vorstellungen. 1122 Klatzkin, Jakob (1882-1948): jüd. philosophischer Schriftsteller und zionistischer Publizist, Schüler ! Hermann Cohens; 1909-1911 Redakteur der Zeitschrift Die Welt; Mitherausgeber und Chefredakteur der Encyclopedia Judaica (1924-1933); 1941 Emigration in die USA. 1226 Klostermann, August (1837-1915): dt. ev. Theologe u. Hochschullehrer. 944 Koch, Richard (1882-1949): dt.-jüd. Arzt und Medizinhistoriker; Mitarbeiter am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt am Main; 1926 außerordentlicher Prof. in Berlin; seit 1927 Mitgründer und Vorsteher des medizinhistorischen Instituts; 1933 entlassen; 1936 Flucht nach Belgien; seit 1937 im Kaukasus/Sowjetunion. 1161, 1184 Köhler, Ludwig (1880-1956): prot.-ref. Theologe, Alttestamentler und hebr. Altphilologe; 1908-1947 Prof. in Zürich. 675, 874, 875 Kracauer, Siegfried (1889-1966): dt.-jüd. Journalist, Soziologe und Filmkritiker; lehrte kurz am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt am Main. 1121 Kraus, Hans-Joachim (1918-2000): dt. reformierter Theologe; Prof. für Altes Testament; Pionier des christlich-jüdischen Gesprächs. 875 Krösus (um 590 v. Chr.-541 v. Chr. oder nach 526 v. Chr.): Letzter König Lydiens (Kleinasien) (Regierungszeit 555-541 v. Chr.); bekannt wegen seines sagenhaften Reichtums. 62, 756 Kürnberger, Ferdinand (1821-1879): österr. Schriftsteller, Journalist und Feuilletonist; wegen seiner Beteiligung an der 1848er Revolution Flucht nach Deutschland; nach seiner Rückkehr nach Wien als Journalist u. a. für Die Deutsche Zei-

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tung tätig; 1867-1870 Generalsekretär der Deutschen Schillerstiftung. 55, 733, 735-736 Kyros II, auch Cyrus (um 600-530 v. Chr.): pers. König; Begründer des altpersischen Reiches; erlaubte den Juden die Rückkehr aus dem babylonischen Exil und den Wiederaufbau des Tempels. 62, 100, 327, 330, 333, 336-339, 342, 346, 589, 655, 667-668, 669, 670-671, 674, 698, 705, 706, 756, 802, 975, 1133, 1181, 1188 Lagarde, Paul Anton de (1827-1891): dt. Kulturphilosoph; seit 1869 Lehrstuhl für orientalische Sprachen in Göttingen und Exponent des sich seit der Reichsgründung 1871 neu formierenden Antisemitismus. 268, 716, 944 Landauer, Gustav (1870-1919): belletristischer und politischer Schriftsteller und Anarchist; seit 1900 eng mit Buber befreundet; ab Herbst 1918 in der Münchener Revolution aktiv; 1919 Ermordung durch gegenrevolutionäre Milizionäre. 804 Leeuw, Gerardus van der (1890-1950): niederl. ev. Theologe, Religionswissenschaftler, Ägyptologe und Politiker; Hauptvertreter der Religionsphänomenologie. 139, 850, 918 Lévinas, Emmanuel (1905-1995): aus Litauen stammender franz.-jüd. Philosoph; machte ! Husserl und ! Heidegger in Frankreich bekannt; Hauptwerk: Totalität und Unendlichkeit (1961). 1124 Lewy, Immanuel (1884-1970): US-amerik.-jüd. Gelehrter. 998 Lönnrot, Elias (1802-1884): finn. Schriftsteller und Sammler finn. Volksguts, das er bearbeitete. 1835 gab er zum ersten Mal das Nationalepos Kalewala heraus. 1158 Luck, Ulrich (1923-1998): dt. Theologe und Neutestamentler. 1113 Luckner, Gertrud (1900-1995): kath. Widerstandkämpferin gegen den Nationalsozialismus. 1146 Luli (assyrisch) oder Elulaios (gräzisierte Form): König der phönizischen Städte Tyros und Sidon (Regierungszeit 729 bis 694 v. Chr.). 74 Luther, Martin (1483-1546): dt. Theologe; Urheber und prägender geistiger Kopf der Reformation; Übersetzer der Bibel ins Deutsche. 