Martin Buber Werkausgabe: Band 20 Schriften zum Judentum 9783641248697

Band 20 umfasst die späteren Schriften Bubers, die sich mit dem Judentum als Religion und dessen Stellung in der Moderne

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German Pages 658 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Dank
Einleitung
Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum]
Der wahre Lehrer Zum Gedächtnis A. D. Gordons
Im Anfang
Nachahmung Gottes
Vertrauen
[Achad Haam-Gedenkfeier in Berlin]
Klärung
[Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß]
[Brief an Melchior Britschgi-Schimmer]
Das hebräische Buch
Lebensfrömmigkeit (Aus einem Briefe)
Der Glaube des Judentums
Drei Stationen (Zu Marcus Ehrenpreis’ Sechzigstem Geburtstage)
Für die Sache der Treue
Franz Rosenzweig †
Das Judentum und die neue Weltfrage
Vorrede [zu Kampf um Israel]
Das Erste
Ein Dankesgruss Von Prof. Dr. Martin Buber, Delegierter der Universität Jerusalem
Der jüdische Mensch von heute
Adel
Gericht und Erneuerung
Name verpflichtet
Vorbehaltlose Hingabe: der Weg
Freiheit und Aufgabe Dem Gedächtnis Chajim Nachman Bialiks
Ein Spruch des Maimuni
Martin Buber schreibt uns
Vorbemerkung [zu Hermann Cohen, Der Nächste]
Vorwort [zu Die Stunde und die Erkenntnis]
Der Jude in der Welt Aus einer Frankfurter Lehrhausrede (Januar 1934)
Die Lehre und die Tat Ein Wort an Dr. Joachim Prinz
Offenbarung und Gesetz Aus Briefen an Franz Rosenzweig
Israel und die Völker
Ein Wort an Dreizehnjährige
Hebräischer Humanismus
Religion in unserem Land
In Theresienstadt …
Treue zum Geist
Preface [zu Israel and the World]
Israel und Palästina Zur Geschichte einer Idee
Thoughts on the Jewish New Year
[Botschaft]
An der Wende Reden über das Judentum
»Er macht Frieden«
Greetings to Dr. Mordecai M. Kaplan
»Fuer das Ganze zeugend«
Gershom Scholem – 60 Jahre alt
Funktion des Geistes in der Geschichte
Über die Ewigkeit und den Augenblick
Unveröffentlichte Archivmaterialien
Kommentar
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Martin Buber Werkausgabe: Band 20 Schriften zum Judentum
 9783641248697

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Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und Peter Schäfer

Gütersloher Verlagshaus

Martin Buber Werkausgabe 8 Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Juliane Jacobi

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Die Edition wurde von 1998 bis 2003 aus Mitteln der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie von 2001 bis 2004 aus Mitteln der German-Israeli Foundation for Scientific Research and Development (G.I.F.) finanziert. Seit 2005 wird die Edition von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Zusätzlich wurde und wird die Edition durch Zuschüsse der Lucius N. Littauer Foundation, der Memorial Foundation for Jewish Culture, dem Franz Rosenzweig Research Center for German-Jewish Literature and Cultural History und der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt.

Copyright © 2005 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Umschlaggestaltung: Init Kommunikationsdesign GmbH, Bad Oeynhausen Satz: SatzWeise GmbH, Bad Wünnenberg ISBN 978-3-641-24857-4 www.gtvh.de

Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum] . . . . . . . . . . . .

27

Der wahre Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Im Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

Nachahmung Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

[Achad Haam-Gedenkfeier in Berlin] . . . . . . . . . . . . . . . .

46

Klärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

[Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß] . . . . . . . . . . . . . . .

50

[Brief an Melchior Britschgi-Schimmer]

. . . . . . . . . . . . . .

57

Das hebräische Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

Lebensfrömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

Der Glaube des Judentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Drei Stationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Für die Sache der Treue

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

Franz Rosenzweig † . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Das Judentum und die neue Weltfrage

. . . . . . . . . . . . . . .

85

Vorrede [zu Kampf um Israel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

Das Erste

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

Ein Dankesgruss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

Der jüdische Mensch von heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

6

Inhalt

Gericht und Erneuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Name verpflichtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Vorbehaltlose Hingabe: Der Weg

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Freiheit und Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Ein Spruch des Maimuni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Martin Buber schreibt uns: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 . . . . . . . . 110

Vorbemerkung [zu Hermann Cohen, Der Nächste]

Vorwort [zu Die Stunde und die Erkenntnis] . . . . . . . . . . . . 111 Der Jude in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Die Lehre und die Tat

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Offenbarung und Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Israel und die Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Ein Wort an Dreizehnjährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Hebräischer Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Religion in unserem Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 In Theresienstadt … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Treue zum Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Preface [zu Israel and the World]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Israel und Palästina . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung: Zion und die nationalen Ideen . Erster Teil: Biblisches Zeugnis . . . . . . . . Zweiter Teil: Deutung und Verklärung . . . Dritter Teil: Die Stimme des Exils . . . . . . Vierter Teil: Der zionistische Gedanke . . . Biographisches . . . . . . . . . . . . . . . Einige Worterklärungen . . . . . . . . . .

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171 172 173 178 208 225 268 315 316

Thoughts on the Jewish New Year . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 [Botschaft]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

7

Inhalt

An der Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die erste Rede: Der Geist Israels und die Welt von heute . Die zweite Rede: Judentum und Kultur . . . . . . . . . . Die dritte Rede: Die heimliche Frage . . . . . . . . . . . Die vierte Rede: Der Dialog zwischen Himmel und Erde .

. . . . . .

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319 320 321 329 337 345

»Er macht Frieden« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Greetings to Dr. Mordecai M. Kaplan . . . . . . . . . . . . . . . . 355 »Fuer das Ganze zeugend« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Gershom Scholem – 60 Jahre alt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Funktion des Geistes in der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 359 Über die Ewigkeit und den Augenblick . . . . . . . . . . . . . . . 360

Unveröffentlichte Archivmaterialien Der Glaube an die Wiedergeburt

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

Mein Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

Kommentar Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Diakritische Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Einzelkommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 Glossar

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632

Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646

Gesamtaufriss der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659

Vorbemerkung Der vorliegende Band ist der zwölfte, der nach der Übernahme der Arbeit an der Martin Buber Werkausgabe durch die Heinrich Heine Universität Düsseldorf publiziert werden kann. Er ist nach den neuen Editionskriterien gestaltet, wie sie erstmals in Band 9 der MBW angewandt und im vorliegenden Band in der Editorischen Notiz als Einleitung zum Kommentar erörtert werden. Dieser Band versammelt die Schriften Martin Bubers, die sich mit dem Judentum im Allgemeinen beschäftigen und Bubers teils ambivalente Beziehungen zu zentralen Elementen wie dem Gesetz, der Bedeutung des Landes Israels und der Besonderheit jüdischer Religiosität zum Ausdruck bringen. Bubers Reflexionen legen dabei ein besonderes Augenmerk auf das Problem, die zentralen Theologumena mit den Gegebenheiten der Moderne zu vermitteln und zugleich der nationalsozialistischen Bedrohung zu begegnen. Gerade Letzteres illustriert eine Vielzahl in diesem Band versammelter kleinerer Veröffentlichungen zu tagesaktuellen Gegenständen, die Bubers Widerstand gegen die zunehmende Verfolgung der Juden in Deutschland widerspiegeln. Buber hat sich zeitlebens kritisch mit der orthodoxen Auffassung auseinandergesetzt, die das jüdische Gesetz als absolut bindend ansieht. Er stand deshalb dem rabbinischen Judentum stets distanziert gegenüber. Bereits seine frühe Beschäftigung mit dem Chassidismus war nicht unerheblich mit der programmatischen Intention verbunden, diesen als Oppositionsbewegung gegen eine Buber als verknöchert und leblos erscheinende Orthodoxie zu inszenieren. Zwar verteidigte Buber gegenüber dem Christentum den jüdischen Gesetzesbegriff, der von Paulus zu einseitig charakterisiert worden sei. In der eigenen Haltung gegenüber dem rabbinischen Judentum nähert er sich jedoch teils erheblich der paulinischen Argumentation an, was auf die Kompliziertheit von Bubers Position verweist. In »Nachahmung Gottes« (1926), »Der Glaube des Judentums« (1929), vor allem aber in der brieflichen Diskussion mit Franz Rosenzweig, die Buber nachträglich unter dem Titel »Offenbarung und Gesetz« (1936) veröffentlichte, wird diese Fragestellung konzentriert erörtert. Einen polemischen Einschlag erhält die Diskussion dieser Probleme in der Auseinandersetzung mit dem liberalen Rabbiner Joachim Prinz, die unter dem Titel »Die Lehre und die Tat« (1936) geführt und veröffentlicht worden ist. Neben zahlreichen Gelegenheitsschriften, deren geschichtliche Bedeutung nicht verkannt werden sollte, bietet dieser Band Bubers umfangrei-

10

Vorbemerkung

che ideengeschichtliche Untersuchung Israel und Palästina, die 1945 zunächst auf Hebräisch, 1950 schließlich auf Deutsch erschienen ist. Buber entwickelt darin, beginnend mit der biblischen Zeit, den Begriff von »Zion« als der Verbindung Israels mit dem von Gott verheißenen Land. In der Darstellung der historischen Genese des Gedankens wird er in all seinen Dimensionen entfaltet, die auf dem Hintergrund der sich abzeichnenden Gründung eines Staates Israel zugleich programmatische politische Intentionen Bubers zur Geltung bringen. Für eine Auseinandersetzung mit Bubers Begriff des Zionismus ist diese Schrift von entscheidender Bedeutung. Das Problem der Krise, in die das Judentum angesichts der Moderne und der Katastrophe der Gegenwart getreten sei, diskutiert Buber in An der Wende, einer Sammlung von vier Reden, die zwischen 1938 und 1951 entstanden und 1952 gedruckt worden sind. Bereits mit dem Untertitel »Reden über das Judentum« spielt Buber dabei auf die Reihe von »Reden« an, die vor dem ersten Weltkrieg bis in die zwanziger Jahre hinein von ihm gehalten und veröffentlicht worden sind. Damit rückt er die Frage ins Bewusstsein, inwiefern sich in ihnen Kontinuität oder Bruch widerspiegeln. Mit dem Redemanuskript zu einem Seminar zum Thema »Wiedergeburt« sowie einer Handschrift mit dem Titel »Mein Liberalismus« werden in diesem Band zudem bislang unveröffentlichte Archivmaterialien zugänglich gemacht. Auf letzteren Text sei insbesondere hingewiesen, handelt es sich doch um ein geradezu bekenntnishaftes Dokument zu Bubers gespanntem Verhältnis gegenüber dem orthodoxen Judentum. * Die Israel Academy of Sciences and Humanities, deren erster Präsident Martin Buber war, hat im Jahre 2012 die Arbeit an der Werkausgabe als ein »highly important project« anerkannt und fördert sie seitdem mit einem jährlichen Beitrag. Ein Projekt wie diese Werkausgabe wäre ohne eine großzügige finanzielle Förderung nicht möglich. Wir danken insbesondere der Gerda Henkel Stiftung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für ihre nachhaltige Unterstützung des Gesamtprojekts der Martin Buber Werkausgabe. Nicht zuletzt sei der Heinrich Heine Universität Düsseldorf gedankt, die das Projekt logistisch und administrativ betreut. Düsseldorf, im Dezember 2017

Paul Mendes-Flohr, Bernd Witte

Dank Wir danken Bernd Witte für seine sorgfältige und geschickte Übersetzung unserer Einleitung und überhaupt für seine freundliche Hilfeleistung. Danken möchten wir des Weiteren den Mitarbeitern der Martin Buber Arbeitsstelle, Simone Pöpl und Arne Taube, für ihre weitgehende Unterstützung und einfallsreiche Hilfe sowie Heike Breitenbach für ihre Recherchen im Archiv. Gedankt sei schließlich Kerstin Schreck für die Korrektur der Texte und den Vergleich verschiedener Textzeugen. Chicago und Jerusalem im Herbst 2017,

Michael A. Fishbane und Paul Mendes-Flohr

Einleitung Martin Buber (1878-1965) wurde in Wien geboren und schrieb vornehmlich in deutscher Sprache. Trotzdem sprach er von sich selber stets als »polnischer Jude«. In der Tat verbrachte er seine Jugendjahre im polnischen Galizien, das seit 1772 eine Provinz des Habsburger Reiches war. Aus Anlass der frühen Trennung seiner Eltern im Jahr 1881 wurde Buber im Alter von drei Jahren zu seinen väterlichen Großeltern geschickt, die in Lemberg (Lwow), der Hauptstadt von Galizien, lebten. Im Haus von Salomon und Adele Buber wurde er in der orthodoxen jüdischen Tradition erzogen und erhielt eine religiöse Ausbildung in den klassischen Texten des Judentums. Dies vor allem durch seinen Großvater, der ein berühmter Gelehrter und Kenner des Midrasch und mittelalterlicher jüdischer Texte war. Wie viele osteuropäische Juden seiner Generation fühlte sich Buber zur säkularen humanistischen Kultur hingezogen, die er zuerst auf dem polnischen Gymnasium von Lemberg kennenlernte, das er seit 1888, also vom Alter von zehn Jahren an, besuchte. Mit 18 Jahren begann er seine Universitätsstudien in Wien, dann folgten mehrere Semester in Zürich, Leipzig und Berlin. Dabei widmete er sich mit ungezügeltem Enthusiasmus dieser weltlichen Kultur und ihren kosmopolitischen Vorstellungen. Das entfernte ihn mehr und mehr vom Judentum und von dessen religiösen Gebräuchen. Bald jedoch erneuerte Buber seine Nähe zum Judentum, jetzt aber als eine entschieden säkulare Identität. Gegen Ende des dritten Jahres seiner Universitätsstudien trat er der entstehenden zionistischen Bewegung bei, die von Theodor Herzl (1860-1904) begründet worden war. Innerhalb des Zionismus setzte sich Buber für die Neuausrichtung des Judentums als einer säkularen nationalen Kultur ein. Er übernahm eine führende Rolle in dem, was er die »jüdische Renaissance« nannte, gründete einen Verlag, der jüdische Literatur herausbrachte, organisierte Ausstellungen von jüdischer Kunst und verfasste zusammen mit Chaim Weizmann (1874-1952) und Berthold Feiwel (1875-1937) eine Broschüre, die zur Gründung einer jüdischen Universität aufrief, was erst in den 1920er Jahren mit der Gründung der Hebräischen Universität von Jerusalem verwirklicht wurde. 1

1.

Vgl. Eine jüdische Hochschule, Jüdischer Verlag: Berlin 1902; jetzt in: MBW 3, S. 363-391.

14

Einleitung

Später hat Buber diese prägenden Jahre seiner Jugend – von 1899-1905 – als die »erste« von drei »Stationen« in der Entwicklung einer eigenständigen Konzeption eines »posttraditionellen« Judentums bezeichnet. 2 In Bezug auf die Bedeutung dieser ersten Station bemerkte er: Ich kann hier nur andeuten, was er [der Zionismus] für mich bedeutete: die Wiederherstellung des Zusammenhangs, die erneute Einwurzelung in die Gemeinschaft. Keiner bedarf der rettenden Verbindung mit einem Volkstum so sehr wie der von geistigem Suchen ergriffene, vom Intellekt in die Lüfte entführte Jüngling; unter den Jünglingen dieser Art und dieses Schicksals aber keiner so sehr wie der jüdische. […] Und der blinkendste Reichtum an Intellektualität, die üppigste Scheinproduktivität […] vermögen den Aufgelösten nicht für die heiligen Insignien des Menschentums, Wurzelhaftigkeit, Verbundenheit, Ganzheit, zu entschädigen. 3

Der Zionismus aber war nur die erste Station: »Daß mich der Zionismus erfaßte und dem Judentum neu angelobte, war, ich wiederhole es, nur der erste Schritt. Das nationale Bekenntnis allein verwandelt den jüdischen Menschen nicht; er kann mit ihm ebenso seelenarm, wenn auch wohl nicht ebenso haltlos sein wie ohne es.« 4 Mit der Einsicht in diese Umformung machte sich Buber auf den Weg in eine neue Phase seiner sich herausbildenden Auffassung vom Judentum: »Ich zog mich, sechsundzwanzigjährig, für fünf Jahre von der Tätigkeit in der Partei, vom Artikelschreiben und Redenhalten, in die Stille zurück, ich sammelte, nicht ohne Mühe, das verstreute, zum Teil verschollene Schrifttum [des Chassidismus], und ich versenkte mich darein, Geheimnisland um Geheimnisland entdeckend.« 5 Buber wurde bei seinem Studium des Chassidismus durch die Vorstellung geleitet, dass Kultur nur ein »Nebenprodukt eines Lebensprozesses« 6 ist und deshalb nicht willentlich hervorgebracht werden kann: »Wie Persönlichkeit, so entwickelt sich auch Kultur, wenn man nicht an sie denkt. […] Der Urgrund des Lebens mußte aufgerührt werden. Das ist es, was wir mit religiöser Erneuerung meinten.« 7 Diese Phase stellt die zweite Station im Zuge der Formierung von Bubers Auffassung vom Judentum dar. Diese wichtige Wendung in seinem Denken wurde durch eine noch unvollkommene Einsicht bewirkt, dass die er2. 3. 4. 5. 6. 7.

Martin Buber, Drei Stationen, Judisk Tidskrift, 27. Juni (1929), S. 20; wiederabgedruckt in Buber, Kampf um Israel: Reden und Schriften, 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 223; jetzt in diesem Band, S. 75. Martin Buber, Mein Weg zum Chassidismus, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1918, S. 16 f.; jetzt in: MBW 17, S. 41-52, hier S. 46. Ebd., S. 17; jetzt in: MBW 17, S. 46. Ebd., S. 19; jetzt in: MBW 17, S. 47. Buber, Drei Stationen, S. 223; jetzt in diesem Band, S. 75. Ebd.

Einleitung

15

wünschte geistige Erneuerung des Judentums von den normativen Strukturen der institutionalisierten Religion unterschieden werden müsse. Daher sprach Buber davon, dass eine ursprüngliche »jüdische Religiosität« zunächst zu definieren und zu erneuern sei. Er meinte damit eine Spiritualität, die uranfänglich »Israels Religion« hervorgebracht habe und die im Idealfall sie weiter unterhalte. Die chassidische Überlieferung, die Erzählungen und Maximen seiner geistigen Lehrer, verkörperten für ihn beispielhaft solch ein »Urjüdisches«, das zugleich in seinen Augen ein »Urmenschliches« war. 8 In Übereinstimmung mit Georg Simmel (1858-1918), seinem Lehrer an der Universität Berlin, stellte Buber fest, dass Religion und ihre Institutionen nur allzu häufig die von ihm geforderte »Religiosität« überwältigten und erstickten. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Religion herangezogen werde, um soziale oder ideologische Ziele zu fördern. »Religion um des Nutzens für das Menschenleben, für das Volksleben willen angestrebt, statt um der Heiligung Gottes im Menschenleben, im Volksleben willen, ist schlimmer als Irreligion, weil sie das Fiktive, das Unwirkliche, aber Wirklichkeit der Wirklichkeiten Vorspiegelnde ist.« 9 Daraus schloss Buber: »Nur wenn sie [die Religion] sich selber zu überwinden strebt, also wirklich gar nicht mehr sich, das Reich der Religion, sondern Gott und sein Reich meint, führt sie zu ihm hin.« 10 Nur auf dieser Grundlage werde Israels Gründungsreligiosität erneuert werden. Was die geistige Erneuerung des Judentums und in der Tat der gesamten Menschheit erfordere, sei weder Kultur noch Religion, noch weniger »Religiosität« an sich. Was sie erfordern, sei eine feste Begründung in der »ganzen Wirklichkeit, mit Gott und Welt und Mensch, – Kampf des Menschen um Gott in der Welt, Begegnung des Menschen mit Gott an der Welt, Erlösung der Welt von Gott her durch den Menschen, und als die Stätte von Kampf, Begegnung und Erlösung: den gelebten Alltag.« 11 »Die Erlösung der Welt durch den Menschen«, darin findet die dritte und letzte Station der fünfundzwanzigjährigen Entwicklung von Bubers Konzeption des Judentums zu ihrer Reife und ihrem Kristallisationspunkt. Von da ab war das, was er »Theopolitik« nannte – in deutlicher Abgrenzung von der »politischen Theologie« Carl Schmitts (1888-1985) – ein Leitfaden in seinen Schriften über das

8. 9. 10. 11.

Buber, Mein Weg zum Chassidismus, S. 19; jetzt in: MBW 17, S. 47. Buber, Drei Stationen, S. 223 f.; jetzt in diesem Band, S. 75. Ebd., S. 223; jetzt in diesem Band, S. 75. Ebd., S. 224; jetzt in diesem Band, S. 75.

16

Einleitung

Judentum. 12 Das Königreich Gottes soll sich hier und jetzt entfalten im Rahmen des zwischenpersönlichen und gemeinschaftlichen Lebens. In der Besinnung auf die grundlegende Entwicklung seines Denkens verlegte Buber dessen Anfang in die Umkehr in seinem Verständnis von Religiosität, die in der Mitte des ersten Weltkriegs sich ereignet hatte, als er bemerkte, dass er es unterlassen hatte, einem verwirrten jungen Menschen in angemessener Weise zu antworten, der gekommen war, seinen Rat zu suchen. In jüngeren Jahren war mir »das Religiöse« die Ausnahme. Es gab Stunden, die aus dem Gang der Dinge herausgenommen wurden. Die feste Schale des Alltags wurde irgendwoher durchlöchert. […] Die Unrechtmäßigkeit einer solchen Aufteilung des auf Tod und Ewigkeit zuströmenden Zeitlebens, das sich ihnen gegenüber nicht anders erfüllen kann, als wenn es eben seine Zeitlichkeit erfüllt, ist mir durch ein Ereignis des Alltags aufgegangen, ein richtendes Ereignis. […] Seither habe ich jenes »Religiöse«, das Ausnahme ist, aufgegeben oder es hat mich aufgegeben. Ich besitze nichts mehr als den Alltag, aus dem ich nie genommen werde. […] Ich kenne keine Fülle mehr, als die Fülle jeder sterblichen Stunde an Anspruch und Verantwortung. Weit entfernt, ihr gewachsen zu sein, weiß ich doch, daß ich im Anspruch angesprochen werde und in der Verantwortung antworten darf, und weiß, wer spricht und Antwort heischt. 13

Folgerichtig zog Buber es vor, eher von »Begegnung« als von »Religiosität« und »religiösem Erlebnis« zu sprechen. »[…] der Begriff der Begegnung […] ist […] auf dem Wege meines Denkens aus der Kritik des Erlebnisbegriffs, dem ich in meiner Jugend anhing, aus einer radikalen Selbstberichtigung entstanden. ›Erlebnis‹ gehört der exklusiv individuierten psychischen Sphäre an; ›Begegnung‹ oder vielmehr, wie ich zumeist zu sagen vorziehe, gerade um die zeitliche Begrenzung zu vermeiden, ›Beziehung‹ transzendiert diese Sphäre von den Ursprüngen an. Die psychologische Reduktion des Seins, seine Psychologisierung hat auf mich in jungen Jahren destruktiv gewirkt, weil sie mir die Grundlage der menschlichen Wirklichkeit, das-Aufeinander-zu, entzog. Erst viel später in der Umkehr meines Denkens, die mich kämpfen lehrte, habe ich die Wirklichkeit unverlierbar gewonnen.« 14

Sicherlich gibt es ein gewisses Maß an Kontinuität zwischen Bubers Begriff der »Religiosität« und dem der »Begegnung«. Während letztere durch eine ganz und gar aufmerksame Antwort an den Anderen charakterisiert ist, bekommt die »Religiosität« ihren vollen Gehalt erst in Taten. 12. Vgl. Bubers Schriften zum Messianismus und den biblischen Propheten in MBW 15. 13. Martin Buber, Zwiesprache, Berlin: Schocken Verlag 1932, S. 37-39. 14. Ders., Antwort, in: Martin Buber, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart: Kohlhammer Verlag 1963, S. 610; jetzt in: MBW 12, S. 491.

Einleitung

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»Echte Religiosität«, darauf beharrt Buber zu wiederholten Malen, »ist ein Tu n . Sie will das Unbedingte im Stoff der Erde ausformen, Gottes Angesicht ruht unsichtbar im Block der Welt; muß hervorgeholt, herausgemeißelt werden. Daran arbeiten heißt religiös sein, nichts anderes.« 15 Obwohl Bubers Verständnis dessen, was die Praxis der »Religiosität« und des Dialogs betrifft, sich radikal von der traditionellen jüdischen »Orthopraxis« als Beobachtung der Vorschriften, die von rabbinischem Gesetz gefordert werden (Halacha) unterscheidet, blieb sein Judentum ein Judentum des Tuns – eines Tuns, das aus der Verantwortung vor Gott geboren ist, die alltägliche göttliche Schöpfung zu heiligen. Buber selbst wies auf die grundlegende Nähe zwischen dem traditionellen Judentum und seinem Verständnis des religiösen Glaubens hin: »Man braucht […] nur zu beachten, wie viele Handlungen des Alltags durch Segenssprüche eingeleitet werden, um zu erkennen, wie tief hier die Heiligung in das an sich Ungeweihte hineinreicht. Segnet einer Gott nicht bloß allmorgendlich beim Erwachen dafür, daß er ihn hat erwachen lassen, sondern auch, wenn er etwa ein neues Haus oder Kleid oder Gerät in Gebrauch nimmt, dafür, daß er bis zu dieser Stunde am Leben erhalten worden ist, so wird hier die gewohnte Tatsache des irdischen Fortbestehens bei jeder sich bietenden Gelegenheit eingeheiligt.« 16 Und in Anspielung auf die Parallele zwischen Dialog und traditionellem Judentum, durch die das gelebte Leben des Alltags bejaht wird, hält Buber fest, dass die rabbinischen Weisen und insbesondere die chassidischen Heiligen lehrten, dass »die gewohnte Tatsache des irdischen Fortbestehens bei jeder sich bietenden Gelegenheit eingeheiligt« werde. »Das menschliche Leben ist aber dazu bestimmt, in all seiner natürlichen, d. h. schöpfungsmäßigen Struktur geheiligt zu werden. ›Gott wohnt, wo man ihn einläßt‹, sagt ein chassidischer Spruch; die Heiligung des Menschen bedeutet dieses Einlassen.« 17 Nichtsdestoweniger bestand Buber auf dem Unterschied zwischen einer dialogischen Tat und den Mizwot, d. h. den rituellen und liturgischen Vorschriften, die von der Halacha vorgegeben sind. Seine unnachgiebige antinomische Haltung verwirrte viele seiner Bewunderer, so auch Franz Rosenzweig (1886-1929). In Beantwortung von Bubers Essay

15. Ders., Jüdische Religiosität, in: Ders., Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig: Kurt Wolf Verlag 1916, S. 49-74, hier S. 74; jetzt in: MBW 2.1, S. 204-214, hier S. 214. 16. Ders., Der Chassidismus und der abendländische Mensch, Merkur 10 (1956), S. 933-943, hier S. 936 f.; jetzt in: MBW 17, S. 304-314, hier S. 307 f. 17. Ebd., S. 937; jetzt in: MBW 17, S. 308.

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»Cheruth« 18 schrieb Rosenzweig einen Brief, der später unter dem Titel »Die Bauleute« veröffentlicht wurde, 19 worin er das in Frage stellte, was er als Widerspruch in Bubers Haltung ansah, seine Offenheit gegenüber den Lehren des Judentums und seine resolute Weigerung, dieselbe Haltung gegenüber den Mizwot einzunehmen. Der Titel von Bubers Essay, der sich an die jüdische Jugend wandte, ist von einem berühmten Spruch aus dem Mischna-Traktat »Sprüche der Väter« (6,2) entnommen, welche den Menschen instruieren, die biblische Passage »Gottesschrift eingegraben auf den Tafeln«, nicht Charut, sondern Cherut: »Freiheit« zu lesen. Buber verweist eine junge Generation von weitgehend assimilierten Jugendlichen auf diesen Spruch, um sie zu lehren, dass jüdische religiöse Traditionen nur durch ein kreatives Engagement für diese Traditionen anzueignen sind. Dies sei ein fortlaufender geistiger Prozess: »Gottes Schrift ist Freiheit auf den Tafeln: die Zeichen der Gottesfreiheit wiederzufinden, mühen sich die religiösen Kräfte je und je. Gottes Urtafeln sind zerbrochen: Die Kräfte der eigenen Erneuerung mühen sich je und je, auf den zweiten Tafeln, den Tafeln der Lehre und des Gesetzes, verwischte Züge der Gottesfreiheit wiederherzustellen.« 20 Buber hält es demnach für grundsätzlich verfehlt, anzunehmen, dass die jüdische Jugend, die eine positive Beziehung zum Judentum sucht, vor die Wahl gestellt sei, sich zwischen einer allzu gläubigen Loyalität gegenüber der herrschenden orthodoxen Konzeption der Lehre und des Gesetzes und der Zurückweisung beider zugunsten einer säkularen nationalen jüdischen Identität zu entscheiden. Kennzeichnend für seine gereifte Vorstellung vom Judentum ist es, dass Buber auch davor warnte, »Gott zu psychologisieren« – ein schwerwiegender Irrtum, der viele junge Menschen bedrohe und dem viele zum Opfer fielen. 21 »Aber es kann die wunderliche Perversion eintreten, daß einer sich in dem Wahn gefällt, er habe sich dem Absoluten ergeben, dieweil er sich ihm von Grund aus entzogen hat, indem er das Ereignis seiner Berührung zum ›Erlebnis‹ mißbrauchte; er ist in seinem ganzen Wesen unergriffen, unverwandelt geblieben, aber er hat eine sublime Stunde genossen; er kennt die Antwort nicht, er kennt nur die ›Stimmung‹ ; er hat Gott psychologisiert.« 22 Buber fragt sich, wie die Jugend 18. Martin Buber, Cheruth – Eine Rede über Jugend und Religion, Wien: R. Löwit 1919; jetzt in: MBW 8, S. 109-127. 19. Franz Rosenzweig, Die Bauleute. Über das Gesetz, Der Jude, 8. Jg. (1924) Heft 8, S. 433-445; jetzt in: ders., Kleinere Schriften, Berlin 1937, S. 107-113. 20. Buber, Cheruth, S. 29; jetzt in: MBW 8, S. 123 f. 21. Vgl. ebd., S. 6 f.; jetzt in: MBW 8, S. 112. 22. Ebd., S. 7; jetzt in: MBW 8, S. 112.

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sich selbst vor diesem Irrtum bewahren könne. Glücklicherweise »steht [der Jugend] ein großer Helfer zur Seite; das ist die lebendige Volksgemeinschaft. […] Der wahrhaft Verbundene kann nicht fehlgreifen; nicht weil ihm die in den Volksjahrtausenden für Schau und Dienst des Absoluten geschaffenen Sinnbilder und Lebensformen fertig zur Verfügung stehen, sondern weil ihm aus der Verbindung mit dem Volkstum, die bild- und formschaffende Kraft selber zuströmt.« 23 Mit dem eigenen Volk stehe man mittels dreier fundamentaler Elemente in Verbindung, die es als »eine lebendige Volksgemeinschaft« erhielten: erstens durch seine Literatur und Geschichte, zweitens durch die aus »Ort und Tat zusammengesetzte Rolle, deren Zeichen die Chronik des Verkehrs dieses Volkes mit seinem Gott erzählen«. Das dritte Element ist in »die tiefsten Schichten seiner [des Volkes] Seele«, sein »Zeitengedächtnis« eingeschrieben und in Schweigen eingemauert. Wenn man es aufschließen könnte, quillt aus ihm »wahrere Kunde […] als aus den seichten Wellen seiner privaten Erfahrungen; aber diesen tiefen Brunnen entsiegelt nur, wer sich mit dem ganzen Ernst zur Verbundenheit entschieden hat.« 24 Diese Entscheidung, so fährt Buber fort, zieht eine zweite Entscheidung nach sich, die weniger einschneidend ist als die erste: sich entweder der jüdischen Lehre oder dem jüdischen Gesetz zu widmen. Rosenzweig versuchte Bubers Nebeneinander von Lehre und Gesetz als Alternativen, ein geistig wertvolles jüdisches Leben zu realisieren, in Frage zu stellen. In dem Essay »Cheruth« gab Buber den zentralen Ansatzpunkt für seine Diskussion mit Rosenzweig über das Gesetz vor: die Behauptung, dass das Gesetz – die sogenannten 613 Gebote – in der Gewissheit begründet werden müsse, dass es das geoffenbarte Wort Gottes sei 25 . Die Beobachtung der Gebote, weil man fühlt, dass dies der einzige Weg ist im Namen Gottes zu leben, habe eine ganz eigene Berechtigung, die im Grunde unzugänglich sei für jegliche Kritik von außen, da sie deren Kriterien zurückweisen könne. In Abwesenheit einer solchen Gewissheit des göttlichen Ursprungs des Gesetzes, also wenn man es nur auf Grund des Nationalgefühls beobachte – »aus Gehorsam gegen die Autorität des jüdischen Nationalwillens« – sei das eine Profanierung 26 . Da es seiner Meinung nach nur wenige gebe, die davon überzeugt seien, dass das Gesetz eine göttliche Offenbarung sei, rief Buber die jüdische Jugend auf, wenigstens die jüdische Literatur als »Gegenstand einer ehrfürchtigen und unbefangenen Erkenntnis« zu studieren. In der Tat, man »muß […] un23. 24. 25. 26.

Ebd., S. 8; jetzt in: MBW 8, S. 113. Ebd., S. 8 f.; jetzt in: MBW 8, S. 113. Ebd., S. 23; jetzt in: MBW 8, S. 120. Ebd., S. 23; jetzt in: MBW 8, S. 121.

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ser religiöses Schrifttum […] vor allem die Bibel […]« lesen »aus dienendem Wissen um die urhebräische Sprachseele, aber nicht als Literaturwerk, sondern als des Wirkens des Absoluten am jüdischen Volksgeist fundamentale Urkunde«. 27 Die Lehren des Judentums müssen deshalb verstanden werden als »religiöse Wahrheit«, die »zum Unterschied von der philosophischen kein Satz sondern ein Weg, keine These sondern ein Prozeß« sei 28 . In »Die Bauleute« stellte Rosenzweig die Konzeption seines Freundes vom Gesetz in Frage und legte ihm nahe, diesem gegenüber dieselbe ehrfurchtsvolle Offenheit an den Tag zu legen, wie er sie für die heiligen Schriften und Lehren des Judentums gefordert hatte. Man könne nur wissen, ob das Gesetz Gottes Wort »von innen« sei, wenn eine bestimmte Mitzvah als Gottes direkt dem Menschen gegebenes Gebot, nämlich als performativer Akt dem Gehör gegeben ist. Wenn man die Mitzwot »von außen« betrachtet, das gibt Rosenzweig zu, sind sie in der Tat notwendigerweise nur eine Ansammlung heteronomer Gesetze. Bubers Antwort auf Rosenzweig war eine unnachgiebige Erklärung, dass Gott kein Gesetzgeber sei: Für mich ist und bleibt die eine Frage, die in meiner Seele wahrlich von abyssus [lat.: Abgrund. Anspielung auf Psalm 42,8] zu abyssus gerufen wird: ob das »Gesetz« Gottes Gesetz ist. Auf diese Frage antwortet der andere Abyssus wahrlich nicht mit Schweigen. Wenn er aber mit Ja antwortete, würde ich keine Betrachtungen darüber anstellen, ob das Gesetz eine die Ganzheit des Lebens schaffende Kraft sei – das wäre dann unerheblich. Und hinwiederum könnte mir keine noch so gewisse Bejahung dieser oder einer ihr ähnlichen Frage jenes fehlende, nicht stumm sondern donnernd fehlende Ja ersetzen. / Offenbarung ist nicht Gesetzgebung. Für diesen Satz würde ich in einer jüdischen Weltkirche mit Inquisitionsgewalt hoffentlich zu sterben bereit sein. 29

Bubers unerbittliche Weigerung, Rosenzweigs Herausforderung anzunehmen, verdankte sich zweifelsohne seiner Ansicht, dass in diesem kritischen Moment, in dem die westliche humanistische Tradition in Gefahr war, es für Juden wie Nichtjuden gleichermaßen wichtig sei, dem Dienst an Gott im dynamischen Fluss des Alltagslebens Vorrang zu geben, in dem man stets mit situationsgebundenen, interpersonalen und politischen Anforderungen konfrontiert ist, die nach Bubers Ansicht den Anspruch Gottes wiederspiegeln.

27. Ebd., S. 33; jetzt in: MBW 8, S. 125. 28. Ebd., S. 19; jetzt in: MBW 8, S. 118. 29. Brief Bubers an Rosenzweig vom 3. Juni 1925, in: B II, S. 222.

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Es sei die Aufgabe des Judentums, so Buber, dieses universelle Prinzip beispielhaft darzustellen. Wenngleich die historische Formation des Judentums mit der Verkündigung des Gesetzes am Berg Sinai stattgefunden habe, sei seine »Seele«, das heißt seine ursprüngliche religiöse Sensibilität, »vorsinaitisch« 30 . Deshalb könne die Seele des Judentums nicht das Gesetz sein. »Das Angelobtsein des Juden ist die Substanz seiner Seele. Da aber der, dem die Angelobung gilt, der lebendige Gott ist, der an der Unendlichkeit der Dinge und Begebnisse die Unendlichkeit seiner Erscheinungsträger hat, ist dies dem Angelobten Stachelung und Stetigkeit zugleich: in der Fülle der Manifestationen immer wieder den Einen wiederzuerkennen«. 31 Gott offenbart sich immer erneut in dem stets wechselnden Fluss des Lebens. »Er ist je und je da, je und je seiner Kreatur gegenwärtig, aber jeweils als der, als der er eben jetzt und hier da ist, so daß der Geist des Menschen nicht vorzuwissen vermag, im Gewande welcher Existenz und welcher Situation sich Gott je und je bezeigen wird.« 32 Es ist die Aufgabe der Menschen, Gott in jedem seiner wechselnden Gewänder wiederzuerkennen und entsprechend auf Seine überwältigende Präsenz zu antworten. Dies ist die fundamentale Haltung und Orientierung gegenüber dem Leben, die Buber »Dialog« nennt. In einer Serie von Vorlesungen mit dem Titel »Religion als Gegenwart« 33 , die Buber auf Einladung Rosenzweigs am Freien Jüdischen Lehrhaus 1922 gehalten hat, sah er die Gelegenheit, eine erste Skizze seiner Philosophie des Dialogs zu geben, nach der man Gottes Gegenwart begegne und ihr antworte, was, wie er betont, sich sowohl auf die »gegenwärtige Zeit« wie auf die »existenzielle Gegenwart« beziehe. Indem er die phänomenologische Natur dieser Begegnung weiter ausführt, etabliert Buber eine Analogie zum zeitlichen Verlauf der Rede, des Austausches zwischen Mensch und Mensch und Mensch und Gott, der an die konkrete Zeit gebunden ist. Aber im Unterschied zur Rede muss dieser Austausch nicht notwendigerweise verbal sein. Wie im Sprechakt variiert der Inhalt dieses Dialogs in Übereinstimmung mit der jeweiligen Situation und kann daher nicht durch zeitlose Gesetze und Lehren bestimmt werden. In Ich und Du (1923) 34 , das aus den Vorlesungen über »Religion als Gegenwart« entwickelt wurde, assoziiert Buber Gesetze und Lehrmeinungen mit Subjekt-Objekt (Ich-Es)-Beziehungen im Gegensatz zu den 30. Martin Buber, Die Brennpunkte der jüdischen Seele, Der Morgen VIII/5 (1932), S. 375-384, hier S. 375 f.; jetzt in: MBW 9, S. 128-137, hier S. 128. 31. Ebd., S. 376; jetzt in: MBW 9, S. 129. 32. Ebd., S. 376 f.; jetzt in: MBW 9, S. 129. 33. Jetzt in: MBW 12, S. 87-160. 34. Martin Buber, Ich und Du, Leipzig: Insel-Verlag 1923; jetzt in: MBW 4.

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dialogischen Subjekt-Subjekt (Ich-Du)-Beziehungen. Wahres religiöses Leben entfaltet sich nur im Leben der Ich-Du Begegnungen. Es ist kennzeichnend, dass »Religion als Gegenwart« nicht spezifisch jüdisch ist. In der Tat diente Ich und Du dazu, den »Dialog« als ein Erklärungsmodell einer generellen Theorie der Religion einzuführen. In seinen nachfolgenden Schriften stellte Buber das Judentum – wie es insbesondere in der Hebräischen Bibel und im Chassidismus gegenwärtig sei – als Beispiel für sein Verständnis des religiösen Glaubens als im Wesentlichen eines Lebens im Dialog dar. Wie in seiner früheren Darstellung der jüdischen Religiosität versteht Buber den Dialog als religiösen Akt, nicht als Genugtuung einer persönlichen Spiritualität oder einer Suche nach ästhetischer Erbauung. Vielmehr ist der Dialog das Fundament einer genuinen Gemeinschaft: Man dient eben Gott nicht mit dem Geist, sondern mit der ganzen Wesenswirklichkeit ohne Abstrich. Es gibt nicht ein Reich des Geistes und ein Reich der Natur, es gibt nur ein werdendes Reich Gottes, und Gott ist nicht Geist, sondern was wir Geist nennen und was wir Natur nennen stammt gleicherweise von dem beiden in gleicher Unbedingtheit überlegenen Gott, dessen Reich in der vollkommenen Einheit von Geist und Natur seine Fülle gewinnt. 35

Dem entsprechend sprach Buber nun nicht mehr von »jüdischer Erneuerung« sondern von »biblischem Humanismus«. Indem er auf das ursprüngliche Phänomen von Gottes Ansprache an den Menschen zurückgeht, »empfängt« der biblische Humanismus die Sprache als G e s c h e h e n , als das Geschehen in der Gegenseitigkeit; so muß er denn auf ein Geschehen, und zwar auf ein Geschehen in der Gegenseitigkeit abzielen. Er meint nicht die in sich geschlossene Person, sondern die offene; nicht die Gestalt, sondern die Beziehung; nicht die Bewältigung des Geheimnisses, sondern die Unmittelbarkeit zu ihm; nicht den Denker und Meister des Worts, sondern seinen Hörer und Vollstrecker, seinen Beter und Künder. Und er meint nicht den vollkommenen Bau der Polis, nicht das freie und beherrschte Zusammenspiel der Glieder eines Staatsleibes, sondern die »Eda« [hebr.: eine Gemeinde oder ein Zeuge], die gegenwärtige Gemeinschaft all dieses Volks untereinander, zwischen Mensch und Mensch die echte Unmittelbarkeit der »Gerechtigkeit« und der »Liebe«, der »Holdschaft« und der »Treue«, – diese Eda aber als ›Eda Gottes‹, denn sich als Gemeinschaft erfüllend leistet das Volk dem Anspruch seines Herrn die rechtmäßige Antwort, es erfüllt das Wort. Personhaft und volkhaft erfüllt sich das Wort nicht im Gebild, sondern in der Bewährung. 36

35. Buber, Die Brennpunkte der jüdischen Seele, S. 380; jetzt in: MBW 9, S. 132 f. 36. Ders., Biblischer Humanismus, Der Morgen IX/4 (1933), S. 241-245, hier S. 245; jetzt in: MBW 13.

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Bewährung ist ein übergeordneter Begriff in Bubers Philosophie der Religion und des Dialogs: die Beziehung des Menschen zu Gott wird nicht in »festen Formen« realisiert oder auch in dem Bekenntnis einer Lehre oder eines Dogmas, sondern nur in konkreten Situationen, die im Fluss des Lebens Akzente setzen. Biblischer Humanismus »erhebt« das Individuum nicht über »die Problematik des Augenblicks […]; er will zum Standhalten in ihr, zur Bewährung in ihr erziehen.« 37 Buber wendet sich an die deutschen Juden, neun Monate nachdem Hitler zur Macht gekommen war, und ruft seine jüdischen Weggefährten auf: »Halte Stand, höre im Donner das Wort, gehorche, erwidre! Diese furchtbare Welt ist die Welt Gottes. Sie fordert dich an. Bewähre dich als Gottes Mensch in ihr!« 38 Dementsprechend war Buber ganz und gar gegen die Tendenz jüdischer Denker, in der Nachfolge zeitgenössischer philosophischer Schulen das Judentum als abstrakte rationale Lehre zu formulieren. Er war der Meinung, dass die »Urheber solcher Theorien übersehen, dass die religiöse Wahrheit keine begriffliche, sondern eine vitale ist, das heißt dass sie in der Sprachform nur angedeutet, dagegen erst im Leben des religiösen bewährenden Menschen, im Leben der religiösen bewährenden Menschengemeinschaft zulänglich kundgetan wird«. 39 In dieser Hinsicht war der neukantianische Philosoph und hervorragende Vertreter eines liberalen Judentums, Hermann Cohen (1842-1918) in erster Linie Bubers »Schwarzes Schaf« und deshalb der Gegenstand einer Anzahl kritischer Essays. 40 Nach seiner Emigration und Übersiedlung in das Mandatsgebiet Palästina im März 1938 verlagerte sich der Brennpunkt des biblischen Humanismus mehr und mehr auf die konfliktreiche Wirklichkeit des zionistischen Projekts, insbesondere in Hinsicht auf die schwierigen Beziehungen mit der arabischen Bevölkerung im Land. 1941 schrieb er einen Essay mit dem Titel »Hebräischer Humanismus«. Mit deutlicher Anspielung auf seinen früheren Essay »Biblischer Humanismus« beklagt er das »Versagen« des Zionismus, »in seiner herrschenden Form«: zu erkennen, dass die nationale Wandlung des jüdischen Volkes durch nichts anderes als den »ursprünglichen Geist Israels« vollendet werden könne.

37. 38. 39. 40.

Ebd. Ebd. Buber, Cheruth, S. 18; jetzt in: MBW 8, S. 117 f. Vgl. »Philon und Cohen«, Jüdische Rundschau, 33. Jg., vom 17.8.1928, S. 463 und das Kapitel von Gottesfinsternis »Die Liebe zu Gott und die Gottesidee«; jetzt in: MBW 12, S. 192-193 u. 389-397.

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Keine andere geistige Macht könne dies vollbringen als der »Urgeist Israels.« 41 Dieser Geist sei in der Hebräischen Bibel überliefert und dessen Stimme könne daher immer noch gehört werden. Aber wenn wir diese Stimme nur verstehen als etwas, das »uns über unsere literarischen Großtaten, über unsere herrliche Geschichte, über unser stolzes Volkstum zu belehren« vermag, »bringen wir sie zum Schweigen«. 42 Das ist es nicht, was die Stimme der Bibel uns zu sagen hat. Was sie uns zu sagen hat und was an keiner anderen Stelle der Welt mit solch einer schlichten Gewalt zu erfahren ist, das ist: daß es Wahrheit und Lüge gibt, und daß Sinn und Bestand menschlichen Seins darin liegen, sich für die Wahrheit und gegen die Lüge zu entscheiden; daß es Recht und Unrecht gibt, und daß das Heil des Menschen daran hängt, daß er das Rechte erwähle und das Unrechte verwerfe. 43

Die biblische Lehre auf die Privatsphäre zu begrenzen und zu erlauben, dass das öffentliche Leben von Realpolitik bestimmt wird, werde am Ende das Versprechen des Zionismus vernichten, die geistige Wiederherstellung des jüdischen Volkes zu vollbringen. Deshalb betont Buber, dass er »den hebräischen Humanismus dem Nationalismus einer leeren Selbstbehauptung entgegenstelle«. 44 Buber gebraucht das Adjektiv »hebräisch« um das Missverständnis zu vermeiden, dass er, wenn er von Humanismus spricht, »irgendeine vage, allgemeine Menschlichkeit« befürworte. 45 Vielmehr bezeichnet »Hebräischer Humanismus« die religiöse Berufung des jüdischen Volkes. »Israel ist ein Volk wie kein anderes, denn es ist das einzige Volk in der Welt, das von seinem Anbeginn zugleich Nation und Glaubensgemeinschaft ist.« 46 Wenn es sich daher für einen »hebräischen Humanismus« ausspricht, wird es seiner ursprünglichen Berufung, ein Volk Gottes zu sein, gerecht und dadurch finden, dass es »der Menschheit etwas zu sagen und zu bringen« habe. Wie dieser Band der Martin Buber Werkausgabe bezeugt, hat Buber der universalen Botschaft des Judentums in seinen verzweigten Ausprägungen der jüdischen Renaissance, des Zionismus, der Hebräischen Bibel und des Chassidismus Sprache verliehen. Mit Bezug auf Letzteren hat er festgehalten:

41. Martin Buber, Hebräischer Humanismus, in: Neue Wege, 35. Jg. (1941), Heft 14, S. 1-11, hier S. 5; jetzt in diesem Band, S. 151. 42. Ebd., S. 5; in diesem Band S. 152. 43. Ebd. 44. Ebd., S. 7; in diesem Band, S. 153. 45. Ebd., S. 2; in diesem Band, S. 148. 46. Ebd., S. 7; in diesem Band, S. 153.

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Es ist mir mehrfach nahegelegt worden, diese Lehre von ihrer, wie man gern sagt, »konfessionellen Beschränktheit« zu befreien und als eine ungebundene Menschheitslehre zu verkündigen. Das Einschlagen eines solchen »allgemeinen« Wegs wäre für mich die pure Willkür gewesen. Um das Vernommene in die Welt zu sprechen, bin ich nicht gehalten, auf die Straße zu treten, ich darf in der Tür meines angestammten Hauses stehenbleiben; auch das hier gesprochene Wort geht nicht verloren. 47

47. Buber, Der Chassidismus und der abendländische Mensch, S. 943; jetzt in: MBW 17, S. 314.

Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum] 1

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Die Reden, die in diesem Band gesammelt sind – die sieben Reden über das Judentum 2 und die Rede über Jugend und Religion 3 – haben einen wesentlichen Gehalt gemeinsam, um dessentwillen sie, wenn ich selbst auch es erst allmählich erfuhr, gesprochen worden sind. Sie handeln im Grunde alle vom Judentum als einem Phänomen der religiösen Wirklichkeit. Um dies recht klarzumachen, sind sie hier vereinigt worden; denn mancher ungenaue, ja uneigentliche Ausdruck der frühen Reden klärt sich durch die späteren, meinem eignen Weg zur Klarheit gemäß. Da ich aber die entscheidende Klarheit erst erlangte, nachdem (kurze Zeit nachdem) die letzte dieser Reden gesprochen war, obliegt es mir, ihnen eine Erläuterung vorauszuschicken, geeignet, alles bisher durch das Ungenaue und Uneigentliche begünstigte Mißverstehen aufzulösen, soweit mein Wort dies vermag. Eine Erläuterung meine ich damit zu geben und nicht eine Berichtigung: da ich das, was mir widerfahren ist, nur als eine Klärung und nicht als eine Bekehrung bezeichnen darf. Eine Erläuterung aber auch und nicht eine Auslegung: denn zu der Klärung gehörte, daß sich mir eben meine Rede selber klärte und ich verstand, was ich zu sagen gehabt hatte und was meinem unzulänglichen Sagen sich doch als Zulänglichkeit eingetan hat. Die Reden handeln vom Judentum als einem Phänomen der religiösen Wirklichkeit. Das bedeutet, daß es eine religiöse Wirklichkeit gibt, die sich im Judentum und durch es kundgetan hat und um derentwillen, aus deren Kraft und in deren Sinn das Judentum besteht. Es ist also nicht zu fragen, was hier unter Judentum verstanden sei, Kultur oder Lehre, geschichtliches oder seelisches Wesen; denn diese und andere Teilbegriffe mögen in ihm umfaßt sein; aber eben nur aus der religiösen Wirklichkeit, die sich in ihm kundtut, kann es bestimmt werden, und jede Definition, die nicht sie einbezöge, verfehlte das Gemeinte. Eins freilich ergibt sich daraus: daß unter Judentum nicht eine Abstraktion verstanden sein kann. 1. 2.

3.

Zur Gesamtausgabe der Reden über das Judentum, die demnächst bei Rütten & Loening in Frankfurt a. M. erscheint. Die ersten drei, von 1909-1911, veröffentlicht 1911 unter dem Titel »Drei Reden über das Judentum«; die zweiten drei, von 1912-1914, veröffentlicht 1915 in dem Buch »Vom Geist des Judentums«; die siebente, »Der heilige Weg«, vom Mai 1918, veröffentlicht 1918. Von 1918, unter dem Titel »Cheruth« veröffentlicht 1919.

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Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum]

Ein Phänomen der religiösen Wirklichkeit – genügte es nicht zu sagen: ein religiöses Phänomen? Das wäre wieder ungenau. Denn mit »religiös« wird heutzutage wesentlich etwas bezeichnet, was sich in der »Innerlichkeit« begibt, sowie dessen Äußerungen, insofern sie eben auf die Innerlichkeit zurückwirken. Ich aber meine etwas, was sich zwischen dem Menschen und Gott, in der Wirklichkeit des Verhältnisses, der Wirklichkeit der Wechselwirkung von Gott und Mensch begibt. Damit aber ist schon gesagt, daß ich mit »Gott« weder eine metaphysische Idee, noch ein sittliches Ideal, noch eine »Projektion« eines psychischen oder sozialen Gebildes, noch irgend etwas vom Menschen »Erschaffenes« oder im Menschen »Gewordenes«, sondern Gott meine. Den freilich der Mensch nicht anders als in Ideen und Gestalten »hat«; aber diese Ideen und Gestalten sind nicht ein Werk »freier Schöpfung«, sondern die Erzeugnisse gott-menschlicher Begegnungen, die jeweiligen Fassungen eines dem Menschen Widerfahrenden, die Fingerspuren des Geheimnisses. »Nicht Gott ist es, der sich wandelt, die Theophanie wandelt sich«, heißt es in der letzten dieser Reden. Theophanie aber ist kein Dort; sie geschieht am Menschen, und er hat seinen Anteil an ihr wie Gott den seinen. Gestalten und Ideen gehen aus ihr hervor; was aber in ihr sich offenbart, ist nicht Gestalt noch Idee, sondern Gott. Die religiöse Wirklichkeit heißt so, weil sie das ungeschmälerte Verhältnis zu Gott selber ist. Der Mensch hat Gott selber nicht; aber er begegnet ihm selber. Unser Geschlecht ist geneigt, in der Religion eine eigentümliche Form der menschlichen Produktivität zu sehen, die eben zu einer regelrechten Kulturepoche mit gehört, ohne die das Geistesleben eben unvollständig wäre, und die im übrigen von ihrer Zeit »morphologisch« bestimmt ist; Gott als »Objekt« der Religion wird demgemäß als das Produkt einer halbkünstlerischen Weltdeutung betrachtet, eine Fiktion, die man sowohl ihres ästhetischen Wertes als ihrer mannigfaltigen wohltätigen Wirkungen wegen – Stärkung des Lebensmuts, Befestigung der Moral, Beglaubigung des Geistes – als erhaltenswert billigen darf. Aber das, woraus alle Religion lebt, die religiöse Wirklichkeit, geht der Morphologie ihres Zeitalters voraus und übt die entscheidende Wirkung auf sie; sie dauert im Kern der von der Kultur und ihren Phasen morphologisch bestimmten Religion fort, so daß diese in doppeltem Einfluß steht, einem kulturhaft begrenzenden von außen und einem ursprunghaft entgrenzenden von innen; sie wirkt von dem Augenblick an, wo sie sich einer Religion einverleibt hat, wohl nicht mehr direkt, aber eben durch diese auf alle Bereiche des Lebens; – die Theophanie zeugt die Geschichte. Gäbe es aber die religiöse Wirklichkeit nicht, gäbe es Gott nur in einer Fiktion, so wäre es eine Anstandspflicht des Menschentums, sie zu vernich-

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Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum]

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ten; denn ich kann mir nichts Schaleres und Unanständigeres denken als das sanktionierte Fingieren Gottes; und einer, der programmatisch so verfährt, »als ob es einen Gott gäbe«, verdiente (im Gegensatz zum rechtschaffenen Gottesleugner), daß Gott so verführe, als ob es ihn, den Fingierer, nicht gäbe. Ungenau ist somit das Wort der fünften Rede, ob Gott »transzendent« oder »immanent« sei, sei nicht eine Sache Gottes, sondern eine Sache des Menschen. Es ist, in der Wirklichkeit der Geschichte betrachtet, die Sache der Theophanie, an der Gott und Mensch Anteil haben. Es ist, in der Wirklichkeit des persönlichen Lebens betrachtet, die Sache des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, das, wenn es wirklich ist, Wechselwirkung ist. Ein Beispiel, das für beide, geschichtliche und persönliche Wirklichkeit gilt: Der Leidende will nicht von Gott getröstet werden, er will ihn in der Leidenssubstanz selber kosten; er »will«, sage ich, aber daß er es wollte, erfährt er erst in der Erfüllung: da ihm Gott nicht von drüben zuspricht, sondern sich von hüben, als der »Funke« in der »Schale«, als die Ruach im Tohu, als das ewige Leben im zeitlichen Vergehen ihm zuteilt. Die Theophanie, die das befreite Volk zur Landnahme rüstet, geschieht in niederfahrender Gewalt, und das irdische Ereignis, Blitz und Bergesfeuer, erscheint im Zeichen der Bewegung von »oben« nach »unten«, in der Transzendenz des Worts. Aber es gibt eine Theophanie des Exils, des Nimmerverworfenseins in der Schmach und Erniedrung; nicht aus der Wolke zuckt da die Offenbarung herab, aus den niedern Dingen selber, im Verströmen der Alltage flüstert sie uns an, ganz nah, ganz hüben ist sie lebendig, mitverbannt, mitharrend wohnt die Schechina bei uns, unser Leiden heilt und heiligt sich an der Immanenz des Worts. Das ist die Geschichte Israels, wie es die Geschichte der menschlichen Person ist, aber es ist wohl die Geschichte der Welt, das von ihr, was wir bisher zu lesen und zu schreiben bekommen haben. Uneigentlich ist somit ferner der Satz der zweiten Rede, »dieser Gott« sei aus dem Streben nach Einheit hervorgegangen. Hervorgehen kann nicht »Gott«, nur Gottgestalt, »Gottesidee«, und auch sie nie aus dem Menschlichen, nur aus dem Aneinanderrühren von Göttlichem und Menschlichem, aus der Begegnung. Wohl gibt es nie eine rechtmäßige »Konzeption«, eine Empfängnis also, ein Gestaltwerden Gottes ohne die äußerste mitbildende Teilnahme der Beschaffenheit einer Menschenperson, einer Volksperson, ohne deren besondere, in letzter, passionhafter Aktion ausbrechende Bereitschaft, aber was da am Werk ist, das ist eben nicht etwas in sich Kreisendes, eine mythenauswerfende Phantasie, ein Hinausstellen reifer Gebilde aus der Seelenwerkstatt in die zeiträumliche Unendlichkeit, es ist das redliche Auf-Gott-zu, der rückhaltlose Hin-

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schwung, die Entgegenkunft des Menschen. Mythos, wo er dies wirklich, also andres und Größeres als Fabel ist, ist Bericht, den nicht der Mensch sich, der vielmehr dem Menschen sich einbildet, freilich eben dieser vom glühenden Farben- und Formtrieb durchwirbelten Wesenheit Mensch; Gottesbilder entstehen nicht im Gehirn, sondern im Auge, in des vollständigen Menschenwesens Augenkraft, die durch ein welthaftes Gesicht, etwa das irdische von Blitz und Bergesfeuer, von einem göttlichen Strahl getroffen wird – nicht also in einem einsamen Seelenkern, sondern an der aufgetanen Wesensfläche, die freilich auf menschliche Art spiegelt, aber das, was anderes ist als der Mensch. Das Geheimnis überläßt uns nur dann uns selber, wenn wir ohne persönliche Wesenshandlung uns mit ihm als mit dem »unauflösbaren Rest in der Erscheinung« oder mit der »innersten Subjekthaftigkeit des Denksubjekts« oder dergleichen zu befassen unterfangen: – wenn wir ihm entgegengehen, ihm gegenübertreten, es ansprechen, hat es uns das gleiche getan, und das entgegenkommende Geheimnis heißt unser Heil. Ich meine also keineswegs, wie mir kürzlich in einer publizistischen Fehde zwischen zwei Gruppen der deutschjüdischen Jugendbewegung zugeschrieben wurde, daß Gott »später« sei als das religiöse Erlebnis des Individuums oder des Volkes. Das »Erlebnis« geht mich nur noch insofern an, als es Ereignis ist, mit anderm Wort: als es mit dem wirklichen Gott zu tun hat. Die Gott-Verseelungen, die mit »Vergottungs«-Gefühlen ausgestatteten Seelenüberschwänge des aus der vollständigen Wirklichkeit losgeschnittenen Selbstmenschen sind mir nur noch perspektivisch merkwürdig, wie ein Seiltanz zwischen zwei Klippen; was sich am R a n d e begibt, in der Sphäre, deren Reiz und Zauber darin besteht, das schwindlige Nichts zu meistern, ist immer merkwürdig und niemals wichtig; und letztlich ahne ich in dieser wunderlichen ereignislosen Erlebnishaftigkeit eine mehr als psychische, eine kosmische Perversion. Im Grunde kommt es ja überhaupt nicht auf das »Erleben«, also auf die abgelöste Subjektivität, sondern auf das Leben an; nicht auf das religiöse Erleben, das eine Abteilung der Psychik betrifft, sondern auf das religiöse Leben, das heißt auf das v o l l s t ä n d i g e Leben des Menschen, des Volkes, im wirklichen Umgang mit Gott und der Welt. Die »Verabsolutierung« des Menschlichen bedeutet dessen Herausreißen aus dem vollständigen Leben, aus der Wirklichkeit; und habe ich je – soviel ich weiß, unwissentlich – zu ihrer Förderung beigetragen, so obliegt es mir nun, um so nachdrücklicher auf die Dimensionen der Wirklichkeit hinzuweisen. Es ist daher noch zum dritten der Begriff klarzustellen, der zwar letztlich nicht uneigentlich oder ungenau ist, aber an einigen Stellen dieser

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Reden ins Ungenaue oder Uneigentliche geraten ist – der Begriff der »Verwirklichung Gottes«. Dieser Ausdruck, den ich in einem fundamentalen, noch klarzulegenden Sinn verantworten darf, wird uneigentlich, wenn, wie in der ersten Rede, davon gesprochen wird, Gott aus einer Wahrheit zu einer Wirklichkeit zu machen; denn so kann er zu der schillernden Meinung verführen, Gott sei eine »Idee«, die erst durch den Menschen »Realität« werde, und weiter zu der hoffnungslos verkehrten, Gott sei nicht, sondern werde – im Menschen oder in der Menschheit. Hoffnungslos verkehrt nenne ich eine solche, heute in allerlei Varianten auftretende Meinung, nicht als ob mir ein göttliches Werden in der Immanenz nicht gewiß wäre, sondern weil wir nur aus der Urgewißheit des göttlichen Seins den Geheimnis-Sinn göttlichen Werdens, das Sichzuteilen Gottes an die Schöpfung und seine Teilnahme an dem Schicksal ihrer Freiheit, zu berühren vermögen, ohne jene Urgewißheit aber nur ein verblasener Mißbrauch des Gottesnamens walten kann. Berechtigt dagegen erscheint das Wort von der Verwirklichung zunächst, wenn und solange wir unter Wirklichkeit einen »Beziehungsbegriff des Denkens auf die Empfindung« verstehen, mit Cohen, der denn auch (in seinem letzten und bedeutendsten Werk, der »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«) folgert, Gott könne keine Wirklichkeit haben. Denn dann ist es die Berufung unsres Menschseins, die Entzweiung von Sein und Wirklichkeit zu überwinden, das Göttliche in der empfindbaren Welt aufkeimen, wachsen, reifen zu lassen. Wie könnten wir dulden, daß der Erdboden, in den wir versenkt sind, dem Leben Gottes verschlossen bleibe? Aber müßten wir es nicht dulden, wenn Sein und Wirklichkeit unbedingt getrennt wären? Gäbe es dann für uns etwas zu tun als zu warten, bis Gott eine neue, eine einige Seinswirklichkeit schafft? Wären wir dann nicht berufen und gelähmt zugleich? Wir merken, daß so das Losungswort unsrer Berufung nicht richtig ausgesprochen wird. Und in der Tat, wir dürfen bei dem Begriff einer relativen, gottfernen Wirklichkeit nicht stehenbleiben. Wir dürfen es nicht, weil dieser Begriff nicht von der Gott-Welt-Fülle herkommt, in der wir leben, uns regen und sind, sondern von einer Einschränkung unsres Lebensverhaltens; er geht von einer Scheidung zwischen dem »denkenden« und dem »empfindenen« Verhalten des »Subjekts« aus und macht aus dieser psychologisch relativen Zweiheit von Funktionen eine absolute Zweiheit von Sphären, so absolut, daß die eine von ihnen dem Anhauch Gottes wesensnotwendig entzogen bleibt. Gehen wir nicht von der künstlichen Enge des »Subjekts« aus, sondern fassen wir uns in der wirklichen Gott-Welt-Fülle, in der wir leben, dann

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erkennen wir, daß »Gott verwirklichen« bedeutet: Gott die Welt zu einem Ort seiner Wirklichkeit bereiten; der Welt beistehen, daß sie gottwirklich werde; mit anderm, heiligem Wort: die Wirklichkeit einen. In diesem unsern Dienst am Werden des Reichs erscheint die Entgegenkunft des Menschen zu welthaftem Wirken erhöht. Vermögen wir so viel? Wir vermögen unsern Anteil an dem einen, um dessentwillen wir auf Erden sind; dem einen, das Gott ohne uns nicht vermögen will. Alle Menschen kennen irgendwie, noch so dumpf, diese Berufung unsres Menschseins. Aber einst erfuhr ein Volk sie, als Volk, an ihr zum Volk werdend, bewahrte seine Kenntnis unverbrüchlich, allem Makel, aller Schwäche, allem Versagen zum Trotz. Alle Menschen wissen irgendwann, noch so flüchtig, um die Begegnung. Aber eine Menschenart weiß darum in der Dauer – nicht in den Gnaden allein, in allen Stürzen, und bis in jeden Augenblick des Zerfallens, mit der Wesensgewißheit des lebendigen Gewissens. Alle Menschen kommen Gott irgendwo, in irgendeiner Einsamkeit ihres Schmerzes oder ihres Gedankens, nah; es gibt keinen unverwundbaren Heiden. Aber der Jude wagt es, weltverhaftet, welteingebannt zu Gott in der Unmittelbarkeit des Ich und Du zu stehn – eben als Jude. Das ist die Urwirklichkeit des Judentums. Diese Schar hat einst als erste, wie vor ihr nur der Einzelne, dem Sprechenden geantwortet. Sie wird nach all ihrem Versagen, inmitten ihres Versagens nicht ablassen, sich neu für die Zukunft seines Wortes zu bereiten.

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Der wahre Lehrer Zum Gedächtnis A. D. Gordons.

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Unter denen, die uns etwas zu lehren haben, stehen die meisten gleichsam mit erhobenem Zeigefinger da, als versicherten sie uns: »Was ich euch jetzt sagen werde, das habt ihr bisher noch nicht gewußt!« Man bekommt geradezu den Eindruck, die Wahrheit, die sie verkünden, sei noch nicht dagewesen, ehe sie sie gedacht haben. Dieser Eindruck macht es mir schwer, ihnen ihre Lehre, und sei sie noch so weise, zu glauben. Aber es gibt andere, die lächeln uns an: »Wie, das wißt ihr noch nicht? Ach, ihr wißt es wohl, ihr habt es nur vergessen – laßt euch daran erinnern, was ihr wißt!« Sie behandeln die Wahrheit nicht als etwas Neuentdecktes, sondern als das Ewige und Selbstverständliche, was man nur, eben weil es ewig und selbstverständlich ist, gar zu leicht vergißt. Ja mehr noch: sie tragen ihre Lehre nicht einmal richtig vor, sie reden beiläufig von ihr, als sei nichts Besondres dran – nun eben wie man von dem Selbstverständlichen redet, auch wenn es das Ewige ist. Und nur zuweilen reden sie von ihr mit Worten: zumeist redet nur die Art, wie ihr Spaten die Scholle zerschlägt, wie ihr Auge an den Sternen ruht, all ihr unwillkürliches Leben redet von der Lehre. Ich muß ihnen glauben, ihrem Schweigen mehr noch als ihrem Wort, – weil ich ihnen vertrauen muß. Die ewige Wahrheit erweist ihre Selbstverständlichkeit an ihnen.

Im Anfang Die ersten Worte der Schrift »Im Anfang schuf Gott« haben unsere Weisen so gedeutet: »Um des Anfangs willen – um der Thora willen, die Anfang genannt ist, um Israels willen, das Anfang genannt ist.« Eins der weisesten chassidischen Bücher, der »Raw Jewi«, aber führt die Deutung aus: »Gott verlangt vom Menschen nur das Anfangen: dass er anfange das Rechte zu tun, und Gott wird ihm helfen es zu vollenden, denn ohne Hilfe von Gott kann man ja nichts zu Ende führen. Wenn aber Gott ihm hilft, womit dient er Gott? er hat ja selber nichts getan! Damit verhält es sich so: Das Wesen des Dienstes ist eben das Anfangen, da gehört die Tat dem Menschen; dann aber ist sie nicht mehr sein, denn vom Himmel wird ihm beigestanden. Das ist der Sinn des Wortes »Im Anfang«: um des Anfangens in allem Rechttun willen hat Gott die Welt erschaffen.« Wie tief werden wir durch diese Lehre belehrt! Es gibt also etwas, was uns in Wahrheit zugewiesen ist, was wir und nur wir selber zu tun vermögen, was niemand, auch Gott nicht, uns abnehmen kann. Dieses eine zu tun – und immer wieder zu tun – sind wir da, das ist mit uns gemeint, das ist unser und aller Schöpfung Sinn. Es kommt also nicht darauf an, ein »Ideal« zu verkünden und seine Erfüllung zu fordern, zu verfechten und abzuwarten, sondern darauf, an jedem Morgen mit der Verwirklichung des Rechten neu zu beginnen, ohne zu wissen, wie weit man heute kommt, wissend, dass es am nächsten Tag erneuten Anfang gilt, – und dass in diesem All-Tag verborgen unser Vollenden und unsere Vollendung ruht. Wird Zion Gottes Werk oder der Menschen Werk sein? Es kann nur Gottes Werk sein; und es kann sein Werk nur sein, wenn es der Menschen Werk ist.

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In Platons »Theaitetos« 1 erklärt Sokrates, das Übel könne nie aus unsrer Welt schwinden. Es sei als der Gegensatz zum Guten vonnöten, habe aber in der Welt der Götter keinen Platz und müsse daher in der der Menschen hausen. Darum eben sollten wir eilen, von hier dorthin zu entfliehn. Der Weg dieser Flucht aber sei, Gott so ähnlich zu werden als wir vermögen; und dies bedeute, durch Wissen gerecht und fromm zu werden. Man hat, wohl mit Recht, diese Lehre auf die pythagoreische Schule zurückgeführt, der das Wort »Folge dem Gott nach« zugeschrieben wird 2 und von deren Stifter es heißt 3 , sein und der Seinen ganzes Leben sei auf dieses eine gerichtet gewesen; auch den Begriff der Nachfolge gebraucht Platon ja wiederholt, so wenn er, im »Phaidros« 4 , sagt, die Seele allein, die am besten dem Gott nachwandle und sich ihm angleiche, schaue das wahre Sein. Was hier mit der Nachfolge Gottes, dem »Gleichniswerden« gemeint ist, verstehen wir erst ganz, wenn wir uns die pythagoreische, von Platon ausgebildete Konzeption der Seelenwanderung vergegenwärtigen. Die Seele ist ein gefallenes götterartiges Wesen, das zur Strafe für seine Schuld in die Grabkammer des Leibes geschlossen worden ist und durch die Leiber von Tieren und von Menschen wandern muß; reinigt sie sich auf diesem Weg und gewinnt Gottähnlichkeit wieder, dann löst sie sich vom Zwang des Wiedereintritts in das körperhafte Leben und geht von neuem in die Götterwelt ein. Gott also ist das Vorbild der sich zur Heimkehr läuternden Seele. Gott – was ist dies aber für ein Gott? Wenn diese Philosophen, von Pythagoras bis auf Platon, »Gott«, »der Gott« sagen, was meinen sie damit? wen meinen sie? Um ihm nachzuahmen, muß man ihn kennen – wer ist er? »Zeus, der große Führer im Himmel«, sagt Platon in dem angeführten Phaidros-Abschnitt; aber wer ist Zeus? Worauf wir uns, wenn wir uns so befragt haben, zuerst besinnen, ist das Phidias-Bild des Thronenden aus Gold und Elfenbein, den Öllaubkranz auf dem Haupt, die Siegesgöttin in der Rechten, in der Linken das 1. 2. 3. 4.

176 B-D. Stobaeus Eclogae ed. Wachsmuth II. 249, 8. Jamblichus Vita Pythagorae 137. 248 A.

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aus allen Metallen getriebene Szepter mit dem Adler, Tiergestalten und Blüten auf dem Gewand; das Bild, das, wie Pausanias 1 erzählt, der Gott selbst, auf des Bildners Gebet, durch einen Donnerschlag bestätigte. Woher aber nahm Phidias die Gestalt? Die Überlieferung 2 läßt ihn auf die Frage nach dem Modell antworten, er habe sich an das Modell gehalten, das jene berühmten Verse Homers 3 von dem mit den dunkeln Brauen winkenden Herrscher darstellen, dem die ambrosischen Locken vom unsterblichen Haupte wallen. Wenn man an all die Erzählungen derselben Ilias denkt, wo Zeus sich eher wie ein tobender urweltlicher Riese als wie der majestätische Olympier gebärdet 4 , fühlt man, wie sehr in dem Werk der klassischen Bildnerei die Macht der künstlerischen A u s l e s e waltet. Und von hier aus versteht man, daß Zeus das sich durch Ausscheidung alles Unzulänglichen vollendende Wunschgebild der griechischen Sehnsucht nach der Vollkommenheit ist. Die Phantasie, die um die Gestaltung ringt, entreißt ihn seiner ursprünglichen – in Erscheinungen wie dem schlangenleibigen Zeus Ktesios fortlebenden – Dämonie, sondert alles Gestaltwidrige von ihm, bis das reine Gebild ganz sichtbar geworden ist. Zwar hat, schon ehe dies geschah, die Sehnsucht nach der Vollkommenheit, auch in der Gestalt keine Stillung findend, das erhabne Wort gesprochen (in den »Heliaden« des Äschylos) 5 , das die Gestalt auflöst: »Zeus ist Alles und was Allem überwaltet«; und von hier führt ja der unaufhaltsame Weg zur völligen Auflösung der Person, ja der Substanz selber in jenem Gebet, das Euripides der Troerkönigin in den Mund legt 6 : »Wer du auch seist, der Kenntnis schwer erfaßlich, Zeus, – Not des Werdens oder Menschengeist, ich fleh zu dir!« Aber die Plastik, die treuste Werkmeisterin der griechischen Idee, trotzt deren Schicksal und macht, um die auflösende Aktion der Tragiker unbekümmert, die Gestalt endgültig sichtbar und damit nachahmbar. Nun erst kann aus der pythagoreischen »Nachfolge« die platonische Mimesis werden. So »unsinnlich« der Platonismus, zumal der spätere, seinen Gott meinen mag, er kann ihn von der Sinnlichkeit des Phidias, der die Gestalt vollendete, nicht losbinden; die Vorbildlichkeit des Gottes bleibt in seiner Bildlichkeit, seiner Wunschbildlichkeit begründet. Der Grieche kann nur nachahmen, was er gemacht hat.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

V II. Strabo VIII 353. Ilias 1, 527. z. B. 1, 580; 14, 276; 15, 18. Frg. 70. Troerinnen 884.

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II.

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»Werdet nun Nachahmer Gottes, als die lieben Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie der Christus euch geliebt hat«, heißt es in dem dem Apostel Paulus zugeschriebenen Brief an die Epheser. 1 Die Nachahmung Gottes ist für das Christentum identisch mit der Nachahmung seines Stifters, der ihm die Gottheit in einer Menschengestalt und in einem Menschenleben abbildlich darstellt; was das Johannesevangelium 2 den Stifter selbst in den Worten aussprechen läßt: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.« Diese Worte, mit dem wiederholten Anruf »Folge mir nach!« zusammengenommen, geben den Grundsinn jener Tendenz, die als imitatio Christi bezeichnet worden ist. Sie hebt in der Frühzeit des Christentums an, erreicht nach mehr als einem Jahrtausend ihre Höhe, den reifen literarischen Ausdruck freilich erst später (im 15. Jahrhundert), um seither nur noch in vereinzelten und vereinsamten Lebensläufen fortzuwirken. Für Anfang und Gipfelung der Tendenz möge je ein Beispiel genügen. Polykarp, Bischof von Smyrna in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts, ein Mann, der ohne bedeutende Gaben des Geistes, offenbar nur durch die Entschiedenheit und Zuverlässigkeit seines Wesens, so wichtig erschien, daß der große Ignatius ihm schrieb, die Zeit begehre nach ihm, um zu Gott zu gelangen, fordert in seinem Brief an die Philipper 3 diese auf, Nachahmer der Geduld, richtiger der Erduldungsbereitschaft Jesu zu werden. Die Kunde von dieser nachzuahmenden Eigenschaft und ihren Taten hat Polykarp nicht aus der schriftlichen Tradition allein übernommen, sondern er hat sie in seiner Jugend im Umgang mit Augenzeugen des Lebens seines Meisters empfangen. 4 Und diese Kunde setzt sich in ihm nicht bloß in die Forderung um, sie bestimmt sein eignes Leben und Sterben; von seinem Verhalten vor seinem Martyrium heißt es 5 , er sei, als er vom Pöbel ins Amphitheater »zu den Löwen« herbeigeheischt wurde, weder geflohen, noch habe er sich selbst ausgeliefert, sondern er habe sich auf ein Landgut begeben und da verweilt, »um verraten zu werden«, wie man es ihm von Jesus erzählt hatte. So hat denn seine Gemeinde ihn in einem Schreiben über seinen Tod 6 unter die »Zeugen und Nachahmer« gezählt. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

5, 1. 14, 9. 8, 2. Irenäus bei Eusebius, Kirchengeschichte V 20. Martyrium Polycarpi 1, 2. Eusebius IV 15.

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Die Tendenz der Nachahmung erfüllt sich in Franz von Assisi. »Die Nachfolge des armen Lebens Christi« ist die Losung seines Ordens; im Eingangsabschnitt der ersten Regel, die er für den Orden niederschrieb, bezeichnet er als dessen Absicht, den Fußspuren Jesu zu folgen. Seine eigene Person steht von der Bekehrung an im Vollzug dieser Absicht, bis zur äußersten Unmittelbarkeit des Mittuns und Miterleidens. Aber was in diesen mehr als tausend Jahren aus der Tendenz geworden ist, zeigt sich offenkundig in der Darstellung seines Lebens durch die Legende. Von der Abschilderung der Ähnlichkeit seiner Erscheinung mit der Jesu über all die großen und kleinen, oft auch ins Kleinliche durchgeführten »Entsprechungen«, bis zu den an die Stigmatisation, als an das Leibhaftwerden der Tendenz, anknüpfenden Wundergeschichten macht sie Franziskus zum signaculum similitudinis vitae Christi. 1 An die Stelle des ethisch-religiösen Antriebs zur Nachfolge ist hier eine Verwandlung, ein mystisches, ja im Einzelnen geradezu magisch anmutendes Angeglichenwerden getreten, an die Stelle des Christo conformiter vivere (Bonaventura um 1263) das Register der mirakulösen conformitates (Bartholomaeus de Pisis 1385, dessen Liber conformitatum Luther bekanntlich als »der Barfuser Münche Eulenspiegel und Alcoran« bevorwortet hat). Aller christlichen imitatio Kern aber ist doch eine E r i n n e r u n g: das Überliefertwerden eines Gedächtnisses durch die Generationen; daß die Überlieferung das Überlieferte »mythisiert«, tut ihrem Kerncharakter keinen Abbruch. Und zwar geht es um das Gedächtnis eines Lebenslaufs, des Ablaufs eines Menschenlebens. Diese Doppeltatsache – Lebenslauf und Erinnerung – hebt die christliche Nachahmung von aller griechischen völlig ab. Es ist dem Griechen (trotz Platons 2 unwilliger Bemerkung über die Kreter, die Zeus in bedenklichen Sitten »nachfolgten«) nicht beigefallen, das, was sein Mythus von seinem höchsten Gott erzählte, in die Vorbildhaftigkeit der Gestalt irgend einzubeziehen; ja, all das mußte abfallen, um die Gestalt zum Vorbild zu machen; aber es konnte auch abfallen, eben weil der Grieche mit Zeus nicht durch eine Erinnerung verbunden war. Für den Christen ist der menschliche Lebenslauf, der ihn als Christen begründet hat, maß- und mustergebend; er ahmt nicht ein Bild nach, sondern eine Lebensgeschichte. Eine große Frage tut sich von dieser Einsicht aus freilich erst recht auf: inwiefern kann diese Nachahmung eines Menschenlebens eine Nachahmung Gottes bedeuten? Darauf antwortet die Kirche mit dem Dogma 1. 2.

Ubertinus de Casali, Arbor vitae crucifixae (1312). Gesetze 636 D.

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der Menschwerdung. Aus den frühchristlichen Gemeinden antworten andere Stimmen. Die klarste wohl ist die des (oben angeführten) Ignatius von Antiochia. Er schreibt an die Philadelphier 1 : »Werdet Nachahmer Jesu Christi, wie er Nachahmer ward seines Vaters«. Das erinnert wunderlich an das Wort Pauli an die Korinther 2 : »Werdet meine Nachahmer, gleichwie ich Christi«. Die Nachahmung wird durch Zwischenglieder erleichtert, ermöglicht. Wir brauchen uns nur aus der Indirektheit in die Direktheit, aus der Nachahmung Jesu in seine Nachahmung unseres Vaters zu versetzen, und wir stehen auf jüdischem Boden.

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Die Nachahmung Gottes, nicht des Wunschgebilds, sondern des wirklichen Gottes, und nicht eines menschgestaltigen Mittlers, sondern Gottes selber, ist die zentrale Paradoxie des Judentums. Eine Paradoxie – denn wie vermöchte der Mensch den Unsichtbaren, Unfaßbaren, Gestaltlosen, nicht zu Gestaltenden nachzuahmen? Man kann doch nur nachahmen, wovon man eine Vorstellung – gleichviel, ob eine Phantasie- oder eine Erinnerungsvorstellung – hat; aber sowie man sich von Gott eine Vorstellung macht, ist es ja nicht mehr er, den man sich vorstellt, und eine Nachahmung, die sich darauf gründete, wäre keine. Worauf kann sich die Nachahmung Gottes gründen? Die Antwort der jüdischen Lehre, soweit wir sie aus ihrem agadischen Ausdruck erschließen dürfen, ist: Sie gründet sich darauf, daß wir bestimmt sind, ihm zu gleichen. Die Rede Mose (V. M. 1, 10): »Und so seid ihr heut wie die Sterne des Himmels an Menge«, deutet der Midrasch 3 , indem er das durch »Menge« übersetzte Wort ‫ רב‬in seinem Sinn als »Herr, Meister« auffaßt: »Heute seid ihr wie die Sterne, aber im kommenden Sein ist es euch bestimmt, eurem Herrn zu gleichen.« Und in noch stärkerer Sprache ergänzt der Midrasch 4 einen andern Satz desselben Buchs (4, 4): »Und ihr, die ihr dem Herrn, eurem Gott, anhanget, ihr lebt alle heute«, folgendermaßen: »In dieser Welt hangt Israel Gott an, aber im kommenden Sein werden sie sein und gleichen«. 1. 2. 3. 4.

7, 2. I 11, 1. Debarim Rabba zur Stelle. Pesikta Rabbati ed. Friedmann 46 b.

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Aber ist damit das Kommende vom Gegenwärtigen, die »Welt der Vollendung« von der des Mangels so getrennt, daß keine Brücke des Sinns mehr von hier hinüber zu führen scheint? Daß wir Gott gleichen sollen, ist uns schlechthin unbegreiflich; aber greifbar wirklich ist uns, daß wir ihm ungleich sind, wie eben solch ein »aus Staub der Erde« geknetetes Figürchen dem Schöpfer aller Dinge ungleich sein muß. Welches Tun des Menschen könnte den Abgrund zwischen jenem Gleichen und dieser Ungleichheit auch nur zu einem Teil füllen? Die Lehre bleibt jedoch nicht bei der Verheißung stehen. »Wisset«, heißt es im 100. Psalm, »der Herr ist unser Gott, er hat uns gemacht, ihm gehören wir zu.« 1 Dazu bemerkt 2 Rabbi Acha, ein Zeitgenosse Kaiser Julians, der wundersame Mann, der bei Hochzeiten die Braut auf seine Schulter setzte, um so den frommen Tanz mit ihr zu tanzen, und bei dessen Tod, wie es heißt, die Sterne am Tag gesehen wurden: »Er hat uns gemacht, und auf ihn zu vollenden wir unsere Seelen.« Wir vollenden unsre Seelen auf Gott zu. Jenes Gott-»Gleichen« ist also nicht etwas mit diesem unsrem irdischen Leben Unverbundenes, es ist dieses unsres Lebens Ziel, wenn eben unser Leben ein Vollenden unsrer Seelen auf Gott zu ist. Und, so dürfen wir wohl hinzufügen, die Vollendung einer Seele wird ihre Gottgleiche genannt, die ja kein Gleichsein bedeutet, sondern: daß diese Seele die i h r zugeteilte Ebenbildlichkeit verwirklicht hat. Wir vollenden unsre Seelen auf Gott zu, das heißt: jeder, der dies tut, vollendet s e i n e Ebenbildlichkeit, seine Jechida, seine »Einzige«, seine Einzigkeit a l s Gottes Ebenbild. »Denn im Bilde Gottes hat er den Menschen gemacht.« Darauf gründet sich die Nachahmung Gottes. Wir sind bestimmt, ihm zu »gleichen«, das heißt: das Bild, in dem wir erschaffen sind und das wir in uns tragen, aus uns zu vollenden, um – nicht mehr in diesem Leben – seine Vollendung zu erfahren. Das Judentum, das am stärksten den Wirklichkeitsernst der Erschaffung des Menschen durch Gott erfaßt hat, hat auch die Bedeutung der Ebenbildlichkeit für das Leben des Menschen am reinsten erkannt. Davon zeugt das von uns noch lange nicht in seiner ganzen Tiefe aufgenommene Wort Rabbi Akibas 3 : »Ein Liebling ist der Mensch: er ist im Bilde Gottes erschaffen worden; aber in einer besondern Liebe wurde ihm k u n d g e t a n , daß er im Bilde Gottes erschaffen worden ist.« Daß unsre

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Nach dem ‫ קרי‬ist nicht ‫ לא‬sondern ‫ לו‬zu lesen. Bereschith Rabba zu 49, 29. Sprüche der Väter III.

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Ebenbildlichkeit uns offenbart ist, gibt uns den Antrieb, sie zu entfalten, und so Gott nachzuahmen. Gott spricht: »Machen wir Menschen in unserem Bild nach unserem Gleichnis«; aber von der schaffenden Handlung selber heißt es: »So schuf Gott den Menschen in seinem Bilde«; nur dieses wird hier genannt, nicht auch das »Gleichnis«. Wie ist das zu verstehn? Darauf antwortet wieder eine agadische Deutung 1 : »Im Bild allein und nicht auch nach dem Gleichnis, weil das Gleichnis in der Hand des Menschen ist.« Das »Gleichnis« ist das Gleichwerden. Der Sündenfall des ersten Menschen bestand darin, daß er das ihm in seiner Erschaffung zugedachte Gleichnis anders erreichen wollte als durch die Vollendung des »Bildes«. »Der Grundsinn der Erschaffung des Menschen«, sagt ein chassidisches Buch 2 , »ist, daß er sich, so sehr er irgend vermag, seinem Schöpfer angleiche.« Das Buch führt sodann den schönen Spruch 3 R. Chiskijas, des Sohns Rabbi Chijas, an: »Heil den frommen Propheten, die das Gebild seinem Bildner und die Pflanzung ihrem Pflanzer vergleichen«, und erklärt ihn folgendermaßen: »Sie gleichen sich selber ihrem Schöpfer an, indem sie auf seine Einheit zu alle ihre Glieder einen und allen Anteil des Übels aus sich vertreiben, damit sie vollkommen werden mit dem Herrn ihrem Gott … Darum sprach Gott: Machen wir Menschen in unserem Bild nach unserem Gleichnis – aus Liebe schuf er den Menschen in seinem Bilde, damit er sich seinem Schöpfer anzugleichen vermöge.« Wieder erhebt sich vor uns die scheinbar überwundne Frage: Wie können wir Gott nachahmen? Wohl, sein Ebenbild ist in uns gelegt, in uns angelegt, und dadurch, daß es so ist, wird uns die Wirklichkeit des Ziels und die Möglichkeit des Wegs verbürgt. Aber welches ist der Weg? Haben wir unsern Blick auf unsre Seelen allein, auf ihre verborgene Ebenbildlichkeit, die zu entfalten uns geboten ist, zu richten? Oder haben wir ein Vorbild, auf das zu wir sie entfalten, sie vollenden dürfen? Ist Gott unser Vorbild? Und noch einmal: wie kann er, der Unvorstellbare, es sein? Und wieder antwortet uns einer der Meister des Talmuds, der Mischna diesmal, einer aus der Zeit nach Hadrians Tod, noch wundersamer als R. Acha: Abba Schaul, ein Riese an Wuchs, seinem Gewerbe nach Bäcker im Haus des Patriarchen, der Mizwa nach, deren Erfüllung vor allen andern er sich ergab, mit der Bestattung von Toten befaßt, aus welchem 1. 2. 3.

Jalkut Reubeni zu I M. 1, 27 im Namen des ‫ ספר החיים‬Vgl. zum Unterschied zwischen »Bild« und »Gleichnis« Midrasch Tanchuma zur Stelle (ed. Buber 15). ‫ באר מים חיים‬zu I M 1, 26 (Warschauer Ausgabe S. 39). Mid. Schochar tob zu Ps. 1, 1.

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Bezirk er die seltsamsten Beobachtungen zu erzählen wußte, ein Mann des Gebets, der das Psalmwort (10, 17) »Das Verlangen der Gebeugten vernimmst du, Herr, du befestigst ihr Herz, du lässest dein Ohr merken« offenbar aus persönlichster Erfahrung dahin erklärte, in der Befestigung des Herzens bekunde sich die Erhörung. Er nun pflegte 1 zum Gotteswort »Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin ich, der Herr, euer Gott« zu bemerken: »Dem königlichen Gefolge (eigentlich Familie, ‫ )פמילא‬geziemt es, den König nachzuahmen.« Aber tiefer in seine Anschauung der imitatio Dei führt uns ein andrer seiner Sprüche ein. Er geht von einem Vers des Lieds aus, das Mose und ganz Israel nach dem Gang durch das Meer sangen (II M. 15, 2): ‫ זה אלי ואנוהו‬der etwa durch: »Dieser ist mein Gott, ihn will ich preisen« wiederzugeben ist. Aber Abba Schaul faßt das umstrittene Wort ‫ ואנוהו‬anders 2 : Ich will ihm gleich werden, oder: ich will mich ihm angleichen. Worauf die Deutung beruht, erklärt Raschi 3 : Abba Schaul zerlegte das Wort ‫ ואנוהו‬in die Elemente ‫ אני והוא‬4 , er deutete es somit als: »Ich und er« und sprach: Ich will wie er werden, oder, wie Raschi es ausdrückt: »Ich will mich nach ihm gestalten: seinen Wegen anzuhängen.« Und in der Tat fährt Abba Schaul so fort: »Wie er barmherzig und gnädig ist, so sei auch du barmherzig und gnädig.« Gott nachahmen also bedeutet: seinen Wegen anhangen, in seinen Wegen gehen. Das sind nicht die von ihm dem Menschen als solchem gebotenen Wege, es sind wirklich Gottes eigene Wege. Aber noch einmal steht in neuer Gestalt die alte Frage auf: Wie können wir in seinen Wegen gehen? Sind sie doch unerforschlich und ist uns doch gesagt, sie seien nicht wie die unsern! Abba Schaul deutet die Antwort schon in seinen letzten Worten an. Sie wird in zwei erklärenden Aussprüchen 5 zu Worten des fünften Buchs Mose, das ein geistvoller Gelehrter »Israels Buch der Imitatio Dei« genannt hat 6 , ausgebaut. Es heißt (V. M. 11, 22): »den Herrn, unsern Gott, 1. 2.

3. 4.

5. 6.

Sifra zu III M. 19, 2. Vgl. Lewy, Über einige Fragmente aus der Mischna des Abba Saul 23, Anm. 53. Jeruschalmi, Pea 15 b ist der Spruch Abba Schauls gewiß am richtigsten angeführt; die Lesarten Babli, Schabbat 133 b und Mechilta 37 a sind offenbar entstellt. Vgl. zur Textgestaltung Bacher, Die Agada der Tannaiten II 367 Anm. 2, sowie I. Abrahams, Studies in Pharisaism II 175 (in dem anregungsreichen Abschnitt »The imitation of God«), der aber die korrekte Lesart nicht berücksichtigt. Zur angeführten Babli-Stelle. Der etwaige Zusammenhang dieser Deutung mit dem geheimnisvollen Namen ‫אני‬ ‫ והו‬mit dem Gott beim Umzug um den Altar am Hüttenfest angerufen wurde (Mischna Sukka IV 5), kann hier nicht erörtert werden. Vgl. G. Klein, Der älteste christliche Katechismus 44 ff. Sifre zu V M. 11, 22 und Sota 14 a. Schechter, Aspects of Rabbinic theology 119.

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zu lieben, in allen seinen Wegen zu gehen«. Welches sind die Wege Gottes? Die er selbst vor Mose ausrief: »Ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Güte und Treue.« Weit deutlicher noch ist der andere Ausspruch. Es heißt (V. M. 13, 5): »Hinter dem Herrn eurem Gott sollt ihr hergehen« 1 ; wie vermöchte der Mensch in die Fußtapfen der Herrlichkeit zu treten? steht doch geschrieben (V. M. 4, 24): »Der Herr dein Gott ist ein verzehrendes Feuer.« Aber so ist es gemeint: Folge den Midoth nach, den »Attributen«, richtiger: den dem Menschen kundgetanen Wirkungsweisen Gottes. Wie er die nackten ersten Menschen kleidet, wie er den kranken Abraham im Hain von Mamre besucht (nach der Tradition war Abraham damals von der Beschneidung her leidend), wie er Isaak nach Abrahams Tode mit seinem Segen tröstet, bis zur letzten Gottestat des Pentateuch: wie er selber Mose bestattet – das sind versinnlichte Midoth, dem Menschen schaubares Vorbild, und die Mizwoth sind vermenschlichte Midoth. »Mein Handwerk«, so läßt der Midrasch 2 Gott zu Abraham sprechen, »ist das Wohltun – du hast mein Handwerk ergriffen.« Das Geheimnis Gottes, das über Hiobs Zelt stand (Hi. 29, 4), ehe es ihm furchtbar zu Leid und Frage gedieh, ist nur durchleidbar, es ist nicht befragbar, und d i e s e Wege sind wie der Frage, so auch der Nachfolge des Menschen entrückt und verboten. Aber Gottes »Handwerk«, seine offenbarte Wirkungsweise, ist uns aufgetan und vorgebildet. So bekommt Mose Gottes »Angesicht« nicht zu schauen, aber er erfährt seine »Wege« (II. M. 33, 13), die Gott selber, an ihm vorüberziehend, vor ihm ausruft; und dieses Ausrufen nennt Gott das Ausrufen seines »Namens«. Wo aber wird Gottes offenbarte Wirkungsweise offenbart? Eben beim Antritt der Wanderschaft durch die Wüste; eben auf der Höhe der Prüfung Hiobs; eben mitten im Schrecken des andern, des unerfaßlichen und unbegreiflichen Wirkens; eben vom Geheimnis aus. Gott übt an uns nicht Barmherzigkeit und Gnade allein, es ist furchtbar, wenn seine Hand auf uns fällt, und was uns da geschieht, das steht nicht etwa n e b e n Barmherzigkeit und Gnade, es ist ihnen nicht gleichgeordnet, das Letzte gehört hier nicht zum Attribut der Gerechtigkeit, – es ist jenseits aller Attribute: es ist eben das Geheimnis, und ihm ist nicht nachzufragen. Aber eben darin, eben davon aus, eben von diesem getragen, erzeigt sich Gottes »Handwerk« an uns, erzeigt und offenbart sich; jetzt 1. 2.

Über den Ausdruck ‫ הלך אחרי אלהים‬kann der Aufsatz von E. G. Gulin, Die Nachfolge Gottes (Studia Orientalia I., Helsingfors 1925, 34 ff.) verglichen werden, der aber der eigentlich religiösen Bedeutung des Worts nicht gerecht wird. Bereschith Rabba zu I M. 23, 19.

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Nachahmung Gottes

erst, wenn das Geheimnis nicht mehr über unserm Zelt steht, sondern es zersprengt, lernen wir, vor der Welt verborgen, aber uns offenbar, Gottes Umgang mit uns kennen. Und wir lernen Gott nachahmen.

Vertrauen

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Es gibt zwei Gattungen führerischer Menschen. Von dem einen sagt man: »Ich glaube an ihn«. Von dem andern: »Ich vertraue ihm«. An einen glauben, das heißt nicht etwa meinen, daß er immer das Richtige sage und tue, wohl aber, daß das Unrichtige »richtig«, nämlich billigens- und befolgenswert werde, wenn und weil e r es ist, der es sagt oder tut. Auch wenn man sich bemüht zu erweisen, daß er »recht« habe, weiß man im Grunde, daß es einem hier auf Recht und Unrecht, also auf den Maßstab a u ß e r h a l b der Person, nicht mehr ankommt. Die Wahrheit besteht nur noch von der Person Gnaden. Also ist es die Wahrheit nicht, was man hier so nennt. Einem vertrauen, ist etwas anderes. Das heißt gewiß sein, daß dieser Mensch, dem man vertraut, in einem ganz bestimmten positiven Verhältnis zur Wahrheit steht, zu der wirklichen Wahrheit. In was für einem Verhältnis denn? Doch nicht als ihr Abgesandter? Das freilich nicht; aber als ihr Diener. Wer der Wahrheit dient, kann sich ebensogut wie andre Menschen irren: aber seine Irrtümer weisen auf die Wahrheit hin, sie sind ihr zugewandt, sie führen auf sie zu. Einem Menschen vertrauen heißt, an die Wahrheit glauben, der man dienen kann, an die Wahrheit, die nicht von unsern Gnaden, sondern von deren Gnaden wir bestehn. An Menschen glauben, daraus bündelt sich zu allen Zeiten und in allen Völkern der große Fascio der Heiden – Menschen vertrauen, daraus wächst zu allen Zeiten und in allen Völkern der »heilige Stamm« Israels. Ich sehe immer deutlicher unsern rechten Weg dahin, daß an die Stelle des »Glaubens« an Menschen das Vertrauen trete. Wir brauchen Führer. Aber wir brauchen Führer, denen wir nicht um ihretwillen folgen, sondern um ihrer Dienstherrin, um ihres Dienstherrn willen – wie immer sie ihn nennen: an ihrer Dienstart erkennen wir, daß es der rechte ist. Und geht ihnen die Fähigkeit ab, mit aufrührendem oder anordnendem Wort sicher und sicherheitweckend die Menge zu bewegen, sie vermögen das Unscheinbare und Wichtigste: das Raten, das Mahnen, das Weisen. Sie stellen uns immer wieder vor die strengen Strahlen der Wahrheit. Sie führen, indem sie lehren. Ihrer ist die heimliche Weltgeschichte. Solch ein Rater und Warner, solch ein Lehrer und Führer ist Achad Haam. In seiner Gegenwart fühlt man ganz trübungsfrei dieses schlichte, heilsame, trostreiche: Ich vertraue. Ja, ein Mann des Vertrauens! Möchte das Volk am eignen Verhältnis zu ihm lernen, weniger zu »glauben« und mehr zu vertrauen!

[Achad Haam-Gedenkfeier in Berlin] Das Geheimnis unserer Volksdauer ist daran geknüpft, daß wir, und wir als einziges unter den Völkern, wir allein, außer der natürlichen, biologischen Fortpflanzungsreihe, eine andere, zweite haben, die Fortpflanzung der Lehre, den Zusammenhang der Geschlechter im lehrenden und lernenden Geist, die Reihe der geistigen Zeugungen. Durch diesen Zusammenhang der Geschlechter, der ebenso elementar und vielleicht noch stärker ist als jener naturhafte, wird der Geist zu einer Macht, die ins Leben hineinwirkt, das Leben stärkt und erhält, vom Geist aus unser Leben erhält: vom zeugenden Geist aus dauern wir. Wie aber, wenn die eine, diese uns geschenkte Reihe abzureißen droht? Wie, wenn die Gestalten der Lehrer selten und seltener werden? Da ist es Trost und Hilfe, Hinwendung zum Neuen, einzelne Gestalten zu sehen, die in dieser lehrerlosen Zeit noch da sind oder wieder da sind als die, an die solche Reihe geistiger Fortpflanzung wieder anknüpfen kann. Eine solche Gestalt, ein solcher Lehrer war der Mann, um den wir heute klagen: Achad Haam. Ich sagte: selten sind die Lehrer geworden, nicht nur bei uns freilich, sondern allüberall, weil es das Wesen des wahren Lehrers ist, daß er an die Wahrheit glaubt, an die eine Wahrheit, unsere aber eine Zeit ist, in der die Menschen in tauglichen Lebenslügen und in brauchbaren Fiktionen leben und wo selten, furchtbar selten geworden ist der tätige Glaube an die eine Wahrheit. Ein Mensch aber und ebenso ein Volk vermag nur im Glauben an die Wahrheit wahrhaft zu leben. So hat Achad Haam gelebt: im Glauben an die Wahrheit und im Dienste an der Wahrheit. Das war sein eigentümlicher Lebensbau, daß er in der Verantwortung der Wahrheit gegenüberstand und nicht aus ihr wich. Wahrheitsverantwortung, das bedeutet ein Doppeltes: Daß er Verantwortung übte, an jedem Tage neu, lebendige Verantwortung der Wirklichkeit gegenüber, den Tatsachen gegenüber, immer wieder prüfend und vergleichend. Erkenntnis unserer, der jüdischen Wirklichkeit. Und darum wissen die nichts von Achad Haam, die sagen, er hätte eine »Ideologie« geschaffen. Seine Erkenntnis war das Angesicht-zu-Angesicht-Treten der jeweiligen Wirklichkeit unseres Lebens gegenüber, das Situation um Situation, Tag um Tag, Stunde um Stunde der geschehenden Wirklichkeit, all ihrer Furchtbarkeit immer wieder ins Auge Schauen. Darum bedeutet sein Gedanke keine Ideologie, sondern eine große Kunde der jüdischen Wirklichkeit. Und zum zweiten übte er Verantwortung, Tag um Tag neu Verantwortung dem Worte gegenüber, seinem gesprochenen, geschriebenen, im Schreiben gesprochenen, hinaus zum Volk gesprochenen Wort gegen-

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über. Sein Wort war immer wieder Mitteilung der Erkenntnis, und wie er seine Erkenntnis immer wieder mit der Tatsächlichkeit verglich, ob sie auch stimmte, rechtschaffen war bis ins Letzte, so verglich er immer wieder sein Wort mit der Erkenntnis, ob es auch wirklich Mitteilung dieses Erkannten sei, rechtmäßige Mitteilung. Und darum ist, so Großes auch Achad Haam für die hebräische Literatur bedeutet, sein Werk nicht Literatur, wie sein Gedanke nicht Philosophie ist, sondern es ist wirkendes, bauendes Wort, an einem neuen Judentum bauendes Wort, das in die Wirklichkeit hineingreift und an ihr bildet. Von seinem Glauben an die Wahrheit, von seinem Dienst an der Wahrheit aus sah er, Achad Haam, Sinn und Bestimmung des Volkes. Beide von diesem seinem Glauben und Dienst aus. Von da aus hoffte er für das Volk und von da aus forderte er von dem Volke. Und weil es so war, weil er aus dieser seiner Wesenheit das Volk sah und sich in Wahrheit mit dem Volke verband in seinem Glauben und in seinem Dienst, darum war er, der sich Einen aus dem Volke nannte, in Wahrheit eins mit dem Volk. Nicht mit dem flüchtigen Bilde des Volkes, das sich dem Augenblicksauge eröffnet, sondern mit dem wahren, tief verborgenen, wesenhaft unsterblichen Volke. Was er für dieses Volk erhofft, was er von diesem Volk fordert, für dieses Volkes Zukunft, das war eben dieses: ein Leben in Wahrheit und Verantwortung. Nicht einfach ein garantiertes Weiterleben und auch nicht bloß ein selbständiges und unabhängiges Leben im eigenen Lande und auch nicht bloß ein Leben in eigener Kultur, – zu wenig all dies; ein wahrhaftes Leben in wahrhafter Verantwortung. In Verantwortung der Wahrheit gegenüber. Das war Achad Haams Hoffnung und Forderung. Gegenüber der ungeheuerlichen Verstrickung der Judenheit in die tausendfältige Lüge, die Galuth bedeutet, gegenüber dieser Lage der Zerrissenheit, wo wir uns Volk nennen und doch kein Gemeinschaftssubjekt der Verantwortung bilden, forderte er: das Leben des Volkes in der Verantwortung der Wahrheit gegenüber, die das Siegel Gottes heißt. Und darum forderte er ein Zentrum des Geistes; nicht des losgelösten und abgeschiedenen, sondern des lebenerhaltenden, lebensteigernden, vitalisierenden Geistes. Ein Zentrum in Erez-Israel, welches das Volk Israel wieder unter das Gesetz der Wahrheit stellt und welches eine Person, eine Gemeinschaftsperson, ein großes Subjekt der Verantwortung konstituiert. Und das heißt: des Tag auf Tag immer neu Antwortgebens dem Göttlichen. H a - M o r e h ist er vom Dichter angerufen worden. Und so wollen wir ihn auch in dieser Stunde anrufen und sagen: Du, der du uns der Lehrer gewesen bist, der bezeugende und zeugende Lehrer, der Mann der Wahrheit, unser Vater in der Lehre, dir würden wir nicht genug tun,

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Achad Haam-Gedenkfeier in Berlin

wenn wir gelobten, den Ruhm deiner Person und deines Werkes im Gedächtnis zu bewahren. Du willst, daß wir deinen Glauben an die eine Wahrheit und deinen Dienst an der einen Wahrheit in unserem Leben, in unserer Tat bewähren. Und das gelobten wir dir, Geist unseres Lehrers, der du eingekehrt bis in das Reich der Wahrheit.

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Klärung

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In einem gegen mich gerichteten Angriff in der Doar ha-jom vom Dienstag, den 1. Ijar, wurde behauptet, dass ich der Gedud megine hasafa versprochen hätte, dass ich auf meinen Vortrag verzichten würde. Das ist nicht wahr. Als drei bevollmächtigte Mitglieder des Vereins bei mir waren und mich zu beeinflussen suchten, den Vortrag auf Hebräisch zu halten, antwortete ich ihnen: »Ich werde es nicht tun, denn Ideen, die in einer anderen Sprache geboren wurden, will ich nicht übersetzen, aber wenn ihr wollt, so sagt es mir j e t z t und ich verzichte auf den Vortrag.« Daraufhin antwortete mir einer von ihnen: »Das ist nicht möglich.« Am Ta g e d e s Vo r t r a g s erhielt ich einen Brief von der Gedud, dass in der Zwischenzeit eine Sitzung stattgefunden habe und jetzt würden sie mich bitten, mein Versprechen zu erfüllen und den Vortrag abzusagen. Aber wie gesagt, ich habe nichts dergleichen versprochen. Den Vortrag am angesetzten Tag abzusagen – das ist kein freiwilliger, sondern ein erzwungener Verzicht. Eine solche im letzten Augenblick aufgestellte Forderung widerspricht meinen Anschauungen über die Gesetze des Anstandes. Grundsätzlich habe ich hierzu zu bemerken: 1) Zwar gehöre ich zu denen, die der Sprache und ihrer Literatur treu sind, aber i c h d e n k e n i c h t in ihr. Deswegen will ich mich nicht verstellen und eine Übersetzung vorlesen, umso mehr da ich den Vortrag nicht ablese, sondern mündlich halte. Sollte es mir vergönnt sein, dass ich im Lande leben und arbeiten kann, hoffe ich, dass, so wie bei der echten Erläuterung am Anfang des Vortrags, ich in der Sprache denken und ich mich dann frei und natürlich in dieser Sprache ausdrücken kann, wie ich es in der nichtjüdischen kann. 2) Ich bin der Meinung, dass starker Glaube und Fanatismus nicht zusammen gehen können. Ein fanatischer Glaube ist ein schwacher und seine Kraft ist die Kraft des Rauschs. Überzeugt bin ich, dass eine große Sache nicht will, dass man sie durch Zwang erreicht, sondern durch Taten. Zur Zeit meiner Abreise aus Jerusalem Martin Buber

[Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß] 1. Sitzung: Gedenkfeier für Achad Haam Del. Dr. Martin Buber (Hitachduth – deutsch): Verehrter Kongreß! Dieses Mannes an dieser Stelle gedenken, kann nicht bedeuten, sein Wesen und sein Werk darstellen wollen. Es kann nur bedeuten, unsere Wirklichkeit an seiner Forderung und seine Forderung an unserer Wahrheit zu prüfen. Selten ist uns jetzt noch, in dieser Zeit harter heischender Tatsächlichkeit, gewährt, wie es einst auf den frühen Kongressen Gepflogenheit war, eine Stunde daran zu wenden, den Geist zu befragen. Eine solche Stunde soll uns diese sein. Wir handeln im Sinne des Mannes, dessen wir gedenken, wenn wir nicht über ihn, sondern, von ihm aus und auf ihn zu, über die großen Zusammenhänge unserer Bewegung reden und danach forschen, wie weit sie ihnen heute gerecht wird. Eine nationale Bewegung ist, politisch definiert, das Streben eines Volkes nach Selbstbestimmung. Aber diese Formel ist kurzatmig. Wenn es nach ihr ginge, hätte eine nationale Bewegung nach Erlangung der Selbstbestimmungsrechte keinen Sinn und Bestand mehr. Das ist so, als wollte man die große Bewegung um die Erneuerung der menschlichen Gesellschaft mit der Proklamierung der droits de l’homme enden lassen, während sie doch mit ihr erst recht eigentlich anfängt. Aber eine nationale Bewegung ist, geistig definiert, das Streben eines Volkes, seine Wirklichkeit nach seiner Wahrheit zu gestalten. Wahrheit, das bedeutet: was mit diesem Volk gemeint ist, – die besondere Ausprägung, die sich die eine gemeinsame Wahrheit des Menschengeschlechtes in diesem Volke gegeben hat. Es gibt nicht viele Wahrheiten, sondern nur die eine, aber es gibt sie in vielen Formungen. Dostojewski spricht einmal davon, jedes Volk habe seinen Gott und diese Götter kämpften gegeneinander. Wir aber wissen seit Amos, daß Gott nicht bloß die Söhne Israels aus Aegypten, sondern auch die Philister aus Kaftor geführt hat. Unser Gott ist der eine Völkerbefreier, und unsere Wahrheit ist nicht unser Sonderbesitz, sondern das eine gemeinsame Wort in unserer besonderen Aussprache. Diese besondere Aussprache, das uns Zugeteilte, unsere Bestimmung, unser Anteil am Menschheitswerke – das ist nicht etwas, das man begrifflich zulänglich formulieren kann; aber es formuliert sich überbegrifflich in der Geschichte des Volkes, in seinem Erleben und in seinem Tun. Und die heiligen Stunden des Volkes sind die, in denen das Volk dies ahnend erfährt und die Sehnsucht verspürt, es zu erfüllen.

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Ich sagte: eine nationale Bewegung ist das Streben eines Volkes, seine Wirklichkeit nach seiner Wahrheit zu gestalten. Einen Lehrer des Volkes nennen wir einen Menschen, der beides erkennt: die ewige Wahrheit und die gegenwärtige Wirklichkeit; den Menschen, der eines am anderen mißt und der das Volk eben dies lehrt: beides zu erkennen, die Wahrheit in ihrer erhabenen Ausgespanntheit und die Wirklichkeit in ihrem kantigen Widerspruch; und der es lehrt, eines am anderen zu messen. Aber noch eins lehrt er, und dieses ist das Entscheidende: er lehrt das Volk, daß der Weg, um aus dieser Wirklichkeit eine der Wahrheit würdige zu bilden, nicht über äußere Aenderungen allein führt, daß, auch wenn alle erforderlichen äußeren Aenderungen gelängen, sie fruchtlos bleiben müssen, wenn nicht eine innere Wandlung dazu tritt. Diese innere Wandlung, diese innere Tat des Volkes hat Achad Haam die »Techiath Halewawoth«, die »Wiedergeburt der Herzen« genannt. Zwischen Theodor Herzls »Rückkehr zum Judentum vor der Rückkehr ins Judenland« und Achad Haams »Wiedergeburt der Herzen« besteht ein anderer Unterschied als der oft besprochene zwischen dem Westjudentum, das in seiner jüdischen Substanz gemindert ist, und dem Ostjudentum, das in seiner menschlichen Substanz gemindert ist. Die Techiath Halewawoth faßt ja eben jenes Postulat, dessen übrigens die östliche Judenheit nicht viel weniger bedarf als die westliche, mit in sich. Es ist vielmehr der Unterschied zwischen einer Wandlung der Haltung und einer Wandlung des ganzen Menschen; oder, vom Sprechenden aus gefaßt: es ist der Unterschied zwischen einer Forderung und einer Weisung; noch deutlicher: es ist der Unterschied zwischen einem Führer und einem Lehrer. Unsere Zeit will auf allen Gebieten den Lehrer los werden. Sie glaubt, mit dem Führer allein auskommen zu können. Und das ist zu verstehen. Jene »geistigen« Menschen, die in einer Stunde, in der Ungeheueres von der Selbständigkeit und Ueberlegenheit des Geistes abhing, die in jener Stunde den Geist, ohne zu wissen, was sie taten, zu einem geschickten und gehorsamen Hündlein machten, das den bestehenden Gewalten statt der hingeworfenen Parolen Ideologien apportierte, haben dazu beigetragen, den Geist, die weisende Funktion des Geistes am Leben zu diskreditieren. Anderes, Tieferes wirkte mit. Das Ergebnis ist, daß nicht bloß, was ja auch früher zuweilen geschah, die offizielle Politik der Staaten, sondern auch die inneren Bewegungen und Gruppierungen des Völkerlebens sich vielfach vom Geiste lossagen, ja in ihrer Unabhängigkeit von ihm die Bürgschaft des Erfolges erblicken. Und sie haben nicht ganz Unrecht. Führung ohne Lehre hat Erfolg: man erreicht etwas. Nur daß dieses Etwas, das man so erreicht, etwas ganz anderes und zuweilen geradezu

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eine Karikatur dessen ist, was man eigentlich, im Grunde seiner Seele, da wo die Wahrheit geahnt wird, erreichen wollte. Und was dann? Solange das Ziel noch reines Ziel war, herrscht Sehnsucht und Hoffnung; aber wenn im Erreichen das Ziel sich verkehrt hat – was dann? Gewiß ist das Volk unglücklich, das keinen Führer hat, aber dreifach unglücklich ist das Volk, dessen Führer keinen Lehrer haben. Seien wir uns tief bewußt, was wir an unseren Lehrern, was wir an einem Lehrer wie Achad Haam besitzen. Und lassen wir uns von ihm lehren! Ich gedenke der Herkunft dieses Mannes, wenn ich ein chassidisches Wort anführe: nach dem Tode des großen Rabbi Bunam kam sein Lieblingsschüler zu seinem trauernden Sohne, um ihn zu trösten; und als der Sohn fragte: Wer wird nun weiter mit mir lernen?, da antwortete der Schüler: Sei getrost; bisher hat er dich im Kaftan gelehrt, von jetzt ab wird er dich ohne Kaftan lehren. Lassen wir unseren toten Lehrer uns lehren, was er uns ohne Kaftan zu lehren hat. Verehrter Kongreß! Vielleicht ist jede nationale Bewegung die Uebersetzung einer religiösen, die freilich nicht eine Bewegung im modernen politischen Sinne war, sondern eben etwas, was sich in den Seelen bewegte und aus ihnen immer wieder in die Welt hinausstürmte. Mit anderen Worten: vielleicht ist jede Befreiungstendenz die weltliche Uebersetzung einer Erlösungstendenz. Von unserer nationalen Bewegung gilt dies auf jeden Fall, daß sie eine Uebertragung einer religiösen ist. Eine solche Uebertragung ist notwendig, weil wir ohne sie in der Welt der gegenwärtigen Tatsächlichkeiten nicht das vollbringen könnten, was wir zu vollbringen haben, um unsere Wirklichkeit nach unserer Wahrheit zu gestalten, nach unserer Wahrheit, die eben in jener religiösen Bewegtheit empfunden und auch geäußert worden ist. Diese Uebersetzung darf nicht allzu treu sein. Sie darf nicht Eigentümlichkeiten der religiösen Sprache in die nationale übernehmen; jede Vermengung wirkt hier verwirrend und verhängnisvoll. Andererseits aber muß diese Uebersetzung der Fülle und Kraft des Originals auf der nationalen Ebene gerecht werden. Und vor allem darf sie sich nie vermessen, das Original verdrängen, ersetzen zu wollen. Denn geschähe dies, so würden wir die wahre, letzte Aufgabe aus dem Sinn verlieren, und unser Vollbringen wäre ein Verfehlen. Die Uebertragung, von der ich sprach, ist für unsere Bewegung von Moses Heß begonnen worden. Aber er, der Spinoza mit Hegel und beide mit der konkreten jüdischen Religion zu verknüpfen unternahm, verfiel in seinem philosophischen Messianismus eben jener erwähnten Vermengung religiöser mit nationaler Sprache. Das Kommen der Erlösung kann

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durch keine Zahlenmystik errechnet werden, aber auch durch keine geschichtsphilosophische Dialektik. Dieser wie jener gegenüber gilt das Talmudwort, daß wir es mitzubestimmen vermögen durch unsere Teschuwah. Als eine nationale Uebertragung dieses religiösen Wortes dürfen wir Achad Haams »Techiath Halewawoth« verstehen. Achad Haam ist es, der die notwendige Uebertragung ins Nationale folgerichtig durchgeführt hat. Mit gewissenhafter Sorgfalt, mit strengem Verantwortlichkeitsgefühl hütete er sich vor jeder unerlaubten Vermengung. Kaum irgendwo sonst merkt man wie hier, daß gerade seine Nüchternheit seine Größe war. Er behandelt das Religiöse nur gleichnisweise, aber er behandelt es mit Ehrfurcht, und er wehrt sich gegen jede generalisierende Geschichtsmetaphysik. Er will nur auf die Geschichte selbst hören; auf die wirkliche Geschichte dieses einen einmaligen Volkes; aus ihr erfährt er dessen Wahrheit, nach der seine Wirklichkeit gestaltet werden soll. Manche möchten mir einwenden, Achad Haam hätte wohl Hegel abgelehnt, aber Mill und Spencer angewendet. Dem ist nicht so. Beiden verdankte er nur Denkmethoden, nicht Anschauungsgehalte. Mill lehrte allgemein gültige Gesetze des Völkerlebens; aber Achad Haam erkannte die Einzigartigkeit Israels. Spencer lehrte die fortschreitende Evolution; aber Achad Haam rief zu der freien Tat auf, die den Menschen wandelt und das Schicksal wendet. Ueber allen Theorien stand ihm das große Faktum. Ich sagte: Achad Haam hat die Uebertragung folgerichtig durchgeführt. Heute droht uns nicht mehr die Vermengung, wohl aber die Verdrängung. Im Angesicht dieser Gefahr müssen wir heute von neuem die Uebertragung mit dem Original vergleichen und müssen jene gegen dieses abgrenzen, müssen von jener auf das Original zurückverweisen. Diese über Achad Haam hinausgehende Pflicht der Stunde, unserer Stunde, kann ich hier nur andeuten. Und nun einen Schritt weiter! Die geistige Entwicklung einer nationalen Bewegung beginnt zumeist, und gewiß hat sie bei uns so begonnen, mit einer großen, ausgeschwungenen, stimmungsmächtigen und abstrakten Konzeption der Volksgeschichte, von der aus die regenerative Aufgabe des Volkes in seiner gegenwärtigen Situation bestimmt wird. Dieses erste Stadium stellt sich uns am deutlichsten in dem einsamen Werke von Moses Heß dar. Je stärker nun die nationale Bewegung im Volke selbst wird, je mehr die Tendenz zur Realisierung der nationalen Idee wächst, umso mehr muß jene abstrakte Konzeption sich k o n k r e t i s i e r e n . Das heißt, die nationale Ideologie muß sich einerseits auf eine exaktere Geschichtsbetrachtung gründen, andererseits muß sie mit

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der gegenwärtigen Situation in ihrer ganzen Tatsächlichkeit in Kontakt treten. Und dies wieder bedeutet: sowohl unser Leben unter den Völkern in seinen Verzweigungen gilt es zu erkennen, als auch, damit zusammenhängend, das ganze ungeheure System innerer und äußerer Schwierigkeiten, welche von der Realisierung zu bewältigen sind. Wenn wir, meine Verehrten, das erste Stadium das verkünderische nennen dürfen, dann dieses das erkennerische. Dieses erkennerische Stadium repräsentiert Achad Haam. Mit wachen Augen in die Partitur der Geschichtswahrheit versenkt, mit wachen Ohren auf die Dissonanzen der gegenwärtigen Volksseele und des gegenwärtigen Volkslebens horchend, so steht sein Bild vor uns. Wenn Moses Heß der Einsame ohne Volk ist, so ist Achad Haam der Einsame im Volk. Er erleidet dessen ganze gegenwärtige Wirklichkeit, und niemand hilft ihm leiden. Wie er als Redakteur die Sprache aller seiner Mitarbeiter prüfte und am reinen Ausdruck des Gedankens maß, so prüfte er als Betrachter der Wirklichkeit alle Ereignisse des Volkslebens und maß sie an der Geschichtswahrheit, an der B e s t i m m u n g des Volkes, – und niemand half ihm prüfen und messen. Aus dieser einsamen, schweren Arbeit erwuchs die nationale Ideologie bei Achad Haam zu immer größerer Konkretheit. Geist und Wirklichkeit haben hier einen Bund geschlossen. Wir sind seither in ein neues Stadium eingetreten. Ich kann auch hier das, was über Achad Haams Epoche hinausführt, nur andeuten. In dem Maße, wie aus der Realisierungstendenz politische Realisierungsarbeit entsteht, wird die Bewegung notwendigerweise in die allgemeine sogenannte realistische Politik der Staaten einbezogen, die zumeist eine von den Augenblickszwecken und den wechselnden Augenblickssituationen bestimmte ist, da in einer auch politisch so verworrenen Zeit wie dieser es dem Staatsmann sehr schwer wird, dem Augenblick u n d einem weiteren Zusammenhang zugleich gerecht zu werden, und er naturgemäß eher auf den letzteren verzichtet. Aus dieser Verquickung ergibt sich auch für uns die Gefahr einer f a l s c h e n Konkretisierung, indem wir uns durch die kleinen Zwecke von den großen Zusammenhängen der Geschichtswahrheit abschneiden lassen. Damit droht uns zweierlei Einbuße: die Einbuße an der entscheidenden Kraftquelle und die Einbuße am geistigen Charakter der Bewegung, von dem es, wie ich schon sagte, wesentlich abhängt, ob das Erreichte in Wahrheit das ist, was erreicht werden sollte. Wenn es einst die Gefahr der Bewegung war, daß die Wirklichkeit uns zu fern gerückt war, ist es jetzt die, daß die Wirklichkeit uns zu nahe gerückt ist. Torheit wäre es freilich zu meinen, wir könnten von dieser so nahen Wirklichkeit abrücken, um den Anschluß an die großen Zu-

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sammenhänge wieder zu gewinnen. Wir können dies nicht und sollen es nicht. Diese Nähe ist unerbittlich, sie ist schicksalhaft. Sie ist auch sinnvoll. Es gilt nunmehr, mit jenem von Achad Haam inaugurierten Bunde zwischen Idee und Wirklichkeit Ernst zu machen, hier, dieser ganzen unerbittlichen Wirklichkeit gegenüber, an die wir so nahe herangekommen sind, nun mit dem Bunde innersten Ernst zu machen, die Idee an dieser ganzen Wirklichkeit zu erproben und zu bewähren. In diesem Erproben werden wir selbst erprobt. Dies ist der Augenblick, wo es sich erweisen soll, ob wir, ob dieses jüdische Volk Mannes genug ist, seine Wirklichkeit nach seiner Wahrheit zu gestalten. Daß wir dies so deutlich wissen, auch dies ist ein Vermächtnis Achad Haams. Und nun ein Letztes! Wenn jemals, haben wir jetzt den Glauben an die Einzigkeit Israels und an seine besondere in seiner Geschichte manifestierte Aufgabe an die Menschheit festzuhalten und sie zu bewähren. Der vielleicht reinste und edelste unter den Gegnern Achad Haams, Brenner, hat einmal gegen ihn behauptet, wir hätten gar keine »Last« der Geschichte, wir könnten neu anfangen wie jeder Mensch, wir brauchten nichts als unser Land und unsere Sprache. Aber auch der einzelne Mensch fängt ja nicht neu an, er trägt ja unübersehbares Erbgut in seinem Wesen. Nur in seinem Bewußtsein mag es ihm freistehen, sich damit nicht zu befassen. Dieses jedoch steht dem Volke nicht frei. Das Volk kann sich in seinem Bewußtsein nicht von seiner geschichtlichen Verpflichtung, von seinen geschichtlichen Zusammenhängen lossagen, ohne seine innerste Fruchtbarkeit zu gefährden. Sein, des Volkes Sein wurzelt in seinem Bekennen. Gewiß sind das eigene Land und die eigene Sprache die unbedingten, unersetzlichen Voraussetzungen der Verwirklichung. Aber was durch sie verwirklicht werden soll, das sagen nicht sie, sondern das sagt die Geschichte. Sie, das Land und die Sprache, sind die großen Werkzeuge der Geschichtswahrheit. Macht man sie aber zum Selbstzweck, so setzt man sie dem Fluche der Sterilität aus. Es geht nicht ohne die Sprache, aber es kommt darauf an, was in dieser Sprache gesagt wird. (Beifall.) Es geht nicht ohne das Land, aber es kommt darauf an, wie in diesem Lande gelebt wird. (Großer Beifall.) Zu meinen, das Land und die Sprache würden alles von selbst hervorbringen, das mutet mich so an, wie Bakunins Glaube, daß die selbstherrliche Revolution keiner Richtung, keiner Lehre bedürfe, sondern das Heil der Menschheit von selbst erzeuge. Das ist eine Glaubensart, die ich nicht mehr zu glauben vermag. Aber die inhaltliche Bestimmung der nationalen Aufgabe, eben jenes Was, bedeutet auch ein Gegengewicht gegen die falsche Konkretisierung. Die Erkenntnis unserer besonderen geschichtlichen Bestimmung hilft

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uns, der Einreihung in die unzähligen Gruppenegoismen zu widerstehen, deren Summe in der heutigen Weltpolitik Nationalismus genannt wird. Damit soll selbstverständlich nichts gegen die Instinkte der nationalen Selbsterhaltung gesagt sein. Wer, Person oder Gruppe, solange er mit seiner Erhaltung mehr wirken kann als mit seiner Vernichtung, nicht auf die Erhaltung bedacht ist, der taugt nicht zum Leben in Gottes Angesicht. Aber eben auf dieses Wirken, auf dieses Werk, auf das, um dessenwillen man leben will, darauf kommt es an. Vor allem in unseren eigenen Augen. Aber auch – und dies will ich nicht unerwähnt lassen – auch in den Augen jenes Teiles der heutigen Menschheit, in dem sich eine kommende Menschheit vorbereitet. Zwar ist heute überall der rechtmäßige Nationalismus noch vielfältig mit dem unrechtmäßigen verkoppelt und ihm verhaftet. Aber langsam, mit der Langsamkeit der großen Geschichtsprozesse, hebt sich eine andere, eine echte Schichtung hervor. Die illegitimen Nationalismen stehen gegeneinander, die legitimen stehen in Wahrheit miteinander. Langsam, aber unaufhaltsam taucht aus dem Chaos der Gegenwart eine neue, eine nicht anationale und doch übernationale Autorität, ein wahrer Bund der Völker hervor. Ihm gegenüber wird auch für uns unsere alte Visitenkarte, unser Programm nicht mehr eine ausreichende Beglaubigung sein. Wir werden eines echten Ausweises bedürfen: durch das, was wir an Verwirklichung unserer Aufgabe, unserer Aufgabe an der Menschheit, geleistet haben. Wir werden auszusagen haben: welche Menschenart für den Aufbau unseres Landes die bestimmende gewesen ist; welche Art des Zusammenlebens von Menschen wir dort, in unserem Lande aufgerichtet haben; wie wir unser Verhältnis zu anderen Menschengruppen zu gestalten vermochten. Mit einem Wort: wir werden auszusagen haben, wie wir es mit dem Urgebot unserer Geschichte, mit jener »Gerechtigkeit« gehalten haben. Unser Werk wird auszusagen haben. Bedenken wir nun gut: wenn wir heute auszusagen hätten, worauf könnten wir schon hinweisen? Ich freue mich, hier bekennen zu dürfen, daß ich in Erez Israel etwas gefunden habe, worauf wir in diesem Sinne unbedingt und rückhaltslos als auf einen Anfang hinweisen dürfen. Und das sind die heute so umstrittenen Genossenschaften der Landarbeiter. (Beifall.) Daß wir, meine Verehrten, all dies heute mit völliger Klarheit zu sehen imstande sind, auch dies ist, wiewohl er es niemals so aussprach, ein Vermächtnis Achad Haams. Sein Andenken, das Andenken des Einen aus dem Volke, sei dem ganzen Volke zum Segen. (Lang anhaltender Beifall.)

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[Brief an Melchior Britschgi-Schimmer] Lieber Melchior –

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Es ist mir leid, daß ich an diesem für Dich so wichtigen Tag nicht bei Dir sein kann. So muß ich mich begnügen, Dir zu schreiben, was ich Dir lieber gesagt hätte. Du weißt, was Bar-Mizwah wörtlich bedeutet: Sohn des göttlichen Gebots. Nun freilich ist es nicht üblich, das wörtlich zu nehmen; vielmehr versteht man darunter eben einen, der das Gebot auf sich nimmt, der fortan also nicht mehr bloß als Naturwesen, sondern als Geisteswesen, als ein vom Geist aus bestimmter Mensch leben will. Aber es ist gut, zuweilen auf den ganz buchstäblichen, obwohl nicht gültigen Sinn solcher Worte zurückzugehn. »Sohn des Gebots« – klingt das nicht so, als ob der, der diesen Namen empfängt, zum zweiten Mal geboren würde? Wie vor dreizehn Jahren aus seiner Mutter, so heute aus dem Wort Gottes? Aber ist denn Gottes Wort wie eine Mutter? Kann man sich an das Wort schmiegen, kann man sich bei ihm geborgen fühlen? Wohl, lieber Junge, man kann es, ja erst bei ihm kann man sich vollkommen geborgen fühlen. Der Mensch kann wirklich mit dem Unsichtbaren, das sich ihm in der Stille seines Herzens kundgibt, wie ein Kind mit seinen Eltern verbunden werden. Aber da ist doch ein ganz großer, entscheidend großer Unterschied. Mit seiner Mutter ist ein Kind verbunden, ob es will oder nicht. Aber mit Gott wird der Mensch verbunden, wenn er es mit seinem ganzen Wesen will. Und sieh, Melchior, das ist es, was den Bar-MizwahTag vor allen andern auszeichnet: daß man da diesen Willen mit seinem ganzen Wesen zu wollen beginnt – beginnen soll. Und sowie man dies tut, wird man wirklich zum zweiten Mal geboren, als »Sohn des göttlichen Gebots«. Der Mensch kommt als G o t t e s G e s c h ö p f ins Leben, aber sein höchstes Ziel ist, Gottes K i n d zu werden. Am Bar-Mizwah-Tag macht sich der Jude auf den Weg zu diesem Ziel. Noch ist er erst »Sohn des Gebots«, aber je weiter er in der Erfüllung fortschreitet, je mehr er das göttliche Ebenbild, das in ihm angelegt ist, verwirklicht, um so mehr wird er ein Kind Gottes selber. Für Dich, Melchior, bedeutet der Tag noch etwas Besonderes: den eigentlichen Eintritt in das Judentum, den Eintritt in das Volk, das nur durch Deiner Mutter Blut Dein Volk ist, aber das Du Dir zu Deinem Volk erwählt hast. Werde Dir wohl bewußt, mein Junge, was das für ein Volk ist, das Du Dir erwählt hast. Es ist von allen Völkern der Erde abgehoben, jedoch nicht durch besondere Geistesgaben, die denen der anderen über-

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[Brief an Melchior Britschgi-Schimmer]

legen wären – laß Dir das nicht einreden: jedes Volk hat seine eigne Berufung, und keins darf sich über die andern erhaben dünken –, wohl aber, weil es einmal, in der entscheidenden Stunde seiner Geschichte, eben dies getan hat, was Du an diesem Tag tun sollst: weil es damals – ein ganzes Volk! – das Gebot Gottes auf sich nahm und Bar Mizwah wurde; in jener Stunde ist es erst wahrhaft als Volk geboren worden. Und sein ganzes Schicksal, das Schicksal Israels hängt davon ab, ob es den Weg, den es damals antrat und von dem es seither so oft abirrte, bis zum Ziel weitergeht. Und das hängt nun von Dir mit ab, der Du Dir dieses einzigartige Volk erwählt hast und nun in seinen Weg eingetreten bist, mein Junge. Liebe dieses Volk wie es ist, mit seinen Tugenden und seinen Schwächen, mit seinen Bewährungen und seinen Verfehlungen; aber hilf ihm, durch die Art wie Du Dein eignes Leben lebst, tauglich werden und sich bewähren! Indem Du in seinen Weg eingetreten bist, bist Du in den Segen eingetreten, der ihm zugesprochen ist: Segne dich ER und hüte dich, licht mache ER sein Antlitz dir und begnade dich, erhebe Er sein Antlitz über dich und gebe dir Frieden! Dein Onkel und Freund Martin Buber.

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Das hebräische Buch

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Das e i n e wichtigste hebräische Buch dieser Jahre weiß ich nicht zu nennen, wohl aber die z w e i wichtigsten. Es sind die Briefe AchadHaams und die Schriften A. D. Gordons. Zusammen geben sie die menschliche Spannweite der jüdischen Bewegung. Jedes der beiden Bücher ist die große Urkunde eines ganz aus dieser Bewegung und für sie gelebten echten, starken, unabhängigen, restlos getreuen Menschenlebens. Geist – Volk – Land, so geht die Linie bei Achad-Haam; Land – Volk – Geist, so bei Gordon; es ist die doppelte Dynamik der wirklichen Bewegung: nur durch das Zusammenwirken seines Geistes und seines Landes kann das Volk regeneriert werden. Sie mögen sich im Leben nicht viel zu sagen gehabt haben, der Mann, der vom einsamen Gedanken aus alle Kreise der volksbewußten Judenheit bewegte, und der Mann, der von der gemeinschaftlichen Arbeit am Heimatsboden aus seine Werkgemeinschaft befeuerte, der Wägende, der den Sinn der Geschichte am Heute zu bewähren verlangte, und der Wagende, der in der kräftigen Gewißheit seines Hier sich in die kosmische Weite schwang; aber wie jetzt rechts und links vor mir die Lebensurkunden der Toten liegen, höre ich ein langes brüderliches Gespräch.

Lebensfrömmigkeit (Aus einem Briefe) … Mit der »Lebensfrömmigkeit« verhält es sich anders, als Wilhelm Michel meint. Sie braucht beim Kind gewiß nur einfältig zu sein; beim erwachsenen Menschen ist sie immer zwiefältig oder es ist nicht die rechte Frömmigkeit. Frömmigkeit zum Hier ist nicht die rechte ohne Frömmigkeit zum Dort, die zu dem, was ist, nicht ohne die zu dem, was werden soll, die zu dem, was einem gegeben ist, nicht ohne die zu dem, was einem aufgegeben ist, Schicksalsfrömmigkeit nicht ohne Zukunftsfrömmigkeit. Wenn man die eine von der anderen trennt und als in sich genügend betrachtet, oder auch nur wenn man alles Licht auf die eine sammelt und die andere im Dunkeln läßt, verkennt man den Platz und die Bestimmung des Menschen, und die Gefahr liegt dann nah, daß man ihn falsch führt – daß man betäubt, wo man anstacheln, das scheingute Gewissen bestärkt, wo man es erschüttern sollte. Dergleichen würde Wilhelm Michel, dieser rechtschaffene, herzensmutige, wirklichkeitstreue Deutsche, den Deutschen gegenüber niemals begehen; den Juden gegenüber merkt er eben nicht, was er mit seinen – an sich echten und schönen – Worten tut. Wie ist es denn – ich sehe von den wenigen »assimilationsproduktiven« Juden ab, die ein Kapitel für sich sind, freilich auch sie ein Kapitel desselben Buches – um einen ehrenhaften, ja distinguierten Vertreter des »Assimilations«-Judentums, sagen wir: um den Justizrat X., wie steht es um sein tatsächliches Leben? um seine tatsächliche Lebensfrömmigkeit? Wie stellt sich lebensmäßig sein Verhältnis zu seiner Seele und sein Verhältnis zur Welt dar? An seiner Seele hat er eine Zweiteilung vorgenommen: was in ihm aus seiner Umwelt stammt und ihr einstimmt, das wirkt er im Konkreten aus; was in ihm aus der Vorwelt herkommt (und das ist ja der Wurzelgrund der Seele!), das befriedigt er in abstracto, d. h. er scheidet es, eifrig auf die Erhaltung der Illusion einer Verwirklichung bedacht, von der Wirklichkeit ab, hält es im »Geist« eingehegt; und wo es, dem Wesen des Ortes nach, der Abstraktion widerstrebt, wie in der Familie, bei etlichen im Gottesdienst noch, wird es eben als ein, sei es intimes, sei es sakrales, Sondergemach vom Rest der Existenz getrennt. So die »Lebensfrömmigkeit« des Mannes im Verhältnis zu seinem Selbst. Und zur Welt? Nun, die Ansprüche jeder Gemeinschaft, der er sich zuzählt, jeder Gemeinschaftssache, in deren Dienst er getreten ist, an ihn wird er so verstehen, daß er sich personhaft für sie einzusetzen habe,

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heiße diese Gemeinschaft Partei oder Staat oder Menschheit. Nur eben jener Gemeinschaft, die als biologisches, soziologisches, historisches Objektivum jenem Wurzelgrund seiner Seele entspricht, nur eben dieser Gemeinschaft – ach, es ist so gleichgültig, ob man sie als Nation oder als Nationalität oder nur mit ihrem Eigennamen bezeichnet, sie ist ja doch dieses Unikum, Israel! –, nur eben ihr meint er genuggetan zu haben, wenn er ein Hundertstel seiner Zeit der Gemeinderepräsentanz und ein Dreihundertstel seines Einkommens dem Keren Hajesod geschenkt hat. Und doch ist diese unter allen Gemeinschaften, mit denen er zu schaffen hat, die bedrohteste, die einzige, die nicht bloß in ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform, sondern in ihrer vitalen Substanz bedroht ist. »Gott spricht«, schreibt Wilhelm Michel, »auch in der Geschichte.« Es ist mein Glaube und meine Erfahrung, daß eben aus diesem Bedrohtsein des Judentums, das an seinen innersten Kern rührt, Gottes Geschichtsstimme spricht. Die wohl den Menschen anruft, die Geschichte in ihrer Wirklichkeit aufzunehmen, aber nicht um sie hinzunehmen. Gott meint nicht die geschehene, sondern die geschehende Geschichte; nicht die gewirkte und verwirkte, sondern die wirkende Wirklichkeit und die neu zu wirkende. Und wenn dieses Element »Judentum« in seinen chemischen Verbindungen unherausholbar aufzugehen droht (sei es oder sei es nicht »Nation«: ohne die Fundamente des Bios und der Societas kann kein »jüdischer Geist« bestehen bleiben), dann stößt doch wohl eben damit Gottes Hand durch den Schutt an die verschütteten Kräfte vor, sie aufzuerwecken, zu einem Werk der Rettung. Wilhelm Michel scheint ja freilich nicht bloß eine Lebensfrömmigkeit des Juden, sondern auch eine Sterbensfrömmigkeit der Judenheit zu wünschen. Aber wenn Gott mir eine Krankheit zuschickt, die mir den Tod bringen kann, – ob er mir damit Ergebung gebietet oder eine Gegenwehr aus den verborgenen Wesensenergien, damit aus beiden zusammen, Angriff und Abwehr, eine leibhafte Erneuerung meiner Person sich erzeuge, das ist eine Sache des Geheimnisses zwischen Gott und mir; und die mag es bleiben, bis Gott der Welt offenbart hat, was er meinte, das Sterben oder das neue Leben. Justizrat X. aber … Wie Sie wissen, steckt meiner Anschauung nach jeder Mensch frisch in Adams Situation – nun, nachdem Gott gesprochen hat: Wo bist du? versteckt sich Adam nicht mehr; der Justizrat erst recht. *

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… Ob die »Assimilation« eine Idee hat? Gewiß hat sie eine, und Michel hat die Seele dieser Idee gemalt. Aber ob sie damit, daß sie diese Idee hat, auch Wahrhaftigkeit und Frömmigkeit hat? Nein. Denn eine Wahrhaftigkeit zum Um-Bezirk des inneren Seins, die durch Vernachlässigung des Ur-Bezirks zustande kommt, ist keine, und eine Frömmigkeit, die Gottes Stimme nicht aushört, sondern nach dem ersten Satz unterbricht: »Ja, ja, wir wollen dir gehorchen« und beim zweiten nicht mehr anwesend ist, ist vielleicht weniger als keine. Aber hüten wir uns vor der gruppenhaften Selbstgerechtigkeit, die um nichts besser ist als die persönliche! Es gibt eine Anzahl von Zionisten, die es umgekehrt machen: die den Umwelt-Bezirk, den sie ja mit jedem deutschen Wort, das sie sprechen, betreten, mit Geist und Willen negieren, und Gottes Stimme zwar aushören, aber nur, weil sie erst zu Beginn des zweiten Satzes die Ohren aufgemacht haben. Was soll man von ihnen sagen? Und doch, auch bei der strengsten Prüfung kann ich sie nicht neben jene stellen. Sie leben ja doch von der Mitte und nicht von der Peripherie aus, – beides gehört zusammen, aber es ist nicht gleicher Ordnung. Jene hören nur den ersten, sie nur den zweiten Satz; aber der erste ist zuerst etwa zu Zeitgenossen Mirabeaus gesprochen worden, der zweite zu Abraham.

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Ich meine die mir gestellte Aufgabe am besten erfüllen zu können, wenn ich nicht von den Besonderheiten des religiösen Lebens der deutschen Juden in unsrer Zeit spreche – diese Besonderheiten sind nicht von wesentlicher Bedeutung –, sondern vom Glauben des Judentums überhaupt, freilich immer bedacht, nichts zu behandeln, was nicht auch jetzt und hier lebensmäßig, ereignismäßig besteht. 1. Der Weg des Glaubens

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Es ist nicht die Religion, sondern nur der Glaube des Judentums, über den ich zu Ihnen sprechen will; nicht Kult, Ritual, sittlich-religiöse Norm, sondern Glaube; aber Glaube im ernsten und strengen Sinn. Nicht der »Glaube«, an den sich das Wort »daß« knüpft, nicht jene wunderliche Mischform von Wähnen und Erkennen, sondern der Glaube, der mit dem Dativ konstruiert wird, der also, der Vertrauen und Treue bedeutet. Damit hängt es zusammen, daß ich nicht von einer jüdischen Theologie ausgehe, sondern von der tatsächlichen Wesenshaltung des gläubigen Juden bis auf unsere Zeit. Wenn ich auch notwendigerweise in theologischen Begriffen von dieser Glaubenswelt spreche, darf ich doch in keinem Augenblick das volkstümliche Material, aus dem ich sie schöpfe, die Volksliteratur und meine eigenen Eindrücke aus dem jüdischen Volksleben, namentlich dem des Ostens – aber nichts ist im Osten, wovon nicht etwas auch im Westen wäre –, aus den Augen verlieren. Wenn ich auf das volkstümliche Material hinweise, begegnet es mir oft, daß ich gefragt werde: Sie meinen wohl den Chassidismus? Eine gewiß naheliegende Frage. Aber so ist es nicht. Ich sehe im Chassidismus nur eine konzentrative Bewegung; die stärkste Konzentration der Elemente, die in unverdichteter Gestalt überall im Judentum zu finden sind, auch im Bereich des »Rabbinismus«, nur eben hier nicht in der sichtbaren Gemeinschaftsstruktur, sondern in dem unzugänglichen Bau des persönlichen Lebens waltend. Was ich also zu formulieren suchen will, sind Theologumena einer Volksreligion. Keines von ihnen werde ich aus einer einzigen Epoche ableiten dürfen; es ist mir um die Darstellung der Einheit in den Wandlungen zu tun. Aber die religiösen Wahrheiten sind ja überhaupt dynamischer Art: Wahrheiten, die nicht von einem Querschnitt der Geschichte aus, sondern gerade nur in der geschichtlichen Gesamtlinie, in ihrer Entwick-

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lung, in der Dynamik ihrer Wandlungen als solche erfaßbar sind. Ihre Selbstläuterung und Selbstvollendung, das Ringen um die Reinheit einer religiösen Konzeption, ist das wichtigste Wahrheitszeugnis dieser Konzeption. Die Wahrheit der Religionsgeschichte ist das Wachsen des Gottesbildes, der We g des Glaubens. Vom Weg des jüdischen Glaubens habe ich also, wenn auch nicht in geschichtlicher Form, zu reden.

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2. Die dialogische Situation Man hat oft die Frage aufgeworfen, ob es eine jüdische Dogmatik gibt. Man sollte eher nach der relativen Mächtigkeit des Dogmas im Judentum fragen. Daß es in ihm Dogmen gibt, bedarf keiner Erörterung, da die dreizehn maimonideischen Glaubensartikel in die Gebetsordnung aufgenommen worden sind. Aber das Dogma bleibt sekundär. Primär im religiösen Leben des Judentums ist nicht das Dogma, das ja erst in der Abhebung vom konkreten, gelebten Augenblick – die in der Dogmatik leicht als Erhebung über ihn mißverstanden wird – erstehen kann, sondern Erinnerung und Erwartung einer konkreten Situation: der Begegnung Gottes mit dem Menschenvolk. Alles, was in abstracto, was in der dritten Person vom Göttlichen ausgesagt wird, jenseits des Gegenüber von Ich und Du, ist nur Projektion auf die begriffliche, konstruierte Ebene, eine Projektion, die immer wieder als uneigentlich, wenn auch unentbehrlich, empfunden wird. Von hier aus ist das Problem des sogenannten Monotheismus zu betrachten. Wenn Lagarde sagt, der Monotheismus stehe auf einer Stufe mit dem Bericht eines zur Intendantur kommandierten Unteroffiziers, der das Dasein nur eines Exemplars von irgendwelchem Gegenstand meldet, so ist das eine Verwechslung von realem mit theologischem Monotheismus. Der wirkliche ist keine Aussage über die Existenz eines Exemplars: er ist ganz und gar aufgebaut auf der Ausschließlichkeit der Du-Erfahrung. Israels Du-Erfahrung der direkten Beziehung, die schlechthin singularische Erfahrung, ist so gewaltig, daß die Vorstellung einer Mehrheit von Prinzipien nicht aufkommen kann. Demgegenüber ist der »Heide« der Mensch, der Gott in seinen Erscheinungsformen n i c h t w i e d e r e r k e n n t ; vielmehr: der Mensch ist in dem Maße Heide, als er Gott in seinen Erscheinungsformen nicht wiedererkennt. Die Grundhaltung des Juden ist durch den Begriff des J i c h u d , der »Einung«, bezeichnet, der vielfach mißverstanden wird. Es geht um die unablässig erneute Bestätigung der göttlichen Einheit in der Vielfältigkeit der Erscheinungen, und zwar ganz praktisch gefaßt: immer wieder

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geschieht durch menschliche Wahrnehmung und Bewährung, angesichts der ungeheuren Gegensätzlichkeit des Lebens, und insbesondre angesichts jenes sich mannigfaltig kundgebenden Ur-Widerspruchs, den wir die Zweiheit von Gut und Böse nennen, dieser Gegensätzlichkeit nicht zum Trotz, sondern zu Liebe und Versöhnung, die Einung, das heißt: die Erkennung, Anerkennung, Wiedererkennung der göttlichen Einheit. Nicht im Bekenntnis allein, sondern in der Erfüllung des Bekenntnisses. Also keineswegs in pantheistischem Theorem, sondern in der Realität des Unmöglichen, in der Verwirklichung des Ebenbilds, in der imitatio Dei. Das Geheimnis dieser Wirklichkeit vollendet sich im Martyrium, im Sterben mit dem Einheitsruf des »Höre Israel« auf den Lippen, der hier zur Bezeugung im lebendigsten Sinn wird. Ob der Weise des Mittelalters redet: »Mein Gott, wo finde ich dich, aber wo finde ich dich nicht?«, ob der heutige ostjüdische Bettler in das Grauen der härtesten Stunde zärtlich und unbeirrbar seinen nicht zu übersetzenden, einfältigen, aber in der Aussprache so abwandlungsreichen Kosenamen »Gotenju« hineinflüstert: es ist das gleiche Wiedererkennen, das gleiche Immer-wieder-Anerkennen des Einen. Was so zu erhabenem oder kindhaftem Ausdruck kommt, ist die dialogische Situation, in der der Mensch steht. Die Sprache wird vom Judentum als ein über das Dasein des Menschen und der Welt hinausgreifendes Geschehen erkannt. Gegenüber der Statik der Logosidee erscheint hier das Wort in seiner vollen Dynamik, als das, was sich begibt. Der Schöpfungsakt Gottes ist Sprache; aber auch jeder gelebte Augenblick ist es. Die Welt wird dem sie wahrnehmenden Menschen zugesprochen, und das Leben des Menschen selbst ist ein Zwiegespräch. Was ihm widerfährt, sind die großen und kleinen, unübertragbaren, aber unverkennbaren Zeichen einer Anrede; was er tut und läßt, kann Antwort oder Versagen der Antwort sein. Und so ist die ganze Geschichte der Welt, die heimliche, wirkliche Weltgeschichte, ein Dialog zwischen Gott und seiner Kreatur; ein Dialog, in dem der Mensch echter, rechtmäßiger Partner ist, der sein eigenes selbständiges Wort von sich aus zu sprechen befugt und ermächtigt ist. Ich bin weit entfernt davon zu behaupten, daß die Erfahrung und Erfassung der dialogischen Situation eine Besonderheit des Judentums sei. Aber es ist mir gewiß, daß keine andere Menschenschar an diese Erfahrung solche Kraft und Innigkeit hingegeben hat wie die Juden.

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3. Das menschliche Handeln Die Voraussetzung eines solchen Ernstnehmens der gelebten Dialogik, des Augenblicks als Wort und Antwort, ist freilich, das Eingesetztsein des Menschen auf Erden ernst zu nehmen. Das Weltgeschehen vollzieht sich in der jüdischen Konzeption, im stärksten Gegensatz etwa zur iranischen mit ihren vielfachen Ausläufern, nicht zwischen zwei Prinzipien, Licht und Finsternis, Gut und Böse, sondern zwischen Gott und dem Menschen, diesem sterblichen, brüchigen Menschen, der dennoch Gott gegenübersteht und seinem Wort standzuhalten vermag. Das sogenannte Böse ist also elementhaft völlig in die Gewalt Gottes eingefügt, der »Licht bildet und Finsternis schafft«. Dem göttlichen Walten erwidert kein an sich Böses, sondern die menschliche Person, durch die erst das sogenannte Böse, die richtungslose Kraft, zum wirklichen Bösen werden kann. Die menschliche Wahl ist nicht ein psychologisches Phänomen, sondern letzte Realität, die in das Mysterium des Seienden selbst aufgenommen ist. Es ist dem Menschen in Wahrheit freigestellt, Gott zu wählen oder zu verwerfen, und zwar nicht in einem weltledigen Glaubensverhältnis, sondern in der ganzen Fülle des Alltags. Der »Sündenfall« ist nicht einmal geschehen und zum Verhängnis geworden, sondern in all seiner Wirklichkeit geschieht er jetzt und hier. Jeder Mensch ist, trotz aller geschehenen Geschichte, trotz allen Erbstoffs der Vererbungen, in der nackten Adamssituation; jedem Menschen ist Entscheidung zugeteilt. Freilich nicht so, als ob man aus dieser die weiteren Ereignisse herausspinnen könnte, vielmehr ist damit nur gesagt, daß die Wahl des Menschen die ihn als zum Handeln Berufenen angehende Seite der Wirklichkeit ist. Nur wenn die Wirklichkeit logisiert wird, wenn also A und Non-A nicht mehr beieinander wohnen dürfen, gibt es als einander ausschließend Determinismus und Indeterminismus, Prädestinationslehre und Freiheitslehre. Dem logischen Wahrheitsbegriff nach kann nur eins von beiden wahr sein, aber in der Wirklichkeit des gelebten Lebens sind sie voneinander unablösbar. Der Mensch, der sich entscheidet, weiß, daß das keine Selbsttäuschung ist; der Mensch, der gehandelt hat, weiß, daß er in der Hand Gottes stand und steht. Die Einheit beider ist das Geheimnis im Herzen des Zwiegesprächs. Ich sagte schon: das »Böse« ist zunächst nur als Element zu fassen, menschlich gesprochen: als Leidenschaft. Die Leidenschaft ist nur dann böse, wenn sie in der Richtungslosigkeit verharrt, sich der Richtung verwehrt, die Richtung auf Gott zu – es gibt keine andere – nicht annehmen

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will. In vielfachen Varianten kehrt im Judentum die Einsicht wieder, daß die Leidenschaft, der »böse Trieb«, das Element schlechthin ist, aus dem allein die großen menschlichen Werke, auch die heiligen Werke entstehen. Der Satz der Schrift, der Gott am Ende des letzten Schöpfungstags seinem Werk anmerken läßt, daß es »sehr gut« ist, wird von der Tradition auf den sogenannten bösen Trieb bezogen. Unter allem Erschaffnen ist die Leidenschaft das sehr Gute, ohne das man Gott nicht dienen, nicht wahrhaft leben kann. Das Wort »So liebe denn IHN deinen Gott mit all deinem Herzen« wird gedeutet: mit deinen beiden Trieben, dem »guten« und dem »bösen«, dem Trieb der Richtung und dem Trieb der Kraft. Und von diesem sogenannten bösen Trieb sagt Gott zum Menschen: »Du hast ihn böse gemacht«. So ist also »in der Trägheit verharren« die Wurzel alles Übels. Der Vorgang der Entscheidung bedeutet, daß der Mensch sich nun nicht länger von dem richtungslosen Wirbel der Leidenschaft tragen läßt, sondern ihre ganze Mächtigkeit in die eine Richtung, zu der er sich entscheidet – man kann sich nur zu Gott entscheiden –, einbezieht. Das Böse ist also nur die »Schale«, die Umhüllung, Umkrustung des Guten, die Schale, die aktiv durchbrochen werden will. Aber das ist nicht, wie kürzlich ein katholischer Theologe meinte, der der Gnade unkundige »jüdische Aktivismus«. Dem Ernstnehmen der göttlichen Gnade wird durch das Ernstnehmen der menschlichen Entscheidung nicht bloß kein Abbruch getan, sondern dieses führt die Seele auf einem nur so erreichbaren Weg auf jenes hin. Keineswegs wird dem Menschen hier eine Machtvollkommenheit zugesprochen; bestimmend ist vielmehr die gebotene Perspektivik des konkreten Handelns, das man nicht vorwegnehmend einschränken darf, sondern das Beschränkung wie Begnadung selber, eben im Gang der Handlung, zu erfahren hat. Die große Frage, die unsere Zeit immer tiefer aufrührt: Wie können wir handeln, gilt unser Handeln im Angesicht Gottes, oder ist es von Grund aus gebrochen und unbefugt? beantwortet sich so für das Judentum durch das Ernstnehmen des Eingesetztseins des Menschen als eines Ursprungs von Geschehen, als eines wirklichen Partners des wirklichen Zwiegesprächs mit Gott. Diese Antwort bedeutet eine Ablehnung aller Sonderethik, aller Ethik als Sondersphäre, wie sie uns aus der Geistesgeschichte des Abendlands nur allzu bekannt ist. Das ethische ist unausschmelzbar eingegangen in das religiöse Leben. Es gibt keine Verantwortung ohne den, dem man sich verantwortet, denn es gibt keine Antwort ohne Ansprache. Mit dem »religiösen Leben« aber ist letztlich nichts andres gemeint, als die Konkretheit selbst, die ganze Konkretheit des Lebens o h n e R e d u k t i o n , dialogisch gefaßt, in das Zwiegespräch einbezogen.

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Es gibt also in dem Zwiegespräch immer wieder ein echtes Ansetzen des Menschen. Es gibt etwas, das unbegreiflicherweise dem Menschen zuteil geworden ist, das Anfangen. Der Mensch kann nicht vollenden und muß doch selber beginnen, und zwar im äußersten Wirklichkeitsernst. Wie es in etwas paradoxer Deutung des ersten Satzes der Genesis einmal von chassidischer Seite ausgesprochen wird: Im Anfang – das heißt: um des Anfangs willen, um des Anfangens willen schuf Gott Himmel und Erde. Um des menschlichen Anfangens willen: damit es einen gebe, der auf ihn, auf Gott zu anfangen kann und soll. So ist auch jener große Satz zu verstehen, den am Schluß des vom Versöhnungstag handelnden Mischna-Traktats Rabbi Akiba zu Israel spricht: »Vor wem reinigt ihr euch und wer macht euch rein? Euer Vater im Himmel.« Hier ist die Tat des Menschen in ihrer Wirklichkeit und in ihrer Unzulänglichkeit zugleich ausgesprochen, die Wesenhaftigkeit des menschlichen Handelns und sein Angewiesensein auf die Gnade. Und sinnmächtig endet der Spruch mit den Worten, die auf eine kühne Schriftauslegung zurückgehen: »ER ist das Tauchbad Israels.«

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4. Die Umkehr Dieses Anfangen des Menschen bekundet sich am stärksten in dem Vorgang der Umkehr. Man sagt gewöhnlich »Buße«, aber das ist eine irreführende Psychologisierung; man tut besser, das Wort in seiner ursprünglich-sinnlichen Bedeutung zu fassen, denn was mit ihm gemeint ist, begibt sich nicht in der Innerlichkeit der Seele, so daß es außerhalb ihrer nur etwa »Folgen« oder »Wirkungen« hätte, sondern es begibt sich unmittelbar in der Wirklichkeit zwischen Mensch und Gott. Die Umkehr ist so wenig ein »seelisches« Ereignis, wie Geburt und Tod des Menschen; sie geschieht an der ganzen Person, mit der ganzen Person, und sie geschieht nicht im Verkehr des Menschen mit sich selbst, sondern in der schlichten Realität der Ur-Gegenseitigkeit. Die Umkehr ist eine menschliche Tatsache, aber sie ist auch eine weltumgreifende Macht. Als Gott, so wird erzählt, seine Schöpfung vorbedachte und sie vor sich auf einen Stein hinritzte, wie ein Baumeister sich den Grundriß zeichnet, sah er, daß die Welt keinen Bestand haben würde. Da schuf er die Umkehr: nun hatte die Welt Bestand, denn nun war ihr, wenn sie sich von Gott weg, in die Abgründe der Selbstheit verlief, die Rettung erschlossen, der in eigner Bewegung zu vollziehende Rückschwung gnadenhaft gewährt. Die Umkehr ist die größte Gestalt des »Anfangens«. Wenn Gott zum

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Menschen spricht: »Öffne mir die Pforte der Umkehr so schmal wie eine Nadelspitze, und ich will sie so weit öffnen, daß Wagen einziehen können«, oder wenn Gott zu Israel spricht: »Kehret um, und ich werde euch zu einer neuen Schöpfung umschaffen«, zeigt sich uns so klar wie sonst nirgends der Sinn des menschlichen Anfangens. In der Umkehr ersteht der Mensch neu als Gottes Kind. Da die Umkehr so Gewaltiges bedeutet, versteht man die Sage, daß Adam von Kain die Kraft der Umkehr lernte, versteht jenen an ein neutestamentliches Wort anklingenden, aber von ihm ganz unabhängigen Spruch: »An dem Ort, wo die Umkehrenden stehen, vermögen die vollkommen Gerechten nicht zu stehen.« Wir sehen wieder, daß es im Judentum keine Sonderethik gibt. Dieses höchste »ethische« Moment ist völlig in das dialogische Leben zwischen Gott und Mensch aufgenommen. Die Umkehr ist nicht Rückkehr zu einem früheren, »sündenfreien« Zustand, sondern sie ist Wesensumschwung, – das im Umschwung Hingetragenwerden auf den Weg Gottes. Dieser aber, ἡ ὁδὸς τοῦ ϑεοῦ, bedeutet nicht etwa bloß einen Weg, den Gott dem Menschen anbefiehlt, sondern er, Gott selber, geht in seiner Schechina, in seiner »Einwohnung«, einen Weg durch die Geschichte der Welt; er nimmt Weg, nimmt Weltschicksal auf sich. Wer umkehrt, gerät in die Wegspur des lebendigen Gottes. Von da aus ist auch jenes Wort, mit dem im Neuen Testament erst der Täufer, dann Jesus, dann die Sendlinge ihre Predigt beginnen, in seiner vollen Prägnanz zu verstehen, jenes durch das griechische μετανοεῖτε, das auf einen g e i s t i g e n Prozeß hindeutet, falsch wiedergegebene Wort, das im hebräischen oder aramäischen Original kein anderes gewesen sein kann als der alte Prophetenruf »Kehret um«. Und von da aus auch, wie mit jenem Predigtanfang der folgende Satz verknüpft ist: »denn nah herbeigekommen ist ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν«, was nach dem hebräischen oder aramäischen Sprachgebrauch der Zeit nicht bedeutet haben kann »Himmelreich« im Sinne einer »anderen Welt«: Schamajim, Himmel, ist damals eine der Umschreibungen des Gottesnamens; Malchut Schamajim, ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν, bedeutet nicht Himmelreich, sondern das Königtum Gottes, das sich an der ganzen Schöpfung erfüllen und sie so vollenden will. Das Reich Gottes kommt dem Menschen nah, es will von ihm ergriffen und verwirklicht werden, nicht durch theurgische »Gewalttat«, sondern durch den Umschwung des ganzen Wesens; und nicht, als ob er durch den etwas auszurichten vermöchte, sondern weil die Welt um seines Anfangens willen erschaffen worden ist.

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5. Gegen Gnosis und Magie Von zwei religiös gewandeten Geistesmächten vor allen ist die Einsicht in die religiöse Wirklichkeit, in die dialogische Situation des Menschen, bedroht: von Gnosis und Magie. Sie greifen nicht von außen an, sie dringen in die Religion selber ein und geben sich dann als deren Wesen aus. Indem das Judentum sich immer wieder ihrer erwehrte und gegen sie abgrenzte, hatte es zumeist einen inneren Kampf auszutragen. Dieser Kampf ist häufig als einer gegen den Mythus mißverstanden worden. Aber nur ein abstrakt-theologischer Monotheismus kann des Mythus entraten, ja darf in ihm seinen Feind sehen; der lebendige braucht ihn, wie alles religiöse Leben ihn braucht, als die spezifische Gedächtnisform, in der sich seine zentralen Ereignisse bewahren und dauernd einverleiben. Gnosis und Magie traten Israel zuerst in den zwei großen nachbarlichen Kulturen gegenüber; Gnosis, die Kunde vom wißbaren Geheimnis, als die babylonische Lehre von der Sternenmacht, der das irdische Schicksal verhaftet ist – sie baute sich später zu der iranischen Lehre von der Gefangenschaft der Weltseele im Kosmos aus; Magie, die Kunde von dem zu bezwingenden Geheimnis, als die ägyptische Lehre von der Überwindung des Todes und Erringung unsterblichen Heils durch vorgeschriebene Formeln und Gebärden. Die Jakobstämme konnten zu Israel nur werden, indem sie sich von beiden losmachten: wer das Geheimnis zu wissen und innezuhaben wähnt, kann ihm nicht mehr als seinem Du gegenübertreten, und wer es beschwören und benützen zu können meint, ist unfähig zum Wagnis der echten Gegenseitigkeit. Der gnostischen Versuchung erwidert die »Weisung«, die Thora, mit dem wahrhaft grundlegenden Ruf: »Das Geheimnis ist bei IHM, unserem Gott, die Offenbarung ist bei uns und unseren Söhnen auf immer: alle Worte dieser Weisung zu tun!« Die Offenbarung handelt nicht vom Geheimnis Gottes, sondern vom Leben des Menschen, aber von ihm eben als von einem, das dem Geheimnis Gottes gegenüber und auf es zu gelebt werden kann und soll, vielmehr: gelebt wird, wenn es das wirkliche Leben des Menschen ist. Und der magischen Versuchung tritt das Gotteswort im brennenden Dornbusch entgegen: auf das Bedenken Mose, er wisse nicht, was er dem Volke sagen solle, wenn es ihn fragen würde, was es um den Namen des Gottes sei, als dessen Bote er zu ihnen spreche (nicht, welches der Name des »Gottes der Väter« sei!), das heißt, wie es in seiner Not sich des Geheimnisses dieses Namens nach allgemeinem primitiven Völkerbrauch bemächtigen, den Gott beschwören und zwingen könne, ihnen zu erscheinen und sie zu retten, antwortet Gott mit der Erschließung eben

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des Namens, indem er das, was dieser in der Form der dritten Person birgt, in der ersten Person ausspricht. Nicht jenes angebliche »Ich bin der ich bin« der Metaphysiker – Gott macht keine theologischen Aussagen –, sondern den Spruch, dessen seine Kreatur bedarf, und der ihr frommt: »Ich werde dasein als der ich dasein werde«; das heißt: Ihr braucht mich nicht zu beschwören, denn ich bin da, bin bei euch, aber ihr könnt mich auch nicht beschwören, denn ich bin jeweils so bei euch, wie ich jeweils sein will, ich selber nehme keine meiner Erscheinungen vorweg, ihr könnt mir nicht begegnen lernen, ihr begegnet mir, wenn i h r mir begegnet: »Nicht im Himmel ist es, daß du sprächest: Wer steigt für uns zum Himmel und holt’s uns und gibt’s uns zu hören, daß wir’s tun? … Nein, sehr nah ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen, es zu tun.« In seinem innern Kampf gegen das Eindringen von Gnosis und Magie ist auch die Dynamik des späteren Judentums zu verstehen, insbesondre auch jener ärgerliche Talmud. Um was es in mancher seiner scheinbar lebensfernen Diskussionen geht, ist nur zu erfassen, wenn wir uns diese stete doppelte Bedrohung der religiösen Wirklichkeit vergegenwärtigen: durch die Gnosis in der Gestalt der spätiranischen Lehre von den Doppelprinzipien und den Mittlersubstanzen, durch die Magie in der Gestalt der hellenistischen Praxis der Theurgie. Diese beiden verschmolzen innerjüdisch in der Kabbala, dem unheimlich gewaltigen Unternehmen des Juden, sich der Konkretheit der dialogischen Situation zu entwinden. Die Kabbala ist dadurch bezwungen worden, daß sie so, wie sie war, in die urjüdische Konzeption des dialogischen Lebens eingewandelt wurde; dies ist das bedeutende Werk des Chassidismus. Er läßt alle Mittlersubstanzen verblassen vor dem Verhältnis zwischen Gottes Transzendenz, dem nur in der Aufhebung alles begrenzten Seins, als der »Uneingeschränkte« zu Benennenden, und seiner Immanenz, der »Einwohnung«; das Geheimnis dieses Verhältnisses aber ist nun nicht mehr ein wißbares, sondern es wird unmittelbar auf das schlagende Herz der menschlichen Person gelegt, als der Jichud, als die von ihr in allen Lebensmomenten und an allen Weltdingen zu bekennende und bewährende Einung. Und die Theurgie wird vom Chassidismus entgiftet, indem er zwar keineswegs die Einwirkung des Menschlichen auf das Göttliche verneint, aber über alle Formeln und Gebärden, über alle Übung, Kasteiung, Zurichtung, Absichtlichkeit hinaus und hinweg als ihren, der Einwirkung, einzigen wahren Träger die Heiligung des ganzen Alltags verkündet, also die Technik der Intention auflöst, kein ein für allemal gültiges, kein »anwendbares« Sondermittel bestehen läßt. So erneuert der Chassidismus die Einsicht in die mit dem rückhaltlosen Lebenseinsatz zu wagende Ge-

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genseitigkeit, in die dialogische Beziehung des ungeteilten Menschen zum ungeteilten Gott in der Fülle der irdischen Gegenwart und ihrer unvorhersehbaren, uns Augenblick um Augenblick antretenden Situationen; die Einsicht in jene Scheidung von »Geheimnis« und »Offenbarung« und in jene Vereinigung beider in dem nicht wißbaren, nur immer wieder erfahrbaren »Ich werde dasein«; die Einsicht in die Wirklichkeit der Begegnung. Die Gnosis verkennt die Begegnung, die Magie verletzt sie; der Sinn der Offenbarung ist, daß sie bereitet werde; der Chassidismus deutet es aus: daß sie an der ganzen Wirklichkeit des menschlichen Lebens bereitet werde.

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6. Der Dreiklang der Weltzeit Auf der Einsicht in die dialogische Situation, richtiger, auf dem Durchdrungensein von ihr gründet sich das unzerstörbare Wissen des Judentums um die Dreiheit im Dreiklang der Weltzeit: Schöpfung, Offenbarung, Erlösung. Innerhalb des frühen Christentums hat zuerst das Johannesevangelium die Dreiheit durch eine Zweiheit zu ersetzen gesucht, indem es Offenbarung und Erlösung in eins band: das Licht, das in der Finsternis scheint und von der Finsternis nicht empfangen wird, das den ganzen Menschen erleuchtende Licht, das in die Welt kommt, – das ist Offenbarung und Erlösung zugleich, in seinem In-die-Welt-Kommen offenbart sich Gott und wird die Seele erlöst. Das Alte Testament schrumpft zum Prolog des Neuen zusammen. Marcion ist weiter gegangen: er hat die Zweiheit durch eine Einheit zu ersetzen gesucht, indem er die Schöpfung aus der religiösen Wirklichkeit verbannte, Schöpfergott und Erlösergott auseinanderriß, und jenen der Anbetungswürdigkeit, also der Gottheit verlustig erklärte: der »fremde« Gott, der sich erlöserisch offenbart, erlöst die Seele vom Kosmos und von dessen Werkmeister, dem nur »gerechten«, nicht »guten« Judengott, dem Demiurgen und Gesetzgeber, dem Scheingott dieses Äons, in einem. Das Alte Testament wird als widergöttliches Buch verworfen. Marcions Werk ist von der Kirche nicht rezipiert, ja in großer Weise bekämpft worden; wie aktuell es dennoch für das christliche Denken geblieben ist, hat neben vielem anderen in unseren Tagen die marcionisierende These Harnacks erwiesen, der die »Konservierung« des Alten Testaments als kanonischer Urkunde im Protestantismus als »die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung« brandmarkt und von jenem nur noch den Propheten

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eine religiöse Gültigkeit zuspricht. Aber mit dem Sieg dieser These würde mehr erzielt als die Trennung zweier Bücher und die Entheiligung des einen für die Christenheit: der Mensch wäre von seinem Ursprung losgeschnitten, die Welt verlöre ihre Schöpfungsgeschichte und damit ihren Schöpfungscharakter, oder die Schöpfung selber würde zum Sündenfall, das Sein zerfiele nicht bloß kosmologisch, sondern in letzter religiöser Betrachtung unaufhebbar in eine »Welt« der Materie und des Moralgesetzes und in eine Überwelt des Geistes und der Liebe. Hier findet die iranische Zweiprinzipienlehre ihren abendländischen Ausbau und die Zwiegespaltenheit des der natürlichen, lebensmäßig vertrauenden Gläubigkeit entfremdeten Menschen ihre theologische Sanktion. Erlösung wird aus einer Vollendung des Schöpfungswerkes zu dessen Überwindung, die Welt kann nicht mehr a l s s o l c h e zum Reich Gottes werden, der »Unbekannte«, der hier angebetet wird, ist der Geist der Reduktion. Was das Judentum vor diesem Ausgang – der für es nicht bloß wie für die abendländischen Völker eine drohende Zersetzung, sondern die unvermeidliche Auflösung gewesen wäre – bewahrte, ist nicht, wie die Marcioniten wohl meinen möchten, daß es die »Tragik«, den Widerspruch des Weltgangs nicht tief genug erfahren hätte, vielmehr daß es ihn in der dialogischen Situation erfuhr, das heißt: daß es den Widerspruch als Theophanie erfuhr. Eben diese Welt eben dieses Widerspruchs, ungekürzt, ungemildert, unverglättet, unvereinfacht, unreduziert, eben die ist es, die zum Reich – nicht überwunden: vollendet, ja vollendet werden soll, denn sie ist es, eben sie, in deren ganzer Gegensätzlichkeit das Reich angelegt ist, so daß dieses durch allen Abstrich nur gehemmt, jedoch durch alle Einung der Gegensätzlichkeit bereitet wird: durch Erlösung nicht vom Bösen, sondern des Bösen, als der von Gott zu seinem Dienst und zum Wirken seines Werkes erschaffenen Kraft. Steht die ganze Welt, das ganze Weltgeschehen, die ganze Weltzeit unreduziert in der dialogischen Situation, bedeutet ihre Geschichte in Wahrheit das Zwiegespräch Gottes mit seiner Kreatur, dann ist die Dreiheit, in der diese Geschichte geschaut und vernommen wird, nicht ein beiseitezuschiebendes menschliches Orientierungsschema, sondern die geschehende Wirklichkeit selber. Was aus dem Abgrund des Ursprungs in die Sphäre unserer nicht erfassenden Fassung, unseres stammelnden Berichtes tritt, ist der schöpferische Ruf Gottes an das Nichts. Noch lagert das Schweigen ihr gegenüber, aber schon erstehen die Dinge und antworten, ihr Gewordensein ist ihre Antwort, und indem Gott sie segnet und beauftragt, hat die Offenbarung, die Beziehung von Geben und Empfangen, aber auch die von Gebenwollen und Empfangversagen, be-

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gonnen. Sie währt, bis die echte Antwort der umkehrenden Kreatur lautbar und von Gottes Erlösergnade aufgenommen wird, so daß in der ungeminderten Vielheit und Vielfältigkeit, aus dem Element der Gegensätzlichkeit selber gestaltet, die Einheit sich erhebt und die Gemeinschaft der Kreaturen im Namen und im Angesicht Gottes stiftet. Und wie Schöpfung nicht die Seele anruft, sondern die Ganzheit der Dinge, wie Offenbarung nicht die Seele ermächtigt und erheischt, sondern die Ganzheit der Wesen, so ist es auch nicht die Seele, sondern die Ganzheit der Welt, deren Erlöstwerden von der Erlösung gemeint ist. Erschaffen richtet sich der Mensch auf, ein einiger Leib, beseelt in der Verbundenheit mit den Geschöpfen, begeistet in der Verbundenheit mit dem Schöpfer; dem einig leibhaften, beseelten und begeisteten Menschen gegenwärtigt sich der Herr der Offenbarung und begabt ihn mit seiner Botschaft, in eben diese Ganzheit hinein, so daß er nicht bloß mit dem Denken und mit dem Gefühl, sondern auch noch mit Sohlen und Fingerspitzen die Zeichenrede der sich ereignenden Wirklichkeit empfängt; am einig leibhaften Leben muß die Erlösung geschehn. Nicht weniger als seine ganze Schöpfung will Gott der Schöpfer vollenden, nicht weniger als seine ganze Offenbarung will Gott der Offenbarer zur Tatsächlichkeit machen, nicht weniger als alles Erlösungsbedürftige will Gott der Erlöser in seine Arme ziehen.

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Drei Stationen (Zu Marcus Ehrenpreis’ Sechzigstem Geburtstage)

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Als wir den Dienst um Israel begannen, war unser Losungswort: Kultur. Wir sehnten uns, tätig, danach, dass das jüdische Volk seine »wiedergeborene« Art wieder in einer eigentümlichen Welt aus Geist und Gebild gültig auspräge. Dann aber erkannten wir, dass man Kultur nicht wollen kann, dass sie in der Geschichte nie aus Absicht und Zielsetzung, sondern stets als Epiphainomenon, als Nebenprodukt eines Lebensprozesses entsteht. Wie Persönlichkeit, so entwickelt sich auch Kultur, wenn man nicht an sie denkt. Unsre »Kulturarbeit« kam uns nun zu – geistig vor. Der Urgrund des Lebens musste aufgerührt werden. Das ist es, was wir mit religiöser Erneuerung meinten. Aber Religion ist etwas, was man nicht einmal wollen darf. Nur wenn sie sich selber zu überwinden strebt, also wirklich gar nicht mehr sich, das Reich der Religion, sondern Gott und sein Reich meint, führt sie zu ihm hin; wenn sie sich als solche als das herrliche religiöse Erleben und Schaffen behauptet, verstellt sie dem Menschen Gottes Antlitz. Religion um des Nutzens für das Menschenleben, für das Volksleben willen angestrebt, statt um der Heiligung Gottes im Menschenleben, im Volksleben willen, ist schlimmer als Irreligion, weil sie erst das Fiktive, das Unwirkliche, als Wirklichkeit der Wirklichkeiten Vorspiegelnde ist. Und hier, am Rand, erfuhren wir, worauf es für Israel ankommt. Nicht auf Kultur und nicht auf Religion, sondern auf die Wirklichkeit. Aber eben auf die ganze Wirklichkeit, mit Gott und Welt und Mensch, – Kampf des Menschen um Gott in der Welt, Begegnung des Menschen mit Gott an der Welt, Erlösung der Welt von Gott her durch den Menschen, und als die Stätte von Kampf, Begegnung und Erlösung: den gelebten Alltag. Aber das jüdische Volk? Erst wenn es sich in der ganzen Wirklichkeit findet und bewährt, nicht eher, wird das Volk in Wahrheit wiedergeboren.

Für die Sache der Treue Über sein 1921 erschienenes Hauptwerk, »Der Stern der Erlösung« hat Franz Rosenzweig als Motto die Worte aus dem 45. Psalm gesetzt: ‫רכב‬ ‫ על דבר אמת‬Auf deutsch etwa: Reite für die Sache der Treue. Das vorangehende und zugehörige, dem Verb ‫ רכב‬koordinierte Wort ‫ – צלח‬auf deutsch: dringe durch, habe Glück, es gelinge dir, sinnhaft am besten durch »Heil dir« in der echten Bedeutung des Wegsegens wiederzugeben – hatte er in das Motto nicht mitaufgenommen, ebenso wie das den Vers einleitende ‫ והדרך‬das am ehesten zu verstehen ist: in deinem Glanz. Welche Gründe Rosenzweig zu dieser Auslassung bewogen, geht hervor aus einer Aufzeichnung von 1922, dem Anfangsjahr seiner Krankheit, als er noch selber schreiben konnte, aber die Hand, wie aus den Schriftzügen zu erkennen ist, die sichre Führung schon zu verlieren begann. Er trug zu jener Zeit in ein kleines Notizbuch abwechselnd ergänzende Gedanken zum »Stern« und Bestimmungen ein, was nach seinem Tode geschehen sollte, dessen Kommen er schon damals, und schon damals mit gläubigem Standhalten, erwartete. Die Aufzeichnung lautet: »Bei der 2. Auflage des ✡ soll dem Motto das fehlende ‫ צלח‬vorausgesetzt werden. Cohen hatte mir damals das Ganze gesagt, aber bei der ersten Auflage, die mich ja doch ›ins Leben‹ führen sollte, liess ichs weg – nemo ante mortem beatus.« Hermann Cohen war es gewesen, der – und zwar 1918, kurz vor seinem Tod, gleichsam im Abschied – dem jungen Freund den Spruch auf den Weg gab, »das herrliche Wort an den Helden«, wie es in seiner »Religion der Vernunft« heisst. Er hatte natürlich das ‫ צלח‬mitgesagt. Aber Rosenzweig liess es weg, weil ihn das Buch ja doch »ins Leben« führen sollte, ein Mensch aber ein Glücken, ein Gelingen, ein Heil sich selber als Lebendem nicht zusprechen dürfe, sondern nur eben posthum, somit nicht mehr auf den Weg, sondern in die geschehene Vollendung. Denn »niemand ist vor dem Tode glückselig«: die einzige wahre ‫הצלחה‬ ist, wenn der Tod eines Menschen in Wirklichkeit seine Vollendung bedeutet. »Die mich ja doch ›ins Leben‹ führen sollte« … Diese Aussage Rosenzweigs über die innerste Absicht seines Buches wird durch dessen Schluß erläutert. Von dem Tor jenes Heiligtums, in dem die göttliche Wahrheit im Mysterium der Ebenbildlichkeit als Antlitz geschaut wurde, »das auf mich blickt und aus dem ich blicke«, wird da gesagt: »Wohinaus aber öffnen sich die Flügel des Tors? Du weisst es nicht? Ins Leben.« Bedarf auch dieses Wort noch der Erläuterung? Es hat eine gefunden,

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und eine von unüberbietbarer Deutlichkeit. In dem Aufsatz von 1925 »Das neue Denken«, in dem Rosenzweig Art und Ort seines Werkes dargestellt hat, wird das Ende des »Sterns« zugleich als »Aufhören des Buches« und als »Hineintreten mitten in den Alltag des Lebens« bezeichnet. Das ist nicht allgemein gesprochen, sondern persönlich und personhaft. Im Ausgang des Heiligtums stehend, darin ihm die Wahrheit als das Leuchten des göttlichen Angesichts erschien, erfährt der Autor, dass er nun nicht mehr Autor, sondern der lebende Mensch ist, dass er nun nicht mehr zu verkündigen, sondern zu leben, Gott nicht mehr in Buchstaben, sondern in Handlungen zu bekennen, dass er die Wahrheit zu bewähren hat. »Wahrheit hört auf, zu sein, was wahr ›ist‹, und wird das, was als wahr – bewährt werden will«, so hat Rosenzweig die Herzader des »neuen Denkens« pochen hören, und so hat er getan. »Ich werde kein Buch mehr schreiben«, pflegte er nach dem Erscheinen des »Sterns« zu sagen. Er war mitten in den Alltag des Lebens getreten. Als Ehemann, als Vater, als Lehrer, von der Tora aus lebend und in Israel wirkend wollte er die Wahrheit bewähren. Da wurde ihm bedeutet, dass dies noch zu gering sei – »zu gering dafür, dass du mir Knecht wardst«. Unsäglich Schwereres, Unsägliches wurde ihm aufgeladen und aufgetragen: die Krankheit kam. Sie sollte ihn nicht, wie er meinte, als er jene Aufzeichnung schrieb, auf einem kurzen Weg, sondern durch acht Jahre der Bewährung zum Ende führen. In diesen acht Jahren hat Franz Rosenzweig die Wahrheit, die er geschaut hatte, im Angesicht Gottes bewährt. Am ganzen Leib gelähmt, ritt er für die Sache der Treue. Er kämpfte für die Treue, indem er treu war, für die Verbindlichkeit des Geistes, indem sie an ihm offenbar wurde. In die Ketten des Siechtums geschlagen, liess er nicht ab im Dienst am Geist, aber der Dienst war ganz eingetan in die Heiligung des Alltags, und mehr noch als mit seinem Wort lehrte er, unmittelbar und mittelbar, mit dem Bild seines Daseins. »Das ist ein Phänomen des Geistes«, sagten die Ärzte, die ihn, unähnlich dem klinisch vertrauten Krankheitsverlauf überwinden und überdauern sahen. Aber es war ein Phänomen d e s Geistes, der ganz Wirklichkeit werden will. Zu einem so großen Standhalten genügt selbst der Glaube nicht; er bedarf eines wundersamen Bundesgenossen, des Humors. Glaube ist Angelobtsein. Aber der Humor ist not zur Erfüllung der Angelobung inmitten aller Widrigkeiten und Widerlichkeiten des faktischen Geschehens. Wer glaubt, akzeptiert das Leben im ganzen; aber das Leben in der Reihung seiner Einzelheiten akzeptieren, Augenblick um Augenblick, ein

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Leben der äußersten Pein und leiblichen Preisgegebenheit, das vermag nur der gläubige Humor. Ich habe in all diesen Leidensjahren an Franz Rosenzweig nichts so sehr bewundert wie sein Lächeln. Es war kein zustandegebrachtes, kein geisterzeugtes Lächeln; es stieg auf aus der untersten Echtheit der Kreatur. Es war nicht überlegen und nicht resigniert, es war gläubig und gegenwärtig. Die Scherze, die fast auf jeder Seite seiner Bemerkungen zu meinen Übersetzungsmanuskripten standen, waren richtige natürliche Scherze und doch wie Dank, ja, wie Dankgebete.

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* Wir dürfen jene Psalmverse etwa so übersetzen: Deinen Schwertgurt schling um die Lende, Held, deine Glorie und deinen Glanz! in deinem Glanze, Heil dir, reite für die Sache der Treue, der gebeugten Wahrhaftigkeit, und im Furchtgebietenden unterweise dich deine Rechte! Unser Ritter hat keinen Teufel zur Seite, denn wir wissen von keinem, in allen Übeln die uns befallen, erkennen wir Sendlinge Gottes; er hat auch nicht den Tod zur Seite, den hat er zu sich in den Sattel genommen. So reitet er im Glanze seines Leids und seines Lächelns. ‫ צלח‬sagen wir, seiner Anordnung gemäss, weil er nun tot ist. Aber ‫ צלח‬ist doch ein Wunsch, ein Wegsegen! Und er reitet ja noch fort, der Weg zum Sieg ist ja noch weit, die Wahrhaftigkeit hat kaum den Kopf vom Boden gehoben. Wir aber glauben, wir sprechen mit ihm: ‫צלח‬.

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Die Katastrophen der historischen Wirklichkeiten sind oft zugleich Krisen des menschlichen Verhältnisses zur Wirklichkeit. Für die besondere Art, in der unsere Zeit dies erfahren hat, weiß ich kein größeres und deutlicheres Beispiel als das Franz Rosenzweigs. Literarisch ist es durch den Weg von einem Buch zu einem andern, von »Hegel und der Staat« (im wesentlichen vor dem Krieg geschrieben, 1919 nur abgeschlossen, erschienen 1920) 1 zu »Der Stern der Erlösung« (im wesentlichen im Krieg, an der Front, geschrieben, 1919 abgeschlossen, erschienen 1921) 2 bezeichnet. Vergleichen kann man die beiden Bücher nicht. »Hegel und der Staat« ist eine bedeutende philosophiegeschichtliche Monographie, »Der Stern der Erlösung« ist ein säkulares System – nicht ein »System der Philosophie«, wie Rosenzweig selbst später meinte, aber das System einer – der gegenwärtigen – Begegnung von Philosophie und Theologie. Als Streckenmesser jedoch, an denen der Weg, unser eigentlicher Weg, abzulesen ist, gehören sie zueinander. Rosenzweigs Lehrer Meinecke, dem »Hegel und der Staat« gewidmet ist, schrieb in einem Nachruf etwa, »Der Stern der Erlösung« sei als eine Flucht aus der deutsch-protestantischen Geistigkeit in die angestammte jüdische zu verstehen. Das ist ein tiefhin reichender Irrtum. In Wahrheit handelt es sich gar nicht um den Übergang aus einem historischen Bezirk in einen andern historischen, vielmehr um den aus einer Welt, in der das Historische alles Ontische absorbiert, in eine, in der das Historische selber – und zwar eben nicht in einer Dialektik, sondern in der Kontingenz – ontischen Charakter gewinnt. Um den Übergang also von einem Philosophieren im nachhegelschen Sinn zu einem »existentiellen«, das letztlich nicht als ein bloßes Philosophieren über die konkrete Existenz, sondern darüber hinaus als ein sich der konkreten Existenz des Philosophierenden bedienendes, in ihr sich auch nicht etwa bloß darstellendes und bekundendes, sondern realiter sich bewährendes aufzufassen ist. Ich rede mit Absicht von einem Philosophieren und nicht von einer Philosophie. Denn der »Stern« selbst bekennt 3 – zumindest von seinem zweiten Teil, doch es darf wohl vom Ganzen gelten –, die Wissenschaft, die hier getrieben werde, sei die Theologie. Aber es ist eben eine philosophieren1. 2. 3.

Zwei Bände, Verlag R. Oldenbourg, München und Berlin. 1917 war in den Sitzungsberichten der Heidelberger Akademie erschienen: »Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus«. Verlag I. Kauffmann, Frankfurt am Main; 2. Auflage in 3 Bänden ebenda 1930. S. 178 der 1., II 67 der 2. Auflage.

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de Theologie. 1 Sie geht von »Tatsachen« aus, von denen nur sie ausgehen kann und deren Zentrum die Offenbarung ist; aber diese Tatsachen behandelt sie nicht als Inhalte von Dogmen, sondern als Gegenstände des Denkens. Indem sie der Welt der Offenbarung eine offenbarungslose – keineswegs bloß als Vorzeit gemeinte – »Vorwelt« gesellt, braucht sie, wie es sich für ein echtes Philosophieren von selbst versteht, nichts mehr grundsätzlich auszuschließen. Und indem sie die fundamentale Identität der Offenbarung mit der Sprache wiederentdeckt, gewinnt sie ein von ihrem theologischen Zentrum aus ermächtigtes, ja recht eigentlich von ihm »gedecktes«, eminent philosophisches: die sprachphilosophische Methode. Eine Krise des menschlichen Verhältnisses zur Wirklichkeit, die uns eine vertraute Orientierungsweise zerstört und uns zwingt, der ihrer entkleideten Realität – einer Realität, die uns mit allem Grauen der Sinnlosigkeit bedroht – erkenntnis- und lebensmäßig standzuhalten, ruft nicht etwa nur, wie gelindere Erschütterungen, die einzelnen Geistesordnungen auf, sich an der Bewältigung des neuen Chaos zu versuchen – ein Versuch, der notwendig zur Aufdeckung der eigenen Problematik der einzelnen Geistesordnungen führt; sondern sie konfrontiert auch die problematisch aufgelockerten miteinander und läßt sie sich nun zunächst freilich als durch einander begrenzt, dann aber auch als durch einander angesprochen und beansprucht erkennen, woraus denn endlich als ein besonderer Glücksfall des Geistes ein existentielles Zusammenwirken an der Aufgabe der Bewältigung, ein sich im erkenntnis- und lebensmäßigen Standhalten bewährendes Miteinanderdenken und Miteinanderdienen hervorgehen kann. Einen solchen Glücksfall im Verkehr zwischen Philosophie und Theologie stellt in unserer Zeit Rosenzweigs »Stern der Erlösung« dar. Wenn die Grundfrage der Theologie die nach der Gegenseitigkeit zwischen Gott und der menschlichen Person ist, muß für sie in ihrer Begegnung mit der Philosophie das Beunruhigende und Befeuernde deren Kunde sein, daß es ein Drittes, die Welt, und zwar nicht als Kierkegaardsches Sprungbrett, sondern als Wirklichkeit in einem höchst positiven Sinn gebe; wogegen für die Philosophie naturgemäß Ärgernis und Stachel der Widerstand der Theologie gegen jeden Versuch bleibt, die absolute Konkretheit Gottes und die relative der menschlichen Person durch Begriffsgebilde zu ersetzen, die sich auf einer Ebene des »Allgemeinen« 1.

»Die Philosophie verlangt heute, um vom Aphorismus frei zu werden, also geradezu um ihrer Wissenschaftlichkeit willen, daß ›Theologen‹ philosophieren.« A. a. O. S. 136 der 1., II 24 der 2. Auflage.

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einreihen lassen (die Macht der Theologie beruht ja vor allem andern auf dem Ernst, mit dem sie immer wieder die unerfaßliche Konkretheit in diesen ihren beiden unerfaßlichsten Gestalten als das ihr vorbehaltene, von keiner Metaphysik und keiner Psychologie ihr zu entreißende Thema behauptet). Rosenzweigs System ist auf dem Wissen um die Dreiheit dieser Drei, Gott Mensch Welt, aufgebaut, die er im ersten Teil in ihrer Isolierung, als in ihrem nicht aufeinander Zurückgeführtwerdenkönnen, erweist, um im zweiten ihre Beziehungen zu »erzählen« 1 und im dritten das gelebte Leben in dem Licht zu zeigen, das solcherweise sichtbar geworden ist. Theologie und Philosophie haben sich hier gerade im Aufgerührtsein ihrer Problematiken zusammengetan und haben eben dadurch ein wahrheitstreues Zusammenwirkendürfen erlangt. Es ist dies ein Zusammenwirken, das mehr ist als ein Einanderhelfen. Es beginnt nicht erst da, wo der Gedanke baut und bildet, sondern schon wo er geboren wird. Es ist nicht gestiftet worden, um etwas zu äußern, sondern um etwas zu finden; vielmehr, es ist nicht gestiftet worden, um …, sondern es ist geworden, weil … Es ist Situation, Schicksal, Notwendigkeit, und darum ist es fruchtbar. »Die göttliche Wahrheit verbirgt sich dem, der nur mit einer Hand nach ihr langt, einerlei ob diese langende Hand die der sich voraussetzungslos wähnenden, über den Dingen schwebenden Sachlichkeit des Philosophen ist, oder die der erlebnisstolz sich vor der Welt verschließenden Blindheit des Theologen. Sie will mit beiden Händen angefleht werden. Wer sie mit dem doppelten Gebet des Gläubigen und des Ungläubigen anruft, dem wird sie sich nicht versagen.« 2 Daß dies von der j ü d i s c h e n Theologie aus (ich sage nicht »in der jüdischen Theologie«, denn es ist sehr bedeutsam, wie im dritten Teil die christliche real einbezogen wird) geschehen ist, läßt nun seinen Grund erkennen. Die neue Begegnung zwischen Theologie und Philosophie wird um so mehr Auseinandersetzung bleiben müssen, je weniger eine Theologie in ihren besonderen Voraussetzungen die »Welt« als Wirklichkeit in jenem höchst positiven Sinn anzuerkennen vermag. Die katholische Theologie wird daher zu einem stärkeren und umfassenderen Miteinander gelangen können als die protestantische, die ihre einmalige Zusammenarbeit mit der Philosophie – der des deutschen Idea1.

2.

»Eine erzählende Philosophie hat Schelling in der Vorrede seines genialen Fragments ›Die Weltalter‹ geweissagt. Der zweite Band versucht sie zu geben.« (Rosenzweig, »Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen zum ›Stern der Erlösung‹«, »Der Morgen«, Oktober 1925, wiederabgedruckt in Rosenzweigs »Zweistromland, Kleinere Schriften zur Religion und Philosophie«, Philo Verlag, Berlin 1926.) A. a. O. S. 374 der 1., III 47 der 2. Auflage.

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lismus – durch einen Verzicht auf ihren eigenen Charakter als Theologie erkaufen mußte und, nachdem sie sich auf ihren Charakter wiederbesonnen hat, diesen Verzicht fortan nicht zu leisten gewillt ist, sich also kaum zu etwas anderem als zu einem, die rechte Grenzhaltung klärenden und befestigenden Dialog hergeben kann; zu einem noch stärkeren und umfassenderen Miteinander aber wird die jüdische Theologie zu gelangen vermögen, weil sie keine Inkarnation kennt und ihr daher die beiden Gottesakte der Offenbarung an den Menschen und der Erlösung der Welt nicht verschmelzen können, die Erlösung aber ihr eben als Erlösung der We l t in jenem höchst realen und positiven Sinn gilt. Ihr war deshalb möglich, das eigentümliche Bündnis mit der Philosophie zu schließen, das an dem »Stern der Erlösung« eine wortgewaltige Urkunde erhalten hat. Es liegt hier nah, an ein verwandtes und doch sehr andersartiges Buch zu denken, an Hermann Cohens meisterliches – auch von Rosenzweig bewundertes und gepriesenes – Nachlaßwerk »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«. 1 Aber dieses Werk, mit dem Cohens Denken auf die moderne Krise des menschlichen Verhältnisses zur Wirklichkeit reagierte und in dem er vom Idealismus seines Systems zum Existentialismus der »Korrelation« vorschritt, ist bewußterweise Religionsphilosophie, Philosophie der jüdischen Religion – wogegen Rosenzweig mit Recht vom »Stern« hervorhebt, daß das Wort »Religion« darin nicht vorkommt. Rosenzweig redet nicht über Anschauungen von Gott, Mensch und Welt, sondern über Gott, Mensch und Welt, ja man möchte auch noch dieses »über« loswerden und sagen, er rede zwischen ihnen – wie ein Dolmetsch redet. Cohens Buch handelt von einer Glaubenslehre, das Rosenzweigs handelt – auf dem Grunde eines Glaubens – von allen Dingen, und so, daß man empfindet, er diene den Dingen, von denen er handelt. Die religiöse Wirklichkeit des Judentums ist in beide Werke eingegangen, aber in der »Religion der Vernunft« erscheint sie als ein systematisches Nebeneinander von Prinzipien, im »Stern der Erlösung« als ein Vorgang des Lebens. Die Architektonik dieses Buches – von einer Reinheit der Gliederung und einer Rechtmäßigkeit der Entsprechungen, wie ich sie an keiner anderen Schrift unserer Zeit kenne – ist eine dynamische. Wie die drei »Substanzen«, von denen es redet, Gott Mensch Welt, nur in ihren Beziehungen, Schöpfung Offenbarung Erlösung, zu erfassen sind, so dürfen diese nicht zu Prinzipien erstarren, sie müssen in der »ganz wirklichen« Zeit bleiben, sie müssen erzählt werden. Und wo dies (im zweiten Teil) erfolgt, also die Geschichte selber, im Glaubens1.

2. Auflage, Verlag I. Kauffmann, Frankfurt am Main 1929.

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sinn des Geschehens unter der Offenbarung, zwischen Schöpfung und Erlösung, in ihrem ontischen Charakter erscheint, gibt es noch kein »Judentum«. Es tritt erst im dritten Teil auf, wo sich in ihm das »ewige Leben«, wie im Christentum der »ewige Weg« darstellt; aber auch hier wird nicht von seinen Bekenntnissen und Gesinnungen, sondern von seinem Leben gehandelt: die Geschichte erneut sich hier in der gelebten steten Wiederkehr, in den Gedenktagen des Festjahrs, auch hier waltet die ganz wirkliche Zeit. Diese Unbefangenheit dem Geist gegenüber, die nicht von Geistes Gnaden philosophieren will, sondern von Gnaden dessen, von dessen Gnaden der Geist ist, diese Ungenügsamkeit, die nicht geistgebildliche »Wesenheiten« hinnimmt, sondern sich unterfängt, die Wirklichkeiten selber aufzusuchen, die durch jene verdeckt werden, dieser in der Krise erwachte rebellische Mut zum Leben »im Angesicht« machen Rosenzweigs Werk zu einem Werk an der Zukunft und für sie. Über den ersten, den philosophischen Teil hat er das Wort »in philosophos«, über den zweiten, den theologischen »in theologos« gesetzt, über den dritten aber, der die Ernte der beiden einfährt, »in tyrannos«. Er kämpft »mit beiden Händen« gegen eine Tyrannei, für das Freiwerden der Wirklichkeit, der ganzen Wirklichkeit. Er »flieht« nicht, sondern hält gerade da stand, wo er, der Jude, steht. Das erst ist existentielles Denken. Dieses Standhalten da, wo man steht, will nicht als ein Verzicht auf den Zugang zur Wahrheit verstanden sein, sondern als das jeweilige Erschließen des einen Zugangs, den es gibt – den es nämlich jederzeit gibt, wenn einer wirklich da steht, wo er steht. »Wir wissen aber«, heißt es im »Stern«, 1 »daß es das Wesen der Wahrheit ist, zuteil zu sein, und daß eine Wahrheit, die niemandes Teil ist, keine Wahrheit wäre; auch die ›ganze‹ Wahrheit ist Wahrheit nur, weil sie Gottes Teil ist.« Zuteil aber kann uns die Wahrheit nicht anders werden als jedem in seinem Hier und Jetzt – wenn er sie ebenda und ebendaran existierend bewährt. »Bewährt also muß die Wahrheit werden, und gerade in der Weise, in der man sie gemeinhin verleugnet: nämlich indem man die ›ganze‹ Wahrheit auf sich beruhen läßt und dennoch den Anteil, an den man sich hält, für die ewige Wahrheit erkennt. So muß es geschehen, weil es hier um Ewiges geht.« 2 Weil es um Ewiges geht, gibt es kein anderes Gefäß, die Wahrheit zu schöpfen, als die gelebte Stunde. Das Wirklichwerden der Wahrheit hängt je und je von der bewährenden Kraft einer Lebenswirklichkeit ab.

1. 2.

S. 521 der 1., III 201 der 2. Auflage. A. a. O. S. 493 der 1., III 172 der 2. Auflage.

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Die Krise des menschlichen Verhältnisses zur Wirklichkeit kann nur durch Verwirklichung überwunden werden. Franz Rosenzweig wurde am 25. Dezember 1886 in Kassel geboren. Er studierte zuerst Medizin, dann neuere Geschichte; 1912 promovierte er in Freiburg. In den nächstfolgenden Jahren hat Cohen als Lehrer und im persönlichen Verkehr seine Richtung mitbestimmt. Den Krieg machte er an der Westfront, in Mazedonien und in Polen mit. Vom Feld aus richtete er an Cohen einen unter dem Titel »Zeits ists. Gedanken über das jüdische Bildungsproblem des Augenblicks« 1917 veröffentlichten Brief, 1 der die Anregung zur späteren Gründung der »Akademie für die Wissenschaft des Judentums« gab. Im Feld entstand auch – fast unbegreiflich, wie dieser strenge Bau aus einer Menge jeweils heimgesandter Zettel sich errichtete – der »Stern der Erlösung«. 1920 heiratete Rosenzweig und übernahm die Leitung des nach seinem Plan begründeten »Freien Jüdischen Lehrhauses« in Frankfurt am Main, das, solange er sich ihm hingeben konnte, eine vorbildliche volkspädagogische Anstalt gewesen ist. 1921 begann die Krankheit (amyotrophische Lateralsklerose), die zu einer zuweilen stationär zu werden scheinenden, dann aber wieder fortschreitenden Lähmung fast des ganzen Muskelsystems führte. Trotz der immer größer werdenden äußeren Schwierigkeiten setzte er bis zuletzt mit einer unerhörten geistigen, gemüthaften und technischen Energie seine schriftstellerische Arbeit, eine Korrespondenz, die auch bei einem Gesunden erstaunlich reich gewesen wäre, und einen vielfältigen, anteilnehmenden, beratenden und helfenden Verkehr mit Freunden und Schülern fort. In dieser Zeit entstand unter anderem seine Jehuda Halevi-Übersetzung, 2 deren »Anmerkungen« eine wichtige exemplifizierende Ergänzung zum »Stern der Erlösung« bilden, dann ging er mit mir an die Verdeutschung der Schrift, 3 an der er bis zur Vollendung des Buchs Jesaja mitwirken konnte und deren Absicht er in mehreren Abhandlungen 4 und Aufsätzen darlegte und begründete. Er starb am 10. Dezember 1929.

1. 2. 3. 4.

Wiederabgedruckt in »Zweistromland« S. 7-31. 1. Aufl. 1924, 2. Aufl. u. d. T. »Jehuda Halevi. 92 Hymnen und Gedichte«, Verlag Lambert Schneider, Berlin 1927. Die Schrift. Zu verdeutschen unternommen von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Band I-X. Verlag Lambert Schneider, Berlin. Hiervon in Buchform »Die Schrift und Luther«, Verlag Lambert Schneider, Berlin 1926.