16, 581, 582, 583, 715, 949, 1194 Luzzatto, Samuel David (1800-1865): ital.-jüd. Dichter, Gelehrter und Aufklärer; seit 1829 Dozent für Bibel, hebräische Grammatik und jüdische Geschichte am Collegio Rabbinico Italiano in Padua. 86-87, 89, 266, 779, 781, 792, 1217 Maimonides, auch Rabbi Mosche ben Maimon, Akronym RaMbaM (1135/11381204): jüd.-seph. Religionsphilosoph, Bibelkommentator und Arzt; gilt als einer der bedeutendsten jüdischen Gelehrten des MA; zu seinen wichtigsten Schriften gehören das Kompendium zum jüdischen Religionsgesetz Mischne Torah und das religionsphilosophische Werk Führer der Unschlüssigen; das ihm viele Anfeindungen einbrachte, da er versuchte, die aristotelische Philosophie mit der jü-

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dischen Offenbarungsreligion in Einklang zu bringen. 19, 714, 721, 1194, 11971198, 1201, 1203 Manasse (um 708-642/1 v. Chr.): König des Südreichs Juda (Regierungszeit 696/95642/41 v. Chr.) 284, 306, 969 Mani (ca. 216-276): Begründer des Manichäismus, einer synkretistischen, gnostisch geprägten Offenbarungsreligion. 1152 Mann, Thomas (1875-1955): dt. Schriftsteller; Nobelpreis für Literatur 1929; Emigration 1933 erst nach Frankreich, später in die USA. 738, 996 Marcel, Gabriel (1889-1973): franz. Philosoph und Dramatiker jüd. Herkunft; Studium bei ! Henri Bergson; 1929 Konversion zum Katholizismus; stark beeinflusst von ! Kierkegaard; gilt als führender christlicher Existenzialist; hat unabhängig von Buber in den 1930er Jahren eine Ich-Du Philosophie entwickelt. 1124 Marcion oder Markion (um 85 n. Chr.-160 n. Chr): Begründer des Markionismus, einer gnostisch beeinflussten Richtung innerhalb des Christentums des 2. Jahrhunderts, die von der Alten Kirche als Häresie betrachtet wurde; seine religiösen Bestrebungen und Lehren wurden im Prozess der Selbstdefinition der Alten Kirche als irreführend (›häretisch‹) angegriffen. Seine Abwertung des »Alten Testaments« wurde vom Neo-Markionismus des 20. Jahrhunderts aufgegriffen, der für Buber eine zentrale Herausforderung darstellte. 1239-1240, 1247-1249, 1251-1252, 1254 Mennemeier, Franz Norbert (geb. 1924): dt. Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. 1112 Meyer, Eduard (1855-1930): bedeutender dt. Althistoriker, Ägyptologe und Altorientalist; mit Oswald Spengler befreundet; Hauptwerk Geschichte des Altertums (5 Bde. 1884-1902); schloss sich während der Weimarer Republik der nationalkonservativen, monarchistischen und antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei an. 353, 982, 1048 Micha (8. Jh. v. Chr.): bibl. Prophet im Südreich. 87, 280-283, 292, 294, 297, 300, 317, 326, 452, 863 Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni (1475-1564): ital. Maler, Bildhauer, Baumeister und Dichter. 32 Minkin, Jacob S. (1885-1962): US-amerik. konservativer Rabbiner und Autor; verfasste u. a. eines der ersten Bücher in englischer Sprache über die Geschichte und die Begründer des Chassidismus, The Romance of Hassidism, 1939. 998 Minutius Felix (2./3. Jh.): Lateinischsprachiger Apologet; seine einzige überlieferte Schrift trägt den Titel Octavius und verteidigt das Christentum gegen heidnische Angriffe. 606, 1155, 1157 Mohammed (570/73-632): arab. Feldherr, politischer Anführer und Religionsstifter des Islam. 402, 441, 718, 929, 967, 1062 Moses ben Nachman ! Nachmanides Müller, Robert (1887-1924): österr. Schriftsteller, Journalist und Verleger; sein Hauptwerk ist der Reiseroman Tropen. Der Mythos der Reise von 1915; war u. a.

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mit Egon Schiele, Otto Flake und ! Robert Musil befreundet; in seinem essayistischen Werk finden sich rassistische und antisemitische Ausführungen. 55, 733, 734-735, 736 Muilenburg, James (1896-1974): US-amerik. Professor für Altes Testament und semitische Sprachen. 586-587, 1083, 1126, 1129 Musil, Robert (1880-1942): österr. Schriftsteller. 735 Nachmanides, eigentlich Mosche ben Nachman, auch RaMBaN (1194-1270): herausragender span.-jüd. Gelehrter, Arzt, Philosoph, Dichter und Rabbiner sowie ein bedeutender kabbalistischer Bibelkommentator. 48, 714, 1194, 1197 Nebukadnezar (um 640-562 v. Chr.): ab 605 v. Chr. König von Babylon; zerstörte den ersten Tempel (586 v. Chr.) und verschleppte die Juden in die Verbannung. 132, 299, 339, 631, 632, 634-635, 655, 765, 847, 848, 1181 Necho II (gest. 595 v. Chr.): Zweiter Pharao der Spätzeit des alten Ägypten (Regierungszeit 610-595 v. Chr.) Nestorius (381-ca. 451-453): von 428-431 Patriarch von Konstantinopel. 1198 Nietzsche, Friedrich (1844-1900): dt. Philosophe u. Klassischer Philologe; Vertreter des Nihilismus; prägte den Begriff des Übermenschen. 580, 596, 737 Noth, Martin (1902-1968): dt.-prot. Theologe; Schwerpunkt seiner Forschung waren das Alte Testament und die Geschichte Israels. 875, 991, 993, 1148 Omri (Regierungszeit von ca. 882 bis 871 v. Chr.): König im Nordreich Israel. 944 Osman I (1258-1324/1326): Begründer des Osmanischen Reiches. 1054 Pascal, Blaise (1623-1662): franz. Philosoph, Mathematiker und Physiker; durch die Begegnung mit dem Jansenismus Zuwendung zu religiös-theologischen Fragestellungen; besonders einflussreich sind die fragmentarischen und postum veröffentlichten Pensées geworden. 597, 1150-1151 Paulus, auch Saulus von Tarsus (ca. 10-65): christl. Apostel, der vom Verfolger zum eifrigen Verbreiter des Christentums wurde; formulierte erste Grundlehren des entstehenden Christentums. 49, 50, 51, 725-726, 824 Philippson, Ludwig (1811-1889): dt. Rabbiner, Gelehrter und Publizist, bedeutender Vertreter des Reformjudentums; seit 1833 Rabbiner in Magdeburg; Gründer und Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judenthums; zu seinen bedeutendsten Werken gehört die Übersetzung der Hebräischen Bibel. 1217 Philon von Alexandria (ca. 15 v. Chr.-45 n. Chr.): jüd. hell. Philosoph und Vertreter der jüd. Gemeinde; versuchte die jüdische Religion und die griechische Philosophie in Einklang zu bringen. 32, 1058 Platon (428-348 v. Chr.): griech. Philosoph; einer der Begründer der abendländischen Metaphysik. 847 Pritchard, James B. (1909-1997): US-amerik. biblischer Archäologe und Religionswissenschaftler; internationale Beachtung fand sein Werk Ancient Near Eastern Texts relating to the Old Testament aus dem Jahr 1950. 874