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Vorbemerkung: Der Westdeutsche Rundfunk hatte mich ersucht, in einem Zyklus »Die Religion und das neue Weltbild« über das Judentum zu sprechen. Zwanzig Minuten standen dafür zur Verfügung. Hier ist der Wortlaut meiner Rede. Meine werten Zuhörer! Der notwendige Anspruch jeder Religion geht dahin, die Zeiten zu überwölben und an die Ewigkeit zu rühren. Dennoch halte ich es für gut, daß jede Religion auch dem jeweils gegenwärtigen Zeitalter gegenüber ausweise, was sie gerade ihm, seinen besonderen Nöten und Bedürfnissen, zu bieten vermag. Das geschieht vom Judentum aus naturgemäß ohne missionierende Tendenz, aber mit dem Wunsch, daß anderswo, in anderer Gestalt, das Verwandte erstarke und bestimmend werde. Das Verwandte also in den andern Gemeinschaften wird hier mit angeredet und aufgerufen. Was das Judentum zum neuen Weltbild zu sagen hat, weiß ich noch nicht, weil ich einem neuen Bild von der Welt bisher nicht begegnet bin. Aber zu der neuen Weltfrage, zu ihrer Klärung und wohl auch schon zu ihrer Beantwortung, hat es einen wichtigen Beitrag zu leisten. Die neue Weltfrage nämlich gibt es wirklich, wenn es auch nicht leicht sein mag, sie in einem Fragesatz auszusprechen – es sei denn, man begnüge sich mit diesem ganz einfachen, angstvollen, an dem heute so viele Menschen vergehen: Wie kriege ich es fertig, jetzt noch und wieder an einen Sinn des Lebens zu glauben, der nicht vom Menschen gemacht ist, sondern der den Menschen und die Welt macht und trägt? Der Beitrag des Judentums zu dieser Frage wird am besten von der Tatsache aus erfaßt, daß da ein Glaube und ein Volk unablösbar miteinander verknüpft sind. Unter Volk verstehe ich hier lediglich eine sich natürlich fortpflanzende und dabei ihre Ganzheit und Geschlossenheit bewahrende Menschengemeinschaft. Von der jüdischen Religion also ist das jüdische Volk, von dem jüdischen Volk die jüdische Religion nicht wegzudenken. Andere Religionen können von Volk auf Volk übergehen, sie können, wenn sie ihre ursprüngliche Leiblichkeit eingebüßt haben, in einer neuen fortbestehen, sie haben die Möglichkeit der Seelenwanderung. Der jüdischen Religion ist diese Möglichkeit nicht gegeben. Eines einzelnen, einzigen Volkes Leben ist ihr Leben und sein Tod wäre ihr Tod. Denn sie ist unter allen Religionen der Erde in einem eigentüm-

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lichen Sinn Geschichtsreligion. Sie ist auf Ereignisse gegründet, zu denen ihre Bekenner sich bekennen, indem sie sich zu ihr bekennen, und zwar als in blutsmäßiger Überlieferung damit verbunden. Sie fühlen sich als die Söhne derer, die aus Ägypten geführt wurden und am Sinaiberg standen, und damit als ebendieselben: die Geschichte wird immer wieder für ein ganzes Volksgeschlecht gelebter Augenblick, und der Glaube, der eben ein Geschichtsglaube ist, haftet am Zusammenhang dieser Geschlechter. Und anderseits – wie viele kleingläubige, schlechtgläubige, ungläubige Juden es auch geben mag – von dem Volk ist sein Glaube nicht abzulösen, mit dieser seiner Seele würde ihm auch das Leben genommen. Denn es hat seine Geschichte in so unbedingtem Sinne gefaßt, daß es von diesem Sinn abgeschnitten zugleich die organische Existenz verlöre. Die dargelegte Tatsache spricht vom Judentum her und in seiner Sprache die Wahrheit aus, daß es sowohl dem Glauben ohne Leben als dem Leben ohne Glauben an Wirklichkeit mangelt: ein Glaube, der über dem Leben schwebt, ohne sich in ihm zu verleiblichen, ist kein wirklicher Glaube, und ein Leben, das unter dem Glauben treibt, ohne sich von ihm beseelen zu lassen, kein wirkliches Leben. Diese Wahrheit ist für das Judentum so allesbeherrschend, daß es keine Glaubenslehre dulden kann, die vital gleichgültig, also für die Lebensführung gleichgültig wäre, und keinen Lebensvorgang, der religiös gleichgültig, also für das Verhältnis zum Sinn des Daseins gleichgültig wäre. Zwar scheidet das Gesetz zwischen einem Lebensbereich des Heiligen und einem Lebensbereich des Profanen, ja zwischen Reinem und Unreinem; aber die ganze religiöse Entwicklung des Judentums, das Glaubensringen dreier Jahrtausende zeigt, daß es hier nur um die jeweilige Abgrenzung des bereits für die Heiligung des Lebens eroberten Gebiets geht, gleichsam um die Feststellung des bisher schon der Heiligung Zugänglichen; und der Chassidismus, die größte religiöse Volksbewegung der letzten Jahrhunderte, geht in Wahrheit auf die Erfüllung des Gesetzes aus, wenn er verkündigt, alle Dinge, denen ein jüdischer Mensch begegnet, und alle Handlungen, die er zu verrichten hat, wollten durch ihn geheiligt werden. Das Heilige hat eben sein Wirken darin, daß es die ganze Welt, die ganze Weltlichkeit durchheiligen will. Ein Chassid wird nach dem Tode seines Lehrers gefragt, was für diesen das Wichtigste im Leben gewesen sei. Er antwortet: »Das, womit er sich gerade abgab.« In jedem Augenblick hat jeder Mensch einen echten Zugang zum Sinn des Daseins: eben das, womit er sich gerade, im natürlichen Gang seines Lebens, jetzt und hier abgibt. In der Heiligung dieses Jetzt und Hier, also in der leiblichen Einheit von Glauben und Leben, hat

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er den einzigen echten Zugang zum Sinn. Er wird diese Einheit freilich nur sehr unzulänglich verwirklichen; aber wenn er in der Heiligung die ganze gesammelte Kraft seines Wesens einsetzt, hat er das Seine getan, das Weitere ist nicht mehr seine Sache. Der Mensch kann nur anfangen; aber um dieses Anfangens willen, das ihm niemand abnimmt, ist er da. »Wer sich zu reinigen kommt, dem steht man von oben bei.« Der Verlauf des menschlichen Daseins wird vom Judentum, für das alles Weltgeschehen von der Schöpfung bis zur Erlösung im Zeichen der Sprache steht, als ein Zwiegespräch empfunden. Der Mensch wird durch das, was ihm widerfährt, was ihm geschickt wird, durch sein Schicksal angeredet; durch sein eigenes Tun und Lassen vermag er auf diese Anrede zu antworten, er vermag sein Schicksal zu verantworten. Diese Antwort mag stammelnd erfolgen – wenn nur eine unbedingte Entscheidung des Menschen in ihr rückhaltlos zum Ausdruck kommt. Die menschliche Person ist in der Auffassung des Judentums trotz aller Belastung vom Ursprung her bis auf heute immer noch in der Lage des ersten Menschen; sie steht in der Freiheit, auf die Anrede, die vom schöpferischen Geheimnis aus an sie ergeht, die Lebensantwort zu geben oder sie zu versagen, – das anvertraute Stück Welt zu heiligen oder es zu entweihen. Denn was nicht geheiligt wird, wird entweiht. Dieser dialogische Charakter des Lebens verstärkt und vertieft sich noch in der Geschichte des Volkes. Das Schicksal, das es zum Volk zusammenfügt, der Akt der Befreiung aus der Knechtschaft ist zugleich ein Akt der Prüfung, eine Anrede und Befragung. Was ihm abgefordert und zugetraut wird, ist das Höchste, das scheinbar Unmögliche, die Nachahmung Gottes: »Werdet heilig, denn heilig bin ich.« Aber dies soll eben nicht durch eine Abkehr von der Welt, durch eine Erhebung über die menschlichen Bedingtheiten geschehen, sondern dadurch, daß gerade diese geheiligt werden. Es gilt, eine Menschengemeinschaft aufzubauen, die sich in der ganzen Breite und Fülle des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen Lebens als Gemeinschaft bewährt, die nicht jenseits der natürlichen und sozialen Bindungen, sondern in ihnen die Unmittelbarkeit von Ich zu Du verwirklicht. Die Agrargesetzgebung, die im Mittelpunkt der Thora steht, zielt auf einen periodischen Ausgleich der Besitzesunterschiede ab, der verhüten soll, daß die Gemeinschaftlichkeit von den immer wieder aufkommenden Differenzen überwuchert werde. Die Gemeinschaft ist es, durch deren immer reinere Vollendung der Mensch die Nachahmung Gottes vollziehen soll: die Gemeinschaft als Werk der Einung. Die Menschen, die miteinander Gemeinschaft, also lebendige Einheit stiften, verwirklichen das Bild des einigen Gottes im Stoff der im Widerstreit wogenden Welt. Alle Heili-

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gung bedeutet Einung zwischen Wesen und Ding, zwischen Wesen und Wesen; die höchste Stufe der Weltheiligung aber ist die Einung der Menschengemeinschaft im göttlichen Angesicht. Sie erst ist die zureichende Antwort der Schöpfung an den Schöpfer, sie erst die angemessene Leiblichkeit des Geistes. Von hier aus ist zu verstehen, warum für die jüdische Religion das Volk so wesentlich ist. Es geht nicht um das Volk als Selbstzweck, sondern um das Volk als Anbeginn des Reichs. Die echte Gemeinschaft, die das Volk aus sich errichten soll, ist schon von den Propheten als der Erstling jener Menschheitsgemeinschaft verkündigt worden, zu der sich einst die Völker zusammenschließen werden: die Einung der Verschiedenen, das bruderhafte Einanderfinden der Gesonderten in der gemeinsamen Sohnschaft soll sich zuerst in diesem Volksleib Israel darstellen. Die »Auserwähltheit« des Judentums ist nicht eine zu Macht und Herrlichkeit, sondern zu diesem langen Weg der Pein und Überwindung, durch immer neue Prüfung, immer neue Anrede und Befragung, immer neues Antwortversagen, Falschantworten, Halbantworten, endlich zur echten Antwort zu gelangen, zur Heiligung des zwischenmenschlichen Bereichs, zur Stiftung der beginnenden Gemeinschaft. Der Beitrag, den das Judentum zu der neuen Weltfrage leistet, besteht in der von ihm nicht bloß gelehrten, sondern schicksalhaft dargelebten Erkenntnis, daß man den Sinn weder in einer isolierten Sphäre des Geistes noch in einer isolierten Sphäre des Lebens zu finden vermag, wohl aber in beider Vermählung. Der Sinn, der nicht vom Menschen gemacht wird, sondern der den Menschen und die Welt macht und trägt, kann nicht erdacht und nicht erfühlt werden; und erst recht führt ein Leben, das ohne Verbindlichkeit des Geistes gelebt wird, nicht zu ihm hin. Man wird des Sinns nur inne, indem man den Geist verleibt, das Leben heiligt, den Glauben erfüllt. Das heißt: man findet ihn nicht, wenn man ihn sucht, sondern nur, wenn man ihm dient. Die Bibel berichtet, das Volk Israel hätte auf den Zuruf Gottes am Sinai geantwortet: »Wir tuns, wir hörens.« Man möchte meinen, erst müsse das Hören kommen und dann das Tun. Aber es ist in Wirklichkeit unser eigenes Tun, aus dem sich uns der Sinn erschließt. Wir vernehmen die Stimme, wir heben an zu tun, was sie gebietet, und in diesem Tun selber vollendet sich die offenbarende Rede. Wir erfahren den Sinn, indem wir ihn tun.

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Die zwölf Jahre, aus denen ich hier die Reden und Aufsätze über Gegenstände des Judentums, soweit sie mir der Einsammlung wert erschienen und zugänglich waren, vereinigt habe, sind in meinem Leben die Zeit einer ernsten Bemühung um das Zentrale, die für mein Bewußtsein sich von dem meisten Früheren abhebt. Was ich an Eigenem in dieser Zeit veröffentlicht habe, »Ich und Du« und »Zwiesprache«, die Rede über das Erzieherische und die andern Arbeiten zum Problem der Gemeinschaft, »Königtum Gottes« und die Bemerkungen zur Verdeutschung der Schrift, »Der große Maggid« und »Das verborgene Licht«, dazu die an Umfang geringen, aber mir bekenntnishaft wichtigen Geleitworte zur Gesamtausgabe der »Reden über das Judentum« (1923) und zu den »Chassidischen Büchern« (1927), gehört für mich zu dem – wenn mir die Fortführung vergönnt ist – Anfang einer rechtmäßigeren Äußerung meines Realverhältnisses zur Wahrheit. Auch der vorliegende Band gehört dazu. Ich habe ihn »Kampf um Israel« genannt, weil sein Inhalt, unmittelbar oder mittelbar, eben diesen Kampf behandelt, und zwar als einen, den der hier Sprechende mitkämpft. Damit ist kein äußerer Kampf gemeint, nicht der in den Ländern der Sprache, in der ich rede und schreibe, heute heftiger als je entbrannte um das Verhältnis zwischen den Judenschaften und den Völkern, denen sie einverleibt sind; ein Kampf um Israel ist das nicht, und die den Namen klagend und scheltend im Munde führen, belegen damit die Ausgeburt einer aktuellen Geschichtsphantastik, nicht aber das ihnen unbekannt gebliebene Volkswesen heiliger Urzeit, den gemeinschaftsgestaltigen Partner weltwandelnder Begegnungen mit dem Göttlichen, der verlarvt, fast unkenntlich geworden, in der heutigen Judenheit fortlebt. Was ich meine, ist der innere Kampf um das Kenntlichwerden, Offenbarwerden, Mächtigwerden Israels in der Judenheit. Die ihn kämpfen, kämpfen gegen die innern Gewalten, die Israel in der Judenheit verdunkeln und niederhalten. Diese Gewalten hausen nicht in einem der Lager, in die die Judenheit aufgespalten ist, sie sind über alle verteilt, – quer durch alle Parteiungen geht die Front des Kampfes um Israel. Was ich hier an Zeugnissen und Kundgebungen des Kampfes mitteile, soll aufrufen, an ihm teilzunehmen, alle aufrufen, die Israels gedenken und nach Israel Verlangen tragen, wo immer sie stehen, sie aufrufen am Kampf teilzunehmen ebenda wo sie stehn.

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Manifestierung Israels als eines Daseienden und Lebendigen, Manifestierung in personhaftem und gemeinschaftlichem Dasein und Leben, – das ist zugleich die einzige uns gewährte und gemäße große Kampfhandlung in jenem äußern Kampf um unser Los in der Völkerwelt. Man befehdet die Larve: lassen wir das Antlitz Israels aus ihr hervorsehn! Sein Erscheinen versteinert den Angreifer nicht, aber es mahnt ihn zur Ehrfurcht. Diese Sammlung von Zeugnissen und Kundgebungen des Kampfes baut sich in drei Teilen auf. Der erste weist auf unsern Erinnerungs- und Überlieferungszusammenhang mit Israel hin, der zweite auf Geister unsrer Zeit, in deren Werk und Lehre Israel gegenwärtig ist, der dritte, weitaus längste, ist dem Kampf selber gewidmet, wie er eben jetzt geführt wird. Hierzu tut eine zusammenfassende Verdeutlichung not: wogegen und wofür kämpfen wir, wenn wir »um Israel« kämpfen? Der Kampf geht zunächst gegen die Geläufigkeit und für die Besinnung. Das Antlitz Israels ist nicht bloß innenher von Pein und Entartung entstellt, sondern auch außenher mit Schlagworten und Parolen übermalt, so daß kaum noch da und dort einer weiß, was Israel ist, keine »Idee« nämlich, sondern eine Wirklichkeit, freilich eine verborgene Wirklichkeit. Um zu ihr vorzudringen, bedarf es einer kritischen Intuition, einer Umschmelzung der geläufigen, ihrem Gehalt nach fragwürdig gewordenen Begriffe; es bedarf der Besinnung auf das Wahre und Wesenhafte. Sodann geht der Kampf gegen die Trägheit und für die Erfüllung. Der Trägheit muß ich auch jene hohen Grade zuzählen, auf denen man sich mit den Ergebnissen der Intuition einrichtet, ohne täglich neu über sie zu erschrecken und von ihnen betroffen zu werden. Wem Israel ein bequemer Tischgenosse ist, der hätte es besser nie geschaut. Wer aber weiß, daß solche Schau nicht ihr Ende in sich hat, sondern eine Erfüllung fordert, dem ist nicht vorzuschreiben, wie sie beschaffen sein soll. Ich scheide die Juden letztlich nicht in A-isten, B-isten und C-isten, sondern in jene, die mit ihrem Leben Israel ernstnehmen, und in jene, die das unterlassen. Alles andere ergibt sich daraus. Israel ist nicht »wie alle Völker«, aber es ist ein Volk. Es darf nicht entrechtet bleiben unter den Rechtsinhabern, und wer das erkannt hat, der muß sich dafür einsetzen, daß ihm Recht werde. Es darf nicht unbehaust bleiben unter den Behausten, und wen das angerührt hat, der muß dazu helfen, daß das Haus erstehe. Aber was sich ergibt, ist mehr als dieses Allereinfachste. Man kann nicht sich auf Israel – und das heißt: auf dessen Einzigkeit – besinnen und zugleich

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die jüdische Sache nach allen Regeln gemein-nationalistischer Strategie und Taktik behandeln. Man kann nicht Israel – und das heißt: dessen Auftrag – ernstnehmen und zugleich vermeinen, das jüdische Volk brauche nur wieder Herr in seinem eignen Haus zu werden, gleichviel wie dieses Haus geführt werde, und alles würde von selber gut. Der Kampf um Israel ist nicht ein Kampf um Selbstherrlichkeit, sondern ein Kampf um die Leistung des Gehorsams. Man liebt es uns vorzuhalten, wir vernachlässigten die »soziologischen Kategorien«; wir sähen zum Geist empor, in die Wolken, statt die irdische Not, die uns umgibt, zu betrachten. Nichts kann verkehrter sein. Wir wissen so gut wie irgendwer, daß mit dem Blick in den Wolken kein Kampf zu führen ist. Die Kämpfer um Israel blicken über die Erde hin. Auch den »Geist« suchen sie nirgendwo anders als auf ihr. Es ist ihnen um die Wirklichkeit zu tun und nur um sie; aber um die ganze Wirklichkeit, die zwar nicht ohne die soziologischen Kategorien, jedoch durch sie allein nicht zu erfassen ist. Die Judenheit ist in dieser Erdenstunde schwer bedroht, schwerer vielleicht als je zuvor in der Geschichte der Zerstreuung. Was sicherster Kernbestand schien, der zentralrussische Block jüdischer Art und Kultur, ist von einem gesellschaftlichen Ordnungswandel, dem der naive Individualismus der jüdischen Wirtschaft nicht gewachsen war, gesprengt worden. Wo in den neuentstandenen Nationalstaaten die jüdischen Wirtschaftspositionen, als wären es Enklaven einer Fremdwirtschaft, ausgehoben werden, breitet sich die Haltlosigkeit immer tiefer ins Innre. Die von der sozialen Zersetzung des mitteleuropäischen Bürgertums erzeugte Problematik der persönlichen Existenz hat sich in den heranwachsenden jüdischen Geschlechtern eigentümlich potenziert. Bis in den äußersten Westen hin ist in die allgemeine ökonomische und kulturelle, soziale und sittliche Krisis eine besondere, besonders tiefe und gefährliche eingetan, die des Judentums. Die Judenheit ist, wissend und nichtwissend, in großer Not. Aber man versteht diese Not nicht, wenn man sich der Ahnung verschließt, daß hier, umfassender als je zuvor in der Geschichte der Zerstreuung, das verborgne Israel erprobt wird. Uns Kämpfern um Israel fällt es nicht bei, den diese Not Leidenden »statt Brotes Äther« (gleichviel, Äther des Himmelsraums oder das Betäubungsmittel des gleichen Namens) zu reichen. Wie ich, wenn ich mich mit einem Erwerbslosen über Gang und Sinn seiner Existenz unterrede, ihm damit nicht einbilden will, eine Änderung seiner Erkenntnis würde eine Änderung seiner Lage bedeuten, so kann, wenn ich die Juden, die mich hören und lesen, aufrufe Israels inne zu werden und von ihm aus zu leben, damit nicht gemeint sein, wenn sie das täten, wäre die Krisis

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überwunden. Aber wie durch jene Unterredung – glückt es nur an den Kern eines sich preisgegeben dünkenden Daseins zu rühren – bewirkt werden kann, daß dieser Mensch in eine geänderte Beziehung zu seiner Lage komme, so kann eine Wiedererweckung des lebendigen Israel in den bedrängten, ratlosen Seelen sie mit einem erneuten Vertrauen zum Weg, mit einem erneuten Mut zum Dennoch-Bewältigen des anscheinend aller Bewältigung Widerstrebenden begaben. Daß jemand in einer Krisis steht, ist eins; ein andres ist, wie er in ihr steht. Jenes mag man von den »Verhältnissen« und den »Bedingungen« ableiten, dieses, das Fünklein, wird vom Geist allein entzündet. Im Kampf um Israel waltet der Geist; nicht der Herrscher Geist, der in beruhigteren Zeiten unbeirrt auf den Höhen reinen Denkens thront: der Helfer Geist, der auf den Markt geht und zugreift. Von dem Inhalt dieses Buches sind nur sehr wenige Stücke nicht aus der Stunde erstanden. Einem, »Nachahmung Gottes«, wird man das schon daran anmerken, daß es als einziges eine kleine Schleppe von Anmerkungen nachzieht, die ich ihm nicht habe rauben wollen. Es gehört dem Zusammenhang einer Arbeit an, die vorerst Fragment bleiben mußte; ich habe es diesem Buch einverleibt, weil es an der ihm angewiesenen Stelle eine Konkretisierung und beispielsmäßige Verdeutlichung ermöglicht. Auch was in diesem Band nicht der Stunde entstammt, ist für sie bestimmt. Ein anderes Stück war dem Buch zugedacht, das ihm, während ich mich darum mühte, innerlich und äußerlich entwuchs: die Antwort auf Franz Rosenzweigs 1924 unter dem Titel »Die Bauleute« an mich gerichtete Schrift über das Gesetz. Meine Antwort hat sich von andrer Art erwiesen, als was in diesem Buch steht, und verlangt nach einer andern, selbständigen Form. – Von meinen hierher gehörigen Ansprachen und Vorträgen mußte vieles nicht Unwichtige wegbleiben, weil Stenogramme fehlten oder unbrauchbar waren; ich selber habe, seit ich 1918 mitten im Sprechen plötzlich des Widersinns einer vorbereiteten Rede gewahr wurde, nie mehr für Vorträge etwas anderes als einige Stichworte niederschreiben können. Im dritten Teil habe ich aus den Darlegungen zu dem einzigen Institutionsplan, den ich der jüdischen Öffentlichkeit unterbreitet habe, dem einer Landesvolkshochschule in Palästina, nur zwei Stücke von allgemeinerem Interesse mitgeteilt; das übrige, das Unterrichtsmethoden, Organisationsprinzipien usw. behandelt, hätte sich hier zu fachlich ausgenommen. Doch sei vermerkt, daß der Plan – es hat nicht an mir gelegen, daß er nicht verwirklicht wurde – bis ins Einzelne entworfen

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worden ist; ich hatte mit ihm die Realisierung von Gedanken im Sinn, die ich im Sommer 1919 in meinem auf der (unöffentlichen) Heppenheimer Tagung zur Erneuerung des Bildungswesens gehaltenen Referat über die Volkshochschule vorgetragen habe und von denen seither einiges in deutschen volkspädagogischen Einrichtungen Gestalt gewonnen hat. Heppenheim an der Bergstraße, im Herbst 1932.

Martin Buber

Das Erste Die deutschen Juden sind mit dem jüdischen Weltschicksal konfrontiert worden. Was immer nun weiter geschieht, sie werden nicht mehr anderswoher als von dieser Konfrontation aus leben können. Ob sie aber als durch sie Zerschlagene oder als durch sie Erhobene leben werden, das liegt – trotz allem – an ihnen selber. Daß diese Stunde eine Probe des Christentums ist, diese wichtige Tatsache geht nicht uns an; uns geht an, daß sie eine Feuerprobe des Judentums ist. Was uns widerfährt, ist, auch wenn es uns ans Mark greift, nicht das Entscheidende; das Entscheidende ist, wie wir uns dazu verhalten, – was wir daraus machen, was es aus uns macht; gerade weil es uns ans Mark greift, kommt es darauf an, was nun von diesem, von dem Innersten ausgeht. Es hat sich zu erweisen, wie wir zuinnerst beschaffen sind. Das erweist sich, bei der Gemeinschaft wie bei der Person, erst in der grausamsten Not. Nicht unsere Leistungen im Gleichmaß der freundlichen Tage, sondern unsere Beschaffenheit, wie sie sich in solch einer Randerfahrung bewährt, weist uns vor der einzigen zuständigen Instanz aus. Was wir wirklich sind, tut sich erst kund, wenn es uns ans Sein geht; bis dahin wußten wir es selbst nicht; jetzt werden wir es zu wissen bekommen, jetzt wird es gewußt werden. Unsre Beschaffenheit ist nicht eine ruhende Fläche, die man betrachten kann; wenn wir uns vom Grund heraufholen, uns drangeben, uns erproben, erst dann ist sie bezeugt. Das Erste, dessen der deutsche Jude in dieser Probe bedarf, ist eine neue Rangordnung der persönlich-existentiellen Werte, die ihn befähigt, der Situation und ihren Wechselfällen standzuhalten. Die alte Rangordnung beruhte auf einem System von Sicherungen: Sicherung des Lebens, der Berufsstellung, des Besitzes. Diese Sicherungen sind erschüttert oder zusammengebrochen. Wenn wir in der alten Wertordnung, für die sie bestimmend waren, verharren, sind wir verloren; dann, erst dann wäre das was uns widerfährt kein bloßes Unglück, sondern ein Untergang. Nicht aber sind wir verloren, was immer geschehe, wenn wir erkennen, daß über jenen Daseinswerten, und zwar nicht etwa »in der Idee«, sondern ganz faktisch andere stehen, über der Wahrung des Besitzes die Wahrung unseres eingeborenen Selbst, über der Treue zum Beruf die Treue zu unserer Berufung, über der Verbundenheit mit dem Leben, zuoberst, die Verbundenheit mit dem Unnennbaren, die Gebundenheit an den Bindenden, die echte Freiheit, der echte Dienst. Wenn wir unser Selbst wahren, kann nichts uns enteignen. Wenn wir unsrer Berufung treu sind,

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kann nichts uns entrechten. Wenn wir mit Ursprung und Ziel verbunden bleiben, kann nichts uns entwurzeln, und keine Gewalt der Welt vermag den zu knechten, der in der echten Dienstbarkeit die echte Seelenfreiheit gewonnen hat. 5

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Es ist uns überliefert (Kohelet Rabba III 15), Gott »suche den Verfolgten auf«, auch wenn der Verfolger gerecht, auch wenn der Verfolgte ungerecht ist. Wir wissen, daß, wie immer es um die Gerechtigkeit zwischen uns und den andern steht, wir unserm Ursprung und Ziel gegenüber ungerecht sind. Wir haben lange einer falschen, leeren, schlechten Freiheit angehangen, einer Freiheit ohne Richtung und Sinn. Wir haben nach der Freiheit des Geistes gestrebt und haben vergessen, daß der Geist nicht anders wahrhaft frei sein kann als in der Bindung an die hohe Macht, die ihn entsandt hat. Wir haben die Freiheit des Wandels geübt und die Einsicht aufgegeben, daß der Wandel nicht anders wahrhaft frei sein kann als in der Bindung in die hohe Ordnung, die ihn umschließt. Wir haben die Freiheit des öffentlichen Wesens verherrlicht und haben nicht erkennen wollen, daß das öffentliche Wesen nicht anders wahrhaft frei sein kann als in der Bindung unter das hohe Gebot, das ihm in der Gemeinschaft zu erfüllen obliegt. Nun sind wir in die Unfreiheit getan worden und an Besitz, Beruf und Leben andrer Macht, andrer Ordnung, andrem Gebot: der Macht, der Ordnung und dem Gebot der Menschen untertan. Aber in dieser Unfreiheit werden wir von Gott aufgesucht, – mitten in der Heimsuchung sucht er uns auf. Wenn wir uns ihm zuwenden, den Wahn der falschen Freiheit mit all ihren trügerischen Sicherungen fahren lassen, zur Gottesfreiheit, die die Gottesgebundenheit ist, umkehren, wird sich dieses Taumeln durch die finstere Schlucht als ein Weg, als unser Weg ins Licht manifestieren. Ein führender protestantischer Theologe hat mir in diesen Tagen geschrieben: »Ihr Volk hat ja immer ›in der Tiefe‹ Gott finden müssen und ist damit der ganzen Menschheit zum Segen geworden … Die Zeit der Wüstenwanderung, die jetzt für Sie begonnen hat, kann ja auch eine Zeit großer Offenbarung werden. Gott gebe es.« Gott gebe es.

Ein Dankesgruss Von Prof. Dr. Martin Buber, Delegierter der Universität Jerusalem. Ich bin hierher gekommen, um der Universität Zürich zu ihrer Jahrhundertfeier die schwesterlichen Glückwünsche der jungen Universität Jerusalem zu übermitteln, deren Kuratorium und Akademischem Rat ich seit ihrer Begründung anzugehören die Ehre habe. Aber dieser Auftrag hat für mich eine nicht bloß sachliche Bedeutung. Ein tiefes persönliches Gefühl für die Schweiz, deren Geist sich in der Zürcher Universität institutionell darstellt, gesellt sich ihm in meiner Seele. Dieses Gefühl hat zwei überwiegende Komponenten. Für mich als Juden, dem die Zentrierung Israels in seiner palästinensischen Heimat am Herzen liegt, ist die Schweiz das Vorbild eines geschichtstiefen Lebensbündnisses staatverbundener Völker, wie ich es aus der neuen Begegnung des jüdischen mit dem arabischen Volke hervorgehen sehen möchte. Für mich als Menschen, dem eine kommende Völkergemeinschaft nur aus echten Gemeinwesen und ein echtes Gemeinwesen nur aus echten Gemeinden aufbaubar erscheint, bedeutet die Schweiz in ihren überlieferten Einrichtungen einen wichtigen Probebau. Beides habe ich zuerst verspürt, als mir vor 34 Jahren gegönnt war, Bürger der Universität Zürich zu sein. Ich bin ihr dankbar und dem Geist der sie schuf treu geblieben.

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Der jüdische Mensch von heute ist der innerlich ausgesetzteste Mensch unserer Welt. Die Spannungen des Zeitalters haben sich diesen Punkt ersehen, um an ihm ihre Kraft zu messen. Sie wollen erfahren, ob der Mensch ihnen noch zu widerstehen vermag, und erproben sich am Juden. Wird er standhalten? Wird er in Stücke gehen? Sie wollen durch sein Schicksal erfahren, was es um den Menschen ist. Sie machen Versuche mit dem Juden, sie versuchen ihn. Besteht ers? … Etwas ist geschehen. Statt des einen Wesens, an dem die Spannungen des Zeitalters sich auslassen wollten, sind zwei zu schauen, – ein zerfallendes und ein unbezwingliches. Eins, das Licht ausgibt wie ein phosphoreszierender Sumpf, und eins, das Licht ausgibt wie der Orion. Aber dieses steht für jenes ein. Dieses sagt von jenem: Das bin ich. Es streckt sich über es hin, es deckt es, es duldet, was zu dulden ist. Und wenn eure Probe bestanden sein wird, Spannungen des Zeitalters, werden nicht mehr zwei dasein, sondern einer, der Überwinder.

Adel Vor nicht langer Zeit, als die gegenwärtige Situation sich bereits deutlich ansagte, besuchte mich ein ausgezeichneter Vertreter des deutschen Adels. Im Mittelpunkt unseres Gesprächs stand das Problem des Judentums. Wir waren einig – so einig wie zwei Menschen, die dieselbe Wirklichkeit miteinander a n s e h e n – darin, daß der Kern des Judentums, auch heute noch, Urzusammenhang, Ueberlieferungsmächtigkeit, organische Wesenseinheit, existentielle Gewißheit und Gelassenheit, mit einem Wort Adel, echter Adel bedeutet. Mitten in der Erörterung unterbrach sich mein Besucher und rief: »Wenn ich mir Adel leibhaft vorstellen will, denke ich an Leo Baeck.«

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Gericht und Erneuerung

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»Heute ist die Welt an der Geburt, heute stellt Er ins Gericht alle Lebensgebilde der Welten.« Zum erstenmal seit den Vorgängen, die es als seine Emanzipation zu bezeichnen pflegt, erlebt das deutsche Judentum den Tag des Gerichts und der Erneuerung in einer großen Notzeit. Erlebt es ihn? Weiß es auch nur wirklich, daß es der Tag des Gerichts und der Erneuerung, der Tag der E r n e u e r u n g d u r c h G e r i c h t ist? Unter allen Festen der Erdenvölker gibt es nur diesen Judentag, in dem die erhabene und furchtbare Wahrheit sich darstellt, daß allen Lebensgebilden der Welten je und je die Erneuerung naht, aber in der Gestalt des Gerichts. Die Erneuerung der Schöpfung – der Schöpfung, von der es heißt, sie sei einst an diesem Tag ins Dasein getreten – vollzieht sich an diesem Tag durch die Erneuerung der Seelen. Sie werden ins Gericht gestellt; bestehen sie darin, werden sie erneuert. Aber sie bestehen nicht dann im Gericht, wenn sie zu erweisen unternehmen, sie seien schuldlos, vielmehr dann, wenn sie mit ihrem ganzen, bis auf den Grund aufgerührten Wesen ihre Schuld erkennen, bekennen und sich von ihr abkehren; indem sie sich schuldig befinden, bestehen sie im Gericht. Diese Wendung der ins Gericht gestellten Seele heißt ihre Umkehr. Am Tag des Neuen Jahres kehrt die Welt in ihren Urzustand zurück, von dem aus es sich entscheidet, ob sie neu ins Dasein tritt oder verfällt; die Entscheidung aber hängt an der Umkehr. Die Umkehr, so lehren unsere Weisen, ist älter als die Welt. Denn ehe noch die Welt erschaffen war, wurde für sie der Weg bereitet, auf dem sie je und je dem Tode entgeht und die Wiedergeburt erfährt. Indem der Mensch, ihr Abgesandter, umkehrt, wird er erneuert und durch ihn die Welt. Jeder Neujahrstag ist »Gedächtnis des ersten Tags«. Wieder ist Finsternis über allem. Aber die Posaune, die mit dem Ruf zur Umkehr beginnt und mit der Ankündigung der geschehenen endet, durchstößt die Finsternis, und Licht wird. Weiß die deutsche Judenheit noch, was dieser Tag ist? weiß sie, daß das, was er aussagt, nicht Bilder der religiösen Sprache, sondern allerunmittelbarste Wirklichkeit ist? An diesem Tag klärt sichs gewaltig, daß in dem Gericht sich das Angebot der Erneuerung birgt. Das deutsche Judentum ist ins Gericht gestellt; besteht es darin, wird ihm Erneuerung werden. Was tun die deutschen Juden, um im Gericht zu bestehen? Kehren sie um? Oder begnügt sich ein jeder damit, sich und aller Welt zu beteuern, daß er schuldlos sei? Ein teils leichtes, teils müßiges Beginnen, wenn mit »Schuld« die gemeint ist, deren er von draußen bezichtigt

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Gericht und Erneuerung

wird! Aber ein hoffnungsloses, wenn es um die geht, die man von innen her kennt! Um die Lauheit des Judeseins, um die Lässigkeit des Gemeinschaftssinns, um die geschäftige Zweckbesessenheit, um die leere Lebensgier, um das unverbindliche Kluggeschwätz, um die ehrfurchtslose Selbstsicherheit, um die »Trägheit des Herzens«! Und die frei sind von alledem? Keiner ist frei von Schuld, keiner darf sich entziehen. Wer wagte es, wenn er im Sündenbekenntnis spricht: »Wir sind treulos gewesen«, zu denken: »Das betrifft mich nicht mit«, und wenn er spricht: »Wir haben geraubt«, zu denken: »Daran habe ich nicht teil«! Wir bekennen: »Wahrlich, wir sind’s, die gesündigt haben«, nicht jeder für sich: »Ich bins«, sondern gemeinsam dieses »Wir«, weil »all Israel Ein Leib ist und jeder einzelne von Israel ein Glied daran, und das ist die Bürgschaft, mit der wir für einander, die Sündigen, bürgen«. Wir stehen nicht einzeln im Gericht, sondern jeder als Israel, und nicht einzeln werden wir, wenn wir bestehen, die Erneuerung empfangen. Werden wir bestehen? Das Unheil, das über die deutsche Judenheit gekommen ist, hat aus ihr, die keine Gemeinschaft mehr war, bislang noch nicht wieder eine Gemeinschaft gemacht. Jeder von uns leidet seine Not, leidet die der Vertrauten mit, aber wer von uns erleidet die Not der Gesamtheit, der der Modus ihrer Existenz, die schicksalhafte, durch Leben und Werk beglaubigte Symbiose mit dem deutschen Volk, zerstört worden ist? wer von uns nimmt die Last der plötzlich ungeheuer getürmten Problematik auf sich? wer erkennt seine eigne Schuld daran, bekennt sie, kehrt sich von ihr ab? wer kehrt um, so um, daß in ihm, durch ihn sich die Umkehr der Gesamtheit begibt? Jeder von uns sinnt, wie er sich und die Seinen bewahre; wer bewahrt das deutsche Judentum im Gericht, wer setzt sich ein, daß es erneuert werde? »Bläst man je in der Stadt die Posaune«, fragt Amos, »und das Volk, sie schrecken nicht auf?« Sie schrecken auf, aber nicht als Volk. Finsternis ist über allem, und die Posaune vermag sie nicht zu durchstoßen. Aber dringender als an alle ergeht an euch das Wort, die ihr euch Vertreter und Führer dieser Judenschaft nennt. Ich sehe manchen von euch den Geschäften seiner Gruppe oder seines Grüppchens nachgehen, als wäre nichts geschehen, manchen von euch das Getriebe der unorganischen Organisation ahnungslos weitertreiben. Ich sehe manchen virtuos wie immer dem Ernstmachen ausweichen und andern den Weg dazu versperren. Wie lange noch? Der Tag des Gerichts und der Erneuerung ist angebrochen. Heute ist die Welt an der Geburt.

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Name verpflichtet

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Man braucht nur die vier Worte, aus denen der Name »Kulturbund Deutscher Juden« besteht, einzeln und in ihrem Zusammenhang ernst zu nehmen, – mehr ist hier nicht not. »Kultur« gibt es in der Wirklichkeit immer nur als die Kultur einer Gemeinschaft. Wenn eine Gemeinschaft alles, was sie von der Natur und vom Geist her erfährt, in ihr Wesen so aufnimmt, daß ihr Gemeinsames daran offenbar wird, hat sie Kultur. Die Gemeinschaft, um deren Gemeinsames es hier geht, ist die der »deutschen Juden«, die deutschjüdische. Damit sie ihre Kultur bewähre, braucht selbstverständlich nicht nach jüdischen Stoffen und Motiven gefahndet zu werden; wie ihr das A n d e r e zu eigen, zu Eigentümlichem wird, gerade das ist entscheidend. Für die deutschjüdische Kultur also ist seinem Namen nach dieser Bund gegründet worden, und zwar nicht als Verein, nicht als Gesellschaft, sondern eben als Bund. »Bund«, das bedeutet, daß die Menschen, die dazu gehören, nicht durch ein Interesse, nicht durch einen Zweck allein, sondern lebensmäßig und unmittelbar miteinander verbunden sind. Kann das von mehreren Tausenden gelten? In dieser Frage birgt sich die eigentliche Bundesaufgabe. Es ist eine Aufgabe der B i n d u n g , der inneren Bindung. Sie ist sehr schwer. Aber weder von der Zahl der Mitglieder noch sogar von der Qualität der Darbietungen, vielmehr einzig von der Bewältigung dieser intimen Aufgabe, den Bund zum Bund zu machen, hängt der wahre Erfolg des »Kulturbund Deutscher Juden« ab.

Vorbehaltlose Hingabe: der Weg Ein zusammenfassendes Schlußwort Mir scheint das Wichtige an den vorstehenden drei Antworten auf Ihre Umfrage nicht ein bestimmter Inhalt, sondern der kritische, illusionsfreie Ernst zu sein, von dem sie gemeinsam getragen sind. Das ist gewiß die rechte Haltung unserer inneren Problematik gegenüber. Im übrigen möchte ich von da aus auf zwei Dinge hinweisen. Das erste ist, daß die religiöse Wirklichkeit einem so lange verschlossen bleibt, als ihm um Religion z u t u n ist. Man ist heute vielfach zu der Ueberzeugung durchgedrungen, daß uns ein religiöses Leben not tue, und man versucht sodann, ein solches herzustellen, oder zumindest, für dessen Herstellung zu werben. Aber das ist ein aussichtsloses Bemühen; so kann nichts entstehen als Schein und Phrase. Einen zuverlässigen Anfang gibt es erst dann, wenn es uns nicht mehr darum zu tun ist, Religion zu haben; wenn wir uns, aller »Sicherung« bloß, vor den hinwerfen, der uns f a l s c h e S i c h e r h e i t e n zerschlagen hat, um unseren Sicherheitswahn, der sich zwischen uns und ihn gedrängt hatte, zu vernichten. Und das zweite: wenn wir von diesem Hingeworfensein aufstehen, die Härte des Bodens noch an unserer Stirn, und in den Tag blinzeln, fassen wir den heiligen Entschluß, in dem Getriebe der Widrigkeiten, in das wir nun zurückzutreten haben, d a s u n s z u b e w a h r e n , was wir dort, am Boden, erfuhren! Jagen wir wieder nach n e u e n Sicherungen, dann haben wir es, haben wir uns verloren. Nur wenn wir die Unsicherheit aushalten, aber nicht als ein Ve r l a s s e n s e i n , vielmehr als das einzige uns jetzt und hier gewährte Ve r b u n d e n s e i n mit unserem Vater und König, bleiben wir in der Wirklichkeit, die wir, hingeworfen, verspürt hatten, bleibt uns der unaussprechliche Sinn unseres Daseins, der sich uns da zu ahnen gab.

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Freiheit und Aufgabe Dem Gedächtnis Chajim Nachman Bialiks

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In zwei aggadischen Deutungen, die Motive biblischer Erzählungen aufnehmen und ausgestalten, hat sich die Lehre von Israels Platz und Beruf in der Geschichte so verdichtet, daß wir, sie lesend wie sie gelesen werden wollen, unmittelbar erfahren, was uns von unsrer geschichtlichen Bestimmung zu wissen not tut: daß sie uns eröffnet worden ist und daß wir sie verfehlt – verfehlt, aber noch nicht verwirkt haben. Die erste findet sich nirgends ganz, man muß sie aus talmudischen und midraschischen Stellen zusammenfügen (b. Schabbat 156a; Midr. Rabba zu I M. 15,5; Midr. Tanchuma zu I M. 25,1). Entgegen andrer, vorher vorgetragener Auffassung wird da gelehrt: »Es gibt keinen Schicksalsstern für Israel«: Israel darf nicht, wie die von der Sternenmacht besessenen Völker, an ein unabänderliches, vom Himmel ablesbares Verhängnis glauben. In den Tagen Jeremjas, von dem sternengläubigen Babylon bedroht, begehren die von Israel auch zu solcher Zukunftskunde zu gelangen, aber Gott verwehrt ihnen die falsche Weisheit (Jer. 10,2): »Von den Zeichen des Himmels lasset euch nimmer bestürzen, / mögen denn die Welt-Stämme bestürzt sein vor ihnen!« So hatte einst schon Abraham, der Mesopotamier, von Gott aus dem Land des Sternenglaubens in ein andres Land gebracht, an der vorgeblichen Schicksalskunde zu haften gesucht, aber Gott hatte es ihm verwehrt. Abram nämlich, der Kinderlose, sprach zu Gott: »Der Schicksalsstern bedrängt mich und sagt zu mir: ›Abram, du bist kein Zeugender!‹« Gott aber, wie es in der Schrift heißt, »führte ihn hinaus ins Freie«: Gott aber, der ihm den Sohn seines Greisentums verhieß, zeigte ihm die Sphären des Firmaments und sprach zu ihm, ähnlich wie damals, als er ihn aus dem Zweistromland geschickt hatte: »Geh hinaus aus deiner Sternguckerei! Du bist ein Künder, du bist kein Astrolog!« Ein Künder und kein Astrolog. Der Astrolog redet von der Voraussetzung aus, daß alles Künftige schon festgelegt, schon »in den Sternen geschrieben« sei, eine vollgeschriebene Rolle, die nur noch weiter abzurollen habe, und dieses Abrollen heiße Geschichte. Der Künder aber kündet auf die Entscheidungsmächtigkeit des Augenblicks hin, »auf die Umkehrenden hin« wie unsre Überlieferung es ausdrückt: das sündige Ninive, zu dem Jona mit der Prophezeiung des Untergangs gesandt war, kehrt um, und der Schicksalsspruch wendet sich. Es gibt kein unabänderliches Verhängnis, denn Gott lebt und der Mensch lebt; der Mensch wandelt sich, und Gott nimmt dessen Wandlung in den Wandel der Dinge,

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nimmt sie in die Entscheidungsmächtigkeit des Augenblicks auf. Es gibt keine ablesbare Sternenschrift. In der talmudischen Version unserer Erzählung folgen in der Gottesrede auf den Spruch: »Geh hinaus aus deiner Sternguckerei!« die Worte: »Denn es gibt keinen Schicksalsstern für Israel. Meinst du etwa, weil der Jupiter im Westen steht? Ich wende ihn und setze ihn in den Osten.« Wir kennen aber noch eine andere Tradition zur Deutung von Abrahams Sternenschau. Da wird erzählt, Gott habe ihn über das Gewölb des Firmaments entrückt, er habe ihn über die Gestirnwelt »hinausgeführt« und habe nun zu ihm gesprochen: »Blicke doch auf den Himmel!« Das Verb, das hier durch »blicken« wiedergegeben ist, bezeichne immer ein Sehen von oben nach unten. »Wer unter dem Wandelstern ist«, habe Gott zu Abraham gesagt, »mag ihn fürchten! Du, der du darüber bist, erhebe darüber das Haupt!« Was heißt das, daß Abraham, daß Israel über dem Wandelstern sei? Ein Privileg hat Israel nicht; das sprechen die Tora und die Propheten unmißverständlich aus. Nur insofern es dem Verhängnisglauben entsagt, sich aus ihm hinaus und hinauf führen läßt, sich Gott und seiner Freiheit – das Geheimnis des Umgangs mit Gott ist ja eben das Geheimnis der Freiheit – angelobt, nur so und nur dann ist es erhoben. Nur wer die Gottesfreiheit glaubt und sie menschlich bewährt, ist frei. Der braucht vor dem Wandel der Dinge, vor der Geschichte nicht zu zittern, denn es ist ihm erlaubt, uneingeschränkt sich selber einzusetzen. Es gibt kein Verhängnis außer dem Glauben an das Verhängnis. Freiheit aber ist kein Belieben und keine Willkür, sie hat ihren Sinn und ihr Ende im Erfüllen der Berufung. Freiheit in der Geschichte ist die Freiheit, die Geschichte durch Erfüllen der Berufung zu bestehn. Geschichtlich frei ist der geschichtlich Verantwortende. Von der geschichtlichen Berufung und der geschichtlichen Verantwortung Israels handelt die zweite aggadische Deutung (Peßikta de R. Kahana XXIII, ed. Buber 150b, Midr. Tanchuma zu I M. 28,12). An der Leiter, die auf die Erde gestellt ist und deren Haupt an den Himmel rührt, sieht Jakob »Boten Gottes« aufsteigen, niederschreiten. Diese Boten sind die himmlischen »Völkerfürsten«, jeder der Schirmherr einer Nation. Ihr Auf- und Niedersteigen ist der Gang der Völker durch die Geschichte, deren Auf- und Niederstieg. So schaut Jakob den Fürsten Babylons, den Fürsten Mediens, den Fürsten Griechenlands, den Fürsten Roms auf- und niedersteigen. Da ruft Gott ihm zu: »Auch du hast aufzusteigen!« Aber Jakob fürchtet sich. Er spricht zu Gott: »Wie es für diese einen Abstieg gibt, so würde es auch für mich einen Abstieg geben.« Gott antwortet ihm mit der großen Ermutigung: »Wenn du aufsteigst, wird es

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für dich keinen Niederstieg geben.« Jakob aber glaubt nicht und steigt nicht auf. Nun redet Gott zu ihm: »Da du nicht geglaubt hast, werden deine Kinder den Reichen dieser Völker verknechtet sein.« Verstört fragt Jakob: »Soll das für Weltzeit gelten?« Da spricht der erbarmende Gott ihm die jeremjanische Tröstung zu (Jer. 30,10): »Fürchte dich nimmer, mein Knecht Jaakob, / Jißrael, laß dich nimmer bestürzen! / denn, wohlan, ich befreie dich fernher, / aus ihrer Gefangenschaft Land deinen Samen.« Nun folgt auf den jeremjanischen Spruch eine merkwürdige Aufzählung: »aus Babylon und Medien, aus Griechenland und Rom, aus Gallien und Spanien und ihren Nachbarländern«. Danach setzt die prophetische Verheißung wieder ein: »Dann kehrt Jaakob heim / und ist still und ist sorglos / und keiner scheucht auf. / Denn ich bin bei dir, dich zu befreien.« Und die Gottesrede schließt mit dem unüberbietbar deutlichen Wort: »Züchtigen nur will ich dich, um dich zu läutern von deinen Verfehlungen.« Es ist der Eintritt in die weltgeschichtliche Existenz, den Gott Israel zumutet und vor dem es zurückscheut, weil er ihm das geschichtliche Schicksal, das Verhängnis, bedeutet. Zu Unrecht bedeutet er ihm das, so weist Gott es zurecht: es würde mitten in der weltgeschichtlichen Existenz dem Völkerschicksal entgehn. Was heißt das, daß es für Israel, wenn es aufstiege, keinen Abstieg gäbe? Soll für Israel das Gesetz der Geschichte, das Völkergesetz der Abfolge von Sieg und Erliegen, Machtfülle und Untergang aufgehoben werden? Für Israel nicht, aber durch Israel. Ein Privileg hat Israel nicht, aber es hat eine Aufgabe. Es ist eine übergeschichtliche Aufgabe, aber es ist eine Aufgabe an der Geschichte, und sie kann nur erfüllt werden, indem der Erfüllende die geschichtliche Existenz auf sich nimmt. Diese Aufgabe ist die Einführung des andern Gesetzes, des Gesetzes des Bundes, eines echten Gottesbundes der Völker (dem falschen Bund, der in unsrer an karikaturhaften Scheinverwirklichungen großer Forderung und Verheißung so reichen Zeit unter dem angemaßten Namen gespenstert, so unähnlich, wie Gott seinem Affen), in die Geschichte, so daß es jenes erste Gesetz überwinde und allein herrsche. Die Israel zugedachte Aufgabe ist die messianische Durchsäuerung der Geschichte. Erfüllt werden kann sie nicht durch Predigt, durch Botschaft, durch Geist, also nicht durch Einzelwirkung Einzelner, sondern ihrem geschichtlichen und völkerhaften Wesen gemäß nur durch geschichtliches Darleben des Bundes im Geschichtsleben eines Volkes. Diese Lehre unsrer aggadischen Überlieferung ist keine »Utopie«. Sie, und einzig sie ist das konkrete menschliche Ernstmachen mit der Messianität in der Geschichte, wie die frühe Prophetie sie verkündigt hat.

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Israel ist seiner Berufung ausgewichen und es ist dafür in die Verknechtung geschickt worden. Aber verheißen ist ihm, daß es, von seiner Verfehlung geläutert, »heimkehren« soll. Nicht bloß zu einem Lande, einer Selbständigkeit, einer Unabhängigkeit, sondern zur wahren Freiheit, die es einst innegehabt und vertan hat: der Freiheit, mit der Erfüllung seiner Berufung zu beginnen.

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»Wer aus Liebe dient: daß der sich mit der Lehre und den Geboten befaßt und in den Bahnen der Weisheit geht, geschieht nicht um irgend eines Dings der Welt willen und nicht aus Furcht vor dem Übel und nicht um das Gute zu erwerben, sondern er tut die Wahrheit deswegen, weil sie die Wahrheit ist … Und das ist die Stufe unseres Vaters Abraham, den der Heilige, gesegnet sei Er, seinen Liebenden genannt hat, da er nicht anders als aus Liebe diente. Und das ist die Stufe, die der Heilige, gesegnet sei Er, uns durch Mose geboten hat, wie es heißt: ›Liebe IHN deinen Gott‹.« Dieser Spruch des Maimuni, aus dem letzten Abschnitt seiner »Regeln der Umkehr«, scheint mir sein eigentlichstes Vermächtnis an diese unsere Stunde zu sein. Gott lieben heißt die Wahrheit tun, weil sie die Wahrheit ist. Gott lieben – aber wissen wir denn in dieser Zeit der Verdunklung aller Schau und der Unaussprechlichkeit aller Namen noch, wer Gott ist? und müßten wir es nicht wissen, um ihn lieben zu können? Die Wahrheit tun – aber wissen wir denn in dieser Zeit tausendfältiger Verzweckung, Vermischung, Verfälschung der Wahrheit noch, was Wahrheit bedeutet? und müßten wir es nicht wissen, um sie tun zu können? Aus Maimunis Spruch wird uns die Antwort gegeben. »Die Stufe unseres Vaters Abraham.« Als die Stimme des noch Unbekannten erstmals, unvermittelt aus aller nächster Unendlichkeit an Abrahams hörendes Herz dringt: »Geh vor dich hin aus deinem Land, aus deinem Geburtskreis, aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dich sehen lassen werde«, fragt er den, der sich ihm ja noch nicht kundgetan, der ihm nur erst befohlen hat, nicht: »Wer bist du?«, sondern er geht. Und erst allmählich: auf seinem langen Gang durch das Land erfährt er, wer ihn angeredet hatte. Ja aber – werden wir denn noch angeredet? Horcht nun auf das, was euch widerfährt! In dem, was euch widerfährt, birgt sich, als in ihrem Exil, die Stimme. Ja aber – wird uns denn in dem, was uns widerfährt, gesagt, w a s wir tun sollen? Wieder gibt uns der Spruch die Antwort. »Liebe IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht.« Erkunde, was du mit all deiner Seele tun kannst! Was du mit all deiner Seele tun kannst, so daß aus keinem Urgrund deiner Seele, in keinem Augenblick letzter Besinnung deinem Vorhaben ein

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Ein Spruch des Maimuni

Widerspruch begegnet, – was du mit all deiner Macht tun kannst, so daß all dein Wesen ganz und einig ist in deinem Tun, das ist die Wahrheit. Worin wir ganz und einig werden können, das sollen wir tun. Wenn wir es tun, werden wir zu lieben beginnen. Einen Unbekannten erst. Aber dann werden wir erkennen, wen wir lieben.

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Martin Buber schreibt uns:

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Von der »Jüdischen Rundschau« wäre aus den 40 Jahren ihres Bestehens – ich kenne sie fast ebenso lange – manches Rühmliche zu sagen; das Rühmlichste aber ist, wie sie die Judenheit und das Judentum seit 2 Jahren vertreten hat. Sie hat es stolz und gelassen getan; aufrichtig, unsre Mängel nicht beschönigend, aber sie in ihren wirklichen Dimensionen zeigend; mutig, mit einem ruhigen, sachlichen Mut, ohne Bravour und ohne Unterstreichung; klug, jeder Nachricht die rechte Sprache und jeder Meinungsäußerung den rechten Ton verleihend; unbefangen, allem Krampf, aller Gereiztheit, aller Kleinlichkeit abhold; anpassungsfähig und auf sich beharrend, tatsachentreu und ideentreu zugleich, Charakter und Niveau in einer Weise verbindend, wie sie in der Presse aller Völker nur selten zu finden ist; bedeutend, unvergeßlich, geschichtlich.

Vorbemerkung [zu Hermann Cohen, Der Nächste] Hermann Cohens hauptsächliche Äusserungen über die »Nächstenliebe« im Judentum – mit Ausnahme der in seinem nachgelassenen systematischen Werke »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« enthaltenen – in einem Bändchen dieser Bücherei zu vereinigen, habe ich deshalb angeregt, weil es mir wichtig erscheint, diesen Mann für diesen Gegenstand in dieser Stunde zeugen zu lassen, so weithin als wir vermögen. Zum Sinn der im Mittelpunkt von Cohens Betrachtung stehenden Bibelstellen scheint mir eine Vorbemerkung erwünscht. »Sei liebend zu deinem Genossen als zu einem der wie du ist«, heißt es in der Schrift, und kurz danach, wie um durch die besondere Hervorhebung in alle Zeit jeden etwa möglichen Mißverstand auszuschalten: »Sei liebend zum Gastsassen als zu einem der wie du ist«. Rea, Genosse, ist der Mensch, mit dem ich gerade zu tun habe, der mir eben jetzt begegnende Mensch, der Mensch also, der mich in diesem Augenblick »angeht«, gleichviel ob er mir volkeigen oder volksfremd ist. Ich soll, buchstäblich übersetzt, »ihm lieben«: mich ihm liebend zuwenden, ihm Liebe erzeigen, Liebe antun; und zwar als einem, der »wie ich« ist: liebesbedürftig wie ich, der Liebestat eines Rea bedürftig wie ich, – wie ich es eben von meiner eigenen Seele her weiß. Daß es so zu verstehen ist, ergibt sich aus den auf den zweiten Satz folgenden Worten: »Denn Gastsassen seid ihr im Land Ägypten gewesen« – oder, wie es anderswo noch deutlicher heißt: »Ihr kennt ja die Seele des Gastsassen, denn Gastsassen seid ihr im Land Ägypten gewesen«. Ihr kennt diese Seele und ihre Not, ihr wißt, wessen sie bedarf, und darum, ihr, denen es einst verweigert worden ist, verweigert es nun nicht! Wagen wir es, von da aus die Begründung des ersten Satzes in Worte zu fassen. Sei liebend zu deinem Mitmenschen als zu einem der wie du ist – ihr kennt ja die Seele des Menschen, dem es nottut, daß man liebend zu ihm sei, denn Menschen seid ihr und leidet selber die Menschennot. So ist eine Botschaft des »alten Testaments« zu lesen.

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Vorwort [zu Die Stunde und die Erkenntnis]

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Wird ein Stundenschlag der alten Turmuhr so vernehmbar, als hätte sie noch nie geschlagen, dann ist es an der Zeit, ihn und die Uhr zu deuten. Man braucht die Deutung nicht zu erdenken, man darf sie nicht erdenken, man muß nur die wahrnehmen, die von je da ist, wie eben die Wahrheit da ist, und sie aussprechen. Warum sie aussprechen? Damit die Schar, die vernommen hat, im Schicksal der Stunde und ihrer Erkenntnis beisammen bleibe, wie auch im Raum sie zersprengt wird. Ob die Gemeinschaft bleibt, – nein, ob sie es wird, ob sie es jetzt wieder wird, davon hängt geheimnisvoll auch der nächste Stundenschlag mit ab. Zerfällt sie in unverbundne Einzelne, verschiedner Sorge, verschiedner Hoffnung, dann ist sie, dann ist vielleicht mehr als sie verloren. Aber genügt es, um zu sein, denn, etwas zu verstehen? Die Deutung meint kein Verstehen, das anders als im Sein zu vollziehen wäre. Nicht mit einem unverbindlichen Verstand kann man die Stunde, die Stunden, die Zeiten, die Zeit verstehen, nur mit der Existenz selber. Wer hören gelernt hat, dem posaunt auch noch das Nachzittern jenes Klangs: »Besinnung!«, »Umkehr!«, »Ernstmachen!«, ins Ohr, ins Herz, in die innerste Heimlichkeit. Hören gelernt – kann man hören lehren? Es ist nicht zu wissen, ob man es kann. Man muß es eben, sowie die Stunde schlug. Die Uhr nimmt einen in ihre Pflicht. Man wird nicht erfahren, ob man es, ob man etwas davon gekonnt hat. Man versuche eben, was man zu versuchen hat, man sage, man wiederhole, man lehre, mehr ist nicht befohlen und nicht gewährt. *

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Aus einem Versuch dreier Jahre ist hier einiges mitgeteilt. Nicht vom eigentlichen Lehren, das immer nur von Person zu Personen zu geschehen und nicht in eine Publikation umgesetzt zu werden vermag, wohl aber von den Anrufen und den zusammenfassenden Hinweisen, die durch Rede und Schrift in eine Öffentlichkeit hinein erfolgen müssen, weil es

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Vorwort [zu Die Stunde und die Erkenntnis]

ihre Aufgabe ist, daraus immer wieder die Einzelnen hervorzuholen, die kraft ihrer Bereitschaft zur Verbundenheit die Schar wahrhaft vertreten. Um die Konkretheit, in der das Wort stand, sichtbarer zu machen, habe ich auch von den Arbeitsplänen, den ausgeführten (ich darf nicht sagen: »geglückten«) und den unausgeführten, einiges aufgenommen, und damit auch die Außenlinie ein wenig vergegenwärtigt werden könne, einen Anhang beigegeben, der »Verständigung und Auseinandersetzung« betitelt und nur als Auswahl anzusehen ist. Von dem aus ihm weggebliebenen Material sei hier nur der Vortrag »Israel und die Völker« erwähnt, der um die Jahreswende 1932/33 in der von J. W. Hauer geleiteten Köngener Arbeitswoche über den Aufbau des völkischen Staates gehalten wurde; er hätte seinem Wesen nach den Rahmen dieses Buches überschritten. Nicht aufgenommen habe ich die Reden dieses Zeitabschnitts, die die zionistische Bewegung und Arbeit, den palästinensischen Menschen und die palästinensische Gesellschaft zum Gegenstand hatten, wie insbesondre die über das pädagogische Problem des Zionismus, die über »Größe und Gefahr der Stunde« und die mir wichtigste über den Chaluz und seine Welt. Sie gehören in einen anderen Zusammenhang; die letztgenannte hoffe ich bald etwas ausgebaut für sich veröffentlichen zu können. Frühjahr 1936

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Der Jude in der Welt Aus einer Frankfurter Lehrhausrede (Januar 1934)

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Im ernsten Sinn des Wortes gibt es den »Juden in der Welt« erst von einem ganz bestimmten Zeitpunkt an. Das ist nicht etwa der Zeitpunkt der Zerstörung des jüdischen Staatswesens durch Titus, wohl aber der des Zusammenbruchs des Bar-Kochba-Aufstands. Als Jerusalem aufhörte, eine jüdische Stadt zu sein, als der Jude in seinem Land nicht mehr heimisch sein durfte, da erst wurde er in den Weltabgrund geschleudert. Seither steht er in der Welt als der schlechthin ungesicherte Mensch. Innerhalb der allgemeinen Ungesichertheit, die das Zeichen menschlicher Existenz überhaupt ist, gibt es seit jener Zeit eine Menschenart, deren Schicksal es ist, auch jener problematischen Sicherheit der Menschen zu entbehren. Ob sie es jeweils weiß oder nicht, sie lebt stets auf einem einsturzbereiten Boden. Jede Symbiose, in die sie eintritt, ist trügerisch, jedes Geschichtsbündnis enthält eine unsichtbare Kündigungsklausel, jeder Kulturverknüpfung wohnt eine heimlich trennende Kraft ein. Es ist dieses schicksalhafte Ungesichertsein, das wir meinen, wenn wir die jüdische Diaspora als »Galuth«, das heißt Vertriebenheit, bezeichnen. Was ist die Ursache dieses Ungesichertseins? Die jüdische Gemeinschaft ist schlechthin uneinreihbar, sie widerstrebt allen geschichtlichen Kategorien und Allgemeinbegriffen, sie ist einzig. An dieser Einzigkeit Israels muß das natürliche Bedürfnis der Völker nach Erklärung – und Erklärung bedeutet immer Einordnung in Kategorien – zerschellen. Was sich aber nicht einreihen, sich also nicht verstehen läßt, das ist durch sein Dasein erschreckend. Die Bemerkung, der Antisemitismus sei eine Gespensterfurcht, hat in diesem Sachverhalt ihren Wahrheitsgrund. Die wandernde, irrende, preisgegebene Gemeinschaft, anders beschaffen als jede andere und keiner vergleichbar, hatte für die Völker, in deren Mitte sie lebte, in ihrer Uneinreihbarkeit stets etwas Gespenstisches, und das konnte wohl nicht anders sein – sie war in Wahrheit ein »Unheimliches«, Heimloses. Dieses Uneinreihbare, mit dem man nicht vertraut wird, ist jeweils das erste Opfer enthusiastischer Massenbewegungen (Kreuzzüge im 11. Jahrhundert), es trägt die Schuld am Massenunglück (»der Jude hat den Schwarzen Tod verursacht«), die Einreihung mißglückt ihm auch bei äußerster Anpassung (auf das Marranentum folgt die Inquisition). Sehen die Völker uns als Gespenst (mythisch in der Gestalt des Ahasver eingefangen), so müssen wir Wesen und Erscheinung auseinander halten. Wir wissen ja von innen her, daß wir kein Gespenst sind, sondern

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eine lebende Gemeinschaft. So erhebt sich uns die Frage, was unsere Uneinreihbarkeit in der Erscheinung ihrem Wesen nach bedeutet. Ist das nur ein Mangel im Sehen und Denken der Völker? Sind wir eigentlich einzureihen, und sie bringen es nur nicht zustande? Ist unsere Uneinreihbarkeit also nur eine negative Erscheinung, eine Erscheinung auf Zeit, ein Nichteingereihtwerdenkönnen so lange, bis es einst doch gelingt? Es gibt nur eine Möglichkeit, zu erfahren, daß dies Negative Ausdruck eines Positiven ist. Der Zugang ist der Glaube. Das Ja zu jenem Nein ist nur erkennbar, weil es bekennbar ist. Anders als vom Glauben her erfaßt, ist die Uneinreihbarkeit unerträglich als das Widergeschichtliche, Widernatürliche, unser Dauern selber geht gegen die »Gesetze der Völkerhistorie«; vom Glauben her gefaßt aber ist die Uneinreihbarkeit der im gelebten Bekenntnis sich erschließende Grund und Sinn unseres Daseins: die Einzigkeit Israels. Diese Einzigkeit ist nicht die eines Exemplars, wie jedes Wesen und jedes Gruppenwesen einzig ist. Die Einzigkeit Israels bedeutet, daß etwas da ist, was seinem Wesen, seiner Geschichte, seiner Berufung nach so einzig ist, daß es eben darum nicht eingereiht werden kann. Israel widersteht auch den beiden Kategorien, deren Anwendung zu seiner Einreihung am häufigsten versucht wird: der Kategorie »Nation« und der Kategorie »Glaubensgemeinschaft«. Völker und Glaubensgemeinschaften sind durch ein kennzeichnendes Merkmal voneinander zu unterscheiden. Völker erfahren ihre Geschichte als Völker; was die Einzelnen als solche erfahren, auch das, worin die Erfahrung des Einzelnen zur Gestalt wird – Dichtung, Philosophie, Kunst –, ist nicht die Geschichte. In den Glaubensgemeinschaften wird das Bestimmende durch einzelne Menschen erfahren; es ist das, was wir in seiner höchsten und reinsten Form »Offenbarung« nennen. Bringen sie das Erfahrene den Scharen zu und ihre Botschaft stiftet Gemeinschaft, dann ist eine Glaubensgemeinschaft geboren. So scheiden Völker und Glaubensgemeinschaften sich, wie Geschichte und Offenbarung sich scheiden. Es gibt nur ein Einziges, wo beides zusammengeht. Israel empfängt seine entscheidende Glaubenserfahrung als Volk: nicht der Nawi, sondern die Gemeinschaft als solche. Sie erfährt Geschichte und Offenbarung entscheidend in einem, jene als diese und diese als jene. In der Stunde des Glaubens wird die Schar zum Volk, nur als Volk kann sie vernehmen was sie zu vernehmen hat. Die Einheit von Volkstum und Glaubensgemeinschaft, welche die Einzigkeit Israels ausmacht, ist nicht bloß empirisch-schicksalhaft, hier rührt das Göttliche an die Menschheit. Es kommt nun für das Verständnis unserer Situation in der Welt dar-

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auf an, zu erkennen, wie in der Geschichte des Diaspora-Judentums ein doppeltes Streben durchbricht: der ungesicherte Jude strebt nach Sicherung, die uneinreihbare jüdische Gemeinschaft strebt nach dem Eingereihtwerden. Dies beides ist durchaus nicht gleichzusetzen. Das Streben nach Sicherung ist wie jedes menschliche Streben nach Sicherung in seinem Kern rechtmäßig. Der Mensch kann nicht dazu verurteilt sein, sein Leben in Unsicherheit zu verbringen. Nicht das Streben nach Sicherung kann also in Frage gestellt werden, wohl aber die Wege, die eingeschlagen werden, um sie zu erlangen. Das Streben nach Sicherung kennen wir schon aus der Geschichte des alten judäischen Staates, in dem die Ungesichertheit der Diaspora in eigentümlicher Weise vorgebildet war. Zwischen die beiden großen Machtgebilde des Alten Orients, Ägypten und Babylonien, geworfen, versuchte er immer wieder, seine geographisch-politische Unsicherheit machtpolitisch zu überwinden. Man lavierte und paktierte bald nach der einen Seite und bald nach der andern in der Hoffnung, sich so zu behaupten. Es ist der eigentliche politische Inhalt der prophetischen Rede, daß sie vor solcher falschen Sicherung warnt. Die Propheten wissen und sagen es voraus, daß Israel mit all seinem Lavieren und Paktieren untergehen muß, wenn es nur als politisches Gebilde existieren will. Bestehen kann es – und das ist das Paradox ihrer Mahnung und das Paradox der jüdischen Geschichtswirklichkeit – nur dann, wenn es auf seinem Beruf der Einzigkeit beharrt: Wirklichkeit zu machen aus dem im Bund gesprochenen Wort Gottes. Sagen die Propheten, daß es für Israel keine andere Sicherheit gebe, als die in Gott, dann ist das nicht unirdisch-»religiös« gemeint, sondern es geht um das Wirklichmachen des Gemeinschaftsdaseins, zu dem Israel im Gottesbund berufen worden ist, und das in eben der ihm allein möglichen Weise durch die Geschichte zu tragen seine Berufung ist. Die Propheten rufen dazu auf, daß ein Volk, das erstmalig Gemeinschaft verwirklicht, vorbildlich unter die Völker der Weltgeschichte trete, durch sein Beispiel ihre innere Struktur und ihr Verhältnis zueinander wandle und so zugleich mitten unter ihnen, im Werden einer Menschheit, sich seine ungefährdete Existenz, seine wahre Sicherheit, erringe. In der Spätzeit der Diaspora nimmt das Sicherungsbedürfnis die absonderliche Form des Bedürfnisses nach Einreihung an. Ist die Uneinreihbarkeit die Ursache dafür, daß wir den Völkern unheimlich erscheinen, dann, meinte man, muß die Uneinreihbarkeit beseitigt werden. Auch hier ist das Ereignis in der alten Geschichte vorgebildet in dem »Wie-alle-Völker-sein«-wollen der samuelischen Krise. Aber die innere Glaubensmächtigkeit leistet da und seither immer wieder Widerstand.

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Der Jude in der Welt

Eine eigentliche geschichtliche Form (wenn auch eine karikaturhaft-geschichtliche) gewinnt das Bedürfnis eben erst in der Spätzeit des Exils, in der Emanzipation. An deren Gebrechen, daß die Juden nicht als Gemeinschaft rezipiert worden sind, sondern als Einzelne, sind sie freilich nicht primär schuldig. Am Anfang der Emanzipation stand die Frage der Völker, ob dies uneinreihbare Israel etwa doch in eine der üblichen Kategorien einzureihen sei, und so fragten sie, ob die Juden eine Nation seien oder eine Religion. Die Auseinandersetzungen, die der Emanzipation in Frankreich vorangingen, nehmen schon alles vorweg, was in späterer Zeit an Meinungsverschiedenheiten sich an dieses Fragen knüpfte. Aber auch ein Wort wie dieses findet sich darunter, von dem französischen Kultusminister Portalis in einem von Napoleon angeforderten Bericht über die Juden im Jahre 1802 niedergeschrieben, ein keineswegs, wie Dubnow meint, »schwülstiges«, sondern eine Ureinsicht nur eben rhetorisierendes Wort: »Die Regierung konnte nicht umhin, die Ewigkeit dieses Volks zu betrachten, das durch alle Umwälzungen und alles Mißgeschick der Jahrhunderte sich in unsere Zeit hinübergerettet hat, da es … den Vorzug genießt, Gott selber zum Gesetzgeber zu haben.« Hier hätte sich eine rechtmäßige Erkenntnis anschließen können. Doch hat keines der Völker die ungeheure Aufgabe wahrgenommen, die jüdische Gemeinschaft als diese einmalige Gemeinschaft frei zu machen und zu rezipieren, und kein Jude hat daran gedacht, dieser Ahnungslosigkeit der Völker sein Urwissen als Forderung entgegenzustellen. Auf Bestellung zerfiel das Judentum in die Atome, deren Lieferung verlangt war. Der Einreihungsdrang wurde zum Krampf. Israel wurde durch Konfessionalisierung entwirklicht. Der in der Gegenwirkung dazu in unserem Zeitalter erfolgte Wiederherstellungsversuch durch Nationalisierung hat das Eigentliche verfehlt: die Einzigkeit blieb preisgegeben. Aber es gibt für Israel keine andere Wiederherstellung, wie es für es keine andere Sicherung gibt, als daß es seine durch menschliche Kategorien nicht zu fassende, weil faktisch eine übermenschliche Kategorie darstellende Einzigkeit auf sich nehme: das Joch des Königtums Gottes. Dazu tut, da es nur im vollständigen Leben der Gemeinschaft zu erfüllen ist, Volksammlung, tut Bodenständigwerden, tut Selbstbestimmung not, – aber nur als Voraussetzungen. Nur wenn die Gemeinschaft sie lebensmäßig als solche erkennen und als solche verwirklichen wird, werden sie ihr Heil begründen.

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Was Sie gelegentlich meines Buches »Die Stunde und die Erkenntnis« in Nr. 30 des »Israelitischen Familienblattes« an Nein und Ja zu mir vorbringen, kann ich nur zur Kenntnis nehmen, wie es sich für ein Objekt schickt. Es ist weder an mir, Ihren Beitrag zur Legende von dem geschliffene Edelsteine oder Halbedelsteine statt Brot verabreichenden Esoteriker mit der Wirklichkeit zu vergleichen, noch auch nachzuprüfen, ob Sie wirklich im Namen einer Generation zu sprechen befugt sind. Aber richtigstellen darf und muß ich, wo es nicht mehr bloß um mich, sondern um eine Sache geht, der ich diene. Sie schreiben: »Er sagte: Leben im Gesetz. Er wiederholte es oft.« Nein, Herr Dr. Prinz, das sagte er nicht, weder oft noch selten noch auch nur ein einziges Mal. Sie brauchten nur eine Publikation von 1933 (»Kampf um Israel«, S. 50 f.) oder eine von 1932 (»Zwiesprache«, S. 23 f., 48 f., 2. Aufl. S. 17 f., 36 f.) oder auch eine von 1923 (»Ich und Du«, S. 135 f.) – von älteren zu schweigen – aufzuschlagen, um zu merken, daß er es nicht gesagt haben kann. Es dürfte Ihnen doch wohl bekannt sein, wie die Tatsache, daß ich ein Leben im Gesetz nicht fordere und nicht fordern zu können erkläre, nicht bloß von Vorkämpfern der Orthodoxie, sondern auch von persönlich und geistig mir so nahestehenden Menschen wie Franz Rosenzweig kritisch erörtert worden ist. Es vergeht keine Woche, ohne daß ich von Bekannten und Unbekannten befragt werde, warum ich es nicht fordre, und angeklagt werde, weil ich es nicht fordre. Daß ich es nicht tue, trotz einer großen Ehrfurcht vor dem Gesetz, daß ich Ehrfurcht vor dem Gesetz, Studium des Gesetzes, Aufgeschlossenheit für das Gesetz, aber eben nicht »Leben im Gesetz« fordere, das ist meinem Selbstverständnis nach, dem ich zu meiner Freude bei manchen Menschen Ihrer Generation als Verständnis wiederbegegnet bin, kein religiöses Negativum, sondern die einsame harte Glaubenspflicht der strengen Grenzziehung zwischen dem, woran man glaubt, und dem, woran man nicht zu glauben vermag und was ohne Glauben zu üben gegen den Ernst des Glaubenslebens geht. Darin auch der Mißkennung ausgesetzt zu sein bin ich gewohnt, es gehört sozusagen mit dazu. Aber daß mir nun gar vorgehalten wird, ich hätte gefordert, was ich »selber nicht tat«, das gehört nicht mehr dazu, – das sollte nicht sein. Dadurch widerfährt nicht mehr bloß mir Unrecht, sondern auch meiner Sache, der Sache der Glaubenswahrhaftigkeit; und die sollte man respektieren,

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denn wenn es in dieser zwielichtigen Zeit eine gute Sache gibt, ist dies die gute Sache. Sie scheinen anderer Meinung zu sein. Ihre Generation, sagen Sie, wollte wissen, wie sie das, »was Religion ist«, im Leben zu realisieren hätte. Aber wo es eine in organischer Selbstverständlichkeit glaubende und lebende Gemeinschaft nicht mehr und noch nicht gibt, ist das nicht solcherweise zu wissen. Es ist nicht in allgemeingültigen Worten, sondern nur im persönlichen und gemeinschaftlichen Leben selbst zu erfahren, und zwar auch nicht ein für allemal, sondern jeweils so viel, wie die jeweilige Situation hergibt. Das aber ist auch wieder kein leeres Negativum, sondern es gehört zur Krisis und Probe eines Zeitalters. Es kommt nämlich in Glaubensdingen zuvorderst nicht darauf an, wie man zu realisieren hat, sondern ob man etwas besitzt, was man zu realisieren hätte. Ueber den Mangel daran hat sich ein Teil Ihrer Generation in kühnem Schwung hinweggesetzt, indem er dringend fragte, wie denn nun zu realisieren sei; als die Frage unbeantwortet blieb, bekam er ein fatal ruhiges Gewissen. Aber er hatte ja gar nicht wirklich für sich gefragt! Wer nicht »Religion« im Sinn hat (ein falsches und steriles Sinnen, das als den eigentlichen Abweg zu bekämpfen ich nicht müde werde), sondern mit redlicher Leidenschaft glaubt, sei es nun »viel« oder »wenig«, fragt nicht, wie er seinen Glauben zu realisieren habe; das lehrt ihn das Leben selbst, das einsame und das mit seinesgleichen, durch all seine Gelegenheiten, wenn auch nur fragmentarisch und notdürftig, wie es dem Charakter dieser Stunde entspricht. Gewiss, da ist noch keine sichere Geformtheit, keine feste gemeinschaftliche Lebensgestalt, auch das Realisieren ist nur erst ein Warten, aber ein tätiges und fruchtbares. Zu einer wieder in organischer Selbstverständlichkeit glaubenden und lebenden Gemeinschaft führt heute kein anderer Weg mehr als der über solch eine harte Krisis und Probe: daß also eine Generation einen Zipfel des Glaubens kräftig zu fassen kriege und kräftig verwirkliche was sie glaubt, statt zu fragen, wie das zu realisieren sei was sie nicht glaubt, und das Versagen einer Antwort anderswoher verstehen zu wollen als woher es zu verstehen ist. Martin Buber Eine Antwort an Dr. Martin Buber Es fällt mir schwer, Martin Buber zu antworten, weil ich mich in dem, was ich der Besprechung seines Buches voranschickte, bemüht habe, mir etwas vom Herzen herunterzuschreiben, und weil ich enttäuscht bin, daß

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Buber es nicht gespürt hat. Ob ich dabei befugt war, für eine ganze Generation zu sprechen, mag auch für mich unentschieden bleiben. Dadurch aber, daß es für einen Einzelnen geschieht, bekommt es nicht weniger Gewicht. Das, was gesagt werden sollte, war der Vorwurf, der an Buber gerichtet war, er könne nicht immer wieder »Leben« und »Verwirklichung« des Gesetzes fordern, ohne es selber zu tun. Ich sagte das als einer von denen, die sehr gut wissen, welche Schwierigkeiten es damit hat. Aber – so meinte ich – fordert man das Leben im Gesetz, so könne es auf diese Forderung nur eine Antwort geben, nämlich: Leben im Gesetz. Das meinte ich gar nicht herabsetzend, und die Form, in welcher ich es sagte, schloß das aus. Eine so gereizte Antwort, wie sie gegeben wurde, hat es jedenfalls nicht verdient, und nur der tiefe Respekt vor Martin Buber hindert mich an der gleichen Gereiztheit. Da es aber uns beiden »um eine Sache geht«, der Menschen dienen, soll hier gesagt sein, dass Bubers Gedächtnis ihn selber trügt, wenn er meint, er hätte nie gesagt: Leben im Gesetz. »Nein … das sagte er nicht, weder oft noch selten, noch auch nur ein einziges Mal.« Ich füge deshalb hier die Stelle an, die mich am tiefsten erschüttert hat. Sie soll zeigen, ob Buber das Leben im Gesetz gefordert hat oder nicht. Der Aufsatz trug den Titel: »Die Lehre und die Tat«. Er war die Wiedergabe einer Rede, die im Frankfurter Lehrhaus gehalten worden ist (»Jüdische Rundschau«, 18. Mai 1934. Einige Sperrungen von mir): »Damit ist schon gesagt, daß die Lehre bei uns untrennbar an die Tat gebunden ist. Hier, wenn irgendwo, geht es nicht an zu lehren und zu lernen ohne zu leben. Die Lehre darf nicht als eine Sammlung von Wißbarkeiten behandelt werden, sie will nicht so behandelt werden. Sie besteht in dem verantwortenden Leben der Person oder sie besteht nicht. Die Lehre meint nicht sich selbst, will nicht sich selbst, sie meint und will die Tat, worunter natürlich kein ›Aktivismus‹ zu verstehen ist, sondern das Leben in der Erfüllung, das Leben, das nach dem wechselnden Vermögen seiner Stunden die Lehre eingestaltet. Unter allen Völkern gibt es wohl keins, in dem wie in diesem die Weisheit ohne das unmittelbare Tatwissen keinen Sinn und keinen Bestand hat. Am deutlichsten wird das, wenn man den biblischen Chochma-Begriff dem griechischen der Sophia gegenüberstellt. Diese ist auf ein für sich seiendes Erkennen, auf einen geschlossenen Bereich des Denkens bezogen; der Chochma ist er fremd, ja, diese Abgrenzung einer selbständigen, eigengesetzlichen geistigen Sphäre bedeutet für sie die Verkennung des Sinns, die Verletzung des Zusammenhangs, die Abschnürung der Idee von der Wirklichkeit. Ihr ist höchstes Gebot die Einheit von Lehre und Leben, mit der allein

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erst wahrhaft wir die allumfassende Einheit Gottes anerkennen und bekennen. Gegen ihn als den Geber und Sinngeber des Daseins vergeht sich nach unserm Glauben die Lehre, die an sich selbst Gefallen, an sich selbst Genüge findet; die Bauten, noch so monumentale, über dem Leben erhebt, ohne in der Fragwürdigkeit der gelebten Stunde den äußern und innern Widerständen ein Stück Verwirklichung, wie gering auch, abzuringen. Dies nämlich, nicht eine dem Menschen unerreichbare Vollständigkeit und Vollkommenheit, aber die Bereitschaft, das So-vielich-vermag dieses Augenblicks ist nach unserm Glauben von jenem ›Mit all deinem Herzen‹ erheischt, dies allein fordert der Wille des gebietenden Herrn. Darum wird an die Weisung (V. M. 5, 1), die Gesetze und Rechtsgeheiße zu ›lernen‹, die Aufgabe gefügt, sie zu ›tun‹ : sie geistig zu besitzen gewinnt seinen Wert erst, wenn und insofern es als herrschender Tatantrieb in der Wirklichkeit steht. Ein talmudisches Wort (Jewamot 109) bemerkt dazu: ›Wer immer sagt, bei ihm gelte nichts als die Lehre, … bei dem gilt auch die Lehre nicht.‹ Den Geist kann man rechtmäßig nicht haben, man kann ihn rechtmäßig nur leben. Die große Gefahr des Menschen, als des Geschöpfs, das den Geist zu verselbständigen befähigt ist, ist die Duldung, ja Sanktionierung einer zweigeschossigen Existenz: oben, andächtig verehrt, die Stätte des Geistes, unten die Räume des Getriebes, mit dem leidlich guten Gewissen ausgestattet, das man den Stunden der Erholung in den obern Gemächern verdankt. Die Lehre verläßt sich nicht darauf, daß der sie kenne sie auch üben werde. Der sokratische Mensch meint, alle Tugend sei Einsicht, und das Wissen um das Rechte genüge, um es zu tun. Nicht so der mosaische Mensch. Er hat die tiefe Erfahrung inne, daß keine Erkenntnis zureicht: daß die Unwillkürlichkeit des Menschen in ihren Tiefen von der Lehre ergriffen werde daß seine elementare Ganzheit sich, wie der Ton dem Töpfer, dem Geist ergeben muß, damit Verwirklichung geschehe …« Es braucht dem nichts hinzugefügt zu werden. Niemand, der lesen kann, wird im Zweifel sein, was gemeint ist. Judentum, das ist gemeint, ist gelebte Lehre. Was in aller Welt soll die »Einheit von Lehre und Leben« sein, wenn nicht das Gesetz. Und wenn es nicht gemeint ist oder wenn man weiß – wie sehr viele von uns – daß sehr wenige Menschen die inneren Brücken zum ganzen Gesetz haben und deshalb nur den Brauch in ein paar Rudimenten noch üben, dann muß man es sagen. In diesem Bereich hilft nur die Deutlichkeit. Es gibt noch die Möglichkeit zu sagen, das alles seien nur historische Betrachtungen, und indem man von »Lehre und Tat« spricht, meint man die Lehre von einst und die Tat von einst. Ist es so, so hat das sein Recht.

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Aber wo – wenn ich überhaupt Buber begriffen und je etwas von seinem Werk verstanden habe – hat er in seinen Aufrufen, Mahnungen und Predigten je eine historische Betrachtung gemeint? Und hat nicht gerade er immer vom »Heute und hier« gesprochen? Es ist aber nicht wahr und es war nicht gut es zu sagen, eine Generation frage nur nach der »Realisierung«, um sich – ist auf die Frage nur erst negativ geantwortet – mit einem »fatal ruhigen Gewissen« zur Ruhe zu setzen. Es ist nicht wahr, daß das gemeint ist, und daß wir nur rhetorisch fragen. Wir fragen nur einen, der »Gesetz« sagt und »Lehre« und »Tat« – was das alles zu bedeuten habe. Und wir fragen das weder aus autobiographischem, noch aus biographischem Interesse, sondern weil wir wissen wollen, was ein Jude zu tun hat, wenn er glaubt. Wenn Buber darauf antwortet, in Wahrheit wollten wir ja nur hören, daß es eben nichts zu tun gäbe, so will ich schweigen. Wenn er aber sagt: »das lehrt ihn das Leben selbst, das einsame und das mit seinesgleichen«, so sage ich ihm, daß zwischen dieser Antwort und der Antwort: »Lehre und Tat« eine Welt liegt. Joachim Prinz Schlußwort von Martin Buber

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Die Sache, um die es geht, ist so lebenswichtig, daß ich noch einen Versuch machen will, eine Klärung herbeizuführen. Zum Beweis dafür, daß ich »das Leben im Gesetz« gefordert hätte und daß mich mein Gedächtnis trüge wenn ich das bestreite, führen Sie eine Stelle aus einer Lehrhausrede von mir an. Meinen Sie im Ernst, ich hätte vergessen, daß ich das vor zwei Jahren gesagt habe und vor zwei Monaten in dem von Ihnen besprochenen Buch habe wieder veröffentlichen lassen? Möchten Sie nicht lieber in Erwägung ziehen, ob es nicht am Ende doch anders zu verstehen sei, als Sie es verstehen? »Was in aller Welt«, erklären Sie aber, »soll die ›Einheit von Lehre und Leben‹ sein, wenn nicht das Gesetz. Und wenn es nicht gemeint ist, … muß man es sagen.« Nun, in der von Ihnen angeführten Rede ist es, an deren Schluß, in einer, wie mir scheint, für jeden, »der lesen kann«, unzweideutigen Weise gesagt. Es heißt da (jetzt in »Die Stunde und die Erkenntnis«, S. 73): »Die Lehre selbst ist Weg. Sie ist in keinem Buch, in keiner Satzung, in keiner Formung ganz umfaßt. Nichts, was gewesen ist, reicht zu, sie darzustellen.« Hier ist doch wohl unmißverständlich ausgesprochen, daß die Lehre,

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die ich meine, nicht mit einem vorfindbaren Gesetz identifiziert werden darf. Ich habe übrigens dasselbe schon 1918 in meiner Rede »Cheruth« gesagt (»Reden über das Judentum«, Gesamtausgabe, S. 219 ff.): »Die religiöse Wahrheit ist zum Unterschied von der philosophischen kein Satz, sondern ein Weg … Die Lehre ist uns nicht etwas Fertiges und Eindeutiges, sondern … ein Prozeß, der noch nicht abgeschlossen ist.« Und auch dort folgt die Forderung der Einheit von Lehre und Tat (S. 223): »Dem Menschenbild, dem wir zustreben, sind Ueberzeugung und Wille, die Persönlichkeit und ihre Tat eins und unteilbar.« Woraus alsbald sogar abgeleitet wird, uns sei »ein Weg vorgezeichnet, der mit der Annahme des überlieferten Gesetzes nicht vereinbar ist«. Das würde ich heute nicht mehr so sagen. Ich würde zumindest nach »Gesetzes« wiederholen: als des »überlieferten« Gesetzes. Mein Begriff der Ueberlieferung hat sich in dieser Zeit geändert. In der von Ihnen angeführten Rede sage ich von ihr (»Die Stunde«, S. 63 f.): »Ueberlieferung läßt nicht Inhalte und Formen fertig und fest von Geschlecht zu Geschlecht wandern.« Es gehe hier »letztlich nicht um ein ablösbares Etwas, das übergeben wird«, sondern um eine von den jeweiligen Inhalten und Formen unabhängige (wiewohl natürlich mit ihnen jeweils mannigfach verknüpfte) Existenzweise, – weshalb ich von einer SeinsTradition spreche, der (S. 65) »inhaltliche und formhafte Tradition eingeordnet sind und von ihr ihre Geltungskraft erhalten«. Lebendige Ueberlieferung ist Wandlung; in der Krisis der Gemeinschaft muß dieser ihr Charakter sich zur Erneuerung potenzieren, damit die Lehre wirklich (S. 71) »in verjüngter Echtheit erstehen« und sich (S. 69) »neu aus innerster Spontaneität erwecken kann«. In diesem Zusammenhang ist dann auch die Stelle meiner Rede zu verstehen, die Sie zwar nicht mehr anführen, die aber nun wirklich vom Gesetz handelt. Sie lautet: »Gott will, daß der Mensch das göttliche Gesetz aus dem Eigenmenschlichen und mit dem Eigenmenschlichen erfülle. Das Gesetz wird nicht auf ihn geworfen, es ruht in seinem innersten Grund und soll, auf den Ruf, erwachen.« Versteht wirklich »niemand, der lesen kann«, daß das göttliche Gesetz, von dem dies gesagt wird, nicht mit dem kodifizierten identisch ist, und daß ich einzig dies fordere, fordern muß und darf, auf den Ruf zu hören, ob er einem nun aus einem Buch oder aus einer Schickung oder aus der Geschichte entgegenschallt? Was aber lehrt die Lehre? Die Stimmen nicht verwechseln! Unter solcher Führung der Lehre hören, was man zu hören kriegt, und das Gehörte »tun«, so viel man eben vermag, das weiß

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ich von dem, worauf es ankommt, mehr weiß ich nicht und mehr sage ich nicht. Wenn ich überhaupt etwas vom Glauben des Juden erfahren habe, so habe ich davon erfahren, daß er an die Stimme glaubt, – das heißt aber: daß er zu hören bereit ist, was ihn »das Leben«, das heißt selbstverständlich: die auch in den Zeichen dieses Lebens zu ihm redende Stimme tun heißt. In diesem Glauben, das habe ich erfahren, läßt sich als Jude, also mittlerlos in einer unerlösten Welt, leben, und ich habe die Zuversicht, daß sich darin auch als Jude (womit ich nicht meine: maimonideisch ausgerüstet) sterben läßt. Mehr weiß ich nicht und brauche ich nicht zu wissen, mehr – so dünkt es mich – braucht ein Jude nicht zu wissen. Meine Rede über »den Menschen von heute und die jüdische Bibel«, mit der ich den 1936, kurz vor dem andern, erschienenen Band »Die Schrift und ihre Verdeutschung« eingeleitet habe, schließt mit den Worten: »Meinen wir ein Buch? Wir meinen die Stimme. Meinen wir, daß man lesen lernen soll? Wir meinen, daß man hören lernen soll. Kein andres Zurück, als das der Umkehr, die uns um die eigne Achse dreht, bis wir nicht etwa auf eine frühere Strecke unsres Wegs, sondern auf den Weg geraten, wo die Stimme zu hören ist! Zur Gesprochenheit wollen wir hindurch, zur Gesprochenheit des Worts.« Das scheint mir deutlich genug zu sein. Sie werden aber vielleicht einwenden, es müßte auch noch ausdrücklich gesagt werden, daß man das kodifizierte Gesetz nicht meine. Das aber würde der Wahrheit nicht mehr entsprechen. Ich kann und muß sagen: Annahme des überlieferten Gesetzes ist der Weg nicht. Aber es wäre grundverkehrt, wenn ich sagte: Nichtannahme des überlieferten Gesetzes ist der Weg. Denn nicht bloß geschichtlich bindet es sich an Offenbarung, die ich glaube: es ablehnen hieße einen wesentlichen Zugang zu der Stimme verschütten. Darum muß ich auch die Aufgeschlossenheit für das Gesetz fordern, deutlicher noch: das Horchen auf das Gesetz, – und das heißt aber: wo einen die Stimme daraus trifft, gehorchen. Mehr kann ich nicht fordern, aber auch weniger darf ich nicht. Man mag das mit allerhand bösen Namen benennen als wie Liberalismus (gewiß: die Freiheit muß immer wieder am Anfang stehn), Individualismus (ja, ich bekenne mich zu einem Individualismus der Verantwortung) usf. Nur als undeutlich, unverbindlich u. dgl. sollte man es doch wohl nicht bezeichnen. Ich erkenne aber an, daß darüber hinaus über das Gesetz und die Haltung zu ihm noch manches von meinem Standort aus zu sagen Pflicht ist,

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und ich merke, daß ich das (um der labilen inneren Gemeinschaftslage willen) immer wieder Hinausgeschobene nunmehr doch nachzuholen anfangen muß. An Ihrer Besprechung hatte mich das Nein deshalb so viel stärker als das Ja berührt, weil dieses nur meiner Person galt, jenes aber die Wahrheit des von mir Gelehrten in Frage stellte, und zwar durch eine Frage, die ich an sich immer als gerecht und notwendig ansehe, die nach der Bewährung. Daß diese Frage hier, von Ihnen, ausgesprochen werden konnte, deutet mir auf ein tiefes Mißverstehen des von mir Gelehrten. Darüber, über solch ein Mißverstandenwerdenkönnen, war ich – nicht, wie Sie meinen, »gereizt«, aber erschreckt und wurde in dieser Bewegung des Gemüts dann nachdrücklicher als not und mir lieb ist. Jetzt aber bin ich Ihnen nur noch sozusagen objektiv dankbar für einen Anstoß, den Sie mir gegeben haben und dem ich nicht widerstreben will. Die Hand des Freundes war dafür zu sanft gewesen, aber es hat seinen guten Sinn, daß es in dieser Stunde auch hierin nicht mehr sanft zugeht.

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Schlußwort von Joachim Prinz Mit dieser Antwort von Martin Buber schließen wir eine Aussprache, die durchaus nicht neben dem heute Wichtigen gelegen hat, sondern die in das Zentrum der geistigen und religiösen Orientierung der heute lebenden Juden führte. Was von Buber erfragt worden ist, ist ein Kommentar zu jenen Stellen seines Werkes, in denen uns der Begriff der Lehre, der Tat, der Verwirklichung nicht eindeutig genug geklärt zu sein schien. In der Antwort von Martin Buber ist eine solche Klärung erfolgt, und wir sind sicher, daß es für alle gut so ist. Aus diesem von ihm selbst gegebenen Kommentar ergibt sich nämlich, daß nach ihm in der Tat das Leben des Juden nicht durch das Gesetz, wie es geschrieben steht und wie es überliefert ist, in seiner Totalität geformt wird, sondern, daß aus dem Gegebenen und Ueberlieferten das gewählt wird, was er »hört«. Das »Horchen auf das Gesetz« ist eben etwas anderes als das »Dem-Gesetzgehorchen«. Die »Aufgeschlossenheit für das Gesetz« ist hier eben nur ein Baustein für eine Lebenshaltung, deren Gesetzmäßigkeiten auch außerhalb des überlieferten Gesetzes liegen können. Damit ist unserer Generation eben das Lernen aufgegeben. Fraglos berühren sich all diese Dinge mit den auf der liberalen Weltkonferenz aufgeworfenen Fragen, die Max Dienemann dort behandelt hat. Und wäre der »Liberalismus« heute nicht eine so heillos verwirrte und festgefahrene Sache, so wäre eben Buber der wichtigste Sprecher in diesem Kreise. Von seiner

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Grundposition nämlich und gerade von den Formulierungen, die er in diesem Aufsatz prägt, ergibt sich ein guter Ausgangspunkt für ein Gespräch, das eben ein im höchsten Sinne aktuelles Gespräch ist und das geführt werden muß.

Offenbarung und Gesetz Aus Briefen an Franz Rosenzweig Ich habe auf Franz Rosenzweigs »Die Bauleute. Über das Gesetz. An Martin Buber« (gedruckt 1924 in meiner Zeitschrift ›Der Jude‹, 1925 gesondert und 1926 in dem Buch ›Zweistromland‹, Philoverlag, Berlin) nicht geantwortet, aus einer Scheu, die nicht mich, sondern das Leben der jüdischen Gemeinschaft in dieser Weltstunde zum Gegenstand hat. Da mir diese Scheu nunmehr durch eine unvermeidbare Auseinandersetzung durchbrochen worden ist, glaube ich zunächst diese Auszüge aus Briefen an Rosenzweig vor und nach der Entstehung der ›Bauleute‹ als einen notwendigen und nur so erstattbaren Vorbericht über das Persönliche veröffentlichen zu sollen. Aus dem intimen Bereich freundschaftlicher Anvertrauung werden sie nun um der Sache willen in das publicum dominium geworfen. Möchten sie dadurch nicht aus einem ‫ קדש‬ins krasse ‫ חול‬geraten! Wo eine Stelle dieser Briefe durch eine aus Rosenzweigs veröffentlichten (Franz Rosenzweig, Briefe, Schocken Verlag, Berlin 1935) in irgendeinem Sinne ergänzt wird, habe ich in Anmerkungen darauf hingewiesen. M. B. Lieber Herr Doktor – Heppenheim 28. IX. 22 Wie konnten Sie nur meinen, daß ich Ihnen gegenüber ›betontes Schweigen‹ übte – ein Sprachmittel nebenbei gesagt, für das ich weder Neigung noch Befähigung habe? Sie müssen doch gemerkt haben, daß ich im Verkehr mit Ihnen, von der zweiten Halbenstunde Ihres Heppenheimer Besuchs an, die reine Äußerung pflege, wie man sie, in einem irgendwie messianistischen Traumwunsch, im Verkehr mit allen Menschen pflegen zu dürfen sich wünscht. Da wird, wie im Reich, nicht übelgenommen, und Schweigen ist da entweder ‫ סתם‬Schweigen oder Nichtredenkönnen. Daß ich Ihren Brief vom Freitag nicht beantwortet habe, lag aber einfach daran, daß ich an diesem Punkt des Gesprächs zwar vermutlich noch hätte weiterreden können, aber nicht weiterschreiben konnte. Mit einer Erörterung war es hier nicht mehr getan; hier war die Sache für mich ad hominem gekommen, und ich hätte zum Beispiel auf den Pantheon-Hinweis 1 mit einer Innengeschichte meiner Jugend antworten müssen, und etlichen Fragmenten aus deren Außengeschichte 1.

Rosenzweig hatte den Unterschied zwischen dem Außen- und Innenaspekt des Gesetzes (je nach dem es nur gelernt oder auch geübt wird) am Gleichnis des Pantheon verdeutlicht.

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obendrein (zum Beispiel: wie ich Ärgernis erregte, als ich mit dem Unterschied zwischen ‫ כורעים‬und ‫ משתחוים‬1 körperlichen Ernst machte) …

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Heppenheim 1. X. 22 [Erew Jomkippur] … Aber etwas Ernstes muß ich Ihnen noch sagen: daß mir im innern Herzen, unter alledem, heute recht vortragsmäßig, ‫ערב‬mäßig zumute ist. Das kommt wohl daher (wenn man dazu überhaupt Genetisches hinzufügen soll), weil ich zwischen meinem dreizehnten und meinem vierzehnten Jahr – mit vierzehn habe ich aufgehört Tefillin zu legen – diesen Tag mit einer solchen Gewalt gelebt habe wie seither nichts anderes mehr. Und meinen Sie, daß ich damals ein ›Kind‹ war? Weniger als jetzt vielleicht, in einem entscheidenden Sinn; damals habe ich mit Raum und Zeit Ernst gemacht und nicht wie jetzt innegehalten. – Und als dann die Nacht kam, schlaflos, sehr wirklich, war mir mein zu fasten beginnender Leib so wichtig wie ein Opfertier, gerade so. Das hat mich gemacht, die Nacht, und der Morgen darauf, und der Tag mit allen seinen Stunden, kein Augenblick vorbeigelassen. Nein, nicht vom Eingang aus. 2 Jenes Ärgernis ereignete sich im Lemberger ›Tempel‹ (sic!), wohin ich nur ging, wenn mein Vater mich meinem Großvater ›wegnahm‹ ; der pflegte mich nämlich in seine Klaus mitzunehmen, wo er, der ‫משכיל‬, mitten unter Chassidim betete, – aus einem ‫ סדור‬voller ‫!כונות‬ Das alles war nicht nur, es ist, und dennoch ist es mit mir so wie es ist, und des Gebrechens freilich viel, aber kein Mangel mehr. Möge Ihr Herz mich verstehn!

‫לשנה טובה תחתם‬

Ihr Martin Buber

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Lieber Freund – Heppenheim 24. VI. 24 … Ernst Simon erzählte mir vorgestern, Sie seien zuerst mit der Veröffentlichung der ›Bauleute‹ einverstanden gewesen, hätten dann aber Bedenken bekommen. Ich möchte Ihnen gegenüber für die Veröffentlichung eintreten. Die Form der ursprünglichen Ankündigung ist irrelevant. Mir selbst wäre es nur lieb, wenn der Brief für sich erschiene. Wenn 1. 2.

›Wir beugen uns, werfen uns hin‹, Stelle aus dem Alenu-Gebet, bei dessen Rezitierung im Mußaf-Gottesdienst des Jom Kippur die Beter sich zu Boden werfen. Rosenzweig hatte zu Unrecht den negativen Einfluß einer ›liberalen‹ Erziehung vermutet.

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ich einmal eine Antwort schreiben kann, so wird sie ja nicht irgend etwas Einzelnes von dem, was Sie sagen, bestreiten; vielmehr habe ich auf der Ebene dieses Briefs zu allem nur Ja zu sagen. Aber eben nicht zur Ebene. Und zwar nur deshalb nicht, weil mein Glaube es mir verbietet. Sie wissen, Lieber, daß ich mit diesem Wort nicht leichtfertig umgehe; hier ist es am Platz. Ich glaube nicht, daß Offenbarung je Gesetzgebung ist; und in der Tatsache, daß aus ihr immer Gesetzgebung wird, sehe ich die Tatsache des menschlichen Widerspruchs, die Tatsache des Menschen. Ich kann nicht zugleich diese Tatsache in meinen Willen aufnehmen und aber des Spruchs und seiner Stunde gewärtig sein. Ich vermag den Gedanken nicht zu denken, daß sich dies für mich ändern könnte; denn in diesem Nichtzugleich habe ich mein Sein. Ich weiß wohl, daß es sich damit bei andern Menschen anders verhält; das ist mir etwas Unbegreifliches, das ich respektiere. Aber ich darf an das Faktum Gesetz nicht rühren, und nicht einmal an den Begriff, in solcher Weise, als ob ich mich mit ihm anders zulänglich abgeben könnte als von meinem Glauben aus. Ich habe gerade in der letzten Woche aufs schwerste und tiefste (tief ins Traumleben hinein) erfahren, daß es auch ›wissenschaftlich‹ nicht geht. – Soll ich nun dies, eben dies alles und was dazu gehört – und es gehört ja, wie Sie wissen, Furchtbares dazu, das ich hier ungesagt ließ – in meiner Antwort auf Ihren Brief sagen? Das würde für mich, da der jämmerliche Unernst des heutigen Publikumsmenschen, der alles gelesene und gehörte Wort als unverbindlich zur Kenntnis nimmt, für mich natürlich nicht maßgebend sein kann, ein faktisches Mich-einsetzen bedeuten; das mir zwar bevorstehen mag; dem aber eine gründlichere ‫ טבילה‬vorausgehen muß, als zu der ich in diesem Augenblick befähigt bin. Herzlich Ihr Martin Buber Lieber Freund – Heppenheim 1. VII. 24 Was Sie vom ›Respekt‹ sagen, 1 lasse ich mir mehr als gern gesagt sein, und ich meinte ja aber auch nur: als vorläufige Unbegreiflichkeit respektieren, will es jedoch gern sogar durch ›akzeptieren‹ ersetzen, – nur eben begreifen kann ich es noch nicht (wie in der weitern und schauerlicheren Sphäre den Glauben an den μονογενής, ‫)!להבדיל‬. Aber die Sache selbst ist schwerer als Sie meinen: denn mir geht, was Sie nicht berücksichtigen, eben zwischen Offenbarung und Gebot die entscheidende Linie der Verwandlung durch die Tatsache des Men-

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s. Rosenzweig, Briefe S. 503.

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schen. Erlauben Sie mir, dies so dürr auszusprechen und nichts hinzuzufügen. …

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Lieber Freund – Heppenheim 5. VII. 24 Natürlich hatte ich Sie mißverstanden – natürlich kann ich nicht zwischen Offenbarung und ‫ ֱלְך ְלָך‬1 die Scheidelinie legen, sie sind untrennbar; und auch zwischen Offenbarung und ‫ אנכי ה’ אלהיך‬2 vermag ich sie nicht zu legen; aber zwischen Offenbarung und ‫ לא יהיה לך‬3 muß ich sie legen. Freilich weiß ich, daß der Mensch, der seinen Stand bezeichnete mit ‫ אנכי עומד בין ה’ וביניכם‬4 nun, nachdem er ausgesprochen hatte ‫אנכי‬ ‫ ה’ אלהיך‬5 , nicht umhin konnte fortzufahren ‫ לא יהיה לך אלהים אחרים‬6 . Aber daß er nicht umhin konnte, das Ihnen und mir zu sagen, das ist eben das Faktum, aus dem ich – eben weil mir dies zu Recht, zu Recht gesagt ist – nach Erlösung verlange. Und von dem aus ich ‫החקים‬ ‫שפטים‬15‫ והמ‬nicht hinnehmen darf, sondern bei jedem fragen und widerfragen muß: Ist das zu mir gesagt, mir zu Recht? So daß ich mich einmal zu ‫ישראל‬, das angeredet wird, zählen kann und ein andermal, viele andere Male nicht. Und wenn ich irgend etwas mit ungeteiltem Herzen ‫ מצוה‬zu nennen vermag in meinem eigenen Leben, so ist es eben dies, daß ich so tue und so lasse. Ich kann diese so unzulängliche Mitteilung nicht fortsetzen. Ergänzen Sie sie in Ihrem gerechten Herzen zur Zulänglichkeit! Herzlich Ihr Martin Buber Lieber Freund – Heppenheim 13. VII. 24 Nein, es ist mir nicht klar. Denn, wie ich Ihnen gesagt habe, da Gott mir kein Gesetzgeber, sondern nur der Mensch ein Gesetznehmer ist, gilt mir das Gesetz nicht universal, 7 sondern personal, nämlich nur das von ihm, was ich als zu mir gesagt anerkennen muß (z. B. je älter ich werde und je tiefer ich die Un-Ruhe meines Wesens erkenne, um so mehr den Ruhetag). Die ›Bauleute‹ aber wollen mich veranlassen, das Gesetz universal zu nehmen, weil ich die Lehre so nehme, als etwas grundsätzlich ganz zu Lernendes. Aber die Analogie, die Sie behaupten, besteht nicht. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1. Mos. 12,1. 2. Mos. 20,2. 2. Mos. 20,3. 5. Mos. 5,5. 2. Mos. 20,2. 2. Mos. 20,3. vgl. hierzu Rosenzweigs Antwort, Briefe S. 504.

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Daß sie nicht besteht, werden Sie sich indirekt gleich vergegenwärtigen, wenn Sie bedenken, daß man wohl für etwas, das man getan hat, aber nicht für etwas, das man erfahren hat, Buße tun kann; das erweist, daß das Tun nicht bloß ein größeres, sondern ein anderes Gewicht hat als das Erfahren. Und direkt, wenn Sie bedenken, wie verschieden sich die beiden zu dem Faktum verhalten, um das es uns geht, zum Faktum des Imperativs, – nicht des philosophischen natürlich, aber des göttlichen und des menschlichen. Ich bin für das, was ich tue und unterlasse, in einer andern Weise verantwortlich als für das, was ich lerne und ungelernt lasse. Darum ist die Scheidung von Offenbarung und Lehre (Menschenlehre) für mich kein Stachel und keine Probe, aber die von Offenbarung und Gesetz (Menschengesetz) ist beides. … Lieber Freund – Heppenheim 3. VI. 25 Mit Wiener bin ich keineswegs einverstanden. Für mich ist und bleibt die eine Frage, die in meiner Seele wahrlich von abyssus zu abyssus gerufen wird: ob das ›Gesetz‹ Gottes Gesetz ist. Auf diese Frage antwortet der andre abyssus wahrlich nicht mit Schweigen. Wenn er aber mit Ja antwortete, würde ich keine Betrachtungen darüber anstellen, ob das Gesetz eine die Ganzheit des Lebens schaffende Kraft sei – das wäre dann unerheblich. Und hinwiederum könnte mir keine noch so gewisse Bejahung dieser oder einer ihr ähnlichen Frage jenes fehlende, nicht stumm sondern donnernd fehlende Ja ersetzen. Erklärung der fremdsprachlichen Ausdrücke in der Reihenfolge ihres Vorkommens

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‫קדש‬: Bereich des Heiligen. ‫חול‬: Bereich des Profanen. ‫סתם‬: schlechthin. ‫ערב‬: ›Abend‹, Vorabend eines Feiertags. ‫משכיל‬: Aufgeklärter, Angehöriger der Aufklärungsbewegung, die sich gegen alle ›abergläubischen Überreste‹ im Judentum wandte. ‫סדור‬: Gebetbuch. ‫כונות‬: Intentionsanweisungen, wie sie Gebetbüchern kabbalistisch-chassidischen Gepräges gerne beigegeben werden. ‫לשנה טובה תחתם‬: ›Zu einem guten Jahr sei dirs besiegelt!‹ So lautet die Wunschformel zu Jom Kippur. μονογενής: Der eingeborene (Sohn Gottes), Bezeichnung Christi. ‫להבדיל‬: ›zu unterscheiden‹, d. h. mit gebührender Distanz. ‫החקים והמשפטים‬: Die Satzungen und Rechtsgeheiße. ‫ישראל‬: Israel. ‫מצוה‬: Gebot. abyssus: Abgrund.

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Wie in so vielen Dingen, so folgt Nachman Krochmal (1785 bis 1840), der Begründer der Philosophie der jüdischen Geschichte, dem Begründer der modernen Geschichtsphilosophie, Giambattista Vico (16681744), auch in seiner Zeiteinteilung der Weltgeschichte in die Geschichte der Völker und die Geschichte Israels, als unter zweierlei Gesetz stehend. Nur daß das Einteilungsprinzip bei Vico im Doppelwesen der göttlichen Vorsehung begründet ist, die sich zu den Völkern wesentlich schaffend verhalte, so daß ihr historischer Weg durch ihre Anlagen bestimmt sei, zu Israel aber auch offenbarend, so daß sein besonderer historischer Weg aus diesen göttlichen Eingriffen zu verstehen sei; wogegen Krochmal nicht von Gott, sondern vom Menschen ausgeht. Jedes der Völker hat seine führende geistige Einheit, der all seine übrigen Eigenschaften unterworfen sind, seinen Genius, dem es als seinem »Fürsten« oder seinem »Gott« zugewandt ist; dieser nationale Geist entfaltet sich, reift und vergeht: eben das, was den Volksgeist beschränkt, macht seine Vergänglichkeit aus. Nicht so Israel: es verehrt das ganze, ungeteilte geistige Sein, und so dauert es und erhebt sich aus dem Niedergang zu neuem Beginn aus erneuerter Kraft. Die Völker machen ihre höchsten Fähigkeiten sich zu Götzen und verfallen dadurch dem geschichtlichen Gericht: Israel kennt keinen Gott außer dem Ewigseienden selber, und so kennt es das Geheimnis der Wiedergeburt. Mit anderen Worten: Die Völker erheben jedes sein Selbst zum Absoluten und beten es als solches an; Israel erfährt das Absolute als das, was es selber nicht ist und wozu es nicht werden kann, und verehrt es als solches. Oder auch: Für die Völker läßt sich das Absolute nur erfahren in dem, was man ist; für Israel läßt sich das Absolute nur erfahren, wenn und weil es dem, was man ist, gegenübertritt. Und weiter: In sich beschränkt sein heißt sterben müssen, auf das Unbeschränkte hin existieren heißt vom Tode erlöst werden. Volksvergötzung und Volkstod hängen eng zusammen. Wenn der Volksgeist entartet und sich zersetzt und das Volk also nicht mehr ein teilhaftes Sein, eine Kundgebung des Absoluten, sondern das Nichts anbetet, ist ihm das Sterben nah. Die unmittelbare Verehrung des Absoluten ist das Prinzip des ewigen Lebens in Israel. Damit ist seine Geschichte von der der Völker geschieden; sie vollenden die 1.

Rede in Tel-Aviv zum hundertsten Todestag Nachman Krochmals.

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ihnen angewiesene Bahn in der Zeit, ihm aber ist ein neuer Start in verjüngter Kraft verstattet – unter dem Vorbehalt, daß sein gläubiger Zusammenhang mit dem Absoluten sich ungeschwächt erhält. Es besteht also in der Geschichte Israels ein die Geschichte der Völker nicht bloß ergänzendes, sondern auch berichtigendes Element. Aus dem großen Gedanken, den Krochmal, aus dem jüdischen Traditionsschatz schöpfend, begrifflich skizziert hat, hat er selbst die weitreichenden Folgerungen zum Verständnis der jüdischen Geschichte, aber auch der jüdischen Aufgabe, nur zum Teil gezogen. Es fehlt bei ihm aber auch, und zwar mit Notwendigkeit, die Ausarbeitung einer zur Erläuterung der Auffassung selber unentbehrlichen Unterscheidung. Bei manchen Völkern, bei den Chinesen, den Indern, den Griechen haben einsame Denker in ihren Gedanken das Absolute als solches in äußerster metaphysischer Reinheit gemeint; aber das Volk in seinem faktischen Leben blieb von diesem Denken unberührt. Die unmittelbare Verehrung des Absoluten kann nur dann Lebensprinzip eines Volkes sein, wenn das Volk selber, als Volk, sie ausübt, und zwar naturgemäß nicht in der Sphäre des Denkens, sondern in der Sphäre des Lebens: Verehrung des Absoluten durch ein Volk bedeutet nicht metaphysische Ideation, sondern religiöse Begebenheit. Krochmal hat diese Unterscheidung nicht vollzogen, weil ihm, dem Intellektualisten, der intellektuale Akt genügte; aber er genügt nicht. Würde er genügen, so könnte man sich an Stelle des Volkes am Sinai einen kontemplierenden Moses vorstellen, der sodann die Ergebnisse seiner Kontemplation der Schrift überliefert; aber eine solche Vorstellung ist völlig unfähig, eine Zweiteilung der Weltgeschichte zu begründen. Daß Israel nicht, wie die Völker, sein Selbst zum Absoluten erhoben hat, liegt daran, daß es am Anfang seines Geschichtsweges als Volk das Göttliche erfuhr. Weil Krochmal diese Unterscheidung in ihrer zentralen Bedeutung nicht erkannt hat, hat er, der einzige Geschichtsphilosoph großen Stils, den das Judentum hervorgebracht hat, die tiefste geschichtliche Problematik seines Volkes unbeachtet gelassen. Entscheidend ist für ihn die Frage, inwieweit das Volk in den verschiedenen Epochen sich zum Absoluten bekannt und ihm gedient hat; aber er forscht nicht – was er seiner Grundthese nach doch tun müßte – danach, ob jeweils das Absolute ihm wirklich noch es selber blieb und von allen Tendenzen zur Absolutisierung der nationalen Einheit nach Art der anderen Völker ferngehalten wurde. Erst dem aber, der von Krochmals Voraussetzung – hie die Völkerwelt, hie sein Gott! 1 – ausgehend zu solcher Forschung und Prüfung vorschreitet, enthüllt sich das eigent1.

Diesen Spruch (2. Samuel 7,23) hat Krochmal als Titel über jenen Abschnitt seines

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liche Dilemma der jüdischen Existenz. Einerseits lag es dem jüdischen Volke ob, in seinem Verhältnis zum Absoluten der Beschränkung durch sein eigenes Wesen zu entgehen und nicht die Gottheit, die ihm gegenübergetreten ist, durch einen in seinem nationalen Bilde gemachten Gott zu ersetzen; anderseits aber war es ihm Pflicht, jenes Verhältnis in seinem organischen und volksmäßigen Charakter zu erhalten und das Lebendig-Göttliche in seiner Mitte sich nicht zu einer erhabenen Idee verflüchtigen zu lassen. Man entdeckt dieses Dilemma noch auf den Gipfeln der klassischen Religionsphilosophie der Juden; aber ein »säkularisierter« Ausläufer ist auch in unserer Zeit in dem Kampf zwischen einem den Volksgeist verleugnenden Nationalismus und einer den Volkskörper verleugnenden Assimilation zu finden. Die Ueberwindung dieses Dilemmas ist vielleicht die schwerste Aufgabe, die je einer menschlichen Gemeinschaft gestellt worden ist; aber Israel lebt von dieser Aufgabe. Gewiß, die unmittelbare Verehrung des Absoluten ist das Prinzip des ewigen Lebens in Israel; aber bis heute hat das jüdische Volk noch nicht gelernt, es mit der Substanz seines Daseins zu verehren – was es bis heute am Leben erhält, ist noch die Aufgabe selber, die ihm im Blute brennt und nicht zur Ruhe kommt, und nicht ihre Erfüllung. Wiederholt sagt Krochmal den Juden, sie seien zu Lehrern der Völker berufen: sie hätten sie zu lehren, das Absolute selber und nicht die verabsolutierten Volksgaben anzubeten. Und es ist wahr: wir haben dies zu lehren. Aber wie kann man etwas lehren, was man noch nicht erlernt hat? Es gibt kein anderes Mittel, auf Gott hinzuzeigen, als durch ein ihm gemäßes Leben. Es gibt für ein Volk kein anderes Mittel, auf Gott hinzuzeigen, als durch ein ihm gemäßes Volksleben. Bisher hat unsere Existenz nur dazu ausgereicht, Götzenthrone zu erschüttern, nicht aber, einen Thron Gottes aufzurichten. Das macht die Unheimlichkeit unserer Existenz inmitten der Völker aus. Wir prätendieren, das Absolute zu lehren, aber faktisch lehren wir nur das Nein zum Leben der Völker, vielmehr wir sind dieses Nein und nichts mehr. Darum sind wir den Völkern ein Grauen geworden. Darum müssen sie in der Stunde, wo sie dazu übergehen, nicht mehr wie bisher nur in ihrer Innerlichkeit, sondern in den Ordnungen der Wirklichkeit jedes sein eigenes Selbst als das Absolute zu setzen, uns abschaffen wollen. Darum sind wir heute, statt mit einem Flug über dem Abgrund den Weg der Rettung weisen zu dürfen, zuunterst in den Strudel der allgemeinen Heillosigkeit gerissen.

Buches »Der Führer der Ratlosen des Zeitalters« gesetzt, in dem er seine Grundanschauung darlegt.

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2. Wenn jedes Volk in der zum Absoluten erhobenen nationalen Einheit seinen »Fürsten« hat, 1 so kommt es vom Gesichtspunkt der Weltgeschichte aus, je mehr die Völker in großem, in kontinentalem Maßstab miteinander zu tun bekommen, immer mehr darauf an, ob und inwieweit, mythologisch gesprochen, diese Fürsten einen »Fürsten der Fürsten« (Daniel 8, 25) über sich erkennen und anerkennen; unmythologisch gesprochen, ob und inwieweit die Völker eine gemeinsame Autorität, die ihnen unbedingt überlegen ist, erkennen und anerkennen. Von hier aus ist das weltgeschichtliche Problem der Christenheit zu erfassen. Das Christentum ist über die abendländischen Völker aus einer Geisteswelt gekommen, in der sich die aus dem Zerfall der großen vorderasiatischen Religionen hervorgetauchten und gleichsam freischwebend gewordenen Elemente mit religiösen Ueberlieferungen und religiösen Begebenheiten des jüdischen Volkes vermischt hatten. Diese Vermischung hat die jüdische Lehre so verwandelt, daß sie als Botschaft die Völker erreichen und in sie eindringen konnte. Das Wesentliche war die Ausschaltung der religiösen Volksaufgabe. 2 Auch wo ganze Völker zum Christentum bekehrt wurden, wurden ja nicht die Völker als solche, sondern nur die Einzelnen in die religiöse Welt aufgenommen, die der Vorhof zu einem allem Völkischen völlig entrückten Jenseits war; im Zusammenhang damit fiel die in Israel dem Volk gestellte Aufgabe, die Welt zum Reich Gottes zuzubereiten, dahin. An ihre Stelle traten die »Reichsgedanken«, als christliche Verklärung der geschichtlichen Machttendenzen und Machthandlungen; ob sie auch immer wieder an die religiöse Aufgabe Israels anknüpften, in Wirklichkeit war unter religiösen Parolen die Autonomie der »Fürsten« erklärt. Aber diese Autonomie hatte ihre Grenze: die Autorität der Kirche über den Völkern. Die Grenze war keine feste; die Päpste kämpften darum, sie zurückzudrängen; immer aber blieb über der Selbstherrlichkeit und Herrschsucht der Völker eine mäßigende und schlichtende Instanz, über dem Walten der »Fürsten« blieb 1. 2.

Die Vorstellung, daß jedes der Völker einem Fürst-Engel untertan ist, stammt aus dem Buch Daniel und ist später ausgebaut worden. Krochmal hat sie ins Philosophische gewendet (wobei ihn Hegel beeinflußt hat). Diese wegen ihrer Kürze nicht ganz deutliche Stelle (es war nicht möglich, mit dem Verfasser noch darüber zu verhandeln) würde ich in diesem Zusammenhang so verstehen: Das Christentum kam zu den abendländischen Völkern nicht als die Botschaft vom Reiche Gottes, sondern, um es in äußerster Kürze zu sagen, als das aus der Verbindung von Christus und Plato entstandene Dogma.

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eine hinreichende faktische geistige Macht, um sie nicht zu »Göttern« werden zu lassen. Auch nachdem der Zerfall der Kirche begann und im Bereich der Reformation die Landeskirche mit den Landesherren sozusagen grundsätzlich paktierten, schwand dieser Einfluß des Christentums nicht, dessen Lebenskraft noch nicht erschüttert war. Weit mehr noch als in den geschriebenen Prinzipien eines Völkerrechts, das aus ihm stammte, war dieser Einfluß in den den Völkerleben einwohnenden inneren Hemmungen zu finden. Zwar gab es ein Sittengesetz nur für den Menschen als Person, nicht für ihn als Mitglied eines Volkes, die Völker als solche lebten jenseits des christlichen Sittengesetzes; aber dem Wüten der Feindschaft trat jeweils ein Unnennbares, Unwägbares, dessen Herkunft aus dem Christentum nicht anzuzweifeln war, wirksam entgegen. Mochten die »Fürsten« sich immer wieder wie »Götter« gebärden, immer wieder kam die Stunde, wo man sie ihr Haupt vor Gott beugen sah. Aber in unserem Zeitalter, das man von dieser seiner Seite aus als das der Krisis des Christentums ansprechen darf, hat sich darin eine fundamentale Aenderung zu vollziehen begonnen. Es ist kein Zufall, daß in eben diesem Zeitalter die Entwicklung der Technik zu einer solchen Höhe gelangt ist, die räumliche Entfernung zwischen den Völkern nicht mehr ein wesentliches Hindernis für Konflikte zwischen irgendeinem und irgendeinem andern von ihnen bildet und daß zugleich diese Konflikte bis zur gegenseitigen Vernichtung der Menschenmassen auf beiden Seiten ausgetragen werden können. In eben dem Zeitalter, in dem sich diese technischen Möglichkeiten eröffnet haben, hat das Christentum sowohl an sich als in seinen weltlichen Ausläufern aufgehört, eine politisch wirksame Autorität über den Völkern zu sein. Daß es eine solche Autorität nicht mehr gibt, hat die tragikomische Geschichte des sogenannten Völkerbundes mit hinreichender Deutlichkeit gezeigt. In dieser Zeit geschieht das Neue, daß einige der Nationalegoismen, die vom Christentum, als von einer gemeinsamen und überlegenen Wahrheit, im Zaum gehalten wurden, sich zugleich von ihm und von allen inneren Hemmungen befreien: die Wahrheit ist nur noch eine Funktion der Nation, der »Fürst« proklamiert sich als Gott. Fast ein halbes Jahrhundert vor der Begründung des Völkerbundes und zwei Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Krochmals Buch hat ein Mann, in dessen Seele sich die Krisis des Christentums exemplarisch vollzog, Dostojewski, die Lehre von den »Fürsten« der Völker modernisiert. In dem Roman »Die Dämonen«, in dem er so viele Erscheinungen seiner Zeit in eine geistige Atmosphäre gestellt hat, die mehr der unserer eigenen entspricht, läßt er sie in einer seltsamen Weise aussprechen – nicht von dem dämonischen Helden des Romans, dem er sie zuschreibt,

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sondern von einem, der dessen Schüler gewesen ist und nun gegen die Zersetzung des Wesens seines einstigen Lehrers und um dessen Läuterung und Vollendung ringt: er hält ihm deswegen die einst vernommene Lehre entgegen. Jedes Volk hat sein Ziel in seinem besonderen Gott. Dieser Gott ist die »synthetische Persönlichkeit« des Volkes. An diesen Gott glaubt das Volk »als an den einzig wahren«. Es glaubt, »daß in ihm allein die Wahrheit ist – gerade in ihm allein und unbedingt und ausschließlich in ihm«. In diesem Glauben liegt die Stärke und die geschichtliche Größe eines Volkes. »Ein Volk, das diesen Glauben verliert, ist kein Volk mehr.« So weit stellt, was hier gesagt wird, durchaus eine Ausgestaltung dessen dar, was Krochmal über die Völker lehrt, von der heidnischen Seite der Weltgeschichte her. Nun aber kommt das Seltsame. Der Sprecher wirft sich – gewiß nicht ohne daß der Dichter, der durch seinen Mund spricht, es merkt, vielleicht aber ohne daß er die ganze Tragweite des Vorgangs sich gegenwärtig hält – auf die andere Seite hinüber. »Doch da es nur eine Wahrheit gibt«, sagt er, »so kann auch nur ein einziges Volk den einzigen, wahren Gott haben.« Es gibt nur eine Wahrheit – mit diesem Wort aus der Zeitentiefe her, das er gleichsam allem, was nach ihm kommen wird, entgegenhält, zeugt Dostojewski (es wird hier unzweifelhaft, daß es sein eigenes Bekenntnis, freilich auch sein eigener innerer Widerspruch ist, was er hier aussprechen läßt) für Gott und gegen die »Fürsten«. Aber schon mit der Folgerung, also könne auch nur ein einziges Volk den einzigen, wahren Gott haben, nicht bloß erkennen, nicht bloß anrufen, sondern »haben«, wird sein Zeugnis problematisch, und wenn nun gar unmittelbar darauf die Verkündigung folgt, das einzige Gotträger-Volk sei das russische (das war auch zu Anfang des Gesprächs gesagt worden und daß es »kommen wird, die Welt zu erlösen und zu erneuen mit dem Namen des neuen Gottes«), erscheint uns in furchtbarer Klarheit die Tatsache, daß der Sprecher – jedenfalls er, vielleicht aber auch sein Dichter – »auf beiden Astzweigen hüpft« (1. Könige 18,21). Und es ist von genauer Konsequenz, daß der Mann auf die nackte Frage, ob er selber an Gott glaube, zunächst nur zu stammeln weiß, er glaube an Rußland, er glaube an den Leib Christi, schließlich aber zur Antwort gibt, er werde an Gott glauben. In diesem verzweifelten Geständnis des Menschen, der vor einer Weile noch den strengen Singularbegriff »Gott« und den lockeren Pluralbegriff »Götter« wie in einem Spiel vertauscht und wieder vertauscht hatte (wie in einem Spiel, denn ist Gott, so sind »Götter« nur eine Metapher, sind aber Götter, so ist »Gott« nur eine Metapher), lebt die sublime Grausamkeit des Dichters, der in seinem Gericht gewiß auch sich selber nicht schont. Wohl, er war ein gläubiger Christ; aber ich habe manchen solchen ge-

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kannt, der an den »Sohn« glaubte, ohne wahrhaft an den »Vater« glauben zu können. Freilich findet sich in einem von Dostojewskis Entwürfen zum Roman eine noch allgemeinere Formulierung. Der Held sagt: »Ist es für den zivilisierten Menschen noch möglich, zu glauben?« Aber es gibt in dem Abschnitt des Romans eine Stelle, in der Dostojewski Krochmal noch viel näher kommt als in den allgemeinen Sätzen, so nah, daß sich von hier aus zu der Verkündigung des russischen Volkes als des einzigen Gotträger-Volkes eigentlich keine Brücke schlagen läßt. Er gibt Beispiele dafür, was er unter den Göttern der Völker versteht. »Die Griechen haben die Natur vergottet, und sie haben der Welt ihre Religion, d. h. Philosophie und Kunst, hinterlassen. Rom hat das Volk im Staate vergottet, und es hat den modernen Nationen den Staat hinterlassen.« Das entspricht völlig dem, was Krochmal über die Fürsten als die ins Absolute erhobenen »herrschenden geistigen Gaben« der Völker sagt, und könnte wörtlich so in seinem Buche stehen. Diesen beiden Sätzen geht aber als gleichgeordnetes Beispiel ein Satz über die Juden voraus: »Die Juden haben nur gelebt, um den wahren Gott zu erwarten, und sie haben der Welt den wahren Gott überliefert.« Das kann doch gar nicht anders verstanden werden als: während die Griechen, Römer und andere Völker Wesenheiten, die nicht das Absolute waren, ins Absolute erhoben und dadurch der Menschenwelt überlieferten, haben die Juden das Absolute selber im Sinne gehabt, »den wahren Gott«, und ihn haben sie der Menschenwelt überliefert. Das ist genau das, was Krochmal lehrt, nur daß selbstverständlich Dostojewski nur den Christengott im Sinn hat. Aber es scheint unbegreiflich, daß Dostojewski es lehren oder in solcher Weise lehren lassen kann. Wie wider seinen Willen kommt hier die jüdische Seite der Weltgeschichte gewaltig zu Wort. Die Krisis des Christentums hat ihren letzten Ursprung darin, daß wir Juden den wahren Gott, den wir der Welt überliefert haben, ihr nicht faktisch, d. h. durch unser Leben als Volk, überliefert haben. Von da aus ist auch das unbegreiflich Scheinende bei Dostojewski zu begreifen. Er zeugt für uns, aber er will es nicht tun, er merkt nicht, daß er es tut, und er folgert nichts daraus. 3.

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Mit alledem ist aber das, was uns an diesem Romankapitel für unseren Gegenstand angeht, noch nicht ausgeschöpft. Es gibt darin eine merkwürdige Stelle, inmitten dieses Gewitterhimmels mit seinen zuckenden Blitzen einen Strich klaren Blaus. Der Held wirft seinem Gesprächspart-

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ner vor, daß er »Gott zu einem einfachen Attribut erniedrige«. »Im Gegenteil«, antwortet der andere, »ich erhebe das Volk zu Gott.« Man kann dieser Antwort nur dann einen Sinn abgewinnen, wenn man versteht: »zu dem einen wahren Gott«. Dadurch vertieft sich zunächst nur noch der Widerspruch zwischen dem Bekenntnis des Sprechers zu der »einen Wahrheit« und seiner Verherrlichung der nationalen »Götter« (was vermutlich in einem gewissen Maße der unausgereiften Komposition dieses einen unter allen Romanen Dostojewskis zuzuschreiben ist); aber es zeigt sich bald, daß hier das Streben nach der Ueberwindung des Widerspruchs zum Ausdruck kommt. Dadurch – so wird gesagt –, daß die Volksgötter in ihrer Existenz und ihrem Ringen miteinander erkannt werden, wird das Volk zu Gott erhoben. Somit wird all dies als ein Weg der Völker zum wahren Gott verstanden. Die »Götter« können somit nichts anderes sein als gebrochene, teilhafte Spiegelungen, sehr verschiedene und in ihrer Verschiedenheit geschichtlich notwendige Spiegelungen des wahren Gottes. Und wenn wirklich durch sie hindurch die Wege zu ihm führen, so muß es eine Stunde geben, wo die Spiegelungen verblassen und nur noch das eine Licht leuchtet, das sich in ihnen bricht. Das wäre also, von Dostojewskis Voraussetzung aus gesehen, die eine Seite der Weltgeschichte. Die andere ist, wider Willen und Wissen des Dichters, in dem Satz von den Juden dargestellt, die »der Welt den wahren Gott überliefert« haben. Auf dieser Seite gibt es naturgemäß, solange das Volk seiner Berufung treu bleibt, keine Spiegelung und kann es keine geben. Dostojewski versucht, die Juden in eine einheitliche Weltgeschichte einzureihen, aber sie lassen sich nicht einreihen, sie bleiben trotz all ihrer Untreue die andere Seite. Wir müssen, um dies in seinen Wurzeln zu erfassen, weit hinter Krochmal zurückgehen. Unsere Erkenntnis der zwei Seiten der Weltgeschichte fängt mit Amos an. Er lehnt (9, 7) die Anmaßung ab, Israel, völkergeschichtlich betrachtet, auf einer anderen Seite zu sehen als irgendeines der Völker: eine göttliche Befreiungstat, wie sie die Volksgeschichte Israels eröffnete, kennen auch andere, auch ihm feindliche Völker. Der wahre Gott, den es bekennt, ist der Befreier der Völker. Aber sie kennen ihn nicht; jedes nennt als den Namen seines Volksgottes einen Götzennamen und schreibt ihm Götzenhandlungen zu. Was Israel von ihnen unterscheidet und scheidet, ist (3, 2), daß es von ihm »erkannt« worden ist und ihn in dieser Berührung erkannt hat. Nicht das Schilfmeer, nur der Sinai gehört auf die andere Seite der Weltgeschichte. Alle Völker – das ist Amos’ Lehre – haben als geschichtlich existierende mit dem wahren Gott zu tun; sie kennen ihn nur nicht. Sie kennen ihn

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noch nicht – so nimmt Jesaja die Botschaft wieder auf –, sie werden ihn erkennen, indem sie von ihm selber in seinen Wegen unterwiesen werden (2, 3). Israel hat vor ihnen nun eben dies voraus, daß es ihn schon kennt. Aber aus diesem »schon« ist Israel die Aufgabe erwachsen, ihnen voran »in JHWHs Lichte« zu gehen (V. 5 ist der Abschluß der Weissagung), damit der heilige Berg »bereit« sei, ihrer aller Wallfahrt aufzunehmen. Aus den zwei Seiten ist eine einzige Gotteswelt geworden. Micha, anscheinend ein Schüler Jesajas, will es nicht so verstanden wissen. Er ersetzt die Aufforderung zum Vorangehen durch eine schwerwiegende Aussage (4, 5), in der der nationale Partikularismus den nationalen Universalismus durchbricht. Auch dann, nach der Versammlung der Völker auf dem heiligen Berg, wird jedes von ihnen im Namen seines Gottes gehen, Israel aber wird »im Namen JHWHs unseres Gottes« gehen. Auch »in der Späte der Tage« werden die zwei Seiten der Weltgeschichte geschieden bleiben, und zwar »in alle Ewigkeit«. Was die Völker ihre Götter nennen – das hatte Amos angedeutet –, sind schlechte Bilder des wahren Gottes, schlechte Bilder mit falschen Namen. Der Tag wird kommen – so hatte Jesaja geweissagt –, wo die Völker auf dem Tempelberg als dem Sinai der Völkerwelt die Weisung (Thora) von ihm selber, dem schlecht abgebildeten, falsch benannten Gott, empfangen und von ihm durch Schlichtung all ihres Streites zu dem großen Frieden des Menschengeschlechtes gebracht werden. Micha läßt trotz Unterweisung aller Völker in Gottes Wegen, trotz Thoragebung und Friedensstiftung, Bilder und Namen fortbestehen. Es gibt keine Erlösung der Völker. Von dem Micha-Vers aus, den Krochmal mißverständlich als Motto über das Kapitel gesetzt hat, in dem er seine Geschichtsanschauung darlegt, ist der Abstieg zu Daniels Lehre von den »Fürsten« und zu allem, was sich an sie schließt, eröffnet. In ihr ist an die Stelle der direkten Führung der Völker durch die Geschichte von seiten des wahren Gottes die Leitung und Vertretung eines jeden durch einen besonderen Beauftragten Gottes getreten. Am Ende der Entwicklung sind die Taten Gottes an seinen Völkern verdunkelt, nur noch etwa als Schöpfer, nicht als Herr der Völkergeschichte ist er sichtbar, die Völker agieren selbständig, auch die Fürsten sind nur noch »herrschende geistige Volksgaben« (Krochmal), »synthetische Volkspersönlichkeiten« (Dostojewski). Sie sind die von innen her erwachsenen Mächte, die das Leben der Völker regieren. Und keins der Völker weiß von einer anderen Völker-Erlösung als dadurch, daß es selber, wie Dostojewski sagt, mit seinem »Gott« siegen und alle andern Götter und Völker sich unterwerfen wird. Nun ist auch das Problem der weltgeschichtlichen Aufgabe Israels

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vollständiger zu erfassen. Wir müssen nur hinter die danielische Lehre von den Fürsten, ja auch noch hinter Michas Lehre vom ewigen Götzentum der Völker zurückgehen, auf die große Linie, die von Amos zu Jesaja führt. Wenn die nationalen Götter nur teilhafte und unvollkommene Spiegelungen des wahren Gottes sind, dann führt eben durch sie ein Weg der Völker zu ihm. Sie strömen zum Tempelberg nicht von ihren Wesenheiten weg, jedes kommt als das, was es ist, aber die Wesenheit, die ihm vordem ganz dicht und selbständig erschien, ist nun ganz auf das bezogen, was man durch sie wie durch ein durchsichtiges Glas schaut; was vordem als absolut erschien, ist als relativ auf das eine Absolute offenbar geworden. Wenn es so ist, was kann es bedeuten, die Völker »den unbedingten Glauben« zu lehren, was Krochmal als die Aufgabe des Judentums erklärt? Zwei Dinge, die notwendigerweise zusammengehören, d. h. von denen jedes ohne das andere falsch und sogar verhängnisvoll wirken muß. Das eine: alles zu Unrecht als absolut Geltende als relativ erweisen. Das andere: auf das wahre Absolute hinzeigen, so daß der Unterschied zwischen ihm und allem Relativen wahrnehmbar wird. Das erste ist seinem Sinn nach ein Werk des Gedankens: Forschung, Analyse, Kritik. Das zweite kann seinem Sinn nach kein Werk des Gedankens sein, weil das Absolute dem Gedanken niemals so zugänglich wird, daß er dessen Unterschied gegen alles Relative wahrnehmbar machen könnte. Auf das wahre Absolute hinzeigen kann man überhaupt nicht mehr als auf das »Absolute«, d. h. in begrifflicher Sprache, sondern nur als auf Gott, d. h. obgleich es für unsern Gedanken das Absolute ist, als auf eine Person, paradox ausgedrückt: auf die absolute Person, die einen, dich also und mich, persönlich anspricht, die dir und mir auch nicht sagt: »Ich bin Gott«, sondern: »Ich bin dein Gott«, und wenn dieses »du« nicht sogleich gesagt wird, folgt es alsbald: »Geh vor mir einher!« (Genesis 17, 1). Das letztere, das Gebot, folgt immer in irgendeiner Gestalt. Es gibt keine Offenbarung ohne Gebot. Auch wenn der uns Ansprechende zu uns von sich selber redet, redet er in Wahrheit von uns. Was er von sich sagt, ist nicht Bericht über sein Wesen, sondern Begründung und Erläuterung dessen, was er von uns fordert. Indem er uns anspricht, scheidet er alsbald innerhalb des Lebens, das von Menschen gelebt werden kann, zwischen dem Ihm Gemäßen und dem Ihm Ungemäßen. Ohne aufzuhören das Absolute zu sein, d. h. was auf keine der menschlichen Erfassung zugänglichen Attribute festgelegt werden kann, scheidet er, wie in der Sphäre der Natur schaffend zwischen Licht und Finsternis, so in der Sphäre unseres Lebens fordernd zwischen Wahrheit und Lüge, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Dies ist somit die einzige Sphäre, in der wir auf ihn hinzeigen können, und zwar eben nur durch

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unser Leben selber. Es ist aber das Geheimnis des Volkes, daß erst in ihm und durch es jene Scheidung zu faktischem Leben werden kann. Mag auch manches davon im persönlichen Dasein in die Erscheinung treten, vollkommen leibhaft sichtbar kann die Gerechtigkeit erst in den Ordnungen einer Volksexistenz werden, in denen sie sich zugleich nach innen, zwischen den Volksteilen, und nach außen, zu den anderen Völkern, verwirklichen kann, in all ihrer Fülle und Mannigfaltigkeit, nach allen Möglichkeiten der sozialen, politischen, historischen Situationen. Das Hinzeigen auf das wahre Absolute kann nur ein Werk des Lebens und in seiner Vollständigkeit nur eins des Volkslebens sein. Der Sprecher in Dostojewskis Roman sagt, nachdem er erklärt hat, daß er mit seiner Lehre das Volk zu Gott erhebe: »Das Volk – das ist der Körper Gottes.« Das ist in der Sprache der christlichen Mystik gesagt. Aber auch Israel darf sagen, daß nur das Volk Gott gleichsam körperlich darstellen kann, indem es in seinem Leben darstellt, was Gott mit der Schöpfung des Menschen »in seinem Bilde« im Sinne hatte. Das Ebenbild Gottes, in dem der Mensch als Individuum oder richtiger als Paar geschaffen wurde, ist ein Umriß, der erst durch das Volk ausgefüllt werden kann: erst in einer Vielheit verschieden gearteter und verschieden gewillter Menschen, die dennoch wahrhaft einig wird, ein einiger menschlicher Kreis um eine göttliche Mitte, kann sich vor den Augen des Menschengeschlechts das Ebenbild offenbaren. Dem Volk als Volk sind die natürlichen Voraussetzungen zu solchem Werden eingetan: seine Glieder haben bei aller Verschiedenheit dennoch soviel gemeinsam, daß in ihren Beziehungen zueinander damit begonnen werden kann, Gemeinschaft der Menschen als Darstellung des Gott gemäßen Lebens zu verwirklichen und damit auf ihn selber hinzuzeigen. Der Gedanke der Einzelnen vermag die durch geistige Gebilde usurpierten Throne, von denen jeder als der Thron der Welt gelten will, zu erschüttern; aber nichts anderes als das Leben des Volkes vermag den Thron des wahren Königs aufzurichten. Von dieser Doppelaufgabe ist, wie gesagt, jede Hälfte an die andere gebunden und kann ohne sie der Menschheit nicht zum Heil gereichen. Würden die falschen Throne nicht erschüttert, so würde das Unterfangen der Aufrichtung des echten, wenn es geschieht, nicht als das erkannt, was es ist, es würde als Herausforderung der Völker angesehen und als solche beantwortet, bekämpft, vereitelt. Hat die Aufrichtung des echten Throns nicht sichtbar angehoben, so werden, wenn jene herrschenden Geistesgebilde von ihren Thronen stürzen, die unverkleideten, unverhüllten nationalen Selbstsüchte sich darauf setzen; nicht mehr eine Wesenheit oder Idee des Volkes, sondern seine technisierte Leistungskraft wird als das Absolute proklamiert. Wenn Israel

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kraft der geschichtlichen Tatsache, daß es in den Dienst des wahren Gottes genommen worden ist, eine geschichtliche Aufgabe hat, so kann es nur die ganze Doppelaufgabe und nicht weniger sein als sie. In dem Zeitalter nach dem Eintritt der Juden in die Geschichte der abendländischen Völker mit individueller »Gleichberechtigung« hat der jüdische Gedanke führend zur Relativierung fiktiver Absoluta beigetragen. Ideologien, Ideale, Ideen wurden zuerst einer soziologischen, dann einer psychologischen Analyse und Kritik unterworfen. Marx »durchschaute« sie als Hilfskonstruktionen im Wandel des Produktionsprozesses und den aus ihm aufsteigenden Kämpfen der Klasse; Freud »entlarvte« sie als Sublimierung der geschlechtlichen Libido und als Ausgestaltungen der zu ihrer Verdrängung bewegenden Mächte. In diesen genialen Unternehmungen wurde jedoch im Schwunge der hemmungslos operierenden Methoden auch das echte, unabhängige geistige Element in den Ideen, die ins Relative gefallene und mit ihm verschmolzene Gabe vom Absoluten her, mit »reduziert«, bis sein selbständiger Charakter unkenntlich geworden war. Statt der Scheidung und Abgrenzung innerhalb der ideellen Substanz wurde ihre unterscheidungsbare Auflösung vollzogen. Als realer Bestand verblieb dort die Dynamik der wirtschaftenden Gesellschaft, hier die des triebhaft bestimmten Individuums, immer ein monistisches Kernsystem des Menschen. Aber der Mensch kann nur durch Verzicht auf seine totale Wirklichkeit, durch Verwischung auch noch aller Fingerspuren des Absoluten zum monistischen System gemacht werden, in religiöser Sprache: durch Auslöschung des Ebenbildes. Der Mensch ist nicht Ebenbild, er ist nur im Bilde erschaffen, aber löscht man das Ebenbild aus, so gibt es auch den Menschen als Menschen nicht mehr. Das kritische Werk des Juden in den letzten hundert Jahren hat, statt durch Zerschmetterung der Götzen Raum für Gott zu schaffen, ihm selber alle Stätte auf Erden zu rauben unternommen. Statt Völker zu lehren, vom Dienste der Fiktionen zum Dienste der Wahrheit überzugehen, hat es dazu beigetragen, daß sie den Gedanken der Wahrheit selber zu einer unerlaubten Fiktion gestempelt haben. Daß das analytisch-kritische Werk des jüdischen Gedankens diese Wendung genommen hat, ist nicht beiläufig. Marx und Freud sind weit mehr als sie ahnten vom herrschenden geistigen Status des modernen Judentums abhängig gewesen, wo man das faktische Sein des Absoluten nicht mehr zu fassen, geschweige denn das Paradox einer absoluten Person sich zu vergegenwärtigen vermag. Hier ist noch etwas anderes, als jener »zivilisierte Mensch«, von dem Dostojewskis Held bezweifelt, ob er überhaupt noch glauben könne. Hier ist ein organisches

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Band, eben das, welches die andere Seite der Weltgeschichte konstituiert hat, durchschnitten. Und die andere Hälfte der Aufgabe, die nur durch das Volksleben selber erfüllbare? Nach so langer Zeit geschichtlichen Zwanges, in denen es uns Juden unmöglich gemacht war, eine eigene Volksordnung einzurichten, war uns gleichsam eine Geschichtspause gewährt worden, in der wir zwar nur auf einem kleinen Fleck Erde, aber doch eben auf dem unseren, weitgehend zu bestimmen hatten, wie wir miteinander und mit unseren Nachbarn leben wollten. Was ist in dieser Pause geschehen? Viel – und wenig. Generationen, die aus sich eine bisher ungeahnte Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit herausholten und hergaben, haben über ihrem Werke die Tafeln der sozialen Gerechtigkeit aufgestellt. Aber die Inseln, die sie geschaffen haben, sind von den Wogen eines Lebens umbrandet, das keine Tafeln kennt, eines Lebens ohne Gemeinschaftssinn und Gemeinschaftsordnung. Wir wissen noch nicht, was sich als stärker erweisen wird, die Wogen oder das Inselland. Und jene Tafeln selber – so grundwichtig sie auch sind, es ist von schwerwiegender Bedeutung, daß sie nicht auf ein Gebot des Absoluten hin ausgehauen wurden. Auch hier gilt das Absolute als ein veralteter, rückständiger Begriff, der nach Unfreiheit des Denkens riecht. Man vergleiche nur unser nationales Schrifttum, das die ideellen Grundlagen der Siedlung geliefert hat, mit Krochmals Buch: wie ist doch auch bei jenen Denkern, die nicht wollen, daß wir »wie alle Völker« seien, aus dem absoluten »Geistigen«, zu dem sich Israel bekennt und dem es dient, ein »Geist Israels« geworden, seiner Art nach kaum von den »Geistern« anderer Völker verschieden – mit anderen Worten, ein »Fürst« unter »Fürsten«. Wir haben gehofft, daß die palästinensische Siedlung die Mitte des jüdischen Volkes werde; aber was ist die Mitte dieser »Mitte«? Schon scheint die uns gewährte Pause, die uns erproben sollte, ihrem Ende entgegenzugehen. Und die andere Seite der Weltgeschichte ist heute, als wäre sie nicht.

Ein Wort an Dreizehnjährige Bar Mitzwa: das bedeutet nicht ein Junge, der von jetzt ab die Gebote zu befolgen hat. Ein Junge mit dreizehn Jahren geht nicht aus einer Welt ohne Gebote und betritt die Welt der Gebote; es gibt Gebote, für die bereits zuvor die Pflicht bestand, sie zu erfüllen, und es gibt Gebote, deren Zeit zur Erfüllung noch in weiter Ferne ist. Sondern Bar Mitzwa heißt: ein Junge, dem nicht mehr das Gebot auferlegt ist, sondern er selbst nimmt das Gebot willentlich auf sich. So erzählt der Midrasch von Jakob und Esau: Und die Knaben wuchsen heran. Rabbi Levi sagte: das gleicht einer Myrte und einem Dornenstrauch, welche nebeneinander wachsen. Und als sie groß wurden und aufblühten, gab der eine Strauch Wohlgeruch und der andere Stacheln. So gingen die beiden 13 Jahre miteinander in die Schule und danach verließen sie sie. Nach dreizehn Jahren geht einer in die Lehrhäuser und jener geht in die heidnischen Tempel. Rabbi Elasar sagte: ein Mensch muss sich um seinen Sohn kümmern bis er 13 Jahre alt ist und von da ab muss er sagen: Gelobt seist du Gott, der er mich von dieser Strafe befreit hat. Bis hierhin war also der Vater verpflichtet, die Ve r a n t w o r t u n g für die Handlungen des Sohnes zu tragen; nun wird sie von ihm genommen; von jetzt ab ist der Sohn für seine Taten selbst verantwortlich. Was er von jetzt ab tut, muss er selbst verantworten. Aber das ist nicht alles. Bis jetzt musste er nicht wählen und entscheiden; er lebte in einer unbestimmten, neutralen Atmosphäre, in der es noch keine Entscheidung gibt, keine Notwendigkeit zur Entscheidung, – man geht seines Weges, es gibt keine Wahl des Weges, das Wählen ist kein Thema. Von jetzt an obliegt es ihm, zu wählen und zu entscheiden: rechts oder links, der Weg zur Wahrheit oder der Weg zur Lüge. Er kann nicht ohne Wahl und Entscheidung verbleiben; denn jemand, der nicht die Wahrheit wählt, befindet sich schon ein wenig auf Seiten der Lüge – in Wahrheit gibt es rechts und links gar nicht, sondern nur die eine Wahrheit, während wir von Lügen ohne Zahl umgeben sind. Die Wahrheit ist ein gerader Weg und die Lüge ein unendlicher Wirbel: man muss selbst die Wahrheit ergreifen, wer es nicht tut, den ergreift die Lüge, bevor er es spürt. Was ist aber die Bedeutung davon, dass man jetzt anfängt zu wählen? Die Bedeutung ist, dass man jetzt zu erkennen anfängt, wer dieser Mensch ist. Bis jetzt lief man in der Herde mit den anderen mit; von jetzt an muss man auf dem eigenen Weg in eigener Verantwortung gehen; hier wird er in seinem eigenen Wesen erkenntlich, hier erkennt er

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sich selbst in seinem Wesen: aber jetzt, in eigener Verantwortung, entscheidet er, wer er wirklich ist. Aber dieses Gebot, das er willentlich auf sich nimmt, was ist es? Die Tradition sagt: das ist ganz einfach die ganze Thora, die 613 Gebote und Verbote. Aber das klingt so, als ob man nur ein einziges Mal, nämlich wenn man dreizehn Jahre alt wird, wählen und entscheiden müsse, während es im späteren Leben bei jedem Ereignis und Geschehen nur auf diese erste Entscheidung ankomme, ob man im Einzelfall an dieser Entscheidung festhalten solle oder nicht; und wenn das zuträfe, gäbe es denn dann eine echte Entscheidung in den sich immerzu wechselnden Gestalten, eine Entscheidung zwischen all den Maskierungen der Lüge und der einen Wahrheit, die zwar zumeist sehr verhüllt ist, und man müsse sich nicht von Mal zu Mal entschieden von dem Antlitz der Lüge entfernen, man müsse nicht die Schleier der Wahrheit durchdringen, als gäbe es in der Wirklichkeit nicht den Kampf und den Aufstieg im Leben, das dem Leben seinen Sinn gibt. Und jetzt kommt die soziologische Lehre unserer Tage und sagt: das Gebot, das ist einfach das Gesetz der Gesellschaft. Bar Mitzwa, das bedeutet, der Mensch wird ein verantwortliches Mitglied der Gesellschaft und nimmt das Gesetz der Gesellschaft auf sich. Von da an ist es seine höchste Pflicht, dem Gesetz der Gesellschaft Folge zu leisten. Aber auch hier ist die Wahrheit, dass durch diese einmalige Entscheidung der Mensch sich seiner Verpflichtung zu jeder weiteren Entscheidung entledigt; jedoch ist es hier nicht wie bei der Tradition, die erklärt, immer wieder dasselbe zu wählen, dass du schon gewählt und entschieden hast, sondern die G e s e l l s c h a f t bestimmt in konkreter Weise von Mal zu Mal, was tatsächlich im gegebenen Augenblick damit gemeint ist, was du bei der ersten Wahl gewählt und entschieden hast. Das bedeutet, dass du mit dieser Entscheidung in Wahrheit nur eines entschieden hast: der, der von jetzt an bis in alle Zukunft für dich entscheiden wird – das ist die Gesellschaft. Aber wer ist denn in einem gegebenen Fall ganz konkret die Gesellschaft? Zwar hast du dich entschieden, immer das zu tun, was der Gesellschaft Heil bringt; aber wer entscheidet darüber, was im gegebenen Augenblick der Gesellschaft Heil bringt? Sicherlich könnt ihr darauf antworten: die Repräsentanten der Gesellschaft sollen entscheiden, ihre Führer. Aber woher haben wir die Sicherheit, woher wissen wir, dass sie fähige und geeignete Repräsentanten sind, ihrer Bestimmung nach Führer, die erstens wirklich wissen, was der Gesellschaft Rettung bringt und was nicht, und zweitens, sagen sie es auch getreu, was sie wissen und was nicht. Versucht doch mal, euch zum Beispiel in die Lage der jungen Menschen in Deutschland zu versetzen, denen die

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derzeitigen Führer und Repräsentanten des deutschen Volkes sagen, dass dieses und jenes der Gesellschaft nun Heil bringt, dass die Gesellschaft es selbst ist, die sich durch ihre Führer und Vertreter ausdrückt. Was bleibt da den Jugendlichen anderes übrig, als zuzuhören und zu gehorchen, ohne genaue Prüfung, als Folge dieses Gebots, das sie einst in diesem einmaligen Entschluss auf sich genommen haben. Oder gibt es doch ein Recht, das einem erlaubt oder einen verpflichtet, nachzufragen, ob das wirklich der Gesellschaft Heil bringt, ob das das echte Gebot ist? Und gibt es eine Wahrheit, nach der man dieses Gebot prüfen muss, ob es Wahrheit oder Lüge ist? Zumeist ist es schwer, sehr schwer, bis zu diesen Bereich vorzustoßen, diese Wahrheit zu erkennen; aber der Schlüssel zu diesem Tor, das zu ihr führt, liegt tief verborgen in jedem menschlichen Herzen: das, was wir mit Gewissen bezeichnen, ist dieser Schlüssel. Das Gewissen selbst ist noch nicht der Bereich der Wahrheit selbst; auch wessen Gewissen ganz wach ist, muss sich zumeist noch sehr mühen, bis er die Wahrheit findet, die Wahrheit seines Gebots, aber den Schlüssel hält er in seinen Händen. Das echt Gebotene unseres Gebots ist erhabener als wir zu verstehen vermögen; aber das, was uns diese Stunde und diese Lage gebietet, das steht unserem willentlichen Suchen offen. Bar Mitzwa sein bedeutet, diesen Schlüssel zu erlangen. Wer das Gebot freiwillig auf sich nimmt, entscheidet sich in seinem Innern, jedes Mal sich dieses Schlüssels zu bedienen, um nach der Wahrheit seines Gebots zu suchen und dem Gebot nahezukommen.

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Als vor vierzig Jahren ein Kreis junger Menschen, dem ich angehörte, die Judenheit der deutschsprachigen Länder auf die Idee einer Wiedergeburt des jüdischen Volkes und des jüdischen Menschen hinzuweisen begannen, bezeichneten wir das Ziel unserer Bestrebungen als eine jüdische Renaissance. Es war kein Zufall, daß wir einen geschichtlichen Begriff wählten, der kein rein nationaler war. Gewiß schwebte der italienischen Renaissance schon in ihrer Frühzeit ein Bild der Erneuerung des Populus Romanus, der Regeneration Italiens vor, aber darin barg sich, wie uns damals schon mein Lehrer Dilthey, etwa zehn Jahre später mit besonderer Deutlichkeit der unseren Bestrebungen mit warmer Sympathie zugewandte bedeutende Germanist Konrad Burdach gezeigt hat, der Gedanke einer Bejahung des Menschen und der menschlichen Gemeinschaft, die phönixartige Wiedergeburt des Menschenwesens. Dies empfanden wir, und ich habe es in meinem ersten Aufsatz über den Gegenstand zum Ausdruck gebracht. Aber der tiefste Gehalt jenes von uns geprägten Terminus, die grundsätzlichen und sprachlichen Forderungen, die sich aus seiner Wahl ergeben, all dies hat sich uns erst allmählich in diesen vier Jahrzehnten, in einer aus unserer Arbeit selber aufsteigenden Erkenntnis erschlossen. Diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, daß ich, als ein mir befreundeter Kreis im Jahre 1913 das Programm einer in Deutschland zu begründenden freien jüdischen Mittelschule beriet, deren Begründung dann der Weltkrieg verhindert hat, als den Geist, von dem das Lehrprogramm geleitet sein mußte, einen hebräischen Humanismus bezeichnete. Und als ich 1929 in einer Rede auf dem Zionistenkongreß in einen Begriff zusammenfassen wollte, was ich in unserem palästinensischen Erziehungssystem vermißte, habe ich das, was uns not tut, wieder einen hebräischen Humanismus genannt. Damit man aber darunter nicht etwa bloß das verstehe, was man ein humanistisches Gymnasium zu nennen pflegt, nur eben eines, in dem Latein und Griechisch durch Hebräisch ersetzt sind, habe ich hinzugefügt: »im realsten Sinn«. Mit diesen Worten sollte zugleich ausgedrückt werden, daß die Sache, die ich meinte, nicht eine pädagogische allein war, sondern das Pädagogische 1.

Rede in Jerusalem (ebenso wie die im Märzheft der »Neuen Wege« abgedruckte hebräisch gesprochen) zur Eröffnung hebräischer Bildungskurse durch die Organisation der Juden aus Deutschland und Oesterreich.

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daran ergab sich aus dem wahren Ziel der Wiedergeburtsbewegung des jüdischen Volkes, wie ich es indessen mit größerer Klarheit erkannt hatte. Ich wollte dieses Ziel in seinem Wesen deutlich machen, wenn ich statt »Renaissance« »Humanismus« sagte, und ebenso wenn ich statt »jüdisch« »hebräisch« sagte. Als Adolf Hitler die Herrschaft in Deutschland antrat, und die Aufgabe vor mir stand, unsere Jugend im Geiste auszurüsten, seinem Ungeist standzuhalten, habe ich meinem programmatischen Vortrag den Namen »Biblischer Humanismus« gegeben, um die eine Hälfte jenes Begriffes noch mehr zu verdeutlichen. Damit war gesagt, daß innerhalb dieser Aufgabe der Bibel als der großen Urkunde unserer Antike jene entscheidende Funktion zukam, die im europäischen Humanismus dem Schrifttum der klassischen Antike zugewiesen wurde. Heute, wo wir Juden aus Deutschland, die unseren Beitrag zur erzieherischen Arbeit an einem der Erneuerung entgegenwachsenden Volk in Palästina leisten wollen, vorweg zu sagen haben, was wir als diese Erneuerung in unserer Schau tragen, möchte ich die zweite Hälfte des Begriffs verdeutlichen und sage daher nicht »Humanismus«, sondern Humanität, humanitas, hebräische humanitas. Das Beiwort »hebräisch« muß das Mißverständnis verhindern, als hätte ich irgendeine vage, allgemeine Menschlichkeit im Sinn. Humanitas meine ich eben als den Gehalt eines echten Humanismus. Es soll damit gesagt sein, daß wir nicht bloß eine geistige Bewegung anstreben, sondern eine große Wirklichkeit des Lebens. Fragen wir danach, worin jener Begriff der Humanitas, auf dem der des Humanismus fußt, seinen Ursprung hat, so finden wir, daß es zu allererst ein Glaube an den Menschen ist, der Glaube also, daß der Mensch als solcher nicht eine zoologische Gattung, sondern ein Wesen für sich, ein Geist für sich ist, dies aber eben nur dann, wenn er wirklich Mensch ist, d. h. wenn er dieses eigentümliche, sonst nirgends im Kosmos auffindbare Element in seinem Dasein realisiert. »Wenn du ein Mensch wärst«, wird eine Person in der römischen Komödie angeredet, und noch nachdrücklicher heißt es in der griechischen: »Welch holdes Wesen ist doch der Mensch, wenn er nur Mensch wäre!« Es gibt also innerhalb des Menschengeschlechts im biologischen Sinn viele, die im Sinn jenes höheren und entscheidend wahren Begriffs Unmenschen sind, wiewohl auch ihnen die Humanitas nicht verschlossen ist. Aber für die, die in Wahrheit Menschen genannt werden dürfen, gibt es immer wieder die Gefahr des Ausgleitens ins Unmenschliche. So ist uns ein charakteristisches Wort des jüngeren Scipio überliefert: wie man nach beendigtem Feldzuge sein Pferd wieder dem Trainer übergebe, so müsse man sich selber nach jedem politischen Erfolge wieder in die Zucht des Philoso-

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phen geben, um den Zusammenhang mit der Humanitas nicht zu verlieren. Wie nun aber, wenn nicht bloß im einzelnen, sondern in einem ganzen Zeitalter oder Weltalter das Menschliche zu verblassen, ja sich zu zersetzen droht? Man wendet sich dahin um Hilfe, wo es, wenn auch tausendfach zum Kampf gegen das Unmenschliche genötigt, rein und stark da war, vorausgesetzt, daß jene Existenz sich geäußert und so überliefert hat. Dies scheint mir eine wichtige Triebfeder des frühen europäischen Humanismus zu sein. Freilich, ein Zweites kommt dazu: Die persönlichen Erscheinungen eines neuen, freieren Menschentums, die man dennoch in dem eigenen Zeitalter wahrnimmt, bringt man mit jenem aus der Antike überlieferten Menschentum zusammen, als seine existenzielle Erneuerung. Erst beides zusammen, das Vorbild im alten Schrifttum und das Vorbild im neuen Leben, gibt die Kraft zum Ringen gegen den drohenden Untergang des Menschlichen. Und jene persönlichen Erscheinungen werden dabei nicht als ein Neues, sondern als eine Erneuerung jenes Alten, als lebendige Bekundung seiner Ewigkeit verstanden, wiewohl offenkundig ist, daß hier aus anderen Bedingungen andere Gestalt erwachsen ist. Man darf bei dieser Betrachtung einiger Wurzeln des Humanismus selbstverständlich nicht aus dem Auge verlieren, daß jene Ueberlieferung des antiken Menschenbildes eine sprachliche in einem besonderen Sinne war. Das heißt: es waren nicht etwa bloß Nachrichten über das Menschenideal der Antike, nicht etwa bloß Darstellungen seiner bewahrt, sondern Menschen, die diesem Ideal zustrebten, hatten in der Art, wie sie sich äußerten, etwas von dem Wesen dieses Menschentums bewahrt, und indem man ihre Aeußerungen in rechter Weise, mit dem rechten Verstehen in sich aufnahm, gewann man einen unmittelbaren Zugang zu jenem vorbildlichen Menschentum, als er durch Nachrichten und Darstellungen zu erreichen ist. Damit meine ich keineswegs Aussagen jener Menschen über sich selber. Der große Mensch, der sich äußert, braucht uns nicht Mitteilungen über sein Wesen zu machen, um es uns zu erschließen: dafür sorgt die Sprache, was immer uns in ihr mitgeteilt wird, die Sprache selber ist die Aeußerung und der Zugang. Ja, die Sprache selber, die Besonderheit von Wortbildung, Satzgefüge, rhythmischem Fluß der Laute wird von jenem Menschenbild geprägt. Durch die Sprache dringt der Humanismus zu jenem Menschenbild vor, und er faßt es als Vorbild. Das bedeutet: Die literarische Ueberlieferung ist für das echte humanistische Verständnis in erster Reihe nicht ein Gegenstand ästhetischer Bewunderung oder kulturgeschichtlicher Belehrung oder auch patriotischen Stolzes, wiewohl sie all dies und noch manches andere auch ist: sie ist für dieses Verständnis vor allem im genauesten Sinne maß-

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gebend, normativ, denn sie lehrt zwischen dem Menschlichen und dem Unmenschlichen scheiden, sie bezeugt den Menschen und sie zeigt ihn. Ein Letztes bleibt noch an dem humanistischen Verhältnis zum antiken Menschenbild zu erörtern. Es ist zwar eine spezifisch moderne Frage, die sich hier stellt, aber eine notwendige. Wir fragen: Kann denn ein Menschenbild noch gültig sein, das aus historisch ganz anderen Lebensbedingungen erwachsen ist? Kann es zur Verwirklichung des Menschlichen in einem so wesentlich verschiedenen Zeitalter helfen? Kann es wirklich normativ sein? Die Antwort ist: Ja, wenn man zwischen dem zeitlich Bedingten an ihm und dem Ueberzeitlichen und daher für alle Zeiten Gültigen zu scheiden weiß. Der echte Humanismus hat somit der sprachlichen Ueberlieferung des antiken Menschenbildes gegenüber eine Doppelaufgabe: eine rezeptive und eine kritische; keine Hälfte hat ohne die andere Sinn und Bestand. Hebräischer Humanismus bedeutet also: erstens, Zurückgreifen auf die sprachliche Ueberlieferung unserer klassischen Antike, auf die hebräische Bibel; zweitens, Aufnahme der Bibel nicht um ihres literarischen, geschichtlichen und nationalen Wertes willen, wie wichtig auch all dies im übrigen ist, sondern um des normativen Wertes des biblischen Menschenbildes willen; drittens, damit die Aufnahme dieser ihrer Absicht entspreche: Scheidung zwischen dem zeitlich Bedingten und dem Ueberzeitlichen; viertens aber: Aufrichtung des so gewonnenen Menschenbildes als maßgebend über dem gegenwärtigen Leben mit seinen besonderen Bedingungen, Aufgaben und Möglichkeiten, von deren Besonderheiten allein aus das von jenem Empfangene verwirklicht werden kann.

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2. Konrad Burdach hat in seiner Abhandlung über den Ursprung des Humanismus zu dessen Verständnis mit Recht auf einen Spruch aus Dantes »Gastmahl« hingewiesen: »Eines jeden Dinges höchstes Verlangen, das ihm von Anbeginn die Natur eingepflanzt hat, ist es, zu seinem Urgrund zurückzukehren.« Demgemäß sieht Burdach das Ziel des Humanismus in der »Rückkehr zum menschlichen Urgrund, und zwar nicht in spekulativem Denken, sondern in einer konkreten Umgestaltung des gesamten inneren Lebens«. Rückkehr zum Urgrund unseres Wesens, und zwar in einer konkreten Umgestaltung unseres Lebens, das war auch der innerste Antrieb der zionistischen Bewegung. Rückkehr konnte und kann hier selbstverständlich ebensowenig wie dort bedeuten: Wiederherstel-

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lung vergangener Lebensformen – solch ein romantisches Ideal ist unserem Humanismus fremd, wie es jenem fremd gewesen ist –, sondern sie bedeutet: Ausformung jenes Urgrundes, zu dem wir zurückkehren wollen, im Stoff einer von Grund aus veränderten Menschenwelt, unter den Bedingungen, in die unsere Volksexistenz heute gestellt ist, im Hinblick auf die Aufgaben, die unsere gegenwärtige Situation uns stellt, im Einvernehmen mit den Möglichkeiten, die uns heute und hier gegeben sind. In diesem Punkte ist wohl von einer Gemeinsamkeit zwischen dem Wesen des europäischen Humanismus und dem eines hebräischen zu reden erlaubt. In einem anderen aber müssen wir über jenes Ziel hinausgreifen. Eine konkrete Umgestaltung des gesamten inneren Lebens kann uns noch nicht Genüge tun: Was wir anstreben müssen, darf nicht weniger sein als eine konkrete Umgestaltung unseres gesamten Lebens überhaupt, und zwar so, daß das sich umgestaltende innere Leben sich in der Umgestaltung des äußeren Lebens äußert und darstellt, des Lebens der Person und des Lebens der Gemeinschaft, freilich aber auch umgekehrt so, daß die Veränderung der äußeren Einrichtung des Lebens immer wieder auf das innere erneuernd zurückwirkt. Die Wichtigkeit einer solchen gegenseitigen Einwirkung ist von der zionistischen Theorie noch nicht genügend erkannt worden. Man hat vielfach die Macht der äußeren Umgestaltung überschätzt; selbstverständlich kann es aber nicht darum gehen, dem einfach den Glauben an die Macht des Geistes entgegenzusetzen. Nur wer sich dem Geist und der Erde gemeinsam anvertraut, ist mit der Ewigkeit im Bunde. Aber es kommt darauf an, daß die Umgestaltung des Lebens von der Rückkehr zum Urgrund unseres Wesens ausgehe. Diese Grundwahrheit hat der Zionismus in seiner herrschenden Form sich nicht zu eigen gemacht. Wohl ist es jedem erkenntnisfähigen Zionisten bewußt, daß das jüdische Wesen vielfach verzerrt, ja verrenkt ist und daß das neue Leben in unserem Lande, die Wiederverbindung mit dem Boden und der Arbeit, es zurechtfügen, es heilen soll. Was aber sehr vielen nicht bewußt wird, ist, daß die durch die erneuerte Erdverbundenheit ausgelösten Kräfte allein nicht ausreichen, um jene wahre Umgestaltung zu bewirken. Zu ihr muß sich eine geistige Macht, eben jene Rückkehr zum Urgrund, gesellen. Es gibt keine andere geistige Macht, die dies vollbringen kann, als der Urgeist Israels, den Geist, der unser Wesen geschaffen hat und vor dem wir uns immer neu zu verantworten haben, wie weit unser Wesen unserem Schicksal standgehalten hat. Dieser Geist ist nicht verschollen, der Zugang zu ihm ist noch immer offen, die Begegnung mit ihm noch immer gewährt, das Buch liegt noch vor uns, und die Stimme redet aus ihm wie am ersten Tag. Wir dürfen ihr nur nicht vorschreiben, was sie

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uns zu sagen hat und was nicht. Wenn wir ihr vorschreiben, sie müsse sich damit begnügen, uns über unsere literarischen Großtaten, über unsere herrliche Geschichte, über unser stolzes Volkstum zu belehren, bringen wir sie zum Schweigen. Denn all das ist es nicht, was sie uns zu sagen hat. Was sie uns zu sagen hat, und was an keiner anderen Stelle der Welt mit solch einer schlichten Gewalt zu erfahren ist, das ist: daß es Wahrheit und Lüge gibt und daß Sinn und Bestand menschlichen Seins darin liegen, sich für die Wahrheit und gegen die Lüge zu entscheiden; daß es Recht und Unrecht gibt und daß das Heil des Menschen daran hängt, daß er das Rechte erwähle und das Unrechte verwerfe; und daß es Zerstörung unseres Wesens bedeutet, wenn wir zwischen Bezirken des Daseins unterscheiden, in denen der Gegensatz von Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht gilt, und Bezirken des Daseins, in denen er nicht gilt, so daß man etwa im privaten Leben die Wahrheit zu sagen verpflichtet wäre, aber im öffentlichen auch lügen dürfte, daß man in den Beziehungen von Mensch zu Mensch Gerechtigkeit zu üben hätte, aber in den Beziehungen von Volk zu Volk Ungerechtigkeit erlaubt, ja geboten wäre. Die Humanitas, die heute wie von je aus diesem Buche spricht, ist die Einheit des menschlichen Daseins unter der einen göttlichen Weisung, die, wie das schöpferische Wort zwischen Licht und Finsternis, so zwischen Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht mit Unbedingtheit scheidet. Wohl, wir sind nicht imstande, das vollkommene Recht in unser Leben zu übertragen; und gerade in den Entscheidungen der Gemeinschaft sind wir immer wieder genötigt, um ihrer Erhaltung willen ein Unrecht auf uns zu nehmen. Aber worauf es ankommt ist, daß wir jeweils in der Stunde der Entscheidung mit dem Aufgebot der höchsten Verantwortung, mit der Kraft des Gewissens erkennen, wieviel zur Bewahrung der Gemeinschaft gefordert ist, und daß wir dies auf uns nehmen, und nicht mehr als dies, daß wir nicht die Forderung des Machtwillens als Forderung des Lebens ausdeuten; daß wir nicht grundsätzlich einen Bezirk aussparen, in dem Gottes Gebot nicht gilt, sondern es als Not und Leid und schmerzlichstes Opfer fassen, wenn uns die Stunde aufzwingt, gegen sein Gebot zu handeln; daß wir uns für die Entscheidungen des öffentlichen Lebens kein gutes Gewissen zubereiten oder zubereiten lassen, sondern in Furcht und Zittern mit dem Schicksal ringen, daß es uns nicht mehr Schuld aufzwinge, als not tut. Dieses Zittern der Magnetnadel, die dennoch fest in einer Richtung weist, das ist die biblische Humanitas. Die biblischen Menschen sind Sünder wie wir, aber eine Sünde begehen sie nicht, unsere Erzsünde: sie unterfangen sich nicht, Gott in den abgezirkten Raum einer Abteilung des Daseins, in die »Religion« einzusperren, sie erdreisten sich nicht, Gottes Geheiß eine Grenze zu

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ziehen und ihm zu sagen: »Bis hierher bist du zuständig, hier aber beginnt die Zuständigkeit der Wissenschaft oder der Gesellschaft oder des Staates«; wenn sie einer anderen Macht Folge zu leisten genötigt sind, tun sie es, indem sie mit allen Nerven die Last tragen und ertragen, die ihnen auferlegt ist; sie machen sich das Herz nicht leicht und werfen den Kopf nicht zurück. Der von unserem hebräischen, biblischen Humanismus erzogene Mensch geht in der Stunde der höchsten Verantwortung, so weit, als er gehen muß, und nicht um ein Haar weiter; er widersteht der patriotischen Phrase, die den Abstand zwischen der Forderung des Lebens und der Forderung des Machtwillens vernebelt; er widersteht den Einflüsterungen der falschen Volkstümlichkeit, die das Gegenteil des echten Dienstes am Volke ist. Er läßt sich den großen Schwindel des modernen Nationalegoismus, was meinem Volke nützlich ist, sei wahr und sei recht, nicht aufschwatzen; er weiß, es gibt etwas, eine Vorentscheidung über Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht, die der Volksexistenz gegenübersteht; er weiß, letzten Endes kann meinem Volk gar nichts anderes nützen, als was von jener Vorentscheidung aus wahr und recht ist; wenn er aber in der Stunde der Not nicht dieser Erkenntnis »letzten Endes«, sondern dem Hilferuf des bedrohten Lebens Folge leisten muß, sündigt er wie die biblischen Menschen und wirft sich wie sie vor seinem Richter nieder. Das heißt zum Urgrund unseres Wesens zurückkehren. 3.

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Ich stelle den hebräischen Humanismus demjenigen jüdischen Nationalismus gegenüber und entgegen, für den Israel ein Volk wie alle Völker ist und keine andere Aufgabe hat, als sich selber zu erhalten und sich selber zu behaupten –, welch letzteres, nebenbei gesagt, auch auf kein anderes Volk zutrifft, denn ebenso wie ein Mensch, der nichts anderes wollte, als sich zu erhalten und sich zu behaupten, keinen Sinn und kein Recht des Daseins hätte, so wäre auch ein Volk, das nichts anderes wollte, wert, daß es zugrundegehe. Damit, daß ich den hebräischen Humanismus dem Nationalismus einer leeren Selbstbehauptung entgegenstelle, will ich sagen, daß es an der zionistischen Bewegung in dieser Stunde ist, sich zu entscheiden, ob sie national-egoistisch oder national-humanistisch sein will. Wenn sie sich für den Nationalegoismus entscheidet, wird auch sie das Schicksal ereilen, das morgen allen leeren, d. h. seinem Volk keine echte übernationale Aufgabe stellenden Nationalismus ereilen wird. Wenn sie sich für

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den hebräischen Humanismus entscheidet, wird sie auch dann, wenn die leeren Nationalismen ihren Sinn und ihr Recht verloren haben werden, stark und wirksam bleiben, weil sie der Menschheit etwas zu sagen und zu bringen haben wird. Israel ist nicht ein Volk wie andere Völker, so sehr sich das auch in einzelnen Generationen seine Vertreter gewünscht haben. Israel ist ein Volk wie kein anderes, denn es ist das einzige Volk in der Welt, das von seinem Anbeginn zugleich Nation und Glaubensgemeinschaft ist. In der historischen Stunde, in der es aus Stämmen zum Volk zusammenwuchs, erwuchs es zum Träger einer Offenbarung. Der Bund, den die Stämme miteinander schlossen und durch den sie zu »Israel« wurden, hat die Form eines gemeinsamen Bundes mit dem Gott »Israels«. Die große Urkunde unseres urzeitlichen Heldentums, das Deboralied, spricht die tiefste Wirklichkeit aus, wenn es in den Endworten seiner Verse immer wieder, refrainartig, den Namen dieses Gottes mit dem Namen Israels abwechseln läßt. Und wenn das Volk dann nach einer Dynastie verlangt, um wie alle »Gojim« 1 zu werden, so läßt die Schrift den Mann, der eine Generation später wirklich die Dynastie begründet, die Worte sprechen, die klingen, als wären sie da, um jenes Verlangen wieder gutzumachen: »Wer ist wie dein Volk Israel, ein einziger Goj auf Erden!«, und in diesen Worten, gleichviel, aus welcher Zeit sie stammen, äußert sich dieselbe tiefe Wirklichkeit wie in jenen frühen. Sie, die elementare Einheit von Volk und Glaubensgemeinschaft in Israel, ist es, die es in einem Exil, dessengleichen wieder keine andere Nation kennt, einem Exil, das viel länger gewährt hat als die Zeit der Selbständigkeit, am Leben erhielt. Wer dieses Band zerreißt, zerreißt das Leben Israels. Man wehrt sich gegen diese Erkenntnis, indem man von einer »theologischen Auffassung« spricht, um sie damit zu einer für das Volk belanglosen Privatangelegenheit der an einer so unfruchtbaren Sache wie die Theologie Interessierten zu erniedrigen. Das ist nichts als ein polemischer Kunstgriff. In Wahrheit geht es hier um eine fundamentale geschichtliche Erkenntnis, ohne die die geschichtliche Tatsache Israel nicht zu verstehen ist. Man hat diese angeblich »theologische Auffassung« in Gegensatz zu einer »religiösen Auffassung« zu setzen versucht und behauptet, sie habe mit dem Judentum einer Reihe erlauchter Männer, als deren spätester Rabbi Akiba 2 und als deren frühester kein anderer als 1. 2.

Das heißt Völker im biologischen Sinn, zu denen selbstverständlich auch Israel gehört. Einer der früheren Meister des Talmuds (lebte etwa von 55 bis 137 n. Chr. und starb als Märtyrer). Die Richtung des jüdischen Nationalismus, die ich hier im Sinn habe, nimmt ihn für sich in Anspruch, weil er in Bar-Kochba, dem Führer des Aufstandes

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Mose genannt wird, nichts zu tun. In Wirklichkeit kann man einen geschichtlichen Mose, der die Einzigkeit Israels nicht kennt, ebensowenig konstruieren wie einen geschichtlichen Akiba, der sie nicht kennt. Man reiße aus dem Mund Akibas das Wort von der »besonderen Liebe«, die Gott Israel entgegenbringt, und man reißt ihm das Herz aus dem Leibe. Man versuche, im Bericht vom Kommen Israels in die Wüste Sinai die Botschaft »Ihr werdet mir ein Sondergut aus allen Völkern sein« zu streichen: der ganze Bericht zerfällt! Ich weiß nicht, von was für einer bibelkritischen Hypothese solche Behauptungen wie die über Mose ausgehen, wenn sie überhaupt eine Grundlage haben: auf die lebendige Schrift sind sie auf keinen Fall gegründet. Es gibt noch einen beliebten Weg, der Tatsache der Einzigkeit Israels auszuweichen. Man sagt, jedes große Volk halte sich eben für auserwählt, das heißt man macht das Bewußtsein der Besonderheit zu einer Funktion des allgemeinen Nationalismus. Halten nicht auch die Nationalsozialisten das deutsche Volk für das von der Vorsehung zur Beherrschung der Welt ausersehene? Demnach wäre es so, daß wir gerade durch unser »Du hast uns erwählt« bewiesen, wir seien wie andere Völker sind. Aber solchen leichtherzigen Argumenten, die sich unterfangen, das Wort »Es wird zu euch gesprochen werden: ›Söhne des lebendigen Gottes‹ !« (Hosea 2, 1) auf eine Ebene zu setzen mit dem Wort »Am deutschen Wesen wird die Welt genesen«, steht jene fundamentale geschichtliche Erkenntnis gegenüber. Nicht darum geht es, ob wir uns als erwählt empfinden oder nicht, sondern darum, daß unsere geschichtliche Existenz faktisch einzig ist. Jedoch daran ist es nicht genug. Auch unsere Erwählungslehre ist ihrem Wesen nach etwas ganz anderes als die Erwählungslehren der Völker, ob sie auch vielfach von ihr abhängig sind: was sie von ihr übernommen haben, ist nie das Wesentliche gewesen. Das Wesentliche, das, was sie von ihnen allen scheidet, ist, daß diese Erwählung ganz und gar eine fordernde Erwählung ist. Hier haben nicht die Wunschträume eines Volkes mythische Gestalt angenommen, hier wird nicht einem Volke Größe und Macht bedingungslos verheißen; hier wird von ihm Hartes hart gefordert, seine ganze künftige Existenz wird davon abhängig gemacht, ob es die Forderung erfüllt. Hier spricht nicht ein Gott, den sich das Volk in seinem Ebenbilde geschaffen hat, nicht einer, der als dessen Sublimierung aus ihm aufsteigt: er tritt ihm gegenüber und er tritt ihm entgegen, er fordert und er richtet. Und solches tut er nicht erst in späterer prophetischer Entwicklung, sondern gegen Rom (132-135), den Messias gesehen habe. Aber auch dieser Irrtum hing mit Akibas Glauben an die große Glaubensaufgabe Israels eng zusammen.

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von Urzeit an; das wird keine bibelkritische Hypothese auszulöschen vermögen. Was er fordert, nennt er »Wahrheit« und »Gerechtigkeit«. Er fordert sie nicht für einzelne Bezirke des Lebens, sondern für das ganze Dasein des Menschen, für das ganze Dasein des Volkes. Er will, daß der Mensch, daß das Volk »ganz mit ihm sei« (Deuteronomium 18, 13). Israel wird erwählt, um dem biologischen Gesetz der Macht, das die Völker in ihren Wunschträumen verklären, in die Sphäre der Wahrheit und Gerechtigkeit zu entwachsen. Gott will, daß der Mensch, den er erschaffen hat, wahrhaft Mensch werde, und zwar nicht bloß in einzelnen Erscheinungen, wie bei allen Völkern, sondern in der Lebensordnung eines Volkes, das damit, den anderen vorangehend, die Lebensordnung einer künftigen Menschheit, eines Volkes aus Völkern, entwirft. Israel ist erwählt, ein wahres Menschenvolk, und das heißt: ein Volk Gottes zu werden. Der biblische Mensch ist der Mensch, der im Angesicht dieser Erwählung und dieser Forderung steht. Er nimmt sie an oder er lehnt sie ab, er tut ihnen Genüge, so gut er kann, oder er lehnt sich gegen sie auf, er vergeht sich gegen sie und kehrt um, er wehrt sich gegen sie und ergibt sich, aber eins tut er nicht: er tut nicht, als ob sie nicht da wären oder als ob der Anspruch begrenzt wäre. Und der klassische biblische Mensch nimmt die Forderung der Gerechtigkeit so in sein Fleisch und Blut auf, daß er es wagen kann, von Abraham bis Hiob, sie Gott selber entgegenzuhalten. Gott aber, der weiß, daß die Wege seiner Gerechtigkeit dem Menschengeiste unerfaßlich sind, hat Freude an dem Menschen, der so mit ihm rechtet, weil er die Forderung seiner Gerechtigkeit in Fleisch und Blut aufgenommen hat; er nennt Hiob seinen Knecht und Abraham seinen Geliebten. Beide hat er versucht, beide haben mit ihm gerechtet, beide haben die Versuchung bestanden. Das ist hebräische Humanität. Unserer Zeit war es vorbehalten, die zwei von der Urzeit an Verschmolzenen, das jüdische Volk und die jüdische Glaubensgemeinschaft, von einander zu lösen und jede für sich, eine Nation wie die anderen und eine Religion wie die anderen, selbständig zu etablieren. Die Nation hat dank dem einzigartigen palästinensischen Werk einen Aufschwung genommen, die Religion ist in einem tiefen Niedergang befangen, in dem sie aus einer das ganze Leben bestimmenden Macht ein Sonderbezirk von Zeremonien oder von Predigten geworden ist; aber nicht bloß eine jüdische Glaubensgemeinschaft, sondern auch ein jüdisches Volk wird sich für sich nicht erhalten können. Es gibt kein Heil für uns, wenn wir nicht wieder zu Israel, das heißt zu einem Einzigen, zu der einzigen Einheit von Volk und Glaubensgemeinschaft werden: erneuertes Volk, erneuerter Glauben, erneuerte Einheit beider.

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Die geläufige zionistische Denkweise meint, es tue nichts not, als die Bedingungen eines normalen Volkslebens herzustellen, alles Weitere werde sich von selber ergeben. Das ist ein fataler Irrtum. Selbstverständlich brauchen wir die Bedingungen eines natürlichen Volkslebens, aber sie genügen nicht, für uns genügen sie nicht. Wir können nicht an die Stelle jener ewigen Voraussetzung unserer Dauer die »Normalität« setzen. Wenn wir nur normal sein wollen, werden wir bald nicht mehr sein. Die großen Werte, die wir geschaffen haben, sind aus der Ehe von Volk und Glauben hervorgegangen. Wir können nicht an die Stelle dieser Ehe eine technische Assoziation von Nation und Religion setzen, ohne daß sich eine Unfruchtbarkeit daraus ergibt. Jenseits der Einheit und Einzigkeit Israels gibt es keine Wiedergeburt seiner Werte. Man wird sagen, es handle sich hier nur um Probleme des Geistes und der Kultur, nicht aber um Probleme des unmittelbaren Lebens, nicht um Probleme der gegenwärtigen Stunde. Nein, so verhält es sich nicht. Vergessen wir nicht, daß wir in die Reihe der Völker eigenen Bodens und eigenen Rechts erst einzutreten uns bestreben. Morgen werden viele kleine Nationen gewogen und zu leicht befunden werden. Das wird gewiß nicht einer widerfahren, die einer ringenden Menschheit eine große Botschaft bringt, und zwar nicht mit dem Wort allein, sondern mit dem eigenen Leben, das das Wort verwirklicht und die Verwirklichung zeigt. Auf den Besitz des Buches werden wir freilich nicht pochen können, wenn wir an seiner Forderung der Gerechtigkeit Verrat geübt haben. Die geläufige zionistische Denkweise erinnert mich oft an das bekannte Wort Bismarcks, man brauche das deutsche Volk nur in den Sattel zu setzen, dann werde es schon reiten. Nun wohl, es reitet, aber in den Abgrund. Wenn ich mir unsere nationalen Rufer ansehe, wie sie hoch zu Roß einhertraben, muß ich mich fragen: Wissen sie ihren Weg von dem zu unterscheiden, der geradeaus in die Unterwelt der Geschichte führt? Es ist an der zionistischen Bewegung, in dieser Stunde sich zu entscheiden. Ihre Entscheidung wird vielleicht in hohem Maße an der Entscheidung unseres Schicksals mitwirken. Wer wird von unserer Seite erscheinen, wenn morgen die echten Vertreter der Völker aufgerufen werden? Was wird er sagen? Auf welche Wirklichkeit wird er sich berufen? Wir Juden aus Deutschland wollen unseren Beitrag zur hebräischen Bildungsarbeit des Landes leisten. Wir können den uns unserer ganzen Tradition nach zukommenden nur leisten, wenn wir ihn im Zeichen des hebräischen Humanismus leisten. Wir müssen erkennen und aussprechen: Wohl muß die hebräische Sprache die ganze Welt, muß die ganze Profanität in sich aufnehmen und verarbeiten; aber gerade darin, in der

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Art, wie sie all dies aufnimmt, und in der Art, wie sie all dies verarbeitet, muss sie sich als das bewähren, was sie ihrem Urwesen nach ist und als was allein sie wahrhaft erlöst werden kann: das Gefäß der Forderung und der Träger der Botschaft.

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Es ist kein bloßer Zufall, dass ursprünglich kein hebräisches Wort existiert, dass dem Begriff »Religio« entspricht und dass bis heute das dafür zugewiesene Fremdwort nicht die entsprechende Bedeutungsfülle entwickelt hat. So ist das Eigenschaftswort »dati« ärmer an gefühlten moralischen Werten als das Wort »religiosus«. Schon seit längerem hat man erkannt, dass wir Juden anstelle von »Religion« nur Geschichte haben. Vielleicht kann man mit Recht präziser sagen, dass aus religiöser Sicht für uns das Paradox des Seins »mit« Gott zentral ist, d. h. nicht eine Beziehung, die in erhabenen Augenblicken Ausdruck findet, nicht das »göttliche« Erleben, sondern gerade unsere Existenz als Existenz mit Gott. Deswegen scheint es mir am besten, unsere Erklärung nicht auf irgendeinen Lehrsatz, sondern auf einen Vers wie z. B. »Ganz sollst mit Ihm deinem Gott du sein« zu gründen. Man kann in diesem vier verschiedene Bestandteile erkennen: 1) Mit der Formulierung »Du sollst« wendet der Vers sich nicht nur an den Einzelnen, sondern an die gesamte Gemeinschaft, die diese besondere Form der Existenz angenommen hat und an zukünftige Generationen weiterreicht, gleichzeitig soll sich jeder als Einzelperson angesprochen fühlen. 2) Die Gottheit, von der im Vers die Rede ist, ist keine imaginäre Gottheit, sondern der Gott, dem sie begegnet sind und der sich ihnen offenbart hat. Seine Eigenschaften entsprechen nicht im Geringsten den göttlichen Eigenschaften, die sie sich ausgesucht hätten, wenn sie die freie Wahl gehabt hätten. Mit äußerster Klarheit drückt sich dies im Buch Hiob aus – ein Buch, das bekanntermaßen im Talmud Mosche Rabbenu zugeschrieben wird. Die Freunde Hiobs reden über einen gewählten Gott, einen erdachten Gott, einen Gott nach ihrer Art; und der echte und nicht-verstehbare Gott, an den sich Hiob mit seiner Anklage wendet und der sich wiederum mit seiner Antwort, die keine Rechtfertigung ist, an Hiob richtet, dieser Gott weist die Freunde Hiobs von sich. 3) Die Existenz, auf die sich der Vers bezieht, ist nichts anderes als die g e s a m t e Existenz der gesamten Gemeinschaft. Diese Existenz ist »ganz«, das bedeutet, dass es in der Gemeinschaft nichts gibt, was ihrem Charakter widerspricht. (Nebenbei gesagt, finden wir hier eine der biblischen Formen der imitatio dei, denn dieser Vers ist parallel zu »der Fels, ein Ganzes sein Wirken«.) Deswegen kann es in dieser Existenz keinen Teil, keinen Bereich geben, der unter der Autorität eines anderen Gesetzes steht, mit anderen Worten unter der Autorität eines Götzen.

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4) Das Wort »im« [mit] ist von entscheidender Bedeutung. Es enthält die ganze Problematik der Thora. Die Thora unterscheidet strikt zwischen einer Existenz, die Gott gefällig ist, und deswegen zur Existenz »mit Ihm« gereicht, und einer Existenz, die Gott nicht entspricht. Ein Vor-sich-hin-leben, das keine Entscheidung kennt, kann nicht das von Gott gewünschte Leben sein – er, der er der Lehrer der Thora ist. Aber hier stellt sich die Frage: Haben wir wirklich eine authentische Liste der von ihm gewünschten Dinge? Ist es uns möglich, uns so wie wir sind, die Summe der Überlieferung, die wir besitzen, mit dem Inhalt der Offenbarung zu identifizieren? Können wir weiterhin wirklich glauben, dass die Existenz mit dem wahren Gott in einer ganz bestimmten Anzahl von unveränderlichen Anordnungen an Handlungen besteht, die man genau so und nicht anders auszuführen hat oder von Handlungen, derer man sich zu enthalten hat. Ich zum Beispiel kann es nicht, und ich fühle mich denen verbunden, denen es wie mir geht. Es ist keine Sache eines mir fehlenden Glaubens, sondern eine Sache meines Glaubens. Der Gott, an den ich glaube, ist ein Gott, von dem ich nicht glauben kann, dass die Existenz mit ihm für alle Generationen festgelegt sei. Er ist kein »individueller« Gott, sondern der, der sagt: »ich werde dasein, als der ich dasein werde«, d. h. er unterwirft sich selbst nicht irgendeiner Offenbarung, die er offenbarte, noch erlaubt er es uns, ihn mit einem Bild zu identifizieren, das wir uns von ihm gemacht haben, auch nicht aufgrund seiner vorangegangenen Taten. Dadurch wird aber nicht die Gesamtheit der großartigen Wirklichkeit der überlieferten Thora abgeschafft. Jeder einzelne muss sich der Konfrontation mit ihr stellen und vorbehaltlos die sich daraus ergebenden inneren Konflikte akzeptieren. Jeder einzelne muss sich Tag für Tag mit den empfangenen Thora-Geboten ernsthaft auseinandersetzen und sich immer wieder fragen: Ist es mir befohlen, dieses zu tun und jenes zu unterlassen? Auch das ist nicht im Geringsten »Individualismus«, sondern der Weg der Prüfung für den einzelnen, der zu einer neuen und aufrichtigen Verbindung führen kann. Auf der Grundlage dieser Thesen begnüge ich mich mit Hinweisen zu verschiedenen Menschentypen in Palästina, die unter religiösen Gesichtspunkten die wichtigsten sind. Das bedeutet, dass ich mich nicht mit dem Menschen befasse, der naiv an den vollen Umfang der schriftlichen und mündlichen Thora glaubt, sondern ich spreche nur auf dem Hintergrund der von mir bezeichneten Problematik. 1) Der erste Typ ist derjenige der Charedim, die die Gebote halten, weil ihnen die Hauptsache die feste Lebensform und die Verbundenheit mit den vorangegangenen Generationen ist. Hier ist die Gefahr, dass leicht das »ganz« verloren geht, obwohl sie es zu ihrem Ziel gemacht ha-

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ben. Wenn es ein besonderes Merkmal dieser Frömmigkeit gibt, so ist es das Gefühl, einen religiösen Besitz zu haben, die Sicherheit des Eigentümers. Dieses Gefühl wird in Palästina noch verdoppelt und vervielfacht. Dieser Standpunkt ist uns aus dem bei Jeremia erwähnten Ausruf bekannt: »des Herrn Tempel ist das«, nur dass hier dieser Standpunkt ohne den Tempel vertreten wird. In dieser mächtigen Methode der detaillierten Gebotserfüllung verliert man allzu leicht die große Thora aus den Augen, die sich nur in wenigen Geboten beispielhaft ausformuliert hat. Ein Teil dieser Gebote sind heute nicht mehr einzuhalten. Und weiter: die objektive Thora hat die persönliche Thora verschluckt, das »ich habe dich immer vor Augen«, das in der gesamten Existenz einzuhalten ist. Anstelle der Erfüllung des göttlichen Willens durch Taten, bezüglich derer man selbst entscheiden muss, begnügt man sich mit der Erfüllung seines Willens in Form von Handlungen, die sozusagen schon vorweg vollendet sind. Das bedeutet, dass das Leben zweigeteilt ist, einerseits in Handlungen, die Gott geweiht sind und zu Bereichen gehört, die durch eine feste Form bestimmt sind, und andererseits in interessengeleitete Handlungen in den übrigen Bezirken (wie Wirtschaft, Gesellschaft und Politik). Ein solches Leben ist sozusagen prinzipiell in Gottesdienst und Götzendienst aufgeteilt. Jemand, der verkündet, dass Gott ein gerechter Gott ist, aber nicht danach strebt, Gerechtigkeit, soweit es ihm möglich ist, in die Welt zu bringen, erkennt an, dass es eine Macht außerhalb Gottes gibt, also zwei Gewalten. Nicht umsonst heißt es: »Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachjagen«, es geht nicht darum, ewig gültige Regeln zu verkünden, sondern aktiv nach Möglichkeiten der Realisation zu suchen, die sich uns darbieten und wieder vergehen. Und weiter: Das Böse ist nicht, das Gebot ohne Kawwana auszuüben, sondern das Böse ist zu vergessen, dass die Kawwana die Hauptsache ist. Der charedische Pragmatismus, die Anschauung, dass die Gebote nicht als Erfüllung des Willen Gottes in Bezug auf mein Leben einzuhalten sind, sondern aus allerlei Gründen, die dem Glauben fremd sind, ist meiner Meinung nach noch gefährlicher als jener Pragmatismus, der als »Wunsch zu glauben« bekannt ist, also der Wunsch nach religiösen Anschauungen, weil sie beispielsweise unter biologischen oder sozialen Gesichtspunkten nützlich seien. Er ist gefährlicher, weil er stärker ist. Ganz anders muss man Rosenzweigs Vorschlag betrachten, man solle mit der Erfüllung der Gebote beginnen, um an sie zu glauben. Es ist zwar möglich etwas versuchsweise zu lernen, aber es ist nicht möglich etwas versuchsweise zu tun, denn die Handlung verpflichtet den Handelnden als ein Ausdruck seiner selbst, und man kann nicht eine Handlung, die ihrem Wesen nach der Ausdruck eines bestimmten

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Glaubens ist, ohne diesen Glauben tun. Manchmal rät man einem Schauspieler, dass er Bewegungen ausführen soll, die ein bestimmtes Gefühl ausdrücken, damit er dieses Gefühl empfindet, aber dieser Vergleich zeigt uns nur, wie weit eine scheinbare Handlung und eine echte Handlung voneinander entfernt sind. 2) Während das Ziel des ersten Menschentyps die Bewahrung ist, ist das des zweiten die Rettung. Sie wollen das Judentum retten, die Idee der Gottheit. Im Gegensatz zum ersten Typ fühlen sie sich nicht »sicher« in Palästina. Zum einen erscheinen ihnen zu Recht die Besitztümer, die man national nennt, nicht als ausreichende Grundlage für die Existenz eines zentralen Judentums in der grausamen Epoche, die jetzt begonnen hat. Und andererseits sehen sie – auch hier wieder zu Recht – in der Annahme traditioneller Lebensformen und in ihrer Bewahrung keine erneuernde Kraft. Und außerdem erkennen sie, dass die Hauptsache die Beziehung zur Gottheit ist, die in Israel erschüttert ist. Aber wenn sie durch diese Erkenntnis gegangen sind, und sie sich ernsthaft einen Gott »suchen«, so ist dieser Gott, auf den sie zustreben, nicht ein solcher, »mit dem man sein« kann. Innerhalb diesen Typs kann man zwei Arten unterscheiden: diejenigen, die ein »religiöses Bedürfnis« haben und die anderen, die kein Bedürfnis nach einer religiösen Welt haben. Schauen wir uns zuerst die zweite Gruppe an. Ich habe Leute im Sinn, die z. B. sagen: »Das jüdische Volk kann ohne Religion nicht existieren«, aber keiner fühlt in seinem Inneren, dass seine persönliche Existenz ohne Bedeutung sei, solange er nicht zu einer Beziehung zu Gott gelangt. Es versteht sich von selbst, dass das vage Bedürfnis nach religiöser Wirklichkeit keine fruchtbare Sache ist. Religiöse Ideen, die nicht aus einem starken G l a u b e n fließen, sind schwächer als die schwächsten philosophischen Ideen. Was die Symbole betrifft, nach denen diese Menschen so sehr streben, zwar muss man wirkmächtige Ersatzsymbole in e i n e m Bereich installieren, nämlich dem politischen, aber sie existieren nur solange wie die sie untermauernde Machtkonzentration existiert; während echte Symbole nicht eingesetzt, sondern in der Mehrzahl der Fälle durch Ereignisse geboren werden, die eine menschliche Gemeinschaft erschüttern, und sie werden nicht als erhabenes Symbol des Geistes geboren, sondern als Ausdruck einer lebendigen Wirklichkeit, die ihrem Wesen nach kein anderes Instrument zu ihrem Ausdruck findet. Sicherlich ist es möglich das Leben eines Volkes mit religiösen Ideen, Symbolen, Texten und Zeremonien auszustatten, aber man kann ihm damit keine neue G r u n d l a g e schaffen. Ich erinnere mich, wie einmal ein junger französischer Arbeiter wegen der Lehre von Sorel zu mir kam, nach der der Generalstreik ein »sozialer

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Mythos« sei, den man aber als solchen wertschätzen müsse; aber der Mann sagte weiter: »Ja, so mag es glücken, aber nur solange die Proletarier nicht die Bücher von Sorel gelernt haben zu verstehen.« Wenden wir uns jetzt jenen zu, denen nicht die Religion das Wesentliche ist, sondern das was der Religion das Wesentliche sein sollte. Ich habe diejenigen im Sinn, die ernsthaft nach einem solchen Gott suchen, an den der moderne Mensch glauben kann. Eines ist ihnen klar, wie es in einem wichtigen Buch formuliert ist, dessen Verfasser in unserer Mitte wirkte und ins Hebräische übersetzt wurde: »Für einen Menschen unserer Generation kann die Religion nicht eine Sache sein, mit der die Beziehung zwischen ihr und dem, was oberhalb der Natur ist, reguliert wird.« Damit wird ausdrücklich das Wort »mit« aus unserem Vers ausradiert, denn im Glauben Israels ist das ganze Leben, wenn wir es wahrhaftig leben, in eine Beziehung zu Gott gestellt, der zwar auch in der Natur zu finden ist, aber seinem Wesen nach ist er ihr übergeordnet: Was in diesem Leben mir geschieht, ist eine Botschaft von meinem Gott, und was ich vollbringe, ist meine Antwort. – Aber gemäß dieser Anschauung darf selbst der Glaube an ein göttliches Wesen nicht vom »modernen Menschen« erwartet werden. Statt nun am modernen Menschen zu zweifeln, der sich schon selber lange anzweifelt, passt man die Gottheit seinem Geist an: man kann in ihm nichts anderes erkennen als, um in der Ausdruckweise des erwähnten Buchs zu bleiben, »eine göttliche Qualität, die der gesamten Wirklichkeit zugeeignet ist« oder sogar als die Summe der »Beziehungen, Neigungen und Wirkkanäle, die in ihrer Gesamtheit den Wert des menschlichen Lebens ausmachen, Wert im existenziellsten und tiefsten Sinn«. Um die religiösen Gefühle zu analysieren, betrachtete die moderne Religionspsychologie bekanntermaßen einzelne Phänomene der Einheit des Göttlichen unter einem qualitativen Gesichtspunkt. Jetzt führt man diese Betrachtungsweise in die Religion selbst ein und die Gottheit wird zu einer Summe von wertvollen Eigenschaften, die in der Welt und im Leben verstreut sind. Um wieviel jüdischer, wie viel mehr mit dem klassischen Judentum ist die Gotteserkenntnis bei Spinoza verbunden, die zwar sicherlich das »mit« entfernt, aber so ernsthaft die Aussage »keiner außer ihm« nimmt, dass sogar meine Liebe zu Gott als die Liebe aufgefasst wird, mit der Gott sich selbst liebt. Und wer kann wirklich eine Gottheit lieben, die ihrem Wesen nach nichts anderes als Qualität sei? Wenn wir die Worte: »Du sollst den Herrn deinen Gott lieben« durch »Du sollst die göttliche Qualität lieben« ersetzen, wäre diese erhabenste Angelegenheit in den Augen eines jeden natürlichen Menschen nur noch lächerlich. – Der Sachverhalt drückt sich noch klarer in einem anderen Satz des zitierten Buchs aus: »Der

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Glaube an Gott bedeutet mit den kreativen Kräften, Tendenzen und Möglichkeiten als organische Einheit zu rechnen und kraft dieser Einheit dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben.« Nein, es kann ja sein, dass eine solche Predigt in den Ohren moderner Menschen eine Sinndeutung für den Glauben an Gott ist, aber in der Wirklichkeit des Lebens wird sie niemals bestehen. Zwar sind auch die »Kräfte der Schöpfung im Leben« Offenbarungen der Schechina, aber in ihre Nähe treten wir gerade dann, wenn wir an das Ende der Weisheit kommen und der Mensch seelenverlassen in seiner tiefen Sorge das nahende Unheil spürt, gerade dann fühlen wir das unverständliche Geschenk liebevoller Zuwendung. Und das ist anscheinend die Situation, der die heutige Menschheit entgegengeht, der sie im günstigsten Fall entgegengeht, – auch wenn sie sich noch weigert, es anzuerkennen. Die religiösen Bestrebungen, die ich darstellte, unterstützen sie dabei. Aus dieser Richtung kommt kein Weg der Erneuerung. Nicht das ist die Aufgabe, einen solchen Gott dem heutigen Menschen bereitzustellen, an den er glauben kann, sondern den Menschen, der schlussendlich Mensch bleibt, was immer geschieht, vor den wahren Gott zu stellen, den Herrn über Leben und Tod. 3) Beim dritten Typ will ich mich mit einigen kurzen Hinweisen begnügen. Ich habe die stillen Menschen im Sinn, die im Lande verstreut, nur an den ersten Worten des Verses »Ganz sollst du sein« Anteil haben. Das sind die Menschen, die nicht mehr an Gott glauben können und es für richtig halten, sich seines Namens nicht mehr zu bedienen, statt seinen Namen wie einen Notbehelf zu verwenden. Diese Menschen spüren tief in ihrem Herzen die Verfinsterung des göttlichen Lichts in unserer Zeit. Zwar folgert ein Teil von ihnen aus der Tatsache der Sonnenfinsternis, dass es keine Sonne gibt, aber andere halten es für aufrichtiger, nicht so zu tun, als ob sie sie sähen, wenn sie doch nichts sehen; und damit haben sie recht. Sie halten es für richtig, nicht den Namen Gottes zu erwähnen, wenn es dem Menschen in seinem Inneren unmöglich ist, sich an ihn zu wenden, auch damit haben sie recht. Das vielleicht Wichtigste ist, dass diese Menschen nicht mehr an Gott glauben, aber an seine Thora; damit meine ich nicht die 613 Gebote, sondern die großen Lehren für das Leben der Menschen und der Völker miteinander, die großen Lebenslehren auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Fürsorge (Chesed). Und manche von ihnen glauben an die Lehre für den einzelnen Menschen, an die reine und heilige Führung des eigenen Lebens. Dieser Glaube ist ihnen als Inhalt ihres Bewusstseins und Gefühls nicht zugänglich – sie würden sogar protestieren, wenn wir sie darauf ansprechen würden, sie m a c h e n doch nur die Sache so gut sie können, sie l e b e n die Sache nur, wie es ihnen ihre Kräfte erlauben. Sie haben zwar

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keinen Bezug zur traditionellen Thora, sondern nur zur individuellen, und auch diese empfinden sie nicht als von oben gegeben, aber die traditionelle Thora ist ohne ihr Wissen in ihrem Blut und ihrem Geist verborgen und sie verwirklichen sie, so gut sie können. Sie sind es, die den Spruch erfüllen: »Hätten sie nur mich verlassen, aber meine Thora bewahrt«. Aber diese Menschen fühlen von Mal zu Mal einen toten Punkt in ihrem Leben, eine Leere, die sie nicht füllen können, sie wissen nicht, was es ist, sie würden es sich auch nicht selbst eingestehen, und wenn doch, würden sie weitermachen wie bisher. Man darf sie nicht verleiten, einen Gott, der kleiner als ihr hoch empfundenes Weltgefühl ist, zu akzeptieren, und von dem Gott, der größer als dieses ist, können sie anscheinend noch keine Kenntnis haben. Sie warten. Ohne davon zu wissen, warten sie. Sie werden nicht zugeben, dass sie warten. Aber sie warten. Über den vierten Typ will ich nicht reden. Aber alles was ich sage, setzt seine Existenz voraus. Das sind die Menschen, die in der Gottesfinsternis wagen zu glauben, wagen mit dem Unsichtbaren, an den sie glauben, zu sein, mit ihm zu sein nicht in pietätvollen Gefühlen, sondern in der Ganzheit des Lebens, das man zu leben hat. Sie sind es, die dem Gott Hiobs eher zu singen wagen, dem einen, der in dieser Stunde wahrhaft gefühlt werden kann, als dem Gott Moses: Das ist mein Gott und ich verherrliche ihn. Ich segne sie, wo immer sie seien. Schwer ist es heute w a h r h a f t i g zu glauben: alles widerspricht und verneint. Sehr schwer ist es heute, auch nur ein Gebet w a h r h a f t i g zu sprechen. Etwas tritt dazwischen. Außerordentlich schwer ist es heute, auch nur einen Augenblick w a h r h a f t i g mit Gott zu sein; es scheint, als ob er selbst darauf sinnt, es dir so schwer wie möglich zu machen, angesichts der Lage der Welt, wie sie heute ist. Ich habe jetzt das Bild der Sonnenfinsternis verwendet, aber dieses Bild ist zu schwach für meine Gedanken. Besser ist es sich auf die Aggada zu besinnen, die vom Sonnenuntergang nach der Sünde des ersten Menschen erzählt. Adam war überzeugt, dass die Sonne wegen seiner Sünden für immer untergegangen sei. Lasst uns doch annehmen, dass er zweifelte, ob sie noch einmal aufgehen würde oder nicht. Das ist das wahre Bild unserer Zeit. Was wir beim Anblick dieses Bildes denken müssen, ist, wie wunderbar es ist, den Menschen das Sonnenlicht in der nächtlichen Finsternis zu zeigen. Aber bekanntermaßen kann das jeder selber leicht erreichen, er muss nur auf das Mondlicht blicken und sich daran erinnern, dass sein Licht eigentlich nur das Sonnenlicht ist. Der Mond in unserem Dasein ist das wahre mitmenschliche Leben, das nur von dem Gott der Wahrheit kommen kann. In dieser wirklich

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schwersten Prüfung ein wahrhaftig mitmenschliches Leben zu führen und es in seine Quelle anzuerkennen – auch in unserem Land gibt es keinen anderen Weg.