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Procksch, Otto (1874-1947): dt. ev. Alttestamentler; seit 1906 Prof. in Greifswald; 1925-1939 in Erlangen. 89 Pythagoras von Samos (um 570-um 480 v. Chr.): antiker griech. Mathematiker und Philosoph; Schüler des Thales von Milet; Begründer einer einflussreichen philosophischen Bewegung. 384, 1058 Ragaz, Leonhard (1868-1945): schweiz. Theologe; 1908-1925 Prof. für Theologie in Zürich; 1906-1945 Herausgeber der Zeitschrift Neue Wege. Blätter für religiöse Arbeit; beeinflusst von der Dialektischen Theologie; setzte sich für den religiösen Sozialismus und die internationale Friedensbewegung ein; stand Buber nahe. 1079 Ranke, Leopold (1795-1886): bedeutender dt. Historiker, Historiograph des preußischen Staates und Hochschullehrer; Begründer der modernen Geschichtswissenschaft. 359, 1049-1050 Raschbam, Akronym für Samuel ben Meir (ca. 1080/1085-1160): franz.-jüd. Kommentator von Tanach und Talmud; Enkel von Raschi. 929 Raschi (Akronym für Rabbi Schelomo Jitzchaki) (1040-1105): bedeutendster jüd. Bibel- und Talmudexeget; seine Kommentare finden sich in allen rabbinischen Bibel-und Talmudausgaben. 48 Rengstorf, Karl Heinrich (1903-1992): prot. Theologe; ab 1948 Direktor des Institutum Judaicum in Münster; arbeitete u. a. zum zeitgenössischen Judentum. 1111-1112 Rilke, Rainer Maria (1875-1926): deutschspr. Lyriker und Schriftsteller aus Prag. 19 Rosenberg, Harold (1906-1978): US-amerik. Kunst- und Kulturkritiker. 999 Rosenheim, Jacob (1870-1965): dt.-jüd. Gelehrter, Schriftsteller und Verleger; führende Gestalt der Frankfurter Separatorthodoxie, 1906-1935 Herausgeber der Zeitschrift Der Israelit; 1935 Emigration nach England, 1941-1950 Exil in den USA, 1950 Übersiedlung nach Israel. 788, 1226 Rosenzweig, Franz (1886-1929): dt.-jüd. Philosoph; übersetzte mit Buber die Bibel; 1919 Leiter der jüdischen Volkshochschule (ab 1920 Freies Jüdisches Lehrhaus); anders als Buber vertrat er eine Rückbesinnung auf das traditionelle Judentum und stand dem Zionismus kritisch gegenüber. 15-16, 34, 45-46, 51, 79, 90, 99, 109-110, 355, 561, 593, 595, 760, 764, 770, 779, 788, 799, 815, 850, 870, 1083, 1108-1109, 1120, 1127, 1137, 1141, 1149, 1150, 1161, 1184, 1195, 1221, 12231228, 1245-1250, 1253-1254, 1258 Rotenstreich, Nathan (1914-1993): israel. Philosoph; 1932 Einwanderung nach Israel; seit 1955 Prof. in Jerusalem; strebte eine Synthese von Neukantianismus und Phänomenologie an. 1124 Rowley, Harold H. (1890-1969): brit. Alttestamentler. 999 Rudolph, Wilhelm (1891-1987): prot. Theologe und Alttestamentler. 89, 92, 785 Rylaarsdam, J. Coert (1901-1998): amerik. kath. Alttestamentler, seit 1945 Lehrtätigkeit an der Universität von Chicago; im kath.-jüd. Dialog engagiert. 875

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Saʾ adia ben Joseph Gaon (882-942): Gaon (d. h. Leiter) der bedeutendsten Talmudhochschule, Führer der babylonischen Judenheit, erster bedeutender jüd. Philosoph. 714, 858, 1197 Salomo (10. Jh. v. Chr.): Sohn Davids; israelitischer König und Erbauer des ersten Tempels. 60-61, 112, 202-203, 208, 213-215, 224, 287, 305, 417, 489, 533, 591592, 680, 759, 838, 948-950, 952, 968, 1136, 1140 Salz, Arthur (1881-1963): dt.-jüd. Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler. 776-777 Sanherib (ca. 745-681 v. Chr.): König von Assyrien seit 705 v. Chr.; in dessen Regierungszeit der historische Jesaja wirkte und der Juda tributpflichtig machte. 74, 80, 763-764, 966, 1190-1191 Sargon von Akkad (Regierungszeit 2356 bis 2300 v. Chr.): König von Akkad; Sargon erhebt die mesopotamische Stadt Akkad zum Zentrum seines gleichnamigen Großreiches. 