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Als Leo Baecks 60. Geburtstag gefeiert wurde, erzählte ich in der Jüdischen Rundschau von einem kleinen, aber charakteristischen Vorfall. In Heppenheim hatte ich einmal, schon zu einer Zeit, wo ein Deutscher immerhin schon etwas kundgab, wenn er den Weg in mein Haus fand, den Besuch eines (mir bis dahin unbekannten) namhaften Adligen. In dem langen Gespräch ergab sich zwischen uns auch die Frage, was Adel denn eigentlich sei. Der Mann sagte: »Wenn ich mir Adel vorstellen will, denke ich an Leo Baeck«. Aus diesem Munde kommend, machte die Aeusserung einen besondern Eindruck auf mich. Dieses kühn-aufrichtige Geständnis, dass der Sprecher auf der Suche nach »Adel« ihn nicht im eignen angestammten Kreis, sondern in dem verfehmten fand, bestätigte mir in seltsamer Weise mein Grundgefühl, dass es eine persönliche Beschaffenheit gibt, die überall erkannt und anerkannt wird, wo nicht das waltet, was die Schrift »Verstockung« nennt (und was man sich offenbar schon in Aegypten nicht leicht erklären konnte), und dass eben diese persönliche Beschaffenheit Leo Baeck zu eigen ist. Bis zur Einsicht in ihre Tiefe bin ich aber noch nicht gelangt, solange das Bild, das ich in mir trug, »Baeck in Berlin« war. Erst seit an seine Stelle »Baeck in Theresienstadt« getreten ist, bin ich weiter vorgedrungen. Und in Nachtstunden eines intensivsten Wachseins zwischen dünnem Schlaf und dünnem Schlaf wird es mir zuweilen unheimlich gegenwärtig, dass er dort ist und ich hier. Ach ihr Sorglosen in Zion, die ihr alle Tugenden der Nation hier versammelt wähnt, richtet euren Blick dorthin, nach dem innersten Wirbel der Bewährung.

Treue zum Geist Lieber Herr Schocken, wenn ich mir heute die Frage stelle (und Tage wie diese sind eine willkommene Gelegenheit für solches Nachdenken), was es in Ihrer Persönlichkeit ist, das mir in der langen Zeit unserer Freundschaft am bedeutendsten ist und was mich am meisten an Ihnen anzog, kommt mir die Antwort ohne Anstrengung in den Sinn: es ist doch – Ihre Treue zum Geist. Bei Ihnen ist der Geist nicht ein »Beruf«, auch nicht eine Liebhaberei, sondern eine höhere Instanz, der sich der Beruf unterzuordnen hat, ebenso wie die Liebhaberei. Ich erinnere mich, insbesondere von dem, was Sie selbst erzählten, wie Sie Ihre Warenhäuser nach diesen Prinzipien organisierten, denen der Charakter einer ethischen Weisung zukommt; mit ihrer Hilfe wollten Sie Ihre Assistenten erziehen; davon zeugt sogar ein solch technisches Detail wie dieses, dass Sie von ihnen vor bestimmten Entscheidungen eine grafische Darstellung der Entwicklung verlangten; auch dieses Detail zeigt: eine rechte Handlung – ihre Grundlage liegt in der rechten Erkenntnis. Meine Gedanken gehen auch zu Zeiten zurück, in denen wir eine Woche oder mehr auf Schiffsreisen oder in Urlaubssorten in den Alpen verbrachten, Zeiten, in denen ich Gelegenheit hatte, Einblick in Ihren Tagesablauf zu nehmen – da konnte ich beobachten, wie vom frühen Morgen an das Buch und das Nachdenken die Gestalt Ihres Tages bestimmten. Augenscheinlich wird damit: Sie lieben den Geist von den Tagen Ihrer Jugend an, aber nicht nur das: diese Liebe ist eine treue Liebe. Der Geist ist Ihnen nicht Zierde und Vergnügen gehobener Art, sondern die echte Wirklichkeit, wegen der es sich lohnt zu leben. Das ist eine seltene und kostbare Gegebenheit in einer Stunde wie der unsrigen, in der die Starken den Geist der Lehre nach verehren, während sie ihn sich in Wirklichkeit ohne Hemmungen zu Nutze machen, als wäre er ein schauspielender Vermittler. Heute wird man natürlich dem breiten Raum geben, was Sie alles in Ihrem Leben bewirkt haben. Wichtiger als das erscheint mir, dass Ihnen dafür Ehre gebührt, wie Sie das alles bewirkt haben – aus Treue zum Geist wirkten Sie.

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Israel and the World is a discussion of the encounter between the historic spirit of Israel and a world which regards it as foreign, incomprehensible, or irrelevant. Written over a period of about thirty years, the essays in this volume represent a dual attempt: first, to clarify the relation of certain aspects of Jewish thinking and Jewish living to contemporary intellectual movements, and second, to analyze (and refute) those trends within Jewish life which, surrendering to certain current ideologies, tend to weaken the teachings of Israel internally. With one exception (»Imitatio Dei«), the essays here presented in a slightly abridged form were written to meet the needs of particular moments, and bear the mark of time. Nevertheless, I dare to hope that I have touched on fundamental issues, and that, taken together, the reader will find they form a natural whole. Let me try to explain what I mean by tracing the history of some of the essays. More than a quarter of a century ago, at a Zionist congress where I spoke in behalf of an understanding between Jews and Arabs, I made use of a recess in the proceedings to present a detailed argument as to why Zionism – if it is to preserve the significance of »Zion« – must be something different from the concepts of nationalism accepted in our own age (see »Nationalism« in this volume). Eleven years later, not long before Hitler came into power, I was invited to speak at an international meeting of Jewish youth at which »Israel and World Peace« was to be the topic for discussion. My address there supplemented my earlier speech in its most essential aspect by stating that just as Zion, if it is to be Zion, must be built »with justice,« so world peace can be brought about only by our realizing peace wherever and to whatever extent it depends on ourselves (see »And If Not Now, When?«). Six years after this, when I had already settled in Palestine, I was to give my first public address to a large gathering in Jerusalem. There I had the privilege of placing this concept within the framework of the history of the Jewish spirit, the history of the relationship between Judaism and Christianity, and the history of anti-Semitism (see »The Spirit of Israel and the World of Today«). And when recently, after nine years of absence from Europe – and what years! – I spoke at a public meeting in London, arranged by the Council for Christians and Jews under the chairmanship of the dean of St. Paul’s, I delivered virtually the same lecture with only a few modifications, for all

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that had happened in the interim had served to make it even more relevant. To give another example: in 1928 a leading academic institution wanted me to speak on the nature of Jewish faith. In my lecture I pointed out the most essential fact, namely that, according to Jewish faith, the history of mankind as well as the life of the individual is a dialogue with God (see »The Faith of Judaism«). Two years later the JudenmissionsGesellschaften deutscher Zunge wanted me to explain to them the nature of the Jewish soul. I fell in with this request also, and in this lecture I tried to elucidate one basic idea of my former paper, that of the Jewish striving for redemption (see »The Two Foci of the Jewish Soul«). Another five years later, under the Hitler regime, I gave a public address in Berlin and contrasted this Jewish faith with unleashed paganism (see »The Power of the Spirit«). No wonder that immediately after this lecture the German authorities forbade me to speak publicly; thus again I became conscious of the fact that though the power of the spirit is the hidden kernel of history – its visible husk remains the spirit’s lack of power. And one last example: in 1928 I spoke in Munich to a small group, among whom I particularly remember Thomas Mann. I talked to them about leadership as it appears in the Bible, a form of leadership that is in sharp contrast to what at that time was commonly acknowledged as leadership, and what even today many people, non-Jews as well as Jews, understand by this term (see »Biblical Leadership«). Ten years later, in my introductory lecture at the Hebrew University in Jerusalem, I again seized the opportunity to supplement the ideas I had expressed in Munich, by showing through the figure of Isaiah how the spiritual leader in the Bible stands in relation to the present and the future of his community, to its task and to the ruling trends of his times, which are antagonistic to this task (see »Plato and Isaiah«). Subsequently I was able to add to the contrast I had drawn between Isaiah and Plato, hence between Judaism and Hellenism, by voicing certain ideas on true and false prophets, that is, on conflicting tendencies within Israel; the difference between true and presuming leadership (see »False Prophets«). So it becomes clear that the essays included in this volume combine into a theory representing the teachings of Israel. My presentation aims to point to the reality of this historical moment: out of its distress one can find a way only by rediscovering the eternal, forgotten truth, one of whose rays has entered the teachings of Israel. Jerusalem, February 1948

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Vorwort Die hebräische Ausgabe dieses Buches ist 1944 erschienen. Im Mai 1948 ist der Staat Israel proklamiert worden. Es hat sich aber nicht als nötig erwiesen, am Text, der ja nicht in die Geschichte einer politischen Unternehmung, sondern in die einer religiösen Idee, richtiger, eines Glaubensgeistes, Einblicke gewähren soll, etwas zu ändern. Was jene und ihre Folgen von dieser zu verwirklichen vermögen, wird sich naturgemäß wohl erst im Laufe etlicher Generationen kundtun. Aber es eignet einer solchen Geisteswirklichkeit, daß, solang sie lebt, die Geschichte ihr, nicht sie der Geschichte verantwortlich bleibt. Jerusalem, im Frühjahr 1950

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Solange man »Zion« lediglich als eine der nationalen Ideen versteht, kennt man seine eigentliche Bedeutung nicht. Wir sprechen von einer nationalen Idee, wenn ein Volk seine Einheit, seinen inneren Zusammenhang, seinen geschichtlichen Charakter, seine Überlieferungen, seine Ursprünge und Entfaltungen, sein Schicksal und seine Bestimmung zum Gegenstand seines Bewußtseins und zur Motivation seines Willens erhebt. Demgemäß ist die Zionsidee des jüdischen Volkes in unserer Epoche eine nationale Idee zu nennen. Aber das Wesentliche an ihr ist eben das, was sie von allen unterscheidet. Es ist kennzeichnend für den Sachverhalt, daß diese nationale Idee sich nicht wie die andern nach einem Volke, sondern nach einem Orte benannte. Damit ist die Tatsache zum Ausdruck gebracht worden, daß es hier nicht um ein Volk an sich, sondern um seine Verbindung mit einem Land, mit seinem heimatlichen Land geht. Und zwar hat sich die Idee nicht nach einer der Bezeichnungen dieses Landes – Kanaan oder Palästina oder Erez Israel – benannt, sondern nach der alten Jebusiterfestung, die David zu seiner Residenz machte und deren Name von Dichtern und Propheten auf die ganze Stadt Jerusalem, aber vornehmlich nicht als Sitz der Königsburg, sondern als Sitz des Heiligtums erstreckt wurde, wie denn auch der Tempelberg selbst nicht selten so heißt: der Name hat schon früh die Weihe eines heiligen Ortes empfangen. Zion ist »die Stadt des großen Königs« (Ps. 48, 3), das heißt Gottes als des Königs Israels. Diese Weihe ist dem Namen geblieben. Im Gebet und im Lied haben sich Trauer und Sehnsucht des Volkes im Exil an ihn geknüpft, die Heiligkeit des Landes war in ihm verdichtet, und in der Kabbala wurde Zion mit einer der göttlichen Emanationen gleichgesetzt. Als die nationale Idee des jüdischen Volkes diesen Namen zu dem ihren machte, nahm sie die ganze Fülle dieser Assoziationen auf sich. Sie mußte es tun. Denn zum Unterschied von den nationalen Ideen anderer Völker war die mit diesem Namen bezeichnete nicht ein Novum, nicht ein Produkt der gesellschaftlichen und politischen Wandlungen, deren historische Kundgebung die Französische Revolution war, sondern nur eine Fortsetzung, nur die der allgemeinen Form der nationalen Bewegungen im 19. Jahrhundert angepaßte Neugestaltung einer uralten, zugleich religiösen und volkstümlichen, geistigen Realität. Und diese Realität war die im Namen Zion zentrierende heilige Ehe eines »heiligen« Volkes mit einem »heiligen« Land.

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Es ist ein verhängnisvoller Irrtum der modernen Bibelkritik gewesen, diese Kategorie des Heiligen, wie sie in der Schrift auf Volk und Land angewandt wird, später priesterlicher Anschauung zuzuweisen, für die der Anspruch des Kults der bestimmende war. Diese Kategorie ist vielmehr in ihren Anfängen einem primitiven Begriff des Heiligen zugehörig, wie wir ihn bei naturnahen Volksstämmen finden, denen es Bedürfnis ist, gerade die zwei Hauptträger des nationalen Lebens, den Menschen und die Erde, als mit sakraler Kraft ausgestattet zu verstehen. In den Stämmen, die sich zu »Israel« zusammenschlossen, hat sich dieser Begriff auf eine besondere Weise entwickelt und gewandelt: die Heiligkeit ist nicht mehr ein Machtstoff, ein magisches Fluidum, das wie Menschen und Menschengruppen, so auch Ortschaften und Gegenden innewohnen kann, sondern sie ist eine Eigenschaft, die diesem Volk und diesem Land dadurch verliehen wird, daß ein Gott beide erwählt, um dieses Volk, sein Volk unter allen, in dieses Land, sein Land unter allen, zu führen und sie miteinander zu verbinden. Seine Erwählung heiligt das Volk als die Schar, der er unmittelbar gebietet, und das Land als seinen Königssitz, und weist sie aufeinander an. Dies ist eher eine politische, theopolitische, als eine kultische Kategorie der Heiligkeit: der Kult ist nur erst der konzentrierte Ausdruck der Gottesherrschaft. Abraham baut Altäre, wo der Gott ihm erschien, aber er tut es nicht als Priester, sondern als Herold des Herrn, der ihn ausgeschickt hat, und wenn er über dem Altar den Namen seines Herrn ausruft, meldet er damit dessen königlichen Besitzanspruch auf das umliegende Land an. Das ist nicht späte Umfärbung der Urzeit, sondern Urgefühl und Urwort, dessen Verwandtes wir bei anderen frühen Völkern finden, aber nirgends in solch einer geschichtlichen Konkretheit wie hier. »Heiligkeit« bedeutet hier noch: dem Gott angehören, nicht bloß an den dem Kult gewidmeten Zeiten und Stätten und im kultischen Sinnbild, sondern allumfassend und faktisch, in der ganzen Breite des öffentlichen Lebens, als Volk und als Land. Erst spät spezialisiert sich die Kategorie des Heiligen auf den Kult, und zwar in dem Maße, als der Bereich des öffentlichen Lebens der Gottesherrschaft entzogen wird. Daß der Gott es ist, der dieses Volk mit diesem Land zusammentut, ist nicht nachträgliche Geschichtsperspektive: die wandernden Scharen waren immer wieder von der Verheißung an die Väter befeuert, und die Entflammtesten unter ihnen sahen den Gott selber dem Volk in das Land vorausgehn. Es ist unmöglich, ein geschichtliches Israel zu konstruieren, das zu irgendeiner Zeit ohne den Glauben an seinen Gott besteht und ihn erst danach annimmt: eben durch die Botschaft der gemeinsamen Führung schließen sich die wandernden Scharen zum Volk zusammen. Und

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ebenso ist es unmöglich, diesen Glauben als vorher und außerhalb Israels bestehend zu konstruieren: er ist ganz und gar Geschichtsglaube, Glaube an einen Gott, der erst die Väter und dann das Volk in geschichtlich determinierten Zeiten um göttlich geschichtlicher Ziele willen in das Land führt. Es gibt hier keine »Nation« als solche und keine »Religion« als solche, sondern nur ein Volk, das seine geschichtlichen Erfahrungen als die Taten seines Gottes versteht. Dieser Glaube an die Führung ist aber zugleich Glaube an einen Auftrag. Wieviel von der uns in der Schrift erhaltenen Gesetzgebung man auch späteren literarischen Schichten zuweisen mag: daß mit dem Auszug aus Ägypten die Gebung eines als Verfassungsurkunde des göttlichen Herrschers verstandenen Gesetzes verbunden war, ist nicht anzuzweifeln, und der sichere Kern, um den sich das Spätere ankristallisiert hat, ist seinem Wesen nach Anweisung für die Begründung einer »heiligen« Volksgemeinschaft in dem zu besiedelnden Land. Wir dürfen uns die Scharen als solche vorstellen, für die die himmlische Führung Befehle auch für die Zukunft im Land einschloß, und aus diesem Grunde wuchs die Überlieferung und die Lehre. Die Erzählung von Abraham, die die Schenkung von Kanaan mit dem Gebot, ein Segen zu werden, verknüpft, ist eine knappste Zusammenfassung der Tatsache, daß die Verbindung dieses Volkes mit diesem Land im Zeichen eines Auftrags stand. Es kam in das Land, um ihn zu erfüllen; durch jede der Auflehnungen gegen ihn erkannte es sein Bestehen an; und seine Propheten waren dazu bestellt, vergangenes und künftiges Schicksal daraus zu deuten, daß das Volk den gerechten Staat Gottes nicht errichtet hatte, den zu errichten es in das Land gebracht worden war. Zu keiner Zeit Israels ist dieses Land einfach Volksbesitz gewesen; immer war es zugleich Forderung, aus ihm zu machen, was Gott aus ihm gemacht haben wollte. So steht von Uranbeginn die einzigartige Verbindung zwischen diesem Volk und diesem Land im Zeichen dessen, was sein soll, was werden, was verwirklicht werden soll. Zu dieser Verwirklichung kann das Volk nicht ohne das Land und das Land nicht ohne das Volk gelangen: nur die getreue Verbindung beider führt zu ihr. Es ist dies aber eine Verbindung, in der das Land nicht als toter, passiver Gegenstand, sondern als lebendiger und tätiger Partner erscheint. Wie das Volk, um sein volles Leben zu gewinnen, des Landes bedarf, so bedarf das Land des Volkes, um sein volles Leben zu gewinnen; im Zusammenwirken des voll Lebendigen mit dem voll Lebendigen wird sich das Werk vollziehen, das ihrer Gemeinschaft aufgegeben ist. Weil das lebendige Land wie das lebendige Volk daran beteiligt ist, wird es zugleich ein Werk der Geschichte und ein Werk der Natur sein. Die in unserem Wissen getrennten Gebiete der Natur und der

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Geschichte sollen sich, wie sie in der Schöpfung des Menschen vereint waren, in dem Werk vereinen, zu dem das erwählte Land und das erwählte Volk zusammenwirken sollen. Die heilige Ehe beider zielt auf die Ehe der Seinssphären hin. Dies ist das auf einen kleinen und verachteten Teil des Menschengeschlechts, auf einem kleinen und verödeten Teil des Erdballs bezogene und doch weltenweite Motiv, das sich im Namen Zion birgt. Das ist nicht einfach ein Sonderfall der nationalen Idee und der nationalen Bewegung: das Besondere, das hier zum Allgemeinen hinzutritt, konstituiert eine eigene Gattung, die weit über die Grenze nationaler Probleme hinaus an Menschheitliches, an Kosmisches, ja an das Sein selber rührt. Das Volk Israel mag sonst als ein Volk unter den Völkern und das Land Israel als ein Land unter den Ländern angesehen werden: in ihrer Beziehung zueinander und in ihrer gemeinsamen Aufgabe sind sie ein Einziges und Unvergleichbares. Und Geheimnis ist und bleibt, was sich zwischen beiden begeben hat, begibt und begeben soll, trotz alles namhaft und historisch Faßlichen doch noch-Geheimnis. Diesem Geheimnis haben die Geschlechter des jüdischen Volkes nachgesonnen und nachgesonnen. Als die nationale Bewegung dieses Volkes das Geheimnis erbte, wurde in ihr trotz des Einspruchs ihrer wichtigsten geistigen Führer der Wille mächtig, es aufzulösen. Es erschien als zur »Religion« gehörig, und die Religion war auf zwiefache Art diskreditiert: im Westen wegen ihrer Bestrebung in der Emanzipationsepoche, sich zu entnationalisieren, im Osten wegen ihres Widerstandes gegen die Europäisierung des jüdischen Volkes, auf der sich die nationale Bewegung aufbauen wollte. Die säkularisierende Tendenz im Zionismus richtete sich auch gegen das Geheimnis Zions. Ein Volk wie alle Völker, ein Land wie alle Länder, eine nationale Bewegung wie alle nationalen Bewegungen, – das wurde und wird als Postulat des gesunden Menschenverstandes der Nation gegen alle »Mystik« proklamiert. Und von da aus wurde und wird der urzeitliche Glaube bekämpft, daß das Gelingen der Wiederverbindung dieses Volkes mit diesem Land an ein Gebot, an eine Bedingung geknüpft ist. Dem jüdischen wie jedem anderen Volk freie Entfaltung all seiner Kräfte in seinem Land, mehr ist nicht not, das eben heißt »Auferstehung«, – so lautet die Losung. Ihr gegenüber wird hier die Gewißheit der Geschlechter Israels zum Zeugnis aufgerufen, daß es an dem nicht genug ist. In tieferen Regionen des Erdreichs wurzelt, in höhere Regionen des Luftreichs erhebt sich der Gedanke Zions, und beides an ihm, Wurzeltiefe und Wipfelhöhe, Gedächtnis und Ideal, beide gleichen Gewebes, dürfen nicht verleugnet werden. Wenn Israel auf das Geheimnis verzichtet, verzichtet es auf den Kern

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der Wirklichkeit selber. Nationale Formen ohne den ewigen Sinn, aus dem sie entstanden sind, bedeuten das Ende der spezifischen Fruchtbarkeit Israels. Eine freie Entfaltung der Kräfte ohne einen höchsten Wert, um dessentwillen sie sich entfalten, ohne eine ihrer Entfaltung gesetzte Richtung auf die Verwirklichung dieses Wertes, bedeutet nicht Auferstehung, sondern das Spiel einer gemeinsamen Selbsttäuschung, hinter dem der Tod der Seele lauert. Wenn Israel weniger will, als was mit ihm gemeint ist, wird es auch das Wenigere verfehlen. Für jede neue Begegnung dieses Volkes mit diesem Lande stellt sich die Aufgabe neu, von der geschichtlichen Lage und ihren Problemen aus, und es bleibt die eine Aufgabe. Unbewältigt bedeutet sie Zerfall des Gebauten, ihre Bewältigung wäre der Beginn einer neuen Art menschlicher Gemeinschaft. Gewiß, es erweist sich, daß die Aufgabe mit jedem Mal schwerer wird. Es ist schwerer, im Lande eine gerechte Lebensordnung aufzurichten, wenn man unter der Oberhoheit einer fremden Macht steht wie nach der Rückkehr aus Babylon, als wenn man, wie nach der ersten Landnahme, in seiner Selbstbestimmung verhältnismäßig frei ist; und noch schwerer ist es, wenn man mit der Koexistenz eines andern Volkes im Land zu rechnen hat, verwandten Ursprungs und verwandter Sprache, aber an Überlieferung, an Struktur, an Tendenzen überwiegend fremd, und diese Lebenstatsache aus der gestellten Aufgabe nicht zu eliminieren ist. Aber in diesem Immer-schwerer-werden scheint ein hoher Sinn zu walten. Auch im Dasein des Einzelnen ist das Versäumte nie wieder im gleichen Bereich und unter den gleichen Bedingungen einzuholen; aber es wird einem zuweilen gewährt, das Verfehlte in einer ganz anderen Situation, in einer ganz anderen Gestalt wiedergutzumachen, und es ist sinnreich, daß die neue Situation widerspruchsvoller, die neue Gestalt schwieriger zu verwirklichen ist als die alte, und daß es von Mal zu Mal eines immer stärkeren Aufschwungs bedarf, um das Werk zu vollbringen; eben solcher Art ist der harte und doch nicht gnadenlose Weg des Lebens. Nicht anders scheint es sich mit dem Dasein Israels zu verhalten.

Erster Teil Biblisches Zeugnis Das Erstlingsgebet In der hebräischen Bibel, in der, sowohl im Psalmenbuch gesammelt als auch in erzählenden und prophetischen Texten verstreut, so viele Gebete stehen, finden wir nur zwei zum Sprechen in einem alljährlich wiederkehrenden Zeitabschnitt vorgeschriebene (Deuteronomium 26). Das erste von ihnen ist das Gebet, das beim Darbringen der Erstlinge, des »Anfangs von aller Frucht des Bodens«, zu sprechen ist (V. 1-11). Das Gebot, von dem Frühertrag des Landes erlesne Frucht im Heiligtum darzubringen, kehrt in den fünf Büchern der Weisung mehrfach wieder. Hier nun, als an der letzten dieser Stellen, wird gesagt, wie und mit welchem Geleitspruch die Handlung vollzogen werden soll. Gaben an die Götter vom Anbeginn der Ernte sind uns überallher bekannt, und auch von den Völkern, deren Kultur die altisraelitische beeinflußt hat, von Babylon, Ägypten, Kanaan. Auch Gebete sind uns von mannigfachen Stufen der Entwicklung überliefert, Gebete, in denen sich die Absichten der Darbringung aussprechen. Man dankt den Göttern für den Segen der Erde; man lädt sie zum Mahl; und man bittet sie, neue Fruchtbarkeit zu spenden. Aber unter allen mir bekannten Erstlingsgebeten der Welt ist nur ein einziges, in dem statt alledem der Beter seinen Gott verherrlicht, weil er ihm ein Land geschenkt habe. Schon die einleitende Vorschrift weist darauf hin: »Und es soll sein, wenn du in das Land kommst, das JHWH dein Gott dir als Erbe gibt, und du nimmst es in Besitz und siedelst darin …« Nur noch an einer Stelle außer dieser ist die Formel zu finden: wo von der Einsetzung eines Königs gehandelt wird (17, 14). Während aber dort die Vorschrift das Volk als Ganzes mit »du« anredet, geschieht dies hier nur zu Beginn, eben in dem angeführten Vordersatz: mit dem »du« des Nachsatzes »dann nimm vom Anfang aller Frucht des Bodens, die du einbringst aus deinem Lande, das JHWH dein Gott dir gibt, lege es in die Mulde und geh zu dem Ort, den JHWH dein Gott erwählt seinen Namen dort einwohnen zu lassen und komm zu dem Priester, der es in jenen Tagen sein wird, und sprich zu ihm« ist offenkundig nicht mehr die Gesamtheit des Volks, sondern der Einzelne, jeder einzelne Landbesitzer in Israel in alle Geschlechter hin gemeint. Die Voraussetzung ist eine kollektive, die Pflicht eine persönliche. Und weiter: die Voraussetzung ist eine einmalig-geschichtliche, die Pflicht eine alljährlich wiederkehrende.

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Dieser Doppelbezug des »Du« ist aber kein beiläufiger. Das zeigen unzweideutig die ersten Worte, die der angeredete Landbesitzer zum Priester sprechen soll: »Ich melde heute JHWH deinem Gott, daß ich in das Land gekommen bin, das JHWH unseren Vätern zuschwor uns zu geben.« Noch in den spätesten Zeiten soll der Mann, der die Erstlinge darbringt, nicht etwa sagen: »Meine Väter sind in das Land gekommen«, sondern: »Ich bin in das Land gekommen.« Hier sind die beiden Angeredeten, Volk und Einzelner, verschmolzen. »Ich bin in das Land gekommen«, das heißt zunächst: Ich, das Volk Israel, bin in das Land gekommen. Der Sprecher identifiziert sich mit Israel und spricht in seinem Namen. Der Anrede der Vorschrift an Israel »Wenn du in das Land kommst« entspricht der Spruch »Ich bin in das Land gekommen«: auch der Sohn des späten Geschlechts spricht für jene Generation, die einst nach Kanaan kam, und damit für das ganze Volk, das in ihr nach Kanaan kam. Aber damit ist die Fülle dieses »Ich« noch nicht erschöpft. Der Mann sagt ja nicht einfach »Ich bin in das Land gekommen«, sondern er sagt, er »melde« Gott, er sei in das Land gekommen. Das kann kaum etwas anderes bedeuten als: Ich melde mich als ein in das Land Gekommener. Jedes Jahr, wenn er die Erstlinge seines Bodens bringt, meldet oder bekennt er sich neu als ein in das Land Gekommener. Wenn er nur für das Volk spräche, brauchte er nicht zu melden. Er tut es, weil ihm zu sagen obliegt: Nicht bloß Israel, sondern auch diese Person hier selber ist in das Land gekommen, – ich Einzelner fühle mich und bekenne mich als ein selber in das Land Gekommener, und jedesmal, wenn ich von seinen Frühfrüchten darbringe, erkenne ich das von neuem und erkläre ich das von neuem. Um dies recht zu verstehen, muß man an eine andere Stelle desselben Buches denken (5, 3 f.). Mose spricht zum Volke, ehe er ihm den einst am heiligen Berg vernommenen Dekalog wiederholt: »JHWH unser Gott hat mit uns einen Bund am Horeb geschlossen. Nicht mit unseren Vätern hat JHWH diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, uns selber, diesen hier heute, uns Lebendigen allen.« In diesem Satz, der seine auf die ewige Aktualität des Bundes gehende Absicht mit einer so nachdrücklichen Unmittelbarkeit zum Ausdruck bringt, heißt es nicht »nicht mit unsern (inzwischen in der Wüste verstorbenen) Vätern allein«, sondern radikaler: »nicht mit unsern Vätern«: nicht mit einer einzelnen Generation, sondern mit jeder vor seinem Angesicht lebenden Generation Israels hat Gott seinen Bund geschlossen. Und wie der Bundesschluß, so ist auch die Landnahme, das Kommen in das im Bund verheißene Land, die Sache aller Volksgeschlechter. Diese Landnahme ist eine Landgabe, und zwar eine stets sich erneuende Gabe Gottes. Jeder Bauer in jedem Geschlecht Israels dankt, die Erstlinge darbrin-

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gend, Gott für das Land, in das er ihn gebracht hat. Dieses »Bringen« und jenes »Darbringen« werden im Gebet selbst in betonte Entsprechung zueinander gesetzt: »Und er hat uns an diesen Ort gebracht … und nun, da bringe ich den Anfang der Frucht des Bodens.« Was so ausgedrückt wird, ist Gegenseitigkeit zwischen Gott und den Menschen seines Volks. Ich bin von ihm in dieses fruchtbare Land gebracht worden, sagt der Bauer, und nun bringe ich ihm von dessen Früchten. Das ist noch etwas anderes als bloß Dank. Das ganze Land ist dem Volk von Gott verliehen; auch die Ernte, die der von ihm hingebrachte Mensch aus dem Boden holt, kommt von Gottes Segen und Werk, man kann ihm nichts davon geben, aber bringen kann man ihm davon, vom Ersten das Beste, zum Sinnbild und zur Weihe. »Von dir und zu dir«, beginnt noch heute eine Opferformel der palästinensischen Araber. Er aber, Gott, ist der Gebende. Wie so oft in biblischen Texten, so wird auch hier das, um was es geht, dadurch hervorgehoben, daß in dem Abschnitt, der die Vorschrift und das Gebet enthält, siebenfach das Verb »geben« wiederkehrt. Und zwar wird es die drei ersten und die drei letzten Male von dem Geschenk Gottes an Israel gebraucht; zwischen jenen und diesen aber steht ein sonderbares »Geben«, offenbar nicht bloß um die Siebenzahl voll zu machen, sondern vornehmlich um den negativen Hintergrund des göttlichen Gebens recht spüren zu lassen; es sind die Ägypter, die »harten Dienst uns aufgaben« (V. 6). Solcherart ist das geschichtliche »Geben« der Völkerwelt an Israel. Das Geben Gottes befreit es davon. Die große Gabe Gottes an Israel aber – das wird uns in fünffacher Wiederholung eingehämmert – ist das Land. Zuletzt (V. 11) wird es, um allem Mißverstand vorzubeugen, allgemeiner gefaßt: »alles Gute«, also nicht das Land allein, sondern auch sein jährlicher Ertrag kommt von Gott als sein Geschenk. Das Land wird wie herkömmlich bezeichnet als »ein Land, das von Milch und Honig übertrieft« (V. 9). So nennt kein Bauer das Land seines Wunsches. Wenn der Bauer das Land preist, sagt er: »Ein Land von Weizen und Gerste, Weinrebe, Feige und Granate« (8, 8). Aber nicht diese oder eine ähnliche Bezeichnung ist die geläufige geworden, sondern jene. Manche meinen, sie sei eine späte, die sich nur in späten Texten finde, und »Milch und Honig« deuteten auf die in den Mythologien verschiedener Völker wiederkehrende heilige Speise hin; die Bezeichnung wäre demnach nicht aus dem Urgefühl einer frühen bildnerischen Geschichtsstunde, sondern aus einer romantischen, fast literarischen Tendenz entstanden. Aber auf diesem Wege pflegen Sprachgebilde von solcher Schlichtheit und Prägnanz nicht zu entstehen. Auch wäre es mehr als seltsam, wenn eine späte Epoche aus einer romantischen Neigung das

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Land der Verheißung nachträglich mit einem Begriff belegte, der nicht das Interesse des Bauern, sondern das des weidesuchenden Wanderhirten ausspricht, in dem auch der alte Sammlertrieb fortlebt und ihn an dem vorgefundenen Honig der wilden Bienen sich erfreuen läßt 1 . Der Spruch weist auf repräsentative Güter hin, die das Land dem Ankömmling biete, ohne daß er sich um sie zu mühen braucht: Milch, in die sich die Kraft der reichen Weideplätze, gleichsam einer einzigen übergroßen Oase umsetzt, und Honig zur Erquickung des Vorbeiziehenden. Es ist seinem Wesen nach ein sehr alter Spruch, ein Spruch der Verheißung an den Nomaden oder Halbnomaden. In den Jahrhunderten nach der Landnahme scheint er, mündlich stetig umlaufend, im Schrifttum dem neuen Hochgefühl des Bauern Platz gemacht zu haben; später haben städtische Kreise Judäas, insbesondere die Priesterschaften von Jerusalem und andern nahen Heiligtümern, von ihrer geschichtlichen Denkweise aus, die den frühen Situationen wirklich Rechnung zu tragen sucht, den Spruch stärker in die literarische Äußerung mitaufgenommen, – wobei auch das mehr als in Efraim viehzüchterisch gebliebene Volkselement des Südens berücksichtigt worden sein mag. Aber die Bezeichnung des Landes ist hier nicht der einzige aus alter Überlieferung bewahrte Rest. Das Gebet beginnt mit den Worten: Arammi obed abi, »ein abgesprengter Aramäer ist mein Ahn«. Die alliterative Verknüpfung der drei Wörter, der dreifach wiederkehrende Kehllaut, ist, wie fast immer in der Bibel, nicht beiläufig und auch kein bloßer stilistischer Schmuck: es geht darum, gerade diese Worte dem Hörer oder Leser in besonderer Weise einzuprägen; sie bilden einen »Memorialvers«. Der Zusammenhang mit den Folgenden erscheint schon auf den ersten Eindruck fraglich: »Ein abgesprengter Aramäer ist mein Ahn, und er zog nach Ägypten hinab« klingt nicht wie natürlicher Vortrag. Daß hier Verschiedenes, Verschiedenartiges miteinander verknüpft ist, wird noch deutlicher, wenn wir danach fragen, wer dieser Ahn ist. Dem weiteren Text nach ist an Jakob zu denken; er ist es, der nach Ägypten hinabzieht, dort »gastet« und dort »zu einem Volk wird« – von Abrahams kurzem Aufenthalt in Ägypten kann selbstverständlich so nicht geredet werden. Aber wie käme man dazu, Jakob einen »abgesprengten Aramäer« zu nennen? Daß seine Mutter Labans des »Aramäers« Schwester, er dessen Schwiegersohn ist, macht ihn nicht zu seinem Volksgenossen. Und daß 1.

Man will darunter vielfach Fruchthonig verstehen, aber es kann sich in dem Spruch, ebenso wie bei den Geschenken Jakobs an Josef »vom Preis des Landes« (Genesis 43, 11), nur um ein Naturprodukt handeln: von einem Kulturerzeugnis läßt kein Spruch ein Land »übertriefen«. Wir wissen aus ägyptischen Quellen, wie reich Kanaan schon um 2000 v. Chr. an Bienenhonig war.

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er mehr als zwei Jahrzehnte seines Lebens fern von seiner Sippe verbringt, berechtigt nicht, ihn als »abgesprengt« zu bezeichnen. Dieses Wort »abgesprengt« ist Hirtensprache. So wird von einem Schaf geredet, das sich von der Herde hinweg verloren hat (Jeremia 50, 6; Ezechiel 34, 4, 16; Psalm 119, 176). »Abgesprengte Schafe«, heißt es bei Jeremia, »das war mein Volk, ihre Hirten ließen sie abirren, ließen sie zu den Bergen sich kehren, von Berg zu Hügel gingen sie, vergaßen ihre Lagerstatt.« »Ihre Hirten ließen sie abirren« – mit dem gleichen Wort in der gleichen Bedeutung, nur freilich in ganz anderem Ton erzählt Abraham (Genesis 20, 13) dem Philisterkönig von seinem Leben: »Es war, als mich Gottmächte abirren ließen vom Haus meines Vaters …« Ein schlechter Hirte läßt ein Schaf von der Herde abirren, weil er nicht darauf achtet; Abrahams Gott, von dem er, um sich dem Philister verständlich zu machen, im Plural redet, hat ihn von seiner Herde abirren lassen, weil er auf ihn achtete, er, der gute Hirt. In Haran, im Lande Aram, wo die Sippe der Terachiden, Abrahams Sippe, sich niedergelassen hatte, hat dieser Gott ihn von Verwandtschaft und Vaterhaus hinweggehen lassen »in das Land das ich dir zeigen werde« (12, 1), in dieses Land Kanaan. Gleichviel ob die Terachiden wirklich, wofür manches spricht, von Aramäern stammten, die einst nach Ur gewandert waren, oder ob sie Aramäer genannt wurden, weil sie sich in »Paddan Aram« niedergelassen hatten: Abraham war in der Tat ein »abgesprengter Aramäer«. Daß er sonst nicht so bezeichnet wird, sondern nur noch etwa als Hebräer (14, 13) – was vermutlich keine Stammesbezeichnung ist, sondern nur die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der »Einherziehenden« oder »Hierhergezogenen« bedeutet –, hängt naturgemäß mit der Überlieferung zusammen, Abraham sei von seinem Gott aus dem Vaterhaus geholt und nach Kanaan gebracht worden, um der Stammvater eines neuen Volkes zu werden: in der Stunde der »Absprengung« ist er noch ein Aramäer, in Kanaan nicht mehr. Wie die Verknüpfung des alten Spruchs mit dem Gebet sich vollzogen haben mag, ist nicht zu ermitteln. Jakobs aramäischer Aufenthalt hat offenbar die Amalgamierung des »Aramäers« mit ihm erleichtert. Die auf das Gebet folgende Weisung, ein Freudenmahl von den Erstlingen zu halten, schließt mit der Anordnung, daß wie der besitzlose Levit so auch der Ger, der »Gastsasse in deiner Mitte«, daran teilnehmen solle. Hier scheint etwas von einer Belehrung anzuklingen, jener ähnlich, die an anderer Stelle zu vollem Ausdruck gelangt: eure Väter, von denen ihr eben berichtet habt, haben einst als Gerim in diesem Lande geweilt, nun, da ihr seine Herren seid, laßt die Gerim in eurer Mitte restlos am Genuß des Landes, »an allem Guten, das JHWH dein Gott dir und deinem Haus gegeben hat«, teilnehmen.

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Um aber den geistigen Hintergrund des Abschnitts zu erkennen, muß man im Zusammenhang mit ihm die Worte Jeremias (2, 3) lesen: »Geheiligt ist Israel von JHWH, der Anfang seiner Ernte.« Die Welt ist Gottes Flur, die Völker seine Pflanzung, Israel seine Erstlingsfrucht. Wie der Baum alljährlich ihm, dem Geber des Landes, die Erstlinge darbringt, so ist es an Israel, ihm sich selber als den Erstling seiner Welternte darzubringen. Man darf solch eine Konzeption nicht völlig vergeistigen, nicht ihres leiblichen Gehalts berauben, ohne den der geistige keinen wahren Bestand hätte. Kein Symbol hat echtes Sein im Geiste, wenn es nicht echtes Sein im Leibe hat. Damit Israel der Erstling der Gottesernte werde, bedarf es, wie des wirklichen Volkes, so des wirklichen Landes. Darum leitet das Gotteswort bei Jeremia jenen Spruch so ein: »Ich gedenke dir den Holdsinn deiner Jugend, die Liebe deiner Brautfahrt, da du mir nach durch die Wüste gingst, durch das Land, das nie besät wird.« Das ist der geschichtliche Gang des Volkes in das Land, das Gott ihm verheißen und gegeben hat. Zweimal siebenmal steht in dem kurzen Abschnitt der Gottesname, davon dreimal dreimal mit dem Zusatz »dein Gott« 1 . Solches Zahlenwerk des Verfassers oder Redaktors ist, wie schon gezeigt worden ist, von einer Absicht der Unterweisung getragen. Wenn hier immer wieder, bei jeder Teilhandlung, in jedem wichtigen Glied der Äußerung, JHWH als »dein Gott« genannt wird, wenn in ebendieser Weise betont wird, daß das Heiligtum sein Heiligtum, der Altar sein Altar, er der im Gebet Angesprochene ist, so wird damit ein Glaubensbekenntnis von entscheidender Wichtigkeit geäußert. Für den Kanaanäer ist die Fruchtbarkeit des Bodens das Werk von Naturgöttern, vieler örtlichen Baalim oder in der entwickelteren phönikischen Kultur des »himmlischen« Baal, die Wirkung geschlechtlicher Verbindungen von wasserspendender mit wasserempfangender Gottheit. Diese Vorstellung war nicht auf den kultischen Bereich beschränkt: sie bestimmte den Bodenbau selber mit seinen magisch-orgiastischen Sexualbräuchen, sie durchdrang das Leben des Bauern. Ihrem Einfluß gegenüber war es von den Tagen der Landnahme an in wachsendem Maße die Schicksalsfrage des Glaubens Israels, es jedem Volksmitglied zur unmittelbaren und unüberwindlichen Gewißheit zu machen, daß der Gott, der ihm die Frucht des Landes »Korn, Most und Öl gibt« (Hosea 2, 10), eben der ist, der Israel das Land gegeben hat. Geschichtsgottheit und Naturgottheit sind nicht voneinander zu tren1.

Daher, um die symbolische Zahl voll zu machen, wohl auch der seltsame Zusatz »deinem Gott« in der Anrede an den Priester (V. 3).

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nen, und das Zeichen ihrer Einheit ist das Land. Der Gott, der Israel in dieses Land gebracht hat, er eben ist es, dessen Augen stets darauf gerichtet sind, »von der Frühe des Jahres bis zur Jahresspäte« (Deuteronomium 11, 12). Die gleichmäßig wiederkehrenden Jahreszeiten mit ihren Segnungen sind an jenen einmaligen Geschichtsakt gebunden, in dem der Gott das Volk, mit dem er den Bund geschlossen hat, in das ihm verheißene Land führte. Die Schöpfung selber zeugt für die Offenbarung. Ihr Zeugnis ist das Land. Erst aus frühtalmudischer Zeit ist uns eine Schilderung überliefert, wie die Darbringung der Erstlinge begangen wurde. Der Bericht der Mischna (Bikkurim III) klingt, als wolle man etwas Verlorenes, Dahingegangenes für das Gedächtnis der kommenden Geschlechter bewahren. Da hören wir, wie die Leute ringsumher mit den Frühfrüchten, die Nahen mit frischen, die Fernen mit getrockneten, nach Jerusalem kommen. Am Morgen betritt der Zug die Stadt, Flötenspiel voran, dann der Opferstier mit vergoldeten Hörnern, hinter ihm die Männer, die mit Früchten gefüllten, mit Trauben umkränzten Körbe tragend, jeder nach seinem Vermögen, goldne Körbe, silberne Körbe, und Körbe aus geschälten Weidenruten geflochten. Die Handwerker Jerusalems kommen ihnen entgegen und grüßen sie, jede Ortschaft besonders: »Brüder, Männer aus der Ortschaft des und des Namens, euer Kommen sei in Frieden!« Als sie aber am Tempelberg standen, nahm der König selber seinen Korb auf die Schulter und trat mit ihnen ein. Im Vorhof sangen die Leviten den Psalmvers: »Erheben will ich dich, JHWH, denn du hast mich heraufgezogen.« Das Verb bezeichnet das Heraufziehen des Eimers aus dem Brunnen. Im Zusammenhang der Handlung, im Zusammenhang mit dem nun zu sprechenden Gebet, das die Befreiung aus Ägypten preist, nimmt der Psalmvers die Bedeutung an: Israel dankt Gott, daß er es aus dem Brunnen Ägyptens in die Helle und Freiheit des eigenen Landes heraufgezogen hat. Was uns in dem Bericht der Mischna entgegentritt, ist die lebendige Einheit – vom Kleinbauern und Handwerker bis zum König reichend – eines Volkes, das den Natursegen als Geschichtssegen erlebt und verherrlicht. Damit erschließt sich uns vollends der Sinn des Abschnitts von der Darbringung der Erstlinge, – der einzigartigen Urkunde eines einzigartigen Verhältnisses zwischen einem Volk und einem Land. Mensch und Erdreich In den Mythen der Völker, vom Fernen Osten und den Inseln der Südsee bis zum Innersten des afrikanischen Kontinents, kehrt Mal um Mal die

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Vorstellung wieder von einem Urzusammenhang zwischen dem Menschen und dem Erdreich: aus Lehm oder aus Schlamm formen die Götter das Menschengeschlecht; zuweilen, so in Babylon, wird dem Lehm das Blut eines geschlachteten Gottes beigemischt. In der biblischen Schöpfungsgeschichte gewinnt die Vorstellung eine Ausgestaltung ohnegleichen: vom Ursprung her ist das ganze Schicksal des Menschen mit dem Ackerboden unlöslich verknüpft, aber auch dessen Schicksal mit ihm. Erst ist (Genesis 2, 5) eine Adama, ein fruchtbares Erdreich, da, aber ein Mensch, ein Adam, fehlt, es zu »bedienen«. Dann wird von Gott dem Töpfer aus dem Staub der Adama der Adam gebildet und in den Garten gesetzt, dessen Fruchtbäume er aus der Adama aufsprießen ließ. Und wieder bildet Gott aus der Adama Tiere und Vögel und bringt sie dem Adam, daß er jedem den rechten, den Wesensnamen gebe. Aber so in die Mitte der lebendigen Welt gesetzt, versündigt sich das Menschenpaar. Und nun spricht Gott in Adams Ohren den Fluch über die Adama aus: um des Menschen willen wird sie verflucht. Und weiter erfährt Adam, daß er im Tode zur Adama, aus der er genommen wurde, zurückkehren muß. Sie sind von urher und für immer miteinander verbunden. Wir haben keine zuverlässige Kenntnis von der Herkunft der Wörter adam und adama, deren erstes der biblische Text offenkundig aus dem zweiten ableitet, ohne daß die Sprachwissenschaft ihm recht geben dürfte, freilich aber auch ohne daß sie hinreichenden Grund hätte ihm zu widersprechen. Die biblische Verknüpfung der beiden geht wohl darauf zurück, daß »der lichtbraune Mensch aus der lichtbraunen Erde gebildet ist, in die er sich schließlich auflöst« (adima heißt arabisch braun sein, rötlichbraun sein, und »braunrot« wird auch die ursprüngliche Bedeutung des hebräischen adom sein), aber die lichtbraune Farbe dürfte es auch gewesen sein, »die dem fruchtbaren Erdreich den Namen gegeben hat, das sich in Palästina in hellen, bräunlichen Tönen von den unfruchtbaren, grauen Kalkfelsen des Turon und Cenoman und dem blendend weißen Senon der Wüsteneien absetzt 1 «. Aber die biblische Erzählung will mit ihrer mehrfach wiederkehrenden Zusammenstellung beider Namen mehr sagen, als etwa die Römer im Sinn hatten, wenn sie homo von humus ableiteten, weil der Mensch »aus der Ackererde geboren« sei. Was sie zum Ausdruck bringen will, ist eine Existenzgemeinschaft beider, eine Gemeinschaft, die sich zu einer eigentümlichen Solidarität auswirkt. Das Erdreich trägt den Fluch der Menschentat, es hat für sie einzustehn, aus einem alles von selber hervorbringenden wird es durch sie zu einem kar1.

Leonhard Rost, Die Bezeichnungen für Land und Volk im Alten Testament (Festschrift Otto Proksch, 1934) S. 126.

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gen und spröden, Dorn und Distel treibenden. Das ist noch etwas anderes, als wenn etwa Hesiod die Erde zur Zeit des goldnen Geschlechts von selber Früchte in Fülle tragen und erst in den späteren der Bestellung bedürfen läßt. Der biblische Acker hat zu verantworten, was der aus ihm stammende, ihm verhaftete Mensch verschuldet. Sie sind auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden, so aber, daß es der Mensch ist, der mit seinem Tun und Lassen das Schicksal des Bodens bestimmt, welches hinwieder zu seinem Schicksal wird. Gewiß, nur ein Bauernvolk kann so reden; aber ich weiß außer dem in Kanaan seßhaft gewordenen Israel kein anderes Bauernvolk, das so geredet hat. Wohl zeigt es sich in einer andern biblischen Erzählung, der von der Sintflut, daß nicht bloß die Adama als solche, sondern die Erde überhaupt durch die Verfehlung des Menschen fehlhaft und straffällig wird. Indem sie, die Erde, sich mit menschlicher Gewalttat füllt, »verdirbt« sie selber (6, 11). Gott sieht sie an und nimmt wahr, welche Wirkung es getan hat, daß »alles Fleisch seinen Weg auf der Erde verderbt hat«: »sie selber ist verdorben« (V. 12). Und so beschließt er, sie zu »verderben«, das heißt die von innen zerrüttete von außen zu verwüsten (V. 13), und eben damit »alles Fleisch zu verderben«, das heißt es vergehen zu lassen (V. 17). Nach Ende der Flut aber, da er mit den Geretteten, mit allen bewahrten Lebewesen und ihren Nachkommen den Bund im Zeichen des Regenbogens schließt, spricht er aus, es werde keine Flut mehr sein, »die Erde zu verderben« (9, 11). Auch hier hat all die Wiederholung den Zweck, eine Grundtatsache einzuprägen: die Erde ist und bleibt mit dem Menschen, der sie zu »füllen« und zu »bewältigen« erschaffen worden ist (1, 28), solidarisch, aber die Buße, die sie zu leisten hat, soll nicht mehr bis zur Zerstörung gehen, der ununterbrochene Gang der Gezeiten soll ihr hinfort nicht verkümmert werden (8, 22). Unter den vier Paaren der Gezeiten, die genannt werden, steht am ersten Platz das eine, das nicht der Natur, sondern der Kultur angehört: Saat und Ernte. So sehr ist die Erzählung vom Grundgefühl des Bauern beherrscht. Und hier zeigt es sich, daß auch, wenn von der Erde überhaupt, als mit dem Menschen in verantwortlicher Existenzgemeinschaft stehend, gesprochen wird, letztlich die Adama gemeint ist, von deren Fluch Noah das Menschengeschlecht aufatmen lassen soll (5, 29) und als deren »Mann« 1 er nach der Flut (9, 20) das neue Werk beginnt. Einen anderen, aber wohl noch stärkeren Ausdruck gewinnt der Zu1.

Es ist wohl nicht einfach »Landmann« gemeint, sondern die nur hier vorkommende Wendung bedeutet etwa: der nunmehr der (erneuten) Adama als ihr Bebauer zugehörende Mann.

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sammenhang zwischen Mensch und Boden, wenn es nicht um die Erde überhaupt, sondern unmittelbar um das Land Kanaan geht. Die Reihe der Verbote geschlechtlicher Unsitten im achtzehnten Kapitel des Buches Leviticus endet mit dem Anruf an das Volk, sich mit alledem nicht zu bemakeln. »Denn mit alldem bemakelten sich die Völker, die ich vor euch fortschicke, maklig wurde das Land, ich ahndete an ihm seinen Fehl, das Land spie seine Insassen aus … Daß nicht euch ausspeie das Land, wenn ihr es bemakelt, wie es ausspie das Volk, das vor euch da war!« Die kanaanitischen Völker haben mit ihren Unsitten nicht bloß sich selbst, sondern auch das Land, mit dem sie verbunden waren, unrein, zuinnerst unrein gemacht, und das Land konnte sich dieser seiner Unreinheit nur entledigen, indem es sich der Völker selber entledigte. Das gleiche Los droht Israel, wenn es unrein wird und das Land, mit dem es verbunden worden ist, unrein macht. Das wird am Schluß der zugehörigen Strafbestimmungen (20, 22) wiederholt. Das sündige Menschenvolk »versündigt« das Land, in dem es siedelt (Deuteronomium 24, 4), das heißt es versetzt es in einen Zustand des innern Zerfalls. Dieser Zustand wird aufs genaueste durch das Wort chanaf bezeichnet, das (wie wir aus der Bedeutung des arabischen Verbs chanifa, an einer Fußverrenkung leiden, entnehmen dürfen) etwa als »aus den Fugen geraten sein« zu verstehen ist. »Bringt nicht aus den Fugen das Land, darin ihr seid«, heißt es in dem Verbot, einen Mörder zu schonen (Numeri 35, 33), »denn das Blut, es bringt das Land aus den Fugen, nicht wird Sühne dem Land um das Blut, das darin vergossen ward, es sei denn durch das Blut dessen, der’s vergoß«. Das Erdland hat seine natürliche Fügung und Ordnung, die es durch die Schuld des Menschen verliert und erst wenn die gesühnt ist wiedererlangt. »Heißt es nicht«, so führt Jeremia (3, 1), anscheinend aus einem alten Volksspruch an, »aus den Fugen, aus den Fugen geraten muß das Land (dessen Bevölkerung sich so verschuldet)?« Und er klagt Israel an (V. 9), es habe mit seiner Hurerei das Land aus den Fugen gebracht. »Von den Kündern Jerusalems aus«, ruft er (23, 15) über die entarteten Propheten, »fuhr Verrenkung in alles Erdland«. Mit noch stärkeren Akzenten erklingt die Trauer um die geschändete Erde, in der gleichen Sprache, aber über Kanaan weithinausgreifend, in der großen Untergangsvision, die in das Buch Jesaja (Kap. 24) aufgenommen worden ist: »Das Erdland ist unter seinen Insassen aus den Fugen geraten, denn sie übertraten die Weisungen, sie entglitten dem Gesetz, sie zerbrachen den Urzeit-Bund. Darum versehrt ein Fluch das Erdland.« Solchen Äußerungen kann eine Erklärung, die bloß auf die Bestrafung einer Bevölkerung durch Minderung des Bodenertrags oder dergleichen

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hinzuweisen weiß, nicht gerecht werden. Ihnen liegt offenbar der Glaube an einen unmittelbaren Zusammenhang von Mensch und Erdreich zugrunde, einen Zusammenhang von kosmisch-ethischem Charakter, worin aber das ethische Element das entscheidende ist. Der Mensch ist unter das Gebot eines ihm seinen Willen offenbarenden Gottes gestellt, und er ist durch den Schöpfungsakt eben dieses Gottes in so enge Verbundenheit mit dem Erdboden gesetzt, daß sein Verhalten zum Gottesgebot sich unmittelbar zu Heil oder Schaden des Erdreichs auswirkt. Das leidenschaftliche Verhältnis Israels zur Adama, an dem sich die Glut dieses Glaubens entzündet, beeinflußt die Darstellung der Bedingtheit des Erdenschicksals durch die Menschentat wie in der Geschichte der Urzeit, so in der Verkündigung des Gottesbundes. Die Gemeinschaft zwischen Mensch und Erdreich erfordert aber vor allem ein redliches Verhalten des Menschen in allem, was mit dem Acker, ja mit der gesamten Ackerwirtschaft, einschließlich der Erwerbung des Bodens und der Verwertung der Ernte, zusammenhängt. Seine Rede gegen die Kornwucherer, die den Scheffel verkleinern und das Geldgewicht vergrößern, schließt Amos (8, 8) mit dem Spruch, das Erdland müsse um solches Treibens willen erbeben und aufgewühlt werden. Und Hiob spricht am Ende seiner Rechtfertigung (31, 38 ff.) von dem ungerechten Bodenerwerber (wir denken an Nabots Weinberg), dessen Adama über ihn schreit und ihre Furchen weinen mitsammen. Wir vernehmen hier etwas anderes als eine bloße dichterische Metapher: in dem späten Bilde stellt sich uns ein Urglaube dar. Das Erdreich ist in Israel nicht bloß wie bei allen frühen oder die Kraft ihrer Frühe bewahrenden Völkern ein lebendes Wesen, sondern es ist auch der Partner einer Gemeinschaft, die eine sittliche, eine von Gott gewollte und gebürgte ist. Von hier aus ist die Institution des Sabbatjahrs in ihrem vollen Sinn zu erfassen, eine Institution, deren Aufkommen, wie ein kritischer Forscher vor kurzem mit Recht erklärte 1 , nur in einer Zeit denkbar ist, »in der die israelitischen Stämme das Halbnomadentum ihrer Vorzeit noch nicht ganz verlassen und mit dem Ackerbau zwar schon begonnen, ihn aber noch nicht zum Mittelpunkt ihrer Wirtschaft gemacht hatten«. Die Vorschriften für sie liegen uns bekanntlich in zwei Fassungen vor. Die erste, offenkundig fragmentarische (Exodus 23, 10 f.), weiß nur zu sagen, in jedem siebenten Jahr erlösche der Anspruch der Sippen auf die ausschließliche Nutznießung des ihnen zugeteilten Bodens, und der Ertrag solle allen, die es hungert, freigegeben werden, wie wenn der Boden Gemeinbesitz aller in der Landschaft Lebenden wäre, zu denen mit entspre1.

Albrecht Alt, Die Ursprünge des israelitischen Rechts (1934) S. 65.

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chender Abstufung auch die Tiere gerechnet sind. Die zweite, umfassende und begründende (Leviticus 25, 2-7), ist zwar in der uns vorliegenden Sprachform als eine spätere Bearbeitung anzusehn, aber ihre Elemente lassen sich ebensowenig wie die der ersten aus »theologischer Konsequenzmacherei« 1 verstehen, sondern nur aus Zusammenfluß und Ausgestaltung alter Rechtstraditionen. Zum Unterschied von der ersten Fassung steht hier der Begriff des Sabbat im Mittelpunkt, der seinem ursprünglichen Bestande nach als uralt gelten darf 2 . Das Sabbatjahr ist der Sabbat der Erde, ihre »Feierzeit«, denn dies bedeutet ja Sabbat. »Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch gebe«, gebietet die Vorschrift, »feiere das Land eine Feier dem JHWH.« Wie der Sabbat des Volkes nicht ein bloßes Ruhen von der Arbeit, sondern ein dem Gott geweihtes Feiern ist, so auch der Sabbat des Landes. Wie am Sabbat alle in der Volksgemeinschaft lebenden Wesen von aller Befehlsgewalt außer der des einen Herrn frei werden, so im Sabbatjahr das Land. Es ist eine »sakral gedachte Brache« 3 . Wohl darf man sagen, der Gedanke gehe darauf, »daß die Erde für eine Zeit frei sei, so daß sie nicht dem Menschenwillen unterworfen, sondern ihrer eigenen Natur überlassen sei, gleichsam ein Niemandsland« 4 . Aber wesentlich ist, daß die Ruhe des Ackers eben eine Gottesruhe und seine Freiheit eine Gottesfreiheit bedeutet. Ruhen, Freisein, Feiern ist keine negative Bestimmung, es ist mehr als das Aussetzen von Arbeit und Abhängigkeit, es ist das Aufgenommensein in das naturhafte Wirken des Gottesbundes. »Im siebenten Jahr«, gebietet die Vorschrift, »sei Feierzeit des Feierns (schabbat schabbaton) dem Land, Feier dem JHWH.« Der zweifache Dativ redet eine deutliche Sprache. In der Befreiung des Bodens von der Verfügungsgewalt der Besitzer, in der Hergabe seiner Früchte an alle tritt der Boden immer neu in die göttliche Weihe ein. In den im gleichen Abschnitt enthaltenen Vorschriften für das Jobeljahr wird das Verbot, Land »auf Abschluß«, für immer, zu verkaufen, und das Gebot, für verkauftes Land Auslösung zu gewähren, mit dem Gottesspruch begründet (V. 23): »Denn mein ist das Erdland, denn Gäste und Beisassen seid ihr bei mir.« Das Land ist nicht Einzelner, es ist aller, es ist des Volkes, denn es ist Gottes. Alle Besitzverschiebungen, alle aufgekommene Latifundienwirtschaft wird im »Heimholer«-Jahr (denn das scheint jobel zu bedeuten) ausgeglichen, alles wird in das Lehen Gottes an das Volk »heimgeholt«. Aber dieselbe Begründung darf auch 1. 2. 3. 4.

Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (1921) III, S. 57, 76. Vgl. den Überblick über den Stand der Forschung bei Walther Eichrodt, Theologie des Alten Testaments 1 (1933), S. 59, Anm. 3. Alt a. a. O. Johannes Pedersen, Israel, Its Life and Culture I-II (1926), S. 480.

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für das Sabbatjahr gelten: dadurch, daß immer wieder der Ertrag des Bodens aller wird, wird immer neu bekundet, daß das Land Gottes ist. Wir kennen auch aus anderem früh-theokratischem Schrifttum, so insbesondere aus altarabischen politisch-religiösen Urkunden 1 , sakralen Zusammenhang zwischen Gott, Volk und Land; erobertes Land wird dort an den Gott und an das Volk übergeben, der Stammesgott ist Eigentümer der Güter. Aber nirgends ist, wie in der heiligen Schrift Israels, die sozial-religiöse Folgerung gezogen, nirgends sonst die Würde des fruchtbarkeitsbegabten Erdbodens zu solchem gläubigen Ethos der Forderung an das ihn bebauende Menschenvolk erhoben. Siebenmal wiederholt sich feierlich die Wortwurzel schawat in der Leviticus-Verordnung für das Sabbatjahr. Und erneut siebenmal kehrt sie wieder in jenem Teil der großen Warnung (26, 3-45), der von dem Motiv des nichteingehaltenen Sabbatjahrs beherrscht ist (V. 34-43). Das ist echt biblisches Pathos der Zahl, wie es den Hörern der regelmäßig verlesenen Texte wohl auch durch rhythmische Hervorhebung zu Gefühl gebracht worden ist. Es ist die letzte Steigerung der sich immer wieder steigernden Strafansage, worin dieses Motiv bestimmend ist. Die Voraussetzung ist der Anspruch des Bodens auf das Sabbatjahr; ihm gebührt es, wie es Gott gebührt. Das ihm Gebührende wird ihm zuteil werden, wenn das Volk von ihm vertrieben wird. »Und euch«, so heißt es (V. 33), »streue ich unter die Völker, und ich zücke hinter euch ein Schwert.« Wie einst das Schwert der Cheruben den ersten Menschen den Rückweg ins verlorene Paradies verwehrte, so will hier der Gott selber der schwerttragende Wächter des verheißenen, geschenkten, dann verscherzten Landes sein. Das Land soll dann endlich frei werden: indem es menschenleer wird. Wenn das Volk, das das Sabbatjahr nicht hat halten wollen (wir wissen nicht, ob es in der vorexilischen Epoche überhaupt gehalten worden ist), aus seinem Land vertrieben wird, Volk und Land voneinander getrennt werden, dann wird das Land endlich zu seinem Rechte kommen: eben zu den Sabbatjahren, die das Volk ihm vorenthalten hatte und die nun in einer langen ununterbrochenen Brachezeit nachgeholt werden sollen. Aber zuletzt führt doch die Verheißung über die Verwünschung hinaus. Beides ist eigentümlich tief miteinander verwoben, und zwar dadurch, daß jene Verbundenheit von Mensch und Erde, von Volk und Land, durch das Mittel der Wiederholung des gleichen Worts in zwiefältiger Bedeutung eine denkwürdig eigentümliche Sprachgestalt gewinnt. In verschiedenen Formen kehrt mit starker Betonung das Verb raza wie1.

Vgl. Martin Buber, Königtum Gottes, 2. Auflage (1936), S. 56 ff.

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der, das in der Kal-Form etwa »eine Leistung annehmen und dadurch gültig machen, durch eine Leistung befriedigt werden« und in der HifilForm »eine gültige, befriedigende Leistung vollziehen« bedeutet. So werden die lange starre Ruhe des Landes, die das Versäumte ausgleicht, und die lange große Buße des Volkes, die die Spannung zwischen ihm und Gott ausgleicht, weil es darin zu ihm umkehrt und »sein Herz sich unterwirft« (V. 41), beide werden mit demselben Wort erfaßt und so in der festen wechselseitigen Beziehung gehalten. In der Zeit, da Israel im Land seiner Feinde ist, wird das Land Israel »seine Feierjahre nachschatzen«, es wird das ihm Gebührende gültig geleistet bekommen, »alle Tage der Verödung wird es feiern, was es nicht feierte bei euren Feiersitten, bei eurem Sitzen auf ihm« (V. 34; das Wortspiel b’schabtotechem, bei euren Feiersitten, b’schiwtchem, bei eurem Sitzen, ist mehr als ein Spiel). Da aber das Sabbatjahr wie der Sabbat, und überhaupt alles »Feiern« JHWH zugeweiht ist, ist, was das Land mit diesem langen Feiern empfängt, zugleich etwas, was es selber leistet, was es dem Gott leistet: es schatzt (ihm) seine Feiern, seine Sabbatjahre ab. Und hinwieder wird die Verfehlung des Volkes ihm durch seine Buße vergütet, »nachgeschatzt« (V. 41), die durch seine Umkehr bewirkte Sühnung seiner Schuld empfängt es selber als gültige Leistung. So wird in dem einen Verb der verstörten Beziehung zwischen Gott, Volk und Land die Wiederherstellung bereitet. Über den strengen Ausgleich hinaus waltet das Wohlgefallen, razon, Gottes zwischen ihm, dem Volk und dem Land. Im zweitletzten Vers der Schrift (II Chronik 36, 21) wird das Wort »Bis das Land seine Feierjahre nachgeschatzt hat« dem Propheten Jeremia in den Mund gelegt, als eines, das nunmehr zur Erfüllung gekommen sei. »Alle Tage der Verödung«, fährt der Text fort, »hat es gefeiert, bis siebzig Jahre voll waren.« Ein Aufruf Kyros’ zur Rückkehr Israels aus Babel in das Land wird als die Erfüllung jenes Spruchs angeführt. Sein Schluß ist der Beschluß der Schrift (der auch in der ausführlichen Fassung des Aufrufs zu Anfang des Buches Esra steht): »Wer unter euch von all seinem Volke ist – JHWH sein Gott ist bei ihm, er ziehe hinauf!« Der letzte Satz der Bibel klingt wie das Bekenntnis einer geschichtlichen Stunde zu der Verbundenheit von Gott, Volk und Land. Die Verheißung Der ewige Natursegen der Erde als geschichtlicher Segen erfahren, die Solidarität zwischen Mensch und Erdreich als ewige Weisung in die geschichtlichen Grundlagen eines Volkes aufgenommen, das hat sich uns

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als die entscheidende Besonderheit Israels in seinem Verhältnis zu seinem Land gezeigt. Dieses Verhältnis ist einerseits ein unbedingtes, anderseits aber ist es ein geschichtlich gestiftetes. Unbedingtheit und Geschichtlichkeit scheinen einander ihrem Begriff nach auszuschließen; wo sie im Glauben verschmelzen, entsteht eine Wirklichkeit des Geistes, die, wie wir es von der biblischen Botschaft wissen, den Atem des Unbedingten weithin in die kommende Geschichte des Menschengeschlechts trägt. Solch eine Verschmelzung ist für das Verhältnis zwischen Israel und seinem Land in dem geglaubten Vorgang geschehen, den man die Verheißung nennt. Die Verheißung bedeutet, daß mitten in der Geschichte ein unbedingtes Verhältnis zwischen einem Volk und einem Land in den Bund zwischen Gott und dem Volk aufgenommen wird. Manche Völker haben Überlieferung früher Stammeswanderungen in Sagen bewahrt und gestaltet. Zuweilen wird von Göttern erzählt, die hilfreich mit dem Stamme ziehen und ihm beim Aufbau der Siedlung beistehn. Aber in den weiten Räumen der Religionsgeschichte ist mir kein anderer Vorgang bekannt, in dem ein Gott einem Volk ein Land »gibt«, kein Wort, das diesem an die Seite zu stellen wäre (Genesis 12, 7): »Deinem Samen will ich dieses Land geben.« Die vergleichende Religionsgeschichte hat dieses einfache Element nirgends sonst gefunden, und es sieht mir nach einem von jenen aus, die es nur einmal gibt. Wir wissen allerhand von den Formen des Bundesschlusses bei den Völkern, insbesondre auch bei den semitischen, auch von Bundesschlüssen zwischen Göttern und Menschen wird uns berichtet, dort und hier klingt manches an Biblisches an, aber der Gehalt des Bundes, den die Bibel beurkundet, ist einzig, – und zu diesem Gehalt gehört wesentlich das Geben des Landes. Der biblische Glaube, daß das Land eine göttliche Gabe ist, darf nicht so verstanden werden, als ob der Gott dieses Glaubens nur einem einzigen Volk ein Land gegeben hätte. Wenn Amos das Volk darauf hinweist (9, 7), daß JHWH nicht bloß Israel aus Ägypten, sondern auch die Philister und die Aramäer aus früheren Aufenthaltsländern in ihre gegenwärtige Heimat geführt habe, so ist der Sprachform seiner Rede (»Ist es nicht so … ?«) zu entnehmen, daß er nicht eine neue Lehre verkünden, sondern eine überlieferte zum vollen Gefühl bringen will; wohl aber deutet er auch (3, 2) darauf hin, daß nur Israel gegenüber diese Beziehung des Gebenden zum Empfangenden zu einer Beziehung des »Erkennens«, der Erwählung, der Offenbarung, des Bundes geworden ist: die von dem Gott geführten Völker, die ein Land von ihm erhalten haben, wissen nicht um seinen wahren Namen, um sein Wesen, um seine Universalität und um

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seine Forderung, jedes von ihnen weiß nur, daß sein Gott, der Stammesgott, es in dieses Land geführt und mit ihm beschenkt hat. Der diplomatische Stil von Jeftas Botschaft an den König eines Nachbarlandes trägt dem Rechnung (Richter 11, 24): nicht Anerkennung JHWH’s als des einen wahren Gottes wird verlangt, sondern nur Anerkennung seiner Landgaben an Israel auf der Grundlage der Gegenseitigkeit. Dennoch wird der eigene Glaube an den einen gemeinsamen Befreier, Führer und Lehnsherrn der Völker nicht verschwiegen: weigerst du dich, so fährt die Botschaft fort, dich auf den Boden der gegenseitigen Anerkennung zu stellen, dann (V. 27) »richte JHWH der Richter heut zwischen den Söhnen Israels und den Söhnen Ammons!« Das kommt, mitten in einem Erzeugnis der politisch-geschichtlichen Literatur, jenem umfassendsten Satz (Genesis 18, 25) sehr nah, wo Abraham seinen Gott »den Richter der ganzen Erde« nennt. Israel – dies ist der Kern seines Verhältnisses zu seiner Urgeschichte und recht eigentlich der Kern seines Geschichtsglaubens überhaupt – ist unter allen Völkern dasjenige, das weiß, wie es in Wahrheit zum Besitz seines Landes gekommen ist. Unter allen Überlieferungen der Welt gibt es nur diese eine über die Verheißung eines Landes an ein Volk. Als der Urträger dieser Verheißung erscheint in der Schrift der Mann Abraham. Wenn wir die kargen Angaben über sein Leben vor der Verheißung befragen, erfahren wir zunächst, daß er wandert; außer den genealogischen Namen und Daten erfahren wir nichts anderes als die Etappen der Wanderung. Das ist aber nicht gar wenig. Er wandert mit seiner Sippe und mit deren Herden – es sind nicht die Kamelherden des Beduinen, sondern die gemischten des Halbnomaden einer hohen Stufe –, von Ur, worunter doch wohl die vor kurzem ausgegrabene südbabylonische Stadt zu verstehen ist, auf der großen Karawanenstraße nordwestwärts, »um in das Land Kanaan zu gehen« (11, 31). Wahrscheinlich ist Ur nicht die Heimat der Sippe, wahrscheinlich stammt sie aus aramäischem Norden und ist von dort nach Ur gezogen, und so kommt sie nun auf ihrer Wanderung in heimisches Gebiet, nach Haran. Da siedelt sie sich an. Die Leute ziehen nicht weiter. Wollten sie in der Tat nach Kanaan und haben ihre Absicht nun aufgegeben, etwa weil Haran wider Erwarten den Motiven ihrer Wanderung – seien dies nun wirtschaftliche, politische, religiöse oder irgend gemischte – Genüge getan hat? Auf jeden Fall wird das aramäische Land von ihnen, wohl von neuem, als »ihr Land« (12, 1) empfunden. Und nun trennt sich Abraham mitsamt den ihm Anhangenden von seiner Sippe und zieht nach Kanaan, also – der Angabe der Schrift nach – zum ursprünglichen Ziel der Wanderung, und zwar weil ein Gott, den der Erzähler JHWH nennt, es ihn tun heißt. Wann er den

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Namen dieses Gottes erfährt, den er bald danach über Altären, die er in Kanaan baut, auszurufen beginnt (V. 8), sagt uns die Schrift nicht. Sie sagt uns nicht einmal, ob er schon sein Gott gewesen ist, ehe er ihm den Befehl erteilt. In einem andern Abschnitt der Erzählung (15, 7) deutet sie uns freilich an, auch schon die Wanderung aus Ur sei von dem Gott veranlaßt gewesen, er habe Abraham schon von dort »herausgeholt«, ihm »dieses Land zu geben, es zu erben«. Wir wissen aber nicht, ob damit eine Kundgebung an Abraham in Ur, jener in Haran erfolgten ähnlich, gemeint ist – was nicht recht wahrscheinlich ist, da es doch nicht an Abraham, sondern an seinem Vater Terach war, den Entschluß zu fassen – oder nur eine Eingebung an Terach, deren göttlichen Ursprung dieser nicht kannte, die er eben seinem eigenen Gotte zuschrieb. Eine Kundgebung an Terach oder an ihn und die Seinen kann (obgleich das apokryphe Buch Judith, das wohl aus der Makkabäerzeit stammt, dergleichen (5, 7) andeuten zu wollen scheint: »… daß sie dann einem Gott des Himmels dienten, der ihnen hinwegzuziehen und in Haran zu siedeln gebot«) nicht wohl gemeint sein, da die Kundgebung in Haran unzweideutig auf eine religiöse Lossagung Abrahams von seinem Vaterhause hinweist. Eine in einem, freilich nicht frühen Texte im Buch Josua (24, 2) bewahrte Tradition läßt Terach, der »jenseits des Stroms«, also östlich vom Lauf des Euphrat gesiedelt habe, ausdrücklich »anderen Göttern dienen«. Was das für Götter waren, wird uns weder hier noch anderswo gesagt. Aber wir wissen, daß die heilige Stadt Ur der Mittelpunkt des Mondkults war und Haran dessen zweite Hauptstätte, die wohl von aus der Gegend von Ur eingewanderten mondgläubigen Halbnomaden gegründet worden war. Der Mondgott war ja der Gott der Nomaden, der Wanderer, der Gott der Karawanen. Vieles spricht für einen Zusammenhang Terachs mit diesem Gotte. Er ist es offenbar, dem Abraham absagt, da er sich der Führung JHWH’s anvertraut. Der Unterschied zwischen der Führung jenes und der dieses Gottes ist nicht bloß, daß die des Mondgottes auf klare Nächte beschränkt, die JHWH’s unbeschränkt ist, sondern auch, daß jener die Wanderer nur eben auf dem Weg zu ihren von ihnen bestimmten Zielen leitet und hütet, dieser aber selber das Ziel bestimmt. Er ergreift die Initiative, er »holt heraus«, er führt »in ein Land, das er zeigt«. Wieder stehen wir einer in der Glaubensgeschichte des Menschengeschlechts einzigen und unvergleichlichen Erscheinung gegenüber. In der Erzählung von Abrahams Zug von Haran nach Kanaan und seinen ersten Wegen im Land (Genesis 12, 1-9) waltet wieder jene Art, auf das worauf es ankommt durch Wiederholung hinzuweisen: wieder siebenmal kehrt das Leitwort »Land« wieder, und dreimal hören wir »Ka-

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naan«. Das wäre unverständlich, wenn es sich um einen bloßen Bericht handelte, aber der Bericht ist voller Verkündigung. Dabei ist zu beachten, daß die erste Gottesrede an Abraham (V. 2 f.) zwar bereits eine große Verheißung, aber noch keine Verheißung des Landes enthält. Diese wird nicht in Haran, sondern erst in Kanaan selber ausgesprochen (V. 7) – erst dann, da Gott seinem Erwählten sagen kann: »Deinem Samen werde ich dieses Land geben.« In der Urverheißung des Landes ist es nicht ein Land, nicht ein »gutes« Land, es ist dieses hier, dieses Land, das gezeigt wird. In Haran heißt Gott seinen Erwählten in das Land gehen, »das ich dich sehen lassen werde«. In Sichem sieht er es – und erst hier läßt Gott auch sich selber zum erstenmal von ihm »sehen« (V. 7). In Haran »sprach« er nur zu ihm; erst jetzt, in Kanaan, hören wir von jenem Angesicht-zu-Angesicht vor Gott Stehen, das die Schrift das Sehen Gottes nennt, und dies ist die erste Stelle der Schrift, wo wir davon hören: der Mann, dem Gott das Land zu sehen gibt, ist der erste, der ihn sieht. Es ist grundwichtig, daß er nun das Land durchstreift und es zu sehen bekommt, denn es ist »dieses«, ein gezeigtes, ein gesehenes Land. Gott führt ihn nicht bloß hinein, er führt ihn auch »durchs ganze Land Kanaan« (Josua 24, 3). Nach der Trennung von Lot, als von dem Teil der Schar, der sich mit den Kanaanäern vermischen wird, heißt Gott ihn (Genesis 13, 14) nach allen Himmelsrichtungen schauen und sodann das Land »in die Länge und Breite« durchwandern, daß es ihm als das Land, das sein werden soll, vertraut werde, und zwar das »ganze Land«, denn so wird nun die Verheißung abgewandelt. Auch in dieser Erzählung (Kap. 13) kehrt dreimal dreimal das Wort erez, Erde, wieder. Mit Bedacht wird gerade hier auch zum Gleichnis der Volksmehrung der Staub der Erez, der Erdenstaub gewählt. Nur in Verbindung mit dieser Erde, mit diesem Land kann das Volk dazu werden, wozu es werden soll: »ein Segen« (12, 2). Ganz anders redet nach den angesetzten Jahrhunderten die an das Volk in Ägypten und im Auszug ergehende Bestätigung und Erneuerung der Verheißung. An Stelle der vielfachen Wiederholung des Wortes »Land«, die dem Hörer oder Leser immer neu einhämmert: »Dies ist es, worauf es ankommt«, tritt ein Gegenüber zweier »Länder« (Exodus 3, 8; 33, 1), Land des Elends und Land der Verheißung. Gott ist »niedergestiegen«, um das Volk »aus jenem Land in ein gutes und weites Land«, in eins, das wohltut und in dem man sich frei bewegen kann, »heraufzubringen«. Er holt es aus dem Land Ägypten in das Land, das er den Vätern zuschwor. Dieses Zugeschworenhaben ist der dauernde Hintergrund der Rede. Das Stöhnen Israels in Ägypten läßt den Gott des Bundes »gedenken«, den er mit den Vätern geschlossen hat (6, 5) und als

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dessen Inhalt er bezeichnet (V. 4), »ihnen das Land Kanaan zu geben, das Land des Gastsassentums, darin sie gegastet haben«. Der Gott, der des Bundes »gedenkt«, ruft das Gedächtnis des Volkes auf. Das Land, in das sie geführt werden, ist nicht ein beliebiges Nutzland; es ist das Land, mit dem sie die Überlieferung des Väterlebens verbindet. Erinnert euch: die Väter haben unseren Vätern von dem guten weiten Land erzählt. Einst führte der Gott den Urvater darin in die Länge und die Breite und ließ ihn sich daran satt sehn, daß sein Glaube die Zuversicht fasse und sie seinen Kindern übermittle; jetzt ruft das Wort des Gottes es den Kindern der Kinder ins Gedächtnis, daß ihre Seele das ungesehene Land sehe und sie durch die Wüste stoße, es zu gewinnen. Sie gehen, das Bild in der Seele. Warum heißt Gott sie jetzt, dem Ziele nah, Kundschafter senden, statt daß sie von ihm durch den Mund Mose erfahren, was vom Land ihnen zu wissen not tut? Die Fragen gehen ja so weit, daß erforscht werden soll (Numeri 13, 19), ob das Land, eben das Land, dessen Güte Mal um Mal gepriesen worden ist, gut oder schlecht, fett oder mager sei. Was die Erzählung meint, ist, daß an die Stelle des schwanken Traumbilds, aus Großmüttergeschichten gewoben, nun der Augenbericht, durch die Sinneserfahrung von Beauftragten die Fühlung mit einer schönen, aber auch harten und strengen Wirklichkeit trete. Die Kundschafter bestätigen, was man sich von der Fruchtbarkeit des Landes erzählte, aber diesen sieben guten Worten folgen siebzig 1 böse nach; sie malen die Stärke der Eingeborenen in krassen Farben und warnen: die in diesem Lande siedeln wollen, reiben einander auf, das Land »frißt seine Siedler« (V. 32), wie ein Feindesland die Kriegsgefangenen frißt (Leviticus 26, 38). Das furchtbare Wort wird von der Schrift nicht als unwahr verstanden; noch im babylonischen Exil läßt Ezechiel (36, 13 f.) Gott verkünden, von der Stunde an, da Israel in sein Land heimkehren darf, werde der Spruch, daß dieses Menschen fresse, hinfällig werden, nicht mehr werde es Menschen fressen. Ob das Land seine Siedler frißt, hängt von diesen ab: die sich gegen Gott empören, von denen weicht sein schützender »Schatten« (Numeri 14, 9), an wem er aber Gefallen hat, der ist aller Gefahr überlegen; wenn Israel das nicht anerkennt, empört es sich gegen Gott. Weil es sich empört, muß das Volk, so nah am Ziel, sich zurück zur Wüste wenden (V. 25), in der Richtung auf das Schilfmeer, gleichsam auf Ägypten zu. Die »vierzig Jahre« (V. 33 f.) des Kreuz-und-querwanderns folgen. Am Ende dieser Wanderung, im Ostjordanland, in den Steppen Moabs (Deuteronomium 1, 5, vgl. Numeri 22, 1), nachdem die elf Tages1.

Genauer 71, aber das erste Wort ist nur Überleitung zwischen beiden Teilen.

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märsche vom Berg der Offenbarung hierher in vierzig Jahren zurückgelegt worden sind, im Angesicht des verheißenen Landes, tritt die Geschichte der Verheißung in der Darstellung der Schrift in eine neue Phase, die der neuen Situation gerecht wird. In dem großen Rück- und Vorblick Mose, der aus alten Überlieferungsresten und Ausarbeitungen eines späten formel- und predigtgeübten Zeitalters mit echt biblischer Weisheit als ein Buchgebilde für sich zusammenkomponiert worden ist, wird von dem Land in einer neuen, dritten Weise gesprochen. Es wird nicht mehr im Durchmessen der innern Sicht übergeben, es wird nicht in der Ferne erinnert und verherrlicht, es liegt »vor dir« und der Ruf ergeht: »Steig auf, erbe!« (Deuteronomium 1, 21.) Wohl werden noch einmal und anschaulich eindringlicher als je zuvor (8, 7-10) seine Gaben gepriesen, »an nichts mangelt’s darin«. Aber das Neue, das nicht früher erscheinen durfte, jetzt aber erscheinen muß, ist, daß sein Geheimnis enthüllt wird (11, 10-17). Dieses Land ist unter allen eines, das seiner Beschaffenheit nach in besonderer Weise unter Vorsehung und Gnade Gottes gestellt und auf sie angewiesen ist. Um dieses Wissen den Herzen in Besitz zu geben, müssen noch einmal wie einst die beiden Länder, Ägypten und Kanaan, das Land »von wo ihr ausgezogen seid« und »das Land wohin du kommst es zu erben«, einander gegenübertreten. Aber nun geht es um etwas andres noch als um die Vergleichung zweier Zustände des Volkes. Das natürliche Wesen der Länder wird verglichen, an dem Ägyptens soll das Kanaans ganz deutlich werden. Ägyptens Fruchtbarkeit hängt nicht von den wechselnden Spenden des Himmels ab, mit ihnen wird es nur äußerst kärglich bedacht; die Schöpfung hat ein für allemal für es gesorgt, zu alljährlicher Überschwemmung ist der Nil erschaffen worden, ihre Stärke ist freilich unregelmäßig, aber die Menschen verbessern in einer ungeheuren technischen Anstrengung der ganzen Bevölkerung von der Urzeit an das Werk der Schöpfung, sie bauen Dämme und Schleusen, den Strom zu regeln, ziehen Rinnen und Gräben, die Feuchtigkeit zu verteilen, und errichten Wasserräder, sie aus dem Fluß und den Seen zu heben und in die Rinnen und Gräben zu bringen: dieses Land kannst du »mittels deines Fußes netzen wie einen Kohlgarten« (V. 10). Nicht so Kanaan. Wohl ist’s »ein Land von Wasserbächen, Quellen, Wirbelfluten, auffahrend im Gesenk und im Gebirg« (8, 7), aber all dies kommt und schwindet, das Land ist ungesichert, »vom Regen des Himmels trinkt es Wasser« (11, 11), es ist in der Hand des Gottes, der es immer wieder »aufsucht« und ihm zubestimmt: »stets sind JHWH’s deines Gottes Augen darauf, von der Frühe des Jahrs bis zur Späte des Jahrs« (V. 12). Dies ist der Erdenfleck, wo die Gnade augenfällig waltet. Was sie von den Menschen, von dem Volk erwartet, ist die »Liebe«

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(V. 13). Einem ihn liebenden Israel wird JHWH »den Regen eures Landes zu seiner Frist geben, Herbstguß und Lenzschauer« (V. 14), einem von ihm »weichenden« (V. 16) »sperrt er den Himmel, nicht fällt Regen mehr, der Boden spendet nicht sein Gewächs« (V. 17). Die Geschichtsbücher geben ein großes Beispiel dafür in der Erzählung von Elia (I Könige 18), der in der jahrelangen Dürre und Hungersnot das Volk rügt, das »auf zwei Zweigen zugleich hüpfen« will, statt sich zwischen JHWH und dem Baal zu entscheiden: durch die Heimsuchung wendet der Gott das Herz Israels zurück (V. 37), und nun kommt der so lang vorenthaltene Regen. Natürlich ist es keineswegs die Meinung der Schrift, daß Ägypten vom Schöpfer dem Gang der Natur überlassen und seinen, Gottes, unmittelbaren Einwirkungen entzogen sei. Der Nil ist wie die ganze Welt in Gottes Macht gegeben. Das wird in der Erzählung von der großen Hungersnot zur Zeit Josefs wie in der von der Blutplage zur Zeit Moses’ deutlich kundgetan. Die Propheten verkünden, wie JHWH die ägyptischen Flußläufe austrocknet (Jesaja 19, 6 ff.). Aber all dies ist doch gleichsam ein außerordentliches Handeln der Gottheit, wogegen sich in der Beschaffenheit des Landes Kanaan ihr unablässiges Walten darstellt. Diese seine Beschaffenheit befähigt es, das Pfand des Bundes zu sein. Herodot (2, 12 f.) berichtet, wie die ägyptischen Priester, mit denen er sprach, ihr Land mit Griechenland verglichen. Die auf den Regen angewiesenen Griechen, so gaben sie ihm zu verstehen, seien der Willkür ihres Zeus preisgegeben, wogegen Ägypten von urher allen Wechselfällen himmlischer Schickung entzogen sei. Wenn (wofür manches spricht) hinter der angeführten Äußerung eine ägyptische Grundanschauung steht, kann man sie als den Hintergrund des Deuteronomium-Spruches verstehen. Ägypten hat in der Tat »einen Stamm von Göttern hervorgebracht, die zu den klimatischen Bedingungen des Mittelmeergebietes keine Beziehung hatten«. 1 Der Ägypter fühlt sich in den Dingen des Akkers und des Ackerbaus, soweit es um Wasser geht, von der Gottheit unabhängig; er hat sozusagen seinen Vertrag mit der Natur und braucht die obern Mächte in diesem Belange nicht mit Furcht und Hoffnung zu bemühen. Die Priester, die mit Herodot reden, sehen darin einen großen Vorzug. Die Schrift hingegen betrachtet dieses Versorgtsein als eine schwere Beeinträchtigung jenes Lebens, auf das es ankommt: des Umgangs mit einer zürnenden und erbarmenden Gottheit. In Ägypten war Israel in die bloße Naturhaftigkeit des Daseins einbezogen; indem Gott es nach Kanaan, als in das Land seiner lebendigen Fürsorge bringt, versetzt 1.

Ellen Churchill Semple, The Geography of the Mediterranean Region (1932) S. 511.

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er es in die Unmittelbarkeit des Verkehrs mit ihm. In den Rhythmus der abrollenden Jahreszeiten dringt ein gewaltiges Auf und Nieder: auf das Bangen um den Grimm des Gottes und das Ringen um seine Gunst folgt das befreite Aufblicken zu ihm. Von hier aus führt ein Zusammenhang bis zu den Gipfeln israelitischen Glaubens: dem Vertrauen zu dem »sich verbergenden Gott« (Jesaja 45, 15). Das echte Glaubensleben entfaltet sich wohl in den Höhen des Geistes, aber es entsprießt den Niederungen der Nöte, der Nöte des erdgebundenen Menschenleibes. Der Beter in Israel, der für sein dürstendes Land den Regen erfleht, ist eben der, der um die Erlösung bitten wird. Nicht umsonst stellen die großen Schriftpropheten, von Amos (8, 11), der dem Nordreich den Untergang ansagt, bis zu dem Namenlosen (Jesaja 44, 3), der die Heimkehr aus dem babylonischen Exil verkündigt, das Dürsten nach Wasser und das Dürsten nach dem Wort Gottes, die Ergießung des Wassers und die Ergießung des göttlichen Geistes eng zusammen. Das ist weit mehr als eine dichterische Metapher, sogar mit dem Begriff des Symbols ist es nicht zu erschöpfen. Es ist ein Kernstück des Glaubens. Wenn man all die Stellen, an denen der »zweite Jesaja« das Wasser als Wundergabe verherrlicht, im Lichte seiner Botschaft betrachtet, erkennt man die gläubige Einsicht, die sie verbindet: so Natur wie Geist, wo ihr Wirken als Gabe wahrgenommen wird, geschieht Offenbarung. Im innersten Wesen ist die Natur kein sich unablässig fortdrehendes Rad und der Geist kein Produkt menschlicher Entwicklung: beide sind Gebärden einer Hand. »Denn ich schütte Wasser auf Durstendes, Rieselfluten auf Trockenheit, ich schütte meinen Geist auf deinen Samen und meinen Segen auf deine Nachfahren.« An dem Werden dieses Glaubens hat das Land der Verheißung seinen großen Anteil. Wohl, auch hier gibt es, wie auf der ganzen Erde, Gezeiten und »Fristen«, den Herbstregen Joreh zu seiner Frist und den Lenzregen Malkosch zu seiner Frist. Den Gott Liebenden wird in jener Rede Mose, wo Ägypten und Kanaan verglichen werden, zugesagt, Gott werde »den Regen eures Landes zu seiner Frist geben, Joreh und Malkosch«. Aber trotz der festgesetzten Fristen sind die Regenzeiten unbeständig. Israel erkennt in Kanaan, daß der Regen gegeben wird, und es erkennt, wer gibt. Freilich, nicht alle Ohren sind bereit, die Lehre dieses Landes zu empfangen. In eben diesem haben die semitischen Stämme, die es vor Israel besiedelten, und vielleicht schon die, die vor ihnen da waren, in Himmels- und Grundwasser den Erguß von »Baalen« gesehen, die sich mit Göttinnen des Ackers begatten. Diese Vorstellung und die Riten, die sich an sie knüpfen, haben sie auch einem anscheinend nicht geringen Teil

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der israelitischen Ankömmlinge beizubringen gewußt, und man verstand es in Israel, den beibehaltenen Dienst des Führergottes JHWH mit dem all der wimmelnden Fruchtbarkeitsgeister zu vereinbaren. Wohl, er war es, der Israel in das Land gebracht hatte, aber die »Herren« oder »Inhaber« oder »Gatten« (all das heißt »Baal«) des Landes waren offensichtlich sie, die es befruchteten. In dem Kampf zwischen dem ausschließlichen Glauben an JHWH und der Mischreligion, deren Anhänger wie ein an eine Astgabelung gelangter Vogel auf zwei Zweigen gleich hüpfen möchten, erringt Elia den entscheidenden Sieg, indem (I Könige 18, 39) JHWH vom Volk als die, das heißt die ausschließliche Gottheit angebetet und ausgerufen wird: alle Segnung der Natur ist nicht Erzeugnis baalischer Vermählungen, sondern seine Gabe. Aber noch hundert Jahre danach, kurz vor der Katastrophe des Nordreichs, muß Hosea (2, 10-15) daran gemahnen, daß nicht die Baale, sondern JHWH es ist, der Korn, Most und Öl spendet und jedes daher auch »zu seiner Frist« und »in seiner Gezeit« nehmen kann. Das eben ist die ausgereifte Lehre Kanaans. Was sie zur Reife brachte, ist die Begegnung dieses Landes mit diesem Volk, – nicht auf einmal, sondern in langem, alles Hindernde überwindendem Wachstum. Ein Glaube wie dieser, so sehr er Offenbarungsglaube ist, fällt nicht fertig vom Himmel, ein bestimmter, so und nicht anders beschaffner Erdstreifen und ein bestimmter, so und nicht anders beschaffner Menschenschlag gehören dazu, ihn gemeinsam auszubauen. »In der ganzen ägäischen Welt ist primitive Religion an die Bedürfnisse des Ackerbaus gebunden; der höchste Gott war der, der die wohltätigen Regengüsse auf die durstenden Felder sandte 1 .« Auch Zeus ist ein Regengeber. Vom Gipfel seiner heiligen Berge bewegt er das dichte Gewölk (Ilias 16, 297). Er wird angerufen, wie es in dem von Mark Aurel angeführten Gebet heißt, auf die Kornländer und die Weidefluren der Athener zu regnen. Das besonders karg vom Himmelswasser bedachte Attika fühlte sich in besonderer Weise auf seinen Bestand angewiesen, und auf der Akropolis flehte ein Bild der Erde Zeus um Regen an. Die Gewährung ihrer Bitte wurde, nicht anders als in der baalischen Vorstellungswelt, als Befruchtung verstanden. Aber nirgends wird hier die Macht über die himmlischen Wasser so in die wechselseitige Beziehung des Gottes zu seinem Volk hereingenommen wie in Israel. Wohl haben auch die Griechen ihre Flutsage, darin Zeus große Regengüsse vom Himmel strömen läßt, die die schwarze Erde überschwemmen und alle Menschen bis auf wenige vernichten (Solon soll nach Platons Erzählung dazu, 1.

Semple a. a. O. S. 573.

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wieder von einem ägyptischen Priester, gehört haben, diese göttliche Reinigung der Erde sei an allen Ländern vollzogen worden bis auf Ägypten, das auch während solcher Kataklysmen nur seine jährliche Nilschwelle hat, denn »es ist so eingerichtet«); aber schwerlich läßt sich in hellenischem Bereich ein Abschluß des Vorgangs denken von der Art jenes Bundes, den der biblische Gott im Zeichen des Regenbogens mit der Erde schließt. Und wohl hilft Zeus bei Homer mit seinen Regenfluten anderen Göttern, die ohne die gebührenden Opfer erbaute Schiffsmauer zu stürzen; aber urfremd ist ihm eine Tat wie die JHWH’s, der, um den Schlachtreihen Israels voranzuziehen, vom Gefilde des Südens her über die bebende Erde schreitet und die Wolken zu Wasser zertriefen läßt, das Bäche hochschwellt und den feindlichen Wagenpark verwirrt (Richter 4, 14 f.; 5, 4, 26). Was JHWH solcherweise von allen Zeus-Wesen scheidet, ist eben das, was nicht zuläßt, daß ihn ein Pantheon umgebe: Israel lernt ihn schon in der Urzeit als den die Sippe, den Stamm von Land in Land führenden, mit den Erwählten den Bund schließenden Gott kennen, der sodann wieder das Volk, mit ihm den Bund erneuernd, von Land in Land, in »dieses Land« führt und auch hier wieder seinen Befreiungszügen vorangeht. Darin ist seine Einzigkeit urtümlich beschlossen. Führung und Bund ist Sache des Einen. Von da aus erkennt man ihn – freilich, unter allen semitischen Stämmen, die an Stammesgötter glaubten, vollzieht nur Israel diese Erkenntnis – als den Bund mit seiner Schöpfung schließend, und eben von da aus als das Menschengeschlecht zu seiner Erlösung leitend. Als man seine Führung erfuhr, hat man gemerkt, wie die Sterne in seinem Dienst stehen (Richter 5, 20). Aber schon der Verheißende zeigt zugleich die Sterne wie Kronjuwelen vor (Genesis 15, 5) und nimmt das Ländchen Kanaan feierlich in seinen Besitz. Von Abraham erzählt die Schrift, daß er, nachdem ihm »dieses Land« verheißen worden ist, im Norden Altäre baut und darüber den Namen Gottes ausruft (12, 8; 13, 4); viel später, nachdem ihm der verheißene Sohn gegeben ward, pflanzt er im Süden eine Tamariske und ruft darüber den Namen aus (21, 33). Dieses Ausrufen ist weder als Gebet noch als Predigt an die Heiden zu verstehen, sondern als eine Proklamation. So wird über einer eroberten Stadt der Name des Eroberers ausgerufen (II Samuel 12, 28), so die Namen der Grundherren über ihren Liegenschaften (Psalm 49, 12). Abraham »geht vor JHWH einher« (Genesis 17, 1). Als Herold zieht er seinem Gott, der einst mit dem Volk der Verheißung hier einziehen wird, voraus und nimmt durch die Ausrufung seines Namens das Land für ihn in Besitz. Wohl ist die ganze Erde sein, aber wie er Israel sich zum »Sondergut« machen will, so nimmt er Kanaan, da er es Israel verheißt, in einer besonderen Weise in Besitz. Dem

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Gotteswort, das von der Erde sagt: »denn mein ist das ganze Erdland« (Exodus 19, 5) entspricht jenes andere, von Kanaan handelnde »denn mein ist das Erdland« (Leviticus 25, 23), aber der Nachsatz »denn Gäste und Beisassen seid ihr bei mir« zeugt deutlich für die besondere Art dieses Besitzes. Er, der, wie wir von Amos hörten, alle wandernden, landsuchenden Völker in ihre neuen Wohnsitze bringt, hat sich nur an diesen einen Platz Gäste und Beisassen hingesetzt, die unmittelbar ihm botmäßig sein sollen (kohanim, Exodus 19, 6, das heißt der ursprünglichen Bedeutung des Wortes nach nicht Priester, sondern etwa Adjutanten). Das hängt eng damit zusammen, daß er von je dieses Land unter allen zum Gegenstand seiner unmittelbaren Fürsorge gemacht hat, daß er es aufsucht, daß seine Augen stets darauf gerichtet sind. Und hinwieder kommt Israel eben dadurch, daß es ihn in dieser besondern Art als den Herrn des Landes erkannt hat, dazu, in ihm den Herrn der Welt zu erkennen. Es lernt die Verheißung als eine Wahlhandlung der Allmacht verstehen, die sich aus allen Völkern eins und aus allen Ländern eins erliest und sie zusammenbringt, um einen Vorposten des Reiches zu errichten. Dennoch: der Bund zwischen Gott, Volk und Land, der so gestiftet wird, wird vom Volk gebrochen. Aber aufgelöst ist er nicht und soll er nicht werden. Gewaltig rügen die Propheten, aber je näher der Zusammenbruch des Staatswesens kommt, um so deutlicher verkünden sie, daß die Verheißung an die Väter, Israel »an diesem Ort« wohnen zu lassen »von Weltzeit und auf Weltzeit« gegeben worden ist (Jeremia 7, 7). Gott will dereinst, wenn Israel sich reinigt, das Volk wiederherstellen (33, 7) und das Land wiederherstellen (V. 11), beide in einem. Er will das Volk in »dieses Land« in Wahrheit einpflanzen, »mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Seele« (32, 41), also auf immer. Die Allmacht straft, sie zerstreut das Volk in Feindesländern und läßt das Land wüst werden, aber sie läßt von beiden nicht, sie bleibt ihrer Wahlhandlung treu bis in den Anbruch des Reiches hinein, da beide, Volk und Land, wiedervereint das vollbringen sollen, was einst in der Verheißung ihnen zugedacht worden war. Dies, diese vollkommene, diese »getreuliche Treue« (Jesaja 25, 1) mit der JHWH zu seiner Verheißung als zu seiner Wahlhandlung hält, scheidet ihn mit Unbedingtheit von jenem Zeus, dessen Willkür halber die ägyptischen Priester das Volk Herodots bemitleiden, und von seinesgleichen. Dasselbe Wort, emuna, bezeichnet in der biblischen Sprache zugleich die Treue Gottes und das Vertrauen der Menschen zu ihm, also ihren Glauben in dem ganz undogmatischen Sinn, den die Schrift allein kennt. Der göttlichen Treue da vertrauen, wo man sie nicht zu

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fassen vermag – denn sie ist nicht zu fassen –, das ist die Emuna des Menschen, die Abraham, den Empfänger der Verheißung, der unfaßbaren Verheißung gegenüber bewährt (Genesis 15, 6). Um ihretwillen rühmt ihn Paulus als den Vater der Glaubenden; aber er ist nur der Vater der Vertrauenden, den dogmatisch formulierbaren »Glauben« hat Paulus bei den Nachkommen der Zeusverehrer gefunden. In der Entsprechung, der Wechselbeziehung von Emuna und Emuna, Gottestreue und Volksvertrauen gründet der unvergängliche Sinn der Verheißung »dieses Landes«.

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Bei vielen Völkern des Altertums, und auch im talmudischen und nachtalmudischen Judentum, finden wir die Vorstellung einer heiligen Stätte, die die Mitte der Erde, ihr »Nabel« ist. In der Bibel ist uns bis auf vereinzelte Andeutungen (Ezechiel 38, 12) kein Zeugnis einer solchen Vorstellung überliefert, und auf jeden Fall keines, das die Tempelstätte in Jerusalem beträfe. Wohl aber sehen wir, wie sich im prophetischen Schrifttum ein Bild Zions als die Mitte der künftigen, erlösten Welt verdichtet. Dieses Bild ist dem prophetischen Schrifttum Israels und den von ihm abhängigen Psalmen eigentümlich; nirgends in den heiligen Büchern der Völker gibt es, soweit ich sehe, etwas Analoges. Innerhalb des prophetischen Schrifttums aber ist es insbesondere das Buch Jesaja, in dem das Bild zu seiner Entfaltung gelangt. Um dies deutlich zu erkennen, muß man sich freilich von der geläufigen Auffassung freimachen, als seien in diesem Buche Reden, Lieder und Sprüche des Propheten Jesaja mit solchen späteren vereinigt, die ihm fremd sind und nur aus technischen Ursachen mit jenen zusammengerieten. Was das Buch umfaßt, steht vielmehr mit wenigen Ausnahmen tatsächlich im Zeichen Jesajas, das heißt es umfaßt außer dem, was sich von seinen eigenen Äußerungen erhalten hatte, Worte von Schülern, und zwar im wesentlichen solchen, die nicht wirklich zu seinen Füßen gesessen hatten, sondern lange Zeit nach seinem Tode seine Lehre in sich aufnahmen und sie in diesem oder jenem Punkte weiter ausbildeten. Unter ihnen ragt, gegen das Ende des babylonischen Exils, jener rätselhafte Mann hervor, dessen Name auf uns ebensowenig wie die der andern Jesajanisten gekommen ist und den man als Deuterojesaja zu bezeichnen pflegt. So selbständig er auch ist – unter den exilischen und nachexilischen Propheten weitaus die selbständigste Gestalt –, so lehnt er sich doch, bewußt und nachdrücklich, in Gestalt und Sprache seiner Weissagungen

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an Jesaja an, er will, wie sich aus unmißverständlichen Hinweisen ergibt 1 , als dessen nachgeborener Jünger, als der Interpret und Vollender seiner Lehre verstanden werden. Dieses eigentümliche Verhältnis eines Sohns der Krisis zum Meister der hohen Zeit der Prophetie bekundet sich besonders auch in der Art, wie er Jesajas Lehre vom Zion als der eschatologischen Weltmitte ausgestaltet. Unter den Propheten Israels ist Jesaja der einzige, für den der salomonische Tempel im Brennpunkt seiner Schau und seiner Weissagung steht. An der Tempelstätte war er zum Propheten geweiht worden und in der Vision hatte sich ihm das irdische Heiligtum ins himmlische gewandelt. Von Stund an wußte er, daß dieser Ort auserlesen war, die Mitte der Gotteswelt, des Weltreiches Gottes zu werden. Aber er ist es noch nicht geworden: weil das Volk Israel, das diese Mitte errichten soll, indem es sein ganzes Leben der Herrschaft Gottes unterwirft, durch sein ungerechtes Wesen das Heiligtum, in dem es herumtritt (1, 12), entweiht. Es muß sich läutern und gerecht werden, es muß lernen, im Lichte Gottes zu wandeln (2, 6), ehe der Tempelberg wahrhaft »bereit« ist (V. 2), um, nunmehr allen Bergen der Welt überlegen, die Abgesandten aller Völker zu empfangen, die kommen, um der Offenbarung teilhaftig zu werden, die allem Widerstreit ein Ende macht und die geeinte Menschheit schafft. Es ist die zweite Offenbarung, die zweite »Thora« (V. 3): die erste ist einst dem Volk Israel vom Wüstenberg hernieder gegeben worden, die zweite wird nun dem ganzen Menschenvolk vom Tempelberg hernieder gegeben. (Darum steht dann, so wird (4, 5) in einem vielleicht nicht von Jesaja herrührenden, aber sicherlich in seinem Geiste geschriebenen Fragment verheißen –, über diesem, wie einst über dem Sinai, die Rauchwolke und der Feuerschein.) Hier, wo das Böse ausgetilgt ist (11, 9), ist nun die Mitte eines Verkehrs der (11, 6-8 im Sinnbild von Tieren dargestellten) Völker miteinander in Wohlwollen und Vertrauen. Zwischen den beiden Weltmächten, die so lange einander und das kleine Israel bekriegten, besteht dieses nun kraft seiner Erfüllungskraft als ein nicht geringeres »Drittes«, als »Segen inmitten der Erde« (19, 24). Von da aus ist auch die jesajanische Lehre von der Sicherung des Zion zu verstehen. Weil er zur Mitte des Gottesreiches bestimmt ist, kann, so verkündet der Prophet, keine irdische Macht ihm etwas anhaben. Deshalb sollen die Assyrer und ihre Hilfstruppen, der »Schwarm all der Völker, die wider den Berg Zion sich scharen«, (29, 8) wie Spreu zerstieben: Gott selber, der »JHWH der Heerscharen«, zieht nieder, er selber »schart um den Berg Zion« (31, 4) – mit Bedacht wird hier mit demsel1.

Genaueres darüber im Schlußkapitel meines Buches »Der Glaube der Propheten«.

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ben, sonst gar nicht in diesem Sinn gebräuchlichen, Verb von Gottes Handlung wie von der der Feinde geredet. Und dort wie hier wird der Zion »Gottes Herd« genannt; das geht selbstverständlich auf den Opferkult, aber das Altarfeuer des Tempels ist für Jesaja, von allen Opferfeuern der Völker grundverschieden, ein Wahrzeichen der Gegenwart des »Königs« (6, 5) und seiner sich von hier aus zu ihrer Vollkommenheit zubereitenden Herrschaft über die Welt. Die Gefährlichkeit dieser Lehre, daß sie nämlich geeignet ist, im Volk eine falsche Sicherheit zu erzeugen, die dem prophetischen Anruf zur Läuterung entgegenwirkt, wird von der Linie der Propheten erkannt, die von Micha – vielleicht einem rebellischen Schüler Jesajas – zu Jeremia führt. Sie tun das unüberbietbar Äußerste, um die Sorglosen, die sich in ihrem Ausweichen vor der göttlichen Forderung von der Existenz des Heiligtums decken lassen, ins Herz zu treffen: sie sagen dem Tempel den Untergang an. Vierzehn Jahre, nachdem diese Weissagung eingetroffen ist, entwirft Ezechiel den Bau des neuen Tempels; aber von der templozentrischen Anschauung, für die das Heiligtum zu Jerusalem Mitte der künftigen erlösten Erde ist, finden wir bei ihm nichts mehr. Wohl aber bereitet sich in den Stunden der Katastrophe und denen nach ihr eine neue Ausgestaltung der jesajanischen Anschauung vor, deren Äußerungen im wesentlichen, folgerichtigerweise, dem Jesajabuch einverleibt worden sind, so daß wir dieses innerhalb der Prophetie Israels als das templozentrische Buch ansehen dürfen. Die ersten dieser Äußerungen sind in der kleinen Sammlung von Fragmenten (Kap. 24-27) enthalten, die hauptsächlich aus Stücken besteht, die meines Erachtens aus der letzten Phase der Katastrophe und der Frühzeit des Exils stammen. Hier wird (24, 23) verkündigt, daß Gott auf dem Berge Zion die Königschaft antritt. Es ist die Königschaft über alle Völker, und er richtet ihnen auf dem Berg das Huldigungsmahl (25, 6): dreimal wird wiederholt, daß die Ladung und die Tröstungen Gottes, die alle Trauer von der Menschenwelt nehmen, allen Völkern gelten. Wie mit dem Trauerflor, den Gott von den Völkern hebt, wohl nicht die Traurigkeit der menschlichen Person, sondern das den Völkern aus dem Widerstreit der Völker erwachsende Leid gemeint ist, so scheint auch das rätselhafte »Verschlingen des Todes« (V. 8) nicht auf eine Verleihung der Unsterblichkeit an die Person, sondern auf die Überwindung der zwischen den Völkern waltenden Todesgewalt hinzuweisen. Nicht weniger rätselhaft aber die Hinwegschaffung der »Schande seines Volkes« von »der ganzen Erde«. Israel, an das man hier naturgemäß zu denken pflegt, kann in diesem Zusammenhang kaum gemeint sein. Wenn wir den verwandten 47. Psalm vergleichen, einen von denen, die Gottes An-

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tritt seiner Königsherrschaft »über die Völker« verherrlichen, sehen wir, daß »die Edlen der Völker«, die sich um seinen »heiligen Thron« – auch hier wohl der Tempelberg – versammeln, mitsammen »das Volk des Gottes Abrahams« genannt werden; Abrahams, weil er, »der Vater der Völkermenge« (was gewiß nicht genealogisch gemeint ist), der ist, in dem »alle Sippen des Erdbodens sich segnen sollen«. So mag auch in dem jesajanistischen Spruch das nunmehr aus den Völkern der Erde zusammengetretene Menschenvolk gemeint sein, dessen »Schande«, nämlich das vom Turm zu Babel herrührende Auseinandergefallensein in einander fremde, einander mißverstehende, einander feindliche Völker, nunmehr von der ganzen Erde hinweggeschafft ist. Hier erscheint die jesajanische Weissagung von den zum Berge strömenden Völkern (auf die wohl die Schlußworte »denn der Herr hat’s geredet« hinweisen) zu einem neuen und einheitlichen Bilde von dem göttlichen König ausgestaltet, der auf seinem Thronberg jedem seiner Völker, wie ein Vater jedem seiner Kinder, die Träne vom Antlitz wischt und sie ebendadurch, durch die Gemeinschaft an seinem Tisch und an seiner Hand, von der gemeinsamen Schande erlöst. Weit umfassender und weit tieferreichend ist die in der Spätzeit des Exils beginnende Umgestaltung der zionistischen Anschauung Jesajas durch »Deuterojesaja« und seine Schule. Die Stunde, die hier verkündigt wird, ist die, in der Gott zum Zion zurückkehrt, um die Königsherrschaft anzutreten (52, 7). Das Reich des großen Friedens, das nun beginnt, wird in Bildern geschildert, die jesajanische Motive wiederaufnehmen, zum Teil mit den gleichen Worten, so wenn (65, 25) die Weissagung vom Einvernehmen der wilden und der zahmen Tiere – hier wohl wirklich nur noch als Tiere und nicht als Sinnbilder von Völkern gemeint – wie die jesajanische in die Worte ausgeht: »Nicht übt man mehr Böses, nicht wirkt man Verderb auf meinem ganzen heiligen Berg.« Aber ein Neues tritt hinzu: die weltgeschichtliche Prägung der angesagten Stunde, wie es dem Propheten wohl entspricht, der zuerst Kyros als den Befreier wie Israels so der unterdrückten Völker begrüßt und dann, als er von ihm enttäuscht wird, die Aufgabe, nicht bloß Israel in sein Land zurückzubringen, sondern das Licht der Völker zu sein (42, 6; 49, 6) und sie, die gefesselten, aus der Finsternis hervorzuholen (42, 7; 49, 9), dem »Knecht JHWH’s« aus Israel zuweist. Er, der Knecht, soll sie in ihre angestammten Länder wieder eineignen (V. 8), wie Israel nun, aus Babel heimkehrend, in sein Land wieder eingeeignet wird. Mit diesem seinem Werk der Befreiung und Erneuerung der Menschheit rings um die Befreiung und Erneuerung Israels wird der Knecht zum »Bund des Volkes«: durch ihn sind die Völker zum Volk verbunden, in ihm stellt sich das

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Volk aus Völkern dar. Und durch ihn wird das erlöste Zion zur Mitte der erlösten Welt. Aber nicht der Menschheit allein, vielmehr der ganzen Welt gilt die Erlösung, und eben diese Welt-Erlösung zentriert in Zion. In einem »pflanzt« Gott den Himmel und spricht zu Zion: »Mein Volk bist du« (51, 16), in einem »schafft« er einen neuen Himmel und eine neue Erde und »schafft« Jerusalem (65, 17 f.). Erneuerung der Welt und Erneuerung Zions sind eins, denn Zion ist das Herz der erneuerten Welt. Jesajas zionozentrische Anschauung ist hier zu kosmischen Maßen erwachsen. Zum Herold und Bereiter der erlösten Welt ist das Volk Israel berufen, das Land Israel zu ihrer Mitte und zum Thronsitz ihres Königs. In dieser Lehre hat die biblische Anschauung von der einzigartigen Bedeutung des Zusammenhangs zwischen diesem Volk und diesem Land ihren Gipfel erreicht.

Zweiter Teil Deutung und Verklärung Die Gabe des Regens Wir haben in der Betrachtung des biblischen Zeugnisses erkannt, wie sich in der Gabe des Regens die Verbindung Gottes mit der Einheit Israel-Kanaan naturhaft darstellt. Hier bekommt das Bauernvolk aufs unmittelbarste zu spüren, daß es auf die Gnade des Himmels angewiesen ist. Das Volk als solches betet in außerordentlichen Zuständen, in Unglück und Gefahr, im Anprall der Geschichte, um Hilfe und Befreiung; daneben aber geht dieses zwar nicht gleichmäßig, aber doch im natürlichen Gang der Dinge immer wieder in gleicher Weise Wiederkehrende einher, die Not des Lebens auf dieser palästinensischen Scholle, die Zuversicht des Lebens auf ihr: das Leiden an der Dürre und das Vertrauen zum Regenspender. Dieses Grundgefühl gestaltet sich in nachbiblischer Zeit, solange ein Kern des Volkes im Lande lebt, in bedeutsamer Weise aus. Der talmudische Traktat Taanit, das ist Fasten, ist im wesentlichen dem Fasten und Beten um das Kommen des erwarteten Regens, insbesondre wenn er ungewöhnlich lange ausbleibt, gewidmet. Er ist ein besonders schönes Beispiel des innigen Zusammenhangs von Halacha und Aggada, von jenen Abschnitten, die den »Gang«, den richtigen Gang des Lebens, das richtige Erfüllen des Gebotenen erörtern, und jenen, die, eng oder lose daran anknüpfend, das Leben selber heranbringen, erzählend, schildernd, erörternd, und dabei immer wieder und wieder auf das biblische Zeugnis zurückweisend: die Halacha will die Essenz des Sinai bewahren, aber die Aggada die Kanaans, und beide wirken zusammen, denn nicht bloß braucht Kanaan das Wort des Sinai, sondern der Sinai braucht auch die Wirklichkeit Kanaans, in der das Wort verwirklicht werden soll. Wenn einer der späteren babylonischen Meister des Talmuds, einer der großen Lehrer von Sura und Pumbedita, von der Natur Kanaans und dem Leben in dieser Natur spricht, dann reden Erinnerung und Hoffnung verschmolzen, biblisches Einst und messianisches Dereinst stehen mitsammen am Horizont. Durch diesen Traktat vom Fasten rauscht der Regen, nicht der Regen, den man gewohnt ist, sondern der, den man lange ersehnt hat und der nun niedergeht, und er rauscht so, daß ihm in jedem Augenblick anzuhören ist: es ist der Regen Gottes. Und zugleich ist es kein Allerweltsregen, sondern dieser bestimmte, keinem andern vergleichbare palästinensische Regen, dieser Früh-Erguß und dieser Späterguß, die wie kein

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andrer Regen nicht als Ablauf einer gesicherten Folge, sondern als ewig erneute Gnade zu empfinden sind. Nicht bloß was von im Lande selbst Gesprochenem, sondern auch was von in Babylon Gesprochenem uns hier überliefert ist, handelt vom palästinensischen Regen. Die Mischna, die älteste Talmudschicht, auf der dieser Traktat wie alle aufgebaut ist, die er erläutern und ergänzen will, beginnt hier mit der Frage nach der Zeit, von der an in jedem Jahr der Spruch, den man »die Regengewalt« nennt, ins Gebet aufzunehmen ist. Er heißt die Regengewalt, weil er in den Monaten, in denen er zu sprechen ist, einer Segnung einverleibt wird, deren erste Worte sind: »Du bist gewaltig«. Sie lautet in ihrer ursprünglichen Fassung: »Du bist gewaltig, keiner ist stark wie du, keiner ist außer dir, der den Wind wehen und den Regen fallen läßt, der Leben erhält, der die Toten belebt und groß im Helfen ist.« Mit einem Schlag sind wir in eine Glaubenswelt versetzt, in der Regenfall und Auferstehung zusammengehören. Wie ist das zu verstehen? Einer der Lehrer begründet die Aufnahme des Spruchs »der den Wind wehen und den Regen fallen läßt« in die Segnung, die Leben und Tod des Menschen zum Gegenstande hat, damit, daß der Regen der Auferstehung an Bedeutung gleichkomme; ein andrer bestreitet dies, aber nicht etwa weil er der Auferstehung das größere Gewicht beimißt, sondern umgekehrt. Diese Erörterung bringt uns dem Verständnis nicht näher. Man pflegt zur Erleichterung auf den 146. Psalm und andere Schriftstellen hinzuweisen, wo mannigfache Tätigkeiten der Güte Gottes aufgezählt werden; keine der Stellen jedoch ist mit dieser Segnung zu vergleichen, in der das Natürliche und das Übernatürliche so unvermittelt nebeneinanderstehen. Aber das eben liegt der seltsamen Verbindung zugrunde: die einfache Gewißheit, daß es von Gott aus diese uns so geläufig gewordene Scheidung von »Natürlichem« und »Übernatürlichem« gar nicht gibt, daß also bei ihm – und an ihn wendet sich ja das Gebet ganz wirklich – der Regen nicht natürlicher ist als die Auferstehung und die Auferstehung nicht wunderbarer als der Regen. Bei ihm sind die Sphären nicht geschieden: er schickt den Regen zur Erde, um aus ihr stets neue Fruchtbarkeit hervorzuholen, und er läßt seinen »Tau der Lichtkräfte« auf das »Land der Gespenster« niederfallen, damit die Toten auferstehen (Jesaja 26, 19). Dieser Einsicht gibt in unserem Traktat die Gemara alsbald einen starken Ausdruck, indem sie erzählt: »Drei Schlüssel sind in der Hand des Heiligen, gesegnet sei Er, die sind nicht der Hand eines Sendlings überliefert worden. Und diese sind’s: der Schlüssel des Regens, der Schlüssel der Geburt und der Schlüssel der Belebung der Toten.« Die Erschließung der Wolke erscheint hier nicht geringeren Grades als die des Mutterschoßes und diese nicht geringeren als die des Gruftreichs: alle drei sind unmittel-

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bare Tätigkeiten, die Gott sich selber vorbehält. So kann denn auch das fast noch kühnere Wort gewagt werden, ein Regentag sei wie der Tag, an dem Himmel und Erde erschaffen worden sind: die Erhaltung steht der Schöpfung nicht nach, und die Erhaltung ist nicht Ablauf eines einmal aufgezogenen Räderwerks, sondern immer neue göttliche Tat. Im Anschluß daran wird aber jenes Wort vom Schlüssel des Regens in einer merkwürdigen Weise eingeschränkt. »Das Land Israel«, heißt es hier, »ist zuerst erschaffen worden und die ganze Welt danach.« Diesem Vorzug in der Urzeit entspricht ein Vorzug in aller Zeit: »Das Land Israel tränkt der Heilige, gesegnet sei Er, selber, die ganze Welt aber durch einen Sendling.« Hier ist die biblische Unterscheidung zwischen Ägypten, das von seinem Flusse versorgt wird, und Kanaan, um das Gott selber sich unablässig bekümmert, zu einer Unterscheidung zwischen dem Lande Israel und der ganzen übrigen Welt erweitert: nur jenes empfängt den lebenspendenden Erguß unmittelbar aus Gottes Hand. »Allen Ländern«, sagt ein verwandter Midrasch, »hat Er Diener gegeben sie zu bedienen. Ägypten trinkt vom Nil, Babylon trinkt von den Strömen, aber mit dem Land Israel ist’s nicht so bestellt, sie schlafen in ihren Betten, und Gott läßt ihnen Regen nieder.« Palästina ist das Land der unmittelbaren Fürsorge Gottes, denn es ist – dies wird noch auszuführen sein – die Mitte seines Weltplans, und seine Fruchtbarkeit zielt auf das Heil der Welt ab. Von da aus ist zu verstehen, daß es große Lehrer gibt, die einen beliebigen Regentag über den Tag stellen, an dem vom Berge Sinai die Thora gegeben worden ist. Zwar wird die Wertung in einem Midrasch damit begründet, daß die Offenbarung nur Israel, der Regenfall aber allen Kreaturen Freude bereite, aber das ist zweifellos nicht das ursprüngliche Motiv, – dieses ist vielmehr auch hier an Palästina gebunden. Vom Sinai ist das Wort ergangen, aber das Land Israel soll dessen Verwirklichung bereiten. Warum jedoch wird oft diesem Land der Regen eine Weile vorenthalten? Eben deren wegen, die die Verwirklichung behindern, indem sie im Volke Unheil stiften oder sonstwie seine Entfaltung zum Volke Gottes niederhalten: der Räuber, der Verleumder, der Frechlinge, derer, die öffentlich Almosen zusprechen und es nicht geben, derer, die sich nicht mit der Thora befassen wollen. Und warum kommt der Regen dann doch? Wegen der Treugebliebenen. Wenn sie, die Treuen, »ihre Seele in ihre Hand legen« und beten, geht der vorenthaltene Regen nieder. Manche von ihnen leben in großer Not und beten nicht um Besserung ihrer Lage, ja sie nehmen nicht einmal an, was ihnen durch ein Wunder zugeschickt wird; aber wenn dem Land die Dürre droht, beten sie um Regen, und er kommt. Unter den Betern sind große Gesetzeslehrer wie Rabbi Akiba; er tritt vor die heilige Lade und spricht, die Gottesbezeichnungen »unser

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Vater« und »unser König«, die in der Natur und die in der Geschichte wurzelnde 1 , anscheinend zum erstenmal miteinander verknüpfend und damit ihre Verbindung in der Liturgie stiftend (mit dieser Verknüpfung ist das Wesentliche ausgesprochen, was der Semit seinem Gott zu sagen hat, als Einzelner und als Volk): »Unser Vater, unser König, wir haben keinen König als dich allein! unser Vater, unser König, um deinetwillen erbarme dich unser«, und Regen kommt – was, da andere ohne Erfolg gebetet haben, Akibas nachsichtiger Gesinnung gegen seine Mitmenschen zugeschrieben wird. Aber unter den Betern sind auch große Sünder, wie jener Mann, der Dirnen vermietet und bei ihren Gelagen tanzt und die Pauke schlägt, dazwischen aber einmal sein Bett verkauft, um eine Frau, die er weinen sieht, weil ihr Mann im Gefängnis sitzt und sie um ihn frei zu machen keinen andern Weg sieht, als Dirne zu werden, davor zu bewahren; in der Zeit einer Dürre sieht ein Rabbi im Traum, eben jener Mann müsse beten, damit Regen komme, – auch er ist unter den Treuen. Akibas Spruch besagt, es gebe kein Verdienst, das geltend zu machen wäre, alles hange an der väterlichen und königlichen Gnade allein. Aber die Geschichte vom »Fünfsünder« ergänzt dieses Bekenntnis in denkwürdiger Weise: die Gnade sucht sich gleichsam irgendein menschliches Verdienst, auf das sie sich beziehen kann, nicht gerade eine lebenslange Tugendlichkeit, sondern zuweilen die am meisten wohl den Täter selber überraschende spontane Opferhandlung eines im übrigen arg mit den niedern Dingen dieser Welt verkoppelten Menschen, eine von jenen Handlungen, in denen die hohe Art des im Ebenbild Erschaffenen mehr als in aller gewohnten Tugend triumphiert. An einem solchen Beispiel bekommt man das Geheimnis der Umkehr, das der Gnade ruft, recht konkret zu spüren: dergleichen ist es, was dieser Gott von seinem Volke erwartet, um ihm seinen Regen, um ihm seine Gnade zu schenken. Wir dringen hier tiefer in das Glaubensgut ein, das Israel der Wetterbedingtheit seines Landes, seines Bauerntums verdankt. Noch einen Schritt weiter führen uns die Erzählungen von Choni, dem »Kreiszieher«, in denen von einer früheren Zeit, etwa zwei Jahrhunderte vor dem Gebet Akibas, erzählt wird. Choni ist ein »Chassid«, das ist ein Mann, der Gott ergeben und den Mitmenschen aufgeschlossen ist und ihm werden »reine Hände« nachgerühmt. In der Zeit der Dürre aufgefordert um Regen zu beten, besteigt er den Tempelberg und betet, aber vergeblich. Nun zieht er einen Kreis oder gräbt eine runde Grube (welches von beiden, ist ungewiß), stellt sich hinein und erklärt dem Herrn der 1.

Buechler, Types of Jewish-Palestinian Piety S. 220 nimmt ohne Grund an, die Bezeichnungen seien damals bereits synonym geworden.

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Welt: seine, Gottes Kinder, hätten sich an ihn gewandt, an ihn, weil er »wie ein Hausgenosse«, wie ein vertrauter, ins Vertrauen gezogener Diener, dem der Herr auch das Ohr öffnet, vor Gott sei, und nun schwöre er bei dem großen Namen Gottes, er wolle sich nicht von hinnen rühren, bis Gott sich seiner Kinder erbarme und ihnen den Regen sende. Nun fällt Regen nieder, erst nur in Tropfen, dann übermäßig, endlich im rechten Maß. Danach aber, als schon die Sonne wieder hervortritt, und das Volk ins Feld hinauszieht, Pilze zu sammeln, läßt Rabbi Simon ben Schetach, der Mann, der »die Thora zu ihrem früheren Ansehn zurückgeführt hat«, Choni sagen, er würde den Bann über ihn verhängen, wenn er nicht Choni wäre. Er könne aber gegen ihn nichts unternehmen, da er sich gegen Gott betrage wie ein verzogenes Kind, das den Vater mit Wunsch um Wunsch behelligt, und er gewährt ihm alles. – Das ist eine seltsame Geschichte, und ihr Kern mutet uns wie Magie und Beschwörung an. Man versteht sie erst 1 , wenn man zwei Dinge beachtet. Erstens die Bedeutung, die der Gotteskindschaft zukommt, sowohl in Chonis Rede an Gott als in Rabbi Simons Botschaft an Choni. Da ist eine Atmosphäre der Nähe zu Gott, des intimen Umgangs zu ihm, in der Magie nicht gedeihen kann. Das zweite ist die Bezeichnung, die wir bei Josephus für Choni finden: er nennt ihn einen rechtschaffenen und »von Gott geliebten« Mann; diese Bezeichnung muß man in Zusammenhang bringen mit den Worten, die ein andrer Beter, Nikodemos ben Gorion, in einer Erzählung des gleichen Talmudstraktats gebraucht, um Regen zu erflehen: »Herr der Welt, gib kund, daß du geliebte Menschen in deiner Welt hast!« Beides aber muß man von jenen Worten der Bibel (Deuteronomium 7, 7 f., 9, 4 ff.) aus erfassen, wo Israel ermahnt wird, es solle nicht wähnen, Gott habe es um seines, des Volkes Gewichtes oder Verdienstes willen aus Ägypten geführt und nach Kanaan gebracht: er habe es nur getan, weil er es liebe. Auch das edelste Handeln erwirbt keinen Anspruch auf Gottes Gunst; die Gnade blickt gern darauf, aber nicht vom Verdienst wird sie bestimmt, sondern von der Liebe. Jene »geliebten Menschen« wie Choni stellen im lebendigen Sinnbild Israel dar, und die Regenspende in stets erneuerter Zuwendung die göttliche Gabe des Landes an das Volk. Die Jerusalemer Fassung unseres Traktats faßt die göttlichen Motive der Regengabe in den Spruch zusammen: »Um dreier Dinge willen fällt der Regen: um des Landes willen, um des Chessed willen und um der Leiden willen.« Chessed ist die Gesinnung und Lebensweise jener »Chassidim«, zu denen Choni gehört; dabei steht das liebreiche Verhalten zu 1.

Vgl. Buechler a. a. O.

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den Mitmenschen im Vordergrund, aber auch das Lernen in der Thora zum Beispiel kann mit Chessed oder ohne Chessed, aus der reinen Liebesgesinnung und ohne sie geschehen (Sukka 49 b). Unter »Leiden« denkt man zunächst an jenes Fasten, das angeordnet wurde, um den Regen zu erbitten, und das dem Traktat seinen Namen gegeben hat; aber die Absicht ist viel umfassender. Von dem geheimnisvollen Meister der frühtalmudischen Lehre Rabbi Simon ben Jochai ist der Spruch überliefert: »Drei gute Gaben hat der Heilige, gesegnet sei Er, Israel gegeben, und sie alle hat er nur durch Leiden gegeben, die sind: die Thora, das Land Israel und die kommende Welt.« Auch hier also gilt für das Land selber, was für den Regen gilt. In beiden Sprüchen erkennen wir die Auswirkung jener großen Lehre vom Sinn der Leiden, die in der Zeit des babylonischen Exils ihre entscheidende Gestaltung gefunden hat, wie sie in den Weissagungen des »zweiten Jesaja« über den leidenden »Knecht JHWH’s« uns vorliegt. Es gibt ein Aufsichnehmen der Leiden um Gottes willen, um der Bereitung seines Reiches willen. Zu dieser Lehre, die in dem talmudischen Begriff der »Züchtigungen der Liebe« fortgebildet worden ist, tritt nun ihr spätes Gegenstück: die großen Gaben Gottes wollen immer neu durch das Aufsichnehmen der Leiden erworben werden. Das stellt sich in dem Fasten um den Regen dar, wie sich die Gabe des Landes in der Gabe des Regens darstellt. Eins aber ist in dem Spruch von den drei Dingen, um deren willen (wörtlich: »um deren Verdienst«) der Regen fällt, besonders zu beachten: daß das Land an erster Stelle steht. Der Regen fällt vor allem dem Lande zuliebe, danach erst den »Chassidim« und den willig Leidenden zuliebe. Aber wie ist jene unmittelbare Fürsorge, mit der Gott das Land Israel bedenkt, zu verstehen? Darf denn angenommen werden, daß er die andern Länder vernachlässige? Der Midrasch stellt dem Wort »ein Land, das der Herr dein Gott aufsucht« ein anderes Bibelwort gegenüber. In der Rede Gottes an Hiob aus dem Sturm weist er ihn (38, 26) darauf hin, daß er, Gott, es ist, der die menschenlose Wüste beregnet, – sogar um sie also kümmert er selber sich. Ebenso heißt es von ihm zwar (Psalm 121, 4): »Wohl, nicht schlummert, nicht schläft der Hüter Israels«, aber daß er nicht Israel allein hütet, spricht ein anderer Vers (Hiob 12, 10) aus: »In dessen Hand die Seele alles Lebendigen ist«, und wohl sagt Gott zu Salomo vom neuerbauten Heiligtum in Jerusalem (I Könige 9,3): »Meine Augen und mein Herz werden dort sein alle Tage«, aber es heißt auch (Sacharia 4, 10): »Die Augen des Herrn, sie durchschweifen die ganze Erde«, und in den Sprüchen Salomos heißt es (15, 3): »Allerorten betrachten die Augen des Herrn die Bösen und die Guten.« Dies ist so zu verstehen: Gott spricht dem Heiligtum zu, daß seine Auge gleichsam nur

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dort sind, aber eben deswegen, daß sie dort sind, sind sie allerorten; und jenes ist so zu verstehen: Gott hütet gleichsam nur Israel, aber dadurch, daß er es hütet, hütet er alles. Das bedeutet, daß Israel das Medium ist, durch das Gott die Menschheit erhält und behütet. Und ebenso ist das Land Israel das Medium, durch das Gott der ganzen Erde seine Fürsorge zukommen läßt. Auch in diesem Gedanken, der den nationalen Universalismus der Propheten fortsetzt, bekundet sich die Parallelisierung von Volk und Land. Das aggadische Denken ist kein logisches System. Der Talmud ist wesentlich die Bestandaufnahme unzähliger Diskussionen, und die Aggada in ihm ist davon nicht ausgenommen. Aber aus dem Widerstreit der Meinungen leuchten bestimmte Grundbegriffe und Grundsätze hervor, und wie es trotz aller halachischen Kontroversen eine gültige Halacha gibt, so gibt es auch eine maßgebende Aggada. Auch hier verhält es sich so. Die besondere Gnade über dem Land ist über alle Verschiedenheit der Ansichten hinaus unmittelbar gewiß. Die späteren Meister des Talmuds erzählen, um diese Gnade zu kennzeichnen, in märchenhaften Zügen von der Fruchtbarkeit des Landes, vornehmlich, wie sie einst bestanden hat. Der Wein von einer einzigen Rebe füllt alljährlich sechshundert Fässer, eine einzige Pfirsichfrucht speist vier Männer, und ein Fuchs macht seinen Bau im obern Teil einer Rübe. Das sind nicht eitle Fabeleien; man weiß sich der Bilder nicht genug, um von der Gnade zu erzählen, die dieses Land segnete und segnete. Aber das ist kein Segen, der sich Müßigen in den Schoß schüttet. Die Gnade zielt auf die Arbeit des Menschen auf dem Acker ab, auf den er gesetzt worden ist, ihn zu bestellen, auf die Arbeit Israels in seinem Land. Das Pflanzen wird von der Aggada als eine Nachahmung Gottes verstanden. »Vom Anfang seiner Weltschöpfung«, erzählt der Midrasch, »hat sich der Heilige, gesegnet sei Er, vornehmlich mit Pflanzung befaßt, wie es heißt: ›Und JHWH, Gott, pflanzte einen Garten in Eden‹. So sollt auch ihr euch, wenn ihr in das Land kommt, vornehmlich mit Pflanzung befassen.« Kein andres Geschäft ist an Wichtigkeit diesem überlegen, nichts darf davon ablenken. »Wenn deine Hand beim Pflanzen ist und man dir sagt: ›Da ist Messias!‹, pflanze du die Pflanzung und dann geh hinaus und empfange ihn.« Dieses Land ist nicht allein das Land der besonderen Gnade, es ist auch das Land der besonderen Arbeit. Dem Satz der Schrift, darin erzählt wird, wie Gott den Abraham aus Heimat und Vaterhaus holt und ihn in das Land gehen heißt, »das ich dir zeigen werde«, gibt der Midrasch eine Erzählung bei, die von einer großen Erfassung der Situation Abrahams zeugt. Abraham hat von einer Gottesstimme den Befehl erhalten, nicht

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etwa in ein bestimmtes Land zu ziehen, sondern vor sich hin zu gehen, bis er in ein Land kommt, wo ihm die Stimme sagt, dieses sei es. Von da aus erzählt der Midrasch: »Zur Zeit als Abraham durch Aram-Naharaim und das Aram Nahors wanderte, sah er die Leute essen und trinken und Mutwill treiben. Da sprach er: ›Möchte mir doch kein Anteil an diesem Lande werden!‹ Als er aber zum Abhang von Tyrus gelangte und sah die Leute mit Jäten zur Zeit des Jätens, mit Behacken zur Zeit des Behackens beschäftigt, sprach er: ›Möchte mir doch ein Anteil an diesem Lande werden!‹ Da sprach zu ihm der Heilige, gesegnet sei Er: ›Deinem Samen will ich dieses Land geben‹«. Das Land, dessen Volk den ihm anvertrauten Boden pfleglich besorgt und jede vom Gang des Jahres geforderte Arbeit zu ihrer Zeit vollbringt, ist das Land der wahren Gnade. Verbindung und Trennung

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Beide, das Volk Israel und das Land Israel, sind von Gott erwählt. Aber zwischen den zwei Erwählungen besteht naturgemäß – das ist der aggadischen Betrachtung offenbar – ein wesentlicher Unterschied. Das Volk wird in einem bestimmten Moment der Geschichte erwählt: als Volk ist es noch nicht vorhanden, aber aus einer der Sippen wird ein Mann erwählt, daß er ihm zum Stammvater werde, von dessen Söhnen wieder einer und von dessen Söhnen wieder einer, – dessen Söhne bilden dann den Urbestand des Volkes. Das Volk entsteht eben in der Geschichte, und demgemäß erfolgt die Erwählung in der Folge der Geschlechter, in einer Reihe von Akten der Ausscheidung und Auslese. Aber das Land als solches ist ja kein Geschichtsprodukt, sondern ein Stück der Schöpfung; so muß denn seine Erwählung in der Schöpfung selber erfolgt sein. Zwar wird auch von Israel gesagt, Gott habe Nationen geschaffen und eine unter ihnen erwählt; aber das kann selbstverständlich so lange nur ein Geschehen im göttlichen Gedanken sein, bis die menschliche Substanz da ist, an der sich dann die Erwählung aktuell vollzieht. Nicht so verhält es sich mit dem Land: dessen faktische Erwählung ist ein Teil der Schöpfungshandlung. Die beiden Erwählungen werden auch im Bilde des Hebeopfers dargestellt: Gott hebt gleichsam für sich selber eine Hebe von den Ländern und eine von den Völkern ab; aber auch dieses Bild ändert nichts an jenem unvermeidlichen Unterschied: die Erwählung des Landes geht nicht bloß in der Zeit voraus, sie gehört vielmehr einer anderen Zeitsphäre an; sie ist nicht unter den Ereignissen der Geschichte, sondern unter denen der Schöpfung. Aber daran ist es noch nicht genug. Was in der Geschichte erwählt wird, kann jung sein, und so ist Israel ein junges

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Volk, lange nach der Spaltung des Menschengeschlechts in Völker entstanden. Nicht so, was in der Schöpfung erwählt wird. In der Schöpfung erwählt werden heißt als Erwähltes geschaffen werden; der Akt der Schöpfung und der der Erwählung fallen hier zusammen. Was aber als Erwähltes geschaffen wird, dessen Schöpfung muß der der anderen, nichterwählten Dinge vorausgehen. Wie die Thora und das Heiligtum, so gehört auch das Land Israel der Urschöpfung an. Das Wort der Sprüche Salomos »die frühste Staubschicht der Welt« wird auf es gedeutet. Für »Welt« steht hier die Bezeichnung thebel. Man geht noch weiter und sagt: die eigentliche thebel ist das Land Israel, es wird thebel genannt, weil es mit allem durchwürzt, methubal, ist, – jedes andere Land hat dieses und muß jenes entbehren, ihm aber »mangelt’s an nichts«, alles ist in ihm. Dieses Land ist die Welt im Kleinen, das Weltmodell. Erwählung ist Liebe. Wie Mose zum Volke sagt (Deuteronomium 7, 7 f.), Gott habe sie aus keinem andern Grunde erwählt, als weil er sie liebe, so heißt der Midrasch Gott sprechen: »Lieb ist mir das Land mehr als alles.« Und weil er beide liebt, beschließt er sie zusammenzubringen. »Ich will«, spricht er, »Israel, das mir lieb ist, in das Land, das mir lieb ist, einziehen lassen.« So vermählt ein König einen Diener und eine Dienerin, denen er wohl will, miteinander. In dieser Handlung liegt aber weit mehr als bloßer Königswille. Gott hat beschlossen, daß die zueinander Gehörenden sich miteinander verbinden, denn als zueinander Gehörende, zueinander Passende, aufeinander Angewiesene hat er sie erschaffen und erwählt. Und all dies, sowohl Erschaffung und Erwählung als auch Verbindung der Erwählten hat er um seiner Absicht mit der Schöpfung willen, um der Vollendung seiner Schöpfung willen getan: die Vereinigung von Volk und Land soll ihren Dienst tun, die Welt zum Reiche Gottes zu vollenden. Wie der Bibel, so liegt auch der aggadischen Deutung der Bibel alles daran, daß die Landnahme Israels sowohl von den Geschlechtern des Volkes selbst als auch von den Nationen der Welt als das verstanden werde was sie ist: ein von Gott zu seinen Enden gewolltes und vollbrachtes Geschehen. Innerhalb der Führung der Völker durch Gott in die Länder ihrer Siedlung kommt der Führung Israels nach Kanaan eine zentrale Bedeutung zu. Sie bekundet sich eben schon darin, daß am Anfang des Zugs aus Ägypten die Offenbarung steht: unter allen Völkern weiß nur Israel in den Tagen der Führung, daß es der Schöpfer der Welt, ihr Herr und ihr Erlöser ist, der es führt. Als von ihm geführt, als seinem Willen dienend erobert es das Land. Mit Recht wird diese Tatsache wie von der Bibel so von der Aggada solcherweise betont, denn ohne sie ist weder Israel noch seine Geschichte zu verstehen. In diesem Zusammenhang

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muß man die berühmte Frage lesen, warum denn die Thora nicht erst mit der Weisung für die Passahfeier beginne, dies sei ja das erste Gebot und die Thora sei ja nicht da zu erzählen, sondern zu gebieten; weshalb, so wird weiter gefragt, sei Israel die Schöpfungsgeschichte kundgetan worden? Zur Antwort wird das Psalmwort (111, 6) angeführt: »Die Kraft seiner Taten hat er seinem Volk angesagt, ihnen Eigentum der Nationen zu geben.« Denn wenn die Völker kommen und Israel vorwerfen: »Ein Volk von Räubern seid ihr, die ihr die Länder von sieben Nationen erobert habt«, weist Israel sie darauf hin, daß sein Gott Himmel und Erde geschaffen hat, daß die ganze Erde sein ist und daß er nach seinem Willen Erde zuteilen kann, wem’s ihm beliebt, »da er wollte hat er es (das Land) euch gegeben, und da er wollte, hat er es euch abgenommen und uns gegeben.« Das heißt keineswegs, daß man alle Eroberungszüge der Völker als von Gott gewollt gleicherweise als berechtigt ansehen und etwa gar alle Gewalttaten gegeneinander rechtfertigen dürfe. Denn das allein Wesentliche ist, daß Israel zu Beginn seines Zugs nach Kanaan den Willen des Herrn der Welt erfahren und das Land im vollkommenen und begründeten Glauben erobert hat, seinen Willen zu vollstrecken. Gleichviel mit wie viel oder wie wenig Recht in jedem einzelnen Fall die Nationen einander beschuldigen können, daß sie Räuber seien, dem Volk Israel gegenüber ist ihre Anklage gänzlich ungerecht, denn es hat ermächtigt gehandelt und aus dem gläubigen Wissen um seine Ermächtigung. Die Offenbarung, der Glaube an sie und das Handeln aus diesem Glauben sind es, die zwischen Israel und den Völkern nicht bloß »religiös«, sondern auch geschichtlich scheiden. Es hat zu allen Zeiten Völker gegeben, die ihre Süchte mit göttlichen Namen belegten und ihre aus Besitzgier, Machtgier und Zerstörungsgier geborenen Gewalttaten als von diesen Göttern anbefohlen auslegten; es hat zu allen Zeiten Völker gegeben, in deren Handeln und in deren Rechnung mit sich selbst es redlicher und reinlicher zuging; aber es hat, soweit wir nach den im Menschengeschlecht erhaltenen Zeugnissen urteilen dürfen, kein anderes Volk gegeben, das wie Israel als Volk das Gebot von oben vernommen und angenommen hat. Solange es das Gebot wahrhaft ausführte, war es im Recht und in bezug auf diese Ausführung ist es im Recht. In diesem Licht ist sein einzigartiges Verhältnis zu seinem Lande zu sehen. Im Bereich des vollkommenen Glaubens ist es das Land dieses Volkes und nur in ihm. Vollkommener Glaube aber bedeutet nicht Glaube an sich selbst, sei es an das eigene Lebensrecht oder an den eignen Lebensraum oder dergleichen, sondern an den Gebieter und das Gebot, an den Beauftragenden und seinen Auftrag. Wo das Gebot und der Glaube sind, da kann es in bestimmten geschichtlichen Situationen Eroberung geben und sie

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ist nicht Raub; aber keineswegs muß es sie geben, denn Gott ist Herr über die Geschichte und nicht ist die Geschichte Herr über ihn. Wie tief die Frage nach der Gerechtigkeit der Landnahme die Geister beschäftigt hat, geht aus einer anderen Stelle des Midrasch hervor. »Um drei Orte«, heißt es da, »können die Nationen der Welt Israel nicht peinigen und ihnen nicht sagen: ›Geraubt sind sie durch euch‹, und diese sind’s: Die Höhle Machpela, die Grabstätte Josefs und der Tempel.« Wie so viele aggadische Sprüche hat auch dieser einen weiten Hintergrund. Auf den ersten Blick scheint es, es sei hier nicht mehr gesagt als eben, daß die beiden Grabstätten, die in Hebron und die in Sichem (Genesis 33, 19; 50, 5; Josua 24, 32), und die Tenne des Jebusiters, auf der das Heiligtum erbaut wurde, durch Kaufvertrag erworben worden sind. Aber der Midrasch will offenbar auch auf die Bedeutung der Tatsache hindeuten, daß es Grabboden und heiliger Boden war, von dessen Kauf die Schrift berichtet: die Gräber der Väter, die, in ihren Höhlen liegend, gleichsam den Boden besetzt hielten und in der Stille des Todes gleichsam den Uranspruch der Erwählten auf dieses Land vertraten, bis das Volk kam und ihn verwirklichte, und nach dessen Verbannung und Wiederverbannung den Anspruch weiter inmitten fremden Volks vertraten; und das Heiligtum zu Jerusalem, von der Urschöpfung an von Gott als der Ort vorbedacht, wo er seinen Namen »einwohnen« lassen wollte, und so Zeichen und Bürgschaft, auch nach der Zerstörung noch Zeichen und Bürgschaft der ewigen Berührung von Himmel und Erde in diesem Land. Die Bedeutung des Vätergrabes für den Anspruch des Volks auf das Land erhellt noch mehr aus den Erzählungen von der Erbteilung zwischen Jakob und Esau. Nach dem Tode des Vaters tauscht Jakob alles, was er von außerhalb mitgebracht hat, gegen Gold um und stellt es Esau frei, dies zu wählen oder seinen Anteil an der Höhle Machpela. Esau sagt: »Was habe ich in dieser Höhle zu suchen!« oder: »Ein Grab ist überall zu finden!«, er wählt das Gold und verläßt mit seiner Sippe das Land. Die Grabstätte, in der die Erwählten allein, nur Abraham und nicht Lot, nur Isaak und nicht Ismael ruhen, verbleibt Jakob und damit das Land, denn auch die Höhle ist Zeichen und Bürgschaft: Zeichen und Bürgschaft der Verheißung des Landes; für den Vater des Volkes, das das Land erben soll, ist es wichtiger sie zu besitzen als alles Gut der Welt. Aber bei alledem vergißt die Aggada nicht, daß die Verheißung Abraham gegeben worden ist, damit er, das heißt das von ihm stammende Volk, »ein Segen werde«, und unter dieser Bedingung. »Drei Dinge«, sagt der Midrasch, »sind bedingt gegeben worden: das Land Israel, der Tempel und die Königschaft des Hauses Davids.« Das wird durch Worte der Schrift belegt. Es sind die drei Dinge, die dem ungetreuen Israel genom-

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men worden sind, aber fortbestehen und dem wieder treu gewordenen zurückgegeben werden sollen; das Land Israel besteht in seiner Verlassenheit fort, der Tempel nur noch in seiner himmlischen Urgestalt, und das Haus Davids unbekannt und verschollen. Alle drei werden in neuer Herrlichkeit wiederkehren: die geschichtliche Sphäre, die sich in dem Lande darstellt, die religiöse, deren Mitte das Heiligtum ist, und die messianische, in der beide eins werden. Die Aggada ist tief von dem aus der Schrift geborenen Bewußtsein durchdrungen, daß dieser Verfall der höchsten Volksgüter auf den Abfall des Volkes von dem Geber der Güter zurückzuführen ist. Auch hier steht das Land im Vordergrund. Die biblische Lehre von dem befleckenden und zersetzenden Einfluß, den die Missetaten des Volks auf den Boden des Landes ausüben, ist von der Aggada aufgenommen und ausgebildet. Drei Arten des Frevels werden solcher Wirkung wegen hervorgehoben; der eine ist das Blutvergießen, der zweite der Götzendienst, aber der dritte ist der Hochmut. »Wer hochmütig ist, wirkt Verunreinigung des Landes und Hinwegziehn der Schechina (der welteinwohnenden Hypostase Gottes)«, der Schechina, die der Demütige veranlaßt, bei den Menschen auf Erden zu weilen. Es ist bedeutsam, daß dem Hochmut eine ebenso schlimme Wirkung wie dem Blutvergießen und dem Götzendienst zugeschrieben wird. Auch dies ist gewiß im Zusammenhang mit der Erwählung zu verstehen. Wer an die Erwählung glaubt und in aller Demut ihren Auftrag erfüllt, spendet dem Lande erhaltende Kraft und wirkt daran, daß die Schechina ihm nah bleibt; wer aber aus der Erwählung einen Gegenstand der Hoffart macht, wer sich durch sie gesichert und erhoben wähnt, statt sich durch sie verpflichtet und ans Werk gestellt zu wissen, der schwächt das Land und verleidet der Schechina ihre Gegenwart über ihm. Durch die Erwählung sind Volk und Land verbunden, aber nur wenn und solang sie vom Volk in demütiger Arbeit für Gott erfüllt wird, können sie verbunden bleiben. Und wenn die Strafe vollzogen worden und Volk und Land voneinander getrennt worden sind, leidet Gott selber darunter. Er läßt das Volk im Schmelzofen des Exils, und doch ruft er aus: »Wären doch meine Söhne im Lande Israel, ob sie es auch verunreinigen!« In Worten wie dieses gibt sich der alogische, überlogische Charakter der Aggada kund: es geht ihr nicht um eine begriffsgerechte Theologie, sie scheut sich nicht, Gott sich selber widersprechen zu lassen, wenn nur in solchem Widerspruch unmittelbar zum Ausdruck kommt, daß im Verhältnis Gottes zu dem aus seinem Lande verbannten Israel Ahndung und Gnade dicht beisammen hausen. In immer neuen Bildern, die vor keinen Anthropomorphismen zu-

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rückschrecken, wird Gottes Treue zu dem verlassenen Lande gemalt. Sagt man, die Schechina sei aus ihm hinweggezogen? Nicht doch, auch vom zerstörten Heiligtum entfernt sie sich nicht. »In Ewigkeit«, so wird gesagt, »weicht die Schechina nicht von der Westmauer«, vom letzten Rest des Tempels. Darauf wird das Wort des Hohelieds bezogen, wo die Braut von ihrem Liebsten sagt: »Da steht er hinter unserer Mauer.« Das ist er, Gott, der Getreue, der hinter der Westmauer seines zerstörten Heiligtums steht. Ein anderes Bild (das man in diesem Zusammenhang verstehen muß): Gott ruft, er wolle in das obere, das himmlische Jerusalem nicht einziehen, ehe er in das untere, irdische Jerusalem einziehen kann, oder – nach einer späteren, kabbalistischen Fassung – ehe Israel in das irdische Jerusalem wieder einziehen kann. Aber es gibt ein noch kühneres Bild. Als die von Israel, so wird erzählt, sich weigerten, vor den Götzen Babels die Lieder zu singen, die im Tempel zu Jerusalem gesungen worden sind, und sich freudig töten ließen um ihrer Weigerung willen, schwur Gott: »Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, vergesse ich meine Rechte!« Das Land Israel ist krank, aber es soll genesen. »Von dem Tag an, da der Tempel zerstört worden ist, ist das Land elend von den Übeln, die seine Bewohner betroffen haben. Wie ein Mensch, der krank ist und hat nicht mehr die Kraft zu stehen, so ist das Land elend, und keine Kraft ist mehr in ihm seine Früchte hervorzubringen. In der Zukunft aber sendet der Heilige, gesegnet sei Er, den Tau der Wiederbelebung nieder und belebt die Toten.«

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Im Lande und draußen Drei Worte des aggadischen Schrifttums muß man zusammenhalten, um erfassen zu können, welche Folgerungen aus der Tatsache der fundamentalen Verbundenheit von Volk und Land in Hinsicht auf den Unterschied zwischen diesem Land und der übrigen Welt, zwischen dem Wohnen in ihm und dem Wohnen an irgendeinem anderen Fleck der Erde gezogen wurden. Das erste steht in der bekannten, in zwei verschiedenen Varianten wiederkehrenden Erzählung von den Gesetzeslehrern, die ins Ausland gehen, um dort Lehre zu empfangen oder aus einem andern gewiß nicht minder heiligen Motiv, die aber, sowie sie an der Grenze angekommen sind, so von dem Gedanken an das Land überwältigt werden, daß sie weinend ihre Kleider zerreißen und mit dem Ruf »Das Siedeln im Lande Israel wiegt alle Gebote der Thora auf« heimkehren, wobei sie sich auf

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Schriftworte berufen (Deuteronomium 11, 31 f., vgl. 12, 28 f.), in denen das Erfüllen der Gebote und das Siedeln im Lande miteinander verknüpft sind. Ebendiese Berufung auf die Schrift macht es uns deutlich, was letztlich mit jenem Ruf gemeint ist: die wahrhafte und vollkommene Erfüllung der Gebote ist nur im Zusammenhang des im Lande Israel siedelnden Volkes möglich, darum ist das Siedeln im Lande die Voraussetzung für die wahrhafte und vollkommene Erfüllung, und so wiegt es allein alle Gebote auf, insofern man sie nämlich ohne es erfüllen will. Nur so läßt sich verstehen, daß der Tatsache des Wohnens im Lande ein Gewicht zugeschrieben wird, das all die andern Gebote übersteigt: alle andern erhalten erst durch es die Möglichkeit ihrer wahrhaften und vollkommenen Erfüllung. Noch weiter geht der vielerörterte, vielerläuterte Spruch: »Jeder, der im Lande Israel wohnt, gleicht dem, der einen Gott hat, und jeder, der im Ausland wohnt, gleicht dem, der keinen Gott hat.« Man ist geneigt, in dem Satz lediglich den bis zur Paradoxie zugespitzten Ausdruck der Bewertung des Siedelns im Lande zu sehen. Aber auch ein solcher Ausdruck müßte doch in einer echten Grundanschauung fundiert sein. Der Spruch stützt sich bekanntlich auf zwei Schriftworte. Das eine ist die in dem Gesetz über das Jobeljahr enthaltene Erklärung Gottes (Leviticus 25, 38), er habe Israel aus Ägypten geführt, »um euch das Land Kanaan zu geben, um euch Gott zu sein«; der Vers wird offenkundig dahin verstanden, das Geben des Landes sei die Voraussetzung dafür, dem Volk Gott zu sein. Das andere ist die Klage Davids vor Saul (I Samuel 26, 19) über die Menschen, die ihn »aus dem Eingegliedertsein in das Erbe des Herrn vertreiben, als wollten sie sagen (nicht ›mit den Worten‹, wie man zu übersetzen pflegt): Geh, diene anderen Göttern!«; dieser Vers wird offenkundig dahin verstanden, daß man einen Einzelnen, der aus der Gemeinschaft von Volk und Land vertrieben werde, so behandeln dürfe, als könne er außerhalb dieser Gemeinschaft seinem Gott nicht mehr dienen. Nimmt man die beiden Verse in dieser Interpretation zusammen, so ergibt sich als die Absicht jenes Spruchs: der Israelit, der außerhalb seines Landes wohnt, »hat« zwar selbstverständlich einen Gott nicht minder als der im Lande wohnt, aber er »gleicht« einem, der keinen Gott hat, weil er, eben als Israelit, die rechtmäßige Gemeinschaft mit Gott, das rechtmäßige Gott-dienen, nicht anders als eingegliedert in die Gemeinschaft von Volk und Land gewinnen kann: weil Gott Israel eben verheißen hat, ihm als Volke Gott zu sein, und weil er ihm als die Voraussetzung dafür das Land gegeben hat. Von hier aus ist auch das dritte der aggadischen Worte zu verstehen. Gott spricht zu Jakob, da er ihm in die Heimat zurückzukehren gebietet

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(Genesis 31, 3): »Kehre in das Land deiner Väter und in deine Heimat zurück, ich werde bei dir sein – dein Vater harrt dein, deine Mutter harrt dein, ich selber harre dein.« Wohl hatte er ihm einst, im Traum von der Himmelsleiter, verheißen (28, 15), auf seinen Wegen bei ihm zu sein und ihn, »wohin du auch gehst«, nicht zu verlassen, wohl wußte und bekannte Jakob (31, 5), daß er in der Fremde bei ihm gewesen war, – dennoch: Gott harrt sein in der Heimat, denn erst da gibt es die vollkommene Gemeinschaft mit ihm, erst da kann Jakob als der Stammvater des Volkes mit Israels Gott Gemeinschaft halten. Was der Midrasch Gott zu Jakob sprechen läßt, läßt er ihn zu Israel sprechen: »Ich selber harre sein.« Man muß solchen Worten Berichte über Leben von Personen zur Seite stellen, um zu merken, wie ernst, wie lebensmäßig ernst sie, wenn auch nicht von allen, so doch von manchen genommen worden sind. Das schönste Beispiel finden wir darin, was uns vom Leben eines bekannten Gesetzeslehrers des vierten Jahrhunderts, des Rabbi Seïra, erzählt wird. Wir hören, daß er, als er von Babylonien nach Palästina ziehen will, seinem Lehrer ausweicht, dem dieser sagt, wer das tue, übertrete ein Gebot, weil geschrieben steht (Jeremia 27, 22): »Nach Babel sollen sie gebracht werden und dort sollen sie sein.« Er weiß, so verhält es sich nicht, aber er will seinem Lehrer nicht widersprechen, vielleicht scheint ihm der Gegenstand gar nicht eine Sache der Erörterung, sondern eine der bloßen aktiven Entscheidung, er will gar nicht reden, nur eben hingehen. Der Weg bedeutet ihm ganz anderes als eine Übersiedlung von einem Land zum andern: es ist ihm, als ginge er aus einer Welt in die andere. Darum verbringt er hundert Tage im Fasten, um die Lehrweise der babylonischen Schule mit ihrer zugespitzten Dialektik zu »vergessen« und im Land Israel nicht durch Erinnerungen an sie gestört zu werden. Es bedarf einer ungeheuren Anstrengung, um seinen Geist dessen zu entledigen, was ihm die bis zur Selbstverständlichkeit gewohnte Methode geworden ist; aber diese Anstrengung muß getan werden, damit man die heimatliche Lehre wahrhaft in sich aufnehme und sich zu eigen mache. Der Bruch ist so gründlich, daß er in Palästina die babylonischen Genossen »töricht« nennt. Am Jordan angelangt, findet Seïra keine Fähre, aber er kann nicht warten, sondern zieht sich an der Leine der Fähre hinüber. Ein Häretiker, der es sieht, spottet: »Übereiltes Volk, das (einst, am Berg Sinai, mit dem Spruch: ›Wir wollen tun und wir wollen hören‹) den Mund den Ohren vorausschickte – noch immer beharrt ihr in eurer Übereilung!« Aber Seïra antwortet: »Der Ort, der Moses und Ahron nicht beschieden war, wer sagt, daß er mir beschieden sei!« Es ist ihm nicht zugesichert, daß er das Land betritt, vielleicht geschieht in der kurzen Zeit, da er auf die

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Fähre wartet, etwas, das ihn daran behindert, darum darf er jetzt, da er auf dem Wege ist, auch nicht Augenblicke verweilen. Hinter seinen Worten aber steht etwas Tieferes noch: das Wissen um jenes »Harren« Gottes auf jeden Einzelnen von Israel; wie das Volk einst auf den ersten Gottesruf hin, ehe ihm noch kundgetan war, was von ihm gefordert wurde, sich zum Tun bereit erklärte, so soll jeder Einzelne dem Gottesruf in das Land folgen ohne zu zögern. Man muß Seïra, der von auffälliger Erscheinung, klein und dunkelhäutig war, den Babylonier angesehen haben. So ist der Streich zu verstehen, den ihm bald nach seiner Ankunft ein Fleischhauer spielt. Der erklärt, ein Pfund Fleisch koste fünfzig Geldstücke und einen Backenstreich. Nach einigem Verhandeln geht Seïra darauf ein, da er annimmt, dies sei eben Landesbrauch. Ein Gegenstück dazu bildet die Geschichte von einem anderen Fleischhauer, der, von Seïra ersucht, gut zu wägen, ihn anfährt: »Mach dich von hinnen, du Babylonier, dessen Vorfahren das Heiligtum zerstört haben!« Zuerst wundert sich der Beschimpfte: »Sind denn meine Vorfahren nicht den Vorfahren von diesem gleich?« Als er aber dann ins Lehrhaus geht und hört, wie die Worte des Hoheliedes »Wenn sie eine Mauer ist«, so ausgelegt werden: »Wenn Israel wie eine Mauer aus dem Exil heraufgezogen wäre, wäre das Heiligtum nicht zum zweitenmal zerstört worden«, spricht er: »Gut hat mich jener Unwissende belehrt.« In diesem schlichten Spruch gewinnt der Antrieb der Seele, der ihn aus Babylonien hierher gebracht hat, den stärksten Ausdruck. Er fühlt sich als teilnehmend an der Schuld all der Geschlechter, die einst in den sechs Jahrhunderten, da der zweite Tempel stand, nicht in die Heimat zurückgekehrt waren: ja, sie sind es, die das Heiligtum zerstört haben, und er, einer ihrer Nachkommen, der als Person in das Land des zerstörten Heiligtums gewandert ist, muß die Anklage auf sein Haupt nehmen. Aber noch etwas zeigt sich in solchen Anekdoten: wie ernst er die Äußerungen der im Lande Ansässigen nimmt. Auch wenn die Sprecher Unwissende sind, durch sie hindurch spricht, ihnen unbewußt und unzugänglich, das Wissen. »Sogar das bloße Gespräch von Palästinensern ist Lehre«, sagt R. Seïra. In diesem Lande waltet eben von urher der Geist. Und nicht in den Menschen allein und durch sie wirkt er sich aus, sondern auch in der Erde und in der Luft. »Die Luft des Landes Israel macht weise«, sagt R. Seïra. Und schließlich ist auch die ihm eigentümliche Auffassung vom Anbruch der messianischen Zeit eine Frucht dieses seines Verhältnisses zum Land. Er hört die Gefährten sich darüber unterreden, wann die Erlösung kommen wird und was geschehen muß, damit sie komme, er aber

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spricht: »Ich bitte euch, rückt sie nicht hinaus«, und begründet es mit drastischen Vergleichen: wie man einen Fund unversehens tut, wie einen ein Skorpion unversehens sticht, so kommt Messias, wenn man nicht an ihn denkt. Auch dies ist wie gesagt eine Frucht von Seïras Grundgefühl vom Wohnen im Lande: im Lande wohnen und inmitten des Volkes, als Volk Gottes Willen tun, nur dies, nicht die Erlösung erörtern, nicht ihr nachgrübeln, nicht sich krampfhaft um sie bemühen, nur im Lande als Gottes Volk leben, und Messias wird kommen, »wenn man nicht an ihn denkt«. All dies muß man zusammenhören und zusammensehen, um die deutende und verklärende Lehre der talmudisch-midraschischen Epoche vom Sinn des Wohnens im Lande Israel von ihrem Grund aus zu erfassen: die drei Sprüche, den vom Siedeln, das alle Gebote aufwiegt, den vom Siedler, der im Gegensatz zu dem im Ausland Weilenden dem gleicht, der einen Gott hat, und den, der Gott sagen läßt: »Ich selber harre dein«, – und dazu diesen beispielhaften Menschen, den kleinen Rabbi Seïra »mit den versengten Schenkeln«, der wirklich, mit der ganzen Macht seiner Seele, im Lande lebt und weiß: die Erlösung kommt, wenn man nicht an sie denkt.

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Man pflegt unter Apologetik jene Gattung des religiösen Schrifttums zu verstehen, die von der Absicht bestimmt ist die Wahrheit von Glaubenslehren zu erweisen und auch die von Leugnern dieser Wahrheit gegen sie vorgebrachten Argumente zu entkräften. Die jüdische Apologetik fügt sich dieser Definition nur zum Teil ein. Ihr ist es, der Wesensrichtung des Judentums gemäß, das nicht ein Glaubenssystem, sondern ein System des gläubigen Lebens sein will, zwar auch um den Erweis der Wahrheit eines Geglaubten, aber besonders um den der Richtigkeit eines Gelebten zu tun. Von da aus ist der innere Zusammenhang ihres Meisterwerkes, des »Kusari« des Jehuda ha-Levi, zu verstehen. Wozu freilich noch kommt, daß der Verfasser dieses Werks ein großer Dichter war, und ein wie gedankliches Buch ein Dichter auch schreiben mag, zwei Dinge werden stets, wenn auch etwa versteckt, darin sein: das Bild menschlicher Situationen und die Äußerung der eigenen Seele. Die Situation, in der sich der Dialog des Buches »Kusari« begibt, entstammt, obgleich das Werk sich von Schilderung und Erzählung fernhält, einer dichterischen Schau. Dieser Chazarenfürst, der, in einem Traum über den Grundmangel seines Daseins belehrt, Gespräche mit Weisen anspinnt, um zu erfahren, wie er ihn überwinden soll, ist, wiewohl nur angedeutet, kein Begriff, sondern ein Mensch. Und nun ist es von Wichtigkeit, daß ihm der Engel im Traum nicht eröffnet, sein Glaube sei irrig oder seine Gesinnung sei unzulänglich, sondern er lebe und handle nicht so, wie es dem Schöpfer gefällt. So tritt uns schon im Ausgangspunkt jene Wesensrichtung des Judentums auf die Lebenshaltung und Lebensordnung entgegen, seine Scheidung zwischen einem dem Willen Gottes gemäßen und einem ihm ungemäßen Leben. Dementsprechend geht der Chazarenfürst bei seinen Gesprächen mit den Weisen, ob er sie auch zunächst nur »nach ihrem Glauben« befragt, darauf aus zu erkennen, wie ihre Lebensweise im Verhältnis zu der seinen beschaffen sei. Die Gesinnung allein kann nicht entscheidend sein. Unverkennbar unter Hindeutung auf den ersten Kreuzzug legt der Dichter dem Chazaren einen nachdrücklichen Hinweis auf die Kämpfe zwischen Edom und Ismael, »die sich in die bewohnte Welt geteilt haben«, in den Mund: beide, der Christ und der Muhammedaner, wollen der Gottheit dienen, schlagen zu diesem Zweck einander tot und sind dabei gewiß, ins Paradies zu kommen:

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keinesfalls können beide recht haben, wiewohl hier fromme Gesinnung gegen fromme Gesinnung stehe. Die Antwort des Philosophen, totschlagen sei eben an sich vernunftwidrig, genügt dem Fürsten nicht: in der Begriffswelt der Philosophen kann man wohl denken, aber nicht leben, kann man wohl richtig denken, aber nicht richtig leben. Die Wahrheit des Lebens zeigen Propheten, nicht Philosophen; und mancher, der sich nicht mit hohen geistigen Dingen abgegeben hat, wird (hier denkt der Chazare offenbar an seinen eigenen Traum) in »wahrhaften Träumen« auf diese Wahrheit hingewiesen. Das Göttliche und die Seelen haben ein Geheimnis, das wird von der Weisheit der Philosophen nicht erfaßt. Den christlichen und den muhammedanischen Theologen, die er nun beruft, befragt der Fürst nicht mehr wie den Philosophen um ihr Glaubensbekenntnis allein, sondern auch um ihr Tun. Beide antworten zu dogmatisch, als daß sie den Fragenden davon überzeugen könnten, worauf ihre Religionen gegründet sind: vom Handeln Gottes an die Menschenwelt und in ihr, einem Handeln, das dem Menschen den Weg für sein eignes Handeln zeigt. Brachte der Philosoph nur Abstraktionen vor, so weisen die Vertreter der beiden Religionen zwar, neben allgemeinen Sätzen über Gottes Ewigkeit und Geistigkeit, auch auf sein konkretes Walten hin, aber dogmatisch gefaßt, wie sie es fassen, erscheint dieses Walten nicht als ein sich im geschichtlichen Leben bekundendes und für das persönliche Leben maßgebendes; was er sucht, kann der Chazare hier nicht finden. Nun erst, und weil sich beide Theologen auf die heilige Schrift Israels berufen haben, befragt er auch einen Juden, obwohl er ursprünglich aus diesem äußerlich und innerlich herabgekommenen Volke niemand hatte heranziehen wollen. Auffallenderweise fragt er nun wieder nur nach dem Glauben, vermutlich weil ihn seine Erfahrungen belehrt haben, daß er nur über diesen Auskunft erhalten könne. Und in der Tat antwortet ihm auch der Rabbi mit einem »Ich glaube«. Aber dieses Bekenntnis ist doch seinem ganzen Charakter nach von jenen völlig verschieden. Der Jude redet nicht von Gottes Wesen, sondern nur von seinem Wirken in der Geschichte Israels. Geschichte, geschichtliches Leben ist, was er zu bekennen hat; er redet, als hätten die Juden keine andere Religion als ihre Geschichte, aber es ist eben eine Geschichte göttlicher Taten, es ist Geschichte, erfahren als ein Geschehen zwischen Himmel und Erde. Die Lehren der anderen gelten dem Juden als »spekulativ«: auf den Wegen theologischer Dogmatik könne man nicht dahin gelangen, wohin der Fürst gelangen wolle, nämlich von Gottes Eigenschaften so zu erfahren, um »dem Schöpfer an Weisheit und Gerechtigkeit ähnlicher zu werden«. Nachahmung Gottes lernt man nicht aus Aussagen über Gottes Wesen, sondern aus dem lebendi-

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gen Zeugnis für sein Walten in der Menschengeschichte, und der Jude bezeugt durch sein Sein, was sein Wort bekennt. Das verspürt der Fürst alsbald, und das große Gespräch der beiden beginnt, dessen erster Teil schon den Übertritt des Chazaren zum Judentum zur Folge hat. Dieses Gespräch umschließt zwar wie das Irdische so auch das Himmlische, aber immer so, daß es auf das Konkrete, auf die Geschichte, auf Israel bezogen bleibt. Es ist nicht beiläufig, daß der dritte als der mittlere Teil die Gottesgebote für das Leben des jüdischen Menschen und des jüdischen Volkes behandelt. Immer wieder geht der Rabbi darauf aus, dem Fürsten die lebendige Beziehung zwischen Gott und Israel zu zeigen. Dabei hält er sich von einer idealisierenden Betrachtung des Volkes fern, die an die Stelle der geschichtlichen Wahrheit doch wieder eine nur gedachte Auffassung setzen würde. Er trägt schwer an dem Elend des Volkes: weil es für dessen Mehrheit nur ein auferlegtes, nicht ein freiwillig getragenes ist. Nur ein kleiner Teil, das weiß er, wird durch den Druck zur Demut Gott und seiner Lehre gegenüber gebracht. »Ertrügen wir hingegen diese Verbannung und Erniedrigung in der rechten Weise um Gottes willen, dann brächten wir die Befreiung nah, deren wir harren.« Der Unterschied zwischen den Verheißungen anderer Religionen an die Getreuen und denen der Thora wird vornehmlich darin gesehen, daß dort dem gehorsamen Einzelnen eine Seligkeit nach dem Tode versprochen wird, hier aber einem das Gebot erfüllenden Israel zugesagt wird: »Ihr werdet mir zum Volke werden.« Und das schließt zugleich ein – hier spricht der Rabbi zum erstenmal von Palästina –: »Ihr werdet dauern in dem Land, das zu dieser hohen Stufe verhilft, heiliger Boden der es ist. Seine Fruchtbarkeit oder Dürre, sein gutes oder schlimmes Geschick hängen, je nach euren Taten, unmittelbar vom Göttlichen ab, dieweil die ganze übrige Welt nach der Naturregel sich regelt.« So nimmt Jehuda ha-Levi die biblisch-talmudische Lehre von der besonderen göttlichen Fürsorge wieder auf, indem er sie mit der biblischen Lehre von der Einwirkung der Menschentat auf das Los des Bodens verbindet. Den unmittelbaren Einfluß der menschlichen Handlungen auf die Geschichte des Bodens, wie die Bibel ihn für die Urzeit darstellt, schränkt er für die Geschichtszeit auf Palästina ein: nur noch der Boden des Landes Israel wird nun für das Tun des Volkes zur Verantwortung gezogen, der Rest der bewohnten Erde ist unter die Naturgesetze allein gestellt und durch sie gesichert. So bekommt hier die gegenseitige Abhängigkeit von Volk und Land Israel eine besondere Betonung. Im ersten Teil des Buches erklingt das palästinensische Motiv nur einen Augenblick und verschwindet, im zweiten Teil gelangt es zur Ent-

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faltung. Der Rabbi, der jetzt nicht mehr bloß Auskunft gibt, sondern den Proselyten lehrt, erklärt ihm, was die göttliche »Glorie«, der Kabod, ist: »ein Strahl göttlichen Lichts, der bei Seinem Volke in Seinem Lande sich auswirkt.« Der Chazare erkennt die Wirkung auf das Gottesvolk an, er hat verstehen gelernt, daß das Göttliche sich innerhalb des Menschengeschlechts das ihm Gemäße erwählt, um sich ihm unmittelbar mitzuteilen; aber daß ein Stück der Erde vor allen andern als Land Gottes zu bezeichnen sei, fällt ihm schwer zu fassen und anzunehmen. Zur Antwort zeigt der Rabbi auf einen Berg, auf dem der beste Wein gedeiht: die edlen Reben bedürfen dieses besonderen Bodens, der ihrem Wachstum günstig ist wie kein anderer, freilich müssen sie auch in der rechten Weise gepflanzt und gepflegt werden, damit sie solche Trauben bringen. Die Reben sind das erwählte Volk, »Sondergut und Kern«, der Berg ist das Land Israel, die Pflege sind die gebotenen Handlungen, die an das Land gebunden sind und nur in ihm vollzogen werden können, die Frucht des Weinbergs aber ist die Prophetie, die Israel allein zu eigen ist: die Gottesnähe in der Gestalt der Kundgebung. »Das Sondergut vermag sich aber an das Göttliche an keinem andern Orte zu heften, wie der Weingarten nur an diesem Berg zu gedeihen vermag.« Prophetie ist nur im Lande Israel oder im Hinblick auf es und um seinetwillen geschehen. Die Offenbarung hat sich von der Urzeit an in seinem Bereiche begeben. Abraham wurde, als er würdig befunden ward, aus seinem Lande hierher versetzt, damit seine Vollkommenheit hier zur Entfaltung gelange; so findet ein Landmann in der Wüste die Wurzel eines guten Fruchtbaums und verpflanzt sie in den ihrer Entwicklung zum Fruchtbaum günstigen Boden. In Kanaan geht die Gabe der Prophetie von Abraham auf seinen Samen über. Den Anteil des Landes an dieser Gabe hat Jakob erkannt, als er das Traumgesicht, das ihm zuteil wurde, nicht der Lauterkeit seiner Seele und nicht seiner Glaubenskraft, sondern dem »schauerlichen« Orte zuschrieb. Die Gaben Gottes suchen sich die natürliche Substanz, in der sie zur vollen Entfaltung kommen können. Was Gott der Welt in der Offenbarung mitteilen will und was er in der Schöpfung ihr zugeteilt hat, diese zwei streben einander zu; die Schöpfung strebt danach, sich Gott zu nähern, aber die Offenbarung strebt danach, sich zu verleiblichen, sie bereitet sich im Umkreis der Natur das Organ, das am geeignetsten ist sie aufzunehmen, sie zu Leben zu machen und in die Welt zu tragen. Das Land Israel wurde bestimmt, die ganze Welt zum Rechten zu bringen, und eben darum ist es, seit der Zeit der Sprachenspaltung, seit die ursprüngliche Einheit des Menschengeschlechts in Völker zerfiel, »als der Hohe die Völker eineignete«, den Stämmen Israels zugedacht worden: das »Eigentum des Herrn« dem »Volk des Herrn«. »Festzeiten

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JHWH’s« heißen die Tage, an denen diese Verbindung von Volk und Land und ihre Bestimmung zu gemeinsamem Werk gefeiert wird, »Dienst JHWH’s« wird die über das Jahr verteilte Bereitung zu diesem Werk genannt. Ruhetage heißen »Sabbate JHWH’s«, aber die ein Jahr lang währenden Ruhezeiten des Bodens am Ende jedes Jahrsiebents werden »Sabbate des Landes« genannt: so sehr hat Gott dieses Land erwählt, so sehr will er sich in ihm verherrlichen. Aber auch die Sabbate JHWH’s und die Festzeiten JHWH’s sind an das Land gebunden, denn von hier aus muß man zu rechnen beginnen, um die Stunden der Festanfänge für alle Orte der bewohnten Erde zu ermitteln. Dies bringt Jehuda ha-Levi in Zusammenhang mit zwei Motiven, die er der aggadischen Tradition entnimmt. In dem einen erscheint Palästina als »Mitte der bewohnten Welt« (in der Aggada: Mitte der Welt). Das andere erzählt, Adam sei, nachdem er gesündigt hatte, am Vorabend des Sabbat vom Garten Eden nach dem Lande Israel gebracht worden, um hier den Boden zu bebauen, und hier habe er begonnen die Tage nach den sechs Tagen der Schöpfung zu zählen. In Raum und Zeit ist Palästina, »das Tor des Himmels«, von urher zentral und bestimmend. So verehren denn auch heute noch alle Völker das Land, obgleich die Schechina sich hier nicht mehr schauen läßt, alle Glaubensgemeinschaften wallfahren dahin und begehren nach ihm, »nur wir unterlassen es, wegen der Verbannung und der Bedrückung, in die wir getan sind«. Hier kehrt jene strenge Selbstkritik wieder, die uns schon in jener Unterscheidung zwischen der Haltung der Wenigen und der der Vielen in Israel begegnet ist und die sich bei Jehuda ha-Levi aufs genaueste mit seiner Höchstschätzung Israels verträgt: das zu Großem Berufene ist am stärksten von innen her bedroht. Der Fürst ersucht den Rabbi, ihm einiges aus den Aussprüchen der Weisen über den hohen Rang Palästinas vorzutragen. Aber statt nun etwas von dem vielen anzuführen, das zum Ruhme des Landes gesagt worden ist, etwa über seine Heiligkeit und seine mannigfachen Segnungen, zitiert er lauter Äußerungen über die Wichtigkeit des Wohnens im Lande. Es ist geradezu, als wollte er den Vorwurf herausfordern, mit dem der Fürst nun all die Hinweise – als zöge er eine Schlußfolgerung aus ihnen – beantwortet: »Wenn dem so ist, dann vergehst du dich gegen die dir von deiner Thora auferlegte Pflicht, da du nicht nach dieser Stätte hinstrebst, sie nicht zum Hause deines Lebens und Sterbens machst, der du doch betest, ›Erbarme dich Zions, denn es ist das Haus unseres Lebens‹ und glaubst, daß die Schechina dahin zurückkehren werde … Da ist doch dein Knien und Niederfallen nach ihm hin nur Heuchelei oder gedankenlose Verrichtung.« Und der Rabbi nimmt den Vorwurf als gerecht entgegen. »Du beschämst mich, König der Chazaren«, sagt er. Das

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entspricht völlig der Antwort, die er im ersten Teil dem Fürsten gibt, als dieser ihm vorhält, die demütige Haltung des jüdischen Volkes sei keine freiwillige, sondern eine erzwungene: »Du triffst meine schwache Stelle, König der Chazaren.« Aber beiden geht es – wiewohl das eine Mal das Volk, das andre Mal die Person angeklagt wird – um dasselbe: die Bewährung des Bekenntnisses im Leben. Damit rühren wir an den Kernpunkt des Werkes, der schon am Anfang in jenem Traum des Fürsten erschien, darin der Engel ihm vorhielt, seine Gesinnung gefalle Gott wohl, nicht aber sein Leben. Aber er hatte eben nicht gewußt, wie man leben soll. Jetzt hat er es erfahren, indem er über das Lebenssystem Israels belehrt wird. Aber er merkt, erst, wie wenig das Volk selber dieses Lebenssystem wahrhaft, das heißt eben aus der rechten Gesinnung verwirklicht, und daß es manche der höchsten Tugenden nur erfüllt, weil es keine äußere Möglichkeit hat, sich dagegen zu vergehen, und sodann anderseits, daß auch der Mann, der ihn belehrt, selber nicht in seinem Leben alles erfüllt, woran er glaubt und was er verkündigt. Das ist es, was Jehuda haLevi seinen Chazarenfürsten zu seinem Rabbi sagen läßt. Daß er es aus der Tiefe seines eigenen Herzens holt, geht besonders aus der Antwort des Rabbi auf den Vorwurf hervor. Dies, dessen er bezichtigt wird, sagt er, also das Unterlassen der Heimkehr in die Heimat, dies eben sei es, »was die Erfüllung der göttlichen Verheißung für den zweiten Tempel vereitelt hat«: »Das Göttliche war schon bereit wieder wie vordem sich niederzulassen, hätten sie nur alle freudigen Herzens eingestimmt ins Land zurückzukehren. Aber nur ein Teil von ihnen kehrte zurück; die Mehrheit, und gerade die Vornehmen unter ihnen, verblieb in Babel und zog es vor, als Geduldete und Verknechtete zu leben, um sich nur nicht von ihren Wohnungen und ihren Geschäften zu trennen … Wohl, wären wir mit ganzem Herzen bereit, dem Gott unsrer Väter zu begegnen, wir erlangten von ihm, was unsre Väter in Ägypten erlangten.« Wenn wir, so wie wir leben, im Gebete von Gott sagen: »der seine Schechina nach Zion zurückführt«, so ist das nichts als Starengeplapper. Hier spüren wir, daß Jehuda ha-Levi, was er seinen Rabbi zu seinem Fürsten sagen läßt, vorher im Geheimnis seines Herzens zu sich selber gesagt hat; wir vernehmen die Kundgebung der Seele des Dichters. Eine große Seele und ein großes Dichtertum gehören dazu, um solches so auszusprechen. Das Wort bleibt in uns haften und soll in uns haften bleiben; denn das Buch ist darauf angelegt, daß dieses Wort nicht aus unserem Gedächtnis und unserem Gemüt weiche, bis wir an den Schluß gelangen, wo sich uns erst sein voller persönlicher Sinn eröffnet. Im Fortgang des Buches hören wir bis nah an den Schluß kaum noch etwas von Palästina, nur gelegentlich wird es erwähnt. Es ist, als sei das

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Wesentliche nun gesagt worden und von Nebensächlichem solle geschwiegen werden. Mehr noch: es ist, als walte in diesem Schweigen noch eine besondere Absicht; das, was uns am Schluß eröffnet wird, soll nicht durch weitere Gespräche über das Land vorbereitet werden; was uns hier kundgetan werden soll, wird uns gerade dann ganz kundgetan, wenn es nicht vorbereitet worden ist. Gerade nachdem die Lehre des Rabbi sich also der dogmatischen Sprache am meisten genähert, von ihrer eigentlichen Aufgabe also am weitesten entfernt hat, findet sie ihr Ende. Das Gespräch bricht ab, und der erzählende Stil, der seit dem Anfang des zweiten Teils völlig zurückgetreten war, setzt wieder ein; wir hören, nun habe der Rabbi beschlossen, das Land der Chazaren zu verlassen, um nach Jerusalem zu ziehen. Wie wollen wir diesen Entschluß im Zusammenhang des Buches verstehen? Es ist offenbar, daß er eben seit jenem Vorwurf des Fürsten zur Reife gediehen ist. Hat ihn dieser Vorwurf selber so beeinflußt? Vielmehr, daß ihm darin die Anklage seines eigenen Herzens als Wort eines anderen an ihn entgegentrat. Aber das ist noch nicht alles. Er war zu diesem Fürsten gerufen worden, um ihm zu sagen, wie das rechte Leben beschaffen sei; er hatte es ihm gesagt, er hatte ihm von der Leiblichkeit des rechten Lebens erzählt wie er als Sohn Israels darum wußte, nämlich von einer auf dem Urzusammenhang eines erwählten Volkes mit einem erwählten Land begründeten Leiblichkeit des rechten Lebens; und was er sprach, erfuhr er als zu sich selber gesprochen. Alles, so hatte er gelehrt, kommt darauf an, daß man lebe, was man glaubt; lebte er, was er glaubte? Der Vorwurf des Fürsten hatte ihn vor die Brust gestoßen; aber in seiner Antwort hatte er selber sich an die Brust geschlagen. Seither hatte er mit Bedacht von dem Gegenstand geschwiegen; aber im Schweigen war der Entschluß gereift, das bisher Ungetane zu tun. Und auch dies alles wieder ist nicht etwas bloß Ersonnenes oder Erdichtetes, sondern es ist ein Teil, der abschließende Teil des Seelenbekenntnisses des Dichters. Er selber hat den Entschluß gefaßt. Jetzt aber versucht der Fürst, er, der ihm vorgeworfen hatte, daß er nicht nach dem Lande Israel gehe, ihn von seinem Entschluß abzubringen: Was wolle er dort, da doch die Schechina dort nicht mehr weile? Könne man doch an jedem Orte der Welt durch reine Gesinnung der Nähe Gottes teilhaftig werden! Warum wolle er sich da all den Gefahren aussetzen? Man sieht, der Chazarenfürst scheut sich, damit der Rabbi ihn nicht verlasse, nicht, Argumente zu verwenden, die doch der ganze Gang des Gespräches samt seinen eigenen Worten widerlegt hat: es komme weder auf die Worte noch auf die Handlungen entscheidend an, zumindest heute seien in religiösem Belange alle Orte gleichwertig, und was not tue sei die reine Gesinnung allein. Aber der Rabbi macht zur Antwort an dem eigenen

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Fall den ganzen Sinn seiner Lehre von der Konkretheit des religiösen Lebens und von der Tat praktisch deutlich. Und die Bedenken, die der Fürst gegen die Reise geäußert hat, werden uns im Zusammenhang des Buches verständlich: sie sollte eben diese Antwort vorbereiten, in der das Bekenntnis des Rabbi und das seines Dichters gipfelt. Es sind sieben Hinweise, die der Rabbi – zweimal durch Einwände des Chazaren unterbrochen, die aber beidemal zu wichtigen Ergänzungen seiner Darlegung führen – vorbringt. Erstens: Es ist wohl wahr, daß die Schechina, die geschaut wird, heute im Lande Israel nicht zu finden ist, weil sie sich an dem bestimmten Orte nur einem Propheten oder einer den Willen Gottes erfüllenden und ihm daher wohlgefälligen Schar offenbart; diese Schau ist uns für die Zeit wieder verheißen, »wenn JHWH nach Zion zurückkehrt«. Aber die unwahrnehmbare geistige Schechina weilt »bei jedem echtbürtigen Israeliten, dessen Handeln lauter, dessen Herz rein, dessen Gesinnung ganz dem Gotte Israels ergeben ist«. Dies ist dem Anschein nach kein Gegengrund, ja es klingt fast, als würde damit dem Chazaren recht gegeben; hört man aber recht hin, dann vernimmt man zwischen den Zeilen, was Jehuda haLevi wohl mit Absicht nicht ausdrücklich sagen wollte, wodurch allein aber verständlich wird, zu welchem Ende das gesagt ist, was gesagt ist: da die der wahren Gemeinschaft Israels zugetane Schechina, seit die Gemeinschaft zersprengt ist, bei jedem der zersprengten Teile, das heißt bei jedem echten, Gott wahrhaft dienenden Juden weilt, bringt jeder von diesen, der ins Heilige Land zieht, diese ihre Gegenwart mit sich, und die es tun, versammeln dort nicht bloß die Gemeinschaft Israels, sondern sie sammeln gleichsam die Schechina selber dorthin ein. Was dies letztlich bedeutet, zu erhellen, ist erst dem Schluß der Rede des Rabbi vorbehalten. Zweitens: Da das Land Israel unter allen Gott zugeheiligt ist, können nur in ihm die religiösen Handlungen zu ihrer Vollendung gelangen, und viele Gebote können nur hier erfüllt werden. Das heißt: nur in Palästina kann der jüdische Mensch mit der Ganzheit des tätigen Lebens Gott dienen; was in den Ländern des Exils getan wird, ist nur Stückwerk, vollkommenes Werk kann nur im Lande Israel geraten. Die Voraussetzung, von der dieser zweite Grundsatz, wie auch der nächstfolgende, ausgeht, ist, daß die Heiligkeit des Landes durch alles geschichtliche Schicksal nicht verkürzt worden ist. Drittens: Nicht die Handlungen allein werden nur im Lande Israel vollkommen, sondern auch das Herz kann nur hier seine Reinheit bewahren. Um diesen Grundsatz ganz zu erfassen, muß man sich die Unterscheidung zwischen der Gesinnung und der Betätigung gegenwärtig

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halten, die sich durch das Buch zieht. Der Ausgangspunkt war, daß die Gesinnung allein nicht genügt, das rechte tätige Leben muß hinzutreten; dieses kann, wie wir hörten, nur im Heiligen Lande seine Vollendung finden; aber auch der Gesinnung selber, mag sie noch so rein sein, fehlt ein letztes, eine gleichsam objektive, gleichsam naturhafte Lauterkeit der Seelensubstanz, eine Lauterkeit, von der die Seele erst unter der Einwirkung der Heiligkeit des Landes durchdrungen werden kann. Wie das Land das Tun vollendet, so vollendet es auch die Seele. Viertens (wieder schließt sich der Grundsatz an den vorangehenden an): Aber nicht bloß der Stand des Lebens und der Seele, sondern auch das über alles Entscheidende, das Verhältnis zwischen Gott und diesem Menschen wandelt sich, da er sich in das Land Israel begibt, und zwar schon auf der Fahrt selber. Wer bedürfte nicht für frühere Vergehen der Vergebung Gottes? Man kann Gott, um Sühnung zu erlangen, keine Opfer mehr darbringen, in denen ja einst der Mensch von Israel sich selber der Gottheit sinnbildlich darbrachte; aber man kann sich selber dadurch darbringen, daß man sich den Gefahren der Fahrt freudig aussetzt und auch den Tod, wenn er einen dabei ereilt, dankbar entgegennimmt. In diesem Augenblick, da die Darlegung des Rabbis an die Grenze des Lebens gerührt hat, greift der Chazare mit seinem zweiten Einwand ein. Er hält dem Rabbi vor, er habe ihm doch seine Schätzung der Freiheit zu erkennen gegeben, nun aber wolle er neue Pflichten auf sich laden, deren er außerhalb Palästinas ledig sei. Zur Antwort spielt der Rabbi den fünften Grundsatz aus: Darauf kommt es an, daß man vom Dienst der vielen frei werde für den Dienst des Einen. Der Dienst Gottes ist die wahre Freiheit, es gibt keine andere. Nur wer nicht mehr nach der Gnade der Menschen strebt, darf um die Gnade Gottes werben. Diesen Weg, den Weg von der Abhängigkeit von der Menschengunst zum freien Dienste des gnädigen Gottes bedeutet der Weg nach dem Lande Israel. Jetzt bringt der Fürst den dritten Einwand vor, der das Grundmotiv des Buches, die Unterscheidung zwischen Gesinnung und Tat, erneuert: wenn der Rabbi in der Wirklichkeit seines Glaubens all dies festhalte, dann sei es ja daran genug, denn Gott kenne sein Herz. Der Einwand klingt verwunderlich. Hat der Chazare vergessen, was ihm einst der Engel im Traum eröffnete? Hat er alles vergessen, was ihn der Rabbi gelehrt hat? Vielmehr, er geht gerade davon aus: die Gesinnung genügt nicht, man muß auch zur Tat bereit sein, aber ist man wahrhaft dazu bereit, hat man in der Seele alle Hemmung überwunden, dann darf man doch erhoffen, daß Gott, für den die volle innere Bereitschaft zur Tat der Tat selber gleichkommt, jene mit gleichem Wohlgefallen wie diese entgegennimmt. Darauf antwortet der Rabbi mit dem sechsten Grundsatz:

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Bereitschaft steht für die Tat nur, wenn die Tat unmöglich ist. Denn »die Taten bedürfen der Vollendung«. Gott kennt ja auch die Gedanken des Beters, und doch sollen sie mit den Lippen ausgesprochen werden, um als vollkommenes Gebet zu gelten. Gott will nicht bloß, daß die Seele sich vollende, sondern auch daß durch sie die Welt zur Vollendung gebracht werde. Er hat die Welt und den Menschen so erschaffen, daß die Tat des Menschen an der Vollendung der Welt zu Seinem Reiche wirken könne. Und daraus ergibt sich unmittelbar der siebente und letzte Grundsatz, der den ersten, der von der bei jedem reinen Herzen weilenden Schechina handelte, erhellt und ergänzt. Er besagt, daß die Tat der mit bereiter Seele ins Heilige Land Ziehenden ihre Wirkung am Lande Israel, an der Gemeinschaft Israels, an der Heimkehr der Schechina, an der Erlösung tun wird. Es heißt im Psalm: »Selber wirst aufstehn du, wirst dich Zions erbarmen, denn die Stunde ist’s, ihm Gunst zu erzeigen, denn gekommen ist die Frist, denn deine Knechte haben an seinen Steinen Gefallen, günstig sind sie seinem Staub.« Wenn die Söhne Israels als Gottes Knechte, die ihm in Freiheit dienen, von der höchsten Sehnsucht nach Zion ergriffen werden und ihr Leben für die Erfüllung ihrer Sehnsucht einsetzen, dann ist die Frist gekommen, dann wird Jerusalem erbaut. Alles ist gesagt, was zu sagen war. Der Dichter hatte den Rabbi erst seine eigne Selbstanklage, dann seinen eignen Entschluß und dessen Motive aussprechen lassen. Dort ist das persönliche Bekenntnis in Deutung der Geschichte übergegangen, hier geht es in Verkündigung über. Die Verkündigung hat die Grundform, um die sich alle echte Prophetie aufbaut, die des »Wenn«, ebenso wie die Deutung der Geschichte sie hatte, denn auch sie war prophetische Deutung. »Wären wir«, so hatte die Deutung gesprochen, »mit ganzem Herzen bereit, dem Gott unsrer Väter zu begegnen, wir erlangten von ihm, was unsre Väter in Ägypten erlangten.« Was im Wenn der Deutung vorbereitet wurde, vollendet sich nun im Wenn der Verkündigung. »Jerusalem«, spricht die Verkündigung, »wird wieder erbaut werden, wenn Israel von der höchsten Sehnsucht danach ergriffen wird.« Der Sprecher, der Rabbi, – der Sprecher, der Dichter ist von der äußersten Sehnsucht danach ergriffen. Er geht hin, seine Sehnsucht zu erfüllen und fühlt im eignen Schritt schon den Schritt Israels. Daß wir von Jehuda ha-Levi nur noch – durch die Botschaften seiner Gedichte – aus Ägypten, Jemen, Damaskus und Tyrus, dann aber nicht mehr hören, hat die Größe des Sinnbilds.

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Die altorientalische Vorstellung der Entsprechung von himmlischer und irdischer Gottesstätte gewinnt eine besondere Gestalt in der aggadischen Vorstellung des »oberen« und des »unteren« Jerusalem. Sie entsprechen nicht bloß einander, sondern sind auch auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden und wirken aufeinander ein. Zu ihrer vollen Entfaltung aber gelangt diese Konzeption erst in der Kabbala. Hier ist es ebendieselbe Wesenheit, die in himmlischer und in irdischer Gestalt erscheint, einmal vom Göttlichen, das andere Mal vom Menschlichen aus gesehen. Wie »die Gemeinschaft Israels«, die Macht, die das Volk Israels eint, mit der Schechina zusammenfließt, so wird auch »Zion« in die Emanationen der göttlichen Substanz selber hereingehoben, ohne aber damit seine irdische Realität zu verlieren. Innerhalb des kosmischen und überkosmischen Dramas, als das die Kabbala den Prozeß alles Werdens sieht, kommt sowohl dem Volk als dem Land, vornehmlich aber dem, was sich zwischen beiden begibt, ein besonderer Platz zu. Um uns ein Bild davon zu machen, genügt es, einige in dem klassischen Werk der älteren Kabbala, dem »Buch des Himmelsglanzes«, verstreute Züge zusammenzufügen. Der in der aggadischen Literatur häufig wiederkehrende Gedanke, Jerusalem sei die Mitte der Welt, vertieft sich hier in eigentümlicher Weise. Während dort die Vorstellung der Zentrierung der Welt in Jerusalem nur eine Variante einer in vielen Kulturen und in einem gewissen Maße ohne gegenseitige Beeinflussung wiederkehrenden Konzeption darstellt, kommt hier ein neues und umwandelndes Element dadurch hinzu, daß die Mitte im Raum mit stärkstem Nachdruck als der Anfang in der Zeit verstanden wird. Das Werk der Schöpfung beginnt mit dem Herzen, und das Herz der ganzen Welt ist im Allerheiligsten zu Jerusalem, wo die Schechina zu weilen pflegte und von dessen Stätte aus die ganze bewohnte Erde ernährt wird. Auch jetzt noch, wiewohl der Tempel zerstört und die Schechina wie Israel im Exil ist, vollzieht sich die Ernährung der Erde von da aus, dank der Mächtigkeit und Würdigkeit des »guten Landes«. Das Herz selbst aber wird von dem verborgenen Hirn der Welt aus ernährt. Um das Allerheiligste bauen sich der Tempel, der Tempelberg, Jerusalem, die bewohnte Erde, der Ozean auf. Aber das gleiche besteht in der Überwelt, im »Mysterium des Oberen Königs«, wo innerhalb des Feuerstroms Kreise um Kreise um die Heilige Stadt sich ziehen, in deren Mitte das Allerheiligste als das Herz ist, und auch hier ist dieses und durch es alles von dem oberen, verborgenen Hirn aus ernährt. Beide aber, Oben und Unten, sind miteinander verbunden, und zuinnerst sind sie nicht zwei, sondern eins.