74, 378, 763, 1056 Sargon II (Regierungszeit 721-705 v. Chr.): König des neuassyrischen Reiches und Namensgeber der Sargoniden-Dynastie. 74, 763-764 Schaper, Eva (1924-1992): dt. Philosophin; studierte u. a. bei Joachim Ritter; war Mitherausgeberin des Philosophical Forum und der Philosophical Quarterly sowie der Kant-Studien, Mitbegründerin der British Society of Aesthetics. 1112 Schechter, Solomon (1847-1915): aus Rumänien stammender Rabbiner und Gelehrter, siedelte nach Studien in Wien und Berlin zunächst nach England über; 1890 Dozent an der Cambridge University, 1899 Prof. für Hebräisch in London, 1902-1915 Gründer und Präsident des Jewish Theological Seminary of America in New York und zentrale Figur des konservativen Judentums. 1214 Schilpp, Paul Arthur (1897-1993): US-amerik. Philosoph und Methodisten-Geistlicher; 1936-1965 Lehrtätigkeit, seit 1950 Lehrstuhl an der Northwestern University; Herausgeber der Reihe Library of Living Philosophers. 1124 Schimeon Ben Simon: Tannait. 714, 1196-1197 Schmidt, Karl Ludwig (1891-1956): dt. prot. Theologe; Herausgeber der Theologischen Blätter; Mitbegründer der sog. formgeschichtlichen Methode; Mitglied der Bekennenden Kirche; 1933 von den Nationalsozialisten abgesetzt; ab 1935 Prof. für Neues Testament an der Universität Basel. 806 Schneider, Lambert (1900-1970): dt. Verleger; Anreger der Buber-Rosenzweig Übersetzung der Bibel; von 1931 bis 1938 Leiter des Schocken Verlags; Hauptherausgeber der Schriften Bubers nach dem Zweiten Weltkrieg. 15, 34 Schoeps, Hans-Joachim (1909-1980): dt.-jüd. Religionshistoriker und Religionsphilosoph. 824 Scholem, Gershom (1897-1982): dt.-jüd. Religionshistoriker; in seiner Jugend von Buber beeinflusst; nahm später eine kritische Distanz zu ihm ein; Begründer der wissenschaftlichen Erforschung der jüd. Mystik; 1923 Emigration nach Palästina; ab 1933 Professur für Jüdische Mystik an der Hebräischen Universität in Jerusalem. 15, 31, 34, 849, 1250, 1253 Schönberg, Arnold (1874-1951): österr.-amerik.-jüd. Komponist. 32

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Sellin, Ernst (1867-1946): dt. Theologe und biblischer Archäologe. Bekannt ist sein Standardwerk Einleitung in das Alte Testament. 353, 981, 1048 Siedler, Wolf Jobst (1926-2013): dt. Verleger und Schriftsteller. 1001 Simon, Ernst (1899-1988): dt. Pädagoge und Philosoph; befreundet mit Buber und ! Franz Rosenzweig; von 1923 bis 1928 Redakteur der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude; 1928 Emigration nach Palästina; von 1950 bis 1967 Professur für Pädagogik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 356, 1049, 1124 Smend, Rudolf (1932): dt. Alttestamentler; 2000-2002 Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. 91, 979, 1000 Smith, Ronald Gregor (1913-1968): engl. Theologe; von 1956-1968 Professor of Divinity an der Universität Glasgow. 1085 Sokrates (469-399 v. Chr.): griech. Philosoph. 843, 847, 848 Spitzer, Moritz (1900-1982): österr.-jüd. Indologe; von 1932 bis 1934 Sekretär Bubers; anschließend Lektor im Schocken Verlag; 1939 Emigration nach Palästina. 139, 850, 900 Stade, Bernhard (1848-1906): dt. prot. Theologe (Alttestamentler); begründete 1881 die renommierte Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (ZAW). 1195 Stamm, Johann Jakob (1910-1993): schweiz. Theologe, Prof. für Altes Testament und Religionsgeschichte; Gründer des Altoriental. Seminars der phil.-hist. Fakultät in Bern; Mitherausgeber der neu bearbeiteten Auflage des Hebräischen und Aramäischen Lexikons zum Alten Testament (1967-96). 1962-65 Präsident der International Organization for the Study of the Old Testament. 1086 Stapel, Wilhelm (1882-1954): dt. Publizist und politischer Denker, wandte sich nach 1918 deutsch-konservativen und antisemitischen Positionen zu; 1919-1938 Herausgeber der Zeitschrift Deutsches Volkstum. 1250 Steiner, Rudolf (1861-1925): österr. Philosoph, Reformpädagoge und Esoteriker; Begründer der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik. 599, 1153 Strauss, Eduard (1876-1952): dt.-jüd. Chemiker und Religionswissenschaftler; von 1922 bis 1933 Dozent am Freien Jüdischen Lehrhaus. 1002, 1161, 1184, 1190 Strauss, Ludwig (1892-1953): dt.-jüd. Dichter, Germanist und Zionist; Schwiegersohn Martin Bubers; 1935 Emigration nach Palästina. 1081, 1084, 1166 Talmon, Shemaryahu (1920-2010): war Judah L. Magnes Professor für Bibelwissenschaften an der Hebräischen Universität von Jerusalem; weltweit führender Bibelwissenschaftler; Leiter des internationalen Jüdisch-Christlichen Dialogs. 854, 1208, 1259 Taubes, Jacob (1923-1987): dt.-jüd. Religionssoziologe und -philosoph; 1936 Übersiedlung in die Schweiz; verschiedene akad. Lehrtätigkeiten in den USA, Israel und zuletzt an der Freien Universität Berlin als Prof. für Judaistik und Hermeneutik. 1124, 1126, 1128, 1134 Theodoret (393-ca. 460): 423-457 Bischof von Kyrrhos; Kirchenhistoriker und Bibelkommentator. 715, 1198

MBW 13 (02689) / p. 1334 / 18.3.2019

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Personenregister

Theodotion (2. Jh.): zum Judentum übergetretener hellenistischer Gelehrter, Bibelübersetzer. 715, 1199 Thieberger, Friedrich (1888-1958): österr.-jüd. Religionsphilosoph. 592, 11361137, 1145-1146 Thieme, Karl (1902-1963): dt. Historiker, Politologe und Theologe; konvertierte 1934 zum Katholizismus; 1935 Emigration in die Schweiz; ab 1948 Mitherausgeber des Freiburger Rundbriefs zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und neuen Gottesvolk – im Geist der beiden Testamente. 592, 594, 877-878, 1000-1001, 1136, 1137, 1140, 1146, 1147, 1148-1149 Thutmosis III, (Regierungszeit 1479 bis 1425 v. Chr., seit 1458 als Alleinherrscher): Pharao der 18. Dynastie. 377, 1056 Tillich, Paul (1886-1965): dt. prot. Theologe und Religionsphilosoph; Vertreter des »religiösen Sozialismus«; 1933 emigriert; Professur für Philosophische Theologie am Union Theological Seminary in New York, an der Harvard University und an der Divinity School der Universität von Chicago. 1135, 1254-1255 Troeltsch, Ernst (1865-1923): dt. prot. Theologe, Kulturphilosoph und liberaler Politiker, beeinflusst vom Kulturprotestantismus und der Religionsgeschichtlichen Schule; 1892 Prof. für Systematische Theologie in Bonn, 1894 in Heidelberg, 1915 Prof. für Philosophie an der Universität Berlin; Arbeiten zur historischen Methode und zur Religionsphilosophie. 