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Daß Gott die Schöpfung mit Zion beginnt, liegt daran, daß es der Bereich ist, wo die vollkommene Treue ihre Vollendung findet; darum ist Zion der Herzpunkt der ganzen Welt, von dem aus sie sich zur Vollkommenheit vollendet. Diese Darstellung der in Zion zentrierten Schöpfung wird aber durch eine andere, dualistische ergänzt, die der kabbalistischen Dramatik des kosmischen Kampfes entspricht. Danach teilt der Schöpfer die Erde in den bewohnten und den wüsten Teil. Die bewohnte Erde bildet einen Kreis, dessen Mitte ist das Heilige Land, dessen Mitte Jerusalem und wieder dessen Mitte das Allerheiligste, auf das der Segenserguß von oben niedergeht und von dem er überallhin fließt. Ebenso aber ist die Wüste in Kreisen um eine Mitte gelegt; das ist die Schreckenswüste, wo die »Andere Seite« den Sitz ihrer Herrschaft hat. Und dies ist die Wüste, durch die Israel vierzig Jahre wandern mußte. Wären sie während dieser Zeit Gott vollkommen treu geblieben, die Andere Seite wäre vom Angesicht der Erde hinweggetilgt worden. Israel muß sich den Zugang zu Zion von der Dämonie erkämpfen; was es ihr aber abringt, kommt der ganzen Welt zugute, die von der Dämonie bedrängt wird. Von hier aus eröffnet sich uns ein Blick in die Bedeutung, die dem Zusammenhang zwischen diesem Volk und diesem Land innerhalb des Weltdramas zukommt. Die dämonische Macht, die »Schale«, die das zarte Welthirn umkrustet, erwächst zuerst aus einem Widerstreit, der in der überkosmischen Vorschöpfung in den oberen Welten selber entsteht, sie wird verstärkt und verleiblicht durch die Auflehnung des Urmenschen, und sie steigert sich noch einmal in einem für das Weltschicksal verhängnisvollen Maße durch die Sünde Israels. Die Wirkung dieser Sünde ist nicht auf das Reich des Menschen beschränkt, sie reicht in Welten und Überwelten. Diese Sünde, und ebenso wie sie auch Sühne und Erlösung Israels sind nicht als irdischer Vorgang allein zu verstehen. Wie »die Gemeinschaft Israels«, seine Einheit, sein Friede mit der Schechina, so ist der innere Widerspruch Israels, sein Unfriede, der Zerfall in ihm mit der Klipa, der »Schale«, verbunden: was Israel tut, ist nicht bloß hier, sondern auch dort, »rechts« oder »links«, getan, was es leidet, zieht auch dort seine Spuren, jeder Vorgang im Leben Israels rührt an die Sphären der Emanation. Es gibt aber nichts im Leben Israels, kein Tun und kein Leiden, darein nicht das Land, positiv oder negativ, innig einbezogen wäre; Sünde Israels ist immer auch Sünde am Land, Leiden Israels ist immer auch Leiden des Landes, Israel kann nur in einem mit seinem Lande erlöst werden. Auch wenn »das Herz der Welt« verwüstet und das Volk, das es umsiedelte, in unsägliche Exile verstreut ist, hangen sie noch aneinander, und nichts kann dem einen geschehen, dessen Entspre-

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chung nicht dem andern geschieht. In den Wechselfällen dieses Zusammenhangs aber stellt sich zentral die Teilnahme der göttlichen Substanz am Schicksal der niedersten der Welten, unsrer Welt, dar. Schon in der Schöpfung des Menschen kommt die Bedeutung des Landes für ihn und sein Schicksal zum Ausdruck, denn »der Mensch ist aus dem Staube des unteren Heiligtums geschaffen worden«. In dessen Staub sind die vier Elemente und die vier Winde aufgenommen und damit vermischt worden; aus dieser Mischung ist der vollkommene Leib gebildet worden. Die Elemente gehören der unteren Welt an, die Winde wehen aus der oberen, sie mischen sich im Staube Zions und in dem daraus gebildeten Leib des Menschen. Die Sünde des Menschen wirkt in die Erde Zions und in alle Welten hinein. Israel ist ausersehen, auf Zion die Sünde des Menschen zu sühnen. Abraham ist es, in dem Israel aus dem Menschengeschlecht hervortritt. Aber er kann die ihm bestimmte hohe Stufe der Gottesnähe erst im Lande erreichen, erst in ihm kann er in den Bund mit Gott eintreten; schon in seinem Urvater kann Israel zu dem ihm Bestimmten nur durch die Berührung mit dem Lande gelangen. Hinwieder kann sich die in dem Land angelegte Heiligkeit erst durch das Aufwärtsschreiten Israels in den Graden der Heiligkeit entfalten; und schon Abraham weiß das. Da er aber das Land betritt, erfährt er noch mehr. Hier, in der Mitte der bewohnten Erde, steht er einer strengen Unerforschlichkeit gegenüber. In jedem der anderen Länder, die er auf seinen Wanderungen durchschritt, entdeckte er stets alsbald die Macht, der es anvertraut ist, das Gestirn, das es beherrscht. Hier aber vermag er sie nicht zu finden; vermag nicht »zur Wurzel zu gelangen«. Nur das eine erkennt er, daß von diesem Punkte aus die ganze Welt »ausgepflanzt« worden ist, aber das Wesen der Stätte selber vermag er aus eignem nicht zu erkennen. Da »zeigt« ihm Gott das Land, wie er es ihm verheißen hatte, als er ihn auf den Weg schickte. Er zeigt ihm, welches die Macht dieses Landes ist, die »tiefe und verborgene«. Es ist die eine, »von der alle Mächte, denen die andern Bezirke der Welt anvertraut sind, ausgehen und der sie alle anhangen«. Gott hat bekanntlich allen Völkern und Ländern Abgesandte zugeordnet; einzig das Land Israel ist keinem himmlischen Fürsten, keinem der Engel botmäßig, sondern Gott allein. »Deshalb brachte er das Volk, das keinen Herrscher außer ihm hat, in das Land, das keinen Herrscher außer ihm hat.« So fügt sich die auf biblischen Sprüchen aufgebaute aggadische Lehre von der Unmittelbarkeit des Landes zu Gott, von seiner Unabhängigkeit von allen untergeordneten Mächten, sinnreich in das kabbalistische Weltbild ein. Abraham bereitet die Verbindung dieses Volkes mit diesem Lande zu

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ihrer kosmisch-überkosmischen Aufgabe vor. Was er vorbereitet hat, erfüllt sich, da das zum Volk erwachsene Israel in sein Land kommt. Nun kommt alles zu seiner vollen Ordnung, der Himmelsthron steht bruchlos über Volk und Land, die kultische Handlung im Heiligtum durchdringt den Äther und wirkt in die oberen Sphären, und von diesen strömt ungehindert der Segenserguß auf das Land nieder und durch es in alle Welt. Denn die harte Schale der Dämonie, die sich über das zarte Hirn der Welt gelegt hat, ist an diesem einen Orte durchbrochen, sie klafft, und durch die Öffnung steigt im Tempeldienst die Kraft des rechtschaffenen Volkes auf und erweckt den Gegenstrom der segnenden Kraft. So wird, solange Israel in seinem Lande ein Gott geweihtes Leben führt und ihm von dieser Lebensweihe aus dient, die Macht der Dämonie überwunden, und die Schechina waltet in der Mitte der Erde über einer der Gnade erschlossenen Welt. Da aber Israel sündigt und das Land entweiht, ziehen sich die beiden Seiten der Öffnung in der harten Schale zusammen, bis sie wieder ganz wird und das Hirn der Welt lückenlos umklammert. Da wird der Tempel zerstört, Israel wird von seinem Lande vertrieben, und die Schechina selber zieht mit ihm ins Exil. Unter der Macht der Dämonie gewinnen fremde Völker die Herrschaft über das Land. Nun steht die ganze Welt unter einem Fluch, in den untern und in den obern Bereichen ist die Freude erstorben. Jedoch an der heiligen Stätte selber kann die Dämonie trotz alledem nicht walten; auch jetzt noch ist hier die Grenze ihrer Macht, hier steht ihr auch jetzt noch kein Zugriff zu. Das Heiligtum liegt in Ruinen, rings um es breitet sich Verwüstung über das Land, aber Gott verwehrt der Andern Seite sich der heiligen Stätte zu bemächtigen. Mehr noch: nachdem Israel vertrieben ist, wird unter der Wirkung der Gnade die Schale von neuem durchbrochen. Da aber das heilige Volk nicht mehr da ist, daß die Kraft seines Dienstes zum Himmel aufsteige, wird über die Öffnung eine feine Hülle gelegt, die Stätte zu beschützen und zu verhüten, daß die harte Schale sich wieder darüber schließe. Nicht mehr kann nun der Segenserguß auf das Land niedergehen, und der zerstörte Tempel kann nicht wiedererbaut werden. Aber auch die Dämonie muß fernbleiben. So beharrt, verheert und verdüstert, seines Volkes beraubt, das Land im Zwischenzustand. Die heilige Wesenheit »Zion«, die in ihm geweilt hatte, ist in der Stunde der Zerstörung nach oben entrückt worden und beharrt oben im Zwischenzustand. Aber auch in dem, was oben war, hat sich eine Wandlung vollzogen: das obere Jerusalem, das Heilige Land von oben, das mit der Schechina wesenseins ist, ist erniedert worden, von Gott getrennt, dann erst konnte das irdische verwüstet werden; und auch

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das obere beharrt im Zwischenzustand, im »Exil«. In Welt und Überwelt ist die Mitte des Seins verstört, der Strom der göttlichen Potenzen stockt, über die Ordnungen des Himmels und der Erde ist die Verwirrung gekommen. So baut sich das große Weltdrama um das geschichtliche Schicksal Israels und Zions auf. Die Schuld des Volkes verletzt das Leben des Landes und durch es die Wohlfahrt der Welt. Aus der sühnenden Strafe des Volkes kommt schweres Leid über das Land und von ihm aus über die Welt. Die ganze Welt steht unter dem Fluch, der das Volk und sein Land betroffen hat. Die durch den Aufstieg Israels zu Gott niedergeworfene Dämonie gelangt durch seinen Niedergang wieder zur Macht. Soweit das Weltdrama sich nicht mit der Vorschöpfung, sondern mit unserer Welt befaßt, ist Israel sein Held, der schuldig wird und sühnen muß, aber sein Schicksal überträgt sich auf Welt und Überwelt, und so erscheint es selber uns in kosmischer und überkosmischer Perspektive, und mit ihm das Schicksal seines Landes. Das Verhängnis, das über die Welt gekommen ist, stammt daher, daß dieses Volk und dieses Land voneinander getrennt sind. Nur durch dieses Volk kann das Verhängnis bezwungen werden und die Welt wieder den Frieden finden. Das Volk aber kann, was es zu wirken hat, nur wirken, wenn es wieder wahrhaft da ist, das heißt: wenn es wieder eins ist, »ein Volk auf Erden« (II Samuel 7, 23). Solange es nicht eins ist, ist auch gleichsam Gott selber nicht eins. Damit aber das Volk wieder eins werde, muß es aus dem Exil, aus der Zerstreuung in sein Land zurückkehren, es muß »sich diesem Lande vermählen«. Zur rechten Zeit wird Gott »die Gemeinschaft Israels aus dem Staube erheben und die Welt erfreuen«. Dann bringt er Zion zurück; das entrückte senkt sich wieder zu seiner irdischen Stätte herab. Das obere Jerusalem wird wieder zu seiner ursprünglichen Verbindung mit der Wesenheit Gottes erhoben, und zwischen Oben und Unten strömt wieder die Kraft, die sie eint. Die Andere Seite wird ausgetilgt und verschwindet vom Angesicht der Erde, und an Stelle der harten Schale tritt die göttliche Macht selber, wie geschrieben steht von Jerusalem: »Und ich werde ihr ringsum Mauer von Feuer sein« (Zacharia 2, 9). Dann vermählt sich, wie Israel sich seinem Lande wieder vermählt, so der Heilige, gesegnet sei Er, wieder seiner Schechina, welche die Gemeinschaft Israels ist. Das ist es, wovon geschrieben steht (das. 14, 9): »An jenem Tage wird der Herr eins sein und sein Name eins.« Die Welt kann nicht anders erlöst werden als durch die Erlösung Israels, und Israel kann nicht anders erlöst werden als durch die Wiedervereinigung mit seinem Land.

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Der Anfang der nationalen Idee (Über den »hohen Rabbi Löw«) Zweihundert Jahre vor der Französischen Revolution sind die Grundrechte der Völker in einigen lapidaren Sätzen ausgesprochen worden, die seither an Kraft und Klarheit nicht übertroffen worden sind. Sie besagen: daß jedes Volk sein eigenes Wesen und seine eigene Gestalt hat, daß jedes Volk in seiner eigenen Macht steht und keinem andern untertan sein darf, daß jedes Volk seinen natürlichen Ort hat und einen Anspruch da zu leben, und daß es jedem Volk gewährt sein muß, sich seinen Gott nach seinem eigenen Gedanken zu wählen. Das alles aber wird nicht als vereinbarte Menschensatzung verkündigt, sondern als in der Weltordnung selber begründet, so daß jedes Vergehen dagegen eine Verletzung der Weltordnung bedeutet. Der Mann, der als erster diese Sätze formuliert hat, war weder ein Staatsmann noch ein der Staatsweisheit Beflissener, keiner der großen Lehrer des Natur- und des Völkerrechts. Es war R. Loewe ben Bezalel, der »hohe Rabbi Löw«, von dem die Sage des Prager Gettos als von dem Schöpfer und Herrn des geheimnisvollen »Golem« zu erzählen weiß, und von dem ein zuverlässiger Bericht vermeldet, daß Kaiser Rudolf II. ihn zu sich berief, vermutlich um sich bei ihm für seine alchimistischen Experimente Rats zu holen. Wir dürfen in Rabbi Loewe den eigentlichen Begründer einer spezifisch jüdischen Geschichtsphilosophie erblicken als des ideellen Versuchs, das geschichtliche Schicksal des Volkes Israel im Zusammenhang eines von Gott geleiteten Weltgeschehens zu verstehen. Die in der Tradition verstreuten Sinnesdeutungen der Stämmewanderung und Volkwerdung, der Exile und Befreiungen Israels sind hier neu durchdacht, von der Tiefe her ausgestaltet und wie nie zuvor zu einer Einheit verwoben worden, die dann als solche bis in unsere Zeit fortgewirkt hat. Freilich hat diese Einheit nirgends bei R. Loewe systematische Gestalt gewonnen, auch nicht in seinem um die messianische Geschichtsidee herum aufgebauten Hauptwerke, der »Ewigkeit Israels«; aber wer die Mühe nicht scheut, in allen seinen Büchern danach zu forschen, dem schließt sich das in allen Gefundene zu einem einzigartigen Gefüge religiösen Geschichtsdenkens zusammen. Und aus ihm leuchten jene Sätze von den Grundrechten der Völker hervor, in einer schlichten umfassenden Allgemeingültigkeit, über die man immer wieder staunen muß. Wenn man die Lehre Rabbi Loewes von den Völkern mit denen christlicher Denker, etwa vom Anfang des sechzehnten bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, vergleicht, sieht man sogleich, daß bei keinem von ihnen wie bei ihm die nationale Existenz als solche erfaßt ist. Stellen wir

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drei repräsentative Gedankensysteme aus drei verschiedenen Generationen dieser Epoche nebeneinander, das Machiavellis, der in R. Loewes frühen Jahren starb, das Calvins, der vor ihm geboren wurde, und das Grotius’, der zur Zeit von R. Loewes Tod fünfundzwanzigjährig war, dann finden wir ihnen allen gemeinsam, daß sie zwar alle Volk und Staat als eine Einheit fassen, innerhalb dieser aber, wenn auch in verschiedenen Graden, dem Staat das weitaus größere Interesse entgegenbringen. Für Machiavelli sind die Nationen vor allem die Bevölkerungen von Territorien, von denen zwar jede einzelne eine besondere kulturelle Individualität bildet, aber ihren eigentlichen Zusammenhalt, ja geradezu ihre Existenzberechtigung eben an ihrer staatlichen oder, wenn diese ihr geschichtlich verlorengegangen ist, an ihrer territorialen Einheit besitzt. Bei Calvin tritt die Volkseinheit als solche zwar stärker hervor, wie er überhaupt von allen in Betracht kommenden Denkern R. Loewe am nächsten steht: die für ihn entscheidend wichtige Tatsache der göttlichen Erwählung kollektiver Wesen hat es eben naturgemäß mit Völkern und nicht mit Staaten zu tun, und die biblische Idee des »heiligen Volkes« ist hier erhalten geblieben; aber für ihn kann das Volk seine großen religiösen Aufgaben nur als souveräner Staat erfüllen, – auch dies eine Konsequenz alttestamentlichen Denkens, aber in einem Grade übersteigert, der der jüdischen Tradition und ihrem Vertreter R. Loewe unannehmbar bleiben mußte. Für Grotius ist das Gewicht der staatlichen Existenz innerhalb des Volkslebens noch größer als für Calvin, wenn auch nicht so groß wie für Machiavelli; er sieht in der Staatshoheit die wesentliche Emanation der ganzen Einheit eines Volkes; wenn ein Volk seine Souveränität verliert, verliert es seine Gestalt. All diesen Auffassungen gegenüber steht die R. Loewes als die Bejahung der Nation als solcher, zu der zwar, wenn die Weltordnung ungestört ist, das eigene Territorium und die Unabhängigkeit gehören, die aber, wenn sie beide eingebüßt hat, nur als erkrankt, als in ihrem Werk beeinträchtigt, nicht als ihrer Gestalt beraubt und zur Erfüllung ihrer spezifischen Aufgaben unfähig gemacht angesehen werden darf. Erst ein Jahrhundert nach R. Loewe ist ein christlicher Denker erstanden, der seine Geschichtsauffassung, wie er, auf die Existenz selbständiger Nationen begründet hat und der ihm übrigens auch in seiner grundsätzlichen Unterscheidung zwischen der Geschichte Israels und der der Völker verwandt ist; es ist dies der Schöpfer der modernen Historiosophie, Giambattista Vico. Es ist leicht zu erfassen, woher es kommt, daß es ein Jude war, der als erster die Grundrechte der Nation als Nation formuliert hat. Hier war ein Volk, das nicht mehr in seiner eigenen Macht stand, sondern andern Völkern untertan war, das seinen Platz auf Erden verloren hatte und über

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die Länder zerstreut leben mußte, und das geschwächt und gepeinigt wurde, weil es dem Gott, den es sich erwählt hatte, treu blieb. Dies alles, das verstand der Jude, war wider die Ordnung der Natur; es ist geschehen, weil die Ordnung der Natur gestört worden ist; aber sie wird wiederhergestellt werden. Was allen Völkern zukommt, das muß auch diesem Volk wieder zuteil werden. Loewe ben Bezalel erkannte als die Grundrechte der Völker das, was seinem Volk, ihm allein unter allen, fehlte. Gewiß, es gab – das wußte der gelehrte Mann wohl – auch andere Völker in der Geschichte, denen ihre Selbständigkeit geraubt, ihr Land verwüstet, ihre Religion unterdrückt worden war; aber da war keines, dessen Schicksal so alle Entrechtung vereinte. Man mußte zeigen, man mußte sagen, zwar nicht den Völkern zur Warnung, denn deren Ohren waren nicht zu erreichen, aber dem eigenen Volk zum Trost mußte man sagen, daß es Grundrechte der Völker, in der Weltordnung begründete Rechte der Völker gibt, auf die Israel wie alle andern den Anspruch erheben darf, und die Gott ihm kraft der von ihm selber eingesetzten Ordnung nicht auf immer vorenthalten kann. Wohl war auch für christliche Denker jener Zeit, besonders für Calvin, Israel von wesentlicher Bedeutung, als Vorbild eines von Gott erwählten Volkes und als Vorbild eines Volkes, das Gott allein als seinen obersten Herrscher anerkennt. Aber die Beachtung gilt dem biblischen Israel allein; die Tatsache der Erwählung und das Prinzip der Theokratie galten als von ihm auf christliche Völker übergegangen; die Kontinuität zwischen Israel und den Juden war dem christlichen Auge verborgen. Dem Juden hingegen war gerade diese Kontinuität eins und alles, Verbindung mit den Tagen der Schöpfung und Verbindung mit den Tagen des Messias. Loewe ben Bezalel mußte es darauf ankommen zu zeigen, daß die Juden, ungeachtet aller Mängel ihrer nationalen Existenz, das lebendige Volk noch waren, als das sie einst in die Geschichte traten, und daß ihnen als lebendigem Volk alle Rechte der Völker zustanden. Gewiß, das Wesentliche an Israel war ihm nicht das, was es mit anderen Völkern gemeinsam hatte, sondern das, was es von ihnen allen abhob und es ihnen gegenüberstellte als eine durch ein einziges Exemplar dargestellte Gattung, seine »Heiligkeit«. Denn in derselben Stunde, in der es zum Volk wurde, wurde der große Name Gottes über ihm ausgerufen: es gab in seinem Anfang keine Zeit, in der es nur Nation und nicht auch schon Volk Gottes war, vielmehr als es, eben als Volk, erschaffen wurde, war es schon erwählt, denn es war ja schon in Abraham in einer »allgemeinen«, umfassenden und daher unaufhebbaren Weise erwählt worden. Aber diese Einzigheit Israels baute sich über der ihm mit allen anderen Völkern gemeinsamen Grundeigenschaft auf, eine Nation zu sein,

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der Grundeigenschaft, die ihm die Rechte und Ansprüche einer Nation verlieh. Die Ordnung der Erwählung baute sich über der Ordnung der Schöpfung auf, an die der Schöpfer sich für alles gebunden hatte, was Schöpfung war, – und als eine der Nationen gehörte Israel dem Reich der Schöpfung an. R. Loewes Lehre von den Völkern ist in einem rationalen System eingegründet. In seiner Darlegung der dem jüdischen Volk, wie jedem andern, zustehenden Rechte ist er Rationalist; wo er dem nachsinnt, was dieses Volk doch von allen andern gattungsmäßig unterscheidet, wird er Irrationalist. Rechte hat Israel eben als Nation und nur als Nation; als Israel erfährt es Gericht und Gnade. »Jede Nation«, sagt R. Loewe, »hat zwei Aspekte, den einen davon aus, daß es nur ein Volk ist, und das steht in der Relation des Stoffs, den zweiten davon aus, daß es dieses besondere Volk ist, und das steht in der Relation der Form.« So sehr dies in den hergebrachten aristotelischen Kategorien gedacht ist, so zielt es doch auf etwas Besonderes, eben auf das besondere Problem hin, das R. Loewes zentraler Gegenstand ist. Stofflich betrachtet – und von dieser stofflichen Betrachtung ist auszugehen – ist jedes Volk eben »Volk«, das allen Völkern Gemeinsame macht seinen »Stoff« aus; dieser gemeinsame Stoff aber ist in jedem Volk in die ihm eigentümliche Form gebracht, durch die das persönliche Dasein der Nation konstituiert ist. Man muß zuerst feststellen, daß Israel ein Volk ist, und alle Folgerungen daraus ziehen; dann erst wird man gleichsam frei zu erkennen, was für ein Volk dieses Israel ist, und dann bekommt man zu sehen, daß sein Wesen und seine Wege trotz allem von allem andern, was Volk heißt, abgehoben sind, man erkennt einen Ursprung, ein Schicksal und eine Bestimmung, die so verschieden sind von denen der andern Völker, daß die Unterschiede, die zwischen diesen bestehen, unwichtig werden und nur noch Zwei einander gegenüberstehen: Israel und »die Nationen der Welt«. »Es ist nicht geziemend, daß ein Volk ein andres sich unterwerfe, ihm sein Joch aufzuladen.« »Es ist nicht der Natur und der Führung der Welt gemäß, daß ein Volk unter einem andern Volk sei.« Denn »jedes Dasein steht in seiner eigenen Macht, dieweil es von seiten des daseienden Wesens nicht geziemend ist, unter der Hand eines andern zu sein«. R. Loewe betont, dies sei »ein sehr großer Grundsatz«. Aus ihm geht hervor, daß das Unterworfensein Israels unter die Völker eine Störung der Weltordnung, eine Erkrankung der Welt an diesem Punkte bedeutet. Israel selber in seinem Exil ist wie ein Kranker, der aus dem natürlichen Zustand des Menschen getreten ist. Daraus allein ist schon zu verstehen, daß die Schechina, die einwohnende Herrlichkeit Gottes bei Israel ist, wie es im Gotteswort an den Propheten heißt: »Mit dem Zermalmten und am Geist

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Erniedrigten will ich wohnen«, denn der wesentliche Aufenthalt der Schechina ist drunten. Wenn aber Israel Gottes Willen tut, dann – freilich auch nur dann – ist es allen Völkern der Erde überlegen. Das ist Wahrheit einer andern Sphäre als die der vernunftgemäßen und durch die menschliche Vernunft erkennbaren Weltordnung: wo die Erde zum Himmel emporlangt und seinen Willen zu dem ihren macht, da dringt das Göttliche in das Menschliche ein. »Der Mensch«, sagt Loewe ben Bezalel, »wählt sich eine Gottheit, von der er meint, daß sie sein Anteil ist.« Auch wenn ein Volk weiß, daß es eine größere Macht gibt, als die sein Anteil ist, wählt es sich doch sein eignes Wesen zum Gott. Nicht so Israel: es hat die unbedingte Macht, den Gott aller Götter, zu seinem Herrn erhoben. Freilich aber: es hat ihn verlassen. Während alle Völker an den ihnen gemäßen Teilkräften festhalten, hat Israel die Glorie des Allgottes »vertauscht gegen das, was nicht frommt« (Jeremia 2, 11). Daraus ist sein Exil zu verstehen: daß Israel die Ordnung der Erwählung und Offenbarung durchbrach, wirkt sich in der Durchbrechung der Ordnung der Schöpfung, der Völkerschöpfung, aus, – Israel tritt aus seinem natürlichen Zustand als Volk. Auch in seiner Erörterung des Verhältnisses zwischen Israel und seinem Land geht R. Loewe von der natürlichen Weltordnung aus. Jedes Volk hat seinen natürlichen Ort. Der von Gott eingesetzten Ordnung nach soll jedes Volk an seinem natürlichen Ort beharren; geht es von ihm hinweg, dann kann es nirgendwo Fuß fassen, denn alle andern Orte sind ihm unnatürlich und können ihm nicht natürlich werden. Nur indem es an seinen Ort zurückkehrt, findet es in die Gottesordnung zurück. Israels natürlicher Ort aber ist »das Land Israels«. Auch hier aber übergreift R. Loewe die rationale Begründung durch die überrationale, so jedoch, daß er diese auf jener aufbaut. Jedem Menschen, lehrt er, steht der Ort zu, der seinem Wesen entspricht, und so auch jedem Volke; darum ist das Heilige Land dem heiligen Volke gegeben worden. Diese Heiligkeit des Volkes aber ist nur daher zu verstehen, daß, wie der Mensch unter den Kreaturen, so Israel unter den Völkern als letztes erschaffen worden ist, und wie das Wesen des Menschen nicht aus dem der Kreaturen abzuleiten ist, so nicht das Israels aus dem der Völker. Und doch ist eben Israel ein Anfang, ja der eigentliche Anfang. Es gibt nämlich eine doppelte Bedeutung des »Anfangs«. Auch ein Reich, das, wie das vierte Reich der danielischen Vision, alles werden will, so daß es außer ihm keine Wirklichkeit mehr gäbe, und darum alles verdirbt, kann sich Anfang dünken; darum wird Amalek, der Urfeind Gottes, in der Weissagung Bileams »Anfang der Völker« genannt: darin, worin die Völker von Israel unterschieden sind, in dem gottblinden Machtwüten ist er das

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vorderste von allen. Von Israel dagegen heißt es bei Jeremia, es sei Gott geheiligt, es sei »der Anfang seiner Ernte«, und auf diesen Anfang deutet der Midrasch mit Recht das Anfangswort der Heiligen Schrift, das Wort »Im Anfang«: im Willen zu diesem Anfang, um dieses Anfangs willen hat Gott Himmel und Erde erschaffen. Denn das Ziel der Schöpfungssaat ist die messianische Welternte, und Israel ist bestimmt und berufen, ihr Anfang zu werden, Gott zugeheiligt, wie jedermann in Israel von jeder seiner Ernten, von jedem Bodenertrag die Erstlinge, den Anfang Gott als Abgabe weihte. Aber Loewe ben Bezalel dringt in der Verbindung überrationaler mit rationaler Betrachtung noch weiter vor. Jedes Geschöpf besteht in der relativen Vollkommenheit seiner spezifischen Art, nur das Geschöpf, dessen Art sich der Vollkommenheit nähert, ist in dieser seiner Art unvollkommen. So ist es mit Israel, die mehr als alle Völker Kinder Gottes sind: diese höchste Eigenschaft ist in ihm nicht zur Vollkommenheit gediehen. Als in ihrer vollkommenen Art unvollkommen stehen sie unter den Engeln; aber in ihrem Mangel liegt zugleich ihr entscheidender Vorzug: zum Unterschied von den Engeln können sie werden, und als Werdende, als zur Vollkommenheit werden Könnende stehen sie Gott näher als die Engel. Zugleich aber ist durch ihren Mangel ihre Schuld und ihr Schicksal bedingt. Denn was in seiner Art unvollkommen ist, ist der satanischen Anfechtung in einer besonderen Weise ausgesetzt; zumal aber, wenn die Art eine hohe ist, – denn je höher eines Wesens Eigenschaft ist, je mehr es aus den geläufigen Maßen tritt, desto leichter heftet sich an es die Kraft, die seine Eigenschaft vernichten will, wie ja unter allen Kreaturen der Mensch besonders der Sünde ausgesetzt ist. Darum ist Israel in der Stunde, nachdem es die Offenbarung empfing und die höchste Stufe betrat, der Sünde verfallen. Dies ist es, worauf das Wort der Schrift geht: »Ich habe gesprochen: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten ihr alle, so denn, wie ein Mensch müßt ihr sterben, wie einer der Fürsten fallen.« Eben wegen ihrer Heiligkeit sind sie so schwer wie kein andres Volk bestraft worden; denn sie sind am weitesten von dem ihnen Angemessenen abgewichen. Die Strafe versteht R. Loewe einer Auffassung der Tradition gemäß als Läuterung. Er sieht sie in zwei Gleichnissen: die Leiden des Exils schmelzen das Erz und scheiden das edle Metall von den Schlacken, sie pressen die Oliven und scheiden das Öl vom Abfall. Die Wandlung, die sich in dieser Scheidung vollzieht, zielt auf die Überwindung jenes Mangels hin: der in Sünde ausgebrochenen Unvollkommenheit der vollkommenen Art. So bereitet sich die Neugeburt Israels vor. Die verborgene höchste Kraft, die ans Licht treten wird, scheidet sich im Dunkel des Exils von

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allem, was sie trübt und hemmt, und wächst zu ihrer fertigen Gestalt. Die Ausbreitung des »frevelhaften Reiches« über die ganze Welt gleicht den neun Monaten der Schwangerschaft. Danach wird das Israel geboren, das »Israel-Mensch« heißt. Loewe ben Bezalel scheut sich nicht, diesen messianischen Vorgang im Bild der Schöpfung selber zu betrachten. All die Zerstörung, die an Israel und seinem Lande geschehen ist, geht dem neuen Aufbau voraus, wie das Chaos mit Notwendigkeit der Erschaffung von Himmel und Erde vorausging. Finsternis deckt das All, ehe an das Licht das Gebot ergeht zu werden. Und wieder setzt R. Loewe im rationalen Bereich an, um sich von ihm aus emporzuschwingen. Da es jedem Volk zusteht frei zu sein, kann es seiner Freiheit nicht auf ewig beraubt werden. Das ist in Gottes Verhältnis zu der von ihm eingesetzten Ordnung begründet. »Er, gesegnet sei Er, der das Vorhandene ordnet, unmöglich ist es, daß von ihm etwas komme, das aus der Ordnung tritt, es sei denn vorübergehend.« So versteht R. Loewe die midraschische Deutung jenes Wortes Gottes an Abraham (Genesis 15, 13): »Wisse, wisse«: das erste »wisse«, erklärt der Midrasch, bedeute: »Wisse, daß ich sie versklave«, das zweite aber: »Wisse, daß ich sie erlöse.« Eine Knechtung von Völkern durch Völker kann nicht auf die Dauer bestehen. Und ebenso verhält es sich mit der Verbannung eines Volkes von seinem natürlichen Ort, an dem gesammelt zu leben ihm bestimmt ist; sie kann nur vorübergehend sein. »Die Zerstreuung ist nicht der Ordnung des Vorhandenen gemäß, daß ein einheitliches Wesen wie Israel, die ein einheitliches Volk sind, zerstreut bleibe.« Alle natürlichen Dinge sind ihrem Wesen nach in sich gesammelt, alle Bäche fließen zum Meer, so strebt alle Zerstreuung zur Sammlung. Das Volk Israel aber ist seinem Wesen nach in sich ungeteilter und ungesonderter als alle Völker; darum steht es ihm besonders zu, daß es eingesammelt werde. Der Spruch, »Alle von Israel bürgen füreinander« weist auf diese besondere Einheit hin, »die in keinem andern Volke zu finden ist«; Israel gleicht einem Menschen, dessen Glieder alle es verspüren, wenn eins wund ist, denn sie sind alle Ein Leib; darum kommt es so sehr darauf an, daß Israel seine Einheit wahre und stärke; denn der Mensch soll mit Gott zusammenwirken. In der Zerstreuung unter die Völker wird Israel nicht als Volk für sich betrachtet, denn ein Volk ist etwas Ganzes, sie aber bestehen nach außen nur als Teile fort; darum müssen sie mit aller Kraft auf die Wahrung und Stärkung ihrer Einheit bedacht sein und sich vor jeder Sonderung hüten. Als Teile sind sie der Einwirkung der andern ausgesetzt, nicht sie sind die Handelnden, sondern es wird an ihnen gehandelt, denn der Teil, der als Teil bestehen muß, ist schwach und unter-

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legen, das Ganze aber ist stark und gewinnt kraft seiner Ganzheit seine Selbständigkeit. Wenn Israel in wahrem Frieden all seiner Teile miteinander lebt, hat der Satan, »die Macht über das Nichtsein«, keinen Zugriff an sie, denn da besteht Israel trotz der Zerstreuung als ganzes, ungeteiltes Volk; ist es aber in sich selber zerfallen, dann fügt es noch Teilung und Zerstreuung zu der über es verhängten. Wenn Israel dazu gelangt, wahrhaft ein in sich geeintes Volk zu werden, dann vollzieht sich darin allein schon ein Auszug aus der Zerstreuung und dem Exil, ein Auszug vor dem Auszug. Die sammelnde und einende Kraft aber lebt in Israel mitten in der Zerstreuung. Diese Kraft sieht R. Loewe im Bilde der Urmutter Rahel. Sie ist nicht bei den Vätern in der Höhle, sondern »auf dem Wege« begraben; die einende Kraft ist bei Israel im Exil geblieben, zwar nicht in voller Aktualität, aber in der Potenz. Von ihrem Grab am Weg erhebt sich Rahel je und je und fleht um Erbarmen, daß Israel in seinem Land eingesammelt werde. Darum heißt es bei Jeremia, auf Rahels Klage antworte Gott, ihre Kinder würden in ihr Gebiet zurückkehren: es gibt eine einende Kraft inmitten des Exils, um deren willen kehrt Israel heim. Diese einende Kraft ist es, die Israel zur Vollkommenheit bringt; denn durch den inneren Frieden, schalom, kommt man zur Vollkommenheit, schelemuth. Sie aber, die einende Kraft ist es auch, die Israel zur Verbundenheit mit Gott bringt; denn nur wenn Israel in sich eins ist, kann es mit Gott, der in sich eins ist, verbunden sein. Dann, wenn sie im wahren Bunde miteinander sind, all die verschiednen Volksteile und Menschenarten in Israel miteinander vereint zu einem Ganzen wie die vier Pflanzengattungen im Strauß des Hüttenfestes, werden sie aus der Zerstreuung eingesammelt und Gott erhebt sich über ihnen als ihr König. Als die Ursünde Israels aber, die den ersten und entscheidenden Anstoß zum Kommen des Exils gegeben hat, erscheint in R. Loewes Anschauung die Weigerung des Volkes nach dem Bericht der Kundschafter, in das Land Kanaan vorzudringen. Der Auszug aus Ägypten ist »ewig«, das heißt, er ist endgültig und unaufhebbar, denn in seinen Wundern wurde das Gottesverhältnis des Volkes Israel geboren. Nicht so die Landnahme. Ursprünglich war bestimmt, daß der Auszug aus Ägypten und der Einzug in Kanaan eine einzige Handlung bilden sollte, das heißt, das ausziehende Geschlecht sollte auch das einziehende sein. Wäre dies in Erfüllung gegangen, dann wäre auch die Landnahme eine ewige und unwiderrufliche gewesen. Da aber das Volk, statt das Land als seinen natürlichen, ihm zukommenden Ort zu erkennen und sehnsüchtiges Verlangen danach zu tragen, sich weigerte es zu betreten, entstand ein Widerspruch zwischen dem urbestimmten und dem tatsächlichen Verhältnis des Volkes zum Land. So ergab es sich, daß das Kommen nicht

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mehr ewig war: die bis dahin ausgeschlossene Möglichkeit des Exils war von da an gegeben. Das Weinen des Wüstengeschlechts hatte das Weinen aller Exilgeschlechter zur Folge. Es hängt somit von der Beziehung des Volkes zum Lande ab, in welchem Maße der urbestimmte Zusammenhang beider sich zu verwirklichen vermag. In Wahrheit gehören das heilige Volk und das Heilige Land zueinander: jedes von beiden stellt, das eine als Volk, das andre als Land, die Mitte der Welt dar. R. Loewe lehnt nachdrücklich alle Theorien, die in Palästina ein Land der Mitte in geographischem oder astronomischem Sinn sehen wollen, als den einfachsten kosmologischen Tatsachen widersprechend ab, aber er stellt ihnen die Lehre gegenüber, es sei eine Mitte im organischen Sinn, und wenn man vom »Nabel der Welt« spreche, so sei ja auch der Nabel keine geometrische Mitte des Körpers, sondern die seiner Gestalt. Palästina ist in der Mitte der Erde, weil es die Eigenschaft der Mitte habe, die nämlich, allen Extremen, allen »Enden«, gleich fern zu sein; jedes Extrem verfließt ins Nichtsein, weil es an diesem seinem Punkte das Sein als solches bestreitet, in der Mitte aber verdichtet sich das Sein selber über allen Enden, und darum wird die Einwanderung in Palästina ein »Aufstieg« genannt. Das verdichtete Sein ist das wahre Leben, und darum wird Palästina »das Land des Lebens« genannt. Aber auch das Volk Israel ist seinem Wesen nach Mitte. Im Anschluß an Maimonides vergleicht es R. Loewe dem Mitteltrieb des Baums zum Unterschied von den seitwärts abspringenden Ästen und Zweigen: sie alle streben nach verschiedenen Sphären hin, jeder Volkszweig nach der Sphäre seines Sonderwesens und seiner Sonderidee, der Mitteltrieb aber, der zum Grundstamm erwächst, strebt, nach keiner Seite sich neigend, senkrecht nach oben, dem Himmel zu. Dieses Volk hat Gott weder mit der Rechten noch mit der Linken, sondern mit beiden Händen gepflanzt, so ist es sein eignes Volk. Und so gehören dieses Volk und dieses Land von urher, von ihrer Wesenheit her, zusammen. In diesem Sinne auch sind sie beide »abgesondert«: nicht als ob sie von der übrigen Welt getrennt wären, sondern um der Welt willen verharren sie in ihrer Existenz der Mitte, in der sie aufeinander angewiesen sind und die sie nur miteinander erfüllen können. Von den beiden aber ist das Land das erste und sein Einfluß der ursprüngliche. Die hohe Stufe der Erzväter ist durch ihren Zusammenhang mit dem Lande erreicht worden. »Wäre nicht das Land gewesen«, sagt R. Loewe, »die Väter wären nicht zur höchsten Heiligkeit gelangt, und so hat das Land sie großgebracht.« In den Vätern stellt das Wesen des Landes sich in menschlicher Gestalt dar. Das Land gehört zu den Vätern; denen es verheißen ward, aber auch die Väter zum Land. Darum besitzt

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Israel das Land nur, wenn und solange es, Israel, den Vätern gleicht; weicht es von ihnen und ihrer Art, dann hat es keinen Halt am Land mehr. R. Loewe vergleicht die Weisheit Israels, die in seinem Lande wächst, mit der Weisheit Israels in Babylon. Die Lehre, die in Palästina wächst, tritt nicht aus dem Gleichmaß, denn in dem Lande, das die Mitte der Welt ist, steht alles im Gleichmaß. Babylon aber ist seinem Ursprung gemäß (Genesis 11, 9) Vermischung ohne Einheit; darum ist hier der Scharfsinn und die Disputation daheim. »Im Lande Israel erwarb man die Weisheit mit Gelassenheit.« Wie aber das Land Israel zur Entfaltung bringt, so empfängt es auch von Israel, über dem, solange es rechtmäßig im Lande lebt, die Schechina ruht. Das Land empfängt von dem Volk, wenn es darauf lebt, die Lebenssubstanz und die »natürliche Eigenschaft« zugleich; so erfüllt sich die Heiligkeit in ihm. Seit das Volk verbannt ist, erwartet das Land seine Wiederkehr, von neuem Lebenssubstanz und Geistigkeit zugleich von ihm zu empfangen und die Heiligkeit zu erneuern. Denn »die Römer haben Jerusalem seine Heiligkeit nicht genommen«, sie haben sie nicht »geerbt«; sie ist nur »verlorengegangen«, sie ist nur »verwüstet«; in diesem Stande wartet sie auf das Volk, um erneuert zu werden. Aber auch das Volk lebt nicht wahrhaft ohne das Land. Hier knüpft Loewe ben Bezalel noch einmal das Rationale und das Überrationale aneinander. Daß Israel in Ägypten versklavt war, kam notwendigerweise aus seiner Heimatlosigkeit; denn es hatte keinen eigenen Wohnsitz, wie jedes Volk einen hat, und so wurden sie in einem Land, das nicht das ihre war, geboren, wie der Knecht im Hause seines Herrn, – nur wenn es in sein Land kam, kam es in seine eigene Macht. Es gibt für Israel daher keine andere Befreiung als die Heimkehr. Weil Israel aber das heilige Volk ist, kann es in die eigne Macht nicht anders kommen, als indem es in die Macht Gottes kommt; und weil das Land Israel das Heilige Land ist, kann Israel nicht anders in sein Land kommen, als indem es zu Gott kommt. Die läuternde Wirkung des Exils, die Ausschmelzung der Schlacken in der Esse, die Pressung des Öls aus der Olive, ist Läuterung zum Dienst an Gott. Der Dienst des Volkes als Volk an Gott kann aber nirgendwo anders als im Lande Israel geschehen. Die läuternde Wirkung des Exils ist jedoch auch unmittelbar Läuterung zum Dienst am Land. Mitten in der Knechtsfron Ägyptens wendet sich Israel immer mehr seinem Grunde, dem Boden, zu, sie kehren mit ihrer Seele und ihrer Lebensweise zum Boden zurück. Ja, der Zwang der Knechtschaft selber trägt dazu bei: die Ägypter nötigen sie zu »allerhand

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Arbeit auf dem Felde« (Exodus 1, 14), und so lernen die Hirten wieder den Acker bebauen, wie es die Väter neben der Viehzucht getan hatten. Mit der Wendung zum Bodenbau tritt das Volk tief ins natürliche Leben ein; denn der Mensch, der Adam, hat eine elementare natürliche Zugehörigkeit zum Boden, zur Adama, seinem Ursprung. Je tiefer das Volk aber ins natürliche Leben eintritt, desto stärker verlangt es nach seinem Lande, desto ernster bereitet es sich für es, desto mehr nähert es sich ihm. Jedes Volk, so lehrt Loewe ben Bezalel, hat der Weltordnung nach ein Recht auf ein Land. So hat auch das Volk Israel ein Recht auf das Land Israel. Daß Gott es ihm vorenthält, liegt nicht daran, daß es weniger wäre als ein Volk, sondern daran, daß es mehr ist: außerdem, daß es ein Volk ist, ist es Israel. Als Israel ist ihm von Gott sein Land um seiner, Israels, besonderer Aufgabe gegeben worden: der »Anfang seiner Ernte« zu sein. Daß es diese Aufgabe nicht erfüllt hat, als es in seinem Lande wohnte, ist seine Schuld. Um dieser Schuld willen ist es verbannt. Aber das Land wird ihm, sobald es geläutert ist, wiedergegeben werden – und die Aufgabe mit ihm. Jedes Volk hat der Weltordnung nach einen Bund mit seinem Land. So hat auch das Volk Israel einen Bund mit dem Land Israel. Dies aber ist ein Bund von besonderer Art, denn es ist der Bund zweier »heiliger« Wesenheiten, das heißt: zweier, von denen jede in einem besonderen und unmittelbaren Verhältnis zu Gott, eben in einem Bund mit Gott steht. Dadurch aber verwandelt sich alles: Israels Schicksal tritt aus der hellen Ordnung der Schöpfung in das Geheimnis der Offenbarung – Wolkendunkel und zuckende Blitze. Der furchtbare und gnädige Gott schlägt, um zu heilen, brennt, um zu läutern, – und stört die Ordnung der Welt nicht, in die er so eingreift.

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Ein Zaddik kommt ins Land (Über Rabbi Nachman von Bratzlaw) In Rabbi Nachman von Bratzlaw, dem Urenkel des »Baal-schem-tow«, des Stifters des Chassidismus, hat sich, mit seinem Wissen und ohne es, alles eingesammelt und verdichtet, was die Geschlechter der Diaspora vom Lande Israel gefühlt, geträumt und gedacht haben. Man muß ihn als den großen Erben sehen, der sein Erbgut auf eine große Weise verwendet. Daß er ganz ohne literarische Absicht, im mündlichen Verkehr mit seinen Schülern, der Schöpfer einer Literaturgattung, des symbolischen Märchens wird, daß aber in dieser neuen Form uralte Schätze der Geheimnisüberlieferung verarbeitet und zum höchsten Glanze gebracht werden, kennzeichnet sein Wesen und seine Bestimmung. Man kann,

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wenn man das Verhältnis der chassidischen Bewegung zu Palästina darlegen will, es an keinem andern so wie an ihm zeigen: alles strömt in ihm zusammen und alles findet in seinem Leben und in seinem Wort den exemplarischen Ausdruck. Zugleich aber spüren wir hier darin etwas anderes, etwas Neues, etwas, das uns mit unsern eigenen Fragen und Kämpfen in einer seltsamen Weise zusammenzuhängen scheint. Die chassidische Bewegung, in der osteuropäischen Judenheit in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts fast plötzlich erwacht, ist in die moderne Geistesgeschichte als der letzte starke Versuch der Verjüngung einer Religion einzugliedern. Er scheint, der nun schon mehr als hundert Jahre währenden Entartung der Bewegung nach zu schließen, mißglückt zu sein; aber nicht bloß hat er eine Fülle herrlichen gläubigen Lebens und seiner Verklärung in der Legende hervorgebracht, wie sie die Welt nur sehr selten aus sich hat aufsteigen sehen, sondern er hat auch Saat in andre Bereiche gestreut, die teils schon aufgegangen ist, teils wohl noch aufgehen wird. Man wird einst das Beste von dem, was in unseren Tagen an neuem menschlichen Sein in der jüdischen Besiedlung Palästinas entstanden und in Entstehung begriffen ist, nicht ohne den Zusammenhang mit dem Chassidismus sehen und verstehen können. Das Verhältnis dieser Bewegung zum Lande Israel ist nicht in eine Formel zu fassen. Man kann ihm nur von ihrem Verhältnis zum Messianismus aus gerecht werden, und diesem wieder nur von der Reaktion aus, die auf das sabbatianische Stürmertum folgte. Hier war die messianische Leidenschaft über alle Ufer gestiegen, man hatte die Vollendung der Schöpfung, die Erneuerung aller Dinge, die Vermählung von Himmel und Erde mit Augen zu sehen und mit Händen zu greifen gemeint, in einer verwandelten Welt erschien das Gesetz als aufgehoben und was unter ihm als Sünde gegolten hatte nicht etwa bloß freigegeben, sondern geheiligt. Der Zusammenbruch des sabbatianischen Wagnisses bedeutete für die Judenheit, deren Seele von seinem feurigen Anhauch entzündet worden war, die Gefahr der inneren Vernichtung. Unmittelbar zu spüren bekam man diese Gefahr, als der unheimliche Epigone Sabbatais, Jakob Frank – eins der interessantesten Beispiele für die Wirkung, die in nach Selbsttäuschung begierigen Zeiten ein in hemmungsloser Selbsttäuschung lebender Mann auszuüben vermag – im polnischen Judentum Scharen in seine Gefolgschaft und ins Chaos hinriß. Gegen diese drohende Zersetzung steht der Baal-schem-tow auf; er ist der Gegenspieler der faszinierenden Lüge. Als solcher muß er und müssen seine Schüler den schwer erkrankten Messianismus zu entgiften suchen. Die fieberhafte Überspannung der Stunde muß einem zugleich begeisterten und besonnenen Dienst am Zusammenhang der Zeiten weichen, an Stelle der Ent-

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fesselung der Triebe tritt ihre Sublimierung (was an diesem Begriff der modernen Psychologie berechtigt ist, ist hier schon in der klarsten und nachdrücklichsten Gestalt ausgesprochen), und die verwegenen Inkarnationsphantasien werden durch die stille Erfahrung eines Umgangs mit dem Göttlichen im Alltag verdrängt. Damit wandelt sich naturgemäß auch die Beziehung zu Palästina. Ohne an der mystischen Leuchtkraft einzubüßen, die schon von talmudischer Zeit her ihm anhaftete und in der Kabbala sich mächtig entfaltet hatte, wird das Land doch des Gewebes einer schnellfertigen Magie entkleidet, das es in der Stürmerzeit umsponnen hatte. Wohl erwartet man von der Berührung mit dem Heiligen Land die Bereitung der Erlösung, wohl heißt die Legende den Baalschem-tow von einer Begegnung, die sich nur dort vollziehen kann, das Höchste erhoffen, aber dem »Bedrängen des Endes« hat zumindest der frühe, klassische Chassidismus ein Ende gemacht, und die Schüler und Schülersschüler des Stifters, die sich allein oder mit einer ganzen Gemeinde in Palästina niederlassen, sinnen offenkundig nicht auf das einmalige Wunder, sondern auf den Fortgang der Geschlechter. Das Geheimnis ist geblieben, aber es hat in der Strenge des Lebens und seiner Aufgaben Wohnung genommen. Von hier aus ist schon die Haltung des Stifters selber zu Palästina zu verstehen. Authentisch wissen wir von ihr, wie überhaupt von seinem Leben, nicht viel; aber aus dem bekannten Brief an seinen Schwager, der sich dort niedergelassen hatte, geht hervor, daß er lange im Sinne trug, ins Heilige Land zu reisen, und auch damals, etwa acht Jahre vor seinem Tode, die Hoffnung darauf nicht aufgegeben hatte. Äußerungen von Schülern deuten darauf hin, daß er die Reise auch wirklich einmal unternahm. Warum er sie aufgab, ist uns nicht bekannt. »Man hat ihn vom Himmel her verhindert«, sagt die Legende, und daß sie es sagt, weist darauf hin, daß hier eine Frage fühlbar wurde, auf die die Erzähler die Antwort zu finden versuchten; wobei wir zu beobachten haben, daß das Erzählen dieser Legende, soviel Apokryphes auch sich später daran geheftet haben mag, schon unter den Jüngern und in der eigenen Familie des Baal-schem-tow im dritten Geschlecht, das ihn selbst noch gekannt hatte, beginnt. Die mannigfaltigen Versuche der Legende sind kennzeichnend. Schon in seiner Jugend, als er mit seinem Weibe in einer Hütte am Hang des Karpatengebirges lebte, Lehm grub und ihn in das nahe Städtchen zum Verkauf fuhr, soll ihm eine Räuberschar, deren Streitigkeiten er zu schlichten pflegte, angeboten haben, ihn durch Höhlen und unterirdische Gänge nach Palästina zu führen; als er aber unterwegs mit ihnen einen tiefen Sumpf überschreiten wollte, sei ihm das kreisende Schwert der Cheruben erschienen, und er hätte umkehren müssen. In

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einem späteren Zeitpunkt (denn nicht bloß seine Tochter, sondern nach einer andern Fassung auch deren Söhne hätten ihn begleitet) ist er der Sage nach bis nach Stambul gelangt; hier warnt ihn entweder eine Traumerscheinung und heißt ihn umkehren, oder er geht mit den Seinen zu Schiff, da aber bricht ein großer Sturm aus, und nun gehen wieder die Erzählungen auseinander: nach der einen stürzt aus dem zerschellenden Schiff die Tochter des Baal-schem ins Meer, der Satan erscheint und bietet ihm seine Hilfe an, er aber widersteht der Versuchung und beschließt heimzukehren, und sogleich ist alle Gefahr überwunden; nach einer andern kommt er mit einem Schüler auf eine Insel, wo sie gefangengenommen werden, beide sind mit einer Betäubung geschlagen, in der sie sogar die Worte des Gebets vergessen haben, schließlich besinnt sich der Schüler, daß er noch das Alphabet weiß, er spricht es dem Meister vor, der spricht es »mit mächtiger Begeisterung« nach, und sogleich naht die Befreiung, und sie kehren heim; ähnlich geht es in anderen Fassungen zu. Überall in der Legende waltet unverkennbar die Tendenz, vor magischen Absichten im Zusammenhang mit Palästina zu warnen: solang die Stunde der Erlösung nicht gekommen ist, versucht auch der berufene Mensch vergeblich sie zu beschwören. Das ist eine Tendenz, die im späteren Chassidismus wieder aufgegeben wird oder um die vielmehr heftig gerungen wird; die Baalschem-Legende ist von ihr noch unverkennbar bestimmt. Es waren nahezu vierzig Jahre seit dem Tode des Baal-schem-tow vergangen, als sein Urenkel Nachman sich zur Reise ins Heilige Land rüstete. Er war damals sechsundzwanzigjährig. Hier sind wir nicht auf die Legende angewiesen: nach seinen eigenen Mitteilungen hat sein Schüler und Apostel Natan Schritt um Schritt aufgezeichnet; wir stehen hier auf dem Boden eines einzigartigen biographischen Interesses, das zwar manchen Vorgang legendär deutet, aber keinen umdichtet. Vorher, ehe er noch etwas von seiner Absicht bekanntgibt, ja anscheinend ehe sie noch zum Entschluß erwachsen ist, besucht er seine Eltern in Miedzyborz, das einst der Wohnort des Baal-schem-tow gewesen war und worin er selber seine Kindheit verbracht hatte. Hier begibt sich etwas Seltsames. Einst, als Knabe, pflegte er nachts ans Grab des Ahnen zu laufen und ihn zu bitten, daß er ihm helfe, sich Gott zu nähern. Jetzt aber, da ihn die Mutter fragt, wann er hingehen wolle, antwortet er: »Wenn mein Urgroßvater mit mir zusammentreffen will, mag er hierher kommen.« Man hört die Scheu heraus, der Baal-schem-tow, den man, als er selber nach Palästina fahren wollte, »vom Himmel her verhindert« hatte, könnte seiner Absicht widersprechen. Aber in der Nacht erscheint ihm der

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Ahn, und am Morgen weiß es die Mutter, ohne daß er es ihr zu sagen braucht. Später erzählt er nur, er habe von der Erscheinung erfahren, daß er in die Stadt Kamieniec fahren solle. Über seinen Aufenthalt in Kamieniec wird berichtet, er habe in der Stadt, in der Juden das Wohnen verboten war, allein die Nacht zugebracht und danach sei das Verbot aufgehoben worden. Er selbst sagte später, wer wisse, warum das Land Israel zuerst in der Hand der Kanaanäer war und dann erst in die Hand Israels kam (»die Schale mußte der Frucht vorangehn«, heißt es in einer seiner Lehrreden), der wisse auch, warum er in Kamieniec war, ehe er ins Land Israel fuhr. Es war also eine sinnbildliche Handlung, daß er die Nacht in der judenlosen Stadt verweilte, ehe er sich in das Israel verheißene Land begab, und eben diese Handlung verstand er als vom Baal-schem-tow ihm geboten. Ehe er sich nach Miedzyborz begab, hatte er geäußert, er wisse selber noch nicht, wohin er fahre. Damit, daß ihn der Ahn nach Kamieniec geschickt hat, hat er ihm den Weg gewiesen. Heimgekehrt spricht er am Sabbat eine Lehrrede über den Psalmvers: »Meine Seele hat an dich sich geheftet, mich hat deine Rechte erfaßt.« Die Rede ist uns nicht erhalten, aber ihre Grundstimmung können wir ahnen: der, an den seine Seele von Kind auf sich geheftet hatte – wir wissen von dem stürmischen Werben des Knaben um Gott –, hat nun die Hand ausgestreckt, um ihn zu stützen. Um dieselbe Zeit aber stirbt ihm eine kleine Tochter, und auch dies bringt er in Verbindung mit dem Neuen, das angehoben hat; auch dies gehört in den strengen Zusammenhang der zugleich ganz faktischen und ganz symbolischen Vorgänge. Am Rüsttag des Passahfestes sagt er, aus dem Tauchbad kommend, zu seinem Begleiter: »In diesem Jahr werde ich gewiß im Heiligen Lande sein.« Die Lehrrede, die er am Fest hält, geht von dem Psalmvers aus: »Auf dem Meer ist dein Weg, dein Pfad auf den vielen Wassern, deine Spuren werden nicht erkannt.« Da wissen sie alle, was er vorhat. Umsonst versucht seine Frau ihn von seinem Plan abzubringen. Wovon soll, während er fort ist, die Familie sich ernähren? Verwandte sollen sie versorgen, gibt er zur Antwort, oder sie sollen in Dienst bei Fremden treten. Er achtet des Weinens rings um ihn nicht: was immer komme, er müsse fahren, – sein Großteil sei schon dort und die Minderheit habe der Mehrheit nachzufolgen. Er wisse, daß Hindernisse ohne Zahl sich ihm in den Weg stellen werden, aber solang ein Lebensatem in ihm sei, werde er seine Seele einsetzen und fahren. Auf jedem Schritt der Reise, erzählte er später, habe ich die Seele eingesetzt. In der Lehre Rabbi Nachmans, wie sie uns aus späteren Jahren bewahrt ist, begegnen wir immer wieder im Zusammenhang mit Palästina den »Hindernissen«. Diese Hindernisse haben, so wird hier gelehrt, eine gro-

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ße Bedeutung. Sie sind dem Menschen, dessen Sehnsucht und Bestimmung ihn ins Heilige Land treiben, in den Weg gestellt, damit er sie bezwinge. Denn durch sie wird sein Wille erregt und erhoben, und nun erst ist er würdig, die Heiligkeit des Landes zu empfangen. Wer wahrhaft Jude sein, das heißt: von Stufe zu Stufe steigen will, muß die Hindernisse »zerbrechen«. Um aber in diesem Kampf zu siegen, bedarf es der »heiligen Dreistigkeit«, eben jener, an der Gott seine Freude hat, denn daß Gott sich Israels berühmt, das liegt an der heiligen Dreistigkeit und Hartnäkkigkeit des israelitischen Mannes, um deren willen die Thora empfangen worden ist. Dieser Kampf ist letztlich ein innerer; denn die bösen Gewalten häufen die Hindernisse, um den Verstand zu verwirren, und im Grunde ist er allein der Ort der Hindernisse. Je größer aber ein Mensch ist, desto größer sind die Hindernisse vor ihm, denn ein um so größerer Kampf wird von ihm erfordert, um ihn auf die höhere Stufe zu bringen. Nachdem Nachman seinen Beschluß bekanntgegeben hat, scheint er mit Fragen bestürmt worden zu sein, was seine Gründe seien. Es sind uns verschiedene Antworten bewahrt, so etwa, es sei ihm darum zu tun, die Gebote, denen einzig in Palästina nachzukommen ist, mit den andern zusammenzuschließen und zunächst hier in Gedanken, dann aber dort mit der Tat zu erfüllen; oder auch, er wolle, nachdem er sich nunmehr hier die »untere Weisheit« angeeignet habe, dort die »obere Weisheit« erlangen, die nur dort erlangt werden kann. Das entscheidende Motiv ist aber offenbar, den Kontakt mit einer Heiligkeit zu gewinnen, die einzig dort daheim ist, einen Kontakt, durch den man befähigt und ermächtigt wird, zuerst drüben, dann auch hüben geheimnisvolles Werk zu wirken und die Höhe der eigenen Bestimmung zu erreichen. Man darf nicht, so hat er seinen Schülern später, lange nach der Heimkehr, erklärt, wenn man an die Größe des Heiligen Landes denkt, sich eine geistige Wesenheit vorstellen, etwas womit man auch hier in Berührung kommen kann; »ich meine«, sagte er, »dieses Land Israel ganz einfach mit diesen Häusern und Wohnungen«. Hier ist bei Nachman eine betonte Konkretheit der Empfindung, wie sie bei den Früheren kaum zu finden ist. Eben das ganze konkrete Palästina ist das heilige. Diese Heiligkeit ist freilich nicht von außen zu erkennen. In späteren Jahren erzählt Rabbi Nachman, was er dort von namhaften Menschen hörte, die vor unferner Zeit eingewandert waren. Sie sagten ihm, ehe sie hinkamen, hätten sie sich gar nicht zu vergegenwärtigen vermocht, daß das Land Israel wirklich in der Welt steht. Nach allem, was in den Büchern von seiner Heiligkeit geschrieben ist, hätten sie sich vorgestellt, es sei »eine ganz andere Welt«. Als sie aber hinkamen, sahen sie: das Land befindet sich wirklich in dieser Welt, es ist in seiner Erscheinung nicht wesensverschieden von den Ländern, aus

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denen sie gekommen waren, sein Staub ist wie der Staub in aller Welt. Und dennoch ist das Land durch und durch heilig. Das ist wie mit dem wahren Zaddik, der ebenfalls wie alle Menschen aussieht. In Wahrheit ist das Land in jedem Belange von den übrigen Ländern geschieden und sogar der Himmel darüber ist ein anderer als anderswo. Es ist wie beim wahren Zaddik: nur wer an die Heiligkeit glaubt, erkennt und empfängt sie. Als man Nachman durch kein anderes Bedenken von dem Entschluß abbringen konnte, machte man geltend, er habe doch kein Geld zu reisen. »Ich will sogleich reisen«, antwortete er, »wie es auch sein mag, sei es auch ohne Geld. Wer sich meiner erbarmen wird, wird mir etwas geben.« Seine Verwandten brachten nun, da sie sahen, daß er nicht zurückzuhalten war, durch Sammlungen den nötigen Betrag zusammen, und eine Woche nach dem Passahfest reiste Nachman mit einem Begleiter ab. Als er unterwegs zum Sabbat in einem Ort übernachtete, erschien ihm im Traum Rabbi Mendel von Witebsk, der zwanzig Jahre früher mit dreihundert Getreuen nach Palästina gezogen und vor zehn Jahren, zu Beginn eben dieses Monats, dort verstorben war. Als Knabe hatte er noch den Baalschem besucht. Er hat dessen Kampf gegen den Fiebermessianismus sowohl vor seiner Fahrt ins Heilige Land als dort fortgesetzt, darin stimmen die Erzählungen von ihm und seine eigenen Äußerungen überein. Es wird erzählt, als er in Jerusalem weilte, habe ein törichter Mann, ohne bemerkt zu werden, den Ölberg bestiegen und in die Schofarposaune gestoßen, wie für den Anbruch der Erlösung verkündigt ist, das Volk lief in Scharen zusammen, als aber Rabbi Mendel davon hörte, öffnete er das Fenster, sah in die Luft der Welt hinaus und sprach: »Da ist nichts Neues geschehen.« Mit der gleichen heiligen Nüchternheit gibt sein Gefährte, Rabbi Abraham von Kaliski, den Daheimgebliebenen, die ihn befragen, Auskunft über die vielen »Wandlungen, Umwälzungen, Begebenheiten und Zeitenfolgen«, die über jeden Einzelnen im Lande hingehen müssen, »bis er sich ihm eingliedert und an dessen Steinen Gefallen hat und dessen Staube wohlwill und die Ruinen im Lande Israel liebt … bis vorüber sind die Tage der Aufnahme, seines Aufgenommenwerdens in das Leben … Jeder, der zum Heiligtum kommt, muß von neuem im Mutterleib getragen, gesäugt werden, ein Kleinkind sein und so fort, bis er unmittelbar ins Antlitz des Landes sieht und seine Seele mit dessen Seele verbunden ist.« Rabbi Mendel selbst schreibt an die Daheimgebliebenen: »Meine Geliebten; meine Freunde und Genossen, wisset treulich, daß ich in vollkommener Klarheit weiß: alle Leiden, die in diesen drei Jahren über uns ergangen sind, sind Leiden des Landes Israel«, das heißt, sie gehören zu den Leiden, die nach der talmudischen Überlieferung not-

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wendig sind, um das Land zu erwerben; sie sind somit von ebender Art, von der die »Hindernisse« sind, die Rabbi Nachman deutet. Dies also ist der Mann, der ihm in der ersten Nacht seiner Wanderung erscheint. Er eröffnet ihm, daß auf einer Seefahrt der Gottesname »Du« anzurufen ist: der bezwingt die Wogen, wie es im Psalm heißt: »Du beherrschest die Hoffart des Meers, wann seine Wogen steigen, schwichtigst du sie.« Das Fest der Offenbarung bringt er, auf der Fahrt nach Odessa, in Cherson zu. Eine Lehrrede, die er hier spricht, knüpft sichtlich an die Mitteilung an, die er im Traum empfing; sie geht vom Psalmvers aus: »Er bannt den Sturm zum Schweigen, gestillt sind ihre Wogen.« In der Vornacht des Festes, nachdem er wie üblich gewacht hat, geht er mit einem Begleiter ins Tauchbad. Unterwegs fragt er ihn Mal um Mal, ob er den Schall nicht höre, der Mann verneint es, schließlich sagt Nachman: »Es wird wohl von einer Musikkapelle kommen.« Aber der Mann versteht: der Rabbi hat den Donnerschall vom Sinai gehört. Der Seeweg über Odessa ist von den Juden bis dahin als gefährlich gemieden worden. Er unternimmt ihn, und von da an erscheint er allen sicher. So ist es in seinem Leben, wie uns erzählt wird, häufig zugegangen: er reißt sozusagen den Dingen, die er als erster zu bestehen wagt, die Giftzähne aus. Sowie das Schiff auf hoher See ist, bricht ein Gewitter aus, das Wasser überschwemmt den Bord. In dem großen Sturm sieht Nachman einen vor kurzem in seiner Heimatsgegend verstorbenen Jüngling auf sich zukommen und hört ihn bitten, daß er seiner Seele die Erlösung bringe. Das ist die erste von sehr vielen Seelen, die ihm so erscheinen. In Stambul mehrt sich Mühsal und Beschwer. Nachman verbietet seinem Begleiter zu sagen, wer er sei. Er hat nicht bloß von den türkischen Behörden zu leiden – es ist die Zeit der ägyptischen Expedition Napoleons, und die Spionenfurcht ist groß –, sondern auch von Juden erfährt er Verdächtigungen und Kränkungen, aber er bleibt bei seiner Verstellung, erträgt den Schimpf nicht bloß, sondern fordert ihn geradezu heraus und legt es auf ihn an. Wenn er damals, sagt er in späterer Zeit seinen Schülern, nicht all die Erniedrigung erfahren hätte, dann wäre er in Stambul verblieben, das heißt, er hätte dort sterben müssen. »Ehe man zur Größe kommt«, sagt er, »muß man erst in die Kleinheit sinken. Das Land Israel aber ist die größte Größe, darum muß man, ehe man zu ihm aufsteigt, in die kleinste Kleinheit sinken. Darum hat der Baal-schem-tow nicht hinkommen können, denn er vermochte nicht in solche Kleinheit niederzusteigen.« Er aber, Nachman, macht sich klein. Er geht in Stambul bloßfüßig herum, im Hängerock aus Rockfutter ohne Gürtel, ohne Hut über dem Käppchen, und treibt allerhand Narrenstreiche; so ver-

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anstaltet er mit etlichen andern Kriegsspiele, wo die eine Partei die Franzosen und die andere die von ihnen Angegriffenen darstellt. Dieses Sichklein-machen und als Narr Gebärden, das uns an buddhistische, sufische und franziskanische Legende erinnert, setzt sich in ihm so fest, daß es ihm später, in Palästina selbst, schwer wird, sich davon zu befreien. In Stambul bricht die Pest aus. Lange Zeit kann er nicht weiterreisen. Wegen der nahenden Franzosengefahr verbietet die jüdische Gemeinde allen in- und ausländischen Juden, die Stadt zur See zu verlassen. Nachman widersetzt sich dem Verbot und veranlaßt viele, mit ihm zu fahren. Unterwegs bricht wieder ein großes Gewitter aus, und das Schiff ist bedroht. Alle weinen und beten, er aber bleibt sitzen und schweigt. Die Leute befragen und bedrängen ihn vergebens; erst antwortet er nicht, dann fährt er sie an: »Schweigt doch auch ihr! Sowie ihr still seid, wird auch das Meer sich stillen.« Und so geschieht es. Nach weiteren Beschwernissen – das Trinkwasser geht aus – kommt das Schiff nach Jaffa. Rabbi Nachman hat im Sinn, von hier nach Jerusalem zu ziehen, denn die Heilige Stadt ist das Ziel seiner Wünsche, – er erklärt ausdrücklich, er wolle weder nach Safed noch nach Tiberias, wo sich die chassidischen Gruppen niedergelassen haben –, aber die Hafenbehörden haben ihn seines auffallenden Aussehens halber in Verdacht, daß er ein französischer Spion sei, und verbieten ihm an Land zu gehen. Es sind zwei Tage vor dem hohen Fest des Neuen Jahrs. Der Kapitän beabsichtigt, einige Tage vor Jaffa zu bleiben, aber des unruhigen Wellengangs wegen kann das Schiff nicht ankern. Dem verwunderten Kapitän teilen auf seine Fragen die Weisen der sephardischen Judenheit mit, einer mündlichen Überlieferung nach sei an diesem Orte einst der Prophet Jona ins Meer geworfen worden; sie meinen, daher werde zuweilen ein Schiff verhindert, hier vor Anker zu liegen. Sie fahren nach Haifa weiter und ankern am Abend danach am Fuß des Karmel, der Höhle des Propheten Elia gegenüber. Am Morgen wird noch auf dem Schiff gebetet, dann gehen die Juden an Land, Rabbi Nachman unter ihnen. Er erzählt in späterer Zeit seinen Schülern, sowie er im Lande vier Ellen weit gegangen sei, habe er schon alles gewirkt, was er angestrebt hatte. In diesem Bericht wird der Glaube an die Macht der Berührung mit der Heiligkeit dieser Erde besonders deutlich. Was er meint, wird durch eine andre Äußerung über das Erlangte erläutert, die er bald nach der Rückkehr aus Palästina gemacht hat und die mit jener über den Zusammenschluß der Gebote, die für das Heilige Land allein bestimmt sind, mit den andern zu vergleichen ist. Er habe nun, sagte er, die ganze Thora auf alle Weisen erfüllt, »denn ich habe die Erfüllung der ganzen Thora erlangt, und hätte man mich sogar an die Ismaeliter in ferne Län-

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der verkauft, wo es keine Juden gibt, und dort hätte man mich Vieh weiden lassen und sogar wenn ich dann nicht mehr gewußt hätte, wann Sabbat und Festtage sind, und hätte weder Gebetsmantel noch Gebetsriemen mehr gehabt, und kein Gebot mehr mir zuhanden, ich hätte doch die ganze Thora zu erfüllen vermocht.« Nachmittags – es ist der Vortag des Neuen Jahrs – gehen sie ins Tauchbad und danach ins Bethaus, wo sie bis zum Abend verweilen. »Heil dir«, sagt Nachman in die Herberge zurückgekehrt zum Begleiter, »daß du gewürdigt worden bist mit mir hier zu sein.« Er läßt sich von ihm die Namen all der Chassidim vorlesen, die sich ihm daheim angeschlossen hatten und ihm Zettel mit ihren Namen und den Namen ihrer Mütter mitgaben, daß er ihrer im Heiligen Lande gedenke, und er gedenkt jedes Einzelnen in seiner großen Freude. Aber am Morgen danach hat sich sein Gefühl gewendet. Eine namenlose Sorge ist in ihm erwacht, sein Herz ist ihm wie zerschlagen, und er redet mit keinem Menschen. Sogleich nach dem Fest denkt er an die Heimfahrt. Er will nicht einmal mehr nach Jerusalem, er will nach Polen zurück. Aus Safed und Tiberias kommen Einladungen der Zaddikim, die von seinem Kommen gehört haben, das Hüttenfest mit ihnen zu verbringen, aber er achtet dessen nicht und bleibt, wie über den Versöhnungstag, so auch über das Hüttenfest in Haifa. Und nun ereignet sich etwas, was an sich wohl nicht eben merkwürdig ist, aber durch die Art, wie erst Nachman selber, später seine Schüler, denen er es erzählt, es aufnehmen, merkwürdig wird. Ein junger Araber ist Tag um Tag, wenn der Rabbi beim Mittag- und beim Abendessen saß, in die Herberge gekommen, hat sich zu ihm gesetzt und so freundlich wie nachdrücklich auf ihn eingeredet, dazwischen klopfte er ihn auf die Schulter und bezeigte ihm sein Wohlwollen auf alle erdenkliche Weise. Von den Reden verstand Nachman natürlich kein Wort, und die Liebesbekundungen waren ihm unbehaglich genug, aber er äußerte keine Ungeduld und blieb sitzen, als hörte er zu. Eines Tags aber kommt der Araber wieder, bewaffnet und zornig, und schreit heftig auf den Rabbi ein, der natürlich wieder kein Wort versteht. Erst nachdem jener schließlich abgezogen ist, erfährt er, der Araber habe ihn aufgefordert, mit ihm zu fechten. Man verbirgt Nachman in der Wohnung eines andern Zaddiks. Der Araber kommt wieder in die Herberge und ist außer sich, als er hört, daß der Gesuchte sich ihm entzogen hat. »Gott weiß«, erklärt er feierlich, »daß ich ihn sehr liebe. Ich will ihm Esel und mein eignes Pferd geben, damit er mit einer Karawane nach Tiberias ziehen kann.« Nun kehrt Nachman in die Herberge zurück. Der arabische Jüngling kommt wieder, sagt aber nun kein Wort mehr, sondern lacht den Rabbi nur Mal um Mal

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an. Anscheinend erfüllt er auch sein Versprechen. Offenbar ist es ihm – so können wir uns die erzählten Vorgänge erklären – um nichts anderes zu tun gewesen als die Tiere zu vermieten; da der Rabbi ihm zuzuhören schien, fühlte er sich dadurch gekränkt, daß er auf sein so oft wiederholtes Angebot nicht einging; schließlich klärte sich der Sachverhalt auf, und wenn er Nachman ansah, mußte er lachen. Vom Rabbi ist uns die Äußerung überliefert, er habe mehr unter der Liebe des Arabers als unter seinem Zorn zu leiden gehabt. Darüber hinaus aber scheint er manche Andeutung über die geheimnisvolle Gefahr gemacht zu haben, die hinter dieser Begebenheit stand, und die Schüler glaubten ihn dahin zu verstehen, der Araber sei der Satan in eigner Person gewesen. Wir gewinnen hier einen besonderen Einblick in die symbolisch-legendäre Art, in der Nachman sein Leben erlebt und in der seine Schüler es aus seinem Bericht erfahren und nun zu der Erzählung verarbeiten, die auf uns gekommen ist. Der arabische Eselvermieter wird zur satanischen Verkörperung der »Hindernisse«. Die dem Konflikt vorausgehende Schwermut des Rabbi findet so ihre Erklärung. Indessen läßt sich Nachman zur Fahrt nach Tiberias bewegen, wo er zunächst – wieder ein Vorgang von sinnbildlicher Bedeutung – erkrankt. Sodann erfahren wir von einem Denunzianten, dessen Anschläge er zunichte macht. Besuche in einigen Grabhöhlen der heiligen Menschen werden mit leicht legendären Zügen erzählt. So soll er eine Höhle mit dem Grab eines heiligen Kindes besucht haben, die bisher einer angeblich drin hausenden Schlange wegen gemieden worden war; als er kam, war keine darin, von da an haben alle sie besucht. Auch hier erscheint Nachman als der Erste, der Bahnbrecher. Ein Großer der tiberianischen Judenheit bedrängt ihn, ihm die verborgene Absicht seines Kommens nach Palästina zu eröffnen; es sei ihm doch offenbar um eine geheime Handlung im Dienste Gottes zu tun, er möge ihm sagen, was sie sei, und er werde ihm mit all seiner Kraft beistehn. Als Nachman sich weigert, bittet er ihn, ihm doch etwas von seiner Lehre kundzutun. Aber sowie er ihm das Geheimnis der vier Himmelsrichtungen im Lande Israel mitzuteilen beginnt, stürzt ihm Blut aus der Kehle und er muß abbrechen, denn »man stimmt vom Himmel her nicht zu«. In Tiberias bricht die Pest aus. Nachman begibt sich durch eine Höhle auf unterirdischen Wegen und unter manchen Gefahren nach Safed. Bei seinen Versuchen, Schiffsplätze zur Heimfahrt zu finden, kommt er mit seinem Begleiter auf ein türkisches Kriegsschiff, das sie für ein Handelsschiff halten. Spät entdecken sie ihren Irrtum. Unter schweren Entbehrungen und allerhand Abenteuern kommen sie nach Rhodos, wo sie das

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Passahfest feiern. Von dort reisen sie über Stambul und die Walachei nach Hause. Hier spricht der Rabbi am Sabbat bei der heiligen Dritten Mahlzeit über den Vers des Propheten Jesaja: »Wenn du übers Wasser ziehst, ich mit dir.« Diese Lehrrede schließt in der uns bewahrten Fassung mit den Worten: »Ich mit dir – sieh zu, daß du das Gerät werdest, das Ich genannt ist.« Das ist es, was er in dieser Stunde von sich aussagen will: daß er auf seiner Fahrt übers Wasser das Gerät mit Namen Ich geworden ist. Von da aus ist zu verstehen, was er fortan, in der Zeit – nicht viel mehr als ein Jahrzehnt –, die ihm noch zum Leben blieb und in der er seine Lehre und seine Dichtung aufbaute, immer wieder, wenn auch nur in Andeutungen, den Schülern davon berichtet, was er im Heiligen Lande erworben hatte. So erzählt er, ehe er die Reise antrat, habe er den ruhigen Schlaf nicht gekannt, denn jeweils umstellten ihn die »sechshunderttausend« Buchstaben der Thora, als wäre die Thora wieder in eine unbewältigte Fülle von Buchstaben zerfallen; seit Palästina aber gibt es diese Störung nicht mehr, er hat das Ganze so, daß es nie zerfällt und zum Chaos wird. Oder: in seiner Jugend wurde er oft vom Jähzorn übermannt, und er kämpfte dagegen an; aber eine schlimme Eigenschaft brechen heißt noch nicht sie wahrhaft überwinden, man muß vielmehr die ganze Kraft der Leidenschaft, die in ihr treibt, in das Gute einwandeln: dies – also nicht mehr bloß nicht hassen, sondern den vordem hassenswert Scheinenden mit der ganzen vordem in den Haß eingegangenen Mächtigkeit lieben – habe er erst im Lande Israel erlangt. Und so ist es denn auch mit der Lehre. Zwischen den Lehren, die von außerhalb Palästinas stammen, und denen, die aus ihm stammen, ist, sagt er, ein Abstand wie zwischen West und Ost. Nur die Lehrreden, die er nach der Rückkehr gesprochen hat, heißt er in ein Buch aufnehmen, die früheren nicht. Noch tiefer ins Verständnis der Wandlung, die er dem Lande zu verdanken hatte, führen Äußerungen, die er neun Wochen vor seinem Tode, am Vorabend des Sabbat nach dem Trauertag des Neunten Ab, getan hat. Kurz vorher war er in eine neue, seine letzte Wohnung gezogen, wo er vom Fenster auf einen Garten und darüber hinaus auf den Friedhof sah – dort waren die Gräber der einst bei dem großen Kosakengemetzel umgekommenen Tausende –, er sah immer wieder hin und sprach davon, wie gut es sein würde, unter den Märtyrern zu liegen. Dies nun war seine erste Lehrrede in der neuen Wohnung. Viele Chassidim, von den längst Vertrauten bis zu denen, die sich ihm jetzt eben angeschlossen hatten, waren versammelt, als er eintrat und die Weihe über den Wein vollzog. Man sah, daß er sehr schwach war und kaum die Kraft zu reden hatte. Hernach ging er nicht wie gewöhnlich in seine Stube zurück, sondern

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blieb am Tisch sitzen. Sehr matt begann er zu sprechen. »Was kommt ihr zu mir gefahren?« sagte er, »ich weiß doch jetzt nichts, ich bin doch jetzt ein Einfältiger.« Das wiederholte er Mal um Mal. Dann aber fügte er hinzu, er halte sich nur noch dadurch am Leben, daß er im Lande Israel war. Und sowie er dies gesagt hatte, erregte sich die Lehre in ihm, die Begeisterung erhob ihn, und er begann davon zu sprechen, daß von einem solchen Stand der Einfalt des Zaddiks aus doch allen Einfältigen in der Welt Lebenskraft zuströme, denn alles ist miteinander verbunden. Der Quell dieser Lebenskraft aber ist in dem Land, das noch vor der Offenbarung, ehe noch Israel mit der offenbarten Thora es betrat, die »Schatzkammer der unverdienten Gabe«, das Land der Gnade war. Von da aus erhielt sich die Welt in der Zeit zwischen Schöpfung und Offenbarung, hier war damals die Lehre verborgen, die Zehnworte vom Sinai in den zehn Worten, mit denen die Welt erschaffen wurde, und dies ist die Lehre, in der die Väter im Lande lebten. Man nennt sie Derech Erez, der Weg der Erde, das heißt das rechte Leben außerhalb der Offenbarung, und in Wahrheit ist sie der Weg zur Erde, zum Lande nämlich. Weil die Kraft der zehn Worte der Schöpfung im Lande verborgen ist und die Väter in dieser Kraft gelebt haben, konnte Israel, dem Gott als »seinem Volke« »die Kraft seiner Werke verkündigte«, mit den offenbarten Zehnworten in das Land gelangen. So ist die Landnahme Israels die Begegnung und Verbindung von Schöpfung und Offenbarung. Damit sie bereitet werde, mußte Kanaan erst in den Händen der Heiden sein, ehe es Israel zufiel; aber eben darum können die Völker nicht zu Israel sagen: »Räuber seid ihr, daß ihr ein Land erobert habt, das nicht euch gehört.« Freilich ist dem nur so lange so, als Israel es verdient, so lange als es mit der Heiligkeit der offenbarten Thora, die es erfüllt, die erschaffene Erde heiligt und in seinem Lande bleiben darf; sowie Israel ins Exil muß, tritt das Land wieder in den Stand der verborgenen Lehre, der zehn Schöpfungsworte allein, der unverdienten Gaben, der reinen Gnade. Aus dieser Kraft des Landes lebt der Zaddik, wenn er in den Stand der Einfalt fällt, und daher strömt ihm die Lebenskraft zu, die von ihm zu allen Einfältigen der Welt, nicht Israels allein, sondern aller Völker hinfließt. Darum eben muß er zuweilen für eine Zeit in diesen Stand der Einfalt fallen. So ruht denn auch im tiefsten Sinken der Sinn der Erhebung. Und so ist es in irgendeinem Maße und in irgendeiner Weise für alle Menschen, für die Geistigen und für die Schlichten: keinem ist der Quell der Lebenskraft entzogen, es sei denn, er entziehe sich ihm selber. Darum ist dies das Wichtigste: man darf nicht verzweifeln! »Verzweiflung gibt es nicht!« rief Rabbi Nachman. »Man darf nicht verzweifeln! Ich beschwöre euch, verzweifelt nicht!« Eine große Freude hatte sich in ihm entzündet. Er hieß, ehe man vorm

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Mahl die Hände wusch, das Lied »Lob will ich singen« anstimmen, das sonst erst nach dem Brotsegen angestimmt wurde und in der letzten Zeit, seit er so schwach war, gar nicht. »Stimm an, Naftali«, sagte er zu einem Schüler. Als der sich schämte und zögerte, rief er: »Was haben wir uns zu schämen! Die ganze Welt ist um unsertwillen erschaffen worden! Naftali, was haben wir uns zu schämen!« Und er selber sang mit. »So haben wir gesehen«, schreibt der erzählende Jünger, »wie sich Gottes Verhohlenheit in Gnade verwandelt. Aus dem Nichtwissen ist der Rabbi zu solcher Offenbarung gelangt. Er selber hat’s gesagt, sein Nichtwissen sei merkwürdiger als sein Wissen.« Rabbi Nachman ist nicht zum zweitenmal nach Palästina gefahren. Er habe, sagte er drei Jahre vor dem Tod, danach begehrt, nochmals hinzufahren und dort zu sterben, aber er habe sich davor gefürchtet, er könnte unterwegs sterben und dann würde man nicht an sein Grab kommen und sich damit nicht zu schaffen machen. »Ich will«, sagte er ein andermal, »unter euch bleiben.« Aber alles war ihm von Palästina durchdrungen. »Mein Ort«, pflegte er zu sagen, »ist nur das Land Israel. Wohin ich auch fahre, ich fahre nur ins Land Israel.« Wenn er von der Heiligkeit des Landes sprach, geriet er zuweilen in so tiefe Verzückung, daß er dem Sterben nahkam. Rabbi Nachman von Bratzlaw gehört zu jenen Chassidim, die, wie Rabbi Mendel von Witebsk und seine Gefährten, mit ihrer Niederlassung in Palästina auf die Neubesiedlung des Landes hindeuten. Er leitet hierin nicht, wie etwa in seiner Märchendichtung, ein neues Zeitalter ein. Aber als der große Erbe, der er ist, hat er allen Stoff der Überlieferung in seine Verherrlichung der Heiligkeit des Landes eingeschmolzen und hat ihn neu gestaltet. Im ganzen jüdischen Schrifttum hat niemand sie zugleich so vielfältig und so einheitlich gepriesen wie er. Palästina ist der Urpunkt der Erdschöpfung, ihr Grundstein, und es ist der Quell der kommenden Welt, in der alles gut sein wird. Es ist die eigentliche Stätte des Lebensgeistes, Und daher wird auch die Erneuerung der Welt durch den Geist des Lebens von ihm ausgehen. In ihm ist der Born der Freude, die Vollkommenheit der Weisheit und die Vollkommenheit der Musik der Welt. In ihm stellt sich der Bund zwischen Himmel und Erde dar. Von ihm geht die Vollendung des Glaubens aus, denn hier kann man wie nirgendwo anders in der Welt sich ganz an das unendliche Licht hergeben und von ihm erleuchtet werden; von ihm geht die Zurechtbringung und Vollendung des Rechts in der Welt aus, von ihm die Überwindung des Zorns und der Grausamkeit. Es ist die Stätte des Friedens, in dem sich die Gegensätze der Gnade und der Macht vereinen und die Einheit Gottes sich offenbart, hier stiftet sich der Friede im

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Innern des Menschen, »zwischen seinen Gebeinen«, hier zwischen Mensch und Mensch, von hier aus zieht der Friede in die Welt. Rabbi Nachman nimmt die talmudische Lehre auf, daß alle andern Länder den himmlischen Überfluß durch Boten, durch die »oberen Fürsten« erhalten, es aber unmittelbar aus Gottes Händen: darum wird es den andern Völkern so schwer, zur Einheit vorzudringen, Israel aber faßt sich in dem »Du bist Einer« ein, und vom Lande Israel soll die Einheit über die Menschenwelt kommen. Daher ist das Land Israel gleichsam die Schechina, die »Einwohnung« Gottes selber. Das Land ist das höchste aller Länder, aber es ist auch das niedrigste von allen, Kanaan heißt »Unterwerfung«, wie geschrieben steht: »Und die Demütigen werden das Land erben.« Das höchste Land unterwirft sich in der tiefsten Demut, und sein Staub lehrt die Lehre der Demut. Darum wird die Auferstehung der Toten hier ihre Mitte haben. Darum aber auch hat Israel das Land noch nicht wiedergewonnen. »Durch die Schuld des Hochmuts sind wir noch nicht in das Land zurückgekehrt.« Es wird besonders betont: nicht weil jener so viele sind, sondern unsrer Ehrsucht und Hoffart wegen können wir in unser Land nicht gelangen. Das Hindernis ist in uns selber. Aber der Staub des Landes Israel hat auch eine »ziehende« Kraft: er zieht die Menschen zur Heiligkeit. Es gibt nämlich zwei einander entgegengesetzte Arten und Mächte des Staubes: dieser Staub des Landes Israel, der zur Heiligkeit zieht, und einen unreinen Gegenstaub, einen Staub der Welt, der zur »Anderen Seite« zieht. Dieser Gegenstaub aber gleicht sich dem reinen Staube an und gebärdet sich, als wäre er es, der zur Heiligkeit zieht. »Denn in dieser Welt ist alles vermengt und verwirrt.« In Wahrheit aber ist er nichts als eine bestrickende und verstrikkende, eine nötigende Kraft. Dies ist der »Staub der Anderen Seite«. In unserer heutigen Sprache: es gibt eine zwiefältige Macht der Erde über den Menschen. Die Erde kann auf den Menschen, der sich auf ihr niederläßt und ihr dient, einen heiligenden Einfluß ausüben, indem sie ihn an die ihr einwohnende Heiligkeit bindet, und dann wird der Geist des Menschen durch die Kraft der Erde gestützt, gefestigt und getragen; sie kann den Menschen aber auch herabziehen und seine Einbildungskraft gegen den Geist aufwiegeln, sie kann die oberen Gewalten leugnen und verleugnen und sich selber die einzige Macht zusprechen. Reinheit und Unreinheit, heiligende und entheiligende Wirkung stehen auch in der Wesenheit der Erde, wie überall in der Welt, einander gegenüber. Die reine und heiligende Kraft der Erde aber stellt sich im Lande Israel dar. Die Auferstehung der Toten, haben wir gehört, wird ihre Mitte im Lande Israel haben. Darum hat hier auch das Grab seine Vollkommen-

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heit, hier allein hat die vollkommene Bestattung ihren Ort. Denn es ist ja überliefert, warum über den Menschen der Tod verhängt worden ist: weil in der Ursünde eine Befleckung durch die Schlange in unsre Einbildungskraft eingedrungen ist, von der wir nicht anders als im leiblichen Tode vollkommen geläutert zu werden vermögen. Im rechten Sterben und in der rechten Bestattung löst sich die eingedrungene Unreinheit auf und in einer erneuerten Welt wird ein neuer Leib erstehen. All dies aber hat seine Vollkommenheit im Lande Israel. Denn die Überwindung der befleckten Einbildungskraft geschieht durch den Glauben, die Kraft des Glaubens aber hat sich in dieses Land eingesenkt und lebt und wirkt darin. Abraham, der Vater des Glaubens, ist es, der zuerst diese heilige Kraft offenbarte, als er sich und den Seinen zum ewigen Besitz die Grabstätte der Höhle Machpela erwarb. Hier, im Lande Israel, geschieht die Läuterung der Einbildungskraft durch den Glauben. Nicht umsonst klingen die Wörter adama, Boden, und m’dame, Einbildungskraft, an: von der Erde kommt dieser die Fülle der Elemente zu. Aber auch die Läuterung der Einbildungskraft durch den Glauben kann nicht anders als durch die geheiligte Erde geschehen, und hier, im Lande Israel, ist die geheiligte Erde. Überall sonst sind die Funken des Glaubens in die verwirrte Einbildungskraft gefallen, die die Erde überlagert. Darum heißt es schon von den Vätern (Exodus 13, 17), Gott habe sie aus Ägypten nicht durch das Land der Philister, das nah war, geführt, sondern habe sie umherziehen lassen: um an allen Orten, durch die sie ziehen, sich der Funken des Glaubens anzunehmen und die Einbildungskraft zu läutern. So wird man gewürdigt, dann im Lande Israel die Vollkommenheit der geläuterten Einbildungskraft und die Vollendung des Glaubens zu empfangen. Aber all dies, sowohl die Bedeutung der Heiligkeit des Landes als die Schwierigkeiten, die sich vor dem Menschen erheben, der in Wahrheit zu ihr gelangen will, sind noch tiefer zu erfassen. Weil hier, im Lande Israel, der Glaube die Stätte seiner Vollkommenheit hat, weil hier in Wahrheit »das Tor des Himmels« ist, in dem die Obern und die Untern einander begegnen, und man kann von außen nach innen eingehen, und die draußen stehn schließen sich mit denen drinnen zusammen, darum geht »die Vollendung aller Welten und die Vollendung aller Seelen« von hier aus. Denn diese Vollendung wächst eben daraus, daß Menschen sich ganz hergeben und aufgeben an das Licht des Schrankenlosen, dies aber kann nirgendwo anders ganz geschehen als hier allein, nirgendwo anders kann man so mit dem ganzen Wesen das Licht auffangen und darin aufgehn. Dazu jedoch tut not, daß erst die Gefäße vollendet werden, um das Licht auffangen zu können. Und

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hinwieder kann doch nur die Heiligkeit des Landes solch eine Vollendung der Gefäße zustande bringen. Darum ist es für den, der zur Heiligkeit des Landes will, so sauer, dahin zu gelangen; dazu bedarf es der Vollendung des Gefäßes, und dazu wieder bedarf es der Heiligkeit des Landes. Jenes hängt an diesem und dieses an jenem. Wo ist in diesem Kreis des Widerspruchs anzusetzen? Darum eben: je größer einer, um so größer die Hindernisse. Und darum eben: wer seine Seele einsetzt, um ins Land zu gelangen, durchbricht den Kreis des Widerspruchs, denn Erleuchtung von der Heiligkeit des Landes strömt ihm, der noch draußen steht, zu und verleiht ihm die Kraft, die Hindernisse, das sind die bösen »Schalengewalten«, zu brechen. Das Gefäß wird vollendet und gibt sich her, Dienst an der Vollendung aller Welten und aller Seelen geschieht. Als die Söhne Israels die Thora annahmen und ins Land kamen, durften sie dessen Heiligkeit aus der Verborgenheit ins Offenbare heben. Als sie sich gegen seine offenbar gewordene Heiligkeit vergingen, indem sie das ihnen Offenbarte nicht erfüllten, und endlich aus dem Lande gehen mußten, ist seine Heiligkeit wieder in die Verborgenheit gesunken, und seither lebt und wirkt sie darin. »Noch besteht das Land Israel in seiner Heiligkeit aus der Kraft der verborgenen Thora und der unverdienten Gnade. Und darum schauen wir zu aller Zeit aus, in unser Land zurückzukehren. Denn wir wissen: auch jetzt ist das ganze Land unser, nur daß dies in großer Verborgenheit ist.« Hat auch die »Andere Seite« Israel sein Land geraubt, es ruft mit der Kraft des Gebets seinen Einspruch aus. Es ruft: »Das Land ist unser, denn es ist unser Erbteil.« Und solang es seinen Einspruch ausruft, ist nach göttlichem Gesetz die Besitzergreifung der Anderen Seite keine Besitzergreifung. Aber wie ist das Land wiederzugewinnen? Jedermann aus Israel hat Anteil am Land, jedermann aus Israel kann Anteil an seiner Erlösung haben. In dem Maße, in dem er sich selber reinigt und heiligt, wird er gewürdigt einen Teil des Landes zu fassen und zu erobern. Nur nach und nach kann die Heiligkeit des Landes erobert werden. Weil dies aber mit dem ganzen Leben, mit allen Handlungen und in allen Bereichen geschehen muß, geziemt es dem Menschen zuweilen, sich aus dem Lernen der Thora zurückzuziehen und sich mit dem »Weg-der Erde« zu befassen, wie die Weisen sagen. Wer aber gewürdigt worden ist, im Lande Israel zu siedeln, soll zu jeder Zeit der großen Strahlung und Erleuchtung gedenken, die von dem Land in den Tagen der Urzeit ausgegangen ist, und soll daran denken, daß die Heiligkeit ewig ist. Und wenn ihre erleuchtende Kraft ge-

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schwunden scheint, bleibt doch eine heilige Spur. Auf sie schauend hofft und harrt Israel zu jeder Zeit, daß »neues Licht über Zion leuchte«. Ein geringes, erniedrigtes Land ist dieses Land – und die Hoffnung der Welt ist in ihm eingefaßt. Wer in ihm in Wahrheit siedelt, so daß er mit der Heiligkeit des Landes Umgang hat und ihr hilft die Erlösung der Welt zu bereiten, dem strömt in sein dürftig scheinendes Leben die Herrlichkeit der oberen Sphären ein, die nach der Vereinung mit den untern Verlangen tragen. Er ißt »Brot mit Salz«, wie es die Weisen als den »Weg der Lehre« anempfehlen, aber dieses Brot ist ja doch eben das Brot des Landes, und die Gnade des Glaubens ist ihm eingeerntet, eingedroschen, eingemahlen und eingebacken. »Im Lande Israel ist das Brot so geschmackskräftig, daß aller Wohlgeschmack aller Speisen der Welt in ihm eingefaßt ist. Wie geschrieben steht: ›Nicht in Dürftigkeit sollst du dein Brot essen, an nichts soll’s darin mangeln.‹« In einem seiner Märchen erzählt Rabbi Nachman von einem einfältigen Schuster, der zum Mittagsmahl trockenes Brot ißt als eine würzige Suppe, dann als einen saftigen Braten und es zum Abschluß als köstlichen Kuchen genießt: ihm mangelt’s an nichts. Täuscht ihn seine Phantasie über die Kargheit seines Daseins hinweg oder befähigt ihn nicht vielmehr sein Glaube, in der Gottesspeise zu schmecken, was in ihr verborgen ist? Nachman, der wie alle echten Meister der chassidischen Lehre immer wieder die Weisheit der Einfalt preist, weist darauf hin, daß auch der Erzvater Jakob, dem das Land Kanaan zu eigen gegeben worden ist (er ist unter den Vätern der eigentliche Empfänger, weil keiner seiner Söhne ausgeschaltet werden muß, sondern sie mitsammen schon das Volk Israel darstellen), ein »einfältiger Mann« genannt wird. Vom Land Israel selber sagt Rabbi Nachman, es stelle die Einfalt dar. Das aber heißt, daß es die wahre Weisheit darstellt. Denn es ist die wahre Weisheit, im Brot allen Wohlgeschmack der Welt zu kosten, und es ist die wahre Weisheit, in dem armen kargen Ländchen das Tor des Himmels zu erkennen.

Vierter Teil Der zionistische Gedanke Der Erste der Letzten (Über Moses Heß) Daß Moses Heß der Begründer des modernen zionistischen Gedankenbaus ist, ist wohl bekannt. Aber es ist trotz Herzls Wort »Alles, was wir versuchten, steht schon bei ihm« noch nicht genug beachtet worden, daß es innerhalb dieses Baus nicht ein einziges großes Prinzip gibt, das nicht bereits in Hessens »Rom und Jerusalem« entworfen wäre. Dieses Werk ist nicht ein gutes Buch zu nennen, es ist formlos und zerfahren, aber es ist ein entdeckerisches Buch. Sooft wir darin lesen, immer wieder überrascht uns die Erscheinung dieses Mannes, der wie mit einer Wünschelrute einhergeht und Goldadern findet. Es ist lange Zeit verstrichen, bis seine Gedanken wiederaufgenommen und zu Ende gedacht worden sind, und manche von ihnen sind es noch heute nicht. Im ersten Anlauf ist hier eine kühne geistige Initiative bis auf den Grund der Zionsidee vorgestoßen. Wie ist der Sozialist Heß zu dieser Verherrlichung von Volk und Land in ihrem Zusammenhang miteinander gekommen? Hinter dieser Frage birgt sich eine andere: wie ist er, der in seinen sozialistischen Schriften niemals die Höhe des entscheidungskräftigen Wortes erreicht hat, hier zu ihr gelangt? Ein bedeutender marxistischer Denker unserer Zeit, Georg Lukacs, bezeichnet Heß als einen durchaus gescheiterten Vorgänger von Marx, dessen Schicksal tragisch zu nennen sei, weil er nicht nur persönlich ein durchaus ehrlicher Revolutionär gewesen, sondern »von allen idealistischen Dialektikern der Marxschen Fassung der Dialektik zuweilen am nächsten gekommen ist«, und das »Scheitern« erklärt er näher mit den Worten: »Als Theoretiker ist er an der Berührung mit der materialistischen Dialektik zugrunde gegangen.« Aber, gleichviel ob dieser Satz auf Heß als Sozialisten zutrifft, auf Heß, den Zionisten, gewiß nicht. Ein Mann, der fünfzehn Jahre, nachdem er die materialistische Dialektik anerkannte, so selbständige und reife Gedanken ausspricht wie in »Rom und Jerusalem« und in den Ergänzungen dazu, ist nicht gescheitert und nicht zugrunde gegangen. Der Weg zur Erkenntnis des lebenden Judentums und seiner Aufgabe ist bei Heß auch ein Weg des Aufstiegs der Persönlichkeit. Und doch ist dieser Aufstieg erst von der Berührung Hessens mit der materialistischen Dialektik aus zu verstehen. Heß lernt Marx 1841 kennen und ist sogleich von ihm fasziniert; in

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einem Brief an Berthold Auerbach nennt er ihn seinen »Abgott«. Wir können ahnen, was es an Marx war, das auf ihn so gewirkt hat: die Strenge des Denkens, der straffe, schon vom Ursprung an disziplinierte Zusammenhang der Gedanken, die unerbittliche Folgerichtigkeit, mit einem Wort die geistige Organisiertheit. Heß besaß nichts Derartiges. Er hatte echte, aus echter Betrachtung geborene Gedanken, aber keiner von ihnen brachte eine gleichmäßige, ebenbürtige Folge hervor, keiner wuchs sich zu einer großen, in sich gebundenen geistigen Gestaltung aus. Marxens Denken war von Anbeginn exklusiv, es schloß aus, was sich ihm nicht einfügte, und entfaltete sich so zu jener beispiellosen Wucht, die bis an unsere Tage den Massen den Glauben an die Identität ihres Willens mit der geschichtlichen Notwendigkeit und damit eine unerhörte Aktivität verlieh. Hessens Denken war seinem Wesen nach inklusiv, er verzichtete nicht wie Marx auf die Natur zugunsten der Geschichte und nicht auf die Idee zugunsten der Wirtschaft; er wollte beides umfassen und vermochte es nicht, er gelangte nicht zur einheitlichen Bewältigung seiner Probleme und wird daher unter die »Gescheiterten« gezählt, über die aber das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Jahre, die auf Hessens Begegnung mit Marx folgten, sind die, in denen Marxens materialistische Geschichtsauffassung gereift ist; für Heß, von dem er nicht unerheblich beeinflußt worden ist, sind es die Jahre des inneren Widerstands gegen diese Auffassung. So sehr er das Gewicht der sozialen Bedingungen für das Werden sozialer Ideen erkennt, so wesentlich ist es ihm, daß der Sozialismus nicht auf die wirtschaftliche und technische Entwicklungslage allein, sondern auch auf die des Geistes begründet werde. Die soziale Freiheit ist ihm »entweder eine Folge der Geistesfreiheit, oder sie ist bodenlos und schlägt in ihr Gegenteil um«; er sieht den Kern der sozialen Bewegungen unserer Zeit »nicht aus der Not des Magens, sondern aus der Herzensnot« und aus dem »Gedanken« hervorgehen. Aber er vermag diese seine – von Marx aus gesehen »utopische« – selbständige Anschauung nicht selbständig auszubauen, er vermag daraus nicht das Fundament eines für die kommenden Generationen des Proletariats gültigen Sozialismus aufzumauern, und er wird dessen selber inne. Etwa ein Jahr, nachdem Marx die reife Formulierung seiner Auffassung vorerst in aphoristischer Form niederschreibt, etwa zur gleichen Zeit, da Marx und Engels ihr erstes gemeinsames Werk vollenden, in dem sie diese Auffassung auch an geschichtlichen Beispielen darlegen, im Sommer 1846, »kapituliert« Heß in jenem Brief an Marx, in dem er die Begründung des Sozialismus »auf geschichtliche und ökonomische Voraussetzungen« statt auf die »Ideologie« als notwendig anerkennt – zunächst nur als propagandistisch notwendig, aber schon im

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folgenden Jahre sehen wir ihn, in einer dicht an Marx angelehnten Sprache, gegen den »Ideologen« mit seinem »Glauben an die Ideen« anrennen, der »von den materiellen Verhältnissen abstrahiert«, und noch ein Jahrzehnt danach sieht er in der Ethik nur noch »ein sozialökonomisches Problem«. Mit seinem Anschluß an Marx hat Heß diesem nicht genug getan; im Gegenteil, gerade jetzt lehnt Marx ihn nachdrücklich ab 1 und steigert diese Ablehnung bis zu einer verächtlichen Haltung. Aber auch der eigenen Seele hat Heß damit nicht genug getan. Sie lehnt sich dagegen auf, daß der Glaube an den Geist und der an die Natur dem Glauben an die Gesellschaft zum Opfer gebracht werden. Diese Auflehnung äußert sich im wesentlichen nicht auf dem Gebiet der sozialen Bewegung selbst; wenn Heß sich auf ihm danach auch wieder von Marx entfernt und sogar geradezu Lassalle angeschlossen hat, nichts berechtigt uns, darin das Abstreifen einer »Verkleidung« zu erblicken. Die Auflehnung seiner Seele bewegt Heß nicht, eine Neubegründung des Sozialismus zu versuchen. Er geht nicht hinter die Einsicht in die Bedeutung der materiellen Bedingungen für die Entwicklung der sozialen Zielsetzungen zurück, sondern darüber hinaus. Und zwar in doppelter Hinsicht. Einerseits ist es ihm darum zu tun, den Sozialismus in einen größeren, übergesellschaftlichen, in einen kosmischen Zusammenhang einzubetten, und zwar nicht, wie es später Engels im Anschluß an Haeckel unternahm (Marx selbst hat sich aus tiefer Absicht niemals mit solcher »Metaphysik« befaßt), in einen materialistisch begründeten, sondern, im Anschluß an den von Jugend auf verehrten Spinoza, in den Zusammenhang einer einigen Gesetzmäßigkeit, die sich in verschiedenen Sphären, der kosmischen, der organischen, der seelischen, der sozialen darstellt, ohne daß man eine von ihnen aus einer anderen ableiten könnte. Anderseits versucht Heß, die gesellschaftlichen Kräfte im engeren Sinne gegen andere, auf die gesellschaftliche Entwicklung einwirkende abzugrenzen, und zwar gegen eine naturhafte Kraft, die der »Rasse«, und gegen eine geistige, die der »Tradition«; die Rasse gestaltet die sozialen Institutionen in besonderen Typen, die Tradition erhält den Typus und bildet ihn aus. Während aber Heß in seinen kosmologischen Entwürfen durchaus objektivierend verfährt, geht er hier, auf dem Gebiet der Geschichte, mit einer unbefangen sich als solche bekennenden Subjektivität vor. Er forscht nicht mit überlegener Sachlichkeit im Gang der Geschichte, sondern er entdeckt die 1.

In eben dem Jahr, in dem Heß sich zu ihnen bekennt, erklären Marx und Engels mit überlegener Gebärde, daß sie für Hessens Schriften »durchaus keine Verantwortung übernehmen«.

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Quellen ihres Waltens in sich selber, in seiner Art, in seinem Gedächtnis, in seinem Zusammenhang mit den Geschlechtern, die ihn hervorgebracht haben, mit seiner eigenen »Rasse« und mit seiner eigenen »Tradition«. Und gerade deshalb sind ihm hier, zum Unterschied von seiner Kosmologie, wirklich schöpferische Gedanken beschieden und zugleich, zum Unterschied von seinen sozialistischen Theorien, Gedanken, die sich – bei allen Mängeln der äußeren Komposition – unserem Blick zu einer einheitlichen Erkenntnis zusammenschließen. Indem Heß in sich selbst das lebendige Judentum entdeckt, nimmt er selbständige Lebenselemente der Geschichte wahr, die der Marxismus bis auf unsere Tage entweder vernachlässigt oder sich nur äußerlich angeeignet hat, ohne ihre Selbständigkeit zu erfassen. Um dies voll würdigen zu können, müssen wir nur an die Stelle des schwankenden Begriffs der »Rasse«, den Heß wohl, wenn auch nur mittelbar, von Gobineau übernommen hat, den des Volkstums und an die Stelle des unvollständigen Begriffs der »Tradition« den des gestaltenden Glaubens setzen, – womit wir der Intention von Heß durchaus gerecht werden. So lernen wir verstehen, wie es zugegangen ist, daß ihm – mag er nun zu Recht oder zu Unrecht als ein gescheiterter Vorgänger von Marx genannt worden sein – als Bereiter der modernen Selbsterkenntnis des jüdischen Volkes eine entscheidende Bedeutung zukommt. Freilich ist dabei noch zu beachten, daß die Entdeckung des Judentums für Heß nicht etwas völlig Neues war. In »Rom und Jerusalem« nahm er nach langer Zeit Motive wieder auf, die wir schon in seiner frühesten Schrift, der »Heiligen Geschichte der Menschheit« von 1837 ausgesprochen finden. In diesem Buch zeigt er die Juden als das Volk, »bei denen die Erkenntnis Gottes erblich wurde«, und das ist nicht in einem nur-religiösen Sinn zu verstehen, vielmehr waren im Judentum »Religion und Politik, Kirche und Staat innig verschmolzen, hatten Eine Wurzel, trugen Eine Frucht. Die Juden kannten keinen Unterschied zwischen religiösen und politischen Geboten, zwischen Pflichten gegen Gott und gegen Cäsar. Die und andere Gegensätze fielen weg vor einem Gesetze, das weder für den Leib noch für den Geist allein, sondern für beide sorgte.« Wohl haben sich die Juden dieses inneren Gutes, der erblichen Erkenntnis Gottes, nicht würdig gezeigt. Aber nun, da die Zeit naht, in der die nach dem Untergange des jüdischen Staates in der Menschheit entstandene Spaltung überwunden, in der jene ursprüngliche, seither so sehr gestörte Einheit wiederhergestellt wird, »Religion und Politik wieder eins werden«, »wo der Staat wieder heilig, wo das Reich Gottes erscheinen wird«, nun sind auch die Juden, dieses verachtete, seine alten Sitten treu bewahrende Volk, »nach langem Schlafe wieder zu höherem Bewußtsein

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erwacht«, dieses Volk fängt an »seine unstete Wanderung zu beschließen«, in den Juden »lebt ihr altes Gesetz wieder auf«, und das gibt von der Heiligkeit dieses Volkes »ein lebendigeres Zeugnis als alle geretteten Urkunden der Vorzeit«. In Hessens zweiter Schrift, der »Europäischen Triarchie« von 1840, besteht aber die Hoffnung nicht mehr. Wohl ist das Judentum »am Ende als das Grundprinzip der geschichtlichen Bewegung aufzufassen«, und »Juden müssen da sein als Stachel im Leibe der westlichen Menschheit«, als ihr »Ferment«, wohl »ragt das Bibelvolk mit seinem Bewußtsein am weitesten in die Vergangenheit, am weitesten in die Zukunft hinein«, aber von einem Aufleben des Volkes als Volk hören wir nichts mehr. Der »Fluch der Stabilität« lastet auf den Kindern Israels, seit sie sich »ihrer Zukunftsidee begeben« haben, sie wandeln »einem Gespenste gleich« »durch die lebendige, vom Geiste Gottes bewegte Welt« und können »nicht sterben, nicht auferstehen« denn »das verjüngende Prinzip des Judentums, der Messiasglaube, ist erloschen«. In der Zeit der Abhängigkeit Hessens von Marx aber schlägt seine ursprüngliche geschichtliche Betrachtung geradezu in ihr Gegenteil um. In dem Aufsatz »Über das Geldwesen« von 1845, der im Bann der ein Jahr zuvor erschienenen Abhandlung Marxens »Zur Judenfrage« steht, weiß Heß – in der Nachfolge Marxens, der als den »weltlichen Kultus des Juden« den Schacher, als seinen »weltlichen Gott« das Geld ansieht und im Judentum ein »antisoziales Element« zu erkennen erklärt, dem gegenüber eine »Emanzipation der Menschheit vom Judentum« anzustreben sei – von den Juden nur noch zu berichten, daß sie »in der Naturgeschichte der sozialen Tierwelt den welthistorischen Beruf hatten, das Raubtier aus der Menschheit zu entwickeln«, und »jetzt endlich diese ihre Berufsarbeit vollbracht haben«, da »das Mysterium des Judentums und Christentums« »in der modernen jüdisch-christlichen Krämerwelt offenbar geworden sei«. Und nach weiteren sechs Jahren, in der französischen Schrift »Jugement dernier du vieux monde social« kehrt jenes Wort von dem gespenstischen Wandeln mit einer seltsamen Verschärfung wieder: das jüdische Volk, sagt Heß, müsse »wie ein Gespenst durch die Jahrhunderte umherirren – zur gerechten Strafe für seine spiritualistischen Verirrungen«. Somit hat er vergessen, daß das Judentum auf all seinen Wanderungen jenem »Gesetz, das weder für den Leib, noch für den Geist allein, sondern für beide sorgte«, nie untreu geworden ist. Aber danach schreibt er »Rom und Jerusalem«. Es ist offenkundig, daß hier eine »Umkehr« im urjüdischen Sinn dieses Wortes vorliegt. Auf höherer Ebene werden die Motive jener Erstlingsschrift wiederaufgenommen, und nun erscheinen sie nicht mehr versachlicht und distanziert. Heß sagt uns, daß er den Grundgedanken aus einer verschütteten Tiefe sei-

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ner Seele hervorgeholt hat. »Seit Jahren schon pochte dieser lebendig Begrabene in der verschlossenen Brust und verlangte einen Ausweg.« Nun will er nicht mehr beschreiben, sondern bekennen. Was er bekennt, ist zunächst die »zwanzigjährige« (also etwa zur Zeit der Abfassung der »Europäischen Triarchie« begonnene) »Entfremdung« vom Judentum und ihr Ende, die neue Einkehr in die »Mitte meines Volkes«, – des Volkes, das mit den Völkern »nicht organisch verwachsen kann«. Er bekennt, daß er den Gedanken »an meine Nationalität« »für immer in der Brust erstickt zu haben glaubte« – wohlgemerkt, er glaubte nicht, daß er ihm erstickt worden sei, sondern daß er ihn selber erstickt habe (in der »Europäischen Triarchie« hatte er von der jüdischen Nationalität als von etwas gesprochen, an dessen zu beklagender Fortdauer die christliche Gesetzgebung schuld sei) –, daß jetzt aber der Gedanke sich als lebendig erwiesen habe und lebendig vor ihn getreten sei. Nun aber geht er sogleich einen entscheidenden Schritt weiter: dieser Gedanke ist unzertrennlich von »dem heiligen Lande und der ewigen Stadt«. Beide, die Neuentdeckung des Volkes und die Neuentdeckung des Landes, gehören ihm »unzertrennlich« zusammen. Diese Neuentdeckung aber bedeutet ihm nicht Anschauung allein, sondern auch Entschluß: der Entschluß, »für die nationale Wiedergeburt meines Volkes einzutreten«, und dies ist notwendigerweise zugleich der Entschluß, für den Wiederaufbau des Landes einzutreten. Denn »der jüdische Patriotismus« ist kein ideelles Gebilde, er ist »ein naturwahres Gefühl«, und weil er es ist, ist er eng verbunden mit der Erinnerung an Palästina und der Hoffnung für Palästina. Ein andrer Gedankengang führt zum gleichen Ergebnis. Nationale Wiedergeburt ist nicht ohne soziale Gesundung, heißt ohne Rückkehr zu einem auf produktiver Arbeit begründeten Gemeinschaftsleben möglich. Die erste Bedingung dafür aber ist »ein gemeinsamer heimatlicher Boden«. Ohne ihn sinkt der Mensch »zum Schmarotzer herab, der sich nur auf Kosten fremder Protektionen ernähren kann«. Hier ist schon der Grundschade der sozialen Struktur des Exiljudentums erkannt und mit ihm der Weg der Heilung durch den »weiten, freien Boden«, der kein andrer sein kann als der heimatliche, in dem die produktiven Kräfte des jüdischen Volkes verwurzelt sind und aus dem allein sie sich erneuern können. Aber noch wichtiger ist für Heß ein dritter Gedankengang, den wir freilich erst in einer bald nach »Rom und Jerusalem« in französischer Sprache verfaßten und das Buch ergänzenden Abhandlung zulänglich ausgesprochen finden und der wohl in all seinem Denken das Wichtigste ist. Wie der erste dieser Gedankengänge als Voraussetzung des zweiten anzusehen ist, so der zweite als Voraussetzung dieses dritten. Die wahren,

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die treuen Juden, sagt Heß, brauchen Erde, »Um das geschichtliche Ideal unseres Volkes zu verwirklichen, ein Ideal, das nichts anderes ist als die Herrschaft Gottes auf Erden«. Das Wort »la terre«, Erde, hat Heß hier beidemal, wie schon vorher an zwei Stellen, unterstrichen. Das messianische Ideal des Judentums, das will er mit dieser Hervorhebung zunächst sagen, ist kein jenseitiges, sondern ein irdisches: die Erde ist es, die zum Reiche Gottes werden soll; damit aber das jüdische Volk seine Aufgabe an der Errichtung des Gottesreiches erfüllen könne, braucht es Erde unter den Füßen, eigene Erde, ein Land, auf dem es ein selbständiges, durch Selbstbestimmung gottgemäßes Leben aufbaut, – es braucht dazu sein eigenes Land. Heß tritt hier der im Westjudentum seiner Zeit herrschenden Auflösung des festen und schlichten messianischen Glaubens in wesenlose Abstraktionen mit Macht entgegen, und sein Wort bleibt allen späteren Versuchen dieser Art gegenüber bestehen. Aber zugleich und mit nicht geringerer Wucht lehnt er damit auch alle nur-nationalistischen, die übernationale Aufgabe der jüdischen Nation verleugnenden, unmessianischen, gegenmessianischen Pläne der Restauration eines jüdischen Palästina als ein Staat wie alle Staaten ab. Schon Hessens erste Schrift, die »Heilige Geschichte der Menschheit«, war streng messianistisch gedacht, aber die messianische Aufgabe des Judentums war darin nicht erkannt. Im Anschluß an den großen prophetischen Christen des zwölften Jahrhunderts, Joachim von Fiore, sah Heß auf die Epoche des Vaters die des Sohnes und auf diese die des Heiligen Geistes folgen, die ideell mit Spinoza begonnen habe und mit der Begründung des »neuen Jerusalem« ihre soziale Verwirklichung finden werde, wo »Religion und Politik wieder eins werden«, und zwar solle das neue Jerusalem »im Herzen Europas« aufgerichtet werden. So hatte zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts der prophetische Dichter Englands, William Blake, die Erbauung Jerusalems »in England’s green and pleasant land« verkündigt und bald danach in dem Abschnitt »An die Juden« seiner Dichtung »Jerusalem« die Ansage dahin erweitert, Jerusalem solle »in every land« erbaut werden. Daß Heß nun in »Rom und Jerusalem« einem wieder in Palästina siedelnden jüdischen Volke eine besondere und fundamentale Aufgabe an der Begründung des Gottesreiches zuspricht, bedeutet nicht eine Schwächung seines Universalismus, sondern dessen Vertiefung durch die Wiederanknüpfung an den nationalen Universalismus der Propheten Israels. Wohl soll »Jerusalem« im Herzen Europas aufgerichtet werden, aber mit der Aufrichtung des ganz konkreten jüdischen Jerusalem muß begonnen werden; und dieses muß ein wirkliches Jerusalem, ein seine Wahrheit und Gerechtigkeit in die Welt hinaus ausstrahlendes Zion sein.

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Heß bestimmt genauer, worin er die »Verwirklichung des geschichtlichen Ideals unseres Volkes« in Palästina erblickt: in der Schaffung vorbildlicher sozialer Institutionen. »Das erste Gebot Gottes«, sagt er, »das er als Schöpfer der Rassen uns ins Herz gepflanzt hat, die Quelle und das Grundprinzip aller anderen, die unserem Volke zugefallen sind, ist, daß wir selber das Gesetz ausüben, das wir den Auftrag haben die anderen Geschichtsvölker zu lehren. Die größte Strafe, die uns dafür auferlegt wurde, daß wir von dem uns durch die göttliche Vorsehung vorgezeichneten Weg abgewichen sind, jene, die unser Volk stets am meisten niedergedrückt hat, ist, daß wir, seitdem wir das Land (la terre) verloren haben, Gott nicht mehr als Nation durch Institutionen dienen können, die in der Zerstreuung nicht fortgeführt und entwickelt werden können, da sie eine im Lande unserer Ahnen gestiftete Gesellschaft voraussetzen. Ja, das Land (la terre) ist es, was uns fehlt, um unsere Religion auszuüben.« Unsere Religion, das heißt eben, Hessens Grundanschauung gemäß, jene Religion, die mit der Politik unzertrennlich verbunden ist, – keine abgesonderte Sphäre aus Kult und Theologie, sondern die Welt eines Glaubens, dessen Sinn und Absicht es ist, in die soziale Lebenstat eines Volkes umgesetzt zu werden. In »Rom und Jerusalem« und den ergänzenden Abhandlungen erscheint uns Moses Heß als der erste religiöse Sozialist des Judentums. Noch deutlicher spricht Heß sich über die Funktion aus, die einer palästinensischen Siedlung im Zusammenhang der Erfüllung dieser Aufgabe durch das Judentum zukommen wird. »Auch wir«, antwortet er 1865 einem christlichen Autor, der eine Synthese von Hellas, Rom und Judäa forderte, »glauben an eine Auferstehung des Genius unserer Rasse, der nichts fehlt als ein Aktionszentrum, um das sich ein Kern von der religiösen Sendung Israels ergebenen Menschen sammeln könnte, um ihm von neuem die ewigen Grundsätze entspringen zu lassen, die die Menschheit mit dem Weltall und das Weltall mit seinem Schöpfer verbinden. Diese Menschen werden eines Tages einander in dem alten Gemeinwesen Israels wiederfinden. Die Zahl hat dabei nichts zu sagen. Das Judentum ist nie durch ein zahlreiches Volk vertreten worden; das goldene Kalb hat stets die größte Zahl angezogen, und nur ein Kern von Leviten hat auf seinem alten Herde das heilige Feuer unserer Religion bewahrt.« In dem Begriff eines Zentrums ist schon der bekannte Gedanke Achad-Haams vorweggenommen, der sich dabei auf Pinsker, aber nicht auf Heß beruft und dessen hier zitierte französische Abhandlungen offenbar nicht gekannt hat. Aber zwischen Pinskers Begriff eines »nationalen geistigen Zentrums« in Palästina, wie ihn Achad-Haam ausgebaut hat, und Hessens Begriff des »Aktionszentrums« besteht ein bedeutsamer

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Unterschied. Dort geht es um kulturelles Schaffen, hier um soziales Handeln; dort sollen »die Ruinen unseres Geistes« wiederaufgebaut und »unserem Volk die Ehre seines Namens und der ihm gebührende Ort im Tempel der menschlichen Kultur zurückerstattet« werden, hier ist das Ziel die Erneuerung der großen sozialen Ideen Israels durch Institutionen der Gemeinschaftlichkeit; dort soll das »Zentrum« auf die »Peripherie«, die Diaspora, dahin einwirken, daß »in allen Herzen der nationale Geist erneut« und »das Gefühl der nationalen Einheit in ihnen gestärkt« werde, es soll »die Geister von der Niedrigkeit der Galuth reinigen und das geistige Leben mit echtem und natürlichem geistigen Inhalt erfüllen«, hier soll es alle der Uraufgabe Israels Treugebliebenen aufrufen, sich um die große »Aktion« an der Verwirklichung der »ewigen Grundsätze« im eigenen Lande zu scharen und dadurch der Bereitung der messianischen Erfüllung voranzugehen. Achad-Haams Blick ist auf die Einheit des nationalen Geistes, der Hessens auf »die Einheit von Lehre und Leben« gerichtet. Diese Einheit, sagt er, »kann nur eine Nation, welche sich staatlich organisiert, in ihren sozialen Institutionen zur Wahrheit machen«. Wenn Heß auch der Frage nach der Zahl der an der »Aktion« Teilnehmenden eine wesentliche Bedeutung abspricht, so ist ihm doch gewiß, sie könne nur durch die Errichtung eines eigenen Gemeinwesens, durch »die Restauration des jüdischen Staates« glücken. Er rechnet nur eben damit, daß wie nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil die Mehrheit des Volkes in den Ländern ihrer Niederlassung verbleibt. Aber entscheidend für die Zukunft des Judentums und für die Erfüllung seiner Aufgabe an der Menschheit werden die sein, die hinübergehen und dort gemeinsam dem großen Werke dienen. Zur rechten Würdigung von Hessens Gedanken ist aber auch zu beachten, daß ihm Palästina keineswegs als ein bloß durch die Tradition gegebenes Land erscheint. Die zukünftige Bestimmung des jüdischen Volkes sieht er im Zusammenhang mit den besonderen geographischen Bedingungen Palästinas und der weltwirtschaftlichen Bedeutung, die es dank ihnen in unserem Zeitalter zu erlangen vermag. Palästina, »das geographische Zentrum der Kultur«, liegt »an der zukünftigen Straße nach Indien«. Für jüdische Ansiedlungen an dieser Straße »fehlt es weder an jüdischen Arbeitern noch an jüdischen Talenten und Kapitalien«. Das sind Hinweise, die wir nach fast drei Jahrzehnten in den Anfängen der modernen zionistischen Bewegung wiederfinden werden. Aber Heß bietet keineswegs, wie Herzl in seiner ersten Zeit, ein jüdisches Palästina als einen »Wall gegen Asien« an; er erwartet von ihm die Versöhnung »der heutigen okzidentalen Kultur mit der alten orientalischen«. Von beson-

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derer Wichtigkeit jedoch ist, daß Heß die Möglichkeiten, die sich aus der geographischen Lage Palästinas ergeben, im Zusammenhang der von urher bestehenden Zubestimmung dieses Landes und dieses Volkes füreinander betrachtet. Die Wiederverbindung beider, die er anstrebt, versteht er als endliche Erfüllung eines göttlichen Urgedankens: nur dieses Land kann aus diesem Volke entfalten, was in ihm angelegt ist, und ebenso kann nur dieses Volk aus diesem Land entfalten, was in ihm angelegt ist. Wenn Heß den Anteil eines jüdisch-palästinensischen Gemeinwesens an dem Aufbau einer kommenden Menschheit in so großen Dimensionen sieht, denkt er sich den Beginn der Arbeit doch bescheiden und die Entwicklung organisch. »Erlauben«, schreibt er, »die Weltereignisse, welche sich im Orient vorbereiten, einen praktischen Anfang zur Wiederherstellung des jüdischen Staates, so wird dieser Anfang zunächst wohl in der Gründung jüdischer Kolonien im Lande der Väter bestehen.« »Und ist nur erst«, sagt er an einer anderen Stelle, »unter dem Schutze europäischer Großmächte ein schwacher Keim gelegt, so wird der neue Baum des Lebens von selbst wachsen und Früchte tragen.« Die Voraussetzungen dafür sind: erstens »die Erwerbung eines gemeinschaftlichen vaterländischen Bodens« – worunter wirklicher Gemeinbesitz des Volkes am Boden zu verstehen ist –, zweitens »das Hinarbeiten auf gesetzliche Zustände, unter deren Schutz die Arbeit gedeihen kann« – der Begriff »Arbeit« ist hier in seinem vollen sozialen Sinn zu fassen –, und drittens »die Gründung von jüdischen Gesellschaften für Ackerbau, Industrie und Handel nach mosaischen, das heißt sozialistischen Grundsätzen«, in welcher knappen Formulierung der religiöse Sozialismus Hessens sich unmittelbar ausspricht. »Das sind«, fährt er fort, »die Grundlagen, auf welchen das Judentum im Orient sich wieder erheben und durch welche das ganze Judentum neu belebt werden wird.« Wenn man jeden der drei Punkte in seinem ganzen Ernst begreift, ist ihnen auch heute nur wenig hinzuzufügen. Über die Sprache des neuen Gemeinwesens hat sich Heß bald nach dem Erscheinen des Buches in einer »Mein Messiasglaube« betitelten Erwiderung an Leopold Löw, der es kritisiert hatte, geäußert und gegenüber der Vielfältigkeit der jüdischen Idiome, mit der Löw die Unmöglichkeit einer nationalen Wiedergeburt motivierte, das Wiederaufblühen der hebräischen Sprache in unserem Zeitalter betont. In diesem offenen Brief wird wohl am deutlichsten, wie in Hessens Palästina-Idee seine religiöse und seine sozialistische Anschauung miteinander verschmolzen sind. Löw hatte ihn gefragt, worin die von ihm angestrebte »Neugestaltung des ganzen sozialen Lebens« in einem regenerierten jüdischen Volk bestehen werde. »Von welchen Prinzipien wird sie geleitet werden? Welche Verfassung wird ihr als Ideal vorschweben?

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Darauf weiß der Herr Verfasser natürlich nicht zu antworten.« Heß erwidert: »Sollte es wirklich Ihrem Scharfsinn entgangen sein, daß mein ganzes Buch eine Beantwortung dieser Frage ist? Aus welchem anderen Grunde habe ich mich an das jüdische Volk gewendet, als weil ich die Überzeugung gewonnen habe, daß gerade dieses Volk berufen ist, die zukünftigen Institutionen, den ›Geschichtssabbath‹, den es zuerst verkündet hat, auch zuerst zu verwirklichen?« Und weiter: »Solange dieses Volk einen gemeinsamen Boden hatte, auf dem es seinen Geist frei entwickeln konnte, verwirklichen konnte, verwirklichte es ihn in Institutionen und einer Literatur, welche für die Gesamtmenschheit die Bürgschaft ihrer Vollendung enthält. Seit dem Untergange des jüdischen Staates konnte es nur das Geschaffene durch Observanzen heilig halten, welche einen rein konservativen Charakter haben. Es liegt kein Widerspruch darin, wenn ich den Geist der alten jüdischen Institutionen als Basis der zukünftigen betrachte, ihn darum durch Observanzen konserviert wissen will, welche sich nur an die alten Institutionen anschließen können, und dennoch glaube, daß gerade dieser Geist, wenn er sich wieder auf dem Boden der Väter frei entwickeln kann, die Macht haben wird, neue Gesetze nach dem Bedürfnisse der Zeit und des Volkes zu schaffen. Die konservativen Observanzen des Judentums haben nur für uns Juden eine Bedeutung, nämlich die, unsere Nationalität für zukünftige Schöpfungen zu konservieren. Diese dagegen werden, wie die alten, als freie Geistesproduktionen wieder einen direkten Einfluß auf die gesamte Menschheit haben.« Und auch in diesem wichtigsten Gegenstande bleibt Heß nicht beim Ideellen stehen, sondern schreitet zum organischen Gedanken fort. Ein Jahr nach dem Brief an Löw, am Ende des letzten seiner zehn »Briefe über Israels Sendung in der Geschichte der Menschheit«, und offenbar mit Bedacht an dieser abschließenden Stelle, erklärt Heß, wie er sich den Beginn der neuen Gesetzgebung denkt. »Wenn die ersten israelitischen Pioniere«, sagt er, »von unserem alten Vaterland Besitz ergreifen und es zu bebauen beginnen mit der laut eingestandenen Absicht, den Grund für eine politische und soziale Niederlassung zu legen«, dann wird auch die Stunde gekommen sein, »ein großes Sanhedrin zu erwählen, um das Gesetz gemäß den Bedürfnissen der neuen Gesellschaft abzuwandeln«. Es sieht fast so aus, als seien wir von der Erfüllung dieser zentralen Aufgabe heute weiter entfernt als die Generation des Mannes, der sie mit solcher Klarheit formuliert hat. Heß ist der erste, der in der Sprache der gegenwärtigen Welt den Urzusammenhang dieses Volkes und dieses Landes und den daraus sich in unserem Zeitalter ergebenden Auftrag umfassend dargelegt hat. Er war

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kein »Vorläufer«, sondern ein Beginner, freilich ein Beginner im Gedanken und im Wort, der starb, ehe die Bewegung auch nur ansetzte. Aber die zionistische Bewegung ist heute, fünfundsiebzig Jahre nach seinem Tode, noch nicht wirklich bei ihm angelangt.

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Die drängende Stunde (Über Leo Pinsker und Theodor Herzl) Von den zwei Schriften, von denen die moderne zionistische Bewegung ausgegangen ist, ist die eine, die »Autoemanzipation« Leo Pinskers, zwanzig Jahre nach Hessens »Rom und Jerusalem«, die zweite, Theodor Herzls »Judenstaat«, vierzehn Jahre danach erschienen. Geistesgeschichtlich aber gehören beide einer früheren Stufe an als Hessens Buch, wofern es erlaubt ist, die Krise des Liberalismus, dem sie entstammen, als »früher« anzusehen denn den ersten Aufstieg des Sozialismus, aus dem jenes hervorgegangen ist. Damit hängt die Tatsache zusammen, daß beiden die objektiv-geschichtliche und übergeschichtliche Fundierung fehlt, die wir bei Heß finden. Er ist – ohne der jüdischen und der allgemeinen Situation, in der er schreibt, fremd zu bleiben, – von Urzeit und Endzeit bewegt, sie von Not und Widerspruch der Stunde. Er redet von der Bestimmung Israels, sie von dem Verhältnis der Völker zu ihm. Mit anderen Worten: sein Sinn ist auf Aktion (Verwirklichung eines gerechten Gemeinschaftslebens), der ihre auf Reaktion (Befreiung von Antisemitismus) gerichtet. Die moderne zionistische Bewegung hat bei einer Verkürzung der Idee eingesetzt. »Autoemanzipation« ist den Schriften Hessens an diagnostischer Klarheit und Gewalt der Äußerung überlegen, »Der Judenstaat« ist ihnen weit überlegen an organisativer Durchdachtheit des Plans und seiner technischen Aufgliederung, aber der Horizont beider ist enger, vielmehr: ihr Blick dringt nicht bis dahin vor, wo Himmel und Erde einander begegnen, ja er versucht es nicht einmal, er empfängt das Gebot nicht, es zu versuchen. Trotz ihrer politischen Ausrüstung hat die moderne zionistische Bewegung zu wenig »Welt«, zu wenig Gefühl von Welt und Weltgeschichte auf ihren Weg mitbekommen. Pinsker, der Odessaer Arzt und Aufklärer, kurz nach 1820 geboren, und Herzl, der 1860 geborene Wiener Feuilletonist und Ästhet, stellen letztlich in ihrer geschichtlichen Funktion den gleichen Typus dar: den des aus der liberalistischen Sicherheit aufgeschreckten Juden. Pinsker ist durch die ersten Pogrome aufgeschreckt worden, Herzl entscheidend durch die Dreyfus-Affäre. Beiden ist die Geschichte die Geschichte ihrer selbst, das heißt die Geschichte ihres Volkes ist ihnen im wesentlichen

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nur in der Gestalt des Judenhasses, also in der Gestalt der »Anderen Seite« entgegengetreten; die eine Seite, ihre eigene Seite, ist ihnen kaum zum inneren Besitz geworden, hat kaum dazu beigetragen, ihr Leben zu formen. Aber mehr als das: beide, so gebildete Menschen sie waren, sind der Geschichte als Schicksal, der Schicksalskraft der Geschichte, kaum innegeworden; denn das eben heißt Liberaler von Grund aus sein: dem Magnetismus der Geschichte unzugänglich bleiben, wie viel man auch von ihr kennenlernt. Aus der Sicherheit aufgeschreckt, kehren sie nicht in die Geschichte ein, das heißt in den Sinn des Ungesichertseins, sondern sie brechen aus. Sie brechen aus, um sich ihre Gemeinschaft zu sichern. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß jeder von beiden, als er einem Freund seinen reaktiven Plan mitteilt, wie ein Nervenkranker behandelt wird: Pinsker, als er zu dem in seiner Sicherheit unerschütterten Rabbiner Jellinek in Wien mit den Worten gestürzt kommt: »Wir wollen ein Vaterland, eine Heimat, ein Stückchen Erde, auf dem wir menschlich leben können!«, Herzl, als er im verschlossenen Zimmer einem Mitjournalisten die Rede vorliest, die er an den von ihm geplanten Familienrat der Rothschilds richten will, die Rede, die »vom Gelobten Lande alles sagt, nur nicht, wo es liegt«. Charakteristisch ist der in den zitierten beiden Äußerungen liegende innere Widerspruch. Ein Volk oder ein Volksteil kann Einwanderungsland, Siedlungsland »wollen«, aber ein »Vaterland« kann man nicht »wollen«, man hat es oder man hat es nicht, man kann es verlieren und man kann es wiedergewinnen, aber man kann nicht »ein Vaterland«, ein unbestimmtes Vaterland »wollen«. Wer so spricht, ist der Aufgeschreckte, dem es nicht um Wiederherstellung eines geschichtlichen Zusammenhangs, sondern um einen Halt geht, nach dem er greifen möchte. Noch deutlicher wird der Sachverhalt bei Herzl. Ein »gelobtes«, das heißt verheißenes Land ist seinem Wesen nach ein ganz bestimmtes Land, auf das der Verheißende hinzeigt, und nicht eines, von dem man noch nicht sagen kann, wo es liegt. »Es gibt nur einen Ausweg: ins Gelobte Land!«, hat Herzl zwei Wochen vorher in Notizen zu einer Unterredung mit Baron Hirsch geschrieben. »Es existiert. Wir können es uns schaffen. Wir bauen uns eine neue Welt (ich weiß nicht: vielleicht in Argentinien).« Das ist Feuilletonstil, – ein Stil, heißt das, der geeignet ist, im Augenblick des Lesens (des feuilleter, des Blätterns) zu wirken, nicht aber eben, einem späteren nachprüfenden Denken standzuhalten. Natürlich kann man Siedlungen »schaffen« und »bauen«, und wenn man will, kann man ihnen auch, wie es christliche Siedler in Amerika und anderswo getan haben, biblische Namen geben; aber die Bezeichnung »Gelobtes Land« hat Anspruch auf Schonung seitens des Volkes, dem einst ein Land, ein ganz bestimmtes Land, »gelobt«

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worden ist. »Gelobtes Land«, das bedeutet Glauben an eine verheißende und gebende Macht; und die Kraft solchen Glaubens kann auch durch die begeistertste Planung nicht ersetzt werden. Herzl berichtet in seinem Tagebuch, der Kollege, dem er die Rede an die Rothschilds vorlas, habe ihm gesagt: »Das hat im vorigen Jahrhundert (der kleine Geschichtsschnitzer »im vorigen« statt »im siebzehnten« hat seinen Platz im Bild) einer zu machen versucht. Sabbatai!« Damals hörte Herzl anscheinend zum erstenmal von der pseudomessianischen Gestalt, rings um die die leidenschaftlichste Palästinabewegung der Diaspora entbrannte, und mit der er später – zu Unrecht – mehrfach verglichen worden ist. Das Tagebuch fährt fort: »Ja, im vorigen Jahrhundert war es nicht möglich. Jetzt ist es möglich – weil wir Maschinen haben.« Herzls Verehrung der Epoche der technischen Errungenschaft, in der er eine »köstliche Renaissance« sah, kommt hier zum stärksten Ausdruck. Aber wie der Zusammenbruch jener messianischen Bewegung nicht aus dem Mangel an Maschinen kam, so werden über den Enderfolg der zionistischen Siedlungsarbeit nicht die Maschinen, so nützlich sie auch sind, sondern die echte Glaubenskraft entscheiden. »Das Gelobte Land«, sagt Herzl in einer anderen Aufzeichnung, einen Tag vor jener Vorlesung, »ist dort, wohin wir es tragen!« Literarisch oder rednerisch betrachtet, ist das eine schön pointierte Äußerung, aber wahr ist sie nicht. Herzl begründet sie damit, jeder nehme »ein Stück vom Gelobten Lande in sich und mit sich hinüber. Der in seinem Kopf, der in seinen Händen und der dritte in seinen Ersparnissen.« Also sogar noch im Geldbeutel soll das »Gelobte Land« stecken! Mit so weitgehender »Säkularisierung« religiösen Wortguts wird es nicht bloß in eine fremde Welt versetzt, sondern ihm wird auch sein Lebenssaft entzogen. Ob innerhalb der religiösen Überlieferung oder außerhalb ihrer, es ist von entscheidender Wichtigkeit zu wissen, daß, was man für Volk und Land plant, nicht aus einer Erwägung, sondern aus einer Urbestimmung stammt. Gewiß, es kommt darauf an, selber zu beschließen und zu handeln, aber letztlich kommt es darauf an, als Ausführende eines Auftrags zu beschließen und zu handeln. Noch genauer erkennen wir das Wesen der Frage, die von den Anfängen der modernen zionistischen Bewegung an sie gerichtet ist, wenn wir die Entwicklung der beiden Männer als Zionisten betrachten. Pinsker hat jenes zu Jellinek gesprochene Wort in etwas eingeschränkter Formulierung in seine Schrift aufgenommen. Hier sagt er, »daß wir nirgends zu Hause sind, und daß wir endlich doch eine Heimat, wenn nicht ein eigenes Vaterland haben müssen«. Auf ein Vaterland muß man also unter Umständen Verzicht leisten, das Unentbehrliche ist eine

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»Heimat«. Der Verzicht auf das »Vaterland« kann in dieser Hervorhebung wohl nichts anderes bedeuten, als daß man bereit sein müsse, in der Wahl des Landes dem Zusammenhang mit den Vätern zu entsagen: Heimat, Heimatgefühl, heimatliche Geborgenheit könne man auch ohne diesen Zusammenhang besitzen. Achad-Haam hat in seiner hebräischen Übertragung der »Autoemanzipation« die Worte »eine Heimat« hier durch »irgendeinen uns vorbehaltenen Ort« wiedergegeben; das ist unrichtig, alle mit dem Wort »Heimat« verbundenen Assoziationen gehen dabei verloren. Pinsker meint wirklich ein Land, in dem man heimisch wird, sich heimisch fühlt. Das kann auch anderswo als im Vaterland geschehen. Es kommt darauf an, schreibt Pinsker in einem Brief ein Jahr nach dem Erscheinen der »Autoemanzipation«, alle unsere Kräfte einzusetzen, »um etwas einem eigenen Vaterlande Ähnliches zu schaffen«. Freilich wirft er in seiner Schrift kurz vor jener Stelle den Juden vor, die Vaterlandslosen seien im Lauf der Generationen vaterlandsvergessen geworden. »Ist es nicht endlich an der Zeit«, fragt er, »einzusehen, wie schimpflich dies für uns ist?« Aber er folgert daraus nicht, daß man sich auf den Zusammenhang mit dem Land der Väter zu besinnen habe; was not tut, ist »eine sichere Heimat«, »eine neue passende Wohnung«. Und nicht genug daran. Pinsker spricht von den ungeordneten und großenteils gescheiterten Siedlungsversuchen aus der Zeit, die unmittelbar auf die Pogrome folgte. »Das Volksbewußtsein«, sagt er, »entlud sich unter unsern Augen in der Masse der russischen und rumänischen Juden in der Form eines unwiderstehlichen Dranges nach Palästina. So verfehlt auch dieser Drang in seinen Resultaten sich erwies, so zeugt er doch für den richtigen Instinkt des Volkes, dem es klar geworden ist, daß es einer Heimat bedarf.« Es bekundet sich also ein »unwiderstehlicher Drang« des Volkes nach Palästina, aber dadurch ist für Pinsker nicht erwiesen, daß es eben das Volk nach Palästina drängt, sondern daß ihm klar geworden sei, »daß es einer Heimat bedarf«. Der geistvolle und hochherzige Mann ahnt gar nicht, was für einander widersprechende Sätze er da hintereinander hingeschrieben hat. Bei »Palästina« klingt für ihn offenbar etwas von Rückschritt, von Zurückgehen hinter die abendländische Zivilisation mit. Unter diesen Umständen kann es uns nicht wundernehmen, daß er sich auch unmittelbar gegen eine grundsätzliche Entscheidung für Palästina ausspricht. »Wenn wir nun um eine sichere Heimat besorgt sind«, sagt er, »so dürfen wir vor allem nicht davon träumen, das alte Judäa wiederherzustellen«. Man beachte dieses »vor allem«: zuallererst muß mit solcher Romantik aufgeräumt werden! Und nun weiter: »Nicht das ›heilige‹ Land soll jetzt das Ziel unserer Bestrebungen werden, sondern

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das ›eigene‹.« Die Spitze dieser Worte ist offenbar gegen die Orthodoxie als Faktor der Reaktion gerichtet, und in einem mit dem Mißbrauch des Heiligen wird das Heilige selber angegriffen. Und wieder weiter: »Dorthin wollen wir das Heiligste mitbringen, was wir aus dem Schiffbruch unseres einstigen Vaterlandes gerettet: die Gottesidee und die Bibel. Denn nur diese sind es, welche unser Vaterland zum Heiligen Lande gemacht, nicht etwa Jerusalem oder der Jordan.« Hier steht wie so oft die »Gottesidee« dem lebendigen Gott im Wege und die Bibel als Gesamtbesitz dem, was in der Bibel gesagt ist. Selbstverständlich hat nicht Palästina sich selber zum Heiligen Lande gemacht, aber was es zum Heiligen Lande gemacht hat, ist die Erwählung und Verheißung durch den lebendigen Gott, deren Urkunde die Bibel ist. Was soll es den Juden, irgendwohin eine Gottesidee, die sie durch Entfernung der Gottestat sterilisiert haben, und eine Bibel, die sie um ihren Inhalt erleichtert haben, als »das Heiligste« mitzubringen? Das Heiligste ist an Erinnerung und Hoffnung, an Ort und Begebenheit, an Dies-und-nicht-Jenes, Hier-und-nicht-Anderswo gebunden. Nun aber fährt Pinsker fort: »Möglicherweise könnte das Heilige Land auch unser eigenes werden. Dann um so besser …« Dieses »um so besser« klingt nach dem Vorangehenden etwas seltsam. Aber so geht es in der Wirklichkeit der Völkergeschichte, Gott sei Dank, ja nicht zu: man wählt nicht die zweckmäßigste oder erreichbarste unter verschiedenen Möglichkeiten, sondern man geht auf das Ziel seines Begehrens zu und setzt sein Leben ein, um dahin zu gelangen. »Es liegt in der Natur unserer Aufgabe«, sagt Pinsker, »daß wir als Gegengewicht gegen unsere Zerstreuung ein einziges Asyl besitzen.« Aber was soll denn die Einzigkeit dieses Asyls garantieren, wenn zwischen Volk und Land kein objektiver Zusammenhang besteht? Pinsker sieht in der in seinen Tagen entstandenen Spaltung zwischen der Tendenz zur Auswanderung nach Palästina und der zur Auswanderung nach Argentinien den »Todeskeim für die ganze Bewegung«. Aber wie könnte immer neue Spaltung vermieden werden, wenn jeweils die Zweckmäßigkeit befragt und ihre Auskunft befolgt wird? Freilich, wenn man Pinsker so von »jenen beiden in entgegengesetzten Weltgegenden liegenden Ländern« reden hört, »welche sich in der letzten Zeit den Rang streitig gemacht haben«, und sich voll vergegenwärtigt, daß das eine der beiden Erez Israel und das andere ein aus ganz zufälligen Gründen angeblich in Betracht kommendes Territorium ist, dann sieht man den »Todeskeim« unmittelbar vor sich, der zur Zeit Herzls den Namen Uganda und nach ihm den des Territorialismus angenommen hat. »Weit, sehr weit entfernt«, ruft Pinsker, »ist der Hafen, den wir mit der Seele suchen. Wir wissen zur Zeit noch nicht einmal, wo er sich befindet,

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ob im Osten oder im Westen. Dem tausendjährigen Wanderer jedoch darf kein noch so weiter Weg zu lang sein.« Pinsker spürt die Ironie nicht, die in dem von ihm verwendeten Zitat liegt. Es ist nicht ein unbestimmtes, nur eben dem Bedürfnisse entsprechendes Land, das Iphigenie mit der Seele sucht, – es ist das Land der Griechen, das einzige und unersetzliche. Und wenn der tausendjährige Wanderer noch immer nicht wüßte, wohin er wandert, dann könnte ihn keine Vergleichung der Chancen in Palästina und Argentinien darüber belehren. »Im wogenden Ozean der Weltgeschichte«, ruft Pinsker, »segelten wir ohne Kompaß, und einen solchen gilt es zu schaffen.« Auch dieses Bild ist nicht ganz glücklich: die Magnetnadel weist bekanntlich beständig in eine Richtung und kann daher eher der treuen Zionsliebe als dem »suchenden« Territorialismus als Gleichnis dienen. »Der uralte Gedanke, den ich in die Judenheit geworfen …«, schreibt Pinsker bald nach Erscheinen der »Autoemanzipation« in einem Brief. Aber der uralte Gedanke, den er meint, ist der der Ausschließlichkeit Zions und nicht der in seiner Schrift vertretene der Gewinnung eines eigenen Territoriums, von dem noch nicht feststeht, wo es sich befindet. Als Pinskers Gedanke – im Gegensatz zu der ihm im Westen entgegentretenden Ablehnung – in den Kreisen der Zionsfreunde Osteuropas begeisterte Zustimmung findet, läßt er sich von ihnen bewegen, Palästina als dem Wunschziel der Volksmassen den Vorzug zu geben, lehnt es aber ab, diese Bevorzugung zu einer grundsätzlichen zu machen. Wenn wir Pinskers Rede zur Eröffnung der Kattowitzer Konferenz – des ersten Versuchs einer Zentralisierung der modernen Zionsbewegung – vom 6. November 1884 mit öffentlichen und brieflichen Äußerungen aus ungefähr derselben Zeit zusammenstellen, ergibt sich uns als seine modifizierte Ansicht: 1. Grundsätzlich sollte ein Kongreß der Weltjudenheit über die Wahl des Landes entscheiden (diese Entscheidung gehört dazu, was in der »Autoemanzipation« »der nationale Entschluß« genannt wird). 2. Da aber die Juden des Westens sich ablehnend verhalten und ein Teil der Juden des Ostens indifferent, muß der Rest dieser, also der aktionsbereite Teil des Volkes für das Ganze stehen und sein Wille als Volksentscheidung gelten. 3. Dieser Wille oder, wie Pinsker es wiederholt formuliert, der »Volksinstinkt«, der »nicht irrt«, weil der aktionsbereite Teil des Volkes eben das wirkliche Volk ist, und nur das sich für das Volk realisieren läßt, was das wirkliche Volk will, tendiert eindeutig nach Palästina. Pinsker läßt noch erklären, daß er sich über diese Entscheidung des Volkes freue. Hier kehrt auf höherer Stufe jenes »um so besser« wieder. Aber man würde irren, wenn man annähme, daß Pinsker damit den Standpunkt der Zweckmäßigkeit aufgegeben und etwas

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von dem objektiven Zusammenhang zwischen Volk und Land erkannt hätte. Man darf nicht vergessen, daß er schon in der »Autoemanzipation« den »Instinkt des Volkes« »richtig« fand, weil ihm, dem Volke, klargeworden sei, »daß es einer Heimat bedarf«; wesentlich weiter ist er auch jetzt nicht. Darum lehnt er es ab, die in jener Schrift ausgesprochene Alternative in eine grundsätzliche Entscheidung für Palästina umzuformulieren: er wählt die Besiedlung Palästinas, weil sie realisierbar ist, und sie ist realisierbar, weil das Volk sie will, und das Volk will sie – ja, warum? Nun, weil es eben eine Heimat will. Und weil es eine Heimat will, ist seine Wahl der Heimat richtig, – eine andere Begründung ist bei Pinsker nicht zu finden. Darüber hinaus gibt es nur noch sein Gefühl: er freut sich über die Entscheidung des Volkes. Mit anderen Worten: er hat in sich ein Gefühl für Palästina entdeckt, das er mit dem Volke gemeinsam hat; aber woher dieses Gefühl kommt, ob es nur ein Produkt der Tradition oder der Ausdruck eines objektiven Zusammenhangs ist, an diese zentrale Frage rührt er nicht, und sie existiert für ihn offenbar nicht. »Waren wir bisher«, sagt Pinsker in seiner Kattowitzer Eröffnungsrede, »die Träger des Verkehrs zwischen Mensch und Mensch, so kehren wir zur Mutter Natur zurück, die dankbar die Hände segnet, welche sie bearbeiten, und unter den Menschen keinen andern Unterschied kennt als den des Geistes.« In der im hebräischen Protokoll enthaltenen Übersetzung der Rede steht an Stelle des zweiten Teils dieses Satzes: »Laßt uns heute zu unserer alten Mutter zurückkehren, dem Land, das in großem Erbarmen unser harrt, uns mit seinen Früchten zu speisen und mit seinem Gute zu sättigen.« Das spricht gewiß das Gefühl der Chowewe-Zion aus und das Pinskers als eines von ihnen, aber was Pinsker als Initiator und Führer gesagt hat, ist es nicht, und was er als Planer seines Plans gedacht hat, ist es nicht. Nach einer Reihe schlimmer Enttäuschungen, wie auf dem Gebiet der bescheidenen Siedlungsversuche so auch auf dem der Organisation – er hatte diesen »Kampf um die Ehre für unser edles, aber tief verkommenes Volk, mit unseren eigenen verkommenen Brüdern als Widersacher«, im wesentlichen schon nach der Veröffentlichung der »Autoemanzipation« vorausgesehen und ist, als es so kam, doch schwer enttäuscht worden – äußerte Pinsker sich im Gespräch resigniert dahin, Palästina sei nicht geeignet, Israel ein sicheres Asyl zu bieten, aber dessen Besiedlung sei nach Kräften zu fördern und zu erweitern; »in Palästina können und sollen wir ein geistiges nationales Zentrum gründen«. Die Äußerung ist uns in einem Aufsatz Achad-Haams überliefert, der unter den Hörern war, und man hat dessen Idee eines »geistigen Zentrums« darauf zurückgeführt. Aber gerade im wesentlichen Punkt gehen die Äußerung Pinskers

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und Achad-Haams Lehre auseinander. Jener liegt offenbar die Meinung zugrunde, für das notwendige Volksasyl müsse ein anderer Ort gesucht werden; Achad-Haam kennt keine solche parallele Tendenz und Tätigkeit. Demgemäß hat das Wort »geistig« bei Pinsker offenbar eine einschränkende Bedeutung – nicht das Asyl, das das Volk rettet, sondern nur ein Mittelpunkt seines geistigen Lebens –, bei Achad-Haam hat es keineswegs eine solche: sein Zentrum bedeutet die einzige Sammlung der Volkskräfte, und demgemäß ist es nicht wie bei Pinsker nur-geistig, sondern mit »geistig« ist hier gemeint, daß seine Wirkung auf die Peripherie keine äußere, politische, sondern nur eine innere, sittliche und kulturelle, sein kann. Wesentlich stärker tritt das persönliche Entwicklungsmoment bei Herzl hervor, was natürlich nicht bloß aus der Verschiedenheit der Temperamente, sondern auch aus der der Lebensalter zu erklären ist. Wie für Pinsker, so ist es für Herzl zunächst nur eine Frage der Zweckmäßigkeit, welches Land gewählt werden soll. In der Zeit der Entstehung der »Judenstaat«-Schrift wägt er immer wieder gegeneinander ab, was für und was gegen Palästina spricht. Für: daß es »der unvergessene Stammsitz unseres Volkes war«, daß »der Name allein schon ein Programm wäre«, und daß »es die unteren Massen stark anziehen könnte«, – zusammenfassend: »die mächtige Legende«. Gegen: erstens, daß die meisten Juden keine Orientalen mehr seien und sich an ganz andere Himmelsstriche gewöhnt hätten; zweitens, daß eine Siedlung in Palästina sich nicht genügend ausbreiten könne; drittens, »Europa ist zu nahe, und im ersten Vierteljahrhundert unseres Bestandes müssen wir für unser Gedeihen vor Europa und vor dessen Kriegs- und sozialen Verwicklungen Ruhe haben.« Das bedeutet: für Palästina sprechen Gründe der Propaganda – man kann mit der Parole eher eine Massenbewegung erwekken, gegen es sprechen Gründe, die in der Sache selbst liegen, – es ist als Siedlungsland nicht durchaus geeignet. »Im Prinzip« ist Herzl damals – so will er es den Rothschilds sagen – »weder gegen Palästina noch für Argentinien«; aber aus der Verteilung der Worte »gegen« und »für« in diesem Satze geht deutlich hervor, daß er in diesem Zeitpunkt mehr nach Amerika tendiert. Und wenn in demselben Entwurf kurz vorher zu lesen ist: »Ich dachte eine Zeitlang an Palästina«, so kann das nicht anders verstanden werden, als daß es im Augenblick der Niederschrift für seinen Gedanken zumindest nicht mehr in erster Reihe stand. Wohl verzeichnet er kurz vorher als eine der ersten Aufgaben »Unterhandlungen mit Zion«, aber es handelt sich hierbei offenbar lediglich um Besprechungen mit den schon vorgefundenen Zionisten, um sie für die neue Bewegung zu gewinnen.

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Acht Monate nach diesen Tagebuch-Aufzeichnungen erscheint »Der Judenstaat«. Hier ist das Gleichgewicht wiederhergestellt, nur daß von Argentinien im nüchternen Ton der Chancenberechnung, von Palästina mit pathetischer Betonung seines Gefühlwerts gesprochen wird. »Palästina ist unsere unvergeßliche historische Heimat. Dieser Name allein wäre ein gewaltig ergreifender Sammelruf für unser Volk.« Im Wandel der Stimmungen ist Palästina nun wieder stärker in den Vordergrund getreten (wir wissen nicht, auf welche Einflüsse dies zurückzuführen ist), aber die Verteilung der Motive ist die gleiche geblieben. Für Argentinien werden sein Reichtum, sein Flächeninhalt, seine dünne Bevölkerung, sein gemäßigtes Klima angeführt, für Palästina doch wieder nur sein Gefühlswert, und das heißt in diesem Zusammenhang: sein Wert für die Massenpropaganda. Die Frage nach der objektiven Qualifikation Palästinas wird ja nicht aufgeworfen, geschweige denn die nach dem Zusammenhang zwischen Volk und Land, der jenen Gefühlswert begründet hat und erhält. Die Veröffentlichung seiner ersten Äußerungen über seinen Plan und sodann die der Schrift bringen Herzl mit der Chowewe-Zion-Bewegung, also mit der konkreten Tendenz nach Palästina in Verbindung. Daß von allerorten Gruppen und Persönlichkeiten seinen Plan begeistert als die Tat ansehen, die der Idee den politischen Gehalt gebe und die politische Gestalt sichere, wirkt mächtig auf ihn ein. Dabei ist die Stellungnahme im östlichen und die im westlichen Judentum erheblich verschieden. Die des Ostens bestätigt ihm die propagandistische Bedeutung der PalästinaParole; die des Westens aber bringt ein Neues, sie belehrt ihn über die besondere Eignung Palästinas. Schon vor dem Erscheinen der Schrift hat der Besuch Londons, wo er seinen Plan zum erstenmal einem größeren Kreis vorträgt, in dieser Richtung gewirkt. Hier hörte er von zuständigen Menschen, daß Palästina »ein großes Hinterland« habe, daß an ein »größeres Palästina« zu denken sei, und zugleich daß Argentinien ungünstig sei und »daß nur Palästina in Betracht kommen könne«, daß »die frommen Christen Englands helfen würden, wenn wir nach Palästina gingen«, und so fort; Herzl »steht plötzlich in einer anderen Welt«. Auch über die Aussichten hörte er von namhaften Persönlichkeiten des englischen Judentums manches Positive, etwa wenn der alte Sir Samuel Montagu äußerte, »man könne dem Sultan zwei Millionen Pfund für Palästina bieten«; dieser Betrag von zwei Millionen kehrt später in der Geschichte der zionistischen Bewegung wieder, zuerst in den Verhandlungen mit Konstantinopel und dann als Aktienkapital der Jüdischen Kolonialbank. All dies beeinflußt Herzl stark zugunsten Palästinas, zumal es aus England kommt, das ihm von Jugend auf imponiert hat. Zwar ändert

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er offenbar nichts mehr in dieser Richtung in der zur Zeit der Londoner Reise im wesentlichen schon abgeschlossenen Schrift, aber der Einfluß der englischen Atmosphäre wirkt sich nachhaltig aus. Nach dem Erscheinen des »Judenstaats« ist nicht die Rede mehr von einer erst zu treffenden Landwahl; die Entscheidung, die in der Schrift als eine nach genauer Prüfung aller Umstände zu erfüllende Aufgabe der Zukunft behandelt wird, ist, als jene erscheint, bereits gefallen. Aber die Gründe, die Herzl jetzt der Öffentlichkeit und wohl auch sich selber gegenüber für Palästina anführt, haben sich kaum geändert. Es ist im wesentlichen das alte Motiv: der Gefühlswert, den das Land für die jüdischen Massen besitzt. Nur die Formulierung hat an Konkretheit gewonnen. »Was dem Baron Hirsch in Argentinien nicht gelang«, sagt Herzl in dem ersten seiner polemischen Aufsätze, mehr als ein Jahr nach Erscheinen des »Judenstaats«, »das gelingt in Palästina. Warum? Weil ›Nationaljudentum‹ den alten Boden düngt … Ein Land, aller Kulturen fähig, mit langruhenden Bodenschätzen und doch für andere nichts wert, weil andere nicht die befruchtenden Menschenströme hinzuleiten vermögen, die dem Zionismus gehorchen.« Undeutlich bleibt hier freilich noch, ob sie ihm seiner Meinung nach nicht etwa auch gehorcht hätten, wenn die Entscheidung für ein Zion in Argentinien gefallen wäre; undeutlich bleibt hier, ob Herzl im wesentlichen den Gefühlszusammenhang des Volkes mit Palästina meint oder im wesentlichen den nationalpolitischen Charakter seines Plans. Präziser drückt er dies später in einer polemischen Rede, ein Jahr nach dem Erscheinen des »Judenstaats«, aus. »Wir meinen«, sagt er, »daß dieses Land sich besonders eignet, weil wir durch ein ideales Band noch immer mit ihm verbunden sind.« Aber auf welcher Realität ist die Idealität dieses Bandes begründet? Auf einer Überlieferung, auf einer Erinnerung, oder auf mehr, nämlich auf einem geschichtlich-objektiven Zusammenhang, der heute noch ebenso real ist wie je? Nur einmal, wieder nach einem halben Jahr, in der Eröffnungsrede des zweiten Zionistenkongresses, geht Herzl einen Schritt weiter. »Freilich ist der, welcher für uns taugt«, sagt er, »ein Bauplatz von besonderer Art … Auf diesem Boden, auf dem jetzt so wenig wächst, sind Ideen für die ganze Menschheit gewachsen. Und gerade darum wird niemand leugnen können, daß eine unverjährbare Beziehung zwischen unserem Volk und diesem Lande besteht.« Der Anspruch des Volkes Israel auf das Land Israel beruht somit auf der Produktivität ihrer ersten Begegnung. Es bedurfte nur noch eines weiteren Schrittes, und Herzl wäre vor dem geschichtlich-übergeschichtlichen Problem dieser Produktivität gestanden, vor dem Problem ihres Ursprungs und damit zugleich

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vor dem Problem einer Bestimmung. Diesen Schritt hat Herzl nicht getan, und er konnte ihn wohl nicht tun. Am Schluß der Kongreßrede heißt es: »Wir streben nach unserem alten Land.« Aber acht Wochen vorher schreibt Herzl in sein Tagebuch: »Ich denke daran, der Bewegung ein näheres territoriales Ziel zu geben, unter Beibehaltung Zions als Endziel. Die armen Massen brauchen sofortige Hilfe, und die Türkei ist noch nicht so verloren, daß sie auf unsere Wünsche einginge … Sie werden sagen, sie dächten nicht daran, uns Palästina zu geben. So müssen wir uns für ein zunächst erreichbares Ziel unter der Zionsfahne, unter Aufrechthaltung aller unserer historischen Ansprüche organisieren. Wir können vielleicht Zypern von England verlangen und selbst Südafrika oder Amerika ins Auge fassen – bis zur Auflösung der Türkei. C’est encore à creuser profondément. Mit Nordau vor dem Kongreß besprechen.« Aus den letzten Worten geht hervor, daß Herzl erwog, ob er nicht schon dem Kongreß, etwa in der Eröffnungsrede, eine Mitteilung in der angedeuteten Richtung machen sollte. Das ist dann nicht geschehen, und in den nächsten Jahren danach hat er wohl noch an Zypern, als Sprungbrett nach Palästina, aber anscheinend weder an Amerika noch an Südafrika als Siedlungsland gedacht. Daß er sie jedoch in jener Tagebuchaufzeichnung nannte, ist zum Verständnis der inneren Haltung Herzls, wie auch zu dem seiner späteren Stellungsnahme zum Uganda-Projekt, von Wichtigkeit. Um was es ihm stets zu tun ist, ist die baldige Ausführung seines Siedlungsplans als Antwort auf die Not der Massen, auf die »Judenfrage«, wie sie bedrängend und drängend in der Situation der Stunde erscheint; dieses »Refugium« muß so schnell wie möglich da geschaffen werden, wo es geschaffen werden kann. An diesem beherrschenden Antrieb hat sich seit der Abfassung des »Judenstaats« nichts geändert. Aber Herzl will und kann seinen Plan nun nicht mehr anders als »unter der Zionsfahne« ausführen. Er kann es nicht, denn die Volksbewegung, die er führt, ist auf dem Zionsgedanken gegründet und würde ohne ihn ihre Einheit und Mächtigkeit verlieren, aber er will es auch nicht, denn das Sinnbild »Zion« hat ihm das Herz überwältigt, und seine eigene Sache ist davon nicht mehr zu trennen. Er ist nicht bloß mit den Massen, sondern auch mit der Tiefe der Geschichte – ohne beide recht eigentlich zu kennen – einen Bund eingegangen, der unauflösbar ist. Der Zusammenhang von Volk und Land, mit dem er sich nicht befaßt, wirkt auf ihn ein. In den nächstfolgenden Jahren weist er erneut auf das »ideale Moment« (1899), das für Palästina spricht, auf dessen »ideale Anziehungskraft für die Massen« (1900) hin. Mit seinem Bewußtsein bleibt er durchaus bei der Idealität stehen. Aber die verbor-

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gene Realität, die sich in dieser Idealität nur spiegelt, kommuniziert mit ihm, ohne daß er’s weiß. Die Macht des Sinnbilds – nicht des propagandistisch verwendbaren Scheinsymbols unserer Tage, sondern des echten, in dem die verborgene Wirklichkeit sich sinnlich darstellt – über Herzls Gemüt tritt am deutlichsten in dem Tendenzroman »Altneuland« hervor, den er von 1899 bis 1902 geschrieben hat. Als Roman ist das Buch wertlos, aber es ist ein bedeutendes Dokument einer Person und einer Sache, ja der innigen Verbindung einer Person mit einer Sache. Herzl hat schon zur Zeit der Entstehung des Judenstaat-Plans sich mit dem Gedanken getragen, ihm die Form eines Romans zu geben, der Das Gelobte Land heißen sollte (man muß dabei an die eigenwillige Freiheit denken, mit der er damals mit diesem Begriff umging); und in seltsamer Weise lösen einander politischer Entwurf und utopische Literatur, die Sphäre der Tat und die der Fiktion ab. »In den Aufschreibungen«, vermerkt er selber im Tagebuch über die vorangehenden Eintragungen, »ist der Judenstaat bald als Wirklichkeit, bald als Romanstoff gedacht.« Zwischendurch erscheint es ihm als »Rätsel«, wie er »von den Romanideen zu den praktischen kam«; dann nämlich, wenn er fest an die Verwirklichung seines Plans glaubt. Sooft aber die Befürchtung vorwiegt, man werde ihn nicht ernstnehmen, wendet er sich wieder bewußt der Literatur zu; »nun denke ich«, schreibt er, »wieder stark an den Roman, weil ja wahrscheinlich allen mein Plan als Phantasie vorkommen wird.« Dieses für den Mann – der ohne eigentliche dichterische Gaben eine große und wirksame Phantasie besaß – charakteristische Auf und Ab wiederholt sich einige Jahre später, als er an »Altneuland« arbeitet. Je nach dem Stand der Realisierungsmöglichkeiten oder seiner Vorstellung von ihnen wendet er sich der Arbeit an dem Roman zu oder von ihr ab. Wenn »das kategorische Nein« aus Konstantinopel käme (auch das trägt er ins Tagebuch ein), würde er den Roman weiterschreiben, »denn dann ist unser Plan nur Zukunft und Roman« (was nicht gegenwärtige Verwirklichungschance ist, ist für ihn schon Roman). Steigen die Aussichten wieder, dann läßt er den Roman wieder liegen, »der immer schlechter und lustloser wird, je länger er liegt«. Schließlich aber heißt es: »Die Erfolgshoffnungen im Praktischen sind zerflossen. Mein Leben ist jetzt kein Roman. So ist der Roman mein Leben.« Was er eigentlich braucht, ist, daß sein Leben »ein Roman« sei; das Romanschreiben ist nur Ersatz dafür. (So hat er sich einst, als er die Rede an den Familienrat der Rothschilds entwarf, als »Dramatiker« gefühlt). Weniger als sieben Wochen danach ist »Altneuland« beendet. Daß das Romanschreiben Ersatz war, hat auf den literarischen Wert des Buches ungünstig eingewirkt; daß Herzl aber alles hineinwarf,

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was er zu verwirklichen wünschte und nicht verwirklichen durfte, hat ihm den großen dokumentarischen Wert verliehen. Man hat »Altneuland« nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß es keinen national-kulturellen Gehalt habe. In der Tat war es Herzl von je nicht um die nationalen Besonderheiten, sondern um die allgemeine völkerverbindende Humanität zu tun, wobei er freilich nicht hinreichend erkannte, daß eine neue, der Problematik unserer Zeit standhaltende Humanität nur noch aus Zusammenwirken der nationalen Besonderheiten, nicht aus ihrer Ausgleichung kommen kann. Er hat dies nicht hinreichend erkannt; dennoch ist seine Humanität, die aus dem Buche spricht, keine flache und keine abstrakte, es ist die Humanität des den Völkern gemeinsamen Strebens nach dem wahren Leben. Die im Buche geschilderte Gemeinschaft heißt »die neue Gesellschaft«; in dem Brief, mit dem er es an den Großherzog von Baden sendet, sagt er: »Von einer neuen Gesellschaft ist in dem Buche die Rede. Ich glaube, daß alle Völker immer auf dem Wege nach einer neuen Gesellschaft sind.« Das ist kein anationaler Ausspruch, sondern ein national-humanistischer, der vielleicht unter allem, was Herzl geschrieben hat, dem Vermächtnis der Propheten Israels am nächsten kommt. Aber auch das National-kuturelle war ihm nicht so fremd, wie es den Anschein hat. Dafür zeugt eine merkwürdige Tagebuch-Eintragung vom März 1898 über einen – unausgeführt gebliebenen – Entwurf eines dreibändigen Romans; darin wollte Herzl erzählen, wie ein Wiener jüdischer Journalist eine korruptionsfreie Tageszeitung mit deutschnationaler Tendenz gründet, wie das Unternehmen nach anfänglichem Erfolg zusammenbricht und der Held entehrt Wien verläßt; »aber er hat Zion entdeckt«, und er besteigt das Schiff, um nach Palästina zu fahren. Dazu verzeichnet Herzl: »Im ersten Band hört der Held von einer kleinen verrückten Rotte von Neuhebräern (Smolenski, Bierer), die ihm wie wunderliche Asiaten vorkommen. Ab und zu taucht eine Note der im Dunkel wachsenden Schar auf, bis in dem Schluß des Romans ihr heller Siegesgesang als großer Akkord aufschlägt.« Diese unverwirklichte Möglichkeit darf nicht unbeachtet bleiben, wenn man ein gerechtes Bild des außerordentlichen Mannes und seiner geistigen Welt gewinnen will. Aber auch in »Altneuland« ist etwas eingegangen, was für die tiefere Beziehung Herzls zum Judentum zeugt; es ist eben das, wovon ich sagte, daß die Macht des Sinnbilds über sein Gemüt darin hervortritt. Ich meine den Abschnitt, wo eine Rede gegen jene Tendenzen der »Assimilation« berichtet wird, die Zion zu einem Begriff ohne konkrete geographische Fundierung, ja zur Phrase degradierten, die verlangten, man solle »unter Zion etwas anderes verstehen als Zion – alles andere, nur das eine, wahre nicht«. In derselben Rede aber wird

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das Volk gewarnt, von dem Grunde zu lassen, auf dem die »neue Gesellschaft« aufgebaut sei, von dem Grunde der Menschenliebe. »Zion ist nur dann Zion«, wenn dieser Grund bewahrt wird. In dem ersten Teil der Rede war das konkrete geographische Zion gegen jede spiritualistische Verflüchtigung verteidigt worden; hier aber, am Ende, wird die notwendige Ergänzung gegeben: dieses konkrete geographische Zion ist nur dann wahrhaft Zion, wenn es den prophetischen Sinn verwirklicht, der einst den Namen erfüllt hat, wenn also sein neuer Bau auf der Menschenliebe errichtet ist. Hier hat sich Herzls Nationalhumanismus rein entfaltet. Ja, alle Völker sind immer auf dem Wege nach einer neuen Gesellschaft; aber innerhalb dieses den Völkern Gemeinsamen gibt es eine eigentümliche jüdische Ausprägung, der eine besondere Bedeutung für das Werden einer wirklichen Menschheit zukommt; diese Ausprägung ist es, die Zion genannt wird. In diesem Namen, dessen Sinnesfülle in vielen Geschlechtern der Volksgeschichte erwachsen ist, spricht sich der spezifische Zusammenhang zwischen diesem Volke und diesem Lande aus. Zu ihm bekennt sich, wer wirklich ein »Zion-Liebender«, wer wirklich ein »Zionist« ist. Erst von hier aus ist auch die innerste Absicht des Romans »Altneuland« zu erfassen. Aber, wie gesagt, dieser Roman ist vollendet worden, weil »die Erfolgshoffnungen im Praktischen zerflossen waren«, vielmehr weil sie Herzl zerflossen schienen, für den ja »Erfolg« mit politischem Erfolg, mit der Schaffung politischer »Bedingungen« vor der Schaffung kolonisatorischer »Dinge« identisch war. Die Inkongruenz zwischen den Erfolgsaussichten in diesem Sinn und der drängenden Judennot wird Herzl nun spürbarer als je. Es ist nicht eine diplomatische Redensart, sondern der Ausdruck seiner wirklichen Empfindung, was er, kurze Zeit nach dem Erscheinen von »Altneuland«, zu Joseph Chamberlain sagt, dem er in vorsichtiger Weise von der Stockung in den Konstantinopler Verhandlungen erzählt, um Zypern und die Sinai-Halbinsel von ihm zu erbitten: »Now I have time to negociate, but my people has not. They are starving in the pale. I must bring them an immediate help.« Er muß helfen, er. Die Judennot hat ihn einst berufen, und in den sieben Jahren ist ihr Ruf lauter, nicht leiser geworden. Was ist Zion, wenn es nicht um ihretwillen da ist? Er, Theodor Herzl, muß zu seinem Werke kommen, – gewiß auch weil nur es ihn aus der Scheinwelt seiner Schriftstellerei erlöst, aber mehr noch, weil er eben damit die Juden aus ihrer Not erlöst, wie er sie zuinnerst kennt, der nämlich, die er einst als Student unter den deutschen Studenten so tief empfunden hat. Er mag auch ahnen, daß ihm keine lange Lebensspanne mehr zugemessen ist; »man’s life is short«, sagt er später zu Chamberlain. Jedenfalls – nun weiß er, daß er muß. Es

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kann, es darf keinen Widerspruch zwischen diesem »Muß« und »Zion« geben. Herzl hat seit jener Tagebuch-Eintragung: »Ich denke daran, der Bewegung ein näheres territoriales Ziel zu geben, unter Beibehaltung Zions als Endziel« vier Jahre zugewartet, auf die wechselnden Konstantinopler Chancen spähend (in Wahrheit wechselten sie gar nicht, es gab dort für sein Programm keine, man spielte mit ihm); jetzt wird es Ernst damit. Im September 1902, vor der Unterredung mit Chamberlain, lehnt er es noch ab, Südafrika in Betracht zu ziehen; im April 1903, im zweiten Gespräch mit dem Minister, als ihn dieser auf Uganda hinweist und sagt: »Da habe ich mir gedacht, das wäre ein Land für Dr. Herzl, aber der will ja nur nach Palästina oder in dessen Nähe gehen, und zwar aus einem sentimental motive«, antwortet er noch: »Ja, ich muß« (auch von dieser Seite ist das Muß noch geblieben) und fährt fort: »Die Basis müssen wir in oder nächst Palästina haben. Später können wir auch Uganda besiedeln«; aber einen Monat darauf, da die Aussicht auf Zypern schwindet und auch das Schwinden der Aussicht auf El-Arish sich ankündigt, zeigt er sich geneigt, auf einen ostafrikanischen Vorschlag einzugehen, denn »der Notstand unseres Volkes drängt zu einer schnellen und großen Aktion«. Und wie bei ihm jeder Schritt, den er getan hat, die Weihe der grundsätzlichen Entscheidung erhält, jede Entschließung, sei es auch erst nach ihrem Vollzug, durch einen Plan unterbaut wird, so spinnt er auch nun, um seine Stellungnahme vor Zion und vor seinem eigenen Zionsgefühl zu begründen, Gedanken von einer unheimlichen Großzügigkeit aus. Am präzisesten ist das neue System in Briefen an Max Nordau vom Juli 1903 dargelegt. »Wir müssen«, schreibt Herzl, »die Politik dieser Stunde machen.« Es ist die Stunde von Kischinew. Die Nachrichten über den Pogrom – »die beklagenswerten Ereignisse von Kischinew«, wie es in einem Brief Herzls an Plehwe aus den Tagen des Uganda-Angebots heißt – haben die Judenheit der Welt aufgerührt. Herzl hört die Minutenschläge dieser Stunde: sie hat erst begonnen. »Kischinew ist nicht zu Ende«, hat er an Lord Rothschild geschrieben, und jetzt schreibt er an Nordau: »Wir müssen eine Antwort auf Kischinew geben, und dies ist die einzige.« Wir müssen – hier kehrt jenes Müssen in der aktuellsten Gestalt wieder. »Dies« aber, die einzige Antwort, das heißt die einzig mögliche, ist: die Errichtung des Judenstaats mit der Gründung von Tochtersiedlungen »anderswo« zu beginnen. Mit anderen Worten: »ein umgekehrtes England im Kleinen«, oder: »der umgekehrte Aufbau eines Englands in der Westentasche«. Die erste dieser Kolonien, auf denen das Mutterland aufgebaut werden soll, könnte in Ostafrika sein; aber auch in anderen Weltteilen sollen solche »Nester und Kraftstationen für den Zionismus« errichtet werden;

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so könnte sich »ein Charter in Argentinien als zweite Kraftstation ergeben«. Auch Marokko und andre Gebiete werden in Aussicht genommen. Die räumliche Entfernung der Kraftstationen voneinander wird irrelevant; wo begonnen wird, ist unerheblich. »Es ist eine Opportunitätsfrage, wo wir die ersten Piloten (Herzl meint die pilotaggi, die Pfahlwerke, auf denen Venedig ruht) in die Lagune rammen, wenn wir uns nur darüber klar sind, welches Haus wir auf die Unterlage setzen. Dies ist der Judenstaat. Auf den war und bin ich aus. Erez Israel wäre natürlich wunderherrlich, um anzufangen. Geht’s aber da nicht, so muß anderswo angefangen werden.« Erez Israel, sagt Herzl, wäre wunderherrlich, »um anzufangen«. »Judenstaat« bedeutet also jetzt für ihn Palästina mitsamt etlichen Kolonien in aller Welt; wenn der Bau dieses komplizierten Staatsgebildes nicht mit dem Zentrum begonnen werden kann, dann muß er eben irgendwo an der Peripherie beginnen. Dieses Umstellen Palästinas mit einem weiten Ring von »auf nationaler Grundlage« errichteten Judenländern, bis man von ihnen aus zu ihm vordringen können wird, ist »der neue Weg des Zionismus«. Mit der altgewohnten Vorstellung, die Fundamente des Baus nicht anderswo als in Palästina legen zu können, muß aufgeräumt werden, denn »wir sind die Macher der Formeln, aber nicht ihre Gefangenen«. »Dieser britisch-ostafrikanische Anfang ist politisch ein Rischon le-Zion, sicherlich näher zu Zion, als was Edmund errichtete.« »Bedingungen« anderswo, wenn der Ort auch von Palästina so weit entfernt und ihm so wesensfremd wie Uganda ist, sind mehr als »Dinge« in Palästina. Damit wird Herzls Überschätzung der politischen Aktion gegenüber der kolonisatorischen auf die Spitze getrieben, sein Mangel an Verständnis der großen geschichtlichen Tatsache gegenüber, daß Politik im wesentlichen nicht die Funktion hat, Zustände zu ändern, sondern die geschehenen Veränderungen zu registrieren und zu sanktionieren. Diese nur politische Perspektive verflüchtigt, gewiß gegen Herzls Willen, das lebendige Sinnbild Zion, dessen Macht er an sich selber erfahren hatte, das Sinnbild, in dem die verborgene Wirklichkeit sich sinnlich darstellt, zum politisch-propagandistischen Scheinsymbol unserer Tage. Der »neue Weg« geht von einem politischen Mythus aus. Der phantasiekühne Theodor Herzl meint und sagt: »Dieser Weg wird nach Zion führen«; aber die Realität dahinter, das heißt die Realität, die zur Herrschaft gelangt wäre, wäre der Ugandaplan oder ein ähnlicher verwirklicht worden, heißt: Man verhält sich, als ob dieser Weg nach Zion führte. Gewiß ist landwirtschaftliche Ansiedlung von Juden in aller Welt sowohl an sich wie im Zusammenhang mit dem Palästinawerk höchst wichtig, aber bauen kann man Zion nur von Zion aus. »Unser Hilfs- und Gegenwartsprogramm«, schreibt Herzl

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an Nordau, »ist die öffentlich-rechtlich gesicherte Ansiedlung eventuell anderswo, natürlich unter Hochhaltung, höher als je! der Zionsfahne, unter der wir uns und unsere Kräfte sammeln.« Herzl sagt und meint: »der Zionsfahne«, aber die Wirklichkeit, die von dieser Fahne gedeckt würde, wäre nicht mehr die Zions, sondern die des Judenstaates. Und es fehlt Herzl auch keineswegs das Bewußtsein der Wendung, die er vollzieht oder vollziehen will, – nur daß er diese Wendung einfach als Rückkehr zu seinem ursprünglichen Judenstaatsplan und diese einfach als Aufhebung der durch das zionistische Programm vorgenommenen Modifizierung des Plans sieht. »Wir stehen damit«, schreibt er an Nordau, »noch oder wieder auf dem Judenstaats-Programm-Boden, das wir aus Opportunitätsgründen für Palästina ein bißchen verdünnten.« Aber daß die Vornahme dieser Wendung notwendigerweise das Aufgeben jener innersten Wirklichkeit von Volksgeschichte und Volksbestimmung bedeuten würde, auf die der Name Zion hinweist, merkt er nicht. Wenn er am Schluß des Uganda-Kongresses das Psalmgelübde »Wenn ich dein vergesse, Jerusalem« mit erhobener Hand, wie einen bindenden Schwur nachspricht, ist das gewiß keine leere Beschwichtigungsgeste, sondern Ausdruck der Wahrheit seines Herzens; aber nach der Schlußsitzung des Kongresses gesteht er den Freunden: »Der Riß geht mitten durch meine Person hindurch.« In dem »Brief an das jüdische Volk«, den er zehn Wochen danach entwirft, spricht er es noch genauer aus. »Der Weg spaltet sich«, so beginnt der Brief, »und die Spaltung geht mitten durch des Führers Brust.« Und weiter heißt es darin: »Kommt es zur Spaltung, so bleibt mein Herz bei den Zionisten und mein Verstand bei den Afrikanern. Das ist ein solcher Konflikt, daß ich ihn nur durch meinen Rücktritt lösen kann.« Aber so einfach, wie er sie hier sieht, war die Spaltung, die durch seine Brust ging, gewiß nicht. Sein Herz war gerade auch bei der Judennot und also bei dem Ostafrika-Projekt als dem nächsten Versuch ihrer Überwindung, und sein Verstand war gerade auch bei der Sache Zions, die ihm die Fühlung mit dem Traum der Massen und damit die Macht über sie gab. In jenem Gespräch mit den Freunden nach dem sechsten Kongreß teilt er ihnen mit, er werde auf dem siebenten, »wenn er ihn erlebe«, sagen: »Obwohl ursprünglich nur Judenstaatler – n’importe où – habe ich später doch die Zionsfahne ergriffen, und ich selbst bin ein Lover of Zion geworden.« Und auch dies wiederholt er in dem »Brief an das jüdische Volk«: »Als ich aufbrach, war ich nur ein Judenstaatler, ich bin ein Chowew Zion geworden.« Er sagt nicht »Zionist«, was wie alle »Ismen« nur eine Gesinnung bedeutet, sondern »Chowew Zion«, »Zion-Liebender«, und Liebe ist keine Gesinnung, sondern ein Gefühl und mehr als das. Man spürt an der zweimaligen

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Äußerung, wie ihn die Tatsache, daß er liebt, in den Tiefen der Seele beschäftigt, wie sie ihn verwundert und ergreift und wie er sie sorgsam hegt. Und in der Tat, er ist, ebenso wie Pinsker, in Kontakt mit dem Volk ein Chowew Zion geworden. Aber wie Pinsker dringt er mit dieser Liebe nicht bis zu Zion selber, nicht bis zu dem geschichtlich-übergeschichtlichen Geheimnis vor, das mit diesem Namen gemeint ist. Wer liebend bis zu ihm vordringt, in dessen Brust gibt es keine Spaltung mehr. »Wenn ich ihn erlebe«, sagt Herzl Ende August zu den Freunden über den nächsten Kongreß. Er hat ihn nicht erlebt. »Ich selbst bin anhaltend sehr unwohl«, schreibt er zwei Wochen danach an einen befreundeten Arzt. »Herzneurose! Daran und an den Juden werde ich zugrunde gehen.« Mit »den Juden« meint er hier zunächst gewiß die leidenschaftliche und rücksichtslose Opposition, die ihm seit dem Uganda-Projekt entgegengetreten war, sodann die Reihe schwerer Erfahrungen mit Anhängern, die er wie Pinsker bis dahin gemacht hatte. In einer noch tieferen Schicht der Seele jedoch als dieses Leiden an den andern zehrte an ihm das Leiden an dem Widerstreit in ihm selber. Es ist ein vielgestaltiger Widerstreit. Der Gegensatz Judenstaat-Zion ist nur eine seiner Gestalten. Aber hier ist es, wo Herzls Tragik unverhüllt erscheint. Die zionistische Bewegung hat sich seither von dem Gegensatz zwischen Judenstaat und Zion nur scheinbar freigemacht. Dieser Gegensatz darf ja nicht mit dem zwischen dem Streben nach andern Territorien und dem Streben nach Palästina verwechselt werden. Das Wesen des Gegensatzes gibt sich gerade innerhalb der Palästinabewegung und innerhalb Palästinas selbst kund. Es ging nicht darum, ob das hier zu schaffende Haus Staatscharakter haben solle oder nicht, nicht das war es, was die Geister schied, sondern es ging darum, ob man bauend auf »Zion«, das verborgene Zion schaut, das die Propheten sichtbar machten, indem sie es forderten, – darauf schaut wie der Baumeister auf seinen Grundriß. »Judenstaat« gegen »Zion« heißt auch in Palästina: Macht ohne Treue. Macht ohne Treue ist Leben ohne Sinn. Dabei darf man freilich auch das nicht vergessen: wohl hat Treue eine soziale und humanitäre Gestalt, wohl umfaßt sie eine Verpflichtung zur Gerechtigkeit nach innen und nach außen, aber das Hinschauen auf das verborgene Zion kann auch durch das edelste soziale und humanitäre Ideal nicht ersetzt werden. Warum kann Zion nur in Palästina gebaut werden? Weil es das im Stoff dieses Landes verborgene Gebild ist, zu dem dieses Volk dieses Land vollenden kann, wenn es sich von ihm vollenden läßt: Zion heißt die Bestimmung der gegenseitigen Vollendung. Es ist nicht ersonnen, sondern geboten; nicht Idee, sondern hier verborgene Gestalt. Die Judennot

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pocht gewaltig laut an die Pforte der Herzen; aber sie darf die Treue zu Zion nicht übertäuben. Israel verliert sich selber, wenn es Palästina durch ein anderes Land ersetzt; und es verliert sich selber, wenn es Zion durch Palästina ersetzt. Pinsker und Herzl sind Liebende Zions geworden, aber sie haben der Geliebten nicht ins verhüllte Angesicht gesehn; wer es tat, sieht nie mehr anderswo hin. Die Lehre vom Zentrum (Über Achad-Haam)

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Man pflegt Achad-Haam als den Schöpfer eines »Kulturzionismus« anzusehen, dessen Unterschied vom »politischen Zionismus« im wesentlichen darin bestehe, daß dieser die Errichtung eines Judenstaats anstrebe, wogegen der Kulturzionismus lediglich auf ein »geistiges Zentrum« abziele, worunter man ungeachtet Achad-Haams eigener Interpretation ein aus Intellektuellen zusammengesetztes Zentrum zu verstehen liebt. Dieser Irrtum ist, bequem wie er ist, weder durch das, was Achad-Haam selbst zu seiner Widerlegung getan hat, noch durch das seither in dieser Richtung Unternommene aus der Welt geschafft worden. Doch kann von Achad-Haam im Zusammenhang dieses Buches nicht gesprochen werden, ohne eine Klärung des Sachverhalts vorauszuschicken. Achad-Haams Zionismus ist nicht »kleiner« als der politische, sondern größer. Er fordert nicht weniger, sondern mehr. Auch er erstrebt die Begründung eines jüdischen Gemeinwesens in Palästina, ja er scheut nicht einmal vor der Bezeichnung eines »Judenstaates« zurück; und auch er stellt sich diese Begründung als eine »große Massensiedlung« vor. Aber diese Massensiedlung sieht er als die organische Mitte eines großen lebendigen Weltjudentums, das eben dank dieser organischen Mitte wird leben können. Für den politischen Zionismus ist die Zukunft der Diaspora gleich problematisch, ob ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina entsteht oder nicht; er neigt dazu, sie als ein zum Absterben verurteiltes Wesen anzusehen. Für Achad-Haam dagegen hängt die Zukunft des DiasporaJudentums als Judentum von der Zukunft eines jüdischen Palästina ab; zwar nicht auch seine materielle Existenz, aber die Hoffnung geht hier offenbar dahin, eine in einem starken produktiven Gemeinwesen konzentrierte Weltjudenheit werde sich auch in ihrer Existenz zu behaupten wissen. Für ihn sind also Diaspora und Palästina nicht zwei differente Bereiche wie für den politischen Zionismus, sondern ein einziger Leib. Nicht in der Größe der Forderung für Palästina liegt somit der wesentliche Unterschied zwischen Achad-Haam und dem politischen Zionismus, sondern im tragenden Motiv und von da aus auch in der Methode.

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Der Unterschied im tragenden Motiv besteht, auf seine kürzeste Formel gebracht, darin, daß Achad-Haam wirklich ein Zionist ist, oder, wie er es wohl selbst formuliert hätte, daß er wirklich ein Chowew-Zion, ein »Liebender Zions« ist, daß das, was er »liebt«, wirklich »Zion« ist. Zion ist längst keine geographische Bezeichnung mehr und keine dichterische Metapher; es ist in achtzehn Jahrhunderten der Volkssehnsucht und der Volkshoffnung zum Namen für die Substanz des Landes Israel im Stande der ersehnten und erhofften Vollkommenheit geworden: »Zion« ist, was mit diesem Lande gemeint ist und was es werden soll. Wer Zion liebt, liebt eine mögliche Vollkommenheit und ist in die Pflicht genommen, diese Möglichkeit zur Wirklichkeit werden lassen zu helfen. Damit ist schon gesagt, daß es hier keineswegs um eine spirituelle Wesenheit, um eine der politischen Sphäre entrückte Idee geht: das »Politische« ist eine Voraussetzung der Verwirklichung, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Für den politischen Zionismus ist der Staat das Ziel und Zion ein »Mythus«, der die Massen befeuert; für die Zionsliebe im Sinne AchadHaams ist der Staat der Weg zum Ziele, das Zion heißt. Von einer so aufgefaßten Aufgabe aber wird die Methode mit Notwendigkeit beeinflußt: der Charakter des Angestrebten muß, wenn der »Gang der Dinge« nicht die Erfüllung vereiteln soll, schon die ersten Schritte, und gerade sie, mitbestimmen. Von da aus ist Achad-Haams vielfach mißverstandene Lehre von der Auslese zu verstehen. Darum hat er so nachdrücklich davor gewarnt, im Land »einen Haufen Steine anzusammeln, ohne zwischen ganzen und zerbrochenen zu scheiden, ohne Ordnung und Einheit und ein bestimmtes Bild«, darum so dringend darauf hingewiesen, daß von jedem einzelnen Stein des Fundaments die Zukunft des Baus mit abhänge, und gefordert, es solle mit aller Kraft angestrebt werden, »daß die Einwanderer, besonders die ersten, die grundlegenden, kein Mischmasch seien«, sondern »gesunde, tüchtige und redliche Männer, die die Arbeit lieben und in Frieden und richtigen Ordnungen leben«. Wenn man diese beiden Punkte, Achad-Haams Auffassung der Aufgabe und seine Auffassung der Methode überdenkt, merkt man sehr deutlich, wie realistisch im Grunde seine Betrachtungsweise ist. Das Ziel, wie er es faßt, ist ganz und gar nicht, was Zionisten als »geistigen Luxus« zu bezeichnen lieben; es verhält sich durchaus nicht so, als fordere er einen Überfluß, der sich erst später einstellen könne, statt auf das Lebensnotwendige bedacht zu sein. Vielmehr meint Achad-Haam, daß Israel, wenn es sich mit dem sogenannten Notwendigen begnügte, überhaupt nicht zu einem neuen Leben gelangen würde. Er sagt einmal mit großer Klarheit, es handle sich um eine einzige Frage: »die Existenz-

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frage. Und auf diese Frage antworten wir wahrhaftig – und eine andere Antwort gibt es nicht –: Liebet Zion!« Um diese Antwort auf die »Existenzfrage« ganz zu verstehen, muß man sich den vollen Gehalt der Vorstellung »Zion« für Achad-Haam vergegenwärtigen. Man kann das »Notwendige« nicht anders als im Zusammenhang mit dem »Überflüssigen« gewinnen. Wenn Israel Zion auf »ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina« reduziert, wird auch aus dem Gemeinwesen nichts. Will es nur noch ein Land wie alle Länder, dann versinkt das Land unter ihm, ebenso wie das Volk zerrinnt, wenn es nur noch ein Volk wie alle Völker sein will. Daß Achad-Haam dies erkannt hat, ist nicht einem »Idealismus« zuzuschreiben, sondern seinem Realismus: er nahm die besonderen Bedingungen der Art und der Geschichte Israels ernst, er sah, daß daraus ein geschichtlich Neues erwachsen ist, ein »neuer Gedanke«, ein »Weg, den noch niemand begangen hat«, und er sah uns zugleich wie wir sind, krank und elend und durch nichts zu retten als durch den Willen zur Vollkommenheit, durch nichts zu heilen als durch das Heil. Darum bedarf es der vorangehenden Elite, darum der »Arbeit von Priestern«. Das ist keine »geistige Arbeit«, sondern eben Arbeit, und zwar unter Hingabe seiner selbst. Von dieser Arbeit und von dieser Hingabe der Zion Liebenden muß die Umwandlung des Volkes ausgehen. Das Volk soll Zion lieben lernen; solang dies fehlt, »fehlt uns die Grundlage, auf der allein das Land wiedererbaut werden kann«. Das ganze Herz des Volkes muß von dieser brennenden Liebe erfaßt werden. Es ist kennzeichnend für AchadHaam, daß er fürchtet, der Name »Zionsliebe«, wie man ihn im Munde zu führen gewohnt ist, sei zu eng, denn die ihn gebrauchen haben zumeist nur ein Territorium, eben nur das Land Palästina im Sinn; es geht aber »um das Judentum selber in seiner Ganzheit«, nur eben um eins, das nunmehr eine Mitte besitzt und das sich kraft dieser Mitte von neuem auf den Weg zu seiner Vollendung begeben hat. Die Liebe, die die »Priester«, die Bahnbrecher, durch ihr Leben, durch ihre Arbeit und Hingabe im Herzen des Volkes entzünden, ist die Liebe zu der Einzigkeit, die mit diesem Volk und mit diesem Land, mit ihrer Verbindung miteinander gemeint und geboten ist. Wie ernst es Achad-Haam um diese Einzigkeit gewesen ist, wie aktuell-ernst, das kommt zum stärksten Ausdruck im Schluß seines Aufsatzes über Moses, der Stelle, an der die von seinem Wahrheitseifer, seinem Realismus niedergehaltene Flamme seiner Begeisterung frei auflodert. »Wir sehen«, sagt er da, »die ›Erweckung Moses‹ wieder durchbrechen und aufsteigen, und jener Geist, der vor Jahrtausenden Moses berief und ihn gegen seinen Willen zu seiner Aufgabe entsandte – er ruft

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auch jetzt wieder dem nachgebornen Geschlechte zu: ›Und was in eurem Geiste aufsteigt, geschehen wird das nicht, die ihr sprecht: Wie die Völker wollen wir werden. So wahr ich lebe, ob ich nicht mit starker Hand mich als König über euch erzeige!‹« Man kann nicht umhin daran zu denken, was in dem Ezechiel-Kapitel, dem diese Worte entnommen sind, weiter dem Volke angesagt ist: seine Versetzung in die »Völkerwüste«, das »Rechten« mit ihm »Angesicht zu Angesicht«, die Ausscheidung der Abtrünnigen und die Heimbringung der Getreuen. Und auch daran muß man denken, was im Text auf jene angeführte Erklärung Israels folgt, es wolle wie die Völker werden: »um Holz und Stein zu dienen!« Diese Worte gehören sicherlich nicht mehr dazu, was als Äußerung Israels angeführt wird, sondern der Sprecher, Gott, fügt sie hinzu: das ist es, was ihr dabei im Sinne hattet, um die Götzen war es euch zu tun. AchadHaam hat in seinem Zitat dies weggelassen, vermutlich weil er das Religiöse im engeren Sinn gern vermied, obgleich er von einem künftigen jüdischen Leben in Palästina auch eine religiöse Erneuerung erwartete. Aber offenbar ist, daß er bei jenem »Wie-die-Völker-sein« nicht einfach an das gedacht hat, was man gewöhnlich Assimilation zu nennen pflegt: nicht weil sie fremden Göttern dienen wollen, sondern weil sie Holz und Stein, die keine Götter sind, dienen wollen, rechtet Gott hier mit Israel, – nicht weil sie fremden, sondern weil sie falschen Werten sich zuwenden; und es kommt nicht darauf an, daß sie sich dem Eigenen, sondern daß sie sich der Wahrheit zuwenden sollen: der Wahrheit, die freilich ihr Eigenes ist, ihnen kundgetan und zugeteilt. So fern es Achad-Haam auch liegt, wie er sagt, aus der »Zionsliebe« ein Mittel zur religiösen Erneuerung machen zu wollen, so ist doch offenbar dies der Kern seiner Hoffnung auf die Heimkehr Israels nach Zion: daß aus ihr eine neue Zuwendung Israels an die Wahrheit, eine neue Wahrheitsoffenbarung an Israel hervorgehen wird. Darum sieht er nichts Geringeres als die ›Erweckung Moses‹ wieder durchbrechen und aufsteigen. Weil es um so Großes, um die Erneuerung der Wahrheit und des Lebens in ihr geht, kann das Land, auf das die Hoffnung gerichtet ist, kein andres als das Land Israels sein. »Wir erheben unsre Augen zu Zion«, heißt es in der Antwort Achad-Haams auf das Projekt der Begründung eines jüdischen Gemeinwesens in Ostafrika, »und zu Zion allein, nicht aus freier Wahl, sondern aus einer natürlichen Nötigung. Denn wir glauben in vollkommenem Glauben, daß nur dort … unser Geist stark und rein wird und unsre innern Kräfte erwachen.« Eine neue Kultur schaffen, so nennt Achad-Haam hier das Ziel; woran er aber letztlich denkt, ist: das lebendige Verhältnis zur Wahrheit wiederfinden. Und doch gibt sich an eben dieser Stelle auch die Begrenzung der Ein-

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sicht Achad-Haams zu erkennen. Auf die Worte »nur dort«, die ich eben angeführt habe, folgt die Erklärung: »In der Kraft des Geschichtsgefühls, das Volk und Land verbindet.« Das ist beinah der Gegenstand selber, um den es geht; dennoch ist es noch nicht wahrhaft er selbst. Ein GeschichtsGefühl kann trügen wie alle Gefühle; auf einem historischen Gefühl läßt sich allerhand erbauen, aber keine Gewißheit. Die entscheidende Frage ist die nach der objektiven Wirklichkeit, die in dem Geschichtsgefühl sich spiegelt. Ist es nur eine historische Wirklichkeit, vergänglich wie alles Nur-historische, durch neue historische Tatsachen aufhebbar wie alles Nur-historische? Oder ist das, was diesem Volk in seiner Begegnung mit diesem Land, was diesem Land in seiner Begegnung mit diesem Volk widerfahren ist, Zeichen und Ausdruck eines übergeschichtlichen Zusammenhangs? Ist die »Erwählung« dieses Volkes und dieses Landes füreinander und für ein Drittes, das beide umfaßt und größer als beide ist, ist die Erwählung, von der die Schrift berichtet, die die Aggada ausdeutet, die die Stimmen des Exils besingen und erörtern, eine Illusion, oder ist sie ein wahres Bild des Ewigen, mit den Strichen der Geschichte gezeichnet? Es fällt den heute, in einer Zeit der Verdunklung der Ewigkeit, Lebenden sehr schwer, den Glauben an solch ein wahres Bild zu hegen. Aber dies eben tut not. Der Glaube allein wird erringen, daß es sich als wahr erweist. Die Erneuerung der Heiligkeit (Über Raw Kuk)

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Die Bedeutung der Wiedergewinnung des Landes Israel durch das Volk Israel ist in drei Stufen zu erfassen, von denen aber jede nur im Zusammenhang mit den beiden andern ihren vollen Sinn offenbart. Auf der ersten wird erkannt, daß das Volk nicht anders als in dem Lande wieder zu einer eigenen, zu seiner eigenen Existenz gelangen kann; auf der zweiten, daß es nur da sein eigenes Werk, die freie schöpferische Funktion seines Geistes wiederfinden wird; auf der dritten, daß es das Land braucht, damit ihm seine Heiligkeit wieder zuteil werde. Die erste Stufe allein ergibt eine enge politische Betrachtung, die zweite allein eine enge intellektuelle, die dritte allein eine enge religiöse. Nur alle drei zusammen gewähren uns zu verstehen, was mit der Wiedergeburt des jüdischen Volkes gemeint ist. Die erste Stufe ist unter Einbeziehung der beiden andern durch Heß, dann in unseren Tagen in neuer, weiterer Gestalt, die an das kosmische Sein anknüpft, durch Gordon zum Ausdruck gebracht worden, die zweite unter Berücksichtigung der ersten und Hindeutung auf die dritte besonders durch Achad-Haam; der Mann, der der dritten Stufe

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im Zusammenhang mit den beiden andern zugleich am umfassendsten und am tiefsten gerecht wurde, ist Raw Kuk. Er, in dessen Person sich, wie in der keines andern Zeitgenossen, die heilige Substanz Israels dargestellt hat, gab der Heiligkeit, in einem Maße wie kein andrer innerhalb des zionistischen Gedankens unsrer Zeit, ihr Recht in der nationalen Bewegung, ohne sie zum Gegenstand einer beschränkend-religiösen Forderung zu machen. Er verband sie in organischer Vitalität mit den Postulaten der selbständigen Volksexistenz und der freien geistigen Schöpfung. Mehr noch, er verband sie mit dem ihr scheinbar am fernsten stehenden Postulat des zionistischen Gedankens, dem der Wiederkehr zur Natur, dem einer neuen Synthese von Natur und Geist. Es ist ihm im Grunde nicht um Fortführung einer vorhandenen Heiligkeit zu tun, sondern um eine wahrhafte Erneuerung. Und Heiligkeit bedeutet ihm nicht einen Bereich über dem Leben, sondern dessen Wieder-ganz-werden, Wiedereins-werden, und die Verklärung dieser Ganzheit und Einheit. Die besondere Ausbildung des Zionsgedankens durch Raw Kuk gründet sich auf die Einzigkeit und Ewigkeit des Verhältnisses zwischen Volk und Land in Israel, die in unserem Zeitalter kein andrer so in ihrer Tiefe erfaßt hat. »Dieses ewige Eigentum ist nicht mit den Spannen der Erdzeit zu ermessen, denn es ist ein urewiges Eigentum.« »Die heilige Verbindung Israels mit seinem heiligen Land gleicht nicht dem natürlichen Band, durch das alle Völker und Zungen mit ihren Ländern verbunden sind.« Überall sonst ist die Verbindung ein Ergebnis der Geschichte: ein Volk setzt sich in einem Lande fest, und allmählich, durch alle Begebenheiten des gemeinsamen geschichtlichen Lebens gefördert, entsteht eine Liebe zu diesem Lande, die sich in den Herzen der kommenden Geschlechter fortpflanzt. Anders verhält es sich hier: noch ehe Israel zum Volk geworden ist, erfährt die Sippe, die dazu werden soll, in dem Lande, darin sie nicht siedelt, sondern nur gastet und wandert, im Geheimnis einer Verheißung, daß es ihr zubestimmt ist, und verspürt, daß ein Band sich schlang, das nie mehr gelöst wird. Die Geschichte kann hier nur bestätigen und entfalten, was in der Vorgeschichte, ja in der Natur selber gestiftet worden ist. Die Ewigkeit Israels ist auf der göttlichen Natur in der Ausprägung dieses Landes errichtet. Alles bis auf diesen Tag und in alle Zukunft hin ergibt sich daraus. »Die Seele des Volkes und das Land wirken zusammen am Element ihres Daseins, sie fordern ihre Aufgabe, das Verlangen ihrer Heiligkeit zu verwirklichen.« Darum ist die Liebe zum Land die Grundlage der Lehre: »sie bringt die Ganzheit des Volkes Gottes und die Ganzheit der ganzen Welt zu ihrer Vollendung.« Und weil die Verbindung von solcher vitaler und urtümlicher Art ist, weil das Land so »mit innern Wesenseigenschaften an die Wirklichkeit des Volkes

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geschlossen« ist, darum kann weder seine Heiligkeit noch die Liebe zu ihm rational erfaßt werden. Man muß das Geheimnis als Geheimnis ehren, um ihm nahezukommen. Dadurch, daß man diese Grundhaltung und damit die Erkenntnis der Mysterien aufgegeben hat, hat die Erkenntnis der Heiligkeit des Landes Israel »eine verwischte Gestalt« angenommen. Man kann das Heilige überhaupt nur vom Geheimnis aus in seiner Wirklichkeit erfassen. Dann sieht man, daß das Heilige nicht eine abgesonderte, abgeschlossene Sphäre des Seins, sondern den allen Sphären offenen Bereich bedeutet, in dem allein sie alle ihre Erfüllung finden können. Das Heilige ist vom Profanen nicht abgekehrt, sondern ihm zugewandt; es will nicht über dem Profanen schweben, sondern es in sich aufnehmen. »Die Mysterien lehren uns immer das Heilige mit dem Profanen zu vereinigen.« Die strenge Scheidung zwischen beiden hat ihren Ort nicht in der Gesinnung und Haltung des Heiligen, sondern in der des Profanen; das Profane ist es, das grundsätzlich und unüberbrückbar zwischen sich und dem Heiligen scheidet, und ihm entspricht darin jenes unzulängliche »gewohnte« Heilige, das eben in der Sonderung vom Profanen besteht, wogegen das vollkommene Heilige nichts als Einheit meint und will. Die Widersprüche zwischen den Sphären des Heiligen und des Profanen bestehen nur in der Subjektivität des Menschen, der noch nicht zur Einheit vorgedrungen ist und mit seiner beschränkten Fassungskraft zwischen beiden nicht zu mitteln vermag. In Wahrheit gilt es alles Profane zum Heiligen zu erheben. Dies ist die Stufe der höchsten Zaddikim – »wahre Zaddikim müssen natürliche Menschen sein«, sagt Raw Kuk – und sie ist der Welt in deren höchster Vollendung zugedacht. Dies ist es, was sich im Lebensschoß des Geheimnisses bereitet. Weil dem so ist, »muß die große nationale Bewegung in Israel, die in den Spuren der Erlösung wandelt, aus der Welt des Verborgenen saugen, aus jener obersten Wurzel, wo das Heilige mit dem Profanen verfestigt ist«. Das Innerste dieser großen Aufgabe aber erschließt sich erst im Verhältnis zur Natur und zum Natürlichen. Es gibt ein Heiliges, das, wie dem Profanen überhaupt, so insbesondre der Natur und allem Natürlichen den Kampf ansagt als einem, das unterdrückt werden müsse, um zur Heiligkeit zu gelangen. Aber die Welt, und das zerstreute und gebrochene Israel vor allem andern, bedarf der Natur. Israel bedarf des natürlichen Lebens, das es verloren hat; es bedarf seiner, um zum wahren und vollkommenen Heiligen zu gelangen. Denn das abgesonderte Heilige, das von je der Natur zuwiderhandelt, sie bedrängt und verkehrt, und das jetzt den Rest seiner Kraft zusammenrafft, um die Natur zu bekämpfen, ist nicht das vollkommene Heilige; es ist aus einer dem Sinn der

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Schöpfung fremden Aufspaltung von Natur und Geist hervorgegangen, es ist die Heiligung des abgespaltenen Geistes allein. In Wahrheit bekämpft es gar nicht die große Natur, es sieht und kennt sie gar nicht; woran es sich abringt, ist seine eigene Natur, das heißt: das an Natur, was ihm noch anhaftet und wovon es sich losmachen will. Diesen Kampf kann es nicht gewinnen; das unvollkommene Heilige »strauchelt und fällt in seinem Kampf«. Die der Heiligkeit der Natur gegenüberstehende Verselbständigung der Heiligkeit des Geistes in Israel ist entstanden, als das Volk von seinem Boden entrückt und auf die Erhaltung der Geistigkeit als solcher angewiesen wurde; da sonderten sich die um das ewige Leben Bemühten von dem Leben der Stunde ab. Diese Fähigkeit, die Heiligkeit gegen die Natur zu stellen, ist dadurch ermöglicht worden, daß die Schechina mit Israel ins Exil niedergestiegen ist. Aber wie gegen alle Abtrennung der Natur vom Geist, so richtet sich auch gegen diese Abtrennung des Geistes von der Natur ein himmlischer Protest. Der Urquell des Heiligen selber, das Licht der Welt, fordert von der Welt überhaupt, und von dem zerstreuten und gebrochenen Israel im besondern, die Veredlung der Natur, des schlichten Lebens, seiner Gesundheit, der Normalität in allen Lebensfunktionen. In dieser Forderung gründet sich das Geheimnis der nationalen Bewegung Israels, das Geheimnis der Heimkehr des Volkes in sein Land. Freilich, das Natürliche, das durch die von oben kommende, aber ihm nur als innere Stimme bewußte Forderung des Heiligen erweckt wird und sich aufgerufen fühlt, sich zu veredeln, greift fehl. Es trägt zuinnerst Verlangen nach der höchsten Heiligkeit, der »Heiligkeit des Schweigens«, des bloßen Daseins, aber statt sie zum Heiligen zu erheben und so seine eigne Heiligkeit zu finden und zu verwirklichen, empfindet es das Heilige als seinen Widersacher und sein Hindernis, es haßt es und empört sich wider es. Dieses Heilige jedoch, gegen das es sich solchermaßen erhebt, ist nicht das vollkommene Heilige, sondern das abgespaltene, das »gewohnte« Heilige: die Natur haßt das Heilige, das sie bedrängt und ihre Ordnung verkehrt. In Wahrheit bekämpfen einander die abgespaltene Geistigkeit und die abgespaltene Natürlichkeit; sie bekämpfen einander, statt daß jedes dem andern gäbe, wessen es bedarf, und so das Reich der vollkommenen Heiligkeit gestiftet würde. Und wie das abgespaltene Heilige in seinem Kampf gegen die Natur, so muß auch das abgespaltene Natürliche in seinem Kampf gegen die Heiligkeit straucheln und fallen. Ist somit die Erhebung der Natur vorerst nur eine fehlgehende, so muß doch ihre große Wichtigkeit voll erkannt werden. Niemand im Lager des Zionsgedankens hat die Bedeutung der Wiedergeburt des Leibes mit solcher geistigen Kraft und aus solcher geistigen Tiefe ausgesprochen wie

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Raw Kuk: »Wir haben die Heiligkeit des Leibes vergessen«, sagt er, »wir haben vergessen, daß wir ein heiliges Fleisch haben, daß wir es nicht weniger haben, als wir einen heiligen Geist haben. Verlassen haben wir das tätige Leben und die Läuterung der Sinne und das Verbundensein mit der leiblichen, sinnlichen Wirklichkeit, aus einer herabgekommenen Furcht, aus Mangel an Glauben an die Heiligkeit des Landes.« Die Umkehr Israels kann nur geraten, wenn sie, in einem mit aller Herrlichkeit des Geistigen, »auch eine leibliche Umkehr ist, die gesundes Blut schafft, gesundes Fleisch, wohlgemeißelte, grundfeste Leiber, flammenden Geist, der über starken Muskeln strahlt, und in der Mächtigkeit des geheiligten Fleisches leuchtet, die erschwacht war, die Seele, Hindeutung auf die leibliche Auferstehung der Toten«. Da es um so Großes geht, muß auch die fehlgehende Erhebung des Natürlichen, als die den Anfang macht, bejaht werden. Denn ihre Überleitung in die rechte Bahn ist dadurch gewährleistet, daß sie im Lande Israel oder doch im Hinblick auf es geschieht; und hier ist ja, als Israel die Heiligkeit des Geistes, und sie allein, mit sich ins Exil nahm, die Heiligkeit der Natur verborgen geblieben. »Es ist uns überliefert«, sagt Raw Kuk, »daß ein geistiger Aufstand im Lande Israel und in Israel sein wird, in dem Abschnitt, da der Anbeginn der nationalen Wiedergeburt erwacht.« Über den Teil des Volkes, der nach nichts anderem als nach der Wiederherstellung der nationalen Existenz Verlangen trägt und dem mit deren Anbahnung Genüge getan ist, kommt dann eine »fleischliche Sorglosigkeit«, die dem Leben der Seele Abbruch tut und sie »verkleinert«. Der Geist lehnt sich gegen sein eigenes Heiliges auf. Aber, so bitter und schwer dieser Zustand für jeden ist, der um das vollkommene Heilige weiß, er soll erkennen, daß der Aufstand aus einem gewaltigen Bedürfnis hervorgegangen ist. Die Hinneigung zum Stofflichen mußte in einer so heftigen Form im Volke entstehen, nach so langen Zeiten, in denen es der natürlichen Verbindung mit der Stofflichkeit beraubt war. Gewiß, »wenn diese Hinneigung geboren wird, wird sie grimmig einherschreiten und Stürme erregen«, aber was so sich kundtut, sind die Wehen des Messias. »Die Erdreistung in der Zeit vor dem Kommen des Messias ist eine Minderung des Lichts, die der Erlösung der Welt dient.« »Die Söhne der sich Erdreistenden«, sagt Raw Kuk, »die die Zäune durchbrechen, werden im hohen Glanz des ersten Menschen stehen, sie werden Propheten der höchsten Stufe sein«, denen und durch die »der Lebensbaum sich ganz offenbart«. An diesem Punkte gewinnt die Lehre Raw Kuks eine besondere Kühnheit und Tiefe zugleich. Was die Jugend Israels, so lehrt er, im Lande Israel zur Stärkung ihres Leibes tut, um kräftige Söhne des Volkes zu werden, damit fördert sie, ohne es zu ahnen, die geistige Kraft der höch-

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sten Zaddikim, die sich mit der Einung der heiligen Namen, das heißt: mit der Vereinigung der verschiedenen Potenzen der Heiligkeit befassen; denn durch die Vollendung des Leibes wird für das Werk dieser Männer die Natur in einer reineren Gestalt bereitgestellt. Wenn die Knaben hier spielen, tragen sie nicht bloß zur Stärke des Volkes bei: dieses Spiel ist »ein heiliger Dienst, der die Schechina höher und höher erhebt, wie sie durch Gesänge und Lobpreisungen erhoben wird«. Hier wird die innere, dort die äußere Substanz entfaltet, »und beide mitsammen vollenden alle Ordnungen der Heiligkeiten«, wie geschrieben steht: »In all seinen Wegen sollst du ihn erkennen.« Wohl gibt es schlimme Mängel im Lebensgange derer, die sich der leiblichen Kräftigung des Volkes geweiht haben; wohl fehlt es ihrem Denken und ihrem Handeln an Einsicht in das Wesen des Heiligen und in seinen Urquell. Aber es darf nicht verkannt werden, daß heute, »in den Fersen des Messias«, da sein Kommen sich sichtlich bereitet, »die Nefesch, die vitale Seele, der dem Glauben Israels Abtrünnigen, die sich aber in Liebe der Sache des Volkes, des Landes und der Wiedergeburt angeschlossen haben, einen höheren Grad der Vollendung erreicht hat als die Nefesch der Glaubenstreuen, die diesen Vorzug des wesentlichen Gefühls für das Ganze, den Aufbau des Volkes und des Landes, nicht besitzen«, – wogegen freilich die Ruach, die geistige Seele, bei diesen weit höher steht als bei jenen. Jede von beiden ist unerläßlich für das messianische Werk der Vollendung, jede von beiden ist in ihrer Isolierung unbrauchbar, sie sind aufeinander angewiesen, sie müssen zueinander kommen, um brauchbar zu werden. Dann erst kann Israel zu »Einem Bunde« werden, und in der vollendenden Einwirkung der Nefesch der guten Abtrünnigen auf die Nefesch der Glaubenstreuen und der Ruach der Frommen auf die Ruach der Übertreter wird im Licht des Messias die Neschama, die einige Seele, deren Träger die höchsten Zaddikim sind, zur vollkommenen Entfaltung gelangen. »Da sehe ich mit meinen Augen«, schreibt Raw Kuk, »das Licht des Lebens Elias’ aufsteigen, seine Kraft zu seinem Gott sich fortgehend offenbaren, die Heiligkeit in der Natur durchbricht ihre Zäune, sie geht in Macht aus, sich mit dem Heiligen zu vereinigen, das über der Natur ist … Elias ist gekommen, den Frieden zu verkünden … Da, wir alle nähern uns der Natur und sie nähert sich uns.« Die Kraft aber, die allein solchermaßen die Nefesch und die Ruach, das abgesonderte Natürliche und das abgesonderte Heilige füreinander zuzubereiten vermag, ist die Kraft des Landes Israel. Denn dieses Land hat die verwandelnde Kraft. Zu Recht trägt es den Namen Kanaan, den Namen des »verderbten und verwünschten Mannes«. Zu Großem und Heiligem erwählt, hat es das grobe Kanaan-Erbe in Großes und Heiliges

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verwandelt. Den hohen Schatz des Lebens, der in den Verstecken der Finsternis geborgen ist, hat die von dem göttlichen Ewigkeitsschwur der Erwählung geprägte innere Mächtigkeit dieses Landes gehoben. Es wird seine hebende und wandelnde Kraft auch an Israel selber bewähren, wird dessen beide abgespaltenen Gewalten füreinander zubereiten und zueinander bringen. In diesem Land hat sich einst das Heilige in die Natur eingesenkt; seither hat die Luft dieses Landes, nach dem Worte der Weisen, das Vermögen weise zu machen, das heißt: sie erleuchtet die Seele, »das Prinzip der geeinten Welt zu begreifen«. Hier ist einst die israelitische Anschauung der Welt und des Lebens erwachsen, die in ihrem Grunde »das Mächtigwerden der geeinten Welt über die aufgespaltene Welt« ist. Eben dieses Mächtigwerden der geeinten Welt über die aufgespaltene wird sich nun von der wiedergeborenen Kraft dieses Landes aus an Israel und von Israel aus an der Menschheit vollziehen. Dann erst wird sich, so weissagt Raw Kuk, dem israelitischen Dichter die Natur wieder in ihrer ganzen Herrlichkeit offenbaren. »Von dem Tage an«, sagen die Weisen, »da das Heiligtum zerstört wurde, ist das Firmament in seiner Reinheit nicht zu sehn gewesen«. Es wird wieder zu sehen sein. Ein Träger der Verwirklichung (Über A. D. Gordon) Unter allen, die in der Epoche der neuen Siedlung ins Land kamen, scheint mir der Mann Aaron David Gordon der merkwürdigste zu sein. Gegen ihn gehalten nehmen sich alle wie Gesellschaftswesen gegen ein Naturwesen aus. Auch jene, die gegen die Gesellschaft rebellieren, sind ja eben dadurch an sie gebunden; ein Mensch wie Gordon aber nimmt sich aus, als verkehre er mit den Kräften der Natur unmittelbar und nicht auf dem Weg über die sozialen Formen. Das ist im Judentum eine besondere Seltenheit. Ebenso wie der Gesellschaft gegenüber ist Gordon der Geschichte gegenüber unabhängig. Wie gegen die Gesellschaft, so rebelliert er auch nicht gegen die Geschichte, wie manche seiner Genossen: er hat sie in sich aufgenommen, er lebt von ihr, aber sie ist für ihn kein Programm, weder positiv noch negativ. Gewiß, er trägt dieselbe Last wie alle Juden, er ist mit ihr ins Land gekommen; aber weder drückt sie seinen Nacken nieder, noch wirft er den Kopf in die Höhe, um zu zeigen, daß er sich von ihr freigemacht habe: wer den Kopf in die Höhe wirft ist unfrei, Gordon aber ist Träger der Last und frei zugleich. Mancher kommt ihm darin nah, keiner kommt ihm gleich; das Judentum unserer Zeit hat nicht seinesgleichen aufzuweisen.

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Die geistigen Motive, die andre Siedler nach Palästina gebracht haben (von den überlieferten religiösen sehe ich hier ab), wie Verlangen nach nationaler Freiheit und Selbständigkeit, nach Seßhaftigkeit des Wandervolkes, nach Überwindung des Parasitismus, nach eigenen Lebensordnungen, sind selbstverständlich auch Gordons Herzen bekannt. Aber hinter all diesen sozialen und geschichtlichen Prinzipien steht, sie alle überschattend, ein ursprünglich-menschliches, nein, kein Prinzip, vielmehr ein ursprünglich-menschliches Lebenselement: das Verlangen nach einem wahren Leben in der Natur. Geschichtlich bedingt ist freilich auch dieses: die Juden haben das Leben in der Natur verloren, sie wollen es wiedergewinnen; aber hier ist etwas erwacht, das noch tiefer ist als alle geschichtlichen Daseinsschichten, so tief sie auch reichen, etwas aus der Tiefe des Menschen als Menschen. Dieses Verlangen ist nicht bloß das des Juden, es ist das des Menschen. Und dabei ist es ganz unsentimental und unromantisch. Es weint nicht einem uns durch die Zivilisation geraubten Paradiese nach, es meldet den ewigen Anspruch des Menschen an, durch das Menschentum, wie immer es sich entwickelt, nicht von der mütterlichen Natur abgeschnitten zu werden. Das Ziel dieses Verlangens ist kein Genießen der Natur, keine kontemplativen Gefühle, dieser Mensch will sich nicht selig verlieren an den Kosmos, sondern teilnehmen will er an dessen Leben, ja, am kosmischen Leben selber. Nicht daß die Juden aus der staatlichen Selbstbestimmung, sondern daß sie aus dem Kosmos gebrochen sind, macht Gordons eigentliche Herzenswunde aus. Nicht durch rezeptives Verhalten können sie sich wieder in ihn einfügen. Teilnehmen kann der Mensch am kosmischen Leben nur, wenn er in dessen Zusammenhang etwas tut, was ihm eigen ist, wie die Sterne in ihren Bahnen kreisen und die Bäume der Sonne entgegenwachsen. Arbeit an der ihm anvertrauten Erde ist es, was dem Menschen geziemt. Die Menschen, die ein auferstehendes Israel zur Arbeit am Boden seines Landes entsendet, stellen seine Wiederverbindung nicht mit der Erde allein, sondern mit dem Kosmos dar. Gordon selber ist nicht aus einer naturlosen Existenz in eine naturhafte gekommen, als er ins Land kam. Er hat im podolischen Dorfe gelebt, ehe er sich dem palästinensischen eingliederte. Aber sein Leben im podolischen Dorfe hat ihm nicht Genüge getan, denn es war das Leben eines »Aufsehers«. Die Arbeit anderer am Boden beaufsichtigen heißt nicht wahrhaft am kosmischen Leben teilnehmen. Wer darauf achtet, daß andere gehörig arbeiten, hat das rechtmäßige und vollständige Verhältnis zur Natur noch nicht. Gordon, der Beamte im podolischen Dorf, fühlt sich der Erde gegenüber noch immer als Parasit. Der Weg nach Palästina ist für ihn der Weg aus der Betrachtung der Natur zur organischen Teil-

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nahme an ihr. Es ist der Weg zur eigenen Arbeit. Gordon geht nach Palästina als der Mensch, der nicht mehr seine Augen an der Natur erfreuen und die Hände anderer an ihr wirken lassen will. Augen und Hände gehören zusammen. Nur der als Ganzes in der Natur lebende Mensch lebt wahrhaft in ihr. An der eigenen Arbeit in der Natur wird der Mensch ganz. Durch die eigene Arbeit seiner Menschen in der Natur erlangt Israel das ganze Menschentum wieder. Gordon ist nicht aus der slawischen Welt zu verstehen. Der Slawe hat die Problematik, die Gordons Weg bestimmt, noch nicht verspürt. Auch Tolstoi, der von allen slawischen Männern des Geistes wohl am stärksten empfunden hat, was sich zwischen Mensch und Erde begibt, ist zu dem ganz Einfachen und zugleich Urtiefen, um das es hier geht, der Frage der Gewinnung des Ortes des Menschen im Kosmos durch aktive Teilnahme an seinem Leben, nicht vorgedrungen. Es scheint mir, als stünden ein paar bedeutende Amerikaner, wie Henry Thoreau, der Verkünder der »Duty of civil disobedience«, und Walt Whitman, der Dichter der demokratischen Kameradschaft, Gordon näher, was sich ja von der amerikanischen Zivilisationsproblematik aus recht wohl verstehen ließe. Wenn ich bei Thoreau lese, es komme darauf an, »den Menschen als einen Bewohner, einen Teil und ein Stück der Natur, eher denn als ein Mitglied der Gesellschaft zu sehen«, glaube ich Gordon zu hören. Aber für diese Amerikaner ist die Natur doch noch im wesentlichen die Landschaft, sie ist nicht so wirklich und wahrhaftig der Kosmos wie bei Gordon. In ihren Worten sehe ich die Bäume klarer als die Sterne. Bei Gordon sehe ich die Sterne, auch wenn er nur von den Bäumen spricht. Es ist in der amerikanischen Literatur nicht wenig von einem »kosmischen Bewußtsein« die Rede, aber das mutet mich wie eine Abstraktion an, die von der einfachen lebensmäßigen Fragestellung Gordons eher abführt. Und wenn ich an Whitman oder Thoreau denke, sehe ich sie wandern, herrlich wandern, aber ich sehe sie nicht hacken und jäten wie Gordon. Damit will ich selbstverständlich nicht verkennen, daß auch Thoreau in seiner Farm kräftig zugreift. Aber wenn er das tut, weiß er noch nicht wirklich, was er tut. Gordon weiß, was er tut. Er weiß, daß seine Arbeit der Zugang zur Teilnahme des Menschen am kosmischen Leben ist. Das bedeutet etwas ganz anderes als ein »kosmisches Bewußtsein«. Gordons Wissen ist ein Glauben, und sein Glaube ist ein Sein. Darum ist sein Wort nur eine der Funktionen seines Seins, diejenige, die es ausspricht, die diese Art des Seins ausspricht. Man wird sein Wort in die Geschlechter fort in unlöslicher Verbindung mit der Weitergabe der Erinnerung an ihn bewahren. So ist es auch mit Whitman gewesen. Aber die einzigartige Bedeutung dieser Einheit von Wort und Sein bei Gordon ist darin begründet, daß

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er das war, was Whitman der ganzen geschichtlichen Lage nach nicht war und nicht sein konnte: Pionier seines Volkes auf dem Weg zur erneuten Teilnahme am kosmischen Leben. Whitman besingt das Pioniertum, er ruft: »Fresh and strong the world we seize, world of labor and the march, pioneers! O pioneers!«; aber Gordon ist der Pionier, und er sagt nur, was er ist. Auch Whitman wird nicht müde, die Arbeit zu preisen, und mit Recht sagt er in seinen »concluding words«, der »backward glance o’er travel’d roads«: »the working-man and working-woman were to be in my pages from first to last«; aber nur Gordon kann sagen: »Unser Weg … zur Natur durch die Arbeit!«, und er gibt damit nur den Weg an, den er geht, – den er als Pionier vorangeht. Whitman erklärt: »The ambitious thought of my song is to help the forming of a great aggregate Nation«; Gordon, der kein Dichter, aber ein echter Sprecher, das heißt der Mund einer werdenden Wirklichkeit war, schreibt dem Wort so große Wirkung nicht zu, jedoch von dem Geist, der ihm sein Tun und damit auch sein Wort eingibt, von dem Geist einer »neuen, wesentlichen, kosmischen Beziehung zur Natur und zum Leben« sagt er, gar nicht ambitiously, im echt Gordonschen Ton, mit einem ganz unpathetischen »Vielleicht« mitten im Pathos: »Vielleicht ist dies der Geist, der die dürren Gebeine und auch die faulenden wiederbeleben wird.« Der Weg zur Natur ist der Weg zur Auferstehung des Volkes. Von diesen Voraussetzungen Gordons aus ist es zu verstehen, daß er wie kein anderer in der modernen jüdischen Volksbewegung die Einsicht in den einzigartigen Zusammenhang zwischen Volk und Land in Israel zu erneuern vermocht hat. »Die neue Rechnung mit der Natur aufzumachen«, ohne die »wir von der Natur Abgerissenen, wir, die schon den Geschmack des natürlichen Lebens vergessen haben«, nicht zu einem neuen Leben gelangen können, wird nirgendwo gelingen als im eigenen Land. »Ein lebendiges und arbeitendes Volk ist dazu gemacht, aus seiner Wurzel zu saugen – und die Wurzel ist im Lande Israel.« Das ist mehr als ein bloßes geschichtliches Erbe, das anzutreten, mehr als eine durch ein Weltalter unterbrochene Kontinuität, die nunmehr neu zu knüpfen ist: mit intuitiver Kraft erkennt Gordon, daß das Geheimnis des Daseins Israels an das Geheimnis dieses Landes gebunden ist. Er schaut dieses Geheimnis, indem er das Land anschaut. »Es scheint«, zeichnet Gordon in Judäa auf, »als sei hier das ganze Wesen der oberen Fülle, die sich aus allen Welten in die Seele des Menschen, aber besonders in die Seele des Juden, des Sohnes dieser Natur, ergießt, ein völlig anderes, völlig verschiedenes als in den Ländern der Diaspora. In der Sprache der Seele – doch nur in der Sprache der Seele – möchte ich sagen, daß das Wesen des Unendlichen, das Wesen der Wahrheit, der Heiligkeit, der Schönheit, der

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Mächtigkeit, das Wesen aller Sphären hier der Seele in einer anderen Weise, in einer anderen Beschaffenheit zugänglich ist, und daß sie sich hier in andersartigen Verbindungen miteinander verbinden.« Und weiter: »Es scheint dir, daß die Grenzen zwischen dem Offenbaren und dem Verborgenen hier, in der Welt der Nation, die die Tochter dieser Natur ist, sehr viel weiter und tiefer sind als in anderen Welten: der Ort, an dem in den Welten der anderen das Verborgene beginnt, ist hier in der Beschaffenheit jenes ›wie der Kern des Himmels an Klarheit‹.« Mir ist keine Stelle der modernen Literatur erinnerlich, an der eine so bedeutsame Ahnung von dem elementaren Anteil des Landes an Glauben, Lehre und Botschaft Israels ausgesprochen wäre. Gordon betont: »nur in der Sprache der Seele«. Damit will er sagen, daß er sich in den Bereich der Transzendenz nicht vorwagt, daß er nicht über das Sein selber, sondern nur über das Erleben des Seins eine Aussage machen will. Gordon ist einer von denen, denen es in dieser Zeit der »Verhüllung der Lichter« nicht geziemend scheint, die Namen auszusprechen; keine Haltung ist der in unseren Tagen herrschenden atheistischen Konvention so fern wie diese. Gordon weiß, was der Mangel an Glauben in unserer Welt bedeutet und bewirkt. »Uns mangelt die religiöse Beziehung in unserer nationalen Arbeit, jene Beziehung, die gewaltige, das Angesicht der Welt erneuernde Religionen hervorbringt, und damit mangelt uns der religiöse Glaube in allem was wir tun.« Man darf diese Worte nicht pragmatistisch verstehen. Gordon ist es nicht darum zu tun, daß man wieder »Religion« bekomme, weil die Religion sich so günstig, so aufbauend auf Leben und Werk des Volkes auswirke. Alles »Als ob« ist seiner Seele fremd. Es kommt, sagt Gordon, »vor allem« darauf an, uns eine neue Beziehung »zum Geheimnis des Daseins und des Lebens« zu stiften. Das Geheimnis des Daseins – womit Gordon nicht ein vorläufiges, mit dem Fortschritt unserer Erkenntnis zu enträtselndes Geheimnis meint, sondern eins, das seinem Wesen und unserem Wesen nach nicht aufhören wird, uns Geheimnis zu bleiben – ist keine Fiktion, kein Gedankengebilde, sondern eine Urwirklichkeit, und Grundbedingung der Wiedergeburt ist es, eine echte, standfeste Lebensbeziehung zu ihm zu gewinnen. Und auch dies wieder hängt eng mit dem Lande zusammen. Wie Israel nur in ihm am kosmischen Leben wieder teilnehmen kann, so kann es nur in ihm die Glaubensbeziehung zum Geheimnis des Daseins wieder gewinnen. »Die Harfe Davids kann nur hier, im Lande Israel, ihre Kraft wiedergewinnen.« Damit meinte Gordon mehr als die Lyrik oder sogar die Kunst oder sogar die »schöpferische Fähigkeit« überhaupt. Was wir im Sinn haben, wenn wir »David« sagen, ist nicht ein »religiöser Dichter«, sondern ein Mensch, der mit der Ewigkeit Umgang hat und der singt, damit in die-

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sem Umgang, in dem die Seele sich ganz hingibt, auch ihre Stimme nicht fehle. Gordon hat seine tiefe Einsicht in den Zusammenhang zwischen Volk und Land nicht mit einem Mal erworben. Er hat um sie wie wohl kein anderer gelitten und gerungen, und das heißt bei einem Menschen wie er, dessen eigentliches Erkenntnismittel sein Leben war, er hat um seinen eigenen Zusammenhang mit dem Lande wie wohl kein anderer gelitten und gerungen. Seine Äußerungen gestatten uns, einen Blick in vier Stadien dieses Lebensprozesses zu tun, und erst die Anschauung dieses Werdeganges erhellt uns Gordons Lehre ganz. Als er ins Land kommt – wie gesagt, nicht aus der Naturlosigkeit in die Natur, sondern aus einer Natur in eine andere – wird es ihm schwer, das Neue, das verlorene Eigene, zu erfassen. Mit der russischen Natur war er ganz intim geworden, er hatte sie verstanden, wie er sich von ihr verstanden fühlte, er hatte sie wie eine »einfache, naive und liebende Mutter« empfunden. Nicht so die palästinensische Natur. Auch sie ist eine Mutter, und ihre Liebe ist wohl noch tiefer, aber sie ist unermeßlich erhaben, sie ist eine Königstochter, die das in der Knechtschaft der Fremde aufgewachsene, verquälte und verwilderte Kind, das zu ihr wiedergekehrt ist, mit einem stillen Gram betrachtet; »sie versteht dich gut in ihrem weisen Herzen, aber du bist nicht befähigt, sie zu verstehen«. Und Gordon merkt: die Juden, die hier leben, verstehen das Land, in dem sie leben, noch nicht, sie sind ihm noch fern, sie sind noch verschieden von ihm. Gordon erkennt die Tiefe der Kluft, die sich zwischen Volk und Land aufgetan hat: auch da sie beieinander sind, besteht sie fort. Nach den fünf ersten Jahren hat sich seine Schau gewandelt. Noch spürt er immer wieder: »Fern und fremd ist mir das Land meiner Väter, und auch ich bin ihm fern und fremd.« Aber eines macht ihm nun das Verhältnis von Mutter und Sohn unmittelbar gegenwärtig: er hat die Zerstörung des Landes mit Augen geschaut, und es ist dieselbe Zerstörung, die er in seiner Seele findet. »Die Zerstörung«, ruft er sich zu, »ist die Zerstörung deiner Seele, und der Verderber ist der Verderber, der in deinem Leben gewaltet hat … du stehst vor deinem eigenen Schicksal.« In der Verwüstung des mütterlichen Angesichts findet Gordon das eigene, verwüstete wieder. Die Ferne wird überwunden durch die Anschauung des gleichen Loses. Nicht in erhabener Majestät hat das Land der fernen Söhne geharrt, es ist geschändet worden wie sie, sie finden einander in dem einen Leid, das zweierlei Gestalt angenommen hat, und in der einen gemeinsamen Hoffnung. Und wieder, nach etwa fünf Jahren verleiht Gordon dem entscheidenden Schritt Ausdruck, den er inzwischen getan hat, und der die recht-

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mäßige Fortsetzung jener beiden, das Weitergehen auf dem wahren Wege war. Noch einmal kehrt das Bild von Mutter und Kind wieder, aber an die Stelle der »Ferne« ist eine neue Nähe getreten und aus der bloßen Gleichheit des Loses die Gegenseitigkeit geworden. »Die Mutter Erez Israel«, schreibt Gordon zu Anfang des vorigen Krieges in dem ersten seiner »Briefe aus Palästina«, »fordert von euch Leib und Leben oder sie fordert nichts. Meine Absicht ist nicht, eure Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was ihr für Palästina tun sollt und könnt, sondern im wesentlichen darauf, was Palästina für euch tun kann … Erst von da an, wenn ihr in ihm etwas sucht, jenes Etwas, das kein Jude anderswo finden kann, … erst von da an seid ihr befähigt, etwas, etwas Lebenswichtiges für Palästina zu tun.« Hier ist die Einzigartigkeit des gegenseitigen Verhältnisses zwischen diesem Volk und diesem Land in der Gestalt erkannt und ausgesprochen, die es in dieser Schicksalsstunde angenommen hat, in der gegenwärtigen Aktualität dieses Verhältnisses. Mehr als je zuvor fordert das Land heute alles vom Volke, um ihm alles geben zu können. Wieder leuchtet die Gegenseitigkeit in der Form der Entscheidung auf, einer Entscheidung – das hat niemand besser als Gordon gewußt – nicht bloß zu einem »selbständigen«, sondern zu einem wahren Leben, zu einem Leben in der Wahrheit der Natur und der Arbeit, der Gerechtigkeit und des Glaubens. Und wieder vergehen etwa fünf Jahre, da spricht Gordon – auf jener Tagung in Prag, bei der ich ihn zum ersten- und letztenmal gesehen habe – ein Wort, das bekundet, wie noch viel näher er und das Land einander gekommen sind. »Nicht wir«, sagt er, »unser Land ist es, das zum Volke redet. Wir haben nur auszudrücken, anzudeuten was das Land redet, und wir sagen zu euch, zum ganzen Volk: das Land wartet auf euch.« Statt der bloßen Gegenseitigkeit sehen wir hier eine Identifizierung vor uns. Gordon ist zum Munde des Landes geworden. Wie viele Redner mögen in dieser Zeit solch eine Haltung angenommen haben! Aber Gordon ist kein Redemeister, sondern ein Lebensmeister, und was er ausspricht, ist keine Haltung, sondern die Wirklichkeit seines Lebens selber. Er ist wirklich mit dem Land zusammengewachsen, es hat ihn ermächtigt, für es zu sprechen, wie das Herz des Menschen seinen Mund ermächtigt, er ist zum Munde des Landes geworden. Von der bewundernden Fremdheit war er zur Vision der Gleichheit des Loses gelangt, von ihr zur Gegenseitigkeit des Gebens und Nehmens, und nun von ihr zur leiblichen Verbundenheit, wie Herz und Mund verbunden sind. Dies war das letzte Stadium des sechzehnjährigen Leidens und Ringens. Im zweiten Jahr danach ist er gestorben. »Nur einen Trost haben wir«, sagt Gordon in jenem Brief, nachdem

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er die »Kleinlichkeit« der Juden Palästinas vor der Größe der Aufgabe gekennzeichnet hat, »… daß wir unsere Schmerzen bis auf den Grund fühlen. Wir gleichen einer Frau, die lange keine Kinder hatte, wie sehr sie auch Gott darum bat – und plötzlich merkt sie, daß sie schwanger ist. Sie freut sich über jeden Schmerz und hat nur Angst, vielleicht ist der Schmerz zu gelind, vielleicht ist es nicht das. In der Diaspora haben wir diese Schmerzen nicht gefühlt.« In eben diesem Gleichnis hat einst ein chassidischer Führer, Rabbi Israel von Rizin, von der Erlösung geredet. Aber Gordon hat recht: in der Diaspora waren diese Schmerzen nicht gefühlt worden. Seine, Gordons, Existenz bezeugt es, daß es Geburtswehen sind.

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Biographisches

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Achad-Haam (d. h. Einer aus dem Volke, Pseudonym von Ascher Ginzberg): Der führende Denker der modernen hebräischen Nationalbewegung, 1856-1927. Vgl. über ihn auch mein Buch »Kampf um Israel« (1933), S. 143 ff. Baal-schem-tow, d. i. Meister des Guten Namens, Bezeichnung des Stifters der unter dem Namen des Chassidismus bekannten großen religiösen Bewegung des Ostjudentums, des Rabbi Israel ben Elieser, 1700-1760. Vgl. über ihn mein Buch »Erzählungen der Chassidim« (1949), S. 29 ff., 111 ff. Edmund: s. Rothschild. Jakob Frank, 1726-1791, der letzte und fragwürdigste in der Reihe der jüdischen Pseudomessiasse, wirkte in Podolien, wo er zum Christentum übertrat, später in Offenbach. Vgl. über ihn mein Buch »Hasidism« (1948, deutsche Ausgabe u. d. T. »Die chassidische Botschaft« in Vorbereitung), S. 10 ff. A. D. Gordon, 1856-1922, kam mit 50 Jahren als Landarbeiter nach Palästina; die zentrale Geistesgestalt im Aufbauwerk der Arbeiterschaft. Theodor Herzl, 1860-1904, der Urheber des politischen Zionismus und Begründer der zionistischen Organisation. Seine Schrift »Der Judenstaat« erschien 1896. Der von ihm geleitete erste Zionistenkongreß fand 1897 in Basel statt. Die ihm 1903 von der englischen Regierung angebotene Siedlung in Britisch-Ostafrika (Uganda) ist von der zionistischen Bewegung nach Herzls Tode abgelehnt worden, doch splitterte sich von dieser der sogenannte Territorialismus ab, der (unter Zangwills Führung) jüdisches Kolonisationswerk politischer Prägung außerhalb Palästinas anstrebte. Moses Hess, 1812-1875, namhafter sozialistischer Autor der Generation von Marx und Engels und der erste bedeutende Vertreter der modernen Ausgestaltung der Zionsidee; sein Buch »Rom und Jerusalem« erschien 1862. Baron Moritz Hirsch, 1831-1896, ein bekannter Philanthrop, der besonders die Ansiedlung von Juden in Argentinien gefördert hat. Jehuda Halevi, geb. um 1083, starb um 1145, der große hebräische Dichter der spanischen Diaspora (eine Auswahl seiner Hymnen hat Franz Rosenzweig übertragen). Sein in arabischer Sprache verfaßtes Werk »Kusari« (»Der Chazare«) behandelt Sinn und Bestimmung des Judentums.

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Rabbi Abraham Jizchak Kuk, 1866-1935, die repräsentative Figur des gesetzestreuen Judentums in Palästina. Rabbi Loewe ben Bezalel, geb. um 1520, starb 1609 in Prag (»Der hohe Rabbi Löw«), einer der großen jüdischen Religionsphilosophen. Die Sage hat ihn als den Schöpfer des »Golem« verherrlicht. Rabbi Nachman von Bratzlaw, 1771-1810, der Urenkel des Baalschem-tow (s. o.) und eine der letzten großen Erscheinungen des Chassidismus. Vgl. über ihn auch mein Buch »Die Geschichten des Rabbi Nachman«. Max Nordau, 1849-1923, bekannter Schriftsteller und Publizist, neben Herzl der wichtigste Führer des politischen Zionismus. Leo Pinsker, 1821-1891, Arzt in Odessa, Führer der vorherzlschen Bewegung der Chowewe Zion, d. i. Zion-Liebende; seine Schrift »Autoemanzipation« erschien 1882. Baron Edmund Rothschild, 1845-1934, hat das palästinensische Siedlungswerk in großzügiger Weise gefördert. Sabbatai Zewi, 1626-1676, die Zentralgestalt der stärksten und für die Entwicklung häretischer Ideen folgenreichsten messianischen Bewegung des Diaspora-Judentums. Vgl. über ihn insbesondere G. Scholem, Major Trends in Jewish Mysticism (2. Aufl. 1946), S. 287 ff. Perez Smolenski, 1842-1885, namhafter hebräischer Romancier und Vorkämpfer der nationalen Bewegung.

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Einige Worterklärungen Galuth: Exil. Spezifische Bezeichnung des jüdischen Diaspora Schicksals. Midrasch: Deutung. Eine im wesentlichen in der Gestalt freier Schriftauslegung abgefaßte Literaturform. Rischon le-Zion: »Erster für Zion« (Jes 41, 27); auf S. 177 ein Wortspiel, da Name einer (1882 gegründeten) Kolonie. Schechina: Einwohnung. Die in die Welt niedergestiegene und ihr Los miterleidende Präsenz Gottes. Die Weisen (gewöhnlich »Unsere Weisen«): Die Meister des talmudischen Schrifttums. »Wie der Kern des Himmels an Klarheit« (S. 201): Ex 24, 10.

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Thoughts on the Jewish New Year

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When at last, we (Jews) stepped out of the ghetto into the world, worse befell us from within than had ever befallen us from without: the foundation, the unique unity of people and religion, developed a deep rift which has since become deeper and deeper. Even the event of your days, the reentry of the Jews into the history of nations by the rebuilding of a Jewish State, is most intimately affected and characterised by that rift. A home and the freedom to realize the principle of our being have been granted us anew, but Israel and the principle of its being have come apart! It is said that we are now assured of the renewal of a great Jewish civilisation. But has a great civilisation ever arisen otherwise than by the unfolding of such a basic principle? One tries to conceal the rift by applying basic religious terms, such as God of Israel and Messiah, to purely political processes; and the words, ready to hand, offer no resistance, but the reality which was once meant by them escapes any speech which does not mean just it, that is, the fulfilment of truth and justice. In mankind, the great crisis of its civilisation, which is a crisis of men, has broken out more manifestly. Every original tie seems to be severing, every original substance disintegrating. Where does the world stand? Is the axe laid to the roots of the trees, as a Jew on the Jordan once said, rightly and yet wrongly, that it was in his day, at another turn of the ages? And if it is, what is the condition of the roots themselves? Are they still healthy enough to send fresh sap into the remaining stump and to produce a fresh shoot from it? Can the roots be saved? How can they be saved? Who can save them? In whose charge are they? Let us recognize ourselves: we, in whom, and in whom alone, that mysterious affirmation and negation of civilization – affirmation and negation in one – was implanted at the origin of our existence – we are the keepers of the roots. We are? How can we become what we are?

[Botschaft] Die fundamentale Bedeutung der Einwanderer aus Mitteleuropa für den Aufbau des Jischuw wird erst von einer künftigen Generation ermessen werden, die eine in die Weite und Tiefe reichende Schau des Gewordenen mit einem zulänglichen Verständnis seines Werdens vereinigen wird. In einem Punkt glaube ich ihre Erkenntnis doch, wenn auch nur andeutend, vorwegnehmen zu dürfen. Die mitteleuropäischen Olim haben in einer besonderen, besonders intensiven Weise an der Bereitung dessen teilgenommen, ohne das keine neuentstandene Gemeinschaft echten Bestand gewinnen kann: der Mitte. Wir Juden Israels werden nur in dem Masse unserer Diaspora ein »geistiges« – d. h. wirksamen Geist ausstrahlendes – »Zentrum« werden, als wir uns fähig erweisen, uns selber ein Zentrum zu konstituieren. Dazu hat die mitteleuropäische Einwandererschaft einen Beitrag geleistet und leistet ihn, mit dem sich das kommende Geschichtsbewusstsein unseres Volkes zu befassen haben wird. New York, 28. März 1952

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An der Wende Reden über das Judentum

Vorwort In den Jahren 1909-1918 habe ich in Prag, Wien und Berlin sieben Reden über das Judentum gehalten, die aufrührend und aufbauend gewirkt haben. Zuerst in Sonderpublikationen erschienen, sind sie, mit einer Vorrede, die mir wichtig geblieben ist, 1923 in einem »Reden über das Judentum« betitelten Band gesammelt worden. In einer gewandelten Menschenwelt, in der die vordem nur geahnte Krisis des Judentums ihrer äußeren Seite nach, als eine große Heimsuchung, manifest geworden war, sprach ich zum erstenmal wieder über das Judentum, erst 1939 in Jerusalem, dann dieselbe Rede mit einigen durch das inzwischen Geschehene bestimmten Änderungen 1947 in London. Es ist die in dieses Buch unter dem Titel »Der Geist Israels und die Welt von heute« aufgenommene. 1951, in einer Zeit, da nun auch, bei scheinbarer Sicherung durch die Erneuerung des Staatswesens, die innere Krisis fühlbar zu werden beginnt, sind in Jerusalem, London und New York die drei anderen hier vereinigten Reden gesprochen worden. In diesem Zusammenhang sind die neuen vier Reden, als in solchen Schicksalsstunden von einem Juden an Juden gerichtet, zu lesen. Aber was er sagt, geht den gegenwärtigen Menschen in seiner Menschheit an.

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Die erste Rede Der Geist Israels und die Welt von heute

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Seit manchem Jahr fragen überall die Juden einander: »Wie soll das enden? Sind wir völlig in die Hand des Bösen gegeben? Wird die Frevelgewalt immer stärker werden? Oder dürfen wir etwa hoffen, mit bebendem Herzen hoffen, daß der Geist Israels sich als siegreich erweist?« Wenn ich so gefragt werde, antworte ich mit einer Gegenfrage: »Was habt ihr im Sinn, wenn ihr von dem Geist Israels redet? Euern eigenen Geist? Oder jenen, den wir verraten haben und weiter Tag um Tag verraten?« Die wahre Erwiderung auf die Frage all der Juden hängt von ihrer Erwiderung auf meine Frage ab. Es gibt eine jüdische Überlieferung von siebzig Engeln, als die »Fürsten« bekannt, die über die siebzig Völker der Welt gesetzt sind. Jeder von ihnen führt die Aufsicht über sein Volk und vertritt es vor dem Thron der Herrlichkeit. Wenn ihre Völker widereinander streiten, streiten sie widereinander. Die Fürsten sind die eigentlichen Sieger und die eigentlichen Besiegten; und ihre Kriege, ihre Siege und Niederlagen, ihr Auf- und Niedersteigen auf der großen Leiter sind das, was die Geschichtsschreiber als Geschichte bezeichnen. Jeder von ihnen hat einen eigenen Zweck und eine eigene Aufgabe, und solang ein Fürst das Seine tut, solang er seinen Zweck und seine Aufgabe erfüllt, ist er mit Macht begabt. Aber er ist seinem Herrn verantwortlich und ist gehalten, ihm Rechenschaft zu legen. Daher, wenn er sich an seiner Macht berauscht, bis zum Vergessen, wer er und was seines Amtes ist, und übermütig wähnt, er selber sei der Herr und Meister, fällt die Hand seines Herrn auf ihn – sei es plötzlich wie ein Blitz, der ihn in den Abgrund der Nichtigkeit schleudert, sei es mählich wie ein steter Regen, der ihn in den Abgrund der Nichtigkeit hinabschwemmt. Nun heißt es wohl, auch das jüdische Volk habe solch einen ihm zugeordneten Fürsten; dem gegenüber aber wird erklärt, die Kinder Israel hätten sich einst geweigert, das Joch eines Engels anzunehmen, und hätten alles Joch verworfen bis auf das des Königtums Gottes allein. Und nur dieser, nicht jener Glaube entspricht der biblischen Grundanschauung von der Beziehung zwischen Israel und der Gottheit. Der Urquell Israels ist nicht in jenem Bereich der Vielheit zu finden, wo die Fürsten miteinander ringen, sondern in dem der einen Wahrheit, die freilich den Menschenwesen nur eine Andeutung ihres Seins gewährt. Doch ist es an dieser Andeutung genug gewesen, für das Volk Israel genug, um es wissen zu lassen, daß die eine Wahrheit über ihm ist, und daß

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weder dieses Volk noch dessen Fürst ihr Inhaber ist, sondern der Fürst der Fürsten und Herr der Welt allein. Der typische Mensch unserer Zeit hält sich für unfähig, an Gott zu glauben, aber es erscheint ihm sogar unmöglich, an seine eigene Substanz zu glauben, da er keinen Boden mehr kennt, der sie trüge; und so hält er fest am Glauben an sein erweitertes Ich, seine Nation, die eben die höchste ihm zugängliche Instanz ist. Und da er keine echte und lebendige Beziehung zu der Wahrheit hat, die über den Völkern ist, ihr, die von den Völkern fordert, sie zu verwirklichen, verwandelt er die Persönlichkeit seiner Nation in einen Götzen; er macht den »Fürsten« aus einem dienenden Engel zu einem Gott. Da es aber für ihn keine Sphäre über den Völkern, keinen Appellationshof in der Höhe gibt, muß das Ende dies sein, daß die Völker und ihre Fürsten mit allen Mitteln, über die sie verfügen, aller Scheu und Scham ledig, gegeneinander kämpfen, bis sie alle vernichtet sind. Diese heimlichen Gestalten, die »Fürsten«, sind heutzutage nichts anderes mehr als die Zentren der Staatsmythen, die von den Führern und Verführern der Nationen verwendet werden, um deren Selbstsucht mit dem Trug eines illusionären Idealismus zu befeuern. Dieses ist die Stunde, in der die Fürsten vergessen, wer sie sind und was ihres Amtes ist, und ihren Übermut spielen lassen; jeder von ihnen dünkt sich der oberste Herr zu sein. Aber die Hand ihres Herrn ist über ihnen. Und was ist’s nun um uns Juden? Wir reden von dem Geiste Israels und bilden uns ein, wir seien nicht wie alle Völker, weil es den Geist Israels gibt. Wenn jedoch der Geist Israels uns nicht mehr ist, als die synthetische Persönlichkeit unserer Nation, nicht mehr als eine schöne Rechtfertigung für unseren kollektiven Egoismus, nicht mehr als ein in einen Götzen verwandelter »Fürst« – nachdem wir uns geweigert hatten, einen anderen anzunehmen als den Herrn des Alls selber! –, dann sind wir wahrlich wie alle Völker und trinken mit ihnen vom Becher der Betörung. Wenn wir aber trunken werden wie sie, dann werden wir schwächer als alle und sind schutzlos in ihre Hand gegeben. Nur wenn wir wirklich nicht ihresgleichen werden, nur wenn wir mit dem Wort »Geist« nicht uns selber, sondern die lebendige Wahrheit meinen, die nicht in unserem Besitz ist, aber uns in Besitz nehmen kann, die nicht von uns abhängt, aber wir von ihr, und die dennoch unser bedarf, um etwas hier unten, etwas Konkretes, etwas »Historisches« zu werden – dann, und nur dann haben wir Bestand. Es möchte aber sein, daß einer von Ihnen mich im stillen fragt: »Was ist denn dieser Geist Israels, von dem du redest?«

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Es ist der Geist der Verwirklichung. Verwirklichung wovon? Verwirklichung der schlichten Wahrheit, daß der Mensch mit einem Ziel geschaffen worden ist. Die Schöpfung hat ein Ziel; das Menschengeschlecht hat ein Ziel, eins, das wir uns nicht selber zurechtgemacht oder untereinander ausgemacht haben. Wir haben nicht beschlossen, dies oder jenes solle fortan das Ziel unserer Existenz sein. Nein, das Ziel selber hat uns sein Antlitz enthüllt, und wir haben es angeschaut. Was wir geschaut haben, kann nicht in Begriffen expliziert werden; und doch, wir wissen und sagen, daß Eintracht und nicht Zwietracht das Ziel der Schöpfung ist; daß diese nicht zu einer gegenseitigen Vernichtung der Nationen verdammt ist. Unser Ziel ist der Bau des großen Friedens. Und wenn die Völker dereinst in einem echten Verband geeint sind, werden sie, nach einem Spruch unserer Weisen, einander sühnen. Mit anderen Worten: Die Menschenwelt ist bestimmt, ein einziger Leib zu werden; bislang ist sie nichts als ein Haufe von Gliedern, von denen jedes meint, einen ganzen Körper zu bilden. Des weiteren ist die Menschenwelt bestimmt, dies durch das Tun und Lassen der Menschen selber zu werden. Wir Menschen sind betraut, unsern eignen Teil des Alls, die Menschenwelt, zu vollenden. Und es gibt ein Volk, daß diese Betrauung so laut und klar vernahm, daß sie ihm in die Tiefe der Seele drang. Es nahm den Auftrag an, nicht als Menge, sondern als Volk. Als ein Volk nahm es die Wahrheit an, die von dem Menschenvolk, von dem ganzen Menschengeschlecht verwirklicht werden will. Dieses ist sein Geist, der Geist von Israel. Die Betrauung war nicht an Einzelne, sondern an ein Volk gerichtet. Denn nur ein ganzes Volk, das vielerlei Menschen umfaßt, kann dem Menschengeschlecht ein Leben der Einheit und des Friedens, ein gerechtes Leben als Beispiel und Beginn vorleben. Eine wahre Menschheit, das heißt, ein aus Völkern gefügtes Volk, muß mit einem bestimmten, wahren Volk beginnen. Das vernehmende Volk war betraut, ein wahres Volk zu werden. Einzig die Verwirklichung der Wahrheit in den Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen eines Volkes, zwischen seinen Gruppen und Klassen, vermag eine Verwirklichung der Wahrheit zwischen den Völkern und das Werden einer wahren Völkergemeinschaft, eines Volkes aus Völkern, zu eröffnen. Einzig Völker, deren jedes ein wahres Volk ist, das im Licht der Gerechtigkeit lebt, vermögen in rechte Beziehungen zu einander zu treten. Das Volk Israel war betraut, auf dem Weg dahin voranzugehen. Zeitalter um Zeitalter hat das Volk Israel sein Erbe, diese Betrauung, behütet. Solang es im eigenen Land lebte, stellte es sie den andern Völkern dar. Als es aus seinem Lande verbannt wurde, brachte es sie den

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andern Völkern ein. Das Volk Israel verkündete sie in jenem Bekenntnis, dem es bis ins Martyrium treu blieb, und es verkündete sie durch seine bloße unzerstörbare Existenz: die Existenz derer, die das Erbe hüten. Aber die jüdische Nation bewährte sie nicht. Viele Generationen hindurch haben die Juden die sechshundertunddreizehn Vorschriften der überlieferten Thora gehalten; aber die Betrauung, die alle Vorschrift überragt, ist nicht erfüllt worden. Das Leben des Volks als solches ist nie ein Leben in Gerechtigkeit geworden. Das Volk wurde nicht zu einem wahren Volk, das den Völkern in der Verwirklichung der Wahrheit vorangeht. Ein einziger großer Versuch wurde unternommen, unter den beschränkenden Daseinsbedingungen des Exils ein konkretes Gemeinschaftsleben, das brüderliche Miteinanderleben der Söhne Eines Gottes zu erbauen. Dies war das Unternehmen des Chassidismus, und auch er drang nicht bis zur Kernfrage durch. Zudem verlor die Ortsgemeinde, die einzige soziale Grundlage im Leben der Diaspora, immer mehr von ihrer Selbständigkeit in Form und Gehalt; und wie kann die Gemeinschaft Israels essentiell fortleben, wenn es keine essentiell lebenden Gemeinden mehr gibt? Jetzt aber, da wir aufs neue, wiewohl nur für einen Teil des Volkes die freie Selbstbestimmung im eigenen Lande erlangt haben, was haben wir getan? Wohl sind wichtige soziale Experimente gemacht worden. Selbständige Formen der Genossenschaft sind entstanden, insbesondere mannigfache Typen der Gemeinschaftssiedlung, denen eine hohe Bedeutung für die Entwicklung der neuen menschlichen Gesellschaft zukommt. Aber in welchem Maße hat die Gemeinschaftssiedlung die jüdische Gesamtheit in Palästina beeinflußt? Welches Gewicht hat sie im Werdegang der sozialen Form dieser Gesamtheit? Und hat sie selber die Höhe echter Brüderlichkeit erreicht? Geschlecht um Geschlecht hat das jüdische Volk an die messianische Botschaft geglaubt. Es glaubte an sie und verkündigte sie; zuweilen erhob es sich auf den Ruf von »Messiassen« und schloß sich ihnen an. Aber es verwirklichte nicht, was den Einzelnen und dem Volke obliegt: den Beginn. Freilich ist es das Werk des Himmels, das Reich Gottes herbeizuführen; aber die Bereitung der Welt für das Reich, der Beginn einer Erfüllung der Wahrheit fordert Menschen und ein Menschenvolk. Und jetzt, nach einer Verkündigung ohne Erfüllung ist ein gewisses Maß von Erfüllung ohne Verkündigung in die Erscheinung getreten; man gebärdet sich, als ob das Reich anbräche – und weiß doch von keinem König und keinem Königswillen mehr. Der Geist Israels ist ein Geist der Verwirklichung. Aber wo ist seine

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Stätte? Wenn er keine Stätte hat, hat er keine Kraft. Nicht allein besitzen wir keine irgend angemessene Verwirklichung der Wahrheit, sondern der Glaube an sie wird unter uns immer dürftiger. Tag um Tag nimmt unter uns die Zahl derer zu, die sprechen: »Die Zeit der Humanität ist vorüber! Man kann nicht gegen den Strom schwimmen! Diese messianische Botschaft, Erfüllung der Gerechtigkeit, war nichts als der Ausdruck unserer Schwäche! Laßt uns stark werden!« Ihr einziger Wunsch ist, dem großen Wolfsrudel nachzutun. Von allen Arten der Assimilation, die wir im Laufe unserer Geschichte geübt haben, ist diese, die nationale Assimilation, die schlimmste und gefährlichste. Wenn wir die von den christlichen Völkern vorgebrachten Gründe des Judenhasses betrachten, finden wir, daß sie alle oberflächlich und flüchtig sind. Aber es gibt einen tiefen unbewußten Grund, der für alle Zeiten des Exils gilt. Das ist, daß in den Kreis dieser Völker ein Volk eintrat und sich darin zerstreute, das Träger einer in einem Buch aufgezeichneten himmlischen Betrauung war, und daß dieses Buch den Völkern heilig wurde, als sie das Christentum annahmen. Es ist einzig in der Menschengeschichte, einzig und unheimlich: der Himmel stellt eine besondere Forderung an die Erde, und diese Forderung ist in einem Buch bewahrt, und dieses Buch ist das Erbe eines Volkes, das unter die Völker zerstreut ist, mitsamt diesem seinem heiligen Buch, das auch ihnen allen heilig ist. Die Forderung schwebt über allen Völkern, eine allumfassende Forderung, die Gott an sie stellt. Und die Völker weigern sich, ihr genugzutun. Wohl wünschen sie, den Gott zu behalten, den sie empfangen haben, aber zugleich verwerfen sie seine Forderung. Dabei stützen sie sich auf die Lehren Sauls, des Juden aus Tarsos, der erklärt hat, es sei unmöglich, jene zu erfüllen, und es sei not, ihr Joch abzuschleudern, was rechtmäßig nur im Anschluß an jenen anderen Juden, Jesus von Nazareth, geschehen könne, der eben das Unmögliche tat, indem er sie erfüllte und eben dadurch auflöste: nichts sei mehr gefordert als der Glaube. So dachten die Völker, die in Sauls Fußspuren gingen. Aber ihrer Bestreitung der Thora stand dieses unselige jüdische Volk entgegen und trug das Buch in den Händen, das sein eigenes Buch und doch auch ein Teil des heiligen Buches der Völker war. Dies ist der wahre Grund ihres Hasses. Ihre Theologen erklärten, Gott habe dieses Volk verworfen, das kein Erbe mehr habe, da sein Erbe an die Christenheit übergegangen sei. Aber das jüdische Volk fuhr fort zu bestehen, und das Buch war in seiner Hand, und auch vom Scheiterhaufen her waren die Worte des Buches zu hören. Dies ist der beständige Grund des Judenhasses. In diesem Sinn ist es wahr, was ein

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hebräischer Dichter des frühen Mittelalters zu Gott spricht: »Wir werden gehaßt, weil wir dich lieben, Heiliger!« Es gab einen einzigen Weg, den Haß zu vertilgen: die Verwirklichung der Wahrheit. Hätten wir ihn beschritten und hätten Saul von Tarsos durch unsere Tat widerlegt, hätten wir den Völkern unmittelbar durch unsere Tat den Zugang zu einem besseren Leben auf Erden gezeigt, wir hätten aufgehört, ihnen ein Widerspruch und ein Entsetzen zu sein, und wären geworden, was wir in Wahrheit sind, ihr älterer Bruder. Die Völker haben das Evangelium angenommen, aber mit ihm kam die Thora Israels, die drei Dinge umfaßt: die Geschichte der Schöpfung, die sich zum Geschick Israels entfaltet; die Offenbarung Gottes, die zu vorderst seine Offenbarung an Israel war; und die messianische Weissagung, in deren Mitte das Ringen des Volkes Israel um die Erlösung der Menschheit steht. Und es sind die Bücher der Evangelien, die das Leben Jesu, des Juden, in dem sie den Erlöser selber sehen, erzählen, wie er es inmitten seines Volkes lebte; und eins von ihnen läßt ihn ausdrücklich sagen, er sei zu keinem andern als zu den »abgeirrten« (dies bedeutet das Wort, das der Grieche mit »verloren« wiedergibt) Schafen des Hauses Israel gesandt. Es war eine schwere Bürde für die Völker, dies als ihren eigenen Glauben voll anzunehmen. Darum lehnten sie sich immer wieder dagegen auf. Saul von Tarsos selber hatte zwar die Einheit der hebräischen heiligen Schrift und des Evangeliums aufrecht erhalten. Aber kaum zwanzig Jahre nach seinem Tode wurde ein Mann geboren, der sich unterfing, sie voneinander zu trennen. Das war der Gnostiker Marcion, der sich als einen Jünger Sauls verstand. Zur selben Zeit, da Hadrian den Aufstand Bar Kochbas niederwarf, Jerusalem zur römischen Kolonie machte und am Orte des zweiten Tempels einen Jupitertempel erbaute, kam Marcion aus Kleinasien nach Rom und brachte sein eignes Evangelium als einen geistigen Beitrag zur Zerstörung Israels mit. In seinem Evangelium schied er nicht allein das Neue vom Alten Testament und die Geschichte der Christenheit von der Israels, sondern auch den Gott der Christen von dem jüdischen Gott: dieser, als der Schöpfer einer so unvollkommenen Welt, mußte auch selber unvollkommen, nur noch ein gerechter, nicht ein guter Gott sein, wogegen der andere, der »fremde« Gott, der in seiner Urferne nichts mit der Welt gemein hat, sich ihrer erbarmt und sie erlöst. Daraus folgte die gnostische Umwertung: die körperhafte Welt ist wertlos, und an ihre Verbesserung ist kein Gedanke zu wenden. Es gibt aber eine andere Folgerung, die Marcion nicht äußerte, und die ihm wohl gar nicht ins Bewußtsein getreten sein mag. Wenn es mit Gott und der Welt sich so verhält, wie er meinte, dann ist diese unbeschränkt in den Händen der

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weltlichen Mächte. Jesus hieß seine Anhänger dem Cäsar was des Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist, geben. Aus dem Kontext erfahren wir, daß es darum geht, die auferlegte Steuer zu zahlen und nicht zu rebellieren, die ganze Wirklichkeit des Lebens aber Gott vorzubehalten. Marcion hingegen gab dem Cäsar diese Welt und Gott die andere. In seiner Lehre sind die Völker der Forderung des Himmels durch einen extremen Dualismus enthoben: die erlöste Seele auf der einen, die bestehende Gesellschaft auf der anderen Seite. Dort gibt es keine Gerechtigkeit sondern Gnade allein, hier aber auch jene nicht wahrhaft. Die Kirche ist Marcion nicht gefolgt: sie wußte, daß, würden Schöpfung und Offenbarung auseinandergerissen, ihr die ganze Grundlage ihres Einflusses auf die Ordnungen dieser Welt entzogen wäre. Auch die Reformation, wiewohl den Lehren Marcions näher stehend, nahm sie nicht an. Aber im Jahre 1920 schrieb Adolf von Harnack, der keineswegs ein »Antisemit«, vielmehr der Repräsentant eines breiten Liberalismus und eben deshalb der Meinung war, der nach Abzug der Propheten und der Psalmen verbleibende Teil des Alten Testaments hindere die innere Entwicklung des Christentums, in seinem Buch über Marcion: »Das Alte Testament seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu konservieren ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.« Harnack starb 1930; drei Jahre danach war sein Gedanke, der Gedanke Marcions, in Handlung umgesetzt, nicht mit Mitteln des Geistes, sondern mit denen der Gewalt und des Terrors. Der Staat, dessen Bürger Harnack gewesen war, stellte die Kirchen vor die Wahl, entweder den Geist Israels gänzlich auszuschalten und damit allem Einfluß auf die Geschäfte dieser Welt, die des Staates und der Gesellschaft, zu entsagen oder mitsamt dem Judentum liquidiert zu werden. Marcions Gabe an Hadrian war in andere Hände übergegangen. Inzwischen sind diese Hände abgehauen worden. Aber wir wissen nicht, in wessen Händen sich Marcions Gabe wiederfinden wird, wissen heute nicht, wann die Kirchen wieder vor die Wahl zwischen den Verzicht, welcher der innere Tod ist, und den äußeren Untergang, welche die Aussicht auf Wiedergeburt aus dem Dunkel der Katakomben bedeutet, gestellt werden. Dies jedoch wissen wir, daß die Entfernung des jüdischen Elements aus dem Christentum die Entfernung der göttlichen Forderung und des konkreten Messianismus bedeutet. Was aber ist es um uns Juden? Wir haben kein Recht, den Begriff »Geist Israels«, wie wir gewohnt sind, als einen Namen des »Fürsten« unseres Volkes zu gebrauchen, eine

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unter all den widereinander streitenden nationalen Kräften. Wir dürfen ihn nicht als eine metaphorische Maske für unsere eigene Selbstsucht gebrauchen. Der wahre Geist Israels ist die göttliche Forderung, die in unsere Herzen gepflanzt ist. Wir dürfen nicht auf ihn stolz sein, denn wir haben ihn verraten. Unser erster Schritt in dieser Stunde sollte sein, uns volle Rechenschaft zu geben über unsere Seelen, ohne uns irgend etwas zu verhehlen; ein Inventar unserer Wirklichkeit aufzunehmen, in das kein fiktiver Wert Einlaß findet. Die Frage, die einst Israel in der Wüste fragte, »ob Gott in unserer Mitte wese oder nicht«, darf auch von uns gefragt werden, aber nur mit einer echten Intention. Dann wird die Frage bedeuten: Ist wahre Ergebenheit an Gott in unserer Mitte oder nicht? Und wahre Ergebenheit an Gott heißt: der Wille, seine Wahrheit zu verwirklichen. Und dies wieder heißt: ihm seinem Willen nach helfen, die Absicht seiner Menschenschöpfung ins Werk zu bringen, durch Konstituierung eines Volkes, dessen König er ist. Wie aber wäre es uns gegeben, dies zu erfüllen, wenn nicht, indem wir die rechte Gemeinschaft unseres Volkes in seinem Land erbauen, von den Gemeinschaften der Familie, der Nachbarschaft und der Siedlung bis zu der der Gesamtheit? Denn es gibt keine wahre Volksgemeinschaft, wenn sie nicht aus wahren Familien und wahren Nachbarschaften und wahren Siedlungen besteht. Aber es gibt dergleichen keine wahre Volksgemeinschaft, wenn sie ihre Wahrhaftigkeit nicht auch in den Beziehungen eines fruchtbaren Friedens mit den andern Völkern bewährt. Ein wahres Volk ist eine Macht des großen Friedens, der überallhin ausstrahlt. Nur wenn wir nach innen und nach außen ein Leben der Wahrheit zu leben uns anschicken, nehmen wir, unter von Grund aus veränderten Bedingungen und selber von Grund aus verändert, dennoch die Existenz des Volkes wieder auf, das im Anfang seiner Weltfahrt den Herrn der Welt zu seinem König erkor. Wenn wir in unserem eigenen Umkreis an die Verwirklichung gehen, werden wir auch berechtigt sein, den Geist Israels gegen den offenen oder versteckten Marcionismus der Völker zu setzen: gegen den Dualismus der erlösten Seele in einer der Unerlöstheit preisgegebenen körperlichen Welt das Leben der Verantwortung im Dienste der Einheit.

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Um das Wesen dessen zu erkennen, was wir eine »große Kultur« nennen, müssen wir die uns geschichtlich hinreichend bekannten großen Kulturen nicht in der Zeit ihrer vollen Entwicklung, sondern in ihrer Frühzeit betrachten. Wir sehen dann, daß jede von ihnen nur als Lebenssystem zu erfassen ist. Zum Unterschied von einem Denksystem, das die Bereiche des Seins von einer zentralen Idee aus beleuchtet und durchleuchtet, ist als Lebenssystem die reale Einheit anzusehen, in der sich je und je die Daseinsbereiche einer historischen Gemeinschaft um ein höchstes Prinzip aufbauen. Dieses Prinzip tritt nur in hohen Stunden des Geistes ins zulängliche Bewußtsein und in die zulängliche Sprache, aber seine Lösung durchdringt, in mannigfaltigen Verzweigungen und Gestaltungen, und freilich auch in verschiedenen Graden der Intensität, das ganze Dasein der Gemeinschaft. Sein Charakter ist stets zugleich ein religiöser und ein normativer. Ein religiöser, denn es bedeutet eine Bindung des menschlichen Lebens an das Absolute, die sich zwar dem begrifflichen Verständnis erschließt, aber in ihrem Wesen konkret ist, Konkretes meint und auf Konkretes hinweist. Und als normativ ist der Charakter des Prinzips zu bezeichnen, weil es sich zwar immer auf ein transzendentes Sein bezieht, das in dem ganzen Kosmos waltet, aber dieses Sein als für den Menschen vorbildlich verkündigt, als das, was allein, von ihm in seiner Lebenshaltung und in seinem Gemeinschaftsaufbau nachgeahmt, dem irdischen Dasein Anspruch und Sinn verleiht, ja von dessen irdischer Verwirklichung durch den Menschen dessen Bestand schlechthin abhängt. Ich exemplifiziere an einigen großen Kulturen der alten Welt, doch gilt das, was ich meine, mit Modifikationen auch von der christlichen Kultur des Abendlandes. Ob wir an das chinesische Tao denken, die »Bahn«, in deren ewigem Rhythmus sich Widerstreit und Ausgleich aller Gegensätze vollziehen, oder an das indoarische Rita oder Urta, die »Zusammenfügung«, das Prinzip des Richtigen und Rechten, oder an das Zedek Israels, in dem sich Wahrheit und Gerechtigkeit vereinigen, oder auch an die Dike der Griechen, den strengen Gang des Weltprozesses und das dadurch bestimmte Maß – überall hat das Sein eine dem Menschen zugekehrte Seite, die ein Sollen ist; überall hat der Mensch, wenn er als Mensch existieren will, einem übermenschlichen Vorbild nachzuleben; überall sind die Grundlinien einer wahren menschlichen Gesellschaft im Himmel vorgezeichnet. Alle Gebiete des Daseins sind zunächst von diesem Prinzip, von dem Verhältnis zu ihm bestimmt; die Weisheit

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will sein Wirken ergründen, die Kunst will es gestalten, und wo man die Wahrheit in das öffentliche Leben selber einzuführen sucht, schaut man zu den Sternen auf und über sie hinaus. Der Mensch, wie er ist, (der in all diesen Lehren mehr oder weniger als ein der ursprünglichen Eintracht mit dem Sein entfallener verstanden wird) widerstrebt naturgemäß dem Geheiß, das er, der Mensch, entweder dem Kosmos abgelesen oder von einer ihm und dem Kosmos überlegenen Macht unmittelbar vernommen hat. Er will und will nicht die himmlische Wahrheit zur irdischen Wirklichkeit machen. Er lehnt sich praktisch auf gegen das, was er nicht bloß grundsätzlich anerkennt, sondern schaut und empfängt. Aber aus diesem stummen Ringen des Menschen mit dem Geist geht der Aufstieg der großen Kultur hervor. Der Geist bezwingt und wird bezwungen, er dringt vor und hält ein, er stößt auf die menschliche Materie und findet seine Schranke an ihr, und hier, in der jeweiligen Kampfpause zwischen Himmel und Erde, entstehen immer wieder die spezifischen Formen einer Kultur, die auch für all ihre Weisheit und all ihre Kunst bestimmend sind. Unter den großen Kulturen der alten Welt ist eine gewesen, in der die Einwirkung des religiösen und normativen Prinzips auf alle Bereiche des öffentlichen Daseins in einer besonderen, ihr eigentümlichen Prägnanz hervorgetreten ist. Allen anderen war, wenn auch in verschiedener Stärke der Ausbildung, die Grundlehre von der himmlisch-kosmischen Gesellschaft gemeinsam, der die irdische, die menschliche entspricht, oder vielmehr entsprechen soll, einst, etwa im goldenen Zeitalter, entsprochen hat, oder dereinst, etwa im vollkommenen Siege des Lichtes über die Finsternis, entsprechen wird. Im alten Israel steht an Stelle dieser Lehre die vom Herrn alles Seins und alles Werdens, der, wie die Sonne an den Himmel, so das Gebot der Wahrheit und Gerechtigkeit in die Menschenwelt gesetzt hat. Wohl war auch in den anderen Kulturen das normative Prinzip von göttlichen Wesen getragen und gebürgt, die jene obere Gesellschaft regierten; aber nur Israel kannte einen Gott, der sich es, ein Menschenvolk, ausersehen hatte, daß es ihm durch die Verwirklichung der Gerechtigkeit die erschaffene Erde zum Königreich bereite. Für Israel ist das Prinzip die Norm und das Gesetz, für Israels Gott ist es das durch die Bundeslade symbolisierte bewegliche Fundament, auf das er seinen irdischen Thron stellen will. Darum bindet es hier Gottheit und Menschheit in jener nichts anderem vergleichbaren Konkretheit, die als Bund bezeichnet wird. Und eben damit wird hier, und nur hier, ein geheimnisvolles Ja und Nein in einem zur Kultur gesprochen: Gott will die ganze Kultur des Menschen – aber als eine nicht sich selbst überlassene, sondern ihm, Gott, gehörige.

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Nun verhält es sich aber allgemein so, daß der Widerstand des Menschen gegen die geistige Forderung, der sich, wie gesagt, bereits in der Entstehungszeit einer Kultur bekundet, sich entscheidend steigert, wenn sie sich ihrer Höhe nähert. Im Maße der Ausbildung ihrer spezifischen Formen strebt jede Kultur immer stärker danach, »autonom« zu werden, das heißt, sich von ihrem Prinzip unabhängig zu machen. Das kommt in den großen westlichen Kulturen teils dadurch zum Ausdruck, daß ihre einzelnen Bereiche sich verselbständigen und jeder von ihnen sich seine eigene Grundlage und seine eigene Ordnung erringt, teils dadurch, daß entweder das Prinzip selber seines absoluten Charakters und seiner absoluten Gültigkeit beraubt wird, so daß die Norm zur menschlichen Konvention herabsinkt, oder aber daß man die Bindung an das Absolute eingestandener oder uneingestandener Weise auf einen nur noch symbolischen Anspruch reduziert, der auf kultischem Gebiet zureichend befriedigt werden kann. Jetzt mögen in einer Kultur auf den verschiedenen Einzelgebieten herrlichere Werke geschaffen werden als sie sie je zuvor hervorbrachte: die Einheit im Geiste ist ihr verloren. Als Beispiel dafür mögen das perikleische Athen und die Hochrenaissance dienen. Teilweise anders vollzieht sich die Entwicklung in den Kulturen des Orients. Hier emanzipieren sich die Sonderbereiche nie völlig von der Einheitsbindung, aber auch hier wird das Prinzip immer mehr zum Gegenstand der Doktrin statt der Lebensbeziehung, und sein Dienst wird aus einem die reale Existenz umfassenden immer mehr zu einem nur noch formalen und symbolischen. Und überall, hier wie dort, untergräbt die Kultur, indem sie das Prinzip, aus dessen Erscheinung sie einst entstand, aus einer wirkenden Realität zu einer verehrten Fiktion macht, sich den eigenen Grund. Überall hat es Menschen gegeben, die den Gang in den Abgrund in seinem Wesen erkannten und ihn aufzuhalten suchten. Aber in einer einzigen Kultur hat sich ein elementarer und alle geistige Leidenschaft des Volkes umfassender Protest gegen die Entmächtigung des Prinzips erhoben. Es war dies naturgemäß eben jene Kultur, in der, wie in keiner anderen, das Absolute einen Bund mit der ganzen Sphäre der menschlichen Existenz geschlossen hatte und sich weigerte, irgendeinen Bestandteil dieser Sphäre der Relativität zu überlassen. Nie und nirgends sonst in der Menschenwelt ist dem Geiste, Generation um Generation, so kämpferisch gedient worden, wie es die Propheten Israels getan haben. Die Männer des Geistes in ihren Geschlechtern haben es hier auf sich genommen, jenes Ja und Nein zur Kultur in der Aktualität der historischen Stunden zur Tat werden zu lassen. Der Kampf richtete sich gegen alle, die von dem Gebot der Verwirklichung der Gotteswahrheit in der

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Fülle des Alltags von Individuum und Volk in das Nur-formale, das Nurrituale, also in das Unverbindliche auswichen, alle, die dieses Ausweichen lehrten und praktizierten und damit den angerufenen Namen Gottes zu einer sorgsam gehüteten Fiktion degradierten. Dieser Kampf wird für die Ganzheit und Einheit der Kultur geführt, als die nur als eine Gott geheiligte ganz und eins sein kann. Der Prophet, der von den Machthabern die Abschaffung des sozialen Unrechts, um Gottes willen, forderte, kannte den Begriff der Kultur nicht, aber er setzte sein Leben ein, um sie zu retten. Damit war der Protest gegen die falsche Emanzipation der Kultur auf eine solche Weise angemeldet, daß er in alle Zukunft der Menschheit, ganz besonders aber in die Problematik der auf ihn folgenden Kultur, der des christlichen Abendlandes, mahnend und warnend hineinwirken mußte und hineingewirkt hat. Seine stärkste Wirkung steht ihm freilich meiner Überzeugung nach noch bevor. Um die Bedeutung der prophetischen Religion für die Menschheit und ihre Kultur in der Vergangenheit und der Zukunft recht zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, weshalb gerade in Israel der große Protest des normativen Prinzips laut geworden ist, sein Protest gegen all jene Entwicklung der Kultur, die es seiner absoluten Geltung oder gar seines Wirklichkeitscharakters zu berauben strebte. Zur Antwort ist auf den Israel eigentümlichen religiösen Realismus hinzuweisen, der in der Menschenwelt keine abstrakt bleibende, selbstgenügsame, über der Wirklichkeit schwebende Wahrheit erträgt, sondern alle Wahrheit mit einer Forderung verbunden sieht, die vom Menschen, vom Volk, von Israel die integrale Erfüllung in der irdischen Wirklichkeit heischt. Und integrale Erfüllung, das bedeutet zweierlei: sie muß erstens das ganze Volksleben, die ganze Volkskultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Staat umfassen, und zweitens, sie muß den ganzen Menschen, sein Gefühl und seinen Willen, sein Tun und sein Lassen, sein Arbeiten und sein Feiern, sein Leben im Haus und auf dem Markt, im Tempel und in der Volksversammlung umfassen – das heißt, sie bedeutet die Ganzheit und Einheit der Kultur in all ihrer Mannigfaltigkeit. Naturgemäß widerstreben die Menschen, und insbesondere die Inhaber der Herrschaft und des Besitzes, der Forderung nach integraler Erfüllung der göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit; daher sind sie bemüht, den konkreten Dienst Gottes auf das sakrale Gebiet zu beschränken, auf allen andern aber seine Autorität nur mit Worten und Symbolen anzuerkennen. Hier eben setzt der prophetische Protest ein. Ein beredtes Beispiel mag veranschaulichen, um was es geht. Im alten Orient wurde der König im allgemeinen als ein Sohn des obersten Gottes angesehen; man sah ihn als von Gott adoptiert oder als von diesem ge-

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zeugt an. Auch Israel war diese Vorstellung, natürlich in der ersten Form, nicht fremd; der Psalmist läßt Gott zum König in der Stunde, da er auf dem heiligen Berg zum König gesalbt wird, sprechen: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.« Die Salbung im Namen Gottes machte den Throninhaber Gott verantwortlich, und zwar nicht bloß wie der Statthalter, der er war, dem Herrscher verantwortlich ist, sondern wie ein Sohn dem Vater. Auch andere Völker des Alten Orients kannten dieses besondere Verhältnis des Königs zum Gott; aber in Babylon wurde die Verantwortung dadurch allein zum Ausdruck gebracht, daß am Neujahrsfest, als an dem Tage, da die Welt sich erneut und alles von neuem beginnt, der Priester dem König einen symbolischen Schlag auf die Wange versetzte, womit für die Dauer des kommenden Jahres genug geschehen war; in Ägypten hatte es sein Bewenden bei heimlichen Gesprächen des Königs mit seinem »Vater«, aus denen sich nichts ergab. Anders in Israel. Hier steht der Prophet immer wieder vor dem König als der ihn im Namen Gottes zur realen Verantwortung Ziehende. Dieser prophetische Realismus konzentriert sich in dem Gottesspruch, den der Prophet Natan dem König David übermittelt: Gott wolle Davids Sohn zu seinem, Gottes, Sohn adoptieren, wenn er sich aber verfehle, werde er ihn, wie eben ein Vater seinen Sohn, züchtigen und zwar durch Menschenhand, durch die Hand der Feinde Israels, denen ein die Gerechtigkeit nicht erfüllendes Israel erliegen muß. Das Beispiel der prophetischen Stellungnahme zu den untreuen Königen ist aber geeignet, uns das Wesen der Beziehung zwischen Judentum und Kultur noch deutlicher zu machen. Man darf hier nicht, wie es nicht selten geschehen ist, an einen Konflikt zwischen Religion und Kultur denken: es besteht nur ein Konflikt innerhalb der Kultur (das Wort im weitesten Sinne verstanden), nämlich zwischen ihrem führenden Prinzip, aus dessen Wirkung sie hervorgegangen ist, und den verselbständigten Bereichen, die sich seiner Oberhoheit fortgehend entziehen. Die Kampflinie führt aber oft genug auch quer durch die Religion selbst, dann nämlich, wenn sich die beamtete religiöse Autorität, die Priesterschaft, auf die Seite der Macht schlägt und sie deckt; hier gibt die Religion ihren Anspruch, Beweger des Ganzen zu sein, auf, um auf Grund ihres Bündnisses mit den Machthabern sich im Besitz des ihr angewiesenen Sondergebiets zu erhalten. Dieser Koalition von eingesetzter Macht und eingesetzter Autorität steht dann der Prophet als der Mann gegenüber, der beides nicht hat – und nicht haben soll. Nur in der Frühzeit Israels, vor der Entwicklung, die den Protest hervorruft, sehen wir Gestalten wie Moses und Samuel, die zugleich prophetischen Charakter haben und mit

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geschichtsbestimmender Macht und Autorität begabt sind; später gehört die Preisgegebenheit des Propheten zum innersten Wesen der Situation. Aber das Beispiel, das ich gewählt habe, kann uns noch tiefer in das Wesen unsers Gegenstands einführen. Denn aus der Erfahrung, daß die göttliche Forderung unerfüllt bleibt, wird die messianische Verheißung geboren, und wie im Mittelpunkt der Erfahrung die Nichterfüllung durch den König stand, so steht der erfüllende König im Mittelpunkt der Verheißung. Weil er den Auftrag, den die Könige in der Salbung erhalten, endlich verwirklicht, heißt er »der Gesalbte«, der Messias. Endlich soll der Mensch Gott entgegenkommen. Um ihn soll sich erst Israel, dann das Menschenreich als das erfüllte Königtum Gottes erbauen. Dieses aber ist nicht als die Überwindung und Aufhebung der mißglückten Menschenkultur gemeint, sondern als ihre Heilung, die ihre Läuterung und Vollendung ist. Wenn das durchgebildete Menschenleben in all der Mannigfaltigkeit seiner Bereiche ein dem Göttlichen geweihtes Ganzes und Eines wird, dann wird, wie einst von Abraham über seinem Altar, der Name Gottes über der Erdenwelt als dem Herrschaftsbesitz ausgerufen werden, den er antritt. In der altpersischen Lehre wird im weltschmelzenden Brande die menschliche Substanz verwandelt: ein neues Gotteswerk tritt an Stelle des zerfallenen Menschenwerkes. Wie die Apokalyptik des hellenistischen Peripherie-Judentums, so hat das Christentum diese Grundkonzeption entfaltet. Das zentrale Judentum hat sie verworfen. In sein Weltexil ist es mit der prophetischen Lehre gegangen, nach der die zerrüttete menschliche Substanz auf die Umkehr aus ihrem Abgrunde zu Gott die Erwiderung seiner rettenden Kraft erfährt, die die Schöpfung des Menschen mit dessen Hilfe vollendet. Die an sich verzweifelnde Kultur bringt sich Gott dar und wird von seiner Hand zu ihrer Wahrheit erlöst. Diesen festen realistischen Glauben an die Zukunft des göttlichen Ebenbildes, an dessen Verlust Israel nie geglaubt hat, kann man nicht mit dem billigen Schlagwort eines Kulturoptimismus abtun. Es ist der Glaube, daß wie jeder umkehrende Sünder, so auch die sündige Kultur Vergebung finden kann. Wie der Mensch sich nicht durch Abstrich von seiner Existenz, nicht durch Primitivierung seiner Lebensform heiligt, so wird eine geheiligte Menschenkultur auch ohne Abstrich Aufnahme finden. Hier wie überall anders gibt sich das religiös-normative Prinzip Israels als ein seinem ganzen Wesen nach geschichtliches kund. Wie seine Stiftung sich in einem Vorgang der Volksgeschichte darstellt, so trägt auch sein höchstes Ziel geschichtlichen Charakter. Das Übergeschichtliche prägt das Geschichtliche, aber es ersetzt es nicht.

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Mit diesem realistischen und messianischen Geschichtsglauben in seinem Buch und in seiner Seele ist das jüdische Volk in sein Weltexil gezogen, das heißt im wesentlichen in eine Kultur, deren religiös-normatives Prinzip das christliche war. Von entscheidender Bedeutung für dieses Verhältnis war die Tatsache, daß das Christentum seinen Ursprung in einer deformativen Spätphase des jüdischen Messianismus hatte, in der er sich die Geschichte nicht mehr erringen, sondern ihr in eine reinere Sphäre entrinnen wollte, daß es sich aber in einer Gruppe von Völkern niederließ, die eben ausgezogen waren, sich die Geschichte zu erobern. In ihr Dasein und ihren Widerspruch war nun das jüdische Volk mit seinem Dasein und seinem Widerspruch eingesprengt, angewiesen, mit seinem unerfüllten Geschichtsglauben unter ihnen gleichsam geschichtslos zu leben, – unter ihnen, die der Geschichte verhaftet waren, und deren Glaube sie die Geschichte überwinden hieß. Wir wissen, was sich aus dieser Grundsituation auf dem Weg der Zeiten ergeben hat. Unser Prinzip, die Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes, die sich im Raum des Menschenlebens und der Menschengeschichte erfüllen will und das messianische Bild der Erfüllung an die Himmelsdecke dieses Raumes malt, strahlte zwar immer noch aus unserem Buch in die Welt, und manche christlichen Glaubensmänner wurden von seinen Strahlen getroffen, bis der eine und andere von ihnen den Gedanken faßte, von seinem Volke sei wie einst von Israel gefordert, ein heiliges Volk zu werden und seine Kultur in all ihren Bereichen zu heiligen. Uns selber war die Aktualisierung in der Welt und an ihr versagt. Im inneren Leben der jüdischen Gemeinschaft ist in der Zeit der Zerstreuung Großes geschehen, auf Gott zu und auf die Brüder zu; aber eine Volksgestalt zu formen, die den göttlichen Sinn darstellt, war uns nunmehr dadurch verwehrt, daß wir keine selbständige Gemeinschaft, keine »Selbstbestimmung« mehr hatten. Die messianische Glaubensidee, von der natürlichen Stätte ihrer Verwirklichung abgeschnitten, verlor sich immer mehr in spätgnostischen Spekulationen und in stürmenden Kollektivekstasen. Und doch wußten wir im innersten Herzen nach wie vor: auf die Bewährung mitten in der Geschichte kommt es an. Als wir endlich aus dem Ghetto in die Welt traten, geschah uns von innen her Schlimmeres als uns je von außen geschehen war: in das Urfundament, die einzigartige Einheit von Volk und Religion, war ein tiefer Riß gekommen. Er ist seither immer tiefer geworden. Auch das bedeutsame Ereignis unserer Tage, der Wiedereintritt der Juden in die Geschichte der Völker durch den Wiederaufbau eines jüdischen Staates, ist zuinnerst durch diesen Riß beeinflußt und gekennzeichnet. Die eigene Stätte und die Frei-

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heit zur Verwirklichung unseres Seinsprinzips sind uns von neuem geschenkt, aber Israel und sein Prinzip sind auseinandergeraten. Wir sind nunmehr, so sagt man, der Erneuerung einer lebenden jüdischen Kultur gewiß; aber wann wäre je eine echte Kultur anders denn als die Entfaltung solch eines Urprinzips gewachsen! Man sucht den Riß zuzudecken, indem man religiöse Grundbegriffe, wie Gott, Israel und Messias, auf nur-politische Vorgänge anwendet; und die bereitliegenden Worte leisten keinen Widerstand – aber die heilige Wirklichkeit, die mit ihnen gemeint war, entzieht sich solcher Rede, wenn die Rede nicht eben sie, nicht eben die Erfüllung der Wahrheit und Gerechtigkeit meint. Gewiß, es ist ein schweres, furchtbar schweres Werk, die Pflugschar des normativen Prinzips in die harte Scholle der politischen Wirklichkeit zu treiben; aber billiger als so erwirbt man das Recht nicht, einen geschichtlichen Moment ins übergeschichtliche Licht zu heben. So das neue jüdische Gemeinwesen. Wie aber steht es um die trotz all der ungeheueren Zerstörung und Zerrüttung immer noch kräftig lebendige Diaspora? Nirgends, soweit ich sehe, ist hier ein großes Streben bemerkbar, den Riß zu heilen und unser faktisches Gemeinschaftsleben zu heiligen. Und kann dort, im eigenen Lande, die Frage nach der Existenz des Judentums durch all die Kämpfe und Gefahren noch verhüllt werden, in der Diaspora tritt sie uns in dieser Stunde schon nackt gegenüber. Sind wir noch Juden? Mit unserem Leben noch Juden? Lebt das Judentum noch? Indessen aber ist in der Menschheit die große Krisis ihrer Kulturen und ihrer Kultur, die eine Krisis des Menschen ist, immer deutlicher angebrochen. Alle Urbindungen scheinen sich zu lösen, aller Urbestand sich zersetzen zu wollen. Der Mensch kostet, wie er sagt, das Nichts und läßt auch es noch auf seiner Zunge zergehen; oder er füllt den des Sinns entleerten Raum des Daseins mit der Masse der Programme. Woran ist die Welt? Ist heute, wie einst an einer anderen Wende ein Jude am Jordan zu Recht und doch zu Unrecht meinte, die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt? Und wenn es so wäre, wie ist der Zustand der Wurzeln selber? Sind die Wurzeln noch so gesund, daß sie in den überbleibenden Stumpf neuen Saft treiben und einen neuen Trieb aus ihm emporjagen können? Sind die Wurzeln zu retten? Wie sind die Wurzeln zu retten? Wer kann sie retten? In wessen Hut sind sie gegeben? Erkennen wir uns selber: wir sind die Hüter der Wurzeln. Wir sind es. Wie können wir es werden? Wie werden wir, die wir sind?

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Es ist mir zuweilen, als hörte ich aus der Tiefe der Stille eine Frage, aber der sie fragt, weiß nicht, daß er fragt, und der gefragt wird, weiß nicht, daß er gefragt wird. Es ist die Frage, die die moderne Welt, ohne es zu wissen, an die Religion richtet. Die Frage lautet: »Bist etwa du es, die mir helfen kann? Kannst du mir helfen, daß ich glauben lerne? Nicht an Phantasmagorien und an Mystosophien, nicht an Ideologien und an Parteiprogramme, nicht an irgendetwas klug Ausgedachtes und geschickt Vorgetragenes, das nur so lange wahr scheint, als es Erfolg hat oder Aussicht auf Erfolg hat, sondern an Unbedingtes und Unerschütterliches? Daß ich an die Wirklichkeit, an das Bestehen, an die Existenz glauben lerne? Glauben lerne, daß mit der Wirklichkeit etwas gemeint ist, daß das Bestehen irgendwohin zielt, daß es Sinn hat, dazusein? Wer sonst könnte mir dazu helfen, wenn du es nicht kannst?« Natürlich wird die moderne Welt aufs heftigste bestreiten, daß sie geneigt oder auch nur imstande sei, so zu fragen: sie wird leidenschaftlich beteuern, daß sie die Religion für eine Illusion, und vielleicht nicht einmal eine schöne, halte; und sie wird das sozusagen mit gutem Gewissen tun, denn solcherart ist die Sicherheit ihres Bewußtseins; aber im innersten Grunde ihres Herzens, da wo die Verzweiflung wohnt, regt sich auch immer wieder, scheu und jedesmal sogleich niedergezwungen, die Frage. Sie wird stärker, sie wird stark werden. Die Frage ist an die Religion überhaupt, an die Religion als solche gerichtet. Aber wo ist die zu finden? Um die isolierte gläubige Individualität kann es sich nicht handeln, denn wie sollte sie einem solchen Anspruch, in solcher Stunde, gewachsen sein! Nur die historischen Religionen können die konkreten Empfänger der Frage sein, diese und jene unter ihnen. Freilich wird nicht ihre Dogmatik und nicht ihr Zeremoniell die Antwort erteilen können; die eine ist dazu da, den seinem Wesen nach überbegrifflichen Glauben nachträglich in begrifflichen Sätzen zu formulieren, das andere dazu, die Beziehung zum Schrankenlosen in festen und regelmäßigen Handlungen auszudrücken, beide haben ihre spezifische Einflußsphäre, aber beide sind nicht befähigt, der modernen Welt zu helfen, glauben zu lernen. Das in den geschichtlichen Religionen, woran sie zu appellieren berechtigt ist, ist die Glaubenswirklichkeit in ihnen, das, was hinter aller Formulierung und allem Ausdruck steht, aber eben da ist, das, was immer neu in dem gelebten Leben menschlicher Personen volle Existenz gewinnt. Auf dieses eine kommt es an: auf die

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persönliche Existenz, die den Ursinn einer Religion verwirklicht und damit deren Leben bezeugt. Wer aber auf die Frage, von der ich spreche, genau hinhorcht, merkt, daß sie auch an das Judentum gerichtet ist, ja daß dieses sich in der vordersten Reihe der Angesprochenen befindet. In der letzten Zeit habe ich häufig Äußerungen aus aller Welt erhalten, aus denen herauszuhören ist, daß man vom Judentum Sinn-Aufzeigung und Weg-Weisung erwartet. Diesen Äußerungen war anzumerken, daß ihre Urheber für viele Schweigenden sprachen. Das ist ein Neues, daß die Welt etwas vom Judentum erwartet. Viele Jahrhunderte lang war die Tiefe des Judentums unbekannt und unbeachtet: im Zeitalter des Ghettos, weil die Wirklichkeit der jüdischen Existenz gar nicht gesehen wurde, im Zeitalter des Auszugs aus dem Ghetto, weil nur Juden, nicht das Judentum in die Erscheinung trat. Etwas scheint sich da ändern zu wollen. Woran liegt das? An der Hinmetzelung der Millionen? Die kann es nicht erklären. Oder an der Errichtung eines jüdischen Staates? Die kann es ebensowenig erklären. Und doch gehören beide irgendwie als Voraussetzung dazu, daß man die Tiefe des Judentums zu sehen beginnt. An großen Phänomenen des Sterbens und des Lebens hat sich endlich der Welt das Dasein der Judenheit als eine positive Tatsache aufgetan, und von da aus beginnt man auch das Judentum zu sehen. Und dabei entdeckt man allmählich etwas an ihm, was der geistigen Not unserer Zeit in einer besonderen Weise abzuhelfen geeignet erscheint. Zu entdecken ist dies freilich nur, wenn man das Judentum in seinem Gesamtweg, vom Dekalog bis zum Chassidismus, als eine Einheit erfaßt, in der ihm eigentümliche Grundtendenzen sich immer umfassender entfaltet haben. Diese Einheit, diese Grundtendenzen und ihre Entfaltung sind freilich auch den Juden unserer Zeit, auch den am ernstesten den Weg der Wahrheit suchenden, zumeist noch unerkannt geblieben. Das wird uns besonders deutlich, wenn wir auf jene unter den geistig repräsentativen jüdischen Zeitgenossen achten, deren religiöses Bedürfnis vom Judentum unbefriedigt geblieben ist. Es ist ja ein höchst charakteristisches Faktum, daß in der Frühzeit der modernen Gesellschaft geistig wichtige Juden sich dem Christentum nicht als der christlichen Religion, sondern als der christlichen Kultur zugewandt haben, wogegen heute die bemerkenswerten Sympathien geistiger jüdischer Menschen für das Christentum in einem Gefühl religiösen Mangels und religiösen Verlangens wurzeln. Die Betrachtung zweier Beispiele wird uns erläutern, um was es hier geht, und uns zugleich unseren Gegenstand, die religiöse Bedeutung des Judentums für die Welt in dieser Stunde, wesentlich erschliessen. Das eine Beispiel bietet uns Bergson, der Denker, der, wie Nietzsche, seine

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Philosophie auf der Bejahung des Lebens aufbaut, aber, im Gegensatz zu Nietzsche, als das Wesen des Lebens nicht die Macht, sondern die Anteilnahme an der Schöpfung ansieht und daher, wieder im Gegensatz zu Nietzsche, die Religion nicht bekämpft, sondern als den Gipfel des menschlichen Lebens preist. Das andere Beispiel ist die jung verstorbene Simone Weil, in deren hinterlassenen Aufzeichnungen eine starke und theologisch tiefgreifend begründete Verneinung des Lebens zum Ausdruck kommt, die folgerichtig zur Verneinung sowohl des Ich wie der Gesellschaft führt. Beide, Bergson und Simone Weil, waren Juden, beide waren gewiß, in der christlichen Mystik die religiöse Wahrheit gefunden zu haben, die sie suchten; Bergson freilich sah in der Prophetie Israels eine Vorstufe des Christentums, wogegen Simone Weil Israel und das Judentum schlechthin verwarf. Beide sind nicht zum Christentum übergetreten, Bergson wohl, weil es ihm widerstrebte, die Gemeinschaft der Verfolgten und Mißhandelten zu verlassen, Simone Weil aus Gründen, die ihr von ihrer religiösen Anschauung eingegeben waren, worunter anscheinend von erheblichem Gewicht war, daß ihr die Kirche noch zu jüdisch erschien. Prüfen wir, wie der eine, wie die andere das Judentum sah, und wie sich das Judentum, das sie sahen, zu der jüdischen Glaubenswirklichkeit, zu jener sich in den Zeiten entfaltenden Einheit verhält, die, wie gesagt, auch den meisten Juden unserer Tage verborgen geblieben ist. Das Bild, das Bergson sich vom Judentum macht, ist das konventionell-christliche, in dessen Ursprung die Absicht steht, die neue Religion als eine Erlösung vom Joch der alten zu erweisen. Danach wäre auf einen Gott der Gerechtigkeit, der im wesentlichen an seinem eigenen Volke, Israel, Gerechtigkeit übt, ein Gott der Liebe gefolgt, einer Liebe zur ganzen Menschheit. Erst mit dem Christentum läßt Bergson einer sozialen Moral eine humane, einer statischen eine dynamische, einer Moral der geschlossenen Seele eine der offenen Seele gegenübertreten. Simone Weil geht in der gleichen Richtung viel weiter. Sie wirft Israel Götzendienst vor, den einzigen wirklichen Götzendienst, nämlich den der Kollektivität, die sie, ein Gleichnis Platons verwendend, das große Tier nennt. Das Soziale ist ihr der Bereich Satans, denn die Kollektivität maßt sich an, einem zu diktieren, was gut und böse sei, sie tritt zwischen Gott und die Seele, ja sie verdrängt Gott, sie etabliert sich als Gottersatz. In dem alten Rom sieht Simone Weil das »große Tier« als atheistischen Materialisten, der nur sich selber anbetet, in Israel sieht sie es in religiöser Gestalt; aber sein Gott sei eben der gewesen, den es verdiente, ein schwerfälliger, ein »Fleisch«-Gott, ein Stammesgott, letztlich nichts anderes als die vergottete Nation. Den Pharisäer – dessen Begriff Simone Weil

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offenbar nur aus den neutestamentlichen Streitreden kannte – definiert sie als einen Menschen, »der aus Gehorsam dem großen Tier gegenüber tugendhaft ist.« Und alles, was ihr in der neueren Geschichte widerwärtig war, Kapitalismus und Marxismus, kirchliche Unduldsamkeit und moderner Nationalismus, schrieb sie dem Einfluß dessen zu, was sie den »Totalitarismus« Israels nannte. Für Bergson ist das soziale Prinzip eine Übergangsstufe, für Simone Weil, die übrigens eine Zeitlang intensiv an der revolutionären Aktion der äußersten Linken teilgenommen hatte, war es das große Hindernis. Für beide verkörperte es sich in Israel, und beide strebten nach seiner Überwindung im Christentum, in dem Bergson das rein Humane, Simone Weil hingegen das Übernatürliche fand. Selten ist es mir so deutlich geworden wie hier, daß eine halbe Wahrheit irreführender sein kann als ein ganzer Irrtum. (Bei Simone Weil ist es freilich kaum eine Viertelwahrheit.) Was man in der Wirklichkeit der Religion Israels als das soziale Prinzip bezeichnen kann, ist etwas anderes, als was Bergson, etwas ganz anderes, als was Simone Weil meint. Gewiß, die Gruppe, die unter dem Einfluße gemeinsamen Gottesglaubens aus Sippen und Stämmen zusammengewachsen ist, das Volk, ist in Israel eine religiöse Kategorie. Aber es ist dies nicht in seiner Tatsächlichkeit, nicht so wie der Prophet, der es anredet, es vor Augen hat. Der religiöse Charakter des Volkes besteht gerade darin, daß mit ihm etwas anderes gemeint ist, als was es eben ist, daß es etwas anderes werden soll, daß es das wahre Volk, das »Volk Gottes« werden soll. Gerade in der Religion Israels ist es unmöglich, die Kollektivität zum Götzen zu machen, denn die religiöse Haltung zu ihr ist ihrem Wesen nach kritisch und postulativ. Wer in der Nation oder in der Gesellschaft etwas Unbedingtes und Selbstgenügendes sieht, hat die Religion Israels verraten. Was aber heißt das, ein Volk Gottes werden? Nicht der gemeinsame Gottesglaube und Gottesdienst macht ein Volk zum Volk Gottes, sondern daß es Gottes ihm offenbarte Eigenschaften, die Gerechtigkeit und die Liebe, in seinem eigenen Leben, und das bedeutet in dem Leben seiner Mitglieder miteinander, verwirkliche, und zwar Gerechtigkeit in dieser Menschen mittelbaren, auf Sachen und Werte gerichteten gegenseitigen Beziehungen, Liebe in ihren unmittelbaren, auf ihr eigenes Sein gerichteten gegenseitigen Beziehungen. Von den beiden aber ist die Liebe das höhere, das entscheidende Prinzip. Das wird unüberbietbar deutlich daran, daß man gegen Gott nicht gerecht sein kann, wohl aber Gott lieben kann und soll. Und die Liebe zu Gott ist es, die sich auf die Menschen

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überträgt: »Gott liebt den Fremdling«, heißt es, »so sollst denn du ihn lieben«. Wer Gott liebt, liebt auch den, den Gott liebt. Es ist nicht wahr, der biblische Gott habe, wie Simone Weil es ausdrückt, »bis zum Exil zu niemands Seele gesprochen«. Er spricht durchaus zu den Seelen der Einzelnen, auch schon im Dekalog; wem sonst als der Seele des Einzelnen könnte geboten werden, nicht zu begehren, was des andern ist, das heißt, ihn nicht zu beneiden? Aber dieser Gott spricht zu den Einzelnen, wie sie eben ihre reale Existenz haben; und im vorexilischen Zeitalter haben sie diese eben noch als Mitglieder ihres Volkes, ihm eingetan und von ihm unablösbar. Die zehn Gebote sind nicht an ein Ihr, sondern allesamt an ein Du gerichtet: dieses Du ist jeder Einzelne, und da jeder Einzelne noch durchaus dem Volk eingetan ist, wird er eben als dem Volke eingetan so angesprochen. Erst in dem Maße, als sich in der geschichtlichen Wirklichkeit der Einzelne als solchen entdeckt und empfindet, spricht Gott als zu solchem zu ihm. Aber auch noch in der individualisiertesten Generation wird der Einzelne von jenem Du getroffen, wenn er sich ihm nicht vorsätzlich verschließt. Bergsons konventionelle Unterscheidung zwischen jüdischem Partikularismus und christlichem Universalismus ist ebenso unbegründet. Es ist der älteste der Schriftpropheten, der gerade an den Erzfeinden Israels exemplifiziert, daß die Wanderungen aller Völker von Gott selber angeführt werden, und er sagt es nicht als etwas Neues, sondern als etwas allgemein Bekanntes. Es ist nur eben ein Universalismus nicht der Individuen, sondern der Nationen, und der Individuen lediglich durch die Nationen hindurch. Innerhalb dieses Universalismus gibt es freilich einen Partikularismus der Berufung: Israel soll mit der Verwirklichung der Gerechtigkeit und Liebe Gottes auf Erden beginnen, es ist »der Anfang seiner Ernte.« Es trifft nicht zu, daß Israel der Innerlichkeit nicht ihr Recht gegeben habe; es hat sich nur mit der Innerlichkeit nicht begnügt. Seine Lehre bestreitet die Autarkie der Seele: die innere Wahrheit muß Lebenswirklichkeit werden, sonst bleibt sie die Wahrheit nicht. Ein Tropfen der messianischen Vollendung muß jeder Stunde eingemischt werden, sonst ist sie gottlos, trotz aller Frömmigkeit. Es ist somit das, was man das soziale Prinzip in der Religion Israels nennen mag, allem »großen Tier« von Grund aus unähnlich. Es geht um die soziale Humanität, denn die menschliche Gesellschaft ist hier erst legitim, wenn sie sich auf echten Beziehungen ihrer Mitglieder zueinander aufbaut; und es geht um die religiöse Humanität, denn die echte Beziehung zu Gott kann hier nicht erlangt werden, wenn es an der echten Beziehung zur Welt und zum Mitmenschen mangelt, – beides, die Liebe

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zum Schöpfer und die Liebe zu seiner Schöpfung sind letztlich eins. Um diese Einheit zu verwirklichen, muß der Mensch freilich die erschaffene Welt aus Gottes Händen annehmen, und zwar nicht, um sie zu besitzen, sondern um an dem noch unvollendeten Werk der Schöpfung liebend teilzuhaben. Die Schöpfung ist unvollendet, denn der Unfriede herrscht in ihr, und der Friede kann nur von den Geschöpfen herkommen. Darum wird der Mensch, der Frieden stiftet, in der jüdischen Tradition der Gefährte Gottes im Werk der Schöpfung genannt. Eben diesen Gedanken der Berufung des Menschen zum Mitarbeiter Gottes spricht Bergson nachdrücklich als das Ziel der Mystik aus, die er rühmt und die er im Judentum nicht gefunden hat; aber es ist ein urjüdischer Gedanke. Beide, Bergson und Simone Weil, wandten sich von einem Judentum ab, das sie nicht kannten; in Wahrheit wandten sie sich von einem konventionellen, vom Christentum geschaffenen Begriff des Judentums ab. Aber Bergson stand dem wirklichen Judentum, das er nicht kannte, nah, Simone Weil stand auch diesem fern. Wenn sie den Gott Israels einen »natürlichen«, den des Christentums einen »übernatürlichen« Gott nennt, so verkennt sie zwar das Wesen des ersten ganz und gar, denn er ist nicht »natürlich«, sondern er ist, wie der Gott des Geistes, so auch der Gott der Natur, und beiden überlegen. Aber auch dieser wahre Gott Israels hätte Simone Weil, wenn sie ihn gekannt hätte, wohl nicht genugtun können, denn er ist der Natur, der er überlegen ist, zugewandt, Simone aber wollte der Natur entkommen, wie sie der Gesellschaft entkommen wollte: die Wirklichkeit war ihr unerträglich geworden, und Gott war ihr die Macht, die sie der Wirklichkeit entführte. Das aber ist in der Tat etwas, was der Gott Israels nicht tut, es wäre seinem Verhältnis zu seiner Schöpfung und seinen Geschöpfen entgegen; er hat den Menschen in die Wirklichkeit gestellt, daß er ihr standhalte. Simone Weil wollte den Menschen dienen, und es zog sie immer wieder zu schwerer Feldarbeit hin; aber ihre Seele war auf der Flucht vor der Wirklichkeit. Und sie begann bei sich selbst: sie bestritt das Ich; es sei Pflicht, meinte sie, das Ich zu töten. »Wir besitzen nichts in der Welt«, schreibt sie, »als die Macht, Ich zu sagen. Dies ist es, was wir Gott geben sollen, das heißt, was wir zerstören sollen.« Dieses Grundgefühl steht in der Tat im Gegensatz zum Judentum; denn die echte Beziehung, die das Judentum lehrt, ist eine Brücke, die sich über zwei festen Pfeilern, dem Ich des Einzelnen und dem seines Partners spannt, so die Beziehung zwischen Mensch und Gott, so auch die zwischen Mensch und Mensch. Das Judentum verwirft das Ich der Selbstsucht und des Hochmuts, aber es bejaht und bestätigt das Ich der echten Beziehung, das Ich des »Ich und Du«, das Ich der Liebe. Denn die Liebe löscht das Ich nicht aus, sondern sie verbindet es

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mit dem Du; sie sagt nicht: »Du wirst geliebt«, sondern: »Ich liebe dich«. Und ebenso ist es mit dem Wir, von dem Simone Weil meint: »Man soll nicht Ich sein, aber man soll noch weniger Wir sein.« Das Judentum verwirft das Wir des Gruppenegoismus, des Nationaldünkels und der Parteiexklusivität, aber es postuliert das Wir, das sich auf echten Beziehungen seiner Glieder zueinander erhebt und echte Beziehungen zu anderen Wir unterhält, das Wir, das in Wahrheit sagen darf: »Unser Vater!« Simone Weil kennt weder die alte Religion Israels noch ihren späteren Weg, der eine neue Entfaltung ihrer Grundtendenzen unter veränderten geschichtlichen Bedingungen bedeutet. Bergson kennt die Propheten Israels – freilich ohne wahrzunehmen, wie in ihrer Botschaft das Prinzip der Gerechtigkeit, das er in ihr findet, durch das der Liebe ergänzt wird –, aber er kennt den Weg der jüdischen Religion nicht, und darum sieht er auch die Propheten nicht im Zusammenhang der ganzen jüdischen Glaubensgeschichte. Die Propheten bedeuten den Protest gegen das religiöse Versagen Israels, dagegen also, daß die Forderung Gottes, seiner Gerechtigkeit und seiner Liebe eine Stätte auf Erden zu schaffen, von dem Volke und von dem Einzelnen im Volke nicht zulänglich, das heißt nicht in dem mit den gegebenen Kräften und unter den gegebenen Bedingungen möglichen Maße, erfüllt worden ist. Und die Saat der Propheten geht auf, spät, aber immer stärker. Wohl konnte in der Diaspora eine umfassende Verwirklichung der Gerechtigkeit nicht angestrebt werden, weil es dazu einer selbständigen Volksordnung, selbständiger nationaler Institution bedarf, die erst von der Heimführung ins Heilige Land erhofft werden konnte, aber das höhere, das entscheidende Prinzip, in dem allein die Beziehung zu Gott und die Beziehung zu den Mitmenschen sich miteinander verbinden können, das Prinzip der Liebe bedarf keiner Ordnung und keiner Institutionen, es kann immer und überall zu Wirklichkeit werden. Jedoch beschränkte sich der Wille zur Verwirklichung nicht auf das individuelle Leben. In der Gemeinschaftsform, die an die Stelle des Staates getreten war, der lokalen Gemeinde, sehen wir immer wieder die aktive Liebe in der Gestalt der gegenseitigen Hilfe als tragendes soziales Element. Diese Struktur hat ihre Vollendung erst vor zwei Jahrhunderten im Chassidismus gefunden, der sich aus kleinen, auf brüderlicher Liebe errichteten Gemeinden aufbaute. Dem aber entspricht eine innerreligiöse Entwicklung von höchster Bedeutung, die danach strebt, die Distanz zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zu den Menschen aufzuheben. Zur vollen Auswirkung ist diese Tendenz wieder in der chassidischen Bewegung gelangt. Sie lehrt, die Nächstenliebe habe ihren Sinn nicht darin, daß Gott sie uns geboten habe und wir seinen Befehl vollziehen, sondern daß wir durch sie und in ihr zu Gott gelangen.

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Das wird an der Interpretation jenes Gebotes dargelegt. Es steht nicht lediglich geschrieben: »Liebe deinen Genossen dir gleich«, so daß damit der Satz zu Ende wäre, sondern geschrieben steht: »Liebe deinen Genossen dir gleich, ich bin der Herr.« Der erste Satz, in dem das Verb »lieben« ausnahmsweise nicht mit dem Akkusativ, sondern mit dem Dativ konstruiert ist, bedeutet: Du sollst deinem Genossen – das heißt, jedem Menschen, dem du auf dem Wege deines Lebens begegnest – Liebe erweisen als einem dir Gleichen. Der zweite Satz aber – und hier setzt die chassidische Deutung ein – fügt dem hinzu: »Ich bin der Herr – du meinst, ich sei dir fern, aber in dieser deiner Liebe zu deinem Genossen wirst du mich finden; nicht in seiner Liebe zu dir, sondern in deiner Liebe zu ihm.« Der liebende Mensch bringt Gott und Welt zusammen. Die chassidische Lehre ist die Vollendung des Judentums. Und das ist ihre Botschaft an jedermann: Du mußt selber anfangen. Das Sein wird dir sinnlos bleiben, wenn du nicht selber, liebend-tätig, in es eingehst und den Sinn in ihm erschließest; alles will geheiligt, das heißt in seinem Sinn erschlossen und verwirklicht werden durch dich. Um deines Anfangens willen hat Gott die Welt erschaffen. Er hat sie aus sich entfernt, damit du sie ihm nahebringst. Begegne ihr mit deinem ganzen Wesen, und du begegnest ihm. Das ist seine Gnade, daß er deine Gabe an die Welt selber entgegennimmt. Willst du glauben lernen, liebe! Bergson spricht von einer »aktiven Mystik«. Wo wäre sie, wenn nicht hier! Nirgends sonst ist die Wesenshandlung des Menschen so innig mit dem Geheimnis des Seins verbunden worden. Und eben deshalb wird eben hier der modernen Welt die Antwort auf ihre heimliche Frage gegeben. Wird die Welt das merken? Aber wird die Judenheit selber merken, daß von der religiösen Erneuerung ihrer Existenz ihre Existenz abhängt? Mag der jüdische Staat die Zukunft eines Volkes von Juden, und sogar eines mit einer eigenen Kultur verbürgen, das Judentum wird nur leben, wenn das urjüdische Verhältnis zu Gott, Welt und Mensch wieder zu Leben wird.

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Das Wichtigste von allem, was die biblische Daseinsbetrachtung für alle kommenden Zeiten erschlossen hat, wird uns kenntlich, sowie wir die heilige Schrift Israels mit allen unabhängig von ihr entstandenen heiligen Büchern der Völker vergleichen. Keines dieser Bücher ist so wie sie von einem Dialog zwischen Himmel und Erde erfüllt. Es wird uns erzählt, wie Gott immer wieder den Menschen anspricht und vom Menschen angesprochen wird. Gott sagt dem Menschen an, was er für die Welt im Sinn hat, er läßt ihn, wie der älteste der Schriftpropheten es ausdrückt (Amos 4, 13), »sein Selbstgespräch« erfahren, er gibt ihm seinen Willen bekannt und fordert ihn an, an dessen Verwirklichung teilzunehmen; aber der Mensch ist kein blindes Werkzeug, er ist als ein freies Wesen erschaffen, frei auch Gott gegenüber, frei, sich ihm zu ergeben oder sich ihm zu versagen. Auf Gottes souveräne Anrede gibt der Mensch seine selbständige Antwort; auch wenn er schweigt, ist es eine Antwort. Sehr oft hören wir Gottes Stimme allein, so zumeist in den prophetischen Büchern, wo nur in einzelnen Fällen, wie in einigen Visionsberichten und in den tagebuchartigen Aufzeichnungen Jeremias, die Erwiderung des Propheten laut wird, und zuweilen nehmen diese Aufzeichnungen geradezu eine dialogische Form an; aber auch da, wo Gott allein redet, wird uns zu spüren gegeben, daß der von ihm Angeredete mit seiner wortlosen Seele antwortet, daß er also in der dialogischen Situation steht. Und sehr oft hören wir die Stimme des Menschen allein, so zumeist in den Psalmen, wo nur in einzelnen Fällen der Beter uns die göttliche Entgegnung zu kennen gibt; aber auch hier ist die dialogische Situation offenbar, offenbar wird es uns, daß der klagende, flehende, dankende, preisende Mensch sich von dem, an den er sich wendet, gehört und verstanden, angenommen und bestätigt erfährt. Die Grundlehre, die die hebräische Bibel füllt, ist diese, daß unser Leben ein Gespräch zwischen Oben und Unten ist. Aber gilt das noch für unser heutiges Leben? Gläubige und Ungläubige bestreiten es. Unter den Gläubigen ist die Ansicht verbreitet, gewiß sei alles, was in der Schrift stehe, buchstäblich wahr, gewiß habe Gott damals zu den von ihm erwählten Menschen geredet, aber seither sei der heilige Geist von uns genommen worden, der Himmel schweige uns, und nur durch die Bücher der schriftlichen und der mündlichen Überlieferung werde uns Gottes Wille für unser Tun und Lassen zu wissen getan; und wohl stehe auch heute der Beter unmittelbar vor seinem Schöpfer, aber

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wie könnte er es wagen, wie der Psalmist Worte der persönlichen Erwiderung, der persönlichen Gewährung als unmittelbar zu ihm gesprochen der Welt zu berichten! Und was die Ungläubigen betrifft, so braucht von den Atheisten selbstverständlich gar nicht geredet zu werden, sondern nur von den Anhängern eines mehr oder weniger philosophischen Gottesbegriffs, mit dem sie die Vorstellung eines göttlichen Anredens und Angeredetwerdens nicht in Einklang bringen können; für sie ist die ganze Dialogik der Schrift nichts als ein Mythengebild, geistesgeschichtlich lehrreich, aber für unser Leben unverwendbar. Beiden Meinungen gegenüber muß der zugleich treue und unbefangene Leser der Schrift die Einsicht vertreten, die er von ihr gelernt hat: was einst geschah, geschieht jetzt und immer, und dies, daß es uns geschieht, verbürgt uns, daß es geschah. Einem ewig wiederkehrenden Geschehen hat die Bibel in der Form der verklärten Erinnerung den bildhaft entscheidenden Ausdruck verliehen. In den unendlichen, ewig wechselnden, aber dem wahrhaft Aufmerkenden offenbaren Zeichen der Begebenheiten und Situationen spricht in den Wesensstunden des persönlichen Lebens die Transzendenz zu unserem Herzen. Und es gibt eine Sprache, in der wir ihr antworten können; das ist die unserer Handlungen und Haltungen, unserer Reaktionen und unserer Unterlassungen; in der Gesamtheit dieser Antworten ist beschlossen, was wir im eigentlichen Sinn unsere Verantwortung nennen dürfen. Diese fundamentale Interpretation unseres Daseins verdanken wir der hebräischen Bibel; und so oft wir wahrhaft in ihr lesen, wird uns unser Selbstverständnis erneuert und vertieft. Aber nicht bloß der Einzelne wird in der Schrift von oben angeredet, sondern auch die Gemeinschaft, in einer Weise, wie wir sie in keinem andern der heiligen Bücher des Menschengeschlechts finden. Hier steht das Volk als Volk Gott gegenüber und empfängt als Volk seine nie abbrechende Unterweisung. Wie der Einzelne, so wird auch es angefordert, an der Verwirklichung des göttlichen Willens auf Erden teilzunehmen. Wie der Einzelne in seinem persönlichen, so soll das Volk in seinem gemeinschaftlichen Leben sich heiligen, es soll ein »heiliges Volk« werden. Wie der Einzelne, so ist es in die Freiheit gestellt, auf den göttlichen Anruf zu antworten, mit seinem Tun und Lassen zu Gott Ja oder Nein zu sprechen. Das Volk ist nicht eine Summe von Einzelnen, die Gott anredet, sondern es ist etwas darüber hinaus Existentes, und zwar etwas Wesentliches und Unersetzliches, das als solches von Gott gemeint ist, als solches von ihm beansprucht wird und als solches sich vor ihm zu verantworten hat. Gott führt es und fordert von ihm, daß es seiner Führung

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allein folge. Er hat nicht bloß den Menschen als Individuum, die Menschen als Individuen, er hat auch die Menschenvölker geschaffen; und wie jener, so bedient er sich auch dieser zu seinem Ziel, zur Vollendung seiner Weltschöpfung. Er nimmt sich ihrer in ihrer Geschichte an; nicht bloß Israel, sondern alle Völker werden, – so lehren die Propheten – von ihm, wenn sie von anderen Völkern versklavt werden, in die Freiheit geführt, und in der Freiheit sollen sie ihm dienen, und zwar eben als Völker, jedes in seiner eigenen Art und nach seinem eigenen Wesen. Wohl rügt er Israel mit besonderer Strenge, weil es, entgegen seinem Auftrag, die göttliche Gerechtigkeit nicht im Leben der Gemeinschaft erfüllt hat, aber er rügt auch die andern Völker, weil sie, die auch seine Kinder sind, nicht brüderlich aneinander handeln. Einst jedoch werden, so wird verheißen (Jes 2), ihrer aller Vertreter sich um den Berg Moria scharen und hier, wie einst Israel allein am Berge Sinai, Gottes Belehrung über den großen Frieden zwischen den Völkern empfangen, die sie zu einem Volk aus Völkern zusammenschließen wird. »Die Edeln der Völker versammeln sich«, sagt der Psalmist (Ps. 47, 10), »als Volk des Gottes Abrahams«, – Abrahams, der ja »der Vater der Völkermenge« genannt wird. Weil die Weltgeschichte der Weg der Völker zu diesem Ziel ist, ist sie zuinnerst heilige Geschichte. Darum redet in der Schrift die göttliche Stimme auch den Einzelnen nicht als isoliertes Individuum, sondern immer zugleich als ein Glied des Volkes an. Ehe es noch ein Volk Israel gibt, wird in Abraham dessen Vater, als Vater, angesprochen: in seinem Samen soll er »ein Segen« werden. Und in der Gesetzgebung, so im Dekalog wie in den ihn ergänzenden Satzungen, wendet sich Gott immer wieder an ein Du, das wohl das Du jedes Einzelnen in allen Volkgeschlechtern, aber jedes Einzelnen eben in seinem Zusammenhang mit dem Volke ist, auf dessen Gemeinschaftsleben diese Gesetzgebung abzielt, und so versteht ein jeder, wenn ihm aus einem Gebot der Wille Gottes für sein eignes Leben entgegentönt, sich selber als die individuelle Verdichtung des Volkes. Diese Grundanschauung entfaltet sich bis in die höchste Stufe menschlichen Daseins: »Du bist mein Knecht, das Israel, daran ich mich verherrliche«, spricht Gott (Jes. 49, 3) zu seinem Erwählten: in dem Menschen, der den dem Volk erteilten Auftrag erfüllt, verkörpert sich die Wahrheit der Volksexistenz. Von hier aus ist das moderne Leben, das der Völker und das der Personen, gerichtet und ist ihm das Urteil gesprochen. Dieses Leben ist entzweigeteilt: was in den Beziehungen zwischen Personen als strafwürdig gilt, gilt in den Beziehungen zwischen Völkern als rühmlich. Dem steht die prophetische Forderung gegenüber: der Prophet zeiht (Amos 1, 9) ein

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Volk der Schuld an einem andern Volk, weil »sie des Bruderbundes nicht gedachten«. Aber jene Zweiteilung setzt sich naturgemäß im Leben des modernen Menschen als Einzelnen fort: sein Dasein ist in ein privates und ein öffentliches geschieden, die unter sehr verschiedenen Gesetzen stehen. Was er in dem ersten Bereich beim Mitmenschen und bei sich selber mißbilligt, billigt er im zweiten, beim Mitmenschen und bei sich selber; die Lüge degradiert den Privatmann, aber sie steht dem Parteimann wohl an, vorausgesetzt, daß sie kunstreich und erfolgreich genug gehandhabt wird. Diese Zerspaltung der sittlichen Werte ist für den biblischen Glauben unerträglich: Betrug gilt hier unter allen Umständen für schändlich (so z. B. bei den Erzvätern, wie wir aus der prophetischen Beurteilung Jakobs und aus manchen andern Hinweisen ersehen), auch wenn ihm die Absicht zugrundeliegt, der Sache der Gerechtigkeit, die einer vertritt, zur Herrschaft zu verhelfen, ja er ist dann am verderblichsten, weil er das Gute, dem er dienen will, vergiftet und zersetzt. Wenn die erste biblische Grundlehre lautet: »Der Mensch wird von Gott in seinem Leben angesprochen«, so lautet die zweite: »Das Leben des Menschen ist von Gott als eine Einheit gemeint«. Nach dem biblischen Verständnis des Daseins, so haben wir gesehn, spricht Gott die menschliche Person und das Menschenvolk auf das hin an, was durch diese Person, durch dieses Volk verwirklicht werden soll. Das bedeutet, daß der Mensch in die Freiheit gestellt und daß jede Stunde, in der er in der eben jetzt gegebenen Situation sich selber angesprochen weiß, eine Stunde der echten Entscheidung ist. Er entscheidet zunächst freilich nur über sein eigenes Verhalten, aber damit nimmt er – in irgendeinem Maße, das zu ermessen er weder fähig noch berufen ist –, an der Entscheidung daran teil, wie die nächste Stunde beschaffen sein wird, und also auch, wie die Zukunft überhaupt beschaffen sein wird. Von da aus ist die große biblische Erscheinung der Prophetie zu verstehen. Die wesentliche Aufgabe der Propheten Israels war nicht, eine bereits festgelegte Zukunft vorherzusagen, sondern Mensch und Volk in Israel jeweils in die Alternative zu stellen, die der Situation entspricht. Es wird nicht angekündigt, was unter allen Umständen geschehen wird, sondern was geschehen wird, wenn die Hörer der Botschaft den Willen Gottes verwirklichen, und was geschehen wird, wenn sie sich der Verwirklichung seines Willens verweigern. Die göttliche Stimme wählt sich den Propheten gleichsam zu ihrem »Munde«, um dem Menschen immer wieder seine Freiheit und deren Folgen ganz unmittelbar zu vergegenwärtigen. Auch wenn der Prophet nicht in alternativischer Form spricht, sondern bedingungslos ansagt, nach dieser und dieser bestimmten Zeit

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werde die Katastrophe eintreten, birgt sich in dieser Ansage, wie wir aus dem paradigmatischen Buche Jona lernen, eine geheime Alternative: das Volk wird in die Verzweiflung getrieben, aber gerade in ihr entbrennt der Funke der Umkehr, es kehrt zu Gott um – und bleibt bewahrt. Durch die äußerste Bedrohung des Daseins soll der Mensch im Grunde seiner Seele aufgerührt und zur innersten Entscheidung für Gott gebracht werden, aber diese seine Entscheidung ist zugleich eben eine Schicksalsentscheidung im genauesten Sinn. Nachbiblische religiöse Denker haben darüber gegrübelt, wie sich die Freiheit des menschlichen Willens (und die sich daraus ergebende Unentschiedenheit der Zukunft) mit der göttlichen Voraussicht und Vorherbestimmung vereinbaren lasse. Unter allem, was aus der Bemühung um die Überwindung des Widerspruchs gesagt worden ist, ragt der Spruch Akibas »Alles steht in der Sicht, und die Befugnis ist gegeben« hervor, der bedeutet, die Zeiten seien Gott, der sie zusammensieht, nicht als aufeinanderfolgend, sondern in der ablauflosen Ewigkeit gegenwärtig, im zeitlichen Ablauf hingegen, in dem der Mensch lebe, walte die Freiheit je und je im konkreten Augenblick der Entscheidung; darüber hinaus ist die menschliche Weisheit nicht gelangt. In der Bibel selbst wird nicht gegrübelt; sie befaßt sich nicht mit dem Wesen Gottes, sondern mit seiner Kundgebung an das Menschengeschlecht; die Wirklichkeit, von der sie handelt, ist die der Menschenwelt, und für diese gilt die unverbrüchliche Wahrheit der Entscheidung. Für den schuldigen Menschen ist damit die Entscheidung zur Umkehr, der Umkehr von seinem Irrweg auf den Weg Gottes, gemeint. Hier zeigt es sich am klarsten, was es in der biblischen Anschauung bedeutet, daß unsere Verantwortung zuinnerst unser Antworten auf eine göttliche Anrede ist. Die zwei großen Beispiele dafür sind Kain und David. Beide haben gemordet (so versteht die Schrift auch Davids Tat, da sie den Gottesboten zu ihm sagen läßt, er habe Uria »mit dem Schwert erschlagen«), und beide werden von Gott zur Verantwortung gezogen. Kain versucht, sich zu entziehen: »Bin ich der Hüter meines Bruders?« Er ist der Mensch, der dem Zwiegespräch mit Gott ausweicht. Nicht so David. Er antwortet: »Ich habe an dem Herrn gesündigt«. Das ist die wahre Antwort: an wem immer einer schuldig wird, in Wahrheit wird er es an Gott. David ist der Mensch, der sich zur Beziehung zwischen Gott und ihm bekennt, aus der seine Verantwortung quillt, und erkennt, daß er sich gegen sie vergangen hat. Es geht der hebräischen Bibel um die furchtbare und gnädige Tatsache der Unmittelbarkeit zwischen Gott und uns. Auch in der dunkeln Stunde, nachdem der Mensch an seinem Bruder schuldig geworden ist, ist er

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den Mächten des Chaos nicht ausgeliefert. Gott selber sucht ihn auf, und auch wenn er Rechenschaft zu fordern kommt, ist sein Kommen Erlösung. Es gibt jedoch in biblischer Anschauung eine dritte und allerweiteste Sphäre des Sprechens Gottes. Er spricht nicht bloß zum Einzelnen und zur Gemeinschaft in den Grenzen und Bedingungen einer bestimmten biographischen oder historischen Situation. Alles, das Seiende und das Werdende, Natur und Geschichte, ist wesentlich eine Aussprache Gottes, ein unendlicher Zusammenhang von Zeichen, die von wahrnehmenden und verstehenden Wesen wahrzunehmen und zu verstehen sind. Ein grundwichtiger Unterschied besteht hier aber zwischen der Natur und der Menschengeschichte. Die Natur sagt als Ganzes und in allen ihren Elementen etwas aus, was als eine mittelbare Selbstmitteilung Gottes an alle sie zu empfangen Bereiten aufgefaßt werden darf. Das ist es, was der Psalm meint, der Himmel und Erde wortlos die Herrlichkeit Gottes »erzählen« läßt. Anders die menschliche Geschichte, – anders schon deshalb, weil an ihrem Gange unablässig das in die Freiheit gestellte Menschengeschlecht mitwirkt, anders aber ganz besonders deshalb, weil in der Natur der schaffende Gott redet, und sein Akt der Schöpfung wird nie unterbrochen, in der Geschichte hingegen es der offenbarende Gott ist, der spricht, Offenbarung aber ihrem Wesen nach kein steter Vorgang ist, sondern immer wieder in das Geschehen eindringt und es durchstrahlt. Die Natur ist der Rede Gottes voll, man muß sie nur vernehmen, – aber was hier gesagt wird, ist immer das Eine und freilich alles Umfassende, eben das, was der Psalm die Herrlichkeit Gottes nennt; in der Geschichte dagegen wechseln Zeiten des großen Wortes, da man in der Fügung der Begebenheiten die Spur des göttlichen Waltens erkennt, mit gleichsam stummen Zeiten ab, in denen alles, was sich in der Menschenwelt ereignet und den Anspruch auf geschichtliche Bedeutung erhebt, uns gottesleer erscheint, nirgends ein Wink seines Fingers, nirgends ein Zeichen, daß er gegenwärtig ist und in diese unsere geschichtliche Gegenwart hinein wirkt. In solchen Zeiten ist auch dem Einzelnen, und erst recht dem Volke, sehr schwer, sich als von Gott angesprochen zu verstehen; die Erfahrung der konkreten Verantwortung tritt immer mehr zurück, weil man im scheinbar gottesleeren Geschichtsraum es verlernt, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch dialogisch ernst zu nehmen. In einer Stunde, da die Exulanten in Babylon Gottes Schreiten durch die Weltgeschichte so vernahmen wie nach der biblischen Erzählung (II Sam. 5, 24) David im Philisterfeldzug sein Herbeiziehn im Rauschen der Maulbeerbaumwipfel vernahm, der Stunde, als Kyros sich anschick-

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te, jene zu befreien und heimzusenden, ließ der namenlose Prophet des Exils, der wie kein Früherer sich berufen fühlte, die Geschichte der Völker zu deuten, in einer seiner Flugschriften (Jes. 48, 16) Gott zu Israel sprechen: »Nie, von der Frühe an, habe ich im Verborgenen geredet«. Die Geschichtsrede Gottes ist unverborgen, denn sie ist dazu da, von den Völkern vernommen zu werden. Aber Jesaia, dessen Buche die Weissagungen des namenlosen Propheten angegliedert worden sind, weiß nicht bloß (8, 17) von einer Zeit zu melden, in der Gott, »sein Antlitz dem Hause Jakobs verbirgt«, er weiß auch (28, 21), daß es Zeiten gibt, in denen wir Gottes eigene Taten in der Geschichte nicht als seine Taten zu erkennen und anzuerkennen vermögen, so unheimlich und so »barbarisch« muten sie uns an. Und in demselben Abschnitt des Exilspropheten, in dem Gott spricht (45, 11): »Über den Weltlauf befraget mich«, wird angekündigt (V. 14 f.), es würden in der Stunde der Völkerbefreiung die Scharen, die Ägypten zur Fronarbeit zwang und Äthiopien als Sklaven verkaufte, sich unverzüglich, gleichsam noch die Ketten der Knechtschaft am Leibe tragend, zu Gott hinwenden, sich niederwerfen und beten: »Wahrlich, du bist eine sich verbergende Gottheit, Israels Gott, Befreier!« In den langen Zeiten der Versklavung war es ihnen gewesen, als gebe es nichts Göttliches mehr und die Welt sei rettungslos der Gewalt der Gewalthaber preisgegeben; jetzt erst erkennen sie, daß ein Befreier ist, und daß er einer ist, der Herr der Geschichte. Und nun wissen und bekennen sie: er ist ein Gott, der sich verbirgt, genauer: der Gott, der sich verbirgt und sich offenbart. Es muß jedoch beachtet werden, daß die Bibel zwei sehr verschiedene Arten von Zeiten kennt, in denen der Kontakt zwischen Himmel und Erde wie unterbrochen ist. Die eine Art ist die, von der ich eben sprach; die andere wird in der Erzählung von der Knabenzeit des Propheten Samuel mit den Worten gekennzeichnet (I Sam. 3, 1): »In jenen Tagen war Anrede von dem Herrn selten geworden, Schauung brach nicht durch«. Hier kommt das Hindernde offenkundig von unten, vom Menschen: die Fehlhaftigkeit der Generation ist so groß, daß sich gleichsam eine trübende Atmosphäre zwischen ihren Blick und den Himmel legt. Von der entarteten Priesterschaft jener Zeit wird gesagt (2, 12), daß sie »den Herrn nicht erkannte« (erkennen bedeutet im biblischen Hebräisch den unmittelbaren Kontakt von Person zu Person), und so dauert die Ferne zwischen Gott und Israel an, bis sich ein treuer Diener, eben Samuel, findet, der »den Herrn erkennt« (3, 7), und ihm offenbart sich nun das Wort. Hier handelt es sich somit darum, daß der unwürdige Mensch den Zugang zu Gott, den Kontakt mit ihm nicht gewinnt. Anders verhält es sich mit den Zeiten der Verborgenheit: da geht die unheimliche Initiative

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von Gott selber aus, wenn auch wohl zur Erwiderung auf menschliche Untreue – es ist, als entziehe er sich gänzlich der Erde, als nehme er an ihrem Dasein nicht mehr teil. Der ersten Art, den Zeiten der unterbrochenen Gotteserkenntnis, kann der Mensch widerstreben, er kann durch treuen Dienst den Kontakt wiedererringen. Nicht so die Zeiten der Verborgenheit, des von Lärm und Gerede erfüllten, aber des Gottesatems ledigen Geschichtsraums. Sie scheinen vom Menschen aus unüberwindlich. Wie kann man da leben! Wer an den lebendigen Gott glaubt, wer um ihn weiß, und ihm ist bestimmt in einer Zeit seiner Verborgenheit das Leben zu verbringen – wie kann er leben! Es gibt einen Psalm, den 82., da wird uns in einem unerhört grausamen Bild das Leben in einer Zeit der Verborgenheit beschrieben. Gott hat, so wird da vorausgesetzt, die Herrschaft über das Menschengeschlecht einer Engelschar anvertraut und hat ihr geboten, die Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen und die Schwachen, die Armen und die Verlassenen vor dem Zugriff der Bösen zu schützen. Sie aber »richten falsch« und »erheben das Angesicht der Frevler«. Da schaut der Psalmist in seiner Vision, wie Gott die ungetreuen Engel vor sein Angesicht zieht, über sie richtet und ihnen das Urteil spricht: sie sollen sterblich werden. Aber der Psalmist erwacht aus seiner Vision und sieht um sich: noch herrscht mit uneingeschränkter Gewalt das Unrecht auf Erden. Und er schreit zu Gott: »Steh auf, Gott, richte das Erdreich!« Dieser Aufschrei ist als ein später, aber noch verstärkender Widerhall jener kühnen Rede des mit Gott rechtenden Erzvaters zu verstehen: »Der ganzen Erde Richter, wird er nicht das Recht tun?!« Er verstärkt und erweitert diesen noch; wir hören heraus: »wird er das Unrecht weiter herrschen lassen?!« Und so wird der Schrei, den uns die Schrift übermittelt, zu unserm eigenen, der uns in einer Zeit der Verborgenheit Gottes aus dem Herzen bricht und auf die Lippen drängt. So eben wirkt das biblische Wort an uns: es trägt uns die menschliche Anrede als eine zu, die trotz allem gehört wird und trotz allem der Antwort gewärtig sein darf. In dieser Zeit wird gefragt und gefragt: Wie ist nach Auschwitz ein jüdisches Leben möglich? Ich möchte diese Frage richtiger fassen: Wie ist in einer Zeit, in der es Auschwitz gibt, noch ein Leben mit Gott möglich? Die Unheimlichkeit ist zu grausam, die Verborgenheit zu tief geworden. »Glauben« kann man an den Gott noch, der zugelassen hat, was geschehen ist, aber kann man noch zu ihm sprechen? Kann man ihn noch anrufen? Wagen wir es, den Überlebenden von Auschwitz, dem Hiob der Gaskammern, zu empfehlen: »Rufet ihn an, denn er ist gütig, denn ewig währt seine Gnade«? Aber wie ist das mit Hiob selber? Er klagt nicht nur, er klagt Gott an,

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daß er ihm »sein Recht beseitigt habe«, daß also der Richter der ganzen Erde wider das Recht handle. Und er empfängt von Gott eine Antwort. Aber was Gott ihm sagt, beantwortet die Anklage gar nicht, es berührt sie gar nicht; die wahre Antwort, die Hiob empfängt, ist die Erscheinung Gottes allein, dies allein, daß die Ferne zur Nähe sich wandelt, daß »sein Auge ihn sieht«, daß er ihn wiedererkennt. Nichts ist erklärt, nichts ausgeglichen, das Unrecht ist nicht Recht geworden und die Grausamkeit nicht Milde. Nichts ist geschehen, als daß der Mensch wieder Gottes Anrede vernimmt. Das Geheimnis ist ein Rätsel geblieben, aber es ist ihm, dem Menschen, zu eigen geworden. Und wir? Was ist es mit uns? Stehen wir bezwungen vor dem verborgenen Antlitz Gottes, wie der tragische Held der Griechen vor dem antlitzlosen Verhängnis? Nein, sondern wir rechten auch jetzt noch, auch wir noch, mit Gott, eben mit ihm, den wir einst, wir hier, ihn, den Herrn des Seins, zu unserm Herrn erwählt haben. Wir schicken uns nicht in das irdische Sein, wir ringen um seine Erlösung, und wir rufen rechtend die Hilfe unseres Herrn, des wieder und noch Verborgenen, an. In solchem Stande harren wir seiner Stimme, komme sie aus dem Sturm oder aus einer Stille, die darauf folgt. Mag seine künftige Erscheinung keiner früheren gleichen, wir werden unsern grausamen und gütigen Herrn wiedererkennen.

»Er macht Frieden« Fuer Leo Baeck, den Friedensstifter, in alter und stets neuer Freundschaft.

Ein tiefer Sinn liegt darin, dass die Agada den Begriff des Friedens mit dem der Schöpfung verknüpft. Michael, der aus dem Wasser, und Gabriel, der aus dem Feuer stammt, stehen im Angesicht der Glorie und keiner beschädigt den andern. Die Sonne gönnt sich dem Mond, Licht und Finsternis vertragen sich miteinander. Denn sowie die gegensätzlichen Elemente erschaffen waren, hat Gott Frieden zwischen ihnen gemacht; »gemacht« hat er ihn, wie er sie machte. Das Friedenmachen ist selber ein Akt der Schöpfung, und folgerichtig wird der Mensch, der Frieden stiftet, Gottes Genosse im Werk der Schöpfung genannt. Das Menschengeschlecht, zur Vollendung der Schöpfung erschaffen, hat ihren Frieden verstoert; aber jeder Mensch, der aus Unfrieden Substanz des wahren Friedens macht – nicht des leeren Nichtkriegs, der nur neuen Kampf bereitet, sondern des von Gott gemeinten Friedens, des schöpferischen –, stellt an seinem Ort das grosse Werk wieder her und stellt sich in es ein.

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This day, my dear Dr. Kaplan, which affords us the opportunity to express that which we have felt for many years, seems a fitting moment for considering the two-fold meaning of your watchword, Reconstructionism – both rebuilding and building anew. The meaning pertinent to this case is the alteration and rebuilding of the damaged house – and the house of the Diaspora has indeed suffered severe damage. Insofar as it depends on us, this damage must be repaired, but this does not mean that everything should become again the same as it once was before the damage occurred. That would be absurd. Present living conditions must be taken into account, and there, reconstruction must be so planned and carried out that, under these conditions, the new building may remain whole and unimpaired. But perhaps it will turn out to be a totally different building. How can this be prevented? By referring back to the ground plan throughout the building operations and not undertaking anything contrary to it. The plan is very old but still very clear and it can easily be adhered to. True reconstruction means building anew and rebuilding enough. This is my interpretation, Dr. Kaplan, of the very fruitful term coined by you. But the simile of building is insufficient to bring home the reality with which we are dealing. For there no longer exists that single house of Israel which is to be rebuilt. There are instead two houses – the house of the Diaspora and the house of the State of Israel. Much of the first lies in ruin – but the second one is brand new. More important still is the difference between their foundations. The foundations of the Diaspora is essentially a great historical memory which has not lost its links with much of history, while the foundation of the State of Israel, despite the cooperation of religious elements, is essentially a collective will to live, expressed in a modern political form. I know, Dr. Kaplan, that for several years this discrepancy has been your great concern, while your great hope has lain, in overcoming it. I and many other Israelis share both your concern and your hope. How can that hope be realized? The beginning of a solution to my mind seems to lie in something I can only hint at. I mean the perspective that, out of Israel and out of the 1.

[Anm. der Redaktion]: These greetings were recorded in Israel, transmitted by diplomatic pouch through the Israel Consulate, and played back at the dinner in Dr. Kaplan’s honor on April 22, 1956.

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Greetings to Dr. Mordecai M. Kaplan

Diaspora, a group of people shall band together and, in unison, lift their eyes upward. Only after having done this, can they lower their glance, really look at each other, and learn to know their oneness again. When, through such representatives, the nation of Israel will start acknowledging the laws of history, then, and only then, will the Jews of the Diaspora see in the existence of the State of Israel something greater than a pledge for survival. This may form the basis for the living link – the beginning of a centripetal influence of the Israeli community on the Diaspora and of a new feeling of confidence on the part of Israel towards the Diaspora. In this spirit, I am happy to express to you, dear Dr. Kaplan, our best and most heartfelt wishes.

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»In der Sprache dieses Volkes,« schreibt Leo Baeck in seinem letzten Buche, »sind Treue, Wahrheit und Glaube ein und dasselbe Wort.« Vom Verstaendnis dieser Einheit aus kann man am ehesten verstehen, wer Leo Baeck gewesen ist. Der Wurzelsinn jenes Wortes, aman, laesst sich am besten durch »Beharren« wiedergeben. Die Haende Mose blieben waehrend der Amalekschlacht signalhaft in die Hoehe gestreckt, »ein Beharren.« Wer in seinem Verhaeltnis zu seiner Gemeinschaft unwandelbar beharrt, ihm geschehe was da wolle, wird treu genannt. Wer das als recht Erkannte zuverlaessig ausspricht und beharrlich verwirklicht, ihm geschehe was da wolle, er und nur er heisst wahr. Wer sich Gott in solcher Liebe ergibt, dass er im unverbruechlichen Vertrauen zu ihm beharren kann, was immer ihm von dem Unbegreiflichen her widerfahre, ist der Glaeubige. Diese drei in einem sind Leo Baecks Existenz gewesen. In diesem Zeitalter der schwersten Probe sind Maenner wie er, die gleichsam sinnbildlich fuer das Ganze zeugend beharren, unser teuerster Besitz.

Gershom Scholem – 60 Jahre alt Gershom Scholem begründete eine neue philologisch-historische Wissenschaft. Von ihm erhielten wir einen historischen Zugang zu Kabbala und zu den »messianistischen« Bewegungen, die von ihr ausgingen; ein Zugang, der auf fundierter Kenntnis der Texte beruht. Insbesondere gelang es Scholem, uns die Wirklichkeit des Sabbatianismus zu zeigen, uns zum ersten Mal dessen Wesen zu präsentieren. Jetzt erst sind wir imstande, uns ein Urteil über die Ereignisse zu bilden, uns so zu äußern, dass wir nahe an der Erkenntnis sind. Und tatsächlich weicht meine Meinung weit von der Scholems ab. Denn ich gehöre zu denen, die den Sabbatianismus als die vorletzte Stufe des Niedergangs betrachten, die zur letzten Stufe in der Geschichte des Messianismus führte. Die letzte Stufe ist der Frankismus (möglicherweise findet sich jetzt in der Schule Scholems der Historiker dieser Bewegung). Tieferstehend als diese gibt es keine Bewegung in der Religionsgeschichte. Und seine Bedeutung für die Geschichte der jüdischen Religion ist, dass danach keine falschen Messiasse mehr auftreten. Vor dem großen Werk Scholems war meine Anschauung über den Sabbatianismus nichts mehr als eine Impression, während jetzt, nachdem ich viel von ihm gelernt habe, meine Anschauung mir zur Erkenntnis wurde, dass der Sabbatianismus ein wichtiger Abschnitt in der menschlichen Dämonologie ist.

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Funktion des Geistes in der Geschichte Lieber Robert Weltsch,

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dass Sie siebzig werden, ist mir der Anlass gewesen, unsre nunmehr über fünfzigjährige Gemeinsamkeit mit einem sozusagen »historischen« Blick zu betrachten. Man denkt sonst über diese Dinge nicht nach, man trägt sie eben in sich und sie wirken – lebensmässig. Aber jetzt habe ich mich doch damit befassen müssen, und zwar eben mit dem »Historischen« daran. Ich meine selbstverständlich nicht, dass wir zu irgendeiner Zeit an jener Art von Aktionen teilgenommen hätten, die man so zu bezeichnen pflegt. Was ich im Sinn habe, hängt mit der zugleich bedeutenden und problematischen Funktion des Geistes in der Geschichte zusammen. Innerhalb der historisch sehr verschieden belichteten Abschnitte dieses halben Jahrhunderts sind es besonders drei, die so betrachtet werden wollen. Den ersten bildet die, 1909 in Prag anhebende Begegnung von zwei zionistischen Generationen in der Einsicht, dass die Pflege eines hebraistischen und palästinozentrischen Nationalismus allein wohl zu einer Restauration, nicht aber zu einer wahren Erneuerung der Substanz »Israel« zu führen vermag, dass es dazu vielmehr eines grossen tiefergreifenden und umfassenderen Werks der Volkserziehung bedarf. Der zweite Abschnitt sind jene Jahre der Vorkriegs-Hitlerei, in denen Sie die »Jüdische Rundschau« leiteten und ich die »Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung«, zwei geisteskämpferische Institutionen, die den von der geschichtlichen Situation auferlegten Kampf eben mit den Mitteln der Erziehung zu einem konkreten und selbstständigen Judentum zu führen hatten, das, statt mit den Wölfen, nur eben auf Jüdisch, zu heulen, einen spezifisch jüdischen Humanismus bereitet. Im dritten Abschnitt leben wir jetzt, da wir diesen Staat Israel, die neue geschichtliche Form unsrer Selbstbestimmung, ihn, der wohl aus unserem selbeignen Werk erwuchs, aber durch die von der Geschichte uns aufgezwungene Reaktion auf die Katastrophe entscheidend bestimmt worden ist, kritisch bejahen und ihm kritisch dienen. Sich je und je mitten im Dienst an der uns anfordernden Wirklichkeit für die uns angestammte und erneuerungsbedürftige Wahrheit nach Kräften einsetzen, – so darf ich wohl die fast paradoxe Aufgabe bezeichnen, die all die Zeit, in wechselnden Gestalten, uns, lieber Freund, und den uns Gesinnungsnahen gemeinsam geblieben ist. Mögen Sie ihr noch lange erhalten bleiben!

Über die Ewigkeit und den Augenblick Als ich erfuhr, dass mir der Bialik-Preis verliehen werden solle, fragte ich mich sofort, ob mein als preiswürdig erachtetes Werk wirklich in der Linie steht, die nach Bialik benannt wurde. Nach einer Zeit des Nachdenkens gestattete ich mir die Frage mit einem Ja zu beantworten. Nun möchte ich Ihnen etwas von dem mitteilen, was den Gang meiner Überlegungen bestimmte. Zunächst legte ich die beiden Bände Te’uda we-ji’ud vor mich hin, von denen der zweite Band erst einige Jahre nach dem ersten erschienen ist. Zum ersten Mal betrachtete ich sie so nebeneinander. Der Untertitel des ersten Bandes lautete: »Aufsätze über jüdische Themen« und der des zweiten Bandes: »Aufsätze zu Fragen der Stunde«. Dem Anschein nach handelt es sich um verschiedene thematische Gebiete, aber nur dem Anschein nach. Denn in allen diesen Reden und Aufsätzen, die im Verlaufe von 50 Jahren gehalten und geschrieben wurden, beschrieb ich nicht ein einziges Mal das Judentum, seine Geschichte und seine Lehre, derart, dass man von ihm um der reinen Erkenntnis willen von ihm wissen soll. Immer habe ich es als etwas beschrieben, das uns von Mal zu Mal den Weg zeigt. Zwar sind die Wege in den ungleichen historischen und biographischen Situationen verschieden. Und dennoch ist es ein einziger Weg; mehr noch; bei allem, was ich in bestimmten Stunden über die Probleme und Aufgaben dieser jeweiligen Stunde sagte, verlor ich nicht ein einziges Mal den Horizont des Ewigen aus den Augen, vor dem von Mal zu Mal das Licht aufging, das die innere Beschaffenheit erhellte. Jedes Mal war es mir auferlegt, den Einen zu bezeugen, der sich jetzt offenbart, wie er sich vordem offenbart hat, gerade in der vollen Wirklichkeit dieser Stunde, ihren Prüfungen und ihren Entscheidungen. Und danach legte ich mir das zweite Buch vor, für den mir der Preis verliehen wurde »Or ha-ganuz«, in dem ich die Geschichten von ungefähr 70 Zaddikim auf Grundlage der Quellen nacherzählte. Meine Absicht war, dem Material, das uns ohne Form überliefert worden war, die passende Gestalt zu geben, ohne vom Wege der Treue abzuweichen. Das Wichtigste war, so weit wie möglich die Geschichten anschaulich zu erzählen, anschaulich dem Hör- und dem Sehsinn. Wie in meiner ganzen Arbeit im Feld des Chassidismus (eine Arbeit, die sich im Wesentlichen von 1905 bis 1945 erstreckte), wuchs auch während dieser Arbeit ein bestimmtes Bestreben, das man nicht identifizieren darf mit dem Wunsch nach wissenschaftlicher Erkenntnis eines großen Phänomens der Religionsgeschichte und auch nicht mit dem Wunsch nach künstlerischer Aus-

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gestaltung hervorragenden Materials, obwohl beides am Werk beteiligt war, wenn auch nur unterstützend. Ich meine das Streben, die Jugend der erhabenen, lebendigen Wahrheit zu erneuern und sie so unserer Stunde zu übergeben – der Stunde Israels und der Stunde der Welt –; etwas, das uns helfen kann, von neuem zu erwerben, was wir verloren haben, nämlich das Verhältnis zum Absoluten. Denn das grundlegende Übel unserer Tage, worin der eigentliche Verlust, der wirkliche Schwachpunkt offenbar wird, ist die Scheidung des menschlichen Erlebens in zwei Bereiche: der eine ist der Bereich des ewigen Geistes, den die Menschen verehren und bewundern, ohne seine verpflichtende Autorität Hier und Jetzt zu erkennen und anzuerkennen. Der andere ist der Bereich des Lebens, in dem die Menschen in dieser Stunde den Befehlen der Nützlichkeit Folge leisten, echter oder vermeintlicher Nützlichkeit. Was Menschen in ihrem Glauben oder in ihrem Denken bekennen, soll es nicht wagen, sich in die Entscheidungen der gesellschaftlichen oder politischen Wirklichkeit einzumengen! Aus dem Antrieb, den der erneuerte Chassidismus uns in dieser Stunde geben kann, kann die Kraft geschöpft werden, diese katastrophale Scheidung des Seins zu überwinden. In größter Klarheit drückt sich das in der Antwort des Schülers eines Zaddiks auf die Frage aus, was bei seinem Meister das Wichtigste gewesen wäre: »Das, womit er sich in ebendieser Stunde beschäftigte, war ihm die Hauptsache.« »Diese Stunde« in dieser Sache, das bedeutet: Wenn wir bereit sind, die Probleme in dem uns möglichen Maß zu lösen gemäß dem Gebot des Absoluten, das uns allen bekannt ist, und wenn wir bereit sind durch eine solche Offenbarung des Geistes die Stunde zu heiligen – daran hängt unser Verhältnis zur Ewigkeit. Das bedeutet, dass es uns untersagt ist, über der gegenwärtigen Lage zu schweben, uns untersagt ist, im Getöse der gegenwärtigen Stunde zu versinken. Der Geist verwirklicht sich nicht in dem steten Wandel der Wirklichkeit, sondern in dem Maße, in dem die Sterblichen mit ihren Handlungen in der Stunde Großes leisten. Von Mal zu Mal steht vor uns die konkrete Situation des Hier und Jetzt, deren Anforderung wir Genüge tun müssen. Uns ist ein Ausspruch des Rabbi Pinchas von Korez überliefert: Als man vor ihm einmal von dem großen Elend sprach, das in der Welt herrsche, hörte er schweigend, im Schmerz versunken zu. Dann hob er den Kopf und sagte: »Lasst uns den Heiligen gelobt sei Er zum König inmitten der Welt erheben und dann wird aller Mangel der Welt gestillt werden.« Wir sind berechtigt, diesen Spruch, in dem sich vollkommenes Gottvertrauen ausdrückt, in eine profane Ausdrucksweise zu übersetzen, denn es ist nicht die Hauptsache, welchen Namen wir dem Absoluten geben, sondern die Hauptsache ist die, ob

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wir ihm in der Wirklichkeit dienen. Die Lehre vom heiligen Dienst im menschlichen Alltag war die wichtigste Lehre, die ich aus der chassidischen Tradition empfangen habe und die ich an den heute lebenden Juden und an den Menschen unserer Zeit weiterzugeben versucht habe. Auf direktem Wege durch Erzählungen aus dem Leben dieser Menschen und in indirekter Weise durch die Deutung dieser Lehre unter dem Gesichtspunkt der seelischen Drangsal der Menschheit in dieser Stunde und Israels in dieser Stunde. In einem unvergessenen und unvergesslichen Gespräch, das ich mit Bialik auf dem Dach seines Hauses in Tel Aviv führte, erfuhr ich, dass er trotz seiner Ferne zum Chassidismus in diesem elementaren Punkt dem Chassidismus nahestand. Seine Wertschätzung der Halacha war nicht eigentlich literarischer Art. Er wusste, dass unser Leben nicht ein wahrhaftiges ist, wenn wir nicht der Anforderung des Geistes folgen; und gleichzeitig wusste er, dass die Forderung des Geistes nur zu erfassen ist, wenn wir sie von Mal zu Mal gemäß den sich verändernden und wandelnden Situationen klären. Die Situationen selbst klären die Forderung, wenn wir zugleich aufmerksam auf den Ruf der ewigen Forderung und auf den Ruf der gegenwärtigen Lage mit all ihren Erfordernissen lauschen. Wir hören, was uns zu tun aufgegeben ist, gerade jetzt und hier. Damals, 1927, in Bialiks Haus, als ich etwas dieser Art sagte, stand Bialik auf und ging geradewegs an die Brüstung des Dachs, ließ seinen Blick über Tel Aviv gleiten, schwieg eine Weile, wandte sich mir wieder zu und sagte: »Ja, so ist es.« Er kam zu mir zurück und wir saßen und schwiegen. Danach fing er an, von Tel Aviv zu sprechen. Aber nicht das fiel mir zuerst ein, als ich mich fragte, ob es eine Verbindung zwischen meinem Lebenswerk und dem Andenken an Bialik gebe, trotz des wesensmäßigen Unterschieds zwischen seinem Weg und dem meinigen. Das, was sich mir in meinem Inneren auftat, galt besonders dem Dichter Bialik. Das erste Phänomen, das die Entstehung jener seltenen Gebilde ermöglicht, die wir als Gedichte bezeichnen, ist, dass sich in der Seele eines bestimmten Menschen ein Zwiegespräch zwischen der Ewigkeit und dem Augenblick ereignet. Der von oben begnadete Dichter lässt sein Herz zum Ort dieses Zwiegesprächs werden. Und er, der Dichter, ist bereit, alle Leiden, die ihm daraus erwachsen, zu ertragen, mit aufrichtigem Herzen beides zu empfangen, das undurchdringbare Zwielicht der Ewigkeit und die helle Konkretheit des Augenblicks. Und er muss die Berührung der beiden aushalten, eine Berührung, die manchmal sehr grausam ist und die in seinem schmerzenden Dichterherzen geschieht. Aus dieser

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Berührung wird das echte Gedicht geboren. Bialik steht in der Reihe der Dichter, die diese Leiden und diese Gnade erfahren haben. Ich bin kein Dichter. Aber was ich in meinem Lebensgang lernte, war das Wissen um jene Rede, die sich an uns wendet mitten aus dem, was uns geschieht, in unseren alltäglichen Leben und um jene Antwort, die wir imstande sind, in der Sprache unserer Taten zu geben: Mit dem, was wir tun, und mit dem, was wir unterlassen. Und schlussendlich ist das eins mit dem Zwiegespräch im Herzen des Dichters.

Unveröffentlichte Archivmaterialien

Der Glaube an die Wiedergeburt. Vortrag von Dr. Martin Buber, gehalten in Amersfoort 20.-25. Juli 1925. 1. Unter Glauben verstehen wir hier das »Für wahr und wirklich halten« des Faktums der Wiedergeburt. Was ist das für ein Faktum? Darüber gibt es Auffassungen wie z. B. dass der Mensch vor seinem jetzigen Leben schon irgendwelche andere Lebensformen durchgelebt habe, oder dass er nach seinem biologischen Tode wiedergeboren werde. Mit solchen Auffassungen wollen wir uns nicht beschäftigen. Wir wollen von der Wiedergeburt sprechen als von einem Faktum, das mitten in diesem unserem Leben stattfindet, von jenem Ereignis, das Verwandlung schaffend, wie eine Cäsur, ein Innehalten, wie das Ende eines Bisherigen und Anfang eines Neuen empfunden wird. Wir sprechen hier nicht von der Metapher »Wiedergeburt«, auch nicht von dem, was da und dort im Menschenleben vorgekommen sein mag, sondern vor allem von dem, was uns selbst direkt angeht. Es geht um eine Wirklichkeit. Wir haben es zu tun mit einem Vorgang, der nicht nur geistig oder psychologisch verstanden werden soll. Er betrifft das ganze Wesen des Menschen. Geschichtsforscher, Religionsphilosophen und Psychologen meinen unwissenschaftlich zu werden, wenn sie die Frage aufkommen lassen, ob es sich hier um eine Wirklichkeit handle oder nicht. Ist es eine solche? Oder ist es nur ein psychologischer Prozess oder nur ein Wahn? Gibt es einen Unterschied zwischen Vorgängen, die mit der Wahrheit und solche, die mit dem Wahn zu tun haben? Gewiss gibt es einen. Der Vorgang des Fühlens ist verschieden beim Gottesdienst und beim Götzendienst. Nicht nur der angebetete Adoratus ist ein anderer sondern auch der Dienst. Der Mensch kann gar nicht in der gleichen Weise einem Götzen gegenüberstehen wie Gott. Das heutige Geschlecht hat diese Frage nicht übernommen, obschon sie von grundlegender Bedeutung ist. Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob es das, was wir Wiedergeburt nennen, gibt oder nicht. Es könnte interessant sein, sich mit dieser Frage zu befassen. Wir tun dies aber nicht. Wir sprechen nicht von etwas, was nur Wahn sein könnte. Sondern wir sprechen von einer Wirklichkeit, die wir an unserem Leben kennen und deren Existenz darum ausser Zweifel steht. Die Wirklichkeit der Wiedergeburt und die Beziehung des Menschen mit ihr besteht, auch wenn der Mensch es nicht weiss, auch wenn er falsche Vorstellungen davon hat. Es gibt verschiedene Reifegrade, bis

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diese Erfahrung für das Bewusstsein zum Durchbruch kommt. Gleichwie es auch verschiedene Erfassungsgrade des »Schönen« gibt, ohne dass dieses in der Beziehung aufgelöst werden könnte. Das Schöne besteht schlechthin, es ist nicht psychologisch reduzierbar. Ein Beispiel einer andersartigen Auffassung liefert die Evolutionstheorie, die aussagt, es gäbe nur allmenschliche Veränderungen im Menschenleben, einen Verlauf oder Ablauf. Katastrophale Veränderungen, wie z. B. die Bekehrung von Paulus vor Damaskus leugnet sie nicht, aber sie werden als subjektiv oder pathologisch gewertet. Der Sinn des Wortes »Katastrophe« ist »Wendung«. Die Wiedergeburt ist eine solche Wendung. In eine Welt eintreten wie bei einer Geburt. So etwas kann am Menschen biologische Geburt und im erwachsenen Menschen Wiedergeburt geschehen. Wir wollen davon sprechen im Sinne eines Grundfaktums unseres Lebens. Wir wollen uns der Geschichte des Glaubens an die Wiedergeburt zuwenden. Die Menschen und die Völker, die an die Wiedergeburt geglaubt haben, haben diese selbst erfahren. Darum ist die Geschichte dieses Glaubens zugleich die Geschichte der Wiedergeburt selbst. Sie ist auch die Geschichte der Verbundenheit des Menschen mit dem Göttlichen. Die primitiven Völker sind unserer Untersuchung am zugänglichsten. Ihre Geschichte hat ein langsameres Tempo, ist mehr statisch, weniger dynamisch. Dazu ist das Leben des Einzelnen sehr stark an den Stämmen gebunden, somit für den Stamm repräsentativ. Er lässt sich leichter beobachten als der europäische Mensch, der sich sozusagen vor unseren Augen verändert. In welcher Weise glauben nun die primitiven Völker an die Wiedergeburt? Sie glauben, dass der Mensch, besonders der junge, »anders« werden kann. Bei den meisten Naturvölkern finden wir die sog. Initiations- oder Bundesweihe. Viele Forscher bringen diese in Zusammenhang mit der Pubertät. Wenn das zuträfe, wäre die Bundesweihe nur der Ausdruck für eine naturhafte Umwandlung. Diese Erklärung ist ungenügend. Der junge Mensch muss sich einer Prozedur unterziehen, durch welche er anders gemacht werden soll. In dieser Prozedur spielt der Vorgang des Sterbens oder Getötetwerdens eine hervorragende Rolle. Bei einzelnen Stämmen besteht der Glaube, dass ein Dämon kommt und den Jüngling mitnimmt in den Busch, ihn dort tötet, frisst und dann wieder ausspeit oder gebiert. Bei Indianern finden wir die Vorstellung, dass die Verwandlung erst zustandekommt, wenn der Jüngling irgend eine Begegnung mit dem Schutzgeist des Stammes hat und der Schutzgeist ihn adoptiert und zu seinem Sohne erklärt. Wenn der Jüngling aus dem Busch kommt, ist ihm alles wie neu. Es weiss von nichts früherem mehr. Es muss ihm alles gezeigt und erklärt werden. So wird der Jüngling

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erst eigentlich in den Bund aufgenommen. Ähnliche Prozeduren finden wir bei der Aufnahme in Bruderschaften, Geheimbünde etc. Was ist ein Bund? Die Verbindung von Menschen mit einer Mitte, die allen gemeinsam ist. Diese Mitte muss etwas leibhaftes sein oder etwas an das die Menschen als an etwas Leibhaftiges, mit übernatürlicher Macht begabtes, glauben können. Es muss auch der Glaube bestehen, dass ihnen die Zugehörigkeit zu diesem Bund von dieser Macht befohlen ist, dass nicht eigene Willkür sie hinzu gebracht hat. Es ist für die Menschen ein ungeheueres Problem, dass wirkliche Gemeinschaft bestehe. Wenn dabei die freie Wahl des Einzelnen auch eine Rolle spielt, so doch nur so, dass der Einzelne sie selbst als Notwendigkeit empfindet. Er realisiert das »Ausgewähltsein«. Primitive Bünde haben so etwas Gemeinsames. Die Aufnahme in den Bund geschieht so, dass der einzelne Mensch von der Macht aufgenommen wird, die den Bund geschaffen hat und zusammenhält. Voraussetzung für diese Aufnahme ist die Vorstellung, dass es mitten im Leben eine Geburt gibt, die von oben göttlich-dämonisch geleitet wird und den Menschen so hineinbringt in die besondere Welt des Bundes. Der in den Bund Eintretende wird von Gott, der den Bund zusammenhält, neu gezeugt, wiedergeboren und als Sohn aufgenommen. Dies wird durch eine Zeremonie dargestellt. Es ist dies die für solche Völker zulänglichste sakramentale Aufnahme, die nicht als Theater aufgefasst werden darf.

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2. In der primitiven Gesellschaft gibt es drei Machtelemente: 1.) Der Schamane. Er ist der Zauberer, der Vertrauensmann oder Funktionär des Stammes. Er hat die eigentlichen magischen Leistungen zu tun. (Lange Dürre, Regen, Tierseuchen). 2.) Der Häuptling. Er ist der offizielle Vertreter des Stammes nach aussen, der eigentlich Machtvertreter. Er ist der Führer im Krieg. Führt er einen unglücklichen Krieg, so kann es sein Leben kosten, weil damit seine Bedeutung, die keine individuelle ist, sich auflöst. 3.) Die Bünde oder Bruderschaften. Sie haben magisch gefärbte Funktionen. Sie veranstalten z. B. Gesänge und Tänze, damit die Natur ihren gesetzmässigen Gang nimmt, dass die Jahreszeiten abwechseln etc. Der Schamane muss in sein Amt gewählt werden. Durch eine Zeremonie wird er aufgenommen, begnadet, mit magischer Kraft erfüllt. Das geht ungefähr so vor sich: Er fällt in tiefen Schlaf. Da träumt ihm,

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dass der Geist kommt und ihm den Bauch aufschneidet, seine Eingeweide herausnimmt und die seinigen hineintut. Der Häuptling braucht nicht gewählt zu werden. – Nun geht folgender typischer Entwicklungsprozess vor sich: die Bünde verlieren ihre politische Macht zugunsten einer einzelnen, übergeordneten Macht. Aus einer primitiven Demokratie wird eine primitive Monarchie. Mit dieser Entwicklung ändert sich die Bedeutung der Machtfiguren. Der Häuptling wird allmählich zum König. Dieser wird gewählt. Die Königsweihe hat oft eigentümliche Formen. Im Radjatum wird er von einer Kuh geboren. Etwas Analoges begibt sich bei der Priesterweihe in Ägypten. Der Priester kauert in der Stellung eines Embrio in einer Tierhaut. Die Geburt aus dieser Haut oder aus der Kuh bedeutet soviel wie »von den Göttern geboren werden«. Auch der Schamane wandelt sich. Er wird zum Priester. Bei der Priesterweihe finden wir auch Anklänge an die Wiedergeburt in Form von Tod und Auferstehung. Die bisher besprochenen Weihen, die die Aufnahme in den Bund oder die Einführung in das Amt bezwecken, machen zusammen die sozialen Formen aus. Eine neue Form, der wir uns nun zuwenden wollen, ist die individuelle oder religiöse. Diese bezweckt nicht mehr die Aufnahme in eine Gruppe oder die Einführung in die Funktionen einer Gruppe sondern die unmittelbare Einführung in die Verbindung mit dem Göttlichen. Zu diesen religiösen Weihen gehört die Opferweihe. Was ist ein Opfer? Die Vernichtung eines Geschöpfes und Darbringung desselben auf einem Altar. Was wird damit bezweckt? Darüber gibt es verschiedene Auffassungen, wie z. B. der Gott soll umgestimmt werden oder man will sich mit dem Gott durch ein Mahl (Vermählung) in Verbindung setzen, sich mit ihm versöhnen. Wir dürfen annehmen, dass die Grundformen der Religion nur die sein können, die wir selbst auch haben. Den tieferen Grund für das Opfer finden wir in dem Seelenzustand, der in der Jugend häufig ist, der uns treibt, uns selbst vergessen zu wollen, uns herzugeben. Man fühlt, dass wirkliches Leben nur möglich ist, wenn man sein Leben hergeben kann. Man gibt seine Seele her, um sie zu gewinnen. Man sagt: ich bin bereit, wenn Du mich nehmen willst. Man gibt sich de facto nur dem Einen weg. Wenn man wirklich sterben will, kann man das nur für Gott. Durch die Opfergabe äussert man die Bereitschaft diesen ganz willkürlichen Tod auf sich zu nehmen. Beispiel: Kain. Der Inder nennt den Empfänger des Opfers nicht. Er gibt sich weg an die »namenlose Macht«. Für ihn entstand Weltwirklichkeit aus einem Opfer. Der Gott hat sich in die Welt zerrissen. Das Entscheidende dabei ist der Akt. Durch das »Sichhergeben« entsteht Wirklichkeit. In Indien hat die Opferweihe die vollkom-

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mene Gestalt gefunden. Wer ein Opfer darbringen will, muss eine vollkommene Wiedergeburt durchmachen. 3. Von der Opferweihe gelangen wir zu der Mysterienweihe. Sie ist wie die erste eine individuelle Weihe im Gegensatz zu der Bundes- und Amtsweihe. Bei dieser findet eine Einführung in die Gruppe oder Gemeinschaft statt. Ihr Zweck ist also ein sozialer, während der Sinn der Opferweihe ein religiöser ist. Ein neues Verhältnis zum Göttlichen selber wird erstrebt, d.h. genauer gesagt, es wird der Eintritt in die Sphäre der Götter erstrebt. Die Mysterienweihen sind historisch lokalisiert, d.h. sie treten in bestimmten Momenten der Geschichte auf. Sie gehören der Zeit der mittleren und späten Antike an. In den griechischen Mysterienspielen sind es bestimmte Götter, die aus den nationalen Göttern herausgehoben wurden. Zu Mysteriengottheiten wurden alle diejenigen, die ein Schicksal haben, das Schicksal des Sterbens und Auferstehens. Dazu gehören chthonische, vegetative und Sonnengötter. Die Mysterienweihe trat historisch lokalisierbar auf mit dem Entstehen dessen, was wir Individualisation nennen. Solange die Person ihr Heil mit dem des Stammes identifiziert, kommt kein Bedürfnis nach Mysteriengöttern auf, um an ihrem Schicksal teilzunehmen und zu erfahren, was Gott erfahren hat. Was heisst das, sich mit dem Gott verbinden, mit ihm verbunden sein? Es findet eine sakramentale Auferstehung mitten in diesem Leben statt. (Verhüllen des Opfers oder Eingraben in die Erde bis zum Hals.) Der Myste wird in irgend einer Weise mit den Göttern in Verbindung gesetzt, sei es, dass er in die Welt, in der die Götter wohnen, geführt wird oder dass er schauend an einem Drama teilnimmt, welches das Schicksal des Gottes darstellt. Bei einem Mysterienspiel geschieht z. B. folgendes: Der Myste steigt in eine Grube. Auf einem Tragbrett darüber befindet sich das Bild Gottes. Von unsichtbaren Stimmen ertönt eine Totenklage. Der Myste unterscheidet nicht mehr zwischen dem Tode, den er erlebt, und dem des Gottes, welchem die Totenklage gilt. Jetzt wird das Totenopfer dargebracht. Der Myste wird mit dem Blute des Stieres übergossen. Ein Lichtschein bricht herein. Die Klage verstummt. Der Priester kommt und salbt den Mysten. Der Gott ist auferstanden. Der Myste hat mit dem Gotte den Aufstieg zu den Göttern begonnen. Die stärkste Ausprägung haben die Mysterienweihen im eleusinischen

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Kult erhalten. Er ist der eigentliche zentrale griechische Kult. Er verhält sich zu den nationalen Kulten so: da er zugleich eine Verengung darstellt, indem er nur für Eingeweihte ist, aber auch als eine Erweiterung, weil er auch Angehörige fremder Völker aufnimmt. Das eleusinische Spiel ist in seinem elementaren Gange besonders mächtig. Es ist das heilige Drama, das das Schicksal des Gottes darstellt, indem der Myste sich schauend mit dem Schicksal des Gottes verbindet. Wie kommt es, dass die Griechen dieses Drama geschaffen haben? Die Hegemonie der Augen ist die Ursache hierfür. Der Orientale lebt mit dem ganzen Körper. Bei den Griechen wird nun sozusagen aus der Republik der Sinnesorgane eine Monarchie. Der Seh-Sinn reisst die Hegemonie an sich. Er macht die Welt körperhaft, sie wird anschaubar. Obschon derart von ihm abgelöst, ist er doch damit verbunden. Das eleusinische Spiel stellt dar: Tod und Auferstehung, Vermählung, Zeugung eines unbekannten Neuen. Die Formel des Mysten heisst (nachdem er gegessen und getrunken hat): »Ich habe dann aus dem heiligen Korb genommen und habe gehandhabt«. Der Gegenstand war eine Nachbildung des Mutterschosses und diesen Gegenstand nahm er an seinen Körper. In diesem Augenblick ruft der Priester: »Die Göttin hat das Kind geboren.« Und so wird der Myste in die Welt der Götter als deren Kind aufgenommen. Tod und Wiedergeburt sind eins. Der Myste nimmt an diesem Schauspiel nicht nur anschauend, sondern auch sakramental teil. (Literatur: Albrecht Dieterich, eine Mithrasliturgie.) 4. In allen bisher besprochenen Kulten und Weihen soll die Wiedergeburt des Menschen bewirkt werden durch irgend eine Veranstaltung. Immer wieder wird an Menschen etwas vorgenommen, um die Gotteskindschaft oder Wiedergeburt zu bewirken. Was bedeutet das, dass ein Mensch wiedergeboren wird? Was bedeutet das für seine Erfahrung und für seine Reflexion? Wir kennen einen Zustand der Gebundenheit und einen solchen der Freiheit. Wir kennen alle jene lastenden Gefühle, unter deren Gewalt wir wie unter einem Verhängnis stehen. Es ist verhängt, was mit uns zu geschehen hat. Es geschieht gleichsam etwas über unsern Kopf hinweg. Es geschieht so, dass wir keine persönliche Beziehung dazu gewinnen können. Es zieht uns in den Wirbel hinein. Wir empfinden es als Zwang nicht als Schickung, als Verhängnis nicht als Bestimmung. Dieses Gefühl

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hat eine ungeheure Intensität. Es ist der Zustand des unerlösten Menschen. Alle die genannten Weihen wollen nun also bewirken, dass der Mensch aus diesem Zustande der Gebundenheit in das Reich der Freiheit der Gotteskindschaft der Verbundenheit mit Gott hinübertrete. Dieses »Vornehmen« mit den Menschen, dies Beginnen mit einem »Machen«, da wo es ankommt auf den ganzen personhaften Einsatz des Menschen selbst, das ist der Grundirrtum, den wir mit dem Wort »Magie« bezeichnen. Es ist nicht etwa so, dass es dieses »Äussern« nicht auch bedürfe. Doch kann und darf dieses nur die Verkörperung der faktischen TotalHandlung des einzelnen Menschen sein. Diese als solche ist das eigentlich Wesentlichste und Entscheidende. Das Sakrament ist das Äussere. Die Entscheidung ist das, was im Menschen vorgeht, was die Umkehr herbeiführt. Der innere Vorgang kann sich an den äusseren anschliessen. Man macht den Menschen in der Weihe anders, und es kann sein, dass es sich wirklich begibt. Das war das Ursprünglichste in der Auffassung der Weihe. Aber in vielen Fällen bleibt es beim Sakramentalen. Das Sakrament besteht jedoch nur zu Recht auf Grund des faktischen Wiedergeborenwerdens des Menschen. Es soll eine Verkörperung seiner wirklichen Entscheidung sein. Ein einziges Volk hat von ganz anderer Seite her die Wiedergeburt des Menschen erfasst, gemeint und erstrebt. Das waren die Israeliten. Im Evangelium Johannes heisst es im Anfang des 3. Kap., als Nicodemus zu Jesus kam: »Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir, es sei denn, dass jemand wiedergeboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.« und: »Der Wind bläst wo er will, und Du hörst sein Sausen wohl, aber Du weisst nicht, von wannen er kommt und wohin er geht. Also ist ein jeder der aus dem Geiste geboren ist.« Das heisst: der wiedergeborene Mensch ist so wie der Wind. Er ist wie der »Urbraus« Gottes, (eigentlicher Sinn des hebräischen Wortes), in dem Körper und in der Seele noch und wieder in ungeschiedener Einheit sind. Das Volk Israels musste die Gegensätze der Welt in sich tragen. Es musste die Kraft aufbringen, die Einheit wiederzufinden. Es hatte von Alters her zwei sakramentale Handlungen, die mit der Wiedergeburt zusammenhängen. Die erste, die sich sehr leicht magisiert hat, war die Salbung der Könige, die zweite, aus der später die Johannestaufe hervorgegangen ist, war die Proselytentaufe. Ein gutes Beispiel für die erste ist die Salbung Sauls. Bevor er vom Volke zum König ernannt wird, wird der Prophet Samuel zu ihm entsendet. Saul wird von ihm gesalbt. Das bewirkt, dass er zu einem andern Menschen wird. Der Herr kommt über ihn und adoptiert ihn. Dies ist

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nichts anderes, als wenn bei der Schamanenweihe der Gott die Eingeweide des Schamanen herausnimmt und ihm seine eigenen hineintut und ihn so mit Gnadenkraft begabt. (2. Psalm: »Heute habe ich Dich gezeugt«.) Dasselbe Wort finden wir in Ägypten, ein ähnliches in Babylon, wo die Thronbesteigung aufgefasst wird als eine Adoption durch die Götter. Diesen Vorgang der Salbung der Könige muss man in Zusammenhang mit der Bedeutung der Könige in Israel betrachten und verstehen. Eigentlich ist Gott allein König. Er ist der Herrscher der Welt. Nur kann er seine Herrschaft noch nicht antreten wegen der Sünden der Welt. Aber wird sie antreten. Und dass das Reich komme, dazu hilft und trägt bei der Bund, der Israel heisst und der sich unter Gott stellt. Das Volk ist berufen und mit Macht begabt. Zur Zeit der Richter gab es immer wieder ein Interregnum, das ist unmittelbare Gottesherrschaft. Gott regiert, aber das Volk kann es nicht ertragen. Es macht eine Anarchie daraus. Von da an lechzt das Volk wieder nach einem Könige. Da schickt Gott den Samuel zu Saul, dass er ihn salbe. Saul ist erwählt, erfüllt von seiner Berufung, aber er fällt. Er hat nicht mit dem ganzen Wesen, nicht mit dem ganzen Menschen das ihm Aufgetragene getan. Er nimmt es als Mensch nicht auf sich, das zu tun, was an ihm ist, das was Gott dem Menschen nicht abnehmen will. Da wich der Geist von ihm. Ein böser Geist (Gott?) kam über ihn. Dies Versagen des von Gott gewählten Menschen kehrt immer wieder. Das Volk gibt zwar den Glauben an den Menschen nicht auf, aber es verzweifelt daran, dass sich das in einer Königsdynastie noch verwirklichen werde. Es erwacht in ihm der Glaube und die Sehnsucht nach dem Messias, nach jenem einen Menschen, der der Zeugung durch Gott standhält. Der Abfall Sauls ist der Punkt, aus dem das Christentum entstanden ist. In seinem Mittelpunkt steht der Glaube an einen Menschen, der Tod und Wiedergeburt erlebt hat. In der christlichen Gemeinschaft bestand die Erinnerung an diesen Menschen und seine Worte. Seine Person blieb Gegenwart und alle hatten zu ihm die gleiche Beziehung. Er ist der Mensch, der der Zeugung durch Gott standhält und darum frei wird von der Kausalität, frei von der Heimarmene der Griechen, frei von der inneren Gebundenheit, frei vom Sündigenmüssen. Dies ist die eine Seite des Problems. Die andere führt in das eigene Geheimnis des Menschen selbst hinein. Es ist die Conception der Umkehr, aus der die Conception der Johannestaufe entstanden ist. Im Midrasch (Hebr. »Reden«, Gesamtausg. S. 64) gibt es folgende Vorstellung. Als Gott die Welt schaffen wollte, setzte er sie zuerst vor sich hin und da

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sah er, dass sie nicht Bestand hatte. Da schuf Er die Umkehr und da hatte sie Bestand. Die geschaffene Welt ist entstanden aus zwei Grundbewegungen. Die eine führt von Gott weg. Es ist die Bewegung des Weltwerdens, das immer vielfältiger Werden, das immer weiter von der Einheit Abkommen. Die andere Bewegung ist: zum Schöpfer zurück, die Umkehr. Da wo die Welt Gefahr läuft, sich in die Abgeschnittenheit zu verlieren, von da, am Rand, wird sie aufgerufen. Da wird gerufen, was Johannes, Jesus und die Propheten schon gerufen haben, als ob es ein Urgebot wäre: »Kehret um«. Die Gefahr beginnt dort, wo der Mensch seiner Personhaftigkeit bewusst wird. (Baum der Erkenntnis?) Da setzt auch die Umkehr ein. Dieser Ruf bedeutet etwas Faktisches. Er bedeutet das Schicksal der Welt. Mit der Umkehr ist nicht der Weg gemeint, den man früher gegangen ist, sondern der Weg auf Gott zu, der Weg Gottes. Weil die Umkehr etwas so Elementares ist, kann sie nur der ganze gesammelte Mensch vollziehen. Durch sie wird der Mensch ganz. Auf diesen Akt, den der Umkehrende tut, kommt es an. Tut er ihn nicht als der Gewählte, der Gerufene, sondern tut er es als der Gute und Richtige, so gehört er zu den »Gerechten«. An dem Ort, wo die Umkehrenden stehen, können die Gerechten nicht stehen. Es heisst: »Kehret um, denn die Herrschaft (Reich) Gottes ist nahe herangekommen.« Von dem Augenblicke an, wo der Mensch aus dem primitiv naturhaften Leben hereingeboren wird in das der lebenden, menschlichen Person mit allen unendlichen Möglichkeiten des Heils und Verlangens, steht er unter der Last des Verhängnisses, und da erwacht in ihm die Sehnsucht nach Umkehr und Erlösung. Die Zeit des Heils ist nahe. Sie wartet nur auf den umkehrenden Menschen. Gott hat die Herrschaft über die Welt noch nicht angetreten. Das Reich Gottes hat sich noch nicht offenbart. Es ist – vom Menschen gesprochen – noch nicht da.

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5. (Zu Beginn liest Dr. B. aus den Reden über das Judentum (Gesamtausg. Frankf. a.M. 1923) Seite 85-88, d.h. den ganzen dritten Abschnitt.) Wir wenden uns der Johannestaufe zu und lesen die Taufgeschichte nach Marcus. Dieser ist unter den synoptischen Evangelien sicherlich der ursprünglichste in Bezug auf die Erzählung. Das Leben Jesu begann für seine Anhänger mit seiner Taufe im Jordan. Alle Disharmonien, seine

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Kämpfe und Überwindungen, die vorausgingen und das Neue erst erlaubten, gingen sie nichts an. So fängt auch Markus seine Erzählung ohne die Kindheitsgeschichte mit der Jordantaufe an. »Und es begab sich zu derselbigen Zeit, dass Jesus aus Galiläa von Nazareth kam und liess sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist gleich einer Taube herabkomme auf ihn.« 12. Vers: »Und alsbald trieb ihn der Geist in die Wüste«. Nach Lucas 3,21: »Und es begab sich, dass sich alles Volk taufen liess und Jesus auch getauft war, dass sich der Himmel auftat … und der heilige Geist fuhr hernieder in leiblicher Gestalt auf ihn wie eine Taube und eine Stimme kam aus dem Himmel …« 4,1 »Jesus aber war voll heiligen Geistes, kam wieder vom Jordan und wurde vom Geist in die Wüste geführt« (nach den ältesten Handschriften; griechisch.) Bei Lucas ist es mehr wie ein objektiver Vorgang erzählt. Bei Marcus spürt man noch das Ungeheure, Überwältigende des Vorganges. Denselben Eindruck finden wir schon im Alten Testament bei den Richtern und Propheten. Es ist ein richtiges Getriebenwerden vom Geist. Wir denken uns das Eingreifen des Geistes nur zu gerne als etwas, das sozusagen nicht da, sondern nur im Denken, eben im »Geist« vorhanden ist. Der Geist ist nicht im »Denken über den Geist«, sondern in unserer Welt je und je als etwas, was unmittelbar wirkt und realste Wirklichkeit ist. Der Geist ist wirklicher als alles Sinnenfällige, was je mit dem Menschen geschehen ist. Er ist es, durch welchen das Sinnenfällige erst seine Wirklichkeit bekommt. Schwören wir gerade hier allem Subjektivismus ab, sonst bleiben wir auf der Schwelle stehen! Die Johannestaufe ist entstanden aus der Proselytentaufe, durch welche Glieder fremder Völker aufgenommen wurden in den Bund, den Gott mit dem jüdischen Volke geschaffen hat. Es sind zu einem Tun und Leiden um Gottes willen verbundene Menschen. Aber die Johannestaufe fasste zugleich die Salbung in sich. Sie ist eine Einheit von Proselytentaufe und Salbung. Die Taufe – zusammen mit der Salbung – wurde so universalisiert, dass sie nunmehr allen Menschen zugänglich wurde. Sie geschah im Warten auf das Reich Gottes und der Täufer war durchdrungen von dem Gefühl und der Überzeugung, dass das Kommen des Reiches auch vom Menschen abhänge. Er glaubte, dass es einen Anteil des Menschen daran gibt und dass seine eigene persönliche Entscheidung zugleich eine Weltentscheidung sei. (Dies ist der jüdische Grundglaube, dass es einen Anteil des Menschen an der ewigen Schöpfung gebe.) Von diesem Grundsatze war auch Johannes getragen. Math. 11,18:

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»Aber von diesen Tagen Johannes des Täufers bis hierher leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt tun, reissen es zu sich.« Luc. 16,16: »Das Gesetz und die Propheten weissagen bis auf Johannes. Und von der Zeit wird das Reich Gottes durch das Evangelium gepredigt und jedermann dringet mit Gewalt hinein.« Luc. 13,24: »Ringet darnach, dass Ihr durch die ewige Pforte eingeht, denn viele werden, das sage ich euch, darnach trachten, wie sie hineinkommen und werden es nicht tun können.« Es gab und gibt einen Kampf des umkehrenden Menschen. Hüten wir uns, das nicht real zu nehmen. Was realiter zwischen Gott und dem Menschen geschieht, ist nicht »von aussen« erkennbar. Es gibt eine Zweiheit der Sehnsucht, deren wir immer wieder eingedenk bleiben sollen, wie auch all ihrer Namen. Der Grieche, der die Unfreiheit so stark empfand (orphisch), drückte seine Sehnsucht ungefähr so aus: »Ich bin aus dem Kreise der Kausalität, des Verhängnisses, aus dem Rad, in das der Mensch gebannt ist, geschritten in die Freiheit der Götter (der Kinder Gottes).« Es gibt eine Sehnsucht nach Erlösung aus dem Verhängnis, eine Sehnsucht nach der Wiedergeburt. Und es gilt, der Sehnsucht darnach auch standhalten zu können. Um uns diese Zweiheit zu veranschaulichen, wollen wir folgende Gegensatzpaare festhalten. Die Kräfte oder Mächte, deren sich der Mensch für den Akt der Befreiung bedient: 1. MAGIE Was am Menschen geschieht

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ENTSCHEIDUNG Was im Menschen geschieht

Worunter der Mensch leidet: 2. VERHÄNGNIS griechisches Gefühl: objektive Unfreiheit Ananke, Heimarmene. 3. WANDLUNG Heraustreten aus dem Kreis

SÜNDE jüdisches Gefühl Entzweiung, Knechtung von innen her. UMKEHR. Wesenshandlung des gesamten gesammelten Menschen.

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Wohin führt die Aktion: Wandlung – Umkehr?: 4. WELTBRAND Die Welt ist verlassen und geht unter, Götterdämmerung.

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In der Schöpfungsgeschichte steht: »Gott schuf den Menschen in (seinem) Bilde und Gleichnis; zu seinem Bilde schuf er ihn.« Was heisst das? Gewiss ist nicht gemeint Ebenbild. »In« und »zu seinem Bilde« besagt dasselbe, als was man auch von seinem eigenen Vater sagen kann. Zwischen Vater und Sohn besteht eine Bindung sowohl an sein Wesen, als auch an sein Wesen, wie es sich äussert. Es ist gemeint der Zusammenhang mit dem Wesen Gottes wie auch mit dessen Äusserung in der Welt. Der das wirklich darstellt, geht den Weg vom Geschöpf Gottes zum Kind oder Sohn Gottes. Die Geschichte des Menschen bedeutet diesen Weg. Dies geschieht nicht nur in der Zeit, sondern auch jetzt und hier auf jedem Stück des Weges. Dieser Weg wird gegangen unter einem nicht abzumessenden und abzugrenzenden Anteil des Menschen. Sonst wäre es nicht der Weg des Menschen. Es ist so, dass die Schöpfung nicht erlöst und vollendet ist und dass der Mensch an diesem Werk teilhat. Dies wird in der letzten Wahrheit erkannt von der Seele des einzelnen Menschen, die sich mit der Schöpfung konfrontiert. Dieser Vorgang, der jeden einzelnen Menschen hier und jetzt mit der Schöpfung, so wie er in ihr gemeint ist, gegenüberstellt, dies ist der Punkt, wo sich die Umkehr vollzieht. Die Zyklen-Idee (Spengler) bedeutet, dass die Welt immer wieder untergeht und neu entsteht. Dieser Weltbrand ist eine Grundvorstellung der Völker. Nun gibt es etwas, dass in jener Zeit der Krisis und des Niederganges der Antike sich bildete, nämlich der Glaube, dass es eine Einwirkung des Menschen auf diesen Untergang und auf das Neuwerden der Welt gibt. Das Neuwerden der Welt ist verknüpft mit der persönlichen Wiedergeburt des Menschen. Derjenige, in dem sie sich wirklich vollzieht, kann einwirken auf das Neuwerden der Welt. Es handelt sich nicht um eine Neubildung der Welt, sondern mitten im Leben der Welt gibt es ein Sterben und Wiederwerden derselben, die ineinander verschlungen sind. Damit ist die Zyklen-Idee aufgehoben, und die Idee des Reiches Gottes entfaltet sich. Die Welt und der Mensch in ihr haben etwas zu tun, damit Gott die Schöpfung erlösen kann. Sie (die Welt) kann sich freilich nicht selbst erlösen. Aber sie kann etwas tun, damit sie erlöst werde. Die Propheten predigen von der Umkehr. Sie sind keine Wahrsager. Sie sprechen nicht von Zukünftigem. Ihre Weissagungen sind an den Umkehrenden gerichtet. Nichts Besseres kann geschehen als der Hinweis auf dieses Geheimnis. Von da aus kann verstanden werden, was es heisst, dass ein Mensch in die Sündenfreiheit wahrhaft hineingeboren werden kann. 1. Joh. Brief Kap. 3,9: »Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde, denn sein Same bleibet bei ihm, und er kann nicht sündigen, denn er

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ist von Gott geboren.« Lesen wir aber im gleichen Brief Kap. 5,1: »Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christ, der ist von Gott geboren«, so müssen wir sagen, dass dieser zweite Satz nicht zu Recht bestehn kann. Die Menschen können nicht durch Anschluss und Anlehnung an die von Christus vollzogene Wiedergeburt erlöst werden. Gott spricht zu jedem von uns, wie er auch auf jeden von uns wartet. Dieser Wirklichkeit gegenüber scheint mir die Frage, ob einer ein Christ sei, nicht Bestand zu haben. Der von Gott gezeugte und geborene ist nicht ein Mensch, sondern d e r Mensch.

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6. Vorgelesen aus den Reden über das Judentum Seite 167-169 (Von »aber nicht« bis »geworden war«.) Johannes predigt die Umkehr im Angesicht des kommenden Reiches, d.h. des auf uns zukommenden Reiches. Dieses Warten des Reiches auf den umkehrenden Menschen und das Herankommen des Reiches auf die Menschheit zu besteht seit der Zeit, als dieses aus dem Gefüge des Stammes herausgetreten ist, d.h. seit der Zeit des Individualismus. Seit dieser Trennung des Menschen von seinem ursprünglichen Kollektivzusammenhang, seitdem er sich als abgetrennter Einzelner in die Welt hinein verlor, wartet das Reich Gottes auf den Umkehrenden. Diese Umkehr ist etwas, was nur mit dem ganzen seelen-körperhaften Wesen, nur mit dem ganz gewordenen erwachsenen Menschen getan werden kann und darf. Dies bedeutet die Predigt des Täufers und eben dieses selbe ist es auch, womit Jesus sein Werk unter den Menschen beginnt. (Man soll nicht darauf ausgehen zu entdecken, ob etwas wirklich Neues da ist. Es kommt nicht darauf an. Wirkliche Wahrheit ist uralt. Sie soll nur aus neuer Erfahrung des eigenen Lebens legitim, verpflichtend neu gesprochen werden.) Und zu derselben Predigt sendet Jesus zuletzt seine Sendboten aus. Petrus und Paulus sprechen im entscheidenden Moment ihrer missionierenden Tätigkeit dasselbe. (Ap. Gesch. 17,23-28) Paulus auf dem Areopag predigt den Männern von Athen von dem unbekannten Gott, dem sie bis dahin unwissend, neben dem anderen, Gottesdienst getan haben. Dieser Moment ist einer der Gewaltigsten in der Menschheitsgeschichte. Vers 30: »Nun hat zwar Gott die Unwissenheit (das Nichtwissen) der Menschen übersehen, gebeut aber nun allen Menschen an allen Enden Busse zu tun.« Das ist die Lehre Jesu. Hier ruft er sie auf zur Umkehr und beruft sich auf die Johannestaufe. Dann folgt im griechischen Zitat das, was den Zusammenhang zwischen Menschen

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und Göttern besagt: Durch die Wiedergeburt werden Menschen und Götter e i n e s Geschlechts – Zeugung von Halbgöttern. In derselben Predigt also, in der Paulus das Urwort des Täufers ausspricht, gibt er das preis, was Leben und Lehre Jesu ist. Was er nachher predigt, ist Anschluss an das einmal realisierte Heil. Es kommt nicht mehr darauf an, wie es der Täufer und Jesus gemeint haben. Dieser Sinn, dass es auf die eigengesetzliche Tat auf Gott zu ankommt, dass der Mensch sich ganz in den Abgrund werfe, dass er sich aus diesem Abgrund aufrecke, ohne Halt, ohne Stütze, ohne dass ihm etwas abgenommen werde, geht verloren. Ein Bild wurde aufgestellt, das im Augenblick der Not den Menschen aufruft, das »Eigene« zu tun: »Kehret um, denn das Reich Gottes ist nahe«. Aber die immer wiederkehrende Verfehlung hat dieses Bild entstellt und hat zum Missbrauch geführt. Die beiden Mächte, die die Umkehr des Menschen bedrohen und verhindern, sind die Mythisierung und die Magisierung. An dem Folgenden wird das deutlich werden. Es gab im Altertum zwei Richtungen, die sich auf die Kindschaft Gottes beziehen. Die eine ist der Nativismus, dessen primitive Form in Ägypten vorkam. Hier ist die Kindschaft durch die Geburt erworben. Die andere, deren primitive Form in Babylon lebte, ist der Adoptianismus. Dieser gründet sich auf den Glauben an die Wiedergeburt. Die erste Zeit des Christentums ist vor allem durch den Adoptianismus beherrscht. Der Mensch, der in mehreren Malen vorbereitet wird, erfährt in einem entscheidenden Moment die Neuzeugung durch Gott und wird zu seinem Sohn. Er betritt den Weg vom Geschöpf Gottes zum Sohn Gottes. Jesus ist in der Taufe im Jordan zum Sohne Gottes geworden. Der Geist ist auf ihn herabgekommen und treibt ihn. In Berührung mit dem Heidentum wird Jesus immer mehr ein Halbgott, gezeugt von Gott in einem Menschenweibe. Dies ist eine Ersetzung und Entstellung der Wirklichkeit. Eine naturhafte Zeugung durch Gott tritt an Stelle der Wiedergeburt in Gott. Das ist Mythisierung. Dieser Gott ist ein mythologischer Gott. In der damaligen Zeit war das Eingreifen des Mythos vielleicht eine Stärkung der Position des Christentums, die dessen Assimilierung durch das Heidentum erleichterte. Heute aber müssen wir es als eine Ablenkung von dem betrachten, worauf es ankommt. Die Johannestaufe ist die eigentliche Entscheidungstaufe, d.h. sakramentale Gestaltung der erfolgten Wiedergeburt. (Es gibt einen Moment, wo der Jordan rückwärts fliesst). Hier geschieht der Wegumschwung, die wirkliche Wandlung des Menschen. So muss die Taufe Jesu noch kein Taufen auf den Namen Christi sein. Jesus hat nicht Menschen aus-

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gesandt, Christus zu lehren, sondern sie zum Umkehr zu bringen. So entstand aus der Entscheidungstaufe die Anschlusstaufe und mit dieser schliesslich die Kindertaufe. Dass diese Entwicklung stattfand, ist begreiflich. In der Urgemeinde war das Leben und die Person Jesu noch reale Gegenwart. Es fand fortwährend eine Erweiterung der Gemeinde statt durch Neuhinzukommende. Durch die Taufe traten sie in diese Gegenwart ein. Und wie der Mensch so will auch die Gemeinschaft Garantie für ihre Kontinuität haben, wenn sie sich nicht der Ungewissheit überantworten will. Aus dieser Kontinuitätssucht entstand die Kindertaufe. Aus dem Sakrament der Entscheidung wurde ein Sakrament, das die biologische Geburt des Menschen zu einem religiösen Faktum macht. (Nativismus) Die Sanktionstaufe tritt an Stelle der Wiedergeburtstaufe. So entstand die Kirche. Das hat sich freilich nicht ohne Kämpfe vollzogen. Im dritten Jahrhundert war der Kampf entschieden. Der Nativismus hatte über den Adoptianismus gesiegt. Aber die Kämpfe hörten im Grunde nicht auf. Vom Augenblick dieses Sieges an, erhob sich die Ketzerei gegen die Kirche. Das ist nichts anderes als Erhebung des Täufertums. Allen diesen Bewegungen ist gemeinsam: 1. dass sie auf den Adoptionismus zurückgehen. Die Taufe im Jordan ist für sie zentral. 2. dass sie die Kindertaufe verwerfen. Dass sie glauben an das kommende Reich (in Jerusalem) mit der Umkehr des Menschen. Wenn es einen Adoptionismus überhaupt gibt, so kann er nicht beschränkt sein auf einen Menschen. Elipandus von Toledo (Ende des 8. Jahrh.) sagt: »Wer ist der Adoptivsohn, auch wir sind es, d.h. wir können es werden.« Und Meister Ekkehard: »Der edle Mensch ist jener eingeborene Sohn Gottes, den der Vater ewiglich zeugt.« Die täuferischen Bewegungen haben wohl ihre Exzesse und Gefahren. Aber eben das ist der Weg. Der wirkliche Weg, der Weg ins wirkliche Leben ist exponiert und gefährlich. Wir wissen nicht, wo überall er durchführt, nur dass uns alles unmittelbar angeht, so sehr angeht, dass wir es vielleicht erst in unserer letzten Stunde, wo wir keinen Kontakt mit der Welt, nicht einmal mit unseren Nächsten mehr haben werden, voll erkennen können. Die täuferische Bewegung bedeutet, dass, wenn auch das Christentum vom Judentum abgekehrt ist, so doch ein lebendes Angesicht je einer der beiden Religionen einander zugekehrt sind. (Die messianischen Bewegungen.) Die beiden Angesichter führen mit einander ein stummes Zwiegespräch durch die Zeiten. Und nun zum Schluss. Was ist es, das wir, die wissend sind, tun? Dann

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Der Glaube an die Wiedergeburt

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tun wir das, was an uns und in uns ist. Wir tun, was wir tun müssen, was auf uns wartet. Wir tun es nicht mehr mit Stücken und Teilen unseres Wesens, sondern in der Einung und Sammlung und in der Richtung des gesammelten Menschen auf Gott hin. Wenn wir so tun, nicht mehr und nicht weniger, Mal für Mal, unser quantum satis, so tun wir das Eine, was Not tut. Dieser Ruf, wenn der Mensch ihn hört, ist die Berufung.

Mein Liberalismus Wenn mir nur die Wahl freistünde zwischen Orthodoxie und Liberalismus, müsste ich mich für diesen entscheiden, obgleich oder weil jene eine objektive Existenz besitzt, die diesem fehlt. Es ist heute, wo so oft die Person in ihrer Halt- und Hoffnungslosigkeit mit sich selbst nichts Rechtes anzufangen weiss, modern geworden, sich für das »Objektive« zu interessieren, im Christentum für die »Kirche«, gleichviel ob sie von wirklichem Gemeindeleben, Gemeinschaftsleben getragen ist oder eben nur eben als objektive Institution besteht, im Judentum für das »Ritual«, gleichviel ob es von Gottes Wort aus und auf Gottes Heiligung zu geübt wird oder nur eben als »objektive Form« besteht. Mir sind die von keinem gelebten personhaften und gemeindehaften Leben gespeisten »Objektiva«, diese massiven Schatten, eine unerträgliche Vorstellung. Innerhalb einer Orthodoxie empfinde ich, wo immer ich sehe, dass einer an die faktisch geschehene Offenbarung glaubt und das Offenbarte (im Sinne von Deut. 29,28) nach seinem Vermögen erfüllt, Ehrfurcht, aber, wo dem nicht so ist, Abscheu; ein Dazwischen ist mir hier nicht gewährt, denn wo vom Gesetz aus gesprochen wird, gibt es nur Bewährung oder Verrat, und was für einen der vom Ritual X Verrat ist, haben schon die Propheten gewusst. Aber auch wenn die Orthodoxie aus Erfüllenden bestünde, müsste ich mich mit der ehrfürchtigen Betrachtung begnügen und dürfte mich ihr nicht anschliessen: weil ihr das Gesetz über die Problematik des Verhältnisses zwischen Göttlichem und Menschlichem, des Brechens und Zerbrechens des Göttlichen im Menschlichen, erhaben ist, mir aber als die sublimste Verkörperung dieser Problematik erscheint; weil also für sie dem Gesetz gegenüber nur die Akzeptation gilt, für mich aber nicht mehr als die ernste Konfrontation mit ihm, Begegnung zwischen aufgeschlossener Person und kennengelerntem Gesetz, woraus sich auch Befreiung ergeben muss, wo einer ein Gebot als an ihn gerichtet erfährt – nicht aber so, dass, wie mein Freund Franz Rosenzweig – zum Unterschied von mir ein aus X Wahl liberaler Jude – meint, die Befolgung eben um des Kennenlernens willen vorauszugehen hätte, weil man hier eben durch das Üben erst wahrhaft kennen lerne: aus diesem Zirkel führt mich die Gewissheit, dass mir nur der ungewollte Glauben frommt und nur das aus ihm gewordne und ihn bewährende Werk taugt. Die religiöse Entscheidung vollzieht sich mir also im Herzen der lebendigen Person, im Geheimnis der Verantwortung. Man wendet ein, sie dahin zu verlegen bedeute die Erhaltung des »Judentums« gefährden. Darauf entgegne ich,

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Mein Liberalismus

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dass es mir von meinem Glauben aus um das Judentum, nicht von meinem Judentum aus um den Glauben zu tun ist. Ich darf nicht sagen, dass ich »an das Gesetz glaube«; aber gegen diese Scheu vor der Probe gehalten will mir mein Unglaube fast als Glaube erscheinen – sie ist die eigentliche Ungläubigkeit. Die reale Existenz, der Wirklichkeitsgehalt einer Institution, einer Form, eines »Objektivums« erscheint mir also je und je in die Entscheidung im Raum der Subjektivität gestellt, von ihr abhängig. Das ist wohl der Kern des religiösen Liberalismus.

Kommentar

Editorische Notiz Der vorliegende Band folgt den neuen, in Band 9 der MBW (»Schriften zum Christentum«) erstmals vorgestellten Editionskriterien. Die Gesamteinleitung, die der Textsammlung vorausgeht, enthält allgemeine Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Texte, ordnet sie in Bubers Gesamtwerk ein und erläutert ihre zeitgenössische Rezeption. Die hier gebotenen Fassungen von Bubers Texten sind auf Grundlage der Erstdrucke erstellt und folgen ihnen in Orthographie und Interpunktion. Die Texthervorhebungen der Originaltexte mit gesperrter und kursiver Schrift sowie Kapitälchen werden beibehalten. Die Reihenfolge der Texte Bubers im vorliegenden Band folgt einer möglichst chronologischen Ordnung. Als Druckvorlagen für »Klärung«, »Ein Wort an Dreizehnjährige«, »Religion in unserem Land«, »Treue zum Geist« und »Gershom Scholem – 60 Jahre alt«, die zunächst auf Hebräisch publiziert und bislang nicht auf Deutsch veröffentlicht worden sind, wurden Übersetzungen benutzt, die Simone Pöpl für die Martin Buber Werkausgabe angefertigt hat. Berichtigende Eingriffe in Texte, denen Drucke zugrundelagen, werden nur im Fall von offenkundigen Druckfehlern und angesichts von Korrekturen Bubers in späteren Drucken vorgenommen. Diese Eingriffe sind im Variantenapparat des Kommentarteils zum jeweiligen Text verzeichnet. * Im Kommentarteil des Bandes wird zu jedem Text zunächst eine individuelle Einleitung geboten, die auf die Textentstehung eingeht, die Quellen analysiert und die Rezeptionsgeschichte umreißt. Anschließend werden die in den Variantenapparaten berücksichtigten, mit Siglen versehenen Textzeugen aufgelistet und, falls erforderlich, kurz charakterisiert. Darunter befinden sich ggf. Handschriften und Typoskripte aus dem MBA und die zu Bubers Lebzeiten erschienenen, d. h. die von ihm autorisierten Drucke. Der Bestimmung der Druckvorlage folgen ggf. die bibliographischen Angaben zu den Übersetzungen des Textes. Darauf folgend, wird ein Variantenapparat geboten, der inhaltliche, den Sinn des Textes verändernde Abweichungen der vorhandenen Textfassungen von der Druckvorlage verzeichnet. Einträge des Herausgebers sowie herausgeberbezogene Zeichen werden kursiv, der edierte Text recte formatiert.

Editorische Notiz

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Der Kommentarteil zu dem jeweiligen Text wird durch Wort- und Sacherläuterungen vervollständigt. Den Abschluss des Bandes bilden umfangreiche Register zu der verwendeten Literatur, den Bibelstellen, den Sachbegriffen und den Personen.