1233-1234 Usener, Hermann (1834-1905): dt. Altphilologe und Religionswissenschaftler. 357358, 605, 1157 Usija(hu) (8. Jh.): König von Juda von 783 bis 742 v. Chr. 253, 268, 445, 963 Volk, Hermann (1903-1988): Prof. für Dogmatik an der Westfälischen WilhelmsUniversität in Münster; 1962-1982 Bischof von Mainz, 1973 Erhebung zum Kardinal. 1113 Volz, Paul (1871-1941): dt. Theologe; Prof. für Altes Testament 32, 89-90, 91-93, 96, 353, 785, 981 Wahl, Jean (1888-1974): franz.-jüd. Philosoph; vor und nach dem Krieg Prof. an der Sorbonne; 1941 Flucht in die USA; beeinflusste ! Sartre und ! Levinas. 1116, 1135 Wasmuth, Ewald (1890-1963): dt. Philosoph und Übersetzer (u. a. Blaise Pascal). 595, 597-598, 1136, 1137, 1142-1143, 1150-1152 Weiss, Paul (1901-2002): US-amerik. Philosoph; bekannt geworden v. a durch seine Studien in Metaphysik. 1135 Wellhausen, Julius (1844-1918): dt. ev. Theologe; Alttestamentler, Religionswissenschaftler und Semitist; nach Lehrstühlen in Greifswald, Halle und Marburg Prof. in Göttingen seit 1890; wichtigster Vertreter der modernen Bibelkritik in seiner Zeit. 90, 426, 455-456, 533, 716, 784, 788, 790, 791, 793, 856, 924, 12131214, 1218-1219, 1221-1224, 1226-1227, 1229-1231, 1237

MBW 13 (02689) / p. 1335 / 18.3.2019

Personenregister

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Weltsch, Felix (1884-1964): 1910-1939 Bibliothekar an der Prager Deutschen Univ.; führender Zionist im deutschsprachigen Prager Judentum; 1939 Emigration nach Palästina; ab 1940 Bibliothekar an der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem. 1124, 1145 Weltsch, Robert (1891-1982): deutschsprachiger Publizist, Journalist und Zionist; Mitglied in der Prager Vereinigung Bar Kochba; 1919-1938 Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift Jüdische Rundschau; 1938 Emigration nach Palästina; nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er in England; ab 1955 Leiter des Londoner Leo Baeck Instituts; mit Buber befreundet. 1124 Westermann, Claus (1909-2000): dt. ev. Theologe, Prof. für Alttestamentliche Theologie und Pfarrer. 876-877 Wiener, Max (1882-1950): dt. Rabbiner, Bibelwissenschaftler und Philosoph, Schüler ! Hermann Cohens; 1912 Rabbiner in Stettin, seit 1926 in Berlin; wurde nach 1918 zu einem der wichtigsten Theoretiker der jungen Generation des jüdischen Liberalismus; seit 1935 Dozent für jüdische Religionsphilosophie und Ethik an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin; 1939 emigrierte er in die USA. 856, 1216, 1232-1233 Wild, John Daniel (1902-1972): amerik. Philosoph; beschäftigte sich insbesondere mit Phänomenologie und Existentialismus; lehrte u. a. an der Harvard University. 1135 Yahuda, Abraham Schalom (1877-1951): Orientalist und Linguist. 930 Zarathustra: legendärer Stifter des Zoroastrismus. 330, 975, 1152 Zedekia o. Zidkijahu (618- nach 586 v. Chr.): Letzter König des Reiches Juda (Regierungszeit 597 bis 586 v. Chr.). 76, 631, 634-635, 765, 959, 1167 Zidkija: falscher Heilsprophet zur Zeit König Ahabs. 94, 135, 796, 848 Ziegler, Leopold (1881-1958): dt. philosophischer und politischer Schriftsteller konservativer Ausrichtung; verfasste Arbeiten zur Kulturgeschichte. 599, 1154