Diakritische Zeichen Ko r r e k t u re n v o n B u b e r s Ha n d : [Text] Texttilgung hTexti Texteinfügung ! Korrektur zu folgender Variante Herausgeberbezogene Zeichen: x, xx, xxx … Unentzifferte(s) Zeichen X Unentzifferte Zeichenfolge ? unsichere Lesung des davor stehenden Wortes [Textverlust] eindeutig fehlende, nicht ergänzbare Textlücken wegen Schreibabbruch, Textzeugenbeschädigung etc. {Text} Variante aus einem Textzeugen, eingeblendet innerhalb einer Variante aus einem anderen Textzeugen / Zeilenumbruch Te x t z e u g e n - S i g l e n : D1, D2 … Drucke d1, d2 … Teilabdrucke, Druckfahnen und Korrekturbögen H1, H2 … Handschriften 1 2 h,h … Teilhandschriften TS1, TS2 … Typoskripte TS1.1, TS1.2… Schichten innerhalb eines Textzeugen

Einzelkommentare Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum] Die »Vorrede« steht einer Sammlung von Reden voran, deren Kern die Drei Reden über das Judentum (Rütten & Loening 1911; jetzt in: MBW 3, S. 219-256) bilden, die von Buber 1909 f. in Prag im Studentenverband Bar Kochba gehalten wurden. Ergänzt wurden diese Vorträge durch zwei weitere Vorträge: »Jüdische Religiosität« (jetzt in: MBW 2.1, S. 204-214) und »Der Mythos der Juden« (jetzt in: MBW 2.1, S. 171179), die Buber 1913 und 1914 vor demselben Kreis hielt, sowie den 1915 veröffentlichten Vortrag »Der Geist des Orients und das Judentum« (jetzt in: MBW 2.1, S. 187-203), der im Berliner Abgeordnetenhaus im selben Jahr gehalten wurde. Der breiteren Öffentlichkeit wurden die drei letztgenannten Reden im Sammelband Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte 1916 zugänglich gemacht. Des Weiteren enthält die Gesamtausgabe Reden über das Judentum zwei Reden aus der Zeit des Kriegsendes: Der heilige Weg. Ein Wort an die Juden und an die Völker (Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1919; jetzt in: MBW 11.1, S. 125-156) und Cheruth – Eine Rede über Jugend und Volk (Wien: R. Löwit 1919; jetzt in: MBW 8, S. 109-127). Mit allen genannten Reden aus der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges wandte sich Buber an junge gebildete Juden. Auf Verlangen der Studenten der Prager Universität widmete er sich dem Zwiespalt einer Generation jüdischer Jugend, die einerseits ihre jüdische Identität stärken wollte, denen sich aber die überkommenen religiösen und institutionellen Ausdrucksformen als bedeutungslos und unattraktiv darstellte. Buber bot ihnen die radikale Botschaft einer »Erneuerung des Judentums« an. Er rief die jüdische Jugend dazu auf, sich die »unterirdischen« Schichten jüdischer Spiritualität zu erschließen, die von den Propheten, aber auch von »Häretikern« wie den Rechabiten, den Essäern, Jesus, den frühen Christen, mittelalterlichen Mystikern und vor allem den chassidischen Meistern repräsentiert werden. Dieser Ausdruck spiritueller Vitalität sei von der »offiziellen« rabbinischen Tradition unterdrückt worden. In diesem Zusammenhang sprach Buber von »Religiosität« im Gegensatz zur »Religion« als der Praxis des erstarrten Zeremonialgesetzes. Mit der Entwicklung seiner Philosophie des Dialogischen erkannte Buber die Notwendigkeit, seiner Konzeption jüdischer Religiosität klarere Konturen zu geben. Das zeigt sich darin, dass Buber hinfort auf vage Begriffe wie das »Absolute« und das »Unbedingte« verzichtete und statt

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Einzelkommentare

dessen sein Bekenntnis zu einem persönlichen Gott formulierte, einem ewigen Du, das einen anspricht und dem gegenüber man sich zu verantworten hat. Mit der Veröffentlichung der Gesamtausgabe Reden über das Judentum im Sommer 1923 – ein halbes Jahr nach dem Erscheinen von Ich und Du – schien es Buber notwendig, einige seiner Schlüsselbegriffe im Licht dieser theologischen »Klärung« neu zu interpretieren. So meine er »mit ›Gott‹ weder eine metaphysische Idee, noch ein sittliches Ideal, noch eine ›Projektion‹ eines psychischen oder sozialen Gebildes« (in diesem Band, S. 28), hingegen: »Der Mensch hat Gott selber nicht; aber er begegnet ihm selber.« »Theophanie« meint nun, dass »sie […] am Menschen [geschieht], und er hat seinen Anteil an ihr wie Gott den seinen.« (Ebd.) Im MBA hat sich ein handschriftlicher Entwurf der Vorrede erhalten, der vom veröffentlichten Text erheblich abweicht und eine wesentlich schärfere Kritik vergangener Positionen, des Begriffs des »Kulturzionismus«, vor allem aber der Missverständnisse, die sich aus ihnen ergaben, formuliert. Dieser Entwurf wird im Anschluss an die unten aufgelisteten Textzeugen abgedruckt. Textzeugen: h1: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); 2 lose unpaginierte Blätter, teils beidseitig beschrieben in blauer Tinte; mit vielen Korrekturen versehen. Die Blätter enthalten unter dem Titel »Abgrenzung. Ein Vor- und Nachwort« einen Entwurf, der erheblich vom Text der Vorrede abweicht. h2: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); 5 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben in blauer Tinte; mit vielen Korrekturen versehen. Die Blätter enthalten unter dem Titel »Abgrenzung. Ein Vor- und Nachwort« einen Entwurf, der erheblich vom Text der Vorrede abweicht und umfassen die Reinschrift von h1. Im Folgenden wird h2 abgedruckt. H3: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); 4 lose unpaginierte Blätter, beidseitig beschrieben in blauer Tinte. D1: Der Jude, VII/3, Juni 1923, S. 129-133 (MBB 281). D2: Reden über das Judentum, Leipzig: Rütten & Loening 1923, S. [VII]XIX (MBB 284). D3: Reden über das Judentum, 2. Auflage, Berlin: Schocken Verlag 1932, S. [VII]-XIX (MBB 449). D4: JuJ, S. 4-9 (MBB 1216). Druckvorlage: D1

Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum]

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Übersetzungen: Englisch: Preface to the 1923 Edition, übers. von Eva Jospe, in: On Judaism, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken Books 1967, S. 3-10 (MBB 1298). Hebräisch: Hakdama, in: Teʿ uda we-ji’ud; Bd. 1: Ma’amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem 1960, S. 15-20 (MBB 1135). Italienisch: Sette discorsi sull’ebraismo, übers. von Dante Lattes u. Mosé Beilinson, Florenz: Israel 1923. Abdruck von h2:

Abgrenzung Ein Vor- und Nachwort Diese Gesamtausgabe, die meine sieben Reden über das Judentum [Anmerkung: die ersten drei, von 1909-1911, veröffentlicht unter dem Titel »Drei Reden über das Judentum« 1911; die zweiten drei, von 1912-1914, veröffentlicht in dem Buch »Vom Geist des Judentums« 1915; die siebente, »Der heilige Weg«, veröffentlicht 1919.] und eine [Anmerkung: unter dem Titel »Cheruth« veröffentlicht 1919.] Rede über Jugend und Religion umfasst, bekundet einen Abschluss. Ich bin in den Jahren, die seit der letzten der hier gesammelten Reden verstrichen sind, eine Strekke gegangen, weit genug, um das Abgeschlossensein jenes Stücks meines Lebens erkennen zu können, wesentlich genug, um es aussprechen zu dürfen. Ich weiss nun, dass ich, was immer ich noch an Gegenständen jüdischer Geschichte, Gegenwart und Aufgabe zu behandeln haben mag, über »das Judentum« im Sinn dieser Reden nicht mehr zu reden habe; und dass ich in der Art dieser Reden überhaupt nicht mehr öffentlich reden kann und soll. Beides habe ich nicht als Nein erfahren, sondern aus dem Ja des Werks, in das ich eingetreten bin. Darin habe ich nicht mehr vom Judentum zu zeugen, sondern von dem, von dem das Judentum zeugt, und mit einem Wort von einer anderen Art. {Ergänzung in h1: einer anderen Art, das ich nicht kannte, das mir zugekommen ist, schwerer als das mir vertraute, einfacher als es. [Erst seit der letzten dieser Reden habe ich begonnen, [statt an Entwürfen] ! wahrhaft an einem Buch zu schreiben – das wie mehrere Bücher aussehen, aber Ein Buch sein wird und von Einem handeln wird, und was ich noch öffentlich zu sprechen habe, kann nur noch von der Geste dieses Buchs und aus [seiner Sprache] ! seinem Wort kommen, also etwas anderes sein als die hier versammelten Reden. Heute ist [das Buch] ! die

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Einzelkommentare

Arbeit daran so weit gediehen, dass ich auch diesen Abschluss, den es [mich gelehrt] ! mir kundgetan hat, äussern und durch diese Gesamtausgabe bekunden darf.} Mein Wissen um den Abschluss legt mir eine Pflicht auf, deren Erfüllung dieses Vorwort zu einer Druckschrift und Nachwort zu einem Stück wirkenden Lebens dienen will; es ist die Pflicht der Abgrenzung. Die Reden, die hier gesammelt sind, haben, als sie gesprochen wurden, und dann, als sie veröffentlicht waren, gewirkt, in verschiedener Stärke, in verschiedner [Richtung] ! Weise, zum Guten und zum Bedenklichen, zur Wahrheit und zur Phrase. Etliche der Hörer und Leser haben, was ich sagte, aus eignem Denken und Forschen zu einem Erkenntnisbestand ergänzt und verfestigt; manche haben es in ihr Leben aufgenommen und darin zur bildenden Macht erwachsen lassen; aber vielen taugte es zum Schlagwort und zur Gebärde, die einem helfen, sich der Arbeit, »schweren Dienstes täglicher Bewahrung«, mit dem Schein einer Rechtfertigung zu entziehen. An dieser falschen Wirkung habe ich sehr gelitten. Ich konnte ihr nicht anders entgegentreten, als indem ich immer eindringlicher aussprach, dass ich nicht eine Fiktivgesinnung meine, in die man sich kleidet und in der man stolziert, sondern eine Realgesinnung, die unser Blut ernährt und sich in Kraft verwandelt. Auch heute kann ich nicht mehr als das tun. Aber für eine andere Abgrenzung ist jetzt erst Zeit und Pflicht gekommen. Sie habe ich, solang ich unter dem Gesetz der Rede stand, nicht versuchen können, weil dieses Gesetz dem Redenden verwehrt seine Rede zu umschreiben?: was gesagt wird, kann nur so gesagt werden und ist allem Missverständnis preisgegeben; man hört, wie man ausgelegt wird, und darf sich nicht erläutern. Ich meine aber die Abgrenzung gegen die »Richtungen«, in die einem das lebendige Wesen, das man eben gesprochen hat, gedrängt und gepresst wird. Einige Leute haben gemeint, ich hätte es darauf angelegt, das Judentum mit etwelchen modernen Richtungen zu verbünden oder gar zu verquicken. Unter allen Missverständnissen ist dieses das ahnungsloseste. Es ahnt nicht, dass es gegen den Sinn des menschlichen Lebens geht, eine »jüdische« und eine »allgemeine« Überzeugung nebeneinander zu haben. Aber es verkennt auch von Grund aus meinen Weg. Ich hatte bis 1909 oft genug öffentlich Vorträge und Ansprachen gehalten: wie sie die Richtung, der ich »angehörte«, die des sogenannten Kulturzionismus (wie [humoristisch] ! lächerlich mutet mich heute diese Bezeichnung an!), mir vorschrieb. Als ich 1909 in Prag, ohne eigentlichen Vorbedacht – ich war, auf eine seltsame, bedeutsame Art, unfähig gewesen mir vorher recht zu überlegen, was ich sagen wollte –

Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum]

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die erste der hier gesammelten Reden gesprochen hatte, merkte ich, dass ich aus der Richtung ausgebrochen war. Zurückgekehrt bin ich dann nicht mehr; und von Rede zu Rede, von Jahr zu Jahr wurde mir alles, was sich heute Richtung nennt, immer fremder; in den Jahren des Dazwischen-Schweigens (1915-1917) wurde es mir zum Ekel; und in den Jahren, die nun seit der letzten dieser Reden vergangen sind, habe ich meinen Ekel verstehen gelernt. Der moderne Begriff der Richtung, der sein Unwesen erst dann enthüllt, wenn man ihn im Plural gebraucht, ist die Sünde gegen die Eine Richtung des auf Erden wandelnden Menschen: auf die Wahrheit, auf das Geheimnis, auf das Heil, auf die Ewigkeit, auf Gott hin. Als ich zu reden begann, kannte ich die Eine noch nicht; aber damals begann ich sie zu erkennen. Es dauerte lang, ich war ungelehrig und widerspenstig; aber im gleichen Masse, wie die Erkenntnis wuchs, vergingen mir die Richtungen. {Zusätzlicher Absatz in h1: In früheren Jahren hätte sich in die Pflicht der Abgrenzung gewiss der Wunsch gemischt, dass ich in der Wirklichkeit meiner Sache richtiger gesehen werde. Ich habe mich besonnen, ob dergleichen noch anhaftet: es scheint ganz abgefallen zu sein – alles Verwurzeltwerden gehört mir nur noch zum grausamen und heiligen Humor dieses Lebens. Zudem kann die Abgrenzung naturgemäss nur so geschehen, dass sie auch gegen mich selbst geschieht – wohl wie ich gewesen bin, aber ich habe keine Neigung zur Selbstgerechtigkeit meinem vergangenen Wesen gegenüber, auch wo ich geändert bin weiss ich mich ihm verbunden: ich setze nicht eine gedachte Ichperson auf die Anklagebank und mich in den Richterstuhl, sondern dieses lebendige Selbst in der Spannungskraft seiner Existenz, hierhin und dorthin. Die Abgrenzung also, soweit ich ihrer Absicht bewusst werden kann, gilt nicht einem Eindruck, sondern einer Wirkung; ich wahre mich nicht dagegen, womit mein Wort in den Seelen nachbarlich zusammenhausen muss, sondern dagegen, was sie aus ihm machen.} Die Abgrenzung gegen sie alle hängt freilich auch mit jener ersten, gegen das Schlagwort und die Gebärde, zusammen. Unsere Zeit ist eine von denen, wo die Lüge nicht bloss [mächtig] ! übermächtig, sondern dazu noch fast allgegenwärtig ist: wo Wahrheit und Lüge allerorten sich verschränken, ja vermischen. Alle Programme und Manifeste, alle Gruppennamen und Parteiungsprinzipien sind Gelegenheiten für die Lüge, sich der Wahrheit »anzuschliessen« und gemeinsame Sache mit ihr zu machen. In irgendeinem Masse war es wohl immer so, seit es Zivilisation gibt, aber es hat sich unheimlich gesteigert. Es ist ein verruchter Zustand, wenn ein gewissenloser Wahlmacher als »Sozialist« anerkannt wird. Alle diese Ismen zerreissen den wahren Zusammenhang zwischen den Men-

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Einzelkommentare

schen, den des Wesens und des Lebens, spinnen einen falschen, den der »Gesinnung«, der proklamierten, propagierten Fiktivgesinnung. Ein echter Sozialist, dem es um das gerechte Wesen zwischen den Menschen zu tun ist – heute, soweit es gelingt, heute, soweit es von ihm abhängt – und ein echter Konservativer, dem es um das getreue Wesen zwischen den Menschen mit der gleichen Rechtschaffenheit zu tun ist, atmen dieselbe Luft, sprechen dieselbe Sprache; aber jeder von den beiden und seine »Parteigenossen«? Und wenn man schliesslich solch einen Ismus in all seiner [Wirklichkeit] ! Beschaffenheit betrachtet, was findet man noch von der eignen Wahrheit in ihm? Ich habe meine Liebe zu Israel in den Kessel des Nationalismus geworfen – welch ein Gebräu! Und noch der Schrei der Unmittelbarkeit zu Gott ist mit einer Etikette beklebt worden. [Ende von h1] Aber in tieferen Grund muss die Abgrenzung reichen. [Denn nicht das ist ja die eigentliche Fragwürdigkeit des Zeitalters, dass die Wahrheit in den Wahn] ! Denn auch darin liegt ja noch nicht die eigentliche Problematik des Zeitalters, dass in der Breite der Scharungen? die Wahrheit, deren Sinn und Zeugnis das Gelebtwerden ist, sich an den Wahn verliert, der nicht gelebt werden kann. [Vielmehr dass den Menschen der Wahn als die einzige noch Wahrheitsrang und -Wert] ! Vielmehr, dass auch in der Einsicht der Menschen dem [Fiktiven] ! Wahn als solchem der Rang und Wert zugesprochen wird, der der Wahrheit [zukommt] ! zusteht. Dass an Stelle des Gelebtwerdens dessen Gebärde treten darf, liegt eben daran, dass diese dem Wahn ebenso entspricht wie jenes der Wahrheit. Die Kunst des Fingierens wird verherrlicht; es genügt, dass die Fiktion sich als »begriffsfördernd«, als [»lebensfördernd«] ! »wahrheitsfördernd« oder auch nur als »seelentonsteigernd« und gar als »lebenserhöhend« ausweist, und sie bedarf keiner andern Legitimation; denn sie ist »schöpferisch«. Es kommt nicht mehr darauf an, welches Verhältnis der Gedanke zur Wahrheit hat – und freilich kann ein Menschengedanke nur ein Spannungs- [ein Begegnungs] Verhältnis zur Wahrheit haben, das aber eben im Gelebtwerden sein Mass kundtut –, sondern etwa wieviel Seelenmaterie er in [Bewegung] ! Schwingung? zu setzen oder auch zusammenzubilden vermag. Wagt man die Abgrundsprobe hdes X X Gegenvertrauensi nicht mehr, die den Prüfenden hX Xi an das Geprüfte hin zu stürzen und in dessen Schicksal hineinzureissen droht, dann hat es sein Auslangen mit der Spielprobe des Tauglichkeitsexperiments: man ersetze die strenge Frage, ob etwas wahr sei, durch die bequemere, ob sich damit gut (gehoben, kundig, produktiv, reizvoll, je nachdem) leben lasse, wenn man es so behandle, als ob es wahr wäre.

Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum]

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Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, dass dieses zeitgemässe Verfahren einfach in einer Skepsis begründet sei, die an dem Erkennenkönnen der Wahrheit verzweifle. Nichts hilft dem Menschen besser, nach Epochen eines selbstsicheren, der Furcht und des Zitterns, aber auch der Ehrfurcht und des Staunens ledigen Geredes hüber Gott und die Welti wieder in eine rechtschaffene Beziehung zur Wahrheit zu gelangen, als jene [gute] ! redliche Skepsis, die auch einen edleren Namen führen darf, den der Demut; und wird in die [Woge] ! Flut der Verzweiflung nur tauchen, nicht sinken. Jener Fiktivismus aber stammte überhaupt nicht aus einer einzelnen Geisteshaltung, sondern aus dem universalen Faktum einer Entwirklichung des hmenschlicheni Geistes, in der die eigentliche Fragwürdigkeit des Zeitalters besteht: Entwirklichung – das bedeutet Abgeschnittensein von der Wirklichkeit. Wenn der menschliche Geist mit der Wirklichkeit verbunden ist, weiss er, dass er nur der [Hauch] ! Gegegenhauch des Pneumas h, der Ruachi ist, die durch die Welt [weht und gegenweht] ! auf ihn zu weht; und so wird ihm aus einem Verhältnis hzur Welt undi zum Ursprung [die Wahrheit] ! das Wahrsein ermächtigt, [als ein Spannungsverhältnis, das im Gelebtwerden sein Mass kundtut] ! ob er auch die Wahrheit nicht besitzen darf. Ist er aber von der Wirklichkeit abgeschnitten, dann vermeint er das Denken aus sich selber spinnen zu können; [und freilich merkt er, dass er immer fiktiver wird] ! er spinnt und spinnt, bis aus seinem Denken eine fiktive Welt, die seine Vorstellung ist, und ein fiktiver Ursprung, der eine »Idee« ist, hervorgegangen sind; er hockt in seinem Winkel mit seinen Gespinsten, weltloser als ein der Sinne beraubter, gottloser als ein Gottleugner; und freilich merkt er, dass es immer fiktiver um ihn wird; er versucht sich zu retten, indem er das Fingieren [sanktioniert und] verherrlicht. Es gibt keine Wahrheit, aber es gibt die »Setzung«; wir können die Welt nicht schauen, aber wir können sie »schaffen«; das [Leben] ! Dasein hat keinen Sinn, »geben« wir ihm einen! Und im [trüben] ! dumpfen Winkel hüber dem Gesponnenen?i hockend dünkt man sich freiluftverwegen und lebenstauglich; man hat nämlich, einzig um das »Förderliche« bedacht, das Geheimnis mit all seinen Gefahren ausgesperrt [, bis es, als Tod, durchs Schlüsselloch kommt]. Und man berühmt sich gar, der Wirklichkeit beflissen zu sein; als könnte [es im subjektivierenden Zerrlicht des Fiktiven] ! im Zerrspiegel des Fiktivischen eine beharren; als könnte es eine geben, die nicht von der Wahrheit durchstrahlt wäre; als gäbe es eine andre ausser der Einen in [der Ruach] ! dem Pneuma, das vom Ursprung durch die Welt auf den Menschen zu weht, die Einen in dem Word, das vom Ursprung durch die Welt auf den Menschen zu [spricht] ! redet hdie Einheit? des Schöpfers, die vom Ursprung durch

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die Welt auf die Menschen zu geschiehti; und der Mensch atmet entgegen, antwortet h, X X X Xi: Wirklichkeit – er kann es tun. Er [verleugnet] ! versagt seine Tat, wenn er der Wahrheit entsagt. Dann verfehlt er die Richtung um der »Richtungen« willen, die alle ihre Macht aus dieser Urverfehlung ziehen. Der Fiktivismus des Zeitalters hat sich auch dessen bemächtigt, was ich in den Reden, die hier gesammelt sind, zu sagen hatte. Was nun zu Recht besteht, wenn es in der vollständigen Wirklichkeit gefasst wird, das ist als »geistig«? oder »seelisch«, nämlich als eine Funktion des selbstherrlichen h, also Xi Menschentums, verstanden worden. Dieser Verkehrung hat die eigentliche Abgrenzung zu gelten. Hier h, aber X von jener X Abgrenzung gegen die Fiktivgesinnung,i bin ich mir einer Mitschuld bewusst. Ich bin vom Fiktivismus, [eine Weile hart gestreift, ja] ! in der Form des »Idealismus«, nicht unberührt geblieben, ja zuweilen tüchtig angesengt worden; das hat manches meiner Worte anders h, X und jener »Richtung« verwandteri erklingen lassen, als in meinem Zentrum gemeint war; aber meine Peripherie war das Bewusstere und dadurch stark hgegen die Richtungen; gegen ihren X Inbegriffi. Ich habe also diese Abgrenzung auch gegen mich selber, gegen den Redenden dieser Reden, vorzunehmen; vielmehr ich tue es in diesem Vorwort nun schon eine Weile, und brauche nur noch an [Textverlust] Variantenapparat: 27,1 in diesem Band] hier D4 27,1-2 – die sieben Reden […] Religion –] fehlt H3 27,3 Gehalt] [Gegenstand] ! Gehalt H3 27,8 ungenaue, ja uneigentliche] [unklare, ja schwankende] ! ungenaue, ja uneigentliche H3 27,12-13 Ungenaue und Uneigentliche] [Unklare, Schwankende] ! Ungenaue und Uneigentliche H3 27,15 da ich das] da ich [gerechterweise] das H3 27,18 selber klärte] selber [, ihre Situation und ihr Schicksal] klärte H3 27,19 was meinem unzulänglichen Sagen] [warum ich es nicht zulänglich] ! was meinem unzulänglichen Sagen H3 27,19-20 sich doch als Zulänglichkeit eingetan hat] [doch an Zulänglichkeit innewohnt] ! sich doch als Zulänglichkeit eingetan hat H3 27,21-22 der religiösen Wirklichkeit.] der religiösen Wirklichkeit. [[Also vor allem nicht von einem Denkprodukt, von einer Abstraktion, sondern von einem Lebendigen] ! Unter Judentum verstehe ich weder eine »Kultur« noch eine »Geistigkeit«, auch weder eine Idee noch eine Lehre, sondern ein Lebendiges, eine im Gang vieler ! [Mensch-

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geschlechter] Geschlechter sich erhaltende und erschliessende lebendige Einheit. Aber auch nicht ein »Volk«, sondern das im und am Volk, was schlechthin lebendig, was eben im Leben der religiösen Wirklichkeit eingefasst ist. Damit ist schon ausgesprochen, dass unter Judentum etwas andres zu verstehen ist als die Juden, aber erst recht etwas andres als] H3 27,25 Kultur] [Volk] ! Kultur H3 27,26-27 diese und andere […] aber] hdiese und andere […] aberi H3 27,30 nicht eine Abstraktion] nicht [etwas Gedachtes verstanden] ! [eine Idee verstanden sein kann, sondern eine [Wirklichkeit] ! Realität etwas] ! eine Abstraktion H3 27,Anm 1] fehlt H3, D2, D3, D4 27,Anm 2] fehlt H3 27,Anm 3] fehlt H3 28,3 wesentlich] [gemeiniglich] ! [zumeist] ! wesentlich H3 28,6-7 in der Wirklichkeit […] Mensch begibt.] [zwischen dem wählenden Menschen und] ! in der Wirklichkeit […] Mensch begibt. Das Wort Wirklichkeit [ist also hier nicht wie gewöhnlich zu gebrauchen] ! steht hier also in seinem gewöhnlichem Sprachgebrauch, wie man zwischen einer nur subjektiv vorhandenen »Vorstellung« und einem objektiven, weil in der Sphäre zwischen den [Wesen] ! Menschen bestehenden »Wirklichkeit« unterscheidet. H3 28,6-7 Wirklichkeit der Wechselwirkung] gegenseitigen Wirklichkeit D4 28,9 noch ein sittliches Ideal] [noch eine »schöpferische Konzeption«] ! noch ein sittliches Ideal H3 28,10 Gebildes] [Zustands] ! Gebildes H3 28,11 oder im Menschen »Gewordenes«] fehlt H3 28,17-18 kein Dort] kein Dort, [keine Darbietung, keine Erscheinung] ! kein Gegenstand H3 28,21 das ungeschmälerte Verhältnis] [die Wirklichkeit des Verhältnisses] ! das ungeschmälerte Verhältnis H3 28,22 begegnet ihm selber] begegnet ihm selber, er vernimmt ihn selber, er antwortet ihm selber H3 28,23 Unser Geschlecht] [Unsere Zeit] ! Unser Geschlecht H3 28,24 regelrechten] [vollständigen] ! regelrechten H3 28,26 von ihrer Zeit] von [dem Stil] ihrer Zeit H3 28,27-28 einer halbkünstlerischen Weltdeutung] [der mythischen Phantasie] ! einer halbkünstlerischen Weltdeutung H3 28,31 billigen] [betrachten] ! billigen H3 28,31-33 Aber das, woraus […] Wirkung auf sie] [Aber die religiöse Wirklichkeit ist niemals morphologisch bestimmt, sie geht der Mor-

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Einzelkommentare

phologie des Zeitalters voraus und dauert im Kern der X und bestimmt sie] ! Aber das, woraus […] Wirkung auf sie H3 28,34 von der Kultur und ihren Phasen] hvon der Kultur und ihren Phaseni H3 28,36 kulturhaft] hkulturhafti H3 28,36 ursprunghaft] hursprunghafti H3 28,40-41 gäbe es Gott […] Fiktion, so] hgäbe es Gott […] Fiktion, soi H3 28,41-29,1 wäre es eine Anstandspflicht […] zu vernichten] gäbe es keine heilige Pflicht als die Vernichtung des Gottesbegriffs H3 29,8 , in der Wirklichkeit […] betrachtet,] h, in der Wirklichkeit […] betrachtet,i H3 29,10 Lebens] Augenblicks H3 29,11-12 Wechselwirkung] ein gegenseitiges D4 29,14 in der Leidenssubstanz] [in beiden] ! in der Leidenssubstanz H3 29,16 in der »Schale«,] in der »Schale«, [als das Leben im Sterben,] H3 29,17 die Ruach im Tohu] der Geist überm Chaos D4 29,17 im Tohu] [in der Welt] ! im Tohu H3 29,18 rüstet] [entsendet und] rüstet H3 29,22 Exils] Galuth H3 29,23 die Offenbarung herab] [das Wort nieder] ! die Offenbarung herab H3 29,24 ganz nah] hier, hier, ganz nah H3 29,25 ist sie lebendig] [wohnt es bei ihm] ! ist sie lebendig H3 29,29 zu lesen und zu schreiben] zu lesen hund zu schreibeni H3 29,32 , »Gottesidee«,] – was in der dritten Rede ungenau Gottesidee genannt wird – H3 29,33 Menschlichen] Menschlichen allein D4 30,2 Fabel] [Dichtung] ! Fabel H3 30,4 Wesenheit] [Materie] ! Wesenheit H3 30,5 im Auge] im Auge [nicht in dem des Körpers, nicht in dem der Seele] H3 30,6 ein welthaftes Gesicht] eine welthafte Schau D4 30,9 spiegelt] [aufnimmt] ! spiegelt H3 30,15 hat es uns das gleiche getan] ist es uns entgegengekommen D4 30,17 kürzlich] einmal D3, D4 30,18 Fehde] Diskussion H3 30,22 Gott-Verseelungen] [Gott-Imagination] ! Gott-Verseelungen H3 30,29 Perversion] [Erkrankung] ! Perversion H3 30,34 Gott und der Welt.] Gott und der Welt. [Man wende dies auf das vollständige Leben des Volkes an und man wird verstehn, warum ich

Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum]

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das Judentum als ein Phänomen? der religiösen Wirklichkeit ansehn? will.] H3 30,40 Begriff klarzustellen] [Ausdruck zu besprechen] ! Begriff klarzustellen H3 31,2-3 fundamentalen] bestimmten H3 31,5-6 schillernden Meinung] hschillerndeni Meinung H3 31,19 bedeutendsten] wichtigsten H3 31,21 die Berufung unsres Menschseins] [uns kraft unseres Menschseins aufgegeben] ! die Berufung unsres Menschseins H3 31,23 Welt aufkeimen] Welt [, der Welt der Dinge] aufgehn H3 31,26-29 Aber müßten Wir […] gelähmt zugleich?] [Aber müssten Wir […] gelähmt zugleich?] H3 31,34 , uns regen und sind,] h, uns regen und sind,i H3 31,37 psychologisch relativen] methodisch unentbehrlichen H3 31,39 entzogen bleibt.] entzogen bleibt. [Grundbegriffe sind wahr, wenn sie sich aus der ungebrochenen Situation des Menschen der Fülle herleiten und uns helfen, der Fülle mit unserem Denken gerecht zu werden; unwahr, wenn sie] H3 32,1-2 Gott die Welt zu einem Ort] Gott in der Welt eine Stätte H3 32,10-12 Aber einst erfuhr […] zum Trotz] Aber dass einst ein Volk, als Volk, an ihr zum Volk werdend, sie erfuhr, dass es seine Kenntnis? unverbrüchlich, allem Makel, aller Schwäche, allem [Widerspruch] ! Versagen zum Trotz bewahrte: das ist seine religiöse Wirklichkeit H3 32,13 flüchtig] [ahnungshaft] ! flüchtig H3 32,13-14 Begegnung] Wirklichkeit der Begegnung H3 32,15 in allen Stürzen] vielmehr auch noch in allen Stürzen H3 32,15-16 Zerfallens] [Zerschellens] ! Zerfallens H3 32,16 des lebendigen Gewissens] des lebendigen Gewissens darum weiss: das ist ihre religiöse Wirklichkeit H3 32,18 Schmerzes] [Gefühls] ! Schmerzes H3 32,18-19 nah; […] Heiden] [in irgend einer Beiläufigkeit] nah [und merken oder merken nicht, es gibt keine undurchbohrbaren Panzer des Heidentums] ! keine [ummauerten] unverwundbaren Heiden, keine nicht in irgend einer Weltbeziehung? unverwundbaren Heiden H3 32,19 weltverhaftet] in aller Wirklichkeit, weltverhaftet H3 32,19-21 zu Gott […] des Judentums] Gott nah zu sein, zu Gott unmittelbar in der Unmittelbarkeit des Ich und Du [, ohne Mittel und ohne Mittlung zu Gott] zu stehn – eben als Jude: das ist seine religiöse Wirklichkeit H3 32,22-23 dem Sprechenden geantwortet] der Seienden angesprochen H3

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Einzelkommentare

32,23-24 inmitten ihres Versagens] [und im Abgrund des Versagens] ! inmitten ihres Versagens H3 Wort- und Sacherläuterungen: 28,16-17 »Nicht Gott […] die Theophanie wandelt sich«] Buber, Cheruth, S. 3 (jetzt in: MBW 8, S. 110). 29,6-7 Wort der fünften Rede, ob Gott »transzendent« oder »immanent« sei] Vgl. Buber, Jüdische Religiosität, in: Vom Geist des Judentums, S. 62 (jetzt in: MBW 2.1, S. 209). 29,16-17 als der »Funke« in der »Schale«, als die Ruach im Tohu] Buber spielt hier auf Konzepte der lurianischen Kabbala an, nach der die Schöpfung in einer Urkatastrophe zu Schaden gekommen sei: die »Gefäße« seien zerbrochen, da sie das göttliche Licht nicht zu halten vermochten, und so würden nun die »Funken« des göttlichen Lichts von den »Schalen«, den Resten der Gefäße, gefangen gehalten. Ruach: hebr. für »Geist«; Tohu bzw. Olam ha-tohu (hebr. für »Zeitalter des Chaos«) steht für den auf die Schöpfungskatastrophe folgenden spirituellen Abstieg. 29,19-20 Blitz und Bergesfeuer] Vgl. die Theophanie in Ex 19. 29,25-26 mitharrend wohnt die Schechina bei uns] Schechina hebr. für »Einwohnung Gottes«, die vor der Zerstörung des Tempels als dort anwesend gedacht war, nach rabbinischer Lehre aber mit dem Volk Israel ins Exil gegangen ist. 29,30-31 »dieser Gott« sei aus dem Streben nach Einheit hervorgegangen.] Vgl. Buber, Das Judentum und die Menschheit, in: Drei Reden über das Judentum S. 35-56, hier S. 44 (jetzt in: MBW 3, S. 231). 30,12 »unauflösbaren Rest in der Erscheinung«] Nicht nachgewiesen. 30,13 »innersten Subjekthaftigkeit des Denksubjekts«] Nicht nachgewiesen. 31,1-2 der Begriff der »Verwirklichung Gottes«] Vgl. Buber, Jüdische Religiosität, S. 57 u. 58 (jetzt in: MBW 2.1, S. 207 u. 208); Buber, Der heilige Weg, S. 56 u. 69 (jetzt in: MBW 11.1, S. 144 u. 149) 31,4-5 wie in der ersten Rede, […] zu einer Wirklichkeit zu machen] Vgl. Buber, Das Judentum und die Juden, in: Drei Reden über das Judentum, S. 11-31, hier S. 13 (jetzt in: MBW 3, S. 220). 31,18-21 mit Cohen, […] folgert, Gott könne keine Wirklichkeit haben.] Vgl. Hermann Cohen, Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Leipzig 1919, S. 184. 32,3 mit anderm, heiligem Wort: die Wirklichkeit einen] Hebr.: Jichud.

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Der wahre Lehrer

Der wahre Lehrer Der Artikel erschien 1923 in der Februarausgabe von Die Arbeit, dem Organ der zionistischen, volkssozialistischen Partei Ha-Poʿ el hatzaʿ ir in Deutschland, dem ein weiterer Artikel »Zum Gedächtnis A. D. Gordons« folgte, der von Bubers späterem Schwiegersohn Ludwig Strauß (1892-1953) verfasst wurde. Anlass für die Veröffentlichung war vermutlich der erste Todestag Gordons, der am 22. Februar 1922, verstorben war. Aharon David Gordon (1856-1922), der Spiritus Rector des Ha-Poʿ el hatzaʿ ir, war ein eigenständiger zionistischer Schriftsteller, der seine Vorstellung eines nichtmarxistischen sozialistischen Zionismus in seinem eigenen Leben zu verwirklichen suchte. Der aus einer orthodoxen jüdischen Familie stammende Gutsverwalter entschloss sich als 48jähriger nach Palästina auszuwandern, wo er als einfacher Landarbeiter lebte, die letzten Jahre seines Lebens in Degania, dem ersten Kibbuz. Er erhoffte sich von der Bearbeitung des Landes für das Individuum eine persönliche Erneuerung und für das jüdische Volk eine Regeneration des Judentums. Die Positionen von Buber und Gordon überschnitten sich in vielen Punkten. So lehnten beide einen egoistischnationalistischen Zionismus ab und strebten die Kooperation mit der arabischen Bevölkerung an. In Der Jude veröffentlichte Buber mehrfach Texte Gordons. Persönlich lernte er ihn auf der Prager Gründungskonferenz der Hitachdut, des Zusammenschlusses zweier sozialistischzionistischer Gruppierungen, im März 1920 kennen, vgl. die nur auf Hebräisch erschienene Vorrede zu Israel und Palästina, in diesem Band, S. 508. Vgl auch den Abschnitt »Ein Träger der Verwirklichung« in Israel und Palästina, in diesem Band, S. 307-314. Textzeugen: D1: Die Arbeit, IV/6, Februar 1923, S. 161 (MBB 290). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 165-166. (MBB 459). D3: JuJ, S. 772 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Hebräisch: More ha-Emet, in: Gordonia (Lvov), Februar 1926, S. 4-8 (MBB 333b).

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Einzelkommentare

Im Anfang Bei diesem kurzen Text handelt es sich um einen Beitrag für den 1924 erschienenen Jüdischen Almanach auf das Jahr 5685, der von dem Prager Zweig der weltweit tätigen zionistischen Organisation Keren Kajemeth Lejisrael herausgegeben wurde. Buber setzt sich hier mit der Problematik des »Anfangs«, des Beginnens menschlichen Handelns auseinander. Dabei geht er aus von den Eröffnungsworten der Hebräischen Bibel »Im Anfang«, die er auslegt, indem er unter Bezugnahme auf einen rabbinischen Midrasch die kulturelle Bedeutung der Schöpfung und der Anfänge herausstellt. Schließlich verweist er auf die chassidische Lehre, in der die Bedeutung von Handlung und Tat betont wird. Buber hebt hervor, dass, obwohl die Handlungen von Gott vollendet werden, sie immer von neuem von Menschen angestoßen werden müssen. Sodann fordert er seine zionistische Leserschaft auf, sich dieser Herausforderung durch die Tat zu stellen. Damit nimmt Buber einen Gedankengang auf, den er zum ersten Mal in seinen ersten Drei Reden über das Judentum anderthalb Jahrzehnte zuvor entwickelt hatte. Textzeugen: D1: Jüdischer Almanach auf das Jahr 5685, Prag: Keren Kajemeth Lejisrael 1924, S. 35-36 (MBB 299). 2 D : Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 221-222 (MBB 459). D3: JuJ, S. 245 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Wort- und Sacherläuterungen: 34,2 »Im Anfang schuf Gott«] Gen 1,1. 34,3-4 »Um des Anfangs […] Anfang genannt ist.«] Nicht ermittelt. 34,5 »Raw Jewi«] Nicht ermittelt.

Nachahmung Gottes Dieser Aufsatz war als Teil einer längeren Arbeit gedacht, die allerdings nie fertiggestellt wurde. In ihm behandelt Buber das Thema der imitatio dei, zunächst anhand von Beispielen aus der griechischen Antike und dem Neuen Testament. Diese betonen, wie Buber ausführt, die Nachahmung Gottes nach dem Modell des menschlichen Vorbilds, während

Nachahmung Gottes

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das Judentum sich auf das göttliche Vorbild selbst beziehe. Für Buber stellt sich in der jüdischen Betrachtungsweise »die zentrale Paradoxie des Judentums« dar, »denn wie vermöchte der Mensch den Unsichtbaren, Unfaßbaren, Gestaltlosen, nicht zu Gestaltenden nachzuahmen?« (Ebd., S. 39.) Das jüdische Ideal sei, wie Buber anhand von rabbinischen Interpretationen der Schrift zeigt, Gott zu »gleichen«, d. h. seine Barmherzigkeit und Gnade nachzuahmen, dass »unsres Lebens Ziel« sich erfülle, »wenn eben unser Leben ein Vollenden unsrer Seelen auf Gott zu ist.« (In diesem Band, S. 40.) Mit Bezug auf Hiobs Prüfung erklärt Buber, dass sich Gott gerade auch im »Geheimnis« menschlichen Leidens »offenbart«. Und hier könne die empfangsbereite Seele in vertiefter Weise erlernen, was »Gottes Umgang mit uns« wirklich bedeute und was es bedeute, Gott nachzuahmen. Textzeugen: h1: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var 350 03 71); 4 lose, unpaginierte Blätter, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte, mit vielen Korrekturen versehen; es fehlt der letzte Abschnitt 43,21-44,3. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 38a); 11 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte, mit wenigen Korrekturen versehen; Reinschrift von h1. D1: Der Morgen, 1. Jg., Heft 6, Februar 1926, S. 638-647 (MBB 326). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 68-83 (MBB 459). D3: Werke II, S. [1053]-1065 (MBB 1252). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Imitatio Dei, übers. von Greta Hort, in: Mamre. Essays in Religion, Melbourne 1946, S. 32-43 (MBB 741); in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, übers. von Greta Hort, New York: Schokken, S. 66-77 (MBB 786); 2. Aufl. 1963 (MBB 1215). Hebräisch: Hidamut le’elohim, in: Teʿ uda we-ji’ud, Bd. 1: Ma’amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 203-210 (MBB 1135). Variantenapparat: 35,1 Nachahmung Gottes] ergänzt um ein Motto Sie ahmen Gottes Barmherzigkeit nach / Aristides von Athen über die Juden D2, D3 35,3 erklärt] [versichert] ! erklärt h1

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35,5-6 in der der Menschen hausen] [die den Menschen heimsuchen] ! in der der Menschen hausen h1 35,10 die pythagoreische Schule] Pythagoras h1 [Pythagoras] ! die pythagoreische Schule H2 35,13 Begriff] [Ausdruck] ! Begriff h1 35,15 sich ihm angleiche] [ihm ähnlich werde] ! sich ihm angleiche h1 35,16 wahre Sein] [ewige] ! [grosse] ! wahre Sein h1 35,20 Seele […] götterartiges Wesen] [Menschenseele ist ursprünglich [göttlichen Wesens] ! ein gefallener Dämon] ! Seele […] götterartiges Wesen h1 35,20-21 seine Schuld] [seinen Sturz] ! seine Schuld h1 35,22 wandern muß] [müsse sie in stets erneuter Läuterung] ! wandern müsse h1 35,22 reinigt] [läutert] ! reinigt h1 35,31 angeführten] [erwähnten] ! angeführten h1 36,6-8 von dem […] Haupte wallen] fehlt h1 36,8 Erzählungen] [Verse] ! Erzählungen h1 36,14 Vollkommenheit] [vollkommnen Gestalt] ! Vollkommenheit h1 36,23 Gebet] [unheiligen [Ruf] ! Anruf] ! Gebet h1 36,24 schwer erfaßlich] unerfasslich h1 [unerfasslich] ! schwer erfasslich H2 36,26 Werkmeisterin] [Dienerin] ! Werkmeisterin h1 36,27 Aktion der Tragiker] Handlung der [Dichter] ! Tragiker h1 36,29 Mimesis werden.] Mimesis werden. [Das Bild, das Werk des grossen Wunsches, empfängt den Sinn des Vorbilds.] h1 36,30 seinen Gott] seinen Gott [, sein höchstes Gut,] h1 36,33 Bildlichkeit, seiner Wunschbildlichkeit begründet] Bildlichkeit [begründet, und diese kann nicht aufhören zu sein wie sie ist: das Werk des grossen Wunsches] ! seiner Wunschbildlichkeit begründet h1 36,34 gemacht] gebildet D2, D3 37,16 Gipfelung] Vollendung h1 37,18-21 , ein Mann […] zu Gott zu gelangen,] h, ein Mann […] zu Gott zu gelangen,i h1 37,24 schriftlichen] [literarischen] ! schriftlichen h1 37,26 empfangen] aus deren Erzählungen empfangen h1 37,27 die Forderung] den Anruf h1 37,29 herbeigeheischt] gefordert h1 38,1 erfüllt] vollendet h1 38,6 , bis zur äußersten […] Mitleidens] h, bis zur äußersten […] Mitleidensi h1

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38,12 das Leibhaftwerden] [die leibhafte Erfüllung] ! das Leibhaftwerden h1 38,16 Angeglichenwerden] Gleichgemachtwerden h1 38,27-29 (trotz Platons […] »nachfolgten«)] fehlt h1 38,29 seinem höchsten Gott] Zeus h1 38,32-33 mit Zeus nicht […] verbunden war] an Zeus keine Erinnerung hatte h1 39,2 klarste] [stärkste] ! klarste h1 39,7-8 Indirektheit in die Direktheit] Mittelbarkeit in die Unmittelbarkeit h1 39,14 Unsichtbaren] [Unwahrnehmbaren] ! Unsichtbaren h1 39,15 Gestaltlosen, nicht zu Gestaltenden] Gestaltlosen [, sich nicht Eingestaltenden] h1 39,22-23 , soweit wir sie […] dürfen,] fehlt h1 39,25 Und so seid ihr] Da seid ihr D3 39,30-31 »Und ihr […] alle heute«] »Ihr, aber verhaftet IHM eurem Gott, lebt, all ihr heut am Tag« D2 »Ihr, aber, haftend an JHWH eurem Gott, lebt, all ihr heut am Tag« D3 39,31 Herrn] Ewigen h1 39,32 hangt] haftet D2, D3 40,1 Aber ist damit das Kommende] Aber ist damit die Paradoxie nicht nur verschoben? Wird nicht damit das Kommende h1 40,2 so getrennt] so abgehoben h1 nicht so getrennt D3 40,4 schlechthin unbegreiflich] [so unvorstellbar, wie er selber ganz unbegreiflich] ! schlechthin unbegreiflich h1 40,10 Herr] Ewige h1 40,10-11 »Wisset«, […] »der Herr […] gehören wir zu.«] »Erkennet«, […] »daß JHWH Gott ist, er hat uns gemacht, wir sind sein.« D3 40,17 Unverbundenes] Abgehobenes und mit ihm Unverbundenes h1 40,24 seine Einzigkeit] seine Einzigkeit [, seine einzige und unwiederholbare Person] h1 40,25 gemacht] erschaffen h1, H2 40,28-29 , um – nicht mehr […] zu erfahren] fehlt h1 40,Anm 1 Nach dem […] zu lesen] So nach der korrekten Lesung (wörtlich: »ihm sind wir«). D3 41,3 Machen] Schaffen h1 [Schaffen] ! Machen H2 41,4-5 So schuf Gott] Gott schuf D3 41,16 Propheten] Kündern D2, D3 41,20 dem Herrn] dem Ewigen h1 Ihm D2 Jhwh D3 41,36 Mizwa] Vorschrift D3

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42,2-3 »Das Verlangen […] merken«] »Das Verlangen der Gebeugten / hast du gehört, Du, du befestigst ihr Herz, / du lässest dein Ohr merken« D2 »Das Begehren der Gebeugten / gehört hast du es, Jhwh / festigst ihr Herz, / dein Ohr merket auf« D3 42,2 Gebeugten] Armen h1 [Armen] ! Gebeugten H2 42,4 Befestigung] Festigung D3 42,6 »Heilig sollt ihr […] euer Gott«] »Werdet heilig, denn heilig bin ich« D3 42,12 preisen] [verherrlichen] ! preisen h1 42,18-19 »Wie er barmherzig […] gnädig.«] »Wie er erbarmend und gönnend ist, so sei auch du erbarmend und gönnend.« D3 42,29 den Herrn, unsern Gott] Ihn euren Gott D2 Jhwh euren Gott D3 43,2 gnädiger] [gütiger] ! gnädiger H2 43,2-3 »Ein barmherziger […] Treue.«] »Gottheit erbarmend, gönnend langmütig, reich an Huld und Treue.« D2, D3 43,4-5 »Hinter dem Herrn […] hergehen«] »{Ihm D2 Jhwh D3} eurem Gott gehet nach« D2, D3 43,6 Der Herr] Er D2 Jhwh D3 43,7 verzehrendes] fressendes D2 43,16-17 Handwerk ergriffen.«] zusätzliche Anmerkung Vgl. auch A. Marmorstein, Die Nachahmung Gottes, a. a. O. 624 ff. D3 43,18 Zelt stand] [Hütte war] ! Zelt stand h1 43,19-20 nicht befragbar] nicht befragbar [, es ist unerforschlich] h1 43,21 Gottes »Handwerk«,] Abbruch von h1 43,24 seine »Wege«] seinen »Weg«, seine Wege D3 43,28-29 eben auf der Höhe der Prüfung Hiobs;] fehlt D3 43,31-32 wenn seine Hand auf uns fällt] [in die Hand des lebendigen Gottes zu fallen] ! wenn seine Hand auf uns fällt H2 Wort- und Sacherläuterungen: Die von Buber in den Fußnoten angeführten Stellennachweise wurden im Kommentar nicht gesondert nachgewiesen. 35,33 Phidias-Bild] Der Bildhauer Phidias (ca. 500/490-430/420 v. Chr.) schuf eine sitzende Kolossalstatue des Zeus für den Zeustempel von Olympia, die ca. dreizehn Meter hoch, aus Gold und Elfenbein gefertigt war und zu den sieben Weltwundern gezählt wurde. 36,15-16 wie dem schlangenleibigen Zeus Ktesios] Die Verehrung des Zeus Ktesios als Hausgott sollte den Haushalt oder Lagerräume beschützen. 36,29 die platonische Mimesis] griech.: μίμησις, »Nachahmung«. Plato unterscheidet ein mimetisches Erzählen, das den dargestellten Vor-

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Vertrauen

gang unmittelbar wiedergibt und gleichsam versucht, ihn zu reproduzieren, von der mittelbaren Wiedergabe in der indirekten Rede, die auf den nachahmenden Gestus verzichtet. 37,10 »Folge mir nach!«] Mt 9,9; 19,21; Mk 2,14; 10,21; Lk 9,59; 18,22; Joh 1,43; 21,19 u. 22. 37,17 Polykarp] Polykarp von Smyrna (ca. 69-155 n. Chr.): Märtyrer und Kirchenheiliger; wirkte angeblich als Bischof in Smyrna, den noch der Evangelist Johannes in sein Amt eingesetzt haben soll. 37,20 der große Ignatius] Märtyrer und Kirchenheiliger; wirkte im 2. Jh. als Bischof von Antiochia; Verfasser von sieben Briefen, in denen die besondere Stellung des Bischofs hervorgehoben wird. 38,1 Franz von Assisi] (1181-1226): Begründer des Ordens der Minderen Brüder (Franziskaner) und Klarissen und Heiliger der kath. Kirche. Das Ideal der Armut als apostolische Nachfolge war im 12. Jh. durch zumeist häretische Bewegungen wie die Katharer und Waldenser verbreitet worden. 38,11 Stigmatisation] Auftreten der Wundmale Jesu an dem Leib eines lebenden Menschen. 38,19 »der Barfuser Münche Eulenspiegel und Alcoran«] Es handelt sich um eine Satire des Liber conformitatum des prot. Theologen Erasmus Alberus (ca. 1500-1553) gegen die Franziskaner und Franziskus von 1531, zu der Martin Luther (1483-1546) ein Vorwort verfasste. 40,11 Rabbi Acha] Palästinensischer Amoräer des 4. Jh. 40,12 Kaiser Julians] (332-363): römischer Kaiser seit 361; wandte sich schon früh vom christl. Glauben ab, was ihm den Beinamen Apostata, d. h. »der Abtrünnige« eintrug, und versuchte eine philosophischpagane Organisation als Konkurrenz zur Kirche aufzubauen. 40,14 bei dessen Tod, wie es heißt, die Sterne am Tag gesehen wurden] TJ, Av. Zar. 3:1, 42c. 40,15 »Er hat uns gemacht, und auf ihn zu vollenden wir unsere Seelen.«] BerR C,1; vgl. Der Midrasch Bereschit Rabba. Das ist die haggadische Auslegung der Genesis, übers. von August Wünsche, Hildesheim 1967 [Nachdruck], S. 500.

Vertrauen Dieser Text Bubers, der zu Ehren von Achad Haams (eigentlich Ascher Ginsberg, 1857-1927) 70. Geburtstag am 3. August 1926 in der Jüdischen Rundschau erschien, vergleicht zwei »Arten führerischer Menschen«. Der »führerische Mensch« der einen Art erwecke den »Glauben«, und

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was wahr oder unwahr sei gründe sodann im Glauben an diese Person. Der »führerische Mensch« der anderen Art hingegen erwecke »Vertrauen«, insofern diese Person auf eine unabhängige, transzendente Wahrheit hinweise. Diese Gegenüberstellung erinnert an Bubers später in Zwei Glaubensweisen (1950; jetzt in: MBW 9, S. 202-312) postulierte Polarität von christlicher pistis, einem »Glauben, daß« und der biblisch fundierten jüdischen emunah, einem »Vertrauen in«. Textzeugen: D1: Jüdische Rundschau, 31. Jg., Nr. 60, 3. August 1926, S. 433 (MBB 330). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 143-144 (MBB 459). 3 D : JuJ, S. 755 f. (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Trust, übers. von Greta Hort, in: Mamre. Essays in Religion, Melbourne 1946, S. 62-63 (MBB 741). Wort- und Sacherläuterungen: 45,21-22 daraus bündelt sich […] der große Fascio der Heiden] »Fascio« ital. für »Bund«. Das Wort, das ursprünglich allgemein von sozialistischen Gruppierungen in Italien gebraucht wurde, wurde ab 1919 von Mussolinis Bewegung benutzt. Zumeist wird fascio von fasces, den Rutenbündeln abgeleitet, die den Liktoren, den höchsten röm. Beamten, als Symbol ihrer Amtsgewalt vorangetragen wurden.

Achad Haam-Gedenkfeier in Berlin In dieser Rede gedenkt Buber des kürzlich verstorbenen Achad Haam, des »Spiritus Rector« des Kulturzionismus. Die Veranstaltung fand am 9. Januar 1927 im großen Saal des Logenhauses der B’nai B’rith-Loge in der Kleiststraße in Berlin statt und wurde gemeinsam von der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, der Berliner Zionistischen Vereinigung, der Akademie für die Wissenschaft des Judentums, der Freien jüdischen Volkshochschule und Beth Waad Iwri (dem Hebräischen Sprachverein) ausgerichtet. Neben Buber sprachen Julius Guttmann

Achad Haam-Gedenkfeier in Berlin

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(1880-1950), der Historiker Simon Dubnow (1860-1941) und Jakob Klatzkin (1882-1948), die beiden letztgenannten auf Hebräisch. In seiner Rede führt Buber aus, dass es neben der natürlichen Form der Fortpflanzung eine geistige Form gebe, die im Judentum die bedeutsamere sei. Denn mit ihr sei ein seltenes kulturelles Ideal gegeben – das des Glaubens an die Wahrheit und des Dienstes an der Wahrheit – das in der Gegenwart Achad Haam auf besondere Weise verkörpert habe. Buber lobt ihn als einen Menschen, der sich im tagtäglichen Leben als »verantwortlich für die Wahrheit« erwiesen habe. Das zeige sich in seiner Hingabe, seinem Dienst für die Erneuerung der jüdischen historischen »Lebendigkeit« und den jüdischen literarischen Quellen gegenüber. In Anspielung auf die Bedeutung seines hebräischen Schriftstellernamens führt Buber aus, dass Achad Haam nicht nur »Einer aus dem Volk« (die wörtliche Bedeutung), sondern »Einer mit dem Volke« gewesen sei, wobei weniger seine flüchtigen Eigenschaften als vielmehr seine verborgene und essentielle Wahrheit den Ausschlag gegeben habe. Seine Hoffnung und seine Forderung sei die Erneuerung des jüdischen Volkes in seiner gemeinsamen Verantwortung für die Wahrheit gewesen. Dafür verdiene Achad Haam den erhabenen Titel von Ha-Moreh, des vollendeten »Lehrers«. Textzeugen: D1: Jüdische Rundschau, XXXVII/3 vom 11. Januar 1927 S. [17] (MBB 346). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 145-149 (MBB 459). D3: JuJ, S. [759]-761 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Hebräisch: Achare arono schel Achad Haam, Ha-olam, 15. Jg. Heft 3 vom 21. Januar 1927, S. [41]-42 (MBB 350). Variantenapparat: 46,10 Wie aber] davor Absatzwechsel D2, D3 46,20 Lebenslügen] berichtigt aus Lebenslagen nach D2, D3 46,25 daß er] berichtigt aus das er nach D2, D3 46,27 ein Doppeltes: Daß] zunächst, daß D2, D3 47,2-3 ob sie auch stimmte, rechtschaffen war] ob sie auch völlig stimmte, ob sie auch rechtschaffen war D2, D3

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Einzelkommentare

47,38 H a - M o r e h ] Als der Lehrer D3 47,39-40 der Lehrer] der Lehrer D2, D3 Wort- und Sacherläuterungen: 47,31 das Siegel Gottes] Vgl. Joh 6,27; 2 Tim 2,19. 47,38 H a - M o r e h ist er vom Dichter angerufen worden.] Ha-Moreh, hebr. für »der Lehrer«. Das Gedicht, auf das Buber anspielt, ist »LaAchad Haam« (»An Achad Haam«) von Chaim Nachman Bialik (1873-1934), in dem Achad Haam dreimal mit diesem Titel angesprochen wird. Ein Teilabdruck dieses Gedichts findet sich in derselben Ausgabe wie der Textzeuge, Jüdische Rundschau, XXXVII/3 vom 11. Januar 1927 S. 18.

Klärung Buber reagiert in diesem 1927 in der Zeitung Ha-Aretz auf Hebräisch erschienen Artikel auf einen Vorwurf in der palästinensischen Presse, er habe einer Gruppe von »Verteidigern« der hebräischen Sprache versprochen, auf eine deutsche Ansprache zu verzichten und stellt klar, dass er kein solches Versprechen abgegeben habe und ein solches auch verweigern würde, weil Deutsch die Sprache sei, in der er »denkt«. Buber ergänzt, dass, wenn es ihm vergönnt sei, in dem Land (Palästina) zu leben, er die Hoffnung habe, auf Hebräisch denken und sich »frei und natürlich« in dieser Sprache ausdrücken zu können. Den Hintergrund dieser Kontroverse findet sich bei Hugo Bergmann, Geistiges Leben, in: Palästina. Zeitschrift für den Aufbau Palästinas, 10. Jg. (1927), Heft 6/7, S. 323-325, hier S. 324. Der Stein des Anstoßes war, dass Buber seinen Vortrag »Die Bedeutung göttlicher Offenbarung in der allgemeinen Religionsgeschichte« (jetzt in: MBW 12, S. 179-188) in der Hebräischen Universität in Jerusalem am 1. Mai 1927 auf Deutsch hielt und dieser Vortrag nachträglich von Bergmann ins Hebräische übersetzt worden war (vgl. Schmuel Hugo Bergman, Tagebücher und Briefe, 2 Bde., Bd. 1: 1901-1948, hrsg. von Miriam Sambursky, Königstein/Ts. 1985, S. 219). Weiter führt Bergmann aus: »Der Vortrag war ein großes geistiges Ereignis, das klare und unumwundene Bekenntnis Bubers zum Glauben an die Offenbarung. Man hätte erwarten müssen, daß der Vortrag eine leidenschaftliche religiöse Diskussion entfesseln würde. Statt dessen stieß man sich nur an – der deutschen Sprache Bubers. Der Gedud Megineh Hasaphah ›Legion der Schützer der Sprache‹ protestierte gegen die Veranstaltung des Vortrages in der Universität in

[Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß]

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nicht hebräischer Sprache. (Wohlgemerkt Buber war Gast.) Es half nichts, daß Buber erklärte, er erkenne an, daß das Hebräische die einzige legitime Sprache der Universität sei und daß er selbst zu den Getreuen der Sprache gehöre, sich aber nicht entschließen könne, einen Wort für Wort vorher ausgearbeiteten und übersetzten Vortrag vom Blatt abzulesen. Es half auch nichts, daß der Vortrag ins Hebräisch übersetzt wurde. Niemand unter den jungen Leuten der ›Legion‹ beachtete, daß Bubers Vortrag so sehr jüdisch war, daß vermutlich in der gesprochenen hebräischen Sprache der letzten Generation überhaupt noch nie so intensiv jüdisch gedacht worden ist – das einzig Beachtete war die Form, die leere, allen Inhalts beraubte Hülle.« (Geistiges Leben, S. 324.) Bergmann berichtet weiter, dass ähnliche Proteste gegen den jiddischen Schriftsteller Schalom Asch (1880-1957) in Tel Aviv organisiert wurden, der auf Einladung Bialiks dort sprach. Textzeuge: Berur, Ha-Aretz vom 5. Mai 1927 (MBB 351). Druckvorlage: Übersetzung aus dem Hebräischen von Simone Pöpl. Wort- und Sacherläuterungen: 49,2-3 Doar ha-jom am Dienstag, den 1. Ijar] Der Artikel Chilul ha-safa [Entweihung der Sprache] von B. Schwadron in der Zeitung Doar ha-jom vom 3. Mai 1927, Seite 3. 49,3-4 Gedud megine ha-safa] hebr.: »Legion der Verteidiger der Sprache«. Name einer von 1923-1936 existierenden Organisation, die für die Stellung des Hebräischen als einziger Sprache der jüdischen Bewohner in Israel kämpfte, eine Forderung, die sich hauptsächlich gegen das Jiddische wandte. Zu ihren Unterstützern gehörte der Jerusalemer Professor Joseph Klausner (1874-1958) und Naftali Herz TurSinai (1886-1973).

[Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß] Der 15. Zionisten-Kongress, der in Basel vom 30. August bis 11. September 1927 stattfand, wurde mit einer Gedenkfeier für Achad Haam eröffnet. Als Delegierter der Hitachduth, der Fraktion der sozialistischen Zionisten, sprach Buber vor dem Kongress über Achad Haams geistiges Vermächtnis. In seiner Würdigung von Achad Haams Vision des Kulturzionismus betont Buber die Bedeutung dieser Vision, die die Führung der zionisti-

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schen Bewegung herausfordere, die mit ihrer »Realpolitik« im Dienste eines Nationalismus stehe, der eigentlich ein kurzsichtiger »Gruppenegoismus« sei. Gegenüber diesem politischen Realismus ohne »Wahrheit«, habe Achad Haam darauf beharrt, dass der Zionismus sein letztliches Ziel, das Judentum geistig zu erneuern, nur erreichen könne, wenn er dem »Urgebot« des Judentums treu bleibe, das dem jüdischen Volk die »übernationale« Aufgabe angetragen habe, das Ideal sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen. Wie Buber ausführt, müsse das unnachgiebige Festhalten an diesem Ideal nicht notwendiger Weise mit nüchternem Realismus kollidieren, wie gerade bei Achad Haam sich »Geist und Wirklichkeit« in Einklang befunden hätten. Sicherlich könnten Elemente von Achad Haams Denken auf den »Sozialdarwinismus« von John Stuart Mill (1806-1873) und die pragmatische Ethik von Herbert Spencer (1820-1903) zurückgeführt werden, aber diese Philosophen hätten nur Einfluss auf seine »Denkmethode«, nicht auf seine »Anschauungsgehalte« gehabt. In dieser Hinsicht sei Moses Heß (1812-1875) – ein Schüler Spinozas (1632-1677) und Hegels (1770-1831) und zeitweilig ein Weggefährte von Karl Marx (1818-1883) – dessen Protozionismus religiöse und nationale Motive miteinander verschmolz, ein Vorgänger Achad Haams gewesen. Im Fall dieses Textes schien es angebracht, statt auf den Erstdruck in der Jüdischen Rundschau auf den wenig später erfolgenden Abdruck des Protokolls der Verhandlungen des XV. Zionisten-Kongresses zurückzugreifen. Dieser zweite Abdruck weist nicht allein eine präzisere Interpunktion auf, sondern bildet auch die Grundlage für die späteren Wiederveröffentlichungen in Kampf um Israel (1933) und Der Jude und sein Judentum (1963). Textzeugen: D1: »Gedenkrede für Achad Haam«, Jüdische Rundschau, Nr. 17, 9. September 1927, S. 516 (in MBB nicht verzeichnet). 2 D : Protokoll der Verhandlungen des XV. Zionisten-Kongresses, Basel, 30. August bis 11. September 1927, Zentralbureau der Zionistischen Organisation 1927, S. 42-51 (MBB 345). D3: »Achad-Haam-Gedenkrede in Basel«, in: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 150-164 (MBB 459). D4: »Achad-Haam-Gedenkrede in Basel«, in: JuJ, S. [762]-770 (MBB 1216). Druckvorlage: D2

[Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß]

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Übersetzungen: Hebräisch: Mi-tokh ne’um-azkara le-Achad-Haam be-kongres ha-tetwaw sche-be-Basel, in: Teʿ uda we-jiʿ ud, 2. Bd.: Ma’amarim al injane ha-schaʿ a, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1961, S. 243-245 (MBB 1182). Italienisch: Achad haam – Il discorso di Martin Buber, Israel, 12. Jg., Heft 50 vom 8. September 1927, S. 3-4 (MBB 341). Variantenapparat: 50,1-2 [Rede […] Achad Haam] Gedenkrede für Achad Haam / Gehalten von Martin Buber in der Eröffnungssitzung D1 Achad-Haam-Gedenkrede in Basel / (Diese Gedenkrede wurde {– nach einer von Nahum Sokolow – D3} in der Eröffnungssitzung des XV. Zionistenkongresses, am 30. August 1927 gesprochen.) D3, D4 50,3 Del. Dr. Martin Buber (Hitachduth – deutsch)] fehlt D1, D3, D4 50,4 Verehrter Kongreß!] Hoher Kongreß D1 fehlt D3, D4 50,7 prüfen] messen D4 50,19 große Bewegung] ganze Bewegung D1 50,21 recht eigentlich] fehlt D1 50,28 Götter] Götter der Völker D1 50,33-34 unsere Bestimmung, unser Anteil] die Bestimmung unseres Anteils D1 51,20 Techiath Halewawoth] Wiedergeburt der Herzen D4 51,24 Forderung] Losung D4 51,25 Weisung] Unterweisung D1 51,30-31 die in jener Stunde] fehlt D3, D4 51,40 Erfolg: man erreicht etwas] Erfolg D1 52,8 besitzen. Und lassen wir uns von ihm lehren] besitzen und was wir von ihm lernen sollen D1 52,12 mit mir lernen] mich lehren D4 52,17 Verehrter Kongreß!] fehlt D3, D4 52,35 letzte] innerste D4 52,39 konkreten] fehlt D1 53,3-4 Teschuwah] Teschuwah, durch unsere Umkehr D3, D4 53,4 Als eine nationale] davor Absatzwechsel D1 53,6 Achad Haam] davor kein Absatzwechsel D1 53,22 das Schicksal] den »Gang der Dinge« D3, D4 53,28 abgrenzen, […] zurückverweisen] abgrenzen. Wir müssen jene gegen dieses abgrenzen D1 53,39-40 k o n k r e t i s i e r e n ] nicht hervorgehoben D1

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Einzelkommentare

54,4 das ganze ungeheure System] den ganzen vielverschlungenen Komplex D4 54,4 ungeheure] vielverschlungene D3 54,6 , meine Verehrten,] fehlt D3, D4 54,12 im Volk] i m Volk D3, D4 54,17 B e s t i m m u n g ] nicht hervorgehoben D1 54,21 Wir sind seither] davor kein Absatzwechsel D1 54,28 u n d ] nicht hervorgehoben D1 54,31 f a l s c h e n ] nicht hervorgehoben D1 55,4-5 dieser ganzen unerbittlichen Wirklichkeit] dieser ganzen Wirklichkeit gegenüber, dieser ganzen unerbittlichen Wirklichkeit D1 55,15 vielleicht reinste […] Gegnern] edle Gegner D3, D4 55,21 Volke] hervorgehoben D3, D4 55,32 (Beifall.)] fehlt D3, D4 55,33 (Großer Beifall.)] fehlt D3, D4 56,18 wahrer] hervorgehoben D3, D4 56,25-26 haben; wie wir] haben. Wir werden auch auszusagen haben, wie wir D1 56,35 (Beifall.)] fehlt D3, D4 56,36 , meine Verehrten,] fehlt D3, D4 56,37 , wiewohl er es niemals so aussprach,] fehlt D1 56,39 (Lang anhaltender Beifall.)] fehlt D3, D4 Wort- und Sacherläuterungen: 50,20 Proklamierung der droits de l’homme] Am 26. August 1789 proklamierte die Französische Nationalversammlung die Menschenrechte. 50,27 Dostojewski spricht einmal davon] Buber spielt wiederholt auf diese Thesen an, die u. a. in Fjodor Dostojewskis (1821-1881) Roman Die Dämonen (1872) von der Figur des Schatow vorgetragen werden. Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 136,5-8ff. 50,29 seit Amos] Am 9,7. 51,14 die »Techiath Halewawoth«, die »Wiedergeburt der Herzen«] Vgl. Achad-Haam, Nicht ist dies der Weg, in: ders., Am Scheidewege, 2. verbesserte und vermehrte Aufl., Berlin 1913, Bd. 1, S. 32-54 (zweiter Aufsatz), hier S. 42. (Hebr.: lo ze ha-derekh; in: Al paraschat drakhim, Bd. 1, Tel-Aviv 1949, S. 46.) In diesem Aufsatz, der 1889 erschien, publizierte Achad-Haam zum ersten Mal seine Ideen zum Kulturzionismus. Die zionistische Bewegung solle nicht weiter die Masseneinwanderung nach Palästina propagieren, da das Land dafür nicht die wirtschaftlichen Voraussetzungen biete.

[Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß]

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51,15 »Rückkehr zum Judentum vor der Rückkehr ins Judenland«] Theodor Herzl deklarierte laut dem offiziellen Protokoll des 1. Zionistenkongresses in Basel vom 29.-31. August 1897, Wien 1898, S. 5: »Der Zionismus ist die Heimkehr zum Judenthum, noch vor der Rückkehr ins Judenland.« 52,10-14 Rabbi Bunam […] wird er dich ohne Kaftan lehren.] Vgl. die Anekdote »Fortan«, in: Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim, Zürich: Manesse Verlag 1949, S. 773 (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [1124]). 52,38 Moses Heß] (1812-1875): dt.-jüd. Philosoph, zunächst utopischer Sozialist, danach stark von Karl Marx beeinflusst. In Rom und Jerusalem (1862) vertrat er als erster moderner Denker nationaljüdische Positionen. Buber hat sich mit ihm verschiedentlich beschäftigt, vgl. das Kapitel »Der erste der Letzten«, in Israel und Palästina, in diesem Band, S. 268-279. Buber gab eine zweibändige Sammlung seiner Schriften auf Hebräisch heraus, zu denen er jeweils ein Vorwort schrieb, vgl. »Moses Hess und die sozialistische Idee« (jetzt in: MBW 11.2) sowie »Moses Hess und die nationale Idee« (jetzt in: MBW 21). 52,38-39 der Spinoza mit Hegel […] zu verknüpfen unternahm] Buber denkt hier an Hess’ Frühwerk Die heilige Geschichte der Menschheit (1837). 53,2-4 das Talmudwort, […] Teschuwah.] bSan 97b (BT, Bd. IX, S. 68) »Wenn die Israeliten Buße tun, so werden sie erlöst, wenn aber nicht, so werden sie nicht erlöst.« 53,17 Mill und Spencer] John Stuart Mill: englischer Philosoph und Ökonom des Liberalismus; Herbert Spencer: englischer Philosoph des Liberalismus und Soziologe, der die Evolutionstheorie von Charles Darwin (1809-1882) auf die Gesellschaft übertrug, im Sinne, dass diese sich zu immer differenzierteren und »besseren« Formen entwickle. 55,16-18 Brenner, hat einmal gegen ihn behauptet] Josef Chaim Brenner (1881-1921): aus der Ukraine stammender, der Literarischen Moderne zuzurechnender bedeutender Schriftsteller, der auf Hebräisch und Jiddisch schrieb. Er wanderte 1909 nach Palästina aus und wurde bei den arabischen Unruhen 1921 getötet. In seiner Kontroverse mit Achad Haam stand die Bewertung der Galuth im Mittelpunkt, die seiner Anschauung nach von Müßiggang geprägt sei. Als Heilmittel empfahl er produktive Arbeit. 55,35 Bakunins] Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814-1876): russ. Revolutionär und Anarchist.

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[Brief an Melchior Britschgi-Schimmer] Die Ausgabe der Jüdischen Rundschau vom 7. Februar 1928 war zum größten Teil Bubers 50. Geburtstag gewidmet. Beiträger waren u. a. Kurt Blumenfeld (1884-1963), Ernst Simon (1900-1988) und Robert Weltsch (1891-1982). Ina Regina Britschgi-Schimmer (1881-1949), die zu dieser Zeit mit Buber zusammen den Briefwechsel Gustav Landauers (18701919) herausgab (Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1929, 2 Bände), ist mit dem Beitrag »Der junge Buber« vertreten, in dem sie sich seines frühen kulturzionistischen Engagements um die Jahrhundertwende erinnert. Sie schließt ihren Artikel mit dem Brief Bubers (geschrieben ca. 1925) an ihren Sohn Melchior anlässlich von dessen Bar Mitzwa, von dem die Mutter hofft, »daß er ein Zeichen dafür [sei], was er, der Fünzigjährige, unserer heutigen Jugend als Führer und Freund zu sagen hat.« (Regina Britschgi-Schimmer, Der junge Buber, Jüdische Rundschau, Nr. 11 (1928), S. 78 f.) Bezugnehmend darauf, dass der religiöse Ritus der Bar Mitzwa den dreizehnten Geburtstag eines jüdischen Jungen als Tag seiner religiösen Volljährigkeit kennzeichnet, erklärt ihm Buber, was es im Einzelnen bedeutet, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Textzeugen: D: Jüdische Rundschau, 33. Jg., Nr. 11, 7. Februar 1928, S. 79 (MBB 362). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 58,17-19 Segne dich ER […] gebe dir Frieden!] Num 6,24-26 (der aaronitische Priestersegen). In Das Buch In der Wüste (Die Schrift IV), verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Berlin: Verlag Lambert Schneider [1927], S. 35, lauten diese Verse: »Segne dich Er und wahre dich, / helle Er sein Antlitz dir zu und begünstige dich, / hebe Er sein Antlitz dir zu und setze dir Frieden.«

Das hebräische Buch Der Beitrag ist eine Antwort auf die Rundfrage der Jüdischen Rundschau vom 4. April 1928: »Welches hebräische Buch der letzten 5 Jahre ist ihnen das liebste und wichtigste?« Zu den Befragten gehörten u. a. Chaim Nachman Bialik und Jakob Klatzkin.

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Lebensfrömmigkeit

Buber hält die Briefe des Achad Haam und die Schriften A. D. Gordons für die wichtigsten hebräischen Publikationen der vergangenen Jahre. Diese Sammlungen seien Quellen für eine authentische Wertschätzung der gegenwärtigen jüdischen kulturell-politischen Bewegung, die auf den drei überwölbenden Prinzipien des Zionismus basiere: Geist, Volk und Land. Textzeugen: D1: Jüdische Rundschau, 33. Jg., Nr. 27/28, 4. März 1928, S. 201 (MBB 366). D2: »Zwei hebräische Bücher«, in: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 164 (MBB 459). D3: »Zwei hebräische Bücher«, in: JuJ, S. 771 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 59,1 Das hebräische Buch] Zwei hebräische Bücher / Antwort auf eine Rundfrage (1928) D2, D3 Wort- und Sacherläuterungen: 59,3-4 die Briefe Achad Haams] Achad Haam, Iggerot [Briefe], 6 Bde., Tel Aviv 1923-1925. 59,4 die Schriften A. D. Gordons] Kitve [»Schriften«] A. D. Gordon, hrsg. von Yosef Aharonovitch, 5 Bde., Tel Aviv 1925-1929).

Lebensfrömmigkeit Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Wortmeldung Bubers in einer Kontroverse, die durch eine Aufsatzsammlung der beiden Kulturzionisten und Freunde Bubers, Hans Kohn und Robert Weltsch, ausgelöst wurde (Zionistische Politik, Mährisch-Ostrau 1927). Der Morgen. Monatsschrift der Juden in Deutschland (»Prinzipielle Bemerkungen zu einer zionistischen Schrift«), 3. Jg., 1927, Heft 5, S. 527-540 veröffentlichte zu dieser Aufsatzsammlung die ablehnenden Rezensionen des Rabbiners Benno Jacob (1862-1945) und des Schriftstellers Wilhelm Michel (18771942). (Von Michel stammt die erste Einzelveröffentlichung zu Buber: Martin Buber. Sein Gang in die Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 1926.) Im folgenden Heft (Februar 1928, S. 653-661) wird den Kontrahenten nochmals Gelegenheit gegeben, ihre Sicht darzulegen. Michels Einwän-

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de sind einerseits, dass der Zionismus – auch in seiner kulturzionistischen Form – der gleichen nationalistischen Argumentation wie der Antisemitismus folge, und andererseits, dass er die Assimilation der Westjuden bloß negativ darstelle. Als »Lebensfrömmigkeit« bezeichnet Michel die Haltung der zur Assimilation bereiten Juden, die »den väterlichsten Lockungen Gottes, des Herrn der Geschichte, folgen, indem sie Wurzeln schlagen im Erdboden, den ihnen Gott unter die Füße gegeben hat, indem sie mit vollen Lungen die Himmelsluft atmen.« (Ebd., S. 660.) Bubers Beitrag, laut der Handschrift geschrieben am 23. Februar 1928, erschien in dem ihm gewidmeten Sonderheft von Der Jude, des letzten Hefts der von Buber gegründeten Zeitschrift. Gegen die Position Wilhelm Michels wendet er ein, dass Frömmigkeit ein besonderes Verhältnis zu »Ort« und »Zukunft« beinhalten müsse. Dies umfasse eine besondere und (konkret-historische) Haltung zur eigenen Seele und der begleitenden Lebenswelt – beide bildeten die eigene »Lebenssubstanz«. Buber spricht von einer lebendigen, historischen Aktualität des jüdischen Lebens, indem er die Begriffe »geschehende Geschichte« und »wirkende Wirklichkeit« prägt, deren ersterer wenige Jahre später titelgebend für den Essay »Geschehende Geschichte. Ein theologischer Hinweis« Verwendung fand, worin der Gehalt des Begriffs ausführlich entfaltet wurde (erschienen am 11. August 1933 in der Jüdischen Rundschau, jetzt in: MBW 15, S. 277-280). Wahre Frömmigkeit, betont Buber, bedeute, auf Gottes Stimme in der konkreten geschichtlichen Situation zu hören – aus dem Zentrum der eigenen Existenz heraus. Bubers Beitrag wird von einer »Vorbemerkung des Herausgebers«, Robert Weltsch, eingeleitet: »In der von Prof. Julius Goldstein herausgegebenen Zweimonatsschrift ›Der Morgen‹ haben Dr. Jacob und Wilhelm Michel ›Prinzipielle Bemerkungen zu einer zionistischen Schrift‹ (nämlich zu dem Buche ›Zionistische Politik‹ von Hans Kohn und Robert Weltsch) veröffentlicht. Die Zeitschrift gab dann im nächsten Heft (Nr. 6) Erwiderungen der Angegriffenen, Kohn und Weltsch, Raum und schloß die Erörterung mit einer Duplik von Wilhelm Michel. Die Zuschriften von Kohn und Weltsch befaßten sich vor allem mit Michels Bewertung der Assimilation. Michel hatte in seinem ersten Aufsatz u. a. geschrieben: ›Der jüdische Nationalismus streitet der Assimilation die Idee ab. Als ob das keine Idee wäre, was sich als ebenso erstgeborene Tendenz neben die Tendenz zur radikalen Verdichtung stellt, nämlich die Tendenz zum gegenwärtigen wirklichen Leben, zur Teilnahme an Umwelt und Mitwelt, diese große Tendenz, der sich kein Geschöpf entzieht, sofern es über-

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haupt Leben in sich hat, weil sie ganz einfach zu seiner Wirklichkeit gehört … All dies heißt … ›daß die Assimilationsbewegung in ihrem Kern Lebensfrömmigkeit ist …‹ Auf eine Anzweiflung dieser Einschätzung der Assimilation als ›Lebensfrömmigkeit‹ in der erwähnten Polemik schreibt Michel in seinem Schlußwort nochmals: ›Assimilation ist Lebensfunktion schlechthin und eben dadurch ideenhaft. Wie soll man es anders nennen als Lebensfrömmigkeit, wenn ein Geschöpf sich in die Bedingungen seines Daseins schickt, wenn es sich in seine Ordnung stellt, und die Sonne anerkennt, die über ihm ist?‹ In einem Briefwechsel, der an diese Polemik anknüpfte, hat Buber seine Meinung über die wichtige Frage ausgesprochen. Ich habe Buber um die Genehmigung gebeten, die Teile seines Briefes, die zu der Auffassung Wilhelm Michels Stellung nehmen, zu veröffentlichen. So ist es zu erklären, daß in diesem Hefte, das Buber gewidmet ist, auch er selbst – zu unserer Freude – zu Worte kommt.« (Robert Weltsch, [Redaktionelle Vorbemerkung], Der Jude. Sonderheft zu Martin Bubers fünfzigstem Geburtstag [1928], S. 154.) Entgegen der Darstellung Weltschs verweist die Handschrift darauf, dass der »Brief« wohl nur aus dem abgedruckten Text besteht. Textzeugen: h1: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var 350 05 38b); 1 DIN A5-Blatt, nicht paginiert, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte, mit Korrekturen versehen. Die Handschrift enthält einen Briefentwurf, der vom Wortlaut der Druckvorlage erheblich abweicht. Darum wird im Folgenden das Brieffragment wiedergegeben. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 38b); 4 lose, unpaginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte, mit Korrekturen versehen. D1: Der Jude. Sonderheft zu Martin Bubers fünfzigstem Geburtstag, 1928, S. 154-157 (MBB 368). Mit einer redaktionellen Vorbemerkung versehen, die am Ende der Einleitung abgedruckt ist. D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 243-247 (MBB 459). Druckvorlage: D1

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Wiedergabe von h1: Lieber Dr. Weltsch – Was ich dazu meine, dass Wilhelm Michel in seiner Diskussion mit Ihnen und Hans Kohn der jüdischen Assimilationsbewegung die »Lebensfrömmigkeit« zuspricht? Nun, Sie wissen ja, was mir für eine rechtschaffene Teilnahme des Menschen an [allem politischen oder ins Politische übergreifenden Kampf (wozu ja eben auch der zwischen Assimilation und Zionismus gehört)] ! politischen und ins Politische übergreifenden Gruppierungen und ihren Kämpfen gegeneinander, also für eine rechtschaffene Parteinahme des Menschen die wichtigste Voraussetzung ist: zu erkennen und nie mehr zu vergessen, dass jede dieser [Gruppierungen] ! Gruppen ein Konglomerat von Realgesinnung und Fiktivgesinnung ist, von Echtgläubigen und Scheingläubigen, von Menschen, für die die Zugehörigkeit zur Gruppe eine [Aufgabe] ! personhafte Lebensaufgabe ist und Menschen, für die sie die Flucht vor einer hpersonhafteni Lebensaufgabe ist. Woraus sich dann weiter ergibt, dass es gilt, bei der eigenen Partei die Falschen im Auge zu halten, um gegen sie zu kämpfen, bei der fremden, die Richtigen, um mit ihnen ein Einvernehmen zu begründen, das vielleicht nie zu Wort und Handlung gedeihen und uns doch [dem Reich der Wahrheit] ! [einer richtigen Menschheit] ! dem Reich der Wahrheit näherbringen kann; die geheime Front der Menschheit geht ja quer durch alle ihre Gruppierungen. [Es kommt nun freilich darauf an] ! Freilich müsse? dieser Kampf und dieses Einvernehmen so [beschaffen] ! gerichtet sein, dass sie die aktive Treue gegen unsere Gesinnung nicht beeinträchtigen; nur wer zugleich seiner [Wahrheit] ! persönlich eignen Wahrnehmungswahrheit h(das ist letztlich alle »Idee«)i und der allgemeinen Bewährungswahrheit h(d. h. der Echtheit, wo immer sie sich findet)i zu dienen vermag, kann auch in der verworrenen Situation unsres Zeitalters beides zugleich sein: Mitglied einer Partei und rechtschaffen. Betrachten wir nun das Echtgesinnte innerhalb der jüdischen Assimilationsbewegung, so [darf man] ! dürfen wir dessen Grundgefühl recht wohl eine Lebensfrömmigkeit nennen. Ich würde, wenn ich unter Cyrus gelebt [hätte, dies wohl auch denen zugebilligt haben] ! und mich zu Jerubabel gesellt hätte, den Echtgesinnten unter denen [zugebilligt haben], die Umwelt über Urwelt stellten, dies Attribut [Textverlust]

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Variantenapparat: 60,1-2 Lebensfrömmigkeit / (Aus einem Briefe)] fehlt H2 60,3 … Mit der »Lebensfrömmigkeit«] davor eingeschaltete Erklärung (In einer Diskussion mit Hans Kohn und Robert Weltsch hatte Wilhelm Michel behauptet, »daß die Assimilationsbewegung in ihrem Kern Lebensfrömmigkeit ist«, und das damit begründet, es sei Lebensfrömmigkeit zu nennen, »wenn ein Geschöpf sich in die Bedingungen seines Daseins schickt«.) D2 60,5 rechte] [ganze] ! rechte H2 60,6 zum Hier] zur Erde H2 60,7 zum Dort] zu den Sternen, die zum Hier nicht ohne die zum Dort H2 60,32 »Geist« eingehegt] »Geist«, in der »Idee« eingehegt H2 61,4 es ist] es ist letztlich D2 Wort- und Sacherläuterungen: 61,8 Keren Hajesod] oder Keren ha-Yesod. 1920 gegründete Organisation, die Spenden für den Aufbau Palästinas/Israels sammelt. 61,12 »Gott spricht«, schreibt Wilhelm Michel, »auch in der Geschichte.«] Michel, Prinzipielle Bemerkungen zu einer zionistischen Schrift, Der Morgen, Heft 5, S. 537. 61,35-36 nachdem Gott gesprochen hat: Wo bist du?] Gen 3,9. 62,19 Zeitgenossen Mirabeaus] Graf Honoré Gabriel Riqueti von Mirabeau (1749-1791): franz. Politiker und Publizist. 1789 war er in der Französischen Nationalversammlung Vertreter des Dritten Standes. Bei den Debatten um die Emanzipation der Juden sprach er sich für deren Gleichstellung aus.

Der Glaube des Judentums Der Vortrag wurde von der »Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung« für den Herbstlehrgang 1928 angefordert und erschien in der dreibändigen Publikation dieses Lehrgangs sowie als zugehöriger Sonderdruck. Der Lehrgang war eine Klausurtagung mit 500 Zuhörern und ungefähr 60 Rednern, darunter zumeist angesehene Professoren wie Paul Tillich (1886-1965) und Werner Sombart (1863-1941). Laut der redaktionellen Anmerkung in Kampf um Israel konnte der Vortrag Bubers aber erst im »Rahmen des Kieler weltwirtschaftlichen Instituts nachgeholt werden«, dessen Leiter, der Volkswirtschaftler Bernhard Harms (1876-1939), auch als Herausgeber der voluminösen

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dreibändigen Aufsatzsammlung fungierte. In ihr ist ein weiterer Aufsatz zum Judentum, »Die psychologische Situation des Judentums« von Jakob Wassermann (1873-1943), enthalten. In seinem Vortrag wendet sich Buber an ein nichtjüdisches Publikum, was erklärt, warum der normative Ton, wie er für die Reden über das Judentum charakteristisch ist, hier fehlt. Es handelt sich dennoch um eine seiner am stärksten systematischen Deutungen des Judentums. Im MBA hat sich ein Typoskript mit der Mitschrift des Vortrags erhalten, das weitaus umfangreicher ist als die schließlich erschienene Druckfassung. In jenen Abschnitten, die Buber für die Veröffentlichung verwendete, nahm er vielfältige Korrekturen meist stilistischer, auf die Druckvorbereitung hinführender Art vor. Da diese Korrekturen zu umfassend sind, um noch nachvollziehbar in einem kritischen Apparat verzeichnet werden zu können, diese Eingriffe zudem von stilistischer, nicht inhaltlicher Natur sind, wird auf deren Wiedergabe im Folgenden verzichtet. Die sich anschließenden Passagen der Rede, die unveröffentlicht geblieben sind, wurden zwar von Buber mit Zwischenüberschriften versehen, blieben ansonsten aber unbearbeitet. Dieser zweite Teil, der sich u. a. mit der Vorstellung der Auferstehung im Judentum auseinandersetzt – ein Thema, das Buber nur selten berührt –, kommt unter der Auflistung der Textzeugen zum gesonderten Abdruck. Textzeugen: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 38 f.); 48 lose paginierte Blätter; enthält die Mitschrift eines Vortrags Bubers, angefertigt offenbar von einer dritten Person. Die Mitschrift stellt eine Vorstufe für die Druckfassung dar. Das Typoskript ist mit Orts- und Datumsangaben versehen: »gehalten am 8. Dezember 1928 im Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr«. Die erste Hälfte des Typoskripts (bis Seite 20) enthält zahlreiche handschriftliche Korrekturen, Streichungen und Ergänzungen mit unterschiedlichen Stiften (zumeist Bleistift, teilweise auch roter Stift), die die unmittelbare Mitschrift in eine D1 entsprechende Textgestalt umarbeiten. Dem Typoskript fehlt der 5. Abschnitt »Gegen Gnosis und Magie«. Dafür enthält es auf den Seiten 20-48 zusätzliche Ausführungen, die nur geringfügige Korrekturen erfahren haben und nicht in die Druckfassung aufgenommen worden sind. Allerdings verweisen von Bubers Hand ergänzte Zwischenüberschriften darauf, dass ursprünglich wohl eine Veröffentlichung des gesamten Materials beabsichtigt war. Diese zusätzlichen Passagen werden im Folgenden abgedruckt.

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D1: Volk und Reich der Deutschen, hrsg. von Bernhard Harms, Berlin: R. Hobbing 1929, 3 Bde. (1. Bd.), S. 429-440 (MBB 396). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 29-49 (MBB 459). D3: Jüdischer Glaube. Eine Auswahl aus zwei Jahrtausenden, hrsg. von Kurt Wilhelm, Bremen: G. Schünemann 1961, S. 502-517 (MBB 1172). D4: JuJ, S. [187]-200 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: The Faith of Judaism, übers. von Greta Hort, in: Mamre. Essays in Religion, Melbourne 1946, S. 1-17 (MBB 741); in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, übers. von Olga Marx, New York: Schocken Books, S. 13-27 (MBB 786); 2. Aufl. 1963 (MBB 1215). Hebräisch: Emunat Jisrael, übers. von Jitzchak Schönberg, Ha-Aretz vom 5. September 1937 (MBB 568); Emunat Jisrael, in: Teʿ uda wejiʿ ud, 1. Bd.: Ma’amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 181-192 (MBB 1135). Wiedergabe der zusätzlichen Passagen von TS: hEingeschaltete Überschrift Der Dreiklang der Weltzeiti Wenn wir dies so fassen, dies Eingefügtsein des Geschehens in die dialogische Situation, dann können wir auch, wie mir scheint, deutlicher die Dreiheit des grossen Dreiklangs unterscheiden: Schöpfung, Offenbarung, Erlösung. Im Judentum ist es ein reiner Dreiklang. Im Christentum ist die Zweiheit von Offenbarung und Erlösung in eine Einheit verschmolzen worden, und Sie wissen, dass es einen grossen antijüdischen Christen gegeben hat, der nunmehr einen vollkommenen Einklang dadurch herzustellen suchte, dass er die Schöpfung eliminiert, dass er die Einheit des Schöpfer-Gottes mit dem Erlöser-Gott zu zerbrechen suchte. Der Schöpfer-Gott war für ihn ein nur gerechter, nicht wahrhaft guter, und der Erlöser-Gott der Gott eines ganz anderen Weltsystems, das er sozusagen plötzlich einmal auf diese niederträchtige, miserable, verhunzte Welt, in der wir leben, niedergesehen hat und dann sich ihres Jammers erbarmt. Dass dies nicht bloss eine historische Kategorie ist, können wir aus dem Buch von Harnack lernen, der sagt, die alte Kirche sei noch nicht berufen gewesen, auch Luther hätte es noch nicht tun können, aber jetzt sei die Zeit reif, denn das bisschen, was man aus dem alten

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Testament noch mittrage, das bisschen Psalmen und einiges aus den Propheten, das könne man mitnehmen. Aber deshalb das Ganze, diesen Gott des alten Testaments noch mitzutragen, das sei zuviel. Ich sage: Der Dreiklang des Weltgeschehens ist hier im Judentum als solcher gefasst und zwar zugleich in der Eindeutigkeit jedes einzelnen Klanges und in seiner Ewigkeit. Einmal Schöpfung und Ewigkeitsschöpfung in jenem Augenblick, wie das Wort des jüdischen Gebetes lautet, wo Gott gepriesen wird als der, der in seiner Güte an jedem Tage das Werk des Anfangs, das Werk Schöpfung erneuert. Offenbarung in geschichtlicher Gläubigkeit und ewige Offenbarung als die nie abwägende Anrede Gottes an den Menschen. Nicht an den Menschen an sich, sondern an den, an die, an alle Menschen, und Erlösung, einmalige Erlösung in der Vollendung der Welt zum Reich. Aber ewige Wirkung des Erlösenden in der Welt unter einem unmessbaren Geheimnishaften der menschlichen Tat. Wenn wir dies dialogisch fassen, können wir sagen: Die Schöpfung ist die Uranrede Gottes. Gott redet das, ruft das Nichts an, die Dinge an, die nicht rufen, und ruft sie heraus. Offenbarung ist die Anrede Gottes im Zwiegespräch mit den Menschen. Erlösung, sofern sie den Menschen in der Perspektive seines konkreten Handelns angeht, ist Gottes Antwortsempfang, der endliche Antwortsempfang Gottes, der Empfang der grossen Weltumkehrung. hEingeschaltete Überschrift Schöpfung: vom Geisti Schöpfung ist im Judentum durchaus einheitlich verstanden als die Schöpfung von Natur und Geist. Es ist nicht so, dass etwa Gott mit dem Geist identifiziert würde, sondern Natur und Geist gehen gleicherweise aus dem Schöpferwort hervor. Und das ist so deutlich, so präzise, dass zwei Schöpfungsgeschichten nebeneinander gestellt werden: Die erste, wo die Welt erzählt wird in die Schöpfung der Natur hin, der Mensch nur als Letztes der Schöpfung am Rand des geschaffenen Kosmos. Die zweite die Schöpfung des Geistes, der Geschichte, der Mensch im Mittelpunkt des Geschaffenen. Ich sage noch einmal: Gott ist in der Konzeption des Judentums nicht Geist, sondern Geist ist eine seiner Manifestationen wie Natur. Der Geist ist nicht ein der Natur übergeordnetes, und das wird besonders deutlich, wenn wir auf den biblischen Text zurückgehen. Da finden wir nämlich, dass uns der Begriff »Geist« völlig fehlt. Das Wort »Ruak« [sic], das Wind und Atem und Geist bedeutet, ist völlig einheitlich und gerade an entscheidenden Stellen durchaus darauf hindeutend, dass es ein einheitliches Ausgehen, ein einheitliches Wehen von Gott aus bedeutet, so naturhaft wie geisthaft. Am Anfang der Schöpfung, wo dieser Braus, dieser Geist im Sinne der alten deutschen Sprache, wo Geist dem Begriff Gischt verwandt war, dann je und je auseinander tritt wie in jener Geschichte von den Wach-

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teln, wo die Juden sich nach dem guten Essen Ägyptens zurücksehnen und murren und wie dann erzählt wird, wie Mose zu Gott spricht, er könne dies nicht mehr selbst tragen, Gott möge von seinem Ruak, von seinem Geist auf die Ältesten niederlassen, und wie dann hintereinander erzählt wird, wie Gott mit der Ruak die Ältesten bedacht und wie er einen Ruak schickt, einen Wind, der die Wachteln hineinträgt, eins hinter dem andern. Das sind hochbedeutsame Stellen. Luther hat in seiner Bibelübersetzung schwer gerungen um die Wiedergabe des Wortes Ruak. Das sehen wir, wie er immer wieder geändert und hergestellt hat und schliesslich bei »Geist« stehen geblieben ist, obwohl »Geist« damals, in der Zeit Luthers, die ursprüngliche Sinnlichkeit des Wortes, mit der Sinnlichkeit von Ruak, von Pneuma, von Spiritus zusammenging, verlor. Die Folge dieser Entwicklung zeigt sich im neuen Testament, wo im dritten Kapitel Johannis im Gespräche mit Nikodemus es bei Luther heisst vom Wind: »Du hörest sein Sausen wohl, aber du weisst nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt.« Und dann heisst es: »So sei es mit jenen, die aus dem Geist geboren sind.« Aber in dem griechischen Original steht – denn das, was bei Luther steht, ist nicht zu verstehen – im Original steht etwas grösseres als eine [Leerstelle im Text], da steht ebenso wie mit den von Ruak und von Pneuma, von dem Wehen von Gott aus, wir wissen nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt, ebenso sei es mit den Menschen, die in der Wiedergeburt in Pneuma aufgenommen sind. Ein Meister Ekkehard durfte noch sagen: Geist, wo er will, denn da hatte der Geist die Sinnlichkeit. Luther glaubte es nicht mehr zu können oder konnte es nicht, und aus der Einheit ist eine Zweiheit geworden. Die Einheit ist gespalten in ein naturhaftes, das zur blossen [Leerstelle im Text] herabgesunken ist. Der Wind weht, wo er will und in einem Geist, der nicht ist wie die Ruak geschehen, nicht Dynamik, sondern Substanz, ein Ding zwischen Dinge. Diese Ruak ist der Ast des Judentums als die ewige Schöpfungstat Gottes. Denken Sie an die Geschichte Sauls, der vom Geist ergriffen wird. So wie dieser sich auf einen Menschen niederlässt und dieser Mensch in einen anderen Menschen verwandelt wird und das Gebaren, das WerdeSystem eines anderen Menschen annimmt, so heisst es dann im späteren Judentum, dass, wer vom Geist ergriffen wird, von Gott zu einem neuen Geschöpf geschaffen wird. Ja, es ist die Paulinische [Leerstelle im Text] schon hier, von Paulus übersetzt, dass zu einem neuen Geschöpf, Kreatur geschaffen wird. hEingeschaltete Überschrift Der Namei Aber darüber hinaus, über diese schöpferische Verwandlungstat, die ewige Schöpfung bewährt sich darin, dass Gott bei seiner Kreatur bleibt. Jenes vielfach als sozusagen theologische Selbstaussage Gottes verstandene

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Wort im Dornbuschgespräch [Leerstelle im Text] man übersetzt etwa: »Ich bin, der ich bin«, oder »ich werde, der ich sein werde« und versteht es als eine Aussage Gottes über seine Unwandelbarkeit, oder was sonst bedeutet: »Ich werde da sein, als der ich da sein werde.« Denn das Wort [Leerstelle im Text] bedeutet im Hebräischen niemals »sein«. Es hat streng dynamischen Charakter; es bedeutet »werden«, »geschehen«, »da sein« im Sinne des Gegenwärtigsein, des Gegenwärtigwerdens. Und der biblische Text sagt deutlich, was gemeint ist, denn in eben dieser Fassung »ich werde da sein, dabei sein«, spricht Gott vorher und nachher. »Ich werde da sein bei dir«, und nachher »ich werde da sein bei deinem Mund«. Es ist also deutlich, es geht nicht um das »An-sich-sein« Gottes, sondern um seine Gegenwärtigkeit bei seiner Kreatur. Vergegenwärtigen wir uns einen Augenblick, was dieses Moment im Dornbuschgespräch für die Religionsgeschichte bedeutet. Es ist der Name des [Leerstelle im Text], der erschlossen wird und zwar als die dritte alkaische [sic] Person dessen, was hier in der ersten Person Gott von sich sagt, also der, der da ist, der gegenwärtig ist, und erinnert sich daran, in welchem Zusammenhang diese Erschliessung geschieht. Mose, der sich, wie alle echten Propheten, gegen den Auftrag wehrt, Mose führt noch alle anderen Argumente an: ja, wenn ich noch zum Volke komme und sie frage, ich komme zu ihnen und ihnen sage: Der Gott eurer Väter schickt mich zu euch, sie werden mich fragen nicht »Was ist sein Name«, denn es ist nicht anzunehmen, dass der Verfasser dieses Kapitels die Genesis, in der der Name den Vätern je und je manifestiert wird, nicht gekannt hat, sondern [Leerstelle im Text] heisst, wie aus vielem Analogen geschlossen werden kann: »Was sich mit seinem Namen«, d. h. von der Situation des Volkes aus gefasst, von dieser Not, in der das Volk war. Wie können wir ahnen, was der Name [Leerstelle im Text], Namenmächtigkeit, für ein primitives Volk bedeutet. Es heisst: Was können wir mit seinem Namen anfangen; wie können wir seinen Namen in irgendeiner geheimen Aussprache etwa so handhaben, dass wir ihn hierher beschwören, dass wir mit dem Namen die Geister, die Dämonen, die Götter beschwören und sie zwingen, um dienstbar zu sein. Wenn man ihre geheimen Namen oder die Aussprache des Namens kennt, wie können wir ihn beschwören, dass er uns gefällt. Und darauf antwortet Gott zu Mose: Ich werde da sein als der, als der ich da sein werde, d. h.: Ihr braucht mich nicht zu beschwören, denn ich bin da, ich bin bei euch da. Aber ihr könnt mich auch nicht beschwören, denn ich kann selbst nicht sagen, in welcher Gestalt, in welcher Erscheinungsform ich je und je da sein werde. Es ist die Stunde der Entmagisierung der Religion. Der Gott braucht nicht mehr hierher beschworen zu werden. Gott ist gegenwärtig, das bedeutet,

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wenn Sie wollen, kein Pantheismus und kein Personalismus; es bedeutet, wenn wir es theologisch formulieren wollen, das Ich-Person-Sein Gottes. Das Ich-Person-Sein Gottes ist eben das, was die dialogische Situation ermöglicht, einsetzt. In der dialogischen Situation wird das Göttliche vom Menschlichen so erfahren, wie allein es vom Menschlichen als Person erfahren hwerdeni kann. Das bedeutet aber niemals eine Aussage in der dritten Person, sondern immer ein Gegenwärtigsein und die Gegenwärtigkeit aufnehmen. hEingeschaltete Überschrift: Offenbarung: vom Sakramenti Der Offenbarungsempfang des Menschen, um, wenn ich von der Schöpfung fortschreiten darf, der Offenbarungsempfang des Menschen geschieht in der Konzeption des Judentums nicht – und das hängt wieder mit demselben zusammen, wovon ich sprach – geschieht nicht durch Erkenntnis, sondern geschieht durch Intention des gelebten Lebens, so wie in dem Empfang der Sinai-Offenbarung, dass wir es tun, denn wir hörens, voran geht das gelebte Leben in seiner Intention, das gelebte Leben, das Gott dargebracht, hingereicht wird. Das ist der Ort des Offenbarungsempfangs selber. Es ist nicht so, dass zuerst eine Rezeption und dann eine Aktion geschehen ist, sondern in der Darreichung, in der Wesenshandlung empfängt der Mensch diese Darreichung des gelebten Lebens. Das ist etwas, was in immer neuer Läuterung der Konzeption durch die ganze Geschichte des Judentums geht. So wie gefragt worden ist, ob es jüdische Dogmen gibt, – manche Juden haben darauf negativ geantwortet – so ist gefragt worden, ob es jüdische Sakramente gibt, und darauf ist vielfach negativ geantwortet worden. Mir scheint, dass es jüdische Sakramente schon in biblischer Bekundung unzweideutig gibt. Ich will auf Einzelnes nicht eingehen. Aber die grosse Bewegung, die von diesen Sakramenten in der Geschichte der jüdischen Religion deutlich ist, dass sie sich nicht genügen lässt an einzelnen Stoffen und einzelnen Werken, nicht daran genügen lässt, dass einzelne Stoffe aus der Welt des Stoffs, einzelne Handlungen aus der Welt der öffentlichen Handlungen auserlesen werden, dass denen allein sakramentaler Charakter verliehen wird, die übrige Welt, wie des gelebten Lebens, die Welt des Alltags, in nicht sakrales versinkt, sondern die Tendenz liegt darin, als das ganze Leben, der ganze Alltag, die ganze gelebte Konkretheit, Stunde um Stunde ins Sakrament einzubeziehen, an dem ganzen je und je dem Menschen zugereichten Welt-Konkretum die Heiligung zu vollziehen, die Darreichung an Gott. hEingeschaltete Überschrift Das Opferi Ich will das zu verdeutlichen versuchen an der Geschichte des Opferkults. Das biblische Opfer hat zwei eigentümliche Merkmale, von denen zum mindesten eins es von den Opfern anderer Völker qualitativ unterscheidet. Das eine ist, dass ein grosser Teil angeknüpft ist an

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das Essen des Menschen, an das Essen von Fleischnahrung. Wer, so dürfte wohl ursprünglich die allgemeine, später die durchbrochene Regel gewesen sein, wer Tierfleisch isst, kann das nur im Zusammenhang mit einem Opfer tun. Aber nun das zweite und noch wichtigere: Der, für den ein Tier geopfert wird, nicht der Opferer, nicht der Opferpriester, sondern der, für den ein Tier geopfert wird, der legt – oder genauer – der stemmt seine Hände auf den Kopf des Opfertieres. Ein Einzelner oder eine Schar stemmt die Hände auf den Kopf des Opfertieres und vollzieht damit einen Akt, der genau das gleiche in der Sprachbezeichnung ist, den etwa Mose vollzieht, da er Josua damit betraut, sein Amt fortzusetzen. Wie Mose seine Hände auf den Kopf Josuas legt und sagt: »Das bin ich; der Geist, der auf mir ruht, gehe nun auf dich über, du bist der Träger«, so legt der Mensch, für den geopfert wird, seine Hände auf den Kopf des Tieres, er identifiziert sich mit dem Tier und sagt: ich meine mich. Dieser eigentümliche Akt der Auffassung ist das, was, wie mir scheint, das israelitische Opfer von allen Opfern unterscheidet. Als ich vor 1 ½ Jahren das grosse Opfer der Samariter auf dem Berge Galizien [verschrieben für Garizim] sah, empfand ich es als ein barbarisches und zugleich in unserem Sinn als unisraelitisch, und es wurde mir offenbar, dass die [Leerstelle im Text] die echte Tradition bewahrt hätte, denn jener Akt, der dem Opfer seine Heiligung verlieh, dieses »ich meine mich«, mich vertreten zu lassen, aber ich meine mich, will ich eigentlich darbieten. Ohne das hat das Opfer etwas Unheiliges für einen, – jedenfalls, wie mir scheint –, heutigen Menschen seltsam revoltierendes. Nun, Sie wissen, wie die Propheten sich gegen den Opferkult auflehnen. Die Propheten gehen soweit zu sagen: Gott habe dies nicht geboten. Wenn wir genauer zusehen, erfahren wir, was damit gemeint ist. Das Werde-System, das dieses »Sich selbst darbringen« meinte, war noch berechtigt, nur die Intention, der es entstammte, war gewichen. Die Gebärde der Selbstdarbringung, ohne den inneren Vollzug, das ist Götzendienst. Götzendienst war von je und je die Anbetung Gottes auf götzenhafte Weise. Dieses Verdammen des Kults, der Formen der Sakramente ohne Intention, das ist die erneute Mahnung der Propheten. Nun sehen wir, wie mit dem Zerfall des Reiches, mit der Zerstörung des zweiten Tempels der Opferkult aufhört und anstelle der Opfer das Gebet tritt. Aber wir sehen dann in dem Judentum in wachsendem Masse nicht etwa bloss das Gebet um Erneuerung, um den Aufbau des Tempels, sondern etwas anderes. Wir sehen eine Tendenz zu jenem Sakrament, auf das ich hingedeutet habe, zu einer Sakralisierung des Alltags selber, zum Opfer, und zwar, wie damals das Opfer zu einem grossen Teil anknüpfte an das Essen des Menschen, so wird nun im Chassidismus der Tisch des Führers

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als Altar gefasst, das Essen, das rein in der Intention geheiligte Essen als Opferhandlung. So wird hier das Kultische völlig an das Profane gebunden. Das Sakrament erfüllt den Alltag selber und in eigentümlicher Weise bildet sich der Chassidismus aus Elementen der Tradition, Elementen der Kabbala, der jüdischen Mystik, indem er in alle Kreaturen, in alle Tiere und Gewächse göttliche Funken zerstreut. Und aus diesem Bilde werden sie nun gehoben, gelöst durch den, der sich dieser Dinge in Reinheit bediente, der diese Speisen in Reinheit und Heiligkeit geniesst. So wird nun hier das Stehen des Menschen in der Offenbarung mit dem Erlösenden verknüpft. hEingeschaltete Überschrift Erlösung: vom Reichi Und so zum letzten. Das Reich Gottes ist im Judentum streng geschieden, die Konzeption streng geschieden von der Konzeption der sogenannten kommenden Welt, also dessen, was Gott allein aufzuschliessen vermag. In der kommenden Welt spricht Gott: Mein Herz habe ich offenbart, aber an den Engeln habe ich es nicht offenbart. Und so wird von allen Weissagungen der Propheten gesagt: Alle Weissagungen, alle äskuldoschen [vermutlich verschrieben für eschatologischen] Weissagungen der Propheten gelten nur den Tagen des Messias, nicht der kommenden Welt, nicht dem, was Verwandlung der Welt ist, was dem Anteil der Menschheit entrückt ist. Und nun diese messianische Welt, die Erlösung der Welt, sie bedeutet, dass die Welt selber ohne Reduktion erlöst wird, nicht wird aus dem Gefüge des Seins eine Seele gelöst, die als solche unabhängig von der Welt erlöst werden könnte, sondern die ganze einheitliche Welt, in der Natur und Geist, Welt und Seele verschmolzen sind, kann und soll als Einheit erlöst werden. Und diese Erlösung, an der der Mensch, die menschliche Gemeinschaft, das Menschenvolk handelnden Anteil hat, knüpft auch sie an das irdische, weltliche, an das natürliche Gemeinschaftsleben an. Wie einst Israel aus der semitischen Konzeption des Gotteskönigstums, indem er mit ihr ernst machte und es aufzurichten suchte, so ist die Tendenz zur Aufrichtung eines Gottesreiches durch Aufrichtung einer in Freiwilligkeit lebenden Gemeinschaft, durch ein echtes, gerechtes Zusammenleben der Menschen unter ganz anderer Herrschaft als der Gottes, allein zu verwirklichen. Auf den Verfall folgt der Versuch, aus dem Königtum, aus dem Volke aufsteigend, dann vom Religiösen konzipiert, dann durch das Moment der Salbung, indem dem König ein Auftrag als geistige Niederlassung erteilt wird, und nun vom König in der dialogischen Situation erwartet wird, dass er diese Salbung verwirkliche, dass er dem Auftrag standhalte, dem Auftrag gerecht werde. Die fortschweifend stets erneute Enttäuschung an dem König, der den Auftrag nicht verwirklicht, ist die eigentliche Geburt des Messianismus, der Glaube an den Gesalbten, der die Salbung

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verwirklicht, der nicht versagt, der dem Auftrag standhält, der die Niederlassung des Geistes mit dem Leben vollzieht. Und diese Geschichte des Messianismus ist eine Geschichte stets neuen Versagens, stets neuer Enttäuschung, nicht Antwortens, Halbantwortens, und diese Geschichte der Enttäuschung führt zu den Wandlungen der messianischen Gestalt aus einem in aller Öffentlichkeit vor dem Volke gesalbten König zu jener Gestalt des verborgenen Gottesknechtes, der immer wieder zwischen Zeitalter und Zeitalter nicht erkannt, sondern in der Vergangenheit lebt wie der namenlose Prophet, den man deutlicher zu nennen pflegt, der ausdrücklich in der Ich-Person sagt: »Er hat meinen Mund zu einem scharfen Schwert gemacht und dann hat er mich im Schatten seiner Hand verborgen. Er hat mich zum blanken Pfeil gemacht und dann hat er mich in seinem Köcher versteckt.« Und diese Erfahrung der tiefsten Verborgenheit des Erwählten und doch nicht Erwählten, auch im Verhältnis zu sich selbst nicht, bloss im Verhältnis zu den Menschen, und doch zugleich das Wissen, dass dieses die Messianität, der Anteil des Menschen an der Erlösung in seiner manifestierten Gestalt, eben diese Verborgenheit, die einmal aufschwellen wird zur endgültigen Antwort, das ist die Grundlage der Geschichte jener seltsamen messianischen Bewegungen, die an die Geschichte der Diaspora, die ungeheure Eruption, ungeheure Ausbrüche nicht füllen, aber doch immer wieder die eigentliche Lebensmacht, bis endlich im 17. Jahrhundert die auto-messianistische Bewegung an sich selbst zerbricht und zur Lüge wird, aber auch hier Konzeption der Verborgenheit, der Erfolglosigkeit, der heimlichen Sendung. Und von einer solchen spricht das 61. Kapitel Jesaias, wo der Prophet von sich selbst sagt, dass Gott ihm angelobt habe, die Freiheit auszurufen. Das ist das Kapitel, das Jesaias im Tempel anführt. Ich sage, auch dieser Konzeption der verborgenen Sendung ist mit all dem Früheren und vielleicht auch mit Späterem gemeinsam, dass die Erlösung der Welt, der Menschheit, gestellt wird auf die Einkehr einzelner Menschen, aber nicht eines Menschen, sondern einzelner Menschen und auf die Bildung einer Gemeinschaft, in der Gott wirklich König ist, wie er damals in dem Gesang nach dem Übergang über das Schilfmeer als König des Volkes und von da aus als König der Welt proklamiert wurde. Ich sagte zu Anfang: Religiöse Wahrheiten sind dynamisch, d. h. diese Konzeption, diese Geschichte der messianischen Konzeption, diese Wandlungen, diese Enttäuschungen und Erneuerung, dieses Versagen und im Versagen dennoch standhaltend, dieser Weg ist die eigentliche Wahrheit der messianischen Konzeption, die wir freilich nicht begrifflich zu fassen vermögen, sondern nur im Anschauen des Bildes, das hier immer stärker von der Offenbarungsweltgeschichte an die heimliche ap-

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pelliert wird, von der Geschichte, in der der Erfolg liegt, bis an die Geschichte, in der das Leid liegt, das Leid vor Gottes Angesicht, das tragende Leid. Dieser Weg ist die Wahrheit der Konzeption. In diesem Wege liegt die Sendung, die gelegt wird auf die Schultern des Verborgenen, auf das Werden der heimlichen Gemeinde. Dieser Weg ist es, in dem nun ganz klar und deutlich wird – freilich nicht aus dem Geheimnis heraustretend – der Anteil des Menschen und der Anteil Gottes als auch sie als Rede und Gegenrede, Antwort des Menschen und ein geahntes Wort, das die Antwort aufnimmt. hEingeschaltete Überschrift Die Ewigkeiti Ich möchte zum Schluss noch einen Hinweis geben. Ich sagte: Die kommende Welt ist vom Reich Gottes abgelöst als in den Anteil des Menschen einzufügen. Aber von der kommenden Welt wird je und je im Judentum gesprochen als Verknüpfung mit dem leiblichen Tod der Person. Was bedeutet das? Wir sind gewohnt, den leiblichen Tod der Person religiös zu verknüpfen mit einer Lösung einer seelischen Substanz und ihrer Fortdauer, mit dem Begriff der Unsterblichkeit, der Fortdauer in der Zeit. In den Tiefen der jüdischen Konzeption ist dies nicht so. Wie Gott selber nicht in der Zeit steht – so auf die Frage, warum Gott die Welt nicht früher erschaffen habe, geantwortet werden könnte: auch die Zeit ist erschaffen worden – wie Gott nicht in der Zeit steht, sondern die Zeit in ihm, so ist auch die Verheissung über den leiblichen Tod hinaus nicht eine der Unsterblichkeit und auch nicht eine der Ablösung und Fortdauer einer Seele. Nicht Unsterblichkeit über den leiblichen Tod hinaus ist gemeint, sondern Ewigkeit. Nicht Fortdauer in der Zeit, sondern Verwandlung in etwas, was wir nur je und je in unserer Zeit und hin unseremi Vorstellungssinn nicht zu erfassen vermögen. Aber was nicht Zeit in seinem Wesen ist, nicht Unsterblichkeit, sondern Auferstehung. Nicht hier, d. h. nicht Zerfall von Leib und Seele, sondern Erneuerung und Ganzheit. Der Tod also ernst genommen als Ende und ernst genommen als Anfang. Man nimmt gewöhnlich an, dass es in der Religionsgeschichte hinsichtlich der Konzeption der Fortdauer nach dem Tode zwei Stufen oder Zeitformen gibt, die sogenannte pro asimistische [vermutlich verschrieben für präanimistische], wo angenommen wird, dass der Tote fortlebt, und dann auf andere Weise gesichert wird. Wenn er nicht gerade umgekehrt gefürchtet und versöhnt wird. Aber immerhin ist es der Tote, der fortlebt. Die zweite ist die asimistische [vermutlich verschrieben für animistische] vom Tod, wo eine Seele sich ablöst. Das entspricht den Erfahrungen eher, die mit dem Toten gemacht werden, der einem in Träumen erscheint. Aber es scheint mir, dass es noch eine dritte Grundform gibt, für die es keinen zugänglichen Namen gibt, die über alle Erfahrungen

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hinausgreift, die freilich zunächst die endgültige Erfahrung feststellt und erwägt, dass der Tod das Ende alles Vorstellbaren ist, aber nun zu glauben wagt, dass es eine Erneuerung der Ganzheit gibt, dass der Tote in der Welt fortbesteht, dass er demnächst das wirkliche Ende erfahre. Das ist der Glaube an die Auferstehung, an den Eingang in die Ewigkeit, an das Aufgenommenwerden durch Gott. Denken Sie an jenen Satz 73. Psalms, wo der Mensch zu Gott spricht: »An Deiner rechten Hand hast du mich erfasst, durch Deinen Rat geleitest Du mich, danach nimmst Du mich in die Herrlichkeit auf. Schwand auch mein Leib und mein Herz, der Fels meines Herzens, Gott bleibt in Ewigkeit.« Das ist kein Glaube an die Fortdauer der individuellen Seele; das ist der Glaube des Aufgenommenwerdens des ganzen Wesens von Gott aus den Armen des wirklichen, leiblichen Todes, der die Erlösung, das Ende all’ unserer Vorstellbarkeit ist. Und eben dasselbe sagt das grosse, herrliche jüdische Totengebet, das schönste Totengebet, das ich kenne, wo Gott nicht angefleht wird, die Seele dauern zu lassen, sondern wo Gott gepriesen wird als der, der immer wieder Tote wiederbelebt. Auch hier die Tendenz zur Ganzheit ohne Reduktion. Dies bedeutet Glaube an den Tod und Auferstehung in Einheit. Variantenapparat: 63,2-7 Ich meine […] ereignismäßig besteht] (Dieser für die staatswissenschaftlichen Kurse in Reichenhall 1928 erbetene Vortrag konnte erst später im Rahmen des Kieler Weltwirtschaftlichen Instituts nachgeholt werden.) D2, D4, fehlt D3 63,21 des Ostens] Osteuropas D4 63,30 suchen will] suche D3, D4 64,23-29 Wenn Lagarde […] Du-Erfahrung.] fehlt D2, D3, D4 67,16 – man kann sich nur zu Gott entscheiden –] fehlt D4 67,27 selber] selbeigen D2, D3, D4 68,12 »Vor wem reinigt] »Glückselig ihr, Israel! Vor wem reinigt D2, D3 »Oh, über euer Glück, Israel! Vor wem reinigt D4 70,27 Geheimnis] Geheime D3 70,27-28 die Offenbarung] das Offenbare D2, D3 73,21-22 den Widerspruch als Theophanie] hervorgehoben D2, D3, D4 73,22 Eben diese Welt eben dieses] Die Welt des D4 74,7-8 der Wesen, […] die Ganzheit] fehlt D3 74,17-18 als seine ganze Schöpfung […] nicht weniger] fehlt D3

Der Glaube des Judentums

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Wort- und Sacherläuterungen: 63,13-14 der »Glaube«, […] der Glaube, der […] der Vertrauen und Treue bedeutet.] Die Aussage wirkt wie eine Vorstufe der Unterscheidung von Emuna und Pistis in Zwei Glaubensweisen (1950; jetzt in: MBW 9, S. 202-312). 64,11 dreizehn maimonideischen Glaubensartikel] Maimonides formulierte in seiner Auslegung zum Babylonischen Talmud, Traktat Sanhedrin 10, dreizehn Glaubensaussagen, die in eine dogmatische Form gebracht (»ich glaube in vollkommener Überzeugung, dass …«) in die jüdische Gebetspraxis aufgenommen wurden, allerdings eher randständig nach Abschluss des Morgengottesdiensts gesprochen werden. Vgl. Siddur Schma kolenu, übers. von Raw Scheuer, Basel 2009, S. 100-103. 64,23 Lagarde] Paul Anton de Lagarde (1827-1891), dt. Kulturphilosoph und Altorientalist; Exponent eines virulenten Antisemitismus, der sowohl in seinen wissenschaftlichen wie politischen Schriften zum Ausdruck kam. Vgl. z. B. seine Schrift Juden und Indogermanen. Eine Studie nach dem Leben, Göttingen 1887. Das Zitat weist Buber in Königtum Gottes, Berlin: Schocken Verlag 1932, 5. Anmerkung zum 6. Kapitel (jetzt in: MBW 15, S. 220), mit Paul de Lagarde, Mitteilungen, 2. Auflage [Göttingen] 1887, S. 330 nach. 64,35 den Begriff des J i c h u d , der »Einung«] Zentraler Begriff der rabbinischen und kabbalistischen Theologie. 65,11 im Martyrium, im Sterben mit dem Einheitsruf des »Höre Israel« auf den Lippen] Dtn 6,4 soll von dem Sterbenden gesprochen werden. Als Vorbild dient Rabbi Akiba, der nach bBer 61b (BT, Bd. I, S. 277 f.) diese Worte gesprochen haben soll, als ihn die Römer zu Tode folterten. 65,13-14 Ob der Weise des Mittelalters redet: »Mein Gott, wo finde ich dich, aber wo finde ich dich nicht?«] Jehuda Ha-Levi (um 10751141), span.-jüdischer Philosoph und hebr. Dichter. Das zitierte Gedicht in Rosenzweigs Übersetzung unter dem Titel »Der Fern-undNahe«, in: Jehuda Halevi. Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte. Deutsch, Berlin [1926], S. 43 f. 66,5-6 im stärksten Gegensatz etwa zur iranischen] Gemeint ist die persisch-zoroastrische Religion. 66,12 »Licht bildet und Finsternis schafft«] Vgl. Jes 45,7. 67,4-5 Der Satz […], daß es »sehr gut« ist] Vgl. Gen 1,31. 67,8-9 »So liebe denn IHN deinen Gott mit all deinem Herzen«] Dtn 6,5. 67,9-10 mit deinen beiden Trieben, dem »guten« und dem »bösen«] Vgl. bBer 54a (BT, Bd. I, S. 235).

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Einzelkommentare

67,11-12 »Du hast ihn böse gemacht«] Midrasch Tanchuma, Paraschat Bereschit, I,7. 67,13-17 Der Vorgang der Entscheidung bedeutet, […] einbezieht.] Vgl. Buber, Bilder von Gut und Böse, Köln: Hegner 1952, V. Abschnitt (jetzt in: MBW 12, S. 356-358). 67,17 Das Böse ist […] die »Schale«] Buber nimmt hier kabbalistische Sprachbilder auf, vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 29,16-17. 67,19-20 ein katholischer Theologe meinte, der der Gnade unkundige »jüdische Aktivismus«.] Buber bezieht sich auf den katholischen Religionsphilosophen und Pater Erich Przywara (1889-1972), »Judentum und Christentum. Zwischen Orient und Okzident«, in: Ringen der Gegenwart. Gesammelte Aufsätze 1922-1927, Augsburg 1929, S. 624-661. Nach einer zunächst sachlichen Darstellung moderner philosophischer Richtungen schlagen Przywaras Ausführungen in offen antisemitische Polemik um. Da die Juden die Erlösung, die, wie Przywara ausführt, in Gestalt des Katholizismus schon realisiert sei, nicht anerkennen und in messianischer Hoffnung auf eine noch ausstehende Erlösung beharren würden, sei der die Gegenwart beunruhigende politische Aktivismus jüdischen Ursprungs. Vom Judentum ginge demnach »die Gewalt des Kapitalismus und die Gewalt des Kommunismus« aus (ebd., S. 659). 68,7-8 um des Anfangens willen schuf Gott Himmel und Erde] Nicht ermittelt. 68,12-13 »Vor wem reinigt […] Vater im Himmel.«] mJoma VIII,9 (BT, Bd. III, S. 251). 68,17 »ER ist das Tauchbad Israels.«] Ebd. Rabbi Akibas Ausspruch »Gott ist das Tauchbad Israels« beruht darauf, dass Rabbi Akiba das hebr. Wort Mikwe in Jer 17,13 nicht als »Hoffnung«, sondern als »Mikwe« (Tauchbad) liest. 68,30 Die Umkehr] Die folgenden Ausführungen beruhen darauf, dass der hebr. Ausdruck Teschuva drei Bedeutungen hat: »Umkehr«, »Reue« und »Antwort«. In Bubers Dialogphilosophie spielen alle drei Bedeutungen eine Rolle. 68,34 Da schuf er die Umkehr: nun hatte die Welt Bestand.] Zur Idee, dass die Umkehr – wie z. B. auch die Tora – noch vor der Erschaffung der Welt erschaffen wurde, vgl. bPes 54a (BT, Bd. II, S. 470); Tanchuma (Buber) Parascha Naso 19. 69,1-3 »Öffne mir die Pforte […] können«] ShirR zu Hhld 5,2. Vgl. August Wünsche (Übers.), Der Midrasch Schir Ha-Schirim, Hildesheim 1967, S. 134.

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69,3-4 »Kehret um, und ich werde euch zu einer neuen Schöpfung umschaffen«] Pesiqta Rabbati PesR 40 Ba-chodesch Haschvii (in: Ed. Friedmann, S. 169a); WaR XXX, 3, Vgl. August Wünsche (Übers.), Der Midrasch Wajikra Rabba, Hildesheim 1967, S. 210. 69,7-8 die Sage, daß Adam von Kain die Kraft der Umkehr lernte] fehlt im Hebräischen, Teʿ uda we-jiʿ ud, I , S. 186. 69,8-9 »Neutestamentliches Wort«] vgl. Lk 15,7. 69,10-11 »An dem Ort, […] nicht zu stehen.«] bBer 34b (BT, Bd. I, S. 155). 69,17 ή όδός του ϑεου] griech. für »der Weg Gottes«. 69,24 μετανοειτε] Mt 3,2 u 4,17; Mk 1,15. Bei Luther mit »tuet Buße« übersetzt. 69,27 als der alte Prophetenruf »Kehret um«] Vgl. Jer 3,14 u.22; 18,11; 25,5; Ez 14,6; 18,30; 33,11; Hos 14,2 f.; Jo 2,13; Sach 1,3 f.; 9,12; Mal 3,7. 69,29 »denn nah herbeigekommen ist ή βασιλεία των ουρανων«] Vgl. Mt 3,2 u. 4,17. Vgl. auch die Bergpredigt Mt 5,3. 69,33 Malchut Schamajim] hebr. für »Königtum Gottes«. Vgl. mBer II,2 (BT, Bd. I, S. 55). 69,37 theurgische] theurgisch von Theurgie, bei Buber wohl eher im allgemeinen Sinn des Glaubens an eine Kraft, mit der auf Gott bzw. die Götter Einfluss genommen werden kann. 70,27-29 »Das Geheimnis […] Weisung zu tun!«] Dtn 29,28. 70,34 auf das Bedenken Mose] Vgl. Ex 3,13. 71,2-3 »Ich bin der ich bin«] Ex 3,14. 71,10-13 »Nicht im Himmel ist es, […] es zu tun.«] Vgl. Dtn 30,12-14. 71,16 jener ärgerliche Talmud] Vermutlich nimmt hier Buber in ironischer Wendung Klischees seines nichtjüdischen Publikums auf, um diese zu entkräften. 71,32 der Jichud] Hebr. »die Einung«. 72,19-21 das Licht, […] das in die Welt kommt] Vgl. Joh 1,4-9. 72,24 Marcion] (ca. 85-160 n. Chr.): vermischte frühchristliche und gnostische Lehren, die teils weite Verbreitung erfuhren und von der sich formierenden Kirche als häretisch verurteilt wurden. Marcion war der erste, der im christlichen Kontext lehrte, man müsse eine böse Gottheit, den »Gott des Gesetzes«, des Alten Bundes, und eine gute Gottheit, den »Gott der Liebe«, unterscheidet, der im Evangelium Christi gepredigt werde. 72,30 dem Demiurgen] Der Demiurg fungiert bei Platon (Timaios 29a) als Weltschöpfer, der die Ideen mit der Erscheinungswelt vermittelt. In vielen gnostischen Systemen wird der Demiurg zum Schöpfer der »bösen«, materiellen Welt umgedeutet, zu einer Art Gegengott zum »guten« Gott der spirituellen Welt.

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72,35 die marcionisierende These Harnacks] Adolf von Harnack, Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott. Eine Monographie zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche, Leipzig 1921, S. 248 f.

Drei Stationen Die kleine autobiographische Arbeit ist ein Beitrag Bubers zu einer Sonderausgabe des schwedischen Journals Judisk Tidskrift (»Jüdische Zeitschrift«) zu Ehren des 60. Geburtstags seines Gründers Markus Mordechai Ehrenpreis (1869-1951). Zusammen mit Herzl hatte Ehrenpreis den ersten zionistischen Kongress in Basel einberufen, brach aber später mit ihm und schloss sich der Demokratischen Fraktion an, die unter anderem von Buber gegründet wurde und auf dem 5. Zionistischen Kongress für den Kulturzionismus warb. Nachdem die Demokratische Fraktion keine Zugkraft entwickeln konnte, ebbte Ehrenpreis’ Interesse am Zionismus ab und er wandte sich verstärkt seinen Aufgaben als Rabbiner und der Wissenschaft des Judentums zu. Von 1914 bis zu seinem Tod war er Oberrabbiner von Stockholm. In seiner kurzen Würdigung zeichnet Buber die Entwicklung sowohl seiner eigenen Auffassung der geistigen Erneuerung des Judentums wie der von Ehrenpreis nach, die sich schließlich um die dialogische Beziehung zu Gott und den Mitmenschen zentriert. Textzeugen: D1: Judisk Tidskrift II, 27. Juni 1929, S. 20 (MBB 393). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 223-224 (MBB 459). D3: JuJ, S. 751 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Hebräisch: Schalosch tachanot, in: Te’uda we-ji’ud, 2. Bd.: Ma’amarim al injane ha-scha’a, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1961, S. 211 (MBB 1182). Variantenapparat: 75,2 (Zu Marcus […] Geburtstage)] fehlt D2, D3 75,17 herrliche] kostbare D3

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Für die Sache der Treue

75,21 erst das Fiktive] das fiktive D2, D3 75,22 als Wirklichkeit] aber Wirklichkeit D2, D3

Für die Sache der Treue Anlässlich des Todes von Franz Rosenzweig erschien dieser Beitrag Bubers in dem aufwendigen Gedenkband Franz Rosenzweig. Ein Buch des Gedenkens, der u. a. Aufsätze von Margarete Susman (1872-1966), Ernst Simon und Gershom Scholem (1897-1982, letzterer in Hebräisch) enthielt. Der Titel von Bubers Beitrag nimmt auf Psalm 45,5 Bezug, der auch Rosenzweigs Stern der Erlösung als Leitspruch vorangestellt ist. Auf der Titelseite ist er im hebräischen Original – ‫ – רכב על דבר אמת‬wiedergegeben. Buber übersetzt die Stelle mit »reite / für die Sache der Treue«. (Das Buch der Preisungen [Die Schrift XIV], verdeutscht von Martin Buber, Berlin: Schocken Verlag 1935, S. 91.) Buber reflektiert hier, warum Rosenzweig in dem hebräischen Motto des Sterns der Erlösung das mit ‫» רכב‬reite« eng verbundene Verb ‫»( צלח‬dringe durch«) ausließ. Es ist auffällig, dass im Wiederabdruck 1963 in Der Jude und sein Judentum die Redewendung »Heil dir«, die in den früheren Drucken von Buber gleich eingangs erläutert wird und Bestandteil der abschließenden Psalmübersetzung ist, ebenso getilgt wurde wie der Begriff »Glorie«. Möglicherweise erschienen den Herausgebern oder Buber selbst diese Wortwendungen inzwischen als allzu belastet. Textzeugen: D1: Franz Rosenzweig. Ein Buch des Gedenkens, Berlin: Soncino-Gesellschaft 1930, S. 28-30 (MBB 426). D2: Franz Rosenzweig. Eine Gedenkschrift, Frankfurt a. M. 1930, S. 20-23 (MBB 426). D3: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 185-189 (MBB 459). D4: JuJ, S. [815]-818 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 76,3-4 gesetzt: […] Treue] gesetzt, die auf Deutsch etwa durch »Reite für die Sache der Treue« wiederzugeben sind D4 76,5-8 zugehörige, […] hatte er] zugehörige Wort, auf Deutsch: dringe durch, hatte er D4

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76,18 lautet: […] ‫ ]צלח‬besagt, bei der 2. Auflage des »Sterns« solle dem Motto das fehlende Wort »Dringe durch« D4 76,26 ‫» ]צלח‬Dringe durch« D4 76,30 ‫» ]הצלחה‬Durchdringen« D4 77,28 aber der Dienst] aber der Geist D3, D4 78,11-15 Deinen Schwertgurt […] Heil dir,] Gürte Held, dein Schwert an die Hüfte, / deine Hehre und deinen Glanz! / Dein Glanz ists: / dringe durch! D4 78,22 ‫» ]צלח‬Dringe durch« D4 78,23 ‫ ]צלח‬das D4 78,26 glauben, wir sprechen mit ihm: ‫ ]צלח‬sprechen: Dringe durch! D4 Wort- und Sacherläuterungen: 76,21 nemo ante mortem beatus] lat.: »niemand ist vor seinem Tod glücklich«. Die zumeist in dieser verkürzten Form zitierten Worte lauten bei Ovid, Metamorphosen 3, 136 f. eigentlich: »dici beatus ante obitum nemo debet«. Hintergrund ist ein angeblicher Ausspruch Solons zu Krösus, vgl. Herodot, I, 32. 76,24 »das herrliche Wort an den Helden«] Hermann Cohen, Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Leipzig 1919, S. 499.

Franz Rosenzweig † In diesem Nachruf auf Franz Rosenzweig, der im Dezember 1929 gestorben war, charakterisiert Buber Rosenzweigs Stern der Erlösung (1921) als »das System einer […] Begegnung von Philosophie und Theologie.« (In diesem Band, S. 79.) Dabei gehe es nicht um ein »bloßes Philosophieren über die konkrete Existenz« (ebd.), sondern darum, diese Realität mit einem die ganze Persönlichkeit umfassenden Einsatz zu bezeugen. Man solle deswegen Rosenzweigs magnum opus als ein Philosophieren auffassen, das als »realiter sich bewährendes« (ebd.) sich zu erweisen habe. Sein Zentrum sei die Offenbarung, welche mit der menschlichen dialogischen Sprache identisch sei. Buber unterstreicht des Weiteren die zentrale Bedeutung der Welt, den Bereich des alltäglichen Hier und Jetzt, wenn es sich um die Begegnung von Gott und Mensch in dieser philosophierenden Theologie handelt. In diesem Sinne verleihe die Theologie der Philosophie Objektivität, während die Philosophie – die seit Arthur Schopenhauer (1788-1860), Sören Kierkegaard (1813-1855) und Friedrich Nietzsche (1844-1900) in immer stärkerem Ausmaß die individuelle Existenz betonte, was Martin Heidegger

Franz Rosenzweig †

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(1889-1976) schließlich als »existentiell« bezeichnete – die Theologie dazu dränge, das »Existentielle« zu würdigen. Letztendlich stelle sich im Stern der Erlösung die religiöse Realität als »Lebensprozess« dar, der die dynamische Triade Gott-Welt-Mensch berücksichtige und mit ihr korreliert sei. Sie müsse durch die Menschen manifestiert werden. In dem Maße, wie jede Person wahrhaft ihren Anteil an der Wirklichkeit bezeuge, werde sie zum Zeugen und Teilhaber der Wahrheit, die als ganze allein Gottes sei. Textzeugen: D1: Kantstudien, 35. Jg., Heft 4, 1930, S. 517-522 (MBB 425). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 190-199 (MBB 459). 3 D : Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 244251 (MBB 919). D4: JuJ, S. [819]-824 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Franz Rosenzweig, in: Pointing the Way. Collected Essays, übers. und hrsg. von Maurice Friedman; New York: Harper 1957, S. 87-92 (MBB 1045). Variantenapparat: 80,37 auf einer Ebene] in einem Bereich D3 82,6 Miteinander] Miteinander als die katholische D2, D3, D4 82,12 wortgewaltige] wortmächtige D3 82,28-29 Dingen, und so […] handelt] Dingen D4 83,20 ganzen] hervorgehoben D2, D3, D4 Wort- und Sacherläuterungen: 79,17 Meinecke] Friedrich Meinecke (1862-1954): bedeutender liberaler dt. Historiker. 1912 promovierte Rosenzweig bei ihm in Freiburg. 79,18 in einem Nachruf] Friedrich Meinecke, [Notiz], Historische Zeitschrift, Bd. 142, (1930), Heft 1, S. 219-220, hier S. 220: »Der Weltkrieg machte ihn irre an dem zuerst verfolgten Wege, die Höhen der deutschen protestantischen Kultur zu erforschen; darum flüchtete er in die Welt seines Blutes. Aber durch jenes Buch über Hegel hat er der deutschen Geistesgeschichte ein Werk von bleibendem Werte hinterlassen.«

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84,11 »Akademie für die Wissenschaft des Judentums«] Von 1919 bis 1934 existierte die Akademie als freie Forschungsstätte, die mit hohen wissenschaftlichen Standards die Erforschung des Judentums vorantreiben wollte. An den staatlichen Universitäten gab es weltweit so gut wie keine Lehrstühle für die Bereiche, die heute als Jüdische Studien bezeichnet werden.

Das Judentum und die neue Weltfrage Bei diesem Text handelt es sich ursprünglich um einen Vortrag, der im Westdeutschen Rundfunk im Rahmen einer Reihe über »Die Religion und das neue Weltbild« gehalten wurde. Das genaue Datum der Ausstrahlung konnte nicht mehr ermittelt werden. Zum Abdruck gelangte der Text schließlich 1930 in einer Festschrift anlässlich des siebzigsten Geburtstags von Simon Dubnow. Buber rückt den ihm vorgegebenen Titel zurecht, indem er von einer »neuen Weltfrage« spricht, ohne jedoch das »neue« daran explizit zu bestimmen. Implizit lässt sich dem Vortrag entnehmen, dass Buber damit die Beziehung des Geistes zu den konkreten Realitäten der materiellen Weltordnung meint. Die Neigung deutscher Intellektueller, sich in einen inneren Bezirk des Geistes zurückzuziehen, statt sich mit der bitteren existenziellen und politischen Hinterlassenschaft des Ersten Weltkrieges auseinanderzusetzen, erkannte Buber in den letzten Jahren der Weimarer Republik zunehmend als höchst problematisch. Der verbindliche, wenn auch unausgesprochene Rahmen, in den Buber die »neue Weltfrage« stellt, ist seine Unterscheidung zwischen einem subjektiven »Erlebnis« und einer objektiven »Erfahrung«, die durch die konkrete soziale und historische Realität bestimmt werde. So sei die Weltfrage als die Herausforderung »jetzt und noch wieder« an den Sinn des Lebens zu glauben, nicht an den subjektiven Sinn des Lebens, sondern an den objektiven Sinn des Lebens gebunden, wie er sich in dem Hier und Jetzt der Menschengemeinschaft entfaltet. Das Judentum sei in einzigartiger Weise befähigt, diese Herausforderung anzunehmen, weil es sowohl ein »Volk« als auch eine »Religion« sei. Als »Geschichtsreligion« sei gerade nicht seine Aufgabe, den Geist von den sozialen und politischen Realitäten zu trennen. Die Aufgabe der Religion bestehe daher in der Realisation der »Leiblichkeit des Geistes«.

Vorrede [zu Kampf um Israel]

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Textzeugen: D1: Festschrift zu Simon Dubnows siebzigstem Geburtstag, 2. Tischri 5691, hrsg. von Ismar Elbogen, Josef Meisl und Mark Wischnitzer, Berlin: Jüdischer Verlag 1930, S. 82-86 (MBB 428). D2: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 21-28 (MBB 459). D3: JuJ, S. [234]-238 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Französisch: Le Judaisme et l’angoisse mondiale, La Revue Juive de Genève, 1. Jg., 6. Heft, S. [243]-246 (MBB 470). Variantenapparat: 85,7 Meine werten Zuhörer!] fehlt D2, D3 85,24 kriege] bekomme D3 85,25 Sinn] nicht hervorgehoben D2, D3 86,30-31 , die größte […] Jahrhunderte,] fehlt D3 Wort- und Sacherläuterungen: 86,36-38 Ein Chassid wird nach dem Tode […] gerade abgab.«] Vgl. »Das Wichtigste«, in: Buber, Die Erzählungen der Chassidim, S. 647 (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [899]).

Vorrede [zu Kampf um Israel] Die »Vorrede« bildet das Vorwort zu der 1933 im Schocken Verlag publizierten Anthologie Kampf um Israel und ist nur wenige Wochen vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler geschrieben worden. Mit dem im Titel genannten Israel ist hier das jüdische Volk gemeint. Die Anthologie versammelt kürzere Aufsätze und Vorträge aus dem Zeitraum von 1921-1932, und zeichnet somit die Wende in Bubers Denken nach, die er als die letztgültige »dritte Station« in der Herausbildung seines Konzepts des Judentums bezeichnete. (Vgl. »Drei Stationen«, in diesem Band, S. 75.) Während sich Buber zur Zeit der ersten beiden Stationen innerhalb des zionistischen Rahmens bewegt und sich demnach auf die kulturellen und politischen Angelegenheiten des »natürlichen Juden« konzentriert, wendet er sich in der dritten Stufe zunehmend der religiö-

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sen Berufung des »übernatürlichen Juden« zu, der in der jüdischen Tradition mit »Israel« bezeichnet wird. Textzeugen: D: Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 9-16 (MBB 459). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 89,8 »Ich und Du«] Ich und Du, Leipzig: Insel-Verlag 1923 (jetzt in: MBW 4). 89,8 »Zwiesprache«] Zwiesprache, Berlin: Schocken Verlag 1932 (jetzt in: MBW 4). 89,8-9 die Rede über das Erzieherische] Rede über das Erzieherische, Die Kreatur 1 (1926), Heft 1, S. 31-51 (jetzt in: MBW 8, S. 136-154). 89,9-10 und die andern Arbeiten zum Problem der Gemeinschaft] vgl. die Schriften in MBW 11.1. 89,10 »Königtum Gottes«] Königtum Gottes, Berlin: Schocken Verlag 1932. 89,10-11 die Bemerkungen zur Verdeutschung der Schrift] Erst 1936 erschien im Schocken Verlag Berlin Martin Buber und Franz Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung (jetzt in: MBW 14). 89,11-12 »Der große Maggid« und »Das verborgene Licht«] Der große Maggid und seine Nachfolge, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1922 und Das verborgene Licht, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1924. Diese Sammlungen chassidischer Erzählungen sind eingegangen in Die Erzählungen der Chassidim, Zürich: Manesse Verlag 1949. (Vgl. MBW 18.1, S. 51-67 und S. 72-86.) 89,13 Geleitworte zur Gesamtausgabe der »Reden über das Judentum« (1923) und zu den »Chassidischen Büchern« (1927)] Das Geleitwort zur Gesamtausgabe unter dem Titel »Eine Vorrede«, in diesem Band, S. 27-32; »Geleitwort« zu den Chassidischen Büchern (1927) (jetzt in: MBW 17, S. 129-143). 90,34 Israel ist nicht »wie alle Völker«] Vgl. I Sam 8,5 u. 20. 91,35 »statt Brotes Äther«] Nicht ermittelt. 92,15 »Nachahmung Gottes«] Vgl. in diesem Band, S. 35-44. 92,25 die Antwort auf […] unter dem Titel »Die Bauleute«] Vgl. »Die Brennpunkte der jüdischen Seele«, Der Morgen VIII/5 (1932), S. 375384 (jetzt in: MBW 9, S. 128-137).

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Das Erste

92,36-37 nur zwei Stücke von allgemeinerem Interesse mitgeteilt] »Universität und Volkshochschule (Brief an die Exekutive der Zionistischen Organisation in London vom 22. Januar 1924)«, in: Kampf um Israel, S. 303-308 (jetzt in: MBW 8, S. 132-135) sowie »Volkserziehung als unsere Aufgabe (Referat, gehalten auf dem XXI. Delegiertentage der deutschen Zionisten, 1926)«, in: Kampf um Israel, S. 309326 (jetzt in: MBW 8, S. 155-164). 93,2-3 auf der (unöffentlichen) Heppenheimer Tagung] Zu dieser Tagung vgl. Juliane Jacobi, Einleitung, in: MBW 8, S. 11-76, hier S. 13.

Das Erste Der Artikel, der am 21. April 1933 in der Jüdischen Rundschau erschien, war ein leidenschaftlicher Appell Bubers, in welchem er ausführt, was er für die erforderliche jüdische Reaktion auf den Nationalsozialismus hält. Veröffentlicht nur kurz nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 und dem in der folgenden Woche erlassenen Gesetz zum Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben, appellierte er an die deutschen Juden, ihre Humanität, persönliche Integrität und Würde zu bewahren und an dem Kern ihrer humanistischen und jüdischen Werte angesichts der Kampagne, die sie zu erniedrigen und zu entmenschlichen trachtete, festzuhalten. In der folgenden Zeit entwickelte Buber ein umfassendes Kultur- und Bildungsprogramm, um die geistige Widerstandskraft des deutschen Judentums zu stärken. Um dieses Programm umsetzen zu können, schlug er der im September 1933 gegründeten Reichsvertretung der Deutschen Juden die Gründung eines Bildungsamts vor, aber trotz der Zwangslage solle es »keine Notstandsbaracke, sondern ein standfestes Haus« sein, »wenn’s auch die Not ist, die drängt es zu bauen.« (»Unser Bildungsziel«, Jüdische Rundschau 38, Nr. 54 vom 7. Juli 1933, S. 309; jetzt in: MBW 8, S. 245-248, hier S. 245.) Einige Wochen später, am 21. Juli 1933, wurde der Artikel Bubers in der linkskatholisch orientierten Rhein-Mainische Volkszeitung zusammen mit »Die Kinder« (jetzt in: MBW 8, S. 235-237) unter dem Titel »Zwei jüdische Aufrufe« wieder abgedruckt, was sicherlich als Akt der Solidarisierung mit den verfolgten Juden betrachtet werden kann. Diese während der Weimarer Republik bedeutende Zeitung musste nach zunehmenden Repressionen 1935 eingestellt werden (der Textzeuge konnte nicht beschafft werden).

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Einzelkommentare

Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 13); 4 lose unpaginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. D1: Jüdische Rundschau, XXXVIII/32, 21. April 1933, S. 153 (MBB 465). D2: Die Stunde und die Erkenntnis. Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag, S. 14-17 (MBB 538). D3: JuJ, S. [580]-582 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Hebräisch: Ha-davar ha-rischon, Ha-olam vom 1. Ijar 1933, S. 242 (MBB 486b). Variantenapparat: 94,7 Tatsache] [Wahrheit] ! Tatsache H 94,15 freundlichen] [sicheren] ! freundlichen H 94,16 bewährt] [bezeigt] ! bewährt H 94,19 zu wissen bekommen] [erfahren] ! zu wissen bekommen H 94,19 gewußt] [erfahren] ! gewusst H 94,20 ruhende Fläche] [feste Grösse] ! ruhende Fläche H 94,22 bezeugt] [wahrhaft da] ! [wirklich] ! bezeugt H 94,24 persönlich-existentiellen Werte] [Lebenswerte] ! persönlich-existentiellen Werte H 94,30 ein Untergang] [eine Katastrophe] ! ein Untergang H 94,33 Daseinswerten] [Lebenswerten] ! Daseinswerten H 94,33 über die Wahrung des Besitzes] hüber die Wahrung des Besitzesi H 94,34 eingeborenen] [eigenen] ! eingeborenen H 94,34-35 der Treue […] dem Leben] [und über ihr noch die Treue zur Wahrheit, so rein und echt wie diese irgend zu fassen vermögen, darüber noch aber] ! der Treue […] dem Leben H 94,36-37 , die Gebundenheit an den Bindenden,] h, die Gebundenheit an den Bindenden,i H 94,38 enteignen] [beleidigen] ! [berauben] ! [entrechten] ! enteignen H 95,2 Gewalt] [Macht] ! Gewalt H 95,3 der echten Dienstbarkeit] [dem echten [Dienst] ! Lebensdienst] ! der echten Dienstbarkeit H 95,8 unserm Ursprung und Ziel] [Gott] ! unserm Ursprung und Ziel H

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Der jüdische Mensch von heute

95,10 , einer Freiheit ohne Richtung und Sinn] h, einer Freiheit ohne Richtung und Sinni H 95,11 gestrebt und haben vergessen] [angehangen und nicht erkennen wollen] ! gestrebt und haben vergessen H 95,24 all ihren trügerischen Sicherungen] [allem Drum und Dran] ! all ihren trügerischen Sicherungen H 95,26 die finstere Schlucht] [den Abgrund] ! die finstere Schlucht H 95,27 manifestieren] [offenbaren] ! manifestieren H Wort- und Sacherläuterungen: 95,28 Ein führender protestantischer Theologe] Es handelt sich dabei um den Schweizer Theologen Emil Brunner (1889-1966). Vgl. dessen Brief vom 10. April 1933 in: B II, S. 477.

Ein Dankesgruss Martin Buber nahm, wie im Untertitel des Abdrucks seiner Grußadresse verzeichnet ist, als »Delegierter der Universität Jerusalem« an den Feierlichkeiten aus Anlass des hundertjährigen Bestehens der Universität Zürich teil, die 1833 ihren Lehrbetrieb aufgenommen hatte. Während des Sommersemesters 1899 war Buber selbst an der Universität eingeschrieben. (Eine Aufstellung der besuchten Veranstaltungen findet sich in MBW 1, S. 303.) Die eigentliche Feier fand am 29. und 30. April 1933 statt; Bubers Dankesgruss erschien allerdings bereits einen Tag zuvor. Das Rundschreiben der Jüdischen Pressezentrale Zürich, in dem »Ein Dankesgruss« abgedruckt wurde, kündigt daneben für den 1. Mai einen öffentlichen Vortrag Bubers zum Thema »Der jüdische Glaube und das öffentliche Leben« an, der sich nicht erhalten zu haben scheint. Textzeugen: D: Jüdische Pressezentrale Zürich, 16. Jg., Nr. 743, 28. April 1933, S. 5 (MBB 464). Druckvorlage: D

Der jüdische Mensch von heute Diese kurze, aber erschütternde Darstellung bringt Bubers Reaktion auf den ersten großen Angriff der neuen nationalsozialistischen Regierung

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Einzelkommentare

auf das jüdische Leben in Deutschland zum Ausdruck. Am 1. April 1933 war zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen und wenig später das sogenannte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erlassen worden, das Juden aus dem öffentlichen Dienst ausschloss. Der kurze Text ist prominent auf dem Titelblatt der Logen-Zeitschrift gedruckt, deren Ausgabe »dem hochwürdigen Grosspräsidenten Br[uder] Leo Baeck in herzlicher Verehrung gewidmet« ist. Eine ähnlich herausgehobene Position kommt diesem Beitrag auch in den beiden anderen Textzeugen zu, im Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5694 und in Die Stunde und die Erkenntnis. Textzeugen: D1: Der Orden Bne Briss. Mitteilungen der Großloge für Deutschland, Nr. 5, Mai 1933, S. 1 (MBB 471). D2: Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5694, Berlin: Schocken Verlag 1933, S. 5 (MBB 471). D3: Die Stunde und die Erkenntnis. Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag, S. 13 (MBB 538). D4: JuJ, S. [557] (MBB 1216). Druckvorlage: D1

Adel Die Jüdische Rundschau widmete ihre Ausgabe vom 23. Mai 1933, die auf Leo Baecks 60. Geburtstag (1873-1956) fiel, Worten der Wertschätzung für diesen führenden Vertreter des liberalen Judentums, wozu auch Buber seinen Beitrag beisteuerte. Wie Buber unter Berufung auf einen nicht genannten Gesprächspartner feststellt, verkörpere Leo Baeck (1873-1956) Qualitäten eines »echten Adels«, wie etwa Traditionsbewusstsein – »Urzusammenhang« und »organische Wesenseinheit«, die einen Kernbestand des Judentums selbst bezeichneten. Wie sehr diese Einschätzung allgemein geteilt wurde, wird daraus ersichtlich, dass Baeck im September 1933 zum Präsidenten der neugegründeten Reichsvertretung der Deutschen Juden gewählt wurde. Diese Organisation war ein Dachverband, der die kulturellen und juristischen Aktivitäten koordinierte, um der bedrängten jüdischen Gemeinschaft im Angesicht der zunehmenden Verfolgung Beistand zu leisten. Buber wird in seiner 1943 entstandenen kurzen, ebenfalls Leo Baeck

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Gericht und Erneuerung

gewidmeten Arbeit »In Theresienstadt« auf diesen Text zurückkommen (vgl. in diesem Band, S. 167.) Textzeugen: D: Jüdische Rundschau, 38. Jg., Nr. 41, 23. Mai 1933, S. 213 (MBB 461). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 98,3-4 Vertreter des deutschen Adels] Nicht ermittelt.

Gericht und Erneuerung Bei diesem Artikel handelt es sich um einen ergreifenden Aufruf an die deutschen Juden im September 1933 anlässlich des jüdischen Neujahrsfests, das an die Erschaffung der Welt erinnert und dessen zentrales Thema das göttliche Gericht und die Welterneuerung ist. Buber ruft die Juden auf, ihr persönliches Streben nach Erneuerung ihres spirituellen Lebens mit der Anstrengung zu verbinden, die Einheit der Gemeinde zu stärken. Gegen die um sich greifende Stimmung der »Dunkelheit« und Verzweiflung bemüht sich Buber, seinen Lesern mit Hilfe von traditionellen Texten und Sprachbildern die Erfahrung von »Licht« und Tatkraft zurückzugeben. Es komme, wie er ausführt, alles darauf an, den Ruf der Stunde mit einem Akt der »Umkehr der Gesamtheit« zu beantworten. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 13); 3 lose, unpaginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit vielen Korrekturen versehen. D1: Jüdische Rundschau, 38. Jg., Nr. 75/76, 20. September 1933, S. 545 (MBB 466). D2: Die Stunde und die Erkenntnis. Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag, S. 23-26 (MBB 538). D3: JuJ, S. [586]-588 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Hebräisch: Mischpat we-hitchadschut, Ba-derekh, 38. Jg., Erev Jom hakippurim 694 (1933) (MBB 487a).

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Einzelkommentare

Variantenapparat: 99,2 ist die Welt an der Geburt] [geht schwanger die Welt] ! ist die Welt an der Geburt H 99,4 den Vorgängen] [dem Zeitpunkt] ! [den Ereignissen] ! den Vorgängen H 99,5 Tag] Festtag D2, D3 99,10 Wahrheit sich darstellt] Wahrheit, Wahrheit des Kosmos und Wahrheit der Seele, sich darstellt H 99,16 zu erweisen] [beteuern und] zu unterweisen H 99,17-18 aufgerührten] [erschütterten] ! aufgerührten H 99,18 sich von ihr abkehren] [bereuen] ! sich von ihr abkehren H 99,26 erfährt] erfahren kann H 99,26 Abgesandter] Vertreter H 99,28-29 die Posaune, die] [der Schofar der] ! die Posaune, die H 99,29-30 Ankündigung der geschehenen] Verkündigung der vollzognen H 99,32 Bilder] [religiöse] Metaphern H 99,33-34 in dem Gericht […] Erneuerung birgt] [die Erneuerung ihr in der Gestalt des Gerichts naht] ! in dem Gericht […] Erneuerung birgt H 99,35-36 wird ihm Erneuerung werden] [dann wird es erneuert werden] ! darf es auf Erneuerung hoffen H 99,36-37 Kehren sie um?] Kehren sie um? [Wenden sie sich von ihrer Zweckbesessenheit, von ihrer Selbstsucht] H 100,1 hoffnungsloses] [aussichtsloses] ! hoffnungsloses H 100,1 es um die geht] [die gemeint ist] ! es um die geht H 100,2 Um die Lauheit] [Und jene, die man zu Unrecht dir zuschreibt, weist dich doch auf diese hin! Könnten wir] ! Um die Lauheit H 100,3 geschäftige] [schale] ! [eitle] ! geschäftige H 100,5 um die »Trägheit des Herzens«] [um den Mangel an Demut, an Hingabe, an Vergegenwärtigung des Mitmenschen,] ! um die »Trägheit des Herzens« H 100,8 Wir sind treulos gewesen] Wir haben treulos gehandelt H 100,11 Ich bins] Ich habe H 100,13 Sündigen, bürgen«] Sündigen bürgen« [: wenn eines Genossen Sünde tat, ists als hätte ers selber getan] H 100,17 Das Unheil, das] Die Katastrophe, die H 100,19 leidet seine Not] [weiss um sein Leid] ! leidet seine Not H 100,20 Gesamtheit] Gemeinschaft H 100,21 Modus] [Boden] ! Modus H 100,21 schicksalhafte] [sinnvolle] ! schicksalhafte H

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Name verpflichtet

100,26 Gesamtheit begibt?] Gemeinschaft [vollzieht] ! begibt H 100,27 das deutsche Judentum] die Gemeinschaft H 100,30 Sie schrecken […] Volk] [Man bläst die Posaune, und das Volk schrickt nicht auf] ! Sie schrecken […] Volk H 100,33 Judenschaft] Gemeinschaft H 100,33 manchen von euch] euch H 100,35 manchen von euch] euch H 100,36 ahnungslos] fehlt H Wort- und Sacherläuterungen: 99,2-3 »Heute ist die Welt […] der Welten.«] Aus dem Mussaf-Gebet des Gottesdienstes von Rosch ha-Schana, vgl. Nosson Scherman, The Complete ArtScroll Machzor Rosh Hashanah, Nusach Ashkenaz, New York 1996, S. 520. 99,23-24 Die Umkehr, so lehren unsere Weisen, ist älter als die Welt.] bPes 54a (BT, Bd. II, S. 470); Tanchuma (Buber) Naso 19. 99,27-28 »Gedächtnis des ersten Tags«.] Der jüdische Neujahrstag wird als Tag, an dem sich die Schöpfung jährt, aufgefasst. 99,28 Aber die Posaune] Gemeint ist das Schofar, das Widderhorn, dessen Blasen das wichtigste Ritual des Tages ist. 100,5 »Trägheit des Herzens«] Mit »Trägheit des Herzens« wird oft die lateinische Bezeichnung der siebten Todsünde »Acedia« übersetzt. 100,7 im Sündenbekenntnis] Im kleinen Sündenbekenntnis an Jom Kippur. 100,12-13 »all Israel Ein Leib […] bürgen«] bShevu 39a-b (BT, Bd. IX, S. 365). 100,29-30 »Bläst man je […] sie schrecken nicht auf?«] Am 3,6.

Name verpflichtet In Folge der mit dem 1. April 1933 einsetzenden staatlich organisierten Judenverfolgungen wurde neben dem Boykott jüdischer Geschäfte und der Entlassung jüdischer Beamter auch ein Auftrittsverbot für jüdische Künstler, Musiker und Schauspieler verhängt und selbst das technische Bühnenpersonal der Theater verwiesen, was über 8.000 Menschen betraf. (Vgl. Eike Geisel und Henryk M. Broder, Premiere und Pogrom. Der Jüdische Kulturbund 1933-1941, Berlin 1992, S. 9 f.) Da zunächst selbst den nationalsozialistischen Machthabern noch unklar war, was mit den Entlassenen anzufangen sei und man zu dieser Zeit noch um den Ruf im Ausland besorgt war, wurde im Sommer 1933 die Gründung des

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Einzelkommentare

Kulturbunds Deutscher Juden gestattet, der auf Initiative von Kurt Singer (1885-1944), des vormaligen Intendanten der Berliner Städtischen Oper, ins Leben gerufen wurde. Die Arbeit des Bundes sollte es ermöglichen, den entlassenen jüdischen Künstlern einen wenn auch bescheidenen Lebensunterhalt zu verschaffen, indem ein selbständiger Kultubetrieb neben dem praktisch »arisierten« organisiert wurde. »Auf diese Weise konnten sie [die Nazis] die Juden planmäßig von Bühnen und aus Konzertsälen verdrängen, ohne daß etwa die arbeitslosen Künstler und Angestellten der staatlichen Fürsorge zur Last fielen. Im Sommer 1933 genehmigten die Behörden, die mit einer derart bequemen Lösung gar nicht gerechnet hatten, die Gründung eines ›Kulturbunds Deutscher Juden‹.« (Ebd., S. 10.) Bei seiner Gründung stellte der Kulturbund mehr als 1300 männliche und 700 weibliche Künstler ein, die für ein ausschließlich jüdisches Publikum in ganz Deutschland Theaterstücke, Opern und Konzerte aufführten sowie Vorträge hielten und Ausstellungen organisierten, zu denen nur Juden und deren nichtjüdische Ehegatten Zutritt hatten. 1935 musste auf Geheiß der Gestapo aus dem Namen des Kulturbunds das Wort »deutsch« gestrichen werden. In seinem Beitrag zum ersten Heft der vom Kulturbund herausgegebenen Monatszeitschrift im Oktober 1933 betont Buber die Einheit stiftende Funktion der Kultur. Dabei gehe es um die Bewahrung einer spezifischen, einer originär deutsch-jüdischen Kultur. Buber bezieht sich zu diesem Zeitpunkt also noch positiv auf Vorstellungen einer deutsch-jüdischen Symbiose, die von den Machthabern längst ad absurdum geführt worden waren. Zudem solle der Kulturbund die Einheit, »Bindung« unter den deutschen Juden vertiefen. Darüber hinaus ruft Buber den Kulturbund auf, jüdische Themen neben dem widerständigen Festhalten an der deutschen Kultur nicht zu vernachlässigen. Damit ist ein gewisser Widerspruch zwischen Bubers programmatischen Ausführungen und der gesellschaftlichen Realität zu verzeichnen: »Buber beschwor die innere Bindung, die Unmittelbarkeit und andere Lebensgefühle der deutschen Jugendbewegung genau in dem Augenblick, als diese radikal verwirklicht wurden, als die Gesellschaft sich in Gefolgschaft verwandelte.« (So die kritische Einschätzung von Geisel und Broder, Premiere und Pogrom, S. 11.) Textzeugen: D: Kulturbund deutscher Juden – Monatsblätter, 1. Jg., Nr. 1, Oktober 1933, S. 2-3 (MBB 476). Druckvorlage: D

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Freiheit und Aufgabe

Vorbehaltlose Hingabe: Der Weg Im Frühjahr 1934 bat das in Hamburg erscheinende Israelitische Familienblatt führende Vertreter der deutschjüdischen Gemeinschaft um eine Stellungnahme zu der Frage »Was sollen wir tun?« In seiner Antwort fordert Buber in einer Ausdruckweise, die an Heidegger erinnert, die Juden dazu auf, auf falsche Sicherheiten zu verzichten und sich dem »Hingeworfensein« in eine grausame Realität uneingeschränkt zu stellen. Der dafür benötigte Mut solle aus dem Vertrauen in »unseren Vater und König« geschöpft werden. Textzeugen: D1: Israelitisches Familienblatt, XXXVI, Nr. 23 vom 7. Juni 1934, S. 2 (MBB 510). D2: »Worauf es ankommt. Zu einer Rundfrage (Juni 1934)«, in: Die Stunde und die Erkenntnis – Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 51-52 (MBB 538). D3: »Worauf es ankommt. Zu einer Rundfrage (Juni 1934)«, in: JuJ, S. 591 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 102,1-2 Vorbehaltlose Hingabe […] Schlußwort] Worauf es ankommt / Zu einer Rundfrage D2, D3 102,3 vorstehenden drei] fehlt D2, D3 102,10-11 uns ein religiöses Leben not tue] wir ein religiöses Leben brauchen D2, D3 102,20-21 fassen wir den heiligen Entschluß] laßt uns den heiligen Entschluß fassen D2, D3 102,27 bleiben wir] nur dann bleiben wir D2, D3

Freiheit und Aufgabe Die Auslegung zweier Midrasch-Traditionssträngen ist ein Beitrag zum Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5695 und wurde zum Gedenken an den kürzlich verschiedenen Chajim Nachman Bialik (18731934) geschrieben, der als Dichter der sprachlichen Erneuerung des Hebräischen und meisterhafter Kompilator rabbinischer Legenden gilt. Die ausgewählten Bibelinterpretationen fordern den damaligen und

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Einzelkommentare

heutigen Leser heraus, sich der jüdischen geschichtlichen Wahrheit zu stellen. Dem ersten Traditionsstrang zufolge lernt Abraham, der Vater der Nation, dass seine Bestimmung nicht schicksalshaft von den Sternen abhänge, sondern einer Entscheidung bedürfe: das sei es, was der lebendige Gott von den Menschen verlange. Nur der Mensch, der an Gottes Freiheit glaube und dies in seinem Leben verwirkliche, sei wirklich frei. Freiheit sei die Erfüllung der historischen Berufung, und eine derartige Orientierung übersteige die Schrecken der Geschichte. Die zweite Zusammenstellung von biblischen Traditionen betrifft Israels Berufung und konzentriert sich auf die Auslegung der Himmelsleiter in Jakobs Traum (Gen 28,10-22). Im Angesicht einer Vision von vielerlei geschichtlichen Knechtschaften, sei Israel beauftragt, Vertrauen in die von Gott verkündete Bestimmung zu setzen, eine Bestimmung, die anders als die der anderen Völker nicht auf Macht und Ehre abziele. Israels Bestimmung sei überhistorisch und realisiere sich in einer fortwährenden Bundesverpflichtung, im Rahmen eines nationalen historischen Lebens. Das sei kein utopisches Versprechen, sondern eine konkrete messianische Orientierung in einer historisch gegebenen Zeit. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 12a); 5 lose paginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit einigen Korrekturen versehen. D1: Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5695, Berlin: Schocken Verlag 1934, S. 23-29 (MBB 497). D2: Die Stunde und die Erkenntnis – Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 35-40 (MBB 538). D3: JuJ, S. S. 212-215 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Hebräisch: Cherut we-jiʿ ud. Le-Zekher Chaim Nachman Bialik, in: Teʿ uda we-jiʿ ud; Bd. 1: Ma’amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 215-225 (MBB 1135). Variantenapparat: 103,3 Deutungen] [Erzählungen] ! Deutungen H 103,7 wissen] [erfahren] ! wissen H 103,8 verwirklicht haben.] verwirklicht haben. / Die beiden [Erzählungen] ! Deutungen handeln von Nachtgesichten der Väter. Die erste

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Ein Spruch des Maimuni

knüpft sich an den Genesis-Bericht von der »Schau«, in der Abram von Gott in die Nacht hinausgeführt wird, um auf den Himmel zu blicken, ob er die Sterne zählen könnte, die zweite an den GenesisBericht von Jakobs Traum zu Bet-El. H 103,9 ganz] [in [einheitlichem] ! geschlossenem Zusammenhang] ! ganz H 103,12 vorher vorgetragener] fehlt H 103,19 ihnen] denen D3 103,21 gebracht] berufen H 104,2 Version] Variante D2, D3 104,25 kein Belieben] kein Belieben [, kein Schweifen im Reich der Möglichkeit; keine Willkür] H 104,38 Da ruft Gott] [Geblendet starrt er] ! Da ruft Gott H 105,1 keinen Niederstieg] [in Weltzeit] keinen Niederstieg H 105,3 Verstört] [Bestürzt] ! Verstört H 105,28 echten Gottesbundes] [Bundes] ! echten Gottesbundes H 105,30 so reichen] überreichen D2, D3 105,31-32 seinem Affen] einem Götzen D2, D3 105,37 Bundes] Bundeswesens D2 Bundwesens D3 106,2 geschickt] [getan] ! geschickt H Wort- und Sacherläuterungen: 103,25 »führte ihn hinaus ins Freie«] Gen 15,5: »und er führte ihn hinaus«. 103,29 Künder] Bubers Übersetzung von hebr. Navi statt des üblichen »Prophet«. 103,35-37 das sündige Ninive, […] kehrt um] Jona 3,5-10.

Ein Spruch des Maimuni Der Artikel wurde geschrieben anlässlich des 800. Geburtstags des bedeutendsten mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophien Maimonides (1135-1204). Buber geht in seiner Darlegung von der letzten Anweisung in den Hilkhot Teschuva (»Gesetze zur Umkehr und Reue«) aus, einem Abschnitt aus Maimonides’ monumentalem Werk Mischne Tora, weil er sie für »diese unsere Stunde« als besonders bedeutungsvoll erachtet. Die Lehre erklärt, dass die Liebe zu Gott fest ins menschliche Herz gepflanzt sein müsse, so dass sie zum Fokus des eigenen Lebens werde, und dass diese Liebe dem Wissen, das man von Gott erlangen könne, entspreche, sei es nun umfassend oder geringfügig. Buber er-

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Einzelkommentare

gänzt, zu lieben bedeute, die Wahrheit zu tun. Wie aber könne man von Gott und Wahrheit in dieser dunklen Zeit wissen, und wie könne man wissen, was Wahrheit bedeute bei all ihrem Missbrauch in der Gegenwart? Müsse man sie nicht kennen, um sie tun zu können? Als Antwort verweist Buber auf das Beispiel Abrahams, der Gottes Ruf, sein Vaterland zu verlassen, vernahm und ohne sich abzusichern und Gott zu fragen, wo er sei, ihm geantwortet habe. Buber stellt den jüdischen Lesern die Frage, ob sie sich noch angesprochen fühlen und noch die ihnen schicksalhaft gestellte Aufgabe vernehmen können. Und weiter führt Buber aus, dass Maimonides Lehre diese Fragen mit dem biblischen Gebot beantworte: »Liebe IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht.« (Dtn 6,5; in diesem Band, S. 107.) So müsse man sich fragen, wie man auf die gegenwärtige Lage mit seiner ganzen Seele reagieren könne. Denn das, was man mit seiner ganzen Seele und seinem Vermögen ausrichten könne, das sei die Wahrheit. Und wenn man demgemäß handle, fange man an zu lieben, und auch wenn die Wahrheit jetzt noch unbekannt sei, so werde die doch durch solche Liebe bekannt werden. Textzeugen: D1: Israelitisches Familienblatt, 37. Jg., Nr. 15 (11. April 1935), S. 9 (MBB 528). 2 D : Die Stunde und die Erkenntnis – Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 53-54 (MBB 538). D3: JuJ, S. 592-593 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 107,10-11 , aus dem letzten […] scheint mir sein] ist sein D2, D3 107,23 Geh vor dich hin] Geh du D3 107,24 deinem Geburtskreis, aus deinem Vaterhaus] deiner Verwandtschaft, aus dem Haus deines Vaters D3 107,36 all] hervorgehoben D2, D3 Wort- und Sacherläuterungen: 107,23-24 »Geh vor dich hin […] sehen lassen werde«] Gen 12,1. 107,35-36 »Liebe IHN […], mit all deiner Macht.«] Dtn 6,5.

Vorbemerkung [zu Hermann Cohen, Der Nächste]

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Martin Buber schreibt uns Dieser Beitrag Bubers wurde 1935 in einer Sonderausgabe der Jüdischen Rundschau anlässlich ihres 40jährigen Bestehens publiziert. Die Jüdische Rundschau war das »Organ der Zionistischen Vereinigung für Deutschland« und erschien zweimal pro Woche. Buber spielt in seinem Grußwort auf die führende Rolle der Zeitung für den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung an, wenn er schreibt, dass sie »stolz und gelassen« »die Judenheit und das Judentum seit 2 Jahren vertreten« habe. So hatte etwa Robert Weltsch seinen Leitartikel zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 mit dem exemplarisch gewordenen Aufruf versehen: »Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck!« Textzeugen: D: Jüdische Rundschau, Jg. 40, Nr. 31/32 vom 17. April 1935, S. 22 (MBB 526). Druckvorlage: D

Vorbemerkung [zu Hermann Cohen, Der Nächste] Dieser Text Bubers bildet die einleitende Bemerkung zu einem kleinen Sammelband von Überlegungen Hermann Cohens zu den biblischen Geboten der Nächsten- und der Fremdenliebe (Lev 19,18 und 19,34). Das schmale »Bändchen«, wie es in der Einleitung Bubers selbst heisst, erschien als Nr. 20 der Schocken Bücherei und wurde von Moritz Spitzer (1900-1982) herausgegeben. Buber legt zusammenfassend sein eigenes Verständnis dieser Gebote dar. Man müsse den anderen, der entweder dem eigenen Volk angehört oder »volksfremd« ist, als ebenso »liebesbedürftig« wie sich selbst anerkennen. Bezeichnenderweise gibt er im Gegensatz zu Luther, Cohen und Rosenzweig den hebräischen Ausdruck reʿ a mit »Genosse« und nicht mit »der Nächste« wieder, Buber hat hierbei einen Menschen im Sinn, den man in einem bestimmten Moment und in einer bestimmten Situation trifft, und der in dieser bestimmten örtlichen und zeitlichen Situation der »Mitmensch« ist, mit dem man durch die gemeinsame Humanität verbunden ist. 1935 geschrieben, also in einer Zeit zunehmender Bedrohung, hebt Buber die dringliche Bedeutung der »Botschaft des ›alten Testaments‹« (in diesem Band, S. 110) hervor.

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Einzelkommentare

Textzeugen: D: Hermann Cohen, Der Nächste, Berlin: Schocken Verlag 1935, S. 6-7 (MBB 530). Druckvorlage: D

Vorwort [zu Die Stunde und die Erkenntnis] Seit dem Machtantritt Hitlers wurde gegen die Juden eine Fülle von Gesetzen verhängt, die sie in steigendem Maße ihrer bürgerlichen und menschlichen Rechte beraubte. Im Unklaren über das Ausmaß der Bedrohung und den Angriffen auf ihre Würde und ihre körperliche Sicherheit schutzlos ausgeliefert, fühlten sich die Juden zunehmend in der deutschen Gesellschaft isoliert. In den Schriften, die 1936 unter dem Titel Die Stunde und die Erkenntnis vereinigt wurden, reagiert Buber auf diese Lage mit einem umfassenden Programm jüdischer Erwachsenenbildung, wobei er in seinem Vorwort mit der Rede von der »Stunde« auf die drängende Situation anspielt. In den zwanzig Aufsätzen und Reden des Bandes unterstreicht Buber immer wieder, dass sich die deutschen Juden in ihrem Streben nach jüdischem Wissen nicht von der deutschen Kultur trennen müssen, d. h. von dem deutschen Teil des ihnen eigenen kulturellen Erbes, was immer auch die Nationalsozialisten behaupten mögen. Notwendig sei es, die jüdische Dimension des kulturellen Erbes zu stärken und zu erneuern, nicht zuletzt, um die Absicht der Nationalsozialisten, die Juden zu isolieren und zu demoralisieren, zu vereiteln. Textzeugen: D: Die Stunde und die Erkenntnis – Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 7-9 (MBB 538). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 112,9 der Vortrag »Israel und die Völker«] Der Vortrag Bubers ist als Typoskript erhalten und kommt in MBW 11.1 zum Abdruck. 112,18-19 über den Chaluz und seine Welt] »Der Chaluz und seine Welt. Aus einer Rede«, Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5697, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 87-92 (jetzt in: MBW 21).

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Der Jude in der Welt

Der Jude in der Welt Am 14. Januar 1934 eröffnete das Freie Jüdische Lehrhaus in Frankfurt am Main mit einer feierlichen Veranstaltung seinen Winterlehrgang, den ersten kompletten Lehrgang seit seiner Wiedereröffnung unter der Leitung Bubers im Herbst des vorigen Jahres (vgl. »Ein jüdisches Lehrhaus«, jetzt in: MBW 8, S. 249-255). Zu diesem Anlass hielt Buber die Eröffnungsrede, die zwei Jahre später in dem Sammelband Die Stunde und die Erkenntnis veröffentlicht wurde. Der Abend wurde in der Jüdischen Rundschau vom 19. Januar besprochen, wo in einem kurzen Referat der Inhalt von Bubers Rede zusammengefasst wurde. Da es sich hierbei um die Darstellung eines Dritten handelt, wird dieser Artikel weder als Textzeuge angeführt noch als Druckvorlage benutzt. Eine redaktionelle Vorbemerkung gibt indes einen Eindruck von der feierlichen Einrahmung des Ereignisses: »Eingeleitet wurde die Kundgebung durch den im Frankfurter jüdischen Kunstleben eine immer bedeutendere Stelle einnehmenden Ehrenreich’schen Kammerchor, der in der für ihn kennzeichnenden Gepflegtheit und Strenge zwei synagogale Kompositionen von Baruch Schorr sang und damit reichen Beifall erntete. Dann sprach in einer fast zweistündigen Rede Buber über das Grundthema des Lehrhauses: ›Der Jude in der Welt‹.« (Jüdische Rundschau, Nr. 6 vom 19. Januar 1934.) Die prekäre Lage, in der sich die deutschen Juden heutzutage befänden, sei, wie Buber ausführt, letztendlich auf den Zustand der Galut zurückzuführen, das Exil des jüdischen Volkes fern des göttlich zugewiesenen Erbteils. Zerstreut und wandernd unter den Nationen, sei das Judentum zu einer unverbesserlichen »Ungeborgenheit« schicksalshaft bestimmt, ein fortwährendes Gefühl von Heimatlosigkeit entwickelnd, das auf Nichtjuden verständlicherweise als eine rätselhafte Geisterexistenz abschreckend gewirkt habe. Die Wurzel des Antisemitismus sei »Gespensterfurcht«. Aber anders als der russische Arzt und frühe Zionist Leon Pinsker (1821-1891), der diese Diagnose der Judaeophobie stellte, meint Buber, dass es kein politisches Heilmittel für diese Krankheit gebe, etwa die Wiederherstellung eines jüdischen Staates, sondern eine Heilung nur »durch den Weg des Glaubens« und die Bestätigung von Israels »Einzigkeit«, das weder eine »Nation« noch eine »Glaubensgemeinschaft« sei, erfolgen könne. Israel verrate seinen »Gottesbund«, ja es würde untergehen, wenn es danach strebe, die Galut allein mit der Schaffung eines »politischen Gebildes« zu überwinden oder wenn es seine »Geschichtswirklichkeit« vergesse, wenn es also eine reine »Glaubensgemeinschaft« werden würde.

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Für die Erstveröffentlichung 1936 in Die Stunde und die Erkenntnis ist der Umfang der Rede, wie schon der Untertitel vermerkt, gekürzt und der verwendete Abschnitt stilistisch stark überarbeitet worden. Im MBA hat sich jedoch das Typoskript einer stenographischen Mitschrift der Rede erhalten, die den gesamten Umfang der Rede wiedergibt und im Anschluss an die Auflistung der Textzeugen abgedruckt wird. Textzeugen: h: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 12a). Erhalten ist lediglich das erste Blatt, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit vielen Korrekturen versehen. Es handelt sich um einen Entwurf, der, wahrscheinlich ausgearbeitet auf Grundlage von TS1, eine Zwischenstufe für TS2 bilden dürfte. Der Text, der im Wortlaut weitgehend von D1 abweicht, wird im Folgenden wiedergegeben. 1 TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 12a); 21 paginierte, einseitig beschriebene lose Blätter; ohne Korrekturen; mit einem Datumsvermerk versehen: »14. 1. 1934«. Das Typoskript enthält die Mitschrift von Bubers Lehrhausrede, die für D1 stark gekürzt und bearbeitet worden ist. Im Folgenden wird das Typoskript in ganzem Umfang anschließend an den Abdruck von h wiedergegeben. TS2: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 12a); 5 lose paginierte Blätter, ohne Korrekturen. 3 TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 12a); 5 lose paginierte Blätter. Das Typoskript ist zweischichtig. TS3.1: Grundschicht: Durchschlag von TS2. TS3.2: Überarbeitungsschicht: Einige Korrekturen von Bubers Hand. D1: Die Stunde und die Erkenntnis. Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 41-48 (MBB 538). D2: JuJ, S. [216]-220 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: The Jew in the World, in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, übers. von Olga Marx, New York: Schocken Books, S. 167-172 (MBB 786); 2. Aufl. 1963 (MBB 1215). Hebräisch: Ha-jehudi ba-olam, übers. von J. Schenher, Ha-aretz vom 14. Mai 1937 (MBB 569a); Ha-jehudi bi-rechave ha-olam. Devarim sche-neemru be-vet-ha-midrasch ha-jehudi ha-chofschi be-Frankfurt, in: Teʿ uda we-jiʿ ud, 2. Bd.: Ma’amarim al injane ha-schaʿ a, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1961, S. 137-140 (MBB 1182).

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Abdruck von h: Der Jude in der Welt Eine Lehrhaus-Rede von Martin Buber Der Jude in der Welt – seit wann gibt es das, diesen Menschen »Jude« ausgesetzt in diesem Raum der Menschenwelt? Wenn wir nach dem historischen Augenblick fragen, von dem an diese absonderliche Wirklichkeit in der Geschichte besteht, ergibt sich uns als diesen Augenblick noch nicht etwa der des Tempelbrandes und der Verwüstung Jerusalems, wohl aber jener, seit dem nun fast 18 Jahrhunderte verstrichen sind: da nach der Niederwerfung des Aufstands Bar Kochbas, in dem mehr als eine halbe Million jüdischer Kämpfer fiel, den Juden das Betreten ihrer wiedererbauten nun dem Jupiter geweihten Stadt bei Todesstrafe verboten wurde. Damals ist der Jude in die Welt, in den Weltabgrund geschleudert worden. / Seither steht der Jude in der Welt als [schlechthin] ungesicherter Mensch. Innerhalb der mehr oder minder notdürftig gesicherten Menschengesellschaft gibt es seither eine Menschenart der eigentlich, vom Grund aus [Ungesicherten, eine, die ihrem Wesen] ! ihrem Wesensschicksal nach Ungesicherten. Ob sie es jeweils weiss oder nicht, sie lebt stets auf einem einsturzbereiten Boden. Jede Symbiose, in die sie eintritt, ist trügerisch, jedes Geschichtsbündnis enthält [einen unsichtbaren Kündigungsparagraph] ! eine unsichtbare Kündigungsklausel, jeder [Kulturverschmelzung] ! Kulturverknüpfung wohnt eine heimliche auflösende Kraft ein. Dies ist es was wir meinen, wenn wir die jüdische Diaspora mit einem nur ihr zustehenden Begriff als Galuth, Vertriebenheit, bezeichnen. Abdruck von TS1:

Der Jude in der Welt 14. 1. 1934 Wir haben den ersten, den herbstlichen, eröffnenden Lehrgang dieses Lehrhauses, des Jüdischen Lehrhauses Frankfurt/M unter das Zeichen gestellt »Situation und Überlieferung«. Damit wollten wir sagen, dass die Überlieferung in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit genug ist, um die Situation, jede Situation zu bewältigen, d. h. wenn das Überlieferte, das Erinnernde, von dort und damals ganz gegenwärtig wird, sodass es hier, in dieser Stunde als Gegenwart gelebt wird, als Gegenwart da ist, sodass also die, die es leben, unmittelbar wissen, dass der da ist, von dem aus

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jenes Geschehene, jenes Erlebte für sie geschehen ist, wenn es so ist, dann ist es genug für diese in dieser Stunde lebende Generation, das ihr Widerfahrene, ihr Auferlegte zu bewältigen. Sie braucht nichts mehr als dieses von je und je jetzt, dieses Erinnerte und Gegenwärtige, dieses Mitgegebene und in uns Existente. Das wollten wir sagen indem wir den ersten, eröffnenden Lehrgang hier das Thema »Situation und Überlieferung« stellten. Wir haben den zweiten, der unsere eigentliche Arbeit beginnt, unter das Thema gestellt »Der Jude in der Welt«. Was wollen wir damit sagen? Der Jude in der Welt – seit wann gibt es in diesem äussersten Ernst, mit dem wir dieses Wort meinen, diesen Menschen, der da Jude heisst, stehend in der Welt, in der grossen Menschenwelt um ihn herum als Jude? Ich sage, seit wann gibt es diese Vorstellung in ihrem Ernst? Ich glaube, es ist eine Vorstellung, die mit der endgültigen Exilsgeschichte zusammenhängt. Wenn wir aber einen Augenblick, einen historischen Augenblick suchen, in dem dies, was wir meinen, der Jude in der Welt, erst eigentlich begonnen hat, so ist es, jedenfalls für mein Gefühl, nicht die Stunde der Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch Titus, sondern es ist die Stunde, es werden bald 18 Jahrhunderte seither verstrichen sein, es ist die Stunde des Jahres 135 der gewöhnlichen Zeitrechnung, da nach 3½ jährigem Verteidigungskrieg gegen die Römer die letzte standhaltende jüdische Festung Beth Tar, fiel und der Aufstand des Barkochba zusammenbrach. Die Stunde meine ich, von der uns berichtet wird, dass die jüdische Bevölkerung auf dem Markt unter der Terebinthe bei Hebron, die den Namen ›die Terebinthe des Urvaters Abraham‹ führte, dass die jüdische Bevölkerung auf diesem Markt unter dieser Terebinthe verkauft wurde, und das Angebot war so gross, dass der einzelne Sklave nicht mehr als ein Pferd galt. Ich meine die Zeit, als Jerusalem endgültig aufhörte, bis auf Weiteres in der Geschichte aufhörte, die Stadt Israels, die Stadt des Tempels zu sein, wo es den Juden verboten wurde, die [Leerstelle im Text] die dem Jupiter geweihte Stadt zu betreten. In dieser Stunde wurde der Jude in die Welt hinaus, in den Weltabgrund hinaus geschleudert. Was heisst es aber, dieses Geschleudertsein, dieses Im-WeltabgrundStehen seither? Ich glaube es am ehesten zu fassen, wenn wir sagen: der Jude steht seither in der Welt als der schlechthin ungesicherte Mensch. Sicherung ist für das Menschengeschlecht und für die menschliche Gemeinschaft, für die Personen und die Völker freilich etwas sehr Fragwürdiges. Das menschliche Leben ist das Ungesichertsein. Aber innerhalb dieses Menschentums, dieses Menschenlebens, gibt es seit damals eine Menschenart, eine Menschenschar, die von Geschlecht zu Geschlecht in all dieser problematischen Sicherung des Menschentums

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nun die eigentlich Ungesicherten, der eigentlich ungesicherte Mensch ist. Der Mensch, der seinem Wesensschicksal nach in der Welt auch der Sicherungen entbehrt, jener relativen Sicherungen, die mitten in der Geschichte die Menschengemeinschaften besitzen. Nun ist diese Ungesichertheit des Juden in der Welt, dieses im nächsten Augenblick je und je Einbrechen-Können des Bodens unter seinen Füssen, diese ewige Labilität seiner Lage, diese Fragwürdigkeit jeder Verbindung, die er schliesst, jeder Kulturverknüpfung, die er eingeht, jeder geschichtlichen Stabilität, die sich für ihn zu eröffnen scheint und die sich doch als Labilität erweist, ich sage, diese Ungesichertheit der jüdischen Diaspora, sie ist es, die wir eigentlich meinen, wenn wir die Diaspora Galuth – Verschleppung nennen. Sie ist vorgebildet in einer freilich wesentlich milderen Form der Ungesichertheit, nämlich in der des jüdischen Staates von einst. Der jüdische Staat, schon in seiner ersten historischen Form, der alte israelitische Staat ist seiner geographisch-politischen Lage nach ungesichert. Er war mitten drin, inmitten hineingestellt zwischen die zwei grossen Stromreiche, zwischen die zwei Königreiche der Vorderasiatischen Welt, und es war ihm je und je beschieden, für den einen für den anderen eine leichte Beute, ein leichtes Durchgangsgebiet, ein eben benutzbares, gegen den anderen im Kampf verwendbares, ausspielbares zu sein. Aber dies ist nur eine Vorgestalt. Die Ungesichertheit der Juden in der Diaspora ist nicht ein geographisch-politisches Phänomen, ist nicht eine historische Erscheinung unter anderen, wie jene Ungesichertheit des alten Staates, die sich ja mit allerlei anderen in der Geschichte der Menschheit vergleichen lässt, sondern hier ist ein einzigartiges, ein absolutes, ein unvergleichliches Phänomen, das wir nicht durch andere geschichtliche Analogien erklären können, sondern das wir in seinem Ernst erfassen müssen, wenn wir erfahren wollen, was dies sei, soweit wir es zu erfahren vermögen. Diese Ungesichertheit also, vom Juden aus gesehen. Der Jude in der Welt erfährt sich selbst der Welt gegenüber als den in ihr von ihr aus ungesicherten Menschen. Was hat aber diese Ungesichertheit für eine Ursache? Mit anderen Worten: wie sieht es von der Welt aus, wie ist dies zu verstehen, wenn wir fragen: wie sieht die Welt den Juden, der in ihr ist? Und eben damit erfassen wir eine wesentliche Ursache dieser Ungesichertheit. Vielleicht die letzte, nicht die letzte überhaupt, aber die letzte psychische Ursache. Von der Welt aus gesehen – wenn wir jetzt absehen von aller übrigen Problematik zwischen dem Juden und der Welt, wenn wir also absehen von jeglichem Mangel im Sehen der Völker, in der Art der Völker, den Juden zu sehen, wenn wir absehen von allen Mängeln im Sein des Juden selbst, wenn wir schliesslich absehen von dem Entscheidenden, von den Mängeln im Verhältnis

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zwischen den Völkern und dem Juden, dann bleibt noch ein Letztes. Ich sage, wenn wir von all dem absehen, womit man denn die gewöhnlich mit dem schlechten Wort Antisemitismus genannte Erscheinung erklärt, dann bleibt ein Letztes und Wesentliches, und das ist, dass diese jüdische Gemeinschaft schlechthin uneinreihbar ist, dass sie allen historischen Kategorien, allen allgemeinen Begriffen der Geschichte, mit denen man sonst ein Volk oder eine Gemeinschaft anderer Art einem allgemeinen Begriff unterordnet, ich sage, dass die jüdische Gemeinschaft diesen Kategorien widerstrebt, ja mit ihrer Existenz widerstrebt. Sie lässt sich nicht von diesen allgemeinen Begriffen, auch nicht von dem Begriff Nation, auch nicht von dem Begriff Religion einfangen. Es ist etwas in ihr, was schlechthin und nachdrücklich elementar nicht-begrifflich, nicht-allgemeiner, personenhafter, namhafter, einmaliger, einziger Art ist, sodass man nur ihrer Peripherie habhaft wird, wenn man sie unter einen allgemeinen Begriff einreiht. So stehen die Völker vor Israel, vor dem Judentum, dass sie hier an etwas geraten, was diesem natürlichen Bedürfnis des denkenden, des die Geschichte Betrachtenden und ÜberschauenWollenden Menschen widersteht, dass dieses Bedürfnis des Menschen, die grossen Stundenerscheinungen der Geschichte, wie man sagt, zu verstehen, aber in Wahrheit nur: unterzuordnen unter allgemeine Begriffskategorien, ich sage, dass dieses Bedürfnis hier unbefriedigt bleibt und, wie wir glauben, unbefriedigt bleiben muss, weil hier etwas Unerfassliches, wesenhaft unerfasslich bleibt, das Widerstand leistet, das sich nicht unterordnen, nicht einreihen lässt. Das Uneinreihbare aber, das erfahren wir im Leben der Völker und im Leben der Einzelnen immer wieder, das Uneinreihbare ist das Unheimliche. Das Uneinreihbare, das man nicht auf diese Weise verstehen kann, dass man einen allgemeinen Begriff, einen allgemeinen Satz aufstellt und sagt: das gehört, dieses Ding, diese Gemeinschaft gehört unter diesen allgemeinen Begriff, also trifft dieser allgemeine Satz auch auf sie zu. Ich sage, was sich in dieser Weise nicht einreihen lässt, das ist durch sein Da-Sein erschreckend, befremdend, unheimlich. Das deutsche Wort »unheimlich« sagt genau, um was es geht. Das Unheimliche hat in Wahrheit kein Heim, es fasst je und je Fuss, und je und je gibt der Boden nach. Es nimmt je und je Wohnung, und plötzlich bricht das Haus, das feste Haus um es her wie ein Kartenhaus ein, es sind keine Wände mehr da, und der Jude steht wieder im Weltabgrundkreis wie je. Das Unheimliche hat kein Heim, es wird ihm kein Heim gewährt. Das Uneinreihbare, mit dem man nicht vertraut ist, weil es das andere bleibt in seiner Wesenheit, das nie ganz einkehrt in irgend eine Allgemeinheit, das Uneinreihbare – Ich will jetzt ein paar historische Beispiele geben aus drei Zeiten des Mittelalters, aber ich könnte

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ebenso gut aus irgend einer anderen Zeit der Geschichte die Beispiele nehmen: das Uneinreihbare ist jeweils das erste Opfer enthusiastischer Massenbewegungen. Der erste Kreuzzug Ende des 11. Jahrhunderts. das Uneinreihbare trägt je und je die Schuld am Massenunglück. Der schwarze Tod, die Seuche geht Mitte des 14. Jahrhunderts über die Länder – der Jude hat sie verursacht. das Uneinreihbare kann sich auch durch die äusserste Angleichung nicht sichern. Das Marannentum in Spanien, 2. Hälfte und Ende des 15. Jahrhunderts, die Inquisition und die Austreibung. Ich brauche nur auf solche Bilder hinzuweisen, es genügt. Es ist einmal gesagt worden, der Antisemitismus sei eine Gespensterfurcht. Daran ist etwas Wahres, insofern nämlich, als das Uneinreihbare für den, der es nicht einreihen kann, gespenstische Züge annimmt. Die Gemeinschaft, die aus ihrem Heim vertrieben ist, die nirgends ein Land hat, in dem sie sich sammeln kann, die ihre Sprache nicht mehr spricht, deren Zusammenhalt immer neu in Frage gestellt ist, die wandernde, irrende, preisgegebene Gemeinschaft, anders als alle Gemeinschaften der Welt beschaffen, hat einen gespenstischen Zug für die Völker gehabt, in deren Mitte sie lebte. Aber halten wir das fest, sehen wir in allem Ernst diese unsere Erscheinung und das Wesen zugleich, wir wissen ja, dass wir kein Gespenst sind. Wir wissen ja, dass wir eine lebende Gemeinschaft in all dieser tausendfältigen Pein geblieben sind, ja, dass dies gerade unser Wesen bekundet, dass sich darin gerade, in diesem Schicksal, unser Wesen bekundet, dass wir in all dieser Pein nicht gestorben, dass wir lebendig blieben, dass nichts in unserer Seele gespenstisch ist, die wir so vor dem Antlitz, vor den Blicken der Völker durch die Geschichte ziehen. Was aber bedeutet das, diese Uneinreihbarkeit? Ist das nur ein Mangel, eine Unzulänglichkeit im Sehen der Völker, im Denken der Völker, sind wir eigentlich einreihbar, und sie vermögen es nur nicht, oder wie steht es damit? Mit anderen Worten: ist diese Uneinreihbarkeit, die der Ursprung unserer grossen Ungesichertheit in der Welt ist, ist diese Uneinreihbarkeit lediglich eine Erscheinung der Relation, des Verhaltens, der Beziehung zwischen den Völkern und uns, ist es lediglich eine negative Erscheinung, ein faktisches Nichteingereihtwerdenkönnen – aber auf Zeit, bis es gelingt? Es gibt nur eine Möglichkeit zu erfahren, dass die Uneinreihbarkeit des Juden in der Welt nicht ein blosses Verhaltensphänomen ist, dass es nicht eine blosse negative Erscheinung ist, sondern dass all dieses Verhaltensmässige und Negative nur Auswirkung ist eines positiven, substantiellen Ursprünglichen. Ich sage, nur eine Möglichkeit, nur einen Zugang zum Wesen dieses Dinges, und dieser Zugang heisst: Glaube. Nur vom Glauben aus ist das fassbar, das sich auswirkt, das positiv

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fassbar, das sich negativ auswirkt in der Uneinreihbarkeit des Juden. Nur vom Glauben aus fassbar, das heisst es ist nicht kennbar, sondern nur bekennbar. Wird es aber nicht vom Glauben erfasst, wird diese Uneinreihbarkeit nicht vom Glauben erfasst und vom gläubigen Menschen bekannt, existiert sie nur als dieses Negativum, als diese Problematik in der Beziehung zwischen dem Juden und der Welt, dann ist sie unerträglich. Dann ist diese Uneinreihbarkeit, muss sie wohl empfunden werden als etwas Absurdes. Es ist hier etwas da, was den geschichtlichen Kategorien widerstreitet. Was soll das sein? Es ist etwas da, was widergeschichtlich ist, ja, was widervernünftig ist – was soll das sein, ein Dauern wider alle Gesetze der Völkergeschichte, wider alles, was man von dem Wesen einer Nation und ihren Geschicken weiss, es geht gegen die Logik der Geschichte. Ich sage, nur vom Glauben aus ist das fassbar, was das Positive, das Wahre und Wirkliche ist, dann aber freilich Grund und Sinn unseres Daseins, die Einzigkeit Israels. Die Einzigkeit, damit meine ich nicht, wie jede Person, wie jede Gemeinschaft, jedes Volkstum, jede Glaubensgemeinschaft, jede Gemeinschaft irgend einer Art einzig ist. Es gibt ja nicht zwei Wesen gleicher Wesenheit, gleicher Wirklichkeit. Jedes Wesen im Kosmos, sei es noch so gering, ist eine Person, eine Individualität, eine Einzigkeit. So ist es aber nicht gemeint. Die Einzigkeit Israels, das bedeutet, dass hier etwas da ist, was seinem Wesen, seiner Beschaffenheit, seinem Schicksal, seiner Geschichte, seiner Berufung und Bestimmung nach so einmalig, so einzig ist, dass es eben deshalb nicht eingereiht werden kann, so stark, so fest bis an die Grenzen der Existenz reichend in dieser Einzigkeit, dass man nur eine Schale in Händen behält wenn man diesen Kern der Einzigkeit herauslöst, um das Allgemeine zu gewinnen. Ich will nur auf eines hinweisen, was mir an der Einzigkeit Israels das wichtigste, das für uns wichtigste zu sein scheint. Ich sagte ja, Israel widersteht der Kategorie Nation und widersteht der Kategorie Glaubensgemeinschaft. Das eine fängt es nicht ein und das andere fängt es nicht ein. Das hat seine entscheidende Wirklichkeit. Ich sage, das entscheidende Ja zu diesem Nein, da, wo der entsprechende Augenblick der Geschichte Israels ist, die Offenbarung und die Volkwerdung Israels in einem. Es ist nämlich so, dass Volk und Glaubensgemeinschaft sich in einem sehr wichtigen historischen Merkmal von einander unterscheiden. Völker erfahren das, was sie geschichtlich erfahren, als Völker. Ihre geschichtliche Erfahrung, das ist ihre Erfahrung als Volk. Was nun einzelne von ihnen erfahren, etwa die Erfahrung der grossen Dichter, der grossen Künstler, der grossen Philosophen, das ist nicht die geschichtliche Erfahrung eines Volkes. Die geschichtliche Erfahrung ist das, was das Volk als Volk erfährt. Anders die Glaubenserfahrung der Glaubensgemeinschaft.

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Die Glaubensgemeinschaft hat nicht als Gemeinschaft ihre Glaubenserfahrungen. Die Glaubenserfahrung haben einzelne, führerische, vertreterische Menschen in ihrer Mitte, denen jene Erfahrung zukommt, die wir in ihrer höchsten Gestaltung Offenbarung nennen. Diese Einzelnen erfahren etwas, glaubensmässig, als glaubende Menschen, ich möchte sagen, in dieser aufgetanen Seelenfläche des glaubenden Menschen erfahren diese einzelnen etwas, und wenn sie das, was sie erfahren, einer Gemeinschaft zubringen, wenn sich um dieses ihr Wort, um diese ihre Botschaft, Gemeinschaft sammelt, dann ist eine Glaubensgemeinschaft gestiftet. Diese Gemeinschaft sucht Ausdruck für die ihr so zugekommene Glaubenserfahrung, die Glaubenserfahrung gestaltet sich aus in Sitten, in Institutionen, in kirchlichen und anderen Organisationen. So scheiden sich der Art ihrer Erfahrung nach Volk und Glaubensgemeinschaft. Geschichte und Offenbarung sind im Völkerleben schlechthin zweierlei. Es gibt, soviel ich weiss, nur ein einziges in der Welt, wo es nicht so ist. Dieses einzige heisst Israel. Hier erfährt die Gemeinschaft das, was zugleich die entscheidende Geschichtserfahrung und die entscheidende Glaubenserfahrung ist, ja, so erfolgt ihre entscheidende Geschichtserfahrung als ihre entscheidende Glaubenserfahrung und umgekehrt. Die Offenbarung begründet die Volkwerdung, und das Volk wird zum Volk, indem es sich um den Offenbarenden schart. Hier ist es nicht so, dass einzelne etwas erfahren, was der Menge entzogen ist und ihr erst vermittelt, übermittelt werden muss. Nicht als ob wir diese einzelnen nicht kennten, sie heissen bei uns Nawi, Künder, aber sie sind verwurzelt in einer Schicht, und ihr erster, Mose, ist unmittelbar der Vertreter und Sprecher dieser Schicht. Aber nicht der einzelne erfährt, sondern die Gemeinschaft als Gemeinschaft, was sie zu erfahren hat. Das heisst also, dass Geschichte und Offenbarung eines sind in einer schlagenden Stunde, in einem sich begebenden Ereignis. Dies macht über alles andere hinaus die Einzigkeit Israels aus. Deshalb, weil es so ist, kann man nicht von diesem Volk sagen, es ist ein Volk, im Sinne der Einheit, und man kann von dieser Glaubensgemeinschaft nicht sagen, es ist eine Glaubensgemeinschaft im Sinne der Einheit, denn es ist so sehr Volk und Glaubensgemeinschaft in einem, dass man diese Einheit nicht mehr als eine blosse kategoriale, als eine bloss historische, als eine bloss empirische zu fassen vermag, sondern hier rührt das Göttliche an die Menschheit in einer Weise, die sich nichts anderem, keinem anderen Vorgang unter allen Vorgängen der Welt vergleichen lässt. Ich sage, das ist nur im Glauben fassbar, aber an diesem Glauben hangt unser Sein. Von diesem Glauben, ob wir ihn noch zu leisten, noch herzugeben vermögen oder nicht, davon hängt unser Sein in dieser jetzt gelebten Stunde ab. Es gibt keine

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Garantie, es ist uns von Gott nicht verbürgt, dass wir bleiben müssen, sondern nur im Zusammenhang mit dem Glauben, mit dieser Leistung, mit dieser Hergabe, nur in Zusammenhang damit ist es verbürgt und verheissen. Es kommt aber darauf an für uns zu erkennen, dass die Geschichte des Judentums voll ist eines doppelten Strebens, und zwar in einer besonderen Weise wieder in der Geschichte des Exils, eines doppelten Strebens. Der ungesicherte Jude strebt nach Sicherung. Die uneinreihbare jüdische Gemeinschaft strebt nach Einreihung, nach Eingereihtwerden. Dieses beides ist nicht etwa gleichzustellen. Es hat durchaus nicht denselben Grad der Rechtmässigkeit. Das Streben nach der Sicherung ist, nun, wie jedes menschliche Streben nach Sicherheit in seinem Kern rechtmässig. Der Mensch und die menschliche Gemeinschaft ist nicht dazu da, in ewiger Unsicherheit zu leben, und es ist menschlich, natürlich, kreatürlich, es ist legitim, nach Sicherheit, nach Sicherung, nach Stetigkeit, nach Zusammenhang, nach festem Boden unter den Füssen zu streben. Aber dieses Streben nach Sicherung nimmt fehlerhafte Formen an, und wir werden sehen, dass die fehlerhafteste Form dieses Streben nach Eingereihtheit ist. Das Streben nach Sicherung kennen wir auch aus der vorexilischen Geschichte, aus der Geschichte dieses alten Staates, von dem ich sagte, dass er diese höchst fragwürdige geographisch-politische Lage hatte, da Babylon und da Ägypten. Man suchte sich je und je gegen Babylon durch Ägypten und gegen Ägypten durch Babylon zu sichern, man fühlte seine geographisch-politische Unsicherheit und versuchte ihr durch geographisch-politische Mittel, wenn ich das so ausdrücken darf, zu begegnen. Durch politische Bündnisse. Ich sprach vorhin von unseren Propheten. Die eigentliche politische Botschaft der Propheten ist die Warnung vor der falschen Sicherung. Sie sagen: gewiss, das ist ja das, was sich zunächst eurem Blick darbietet. Es geht nicht an, so gepresst zu sein zwischen zwei Weltmächte. Man muss sich entscheiden, um nicht unterzugehen, muss sich mit dem einen Machthaber gegen den anderen zusammentun. Die Propheten wissen, dass das der Vordergrund der geschichtlichen Lage ist. Aber sie sagen: Wähnet nicht, dass ihr euch damit politisch sichert, wähnet nicht, dass ihr euch als ein kleiner Staat da mitten drin erhalten könnt. Mit all euren Bündnissen, mit all eurem Pakten und Lavieren müsst ihr untergehen, wenn ihr nicht das einzige tut, was euch zukommt, und das ist diese kühne, von der geschichtlichen Kategorie aus betrachtet verwegene Lehre der Propheten. Als politisches Gebilde, als nur politisches Gebilde könnt ihr nicht dauern, ihr müsst aus eurer Einzigkeit, aus eurer Berufung, aus eurer Offenbarungserfahrung, aus eurer Überlieferung, aus eurer Lehre ein Gebilde hinstellen mitten hinein unter die Völker, das so

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einzigartig und so in seiner geistigen Wirksamkeit mächtig, so wirksam, so anziehungsstark ist, dass es mitten unter diese nur politischen Gebilde etwas Neues stellt, was sich bewähren, dauern, ja sogar mächtig wird, wirklich, weltverwandelnd, das Antlitz der Erde verwandeln kann, wenn es nur ganz auf sich und auf seinem Beruf beharrt. Wirklichkeit machend, eine Wirklichkeit machen aus dem, wozu man berufen ist, Wirklichkeit machen aus dieser neuen Art der Menschengemeinschaft, zu der man, für die man am Sinai berufen worden ist, so sehr Wirklichkeit, dass diese Wirklichkeit dasteht im Raum der Geschichte, im Raum der politischen Geschichte, da dann, geographisch begrenzt, so sehr begrenzt wie dieses kleine Land begrenzt ist, mitten hineingestellt, aber wirkend in die politische Geschichte hinaus, die dennoch trotz allen Gesetzen der Geschichte der Geist, wenn er Wirklichkeit hat, zu wirken vermag. Diese prophetische Lehre, dieser Anruf gegen die falsche Sicherheit, dieser Anruf zur echten Sicherheit, das ist es, was dort gegen das Streben nach der Sicherung steht. Es gibt keine andere echte Sicherung, so rufen die Propheten immer wieder, als, sie sagen es mit dem einfachsten unüberbietbar einfachen Wort, es gibt keine Sicherheit für euch als in Gott. D. h. nicht in einem Glaubenssatz, der gesprochen und proklamiert wird, sondern für euch, indem ihr das Wort Gottes mit eurem ganzen Leben zu einer Wirklichkeit macht, nicht etwa bloss des persönlichen Lebens, sondern zu einer Wirklichkeit des Gemeinschaftslebens, des Gemeinschaftsdaseins solcher Art, dass durch euch eine neue, unvergleichliche, einzige Gemeinschaft mitten unter die Gemeinschaften der Weltgeschichte tritt und nun die Weltgeschichte umzubilden beginnt. So im vorexilischen Israel. Nun aber beginnt, ich brauche das nicht im einzelnen auszuführen, die ganze exilische Geschichte ist Zeugnis dafür, beginnt sich nun in dieser verstärkten Weise, wie eben die Unsicherheit selber in der Diaspora sich verstärkt, das Streben nach Sicherung im exilischen Leben auszuwirken. Freilich nicht so, dass wir sagen könnten, der exilische Jude strebt nach Sicherung, sondern es ist immer wieder das Streben nach Sicherung und das heisst Verlassen der Einzigkeit, Verlassen der einen Sicherung, die wir haben, der Einzigen. Streben nach Sicherung durch Verlassen der einen wahren Sicherheit, aber immer wieder wird es überwunden in der Diaspora, bis auf ihre Spätzeit hin, in der wir leben, bis an die Schwelle jedenfalls dieser Spätzeit wird dieses Streben überwunden durch die Umkehr zur wahren, einzigen Sicherheit im Bunde mit Gott und in der Verwirklichung des Bundes. Aber das Streben nach Sicherung, nach der falschen Sicherung nimmt in der späten Zeit, in der Diaspora in einer eigentümlichen Weise zu und nimmt einen Ausdruck an, der verhängnisvoll ist. Nämlich es wird immer mehr zu dem

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Streben nach Einreihung, also nach Sicherung durch Einreihung. Wenn es so ist, dass wir ungesichert sind, dass der Jude ungesichert ist, weil er nicht eingereiht werden kann, weil er unheimlich ist, ja nun, dann werden wir einreihen. Wir werden alles los, was uns hindert, uns glatt in eine der geschichtlichen Kategorien passen zu lassen. Aber auch das hat seine Vorgeschichte in der Geschichte des Staatslebens, und zwar an einer bedeutsamen Wende dieses Lebens, nämlich da, wo, wie die Schrift erzählt, das Volk nicht mehr Gott unmittelbar und allein zu seinem Herrscher haben will, sondern einen König haben will wie alle Völker. Dies »wie alle Völker«, alle Völker haben Könige, wir wollen auch einen König haben, das ist ja nicht bloss so ein monarchischer Idealismus, sondern: alle Völker sind politisch sicher gegen andere, behaupten sich gegen die anderen, weil sie Könige haben, das geht bei Gott, bei der Unmittelbarkeit des Gotteskönigstums nicht. Wir wollen einen König haben, der uns in den Kampf gegen die anderen führt und uns hilft. Dies »wie alle Völker«, diese erste Parole des Eingereihtwerdenwollens: wir wollen nicht dieses eine Israel sein, das nach dem Gang durchs Schilfmeer ausruft: König bleibt er in Zeit und Ewigkeit, das heisst, wir wollen keinen Menschen zum König haben, sondern Gott allein, mit dem wir im Bunde stehen, der uns seinen Königsbund verliehen hat. Dieses Doch-eingereiht-werden-wollen, dieses aus der Einzigkeit herauswollen, die Einzigkeit los sein wollen, das ist der wichtigste Punkt, der klassische Punkt in der Vorgeschichte des Eingereihtwerdenwollens und widersteht der prophetischen Lehre, die gegen dieses Ja immer wieder ihr Nein ruft, der Prophetenlehre, die sagt: Fragt nicht, glaubt nicht, dass ihr so etwas anderes gewinnt als das, was man in der Geschichte die Scheidemünze des kleinen Erfolges nennt, glaubt nicht, dass ihr euch in Wahrheit dadurch behaupten könnt, dass ihr werdet wie die anderen. Ihr habt Gott zu eurem Herrn erwählt, nicht in religiösem Überschwang, das ist nicht Ausdruck eines Enthusiasmus, dem die Wirklichkeit des Lebens widerstrebt, sondern ihr habt euch, da die Möglichkeit eures geschichtlichen Lebens, eures geschichtlichen Sieges erweitert wurde, Gott erwählt. Und davon hängt ab, was mit euch geschehen wird, ob ihr euch dieses Paradoxen, dieses menschengeschichtswidrigen, sich unter keinen anderen Herrn stellen zu wollen, als Gott allein, dass ihr euch dieses Ungeheuren vermessen habt, das ist nicht Schwärmerei gewesen, sondern damit habt ihr eben das euch erschlossene Los einmalig gewählt. Nun aber kommt alles darauf an, ob ihr damit ernst macht. Und nun wieder in der Diaspora. Ich sagte es schon, hier ist in einer besonderen Weise, nämlich in der Spätzeit der Diaspora, da erst wird dieses Streben nach dem Eingereihtwerden als der Ausdruck des Strebens

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nach Sicherung sozusagen akut. Da gewinnt er erst geschichtliche Formen. Wenn auch freilich Formen, die man eigentlich als eine Karikatur geschichtlicher Vorgänge empfinden möchte. Ich meine jetzt die Zeit der sogenannten Emanzipation. Emanzipation, das ist ja nicht etwas, was von den Juden ausgegangen ist, Emanzipation ist ja nicht eine Tat des Judentums, sondern eine Tat der Völker, eine Tat jenes Wandels im Völkerleben, der etwa durch die französische Revolution bezeichnet wird, im Verhältnis zu den Juden. Und Sie wissen ja, dass das nicht auf einmal geschehen ist, sondern mühsam und allmählich, unter Kämpfen und Widerständen. Diese Emanzipation beruhte ihrer Art nach darauf, dass die Juden nicht als Gemeinschaft, nicht als Israel emanzipiert, rezipiert, aufgenommen wurden, in das Leben der Völker, sondern als einzelne, d. h. es wurde zunächst einmal weitläufig und immer wieder erörtert von den Vertretern der Völker und dann auch von den Juden, ob die Juden eine Nation seien oder nicht, ob die Juden eine Religionsgemeinschaft seien oder nicht, d. h. im Anfang der Emanzipation steht die Frage der Völker: Sind nun diese uns so uneinreihbar scheinenden Juden, ist diese unheimliche Gemeinschaft doch in eine der historischen Kategorien zu fassen oder nicht. Und es wird da zunächst gefragt: Ist das eine Nation oder ist es nicht eine Nation. Bedenken Sie: entscheidend zum Verständnis dieser Erörterungen ist, dass keinem einzigen Menschen unter all denen, die in Paris etwa zur Zeit der französischen Revolution und dann zur Zeit Napoleons und dann in den anderen Ländern, in denen Bewegungen in Nachwirkung der französischen Revolution gewesen sind, dass keiner von all diesen Menschen diese Frage gestellt hat, die offenbar wirklich unerhörte Frage: ja, vielleicht steht es doch nicht so, dass man sagen muss, die Juden sind eine Nation oder die Juden sind keine Nation, dass es nicht so steht, ob man sie summieren kann oder ob man also sie nicht mehr als Volksgemeinschaft anzusehen habe, sondern ob es ein drittes gibt, eben das Einigsein. Der liberale Clermont Tonnere stellt in der französischen Nationalversammlung 1789 die These, hinter der die Frage steht: den Juden als Nation sei alles zu verweigern. Den Juden als Menschen sei alles zu gewähren. Darauf antwortet der Rechtsstehende Abbé Mourrat [verschrieben für Maury], dass das Wort Jude nicht eine Sekte, sondern eine Nation bedeuten. Und 13 Jahre darnach schreibt der Kultusminister Pourtales [sic!] an Napoleon, die Juden seien bien moins une réligion qu’un peuple. Aber unmittelbar darnach sagt er – und was jetzt folgt ist nicht, wie ein jüdischer Historiker meint, ein schwülstiger Satz, sondern es ist ein höchst bedeutsamer – unmittelbar darnach schreibt er einen Satz, der ihn, während er ihn geschrieben hat, hätte warnen müssen, dass es so nicht angeht, über Israel zu reden. »Die Re-

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gierung konnte nicht umhin, die Ewigkeit dieses Volkes zu betrachten, das über das Vorrecht verfügt, Gott selber zum Gesetzgeber zu haben.« Die Ewigkeit eines Volkes, ein Volk, das Gott selber zum Gesetzgeber hat, das ist eine Einheit, die den Kategorien widerstrebt, das lässt sich nicht so einreihen unter die peuples, sondern da ist etwas Ausserordentliches, Einmaliges und nicht von den Kategorien Erfassbares. Napoleon selbst aber – es ist wichtig, sich dieser paar Daten zu entsinnen, alles Spätere ist nur Nachklang und Abklatsch dieser Vorgänge – Napoleon selber äussert sich 4 Jahre später: Die Juden sind als Nation und nicht als eine Sekte anzusehen. Ihm antwortet das Echo der Pariser Notabeln 1806 »aujourd’hui que les juifs ne forment plus une nation …« Weder auf der einen noch auf der anderen Seite tut sich die Ahnung auf oder verstärkt sich jene Ahnung, die sich doch in jenem Schreiben des Kultusministers zu eröffnen scheint, dass die Juden freilich nicht zu definieren sind als eine Nation, dass sie aber zugleich es sind, freilich aber in einer besonderen Weise, die durch die historischen Kategorien nicht zu erfassen ist. Von dieser falschen Alternative, falschem Entweder, falschem Oder, von da aus kommt die falsche Geschichtshaltung der Emanzipation als eine Sicherung der Juden, aber eine falsche Sicherung. Ja, also als Nation können sie nicht gesichert werden. Und dass es darauf ankommt, sie als Israel, nicht als eine der Nationen, von der dann gilt, dass es die und die Schwierigkeiten hat, mit ihr als Nation in der Nation sofort auszukommen, sondern als Israel zu emanzipieren, das kam den Völkern nicht in den Sinn, diese freilich ungeheure, präzedenzlose Aufgabe, eine Gemeinschaft in das Völkerleben aufzunehmen, eine Gemeinschaft, die bisher in es nicht aufgenommen war, ungesicherte, uneingereihte Gemeinschaft, nun als Gemeinschaft, als diese Gemeinschaft, als diese einzige aufzunehmen, frei zu machen und frei zu rezipieren, das ist weder einem der Völkervertreter, noch einem der Vertreter der Juden anscheinend beigekommen. Die Völker nahmen das ungesicherte Judentum nicht als Judentum, nicht als Gemeinschaft, nicht als Israel auf, sondern sie atomisierten es; die Juden arbeiten ihnen in die Hand, indem sie selber das Judentum atomisieren und diese Atome, diese Individuen werden als Individuen rezipiert, und die stillschweigende oder ausgesprochene Parole lautet: so wenig Judentum, so wenig Gemeinschaft, so wenig Israel wie möglich, um ja diesen Emanzipationsprozess des Individuums, des Atoms nicht zu erschweren. Aber gedenken wir noch einer grossen Lehre der Thora, die hierher gehört, deren immer man gedenken muss, wenn man von diesem eigentümlichen Verhältnis zwischen Israel und den Völkern in der letzten Epoche zu sprechen hat. Unser Gesetz hat im Mittelpunkt die Fürsorge für den

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ungesicherten Menschen. Jüdisches Recht heisst Recht, Bürgschaft für den Ungesicherten. Es geht nicht an, das ist der Sinn dieser gesetzlichen Fürsorge für den Ungesicherten, es geht nicht an, dass der Mensch, der keine soziale Macht hat, der keinen Besitz hat, der keine Unterkunft, der keinen Anhang hat, der zu ihm hält, es geht nicht an, dass der einzelne, einsame, schwache unvermögende dürftige sozial bedrängte, etwa der Fremdsasse, der Gastsasse, dass der geringeren Rechtes sei als der Mächtige, der Gesicherte. Das Recht, das steht hinter dieser Weisung unseres Gesetzes, das Recht hat sich nicht um den Gesicherten zu kümmern, sondern um den Ungesicherten. Im Zentrum der Gesetzgebung steht der Arme, der Schwache, die Waisen und die Witwen, der Gastsasse, der in deinen Toren ist, heisst es. Und das Gesetz spricht in Worten, die meines Wissens kein Gesetzbuch irgend einer Gemeinschaft der Welt gesprochen hat, nämlich so unmittelbar spricht es die an, denen der Besitz gegeben ist: gleiches Recht, gleiche Weisung, gleiche Satzung für den Gastsassen wie für den Eingeborenen, denn, und immer wieder dieses denn, denn Gastsassen (und an anderer Stelle: Knechte) seid ihr im Lande Ägypten gewesen. Ihr wisst, wie es in der Seele des Gastsassen, in der Seele des Knechtes aussieht, ihr seid es gewesen, ihr habt es erfahren, nun steht es in eurer Macht, andere zu behandeln, anderen das Recht des Ungesicherten, das euch dort nicht geworden ist, zukommen zu lassen. Ich will jetzt nicht davon sprechen, inwieweit Israel diese Thora erfüllt hat oder nicht. Aber es scheint mir zweifellos, dass diese Thora nicht zu Israel allein gesprochen ist. Dass mit dem Augenblick des endgültigen Exils dieses Wort der Thora in seiner letzten verborgensten Wesenheit vielleicht jedes Wort der Thora, aber dieses ganz gewiss, in dieser geschichtlichen Stunde hinausging aus dem Gehege Israels und zur Welt gesprochen wurde, in die der Jude eingegangen ist als der ungesicherte Mensch, dem diese Thora, das Gebot Gottes gesprochen war zu den Völkern hinsichtlich dieses Gastsassen unter allen Gastsassen, dieses Ungesicherten unter allen Ungesicherten der Welt, zu denen gesprochen war, wie sie es nun halten möchten mit diesem Menschen in ihrer Mitte, der unter sie, unter sie gekommen war. Die Völker haben so geantwortet, wie sie geantwortet haben. Was uns vor allem angeht, das ist, wie das Judentum auf diese falsche Emanzipation, auf diese falsche Sicherung, darauf, dass es nicht als Israel aufgenommen worden ist, wie es nun geantwortet hat. Die Antwort des Judentums ist, wir können es nicht anders sagen, nicht mehr ein Einreihungsstreben, sondern ein Einreihungskrampf, ein krampfhaftes Bemühen, ja alles los zu werden, was die Aufnahme, die nicht Israels Aufnahme ist, erschwert. Aufgegeben erscheint vor allem die Einzigkeit des Daseins als Glaubensvolk, in

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dem Glauben und Volk eine unlösbare Einheit bilden. Man spricht oft von Säkularisierung des Judentums in der nachemanzipatorischen Zeit. Und man versteht darunter gewöhnlich, dass das Judentum sich nicht mehr als Religionsgemeinschaft verstand. Dies ist aber völlig verkehrt. Es gab Zeiten und Strömungen, wo das Judentum nicht als Nation, sondern als Religionsgemeinschaft sogar, wie es so schön heisst, als Konfession (Lucus a non lucendo) Konfession, weil man nicht mehr bekannte – es gibt Zeiten und Strömungen, wo das Judentum nicht als Religionsgemeinschaft, sondern nur noch als eine Nation unter den anderen Nationen, die für sich nichts anderes fordert, als was allen Nationen gewährt wird, wo das Judentum eben dies sein will und nichts anderes. Beides, die Konfessionierung und die Nationalisierung, beides, aber wohl verstanden, nur Religionsgemeinschaft, nur Nation, beides ist ein Aufgeben der Einzigkeit, beides ist, wenn man denn das Wort gebrauchen will, Säkularisierung, beides Formen der Verfälschung der Wesenheit Israels, d. h. das Aufgeben dieses Entscheidenden, von dem aus das Wesen uns bleibt, dass wir nicht unter eine der historischen Kategorien einzureihen sind, sondern dass wir dieses eine Israel sind, beides in einem und mehr und anderes als beides in einem. Diesem Einreihungsstreben des emanzipierten, des scheinemanzipierten Judentums gegenüber gibt es, das ist die sehr ernste Lehre, die in dieser Stunde, wenn in einer auszusprechen ist, die alte, die uralte, nun wieder neu gesprochene: es gibt für Israel keine wahre Sicherheit als die vollkommene, restlose Aufsichnahme seiner Einzigkeit. Nur dadurch, dass Israel seine Einzigkeit, also das positive Element, den positiven Ursprung jener Uneinreihbarkeit und Unheimlichkeit und Ungesichertheit, nur dadurch, dass Israel diese seine Einzigkeit auf sich nimmt, das ist das Joch des Königtums Gottes, das Joch der Einzigkeit seines Bundes mit Gott, auf sich nimmt und stand hält von da aus, nur da gibt es eine Sicherheit, nur von da aus, wo Israel an der Wurzel der Uneinreihbarkeit steht und weiss und erkennt: dies ist es, woraus sich all dies herauswirkt, aus diesem Ja dieses vorläufige Nein, aber auf diesem Ja stehen wir und beharren wir unter allen Umständen, diese Aufsichnahme seiner Einzigkeit als des Kerns seines Verhaltens zur Welt, der in alles andere als Schale gelegt ist. Dies ist die einzige Chance wahrer Sicherheit für Israel, eben das, was die Propheten in jenem unüberbietbar einzigen Wort gesagt haben: Ihr könnt euch nicht sichern als in Gott allein. Das Lehrhaus, das Jüdische Lehrhaus in Frankfurt/M ist ein Glaubensbekenntnis. Es bekennt nicht, sondern es ist ein Bekenntnis. Das ist der tiefste Wunsch, die höchste Hoffnung bei der Begründung gewesen, und

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ist es der Neubegründung, ein Glaubensbekenntnis zu sein. Von da aus ist auch der Lehrhausplan für diesen Winterlehrgang zu verstehen, der überschrieben ist »Der Jude in der Welt«. Dieser Plan, den ich hier in der Hand habe, ist in allerlei Unterabteilungen gegliedert. Es fängt zunächst an mit dem, was der Jude mit allen Menschen gemein hat, es fängt mit dem ganz Allgemeinen an, mit dem Menschtum, mit dem biologischen, Physischen, psychischen Dasein des Menschen, und da ist nun das Jüdische nur eingewoben, in der besonderen Art, menschlich da zu sein, in allerlei Eigentümlichkeiten, manchmal auch pathologischer Art, die mit gesehen, mit gezeigt werden sollen. Und von da aus führt es in die gesellschaftlichen Ordnungen, in die der [berichtigt aus die in die] Jude einbezogen ist, aber nun schon stärker als Jude. Hier gibt es schon dies besondere Thema, der Jude als solcher, etwa im wissenschaftlichen Leben, und von da geht es zu einer Abteilung, die die Beteiligung, aktive und rezeptive Beteiligung des Juden an Geist und Werk zum Gegenstand hat, und hier tritt nun schon das Eigentümliche hervor, nämlich in dem eigentümlichen Beitrag des Judentums als solchem zum geistigen Leben der Gegenwart und insbesondere zum geistigen Leben der deutschen Volkheit, zur deutschen Kultur. Die nächste Abteilung ist noch enger begrenzt, da handelt es sich nicht bloss um Teilnahme, sondern da handelt es sich um das Schicksal der Juden als Juden, zur Gegenwart weiterführend in der nächsten Abteilung, die Wanderung und Führung heisst. Das ist schon Schicksal der Juden als Juden, aber noch als einer Gemeinschaft unter den Gemeinschaften. Geschichte, Schicksal haben alle Völker. Das eine Schicksal ist so, das andere anders beschaffen. Nun aber betreten wir den innersten Bezirk. So sind wir von aussen nach innen gelangt, und jetzt sind die zwei Abteilungen da, in denen sich das ausspricht, was des Juden ist, in dem besonderen Sinn, von dem ich sagte, dass er durch keine Kategorie erfassbar ist, das ist die Einzigkeit Israels, die meine ich, die Schrift und die Lehre. So sind wir von aussen nach innen gegangen, und dieser Weg von aussen nach innen, dieser Weg vom Allgemeinen, von der Allgemeinheit zur Einzigkeit, diesen Weg meinen wir, wenn wir darüber schreiben: »Der Jude in der Welt«. Der Weg des Juden durch die Welt zu seiner Einzigkeit, nicht zu sich selber, nicht zu einer Individualität, sondern zu der Einzigkeit, die Bund, die Verbundenheit heisst, die durch menschliche Kategorien nicht zu erfassen ist, weil sie über die menschlichen Kategorien hinausstrebt. Lassen Sie mich schliessen mit einer Stelle aus dem 2. Buch Samuel. [Leerstelle im Text]

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Es ist viel gefragt worden, was dies bedeutet, dass von Israel, das als am [hebr.: »Volk«] Gottes bezeichnet wird, als einzigartig unter den gojim, unter den Stämmen, zu denen es gerechnet wird, aber aus denen heraus es geholt wird durch eine Tat Gottes, ich sage, diese Einzigkeit, ein einziger Stamm auf Erden, das wird ja nicht verknüpft mit einer Eigenart des Volkes, mit einer höheren Begabung, mit einer Persönlichkeit, sondern die Einzigkeit besteht darin, was dem Volk widerfahren, als es zum Volk wurde, dass nämlich eine Gottheit daran ging, es zu einem Volk sich abzuhalten, es als einen Namen sich zu bestimmen. Ich sagte, es wird viel gefragt, was dies heisst, dass Gott sich Israel zu einem Namen bestimmte. Unsere Überlieferung weist darauf hin, dass Gott seinen Namen und den Begriff, mit dem er bezeichnet wird, Israel angetan hat, die vier Lettern des unausgesprochenen Namens dem Namen Jehuda, die beiden Lettern der Bezeichnung Gott EL, dem Namen Israel. Aber darüber hinaus dürfen wir fragen, was versteht die Schrift darunter, dass Gott sich eine Menschengemeinschaft zum Namen bestimmte. Namen ist oft ein geheimnisvoller Ausdruck in der Schrift, der bedeutet, dass etwas in sich Unerfassliches fasslich wird in der Tatsächlichkeit des Geschehens. Die Fasslichkeit Gottes, genauer die Einzigkeit Gottes will fasslich werden in der Einzigkeit Israels. Variantenapparat: 113,14 entbehren] entraten D2 113,22 einzig] einmaliger Art TS2, TS3.1 einmalig TS3.2 113,26 Die Bemerkung] Was gelegentlich gesagt worden ist TS2, TS3.1 113,26-27 Gespensterfurcht] hervorgehoben TS2, TS3.1 114,4 bringen es nur nicht zustande] verstehen es nur nicht TS2, TS3.1 114,34 Nawi] Prophet D2 115,5 Sicherung] Sicherheit D2 115,14 geographisch-politische] geopolitische D2 116,3 An deren Gebrechen] An ihr sind die Juden nicht allein beteiligt, und an ihrem Gebrechen TS2, TS3.1 116,4-5 freilich nicht primär schuldig] nicht allein schuldig TS2, TS3.1 116,23 entgegenzustellen] entgegenzusetzen D2 Wort- und Sacherläuterungen: 113,6-7 Zerstörung des jüdischen Staatswesens […] Bar-Kochba-Aufstands.] Es ist fraglich, worauf Buber sich hier genau bezieht. Ein wirklich selbständiges »jüdisches Staatswesen« endete mit der Eroberung 63 v. Chr. durch Pompeius (106-48 v. Chr.). Nach Herodes Tod (73-4 v. Chr.) wurde das jüdische Stammland nach und nach in

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eine römische Provinz umgewandelt, in der aber die jüdischen Eliten noch in die Verwaltung einbezogen waren. Der große Aufstand von 66-70 n. Chr. beendete diesen Zustand weitestgehend. Danach wurde das Gebiet Teil der Provinz Syria Palaestina, die Zahl der Juden in ihrem Stammland war durch die Kriegswirren drastisch gesunken. 113,7 Zusammenbruchs des Bar-Kochba-Aufstands] Die Niederwerfung des Bar-Kochba-Aufstands von 132-135 führte zu einer weiteren Reduzierung der Zahl der Juden in Palästina. Zudem erließ Kaiser Hadrian (76-138) Verordnungen, um die jüdische Religion zu unterdrücken (die, abgesehen von dem Verbot Proselyten zu werben, 142 wieder aufgehoben wurden). So wurde den Juden das Betreten Jerusalems – außer am Gedenktag der Tempelzerstörung – verboten. Auf dem Tempelareal errichteten die römischen Machthaber einen Jupitertempel. 113,7-8 Als Jerusalem aufhörte, eine jüdische Stadt zu sein] Nach der Niederschlagung des Bar Kochba Aufstands wurde Jerusalem in Aelia Capitolina umbenannt und Juden der Zutritt verboten. 113,33-34 Kreuzzüge im 11. Jahrhundert] Im Verlauf des 1. Kreuzzugs (1096-1099) kam es zu den ersten weiträumigen Pogromen in der abendländischen Welt. 113,34-35 »der Jude hat den Schwarzen Tod verursacht«)] Infolge des antisemitischen Wahns wurde den Juden die Schuld an der Pest (erstes Auftreten 1348) gegeben. 113,36 auf das Marranentum folgt die Inquisition] 1391 kommt es in Kastilien zu schweren Ausschreitungen gegen Juden, in deren Folge Juden teils unter Zwang zum Christentum übertraten. Diese Juden wurden sodann verdächtigt, im Geheimen den jüdischen Glauben weiterhin zu praktizieren, was für einen Teil sicher zutraf. 1480 wurde die Inquisition in Spanien eingeführt, um solche »Scheinchristen« (»Marranen«) aufzuspüren. Die etymologische Herkunft des Wortes ist ungesichert. 113,37-38 Gestalt des Ahasver] Figur christlicher Volkssagen des Mittelalters, die von einem Menschen erzählen, der Jesus auf dessen Weg zur Kreuzigung verspottete und dafür von Jesus zur ewigen Wanderschaft verflucht wurde; erst das anonyme Volksbuch vom Ewigen Juden von 1602 machte aus dieser Gestalt einen Juden namens Ahasver. 114,34 Nawi ] Hebr. für »Prophet«. In Bubers Übersetzung »Künder«. 115,39-40 vorgebildet in […] der samuelischen Krise] Der Wunsch des Volkes nach einem König wird so begründet, vgl. I Sam 8,5 u. 8,20.

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116,11-12 von dem französischen Kultusminister Portalis] Jean-ÉtienneMarie Portalis (1746-1807): franz. Jurist, Rechtsphilosoph und Politiker. Seit 1801 saß er im Staatsrat und wirkte an der Ausarbeitung des Code civil sowie an dem Konkordat mit dem Vatikan maßgeblich mit; seit 1804 Kultusminister. 116,13-14 wie Dubnow meint, »schwülstiges«] Vgl. Simon Dubnow, Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes. Das Zeitalter der ersten Emanzipation (1789-1815), in: Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. 8, Berlin [1928], S. 135. 116,14 Dubnow] russ.-jüd. Historiker; lebte in den 1920er Jahren bis 1933 in Deutschland wo zuerst seine zehnbändige Weltgeschichte des jüdischen Volkes erschien. 1933 vor den Nazis nach Riga geflohen, wurde Dubnow im Dezember 1941 von den Deutschen ermordet. 116,15-18 »Die Regierung […] Gesetzgeber zu haben.«] Dubnow zitiert das Dokument ebd. 116,32 das Joch des Königtums Gottes] Hebr. [Qabbalat] Ol Malkhut Schamajim bezeichnet das »[Auf-sich-Nehmen] des Joches des Reichs der Himmel« und zugleich den ersten Teil des Schma Jisrael (Dtn 6,4-9), mit dem das Königtum des Ewigen proklamiert wird.

Die Lehre und die Tat Im Sommer 1936 war im Israelitischen Familienblatt eine kritische Rezension von Bubers Die Stunde und die Erkenntnis erschienen, die vom Berliner Reformrabbiner Joachim Prinz (1902-1988) verfasst worden war. Darin monierte dieser, Martin Buber nehme die Anliegen seiner Generation nicht ernst und beklagte, Bubers Lehren fehle die Glaubwürdigkeit, da er nicht gemäß seiner eigenen Anschauungen lebe. »Er [Buber] sagte; Leben im Gesetz. Er wiederholte es oft. Aber in diesen Dingen versagten wir ihm endgültig die Gefolgschaft. Denn im Gesetze leben hiess: im Gesetze leben. Nicht ein Deut weniger. Da wir wussten, dass er es selber nicht tat – wie konnte er uns führen? […] Gerade weil wir mehr-weniger nicht im Gesetze lebten, empfanden wir, wie wenig legitimiert wir waren, das Gesetz im Leben zu fordern.« (Zitiert nach der redaktionellen Vorbemerkung, Israelitisches Wochenblatt, vom 6. August 1936.) Überrascht von dieser Kritik eines hochangesehenen liberalen Rabbiners, erklärt Buber, dass seine persönliche Ablehnung des jüdischen Gesetzes (Halacha) nicht als ein eklatanter Widerspruch aufgefasst werden sollte. Im Gegenteil zeige die Ablehnung den Ernst, mit dem er den reli-

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giösen Glauben verfolge, denn seine Position zum Gesetz sei »kein religiöses Negativum, sondern die einsame harte Glaubenspflicht der strengen Grenzziehung zwischen dem, woran man glaubt, und dem, woran man nicht zu glauben vermag und was ohne Glauben zu üben gegen den Ernst des Glaubenslebens geht.« (In diesem Band, S. 117.) Es sei wohl unvermeidlich, dass diese Positionierung zu Missverständnissen führe, man könne aber nicht behaupten, dass er von anderen verlange, was er nicht auch von sich selbst verlange. Darüber hinaus solle sein persönlicher Zugang zum Gesetz nicht so verstanden werden, als lehne er die jüdische Tradition im Ganzen ab. Jedoch konzediert Buber, dass seine Auffassung der Tradition, wie sie sich in seinen veröffentlichten Schriften darstelle, unpräzise sei und sich seither verändert habe. Habe er zuvor die Tradition als spirituell verdorrt und deswegen veraltet betrachtet, sei er nun imstande anzuerkennen, dass Inhalt und Form der Tradition sich verwandeln, wenn sie von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Weitergegeben werde nicht ein fester Inhalt, sondern eine Art zu leben. Die lebendige Tradition verändere sich und könne erneuert werden, solange sie nicht als kanonisches und fremdbestimmtes Gesetz, sondern als göttliches Gebot und persönliche Ansprache verstanden werde. Sicherlich könne das »Gesetz« als Vermittler des Wortes Gottes dienen, und so solle man darauf »horchen« und indem man sein Herz öffne, ihm auch »gehorchen« (ebd., S. 123). »Mehr weiß ich nicht und brauche ich nicht zu wissen, mehr – so dünkt es mich – braucht ein Jude nicht zu wissen.« (Ebd.) Die Auseinandersetzung mit Prinz scheint Buber veranlasst zu haben, seinen Standpunkt zum »Gesetz« klarer darzustellen, so dass er wenig später seine Korrespondenz zu diesem Thema mit Franz Rosenzweig veröffentlichte (vgl. »Offenbarung und Gesetz«, in diesem Band, S. 126-130). Textzeugen: D: Israelitisches Familienblatt, 38. Jg., Nr. 32 vom 6. August 1936 und Nr. 33 (Schlußwort Buber und Prinz) vom 13. August (MBB 548). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 117,3-5 Was Sie […] zu mir vorbringen.] Die Ausgabe Nr. 30 des Israelitischen Familienblattes, welche die ursprüngliche Rezension von Joachim Prinz enthielt, an der sich die Auseinandersetzung entzündet hatte, konnte nicht beschafft werden.

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119,21 Der Aufsatz trug den Titel: »Die Lehre und die Tat«.] Martin Buber, Die Lehre und die Tat, Jüdische Rundschau, 18. Mai 1934, S. 5-6; jetzt in: MBW 8, S. 257-264. 119,24-120,30 »Damit ist schon gesagt, […] Verwirklichung geschehe …«] Vgl. Buber, Die Lehre und die Tat, S. 5 (jetzt in: MBW 8, S. 259 f.) 121,34, Es heißt da] Ebd., S. 6 (jetzt in: MBW 8, S. 264). 122,4-6 »Die religiöse Wahrheit ist zum Unterschied […] sondern ein Weg] Buber, Cheruth, S. 19 (jetzt in: MBW 8, S. 118). 122,6-7 Die Lehre ist uns nicht etwas Fertiges […] nicht abgeschlossen ist.«] Ebd., S. 21 (jetzt in: MBW 8, S. 119 f.). 122,8-10 »Dem Menschenbild, dem wir zustreben, […] eins und unteilbar.«] Ebd., S. 24 (jetzt in: MBW 8, S. 121). 122,11-12 »ein Weg vorgezeichnet, […] nicht vereinbar ist«] Ebd., S. 25 (jetzt in: MBW 8, S. 121). 122,16-18 »Ueberlieferung läßt nicht Inhalte […] Geschlecht wandern.«] Buber, Die Lehre und die Tat, S. 5 (jetzt in: MBW 8, S. 258). 122,18-19 »letztlich nicht um ein ablösbares Etwas, das übergeben wird«] Ebd., S. 5 (jetzt in: MBW 8, S. 259). 122,22-23 »inhaltliche und formhafte Tradition […] erhalten«.«] Ebd., S. 5 (jetzt in: MBW 8, S. 259). 122,26 »in verjüngter Echtheit erstehen«] Ebd., S. 6 (jetzt in: MBW 8, S. 263). 122,26-27 »neu aus innerster Spontaneität erwecken kann«.] Vgl. ebd., S. 6 (jetzt in: MBW 8, S. 261). 122,30-33 »Gott will, daß der Mensch […] auf den Ruf, erwachen.«] ohne Hervorhebungen, ebd., S. 6 (jetzt in: MBW 8, S. 261). 123,16-21 »Meinen wir ein Buch? […] zur Gesprochenheit des Worts.«] Der Mensch von heute und die jüdische Bibel, in: Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, S. 45 (jetzt in: MBW 14, S. 55). 124,36 Max Dienemann] (1875-1939): bedeutender liberaler Rabbiner in Offenbach am Main (1919-1938). Der Aufsatz, auf den Prinz anspielt, ist »Freiheit und Autorität«, Jüdische allgemeine Zeitung, 16. Jg. (1936), Heft 31 und 32 vom 29. Juli und 5. August 1936.

Offenbarung und Gesetz Im Frühjahr 1924 verfasste Franz Rosenzweig einen offenen Brief mit dem Titel »Die Bauleute. Über das Gesetz: An Martin Buber.« Rosen-

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zweig rief darin Buber auf, seine Ablehnung des »Gesetzes« – d. h. der Gesamtheit der rituellen und liturgischen Vorschriften, die das jüdische Leben unter Gottes Führung regulieren – zu überdenken. Als Buber erfuhr, dass Rosenzweig mit der Veröffentlichung zögerte, drängte ihn Buber dazu und arrangierte eine Publikation in Der Jude, der von ihm gegründeten und herausgegebenen Zeitschrift, wo der offene Brief schließlich im August 1924 erschienen ist. Jedoch kam es nicht zu der von Buber in Aussicht gestellten öffentlichen Antwort. In einem Brief an Rosenzweig, nachdem er einen ersten Entwurf von »Die Bauleute« erhalten hatte, erklärte Buber sein Widerstreben: »Ihre Bauleute haben mir das Inwendige der Seele bewegt und anscheinend eine heimliche Tür eingestoßen. Wenn ich ihnen antworte […] werde ich nun wohl wirklich das lange Zurückgehaltene zur Sprache bringen müssen. ›Theoretisch‹, ja, aber notwendigerweise zugleich autobiographisch, viel tiefer, viel intimer autobiographisch als in der Vorrede [zur Gesamtausgabe der Reden über das Judentum; siehe oben, S. 389 f.]. Denn das Eigentliche, was ich Ihnen zu sagen habe, kann ich nur aus dem Geheimarchiv der Person holen. Da Sie mich kennen, werden Sie verstehen, daß ich mit einigem Schrecken an diese Antwortspflicht denke.« (Buber an Rosenzweig, 10. August 1923, in: B II, S. 168 f.) Buber sollte zumindest schriftlich niemals eine umfassende Entgegnung auf Rosenzweigs »Bauleute« geben. Wie er in seiner Einleitung zur Korrespondenz erklärt, habe er auf eine Antwort verzichtet »aus einer Scheu, die nicht mich, sondern das Leben der jüdischen Gemeinschaft in dieser Weltstunde zum Gegenstand hat.« (Martin Buber, Offenbarung und Gesetz, in diesem Band, S. 126; vgl. auch die Einleitung zu diesem Band, S. 19 f.) Wie den wenigen Briefen zu entnehmen ist, die Buber mit Rosenzweig wechselte, waren sie verschiedener Meinung, was das Wesen der göttlichen Offenbarung sei. Während Rosenzweig das jüdisch-fromme Leben und das geistige Universum als durch Gottes Übergabe der Tora an Israel bedingt sieht, besteht Buber darauf, dass die Offenbarung eine fortwährende Begegnung mit der göttlichen Gegenwart in der jeweiligen Situation des Lebens ist. Daher rührt Bubers Weigerung, in Gott den Gesetzgeber zu sehen. Buber beharrt auf einer fundamentalen Unterscheidung zwischen Offenbarung als einem immer wiederkehrenden Ereignis und dem einmaligen Akt der sinaitischen Gesetzgebung. So bemerkt er etwa in seiner am Freien Jüdischen Lehrhaus 1922 unter dem Titel »Religion als Gegenwart« gehaltenen Vorlesungsreihe: »Sie haben gewiss verstanden, dass für mich alles Religiös-Wirkliche in seinem innersten Grunde eine Sache des Jetzt und Hier ist, nicht eine Sache irgend eines ge-

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schichtlichen Ereignisses, das seinem Wesen nach einmalig und unvergleichbar ist, sondern die Sache des ewigen und allgegenwärtigen Vorgangs, der sich nur in der Mannigfaltigkeit der Geschichte mannigfach gestaltet.« (Martin Buber, Religion als Gegenwart, Arc. Ms. Var 350 02 29; jetzt in: MBW 12, S. 87-160, hier S. 151.) Textzeugen: D: Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5697, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 147-154 (MBB 550). Druckvorlage: D Übersetzungen: Englisch: Letters to Franz Rosenzweig on the Law, in: Franz Rosenzweig, On Jewish Learning, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: The Noonday Press 1954 (MBB 961); Revelation and Law, in: Franz Rosenzweig, On Jewish Learning, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken Verlag, S. 119-118 (MBB 990). Variantenapparat: 129,12 Ihnen] berichtigt aus ihnen Wort- und Sacherläuterungen: 126,14 ‫ ]קדש ]…[ חול‬Buber erklärt die fremdsprachigen Ausdrücke am Ende des Textes, vgl. in diesem Band, S. 130. 127,9 Tefillin] hebr. »Gebetsriemen«. Mit Lederbändern werden gemäß Dtn 6,8 u. 11,18 die Kästchen, die Schrifttexte auf Pergament enthalten, an Stirn und Arm des Beters befestigt, um beim wochentäglichen Morgen-Gottesdienst den Bund mit Gott zu symbolisieren. 130,15 Wiener] Max Wiener (1882-1950): liberaler Rabbiner.

Israel und die Völker Der Aufsatz geht auf eine hebräische Rede Bubers zurück, die er auf einer Konferenz in Tel Aviv anlässlich des 100. Todestags von Nachman Krochmal (1785-1840), einer führenden Persönlichkeit der Haskala, der jüdischen Aufklärungsbewegung, gehalten hatte. Erschienen ist der Text auf Deutsch im März 1941 in der Schweizer Zeitschrift Neue Wege, die unter Leitung des Theologen Leonhard Ragaz (1868-1945) als Publikationsorgan religiöser Sozialisten diente. Während der Kriegsjahre war

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diese Zeitschrift Bubers einzige Möglichkeit, im deutschen Sprachraum Arbeiten zu veröffentlichen. Den hebräischen Titel – Gojim we’elohaw (etwa: »Völker und ihre Götter«): eine Anspielung auf II Sam 7,23 – nutzte Krochmal als Titel für ein zentrales Kapitel in seinem postum erschienenen geschichtsphilosophischen Werk More nevuche ha-zman (»Führer der Verirrten der Zeiten«), das erstmals 1851 von Leopold Zunz (1794-1886) herausgegeben wurde. Das Werk zeugt von dem starken Einfluss, den Maimonides (1135-1204) auf Krochmal ausübte. Während aber Maimonides mit seinem Führer der Verirrten die gebildeten Juden seiner Zeit ansprechen wollten, die überfordert waren, das Judentum mit der vorherrschenden aristotelischen Philosophie zu vereinbaren, wandte sich Krochmal an jene, deren Verwirrung von dem Problem der »Zeit« herrührte, dem wachsenden Bewusstsein, dass das Judentum wie andere Religionen und Kulturen eine Geschichte hat. Indem Krochmal dem Judentum die Auffassung von Gott als dem Absoluten zuschreibt, das über den menschlichen Kniffen und Ränken der Geschichte stehe, argumentiert er, dass die Juden den immanenten Kräften der Geschichte zwar ebenso wie die anderen Völker unterworfen seien, diese aber dank ihrer Hingabe an »ihren Gott«, den Absoluten, überwinden könnten. Bei seiner Bewertung von Krochmals geistigem Erbe kritisiert Buber den impliziten nationalen Egoismus des Philosophen, den man oft als Protozionisten beurteilt hat. Sowohl Krochmal als auch die Zionisten hätten die wahre Aufgabe des Judentums verraten, die Substanz des Volkslebens zu verkörpern, das mit dem Absoluten verbunden sein müsse und nicht auf einen rein geistigen Vorgang reduziert werden dürfe. Jedoch muss Buber eingestehen, dass seine Vision der Vorbildrolle Israels sich nicht verwirklicht habe: »wie ist doch auch bei jenen [zionistischen] Denkern, die nicht wollen, daß wir ›wie alle Völker‹ seien, aus dem absoluten ›Geistigen‹, zu dem sich Israel bekennt und dem es dient, ein ›Geist Israels‹ geworden, seiner Art nach kaum von den ›Geistern‹ anderer Völker verschieden« (Martin Buber, Israel und die Völker, jetzt in diesem Band, S. 143). Textzeugen: D1: Neue Wege, 35. Jg., Heft 3, März 1941, S. 101-113 (MBB 638). D2: »Die Götter der Völker und Gott«, in: Abraham unser Vater. Juden und Christen im Gespräch über die Bibel, hrsg. von Otto Betz, Martin Hengel und Peter Schmidt, Leiden: E. J. Brill 1963, S. [44]-57 (MBB 1230).

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D3: »Die Götter der Völker und Gott«, in: Werke II, S. [1067]-1083 (MBB 1252). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: The Gods of the Nations and God, in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, übers. von Olga Marx, New York: Schokken Verlag, S. 197-213 (MBB 786); 2. Aufl 1963 (MBB 1215). Französisch: Les Dieux des peuples et Dieu, Revue de la pensée Juive, 3, April 1950, S. 36-47 (MBB 831). Hebräisch: Gojim we-elohaw, in: Knesset. Divre sofrim le-zekher Ch. N. Bialik, hrsg. von Jaakov Cohen und F. Lachover, 6. Buch, Tel Aviv: Devir 1941, S. 287-295 (MBB 643); in: Ha-ruach we-ha-metzi’ut. Tischʿ a scheʿ arim le-berur ha-jachas sche-bejnejhem, S. 34-50 (MBB 652); in: Teʿ uda we-jiʿ ud, 2. Bd.: Ma’amarim al injane ha-schaʿ a, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1961, S. 113-123 (MBB 1182). Variantenapparat: 131,1 Israel und die Völker] Die Götter der Völker und Gott D2, D3 131,Anm 1 Rede in Tel Aviv […] Krochmals] Dieser Aufsatz ist in seiner hebräischen Fassung 1941 veröffentlicht worden. In der deutschen Fassung wurde nichts geändert. D2 131,3 1840] berichtigt aus 1841 nach D2, D3 131,3 1840] zusätzliche Anmerkung Sein (hinterlassenes) Hauptwerk – in hebräischer Sprache – ist, im Anschluß an das große philosophische Werk des Maimonides »Führer der Verirrten«, betitelt: »Führer der Verirrten unserer Zeit«. D2, D3 131,4 Begründer] Schöpfer D2, D3 131,4-5 Begründer] Schöpfer D2, D3 131,13 der Völker] der Völker, so lehrt er, D2, D3 132,1 ein neuer Start] eine neue Ausfahrt D2, D3 132,7-8 weitreichenden] fehlt D2, D3 132,8 jüdischen Geschichte] Geschichte Israels D2, D3 132,9 der jüdischen Aufgabe] seiner Aufgabe D2, D3 132,9 aber] jedoch D2 132,24 der Schrift] fehlt D2, D3 132,29-30 , der einzige […] hervorgebracht hat,] fehlt D2, D3 132,31 seines Volkes] Israels D2, D3 132,34 doch tun müßte] zu tun gehalten war D2, D3 132,35 das Absolute ihm] dieses Absolute D2, D3

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132,36 Einheit] Eigenheit D2, D3 132,38 – hie die Völkerwelt, hie sein Gott! –] fehlt D2, D3 132,Anm 2] fehlt D2, D3 132,39 vorschreitet] fortschreitet D2, D3 133,1-2 es dem jüdischen Volke] diesem Volk D2, D3 133,3 sein eigenes] das eigene D2, D3 133,4 in seinem] im D2, D3 133,7 Lebendig-Göttliche] lebendig Göttliche D2, D3 133,7 seiner Mitte] Israels Mitte D2, D3 133,9 der Juden] des Judentums D2, D3 133,14 Israel] das Judentum D2, D3 133,16 jüdische Volk] Volk D2, D3 133,17 seines Daseins] des eigenen Daseins D2, D3 133,18 was es] was Israel D2, D3 133,19 und nicht] nicht aber D2, D3 133,22 wir] sie D2, D3 133,26 unsere] die jüdische D2, D3 133,28 unserer] der jüdischen D2, D3 133,29 Wir prätendieren] Das Judentum prätendiert D2, D3 133,30 lehren wir] lehrt es D2, D3 133,31 wir sind […] sind wir] es ist […] ist es D2, D3 133,32-35 müssen sie […] übergehen, […] ihrer Innerlichkeit […] uns abschaffen] muß, wo eins von ihnen dazu übergeht, […] seiner Innerlichkeit […] es Israel abschaffen D2, D3 134,2 Einheit] Eigenheit D2, D3 134,Anm 1] fehlt D2, D3 134,Anm 2] fehlt D2, D3 134,19 Völker] Völker auf einmal D2, D3 134,24 zum Reich Gottes zuzubereiten] als Königtum Gottes aufzurichten D2, D3 134,28 erklärt] bestätigt D2, D3 134,30 zurückzudrängen] vorzuschieben D2, D3 135,5 noch nicht] ja nicht D2, D3 135,6 Prinzipien] Regeln D2, D3 135,21 bildet] berichtigt aus bilden nach D2, D3 135,25 weltlichen] säkularen D2, D3 135,29 einige] etwelche D2, D3 136,2 Lehrers] Lehrmeisters D2, D3 136,6 Es glaubt] Es glaubt, »daß es nur mit seinem Gott siegen und alle anderen Götte und Völker sich unterwerfen kann.« Es glaubt D2, D3 136,11 heidnischen] »heidnischen« D2, D3

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136,17 eine Wahrheit] e i n e Wahrheit D2, D3 136,23 Gott haben] Gott »haben« D2, D3 136,23-24 bloß erkennen […] bloß anrufen] erkennen […] anrufen D2, D3 136,25 Verkündigung] Verkündung D2, D3 136,41-137,2 Wohl, er war […] zu können.] fehlt D2, D3 137,8 als des einzigen Gotträger-Volkes] fehlt D2 137,24 im Sinn] vor Augen D2, D3 137,28-29 wir Juden] die Juden D2, D3 137,29 den wir] den die D2, D3 137,30 unser] ihr eigenes D2, D3 137,32 uns] Israel D2, D3 138,29 Unsere Erkenntnis] Die Erkenntnis D2, D3 138,31 Seite] Seite der Weltgeschichte D2, D3 138,35 Volksgottes] Volksgottes, der seine Wanderung und Landnahme anführt, D2, D3 139,4 Israel] ihm D2, D3 139,5 JHWHs] seinem D2, D3 139,6 der heilige Berg] »sein« Berg D2, D3 139,8 Micha, anscheinend] davor Absatzwechsel D2, D3 139,15 »in alle Ewigkeit«] »auf Weltzeit und Ewigkeit« D3 139,19 Tempelberg] Tempelberg zu Jerusalem D2, D3 139,26-28 , den Krochmal […] darlegt,] fehlt D2, D3 139,29 direkten] unmittelbaren D2, D3 139,33 an seinen Völkern] fehlt D2, D3 139,38 weiß von einer anderen] weiß anders von einer D2, D3 139,41 Nun ist auch] abgetrennt als eigener Abschnitt 4 D2, D3 140,1 Wir] Die Juden D2, D3 140,6 strömen] »strömen« D2, D3 140,8 ganz] völlig D2, D3 140,11 Wenn es so ist] davor Absatzwechsel D2, D3 140,12-13 die Aufgabe des Judentums] Israels Aufgabe D2, D3 140,21 könnte] kann D2, D3 140,24 Gedanken] nicht hervorgehoben D2, D3 140,29 das Gebot] das Gebot (anredendes Gebot, nicht objektiviertes Gesetz) D2, D3 141,1 Es ist aber] davor Absatzwechsel D2, D3 141,9-10 des Lebens […] Volkslebens sein] des Lebens, und zwar des Volkslebens, sein D2, D3 141,13 in der Sprache der christlichen Mystik] christlich-mystisch D2, D3 141,19-20 verschieden gewillter] gewillter D2, D3 141,21-22 kann sich […] offenbaren] kann […] erscheinen D2, D3

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141,23 Werden] Werk D2, D3 141,24 bei aller Verschiedenheit] fehlt D2, D3 141,31 Doppelaufgabe] doppelten Aufgabe D2, D3 142,26 das Ebenbild] es D2, D3 142,27 des Juden] der Juden D2, D3 142,29 rauben] entziehen D2, D3 143,5 uns Juden] den Juden D2, D3 143,6 war uns […] wir] war ihnen […] sie D2 ist ihnen […] wir D3 143,7 unseren] eigenen D2, D3 143,8 wir […] unseren] sie […] ihren D2, D3 143,18 des Absoluten] fehlt D2, D3 143,19 das Absolute] das Absolute vielfach D2, D3 143,20-21 unser nationales Schrifttum] das nationale Schrifttum D2, D3 143,23 wir […] seien] Israel […] sei D2, D3 143,23-24 sich Israel] es sich D2, D3 143,26 Wir haben gehofft] Man hat gehofft D2, D3 143,28-30 Schon scheint die […] wäre sie nicht.] fehlt D2, D3 Wort- und Sacherläuterungen: 131,5 Giambattista Vico] Ital. Geschichtsphilosoph. In seinem Hauptwerk Principii di una scienzia nuova (1725) entwarf Vico eine zyklische Geschichtstheorie, der zufolge die Entwicklung der verschiedenen Völker drei Phasen durchläuft. Dabei führte Vico die diversen mythischen Erzählungen auf wirkliche historische Ereignisse zurück. Eine Sonderstellung nimmt in seiner Theorie allerdings die biblische Erzählung ein, da er die dort dokumentierte israelitische Geschichte als wirkliche Geschichte göttlicher Offenbarung betrachtet, wohingegen die der anderen Völker zwar auch der Vorsehung gemäß verlaufe, jedoch im Wesentlichen bloß menschliche Geschichte sei. Auf den Einfluss der Theorien Vicos auf Krochmal bei der Abfassung des hier von Buber diskutierten 7. Abschnitts »Die Völker und ihre Götter« verweist auch der Kommentar. Vgl. Nachman Krochmal, Führer der Verwirrten der Zeit, Hamburg 2012, hrsg. von Andreas Lehnardt, Bd. 1, S. 93, Anmerkung 2. 131,13-16 Jedes der Völker […] seinem »Gott« zugewandt ist] Krochmal, Führer der Verwirrten der Zeit, Pforte 7, S. 95. 134,Anm 2 würde ich in diesem Zusammenhang so verstehen] Offenkundig eine Anmerkung der Redaktion der Neue Wege, d. h. wohl die von Leopold Ragaz. 135,35-38 hat ein Mann, […] »Fürsten« der Völker modernisiert.] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 50,27.

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136,4-5 Dieser Gott ist die »synthetische Persönlichkeit« des Volkes.] Nicht nachgewiesen. 136,5-8 An diesen Gott […] ausschließlich in ihm«] »Das ewige Ziel aller Regungen eines Volkes, jedes Volkes, und jedes besondere Ziel in jedem Abschnitt seines Daseins ist immer und einzig ein Suchen nach Gott, nach seinem Gott, unbedingt nach seinem eigenen, und der Glaube an ihn als an den einzig wahren.« F. M. Dostojewski, Die Dämonen, übertragen von E. K. Rahsin, München 1956, S. 344. 136,9-10 »Ein Volk, das diesen Glauben verliert, ist kein Volk mehr.«] »Ein Volk, das diesen Glauben an sich selbst einbüßt, ist bereits kein Volk mehr.« Ebd., S. 346. 136,41-137,2 aber ich habe manchen solchen gekannt, […] glauben zu können.] Die Anspielung gilt dem protestantischen Theologen Florens Christian Rang (1864-1924). Vgl. Zwei Glaubensweisen, Zürich: Manesse Verlag 1950, S. 135 (jetzt in: MBW 9, S. 202-312, hier S. 285). 137,4 »Ist es für den zivilisierten Menschen noch möglich, zu glauben?«] Nicht nachgewiesen. 137,10-13 »Die Griechen haben die Natur vergottet, […] Staat hinterlassen.] »Die Griechen vergötterten die Natur und vermachten der Welt ihre Religion, das heißt Philosophie und Kunst. Rom vergötterte das Volk im Staate und hat den Völkern den Staat vermacht.« Dostojewski, Die Dämonen, S. 346. 138,1-2 er »Gott […] erhebe das Volk zu Gott«] »›Ich hätte Gott bis zu einem Attribut der Nationalität herabgezogen?‹ fuhr Schatoff auf. ›Im Gegenteil, ich hebe das Volk bis zu Gott emopor. […]‹« Ebd., S. 345. 139,14 »in der Späte der Tage«] Mi 4,1. 139,15 »in alle Ewigkeit«] Mi 4,5. 139,18 so hatte Jesaja geweissagt] Jes 2,4. 139,26-27 als Motto über das Kapitel] Mi 4,5 ist das Motto zu dem von Buber hier untersuchten siebten Kapitel »Die Völker und ihre Götter«. Vgl. Krochmal, Führer der Verwirrten der Zeit, S. 93. 139,36 »synthetische Volkspersönlichkeiten« (Dostojewski)] Bei Dostojewski ist dieser Begriff nicht nachgewiesen. 139,39-40 mit seinem »Gott« siegen […] unterwerfen wird] »Jedes Volk ist ja doch nur so lange ein Volk, wie es noch seinen besonderen Gott hat und alle übrigen Götter auf Erden unbestechlich ablehnt, so lange es daran glaubt, daß es mit seinem Gott alle anderen Götter besiegen und aus der Welt vertreiben wird.« Dostojewski, Die Dämomen, S. 345. 139,41 Nun ist auch das Problem] Hier beginnt in den späteren Drukken der 4. Textteil.

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141,12-13 »Das Volk – das ist der Körper Gottes.«] »Das Volk – das ist doch der Körper Gottes.« Dostojewski, Die Dämonen, S. 345. 141,16 »in seinem Bilde«] Gen 1,27. 142,8 Marx] Karl Marx (1818-1883): dt. Philosoph und Ökonom; analysierte in seinem Hauptwerk Das Kapital (1867) grundlegende Bewegungsgesetze des Kapitalismus. 142,10 Freud] Sigmund Freud (1856-1939): österr. Psychologe und Kulturtheoretiker; Begründer der Psychoanalyse.

Ein Wort an Dreizehnjährige Diese Ansprache anlässlich einer Bar Mitzwa-Feier erschien am 16. März 1941 in Beʿ ajot ha-Jom, einer Zeitschrift, die vom Ichud, der Vereinigung für jüdisch-arabische Verständigung, veröffentlicht wurde und in der einige Aufsätze Bubers erschienen. Da Buber eine Gruppe von jungen Menschen anspricht, kann angenommen werden, dass die Feier im Rahmen einer liberalen Gemeinde stattfand. Textzeugen: D: Devar el bene schlosch-esre, Beʿ ajot ha-jom 1. Jg., Nr. 24 vom 16. März 1941, S. 3 (MBB 644). Druckvorlage: Übersetzung aus dem Hebräischen Simone Pöpl. Wort- und Sacherläuterungen: 144,9-18 So erzählt der Midrasch […] von dieser Strafe befreit hat.] BerR LXIII,9 (Ed. Albeck II, S. 692 f.) zu Gen 25,27. Vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Bereschit Rabba, S. 301.

Hebräischer Humanismus Buber reflektiert mit vierzig Jahren Abstand sein ursprüngliches Anliegen einer jüdischen Renaissance, das er 1913 (und erneut 1929) mit dem Ausdruck »Hebräischer Humanismus« bezeichnet hatte. Er analysiert diesen Begriff nun unter dem Aspekt der gesamten Menschheit, um das Anliegen zu unterstreichen, in Palästina die gesamte »Wirklichkeit des Lebens« zu erneuern, und zwar zu einer Zeit des »drohenden Untergang[s] des Menschlichen«. Buber betont, ein wahrer Humanismus sei als eine »literarische Überlieferung […] maßgebend, normativ«, denn

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»sie lehrt zwischen dem Menschlichen und dem Unmenschlichen [zu] scheiden« (Martin Buber, Hebräischer Humanismus; jetzt in diesem Band, S. 149 f.). In der Weitergabe des Gedankengutes müsse ein Unterschied zwischen den dauerhaften und zeitlich bedingten Elementen gemacht werden. Der zeitgenössische Hebräische Humanismus müsse darum zu den Werten der Bibel zurückkehren. In Anlehnung an eine Losung Konrad Burdachs (1859-1936) verlangt Buber vom Zionismus die »Rückkehr zum Urgrund unseres Wesens, und zwar in einer konkreten Umgestaltung unseres Lebens« (ebd., S. 150). Der neue Humanismus erfordere eine unbedingte Verpflichtung, das gesamte Leben unter den Prinzipien von Wahrheit und Gerechtigkeit zu vereinigen. Genau das müsse die Verwirklichung eines in Gott zentrierten biblischen Humanismus sein, jenseits eines »leeren« und »nationalegoistischen« Zionismus. Buber fordert »Israel« auf, sich auf seine einzigartige historische Aufgabe zu besinnen, dass Gott gewollt habe, »daß der Mensch, den er erschaffen hat, wahrhaft Mensch werde, […] in der Lebensordnung eines Volkes, das damit, den anderen vorangehend, die Lebensordnung einer künftigen Menschheit, eines Volkes aus Völkern, entwirft. Israel ist erwählt, ein wahres Menschenvolk, und das heißt: ein Volk Gottes zu werden.« (Ebd., S. 156; vgl. auch die Einleitung zu diesem Band, S. 22 f.) Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 24a); 7 lose paginierte Blätter, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Es hat sich ein weiteres Blatt mit einem Teilstück des Textes erhalten, das darauf verweist, dass ein früherer Entwurf existiert haben dürfte, dessen Reinschrift H darstellt. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 24a); 17 lose Blätter, paginiert. Das Typoskript ist zweischichtig. TS1.1: Grundschicht. TS1.2: Überarbeitungsschicht: vereinzelte Korrekturen mit blauer Tinte. D1: Neue Wege, 35. Jg. (1941), Heft 14, S. 1-11 (in MBB nicht verzeichnet). D2: JuJ, S. 732-744 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Hebrew Humanism, übers. von Olga Marx, in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken Verlag, S. 240252 (MBB 786); 2. Aufl. 1963 (MBB 1215).

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Hebräisch: Humanijut ivrit, Ha-poʿ el ha-tzaʿ ir, 34. Jg., Heft 18 vom 30. Mai 1941, S. 4-7 (MBB 645); in: Ha-ruach we-ha-metzi’ut. Tischʿ a scheʿ arim le-berur ha-jachas sche-bejnejhem, S. 51-63 (MBB 652). Variantenapparat: 147,Anm 1] fehlt H, TS1.1, TS1.2, D2 147,2 1.] fehlt D2 147,8 kein rein nationaler] kein nationaler D2 147,9 schon in ihrer Frühzeit] hschon in der Frühzeiti H 147,9-10 Erneuerung des Populus Romanus] Erneuerung [Roms, also italischen Wesens] ! des Populus Romanus H 147,11-13 damals schon mein Lehrer Dilthey […] Konrad Burdach] [mein verstobener Lehrer und Freund, der grosse Germanist Konrad Burdach] ! damals schon mein Lehrer Dilthey […] Konrad Burdach H 147,14 Bejahung] Verjüngung H 147,15-17 Dies empfanden wir, […] zum Ausdruck gebracht.] fehlt D2 147,18 sprachlichen Forderungen] sprachlichen Folgerungen D2 147,23-24 , deren Begründung […] verhindert hat,] h, deren Begründung […] verhindert hat,i H 147,25 das Lehrprogramm] dieses Programm H, D2 147,29 Damit man aber] [Beidemal sollte damit mehr gesagt sein als bloss dass wir das brauchen, was] ! Damit man aber H 147,34 meinte] im Sinn hatte H, TS1.1, TS1.2 D2 148,2 mit größter Klarheit] hmit grösster Klarheiti H 148,7 seinem Ungeist standzuhalten] daß sie seinem Ungeist standhalte D2 148,9-12 Damit war […] zugewiesen wurde. ] hDamit war […] zugewiesen wurde.i H 148,10 dieser Aufgabe] jener [Funktion] ! Aufgabe H jener Aufgabe D2 148,13-15 Heute, wo wir Juden aus Deutschland, die unseren Beitrag […] leisten wollen, vorweg zu sagen haben] Heute, wo es darum geht, daß wir Juden aus Deutschland unseren Beitrag […] leisten, und wir vorweg zu sagen haben D2 148,19 vage] [unbestimmt] ! vage H 148,28 Geist] Sein H, TS1.2, D2 148,30-31 »Wenn du ein Mensch wärst«,] Si tu sis homo, H, TS1.1, TS1.2, D2 148,32-33 »Welch holdes Wesen ist doch der Mensch, wenn er nur Mensch wäre!«] ὡς χαριέν ἐστ’ ἄνθρωπος, ὅταν ἄνθρωπος ᾖ. H, TS1.1, TS1.2, D2 148,35 entscheidend] [allein] ! entscheidend H

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Einzelkommentare

148,36 wiewohl auch ihnen die Humanitas nicht verschlossen ist] doch ist auch ihnen die Humanitas nicht verschlossen D2 148,36 für die] [auch im Leben derer] ! für die H 148,38 ins Unmenschliche] ins Unmenschliche [h, die er durch Einkehr, ja die Humanitasi] H 149,7 eine wichtige] [die wichtigste] ! eine wichtige H 149,10 dem eigenen Zeitalter] in der Zeit H, TS1.1, TS1.2 D2 149,11 Menschentum] Menschenbilde H, D2 149,13-14 den drohenden Untergang] [dem drohenden Verblassen] ! den drohenden Untergang H 149,21 in einem besonderen Sinne] hin einem besonderen Sinnei H 149,22-23 das Menschenideal] [den edlen Menschen] ! das Menschenideal H 149,23 seiner] seines Wesens H 149,24-26 Menschen, die diesem Ideal […] Aeußerungen] [sie selber hatten sich geäussert, von ihren Äusserungen hatte sich nicht weniges, darunter manches vom Allerwichtigsten erhalten] ! Menschen, die diesem Ideal […] Aeußerungen H 149,30 große Mensch, der sich äußert] [Genius] ! grosse Mensch, der sich äussert H 149,32 die Sprache, was] die Sprache. Was D2 149,33-35 Ja, die Sprache selber […] Menschenbild geprägt] [Aber wir dürfen eben nicht bei ihr stehen bleiben] ! [Der Humanismus bleibt eben nicht bei ihr stehen] ! Ja, die Sprache selber, die eigentliche Struktur die sich hier aus einer Sprachengruppe abgezweigt hat […] [die Bildkraft und Ausprägung der geistigen Gestalt] wird von jenem Menschenbild geprägt H Ja, die Sprache selber, die eigentliche Struktur die sich hier aus einer Sprachengruppe abgezweigt hat, […] Menschenbild geprägt D2 150,23 maßgebend über] maßgebend gegenüber D2 150,27 2.] fehlt; Abschnitt abgeteilt durch einfache Leerzeile H, TS1.1, TS1.2, D2 151,3 Ausformung] [Ausgestaltung] ! Ausformung H 151,28-29 das jüdische Wesen] unser Wesen H, TS1.1, TS1.2, D2 151,32 durch die erneute Erdverbundenheit] [Kräfte der Natur und Erde] ! durch die erneute Erdverbundenheit H 151,35-36 Es gibt […] der Urgeist Israels, den Geist] Keine andere geistige Macht kann dies vollbringen als der Urgeist Israels, der Geist D2 151,36 geschaffen] geschaffen [und uns in diesem unseren Wesen auf den Weg unseres Schicksals] H 152,5 an keiner anderen Stelle] aus keinem andern Buch H

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152,19 der einen göttlichen Weisung] [dem einen göttlichen Gesetz] ! der einen göttlichen Weisung H 152,22 das vollkommene Recht] [die eine Wahrheit] ! das vollkommene Recht H 152,24 ein Unrecht] [die Stände] ! ein Unrecht H 152,25 zu nehmen. Aber] zu nehmen; [– wir sind dazu genötigt, weil unser Glaube nicht so gross ist, dass wir es wagten, nicht bloss unsere Person, sondern auch unsere Gemeinschaft in die Hände Gottes zu geben, und diese Unzulänglichkeit unseres Glaubens ist in unserer menschlichen Situation tief begründet;] aber H zu nehmen; aber TS1.1, TS1.2 152,27-28 zur Bewahrung […] gefordert ist] [das Leben fordert] ! zur Bewahrung […] gefordert ist H 152,28-29 nicht mehr] nicht weniger TS1.2, D2 152,32 schmerzlichstes] schmerzliches TS1.1, TS1.2, D2 153,3 Folge zu leisten] [zu dienen] ! Folge zu leisten H 153,5 auferlegt ist; sie machen] auferlegt ist; [in der unerbittlichen Strenge der Wirklichkeit tun sie ihre Pflichten und vollbringen was zu vollbringen ist,] sie machen H 153,6 den Kopf nicht zurück.] den Kopf nicht zurück. [Sie gehen soweit sie gehen müssen] H 153,21-22 Das heißt […] zurückkehren] Das heißt in der Sprache von heute jenes »Zum Urgrund unseres Wesens zurückkehren«. Die Sprache von morgen wird hoffentlich eine andere sein: die Sprache einer positiven Verwirklichung von Wahrheit und Recht nach unseren besten Möglichkeiten im Aufbau unseres ganzen Gemeinschaftslebens nach innen und nach außen H, TS1.1, TS1.2, D2 153,23] fortlaufender Text D2 153,28 ein Mensch] [die Existenz eines Menschen] ! ein Mensch H 153,29 kein Recht […] ein Volk] [keinen Sinn und Grund hätte, so auch die Existenz eines Volkes] ! kein Recht […] ein Volk H 154,9 zum Volk] [zur Nation] ! zum Volk H 154,11 und durch den sie zu »Israel« wurden] hund durch den sie zu »Israel« wurdeni H 154,13 Heldentums] [Heroismus] ! Heldentums H 154,Anm 2] fehlt H, TS1.1, TS1.2, D2 154,19 klingen, […] wieder gutzumachen] [wie eine Antwort klingen] ! klingen, […] wiedergutzumachen H 154,22 Sie, die elementare Einheit] [Und diese Wirklichkeit] ! Sie, die elementare Einheit H

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154,24-25 einem Exil, das viel länger gewährt hat] einem Exil, das viel länger war H, TS1.1, TS1.2, D2 154,25 am Leben erhielt] am Leben erhalten hat H, TS1.1, TS1.2, D2 154,26 dieses Band zerreißt] [dieses sich anmasst] ! dieses Band zerreißt H 154,32-33 Erkenntnis, ohne die […] verstehen ist] [Erkenntnis. Alle Versuche, eine Profangeschichte Israels zu konzipieren, sind misslungen] ! Erkenntnis, ohne die […] verstehen ist H 154,Anm 1] fehlt D2 155,7 »Ihr werdet mir ein Sondergut aus allen Völkern sein«] »Dann werdet ihr mir aus allen Völkern ein Wesensgut« D2 155,13 jedes] nicht hervorgehoben H, D2 155,14 Besonderheit] [Einzigkeit] ! Besonderheit H 155,37 fordert und er richtet] fordert [die Ganzheit des Menschen] H 156,5 ganz] nicht hervorgehoben D2 156,11 , den anderen vorangehend,] fehlt H, TS1.1, TS1.2, D2 156,18-19 ergibt sich] [beugt sich zuletzt] ! ergibt sich H 156,19-20 als ob […] begrenzt wäre] hals ob […] begrenzt wärei H 156,20 begrenzt wäre. Und der] begrenzt wäre; und der TS1.1, D2 156,31-32 eine Nation wie die anderen und eine Religion wie die anderen] berichtigt aus eine Nation wie die andere und eine Religion wie die andere nach H, TS1.1, TS1.2, D2 156,33-34 Aufschwung genommen] Aufschwung genossen D2 156,35 bestimmenden Macht] bestimmenden [normativen] Macht H 157,7 bald nicht mehr sein] bald nicht sein D2 157,11 Jenseits der Einheit] [Nur das »Gesetz, nach dem wir angetreten«] ! Jenseits der Einheit H 157,23 wir […] Verrat geübt haben] [wir es verraten haben] ! wir […] Verrat geübt haben H 157,26 es reitet] [man reitet, es fragt sich nur wohin] ! es reitet H 157,27 unsere] nicht hervorgehoben D2 157,29 in die Unterwelt der Geschichte führt] zu Asasael H, TS1.1 in die Unterwelt führt D2, TS1.2 157,37 Bildungsarbeit des Landes] [Erziehung] ! Bildungsarbeit des Landes H Wort- und Sacherläuterungen: 147,Anm 1 Organisation der Juden aus Deutschland und Oesterreich] 1932 wurde die Hitachdut Olej Germania (Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland) gegründet, die seit 1938 in ihren Namen die Einwanderer Österreichs einbezieht.

Hebräischer Humanismus

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147,11 mein Lehrer Dilthey] Wilhelm Dilthey (1833-1911): dt. Philosoph und Literaturhistoriker; Buber war sein Schüler an der Universität Berlin. 147,13 Germanist Konrad Burdach] dt. Literaturwissenschaftlicher; seine Themenschwerpunkte waren die Minnesangforschung und die Goethephilologie. 147,22-23 Programm einer […] freien jüdischen Mittelschule] Eine Konferenz zur Begründung eines jüdischen »College« in Deutschland fand auf Bubers Initiative am 18. Mai 1913 in Dresden statt. Vgl. den Brief an Hugo Bergmann vom 7. Mai 1913, in: B I, S. 331, sowie Hugo Bergman, Aus frühen Briefen Martin Bubers, Mitteilungsblatt des Irgun Olej Merkaz Europa vom 8. Februar 1963, S. 6-7. 147,26 1929 in einer Rede auf dem Zionistenkongreß] Vgl. »Rede auf dem XVI. Zionisten-Kongress in Basel« vom 1. August 1929, in: Kampf um Israel, S. 421-431, hier S. 430 (jetzt in: MBW 21). 148,8 »Biblischer Humanismus«] Der Aufsatz erschien in Der Morgen, 9. Jg., Oktober 1933, Heft 4, S. 241-245 (jetzt in: MBW 13). 148,30-31 »Wenn du ein Mensch wärst«] Vgl. Terenz, Adelphoe, hrsg. von Ronald H. Martin, Cambridge u. a. 1976, S. 91. 148,32-33 »Welch holdes Wesen […] Mensch wäre!«] Nicht nachgewiesen. 148,39 jüngeren Scipio] Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (185/184-129 v. Chr.): röm. Feldherr und Politiker; Zerstörer Karthagos. Um den jüngeren Scipio sammelte sich ein Kreis philosophisch gebildeter Personen. 148,39-149,2 wie man nach beendigtem Feldzuge […] Humanitas nicht zu verlieren.] Vgl. Marcus Tullius Cicero, Vom rechten Handeln. Lateinisch und deutsch, hrsg. und übers. von Karl Büchner, Zürich 1994, S. 79. 150,30-32 »Eines jeden Dinges […] Urgrund zurückzukehren.«] Konrad Burdach, Über den Ursprung des Humanismus, in: ders., Reformation, Renaissance, Humanismus. Zwei Abhandlungen über die Grundlage moderner Bildung und Sprachkunst, Berlin 1918, S. 97-203, hier S. 170. 154,13 das Deboralied] Ri 5. 154,16-17 das Volk […] verlangt, um wie alle »Gojim« zu werden] Vgl. I Sam 8. 154,17-18 den Mann, […] Dynastie begründet] Gemeint ist König David. 154,20 »Wer ist wie dein Volk Israel, ein einziger Goj auf Erden!«] II Sam 7,21.

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155,4-5 das Wort von der »besonderen Liebe«, die Gott Israel entgegenbringt] Vgl. mAv III,18 (BT, Bd. IX, S. 673). 155,7 »Ihr werdet mir ein Sondergut aus allen Völkern sein«] Ex 19,5. 155,21-22 »Am deutschen Wesen wird die Welt genesen«] Das für das übersteigerte deutsche Nationalgefühl charakteristische Wort entstammt den Schlussworten von Emanuel Geibels (1815-1884) Gedicht »Deutschlands Beruf«, »Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen«. Emanuel Geibels ausgewählte Werke, eingel. von Max Hendheim, 2 Bde., Erster Band: Gedichte, Leipzig 1921, S. 364-365, hier S. 365. 156,29 Unserer Zeit war es vorbehalten,] In der hebr. Fassung als vierter Abschnitt abgesetzt. 157,24-26 an das bekannte Wort Bismarcks […] reiten] »Setzen wir Deutschland, so zu sagen, in den Sattel. Reiten wird es schon können.« Otto von Bismarck, Rede im norddeutschen Reichstag am 11. März 1867, in: Die politischen Reden der Fürsten Bismarck. Historisch-kritische Gesamtausgabe, besorgt von Horst Kohl, Bd. 3: 18661868, Allen 1970 [Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1892], S. 184.

Religion in unserem Land Buber eröffnet seinen Vortrag, den er auf Hebräisch im Rahmen einer Konferenz über Religion in der Synagoge Emet ve-Emunah in Jerusalem 1940/41 gehalten hat, mit der Feststellung, das Hebräische besitze kein Wort für »Religion«, und selbst das hebräische Analogon von »religiös« (hebr.: dati) sei nur ein schwacher Ersatz für die Wirklichkeit, die die »Existenz mit Gott« bedeute. Diese Wirklichkeit werde in dem biblischen Ausdruck zusammengefasst: »Du sollst ganz (tamim) sein mit deinem Herrn«. Zum einen stellt Buber fest, dass der Vers sich an die Gemeinschaft richtet, nicht nur an den Einzelnen. Des Weiteren aber bezeichne der Ausdruck hier nicht eine bestimmte Gottheit, sondern Gott wie man ihm in Offenbarungsereignissen begegnet. Der hier angesprochene Existenzbereich sei, wie Buber unterstreicht, die Totalität des Lebens, und genau das solle mit dem Imperativ, in »Ganzheit« mit Gott zu leben, ausgedrückt werden. Der wesentliche Aspekt des »mit« Gott sein schließlich bringe die Herausforderung zum Ausdruck, für Gott offen zu sein, der zu jeder Zeit neue Ansprüche stelle, der ein Gott des »Ich bin der Ich bin« und nicht ein Gott fixierter und abgeschlossener Forderungen sei. Buber wendet diese Merkmale auf die vier Typen der Religiosität in

Religion in unserem Land

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Palästina an. Die Ultra-Orthodoxen seien dem Gebot gegenüber gehorsam, neigten aber dazu, nur eine spezifische Art des Judentums als echte Form anzuerkennen und beschränkten sich auf das Befolgen der empfangenen Gebote, das von ihnen über das Leben mit Gott gestellt werde. Eine zweite Gruppe wolle das Judentum »retten«, aber nicht in seiner zentralisierten, maßgeblichen Gestalt; es handele sich um ernsthaft »Suchende«, interessiert an »Religion« und »Gott« – auch wenn manche von ihnen Religion nur in soziologischen Begriffen verstehen, und andere die Wirklichkeit göttlicher Transzendenz nicht anerkennen. Buber kritisiert die reduktionistischen Aspekte dieser »modernen« Orientierungen. Die Vertreter des dritten Typs würden sich auf die »Reinheit« ihrer Lebensführung konzentrieren, erführen dabei aber eine Gottesfinsternis – sie dienten zwar den biblischen Prinzipien der Gerechtigkeit, aber in einem spirituellen Vakuum. Der vierte Typus lebe mit spirituellen Mut innerhalb der Verfinsterung göttlichen Lichts, aber mit den Worten Moses auf den Lippen: »Das ist mein Gott, und ich will ihn preisen« (Ex 15,2). Buber versichert letztere seiner Zustimmung. Und fügt hinzu: in einer Zeit der Gottesfinsternis müsse man so handeln, wie es trotz der Gebrochenheit des Lichts möglich sei und das bedeute, ein »Leben der Wahrheit« mit anderen Menschen leben: ein Leben, dass in Wahrheit sich vom »Gott der Wahrheit« ableitet. Das sei der einzige Weg in die Zukunft. Textzeugen: D1: Darkhe ha-dat be-artzenu, Machbarot la-sifrut, 2. Jg., Heft 1, Mai 1942, S. 34-40 (MBB 659). D2: Darkhe ha-dat be-artzenu, in: Ha-ruach we-ha-metzi’ut. Tischʿ a scheʿ arim le-berur ha-jachas sche-bejnejhem, S. 118-125 (MBB 652). Druckvorlage: Übersetzung von D1 aus dem Hebräischen von Simone Pöpl. Wort- und Sacherläuterungen: 159,13-14 »Ganz sollst mit Ihm deinem Gott du sein«] Dtn 18,13. 159,36-37 »der Fels, ein Ganzes sein Wirken«] Dtn 32,4. 161,5 »des Herrn Tempel ist das«] Jer 7,4. 161,11 »ich habe dich immer vor Augen«] Ps 16,8. 161,24-25 »Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachjagen«] Dtn 16,20. 162,41-163,1 Lehre von Sorel […] Generalstreik ein »sozialer Mythos«] In seiner 1908 erschienen einflussreichen Schrift Réflexions sur la violence postulierte der franz. Sozialphilosoph Georges Sorel (1847-

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1922) die Idee, vermittels eines künstlich geschaffenen Mythos des Generalstreiks die Arbeiter zur proletarischen Revolution zu bewegen. Buber verwendet die Worte des jungen Arbeiters auch in seinem Buch Gottesfinsternis, gibt dort aber dessen Worte als seine eigenen wieder. Vgl. Buber, Gottesfinsternis, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 84 (jetzt in: MBW 12, S. 403). 163,7-8 in einem wichtigen Buch] Mordechai Menachem Kaplan, The Meaning of God in modern Jewish Religion (1937), erschien als Arche ha-jahadut we-hitchadschutam übers. von Regelson mit Unterstützung Kaplans, Jerusalem 1938. 163,9-12 »Für einen Menschen […] reguliert werden.«] Vgl. »To the modern man, religion can no longer be a matter of entering into relationship with the supernatural.« Mordecai M. Kaplan, The Meaning of God in modern Jewish Religion, eingel. von Mel Scult, Detroit 1994, S. 25 [hebräisches Zitat S. 33]. 163,22-26 »eine göttliche Qualität, […] tiefsten Sinn«] Vgl. »We have to identify as godhood, or as the divine quality of universal being, all the relationships, tendencies and agencies, which in their totality go to make human life worthwhile in the deepest and most abiding sense.« Ebd. [hebräisches Zitat S. 32]. 163,41-164,3 »Der Glaube an Gott […] zu geben.«] Vgl. »To believe in God is to reckon with life’s creative forces, tendencies and potentialities as forming an organic unity and as giving meaning to life by virtue of that unity.« Ebd., S. 26 (Hervorhebung im Original). 165,21-22 Das ist mein Gott und […] ihn] Ex 15,2. 165,30-33 auf die Aggada […] untergegangen sei.] bAS 8a (BT, Bd. IX, S. 456 f.). Vgl. auch Buber, Gottesfinsternis, S. 32 (jetzt in: MBW 12, S. 374).

In Theresienstadt … In diesem anlässlich des 70. Geburtstags von Leo Baeck entstandenen Artikel greift Buber eine Anekdote wieder auf, die er bereits 1933 in dem zum 60. Geburtstag veröffentlichten kurzen Text »Adel« (vgl. in diesem Band, S. 98) verwendet hatte. Leo Baeck, der 1933 zum Präsidenten der Reichsvertretung der Deutschen Juden ernannt worden war, wurde, nachdem er Angebote zur Emigration ausgeschlagen hatte, 1943 in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt und versuchte dort, durch seelsorgerische und kulturelle Arbeit die jüdische Gemeinde zu erhalten.

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Preface [zu Israel and the World]

Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var 350 05 62); 1 loses Blatt, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit einigen Korrekturen versehen. D: Mitteilungsblatt der Hitachduth olej germania we olej austria, 7. Jg., Nr. 21, 21. März 1943, S. 1 (MBB 669). Druckvorlage: D Variantenapparat: 167,6 Adligen] Adligen [dessen Vetter damals (und noch eine Weile danach) Minister war] H 167,10 Eindruck auf mich] Eindruck auf mich [: Seither habe ich oft daran zurückdenken müssen] H 167,11 Geständnis] [Bekenntnis] ! Geständnis H 167,23 in Zion] [des Jischuw] ! in Zion H

Treue zum Geist Anlässlich des 70. Geburtstags von Salman Schocken (1877-1959) erschien die hebräische Lobrede (emuna be-ruach) in der Form eines persönlichen Briefes in der Tel Aviver Tageszeitung Ha-aretz am 31. Oktober 1947. Buber lobt Schocken für dessen tiefe, lebenslange Verpflichtung gegenüber dem Geist, der er nicht etwa bloß gelegentlich und als eine Nebenbeschäftigung nachgekommen sei, sondern die er als eine fundamentale Realität wahrgenommen habe. In diesem Kontext erinnert sich Buber an die lange Freundschaft mit Schocken, der insbesondere während der dreißiger Jahre Bubers Schriften verlegte. Textzeugen: D: Emuna be-ruach, Ha-Aretz vom 31. Oktober 1947 (MBB 778). Druckvorlage: Übersetzung aus dem Hebräischen von Simone Pöpl.

Preface [zu Israel and the World] In den Nachkriegsjahren erschienen eine ganze Reihe wichtiger Publikationen Bubers auf Englisch, wie z. B. Tales of the Hasidim (2 Bände New York: Schocken Books 1947/48) oder Between Man and Man (New

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York: MacMillan 1948). Ebenfalls 1948 erschien der Sammelband Israel and the World. Essays in a Time of Crisis im Schocken Verlag in New York, der mehrere der in diesem Band versammelten Aufsätze enthält, und dessen Vorwort hier zum Abdruck kommt. Die Mehrzahl der Arbeiten wurde von Olga Marx (1894-?) übertragen, die in dieser Zeit auch den Großteil seiner chassidischen Werke übersetzte. Der Band wurde 1963 zum zweiten Mal aufgelegt. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 08 705.I); 2 lose, paginierte Blätter; das erste Blatt ist doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Die Handschrift enthält die deutsche Fassung des Vorworts zu Israel and the World. D1: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken Books 1948, S. 5-7 (MBB 786). D2: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken Books 1963 [2. erweiterte Auflage], S. 5-7 (MBB 1215). Druckvorlage: D1 Abdruck von H: Als der Schocken Verlag mich aufforderte, eine Auswahl meiner hin den letzten Jahrzehnten entstandeneni kleineren Arbeiten über die zentralen Gegenstände des Judentums zusammenzustellen [und ich ans Werk des Sichtens ging] ! ging ich alsbald daran, das verhältnismässig am ehesten zum Dauern Bestimmte auszuwählen. Bei diesem weder kurzen noch leichten Werk der Sichtung habe ich stärker als je vorher gemerkt, dass diese Arbeiten [in einem genauen Sinn] ! zum weitaus grössten Teil als Gelegenheitsarbeiten bezeichnet werden können. Unter den 22, die die endgültige Auslese darstellen und in diesem Band zusammengefasst sind, habe ich nur eine einzige, »Imitatio Dei«, aus eigenem Vorsatz niedergeschrieben. Von den andern sind mehr als 3/5 Vorträge, aus den besonderen Voraussetzungen eines Ortes und einer Stunde hervorgegangen, der Rest ist zwar nicht für die Rede entstanden, aber doch aus einem äusseren Anlass und Anstoss. Und doch hat sich das Ausgewählte, an dem ich nur sehr wenig gekürzt und nichts geändert habe, zwanglos zu einer Einheit zusammengeschlossen, die, trotz der verschiedenen X der einzelnen Teile, eine Lehre vom Judentum darstellt, und diese Einheit trägt zwar das Gepräge der Zeit, aber sie ist nirgends zeitbedingt. Um diese Tatsache zu erklären, muss ich von der Art der Anlässe ausgehen, die die einzelnen Essays ins Leben gerufen

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haben. Man wird sehen, dass es sich bei diesen Anlässen selbst nicht um »Zufälliges«, sondern um repräsentativ Bedeutsames gehandelt hat. Ich beginne mit einer Stunde vor mehr als einem Vierteljahrhundert (1921): ich hatte auf einem Zionistenkongress für die Sache der jüdischarabischen Verständigung einzutreten und habe, um meine These auch ideell zu basieren, in einer Kongresspause ausführlich dargelegt, warum der Zionismus h, wenn er Zion nicht verleugnen will,i etwas anderes sein muss als die üblichen Nationalismen hunserer Zeiti (Nr. 19: »Nationalism«). Elf Jahre danach [habe ich in entscheidender Stunde] ! ein Jahr vor dem Machtantritt Hitlers, eingeladen, bei einer internationalen Tagung jüdischer Jugend zu sprechen, die »Israel und den Weltfrieden« zum Gegenstand hat, antwortete ich mit einer Botschaft, die jenen Vortrag im wesentlichsten Punkte ergänzt: Zion muss, wenn Zion sein soll, »mit Gerechtigkeit« erbaut werden, und man hilft den Weltfrieden zu verwirklichen, wenn man selber X X da verwirklicht, wo er von einem selber abhängt (Nr. 21, »And if not now, when?«). Wieder 6 Jahre danach (1938), nachdem ich mich in Palästina niedergelassen hatte, sollte ich in Jerusalem zum erstenmal in einer grossen öffentlichen Versammlung sprechen, und nun war es mir gegeben, jene Einsicht in den Zusammenhang der Geschichte des jüdischen Geistes, der Geschichte der Beziehungen zwischen Judentum und Christentum und der Geschichte des Judenhasses einzufügen (Nr. 17, »The Jewish Spirit and the World of Today«), und als ich vor kurzem, nach 9 Jahren – und was für Jahre! – der Abwesenheit von Europa zu einer Vortragsreise dahin kam und in London in einer grossen Versammlung [von Juden und Nichtjuden] ! des Council for Christians and Jews unter dem Vorsitz des Dean of St. Pauls zu sprechen hatte, wählte ich denselben [Gegenstand] ! Vortrag h, in etwas modifizierten Worten?i, denn er war durch alles, was indessen geschehen war, nur noch aktueller geworden. Man lese die drei Vorträge hintereinander und man wird sehen, wie sie zusammen gleichsam einen einzigen grossen Lehrsatz ergeben. Ein anderes Beispiel: 1928 wollte ein grosses deutsches wissenschaftliches Institut, das Weltwirtschaftliche Institut in Kiel, von mir hören, was jüdischer Glaube sei; ich wies in meinem Vortrag auf das Wesentlichste hin: dass nach jüdischem Glauben sowohl die Geschichte des Menschengeschlechts als das Leben jedes einzelnen Menschen ein Zwiegespräch mit Gott ist (Nr. 1, »The Faith of Judaism«). Zwei Jahre später wollten die Judenmissionsgesellschaften deutscher Zunge von mir hören, was die jüdische Seele sei; auch ihnen weigerte ich mich nicht, und in meinem Vortrag habe ich die Grundgedanken des ersten im wichtigsten Punkt, dem Streben nach der Erlösung, ergänzen können (Nr. 2, »The

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Two Centers of the Jewish Soul«). Und wieder 5 Jahre später unter der Herrschaft Hitlers, habe ich in einem öffentlichen Vortrag [in der Berliner Philharmonie] ! über die Macht des Geistes in einem grossen Berliner Konzertsaal ebendiesen jüdischen Glauben dem entfesselten Heidentum gegenübergestellt (Nr. 16, »The Power oft the Spirit«); kein Wunder, dass ich unmittelbar nach diesem Vortrag ein Redeverbot erhielt und so wieder einmal erfuhr, dass die Macht des Geistes zwar der unsichtbare Kern der Geschichte, ihre sichtbare Schale aber seine Ohnmacht ist. Und noch ein drittes Beispiel. 1928 habe ich vor einem geschlossenen kleinen Kreis in München, [von dessen Teilnehmern mir besonders Thomas Manns Gestalt] ! von dem mir besonders die Art, in der Thomas Mann zuhörte unvergesslich geblieben ist, über biblisches Führertum gesprochen, d. h. über den äussersten Gegensatz dazu, was man [in unserer Zeit als Führertum zu verstehen pflegte] ! damals zumeist unter Führertum verstand und noch heute [nicht selten] ! vielfach genug darunter versteht (Nr. 10, »Biblical Leadership«). Zehn Jahre später, 1938, habe ich wieder X in meiner Antrittsvorlesung an der hebräischen Universität Jerusalem an der Gestalt Jesajas [die ich mit der Platos verglich] ! [in ihrem Unterschied gegen die Platos] gezeigt, wie sich der biblisch geistige Führer zu Gegenwart und Zukunft seiner Gesellschaft, zu ihrer Aufgabe und zu der heute in ihr herrschenden, dieser Aufgabe widerstrebenden Kräfte verhält (Nr. 8, Plato and Jesajah). [Und wie hier Jesaja und Plat]! Die Gegenüberstellung von Jesaja und Plato, also eine von Judentum und Griechentum, habe ich später durch eine von wahren und falschen Propheten, also eine der Gegensätze innerhalb Israels selbst, der Gegensätze zwischen echter und angemasster Führung, erneut ergänzen können (Nr. 9, »False Prophets«). [All dies, und alles in diesem Band Enthaltene überhaupt, schliesst] ! Man sieht, überall schliessen sich die Essays, die diesen Band bilden, zu [Sätzen einer Lehre zusammen, der Lehre vom Verhältnis Israels zur Welt] ! Lehrsätzen zusammen, die sich zu einer Darstellung der Lehre Israels vereinigen. Diese Darstellung [richtet ihr Augenmerk] ! ist ihrer Intention nach immer auf beides zugleich gerichtet: auf die ewige Wahrheit, hdie sich in der Lehre birgt,i und auf die Wirklichkeit dieses geschichtlichen Augenblicks, [deren Nöte daher stammen, dass man die ewige Wahrheit nicht mehr betrachtet] ! die aus ihren Nöten keinen Ausweg finden kann, bis sie die ewige Wahrheit [, die vergessene,] wieder entdeckt.

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Variantenapparat 170,30 Martin Buber] ergänzender Absatz Two new lectures have been added to this edition. The first was delivered at the Jerusalem Ideological Conference of 1957 in answer to an address by David Ben Gurion. The second was presented in New York City in 1958 at a gathering of the American Friends of Ihud. It appears here as subsequently revised for the sake of greater accuracy and clarity. I have sought in both of these essays to elicit from our tradition, as presented in this book, those conclusions which are relevant to the present situation of the Jewish people. Like the earlier ones these more recent essays do not deal with theory. They deal with the more practical task of admonition and warning. D2 Wort- und Sacherläuterungen: 169,11 »Imitatio Dei«] Vgl. »Nachahmung Gottes«, in diesem Band, S. 35-44. 169,18 Zionist congress] Der XII. Zionistische Kongress in Karlsbad 1921. 169,23 »Nationalism«] Die nicht als Teil des offiziellen Programms gehaltene Rede »Nationalismus« veröffentlichte Buber zum ersten Mal in Kampf um Israel, S. 225-242 (jetzt in: MBW 21). 169,24-25 international meeting of Jewish youth […] »Israel and World Peace«] Die Tagung mit dem Titel »Israel und der Weltfriede« fand in Antwerpen vom 31. Juli bis 3. August 1932 statt. 169,27-28 stating that […] built »with justice«] Vgl. »Wann denn?«, Jüdische Rundschau, 37. Jg., Nr. 71 vom 6. September 1932, S. 343 (jetzt in: MBW 8, S. 223-227; Zitat S. 225). 169,31-35 my first public address […] »The Spirit of Israel and the World of Today«] Buber bezieht sich auf die Rede »Der Geist Israels und die Welt von heute«, in diesem Band S. 321-328. Der hebräische Druck der Rede ist vom 30. Dezember 1938. 169,37 a public meeting in London] Nicht ermittelt. 170,7 »The Faith of Judaism«] Vgl. »Der Glaube des Judentums«, in diesem Band, S. 63-74. 170,7-8 Judenmissions-Gesellschaften deutscher Zunge] Die Tagung der vier Missionsgesellschaften fand im März 1930 in Stuttgart statt. 170,11 »The Two Foci of the Jewish Soul«] Das ist »Die Brennpunkte der jüdischen Seele«, Der Morgen, 8. Jg., Heft 5, Dezember 1932, S. 375-384 (jetzt in: MBW 9, S. 128-137). 170,12-15 public address in Berlin […] forbade me to speak publicly] Bei »The Power of the Spirit« handelt es sich um Bubers Lehrhaus-

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rede »Die Mächtigkeit des Geistes« vom Oktober 1934 (abgedruckt in: Die Stunde und die Erkenntnis, S. 74-87; jetzt in: MBW 9, S. 176183), die er in ähnlicher Form in der Berliner Philharmonie hielt. Daraufhin wurde gegen Buber ein Verbot erlassen, »in öffentlichen Versammlungen« zu sprechen. Vgl. Ernst Simon, Aufbau im Untergang. Jüdische Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland als geistiger Widerstand, Tübingen 1959, S. 73. 170,18 in 1928 I spoke in Munich] Nicht ermittelt. 170,19 Thomas Mann] (1875-1955): dt. Schriftsteller und Nobelpreisträger, der von 1938-1952 in den Vereinigten Staaten lebte. 170,23 »Biblical Leadership«] Der Vortrag »Biblisches Führertum« wurde erstmals in Kampf um Israel, S. 84-106, veröffentlicht (jetzt in: MBW 13). 170,24 introductory lecture at the Hebrew University in Jerusalem […] »Plato and Isaiah«] Bubers Antrittsvorlesung in Jerusalem hat den deutschen Titel »Die Forderung des Geistes und die geschichtliche Wirklichkeit« und erschien 1938 bei Schocken in Berlin (jetzt in: MBW 11.2). 170,33 »False Prophets«] Der deutsche Titel ist »Falsche Propheten« und erschien auf Deutsch erst 1953 in Hinweise. Gesammelte Essays, S. 167-173 (jetzt in: MBW 13).

Israel und Palästina Über Bubers Arbeit an diesem 1944 auf Hebräisch publizierten Band – einzelne Abschnitte erschienen seit 1942 als Vorabdrucke – berichtet Hugo Bergmann bereits in einem Brief vom 9. September 1941: »Mehr und mehr pflücke ich beim Lesen des Wochenabschnitts eine Lesefrucht für Buber, der jetzt ein großes Buch über Palästina schreibt. Er hat jetzt das erste Buch – Palästina in der Bibel – fertig gemacht. Ich war dieser Tage, […] bei Buber, und er erzählte mir, daß er ein großes Kapitel über Palästina bei den Chassidim aus Brazlaw habe. Dagegen, sagte er, ist das schwierigste Kapitel ›Palästina im Zionismus‹, denn Palästina ist für die Zionisten ein abstrakter Begriff geblieben.« (Schmuel Hugo Bergman, Tagebücher und Briefe, 2 Bde., Bd. 1: 1901-1948, hrsg. von Miriam Sambursky, Königstein/Ts. 1985, S. 562). Nach dem Zeugnis seines Freundes Robert Weltsch scheint Buber seine Arbeit auch als Grundlage für eine Vortragsreihe benutzt zu haben, die dieser »in hebräischer Sprache im Jahre 1944 in Jerusalem gehalten« habe. Diese Vorträge, so Weltsch, seien »eine leidenschaftliche Warnung vor dem Leichtnehmen« gewesen,

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»vor der Verlockung eines billigen weltlichen Nationalismus, der sein Ziel in einer bloßen Normalisierung sieht und das jüdischen Volk zu einem Volk wie alle Völker machen will.« (Robert Weltsch, Nachwort, in: Hans Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit, 2. Auflage, Köln 1961, S. 413-479, hier S. 433.) Bubers Arbeit kann auch als eine kritische Reaktion auf eine Entwicklung der zionistischen Bewegung verstanden werden, die während einer Konferenz im Biltmore Hotel in New York im Mai 1942 zum Ausdruck kam. Auf dieser Konferenz beschloss die zionistische Führung, in Palästina einen jüdischen Staat, falls notwendig auch mittels des bewaffneten Kampfes, zu schaffen. Dieser Beschluss der Konferenz stellt eine entscheidende Wende dar, hatte es doch die offizielle zionistische Politik bislang weniger auf die Errichtung eines jüdischen Staates abgesehen, als vielmehr sich auf die praktische Aufgabe konzentriert, eine nationale Heimstätte aufzubauen. Buber beurteilte diese programmatische Änderung der offiziellen zionistischen Politik als einen Verrat an der religiösen Bedeutung des zionistischen Projekts, der den »Gegensatz zwischen Judenstaat und Zion« (Martin Buber, Israel und Palästina, jetzt in diesem Band, S. 296) verkenne. Der Begriff »Zion« verweise auf eine Mission und ein besonderes spirituelles Schicksal des jüdischen Volkes, welche durch den sich als politischen Nationalismus definierenden Zionismus aufs Spiel gesetzt würden. Buber stellt diesem, seinem Urteil nach verkürzten, Verständnis des Zionismus seine Vision einer konkreten Beziehung zwischen dem Land Zion und dem Volk gegenüber: es handele sich dabei um eine von Anbeginn auf einem Bund gegründete Beziehung. Das Land sei eine Gabe Gottes, der das Volk ins Land geführt habe und dort mit dessen irdischen Gütern für das Volk Sorge trage. Die Beziehung, die der biblische Bund begründet, bestehe also aus den drei Gliedern Gott, Land und Volk, und somit könne die Zions-Idee nicht auf ein politisches Programm reduziert werden. Im ersten Teil von Israel und Palästina beschreibt Buber diesen Bund vermittels der detaillierten Exegese der hebräischen Bibel, betonen doch die Vätererzählungen die enge Zusammengehörigkeit zwischen Gott, Israel und dem Land. Die geschichtliche Entwicklung dieser Vorstellung über die Jahrhunderte bis zum Zionismus seiner Tage zeichnet Buber in den sich anschließen Teilen seiner Arbeit nach. Israel und Palästina war eine eher schwache Resonanz beschieden, was wohl nicht zuletzt dem Umstand geschuldet gewesen sein dürfte, dass große Abschnitte der Darstellung in einem philologisch-exegetischen Ton gehalten sind und sich wie Bubers große biblische Untersuchungen Königtum Gottes und Moses an ein Fachpublikum richteten. In seiner Re-

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zension in der Theologischen Literaturzeitung lobte 1953 der evangelische Theologe Albrecht Oepke (1881-1955): »Buber bewährt hier nicht nur aufs neue seine Kunst fesselnder Darstellung, seine Meisterschaft, die Quellen der Jahrhunderte zum Klingen zu bringen.« Gleichzeitig gibt er aber zu bedenken: »Trotz aller Innerlichkeit seiner chassidischen Prägung wächst er über eine an ›Blut und Boden‹ haftende Theologie nicht recht hinaus.« (Albrecht Oepke, Theologische Literaturzeitung 2 (1953), Sp. 96) Ausnehmend positiv fällt hingegen das Urteil von Emil Fackenheim (1916-2003) aus, der Bubers Schrift in der Zeitschrift The Jewish Quaterly Review bespricht: »For this book is not, after all, primarily a contribution to the historiography of Zionism. It is rather a distinguished contribution to Zionist thinking itself.« (Emil Fackenheim, Israel and Palestine, The Jewish Quaterly Review 2 [1954], S. 170-174, hier S. 170.) Fackenheim versteht Bubers Ausführungen auch als einen Protest gegen den konventionellen Liberalismus, der sich in allgemeinen Abstraktionen verliere, wenn er betone, dass zum Geist auch die Natur, in diesem Fall die Wurzeln des Landes gehörten, was allerdings wiederum die Gefahr berge, in eine »idolatry of the roots« zu verfallen (ebd., S. 174). Doch wisse Buber um diese Gefahr und begegne ihr. Fackenheim schließt: »We have asserted that Buber describes a true idea and a true reality; that is to say, an idea and a reality by which the Jew once lived. But are the idea and the reality capable of revival? This the present-day Jew cannot know. He can only work, believe and wait.« (Ebd., S. 174.) Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 06 1a); 264 lose paginierte Seiten; Blätter zumeist doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; zahlreiche Korrekturen von unterschiedlichen Stiften. Das zur Verwendung gekommene unterschiedliche Papier sowie die teils zunächst kapitelweise erfolgte Paginierung, die erst nachträglich zu einer umfassenden verändert wurde, verweisen darauf, dass das Manuskript aus mehreren, zu verschiedenen Zeiten entstandenen Entwürfen zusammengesetzt worden ist. Das Manuskript trägt den Titel: »Ein Volk und ein Land«. Zusätzlich enthält es eine »Vorrede«, die zwar in die hebräische Erstveröffentlichung, nicht aber in die spätere deutsche Druckfassung eingegangen ist und im Anschluss an die Auflistung der Textzeugen wiedergegeben wird. h2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 06 1); 11 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Die Handschrift trägt den Titel »Die Anfänge des nationalen Gedankens«, darüber einen handschriftlichen Zusatz: »über den hohen Rab-

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bi Löw«. Es handelt sich um eine alternative Fassung des Abschnitts »Der Anfang der nationalen Idee (über den ›hohen Rabbi Löw‹)«, die vom Text des Druckes gravierend abweicht, sodass h2 im Anschluss an die Auflistung der Textzeugen wiedergegeben wird. D1: Zürich: Artemis Verlag 1950, 208 S. (MBB 826). d2: in: JuJ; enthält die Abschnitte »Zion und die nationalen Ideen« (S. 324-329), den Abschnitt »Der Anfang der Nationalen Idee (Über den ›hohen Rabbi Löw‹)« (S. 393-405) sowie sämtliche Abschnitte des 4. Teiles (S. 406-464) (MBB 1216). d3: enthält den Abschnitt »Ein Zaddik kommt ins Land«, in: Werke III, S. [913]-932 (MBB 1219). d4: enthält den Abschnitt »Biblisches Zeugnis«, in: Werke II, S. [991]1029 (MBB 1252). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Israel and Palestine. The History of an Idea, übers. von Stanley Godman, New York: Farrar, Strauss & Young 1952, XIV, 165 S. (MBB 889); Israel and Palestine: The history of an Idea, übers. von Stanley Godman, London: East and West Library 1952, XIV, 165 S. (in MBB nicht verzeichnet); nur der Abschnitt »Das Herz eines Dichters (Über das Buch Kusari)«: Judah Halevi’s Kitab al Kusari, Contemporary Jewish Record, 8. Jg., Heft 3, Juni 1945, S. [358]-368 (MBB 717); nur der Abschnitt »Der Erste der Letzten (Über Moses Heß)«: Moses Hess, Jewish Social Studies, 7. Jg., Heft 2, April 1945, S. 137-148 (MBB 719); nur der Abschnitt »Der Anfang der nationalen Idee«: The Beginning of the National Idea, Review of Religion, 10. Jg., Heft 13, März 1946, S. 254-265 (MBB 745); nur der Abschnitt »Ein Zaddik kommt ins Land (Über Rabbi Nachman von Bratzlaw)«: Israel’s Land: Habitation of God. The Zionism of Rabbi Nahman, übers. von Francis C. Golffing, Commentary, 12. Jg., Heft 4, Oktober 1951, S. 345-354 (MBB 868). Hebräisch: Bejn am le-artzo. Ikaro toldotaw schel rajon, Jerusalem: Schocken 1945, 169 S. (MBB 723); nur der Abschnitt »Ein Träger der Verwirklichung (Über A. D. Gordon)«: Arakhin, Tel Aviv: Gordonia, Merkaz ha-no’ar, S. 20-26 (Gedenksammelschrift für A. D. Gordon) (MBB 658); nur der Abschnitt »Die drängende Stunde (Über Leo Pinsker und Theodor Herzl)«: Pinsker, Herzl we-Zion, Ha-poʿ el hatzaʿ ir, 35. Jg., Ausgabe 37/38 vom 2. Juni 1942, S. 3-7 u. Ausgabe 39 vom 16. Juni 1942, S. 3-5 (MBB 666); nur der Abschnitt: »Das Erst-

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lingsgebet«: Bikkurim, Gazit, 5. Jg., Heft 7/8, März/April 1943, S. 1719 (MBB 673); in: Darko schel miqra. Ijunim bi-dfuse signon be-Tanakh, Jerusalem: Mossad Bialik 1964, S. 82-87 (MBB 1260); nur der Abschnitt: »Die Gabe des Regens«: Birkat ha-geschem, Gazit, 5. Jg., Heft 11/12 von Juli/August 1943, S. 17-18 (MBB 674); nur der Abschnitt: »Das Herz eines Dichters (Über das Buch Kusari)«: Israel we-artzo be-sefer »Hakuzari«, Giljonot jad, 10. Jg., Schwat/Adar rischon 1943, S. 189-195; (MBB 678); nur der Abschnitt: »Ein Zaddik kommt ins Land (Über Rabbi Nachman von Bratzlaw)«: Zaddik ba la-aretz, Moznajim, 17. Jg., Heft 1, Tischri 1943, S. 54-62 (MBB 684) sowie als Nesi’ato schel Rabbi Nachman mi-Bratzlaw le-eretz Israel, Tarbut, 7. Jg., Heft 10 u. 12, Tamuz/Elul 1953, S. 25-28; nur der Abschnitt »Der Anfang der nationalen Idee«: Zion we-ha-raʿ jonot haleʿ umiim, Be’ajot, 1. Jg., Heft 2, Ijar 1944, S. 73-76 (MBB 709). Italienisch: Israele. Un popolo e un paese, übers. von Paolo Gonelli, in: Saper Tutto: Enciclopedia del XX secolo, Mailand: Garzanti, 227 [3] S. Abdruck der zusätzlichen Vorrede in H1:

Vorrede Dieses Buch will auf dem Wege geistesgeschichtlicher Betrachtung von neuem [zur Erkenntnis hinführen] ! die Erkenntnis stärker erneuern, dass zwischen dem Volk Israel und dem Land Israel eine besondre, nicht in eine ursächliche Formel einzufassende Beziehung besteht. [Demgemäss geht es hier nicht darum] ! Was hier geistesgeschichtlich betrachtet wird, ist das Bewusstsein dieser Beziehung, das dem Volk Israel in den verschiedenen Stadien seines Geschichtswegs hvon der Bibel bis auf unsere Tagei erwachsen ist. Die Entfaltung dieses Bewusstseins geschah nicht in einem kontinuierlichen Vorgang, in einer »Entwicklung«, sondern es sind immer wieder neue Seiten jener Beziehung entdeckt und bereits bekannte neu beleuchtet und in ihrem Wesen neu erhellt worden. Demgemäss will dieses Buch nicht eine in sich zusammenhängende Geschichte geben, sondern es beschränkt sich auf jene Abschnitte, in denen wesentliche Schritte jener spezifischen Erkenntnis, um die es uns hier geht, erfolgt sind. Darum sind Gebiete, die [in anderer Hinsicht] so wichtig und reich sind [wie die Literatur der Apokryphen und der Alexandriner] ! wie das Gebet und die Lyrik, unberücksichtigt geblieben; wer zeigen will, wie jene Beziehung sich ins Schrifttum ausgeprägt hat, wird sie eingehend zu behandeln haben, hier hingegen, wo es nicht um die Fülle

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des Ausdrucks, sondern um die abgegrenzte Sphäre der jeweils sich ergänzenden Wahrnehmung einer Wirklichkeit geht, mussten sie unberücksichtigt bleiben. Ebenso sind innerhalb bestimmter Gebiete, wie die [Religionsphilosophie] ! Philosophie, die Mystik, die die Zionsbewegung, nur jene Erscheinungen dargestellt worden, an denen – sei es auch nur, wie von der letzteren in einzelnen Fällen, in kritischer Erörterung – das Wesen des grossen geistigen Ringens dieses Volkes um die Erkenntnis seiner einzigartigen Verbrüderung mit seinem Lande aufzuzeigen ist. Diese Erkenntnis ist, ihrem Gegenstand gemäss, stets aufs engste mit dem Leben verknüpft. Darum habe ich, wo es anging, die Darstellung nicht vom Denken, sondern vom Leben aus geführt, habe z. B. im je ersten Abschnitt des 1. und des 2. Teiles ein Gebet und einen Brauch, im letzten Abschnitt des 2., 3. u. 4. Teils einen persönlichen Lebensgang in den Mittelpunkt eines Abschnitts gestellt. Was hier zu erkennen ist, wird durch das Leben selber erkannt. Ich sage »Erkenntnis« und nicht »Meinung«. Denn weder halte ich das Bestehen einer einzigartigen Verbindung zwischen Volk Israel und Land Israel für eine erhabene [Fiktion] ! Phantasie dieses Volkes, noch auch bin ich ungewiss, ob es eine solche oder etwas anderes ist; vielmehr [Gewissheit ist es mir] ! weiss ich gewiss, dass diese heinzigartigei Verbindung Urwirklichkeit ist. Womit ich meine: nicht bloss [Wirklichkeit der Genesis, sondern Wirklichkeit] ! genetische, sondern ontische Wirklichkeit. Nicht bloss Wirklichkeit in der Geschichte, sondern vor und über der Geschichte. * Dieser Absicht gemäss habe ich darauf verzichtet, mich in diesem Buch mit der bisherigen Forschung hüber diese oder jene xxxproblemei auseinanderzusetzen. Wiewohl es in jedem seiner Teile auf [einem selbständigen Verhältnis] einer vieljährigen Beschäftigung mit den Quellen aufgebaut ist. Beim Zugang zu den Quellen und bei ihrer Verwertung habe ich mannigfache Hilfe erfahren. Insbesondere habe ich zu danken: (ich führe an in der Reihenfolge des Buches selbst): Prof. Isaak Heinemann dafür, dass er eine Korrektur des zweiten Teils gelesen und mir seine wertvollen Bemerkungen dazu mitgeteilt hat; Dr. D. Z. Baneth für seine Erklärung einer schwierigen Stelle des »Kusari«; Dr. Jehuda Kaufmann dafür, dass er mir einen Abschnitt seiner Übertragung des »Kusari« im Manuskript zur Verfügung gestellt hat; und ganz besonders Prof. Gershom Scholem dafür, dass ich für die Zitate im Abschnitt über das Buch Sohar seine

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speziell dafür hergestellte Übersetzung dieser Stellen benutzen durfte. Ferner: dem Verlag »Am Owed« für das Manuskript der von Zlocisti gesammelten Materialien zum Leben von Moses Hess, dem zionistischen Archiv für das Manuskript der Briefe Herzls, insbesondere dem an Nordau; und R. Zwi Jehuda Kuk für unveröffentlichte Aufzeichnungen seines Vaters ‫[ זצ"ל‬hebr.: »Gesegnet sei das Andenken des Gerechten«]. In einem Gefühl grosser Dankbarkeit bin ich mir des Einflusses bewusst, den auf die Grundhaltung dieses Buches zwei Gespräche mit Männern ausgeübt haben, die nun schon lange tot sind: eins mit A. D. Gordon in Prag im Jahr 1920 und eins mit Raw Kuk in Jerusalem im Jahr 1927. [Ihnen gelten die zwei letzten Abschnitte dieses Buches.] Abdruck von h2:

Die Anfänge des nationalen Gedankens 1.

Die moderne nationale Idee hat durch die französische Revolution ihre Wirkungsbasis erhalten, sie ist [in ihr] ! durch sie zum modernen Nationalismus erwachsen; aber sie ist nicht aus ihr [geboren] ! entstanden. Zweihundert Jahre vor der Revolution hat ein grosser Jude h, R. Loew b. Bezalel von Prag,i die Grundrechte der Nation hals solcheri formuliert: Freiheit und Selbständigkeit des Volkslebens, Freiheit und Selbständigkeit des Territoriums, Freiheit und Selbständigkeit des Glaubens. Aber R. Loewes [tiefe,] seiner Zeit vorauseilende Gedanken sind unbekannt und wirkungslos geblieben. Erst ein Menschenalter vor der französischen Revolution tritt die nationale Idee in ihrer neuen Gestalt auf, vielmehr, in zwei neuen Gestalten, einer wesentlich politischen und einer wesentlichen kulturellen. Diese Zweiheit ist für die ganze weitere Entwicklung des nationalen Denkens und der nationalen Bewegung bestimmend geworden. Wenn wir uns nach einer Zeit umsehen, die als die eigentliche Geburtsstunde des modernen nationalen Gedankens angesehen werden darf, so ist es die um das Jahr 1765, die sich [sogleich] unserem Blick darbietet. In diesem Jahr formuliert [in Frankreich Rousseau] ! der französische Schweizer Rousseau hüber fünfzigjährig in Genfi seine These des »nationalen Gedankens«, auf dem das Gemeinwesen h, das ihm vorschwebte,i aufzubauen sei; in demselben Jahr [scheint] ! empfängt [hein anderer grosser Schriftsteller,i] der zwanzigjährige Ostpreusse Her-

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der in der Nähe der Stadt Riga, wo er als Pastor amtet, durch Eindrücke der lettischen Volkssitte den entscheidenden Anstoss zu seiner Lehre von den Individualitäten der Völker [empfangen zu haben].

2.

1762 war Rousseaus grundlegendes Buch, Le contrat social, erschienen, in dem er, mit einer [Intensität] ! Macht wie keiner vor ihm, die These der »unteilbaren Souveränität« des Volkes verfocht. Es kommt darauf an, Völker zu konstituieren, die sich gerechte Gesetze geben und auf deren Grunde befähigt sind sich selber zu regieren. Wesentlich aber dafür ist, dass ein Volk einen echten [gemeinsamen] ! allgemeinen Willen entfalte. Und dazu wieder muss es in sich geeint sein, das heisst seine Söhne müssen einander an Art, Lebensform und Denkweise so nahe sein, dass sie einen echten gemeinsamen Willen entfalten können, einen Willen, den die Einzelnen [eben] als ihren eigensten empfinden und anerkennen. [Dazu müssen] ! Zu diesem Zweck muss einerseits der Einzelne selber »verwandelt« werden, so dass er sich nicht mehr als ein vollständiges und einsames Ganzes, sondern als ein Teil eines grösseren Ganzen verstehe; anderseits aber müssen gewisse allgemeine Voraussetzungen vorhanden sein oder geschaffen werden, [die einen starken inneren Zusammenhang einig stiften. Am günstigsten ist dafür] ! die eine innere Verbundenheit herstellen, ohne dass aber die gemeinsamen Sitten allzu tief verwurzelt wären, so dass sie die Stiftung der neuen gerechten Gesetze behinderten. Am günstigsten für [das Geforderte ist ein Volk] ! die Erfüllung der Aufgabe ist eine Gesellschaft, die »die Konsistenz eines alten Volkes mit der Fügsamkeit eines neuen Volkes vereinigt.« Es wird schon hier deutlich, dass das nationale Prinzip dem politischen unterworfen wird; um ein sich selbst regierendes Gemeinwesen zu schaffen, ist eine nationale Existenz erforderlich. Das Buch hat weithin gewirkt, nicht ideell allein sondern auch unmittelbar praktisch. Schon im zweiten Jahr nach seinem Erscheinen wenden sich die Vertreter eines kleinen Volkes an Rousseau mit der Bitte um eine Verfassung. Dieses Volk waren die Korsen. Im Contrat social hatte Rousseaus geschrieben: »Il est encore en Europe un pays capable de législation: c’est l’île de Corse. La valeur et la constance avec laquelle ce brave peuple a su recouvrer et défendre sa liberté mériterait bien que quelque homme sage lui apprit à la conserver.« Als an einen solchen Weisen wandten sich nun die Korsen an ihn. Das korsische Volk hatte sich, nachdem es lange von Genua unterdrückt war, erhoben, hatte die Selb-

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ständigkeit errungen, wieder verloren und von neuem errungen. Nach 7-jährigem Bestehen der neuen Unabhängigkeit schrieb [einer der führenden] ! ein korsischer Patriot an Rousseau, er möge für die junge Nation – die Rousseau selber une nation naissante nannte – ein politisches System, »une bonne institution politique« entwerfen. Rousseau versprach es [, aber ungünstige Umstände]. Bald darauf wurde sein Haus vom Mob angegriffen und er verliess seine Heimat. Nun entwarf er him Herbst 1765i die versprochene Verfassung für Korsika; [sie blieb jedoch unvollendet. Drei Jahre danach kaufte Frankreich Genua die Insel Korsika ab] ! in der Bedrängnis der Verfolgungen jedoch, die ihn aus der Schweiz trieben, legte er den Entwurf unvollendet beiseite. 1768 kaufte Frankreich Genua die Insel Korsika ab. In seinem Bruchstück gebliebenen Entwurf denkt Rousseau an eine auf dem Ackerbau aufgebaute Gesellschaft, in der die Menschen an die Scholle gebunden sind und die Bodenprodukte unmittelbar, ohne die Vermittlung des Geldes, getauscht werden; der Eigentümer des Bodens ist der Staat, und jeder Bürger erhält seinen Anteil am allgemeinen Gut nur im Verhältnis zu den von ihm geleisteten Diensten. Das Grundprinzip von allem aber ist »der nationale Charakter«. Jedes Volk, sagt Rousseau, hat einen nationalen Charakter oder soll einen haben; fehlt er ihm, so müsste man damit beginnen ihn ihm zu geben. Hier wird die rein politische Tendenz von Rousseaus nationalem Gedanken unverkennbar deutlich. »Ich war der erste«, schrieb er später in einem Brief, in dem er seine Empörung über die Annexion Korsikas durch Frankreich äusserte, »der eine der Freiheit und der Disziplin fähige Nation sah, während der Rest Europas nichts sah als einen Haufen von Rebellen und Banditen«. Was die Korsen der Freiheit und der Disziplin fähig macht, ist ihr aus den Bedingungen des Bodens hervorgegangener nationaler Charakter, der an den ursprünglichen der Schweizer erinnert; der der Schweizer ist entartet, auch bei den Korsen haben sich, infolge der tyrannischen Unterdrückung, viele Zeichen der Entartung gezeigt, aber ihre isolierte Lage macht es leicht den ursprünglichen Charakter wiederherzustellen und zu erhalten h, kraft dessen die Nation »zwar nicht glorreich, aber glücklich« werden kann. Es kommt letztlich auf die Einheit des allgemeinen Willens im politischen Sinne an. In der von Rousseau entworfenen Eidesformel sollte jeder Bürger schwören: »Ich vereinige mich an Leib, an Gütern, an Willen und an all meinem Vermögen der korsischen Natur, um mir als völliges Eigentum anzugehören, ich und alles was von mir abhängt.«i Die politische Tendenz des nationalen Charakters bei Rousseau, die

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hier noch ihre positive Seite allein zeigt, entfaltet ihre Problematik sieben Jahre nach der Abfassung des korsischen Entwurfs. Im Jahr 1769 beschliesst der polnische Landtag sich an Rousseau wegen der für Polen besten Verfassungsform zu wenden, doch scheint der Beschluss, soweit der Rousseau betraf, erst 1771 zur Ausführung gelangt zu sein. Im April 1772 vollendete Rousseau die »Considerations sur le gouvernement de Pologne«. Aber schon im August selben Jahres schloss Friedrich von Preussen mit Russland und Österreich den Vertrag über die Teilung Polens. Wenn Rousseau die Korsen une nation naissante nannte, so sah er in Polen eine vor der Wiedergeburt stehende. »Die Nation«, sagt er, »wird ihre zweite Geburt von der furchtbaren Krisis datieren, aus der sie hervortaucht … Sich sozusagen selber erneuernd, wird sie in diesem neuen Zeitalter die ganze Stärke d’une nation naissante wiedergewinnen.« Um die Unabhängigkeit Polens zu sichern, muss nach Rousseau die Liebe zum Vaterland zum »patriotischen Rausch« gesteigert werden. Zu diesem Zweck müssen vor allem die »nationalen Institutionen« gepflegt und ausgebildet werden. »Ce sont«, sagt Rousseau, »les institutions nationales qui forment le génie, le caractère, les gouts et les mœurs d’un peuple, qui le font être lui et non pas un autre, qui lui inspirent cet ardent amour de la partie fondé sur des habitudes impossibles à déraciner, qui le font mourir d’ennui chez les autres peuples, au sein des délices dont il est privé dans son pays.« Die Völker Westeuropas sind [durch die Sucht nach Besitz und Genuss] in ihren Neigungen und Sitten nivelliert, parce qu’aucun n’a reçu de forme nationale par une institution particulière. Es geht darum, den Seelen der Polen une physionomie nationale zu geben qui les distinguera des autres peuples, qui les empêchera de se fondre, de se plaire, de s’allier avec eux. Durch eine solche Einwirkung wird man es erreichen, dass die Bürger den Gesetzen aus innerer Willenszustimmung gehorchen werden. Beginnen aber muss man mit einer Exaltation des Nationalgefühls. »Commencez toujours par donner aux Polonais une grande opinion d’eux-mêmes et de leur patrie.« An die Notwendigkeit einer gesunden Selbstkritik für die Polen in jener historischen Stunde denkt Rousseau nicht. Er fordert, man solle die alten Volkssitten pflegen, denn ces usages, fussent-ils indifférents, fussent-ils mauvais même à certains égards, pourvu qu’ils ne le soient pas essentiellement, auront toujours l’avantage d’affectionner les Polonais à leur pays, et de leur donner une répugnance naturelle à se mêler avec l’étranger. Die alten Traditionen sollen also erneuert werden, aber nicht weil in ihnen eine Lebenswahrheit dem Wesen dieses Volkes angemessenen Ausdruck gefunden hat, sondern weil sie geeignet [sind] ! erscheinen, es in seiner Isolierung

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und in seiner Selbstliebe [, in seiner Selbstsucht] zu erhalten. Es ist folgerichtig, wenn Rousseau in dem Abschnitt über Erziehung, dem in seinen Augen eine besondere Wichtigkeit zukommt, erklärt: »C’est l’éducation qui doit donner aux âmes la forme nationale, et diriger tellement leurs opinions et leurs goûts, qu’elles soient patriotes par inclination, par passion, par nécessité.« Die Aufgabe, die hier der Erziehung gestellt wird, [kommt dem bedenklich nah] ! weist schon in die Richtung dessen, was man heut als Propaganda zu bezeichnen pflegt. Im »Contrat social« hatte Rousseau noch vor den allzusehr eingewurzelten Volksgewohnheiten gewarnt; nun sind sie ihm willkommen, weil sie den einheitlichen Volkswillen zu fördern geeignet [sind] ! erscheinen. Dort war er von der Freiheit ausgegangen, die nur durch den allgemeinen Willen beschränkt wird; hier gelangt er dazu, den hnationaleni »allgemeinen Willen« zu einer solchen Macht und Einheit zu erheben, dass er die Erziehung der Einzelnen ausschliesslich bestimmt. Freilich hatte er schon dort gefordert, man solle dem Menschen seine forces propres nehmen um ihm solche zu geben, die ihm fremd sind«, die des allgemeinen Willens eben. Hier deutet er darauf hin, woher sie zu schöpfen sind: aus [den überlieferten Schätzen] ! dem Reservoir der nationalen [Besonderheit] ! Überlieferung: [In dieser Anschauung] ! Die politische Tendenz hat hier Richtiges und Falsches [so gemischt] ! in einer gefährlichen Weise gemischt. Der moderne Totalitarismus in seinen verschiedenen nationalistischen Spielarten [hat da angeknüpft] ! [ist davon abgeleitet] ! stammt aus dieser Mischung.

3.

Herder [, der später der Entdecker des Volkslieds wurde, hat zu seinen Anschauungen] ! ist wie gesagt durch Eindrücke, die er vom lettischen Volksleben empfing, in seinen Anschauungen tief beeinflusst worden. In einem Aufsatz über [den damals berühmten keltischen Liedermacher Ossian] ! die Lieder, die damals dem sagenhaften keltischen Sänger Ossian zugeschoben wurden, einem Aufsatz, den er zu jener Zeit in Riga begann, berichtet er über die Entstehung seines »Enthusiasmus« für die [lebendigen] Volksüberlieferungen. Er selbst, erzählt er, habe »Gelegenheit gehabt, lebendige Reste dieses alten wilden Gesanges, Rhythmus, Tanzes unter lebenden Völkern zu sehen, denen unsre Sitten noch nicht völlig Sprache und Lieder und Gebräuche haben nehmen können, um ihnen dafür etwas sehr Verstümmeltes oder nichts zu geben.« [Es ist anzunehmen, dass er einen besonderen starken Eindruck im Juni 1765 auf

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dem Landsitz eines rigischen Freundes von dem lettischen Sonnenwendfest, dem Johannisabend, empfangen hat. »Frauen und Mädchen«, so heisst es in seiner Beschreibung des Festes, »sammelten die Zauberkräuter; Gesänge wurden angestimmt von der Vorsängerin und aufgenommen vom Chor, Reigentänze unter brennenden Teertonnen wurden getanzt.«] Unter dem Einfluss dieser Eindrücke konzipierte Herder seine Idee der menschlichen Kultur als eines Zusammenwirkens produktiver nationaler Individualitäten, wie er sie bald nach seinem Rigaer Aufenthalt formuliert hat. Es gilt die »Erweckung« und »Nutzung« der lebendigen Werte, die in den Völkern »schlafen«; die elementaren Kräfte, die sich in den Liedern und Sagen, den Sitten und Bräuchen eines Volkes spontan äussern, sollen vom Geiste aus zu [grossem] ! geistigen Werk »fortgebildet« werden. Weniger. In der genialen Skizze »Auch eine Philosophie der Geschichte«, die Herder 1774 niedergeschrieben hat, finden wir die nationale Idee in dieser ihrer kulturellen [Gestalt] ! Prägung schon umfassend ausgesprochen. [Die menschlich] ! [Ein grosses schöpferisches] ! Das Gute ist auf der Erde in vielen einander ergänzenden Gestalten »ausgestreut«; es wurde verteilt, »weil eine Gestalt der Menschheit und ein Erdstrich es nicht fassen konnte.« Echte Entwicklung des Menschenwesens kann nur in nationalen Individualitäten geschehen, denn »in gewissem Betracht ist jede menschliche Vollkommenheit national.« Jedes Volk muss, um seinen Beitrag zum Werden der Menschheit zu leisten, in sich selbst ruhen; »jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich, wie die Kugel ihren Schwerpunkt«. Und so liegt es denn jeder ob, ihre ihr eigentümliche Denkart zu bewahren, ihre Sitten und Gesetze zu pflegen, ihre Neigungen und Fähigkeiten auszubilden. All dies aber ist der grossen Einheit des Menschengeschlechts untertan und soll ihr dienen. Der schöpferische Geist muss »[die ganze Einheit einer] ! alle Nationen in all ihrer Mannigfaltigkeit« denken, »ohne dass ihm dadurch die Einheit schwinde«, die Einheit aller, den grossen Chor, in dem jeder einzelnen Stimme ihr Platz und ihre Aufgabe zukommt. [Geschichte ist ein »Gang Gottes über die Nationen«] ! Das soll jede erkennen und sich nicht vermessen, sich als Selbstzweck zu behandeln, sie darf aber eben deshalb sich selber nicht aufgeben. Herder nimmt schon in seiner Geschichtsstunde wahr, dass die kulturschaffende Fülle der [Nationalcharaktere] ! Völkerxxxxxx sich mehr und mehr reduziert; »Nationalcharaktere, wo seid ihr?«, ruft er. Dieses Gefühl spricht er zehn Jahre später in seinen »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« noch nachdrücklicher aus: »alles« sagt er da, »neigt sich in Europa zur allmählichen Auslöschung der Nationalcharaktere«. Freilich lässt ihn eine tiefe Empfindung doch wieder hoffen,

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dass auf diesen Niederstieg eine neue Erweckung zur Offenbarung der Volkstümer folgen würde, denn Geschichte kann letztlich ihrem Wesen nach nur auf ihnen basieren. »Wunderbare, seltsame Sache überhaupt«, sagt er, »ists um das, was genetischer Geist und Charakter eines Volkes heisst. Er ist unerklärlich und unauslöschlich; so alt wie die Nation, so alt wie das Land, das sie bewohnte.« »Genetischer« Charakter, das bedeutet, ein Charakter, der geschichtlich geworden ist, also den Gesetzen geschichtlichen Werdens und Vergehens unterworfen ist; und dennoch bezeichnet ihn Herder hier als »unauslöschlich«. Die gegenwärtigen Grundformen der Völker scheinen sich in einer allgemeinen farblosen Zivilisation auflösen zu sollen; darüber hinaus aber erahnt Herder eine hkünftigei Wiedergeburt der Volkscharaktere in neuer Gestalt. Die unmittelbaren Folgen der französischen Revolution auf dem Gebiet der Völkerbeziehungen brachten Herder eine schwere Enttäuschung. Dieselben Nationen, deren nationale Charaktere zu [verblassen] ! erlöschen drohten, traten als politische Einheiten mit einer ungezügelten Herrschafts- und Besitzgier gegeneinander auf, und was hin einem Volki noch an volkstümlichen Traditionen lebendig war, wurde missbraucht, um es in der Verflechtung seiner politischen [Aspirationen] ! Machtstrebungen einig zu erhalten; sie sollten einen Nationalstolz entfachen helfen, der in den Dienst jener Aspirationen gestellt wurde. Herder, der einst in Rousseau die Stimme eines Rufers in der Wüste begrüsst hatte, erkannte nun, wozu es führen kann, wenn das kulturelle Prinzip dem politischen unterworfen wird statt umgekehrt. Schon in den »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« hatte er sich leidenschaftlich gegen den nationalen Hochmut gewandt und hatte sein eigenes Volk, die Deutschen, gewarnt, sich für das erwählte Gottesvolk in Europa zu halten, dem seines angebornen Adels wegen die Welt gehöre, und dem dieses Vorzugs halber andre Völker zur Knechtschaft bestimmt seien; dies wäre, rief er, »der unedle Stolz eines Barbaren.« Jetzt, zehn Jahre danach, sah er, wie der nationale Hochmut und die nationale Selbstsucht ein Volk nach dem andern ergriffen und Feindschaft gegen alle entbrannte. »Ein Konflikt aller Völker unserer Erde«, schrieb er, »ist gar wohl zu gedenken; der Grund dazu ist sogar schon gelegt.« Eine Hauptschuld an diesem Zustand, der die Menschheit mit dem Untergang bedrohte, sah er eben im Nationalstolz, der das Streben der Völker von innen nach aussen wendet. »Unter allen Stolzen«, sagt er, »halte ich den Nationalstolzen für den grössten Narren.« Und zur Bezeichnung dieser Ansicht fährt er fort: »Was ist Nation? Ein grosser, ungejäteter Garten voll Kraut und Unkraut.« Die wahre nationale Aufgabe ist eine innere, kulturelle, erzieherische; es gilt, im Garten des Volkes das Unkraut zu

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jäten und das echte Kraut zu pflegen, es gilt, das Volk mehr und mehr dazu zu machen, wozu es in seinem Wesen angelegt ist, [seine besondere Form zu entfalten] ! den besonderen Ausdruck zu entwickeln, den das Wahre und das Rechte im Wesen dieses Volkes potentiell angenommen haben. Der »Nationalwahn«, der sich immer mehr breit macht, kennt keine Unterscheidung zwischen Kraut und Unkraut, er kennt kein Kriterium, nach dem er solche Unterscheidung zu treffen hätte, denn jedes nationale Gewächs gilt ihm eben in seiner Eigenschaft als national, als Edelgewächs. »Nationalwahn«, schrieb Herder nun, »ist ein furchtbarer Name. Was in einer Nation einmal Wurzel gefasst hat, was ein Volk anerkennt und hochhält, wie sollte das nicht Wahrheit sein? wer würde daran nur zweifeln? Sprache, Gesetze, Erziehung, tägliche Lebensweise – alle befestigen es, alle weisen darauf hin; wer nicht mitwähnet, ist ein Idiot, ein Feind, ein Ketzer, ein Fremdling.« Man vergleiche mit diesen Worten bitterster Ironie jene Aufforderung Rousseaus an Polen, die alten Volkssitten um ihres national-politischen Nutzens willens zu pflegen, fussent-ils mauvais mêmes à certains égards. Und Herder fährt fort: »Die Charaktere verschiedener Völker stossen gegeneinander; eben desto mehr setzt jedes sich auf seinem Mittelpunkt fest. Der Wahn wird ein Nationalschild.« Ebenderselben nationalen Charaktere, die in [ihrem kulturellen Eigenwert, in ihrer geistigen Schöpferkraft] der Tiefenschicht ihrer Produktivität mehr und mehr an Kraft einbüssen, bringen ein gewaltiges Mass an Kraft auf, um sich gegeneinander aufzurichten, einander [zu bekämpfen, einander um Macht und Besitz zu bekämpfen] ! das Daseinsrecht abzusprechen, einander zu vergewaltigen, einander auszurotten. Dieser [Situation] ! Weltlage hdes politisierenden Nationalstaatsi gegenüber stellt Herder 20 Jahre nach dem Tod Rousseaus die Suprematie des kulturellen gegenüber, die sich freilich auch politischer Mittel bedienen muss, um der freien inneren Entwicklung des Volkswesens die notwendigen Bedingungen zu schaffen, aber darüber wachen muss, dass die Bestimmung von Ziel, Weg und Maß des politischen Handelns in seinen Händen bleibe. Variantenapparat: 171,Titel Israel und Palästina] Ein Volk und ein Land H1 172,1-10 Vorwort […] verantwortlich bleibt.] fehlt, stattdessen oben abgedruckte »Vorbemerkung« H1 173,1 Einleitung] fehlt d2 173,5 seine Einheit] [sich in seiner geschichtlichen Situation] ! seine Einheit H1 173,23-24 Stadt des großen Königs] Burg des mächtigen Königs d2

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173,34 Kundgebung] [Zentrum] ! [Manifestation] ! Kundgebung H1 173,35 nur eine Fortsetzung, nur die der allgemeinen Form] [etwa nur die Säkularisierung] ! nur eine Fortsetzung, nur die der allgemeinen Form H1 174,6 Volksstämmen] [Völkern] ! Volksstämmen H1 174,10 besondere] [einzigartige und auch bei manchen anderen Völkern vorgeformte] ! besondere H1 174,16 und sie miteinander zu verbinden] hund sie miteinander zu verbindeni H1 174,17 die Schar] [seinem unmittelbaren Herrschaftskreis] ! die Schar H1 175,24-26 den gerechten Staat […] worden war] [aus dem Land den gerechten Staat Gottes nicht gemacht hatte, um wessen willen es darein gekommen war] ! den gerechten Staat […] worden war H1 175,41 Wissen] [Erfahrung] ! Wissen H1 176,5-6 des Menschengeschlechts] [der menschlichen Gattung] ! des Menschengeschlechts H1 176,10 Gattung, die weit über die Grenze] Gattung, [von der es nur ein Exemplar gibt] ! die weit über [den Bereich] ! die Grenze H1 176,16 namhaft] naturhaft H1 176,20 Einspruchs] [Widerstands] ! Einspruchs H1 176,24-25 des jüdischen Volkes] [der Juden] ! des jüdischen Volkes H1 176,29 der Nation] fehlt d2 176,33 freie Entfaltung] [freies Ausleben] ! freie Entfaltung H1 176,34 mehr ist nicht not] [das ist die Losung] ! mehr ist nicht not H1 176,38 Luftreichs] Ätherreichs d2 176,39-40 Gedächtnis] [Überlieferung] ! Gedächtnis H1 176,41 Wenn Israel auf das Geheimnis verzichtet, verzichtet es] Wenn wir auf das Geheimnis verzichten, verzichten wir H1 177,6-7 das Spiel […] lauert] [ein grauses täuschendes Spiel, hinter dem sich der Tod der Seele verbirgt] ! das Spiel […] lauert H1 177,7-8 Wenn Israel […] wird es auch] Wenn wir weniger wollen, als was mit uns gemeint ist, werden wir auch H1 177,13 Gewiß, es erweist sich] [Wir leben in den Tagen der Stunde der dritten Begegnung] ! Gewiss, er scheint uns H1 177,17 verhältnismäßig frei] hverhältnismässigi frei H1 177,20 an Überlieferung, an Struktur] [fremde Überlieferung, fremde Struktur] ! an Überlieferung, an Struktur H1 177,28-30 und daß es von Mal […] vollbringen] hund dass es von Mal […] vollbringeni H1

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177,31-32 Nicht anders […] verhalten] [Nicht anders scheint es sich mit der Geschichte der Völker zu verhalten; dass es sich mit der Israels nicht anders verhält, wissen wir, dass es sich mit] ! Nicht anders [verhält] ! scheint es sich mit [der Geschichte] ! dem [Schicksal] ! [Dasein] ! Israels zu verhalten H1 178,2 Biblisches Zeugnis] Biblisches Zeugnis / [Die grosse Leidenschaft] H1 178,10 Frühertrag] [Ertrag des Landes] ! Frühertrag H1 178,14-15 überallher bekannt] [finden wir überall in der Welt] ! überallher bekannt H1 178,23-24 Und es soll sein, wenn] Es sei: Wenn d4 178,24 JHWH] [der Herr] ! JHWH H1 178,24-25 als Erbe gibt, und du nimmst es in Besitz] als Eigentum gibt, und du ererbst es d4 178,24 Erbe] [Erbteil] ! Erbe H1 178,30 einbringst] bekommst d4 178,31 JHWH] [der Herr] ! JHWH H1 178,32 JHWH] [der Herr] ! JHWH H1 178,35-36 in alle Geschlechter hin] hin alle Geschlechter hini H1 179,3 JHWH] [der Herr] ! JHWH H1 179,4 JHWH] [der Herr] ! JHWH H1 179,17 »melde«] »melde« [oder bekenne] H1 179,18 melde] melde [oder bekenne] H1 179,21 zu melden] zu melden [oder zu bekennen] H1 179,25 erkenne ich es von neuem und erkläre] [weiss ich es von neuem und spreche] ! erkenne ich es von neuem und erkläre H1 179,28 heiligen Berg] [Sinai] ! heiligen Berg H1 179,28 JHWH] [der Herr] ! JHWH H1 179,30 JHWH] [der Herr] ! JHWH H1 179,32-33 einer […] zum Ausdruck bringt] [einem so vitalen Nachdruck betont] ! einer […] zum Ausdruck bringt H1 180,1 gebracht hat] gebracht [und das er ihm gegeben] hat H1 180,3-4 gebracht … und nun, […] Bodens] kommen lassen … und nun, da lasse ich den Anfang der Frucht des Bodens dir zukommen d4 180,8-9 ist dem Volk von Gott verliehen] [gehört dem Gott] ! ist dem Volk von Gott verliehen H1 180,10 kommt von Gottes Segen und Werk] [ist von rechtswegen sein] ! kommt von Gottes Segen und Werk H1 180,12-13 beginnt […] der palästinensischen] [sagt der arabische Bauer von heut] ! beginnt […] der palästinensischen H1

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180,25-26 wird es, um allem Mißverstand vorzubeugen] wird [aber noch hinzugefügt, dass es] ! es, um allem Missverstand vorzubeugen H1 180,29-30 das von Milch und Honig übertrieft] von Milch und Honig träufend d4 180,37 bildnerischen] [elementaren] ! bildnerischen H1 180,40-41 wäre es mehr als seltsam] wäre es [für jede Epoche von einigermassen eintwickeltem Geschi] ! mehr als seltsam H1 181,17 in Efraim] [im Norden] ! in Efraim H1 181,17 Volkselement] [Volk] ! Volkselement H1 181,20 bewahrte] [versprengte] ! bewahrte H1 181,21 abgesprengter] abgeschweifter d4 181,24 dem Hörer oder Leser] [in ihrem Zusammenhang] ! dem Hörer oder Leser H1 181,27 abgesprengter] abgeschweifter d4 181,34 abgesprengten] abgeschweiften d4 182,2 abgesprengt] abgeschweift d4 182,3 abgesprengt] abgeschweift d4 182,5 Abgesprengte] Abgeschweifte d4 182,8 ließen sie abirren] [führten sie irre] ! liessen sie abirren H1 sie haben sie abirren lassen d4 182,10-11 Es war, als mich Gottmächte] Als nun Gottesmächte mich d4 182,17 von Verwandtschaft und Vaterhaus] [aus der angenommenen Heimat] ! von Verwandtschaft und Vaterhaus H1 182,18 dir zeigen] dich sehen lassen d4 182,22 abgesprengter] abgeschweifter d4 182,29 der »Absprengung«] des »Abschweifens« d4 182,34-35 daß wie der besitzlose Levit so auch der Ger] dass wie der besitzlose Levit so auch der Ger H1 182,35 deiner Mitte] deinem Innern d4 183,2-3 Geheiligt ist Israel] ein Geheiligtes ist Israel d4 183,3 von JHWH] [dem Herrn] ! von JHWH H1 183,3 Anfang seiner Ernte] Anfangsteil von der Ernte d4 183,9 Gehalts] [Substanz] ! Gehalts H1 183,13-14 den Holdsinn] die Holdschaft d4 183,14 Brautfahrt] Brautschaft H1 183,18 Zweimal siebenmal] [Vorschrift und Gebet bilden ein Zeugnis für das einzigartige Verhältnis zwischen einem Volk und einem Land. An zweimal sieben Stellen] ! Zweimal siebenmal H1 183,31-32 magisch-orgiastischen Sexualbräuchen] [magischen Sitten] ! magisch-orgiastischen Sexualbräuchen H1 183,34 in wachsendem Maße] hin wachsendem Maßei H1

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183,34 des Glaubens Israels] des Glaubens Israels [, und wurde dazu in noch höherem Masse, als der Hof] H1 183,36 der ihm die Frucht des Landes] hder ihm die Frucht des Landesi H1 183,36-37 »Korn, Most und Öl gibt«] , das Korn, den Most und das Öl gibt d4 184,1 , und das Zeichen ihrer Einheit ist das Land] h, und das Zeichen ihrer Einheit ist das Landi H1 184,10-11 Der Bericht […] klingt] Der Bericht [ist in der Form der Vergangenheit gehalten; es klingt] ! der Mischna (Bikkurim III) klingt H1 184,19 Jerusalems] [der heiligen Stadt] ! Jerusalems H1 184,21-22 aber am Tempelberg] aber [(hier erst redet die Schilderung von einem bestimmten Geschichtsabschnitt)] am Tempelberg H1 184,32-33 verherrlicht] [feierlich verkündigt] ! verherrlicht H1 185,3-4 ; zuweilen so in Babylon […] beigemischt] h; zuweilen so in Babylon […] beigemischti H1 185,7 Ackerboden] [Erdreich] ! Ackerboden H1 185,10-11 und in den Garten […] aufsprießen ließ] hund in den Garten […] aufsprießen ließi H1 185,32 mehrfach wiederkehrenden Zusammenstellung] [immer neuen Zusammenbringung] ! mehrfach wiederkehrenden Zusammenstellung H1 186,1 spröden, Dorn und Distel treibenden] spröden h, Dorn und Distel treibendeni H1 186,2 Hesiod] Hesiod [oder Vergil] H1 186,27 Gang der Gezeiten] Gang der [irdischen] Gezeiten H1 186,31 Grundgefühl] [Blick] ! [Weitblick] ! Grundgefühl H1 186,34 Adama] [Scholle] ! Adama H1 187,5 mit alldem bemakelten sich die Völker] an alle dem wurden bemakelt die Stämme d4 187,6-7 ahndete an ihm seinen Fehl] ordnete seinen Fehl ihm auf d4 187,8 Volk, das] Stamm, der d4 187,18 Dieser Zustand] [Darum »erbebt« er und »wird aufgewühlt« (Amos 8,8).] Dieser Zustand H1 187,21 zu verstehen ist] sodann »entartet« zu verstehen ist d4 187,21-22 »Bringt nicht […] darin ihr seid«] »Ihr sollt das Land, in dem ihr seid, nicht entarten lassen« d4 187,23-24 bringt das Land aus den Fugen] lässt das Land entarten d4 187,26 Fügung] Artung d4 187,29 aus den Fugen […] das Land] entarten muß solch ein Land d4

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187,31 aus den Fugen gebracht] entarten lassen d4 187,33 Verrenkung in alles Erdland] in all das Erdland Entartung d4 187,36-37 Das Erdland […] Fugen geraten] War doch die Erde unter ihren Insassen entartet d4 187,38 zerbrachen] trennten d4 187,39 versehrt ein Fluch das Erdland] frißt der Eidfluch die Erde d4 188,4 ethische Element] moralische Element H1 188,5 Gebot] [Gesetz] ! Gebot H1 188,9 Verhältnis Israels zur Adama] Verhältnis [des israelitischen Landmanns] ! Israels zur Adama H1 188,14 redliches] [gerechtes und rechtschaffenen] ! redliches H1 188,22-24 Wir vernehmen […] Urglaube dar.] hWir vernehmen […] Urglaube dar.i H1 188,24 Das Erdreich ist in Israel] Das [fruchttragende] Erdreich [, in dessen Schoss sich der geheimnisvolle Vorgang] ! ist in Israel H1 188,36-37 die ausschließliche Nutznießung] [den Ertrag] ! die ausschließliche Nutznießung H1 188,37 und der Ertrag] und [alle, die es hungert, Mensch und Tier, sollten freien Zugang dazu haben] ! der Ertrag H1 189,3 Sprachform] [literarischen Form] ! Sprachform H1 189,3-4 ihre Elemente […] der ersten] Elemente [, die dort fehlten und hier erscheinen, lassen sich keineswegs] ! lassen sich ebensowenig wie die der ersten H1 189,11 »feiere das Land eine Feier dem JHWH.«] »soll das Land dem JHWH eine Feier feiern.« d4 189,24 Feierzeit des Feierns] Feier, Feiern d4 189,29 Land »auf Abschluß«, für immer] Land in die Dauer, »auf Abschluß« d4 189,33 es ist Gottes] es ist Gottes [, es ist Gottes Lehen an das Volk] H1 190,20 Bodens] [Erdlands] ! Bodens H1 191,15 zugeweiht] [zugedacht und] zugeweiht H1 191,19 die durch seine Umkehr] [durch die Unterwerfung seines Herzens] ! die durch seine Umkehr H1 191,27 der Verödung] seines Verstummens d4 191,29 angeführt] [verstanden] ! angeführt H1 191,30-31 (der auch […] Esra steht)] h(der auch […] Esra steht)i H1 192,20 will ich dieses Land geben] gebe ich dir dieses Land d4 192,29 Der biblische Glaube] [Die Geschichte von Abrahams Berufung ist uns so geläufig und übergeläufig geworden, dass wir gut daran tun, sie uns neu zu vergegenwärtigen und anschaulich zu machen] ! Der [Glaube an Gott] ! biblische Glaube H1

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192,37-38 daß nur Israel […] des Gebenden] berichtigt aus »daß nur Israel gegenüber diese Bezeichnung des Gebenden« nach d2 193,14 der ganzen Erde] alles Erdlands d4 193,17 das weiß] das [glaubensmässig] weiss H1 193,24-25 Er wandert mit seiner Sippe] [Dass er wandert, heisst in der Sprache der Völkergeschichte, dass] ! Er wandert mit seiner Sippe H1 193,36-37 wird das aramäische Land] wird [Haran ihnen Wohnsitz, so sehr, dass die Schrift (12,1) zu Abraham von der Gegend als von] ! das aramäische Land H1 194,6 er habe Abraham […] »herausgeholt«] her habe Abraham mit der Absicht schon von dort »herausgeholt«i H1 194,12-13 Kundgebung] heigentlichei Kundgebung H1 194,26 gegründet worden war] gegründet worden war [: sie hatten wohl immer wieder in der Nähe von] H1 194,35 zeigt] sehen läßt d4 194,39-40 jene Art, auf das worauf es ankommt] [jene Hervorhebung] ! jene Art, auf [das Wesentliche] ! das worauf es ankommt H1 195,24 Auch in dieser Erzählung] [»Das ganze Land, das Du] ! [Wieder kehrt in dieser Erzählung (Kap. 13) siebenmal] ! [So sehr geht es hier um Land, um Erez, dass] ! Auch in dieser Erzählung H1 195,35 Land des Elends] Land [des Exils] ! des Elends H1 195,36 jenem Land] jenem Land [« – das ist nun Ägypten, auf das mit all seiner Leidenslast er zeigt –] H1 196,6-8 Einst führte […] sein Glaube] [Einst zeigte Gott dem Urvater darauf, dass er die Hoffnung] ! Einst führte […] sein Glaube H1 196,12 Sie gehen, das Bild in der Seele] [Sie gehen. Aber die Wüste wird stark über die Sicht der Seelen] ! Sie gehen, das Bild in der Seele H1 196,15-16 , eben das Land] fehlt d4 196,18-19 nun der Augenbericht] nun [die Fühlung mit der Wirklichkeit treten] ! der Augenblick H1 196,21 bestätigen] bestätigen [das Überschwenglichste] H1 196,23 malen die Stärke] [berichten von der Stärke] ! malen die Stärke H1 196,31 empören] [vergehen] ! empören H1 197,5 Ausarbeitungen] [Predigten] ! Ausarbeitungen H1 197,9 der innern Sicht übergeben] [der Erinnerung eingeprägt] ! der innern Sicht übergeben [und dem Gedächtnis] H1 197,19 »von wo ihr ausgezogen seid«] »woher ihr aus seid gefahren« d4 197,21-22 Zustände] [geschichtlicher] Zustände H1

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197,27 ihre Stärke […] aber] hihre Stärke […] aberi H1 197,28-31 verbessern […] zu verteilen] [nutzen das Werk der Schöpfung, sie ziehen Gräben, um das Wasser des Flusses zu verteilen] ! verbessern […] zu verteilen H1 198,3 »sperrt er] [flammt sein Zorn ein?] ! sperrt er H1 198,4 spendet] gibt d4 198,7 Zweigen] Ästen d4 199,6-7 (Jesaja 45,15)] (Jesaja 45,15) und [dem seligen »Anschaun] ! der seligen »Schau seines Angesichts« (Psalm 17,15) H1 199,10 erfleht] erficht d4 199,17-18 ein Kernstück des Glaubens] [der Kern eines grossen Glaubens] ! ein Kernstück des Glaubens H1 199,25 Rieselfluten und Trockenheit] Rieselwellen und Trocknis d4 199,32-34 Aber […] Israel erkennt] [Aber Israel erkennt] ! Aber […] Israel erkennt H1 199,39 Erguß] [befruchtenden] Erguss H1 200,4 »Herren«] »Meister« d4 200,24 »In der ganzen ägäischen] [Auch Zeus ist ein Regengeber, der von seinem heiligen Berge das dichte Gewölk beugt. Er, der angerufen wird, wie es in dem von Mark Aurel angeführten Gebet heisst, auf die Kornländer und die Weidefluren der Athener zu regnen.] ! »In der ganzen ägäischen H1 200,35 Wasser so in die wechselseitige Beziehung] [Flut so in das geschichtliche Walten] ! Wasser so in die wechselseitige Beziehung H1 200,38 die die schwarze Erde] [die den grössten Teil von Hellas] ! die die schwarze Erde H1 201,37-38 Gott, der einst […] einziehen wird] Gott [als dem König des künftigen Israel voraus, er durchzieht die Provinz des Gottesreichs, in der Herr? einst Wohnung nehmen wird, und proklamiert sie durch Ausrufung des Namens Gottes als dessen Besitz und Residenz] ! , der einst […] einziehen wird H1 201,40 »Sondergut«] »Wesensgut« d4 202,27-28 »mit meinem ganzen […] Seele«] »mit all meinem Herzen und mit all meiner Seele« d4 202,30 läßt von beiden nicht] gibt beide nicht auf d4 202,34 »getreuliche Treue«] [»Vertrauenstreue«] ! »getreuliche Treue« H1 »Vertrauen-Treue« d4 202,35-36 scheidet ihn mit Unbedingtheit] scheidet ihn hmit Unbedingtheiti H1 202,39 das Vertrauen] [den Glauben des Menschen, der ja in der Schrift] ! das Vertrauen H1

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203,2-3 der unfaßbaren Verheissung gegenüber bewährt] [nachgerühmt] ! [wie berichtet wird] ! der unfassbaren Verheissung gegenüber bewährt H1 203,5 den dogmatisch formulierbaren »Glauben«] den hdogmatisch formulierbareni »Glauben« H1 203,7 Emuna und Emuna] hEmuna und Emunai H1 203,8 gründet] [wurzelt] ! gründet H1 203,11-12 , und auch […] Judentum] h, und auch […] Judentumi H1 203,38 Gestalt] Gehalt H1 204,1 Hinweisen] [Andeutungen] ! Hinweisen H1 204,15 das Heiligtum, in dem es] [das Heiligtum entweiht, in dem] ! die Höfe, in denen es H1 204,17 »bereit«] »festgegründet« d4 204,19 teilhaftig zu werden] [zu empfangen] ! teilhaftig zu werden H1 204,32 inmitten der Erde] im Innern des Erdlands d4 205,8 Lehre] [Sicherungslehre] ! Lehre H1 205,14 Heiligtums] Tempels H1 205,18 nichts mehr] nichts mehr [, ebensowenig wie anderthalb Jahrhunderte später bei den Propheten, die die Grundsteinlegung des zweiten Tempels mit ihren Reden begleiteten] H1 205,20 der jesajanischen Anschauung] [des jesajanischen Tempelzentrismus] ! der jesajanischen Anschauung H1 205,35 »Verschlingen des Todes«] Vernichten des Todes d4 205,38-39 die Hinwegschaffung […] »der ganzen Erde«] das »Abtun« der »Schmach seines Volkes« von »allem Erdland« d4 205,41-206,1 vergleichen, einen von denen, die Gottes Antritt] [der etwa aus der gleichen Zeit, stammt, wo ebenfalls Gott die Königsherrschaft] ! vergleichen, einen von denen, die Gottes Antritt H1 206,4-5 der Völkermenge] des Volksgetümmels d4 206,8 »Schande«] »Schmach« d4 206,9 vom Turm zu Babel herrührende Auseinandergefallensein] hvom Turm zu Babel herrührendei Auseinandergefallensein H1 206,13 »denn der Herr hat’s geredet«] »Ja, geredet hat’s Er« d4 206,18 Schande] Schmach d4 206,19-20 in der Spätzeit des Exils beginnende] hin der Spätzeit des Exils beginnendei H1 206,20 zionistischen] zionozentrischen d4 206,24 wiederaufnehmen] [ausarbeitet] ! wiederaufnehmen H1 206,29 meinem ganzen heiligen Berg] all dem Berg meines Heiligtums d4 206,33-34 nicht bloß Israel […] sondern] hnicht bloß Israel […] sonderni H1

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206,37-38 , wie Israel nun […] eingeeignet wird] h, wie Israel nun […] eingeeignet wirdi H1 206,39-40 rings um die Befreiung […] Israels] hrings um die Befreiung […] Israelsi H1 207,2-3 , vielmehr der ganzen Welt] [ – dem ganzen Kosmos] ! , vielmehr der ganzen Welt H1 207,3 Welt-Erlösung zentriert in Zion] [kosmische Erlösung gilt Zion] ! Welt-Erlösung zentriert in Zion H1 207,5 (51,16)] berichtigt aus (57,16) 207,6 Jerusalem] Jerusalem zu einem Jubel d4 207,10-14 Zum Herold […] Gipfel erreicht] fehlt d4 208,5-6 Israel-Kanaan] [Volk-Land] ! Israel-Kanaan H1 208,7 angewiesen ist] [gestellt ist] ! angewiesen ist H1 208,8 Zuständen] [Situationen] ! Zuständen H1 208,14-15 , solange ein Kern […] lebt,] h, solange ein Kern […] lebt,i H1 208,32 stehen mitsammen am Horizont] [sind zu einem Einzigen geworden] ! stehen mitsammen am Horizont [. Auch dafür ist dieser Traktat, der vom Regenfasten handelt, ein charakteristisches Beispiel] H1 208,36 Regen Gottes.] Regen Gottes. [Die Mischna, die älteste Talmudschicht, auf der der Traktat wie alle aufgebaut ist, beginnt mit einer Erklärung des Gebets] H1 209,6 erläutern] [auslegen] ! erläutern H1 209,32 er schickt den Regen] [die stets erneute Fruchtbarkeit der Erde, die das himmlische Wasser hervortreibt, und hervortreiben wird] ! er schickt den Regen H1 209,37 Sendlings] [Boten] ! Sendlings H1 210,1 So kann denn auch] [Die Sphären sind hier wie Schlüssel] ! So kann denn auch H1 210,12-13 Gott selber sich unablässig bekümmert] Gott selber [immer wieder aufsucht und um das er sich] ! selber sich unablässig bekümmert H1 211,1-2 , die in der Natur […] wurzelnde,] h, die in der Natur […] wurzelnde,i H1 211,20 beziehen kann] [stützen kann] ! beziehen kann H1 211,21-22 zuweilen die […] Opferhandlung] [vielmehr die [spontane] ! aussergewöhnliche Opferhandlung] ! zuweilen die […] Opferhandlung H1 211,33 ein »Chassid«] [keiner der grossen Lehrer, [wohl überhaupt kein Gelehrter, aber er ist auch kein] ! sondern kein Mann der Lehre, aber sicherlich auch] ! ein »Chassid« H1

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211,34-35 und ihm werden […] nachgerühmt] hund ihm werden […] nachgerühmti H1 212,7 schon die Sonne] schon [, wieder auf Chonis Bitte, die Wolken sich zerstreuen und] die Sonne H1 212,14 ihr Kern] einiges darin H1 213,2-3 der reinen Liebesgesinnung] [echter Liebe] ! der reinen Liebesgesinnung H1 213,3 Unter »Leiden«] [Chessed ist jene Gesinnung und Lebensweise, die besonders geeignet ist, die von Gott] ! Unter »Leiden« H1 213,13 Gestaltung gefunden hat, wie sie] Gestaltung [in dem Buch Hiob, einigen Leidenspsalmen und] ! gefunden hat, wie sie H1 213,25 Leidenden zuliebe.] Leidenden zuliebe. [Fast mehr noch, als das Land Israel dem Volke Israel gegeben wurde, ist Israel dem Land gegeben worden.] H1 213,27 zu verstehen] [mit der Tatsache zu vereinbaren, dass die ganze Erde sein ist] ! zu verstehen H1 214,10 Diskussionen] [Kontroversen] ! Diskussionen H1 214,12 bestimmte] [einheitliche] ! [massgebende] ! bestimmte H1 214,27 Das Pflanzen] [Die Gnade ist selber Arbeit.] Das Pflanzen H1 216,13 das Weltmodell] das Weltmodell [, die Urwelt] H1 216,21 beschlossen] [bestimmt] ! beschlossen H1 217,6 Nationen] Weltstämme H1 217,7-8 »Ein Volk] »Eine Nation H1 217,11 »da er wollte] [geben und nehmen »nach seinem Willen] ! »da er wollte H3 217,16 Wesentliche] Wesentliche [und Entscheidende] H3 217,17 des Herrn der Welt erfahren] des Herrn der Welt [erfuhr und als Vollstrecker dieses Willens das Land erobert hat] ! erfahren H1 217,32 Gebot] [Wort] ! Gebot H1 217,32-33 angenommen] ausgeführt H1 218,16 gleichsam den Boden besetzt hielten und] hgleichsam den Boden besetzt hielten undi H1 218,18-19 und nach dessen Verbannung […] Volks vertraten] hund nach dessen Verbannung […] Volks vertrateni H1 218,23 der ewigen Berührung] [des ewigen Zusammenhangs] ! der ewigen Berührung H1 218,26 tauscht Jakob alles] [schlägt Esau vor aus dem Erbe zwei Teile zu machen, dann werde es ihm als dem Erstgeborenen – ein Recht, das durch den Verkauf der Erstgeburt nicht verwirkt erscheint – zukommen, zwischen beiden zu wählen,] ! tauscht Jakob alles H1

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218,27-28 stellt es Esau […] Anteil an der] [macht daraus den einen Teil; der andere ist, was er im Lande besitzt, das ist die] ! stellt es Esau […] Anteil an der H1 218,40 Hauses Davids.«] Hauses Davids.« [halso die geschichtliche Sphäre, die religiöse und die messianische, in der beidei] H1 218,41 dem ungetreuen Israel] hdem ungetreueni Israel H1 219,4-7 Alle drei werden […] eins werden.] hAlle drei werden […] eins werden.i H1 219,8 aus der Schrift geborenen Bewußtsein] haus der Schrift geboreneni Bewusstsein H1 219,17 welteinwohnenden Hypostase] Herrlichkeit Gottes H1 219,18-19 der Schechina […] zu weilen] hder Schechina […] zu weileni H1 219,20 Blutvergießen und dem Götzendienst] Blutvergiessen hund dem Götzendiensti H1 219,24 Schechina] Glorie H1 219,27-28 ihre Gegenwart über ihm] [über ihm zu weben] ! ihre Gegenwart über ihm H1 219,31 Und wenn die Strafe] [Wenn aber das Verhängnis] ! Und wenn die Strafe H1 219,34-35 In Worten wie dieses] [oder (nach einer anderen Fassung): »Wären doch meine Söhne im Lande bei mir, ob sie mich auch verdriessen!«] ! In Worten wie dieses H1 220,7-8 Heiligtums steht] Heiligtums steht [und herüberschaut] H1 220,12-13 kühneres] [stärkeres] ! kühneres H1 220,25 Im Lande und draußen] [Das Land und die Gola] ! Im Lande und draußen H1 221,5-6 im Zusammenhang […] möglich] [im Land Israel möglich] ! im Zusammenhang […] möglich H1 221,18 fundiert] [verwurzelt] ! fundiert H1 221,19-20 die in dem Gesetz] [das Wort Gottes] ! die in dem Gesetz H1 221,24 I Samuel 26,19] berichtigt aus Samuel 26,19 222,12 , wie lebensmäßig ernst] h, wie lebensmässig ernsti H1 222,26-27 im Land Israel] [in der Heimat] ! im Land Israel H1 222,28 ungeheuren] [grossen] ! ungeheuren H1 222,35 Fähre hinüber] Fähre hinüber [, ohne die Kleider abzulegen] H1 225,9-10 System des gläubigen Lebens] [gläubiges Lebenssystem] ! System des gläubigen Lebens H1 225,12 Von da aus] [In keinem anderen Werk] ! Von da aus H1 225,12-13 Meisterwerkes] [bedeutenden Werkes] ! Meisterwerkes H1 225,17 Äußerung] [Kundgebung] ! Äusserung H1

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225,33-34 Hindeutung auf den] [Eindruck des] ! Hindeutung auf den H1 226,1-2 wiewohl […] Gesinnung stehe] [vielleicht aber – das ist zwischen den Zeilen zu lesen – keiner von beiden, und das Totschlagen nähert keinen von beiden, wie nicht dem Schöpfer, wie sie beide meinen, sondern entfernt von ihm] ! wiewohl […] Gesinnung stehe H1 226,39-40 an Weisheit und Gerechtigkeit] [in seiner Gerechtigkeit und in seiner Weisheit] ! an Weisheit und Gerechtigkeit H1 227,17-18 Erniedrigung in der rechten Weise] [das Elend] ! Erniedrigung in der rechten Weise H1 227,18 Gottes willen] Gottes willen [, wie es sich gebührt] H1 227,22 gehorsamen Einzelnen] hgehorsameni Einzelnen H1 227,32 Los] [Schicksal] ! Los H1 228,2 »Glorie«] [Ausstrahlung] ! »Glorie« H1 228,5 gelernt, daß das Göttliche] gelernt, [was Erwählung] ! dass das Göttliche H1 228,5-6 Menschengeschlechts] [Erschaffene] ! Menschengeschlecht H1 228,13 Sondergut] [Kleinod] ! Sondergut H1 228,17 Sondergut] [Kleinod] ! Sondergut H1 228,23 versetzt] [entrückt] ! versetzt H1 228,23 Entfaltung] [Vollendung] ! Entfaltung H1 228,27-30 Den Anteil des Landes […] Orte zuschrieb.] hDer Anteil des Landes […] Orte zuschrieb.i H1 228,29 schauerlichen] furchtbaren H1 228,41 JHWH’s] des Herrn H1 229,2 Bestimmung] [gemeinsame] Bestimmung H1 229,2 JHWH’s] des Herrn H1 229,3-4 Ruhetage] [Die allwöchentlich wiederkehrenden] Ruhetage H1 229,4 JHWH’s] des Herrn H1 229,7 JHWH’s] des Herrn H1 229,8 JHWH’s] des Herrn H1 229,14-15 dem Lande Israel] [Kanaan] ! dem Lande Israel H1 229,16 zu zählen] zu zählen [und sie zu benennen] H1 229,19 Schechina] [Herrlichkeit Gottes] ! Schechina H1 229,21 Bedrückung] [Verknechtung] ! Bedrückung H1 229,25 zu Großem Berufene] [Hohe] ! zu Grossem Berufene H1 229,27 Der Fürst ersucht den Rabbi] Im Folgenden führt der Rabbi auf Wunsch des Fürsten H1 229,27-28 der Weisen] [des Talmuds] ! der Weisen H1 229,28 Aber statt nun] [Alle Aussprüche, die er] ! Aber statt nun H1 229,31 des Wohnens] des Wohnens [, ja des Weilens] H1

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229,34 vergehst du dich gegen] [verletzest du] ! vergehst du dich gegen H1 229,38 Schechina] [Herrlichkeit Gottes] ! Schechina H1 230,6 Bekenntnisses] [Glaubens] ! Bekenntnisses H1 230,12 wahrhaft] [tatsächlich] ! wahrhaft H1 230,22 vereitelt] [verhindert] ! vereitelt H1 230,22 Das Göttliche] [Die göttliche Gegenwart] ! Das Göttliche H1 230,23 freudigen Herzens eingestimmt] [eingestimmt, willigen Herzens] ! freudigen Herzens eingestimmt H1 230,26 und zog […] zu leben] [der Verbannung und Verknechtung zustimmend] ! und zog […] zu leben H1 230,30 von Gott sagen] [sprechen] ! von Gott sagen H1 230,30-31 Schechina] [Herrlichkeit] ! Schechina H1 230,32 daß Jehuda ha-Levi, was er] [erzitternd, wie der Dichter an die eigene Brust schlägt] ! daß Jehuda Halevi, was er H1 230,33 seines Herzens] [seiner Seele] ! seines Herzens H1 230,34 des Dichters] [eines grossen Dichters] ! des Dichters H1 231,6-7 sich also der dogmatischen Sprache] [am weitesten vom Menschenleben, seinem Sinn und seiner Aufgabe entfernt hat, wo sie sich also der theoretischen Sprache] ! sich also der dogmatischen Sprache H1 231,12 Entschluß] [Beschluss] ! Entschluss H1 231,16 als Wort eines anderen] [laut wurde – zu laut und nun] als Wort eines anderen H1 231,18 das rechte Leben beschaffen sei] [wie er leben solle] ! das rechte Leben beschaffen sei H1 231,30-31 Jetzt aber versucht] [Merkwürdigerweise versucht jetzt] ! Jetzt aber versucht H1 231,33 Schechina] [Herrlichkeit Gottes] ! Schechina H1 232,9 Schechina] [Herrlichkeit Gottes] ! Schechina H1 232,13-14 unwahrnehmbare] [verborgene,] unwahrnehmbare H1 232,14 echtbürtigen] [eingeborenen] ! [angestammten] ! echtbürtigen H1 232,19-20 wodurch allein […] gesagt ist] hwodurch allein […] gesagt isti H1 232,21 zugetane] [zugehörige] ! zugetane H1 232,26-27 Was dies letztlich] [Eine Verdeutlichung dieses ersten Punktes ist dem siebenten vorbehalten. Zweitens: soweit Halevi ihn] ! Was dies letztlich H1 232,29 Gott zugeheiligt] [geheiligt] ! Gott zugeheiligt H1 232,30 Vollendung] [Vollkommenheit] ! Vollendung H1

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232,35 Grundsatz, wie auch] [Punkt ausgeht, ist, dass die Auserlesenheit und Heiligkeit des Landes] ! Grundsatz, wie auch H1 232,39-40 Reinheit bewahren] Reinheit bewahren [, ja sich von aller angeflogenen Trübung reinigen] H1 232,5 Lauterkeit] [Urreinheit] ! Lauterkeit H1 233,8 die Seele.] die Seele. [Insbesondere aber [befreit] ! kann sich die Seele erst hier von der Trübung völlig befreien, die ihr von früheren Vergehen her] H1 233,12 wandelt sich, da er sich] wandelt sich [unter der Einwirkung des Landes] ! da er sich H1 233,19 In diesem Augenblick] [An diesem äussersten Punkt] ! In diesem Augenblick H1 233,24 vielen] [Menschen] ! vielen H1 233,25 des Einen] [Gottes] ! des Einen H1 233,28-29 Abhängigkeit […] gnädigen Gottes] [falschen Freiheit zur wahren Freiheit] ! Abhängigkeit […] gnädigen Gottes H1 234,17 höchsten] [äussersten] ! höchsten H1 234,18 ihrer Sehnsucht einsetzen] hihrer Sehnsuchti einsetzen H1 234,21 seine eigne Selbstanklage] [sein Bekenntnis] ! seine eigne Selbstanklage H1 234,21-22 Motive] [Begründung] ! Motive H1 234,34-35 im eignen Schritt […] Israels] [den Schritt des Volkes schon in seinem Schritt] ! im eignen Schritt […] Israels H1 235,6 verbunden und wirken aufeinander ein] verbunden [. Die göttliche Gegenwart, sich beiden zuteilt] ! und wirken aufeinander ein H1 235,11-12 Emanationen der göttlichen Substanz] [die göttliche Substanz] ! [Erscheinungen] ! Emanationen der göttlichen Substanz H1 235,12 hereingehoben, ohne] [hereingehoben. Das kosmische und hyperkosmische Drama, als das die Kabbala den Prozess alles Werdens sieht, spielt auf verschiedenen Planen, höheren und niedrigeren, aber alles ist mit allem verbunden, und alles wirkt sich über alles aus, aus jeder menschlichen Tat bricht in der oberen Welten Heil oder Schade hervor. Wie in der Schöpfungsregion ein Widerstreit der Urkräfte in alle Welten und Wesen Sonderung und Fehde warf, so vollzieht sich von der Sünde des Urmenschen aus ein Einfluss auf den oberen Bereich, und] ! hereingehoben, ohne H1 235,18 verstreute Züge] berichtigt aus verstreuten Züge 235,22-23 ohne gegenseitige Beeinflussung] anscheinend unabhängig voneinander H1 235,26 Das Werk der Schöpfung] [Die Schöpfung] ! Das Werk der Schöpfung H1

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235,29-31 Auch jetzt noch […] »guten Landes«.] hAuch jetzt noch […] »guten Landes«.i H1 235,35 Überwelt] [oberen Sphäre] ! Überwelt H1 236,1-2 der Bereich] [die Stätte] ! der Bereich H1 236,3 der Herzpunkt] [die feste Burg] ! der Herzpunkt H1 236,7 kosmischen Kampfes] [Weltkampfes] ! kosmischen Kampfes H1 236,14 wandern mußte] wandern musste [, um die Macht der Anderen Seite zu brechen] H1 236,21-22 , die »Schale«, die das zarte Welthirn umkrustet] h, die »Schale«, die das zarte Welthirn umkrusteti H1 236,30 , seine Einheit, sein Friede] h, seine Einheit, sein Friedei H1 236,33-34 was es leidet, zieht auch dort seine Spuren,] hwas leidet, zieht auch dort seine Spuren,i H1 237,22 einer strengen Unerforschlichkeit] [einem [bestimmenden] ! verwirrenden Dunkel] ! einer strengen Unerforschlichkeit H1 237,24 die Macht] [die kosmische Macht aus den oberen Welten] ! die Macht H1 237,24-25 das Gestirn, das es beherrscht] [und die [darüber herrscht] ! von den oberen Welten aus es beherrscht] ! das Gestirn, das es beherrscht H1 237,25-26 ; vermag nicht »zur Wurzel zu gelangen«] h; vermag nicht »zur Wurzel zu gelangen«i H1 237,32 alle anhangen«.] alle anhangen«. [So fügt sich die biblische und aggadische Lehre von der Unmittelbarkeit des Landes zu Gott, von seiner Unabhängigkeit von allen untergeordneten Mächten, sinnreich in das kabbalistische Weltbild ein.] H1 237,33 Abgesandte] [Häupter und Vorgesetzte] ! Abgesandte H1 238,1 Aufgabe vor] Aufgabe [, der Überwindung der Dämonie,] vor H1 238,2-3 Nun kommt alles] [Hier erhält es seine Seele] ! Nun kommt alles H1 238,10 erweckt] berichtigt aus entweiht nach dem hebräischen Druck 238,15 Da aber Israel sündigt und das Land entweiht, ziehen] [Da aber Israels Sünden bewirken, dass] ! Da aber Israel sündigt und das Land entweiht, ziehen H1 238,33 Segenserguß] Segenserguss [, die »heilige Salbung«] H1 238,35 So beharrt] So [schwelt] ! beharrt H1 238,35 seines Volkes] [des heiligen Volkes] ! seines Volkes H1 238,35 Land] [heilige] Land H1 238,36 Die heilige Wesenheit] [Die himmlische Substanz] ! Die heilige Wesenheit H1

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238,40 , das mit der Schechina wesenseins ist,] h, das mit der Schechina wesenseins ist,i H1 239,1 In Welt und Überwelt ist] [So ist oben und unten] ! In Welt und Überwelt ist H1 239,2 der göttlichen Potenzen] [des heiligen Lebens] ! der göttlichen Potenzen H1 239,5 So baut sich] [So ist das geschichtliche Schicksal von Israel und Zion, ist das grosse Weltdrama] ! So baut sich H1 239,21-22 Solange es nicht […] nicht eins.] hSolange es nicht […] nicht eins [, denn nur wenn [sie miteinander sind] ! die Gemeinschaft Israels eins ist, ist auch Gott eins].i H1 239,24 Lande vermählen«.] Lande vermählen«. [Dann vermählt sich der Heilige, gesegnet sei Er, wieder seiner Schechina, die die Gemeinschaft Israels ist, und [sie werden zu einer] ! die göttliche Einheit wird wiederhergestellt.] H1 239,26 erfreuen] [mit Freude überströmen] ! erfreuen H1 239,28-29 seiner ursprünglichen […] erhoben] [seinem ursprünglichen Orte] ! seiner ursprünglichen […] erhoben H1 240,3 Völker] [Nationen] ! Völker H1 240,8 da zu leben] [darauf zu beharren] ! [darin versammelt zu bleiben] ! darauf zu leben H1 240,9 Gedanken zu wählen] Gedanken zu wählen [und dass die [Regierung] ! Herrschaft aus dem Volke hervorgeht »wie das Kind aus dem Vater«] H1 240,11 begründet, so daß] begründet, [und nicht zu verletzen, ohne dass die Welt] ! so dass H1 240,17-20 , und von dem […] zu holen] h, und von dem […] zu holeni H1 240,24-26 Stämmewanderung und Volkwerdung] [Wanderungen und Landnahmen] ! Stämmewanderung und Volkwerdung H1 240,26 neu durchdacht […] ausgestaltet und] hneu durchdacht […] ausgestaltet undi H1 240,29 nicht in seinem] nicht in [dem einzigen unter seinen Hauptwerken, das das Darlegung einer Gedankenfolge und nicht als Auslegung biblischer] seinem H1 240,40 erfaßt] begriffen d2 241,8 sind die Nationen] [ist es kennzeichnend, dass die Nationen mit Vorliebe »Provinzen« nennt:] ! sind die Nationen H1 241,9-10 Individualität] [Einheit] ! Individualität H1 241,10-11 , ja geradezu ihre Existenzberechtigung] h, ja geradezu ihre Existenzberechtigungi H1

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241,24 er sieht] [er geht so weit, den Geist eines Volkes mit seiner Staatsverfassung zu identifizieren] ! er sieht H1 241,24-25 Emanation] [Emanation] ! Auswirkung H1 241,25 ganzen] geistigen H1 241,32-37 Erst ein Jahrhundert […] Giambattista Vico.] hErst ein Jahrhundert […] Giambattista Vico.i H1 241,38 ist leicht zu erfassen] [liegt nahe] ! ist leicht zu [erkennen] ! erfassen H1 242,8 wußte der gelehrte Mann wohl] war dem gelehrten Mann deutlich d2 242,27-28 die Juden] [das Volk Israel] ! die Juden H1 242,34-40 Denn in derselben Stunde […] erwählt worden.] hDenn in derselben Stunde […] erwählt worden.i H1 243,3 Schöpfung] [Natur] ! Schöpfung H1 243,4 Schöpfung] [Natur] ! Schöpfung H1 243,9 wird er Irrationalist] übersteigt er die rationalisierbare Welt d2 243,10 Nation] [Volk] ! Nation H1 243,12 Relation] [Kategorie] ! Relation H1 243,14 Relation] [Kategorie] ! Relation H1 243,31 Joch aufzuladen.«] Joch aufzuladen.« [Aus diesem Gesetz der Weltordnung ergibt sich] H1 243,35 Aus ihm geht hervor] Aus ihm [als aus einem Gesetz der Weltordnung ist abzuleiten] ! geht hervor H1 243,41-244,1 »Mit dem Zermalmten […] wohnen«] »Hoch und heilig wohne ich – und bei dem Zermalmten und Geisterniederten« d2 243,41-244,1 Zermalmten und am Geist Erniedrigten] [Niedergeschlagenen und am Geist Gebeugten] ! Zermalmten und am Geist Erniedrigten H1 244,1-2 , denn der wesentliche […] drunten] h, denn der wesentliche […] drunteni H1 244,4 Sphäre] Ordnung H1 244,8-9 , von der er meint […] Anteil ist] [die ihm gleicht] ! , von der er meint […] Anteil ist H1 244,14 die Glorie des Allgottes] [den Gott des Alls] ! die Glorie des Allgotts H1 244,19 Auch in seiner Erörterung] [Warum ist Israel, es allein unter allen Völkern, so schwer bestraft worden? / ] Auch in seiner Erörterung H1 244,34 Völker] [Kreaturen] ! Völker H1 244,35 Es gibt nämlich] [Man muss verstehen, was Anfang] ! Es gibt nämlich H1 245,2 »der Anfang seiner Ernte«] »sein Anfangsteil von der Ernte« d2

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245,5 Schöpfungssaat] [Schöpfung] ! Schöpfungssaat H1 245,10-11 Verbindung […] Betrachtung] [übernationalen Betrachtung] ! Verbindung […] Betrachtung H1 245,16-17 unter den Engeln] unterhalb der Engel d2 245,17 ihrem Mangel] [ihrer Schwäche] ! ihrem Mangel H1 245,19 zur Vollkommenheit] vollkommen d2 245,21-22 satanischen Anfechtung] [Anfechtung durch den Bösen Trieb] ! satanischen Anfechtung H1 245,25-26 , wie ja unter allen Kreaturen […] ausgesetzt ist] h, wie ja unter allen Kreaturen […] ausgesetzt isti H1 245,28 Dies ist es […] Schrift geht] [Darauf geht das Gotteswort] ! Dies ist es […] Schrift geht H1 245,28 Wort der Schrift] Psalmwort d2 245,29-30 »Ich habe […] Fürsten fallen.«] »Selber ich habe gesprochen: ›Götter seid ihr, Söhne des Höchsten ihr alle!‹ – jedoch wie Menschen müsset ihr sterben, wie irgendeiner der Fürsten fallen.« d2 246,2 »frevelhaften Reiches«] »Frevelreiches« d2 246,9 das All] [die schlummernden Keime des Alls] ! das All H1 246,12-13 Da es jedem Volk […] beraubt werden.] [Da jedes Volk seinen natürlichen, ihm in der Weltordnung zugewiesenen Ort hat, an dem ihm bestimmt ist, gesammelt zu leben, kann es nur auf Zeit von ihm verbannt werden. Denn »es ist unmöglich, dass von Gott] ! Da es jedem Volk […] beraubt werden. H1 246,15 das Vorhandene] [das Wirkliche] ! das Vorhandene H1 246,18 »Wisse, wisse«] [»Wissend sollst du wissen«] ! »Wisse, wisse« H1 246,21 Dauer bestehen] Dauer bestehen [, denn der Weltordnung nach kommt es jedem Volke zu, frei zu sein] H1 246,25-26 Alle natürlichen […] gesammelt] [Aller Zerstreuung tendiert zur Sammlung] ! Alle natürlichen Dinge sind hihrem Wesen nachi in sich gesammelt H1 246,28 seinem Wesen nach] hseinem Wesen nachi H1 246,32 wund ist] [geschlagen wird] ! wund ist H1 247,3 »die Macht über das Nichtsein«] h»die Macht über das Nichtsein«i H1 247,7 in sich geeintes] [einheitliches] ! in sich geeintes H1 247,19 schalom] berichtigt aus schalem nach d2 247,32-33 Nicht so die Landnahme] hNicht so die Landnahmei H1 247,38 ihm zukommenden] ihm [in der Weltordnung] zukommenden H1 247,40 Widerspruch zwischen dem] Widerspruch [der zur Folge hatte, dass das Kommen] ! zwischen dem H1

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248,19-20 Das verdichtete […] genannt.] hDas verdichtete […] genannt.i H1 248,39 großgebracht] hochgebracht d2 249,8 Vermischung] ein Gemenge d2 249,11 Entfaltung] [Heiligkeit] ! [Entfaltung seiner Heiligkeit] ! Entfaltung H1 249,12 Schechina] Herrlichkeit Gottes H1 249,14 »natürliche Eigenschaft«] [Geistigkeit] ! »natürliche Eigenschaft« H1 249,18 die Heiligkeit zu erneuern] [seine Heiligkeit von neuem zu erfüllen] ! die Heiligkeit zu erneuern H1 249,28-29 Es gibt […] die Heimkehr.] hEs gibt […] die Heimkehr.i H1 249,33-34 in der Esse] [im Feuerofen] ! in der Esse H1 249,41-250,1 allerhand Arbeit] allerart Dienst d2 250,4 elementare] [tiefe] ! elementare H1 250,8 der Weltordnung nach] hder Weltordnung nachi H1 250,13 Anfang] Anfangsteil d2 250,18 der Weltordnung nach] hder Weltordnung nachi H1 250,23-25 Israels Schicksal […] zuckende Blitze] [aus der Verletzung des Bundes gehen Schuld und Strafe hervor, seine Erfüllung führt zu Gnade und Heiligkeit, Vollkommenheit, Herrlichkeit] ! Israels Schicksal […] zuckende Blitze H1 250,28 (Über Rabbi Nachman von Bratzlaw)] fehlt d3 250,29-30, dem Urenkel […] Chassidismus,] fehlt d3 250,32-38 Man muß ihn […] seine Bestimmung.] fehlt d3 251,6 Kämpfen] [Qualen] ! Kämpfen H1 251,6 seltsamen Weise] [seltsam innigen Weise] ! seltsamen Weise H1 251,7-19 Die chassidische Bewegung […] verstehen können.] fehlt d3 251,8-9 erwacht, ist in die moderne] [aufgegangen, ist nach hundert Jahren schon in vollem Niedergang begriffen] ! erwacht, ist in die moderne H1 251,11 Entartung] Niedergang H1 251,13 die Welt] [das Menschengeschlecht] ! die Welt H1 251,20 dieser Bewegung] der chassidischen Bewegung d3 251,41 Dienst am Zusammenhang] [Weihung des Zusammenhangs] ! Dienst am Zusammenhang H1 252,1 ihre Sublimierung] die Sublimierung d3 252,17 Geschlechter] [Generationen] ! Geschlechter H1 252,28-29 weist darauf hin] gibt zu erkennen d3 252,29 fühlbar wurde] sich empfindlich zu fühlen machte H1 252,30 zu beobachten haben] darauf zu achten d3

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252,41 hätte umkehren müssen] hätte [– nachdem er noch die in einen Frosch verbannte Seele eines Gelehrten erlöst hatte –] umkehren müssen H1 253,4 geht] begibt sich d3 253,26-30 Hier sind wir […] keinen umdichtet] [Vorher besucht er seine Eltern in Miedzyborz, das einst der Wohnort des Baal-schem-tow gewesen war und worin er selber seine Kindheit verbracht hatte. Hier begibt sich etwas Seltsames.] ! Hier sind wir […] keinen umdichtet H1 254,3 fahren solle] fahren solle [, aber es scheint, dass er nicht alles sagt] H1 254,8-9 (»die Schale […] Lehrreden)] h(»die Schale […] Lehrreden)i H1 254,17 erfaßt] gehalten d3 254,23 strengen Zusammenhang] strengen [und heiligen] Zusammenhang H1 254,28-29 »Auf dem Meer […] nicht erkannt.«] »Durch das Meer hin ist dein Weg, dein Steig durch die vielen Wasser, doch nicht werden deine Tapfen erkannt.« d3 254,38 eingesetzt] [hergegeben] ! eingesetzt H1 255,4 Wer wahrhaft Jude] [In der Bezwingung zeigt es sich, dass die Hindernisse eigentlich nur Spiegelungen] ! Wer wahrhaft Jude H1 255,5-6 »zerbrechen«] [bezwingen] ! »zerbrechen« H1 255,18 nachzukommen] [zu erfüllen] ! nachzukommen H1 255,41 in seiner Erscheinung] hin seiner Erscheinungi H1 256,2 durch und durch heilig] [heilig von Grund aus] ! durch und durch heilig H1 256,4 in jedem Belange] durchaus d3 256,27-28 gibt sein Gefährte […] Kaliski,] gibt er H1 256,29-30 Umwälzungen, Begebenheiten] [X, Ereignisse] ! Umwälzungen, Begebenheiten H1 256,31 ihm eingliedert] [einverleibt] ! ihm eingliedert H1 256,36 unmittelbar ins Antlitz des Landes] [das Land von Angesicht zu Angesicht] ! unmittelbar ins Antlitz des Landes H1 256,37 Rabbi Mendel selbst schreibt] Ein andermal schreibt er H1 257,5-6 beherrschest die Hoffart] überwaltest den Hochmut d3 257,5-6 die Hoffart] [der Hochmut] ! die Hoffart H1 257,21-22 , das Wasser […] Bord] h, das Wasser […] Bordi H1 257,23 vor kurzem […] Jüngling] [toten Jüngling] ! vor kurzem […] Jüngling H1 257,25 Das ist die erste […] erscheinen.] hDas ist die erste […] erscheinen.i H1

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257,36-37 zu ihm aufsteigt] [hinkommt] ! zu ihm aufsteigt H1 258,3 buddhistische] [[chinesische] ! taoistische], indische] ! buddhistische H1 259,14 hat sich sein Gefühl gewendet] [ist sein Gefühl umgeschlagen] ! hat sich sein Gefühl gewendet H1 259,14-15 namenlose] [ungenannte] ! namenlose H1 259,17 nicht einmal mehr] weder nach Safed noch nach Tiberias zu den chassidischen Gemeinden, ja, er will nicht einmal mehr H1 259,30-31 äußerte keine Ungeduld] [erträgt beides mit Geduld] ! äusserte keine Ungeduld H1 260,2 uns die erzählten Vorgänge erklären] [als den Sachverhalt vermuten] ! uns die erzählten Vorgänge erklären H1 260,16 dem Konflikt] [der Begegnung] ! dem Konflikt H1 260,26 der Bahnbrecher.] der Bahnbrecher. [/ Bald danach muss er eine geheimnisvolle Angelegenheit wegen, über die uns nichts mitgeteilt wird, durch eine Höhle auf unterirdischen Wegen und unter manchen Gefahren nach Safed. Hier erreicht ihn die Nachricht, die Franzosen würden demnächst gegen Akko vorgehen.] H1 261,7 Gerät] [Gefäss] ! Gerät H1 261,17-18 er hat das Ganze […] Chaos wird] her hat das Ganze […] Chaos wirdi H1 261,28 in ein Buch aufnehmen] [aufzeichnen] ! in ein Buch aufnehmen H1 261,30 neun Wochen] [in seinem letzten Lebensjahr getan hat. Es gibt Zeiten, sagt er da, wo er sich im Zustand der Einfalt befinde] ! neun Wochen H1 261,37-38 von den längst Vertrauten bis zu denen] die alten Vertrauten und Neue H1 262,5-6 , die Begeisterung erhob ihn,] h, die Begeisterung erhob ihn,i H1 262,19-20 , dem Gott […] verkündigte«,] h, dem Gott […] verkündigte«,i H1 262,20 Werke verkündigte] Taten ansagte d3 262,26 es verdient, so lange als es] hes verdient, so lange als esi H1 262,27 offenbarten Thora] [Offenbarung] ! offenbarten Thora H1 262,39 nicht verzweifeln!] nicht verzweifeln! [»Ermannt euch] H1 262,39-40 »Verzweiflung […] Nachman] h»Verzweiflung […] Nachmani H1 263,24 ein neues Zeitalter] eine neue Periode d3 263,26-27 und hat ihn neu gestaltet] hund hat ihn neu gestalteti H1 263,29 Palästina ist] Palästina ist nach Rabbi Nachman d3 263,29 ihr Grundstein,] fehlt d3

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263,35-37 , denn hier kann man […] erleuchtet werden;] h, denn hier kann man […] erleuchtet werden;i H1 263,37-39 , von ihm […] Grausamkeit] h, von ihm […] Grausamkeiti H1 264,34-35 herabziehen […] aufwiegeln] herabziehen [, ihn gegen den Geist aufwiegeln, und in sich zerspalten] und seine Einbildungskraft gegen den Geist aufwiegeln H1 265,12 ewigen] einzigen H1 265,25 zu läutern] [von ihrer Befleckung] zu läutern. Darum auch muss man heute, sagt Rabbi Nachman, manche Irrfahrt ertragen, ehe man ins Land gelangt. An jedem Ort, durch den man kommt, soll man die darüber gelagerte Einbildungskraft läutern. H1 265,29 in Wahrheit] fehlt d3 266,5-6 in diesem Kreis des Widerspruchs] hin diesem Kreis des Widerspruchsi H1 266,7 Seele einsetzt] Seele einsetzt [und die Hindernisse bricht] H1 266,20 unverdienten] [unentgeltlichen] ! unverdienten H1 266,24-25 es ruft […] seinen] wir rufen […] unseren H1 266,25 Es ruft] Wir rufen H1 266,26 es seinen Einspruch ausruft] wir unseren Einspruch ausrufen H1 266,26-27 nach göttlichem Gesetz] hnach göttlichem Gesetzi H1 266,28 wie ist das Land wiederzugewinnen] wie können wir das Land wiedergewinnen H1 266,31-32 Nur nach und nach kann] [Wer sich aber versündigt, X ins Böse geraten lässt, wirkt zum Gegenteil: Langsam wird] ! Nur nach und nach kann H1 267,1-2 hofft und harrt Israel] hoffen und harren wir H1 267,3 dieses Land] unser Land H1 267,13-14 Nicht in Dürftigkeit […] mangeln] Nicht in Kärglichkeit sollst du Brot essen, nichts von allem wird dir mangeln d3 267,18 genießt:] [geniesst und sich am Segen erfreut, der ihm zuteil] ! geniesst: H1 267,28 die wahre Weisheit] [keine Selbsttäuschung, dass die Einfalt] ! die wahre Weisheit H1 268,5 trotz Herzls Wort […] bei ihm«] htrotz Herzls Wort […] bei ihm«i H1 268,12 Es ist lange Zeit] [Und hier tritt uns auch ein so tiefes und zugleich modernes Verständnis des Zusammenhangs] ! Es ist lange Zeit H1 268,14 noch heute nicht.] noch heute nicht. [Bis auf unsere Tage ist Hess der einzige aus dem Westen gekommene Jude des Zeitalters geblieben, der bis auf den Grund der Zionsidee vorgestossen ist.] H1

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268,20-21 hier zu ihr gelangt] [sich hier als auf ihr stehend bewährt] ! hier zu ihr gelangt H1 268,32 so selbständige und reife Gedanken] [sich zugleich so weit von ihr entfernt und] ! so selbständige [und zugleich marxferne] ! und reife Gedanken H1 268,33 und in den Ergänzungen dazu, ist] [ist als Theoretiker keineswegs] ! und in den Ergänzungen dazu, ist H1 269,10 zu jener] [in unserem Zeitalter wohl] ! zu jener H1 269,19 Die Jahre] [Insbesondere den fünf Jahren nachdem er Marx kennen lernte – den Jahren, in denen Marxens materialistische Geschichtsauffassung gereift ist –, sehen] ! Die Jahre H1 269,21 , von dem er […] worden ist,] h, von dem er […] worden ist,i H1 270,15 erblicken] erblicken [– für ein kritisches Verhalten zu Marxens Grundauffassung des Sozialismus gibt es kein Zeugnis. Hess versucht keine Neubegründung, sondern eine] H1 270,25 einigen] [einheitlichen] ! einigen H1 271,13-14 , den Heß wohl […] übernommen hat,] h, den Hess wohl […] übernommen hat,i H1 271,25 von 1837] von 1837 [und der »Europäischen Triarchie« von 1840] H1 271,26 diesem Buch] [dem ersten dieser beiden Bücher] ! diesem Buch H1 272,3 Zeugnis als alle] Zeugnis [als jedes andere historische Denkmal – ein getreueres, als ihre heiligen Bücher – ein sprechenderes] ! als alle H1 272,5 besteht aber die Hoffnung nicht mehr] [erscheint die Hoffnung schon sehr herabgemindert] ! besteht aber die Hoffnung nicht mehr H1 273,11-13 (in der »Europäischen Triarchie« […] schuld sei)] h(in der »Europäischen Triarchie« […] schuld sei)i H1 273,21 den Wiederaufbau] [die Restauration] ! den Wiederaufbau H1 273,22 »der jüdische Patriotismus«] [der Gedanke an die jüdische Nationalität] ! »der jüdische Patriotismus« H1 273,30 Produktionen] berichtigt aus Protektionen nach d2 274,25 des »neuen Jerusalem«] [des »heiligen Reiches«,] ! des »neuen Jerusalem« H1 274,31 die Ansage] [in dem ersten Abschnitt, in dem er die Juden »die wahren Christen« nennt] ! die Ansage H1 274,34 Begründung] [Errichtung] ! Begründung H1 275,3-7 »Das erste Gebot […] zu lehren.] h»Das erste Gebot […] zu lehren.i H1

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276,1 kulturelles Schaffen] [kulturelle Schöpfung] ! kulturelles Schaffen H1 276,6 Gemeinschaftlichkeit] [Gerechtigkeit und der] Gemeinschaftlichkeit H1 276,14 Achad-Haams Blick] [Achad Haams Absicht ist national kulturell] ! Achad-Haams Blick H1 276,30-31 jüdischen Volkes] [Judentums] ! jüdischen Volkes H1 277,8 jüdisch-palästinensischen Gemeinwesens] [jüdischen Gemeinwesens] ! jüdisch-palästinensischen Gemeinwesens H1 277,21-22 – der Begriff »Arbeit« […] zu fassen –] h– der Begriff »Arbeit« […] zu fassen –i H1 277,32 geäußert] [nachdrücklich ausgesprochen] ! geäussert H1 280,10 brechen aus, um sich] brechen aus. Sie brechen aus, um sich d2 280,10 , um sich ihre Gemeinschaft zu sichern] h, um sich ihre Gemeinschaft zu sicherni H1 281,12 Verehrung] [Verhältnis] ! Verehrung H1 281,13 Errungenschaft] [Eroberungen] ! Errungenschaft H1 281,25 Mit so weitgehender] [Was für ein Wahrheitsgehalt ist in solchen schön pointierten Sätzen zu finden?] ! Mit so weitgehender H1 281,30 einer Erwägung] unserer Erwägung H1 281,37-38 eingeschränkter Formulierung] [abgeänderter Gestalt] ! eingeschränkter Formulierung H1 282,11-13 Es kommt darauf an […] zu schaffen«.] hEs kommt darauf an […] zu schaffen«.i H1 283,15 Das Heiligste] Unser Heiligstes H1 283,17 gebunden] gebunden [; X soweit unsere Fassungsfähigkeit reicht] H1 283,19 klingt] [wirkt] ! klingt H1 283,19 etwas seltsam] [nicht sehr einleuchtend] ! etwas seltsam H1 283,28 in seinen Tagen entstandenen] hin seinen Tagen entstandeneni H1 284,4 Bedürfnisse] [Wünschen] ! Bedürfnisse H1 284,29-31 (diese Entscheidung […] genannt wird)] h(diese Entscheidung […] genannt wird)i H1 284,38 läßt noch erklären] erklärt noch d2 285,6 grundsätzliche] [einfache] ! grundsätzliche H1 285,28 gedacht hat, ist es nicht.] gedacht hat, ist es nicht. [/ »Jetzt wandern wir aus«, sagt Pinsker in der »Autoemanzipation«, indem er die heutige Lage mit der des Auszugs aus Ägypten vergleicht, »ohne einen Moses als Führer, ohne Verheissung eines Landes, das wir durch eigene Kräfte zu besitzen bestimmt wären.« [Der so spricht,

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vergisst, beachtet nicht, dass] ! [Aber wer mit dem Wort Verheissung wirklich die Verheissung meint und nicht eine Metapher, weiss, dass sie nicht auf einen einzigen Vorgang zu beschränken ist] H1 285,30-35 Organisation – er hatte diesen Kampf […] im Gespräch] Organisation [, wo Enttäuschungen, in deren Folge Pinsker die Leitung der Arbeit niederlegt, wo ihm Anhänger noch grössere Hindernisse in den Weg legten als Gegner, äusserte Pinsker sich im Gespräch] ! – er hatte diesen Kampf […] im Gespräch H1 286,24 »Europa ist zu nahe] [»Europa ist zu nahe« (d. h. [offenbar] ! natürlich: die Versuchung dahin zurückzukehren ist zu gross). Das bedeutet: für Palästina sprechen Gründe der Propaganda, gegen es solche, die in der Sache selbst liegen] ! »Europa ist zu nahe H1 286,37-38 Wohl verzeichnet er] [Im »Judenstaat« selbst ist dann freilich das Gleichgewicht wiederhergestellt. Freilich hatte er noch kurz vorher als eine der ersten] ! Wohl verzeichnet er H1 286,39-41 es handelt sich hierbei […] zu gewinnen] aber es ist unverkennbar, dass das für ihn kein geographisch festgelegter Name, sondern schwebend wie der Begriff des »Gelobten Landes« ist H1 287,22-23 Stellungnahme […] Judentum] [Einwirkung des Ostens und die des Westens] ! Stellungnahme […] Judentum H1 287,34 Aussichten] [Möglichkeiten] ! Aussichten H1 287,41 imponiert hat] [besonders als das Land der für die Weltwirtschaft] ! imponiert hat H3 288,5 Landwahl;] [Landwahl. Schon in der ersten seiner Audienzen, der mit dem Grossherzog von Baden, spricht Herzl nur noch von Palästina] ! Landwahl; H1 289,2 wohl nicht tun.] wohl [seiner Art und seinem geistigen Grundtypus nach] nicht tun. [In den nächstfolgenden Jahren sagt er eher weniger als mehr. »Der Jude will den Boden mit dem Blut und Schweiss seiner Arbeit düngen«, heisst es 1899, »allerdings nur einen einzigen Boden, den von Palästina.« Baron Hirsch weist erneut auf dieses »ideale Moment« (1899), die »ideale Anziehungskraft für die Massen« (1900) hin. Er bleibt bei der Idealität stehen »Wir streben nach unserem alten Land«, sagt Herzl am Schluss jener Kongressrede. Aber acht Wochen vorher schreibt er in sein Tagebuch: »Ich denke daran, der Bewegung ein näheres] H1 289,24 Not] [drängende Situation, auf die Judennot] ! Not H1 290,7-8 ein bedeutendes Dokument] [Ausdruck] ! ein bedeutendes Dokument H1 290,12 die eigenwillige Freiheit denken] [den eigenwilligen Sinn denken, der es diesem Begriff damals] ! die eigenwillige Freiheit denken H1

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290,24 große und wirksame Phantasie] [grosse Phantasie und einen grossen Willen] ! große und wirksame Phantasie H1 291,38 einem Begriff] [einer Abstraktion] ! einem Begriff H1 292,7 verwirklicht] [erfüllt] ! verwirklicht H1 292,9-10 rein entfaltet] [seinen reinen Ausdruck gefunden] ! [sich rein zur Blüte entfaltet] ! rein entfaltet H1 292,37-38 , wie er sie zuinnerst kennt, der nämlich,] h, wie er sie zuinerst kennt, der nämlich,i H1 292,39-41 Er mag auch ahnen […] er muß.] hEr mag auch ahnen […] er muß.i H1 293,18-19 , denn »der Notstand […] großen Aktion«] h, denn »der Notstand […] großen Aktion«i H1 293,24 Großzügigkeit aus.] Grosszügigkeit aus. [In seinem Brief an Max Nordau vom Juli, in dem jenes erste Müssen in der aktuellsten Gestalt wiederkehrt – »wir müssen eine Antwort auf Kischinew geben und dies ist die einzige« – legt Herzl das neue System dar. Das Grundmotiv ist] H1 293,37 , oder: »der umgekehrte Aufbau […] Westentasche«] h, oder: »der umgekehrte Aufbau […] Westentasche«i H1 294,2-4 Auch Marokko […] wird irrelevant;] hAuch Marokko […] wird irrelevant;i H1 294,10 Erez Israel] [»Judenstaat«] ! Erez Israel H1 294,12-13 dieses komplizierten Staatsgebildes] hdieses komplizierten Staatsgebildesi H1 294,15-16 »auf nationaler Grundlage« errichteten] h»auf nationaler Grundlage« errichteteni H1 294,29 zu registrieren] [zu formulieren] ! zu registrieren H1 294,29 zu sanktionieren] zu sanktionieren, auf die Spitze getrieben. [»Wir sind«, sagt er, »die Macher der Formeln, aber nicht ihre Gefangenen.«] H1 294,30 , gewiß gegen Herzls Willen,] h, gewiß gegen Herzls Willen,i H1 295,13-14 jener innersten Wirklichkeit] [der Wirklichkeit »Zion«, d. h. Zions als Ziel und Aufgabe bedeuten würde, merkt er nicht] ! jener innersten Wirklichkeit H1 295,16-17 »Wenn ich dein vergesse, Jerusalem«] »Vergesse ich, Jerusalem, dein« d2 295,26-27 Das ist […] lösen kann.«] hDas ist […] lösen kann.«i H1 296,17 zehrte an ihm] [verzehrte ihn] ! zehrte an ihm H1 296,18-19 vielgestaltiger Widerstreit] vielgestaltiger [und vielnamiger] Widerstreit H1

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296,20 unverhüllt erscheint] [am deutlichsten wahrzunehmen] ! unverhüllt erscheint H1 296,21 Gegensatz] [Konflikt] ! Gegensatz H1 296,23 dem Streben nach] [der Tendenz zu] ! dem Streben nach H1 296,27-28 , nicht das war es, was die Geister schied,] h, nicht das war es, was die Geister schied,i H1 296,32 Macht ohne Treue […] Sinn.] hMacht ohne Treue […] Sinn.i H1 297,2-3 übertäuben. Israel verliert sich […] und es verliert sich] übertäuben; und wir verlieren uns […] und wir verlieren uns H1 297,3-4 es Zion […] ersetzt] wir Zion […] ersetzen H1 297,6 wer es tat, sieht nie mehr] wer es tat, [ist ihr König auf ewige Zeit] ! [sieht keine andere mehr an] ! sieht nie mehr H1 297,10-11 Judenstaats anstrebe] Judenstaats oder eines staatsähnlichen jüdischen Gemeinwesens in Palästina anstrebe H1 297,12-13 , worunter man […] zu verstehen liebt] h, worunter man […] zu verstehen liebti H1 297,14 Dieser Irrtum ist, bequem wie er ist] Diesem Irrtum [, dessen Entstehung und Erhaltung durch Achad-Haams intellektualistische Weltanschauung und analytische Denkweise gefördert worden ist], bequem wie er ist H1 297,31 zwar nicht auch] wenn auch nicht eben d2 297,31 aber die Hoffnung geht hier] doch geht die Hoffnung hier d2 298,2 wirklich] wirklich [und wahrhaftig] H1 298,11 diese Möglichkeit […] zu helfen] dazu zu helfen, daß diese Möglichkeit zur Wirklichkeit werde d2 298,17 der Weg] [ein Mittel und Zion ein echtes Ideal] ! der Weg H1 298,29-31 , sondern »gesunde […] Ordnungen leben«] fehlt d2 298,35 was Zionisten] was man bei uns H1 298,39 daß Israel, wenn es sich] dass wir, wenn wir uns H1 299,6 Wenn Israel] Wenn wir H1 299,7 wird auch aus dem Gemeinwesen nichts] bekommen wir auch das Gemeinwesen nicht H1 299,7 Will es] Wollen wir H1 299,8 versinkt das Land] [wird und bleiben überhaupt kein Land mehr] ! versinkt das Land H1 299,12-15 sah, daß daraus […] nichts zu retten] [sah uns wie wir sind [entartet]] ! sah, daß daraus […] nichts zu retten H1 299,21 Zion lieben lernen] [zu Zion Liebenden werden; denn nur solang dies nicht] ! Zion lieben lernen H1 299,30 Liebe] [brennende] Liebe H1

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299,37 Moses, der Stelle] [Moses. »Wir sehen«, sagt er da, die ›Erweckung Moses‹] ! Moses, der Stelle H1 299,41 Aufgabe] [Sendung] ! Aufgabe H1 300,2-3 Völker] Weltstämme d2 300,9 Israels] [des Volkes] ! Israels H1 300,25 Erneuerung] [Reformation] ! Erneuerung H1 300,36 Nötigung] [Zwang] ! Nötigung H1 300,40 zur Wahrheit wiederfinden] zur Wahrheit [und damit die Wahrheit selbst] wiederfinden H1 301,2 Geschichtsgefühls] [historischen Gefühls] ! Geschichts-Gefühls H1 301,4-5 Geschichts-Gefühl] [historische Gefühl] ! Geschichts-Gefühl H1 301,16 erörtern,] erörtern, [»nicht mehr als ein Mythus«] ! eine Illusion H1 301,19 der Ewigkeit] [des Übergeschichtlichen] ! der Ewigkeit H1 301,20 hegen] [hegen, vielleicht noch schwerer, sich zu ihm zu bekennen] ! hegen H1 301,27 seiner eigenen Existenz] [seinem eigenen Leben] ! seiner eigenen Existenz H1 301,31 allein] [ohne die beiden andern] ! allein H1 301,31 politische] [nationale] ! politische H1 301,35-36 dann in unseren Tagen […] Gordon] hdann in unseren Tagen […] Gordoni H1 301,37-38 und Hindeutung […] besonders] hund Hindeutung […] besondersi H1 302,13-14 einen Bereich über dem Leben] [eine erhabene »Abteilung« des Lebens] ! einen Bereich über dem Leben H1 302,30-31 verspürt, daß ein Band sich schlang, das] [verspürt eine Bindung, die] ! verspürt, dass ein Band sich schlang, das H1 303,17-19 und ihm entspricht darin jenes unzulängliche […] besteht,] hund ihm [folgt] ! entspricht darin jenes [vorgebliche] ! unzulängliche […] besteht,i H1 303,19 vollkommene Heilige] hvollkommenei Heilige H1 303,20 Sphären] [Welten] ! Sphären H1 303,25-26 – »wahre Zaddikim […] Raw Kuk –] h– »wahre Zaddikim […] Raw Kuk –i H1 303,27 Dies ist es] [Damit, mit der Erhebung des Profanen zum Heiligen, rührt das Irdische an das Himmlische, und »das himmlische Heilige] ! Dies ist es H1 303,34 unterdrückt] [überwunden] ! unterdrückt H1

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303,35 Aber die Welt] [Er fordert von der ganzen Welt, und vornehmlich von Israel, dem zerstreuten und gebrochenen Israel, sich über die Natur zu erheben.] ! Aber die Welt H2 303,36 Israel bedarf] [Wir brauchen die Schlichtheit des Lebens, die reine Gesundheit, wir brauchen das Natürliche, Normgemässe und Normale in allen Lebensfunktionen, im Gefühl, im Verstand, und bis in die Höhe der Verzückung hinein.] Israel [, und die Welt mit ihm,] bedarf H1 303,38 abgesonderte] [abgeschiedene] ! abgesonderte H1 304,8 der Heiligkeit] hder Heiligkeiti H1 304,8 entstanden] [ein Ergebnis] ! entstanden H1 304,9-10 die Erhaltung der Geitigkeit] [das geistige Leben] ! [die Erhaltung des geistigen Lebens] ! die Erhaltung der Geistigkeit H1 304,19 Lebensfunktionen] Lebensfunktionen [, ein Gefühl, ein Verstand, und bis in die Höhe der Verzückung hinein] H1 304,21 in sein Land.] in sein Land. [Die Heiligkeit, die Israel mit sich ins Exil nehmen konnte, war die Heiligkeit des Geistes, aber die Heiligkeit des Landes, die in ihm verborgen geblieben ist, ist die Heiligkeit der Natur.] H1 304,22 das Natürliche, das durch] [die Natur] ! das Natürliche, das [sich von oben aufgerufen fühlt und durch die Forderung des Heiligen, die von oben kommend, ihm als] ! durch H1 304,24-26 Es trägt zuinnerst […] Daseins, aber] hEs trägt zuinnerst […] Daseins, aberi H1 304,30-33 das abgespaltene […] bekämpfen einander] [eben jenes abgespaltene und abgetrennte, welches die Natur bekämpft] ! das abgespaltene […] bekämpfen einander H1 304,33 Geistigkeit] [Heiligkeit] ! Geistigkeit H1 304,33 Natürlichkeit] [Natur] ! Natürlichkeit H1 304,34 statt daß jedes] statt [sich zur vollkommenen Heiligkeit] ! dass jedes H1 305,4 Läuterung] [Klärung] ! Läuterung H1 305,13 bejaht] bejaht [und gefördert] H1 305,24-25 lehnt sich gegen sein eigenes Heiliges auf] [richtet sich gegen seine eigene Heiligkeit auf] ! lehnt sich gegen sein eigenes Heiliges auf H1 305,26 Aufstand] Aufruhr d2 305,32-37 »Die Erdreistung […] ganz offenbart«.] h»Die Erdreistung […] ganz offenbart«.i H1 306,12 Einsicht in das Wesen] Einsicht in [das Heilige] ! [die Vollkommenheit] ! das Wesen H1

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306,22-23 in ihrer Isolierung] isoliert und für sich stehend H1 306,23-24 zueinander kommen] [miteinander verschmelzen] ! zueinander kommen H1 306,28 Träger] Träger [und einigende Werkzeuge] H1 306,29 Entfaltung] [Macht und Herrlichkeit] ! Entfaltung H1 307,27 im Judentum] bei uns H1 307,32 weder positiv noch negativ] [und anderseits ist sie für ihn kein Problem] ! weder positiv noch negativ H1 307,32-33 dieselbe Last wie alle Juden] [unser aller Last] ! dieselbe Last wie wir alle H1 307,37 das Judentum unserer Zeit hat] wir haben H1 308,6 sozialen und geschichtlichen] [geschichtsgeborenen] ! sozialen und geschichtlichen H1 308,10 die Juden] wir Juden H1 308,13-14 nicht bloß das […] dabei ist es] hnicht bloß das […] dabei ist esi H1 308,22 die Juden] wir Juden H1 308,24 sie sich] wir uns H1 308,38-39 hat das rechtmäßige […] noch nicht] [hat kein echtes Verhältnis zur Natur; wenn er eins hat, kann es nur ein geniessendes, ein [sentimentales] ! ästhetisches, ein gefühlhaftes, ein partielles] ! [hat die echte Teilnahme] ! hat das rechtmäßige […] noch nicht H1 309,14 Es scheint mir] [Zuweilen kommt es mir vor] ! Es scheint mir H1 309,22 Landschaft] Landschaft [, ja die Landstrasse] H1 309,24 Sterne] Sterne [und zumeist sehe ich die Bäume zu beiden Seiten der Landstrasse] H1 309,31-32 in seiner Farm kräftig zugreift] in seinem »Walden« kräftig zugreift [und arbeitet] H1 309,34 Leben ist] Leben [, die nicht seine Sache] ist H1 310,33 Kraft] [Klarheit] ! Kraft H1 311,2 Beschaffenheit] [Belange] ! Beschaffenheit H1 311,8 Klarheit] Reinheit d2 311,9 Literatur] Weltliteratur H1 311,18 weiß, was] [weiss um die Notwendigkeit des Glaubens] ! weiss, was H1 311,24 so günstig, so aufbauend] [so wohltätig] ! so günstig, so aufbauend H1 311,33 standfeste] [tragfähige] ! standfeste H1 311,33 gewinnen] [finden] ! gewinnen H1 311,34 Israel] wir H1

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311,35-36 kann es nur in ihm die Glaubensbeziehung] können wir [eben durch solche Teilnahme] ! nur in ihm die Glaubensbeziehung H1 312,1 die Seele] [das Menschliche] ! die Seele H1 312,21 weisen] [weisheitserfüllten] ! weisen H1 312,36 Loses] Loses [, jeder von beiden dem anderen ein Bild] H1 313,13 der Gestalt] [seiner gegenwärtigen Aktualität] ! der Gestalt H1 313,37-38 Verbundenheit] [Vereinigung] ! Verbundenheit H1 314,1-2 die »Kleinlichkeit« […] Aufgabe gekennzeichnet] [die »Kleinheit« des heutigen Jischuw und sein »Parasitentum«] ! die Kleinlichkeit des [heutigen] Jischuw im Gegensatz zur Grösse der Aufgabe [und sein »Parasitentum«] gekennzeichnet H1 Wort- und Sacherläuterungen: 174,20-21 Abraham baut Altäre] Gen 12,7 u. 8; 13,4 u.18; 22,9. 178,9-11 Das Gebot, […] mehrfach wieder.] Ex 34,22; Lev 2,12; 23,17; Num 15,20 f. 18,12 f.; 28,16; Dtn 18,4. 179,3-5 »Ich melde heute […] uns zu geben.«] Dtn 26,4. 180,12-13 »Von dir und zu dir«, […] Araber.] Nicht nachgewiesen. 181,17 Efraim] Bezeichnung für das Nordreich Israel, das nach der Reichsteilung nach Salomos Tod bis 722 v. Chr. existierte. 181,20-21 Arammi obed abi] Dtn 26,5. Die drei Wörter beginnen jeweils mit einem Aleph. 181,32 dort »gastet« und dort »zu einem Volk wird«] Vgl. Die PessachHaggada, hrsg. u. erklärt von E. D. Goldschmidt, Berlin 1937, S. 48 f. »Gasten« ist Bubers Übersetzung für »(vorübergehendes) wohnen«, um auf die gemeinsame etymologische Herkunft mit »Gastsasse«, (sonst zumeist mit »Fremdling« übersetzt), hinzuweisen. 181,32-33 Abrahams kurzem Aufenthalt in Ägypten] Vgl. Gen 12,10-20. 182,16 Terachiden] Abkömmlinge Terachs, des Vaters von Abraham (vgl. Gen 11,24-32); die Vätererzählungen der Genesis, die die Stammväter als Nomaden bzw. Halbnomaden schildert, werden oftmals vor dem Hintergrund der großen aramäischen Wanderung im 2. Jahrtausend v. Chr. eingeordnet. 182,20 Ur] Vgl. Gen 11,28. 182,21 »Paddan Aram«] In Gen 25,20 und weiteren Stellen wird so der Wohnort von Laban, Rebekkas Bruder, bezeichnet, der in Gen 27,43 aber auch mit Haran benannt wird. 182,25 Gemeinschaft […] »Hierhergezogenen«] Buber denkt wohl an eine mögliche etymologische Herleitung der Bezeichnung »Hebräer« von dem hebr. Verb avar »vorübergehen«.

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182,34-35 wie der besitzlose Levit] Der Stamm der Leviten erhielt keinen Anteil am Land Kanaan. 182,40 »an allem Guten, […] gegeben hat«] Dtn 26,11. 183,5-7 Wie der Baum […] Welternte darzubringen.] Möglicherweise ein Druckfehler für »Wie der Bauer«. Die hebr. Fassung hat hier statt »Baum« ikkar, d. h. »Bauer«. 184,20-21 »Brüder, Männer […] Frieden!«] mBik III, 3 (BT, Bd. I, S. 433). 184,23-24 »Erheben will […] heraufgezogen.«] Ps 30,2. 185,16 um des Menschen willen wird sie verflucht] Gen 3,17. 185,27 adom] Hebr.: »rot«. 186,2 Hesiod] Griech. Dichter der archaischen Zeit (um 700 v. Chr.). Das Werk, auf das Buber anspielt, ist »Taten und Tage«. 186,12-13 die Erde überhaupt] In Gen 6,11 ist von ha-aretz (das Land) die Rede. 187,5-9 »Denn mit alldem […] das vor euch da war!«] Lev 18,27-30. 187,36-39 »Das Erdland […] das Erdland.«] Jes 24,5. 188,21 (wir denken an Nabots Weinberg)] Vgl. I Kön 21. 189,29 Jobeljahr] Nach sieben Sieben-Jahreszyklen ist das 50ste Jahr das Jobeljahr. Vgl. Lev 25,8-55. Die dort getroffenen Regelungen sind im Einzelnen mitunter kompliziert und nicht ganz nachvollziehbar. Allgemein werden sie von der Absicht bestimmt, durch diverse Schuldenerlasse und Freisetzung von Sklaven eine Art gerechten Urzustand wiederherzustellen. 190,Anm 1 Vgl. Martin Buber, Königtum Gottes, 2. Auflage (1936), S. 56 ff.] Jetzt in: MBW 15, S. 130 f. 190,23-25 Wie einst […] Paradies verwehrte] Gen 3,24. 191,24 Im zweitletzten Vers der Schrift] Nach Anordnung der Bücher gemäß der jüdischen Tradition. 197,11 »Steig auf, erbe!«] bei Luther: »steig auf und nimm’s ein«. 197,41-198,1 Was sie […] die »Liebe« (V. 13).] Mit diesem Vers beginnt der zweite Teil des »Schma Israel« (Dtn 11,13-21). 198,7 »auf zwei Zweigen zugleich hüpfen«] I Kön 18,21. Bei Luther: »Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten?« 199,12 bis zu dem Namenlosen] Der Autor der Kapitel Jes 40-55, der mit Deuterojesaja (»zweiter Jesaja«) bezeichnet wird. 199,24-26 »Denn ich schütte Wasser […] deine Nachfahren.«] Jes 44,3. 199,29-30 den Herbstregen […] zu seiner Frist] Vgl. Dtn 11,14. 200,28 Mark Aurel] (121-180): röm. Kaiser seit 161. Der philosophisch gebildete Kaiser wird der jüngeren Stoa zugerechnet.

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201,7-9 Und wohl hilft Zeus […] Schiffsmauer zu stürzen] Nicht nachgewiesen. 201,40 aber wie er Israel sich zum »Sondergut« machen will] Ex 19,5 202,5 wie wir von Amos hörten] Am 9,7. 203,4 rühmt ihn Paulus als den Vater der Glaubenden] Vgl. Röm 4,1-5. Eine längere Darstellung hierzu in den Vorlesungen über Judentum und Christentum, jetzt in: MBW 5, S. 58 f. 203,11-12 im talmudischen und nachtalmudischen Judentum] Vgl. z. B. Tanchuma, Paraschat Kodaschim, Siman 10; bSan 37a (BT, Bd. VIII, S. 602). 204,9 An der Tempelstätte war er zum Propheten geweiht worden] Vgl. Jes 6. 205,3 »Gottes Herd«] Vgl. Jes 31,9. 205,16 entwirft Ezechiel den Bau des neuen Tempels] Vgl. Ez 40-47. 206,31-32 zuerst Kyros als den Befreier wie Israels so der unterdrückten Völker begrüßt] Vgl. Jes 45,1. Kyros II. (590/580-530 v. Chr.) ist der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Juda und den Wiederaufbau des Tempels erlaubte. 206,40 »Bund des Volkes«] Jes 42,6 u. 49,8. 208,19-20 Halacha und Aggada] Halacha sind die Teile der talmudischen Literatur, die sich mit der verbindlichen Auslegung der Gebote beschäftigen, während mit Aggada alle übrigen Texte bezeichnet werden, also insbesondere erzählende. 208,29 Sura und Pumbedita] Zwei am Euphrat gelegene Städte, in denen sich die bedeutendsten Talmudakademien befanden. 208,38 dieser Früh-Erguß und dieser Späterguß] Vgl. Dtn 11,14. Frühoder Herbstregen (hebr.: »joreh«), Spät- oder Frühjahrsregen (hebr. »malkosch«) 209,8-10 Er heißt die Regengewalt, […] »Du bist gewaltig«.] Die Bitte um Regen ist von dem Ausgang des Sukkotfestes bis zu Beginn von Pessach zu sprechen und ist aufgenommen in die zweite Bracha des Achtzehnbittengebets und lautet in dt. Übers.: »Der den Wind wehen und den Regen fallen läßt«. Vgl. Siddur Schma kolenu, übers. von Raw Scheuer, S. 59. 209,15-20 Einer der Lehrer begründet […] sondern umgekehrt.] bTaan 2a-b. (BT, Bd. III, S. 638). 209,36-39 »Drei Schlüssel […] Belebung der Toten.«] bTaan 2a (BT, Bd. III, S. 638). 210,2-3 ein Regentag […] erschaffen worden sind] bTaan 7b (BT, Bd. III, S. 655).

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210,7-11 »Das Land Israel […] durch einen Sendling.«] bTaan 10a (BT, Bd. III, S. 665 f.). 210,15-19 »Allen Ländern«, […] Gott läßt ihnen Regen nieder.«] SifDev, Paraschat Eqev, § 38 (Ed. Finkelstein, S. 74). 210,21-24 Von da aus ist zu verstehen, […] gegeben worden ist.] Ansicht des Raba. Vgl. bTaan 7a (BT, Bd. III, S. 653). 210,24-26 Zwar wird die Wertung […] nicht das ursprüngliche Motiv] MTeh zu Ps 117,1. Vgl. Midrasch Tehillim oder Haggadische Erklärung der Psalmen, übers. von August Wünsche, Trier 1999, 2 Bde., Bd. 1, S. 154. 210,26 das ursprüngliche Motiv] In der Gemara gibt Rabbi Abahu die Begründung: »Ein Regentag ist bedeutender als die Auferstehung; die Auferstehung erfolgt nur für die Frommen, während der Regen sowohl für die Frommen als auch für die Frevler bestimmt ist.« bTaan 7a (BT, Bd. III, S. 653). 210,35-36 »ihre Seele in ihre Hand legen«] eine hebräische Redewendung, die »sich in Gefahr bringen« bedeutet. Sie wird genutzt in bTaan8a. (BT, Bd. III, S. 659.) 210,40-211,9 wie Rabbi Akiba; er tritt […] zugeschrieben wird.] bTaan 25b (BT, Bd. III, S. 726). 211,18 »Fünfsünder«] jTaan I,4/3; 64b, 54-63; vgl. Ta’aniyot. Fasten, übers. von Andreas Lehnardt, Tübingen 2008, S. 22 f. 211,31-32 Choni, dem »Kreiszieher«] Tannait des 1. Jh. v. Chr.; die angeführten Erzählungen vgl. mTaan III,8 (BT, Bd. III, S. 697 f.). 212,8-9 Rabbi Simon ben Schetach] pharisäischer Gelehrter des 1. Jh. v. Chr.; als Vorsitzender des Sanhedrin unter den Herrschern Alexander Jannai und Königin Salome Alexandra konnte er die Vorherrschaft der Sadduzäer brechen. 212,9-10 »die Thora zu ihrem früheren Ansehn zurückgeführt hat«] vgl. bQid 66a (BT, Bd. VI, S. 735). 212,19 bei Josephus] Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, Halle a. d. Saale 1899/1900, neu überarbeitete Ausgabe von Michael Tilly, Wiesbaden 2004 (XIV. Buch, 2. Kapitel, S. 648-649). 212,22 Nikodemos ben Gorion] bzw. Nakdimon ben Gurion (1. Jh.): reicher Jerusalemer Bürger, der im hohen Ansehen für seine Wohltätigkeit stand. 212,24-25 »Herr der Welt, […] Welt hast!«] bTaan 20a (BT, Bd. III, S. 701). 212,36-38 »Um dreier Dinge willen […] Leiden willen.«] jTaan 3,3/1; 66c, 26-28; vgl. Lehnardt (Übers.), Ta’aniyot, S. 81.

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213,7 Rabbi Simon ben Jochai] Tannait des 2. Jh. Bedeutender Schüler von Rabbi Akiba. Der Sohar, das mittelalterliche Hauptwerk der Kabbala, gibt sich als von ihm verfasstes Werk aus. 213,8-10 »Drei gute Gaben […] die kommende Welt.«] bBer 5a (BT, Bd. I, S. 14 f.). 213,28-29 »ein Land, das der Herr dein Gott aufsucht«] Dtn 11,12. 214,28-30 »Vom Anfang seiner Weltschöpfung«, […] Garten in Eden‹.] WaR, Paraschat Kedoschim, XXV,3. Vgl. die Übers. von August Wünsche, Der Midrasch Wajikra Rabba. Das ist die haggadische Auslegung des Dritten Buches Moses, Hildesheim 1967 [Nachdruck], S. 167. 214,33-35 »Wenn deine Hand […] empfange ihn.«] ARN, Version B, Kap. 31 (Ed. Schechter, S. [67]). 214,37-39 Satz der Schrift, […] »das ich dir zeigen werde«] Gen 12,2. 215,3-10 »Zur Zeit […] ›Deinem Samen will ich dieses Land geben‹«.] BerR XXXIX, 8 (Ed. Albeck, Bd. I, S. 371). Vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Bereschit Rabba, S. 176. Zitat ›Deinem […] geben‹ Gen 13,15. 216,8 »die frühste Staubschicht der Welt«] Spr 8,26. 216,16-17 »Lieb ist mir das Land mehr als alles.«] BemR, Paraschat Mase’i, XXIII,7. Vgl. die Übersetzung von August Wünsche, Der Midrasch Bemidbar Rabba. Das ist die Haggadische Auslegung des Vierten Buches Mose, Hildesheim 1967 [Nachdruck], S. 533. 216,18-19 »Ich will […] einziehen lassen.«] Ebd. 216,41-217,13 In diesem Zusammenhang […] uns gegeben.«] Raschi zu Gen 1,1. 218,4-7 »Um drei Orte […] Grabstätte Josefs und der Tempel.«] BerR LXXIX, 7 (Ed. Albeck, Bd. II, S. 945 f.).Vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Bereschit Rabba, S. 390. 218,38-40 »Drei Dinge«, sagt der Midrasch, […] Hauses Davids.] MekhJ, Traktat Amalek, Parascha XX (Ed. Horovitz, S. 201). Vgl. Mekhilta de-Rabbi Jishma’el. Ein früher Midrasch zum Buch Exodus, übers. und hrsg. von Günter Stemberger, Berlin 2010, S. 245. 218,40-41 Das wird durch Worte der Schrift belegt.] Die Mekhilta führt Dtn 11,16-17; Mi 7,13; I Kön 6,12; Ps 132,12 u. 89,33 an. 219,16-18 »Wer hochmütig ist, wirkt […] Gottes)«] MekhJ, Traktat Bachodesch, Parascha 9 (Ed. Horovitz, S. 238). Vgl. die deutsche Übers. bei Stemberger. Mekhilta de-Rabbi Jishma’el, S. 292. 219,18-19 der Schechina, […] zu weilen.] Vgl. ebd. 219,19-21 dem Hochmut […] zugeschrieben wird.] In der Regel wird in der rabbinischen Exegese Inzest als die dritte besonders schwere Sünde aufgeführt.

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219,33-34 »Wären doch meine Söhne […] verunreinigen!«] EkhaR 3,20 (Edition Salomon Buber, Wilna 1899, S. [131]). 220,3-4 »In Ewigkeit«, so wird gesagt, »weicht die Schechina nicht von der Westmauer«] ShirR zu Hhld 2,9. Vgl. die Übers. von August Wünsche, Der Midrasch Schir Ha-Schirim, Hildesheim 1967 [Nachdruck], S. 70. »Westmauer« – nicht »Klagemauer« – ist die im Judentum eher gebräuchliche Bezeichnung für den Überrest des Zweiten Tempels. 220,6 »Da steht er hinter unserer Mauer.«] Hhld 2,9. 220,16-17 »Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, vergesse ich meine Rechte!«] Ps 137,5. 220,18-24 »Von dem Tag an, da der Tempel zerstört […] belebt die Toten.«] PRE Kap. 34. Vgl. Pirke de-Rabbi Elieser. Nach der Edition Venedig 1544 unter Berücksichtigung der Edition Warschau 1852, bearbeitet und übersetzt von Dagmar Börner-Klein, Berlin 2014, S. 422 f. 220,37-38 »Das Siedeln im Lande Israel wiegt alle Gebote der Thora auf«] SifDev, Paraschat Re’e, § 80 (Ed. Finkelstein, S. 146). 221,13-15 Jeder, der im Lande Israel […] keinen Gott hat.«] bKet 110b (BT, Bd. V, S. 357 f.). 221,18-31 Der Spruch stützt sich bekanntlich […] nicht mehr dienen.] Vgl. ebd. 222,9-10 Was der Midrasch […] »Ich selber harre sein.«] BerR LXXIV,1 (Ed. Albeck, Bd. II, S. 858) (zu Gen 31,3). Vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Bereschit Rabba, S. 359. 222,15 Rabbi Seïra] Amoräer der 3. Generation. 222,16-19 Wir hören, daß er […] dort sollen sie sein.«] bKet 110b-111a (BT, Bd. V, S. 358.) 222,24-27 Darum verbringt er […] gestört zu werden.] Vgl. bBM 85a (BT, Bd. VII, S. 781). 222,32-33 babylonischen Genossen »töricht« nennt.] Vgl. bBM 85a. 222,35-223,2 Ein Häretiker […] verweilen.] bKet 112a (BT, Bd. V, S. 366). 223,10-13 Der erklärt, ein Pfund Fleisch […] Landesbrauch.] Nicht nachgewiesen. 223,13-22 die Geschichte von einem anderen Fleischhauer […] belehrt.«] ShirR zu Hhld 8,10. Vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Schir Ha-Schirim, S. 186 f. 223,33-34 »Sogar das bloße Gespräch von Palästinensern ist Lehre«] WaR, Paraschat Behar, XXXIV,7. Vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Bemidbar Rabba, S. 238.

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223,36-37 »Die Luft des Landes Israel macht weise«] bBB 158b (BT, Bd. VIII, S. 421). 224,1-9 »Ich bitte euch, rückt sie nicht hinaus« […] »wenn man nicht an ihn denkt«.] bSan 97a (BT, Bd. IX, S. 65). 224,16-17 den kleinen Rabbi Seïra »mit den versengten Schenkeln«] Vgl. bBM 85a (BT, Bd. VII, S. 731). 225,3 das Buch Kusari] Das philosophische Hauptwerk des Jehuda HaLevi (ca. 1075-1141) wurde um 1140 fertiggestellt. Es ist in JudäoArabisch abgefasst und sein Titel lautet übersetzt »Buch des Beweises und Argumentes zur Verteidigung des gering geschätzten Glaubens«, wurde aber unter dem Namen »Das Buch Kusari« bekannt. 1170 erfolgte die erste Übersetzung ins Hebräische durch Jehuda ibn Tibbon (ca. 1120-ca. 1190). 225,20 Dieser Chazarenfürst] Chazaren sind ein ursprünglich nomadisches Turkvolk, welches im 7. Jh. ein Reich im Kaukasus gründete, das teilweise große Gebiete Südrusslands umfasste und im 10. Jh. unterging. Im 8. oder 9. Jh. konvertierte das Herrscherhaus zum Judentum und mit ihm weitere Teile der Bevölkerung. 225,20-21 in einem Traum über den Grundmangel seines Daseins belehrt] Kusari, I,1. Vgl. »Deine Gesinnung ist zwar dem Schöpfer wohlgefällig, nicht aber deine Handlungsweise« in: Jehuda Halevi, Der Kusari Sefer ha-Kuzari. Übersetzung ins Deutsche und Einleitung von Dr. David Cassel mit hebräischen Text des Jehuda Ibn-Tibbon, Zürich 1990, S. 27. 225,33-34 Hindeutung auf den ersten Kreuzzug] Der erste Kreuzzug fand von 1096-1099 statt und endete mit der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer. 225,35 Edom und Ismael] Die rabbinischen Bezeichnungen Edom und Ismael stehen im Mittelalter für Christentum bzw. Islam. 225,35-36 »die sich in die bewohnte Welt geteilt haben«] Jehuda HaLevi, Kusari I,2. Vgl. Der Kusari Sefer ha-Kuzari. S. 35. 226,8 in »wahrhaften Träumen«] Ebd., I,4 bzw. S. 35. 226,24 befragt er auch einen Juden] Ebd., I,10. 226,29 mit einem »Ich glaube«.] »wir glauben«, ebd., I,11. 226,37 als »spekulativ«] Ebd., I,13. 226,39-40 »dem Schöpfer an Weisheit und Gerechtigkeit ähnlicher zu werden«] Ebd., I,12. 227,16-19 »Ertrügen wir hingegen […] deren wir harren.«] Ebd., I, 115 (bzw. S. 107). 227,24 »Ihr werdet mir zum Volke werden.«] Ebd., I, 109 (bzw. S. 99). 227,25-29 »Ihr werdet dauern in dem Land […] sich regelt.«] Ebd.

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228,3-4 »ein Strahl göttlichen Lichts, der bei Seinem Volke in Seinem Lande sich auswirkt.«] Ebd., II,8. 228,13 »Sondergut und Kern«] Ebd., II,12. 228,17-19 »Das Sondergut vermag […] gedeihen vermag.«] Ebd. 228,29-30 sondern dem »schauerlichen« Orte zuschrieb] Ebd., II,14 (in Bezug auf Gen 28,17). 228,36-229,3 Das Land Israel wurde bestimmt, […] zu diesem Werk genannt.] Ebd., II,16. 229,3-7 Ruhetage heißen »Sabbate JHWH’s« […] in ihm verherrlichen.] Ebd. II,18. 229,7-16 Aber auch die Sabbate JHWH’s […] Schöpfung zu zählen.] Ebd. II,20. »Mitte der Welt«: Vgl. Tanchuma Paraschat Kodaschim, Siman 10. 229,20-22 »nur wir unterlassen es, […] getan sind«] Kusari, II,20. 229,34-40 »Wenn dem so ist, […] gedankenlose Verrichtung.«] Ebd., II,21. 229,41 »Du beschämst mich, König der Chazaren«] Ebd., II,24. 230,3-4 »Du triffst meine schwache Stelle, König der Chazaren.«] Ebd., I,115. 230,21-31 »was die Erfüllung […] als Starengeplapper.] Vgl. ebd., II,24. 231,10-12 wir hören, nun habe der Rabbi […] zu ziehen.] Kusari, Schlussteil, 22. 231,30-35 Jetzt aber versucht der Fürst […] Gefahren aussetzen?] Ebd. 232,9-16 Erstens: Es ist wohl wahr, […] ergeben ist«.] Vgl. ebd., Schlussteil, 23. 232,29-31 Zweitens: Da das Land Israel […] erfüllt werden.] Vgl. ebd. 232,38-40 Drittens: Nicht die Handlungen […] Reinheit bewahren.] Vgl. ebd. 233,9-18 Viertens […] dankbar entgegennimmt.] Vgl. ebd. 233,21-23 Er hält dem Rabbi vor, […] Palästinas ledig sei.] Vgl. ebd., Schlussteil, 24. 233,24-27 Darauf kommt es an, […] Gnade Gottes werben.] Vgl. ebd., Schlussteil, 25. 233,32-33 wenn der Rabbi […] Gott kenne sein Herz.] Vgl. ebd., Schlussteil, 26. 233,41-234,4 Bereitschaft […] vollkommenes Gebet zu gelten.] Vgl. ebd., Schlussteil, 27. 234,10-16 daß die Tat […] sind sie seinem Staub.«] Vgl. ebd. Das Zitat: Ps 102,14. 234,26-29 »Wären wir«, […] in Ägypten erlangten.«] Ebd., II, 24.

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234,30-32 »Jerusalem«, spricht die Verkündigung […] ergriffen wird.« Ebd., Schlussteil, 27. 235,1 das Buch Sohar] Der Sohar (hebr. für »Glanz«) ist die bedeutendste kabbalistische Schrift des Mittelalters, die sich als Werk des Tannaiten Simon ben Jochai (2. Jh.) ausgibt. Allgemein wird aber angenommen, dass der Sohar größtenteils von Moses de Leon (12501305) verfasst wurde. Die darin verwendete Sprache ist ein Kunstaramäisch. In der hebräischen Ausgabe dankt Buber Gershom Scholem dafür, dass dieser ihm seine Übertragung der Soharpassagen zur Verfügung gestellt hat. Vgl. den Zusatz von H1 »Vorrede«, in diesem Band, S. 507. Die hier von Buber angeführten Soharstellen konnten nicht überprüft werden. 240,1 den »hohen Rabbi Löw«] d. i. Rabbi Jehuda Liwa (Löwe) ben Bezalel, genannt »der Hohe Rabbi Löw von Prag« oder als Akrostichon der MaHaRaʿ L (1512/26-1609): 1553-1573 Rabbiner in Nikolsburg und Oberrabbiner von Mähren, danach Leiter der Klaus (Lehrhaus für Thoragelehrte) von Prag sowie Rabbiner von Posen; nach mehreren Anläufen wird er schließlich 1599 zum Oberrabbiner von Prag ernannt, ein Amt, das er bis zu seinem Tod inne hatte. Sein umfangreiches Schrifttum, das im Wesentlichen aus Kommentaren zu ausgewählten haggadischen Texten der beiden Talmudim und der Midraschliteratur besteht, wird von Karl Erich Grözinger als »systematische Enzyklopädie der rabbinischen Haggada« bezeichnet. Vgl. den Abschnitt über ihn in: Grözinger, Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik. Bd. 3: Von der Religionskritik der Renaissance zu Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. New York 2009, S. 233-280, hier S. 235. Die Verbindung des Prager Gelehrten zur Golem-Sage ist erst im 19. Jh. erfolgt. 240,18 Kaiser Rudolf II.] (1552-1612): Kaiser des Heiligen Römischen Reichs seit 1576. Er förderte die Wissenschaft und Kunst und war in religiöser Hinsicht tolerant. Die kaiserliche Residenz verlegte er nach Prag, wodurch die Stadt einen großen Aufschwung erfuhr. 240,30 der »Ewigkeit Israels«] Das hebräische Buch Sefer netzach Israel erschien erstmalig in Prag 1600. Im Folgenden wird aus der Ausgabe von Bene Berak 1980 zitiert, in der das Werk als Teil der 18-bändigen Gesamtausgabe Sifre MaHaRa"L erschien. 241,2 Machiavellis] Niccolo Machiavelli (1469-1527): ital. Renaissancephilosoph und Verfasser staatspolitischer Schriften. In Il Prinicipe (»Der Fürst«) verwirft er die mittelalterlich-christliche Idealvorstellung des Herrschers zugunsten eines absolutistisch handelnden Regenten, der nicht an die üblichen moralischen Kriterien gebunden ist.

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241,3 Calvins] Johannes Calvin (1509-1564): franz.-schweizer Reformator. 241,4 Grotius’] Hugo Grotius (1583-1645): niederl. Jurist und polit. Philosoph der Frühaufklärung. Insbesondere mit seinem 1625 in Paris erschienenem naturrechtlich argumentierenden Hauptwerk De jure belli ac pacis (»Über das Recht des Krieges und des Friedens«) legte er die Grundlagen für das moderne Völkerrecht. 241,37 Giambattista Vico] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 131,5. 243,11-14 »Jede Nation«, sagt R. Loewe, »hat zwei Aspekte […] Relation der Form.«] Das genaue Zitat konnte nicht gefunden werden, ein ähnliches findet sich in Netzach Israel, S. 85. 243,30-21 »Es ist nicht geziemend, […] aufzuladen.«] Netzach Israel, S. 10. 243,31-32 »Es ist nicht der Natur […] Volk sei.«] Ebd. 243,32-34 Denn »jedes Dasein […] andern zu sein«.] Ebd. 243,34-35 R. Loewe betont, dies sei »ein sehr großer Grundsatz«.] Nicht nachgewiesen. 243,36-37 eine Störung der Weltordnung] Den Gedanken, dass der Zustand des exilierten Israels gegen die natürliche Ordnung bzw. gegen die Seinsordnung verstößt, wiederholt R. Löw mehrfach. 243,41-244,1 »Mit dem Zermalmten und am Geist Erniedrigten will ich wohnen«] Bibelzitat: Jes 57,15 in Netzach Israel, Perek 10, S. 64. 244,1-2 denn der wesentliche Aufenthalt der Schechina ist drunten.] Ebd. 244,8-9 »Der Mensch«, sagt Loewe ben Bezalel, »wählt […] Anteil ist.«] Ebd., S. 12. 244,13-15 Während alle Völker […] »vertauscht gegen das, was nicht frommt«] Ebd. 244,26 Israels natürlicher Ort aber ist »das Land Israels«.] Vgl. Netzach Israel, S. [9]. 244,28-30 Jedem Menschen, […] dem heiligen Volke gegeben worden.] Vgl. Netzach Israel, S. 91? 244,30-245,9 Diese Heiligkeit des Volkes aber […] Abgabe weihte.] Vgl. ebd. Perek 10, S. 60-65. 245,10-33 Aber Loewe ben Bezalel dringt […] abgewichen.] Vgl. ebd. Perek 2, S. 11-15. »Wort der Schrift«: Ps 82,6 f. 245,35-36 die Leiden des Exils […] Schlacken] Ebd., S. 85. 245,36-37 sie pressen die Oliven und scheiden das Öl vom Abfall.] Ebd., S. 100, 101, 102. 246,1-4 Die Ausbreitung des »frevelhaften Reiches« […] das »IsraelMensch« heißt.] Ebd., S. 107.

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246,5-10 Loewe ben Bezalel scheut sich nicht, […] ergeht zu werden.] Vgl. ebd., S. 134. 246,14-16 »Er, gesegnet sei Er, […] denn vorübergehend.«] Ebd., S. 10. 246,18 erklärt der Midrasch,] BerR XLIV, 18 (zu Gen 15,13) (Ed. Albeck, Bd. I, S. 440). Vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Bereschit Rabba, S. 207. 246,23-25 »Die Zerstreuung […] zerstreut bleibe.«] Netzach Israel, S. 10. 246,25-27 Alle natürlichen Dinge […] zur Sammlung.] Ebd., S. 9. 246,30 »Alle von Israel bürgen füreinander«] bShevu 39a-b (BT, Bd. IX, S. 365). 246,31 »die in keinem andern Volke zu finden ist«] Netzach Israel, S. 127. 247,3 der Satan, »die Macht über das Nichtsein«] Ebd., S. 128. 247,10-11 Diese Kraft sieht R. Loewe im Bilde der Urmutter Rahel.] Vgl. ebd., S. 11 und ausführlicher S. 154 f. 247,11 »auf dem Wege«] Gen 35,19. 247,13-16 Von ihrem Grab am Weg […] in ihr Gebiet zurückkehren] Jer 31,15-17. 247,24-25 wie die vier Pflanzengattungen im Strauß des Hüttenfestes] Vgl. Netzach Israel, S. 225. »Die vier Pflanzengattungen im Strauß des Hüttenfestes« sind Etrog (eine Art Zitrusfrucht), der Palmwedel, Myrtenzweige und die Bachweide. Die traditionelle Deutung (WaR XXX,9-12, vgl. Wünsche [Übers.], Der Midrasch Wajikra Rabba, S. 214) besagt, dass der Etrog sowohl Geschmack wie Duft hat, die Dattelpalme nur Geschmack, die Myrte nur Duft und die Bachweide keines von beiden. Geschmack und Duft stehen für Thora und gute Taten und die »vier Arten« für die verschiedenen Teile des Volkes Israel. Zu einem Strauß verbunden, gleichen sie den Mangel untereinander aus. Bei Rabbi Löw steht der Feststrauß und die damit einhergehende Festfreude (vgl. Lev 23,40) für die »Vollkommenheit« der messianischen Zeit. 247,30-248,3 Der Auszug aus Ägypten ist »ewig« […] Exilgeschlechter zur Folge.] Netzach Israel, Perek 8, S. 53. 248,8-11 R. Loewe lehnt nachdrücklich alle Theorien […] widersprechend ab] Be’er ha-gola, Bd. 2, Jerusalem 2003, S. 301 (Be’er ha-schischi, Perek 13). 248,11-14 aber er stellt ihnen die Lehre gegenüber, […] sondern die seiner Gestalt.] Rabbi Löw, Be’er ha-gola, Bd. 2, Jerusalem 2003, S. 302 (Be’er ha-schischi, Perek 13). 248,14-19 Palästina [… ] ein »Aufstieg« genannt.] Netzach Israel, Perek 20, S. 105. 248,19-20 Das verdichtete Sein […] »das Land des Lebens« genannt.] Be’er Ha-Gola., S. 304.

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248,37-39 »Wäre nicht das Land gewesen« […] sie großgebracht.«] Nicht nachgewiesen. 249,9-10 »Im Lande Israel erwarb man die Weisheit mit Gelassenheit.«] Rabbi Löw, Netivot Olam, Teil 1, Jerusalem 1961, Netiv ha-Tora, Perek 13, S. 54. 249,18-21 Denn »die Römer […] erneuert zu werden.] Netzach Israel, Perek 7, S. 43. 250,28 Rabbi Nachman von Bratzlaw] (1772-1810): Urenkel des Baal Schem Tow und Begründer des Bratzlawer Richtung im Chassidismus, die nach Nachmans Tod keinen neuen Zaddik einsetzte. 251,23 das sabbatianische Stürmertum] Gemeint ist die von Sabbatai Zvi (1626-1676) ausgehende messianische Bewegung, die sich schließlich über jüdische Gemeinden in ganz Europa erstreckte, akute Endzeithoffnungen erweckte und mit der unter Zwang erfolgten Konversion Sabbatai Zvis zum Islam weitgehend zusammenbrach. Die Bezeichnung »Stürmertum« dürfte auf die starke antinomische Tendenz der Bewegung anspielen, die davon ausging, dass die Tora ihre Geltung verloren habe, da die messianische Endzeit unmittelbar bevorstehe. 251,32-33 Jakob Frank] (1726-1791): vom Sabbatianismus beeinflusster Messias-Prätendent aus der Bukowina. Frank vertrat einen ausgeprägten Antinomismus gezielter Übertretung der Gesetze der Tora. Zuletzt trat er zum Katholizismus über. 251,37 der Baal-schem-tow] eig. Rabbi Israel ben Elieser (1700-1760): Gründerfigur des Chassidismus. 252,13 dem »Bedrängen des Endes«] Nach bKet 111a (BT, Bd. V, S. 358) handelt es sich bei solchen Versuchen, das Kommen des Messias zu beschleunigen, um verbotene Handlungen. 252,22-23 Brief an seinen Schwager, der sich dort niedergelassen hatte] Iggeret ha-qodesch, d. h. »der heilige Brief« des Baal Schem Tov an seinen Schwager Gerschon von Kutów. Vgl. Keter Shem Tov ha-shalem [Hebräisch; Anthologie zum Baal Schem Tov], New York 2004, S. 4-5. 252,27-28 »Man hat ihn vom Himmel her verhindert«, sagt die Legende] Vgl. »Der Einhalt«, in: Buber, Die Erzählungen der Chassidim, Zürich: Manesse Verlag 1949, S. 167 f. (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [83]; Quellenangaben in MBW 18.2, S. 879). 252,35-37 als er mit seinem Weibe […] Städtchen zum Verkauf fuhr] Vgl. »Die Heirat«, in: ebd., S. 116-119 (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [8]). 252,37-41 soll ihm eine Räuberschar, […] er hätte umkehren müssen.] Vgl. »Mit den Räubern«, in: ebd., S. 119 f. (jetzt in: MBW 18.1, NR. [10]).

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253,2-15 ist er der Sage nach […] und sie kehren heim] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 252,27-28. 253,24 zur Reise ins Heilige Land] 1798-1799: Zu dieser Reise vgl. Martin Cunz, Die Fahrt des Rabbi Nachman von Brazlaw ins Land Israel (1798-1799). Geschichte, Hermeneutik, Texte, Tübingen 1997. Die von Buber erzählten Begebnisse dieser Reise und die sie begleitenden Aussprüche Nachmans finden sich auf S. 271-375 (deutsche Übersetzungen mit Quellenangaben), weswegen im hiesigen Kommentar auf Einzelnachweise dieser Passagen verzichtet wird. 253,27 sein Schüler und Apostel Natan] Nathan [Steinhartz] von Nemirów, genannt Rabbi Nosen (1780-1844): seit 1802 Schüler und Begleiter des Rabbi Nachman von Bratzlaw. Nach dessen Tod führte er die Bratzlawer Gemeinschaft – aber nicht als Zaddik, da die Bratslawer keine weiteren Zaddikim als Nachfolger des Rabbi Nachman anerkennen – und fungierte als Herausgeber der Schriften Rabbi Nachmans. 254,8 »die Schale mußte der Frucht vorangehn«] Rabbi Nachman von Brazlaw, Liqqute Mohara"N, Jerusalem 1975, Bl. 50a. 254,16 über den Psalmvers] Ps 63,9. 254,25 Tauchbad] Halachisch ist nur für Frauen vorgeschrieben, dass sie in die Mikwe zur Reinigung nach der Monatsblutung gehen sollen. Im Chassidismus suchen auch Männer zumeist vor Schabbat oder Feiertagen die Mikwe auf. 255,15-16 Nachdem Nachman seinen Beschluß […] was seine Gründe seien.] Vgl. Liqqute Mohara"N, Nr. 20. Dt. Übers. bei Cunz, Die Fahrt des Rabbi Nachman von Brazlaw ins Land Israel (1798-1799), S. 247-259. 255,30-31 »ich meine«, […] mit diesen Häusern und Wohnungen«.] Rabbi Nachman, Chajje Mohara"N, Bd. 1, Bl. 4a. Übersetzung bei Cunz, Die Fahrt des Rabbi Nachman von Brazlaw ins Land Israel (1798-1799), S. 259-261, hier S. 260. Die Stelle ist im Original auch auf Jiddisch wiedergegeben: »Ikh meyn take dos erets Yissroel mit di stiber mit di hayzer«. 256,16 Rabbi Mendel von Witebsk] Menachem Mendel von Witebsk (1730-1788): Schüler des Dow Bär von Mesritsch; 1777 Übersiedlung nach Palästina und Gründer der chassidischen Gemeinschaften von Safed und Tiberias; Autor von Pri ha-Aretz (postum 1874). 256,18-19 Als Knabe hatte er noch den Baalschem besucht.] vgl. »Kindheit«, in: Buber, Die Erzählungen der Chassidim, S. 292 f. (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [307]). 256,22-27 Es wird erzählt, als er in Jerusalem […] nichts Neues geschehen.«] Vgl. »Am Fenster«, in: ebd., S. 298 (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [317]).

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256,28 Rabbi Abraham von Kaliski] (1741-1810): aus Litauen stammender Schüler des Dow Bär. Er wanderte mit Mendel von Witebsk 1777 nach Palästina ein und wurde dessen Nachfolger. 256,28-37 den Daheimgebliebenen, die ihn befragen, Auskunft […] verbunden ist.«] Das Sendschreiben ist auszugsweise abgedruckt in Iggarot Eretz Jisrael, schekatvu hajehudim ha-joschvim ba-aretz …, hrsg. von Abraham Yaari, Tel Aviv 1943, S. 323 f. 256,38-40 »Meine Geliebten; […] Landes Israel«] Nicht nachgewiesen. 257,5 im Psalm heißt:] Ps 89,10. 257,7 Das Fest der Offenbarung] Hebr.: Schawuot, zumeist mit »Wochenfest« übersetzt. Das Fest erinnert an die Übergabe der Tora und ist zugleich das biblische »Fest der Erstlingsfrüchte«. 257,10 »Er bannt den Sturm zum Schweigen, gestillt sind ihre Wogen.«] Ps 107,29. 257,10-11 In der Vornacht des Festes, nachdem er wie üblich gewacht hat] Der ursprünglich aus der Kabbala stammende Brauch des Tikkun Lel Schawuot beinhaltet, dass man die Nacht vor dem Fest lernend durchwachen soll. 257,28-29 Zeit der ägyptischen Expedition Napoleons] Von 1798-1801 dauerte der französische Versuch, Ägypten zu erobern, der letztendlich am englischen und osmanischen Widerstand scheiterte. Bereits 1799 hatte sich Napoleon (1769-1821) nach Frankreich abgesetzt. Zu Kämpfen kam es 1799 auch in Palästina. 258,40-259,5 »denn ich habe die Erfüllung […] zu erfüllen vermocht.«] Rabbi Nachman, Chajje Mohara"N, Bl. 21b. 261,3-4 »Wenn du übers Wasser ziehst, ich mit dir.«] Jes 43,2. Text der Lehrrede (Liqqute Mohara"N I, 73) bei Cunz, Die Fahrt des Rabbi Nachman von Brazlaw ins Land Israel (1798-1799), S. 245-246. 261,18-24 Oder: in seiner Jugend wurde er […] Israel erlangt.] Ebd., S. 369 f. Die dort angegebene Quelle: Schivche HaRa"N I,22 (B). 261,34 bei dem großen Kosakengemetzel] Pogrom der Haidamaken 1768. 261,36-37 Dies nun war seine erste Lehrrede in der neuen Wohnung.] Vgl. ebd., S. 262-270 (Liqqute Mohara"N II,78). Zunächst hatte Rabbi Nachman bei Maskilim (Vertreter der jüdischen Aufklärung) gewohnt – er hatte freundschaftlichen Umgang mit einigen von ihnen –, war aber von seinen Anhängern gedrängt worden umzuziehen. Vgl. Cunz, Die Fahrt des Rabbi Nachman von Brazlaw ins Land Israel (1798-1799), S. 155-158. 262,39-263,6 »Verzweiflung gibt es nicht!« […] Und er selber sang mit.] Chajje Mohara"N, Bd. 1, Bl. 29a.

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263,6-10 »So haben wir gesehen«, […] sei merkwürdiger als sein Wissen.«] Nicht nachgewiesen. 263,15-16 »Ich will«, sagte er ein andermal, »unter euch bleiben.«] Chajje Mohara"N, Bd. 1, Bl. 27a in Jiddisch »Ich will blaybn zwischn aych«. 263,17-18 »Mein Ort«, […] ich fahre nur ins Land Israel.«] Ebd., Bl. 23a. 263,29-267,11 Palästina ist der Urpunkt der Erdschöpfung […] darin mangeln.‹«] Es handelt sich hier um eine zusammenfassende Deutung Bubers, die nicht im Einzelnen anhand der Texte Nachmans nachvollzogen werden konnte. Im Folgenden werden nur die verwendeten Schriftzitate nachgewiesen. 264,3-5 die talmudische Lehre […] aus Gottes Händen] bTaan 10a (BT, Bd. III, S. 665 f.). 264,11-12 »Und die Demütigen werden das Land erben.«] Ps 37,11. 264,15-16 »Durch die Schuld des Hochmuts […] zurückgekehrt.«] Liqqute Mohara"N I, 11. 264,24 zur »Anderen Seite«] »Andere Seite«: kabbalistischer Ausdruck für »das Böse«. 264,26-27 »Denn in dieser Welt ist alles vermengt und verwirrt.«] Vgl. Liqqute Mohara"N II, 72. 265,32 »das Tor des Himmels«] Gen 28,17. 267,13-14 ›Nicht in Dürftigkeit sollst […] mangeln.‹] Dtn 8,9. 267,15 In einem seiner Märchen] Vgl. »Die Geschichte von dem Klugen und dem Einfältigen«, in Die Geschichten des Rabbi Nachman, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1906, S. 63-82 (jetzt in: MBW 16). 267,26 ein »einfältiger Mann«] Gen 26,27. 268,3 Moses Heß] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 52,38. 268,5-6 »Alles, was wir versuchten, steht schon bei ihm«] Theodor Herzl, Eintrag vom 2. Mai 1901, in: Tagebücher 1895-1904, 3 Bde., Berlin 1922 f., 2. Band. S. 599. 268,22 Georg Lukacs] (1885-1971): ungarischer marxistischer Philosoph und Literaturtheoretiker. Zitate aus »Moses Hess und die Probleme der idealistischen Dialektik«, in: Werke, Bd. 2: Frühschriften II, 1968, S. 643-686, hier S. 646 u. 686. 269,1 Brief an Berthold Auerbach nennt er ihn seinen »Abgott«] Berthold Auerbach (1812-1882): dt.-jüd. Schriftsteller, der aus Württemberg stammte. Der Brief vom 2. September 1841 wird in Theodor Zlostici, Moses Hess. Der Vorkämpfer des Sozialismus und Zionismus 1812-1875. Eine Biographie, Berlin 1921, S. 61 zitiert. Dort heißt es: »Dr. Marx, so heißt mein Abgott, ist noch ein ganz junger Mann (etwa 24 Jahre höchstens alt), der der mittelalterlichen Religion und Po-

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litik den letzten Stoß versetzen wird; er verbindet mit dem tiefsten philosophischen Ernst den schneidendsten Witz«. 269,26-27 »entweder eine Folge […] Gegenteil um«] Vgl. Hess, Philosophie der Tat, in: Moses Hess, Sozialistische Aufsätze 1841-1847, hrsg. von Theodor Zlocisti, Berlin 1921, S. 37-60, hier S. 43. 269,28-29 »nicht aus der Not des Magens, sondern aus der Herzensnot«] Hess, Über die sozialistische Bewegung in Deutschland, in: ebd., S. 103-134, hier S. 129. 269,29-30 und aus dem »Gedanken«] Vgl. »In Deutschland konnte der Sozialismus nicht vom Gefühl, er mußte vom Gedanken, von der Philosophie ausgehen, und von hier aus das Gefühl, den ganzen Menschen zu gewinnen suchen.« Ebd., S. 131. 269,34-35 Marx die reife Formulierung […] niederschreibt] Gemeint sind wohl die elf »Thesen über Feuerbach«, die Marx 1845 niederschrieb. Veröffentlicht wurden sie erst 1888 von Friedrich Engels. 269,36-37 da Marx und Engels ihr erstes gemeinsames Werk vollenden] Im Frühjahr 1845 erschien Die heilige Familie, eine Kritik der Junghegelianer und Ludwig Feuerbachs (1804-1872), als erstes gemeinsames Werk von Marx und Engels. 269,38-40 »kapituliert« Heß in jenem Brief an Marx […] statt auf die »Ideologie«] Buber gibt hier die Bewertung Theodor Zlosticis (18741943) wieder, vgl. Moses Hess, S. 227: »Er gab ihnen [Marx und Engels] ja Recht. ›Er kapitulierte‹.« Der Brief vom 28. Juli 1846 ist dort auszugweise abgedruckt. Der vollständige Abdruck des Briefes findet sich jetzt in Karl Marx Friedrich Engels Briefwechsel Mai 1846 bis Dezember 1848, S. 247 f., in: Karl Marx Friedrich Engels Gesamtausgabe, Dritte Abteilung: Briefwechsel, Band 2. 269,39-40 »auf geschichtliche und ökonomische Voraussetzungen« statt auf die »Ideologie«] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 269,38. 270,2-3 gegen den »Ideologen« […] »von den materiellen Verhältnissen abstrahiert«] Vgl. Moses Hess, Die Folgen der Revolution des Proletariats, in: Sozialistische Aufsätze 1841-1847, S. 207-230, hier S. 227 f. 270,4-5 sieht er in der Ethik nur noch »ein sozialökonomisches Problem«.] Buber greift hier wieder auf Theodor Zlocistis Einschätzung zurück: »Die Ethik ist also ›ein sozialökonomisches Problem‹.« Vgl. Moses Hess, S. 273. 270, Anm 1 erklären Marx und Engels […] »durchaus keine Verantwortung übernehmen«.] Nicht nachgewiesen. 270,14 Lassalle] Ferdinand Lassalle (1825-1864): dt.-jüd. Schriftsteller und soz. Politiker; unterhielt zu Marx und Engels freundschaftliche, oft aber auch überaus spannungsreiche Kontakte; gründete 1863 den

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Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, aus dem die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hervorgehen sollte. 270,21-22 wie es später Engels im Anschluß an Haeckel] Ernst Haeckel (1834-1919): dt. Biologe und Philosoph, der in Deutschland Darwins Thesen verbreitete. In Das Problem des Menschen, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1948, S. 53 (jetzt in: MBW 12, S. 247 f.) schreibt Buber präziser: »Was Engels später – 1880 – unter dem Titel ›Dialektik der Natur‹ an Darlegung eines Weltbildes versucht hat, eine ganz unselbständige Wiedergabe der Lehre Haeckels und anderer Evolutionisten, widerspricht völlig der von Marx geübten grundsätzlichen Beschränkung.« 271,26-27 »bei denen die Erkenntnis Gottes erblich wurde«] Moses Hess, Die heilige Geschichte der Menschheit. Von einem Jünger Spinoza’s, Stuttgart 1837, S. 254. 271,28-33 »Religion und Politik, Kirche und Staat […] beide sorgte.«] Ebd., S. 335. 271,38-39 »Religion und Politik wieder eins werden«] Vgl. ebd., S. 340. 271,39-40 »wo der Staat wieder heilig, wo das Reich Gottes erscheinen wird«] Ebd., S. 338. 271,41-272,1 »nach langem Schlafe wieder zu höherem Bewußtsein erwacht«] Nicht nachgewiesen. 272,1-2 »seine unstete Wanderung […] Gesetz wieder auf«] Ebd., S. 344. 272,3-4 »ein lebendigeres Zeugnis als alle geretteten Urkunden der Vorzeit«] Ebd. 272,6-8 »am Ende als das Grundprinzip […] als ihr »Ferment«] Vgl. Moses Hess, Die europäische Triarchie, Leipzig 1841, S. 111. 272,8-10 »ragt das Bibelvolk […] in die Zukunft hinein«] Ebd., S. 26. 272,11-15 Der »Fluch der Stabilität« […] Messiasglaube, ist erloschen«.] Ebd., S. 112. 272,20-21 als den »weltlichen Kultus des Juden« […] »weltlichen Gott« das Geld] »Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.« Karl Marx, Zur Judenfrage, in: Karl Marx u. Friedrich Engels, Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 372. 272,21-23 im Judentum ein »antisoziales Element« […] anzustreben sei] »Wir erkennen also im Judentum ein allgemeines gegenwärtiges antisoziales Element, welches durch die geschichtliche Entwicklung, an welcher die Juden in dieser schlechten Beziehung eifrig mitgearbeitet, auf seine jetzige Höhe getrieben wurde, auf eine Höhe, auf welcher es sich notwendig auflösen muß. / Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom Judentum.« Ebd., S. 372 f.

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272,24-29 »in der Naturgeschichte […] offenbar geworden sei«.] Moses Hess, Über das Geldwesen, in: Sozialistische Aufsätze 1841-1847, S. 158-187, hier S. 182. 272,32-36 wie ein Gespenst […] für beide sorgte«] Nicht nachgewiesen. 272,38 eine »Umkehr« im urjüdischen Sinn dieses Wortes] »Umkehr« hebr. teschuva, hat die Doppelbedeutung »Rückkehr« und »Reue«. 273,1-9 »Seit Jahren schon pochte […] erstickt zu haben glaubte«] Zitate und Paraphrase von Moses Hess, Rom und Jerusalem, die letzte Nationalitätsfrage. Briefe und Noten, 2. Aufl. Leipzig 1899, S. 1. 273,11-13 hatte er von der jüdischen Nationalität […] schuldig sei] Vgl. Moses Hess, Die europäische Triarchie, S. 138 f. 273,15-20 dieser Gedanke ist unzertrennlich […] meines Volkes einzutreten«] Vgl. Hess, Rom und Jerusalem, S. 1 f. 273,22-23 Denn »der jüdische Patriotismus« […] »ein naturwahres Gefühl«] Ebd., S. 14: »Der jüdische Patriotismus ist kein germanischer Nebel, der sich in Sein und Schein, in Realismus und Idealismus scheiden lässt; er ist ein naturwahres Gefühl, das in seiner Ursprünglichkeit und Einfachheit weder demonstrirt zu werden braucht, noch wegdemonstrirt werden kann.« 273,28-35 Die erste Bedingung dafür aber ist […] sich erneuern können.] Vgl. ebd., S. 92 f. 273,41-274,3 Die wahren, die treuen Juden, […] Herrschaft Gottes auf Erden«.] Vgl. Moses Hess, Briefe über Israels Mission in der Geschichte der Menschheit, in: Jüdische Schriften, hrsg. und eingel. von Theodor Zlocisti, Berlin 1905, S. 16-49, hier S. 44 (Neunter Brief); dort keine Hervorhebungen. 274,22 Joachim von Fiore] (ca. 1130-ca. 1202): ital. Ordensgeistlicher und Theologe; vertrat eine allegorische Bibelauslegung und schuf eine chiliastische Lehre der drei Zeitalter, der zufolge auf die Zeit des Alten Bundes und seines Gesetzes, der »Zeit des Vaters«, die Zeit des christlichen Neuen Bundes, die »Zeit des Sohnes« gefolgt sei, die in Kürze durch die »Zeit des Heiligen Geistes« abgelöst werde, in der vollkommene Liebe und Freiheit herrschen sollen. Auf die Lehren Fiores bezogen sich zahlreiche schwärmerisch-mystische Sekten. 274,22-24 sah Heß auf die Epoche des Vaters die des Sohnes und auf diese die des Heiligen Geistes folgen] Vgl. Moses Hess, Die heilige Geschichte der Menschheit, S. 88 f. 274,24 die ideell mit Spinoza begonnen habe] Vgl. ebd., S. 156. 274,24-25 und mit der Begründung des »neuen Jerusalem«] Vgl. das Schlusskapitel »Das neue Jerusalem und die letzten Zeiten«, in: Ebd., S. 311-346, dem als Motto 1 Kor 15,24 vorangestellt ist.

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274,26-27 und zwar solle das neue Jerusalem »im Herzen Europas« aufgerichtet werden.] Vgl. ebd., S. 308. 274,29 William Blake] (1757-1827): engl. Dichter und Maler. Blake bezog sich in seinem Werk vielfach auf biblische Motive. 274,29-30 die Erbauung Jerusalems »in England’s green and pleasant land« verkündigt] In Blakes Gedicht »And did those feet in ancient time«, das einen Teil des Vorworts zum Poem »Milton« bildet, heißt es: »Till we have built Jerusalem / In England’s green and pleasant land.« William Blake, Milton. A Poem in 2 Books, in: The Poetry and Prose of William Blake, hrsg. von David V. Erdman, New York 1965, S. 95. 274,31-32 Jerusalem solle »in every land« erbaut werden.] »In my Exchanges every land / Shall walk, & mine in every Land, / Mutual shall build Jerusalem: / Both heart in heart & hand in hand.« William Blake, Jerusalem, in: ebd., S. 172. 275,3-15 »Das erste Gebot Gottes«, […] unsere Religion auszuüben.«] Vgl. Moses Hess, Briefe über Israels Mission in der Geschichte der Menschheit, S. 44. 275,24-36 »Auch wir« […] »glauben an eine Auferstehung […] unserer Religion bewahrt.«] Moses Hess, Die drei grossen mittelländischen Völker und das Christentum, in: Jüdische Schriften, hrsg. und eingel. von Theodor Zlocisti, Berlin 1905, S. [70]-78, hier S. 78. Hess setzt sich darin mit dem Werk Les trois grands peuples méditerranéens et le christianisme (1865) des Baron Gustave Séligman d’Eichthal, (18041886) auseinander, der aus der deutsch-jüdischen Hoffaktorenfamilie der Seligmanns stammte, die 1814 in den Adelsstand erhoben wurde und zum katholischen Glauben konvertierte. Gustave d’Eichthal selbst war stark von frühsozialistischen Ideen geprägt. 276,2 »die Ruinen unseres Geistes«] Nicht nachgewiesen. 276,2-4 »unserem Volk […] zurückerstattet«] Nicht nachgewiesen. 276,7-8 »in allen Herzen […] Einheit in ihnen gestärkt«] Vgl. Achad Haam, Dr. Pinsker und seine Broschüre, in: ders., Am Scheidewege, 2. Aufl., Bd. 1, S. 64-82, hier S. 74. Die Zitate Achad Haams wurden über die hebr. Ausgabe von Israel und Palästina ermittelt. Die hier im Folgenden angegebenen Übersetzungen in Am Scheidewege weichen teilweise erheblich von Bubers offenkundig selbst verfertigten Übersetzungen ab. 276,9-11 »die Geister von […] Inhalt erfüllen«] Vgl. Achad Haam, Wörter und Begriffe, in: Am Scheidewege, 2. Aufl., Bd. 2, S. 168-176, hier S. 171. 276,11-12 hier soll es alle der Uraufgabe […] »ewigen Grundsätze«] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 275,24-36.

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276,15-18 auf »die Einheit von Lehre und Leben« […] zur Wahrheit machen«.] Vgl. Hess, Rom und Jerusalem, S. 78. 276,22 »die Restauration des jüdischen Staates«] Vgl. Siebter Brief in: Hess, Rom und Jerusalem. 276,33-35 Palästina, »das geographische Zentrum der Kultur«] Vgl. Hess, Rom und Jerusalem, S. 196. 276,34-36 liegt »an der zukünftigen Straße nach Indien«. […] an jüdischen Talenten und Kapitalien«.] Vgl. Hess, Rom und Jerusalem, S. 119. 276,40 »Wall gegen Asien«] Vgl. Theodor Herzl, Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage, Leipzig und Wien 1896, S. 29: »Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Cultur gegen die Barbarei besorgen.« 276,40-41 die Versöhnung »der heutigen okzidentalen Kultur mit der alten orientalischen«] Hess, Rom und Jerusalem, S. 196. 277,11-14 »Erlauben«, schreibt er, »[…] im Lande der Väter bestehen.«] Vgl. Hess, Rom und Jerusalem, S. 76. 277,15-17 »Und ist nur erst«, […] und Früchte tragen.«] Ebd., S. 95 f. 277,18-28 »die Erwerbung eines gemeinschaftlichen […] belebt werden wird.« ] Zitate ebd., S. 97 f. 277,32 Leopold Löw] (1811-1875): ungarischer Rabbiner; wird der Neologie, der ungarischen jüdischen Reformbewegung, zugezählt. Von 1858-1867 Redakteur der deutschsprachigen jüdischen Zeitschrift Ben-Chananja, wo auch der Artikel von Hess »Der Messiasglaube« erschien. 278,2-24 »Sollte es wirklich […] Menschheit haben.«] Zitate aus »Mein Messiasglaube«, in: Hess, Jüdische Schriften, S. 1-8, hier S. 6 f. 278,27-28 »Briefe über Israels Sendung in der Geschichte der Menschheit«] in Hess, Jüdische Schriften als »Briefe über Israels Mission in der Geschichte der Menschheit«. 278,30-36 »Wenn die ersten israelitischen Pioniere« […] abzuwandeln«.] Leicht modifiziertes Zitat von Hess, Briefe über Israels Mission in der Geschichte der Menschheit, S. 49. 279,37 Dreyfus-Affäre] Die Affäre wurde durch die (ungerechtfertigte) Verurteilung von Alfred Dreyfus (1859-1935), Offizier der französischen Armee, wegen Spionage für das Deutsche Reich ausgelöst. Im Zuge des Prozesses kam es zu antisemitischen Vorfällen und Bekundungen, die auf Herzl, der den Prozess als Journalist begleitete, eine starke Wirkung hatten. 280,14 Rabbiner Jellinek] Adolph Jellinek (ca. 1820-1893): Reformrabbiner und Vertreter der Wissenschaft des Judentums, der unter ande-

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rem die wichtige Midraschimsammlung Bet ha-Midrasch herausgab. Die geschilderte Begegnung findet sich bei Nathan Michael Gelber, Leo Pinskers Begegnung mit Adolf Jellinek, in: ders., Aus zwei Jahrhunderten. Beiträge zur neueren Geschichte der Juden, Wien 1924, S. 193-201. 280,14-16 »Wir wollen ein Vaterland, […] leben können!«] Vgl. ebd., S. 196. 280,18-19 die Rede, die »vom Gelobten Lande alles sagt, nur nicht, wo es liegt«.] Zur hier angesprochenen »Rede« vgl. den Eintrag vom 13. VI. [1895] in Theodor Herzl, Tagebücher, Bd. 1, S. 143-172. 281,5-7 »Das hat im vorigen Jahrhundert […]. Sabbatai!«] Vgl. Eintrag vom 17. Juni 1895, Herzl, Tagebücher, Bd. 1, S. 127. 281,11-12 »Ja, im vorigen Jahrhundert […] Maschinen haben.«] Ebd. 281,13-14 köstliche Renaissance] Herzl, Der Judenstaat, S. 10. 281,19-20 »Das Gelobte Land«, […] »ist dort, wohin wir es tragen!«] Eintrag 16. VI. [1895], in: Tagebücher, Bd. 1, S. 116. 281,22-24 ein Stück vom Gelobten Land […] Ersparnissen.«] Ebd. 281,38-40 »daß wir nirgends zu Hause sind, […] haben müssen«.] Leo Pinsker, »Autoemancipation!«. Mahnanruf an seine Stammesgenossen von einem russischen Juden, Berlin 1882, S. 22. 282,13 »um etwas einem eigenen Vaterlande Ähnliches zu schaffen«.] Nicht nachgewiesen. 282,16-17 »Ist es nicht endlich an der Zeit«, […] für uns ist?«] Pinsker, »Autoemancipation!«, S. 16. 282,19 »eine sichere Heimat«, »eine neue passende Wohnung«] Ebd., S. 22. 282,22-27 »Das Volksbewußtsein«, sagt er, »entlud sich […] Heimat bedarf.«] Ebd., S. 17 (leicht gekürzt). 282,37-39 »Wenn wir nun um eine sichere Heimat […] wiederherzustellen«.] Ebd., S. 22. 282,40-283,1 »Nicht das ›heilige‹ Land […] sondern das ›eigene‹.«] Ebd. 283,3-7 »Dorthin wollen wir das Heiligste mitbringen, […] oder der Jordan.«] Ebd., S. 23. 283,17-18 »Möglicherweise könnte […] besser …«] Ebd. 283,24-25 »Es liegt in der Natur unserer Aufgabe […] Asyl besitzen.«] Vgl. ebd., S. 30. 283,30 »Todeskeim für die ganze Bewegung«.] Ebd., S. 28. 283,33-35 »jenen beiden in entgegengesetzten Weltgegenden […] gemacht haben«] Ebd. 283,38-39 der zur Zeit Herzls den Namen Uganda […] angenommen hat.] 1903 bot die englische Regierung der zionistischen Organisa-

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tion an, ihr zu Siedlungszwecken Land in Ostafrika zu überlassen. Der »Uganda-Plan« wurde von Herzl und Nordau unterstützt und auf dem 6. Zionistischen Kongress 1903 knapp befürwortet. Auf dieses Votum hin verließen die unterlegenen Delegierten der osteuropäischen Juden den Kongress. Um eine Spaltung der zionistischen Bewegung zu vermeiden, wurde das Projekt fallengelassen. 1904 wurde der Beschluss auch formell auf dem 7. Zionistischen Kongress aufgehoben. 283,40-284,2 »Weit, sehr weit entfernt« […] zu lang sein.«] Ebd., S. 25 f. 284,4-5 Land, das Iphigenie mit der Seele sucht] »das Land der Griechen mit der Seele suchend«, Goethe, Iphigenie auf Tauris, Vers 12. 284,8-10 »Im wogenden Ozean […] zu schaffen.«] Vgl. Pinsker, »Autoemancipation!«, S. 25. 284,14 »Der uralte Gedanke, den ich in die Judenheit geworfen …«] Nicht nachgewiesen. 285,17-21 »Waren wir bisher« […] als den des Geistes.«] Nicht nachgewiesen. 285,22-25 »Laßt uns heute […] zu sättigen.«] Nicht nachgewiesen. 285,25 Chowewe-Zion] hebr. für »Liebhaber Zions«. Die Bewegung Chibat Zion (hebr. für »Zionsliebe«) wurde 1881 gegründet und erhielt Zulauf durch die Pogromwelle 1881/82 im Russischen Reich. Ihre Mitglieder gründeten neue Siedlungen in Palästina wie etwa Rischon leZion. 1884 fand in Kattowitz die erste länderübergreifende Konferenz statt. 1897 ging diese Bewegung zu ihrem größten Teil in der zionistischen Bewegung Herzls auf. 285,31-32 »Kampf um die Ehre […] Widersacher«] Vgl. Brief an Isaak Rülf vom 6. Oktober 1882, in: Julius H. Schoeps, Briefe Leon Pinskers an Isaak Rülf. Zur Vorgeschichte der jüdischen Nationalbewegung, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Bd. 34 (1982), Nr. 3, S. 220-241, hier S. 227. 285,37-38 »in Palästina […] Zentrum gründen«] Vgl. Achad Haam, Dr. Pinsker und seine Broschüre, S. 73. 286,18-20 »der unvergessene Stammsitz […] anziehen könnte«, ] Herzl, Eintrag vom 13. Juni 1896, in: Tagebücher, Bd. 1, S. 149. 286,21 »die mächtige Legende«] Herzl, Eintrag vom 9. Juni 1896, in: ebd., S. 63. 286,21-27 Gegen: erstens, […] Ruhe haben.«] Vgl. Herzl, Eintrag vom 13. Juni 1896, in: ebd., S. 149. 286,30-32 »Im Prinzip« […] »weder gegen Palästina noch für Argentinien«] Ebd. 286,35 »Ich dachte eine Zeitlang an Palästina«] Ebd.

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286,38-39 »Unterhandlungen mit Zion«] Eintrag vom 6. Juni 1895, ebd., S. 41. 287,4-6 »Palästina ist unsere unvergeßliche historische Heimat […] unser Volk.«] Vgl. Herzl, Der Judenstaat, S. 29. 287,29 »ein großes Hinterland«] »ein enormes Hinterland«, Eintrag vom 23. November 1895, in: Tagebücher, Bd. 1, S. 321. 287,30-33 »größeres Palästina« […] in einer anderen Welt«] Zitate aus dem Eintrag vom 25. November 1895, in: ebd., S. 324. 287,36-37 »man könne dem Sultan zwei Millionen […] bieten«] Eintrag vom 27. Februar 1896, in: ebd., S. 352. 288,12-18 »Was dem Baron Hirsch in Argentinien […] dem Zionismus gehorchen.«] Dr. Güdemanns »National-Judentum«, in: Theodor Herzls zionistische Schriften, hrsg. von Leon Kellner, Berlin 1920, S. 110-117, hier S. 116 f. 288,25-26 »Wir meinen«, […] »daß dieses Land […] ihm verbunden sind.«] Vgl. Herzl, Rede in Berlin, in: ebd., S. 200-203, hier S. 201. 288,32-36 »Freilich ist der, welcher für uns taugt […] Lande besteht.«] Herzl, Zweite Kongressrede, in: ebd. S. 216-223, hier S. 220. 289,3-4 »Wir streben nach unserem alten Land.«] Ebd., S. 223. 289,5-14 »Ich denke daran, der Bewegung […] besprechen.«] Herzl, Tagebücher, Bd. 2, Eintrag vom 1. Juli 1898, S. 94. 289,13 Nordau] Max Nordau (1849-1923): Arzt und Publizist; enger Mitarbeiter Herzls, der die zionistische Bewegung nach Herzl führte. 289,22 Uganda-Projekt] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 283,3839. 289,25 dieses »Refugium«] Herzl, Eintrag vom 5. August 1898, in: ebd., S. 99. 289,38 »ideale Moment«] Zionismus, in: Theodor Herzls zionistische Schriften, S. 255-266, hier S. 160. 289,39 »ideale Anziehungskraft für die Massen«] Rede in Wien, in: ebd., S. 272-285, hier S. 280. 290,15-17 »In den Aufschreibungen« […] als Romanstoff gedacht.«] Herzl, Tagebücher, Bd. 1, Eintrag vom 16. April 1896, S. 29. 290,18 als »Rätsel«, wie er »von den Romanideen zu den praktischen kam«;] Herzl, Eintrag »Der Judensache erstes Buch«, in: ebd., S. 15. 290,21-23 »nun denke ich«, […] als Phantasie vorkommen wird.«] Herzl, Eintrag vom 4. Juli 1895, ebd., S. 219. 290,28-31 »das kategorische Nein« […] »denn dann ist unser Plan nur Zukunft und Roman«] Vgl. Herzl, Eintrag vom 3. Juni 1900, ebd., S. 456. 290,33-34 »der immer schlechter und lustloser wird, je länger er liegt«.] Herzl, Tagebücher, Bd. 2, Eintrag vom 30. Januar 1901, S. 571.

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290,34-36 »Die Erfolgshoffnungen im Praktischen […] mein Leben.«] Herzl, Eintrag vom 14. März 1901, ebd., S. 582. 290,38-39 als »Dramatiker« gefühlt] Vgl. Eintrag vom 10. Juni 1895, in: Herzl, Tagebücher, Bd. 1, S. 75. 291,14-16 »Von einer neuen Gesellschaft […] Gesellschaft sind.«] Eintrag vom 5. Oktober 1902, Herzl, Tagebücher, Bd. 3, S. 291. 291,26-31 »aber er hat Zion entdeckt« […] Akkord aufschlägt.«] Vgl. Eintrag vom 17. März 1898, in: Herzl, Tagebücher, Bd. 2, S. 64-66. 291,40-41 »unter Zion […] das eine, wahre nicht«] Vgl. Theodor Herzl, Altneuland. Roman, Berlin u. Wien o. J. (neunte Auflage), S. 151. 292,2-3 »Zion ist nur dann Zion« ] Ebd., S. 157. 292,20-21 »die Erfolgshoffnungen im Praktischen zerflossen waren«] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 290,34-36. 292,28 Joseph Chamberlain] (1836-1914): engl. liberaler Politiker, seit 1893 Kolonialminister. 292,31-32 »Now I have time […] immediate help.«] Herzl, Eintrag vom 23. Oktober 1902, in: Tagebücher, Bd. 3, S. 295. 292,32 pale] Bezeichnung für den Ansiedlungsrayon der Juden im Zarenreich, außerhalb dessen sie nur in Ausnahmefällen wohnen durften. 292,40 »man’s life is short«] Eintrag vom 24. April 1903, ebd., S. 414. 293,2-4 »Ich denke daran, […] als Endziel«] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 289,5-14. 293,10-15 »Da habe ich mir gedacht […] Uganda besiedeln«] Ebd., S. 412. 293,18-19 »der Notstand […] großen Aktion«.] Nicht nachgewiesen. 293,25-26 »Wir müssen«, schreibt Herzl, »die Politik dieser Stunde machen.«] Brief vom 6. Juli 1903, in: Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher, hrsg. von Alex Bein u. a., Bd. 7: Briefe 1903-Juli 1904, bearbeitet von Barbara Schäfer, Frankfurt a. M. u. Berlin 1996, S. 187. 293,26-27 Stunde von Kischinew.] In Kischinev, der Hauptstadt von Bessarabien, (heute Chişinău/Moldawien) kam es am 6./7. April 1903 (Ostern) zu einem Pogrom, bei dem 39 Juden ermordet wurden. Die russischen Behörden trugen zur antisemitischen Hetze bei. 293,28 Brief Herzls an Plehwe] Wjatscheslaw Konstantinowitsch von Plehwe (1846-1904): russ. Innenminister, von dem man annimmt, dass er den Pogrom beförderte. Der Brief in: Herzl, Tagebücher, Bd. 3, S. 431-433. 293,31-32 »Kischinew ist nicht zu Ende«, hat er an Lord Rothschild geschrieben] Nicht nachgewiesen. 293,32-33 »Wir müssen eine Antwort […] die einzige.«] Herzl, Brief vom 6. Juli 1903, in: Briefe 1903-Juli 1904, S. 187.

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293,36-38 »anderswo« zu beginnen. […] Englands in der Westentasche«.] Brief vom 19. Juli 1903, in: Briefe 1903-Juli 1904, S. 231. 293,41 »Nester und Kraftstationen für den Zionismus«] Herzl, Brief vom 13. Juli 1903, in: Briefe 1903-Juli 1904, S. 209. 294,1-2 »ein Charter in Argentinien als zweite Kraftstation ergeben«.] Brief vom 19. Juli 1903, S. 231. 294,4-10 »Es ist eine Opportunitätsfrage, […] angefangen werden.«] Herzl, Brief vom 13. Juli 1903, in: Briefe 1903-Juli 1904, S. 208. 294,10-11 Erez Israel, sagt Herzl, wäre wunderherrlich, »um anzufangen«] Herzl, Brief vom 13. Juli 1903, in: Briefe 1903-Juli 1904, S. 208. 294,15 »auf nationaler Grundlage«] Nicht nachgewiesen. 294,17 »der neue Weg des Zionismus«] Nicht nachgewiesen. 294,19-20 »wir sind die Macher der Formeln, aber nicht ihre Gefangenen«] Ebd. 294,20-22 »Dieser britisch-ostafrikanische Anfang […] Edmund errichtete.«] Vgl. ebd., S. 209. 294,21 Rischon le-Zion] Name einer 1882 in Palästina gegründeten landwirtschaftlichen Siedlung. Die wörtliche Übersetzung des Namens ist »Erster für Zion«. Edmund: gemeint ist Edmond de Rothschild (1845-1934), im Brief als »Edmond der Bornierte« bezeichnet. 294,35 »Dieser Weg wird nach Zion führen«] Vgl. »Jedenfalls ist dies der neue Weg des Zionismus.« Ebd., S. 208. 294,41-301,3 »Unser Hilfs- und Gegenwartsprogramm«, […] »ist […] Kräfte sammeln.«] Herzl, Brief an Max Nordau vom 6. Juli 1903, in: Briefe. 1903-Juli 1904, S. 187. 295,10-12 »Wir stehen […] ein bißchen verdünnten.«] Ebd. 295,16-17 »Wenn ich dein vergesse, Jerusalem«] Ps 137,5. 295,20-21 »Der Riß geht mitten durch meine Person hindurch.«] Vgl. Herzl, Eintrag vom 31. August 1903, in: Tagebücher, Bd. 3, S. 493. 295,22-27 »Der Weg […] Rücktritt lösen kann.«] »Brief an das jüdische Volk« vom 9. November 1903, in: Theodor Herzl, Briefe. 1903-Juli 1904, S. 447 f. 295,34-36 »wenn er ihn erlebe«, […] Lover of Zion geworden.« ] Herzl, Eintrag vom 31. August 1903, Tagebücher, Bd. 3, S. 493. 295,37-38 »Als ich aufbrach, […] Zion geworden.«] »Brief an das jüdische Volk«, S. 447. 296,10-13 »Ich selbst bin […] werde ich zugrunde gehen.«] Herzl, Brief vom 15. September an Alexander Marmorek, in: Briefe. 1903-Juli 1904, S. 294.

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298,23-25 »einen Haufen Steine […] ein bestimmtes Bild«] Vgl. Achad Haam, Wahrheit aus Palästina, Der Jude, 7. Jg. (1923), Heft 5, S. 257268, hier S. 260. 298,28-31 »daß die Einwanderer, […] Ordnungen leben«.] Vgl. ebd., S. 258. »Mischmasch« vgl. Num 11,4. 298,41-299,2 »die Existenzfrage. […] Liebet Zion!«] Vgl. Achad Haam, Wunden von Freundeshand, in: ders., Am Scheidewege, 2. Aufl., Bd. 1, S. 55-63, hier S. 63. 299,18-19 »Arbeit von Priestern«] Achad Haam, Priester und Volk, in: ders., Am Scheidewege, Berlin 1923, 3. Aufl., Bd. 1, hier S. 72. 299,22-23 »fehlt uns die Grundlage, […] werden kann«.] Vgl. Achad Haam, Nicht dies ist der Weg!, in: ders., Am Scheidewege, 2. Aufl., Bd. 1, S. 32-54, hier S. 45 (Zweiter Aufsatz). 299,28 »um das Judentum selber in seiner Ganzheit« ] Vgl. Achad Haam, »Die Lehre des Herzens«, in: ders., Am Scheidewege, 2. Aufl., Bd. 1, S. 96-110, hier S. 105. 299,39-300,4 »Wir sehen«, […] über euch erzeige!‹«] Bubers Übersetzung. Vgl. Achad Haam, Moses, der Prophet, in: Moses, [mit Beiträgen von Adolf Gelber, Henry George, J. G. Herder und Achad HaAm], Berlin 1905, S. 87-104, hier S. 104, in der Übersetzung Gotthold Weils: »auch das prophetische Volk kam, wenn auch widerwillig zu sich selbst, und wir können wieder den ›Funken Mosis‹ hervorstrahlen und aufsteigen sehen, und eben der Geist, den Moses vor Tausenden von Jahren hervorgerufen und ohne sein Wissen zu seiner Mission erhoben hat, er kehrt zu uns wieder und ruft einem letzten Geschlechte auch jetzt noch die alten Worte zu: / ›Das, was euch in den Sinn kommt, wird euch nimmermehr geschehen, euch, die ihr da sprechet, wir wollen wie die Völker sein. Bei meinem Leben, mit starker Faust werde ich über euch herrschen.‹« 300,5 in dem Ezechiel-Kapitel, dem diese Worte entnommen sind] Ez 20,32 f. 300,6-7 »Völkerwüste«, […] »Angesicht zu Angesicht«] Ez, 20,35. 300,33-38 »Wir erheben […] innern Kräfte erwachen.«] Zitat aus Achad Haam, Ha-bokhim [Die Weinenden]. Keine deutsche Übersetzung vorhanden. 301,2-3 »In der Kraft des Geschichtsgefühls, das Volk und Land verbindet.«] Ebd. 301,22 Raw Kuk] Abraham Isaak HaCohen Kook (1865-1935): der orthodoxe, aber weltoffene Rabbiner wanderte bereits 1904 nach Palästina ein und wurde 1921 der erste Oberrabiner der aschkenasischen Juden Palästinas. Sein prozionistisches Engagement ging über den

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pragmatischen Standpunkt der in der Misrachi-Gruppierung versammelten prozionistischen religiösen Juden hinaus, sah er doch in der Rückkehr nach Zion den »Beginn der Erlösung«. Kook gilt zudem als einer der bedeutendsten jüdischen Mystiker des 20. Jh. Die von Buber im Folgenden angeführten Zitate konnten nicht überprüft werden, da Kooks Texte nicht am Ort zugänglich waren. 307,20 A. D. Gordon] Vgl. die Einleitung zu »Der wahre Lehrer«, in diesem Band, S. 401. 309,10 Tolstoi] Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910): russ. Schriftsteller. In seinen späteren Jahren propagierte Tolstoi einen agrarischen Sozialismus nach urchristlichen Idealen. Diese Vorstellungen hatten teils erheblichen Einfluss auf die Einwanderer der zweiten Alija zwischen 1904 und 1914. 309,15 Henry Thoreau] (1817-1862): US-amerik. Schriftsteller. In seiner Schrift Walden. Or Life in the Woods (1854) schildert Thoureau ein einfaches Leben in der Natur, das auf weitgehender Selbstversorgung und der Loslösung von gesellschaftlichen Zusammenhängen basiert. Vor allem auf lebensreformerische Strömungen sollte Thoureau große Wirkung entfalten. 309,16 »Duty of civil disobedience«] In seinem Essay »On the duty of civil disobedience« (1849) führt Thoreau aus, weshalb er den gewaltfreien Widerstand gegen die Regierung seiner Zeit – auf dem Hintergrund des amerikanisch-mexikanischen Krieges und der Sklaverei – für geboten hält. 309,16 Walt Whitman] (1819-1892): US-amerik. Schriftsteller. 309,19-21 »den Menschen […] Mitglied der Gesellschaft zu sehen«] »I wish to speak a word for Nature, for absolute freedom and wildness, as contrasted with a freedom and culture merely civil, – to regard man as an inhabitant, or a part and parcel of Nature, rather than a member of society.« Henry Thoreau, Walking, Atlantic Monthly LVI (1862), S. 657. 309,31-32 auch Thoreau in seiner Farm kräftig zugreift.] Thoreau hatte sich eine Hütte im Wald gebaut und lebte dort für zwei Jahre weitgehend, jedoch nicht vollständig isoliert. Während dieser Zeit ernährte er sich vor allem von Bohnen, die er selbst anbaute. Seine Erfahrungen stellt er in Walden dar. 310,4-5 »Fresh and strong […] O pioneers!«] Zitat aus dem Gedicht »Pioneers! o pioneers«, Strophe 5, in: Walt Whitman, Leaves of Grass. Comprehensive Reader’s Edition, hrsg. von Harold W. Blodgett u. Sculley Bradley, New York 1965, S. 229.

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310,6-9 Auch Whitman […] pages from first to last«] Walt Whitman, A Backward Glance o’ver Travel’d Roads, in: Leaves of Grass, S. 561574, hier S. 571. 310,9-10 »Unser Weg … zur Natur durch die Arbeit!«] Gordon, Hakongress [Der Kongress] (1913), in: Aharon David Gordon, Ha’uma we-haʿ avoda, hrsg. von H[ugo] Sh[muel] Bergman und El[ieser] Schochat, Tel Aviv 1955, Bd. 1, S. 180-205, hier S. 200. 310,11-13 »the ambitious thought […] Nation«] Whitman, A Backward Glance o’ver Travel’d Roads, S. 571. 310,16-17 »neuen, wesentlichen, […] zum Leben«] Gordon, Ha-Kongress, S. 200. 310,19-20 »Vielleicht« […] wiederbeleben wird.«] Ebd. 310,25 »Die neue Rechnung mit der Natur aufzumachen«] Gordon, Avodatenu me-ata; in: ders., Ha’uma we-haʿ avoda, S. 232-250, hier S. 240. Vgl. A. D. Gordon, Grundlagen unserer künftigen Arbeit, in: ders., Erlösung durch Arbeit. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1929, S. 91-124, hier S. 107. Die Zitate Gordons wurden über die hebr. Ausgabe von Israel und Palästina ermittelt. Die hier im Folgenden angegebenen Übersetzungen der Texte Gordons weichen teilweise erheblich von Bubers offenkundig selbst verfertigten Übersetzungen ab. 310,26-27 »wir von der Natur […] vergessen haben«] Vgl. ebd. 310,29-30 »Ein lebendiges […] ist im Lande Israel.«] Gordon, AmAdam [Volk- Mensch], in: ders., Ha’uma we-haʿ avoda, S. 258-262, hier S. 262. Es handelt sich um die Eröffnungsrede, die Gordon auf dem Gründungskongress von Ha-Poʿ el ha-tzaʿ ir und Tzeʿ ire Zion in Prag 1920 hielt. (Vgl. Gordon, Eröffnungsrede, in: ders., Erlösung durch Arbeit, S. 139-148, hier S. 147.) 310,35-311,3 »Es scheint«, […] Verbindungen eingehen.«] Gordon, Mikhtav schelo nischlach bi-zmano [Brief, der nicht rechtzeitig abgeschickt wurde, von 1912], in: ders., Ha’uma we-haʿ avoda, S. 493-513, hier S. 497. 311,4-8 »Es scheint […] des Himmels an Klarheit‹.«] Ebd. 311,14-15 Gordon […] »Verhüllung der Lichter«] Vgl. den dritten und vierten Typ religiöser Menschen, den Buber in »Religion in unserem Land«, in diesem Band, S. 164 f., klassifiziert. 311,19-22 »Uns mangelt […] was wir tun.«] Mi-tokh kri’a, in: ders., Ha’uma we-haʿ avoda, S. 273-290, hier S. 289. (Vgl. Gordon, Schriftsteller und Volk, in: ders., Erlösung durch Arbeit, S. 151-175, hier S. 173.) 311,26-27 »vor allem« […] zu stiften] Vgl. ebd.

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311,36-37 »Die Harfe Davids […] wiedergewinnen.«.] Vgl. ebd., S. 168. 312,15-21 »einfache, naive und liebende Mutter« […] befähigt, sie zu verstehen«.] Gordon, Mikhtav me-eretz-Jisrael [Brief aus Palästina (1904)], in: ders., Ha’uma we-haʿ avoda, S. 77-85, hier S. 78. 312,21-25 Und Gordon merkt: die Juden, […] besteht sie fort.] Ebd. 312,27-28 »Fern und fremd […] fern und fremd.«] Gordon, Ha-chalom u-fitrono [Der Traum und seine Deutung (1909)], in: ders., Ha’uma we-haʿ avoda, S. 86 f., hier S. 86. 312,31-33 »Die Zerstörung«, […] vor deinem eigenen Schicksal.«] Ebd. 313,4-12 »Die Mutter Erez Israel« […] Palästina zu tun.«] Gordon, Mikhtavim la-gola, mikhtav rischon in: ders. Ha’uma we-haʿ avoda, S. 517-522, hier S. 521. (Vgl. Gordon, Erster Brief, in: ders., Auswahl aus seinen Schriften, Berlin 1937, S. 101-103, hier S. 102 f.; auch in: Der Jude, 1. Jg. (1916/17), Heft 10 vom Januar 1917, S. 643-645.) 313,25-27 »Nicht wir«, sagt er, »unser Land ist es […] das Land wartet auf euch.«] Gordon, Am-Adam, S. 259 (deutsch: Eröffnungsrede, S. 141). 313,41-314,7 »Nur einen Trost haben wir«, […] diese Schmerzen nicht gefühlt.«] Gordon, Mikhtavim la-gola, mikhtav rischon, S. 521 (deutsch: Erster Brief, S. 102). 314,7 In eben diesem Gleichnis] Vgl. Buber, Die Wehen, in: Die Erzählungen der Chassidim, S. 509 f. (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [659]).

Thoughts on the Jewish New Year William Zukerman (1885-1961), Herausgeber und Gründer des Jewish Newsletter, einer Zeitschrift von ausgesprochen antizionistischer Ausrichtung, hat Bubers hier abgedruckte Reflexionen in einen Artikel eingebaut, in dem beklagt wird, dass die meisten Juden das Jüdische Neujahrsfest und Jom Kippur nicht mehr als »days of true religiosity and profound spiritual search« begehen. Mehr noch, »the bulk of the Jewish people«, insbesondere in Israel und den USA, »no longer regard themselves as a religious group and have deliberately chosen to be known as a political nation and has become nationalistic in mood and temper.« (William Zukerman, Jewish Newsletter, Vol. VII, Nr. 9 vom 1. Oktober 1951, S. 3.) Die Rabbiner, gleich ob sie dem liberalen oder dem orthodoxen Judentum verpflichtet seien, würden ihre Festtagspredigten »Israel, its military valor and financial needs« (ebd.) widmen. Glücklicherweise gäbe es noch einige Stimmen im Judentum, die an dessen alter Würde und Spiritualität festhielten. »Shortly before the Holy Days a

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speech was delivered in London [by Buber] which […] clearly demonstrated that the religious search has not ceased among Jews and that the voice has not been drowned in the din of campaign Judaism.« (Ebd.) Textzeugen: D: Jewish Newsletter. Events and Opinion of Jewish Interest, 7. Jg., Nr. 9, 1. Oktober 1951, S. 3 (MBB 876). Druckvorlage: D

[Botschaft] Der kleine Text ist ein Beitrag Bubers zu einer Sonderausgabe des Mitteilungsblatt des Irgun Olej Merkaz Europa vom 16. Mai 1952, die sich dem Beitrag der deutschen Juden am Aufbau Israels widmete. Textzeugen: D: Mitteilungsblatt, 16. Jg., Nr. 19, 16. Mai 1952, S. 3 (MBB 898). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 318,3 Jischuw] Bezeichnung für die jüdische Bevölkerung in Palästina vor der Staatsgründung. 318,7 Olim] Hebr. Plural für »Einwanderer nach Israel«. 311,11-12 ein »geistiges« – d. h. wirksamen Geist ausstrahlendes – »Zentrum«] Das Schlagwort »geistiges Zentrum« stammt von Achad Haam, dem es darum ging, dass die jüdische Ansiedlung in Palästina dem Diasporajudentum als geistiger Mittelpunkt dienen sollte. Vgl. auch Bubers Ausführungen hierzu in Israel und Palästina, in diesem Band, S. 297 f.

An der Wende. Reden über das Judentum Der Band enthält vier Reden über das Judentum, die als Reaktion auf die dramatischen Entwicklungen der Zeit entstanden. Die erste Rede »Der Geist Israels und die Welt von heute« war Bubers erster Vortrag vor einem großen Publikum in Jerusalem nach seiner Einwanderung. Veröffentlicht wurde er in Ha-aretz am 30. Dezember 1938.

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Kaum verändert hielt Buber diese Rede 1947 auf Englisch in London bei einer Zusammenkunft, die von dem Council for Christians and Jews unter dem Vorsitz des Deans der St. Paul’s Cathedral veranstaltet wurde (vgl. Preface zu Israel and the World, in diesem Band, S. 169, bzw. das deutsche Manuskript, S. 499). Angesichts der Intensivierung der nationalsozialistischen Judenverfolgung und des zunehmend gewaltsamen Konflikts zwischen Juden und Arabern in Palästina, ringt Buber in seiner Rede mit der Problematik der geistigen Ursache für den Antisemitismus sowie der Aufgabe des jüdischen Volks. Dabei beschwört Buber einen seine Schriften über Judentum und Zionismus übergreifenden Topos: der Geist Israels, der Gründungsethos des Judentums, verpflichte die Juden, der Verlockung des Nationalismus und seinem kollektiven Egoismus zu widerstehen. Die schädlichen Folgen dieses modernen »Götzendienstes« zeigten sich im Antisemitismus und Nationalsozialismus. An der Wurzel der Feindschaft gegen das Judentum läge eine »gnostische Umwertung« des biblischen Glaubens an die letztendliche Güte der geschaffenen Weltordnung, die auf ethische und soziale Vervollkommnung hin angelegt ist (vgl. in diesem Band, S. 326 f.). Marcion, ein christlicher Häretiker des 2. Jahrhunderts, habe diese gegen den Geist Israels gerichtete Lehre verbreitet, und damit einen Nihilismus vorbereitet, der einen »geistigen Beitrag zur Zerstörung Israels« geleistet habe. Als der Text geschrieben wurde, lag es außerhalb Bubers Vorstellungsvermögen, dass Marcions Gnostizismus zur physischen Ausrottung der Juden führen würde. Was Buber zu dem Zeitpunkt wusste, war, dass es Israels geistiges Erbe sei, seinen Geist, »den Geist Israels gegen den offenen oder versteckten Marcionismus der Völker zu setzen« (ebd., S. 328). Die drei anderen Reden wurden im November und Dezember 1951 im Jewish Theological Seminary in New York als Israel Goldstein Lectures gehalten und standen unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs und der Vernichtung des europäischen Judentums. Sie sind an eine amerikanisch-jüdische Zuhörerschaft gerichtet, was ihren Charakter und ihre Schärfe erklärt. In der ersten Rede »Judentum und Kultur«, die jetzt den zweiten Teil der deutschen Ausgabe bildet, erachtet Buber den grundsätzlichen Charakter aller großen Religionen als religiös und normativ. Religiös seien sie insofern, als das menschliche Leben an das Absolute gebunden sei, und normativ, insofern das Prinzip des transzendenten Seins, das im Kosmos walte, auch für die Menschheit vorbildlich gelte. Das »übermenschliche« Prinzip des Judentums sei Zedek, in dem Wahrheit und Gerechtigkeit vereint sind. Große Zivilisationen zeichneten sich durch ein Ringen um die Realisierung des sie bestimmenden höchsten Prinzips aus. In Israel konkretisierte sich das leitende Prinzip im

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»Bund« mit Gott, und der Kampf um seine Aufrechterhaltung werde von den Propheten geführt. Es waren die Propheten, die der politischen Macht oder der Missachtung Gottes offen die Wahrheit sagten. Das Ideal von Wahrheit und Gerechtigkeit blieb die zentrale Forderung für alle historischen Daseinsformen des Judentums, sei aber in modernen Zeiten schwächer geworden, womit sich ein tiefer innerer Zwiespalt eröffnet habe. Für die zeitgenössische Weltkrise nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Krise noch schwerwiegender. Buber ermahnt das Judentum, zu seinen ursprünglichen biblischen Wurzeln zurückzukehren. Die zweite Ansprache »Die heimliche Frage« behandelt das Problem, das sich dem modernen Mensch unausgesprochen stellt: wie kann Religion den Menschen helfen, an das Unbedingte zu glauben, zu glauben an die »Wirklichkeit, an das Bestehen, an die Existenz« (Martin Buber, An der Wende, jetzt in diesem Band, S. 337), so dass das Leben »Sinn hat« (ebd.). Weder Religion im Allgemeinen, noch das Ritual, noch bestimmte Gottesvorstellungen werden hier problematisiert, als vielmehr dies, wie jenseits aller bloßen Formeln die Fülle göttlicher »Gegenwart« im Fluss des persönlichen Lebens erneuert werden könne. Buber stellt fest, dass diese Frage auch das zeitgenössische Judentum betreffe, aber auch die anderen Religionen würden diese Frage an das Judentum stellen, weil sie (besonders nach der »Hinmetzelung der Millionen« (ebd., S. 344) Juden und der Gründung des Staates Israel) entdeckten, dass es etwas anbieten kann, »was der geistigen Not unserer Zeit in einer besonderen Weise abzuhelfen geeignet erscheint« (ebd.). Und dieses etwas ist sein Ideal, »das wahre Volk, das ›Volk Gottes‹ [zu] werden« (ebd., S. 346), ohne aus der Nation ein Absolutes oder aus dem Volk einen Götzen zu machen. Das erfordere die Verwirklichung der göttlichen Attribute der Gerechtigkeit durch das ganze persönliche Leben hindurch. Damit trete der Mensch in eine aktive Partnerschaft mit Gott, in dessen »Werk der Schöpfung« (ebd., S. 348) ein. An diesem Punkt setzt sich Buber kritisch mit den Positionen Henri Bergsons (1859-1941) und Simone Weils (1909-1943) zum Judentum auseinander. Er unterstreicht die Bedeutung der Beziehung des »Ich« zu einem anderen »Ich« (Ich und Du) wie auch die Beziehung des »Ich« zu einem sozialen Kollektiv (Ich und Wir), wobei der Egoismus des einzelnen wie der Egoismus der Gruppe, »Selbstsucht« und »Nationaldünkel«, in all seinen Formen verurteilt wird. Nur in der Liebe zum Nächsten vermag man Gott zu »begegnen«, was der unmittelbare Pfad zum Glauben sei. Exemplarisch habe sich dies im Chassidismus realisiert, den Buber als »Vollendung des Judentums« betrachtet (ebd., S. 350). Hier finde man, schließt Buber, die Antwort auf die heimliche Frage der Menschheit.

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Die vierte Rede »Der Dialog zwischen Himmel und Erde« widmet sich der Hebräischen Bibel unter dem Gesichtspunkt des Dialogs zwischen Gott und der Menschheit: Immer wieder gelte es für den »als ein freies Wesen« erschaffenen Menschen, auf »Gottes souveräne Anrede« eine »selbständige Antwort« zu geben (ebd., S. 351). Buber fordert, diesen Dialog nicht als Sache der Vergangenheit zu betrachten, denn es »spricht in den Wesensstunden des persönlichen Lebens die Transzendenz zu unserem Herzen.« (Ebd., S. 352.) Die Antwort erfolge in der Sprache »unserer Handlungen und Haltungen, unserer Reaktionen und unserer Unterlassungen«, die existenzielle Tat für den einzelnen wie für die Gemeinschaft sei es, »heilig« zu sein – die Menschen und die Existenz zu heiligen (vgl. ebd.). Weltgeschichte, der Weg der Völker zu Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, sei somit »zuinnerst heilige Geschichte« (ebd., S. 353). Zentral sei die Rolle der Propheten in diesem Prozess, die das Volk auf die alternativen Handlungsmöglichkeiten aufmerksam machten. So wollten sie ihre Hörer zu der Entscheidung aufrufen, was der jeweiligen Situation angemessen sei. In Freiheit müsse sich der Mensch verantworten. In unserer Zeit lebe man jedoch in einem »scheinbar gottesleeren Geschichtsraum«, in der »die Erfahrung der konkreten Verantwortung […] immer mehr zurück[tritt]« (ebd., S. 356). »[I]n einer Zeit, in der es Auschwitz gibt« (ebd., S. 358), sei es schwer die göttliche Anrede zu hören und zu verstehen. Zwar enthalte die Schrift Beispiele des verzweifelten Gottesanrufens wie das von Hiob, doch dürften wir diese den Überlebenden von Auschwitz anbieten? Können wir (die wir diese Schrecken nicht überwunden haben und nicht überwinden können) mit Gott ringen, können wir noch auf Erlösung hoffen? Mit einer Hoffnung, die er aus der Tradition schöpft, hält Buber an seinen Glauben an den Dialog mit Gott fest. In einen Brief an Walter Kaufmann (19211980) vom 25. Mai 1959 schreibt Buber in Bezug auf die Schlussgedanken von An der Wende: »Ich denke wie er [Hiob], daß Gott und unsere Vorstellung von Gerechtigkeit nicht zu vergleichen sind, und ich habe Seine ›Grausamkeit‹ nicht unerwähnt gelassen. Aber wenn Hiob sagt (19,25), was er ›weiß‹, spricht er auch in meinem Namen. All dies und nicht weniger als dies nenne ich Gottvertrauen.« (B III, S. 478.) Textzeugen: h1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); 20 paginierte DINA5 Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen vom selben Stift und Bleistift-Korrekturen versehen. Die Handschrift enthält die »Erste Rede« unter dem Titel: »Der Geist Israels und die gegenwärtige Weltstunde«. Obgleich Inhalt und Argumentation weit-

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gehend der deutschen Druckfassung entsprechen, weicht der Text von h1 in nahezu allen Wortwendungen von dieser ab. Zudem enthält die Handschrift gegenüber dem Druck mitunter zusätzliche Ausführungen. Es kann vermutet werden, dass Buber für die deutsche Veröffentlichung aus unbekannten Gründen eine englische Übersetzung der Rede, die laut Vorwort 1947 auch in London gehalten worden ist (vgl. in diesem Band, S. 320), benutzt und diese ins Deutsche zurückübertragen hat. Da die Differenzen zwischen h1 und D1 nicht sinnvoll in einem Variantenapparat verzeichnet werden können, wird h1 im Folgenden wiedergegeben. h2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); 10 lose Blätter, doppelseitig beschrieben, paginiert, blauer Stift; mit zahlreichen Korrekturen, Streichungen, Ergänzungen. Die Handschrift enthält die »Zweite Rede«. h3: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); 13 lose Blätter, einseitig beschrieben, paginiert, blaue Tinte; mit Korrekturen. Die Handschrift enthält die »Dritte Rede«. h4: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); Kopie auf 16 Blättern, paginiert; mit Korrekturen; da es sich um eine Kopie handelt, deren Original verloren ist, lässt sich nicht feststellen, ob die Blätter ein- oder doppelseitig beschrieben waren und von welchem Stift. Die Handschrift enthält die »Vierte Rede« unter dem Titel: »Wiederentdeckung der Bibel«. ts: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 21); 17 lose Blätter, paginiert; mit vereinzelten Korrekturen. Das Typoskript enthält die »Vierte Rede« unter dem Titel: »Wiederentdeckung der Bibel«. D1: Köln u. Olten: Jakob Hegner 1952, 107 S. (MBB 882). D2: JuJ, S. 144-183 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: At the Turning. Three Addresses on Judaism, New York: Farrar, Strauss & Young 1952, 62 S. (ohne die erste Rede); The Later Addresses (1939-1951), in: On Judaism, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken Books, S. 177-225; nur die erste Rede »Der Geist Israels und die Welt von heute«: The Spirit of Israel and the World of Today, übers. von I. M. Lask, in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken, S. 183-195 (MBB 786); 2. Auflage 1963 (MBB 1215); nur die zweite Rede »Judentum und Kultur«: Judaism and Civilization, in: The Present Contribution of Judaism to

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Civilization, London: The World Union for Progressive Judaism 1951, S. 70-77 (MBB 869); nur die dritte Rede »Die heimliche Frage«: The Silent Question, Judaism, 1. Jg., Heft 2, S. 99-105 (MBB 909); nur die vierte Rede »Der Dialog zwischen Himmel und Erde«: The Dialogue between Heaven and Earth, in: Four Existentialist Theologicans. A Reader from the Works of Jacques Maritain, Nicolas Berdyaev, Martin Buber, and Paul Tillich, hrsg. von Will Herberg, New York: Doubleday & Company 1958, (MBB 1103); in: Basic Sources of the Judaeo-Christian Tradition, hrsg. von F. Berthold Jr. u. a., Englewood Cliffs: Prentice Hall 1962, S. 360-361 (MBB 1199). Hebräisch: Be-maschber ha-ruach. Schloscha ne’umim al ha-jahadut, Jerusalem: Mossad Bialik 1953, 59 S. (erschienen zu seinem 75. Geburtstag; ohne die erste Rede) (MBB 939); nur die erste Rede »Der Geist Israels und die Welt von heute«: Ruach Israel bifne ha-metzi’ut ha-nokhechit, Ha-aretz vom 30. Dezember 1938 (MBB 596); in: Haruach we-ha-metzi’ut. Tischʿ a scheʿ arim le-berur ha-jachas schebejnejhem, S. 22-33 (MBB 652); in: Teʿ uda we-jiʿ ud, 2. Bd.: Ma’amarim al injane ha-schaʿ a, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1961, S. 101109 (MBB 1182); nur die zweite Rede »Judentum und Kultur«: Jahadut we-tarbut, in: Massekhet. Meassef le-sifrut jafa u-le-divre machschava, hrsg. von Jehuda Burla und Avraham Kariv, Tel Aviv: Agudat ha-sofrim ha-ivriim be-Israel 1952, S. 5-10 (MBB 910); in: Teʿ uda we-jiʿ ud, Bd. 1: Ma’amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 226-234 (MBB 1135); nur die dritte Rede »Die heimliche Frage«: Ha-sche’ela ha-nisteret, Orot, 2. Jg., Heft 14, Elul 1953, S. 3-11 (MBB 947); in: Teʿ uda we-jiʿ ud, Bd. 1: Ma’amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 235-243 (MBB 1135); nur die vierte Rede »Der Dialog zwischen Himmel und Erde«: nur die vierte Rede »Der Dialog zwischen Himmel und Erde«: Ha-du-siach bejn ha-elohim we-ha-adam, in: Teʿ uda we-jiʿ ud, Bd. 1: Ma’amarim al injane ha-jahadut, Jerusalem: Ha-sifrija ha-zionit 1960, S. 244-252 (MBB 1135). Spanisch: En la encrucijada. Tres conferencias sobre el judaísmo, übers. von Luis Fabricant, Buenos Aires: Sociedad Hebraica 1955, 89 S. Abdruck von h1: Der Geist Israels und die gegenwärtige Weltstunde Seit einer Reihe von Jahren fragen sich Juden in allen Teilen der Welt: »Was wird das Ende von alledem sein? Sind wir gänzlich dem Bösen ausgeliefert? Wird die [Macht des Übels] ! Herrschaft des Frevels [weiter]

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! wieder und wieder wachsen? Oder sind wir befugt zu hoffen, wenn auch mit bebendem Herzen, dass der Geist Israels siegreich sein wird?« Wenn ich so gefragt werde, antworte ich selber mit einer Frage: Was habt ihr im Sinn, wenn ihr von dem Geist Israels redet? Meint ihr damit euren eigenen Geist? Oder aber jenen Geist, den wir verraten haben und weiter Tag um Tag verraten? Die wahre Antwort auf jene Frage von Juden hängt von ihrer Antwort auf diese Frage ab. [Alles] ! Ja, alles hängt davon ab. Die Aggada erzählt von siebzig Engeln, die »Fürsten« genannt werden und von denen jeder über eins der siebzig Völker gesetzt ist. Jeder von ihnen führt die Aufsicht über seine Nation und jeder vertritt die seine vor dem göttlichen Thron. Sie alle aber kämpfen miteinander, wenn ihre Völker miteinander kämpfen. Sie sind die eigentlichen Sieger und die eigentlichen Besiegten; und ihre Kriege, ihre Siege und Niederlagen, ihre Aufstiege und Niedergänge auf der gewaltigen Leiter sind das, das die Historiker als Weltgeschichte bezeichnen. Jeder von ihnen hat seine [Aufgabe] ! Sendung und seine [Funktion] ! Aufgabe; und solang der »Fürst« das tut was ihm obliegt, solang er seine [Aufgabe] ! Sendung und [Funktion] ! Aufgabe erfüllt, ist ihm Macht anvertraut. Aber er trägt Verantwortung vor seinem Herrn und ist gehalten Ihm Rechenschaft zu geben. Und somit, wenn er sich an der Macht so berauscht, dass er vergisst wer er ist und was ihm aufgetragen ist und sich anmasst selber Herr und Meister zu sein, fällt die Hand des wahren Herrn auf ihn, – sei es wie ein Blitz, indem sie ihn plötzlich in den Abgrund [stürzt] ! schleudert, sei es [sich allmählich auf ihn senkend] ! wie [ein unaufhaltsamer Regen] ! eine unaufhaltsame Sturzflut, die ihn allmählich in den Abgrund niederdrückt. Nun heisst es wohl zuweilen, auch dem jüdischen Volke sei solch ein Fürst vorgesetzt worden; aber [es wird auch gesagt, und mit grösserer Folgerichtigkeit] ! die vorherrschende Anschauung ist, die Kinder Israel hätten es abgelehnt das Joch eines Engels [auf sich zu nehmen] ! zu tragen und hätten einzig das Joch des Königtum Gottes selber auf sich genommen. Diese Anschauung allein stimmt mit all der gesamten aggadischen Auffassung der Beziehung zwischen Israel und der Gottheit überein. Seinem Ursprung nach steht das Volk Israel nicht in der Welt der Vielheit der einander [bekämpfenden] ! bestreitenden Fürsten, sondern in der Welt der einen Wahrheit, die zwar den Menschen nur ein Geringes von ihrer Substanz offenbart, dies aber genügt, damit der Mensch und das Volk wisse: es gibt über ihm eine Wahrheit, und nicht sein Fürst ist ihrer mächtig, sondern der Eine allein, der der Fürst der Fürsten ist; damit Mensch und Volk, sage ich, dies wisse und anbete.

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Der typische Mensch unserer Zeit vermag nicht mehr an Gott zu glauben, aber auch an sein eigenes haltloses Wesen kann er keinen Glauben aufbringen, und so klammert er sich an den Glauben an sein erweitertes Ich, an sein Volk, als an die höchste Wirklichkeit, die ihm gegeben ist. Und da er keine echte lebendige Beziehung zu der Wahrheit hat, die über dem Volk, über den Völkern ist, der Wahrheit, die von den Völkern fordert sie zu verwirklichen, macht er sein Volk zum [Götzen. Er erhebt die [Persönlichkeit] ! Individualität seines Volkes zum Gott] ! Götzen; er verwandelt den Fürsten, den dienenden Engel, in einen Gott. Und wenn es keine höhere Instanz über den Rechtshändeln der Völker gibt, dann wird eben der Kampf der Fürsten gegeneinander mit allen Mitteln und ohne alle Hemmung geführt, bis zur Vernichtung. Und jene geheimnisvollen Kräfte, die Fürsten, sind jetzt nur noch die nationalen Ideologien, nur noch jener politische Mythus, dessen sich die Führer und Verführer der Völker bedienen, um ihre Selbstsucht mit dem Wahn und Trug eines vermeintlichen Idealismus zu erhitzen. Dies ist die Stunde, in der die Fürsten vergessen, wer sie sind und was ihre Aufgabe ist und überheben sich und jeder von ihnen dünkt sich der Herr zu sein. Aber die Hand ihres Herrn ist über ihnen. Und wir Juden? Wir reden über den Geist Israels und bilden uns ein, wir seien nicht wie alle Völker, weil es den Geist Israels gibt. Aber wenn der Geist Israels in unseren Augen und in unseren Herzen nichts anderes ist als die »synthetische Persönlichkeit« unseres Volkes, nichts anderes als eine erhabene Rechtfertigung unserer kollektiven Selbstsucht, nichts anderes als unser Fürst der zum Götzen geworden ist – unser Fürst, nachdem wir uns einst geweigert haben, einen andern als den Herrn der Welt anzunehmen! –, dann sind wir in Wahrheit wie alle Völker und trinken zusammen mit ihnen aus den [Giftbechern] ! Taumelbechern und berauschen uns in ihrem Rausch. Dann sind wir schwächer als jedes andere Volk und schutzlos sind wir allen ausgeliefert. Einzig und allein wenn wir [in Wahrheit sein werden] ! wirklich nicht sind wie sie, einzig und allein wenn wir mit dem Begriff des Geistes nicht uns meinen, sondern die lebende Wahrheit an die wir glauben, sie, die nicht unser Besitz ist, aber wir können ihr Besitz werden, sie die nicht von uns abhängt, sondern wir von ihnen, und [nur deshalb] ! dennoch ist sie auf uns angewiesen, um ein Ding von hier unten zu werden, ein konkretes, »historisches« Ding – einzig und allein dann haben wir den Boden des Kampfes und des Sieges unter unseren Füssen. Vielleicht fragt mich in diesem Augenblick einer von Ihnen in seinem Herzen: »Was ist denn dieser Geist Israels, von dem Du redest?« Das ist, wie wenn uns einer, der nie einen Apfel gekostet hat, fragte:

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»Wie schmeckt ein Apfel?« Werden wir ihm den Apfelgeschmack zu definieren versuchen? Wir werden uns begnügen müssen ihm zu antworten: »Iss und du wirst es wissen«. [So ist es auch mit uns, wenn wir in Wahrheit] ! Das scheint mir auch der Sinn davon zu sein, dass die Kinder Israel einst am Berge Sinai zuerst gesprochen haben: »Wir wollens tun« und dann erst: »Wir wollens hören.« Es gibt auf jene Frage, wenn sie von einem Juden gefragt wird, nur die eine zulängliche Antwort: »Tue und du wirst hören.« Das heisst: Tu, wovon du fühlst, dass die von oben geboten ist es in dieser Stunde zu tun, und [du fühlst] ! mitten im Tun wirst du in all deinen Gliedern [das Wesen des Geistes Israels verspüren] ! verspüren, was der Geist Israels ist. hEinem Nichtjuden würde ich freilich nicht wagen, diese Antwort zu geben.i Aber wie es immerhin möglich ist, einem, der nie einen Apfel sah, das Aussehn eines Apfels einigermassen zu beschreiben, so ist es auch möglich etwas [vom Geist] ! von der [Gestalt] ! Erscheinung des Geistes Israels zum Ausdruck zu bringen. Der Geist Israels ist der Geist der Verwirklichung. Verwirklichung wovon? Verwirklichung jener Wahrheit, die nicht von uns abhängt und doch für ihre Verleiblichung auf uns angewiesen ist. Ich meine jene schlichte Wahrheit, dass der Mensch zu einem hSinn undi Zweck erschaffen worden ist. Die Schöpfung hat einen [Zweck] ! Sinn, das Menschengeschlecht hat einen [Zweck] ! Sinn, den wir uns nicht ausgedacht haben und nicht untereinander vereinbart haben: »Dies und dies soll von nun an der [Zweck] ! Sinn unseres Daseins sein«, sondern er, der [Zweck] ! Sinn, hat uns sein Antlitz enthüllt und wir haben es [angesehn] ! betrachtet. Und wieder kann man ihn nicht in Begriffen definieren. Aber es ist uns gewährt zu wissen [und anzusprechen] ! und zu sagen, dass nicht Zerspaltung und Zersplitterung [unser] ! der Sinn ist, sondern Einung. [Nicht ewiges Zusammenstossen] ! Es ist nicht [unser] ! der Sinn, dass ewig Sekte mit Sekte, Klasse mit Klasse, Nation mit Nation zusammenstossen, sondern [unser] ! der Sinn ist der grosse Friede des Menschentums, und dass sie alle, [wie es im Gebet heisst, sich zu [einem [Bunde] ! Verbande verknüpfen] ! einer Gemeinschaft verbinden] ! wie [[unsere] ! die jüdischen Weisen] ! es von den vier Gattungen des Strausses zum Sukkotfest heisst, sich zu einem Bund verknüpfen und die einen die andern entsühnen. Mit andern Worten: die Menschenwelt ist darauf angelegt, zu einem Leibe zu werden, bislang aber ist sie nichts anderes als ein [Gliederhaufen] ! Haufen von Gliedern, von denen jedes einzelne wähnt, es sei ein ganzer Leib. Und sie, die Menschenwelt, ist darauf angelegt, durch das Handeln des Menschen selber zu einem Leibe zu werden. Gefordert wird von uns Menschen sel-

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ber zu einem Leibe zu werden. Gefordert wird von uns Menschen, unsern Teil der Welt, die Welt des Menschen, zu vollenden. Und es gibt ein Volk unter den Völkern, das einst die Forderung so gewaltig vernommen hat, dass sie ihm in die Tiefe seiner Seele gedrungen ist. Es hat die Forderung [angenommen] ! empfangen; nicht als eine Menschenmenge, sondern als Volk hat es sie [angenommen] ! empfangen. Als Volk hat es die Wahrheit empfangen und angenommen, die die Verwirklichung durch das Menschenvolk fordert. Das ist sein Geist, der Geist Israels. Die Forderung ist nicht an einzelne Personen, sondern an ein Volk gerichtet. Denn nur ein ganzes Volk, das mannigfaltige Menschenarten umfasst, die doch [eine organische Einheit] ! einen organischen Zusammenhang bilden, kann dem Menschengeschlecht ein Leben der Einheit und des Friedens, ein Leben der Gerechtigkeit, als ein Beispiel und einen Anfang vor die Augen stellen. Der Beginn eines wahren [Menschenvolkes] ! Menschheitsvolkes, eines Volkes aus Völkern, kann nur ein bestimmtes [wirkliches] ! [echtes] ! wahres Volk sein. Die Forderung [wandte sich an das] heischte von dem hörenden Volk, dass es zu einem wahren Volke werde. Nur die Verwirklichung der Wahrheit in den [gegenseitigen] Beziehungen der Teile des Volkes zueinander, in den hgegenseitigeni Beziehungen seiner Gruppen und seiner Stände, sie allein kann Beginn der Verwirklichung der Wahrheit zwischen den Völkern [werden] ! sein, bis ein [wahrer] ! echter Bund der Völker, ein Volk von Völkern entsteht. Nur Völker, von denen jedes ein wahres Volk ist, das in Gerechtigkeit lebt, werden mit einander in eine rechtschaffene Verbindung treten können. Die Forderung heischte vom Volke Israel, auf dem Weg dieser Verwirklichung voranzugehn. Das Volk Israel hat sein Erbe, das Erbe der Forderung, von Geschlecht zu Geschlecht gehütet. Als es in seinem Lande lebte, stellte es sie den Völkern gegenüber. Und als es aus seinem Lande verbannt wurde, brachte es sie mit sich mitten unter die Völker. Es verkündete sie in seinem Bekenntnis, das treu blieb bis ins Martyrium, und es verkündigte sie durch [seinen blossen Bestand] ! seine blosse Existenz, die nicht zu vernichten war, die Existenz der Hüter des Erbes. Aber es verwirklichte sie nicht. Geschlecht um Geschlecht in Israel erfüllten die 613 Gebote, aber die Forderung – die über [aller Formulierung] ! allen Einzelgeboten steht – ist nicht erfüllt worden. Das Leben des Volkes ist nicht zu einem gerechten Leben geworden, das Volk nicht zu einem wahren Volk, das auf dem Weg der Verwirklichung vorangeht. Nur ein einziger grosser Versuch ist unternommen worden, in den beschränkten Verhältnissen des Exils ein faktisches Gemeinschaftsleben, ein brüderliches Leben der Söhne Eines Gottes zu schaffen: der Versuch des Chassidismus; aber auch er

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drang nicht bis zum Kern des sozialen Problems vor, und nach einer Weile ist es zerfallen. Auch die Gemeinde, das einzige Gesellschaftselement in dem Leben [der Gola] ! des Exils, verlor mehr und mehr von ihrem ursprünglichen Gehalt und von ihrer ursprünglichen Gestalt. Und wie könnte es noch eine wahrhaft lebendige Gemeinschaft Israels geben, wenn es keine wahrhaft lebendige Gemeinden mehr gibt? Als wir Juden aber wieder, wenn auch nur für einen kleinen Menschenhaufen, ein Leben in unserem Land und eine zwar begrenzte, aber für die Schaffung einer gerechten Gesellschaft hinreichende [Selbständigkeit] ! Unabhängigkeit erlangten, was haben wir getan? Wohl, es sind wieder wichtige Versuche unternommen worden, selbständige Formen der Assoziation sind entstanden, die [kollektive Siedlung] ! insbesondere genossenschaftliche Siedlung des Kibbuz in allen seinen Abarten, ein Ding, dem eine besondere Bedeutung in der Geschichte der modernen menschlichen Gesellschaft zukommt. Aber in welchem Maße hat diese Siedlung auf die jüdische Gesamtheit in Palästina eingewirkt? Was ist ihr Gewicht im Werden der sozialen Gestalt [des Jischuw] ! dieser Gesamtheit? Und hdie Genossenschaftssiedlung,i der Kibbuz selber in seinen verschiedenen Abarten, von der Kwuza bis zum Moschaw, ist er schon zur Stufe des wahren Brudertums gelangt? Manche Tatsachen, insbesondere der grausame Parteienstreit, zuweilen innerhalb eines und desselben Kibbuz, sprechen dagegen. Aber vielleicht kann es überhaupt in der Welt kein Brudertum ohne Vatertum oder Muttertum geben? Vielleicht kann es keine lebendige Wahrheit zwischen Mensch und Mensch geben, ohne dass sie gemeinsam die sich von oben ergiessende Wahrheit empfangen, jene Wahrheit die nicht von uns abhängt sondern wir von ihr? Sie ergiesst sich auch in diesem Augenblick und niemand empfängt sie. Unvergesslich bleibt jener Gottesspruch im Talmud auf dessen Grund wir nicht zu dringen vermögen: »Hätten sie doch mich verlassen und meine Lehre bewahrt!« Aber wenn der Lehrer auch nichts anderes begehrt als die Erfüllung seiner Lehre, so ist doch keine Erfüllung einer Lehre vollkommen, bis sie dich zu den Füssen des Lehrers führt. Geschlecht um Geschlecht hat das Volk Israel getreulich an die messianische Botschaft geglaubt, es hat sie geglaubt und verkündigt, und mitunter hat es sich auf den Ruf falscher Messiasse erhoben und ist ihnen entgegengelaufen. Aber es hat nicht verwirklicht, was [dem Menschen] ! dem Volk zu verwirklichen obliegt, den Anfang. Wohl ist es in der Hand des Himmels, das Königtum Gottes [zu vollenden] ! einzusetzen; aber die Welt für das Königtum Gottes zu bereiten, mit der Verwirklichung der Wahrheit zu beginnen, das ist ein Werk des Menschen und das Werk

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eines Menschenvolkes. Und nun ist, nach der Verkündigung ohne Verwirklichung, etwas an Verwirklichung ohne Verkündigung gekommen; denn was ist die Verkündigung einer Königreiches ohne König? [In dieser Stunde wird gefragt, ob die Herrschaft des Frevels weiter] ! In diesen Jahren ist immer wieder gefragt worden, ob die Herrschaft des Frevels weiter wachsen wird. Ihre Macht nährt sich von der Vertrauenslosigkeit des Menschengeschlechts in dieser Stunde, vom Fehlen eines Glaubens an irgendeine lebendige Wahrheit die über den Sekten und Nationen steht, vom Fehlen eines Glaubens an die Möglichkeiten eines Lebens der Gerechtigkeit [in Einheit] und des Friedens. Die Macht der Frevelherrschaft hat sich von der Verzweiflung genährt und sie wird sich von ihr nähren. Es geht nicht mehr an, ihr den Geist in der Gestalt von Rede und Verkündigung allein gegenüberzustellen, denn auch das erhabenste Wort hat heute keine belebende Kraft mehr, keine Kraft, die die Hoffnung gegen die Verzweiflung erweckt; es hat keine Geltung entgegen der Gewalt der Gewalthaber, die sich von der Verzweiflung nährt. Man kann ihr in dieser Stunde nichts anderes entgegenstellen als sie sich verwirklichende Wahrheit, als eine Verkündigung, die auf Verwirklichung gegründet ist. Der Geist Israels ist der Geist der Verwirklichung. Aber wo ist der Ort seiner Realität? Wenn er nicht selber Realität hat, hat er keine Macht in dieser Stunde. Aber nicht allein, dass wir [keine Verwirklichung] ! Juden keine zulängliche Verwirklichung der Wahrheit haben: auch bei uns zersetzt sich fortschreitend der Glaube an die Wahrheit. Tag um Tag wächst in unserer Mitte die Zahl der Menschen, die rufen: »Vorbei ist das Zeitalter der Humanität! Man kann nicht gegen den Strom schwimmen! Jene messianische Botschaft, die Forderung der Gerechtigkeit und des Friedens, all dies ist nur ein Ausdruck unserer Schwäche gewesen. Werden wir stark!« Sie haben kein anderes Verlangen als sich dem Rudel der Wölfe anzuschliessen; und nimmt man sie nicht ins Rudel auf, so ist es doch gut an seinem Rand, in seiner Nähe zu verweilen; und kann man nicht Haupt sein, so ist es doch schön Schwanz zu werden. Von allen Arten der Assimilation in unserer Geschichte ist diese die schlimmste, die gefährlichste, die nationale Assimilation. Was wir durch sie verlieren, werden wir nie zurückgewinnen. Es heisst im Talmud: »Warum heisst der Berg Sinai? Weil die ssin’a, der Hass der Völker der Welt auf ihn niedergegangen ist.« Man deutet das auf [den Hass] ! die Verhasstheit der Nationen bei Gott deswegen, dass nicht sie die Thora empfangen haben. Aber man kann sich schwer vorstellen, die Urheber des Spruchs hätten bei ihren Hörern hschlechthini

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die Kenntnis der Sage vorausgesetzt, die erzählt, die Völker hätten sich geweigert, das Joch der Thora auf sich zu nehmen. Und noch schwerer ist es sich vorzustellen, die Urheber des Spruchs hätten sagen wollen, Gott hasse die Völker der Welt, da doch an vielen Stellen ausgesprochen ist, dass es sie liebt, und es wird ja auch erzählt, dass in der Stunde, da die Thora gegeben wurde, jedes Wort sich in siebzig Sprachen aufteilte, damit alle Völker der Welt es verstehen. So scheint es mir denn erlaubt das talmudische Wort so zu deuten: Auf dem Berg Sinai, d. h. von ihm her, ist auf die Völker der Welt der Hass niedergegangen, der Judenhass nämlich. Und in der Tat, wenn wir alle [Motive] ! Beweggründe betrachten, die für den Judenhass der christlichen Völker angegeben werden, finden wir, dass sie alle oberflächlich und vergänglich sind. Und wenn wir zum Kern der Sache vordringen, finden wir, dass es nur [ein einziges Motiv] ! einen einzigen Beweggrund gibt, der in allen Epochen des Exils beharrt, einen tiefen und unbewussten Grund. Es ist dies, dass in die Mitte der Völker eines eintrat und sich unter sie alle verstreute, das die Forderung des Himmels in ein Buch geschrieben mit sich trug, und zwar ein Buch, das in der Stunde, da die Völker das Christentum annahmen, auch ihnen zum heiligen Buch geworden ist. Das ist eine einzigartige Sache in der Geschichte des Menschengeschlechts, eine seltsame und furchtbare Sache: es gibt eine Forderung des Himmels für das Verhalten des Menschen, und die Forderung ist in ein Buch eingetragen, und das Buch ist das Erbe eines Volkes, und dieses Volk, das keine Heimat mehr hat, hat sich mitsamt diesem seinem heiligen Buch, das auch all den Völkern heilig ist, unter sie verstreut. Und die Forderung steht über ihren [Häuptern] ! Köpfen, eine umfassende Forderung, die gänzlich verschieden ist von der Beschaffenheit und Lebensweise der Völker; sie steht über ihren Köpfen als die Forderung die ihr Gott an sie richtet, und sie weigern sich ihr zu gehorchen, sie wollen zwar den Gott behalten den sie angenommen haben, aber seine Forderung ablehnen h, zwar nicht als Personen, wohl aber als Völkeri. Und sie stützen sich dabei auf die Lehre eine jüdischen Mannes, Schaul von Tarsos, auch Paulus genannt, der erklärt hat, es sei nicht möglich die Thora zu erfüllen und daher solle man ihr Joch von sich tun, indem man sich einem anderen Juden anschliesst, der in seinen Tagen gestorben war und der der Messias gewesen ist, Jeschua oder Jesus mit Namen, denn der habe die Thora zugleich erfüllt und aufgehoben und er fordere von den an ihn Glaubenden nur noch den Glauben allein. Ebendies haben die Völker in den Spuren Sauls erklärt, und ihre Theologie ist zum grossen Teil nichts anderes gewesen als ein ausführlicher Kommentar zu jenem Ausspruche Sauls, des Sendlings an die Völker. Aber ihrem Widerstand

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gegen die Thora stand jenes unselige Volk, das der Juden gegenüber, in seiner Hand ein Buch, und das Buch war sein Buch, und zugleich war es ein Teil ihres eigenen heiligen Buches. [Das ist der Urgrund des christlichen Judenhasses.] ! Und ihre Theologen erklären, Gott habe dieses Volk verworfen und es habe kein Erbe mehr, sondern sein Erbe sei in [die Hände] ! den Besitz der Christenheit übergegangen; aber das Volk besteht und sein Buch ist in seiner Hand, und noch wenn sie den Scheiterhaufen besteigen sind seine Worte auf ihren Lippen. Das ist der strömende Quell des christlichen Judenhasses. Wahr ist es im Grunde, was der mittelalterliche jüdische Hymnendichter Jannai ruft: Wir werden gehasst, weil wir dich lieben, o Heiliger! Darum gab es nur einen Weg, den Hass zu vertilgen: die Verwirklichung der Wahrheit. Und wir haben sie nicht verwirklicht. Wohl haben die Christen gesehn, dass die Juden jene Gebote erfüllen, die das Leben des Einzelnen und der Gemeinde betreffen, aber sie haben sie nicht die ewige Forderung erfüllen sehen, die [das Leben des Volkes] ! das Volk als Ganzes nach innen und nach aussen betrifft, die Forderung die hgerechtei Gesellschaft zu bauen und allen Völkern trotz ihres Hasses mit Liebe zu begegnen. Hätten wir als Volk die Forderung erfüllt, und hätten den Spruch Sauls von Tarsos durch die Tat widerlegt, und hätten durch die Tat die Völker den Weg zu einem besseren Leben auf Erden gelehrt, so hätten wir aufgehört in ihren Augen ein widerspruchsvolles und verwirrendes Ding zu sein, und wären hin ihren Augen geworden was wir in Wahrheit sind:i ihr älterer Bruder [geworden]. hDie Völker haben einst, die einen freiwillig, andere gezwungen, das Evangelium angenommen. Aber zusammen mit ihm kam zu ihnen die Lehre Israels, die drei Dinge umfasst: erstens, die biblische Urgeschichte, aus der sich nicht die Geschichte der Völker, sondern die Israels entfaltet; zweitens, die Geschichte der göttlichen Offenbarung, die eine Offenbarung an das Volk Israel ist; und drittens, die messianische Weissagung, in deren Mitte das Werk des Volkes Israels für die Erlösung der Menschheit steht. Und die Evangelien selber erzählen das Leben des Erlösers, den sie verkünden, als das Leben eines jüdischen Menschen inmitten seines Volkes, und er sagt darin ausdrücklich, er sei nur für die verlorenen Schafe des Hauses Israel gekommen. Es ist eine gewaltige Last für die Völker gewesen, all dies als ihren eigenen Glauben anzunehmen, und von Zeit zu Zeit empörten sie sich dagegen. Wohl hatte Saul von Tarsos htrotz allemi die Einheit der jüdischen [Bibel und des Evangeliums] ! Lehre und der neuen Botschaft gewahrt, aber nur zwanzig Jahre nach seinem Tode wurde der Mann geboren der sie entzweiriss: der Gnostiker Markion, der sich als seinen Schüler betrachtete. Zu eben jener Zeit, als der

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Kaiser Hadrian den Aufstand der Juden unter Barkochba in einem Meer von Blut erstickte, die heilige Stadt Jerusalem in eine römische Kolonie verwandelte und an der Stätte des Heiligtums einen Tempel Jupiters errichtete, kam Markion als Kleinasier nach Rom und brachte sein Evangelium mit sich, gleichsam als einen geistigen Beitrag zur Vertilgung Israels. In seinem Evangelium riss er nicht nur Buch von Buch und die Geschichte des Christentums von der Israels ab, sondern trennte auch Gott von Gott und schied zwischen einem Gotte Israels, der auch der Schöpfer dieser schlechten Welt ist und selber schlecht, weil er nur ein gerechter Gott und kein lieber Gott sei, und dem »fremden«, unbekannten Gott, der mit dieser unserer Welt von Haus aus nichts zu schaffen hat, aber sich ihrer erbarmt und sie erlöst. Daraus ergibt sich folgerichtig die gnostische Umwertung der Werte: Diese stoffliche Welt ist wertlos und an ihre Verbesserung ist nicht zu denken. Aber es gibt noch eine andere Folgerung, die Markion nicht aussprach und vielleicht nicht bedachte: Wenn dem so ist, dann ist diese Welt ohne jede Beschränkung in die Hände des Kaisers gegeben. Jesus hatte gesagt, man solle dem Kaiser geben was des Kaisers sei und Gotte was Gottes sei; [womit das Bild der Steuermünze] ! das Gleichnis, das er sich bedient, die als Steuer herzugebende Münze, die das Bild des Kaisers trägt, zeigt deutlich, was er meinte: Lehnet euch gegen die rein äusseren Forderungen des Staatsgesetzes nicht auf, rebelliert nicht aus politischen Motiven und mit politischen Postulaten, aber bestimmet und formet euer hpersönliches und gesellschaftlichesi Leben, so sehr ihr es irgend vermöget, von der Gott ergebenen Seele aus. Markion gab dem Kaiser das Diesseits und Gott das Jenseits. In seiner Lehre wurden die Völker der Welt von der göttlichen Forderung losgemacht durch einen extremen Dualismus: auf der einen Seite die erlöste Seele, auf der anderen das Leben der Gesellschaft wie es eben ist; dort gibt es keine Gerechtigkeit, sondern Liebe allein, hier aber gibt es nicht einmal hwahrei Gerechtigkeit. Die Kirche ist nicht in den Fusstapfen Markions gegangen, denn sie wusste, dass ein Zerreissen der überlieferten Verbindung mit Schöpfung und Offenbarung ihren, der Kirche Einfluss auf die Ordnung dieser Welt erschüttern würde. Auch der Protestantismus, der sich der Lehre Markions mehr näherte, hat sie nicht angenommen. Aber im Jahre 1920 erhob sich der hrepräsentativei protestantische Theologe Harnack, der nicht etwa wie Markion ein Judenhasser, sondern der Vertreter eines breiten Liberalismus war und in diesem Zusammenhang die Ansicht hegte, mit Ausnahme von Propheten und Psalmen hindere das Alte Testament die innere Entwicklung des Christentums nach seinem liberalen Begriff, und schrieb in seinem Buch über Markion: »Das AT im 2. Jahrhundert zu

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verwerfen, war ein Fehler, den die grosse Kirche mit Recht abgelehnt hat; es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal, dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu konservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.« Drei Jahre nach Harnacks Tode ist sein Gedanke, der Gedanke Markions, zur Ausführung gelangt, aber nicht mit geistigen Mitteln, sondern mit denen der Gewalt und des Terrors: Der Staat Harnacks stellte die Kirche vor die Wahl: entweder das Judentum und dessen Geist völlig aus ihrem Innern zu entfernen und damit auf allen Einfluss und die Ordnung dieser Welt, die Ordnung der Gesellschaft und des Staates, zu verzichten oder mitsamt dem Judentum vernichtet zu werden. Das Geschenk Markions war aus den Händen Hadrians in andere Hände übergangen. Diese Hände sind inzwischen [durch andere Menschenmächte abgehackt] ! abgehauen worden. Aber wir wissen nicht, in welche Hände jenes Geschenk noch gelangen wird. Wir wissen heute nicht, wann [einmal] wieder, bald oder später, wieder hier oder anderswo, das Christentum vor die Entscheidung gestellt wird zwischen dem Verzicht, welcher der innere Tod ist, und der äusseren Zerschlagung, die in Wahrheit die Aussicht auf eine Wiedergeburt im Dunkel der Katakomben bedeutet. Aber das eine wissen wir, dass die Entfernung des Judentums aus dem Christentum auf die Entfernung der [messianischen] Forderung an die Völker und des konkreten Messianismus aus ihm hinausläuft, seine Scheidung also von der göttlichen Wahrheit, die sich auf Erden verwirklichen will. Und wir Juden?i Verboten ist uns Juden, was wir zu tun uns gewöhnt haben: [den Begriff] ! uns des Namens des Geistes Israels als Bezeichnung für den »Fürsten« unseres Volkes zu bedienen, für einen unter den gegeneinander kämpfenden nationalen Kräften. Es ist uns verboten, ihn als Maske für unsere Selbstsucht zu verwenden. Der wahre Geist Israels ist die göttliche Forderung, die in unser Herz gepflanzt ist. Wir haben uns ihrer nicht zu berühmen, sondern uns ihr zu [unterwerfen] ! beugen, denn wir haben sie verraten. Der Anfang unseres Tuns in dieser Stunde muss eine vollständige Selbstbesinnung ohne irgend ein Verschweigen sein, eine Inventaraufnahme ohne fiktive Werte. Es ist erlaubt zu fragen, was das Volk fragte, als es einst auf dem Wüstenzug kein Wasser fand: »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?«, wenn man nur mit der rechten Intention fragt, und dann [ist der Sinn der] ! bedeutet die Frage: »Ist Hingabe an Gott in unserer Mitte oder nicht?« Und Hingabe an den wahren Gott bedeutet: Wille unseres ganzen Menschentums, seine Wahrheit zu verwirklichen, das heisst: zu helfen,

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dass der Sinn der Erschaffung des Menschen sich erfülle und ein Menschenvolk entstehe, dessen König Gott ist. Wo aber wäre es uns Juden gegeben die Wahrheit zu verwirklichen, wenn nicht beim Bau der Gesellschaftsform unseres Volkes in seinem Land, von der Form der Familie und [des Stadtbezirks] ! der Nachbarschaft und des Kibbuz bis zur Form der Gesamtheit, die keine echte Gesamtheit ist, wenn sie sich nicht aus echten Familien und echten Nachbarschaften und echten Kibbuzim zusammensetzt, und das Volk ist kein [echtes] ! wahres Volk, wenn es seine Wahrheit nicht auch in echten Beziehungen, Beziehungen eines schöpferischen Friedens mit seinen Nachbarn verwirklicht. Denn das [echte] ! wahre Volk, in dem zwischen all seinen Gliedern Friede waltet, spendet von der Fülle seines Friedens auch nach aussen und hält Frieden mit den andern. Uns liegt ob die Wahrheit in einem wahren Leben dieses Volkes nach innen und nach aussen zu verwirklichen, dieses Volkes, das am Anfang seiner ersten Wanderung in sein Land, in dem Danklied für seine Befreiung den Gott der Welt zu seinem König ausrief. Das Reich der Gerechtigkeit aus dem Stoff unsres eigenen Daseins errichten, das ist die Darstellung der Wahrheit, das und nichts anderes. Wenn wir aber ernsten Willens drangehn, in unserem beschränkten Umkreis diese Verwirklichung zu üben, dann [dürfen] ! werden wir auch befugt sein, diese unsere Haltung und Strebung zu verkündigen. Dann erst werden wir befugt sein, gegen den in der christlichen Welt sich breitmachenden Dualismus – auf der einen Seite die [freie] ! erlöste persönliche Seele, auf der andern das verantwortungslose Treiben der Wirtschaft, Gesellschaft und Staat – das Leben im Dienste der Einheit auszurufen. Werden wir gleichsam mit dem [Zeigefinger] ! Finger auf die werdende Gestalt eines wahren hinzeigen können, dann werden wir auch befugt sein, die Verzweifelnden die Lehre vom Volk aus Völkern zu lehren, die Lehre vom Königtum Gottes. Variantenapparat: 329,10 höchstes] [bestimmendes] ! höchstes h2 329,12-13 Lösung] Wirkung h2 329,15 stets] im Grunde stets h2 329,17-18 begrifflichen Verständnis] [Verständnis des abstrahierenden Gedankens] ! begrifflichen Verständnis h2 329,21 , das in dem ganzen Kosmos waltet] h, das in dem ganzen Kosmos walteti h2 329,19 Konkretes hinweist] Konkretes hinweist [; es ist ja immer von Religiösem nur da rechtmässig zu reden, wo ein Bund zwischen dem Konkreten und dem Absoluten besteht.] h2

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329,23 nachgeahmt] nachgeahmt [und nachgebildet] h2 329,24 Anspruch und Sinn] [Maß und] Ordnung und Sinn h2 329,24 irdischer] [menschlicher] ! irdischer h2 329,25 Bestand] [Heil] ! Bestand h2 329,25-26 abhängt] abhängt [; das Sollen ist hier überall gleichsam] h2 329,26-28 , doch gilt das […] Abendlandes] h, doch gilt das […] Abendlandesi h2 329,32 in dem sich Wahrheit und Gerechtigkeit vereinigen] [das man mit »Gerechtigkeit und Wahrheit« zu übersetzen pflegt. Das aber letztlich einerseits die vollkommene Übereinstimmung zwischen Innen und Aussen, anderseits die Treue und Vertrauenswürdigkeit zum Inhalt hat] ! in dem sich Wahrheit und Gerechtigkeit vereinigen h2 329,33 Dike der Griechen] Dike der Griechen [(deren kleinasiatischen Ursprung wir übrigens hier besonders im Auge behalten sollten)] h2 329,36 übermenschlichen] [himmlischen] ! übermenschlichen h2 329,38 zunächst] zuinnerst h2 330,1 will es gestalten] [seine Gestaltungen darstellen] ! will es gestalten h2 330,4-5 als ein] als ein aus den Fugen geratener, aus der Art geschlagener h2 330,11 stummen Ringen] [eigentümlichen Widerstreben] ! stummen Ringen h2 330,13 er dringt vor] [die Norm erlegt sich auf und sie erliegt jeweils der Sitte, bis sie sich wieder zum Protest erhebt und protestiert] ! er dringt vor h2 330,14-15 in der jeweiligen Kampfpause] [im jeweiligen Ausgleich] ! in der jeweiligen Kampfpause h2 330,20 Prägnanz] [Intensität] ! Prägnanz h2 330,24 , etwa im goldenen Zeitalter,] h, etwa im goldenen Zeitalter,i h2 330,27 alles Werdens] [der Geschichte] ! alles Werdens h2 330,34 die Norm und das Gesetz] [ein religiös normatives] ! die Norm und das Gesetz h2 330,38-39 geheimnisvolles] [transzendentes] ! geheimnisvolles h2 330,39 gesprochen] gesprochen [, als Nein [buchstabiert] ! artikuliert, als Ja laut werdend] h2 330,41 gehörige] geheiligte h2 331,3 entscheidend] hin der Zeiti entscheidend h2 331,6 Prinzip] [normativen] Prinzip h2 331,8-9 seine eigene Grundlage] [sein eigenes Recht und] seine eigene Grundlage h2 331,10 Prinzip] [normative] Prinzip h2

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331,10-11 seiner absoluten Gültigkeit beraubt] [seiner Absolutheit] ! seines absoluten Charakters und seiner absoluten Gültigkeit beraubt h2 331,11 Norm] hheiligei Norm h2 331,13-14 symbolischen Anspruch] symbolisch-ritualen Anspruch h2 331,16 herrlichere] [die bedeutendsten] ! [herrlichsten] ! herrlicheren h2 331,16-17 als sie sie je zuvor hervorbrachte] hals sie sie je zuvor hervorbrachtei h2 331,17 ist ihr verloren] [endgültig aufgehoben] ! ist ihr endgültig verloren h2 331,18 Athen] Athen [der Sophistenzeit] h2 331,18 Hochrenaissance] italienische Hochrenaissance h2 331,22 Lebensbeziehung] [lebendigen Erfüllung und sein Dienst] ! Lebensbeziehung h2 331,22-23 aus einem die reale Existenz umfassenden] [die reale Hingabe immer mehr] ! aus einem die reale Existenz umfassenden h2 331,23-24 zu einem […] symbolischen] [aus einem […] Vollzug verdrängt] ! zu einem […] symbolischen h2 331,31 Entmächtigung des Prinzips] [Erstarrung] ! Entmächtigung des [normativen] Prinzips h2 331,32 Es war dies naturgemäß] [Ihrem geschichtlichen Sinn gemäss ist] ! Es war dies naturgemäß h2 331,33-34 der menschlichen Existenz] [des Konkreten] ! der menschlichen Existenz h2 331,36 Generation um Generation] hGeneration um Generationi h2 332,4 sorgsam gehütetet] [sublimen] ! sorgsam gehüteten h2 332,6 eins sein kann.] eins sein kann. [Das bedeutet aber auch, dass er gegen den hprunkvollen,i mit allen technischen Errungenschaften ausgestatteten und von musikalischen Glanzleistungen begleiteten Zerfall der Kultur gefeit] ! [Die Einsicht, dass die Kultur nur durch eine Wiederherstellung der im Absoluten selber gegründeten Hegemonie des normativen Prinzips zu retten ist, ist im genauen geschichtlichen Sinn die] h2 332,6 Der Prophet] [Die Propheten] ! Der Mann h2 332,7 , um Gottes willen,] h, um Gottes willen,i h2 332,8-9 zu retten.] zu retten. [Das ist die weltgeschichtliche Bedeutung der Prophetie Israels.] h2 332,11 Problematik] [künftige] Problematik h2 332,12 mahnend und warnend] hmahnend und warnendi h2 332,19 seine absoluten Geltung] [auf gewisse Gebiete beschränken] ! seine absoluten Geltung h2

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332,21-22 hinzuweisen, der in der Menschenwelt] [hinzuweisen. Hier und nur hier nimmt die geistige Führung des Volkes mitsamt allen, die ihr Folge leisten, der in Israel nichts Geistiges ertragen kann] ! hinzuweisen, der in der Menschenwelt h2 332,25 irdischen] [menschlichen] ! irdischen h2 332,39 veranschaulichen] verdeutlichen h2 333,3-4 »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.«] »Mein Sohn bist du, selber habe ich dich gezeugt.« D2 333,5 Throninhaber] [König] ! Throninhaber h2 333,11 symbolischen] [leichten] ! symbolischen h2 333,15 als der ihn] als der [Vertreter der Gottesforderung] ihn h2 333,24 Wesen der Beziehung] Wesen [der Verhältnisse zwischen] ! der Beziehung h2 333,25 noch deutlicher zu machen] [einzuführen] ! noch deutlicher zu machen h2 333,29-30 den verselbständigten Bereichen, die sich seiner Oberhoheit] [dem sie nun die Herrschaft] ! den verselbständigten Bereichen, die sich seiner Oberhoheit h2 333,33 Macht] [politischen und wirtschaftlichen] Macht h2 333,33-36 ; hier gibt […] zu erhalten] h; hier gibt […] zu erhalteni h2 333,39 Entwicklung] Entstehung der Situation h2 334,11 Menschenreich] [Menschenwelt] ! Menschenreich h2 334,13 Läuterung] [Rettung] ! [Bewahrung] ! Läuterung h2 334,23 entfaltet] entwickelt h2 334,26 rettenden] [erlösenden] ! rettenden h2 334,29 festen] ernsten h2 334,34 Lebensform] [Kultur] ! Lebensform h2 334,38-40 kund. Wie seine Stiftung […] Charakter] [kund, in der Geschichte geschichtlich eingesetzt und auch noch mit seiner höchsten Hoffnung auf eine geschichtliche Zukunft hindeutend. Wie die Offenbarung an seinem Anfang, so sieht man auch seine messianische Erfüllung als von einem geschichtlichen] ! kund. Wie seine Stiftung […] Charakter h2 335,7-8 in eine reinere Sphäre entrinnen] [entfliehen] ! in eine reinere Sphäre entrinnen h2 335,9 niederließ] [bemächtigte] ! niederließ h2 335,10 Dasein] [Leben] ! Dasein h2 335,11 Dasein] [Leben] ! Dasein h2 335,13 verhaftet waren] walteten h2 335,23 in all ihren Bereichen] hin all ihren Bereicheni h2

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335,27 war uns nunmehr dadurch verwehrt] [war uns nicht mehr ermöglicht] ! war uns nunmehr dadurch verwehrt h2 335,31 stürmenden] [schwärmenden] ! stürmenden h2 335,35-36 in das Urfundament] [die vitale Grundlage] ! in das Urfundament h2 335,38 bedeutsame] [grosse] ! bedeutsame h2 336,2 Israel] [das Volk] ! Israel h2 336,3 der Erneuerung] [des Werdens einer neuen] ! der Erneuerung h2 336,5 gewachsen!] gewachsen! [Gewiss, man möchte es in unserem Zeitalter gern umgekehrt sehen] h2 336,8 heilige Wirklichkeit] hgöttlichei Wirklichkeit h2 336,9-10 entzieht sich solcher Rede, […]. Gewiß] [wird durch solche Rede nicht angerührt. Man darf nicht von den Tagen des Messias als gekommen reden, wenn man das Geheiss der Gerechtigkeit Gottes, sie zu erfüllen, nicht vernimmt und sich nicht anschickt ihm zu gehorchen, so im Leben des Volkes mit den anderen Völkern, mit denen es in dieser Stunde und an dieser Stätte zusammengebracht worden ist, als in einem inneren Lebensaufbau.] ! entzieht sich solcher Rede, […]. Gewiss h2 336,19 Und kann dort] [Wenn doch, im eigenen Lande, der grosse religiöse Realismus, der den sozialen und den politischen mitumfasst, dem nur politischen Scheinrealismus der modernen Staaten Platz gemacht hat, den die nächste Stunde widerlegt, so ist hier in der Diaspora der Scheinrealismus der modernen [Wirtschaft] ! Selbstsucht verdrängt worden, der des modernen Menschen] ! Und kann dort h2 336,20 Kämpfe und Gefahren] [politische Kämpfe und Konflikte] ! Kämpfe und Gefahren h2 336,27 sich zersetzen zu wollen] [der Wahrheit zu zerschmelzen, [die Säulen] ! das Heilige selber zu wanken] ! sich zersetzen zu wollen h2 336,28-29 ; oder er füllt […] Programme] h; oder er füllt den [leergewordenen] ! des Sinns entleerten Raum des [Lebens] ! Daseins mit der Masse der Programmei h2 336,32 Wurzeln gelegt?] Wurzeln gelegt? [Oder nur an den X Stamm, aus dem die Wurzel noch nicht zerfallen, ein neuer Trieb aufspriessen] h2 337,17 leidenschaftlich beteuern] hleidenschaftlichi beteuern h3 337,39 Existenz gewinnt] Existenz gewinnt [und die immer wieder die Gemeinschaft zwischen ihnen zu erneuern vermag] h3 338,2 Leben bezeugt] Leben bezeugt [und die religiöse Gemeinschaft erneuert] h3 338,7 Sinn-Aufzeigung] [Ziel] ! Sinn-Aufzeigung h3

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338,8-9 Diesen Äußerungen […] sprachen.] hDiesen Äußerungen […] sprachen.i h3 338,15 Millionen?] [Millionen, dem grössten Massenmord der Weltgeschichte?] ! Millionen? h3 338,19 das Dasein] die Existenz h3 338,23 abzuhelfen geeignet erscheint] [entspricht, ihrem Mangel] ! abzuhelfen geeignet erscheint h3 338,24 seinem Gesamtweg] [seiner [Entwicklung] ! Gesamtentwicklung] ! seinem Gesamtweg h3 338,24 Dekalog] [Moses] ! Dekalog h3 338,28-19 , auch den […] suchenden,] h, auch den […] suchenden,i h3 338,33 geistig wichtige Juden] [als der Geist noch für das Leben bestimmend war, führende Juden] ! geistig wichtige Juden h3 338,35-36 wogegen heute […] jüdischer Menschen] wogegen heute [, da das Leben sich vom Geist weitgehend unabhängig gemacht hat,] die bemerkenswerten [jüdischen Sympathien] ! Sympathien geistiger jüdischer Menschen h3 338,38 erläutern] deutlich machen h3 338,40 wesentlich erschliessen] einführen h3 339,6 Simone Weil] [Mystikerin] Simone Weil h3 339,11 suchten;] [suchten, oder meinten sie gefunden] ! suchten; h3 339,13 zum Christentum] [aus der jüdischen zur christlichen Gemeinschaft] ! zum Christentum h3 339,15-17 aus Gründen […] von erheblichem] [anscheinend aus religiösen Gründen, worunter offenbar von besonderm] ! aus Gründen […] von erheblichem h3 339,25 Erlösung] [Befreiung] ! Erlösung h3 339,25-26 wäre auf einen Gott der Gerechtigkeit] wäre [es dem Judentum um die eigene Nation, dem Christentum um die Menschheit zu tun, und] ! auf einen Gott der Gerechtigkeit h3 339,26 im wesentlichen] [vor allem] ! im wesentlichen h3 339,27 Gerechtigkeit übt] Gerechtigkeit [zuteil werden lässt] ! übt h3 339,34 Tier […] denn die Kollektivität] Tier [nennt, die Kollektivität] ! nennt. Das Soziale ist ihr der Bereich Satans, denn die Kollektivität h3 339,40 ein Stammesgott] [der nie zu einer einzelnen Seele sprach] ! ein Stammesgott h3 340,7 soziale Prinzip] soziale Prinzip [in Religion und Ethik] h3 340,19 die Gruppe] die natürliche Gruppe h3 340,24-25 werden soll, daß es] werden [sollte. Dieses andere aber unter-

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scheidet sich entscheidend von allem, was wir Kollektivität nennen.] ! dass es h3 341,1-2 heißt es, »so sollst denn du ihn lieben«] so wird uns gesagt (Dt 10, 18 f.), »sollt denn ihr ihn lieben« D2 341,2 Wer Gott […] Gott liebt.] fehlt h3 341,17 der individualisiertesten Generation] dem individualisiertesten Geschlecht h3 341,29 Innerlichkeit] [Seele] ! Innerlichkeit h3 341,30 Innerlichkeit] [Seele] ! Innerlichkeit h3 341,34 aller Frömmigkeit] [allen Rituales] ! aller Frömmigkeit h3 341,36 »großen Tier«] [Kollektivismus] ! »grossen Tier« h3 342,2-3 die erschaffene Welt] [die Schöpfung] ! die erschaffene Welt h3 342,12 Beide, Bergson] [Freilich, in eine echte Beziehung kann nur ein echtes Ich eingehen, sie stiftet sich nur zwischen einem wahren Selbst und einem anderen wahren Selbst.] Beide, Bergson h3 342,31 bestritt das Ich] bestritt das Ich [, wie sie das Wir bestritt] h3 342,36-37 dem Ich des Einzelnen und dem seines Partners] Ich und Ich h3 343,8-9 ihren späteren Weg] ihre spätere Entwicklung h3 343,12 durch das der Liebe ergänzt] durch das der Liebe [göttliche Gerechtigkeit ohne göttliche Liebe und] ergänzt h3 343,13 kennt den Weg der jüdischen Religion nicht] weiss nichts von der Entwicklungslinie der jüdischen Religion h3 343,18 dem Volke] [der Volkwerdung] ! dem Volke h3 343,24-25 , die erst von der Heimführung […] werden konnte,] h, die erst von der Heimführung […] werden konnte,i h3 343,33-35 Diese Struktur […] Gemeinden aufbaute.] hDiese Struktur […] Gemeinden aufbaute.i h3 343,38 ist diese Tendenz wieder] ist auch diese Tendenz D2 344,2 Liebe] Halte lieb D2 344,3 Liebe] Halte lieb D2 344,10 deinem Genossen] [dem Menschen, dem ich wie in dir gegenwärtig bin] ! deinem Genossen h3 344,11 nicht in seiner Liebe zu dir] [in dieser eurer liebenden Begegnung werde ich dir] ! nicht in seiner Liebe zu dir h3 344,16-17 ; alles will geheiligt […] durch dich] h; alles will geheiligt […] durch dichi h3 344,25 eben hier] hier und nur hier D2 344,25 die Antwort] die zulängliche Antwort D2 344,26 Wird die Welt das merken?] [Dass die Welt das nicht weiss, liegt daran, dass damals, als die chassidische Vollendung des Judentums

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[lebende? persönliche] Existenz war, die der Ursinn der jüdischen Welt, die Welt sie nicht erfuhr] ! Wird die Welt das merken? h3 344,27 religiösen Erneuerung] [Aufnahme der Lehre in ihre] ! religiösen Erneuerung h3 344,28 Zukunft eines Volkes von Juden] Zukunft [[des Volkes] ! eines jüdischen Volkes, ja sogar die die Zukunft eines Volkes von Juden, möge er sogar die Zukunft einer Kultur verbürgen, die als jüdische Kultur bezeichnet wird, das Judentum wird] ! eines Volkes von Juden h3 345,1-2 Vierte Rede / Der Dialog zwischen Himmel und Erde] Wiederentdeckung der Bibel h4, ts 345,3 Das Wichtigste von allem] davor zusätzliche längere Textpassage Ich will zu Ihnen über die Aufgabe sprechen, die hebräische Bibel, das sogenannte »Alte Testament«, wiederzuentdecken. / Sie mögen mir entgegenhalten, dazu bestehe gar keine Veranlassung; sei uns doch dieses Buch durch und durch vertraut. Aber das eben ist es: es ist uns in einer solchen Weise vertraut geworden, dass wir es völlig zu kennen und zu verstehen meinen, dass wir genau zu wissen meinen, was darin steht, und nicht daran denken es von neuem, mit unbefangenen Augen einzusehn. Es ist wie wenn man mit einem nahen Menschen so lediglich-vertraut, so seiner gewohnt geworden ist, dass man mit ihm umgeht, als sei er eine geometrische Figur, deren Maße und Verhältnisse einem formelhaft geläufig sind. Solch ein Umgang macht die Substanz des Lebens zuschanden. Und nun gar dieses Buch, das die Jahrtausende hindurch jeder Generation etwas anderes, etwas gerade ihre besondere Situation [Angehendes] ! [Betreffendes] ! Klärendes und ihr besonderes Werk Anleitendes zu sagen hatte! Geschlecht um Geschlecht las darin neue, bislang unbekannte, und für es, gerade für es bestimmte Botschaft; und im Licht dieser Botschaft wurden die Geheimnisse der Schrift gedeutet. Erst in unserem Zeitalter hat sich diese lebendige Beziehung zum lebendigen Wort getrübt. Noch glauben wir, seine Zeichen wirklich zu lesen; in Wahrheit lesen wir über sie hinweg, sie sind mit Konvention, mit literarischer, mit historischer, mit theologischer Konvention [überschmiert] ! überstrichen. [Wir lesen nicht mehr das Ursprüngliche und Ewige, dem jeder etwas entnehmen kann, was gleichsam an ihn persönlich gerichtet und für sein persönliches Leben bestimmt ist. Wir hören die Stimmen nicht mehr.] Wohl ist der Bestand unserer philologischen, archäologischen, historischen Kenntnisse im biblischen Gebiet ungeheuer gewachsen, unser theoretisches Verständnis der Schrift ist heute von einer nie zuvor geahnten methodischen

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Genauigkeit und systematischen Umfassungskraft; doch die [Intensität] ! Unmittelbarkeit unserer Anschauung der biblischen Wirklichkeit als [massgebend] ! einer für das Leben des Menschen, für unser eigenes Leben massgebenden bleibt weit dahinter zurück. [Statt dass unser so ausgedehntes und vertieftes] ! [Wir leben nicht mehr mit der Bibel und von ihr aus. Wir lesen nicht mehr das] ! Wir lesen nicht mehr das Ursprüngliche und Ewige, dem jeder etwas entnehmen kann, was gleichsam an ihn persönlich gerichtet und für seine persönliche Existenz bestimmt ist. Wir hören die Stimme nicht mehr. / Es lässt sich dagegen vorbringen, schon eine lange Reihe von Generationen habe sich der biblischen Welt mehr oder weniger fern gefühlt, und dass unsere Zeit sich noch weiter von ihr entfernt habe, liege eben daran, dass bei der gewaltigen Umwälzung der technischen Daseinsgrundlagen, die diese Epoche kennzeichne, die Differenz zwischen der Struktur unseres Lebens und der des biblischen unvergleichlich grösser geworden ist als sie für irgendein früheres Geschlecht war. Aber es geht eben darum, dass der Einfluss dieser Umwälzung sich auf eine innerste Sphäre erstreckt, die von ihm aus nicht hätte ergriffen werden dürfen, wenn wir unsere Verbundenheit mit unserem Ursprung im religiösen Sinne bewahren wollten. [Die jüdische Religion ist ja in ihrem Wesen eine Verewigung der Geschichte. Wenn unsere grossen Erinnerungen und nur noch Begebenheiten jener Stunden und nicht auch fundamentale Wirklichkeiten unserer Gegenwart bedeuten, haben sie für uns ihren religiösen Charakter verloren. Nur wenn wir in die Gleichzeitigkeit mit der Erfahrung des biblischen Menschen eintreten, sind wir noch Juden im religiösen Sinn. Das heisst aber, dass all jene Änderung unserer Lebensbedingungen und Lebensformen letztlich zurücktreten muss [vor dem, was allen Generationen von der Wüste Sinai bis] ! vor dem unvergänglichen, dem ewigen Element in unserer Geschichte.] Damit wir von neuem zu unserem Ursprung und Seinsgrunde vordringen, müssen wir der Schrift ablauschen, was sie uns für das Leben des Menschen [überhaupt und des jüdischen Menschen im besondern zu allem] ! , wie es zu allen Zeiten und unter allen Bedingungen besteht, zu lehren hat. Gerade dann und gerade dadurch werden wir vernehmen, was sie uns [, uns Menschen und Juden von] heute zu sagen hat – was zu sagen sie sich aufgespart hat bis auf diese Stunde und nun zu sagen bereit ist, wenn wir die Ohren auftun. / Dies ist es, was ich mit der »Wiederholung der hebräischen Bibel« meine. h4 Reinschrift dieser Passage in ts 345,4 wird uns kenntlich] erkennen wir aufs deutlichste h4, ts

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Einzelkommentare

345,5 heilige Schrift Israels] hebräische Bibel h4, ts 345,10-11 , er läßt ihn […] erfahren,] h, er läßt ihn […] erfahren,i h4 345,12 Verwirklichung] [Ausführung] ! Verwirklichung h4 345,18 Visionsberichten] [Berufungsvisionen] ! Visionsberichten h4 345,20 Propheten laut wird] Propheten [, sein Widerstand gegen den schweren göttlichen Auftrag und seine schliessliche Unterwerfung,] laut wird h4 345,26 zu kennen gibt] [erfahren lässt] ! zu kennen gibt h4 345,27 dankende] [empfangende,] dankende h4 345,29-30 hebräische] jüdische D2 345,35-36 heilige Geist] heilige Geist [der Prophetie] h4 345,38 zu wissen getan] [kundgeben] ! zu wissen getan h4 346,1-2 persönlichen Erwiderung] hpersönlicheni Erwiderung h4 346,2 persönlichen Gewährung] hpersönlicheni Gewährung h4 346,8-9 Mythengebild, geistesgeschichtlich lehrreich] Mythengebild, [von dessen Einfluss sich die aufgeklärte Menschheit längst hätte freimachen sollen, oder bestenfalls eine symbolische Darstellung unseres Verhältnisses] ! geistesgeschichtlich lehrreich h4 346,15-16 ewig wechselnden,] ewig wechselnden, [unvorhersehbaren,] h4 346,28 des Menschengeschlechts] [der Völker] ! [der Menschheit] ! des Menschengeschlechts h4 der Menschheit D2 346,40 Gott führt es] Gott führt es [durch die Geschichte] h4 347,5 – so lehren die Propheten –] , wie der Prophet verkündet, h4 347,15-16 »Die Edeln der Völker versammeln sich«] »Versammelt sind die Edelen der Völker« D2 347,17 »als Volk des Gottes Abrahams«] »das Volk von Abrahams Gott« D2 347,32-33 »Du bist […] verherrliche«] »Mein Knecht bist du, das Israel du, mit dem ich prangen darf« D2 347,33 mein Knecht, das Israel] das Israel h4 347,34 Erwählten] erwählten Knecht h4 347,35 die Wahrheit der Volksexistenz] [dessen lebendige Wahrheit] ! die Wahrheit der Volksexistenz h4 348,30 vorherzusagen] zu prophezeien h4 349,12-13 der Spruch […] ist gegeben«] der bekannte Spruch Akibas h4, ts 349,36-37 sich gegen sie vergangen] an sie Hand gelegt h4, ts 349,38 hebräischen Bibel] jüdischen Bibel D2 350,17 Menschengeschlecht mitwirkt] [Mensch seinen Anteil hat] ! Menschengeschlecht mitwirkt h4 351,16 zu Gott] zu dem wahren Gott h4

An der Wende. Reden über das Judentum

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351,17-18 »Wahrlich […] Befreier!«] »Gewiß, du bist eine Gottheit, die sich verbirgt, Israels Gott, Befreier!« D2 351,25 kennt] [unterscheidet] ! kennt h4 351,29 selten geworden, Schauung brach nicht durch] kostbar geworden, keine Schauung brach durch D2 351,37 erkennt] kennt D2 351,41-352,1 menschliche Untreue] [menschlichen Verrat] ! menschliche Untreue h4 352,3 widerstreben] [Widerstand leisten] ! widerstreben h4 352,5 Gottesatems] [Gotteshauchs] ! Gottesatems h4 352,6 scheinen] sind h4, ts 352,17 Angesicht] Gesicht h4 352,23-24 Der ganzen Erde] Aller Erde D2 352,31 In dieser Zeit] davor Absatzwechsel D2 352,36-37 Kann man ihn noch anrufen?] Kann man sein Wort noch hören? Kann man überhaupt noch, als Einzelner und als Volk, in das dialogische Verhältnis zu ihm treten? Zu gross, zu gross ist die Ferne! / Wir haben nichts als ein Buch in Händen. Wir halten es und öffnen es und schliessen es und öffnen es wieder. Kann es uns Genüge tun? h4, ts 353,11-21 Und wir? […] Herrn wiedererkennen.] Kann das Lesen in einem Buche dazu helfen, dass das geschehe? Kann es dem Hiob der Gaskammern dazu helfen? Aber kann es uns selber dazu helfen? Auf uns selber, auf jeden von uns kommt es zu allererst an. Vermögen wir selber das Wort so lebendig nachzusprechen, so leibhaft es durch unsern eigenen Mund in unsre Ohren dringen zu lassen, dass wir darin die Stimme der Stimmen ertönen hören? Vermögen wir es, so wird ein menschlicher Anfang getan sein, ein menschlicher Grund wird gelegt sein. / Versuchen wir doch, auch nur einen einzigen Spruch einer Gottesrede der Schrift so auszusprechen, dass durch die sterbliche Kehle die Wahrheit wieder zum Laut wird! Etwa jener Redeanfang »In der Höhe und heilig wohne ich – und bei den Zermalmten und am Geist Erniederten«! Wenn es uns gelänge, das eine Wörtchen »und«, im Hebräischen ein einziger fast tonloser Konsonant, so in Wahrheit zu sprechen und zu vernehmen, es begänne aller Welt kund zu werden, dass er trotz allem, trotz allem, trotz allem wirklich bei dem Zermalmten und am Geist Erniederten wohnt. [Denn er verbirgt sich ja trotz allem nur so, wie es von dem Geliebten im Hohelied heisst: »Sieh, da steht er hinter unsrer Mauer.«] / 6. / Das Zwiegespräch zwischen Himmel und Erde ist die Lebenssubstanz der hebräischen Bibel. Wer es wahrhaft in sich aufnehmen will,

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Einzelkommentare

muss das geschriebene, das gedruckte Wort durch seinen eigenen Mund in gesprochenes zurückverwandeln. Denn mag es etwa bei jedem anderen Buch der Welt genügen, es leise zu lesen ohne die Lippen zu bewegen, dieses verlangt je und je unsre Sprachwerkzeuge, um uns wieder lebendig zu werden. Es ist von elementarer Bedeutung, dass Gott dem Nachfolger Moses’ nicht gebietet, das Buch der göttlichen Unterweisung solle nicht aus seinen Augen, sondern, es solle nicht aus seinem Munde weichen, es solle darin »murmeln tages und nachts«, und dass der erste der Psalmen dem gottgetreuen Manne, dessen Wege Gott »erkennt«, nichts Höheres als eben dies nachzusagen weiss. Wer das biblische Gotteswort mit der ganzen Seele nachspricht, vernimmt es als das Wort Gottes an ihn. h4 Reinschrift dieser Passage in ts Wort- und Sacherläuterungen: 320,4-5 mit einer Vorrede] Vgl. in diesem Band, S. 27-32. 321,12-13 Es gibt eine jüdische Überlieferung […] Welt gesetzt sind.] Vgl. z. B. Targum Jerushalmi zu Dtn 32,8 f. (Vgl. die Englische Übersetzung, Targum Pseudo-Jonathan, Deuteronomy, [The Aramaic Bible 5b] übers. und kommentiert von Ernest G. Clark, Collegeville/MN, S. 90). ShirR zu Hhld 2,1; vgl. Wünsche (Übers.), Der Midrasch Schir Ha-Schirim, S. 70. 322,34-38 nur wenn wir mit dem Wort »Geist« […] dann haben wir Bestand.] Zu diesem Gedankengang vgl. Bubers Gedicht »[Sieg? Kampf? Wer gegen wen?]«, dessen Übersetzung aus dem Hebräischen in MBW 7, S. 532-534 abgedruckt ist. 323,12-13 Und wenn die Völker […] einander sühnen.] In dieser Form nicht nachgewiesen. Der hebräische Druck weicht hier ab: »unser Ziel ist der Friede, in dem alle miteinander verbunden sind, nach einem Spruch unserer Weisen wie die vier Arten im Feststrauß (zu Sukkot) und sie einander sühnen.« Vgl. hierzu WaR, Paraschat Emor, XXX,12 mit Zitat von Amos 9,6. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 274,24-25. 326,1 ein hebräischer Dichter des frühen Mittelalters] Gemeint ist Jannai, einer der ältesten namentlich bekannten Dichter von synagogalen Gesängen (Pijutim), der vermutlich in Palästina im 6. Jh. lebte. 326,1-2 Wir werden gehaßt, weil wir dich lieben, Heiliger!«] Qedushta for Genesis 29:31, in: Laura S. Liebler, Yannai on Genesis. An Invitation to Piyyut, Cincinnati 2010, S. 541-549, hier S. 546. Aus einem synagogalen Gesang zu Gen 29,31 von Jannai.

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326,17-19 als zu den »abgeirrten« […] Hauses Israel gesandt] Vgl. Mt 10,6; 15,24. 326,25 Marcion] Vgl. Wort. und Sacherläuterung zu 72,42. 326,26 Hadrian] (76-138): römischer Kaiser seit 117 n. Chr. 326,26 Aufstand Bar Kochbas] Vgl. Wort- und Sacherläuterung zu 113,7. 327,1-2 Jesus hieß seine Anhänger […] Gottes ist, geben.] Vgl. Mt 22,21; Mk 12,17; Lk 20,25. 327,14 Adolf von Harnack] (1851-1930): einflussreicher liberaler prot. Theologe; Verfasser einer bis heute maßgeblichen Dogmengeschichte sowie einer in hoher Auflage erschienenen Schrift Das Wesen des Christentums, auf die Leo Baeck als Entgegnung Das Wesen des Judentums schrieb. 327,18-21 »Das Alte Testament […] kirchlichen Lähmung.«] Vgl. Adolf von Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott. Eine Monographie zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche, Leipzig 1921, S. 248 f. 327,30-38 Inzwischen sind diese Hände […] Messianismus bedeutet.] Diese Passage fehlt in der hebräischsprachigen Erstveröffentlichung vom 30. Dezember 1938. 328,9-10 »ob Gott in unserer Mitte wese oder nicht«] Ex 17,7. 333,3-4 »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.«] Ps 2,7. 333,9-12 daß am Neujahrsfest, als an dem Tage, [..] auf die Wange versetzte] vgl. Das Ritual am Neujahrsfest, in: Hugo Gressmann (Hrsg.), Altorientalische Texte zum Alten Testament, Berlin u. Leipzig 1926, S. 295-303, hier S. 302. 333,17 in dem Gottesspruch] II Sam 7,14-16. 336,31-32 die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt?] Vgl. Mt 3,10; Lk 3,9. 338,41 Bergson] Henri Bergson: franz. Philosoph; bedeutender Vertreter der Lebensphilosophie. Mit Bergsons philosophischem Werk hat sich Buber 1943 in seinem Vorwort zu einer hebräischen Auswahl der Schriften Bergsons auseinandergesetzt. Der Schlussteil dieses Textes erschien auf Deutsch unter dem Titel »Zu Bergsons Begriff der Intuition«, in: Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 220-228 (jetzt in: MBW 12, S. 214-218; im Kommentar, S. 640-649, findet sich die Übersetzung des in der deutschen Ausgabe fehlenden ersten Teils). 339,6 Simone Weil] (1909-1943): franz. Philosophin, die in den 1930er Jahren zunächst anarchistisch-pazifistisch engagiert war. Aus Solidarität mit den Arbeitern arbeitete sie in der Fabrik und stellte ihre Erfahrungen mit den monotonen Abläufen in La Condition ouvrière

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Einzelkommentare

(1937) dar. Seit ungefähr 1939 wurde sie zu einer christlichen Mystikerin, ohne sich der Kirche anzuschließen. 339,17-18 daß ihr die Kirche noch zu jüdisch erschien.] Vgl. »Elle [la chrétienté] s’est attachée à Jéhovah autant qu’au Christ«. La pesanteur et la grâce, avec une introduction par Gustave Thibon, Paris 1951, S. 189. Dieser mit »Israël« überschriebene, dem Judentum gegenüber sehr feindselige Abschnitt, S. 189-193, wurde in der deutschen Übersetzung Schwerkraft und Gnade, München 1952, weggelassen. 339,33-34 Kollektivität, die sie, […] das große Tier nennt.] Buber bezieht sich im Folgenden auf den Abschnitt »Le gros animal«, in: La pesanteur et la grâce, S. 182-188. (In deutscher Übers.: Das große Tier, in: Simone Weil, Schwerkraft und Gnade, München 1952. S. 264-273.) Der Bezug zu Platon geht auf Politeia, 6. Buch, 493 B-C. 339,37-41 In dem alten Rom […] vergottete Nation] Vgl. Simone Weil, La pesanteur et la grâce, S. 185 (deutsch: Schwerkraft und Gnade, S. 268). 339,41-340,3 Den Pharisäer […] »der aus Gehorsam dem großen Tier gegenüber tugendhaft ist.«] Vgl. ebd., S. 188 (Schwerkraft und Gnade, S. 272). 340,3-6 Und alles, was ihr in der neueren Geschichte […] »Totalitarismus« Israels nannte.] Vgl. insbesondere Simone Weil, La pesanteur et la grâce, S. 190: »Les atrocités, l’Inquisition, les exterminations d’hérétiques et infidèles, c’était Israël. Le capitalisme, c’était Israël […] Le totalitarisme, c’est Israël.« Sowie S. 192: »Les juifs, cette pognée de déracinés a causé le déracinement de tout le globe terrestre. […] Et l’Èurope déracinée a déraciné le reste du monde par la conquête coloniale. Le capitalisme, le totalitarisme font partie de cette progression dans le déracinement.« 341,1-2 »Gott liebt den Fremdling« […] du ihn lieben«.] Vgl. Dtn 10,18 f. 341,4 »bis zum Exil zu niemands Seele gesprochen«] Weil, La pesanteur et la grâce, S. 189. 341,20-22 Es ist der älteste der Schriftpropheten […] angeführt werden] Am 9,7. Das Auftreten des Propheten Amos wird ungefähr auf die Mitte des 8. Jh. v. Chr. datiert. 341,27-28 »der Anfang seiner Ernte.«] Vgl. Jer 2,3. 342,6-8 Darum wird […] Schöpfung genannt.] Vielleicht bShab 119b oder bShab 10a (BT, Bd. I, S. 459 u. 803) mit mAv I, 18 (BT, Bd. IX, S. 667). 342,16-18 sie den Gott Israels […] »übernatürlichen« Gott nennt] Weil, La pesanteur et la grâce, S. 12 (dt.: Schwerkraft und Gnade, S. 71).

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»Er macht Frieden«

342,32-34 »Wir besitzen […] was wir zerstören sollen.«] Ebd., S. 29 (dt.: Schwerkraft und Gnade, S. 88). 343,2-3 »Man soll nicht Ich sein, aber man soll noch weniger Wir sein.«] Ebd., S. 45 (dt.: Schwerkraft und Gnade, S. 108). 344,3-4 »Liebe deinen Genossen dir gleich, ich bin der Herr.«] Lev 19,18. 344,9-12 »Ich bin der Herr […] in deiner Liebe zu ihm.«] In dieser Form konnte das Zitat nicht nachgewiesen werden. Zum Gedankengang vgl. Bubers Aufsatz »Gottesliebe und Nächstenliebe im Chassidismus«, Neue Wege, 41. Jg., Nr. 7/8, Juli/August 1947, S. 330-345 (jetzt in: MBW 17, S. 217-232). 346,33-34 es soll ein »heiliges Volk« werden.] Vgl. Ex 19,6. 347,18 »der Vater der Völkermenge«] Gen 17,5. 349,14 »Alles steht in der Sicht, und die Befugnis ist gegeben«] mAv III,18 (BT, Bd. IX, S. 673). 349,30 er habe Uria »mit dem Schwert erschlagen«] Vgl. II Sam 12, 9. 349,32 »Bin ich der Hüter meines Bruders?«] Gen 4,9. 349,34 »Ich habe an dem Herrn gesündigt«] II Sam 12,13. 350,15-16 was der Psalm meint, […] Gottes »erzählen« läßt] Vgl. Ps 19,2. 350,40 Kyros] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 206,31-32. 352,22 »Steh auf, Gott, richte das Erdreich!«] Ps 82,8. 352,24-25 »Der ganzen Erde Richter, wird er nicht das Recht tun?!«] Gen 18,25. 352,39-40 »Rufet ihn an, denn er ist gütig, denn ewig währt seine Gnade«?] Ps 136,1. 353,1 »sein Recht beseitigt habe«] Hi 34,5. 353,5-6 »sein Auge ihn sieht«] Vgl. Hi 42,5. 353,19-20 komme sie aus dem Sturm oder aus einer Stille] Vgl. I Kön 19,11 f.

»Er macht Frieden« Am 23. Mai 1953 beging Leo Baeck seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass erschien im Rahmen der A. J. R. Information, des Publikationsorgans der Association of Jewish Refugees in Great Britain, eine dem Jubilar gewidmete Ausgabe, zu der auch Buber einen kleinen Beitrag beisteuerte. In diesem ehrt Buber Baecks Hingabe an den Frieden, indem er einen rabbinischen Midrasch zitiert, in welchem Gott für Frieden zwischen den Engeln und den Himmelskörpern bei der Erschaffung der

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Einzelkommentare

Welt sorgte. Der biblische Passus, auf den sich diese Lehre stützt, ist ein viel verwendeter Gebetsbestandteil (Hi 25,2). Buber beklagt, dass die Menschheit die ursprünglich von Gott eingesetzte Friedensordnung zerstört habe. Demgemäß sei es die Aufgabe des »Menschengeschlechts« sich der Herbeiführung des wahren Friedens, der mehr sei als die Beendung militärischer Feindseligkeit, zu widmen und so die göttliche Schöpfung zu erneuern. Zu weiteren Gratulanten gehörten u. a. der Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963), Rabbiner Max Grünewald (1899-1992) und der Erzbischof von Canterbury. Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 102); 1 loses Blatt, einseitig beschrieben mit blauem Stift; mit Korrekturen versehen. 2 H : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 102a); 1 loses Blatt, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit wenigen Korrekturen versehen. Reinschrift von H1. D: A. J. R. Information, 8. Jg., Nr. 5, 8. Mai 1953, S. 2 (MBB 927). Druckvorlage: D Variantenapparat: 354,1 »Er macht Frieden«] fehlt H1 354,6 im Angesicht der Glorie] [vor der Glorie] ! im Angesicht der Glorie H1 354,7 Die Sonne gönnt sich dem Mond] [Sonne und Mond] ! Die Sonne gönnt sich dem Mond H1 354,8-9 gegensätzlichen Elemente] hgegensätzlicheni Elemente H1 354,9,10 »gemacht« […] machte] h»gemacht« […] machtei H1 354,14-15 aus Unfrieden […] macht] [aus Unfrieden Frieden macht] ! aus Unfrieden […] macht H1 354,15-17 – nicht des leeren Nichtkriegs […] schöpferischen –] h– nicht des kleinen, des leeren Nichtkriegs […] schöpferischen –i H1 354,15 des leeren] des kleinen, des leeren H1 [des kleinen,] des leeren H2 Wort- und Sacherläuterungen: 354,5 Michael] Name eines Erzengels, vgl. Dan 10,13 u. 21; 12,1. 354,5-6 Gabriel] Vgl. ebd., 8,16 f.; 9,21.

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»Fuer das Ganze zeugend«

Greetings to Dr. Mordecai M. Kaplan Die auf Tonband aufgenommene Ansprache Bubers wurde mit Diplomatenpost befördert und bei einem Festessen zu Ehren des Gründers des »Reconstructionist Judaism« Mordecai Kaplan (1881-1983) abgespielt. Diese religiöse Strömung innerhalb des amerikanischen Judentums war bestrebt, traditionelle Inhalte der jüdischen Religion mit den Entwicklungen der Moderne zu verbinden, ohne jene preiszugeben. Buber spielt auf Kaplans Devise »Reconstructionism« an und dessen lebenslanges Bemühen, das Diasporaleben wiederaufzubauen, was bildlich gesprochen teilweise einer Reparatur, teilweise einem Neubau nach alten Plänen entspräche. Buber führt weiter aus, dass es zwei grundsätzliche Realitäten gebe: die Reparatur der Diaspora und den Aufbau eines neuen Heimatlandes in Israel. Die erste habe ihre Grundlage im »historischen Gedächtnis«, der zweite im kollektiven »Lebenswillen«, in einer modernen politischen Form. Buber erhofft sich eine neue und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Diaspora und dem Staat Israel. Textzeugen: D: The Reconstructionist, 22. Jg., Nr. 6, 4. Mai 1956, S. 17 (MBB 1033). Druckvorlage: D

»Fuer das Ganze zeugend« Bubers kurzer Text entstand anlässlich des Todes von Leo Baeck am 2. November 1956 und ist wie auch der Gruß zu Baecks 80. Geburtstag in der A. J. R. Information erschienen. Buber zitiert Baecks Feststellung, dass im hebräischen »Treue, Wahrheit und Glaube ein und dasselbe Wort« sind. Die hebr. Wurzel ist aman, die nach Bubers Dafürhalten am besten mit »Beharren« wiederzugeben ist, wie er anhand der angeführten Beispiele zeigt, mit denen er den Charakter Baecks zu beschreiben sucht. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var 350 02 102a); 1 loses Blatt, doppelseitig beschrieben mit blauem Stift; mit wenigen Korrekturen versehen. D: A. J. R. Information, 11. Jg., Nr. 12, Dezember 1956, S. 5 (MBB 1031). Druckvorlage: D

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Einzelkommentare

Variantenapparat: 357,1 »Fuer das Ganze zeugend«] fehlt H 357,6 Der Wurzelsinn] [Die Wurzel] ! Der Wurzelsinn H 357,7-8 Amalekschlacht] [Schlacht gegen Amalek] ! Amalekschlacht H Wort- und Sacherläuterungen: 357,2-3 »In der Sprache dieses Volkes,« […] dasselbe Wort.«] Vgl. Leo Baeck, Dieses Volk. Jüdische Existenz, in: Leo Baeck, Werke, Bd. 2, hrsg. von Albert Friedlander u. Berthold Klappert, Gütersloh 1996, Erstes Buch, S. 150 (Seitenzählung des Erstdrucks S. 179). 357,7-8 Die Haende Mose blieben […] »ein Beharren.«] Vgl. Ex 17,11 f. Das hebr. Wort, das hier mit »ein Beharren« wiedergegeben ist, ist emuna, was sonst »Vertrauen«, »Treue« oder »Glauben« bedeutet.

Gershom Scholem – 60 Jahre alt Diese kleine Würdigung Scholems anlässlich seines 60. Geburtstags erschien im Kultur- und Literaturteil der hebräischen Tageszeitung Haaretz am 6. Dezember 1956. Buber stellt Scholems Verdienste als Gründer einer neuen akademischen Disziplin, der Erforschung der Kabbala (der jüdischen Mystik) heraus, sowie dessen Erschließung neuer Dimensionen in der historischen Erforschung des jüdischen Messianismus. Textzeugen: D: Gershom Scholem ben ha-Schischim [Gershom Scholem sechzig Jahre], Ha-aretz, Beilage Tarbut we-sifrut [Kultur und Literatur] vom 6. Dezember 1956. Druckvorlage: Übersetzung aus dem Hebräischen von Simone Pöpl. Wort- und Sacherläuterungen: 358,9-10 Und tatsächlich weicht meine Meinung weit von der Scholems ab.] Die hier angedeuteten Meinungsverschiedenheiten führten zur sogenannten Buber-Scholem Kontroverse um die Deutung des Chassidismus, vgl. hierzu Susanne Talarbadon, Einleitung, in: MBW 17, S. 37-40, sowie den Einzelkommentar zu »Zur Darstellung des Chassidismus«, ebd., S. 536-539.

Funktion des Geistes in der Geschichte

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Funktion des Geistes in der Geschichte Der Text ist ein Beitrag zu einer Festschrift von Robert Weltsch (18911982), in dem Buber auf eine mehr als 50jährige Zusammenarbeit zurückblickt, in der beide darum bemüht waren, den Geist in der Geschichte zu fördern. Die erste der drei wichtigsten Stadien in ihrer Zusammenarbeit war zunächst jene, als Robert Weltsch in dem Verein Bar Kochba der Prager jüdischen Hochschüler aktiv war und Buber vor diesem Kreis die ersten Drei Reden über das Judentum hielt (vgl. Bd. 3, S. 219-256). Eine zweite Etappe bildet ihr gemeinsamer Kampf gegen den Nationalsozialismus, in dem Robert Weltsch als unerschrockener Herausgeber der Jüdischen Rundschau tätig war (vgl. den einleitenden Kommentar zu »Martin Buber schreibt uns«, jetzt in diesem Band, S. 455) und Buber die Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung (vgl. »Unser Bildungsziel«, Bd. 8, S. 245248) leitete. Das dritte Stadium ist der Weiterentwicklung eines »spezifisch jüdischen Humanismus« innerhalb Israels gewidmet (vgl. den Aufsatz »Hebräischer Humanismus«, jetzt in diesem Band, S. 147-158). Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 155); 1 loses Blatt, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Die Handschrift enthält einen Entwurf des Briefes an Robert Weltsch, der sich in einigen Aspekten mit H2 und D berührt, insgesamt aber einen eigentständigen Text darstellt. Im Folgenden wird H1 darum abgedruckt. 2 H : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 155); 1 loses Blatt, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 155); 1 loses Blatt. Das Typoskript ist zweischichtig: TS1.1: Grundschicht. TS1.2: Überarbeitungsschicht: Korrekturen von Bubers Hand. D: Robert Weltsch zum siebzigsten Geburtstag, Tel-Aviv: Bitaon Publishing 1961, S. 207-208 (MBB 1171). Druckvorlage: D Abdruck von H1: Lieber Freund Robert Weltsch – Es mag Sie vielleicht einen Augenblick lang wundern, dass ich Ihnen zu Ehren oder vielmehr Ihnen zu Liebe diesen im März 1939 [veröffentlich-

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Einzelkommentare

ten] Aufsatz ! [zum Wiederabdruck bringe] in der Jüdischen WeltRundschau veröffentlichten Aufsatz zum Widerabdruck bringe. Dann aber werden Sie verstehen: es geschieht, um denen, die dies jetzt lesen werden, an diesem zentralen Beispiel deutlich zu machen, worin Ihr Werk, worin aber auch die Gemeinschaft zwischen Ihnen und mir [wesentlich] ! recht eigentlich bestanden hat. Die Sache, an der man tätig teilnimmt, doch zugleich mit solcher Unbefangenheit [betrachten, dass man je und je erfassen, dass man jeweils die] ! innesein, dass man immer wieder die Problematik ihrer jeweiligen Verwirklichung mit der [hellen] ! ungeteilten Wahrheit ihres Wesens konfrontiert und mitten im Dienst an der Wirklichkeit sich für die Wahrheit hnach Kräfteni einsetzt, [so gut man kann] – so darf ich wohl diese fast paradoxe Aufgabe bezeichnen, die [wir und alle] ! uns und den uns Gesinnungsnahen gemeinsam war und geblieben ist. So war es in jenen »Prager« Tagen [(1909-1918)], als uns die Einsicht verband, dass Wiederherstellung des Volkstums ohne ein Grosses Werk der Volkserziehung Stückwerk bleiben muss; so in jenen Tagen Hitlers, [aus denen dieser Aufsatz über die »Symbiose« stammt da wir] von denen mein »Symbiose«-Aufsatz handelt, [den Tagen] ! der Zeit, da die Jüdische Rundschau und ich die Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung leitete und da [alles] es darauf ankam, unser Mentschentum nicht von den untermenschlichen Scharen verderben zu lassen, dass wir mit den Wölfen heulen – nur eben auf Jüdisch – heulen; und so ist es seit der Errichtung des Staats Israels, dessen historisches [Schicksal] ! Verhängnis es war, [aus der Reaktion auf] ! dass er nicht aus unserem selbeignen Werk, sondern aus der von der Geschichte uns aufgezwungenen Reaktion auf die Katastrophe erwuchs und den wir X nicht den Weg aller Staaten gehen lassen dürfen. Auch dieser kritische Dienst ist uns, lieber Freund, gemeinsam. Mögen Sie ihm noch lange erhalten bleiben. Variantenapparat: 359,9 teilgenommen] [beteiligt] ! teilgenommen H2 359,11 problematischen] [problematischen] ! fragwürdigen H2 fragwürdigen TS1.1 359,13 sind es] [scheinen mir die] ! sind es H2 359,13-14 so betrachtet werden wollen] offenkundig fordern, dass ich hier von ihnen rede H2, TS1.1 359,14 anhebende] [zu Tage tretende] ! anhebende H2 359,25-26 , das, statt mit den Wölfen […] bereitet] h, das, statt mit den Wölfen […] bereiteti H2

Über die Ewigkeit und den Augenblick

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359,28-30 ihn, der wohl […] bestimmt worden ist,] h ihn, der wohl […] bestimmt worden ist [und den wir doch nicht den verhängnisvollen Weg aller Statten gehen lassen dürfen],i H2

Über die Ewigkeit und den Augenblick Die Dankesrede zum Empfang des Bialik-Preises, der bedeutendsten Auszeichnung für Literatur und Wissenschaft des Judentums, ist in mehreren hebräischen Zeitungen erschienen. Die Publikation, die für die Übersetzung in diesem Band verwendet wurde, erschien in La-mirchav unter dem Titel »Al ha-netzach we-harega« am 22. Dezember 1961. In seiner Rede reflektiert Buber die beiden Werke, für die er den Preis erhalten hat: Teʿ uda we jiʿ ud, eine zweibändige Ausgabe seiner jüdischen und zionistischen Schriften (der überwiegende Teil dieser Schriften ist in Der Jude und sein Judentum enthalten) sowie Or ha-ganuz, der hebräischen Ausgabe seiner Erzählungen der Chassidim (jetzt in: MBW 18). Buber unterstreicht sein lebenslanges Bemühen, die »ewigen« Fragen mit den existenziellen, konkreten Lebensrealitäten zu verbinden. Die »Scheidung« zwischen diesen beiden Bereichen sei das Grundproblem der Zeit, dessen Überwindung das vordringlichste Ziel. Buber geht sodann einer Erinnerung an ein Gespräch mit Chaim Nachman Bialik (1873-1934) im Jahr 1927 nach, in dem Bialik ihm zustimmte, dass man, um den Reichtum der jüdischen Tradition für die Erneuerung des jüdischen Volkes zu nutzen, ihn neu darstellen und neu formulieren müsse. Indem er sich diesem Ideal widme, fühle sich Buber dem »Dichter« nahe, zu dessen Ehren dieser Preis benannt wurde. Textzeugen: D1: Al ha-netzach we-harega [Über die Ewigkeit und den Augenblick], La-mirchav vom 22. Dezember 1961; in der Literaturbeilage Massa (MBB 1184a). D2: Bejn ha-netzach u-wejn ha-rega [Zwischen der Ewigkeit und dem Augenblick], Haaretz vom 22. Dezember 1961 (MBB 1184a). D3: Du-siach bejn ha-netzach we-ha-rega [Dialog zwischen der Ewigkeit und dem Augenblick], Al Ha-mischmar vom 22. Dezember 1961, S. 5 (MBB 1184a). D4: Ma natna li ha-chassidut ha-mechudeschet [Was gab mir der erneuerte Chassidismus], Davar vom 22. Dezember 1961, S. 6 (MBB 1184a).

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Einzelkommentare

Druckvorlage: Übersetzung von D1 aus dem Hebräischen von Simone Pöpl. Wort- und Sacherläuterungen: 360,8 Teʿ uda we-jiʿ ud] Der Titel könnte auf Deutsch mit »Zeugnis und Bestimmung« wiedergegeben werden. Band 1 mit dem Untertitel Maʾ amarim al injane ha-jahadut erschien 1959 mit einem Vorwort von Robert Weltsch, Band 2 mit dem Untertitel Maʾ amarim al injane ha-schaʿ a erschien 1961 mit einem Vorwort von Ernst Simon. 360,30 »Or ha-ganuz«] Das hebr. Pendant zu Die Erzählungen der Chassidim. 361,22-23 »Das, womit er sich in ebendieser Stunde beschäftigte, war ihm die Hauptsache.«] Vgl. »Das Wichtigste«, in: Buber, Die Erzählungen der Chassidim, S. 647 (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [899]). 361,35-39 Als man vor ihm einmal […] gestillt werden.«] Vgl. »Das Eine«, in: ebd., S. 228 (jetzt in: MBW 18.1, Nr. [192]). 362,13 Seine Wertschätzung der Halacha] Wahrscheinlich fehlerhaft für Aggada. Halacha sind die gesetzlichen Bestimmungen und die diesbezüglichen Diskussionen. Bialik ist aber als Sammler aggadischen Materials, d. h. erzählerischer und auslegender Texte bedeutend. Vgl. sein umfangreiches Werk Sefer ha-Aggada.

Anhang Der Glaube an die Wiedergeburt 1925 kam vom 20. bis zum 25. Juli im niederländischen Amersfoort ein Arbeitskreis zusammen, an dem auch Buber auf Einladung des Psychologen Hans Trüb (1889-1949) teilnahm und zum Thema »Der Glaube an die Wiedergeburt« eine kleine Reihe von Vorträgen hielt. Dabei handelte es sich um, wie Hans Kohn sie nennt, »freie Lehrkurse« (Hans Kohn, Martin Buber, S. 364), die er folgendermaßen charakterisierte: »Hier prägte sich Bubers Art am reinsten aus: in der unmittelbaren Anrede an den Hörer, in der Aussprache mit ihm, in der Verbundenheit durch das Wort.« (Ebd., S. 239.) Ähnliche Veranstaltungen wurden 1924 in Ascona zu Lao-TseTung (jetzt in MBW 2.3, S. 227-268) und im Stuttgarter Jüdischen Lehrhaus zur Jahreswende 1928/29 abgehalten (vgl. Kohn, Martin Buber, S. 364). In einem Brief vom 12. August 1925 resümiert Hans Trüb die Zusammenkunft in Amersfoort: »Tagtäglich ziehen meine Gedanken zurück nach Amersfoort und verweilen von Herzen gern überall da, wo Sie mit

Der Glaube an die Wiedergeburt

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uns gegangen sind. Amersfoort wird in uns allen nie verlöschen können. Es war ja nur eine kleine Woche; aber dieses Licht leuchtet in unser ganzes vergangenes und künftiges Leben hinein.« (B II, S. 235.) Laut einem Vermerk in ts1 scheint es sich bei den erhaltenen Typoskripten nicht um eine stenographische Mitschrift der Rede Bubers zu handeln, sondern der Text nachträglich basierend auf Notizen Dritter erstellt worden zu sein. Deshalb wird dieser hier als »Anhang« zu den veröffentlichten Schriften Bubers abgedruckt. Die Unterteilung in sechs einzelne Abschnitte könnte auf die verschiedenen Vorträge der Reihe vom 20 bis zum 25. Juli verweisen. Textzeugen: ts1: unvollständiges Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 07 65); 1 loses Blatt, mit wenigen handschriftlichen Korrekturen versehen. Unter der Überschrift mit dem Vermerk versehen: »Notizen von Hans Trüb-Wolff und Gertrud Roth. / Schreibmaschinen-Kopie von Heinr. E. Escher.« Darunter die handschriftlich ergänzte Widmung: »Herrn Dr. M. Buber in herzlicher Verehrung gewidmet vom unsicheren Kopisten H. H. E.« Der erhaltene Text ist identisch mit dem ersten Abschnitt von TS2 (»Unter Glauben verstehen wir […] diese Frage nicht«). TS2: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 07 65); 17 lose paginierte Blätter; einseitig beschrieben. Es handelt sich vermutlich um die Reinschrift von ts1. Das Typoskript ist zweischichtig: 2.1 TS : Grundschicht. TS2.2: Korrekturschicht: wenige Korrekturen von Bubers Hand. Druckvorlage: TS2.2 Variantenapparat: 378,36 die Lehre Jesu] die Lehre Christi TS2.1 380,5 die Person Jesu] die Person Christi TS2.1 Wort- und Sacherläuterungen: 366,23 Adoratus] Lat.: »der Angebetete«. 367,8 Bekehrung von Paulus vor Damaskus] Der Apostelgeschichte zufolge soll Paulus auf dem Weg nach Damaskus, wo er die jüdischen Gemeinden von urchristlichen Strömungen befreien sollte, dem auferstandenen Jesus begegnet sein, womit seine Bekehrung eingeleitet worden sei. Paulus selbst indes spricht in seinen Briefen lediglich von einer inneren Offenbarung.

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Einzelkommentare

369,9 Radjatum] Raja: Herrschaftstitel in Indien und Südostasien. 370,38-371,1 eleusinischen Kult] griech. Kult, der für Athen zentrale Bedeutung besaß: wer in die Mysterien dieses Kultes eingeweiht war, gehörte erst eigentlich zum athenischen Volk. Der Kult zentrierte sich um den Mythos der Demeter, der Göttin der Fruchtbarkeit, deren Rückkehr aus der Unterwelt, in die ihre Tochter verschleppt worden war, als Beginn des Frühlings festlich begangen wurde. 371,21 Albrecht Dieterich, eine Mithraslithurgie] Albrecht Dieterich, Eine Mithrasliturgie, Leipzig 1903. 372,38 Salbung Sauls] I Sam 10,1. Vgl. hierzu wie zu den folgenden Interpretationen insbesondere Martin Buber, Die Erzählung von Sauls Königswahl, in: [Der Gesalbte], jetzt in: MBW 15, S. 295-351. 372,41 Der Herr […] adoptiert ihn] Von dieser zugespitzten These scheint sich Buber distanziert zu haben, eher sieht er ihn als »Statthalter«, vgl. Buber, Die Erzählung von Sauls Königswahl, S. 340. 373,13 Zeit der Richter] Die vormonarchische Zeit, in der die einzelnen Stämme autonom agierten, ca. 1200-1000 v. Chr. 373,35 Heimarmene der Griechen] griech. Schicksalsgöttin. 373,38-39 Conception der Umkehr] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 68,30. 373,39-40 (Hebr. »Reden«, Gesamtausg. S. 64)] Das Eingeklammerte ist wohl zu verstehen als Literaturverweis zu den Reden über das Judentum. Gesamtausgabe, S. 64, das ist die Rede »Die Erneuerung des Judentums«, jetzt in: MBW 3, S. 255. 373,41-374,2 Als Gott die Welt schaffen wollte, […] hatte sie Bestand.] Vgl. bPes 54a (BT, Bd. II, S. 470); Tanchuma (Buber) Naso 19. 374,21-22 An dem Ort, wo die Umkehrenden stehen, können die Gerechten nicht stehen.] bBer 34b (BT, Bd. I, S. 155). 374,22-23 »Kehret um […] nahe herangekommen.«] Mk 1,15. 374,32-33 Reden über das Judentum […] ganzen dritten Abschnitt.)] Buber liest aus der Rede »Der Geist des Orients und das Judentum«; jetzt in: MBW 2.1, S. 195-197. 375,3-7 »Und es begab […] herabkomme auf ihn.«] Mk 1,11-12. 375,28 Proselytentaufe] Das Untertauchen in der Mikve ist Teil des Rituals beim Übertritt zum Judentum, vgl. bJev 46a-b (BT, Bd. IV, S. 468-471). 377,1-2 »Gott schuf […] schuf er ihn«] Gen 1,27. 377,19-20 Zyklen-Idee (Spengler)] Der deutsche Kulturphilosoph Oswald Spengler (1889-1936) vertrat in seinem in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sehr populären Werk Der Untergang des Abendlandes (2 Bde., 1918-1921) eine zyklische Kulturtheorie, der zufolge die menschlichen Kulturen sich wie Organismen entwickelten und

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Mein Liberalismus

schließlich zugrunde gingen. Das Werk trug denn auch den Untertitel: »Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte«. 378,11 Reden über das Judentum Seite 167-169] Das ist die Rede »Der heilige Weg«, jetzt in: MBW 11.1, S. 140 f. 379,12-13 »Kehret um, denn das Reich Gottes ist nahe«.] Mk 1,15. 379,18-21 Nativismus […] Adoptianismus] Gemeint ist die Auffassung, dass der Pharao der leibliche Sohn der obersten Gottheit sei, in Babylonien hingegen wurde in einem Ritual ausgedrückt, dass der Herrscher bei der Thronbesteigung von der obersten Gottheit adoptiert werde. Im Folgenden überträgt Buber diese Begriffe auf das unterschiedliche Verständnis von der Sohnschaft Jesu: Als eingeborener Sohn Gottes (vgl. Joh 1,18) oder als durch die Taufe gleichsam adoptierter Sohn (vgl. Mk 1,11). 379,39 wo der Jordan rückwärts fliesst).] Vgl. Jos 3,13 u. 18; 4,7 u. 18. 380,12-13 Die Sanktionstaufe tritt an Stelle der Wiedergeburtstaufe.] Der Begriff der »Sanktionstaufe« ist unverständlich. 380,25 Elipandus von Toledo (Ende 8. Jahrh.)] (717-808?) Erzbischof von Toledo (damals unter maurischer Herrschaft). Seine adoptianistische Lehre wurde auf dem Konzil von Frankfurt 794 als Häresie verdammt. Folgendes Zitat nicht nachgewiesen. 380,27 Meister Ekkehard] eigentl. Eckhart von Hochheim (ca. 12601328): bedeutender Theologe und Philosoph des späten Mittelalters; verknüpfte in Predigten und Traktaten Denkweisen negativer Theologie mit einer Spiritualität des Alltagslebens. Eckhart war einer der ersten, der auf die deutsche Sprache für philosophische Erörterungen zurückgriff. Während des 19. Jhs. werden viele seiner Schriften neu entdeckt und die Beschäftigung mit ihnen zu einer Modeerscheinung. 380,27-28 »Der edle Mensch […] ewiglich zeugt.«] Dieser Satz wird immer wieder in Variationen in den Predigten Meister Eckharts aufgegriffen und gehört zu einem jener Sätze seiner Lehren, die im Prozess wegen Häresie beanstandet wurden, der seit 1325 vorbereitet und aufgrund des Todes Eckharts diesen nicht mehr betraf.

Mein Liberalismus Dieser kurze Text über das Verhältnis von orthodoxem und liberalem Judentum hat sich im MBA erhalten und wird an dieser Stelle zum ersten Mal abgedruckt. Zeit und Hintergrund der Entstehung waren nicht mehr zu ermitteln. Es ist auffällig, in welch expliziter Weise, beinahe in Form eines Bekenntnisses, Buber hier die Position eines liberalen Judentums,

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Einzelkommentare

das den Ausführungen nach mit seiner dialogischen Philosophie zusammenfällt, für sich in Anspruch nimmt, und sich dabei polemisch gegen ein gesetzestreues Judentum abgrenzt. Textzeuge: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 50); 2 lose undatierte und unpaginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blaue Tinte, mit Korrekturen versehen. Druckvorlage: H Variantenapparat: 382,6 modern] [üblich] ! modern H 382,23 weil ihr das Gesetz] [eben weil sie vom Gesetz aus, das sie »hat«, zu reden sich autorisiert fühlt, ich aber von einer solchen Autorisation nichts verspüre] ! weil ihr das Gesetz H 382,25 sublimste] [grösste] ! sublimste H 382,35 ungewollte] [unwillkürliche, unangestrebte] ! ungewollte H 382,39 des »Judentums«] [der jüdischen Religion] ! des »Judentums« H Wort- und Sacherläuterung: 382,16 Deut. 29,28] »Was verborgen ist, ist des Herrn, unseres Gottes; was aber offenbart ist, das gilt uns und unsern Kindern ewiglich, dass wir tun sollen alle Worte dieses Gesetzes.«

Abkürzungsverzeichnis B I-III

BT

JuJ MBA MBB

MBW

Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bde., hrsg. und eingel. von Grete Schaeder, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1972-75. Bd. II: 1918-1938 (1973), Bd. III: 1938-1965 (1975). Lazarus Goldschmidt, Der Babylonische Talmud. Nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter Berücksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materials neu übertragen, Berlin 1929-1936. Martin Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, mit einer Einl. von Robert Weltsch, Köln: J. Melzer Verlag 1963. Martin Buber-Archiv der National Library of Israel. Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität und München/New York et al.: K. G. Saur 1980. Martin Buber Werkausgabe: Bd. 1 Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1981-1919, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2001. Bd. 2.1 Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. Bd. 3 Frühe jüdische Schriften 1900-1922, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Barbara Schäfer, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. Bd. 4 Schriften über das dialogische Prinzip, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Paul Mendes-Flohr und Andreas Losch, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Bd. 5 Vorlesungen über Judentum und Christentum, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Orr Scharf, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017. Bd. 7 Schriften zu Literatur, Theater und Kunst. Lyrik, Autobiographie und Drama, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Emily D. Bilski, Heike Breitenbach, Freddie Rokem u. Bernd Witte, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2016. Bd. 8 Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Juliane Jacobi, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. Bd. 9 Schriften zum Christentum, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Karl-Josef Kuschel, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011.

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Abkürzungsverzeichnis

Bd. 11 Schriften zur politischen Philosophie und zur Sozialphilosophie, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Francesco Ferrari, Stefano Franchini und Massimiliano De Villa, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Bd. 12 Schriften zur Philosophie und Religion, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Ashraf Noor, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017. Bd. 13 Schriften zur biblische Religion, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Christian Wiese, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Bd. 14 Schriften zur Bibelübersetzung, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012. Bd. 15 Schriften zum Messianismus, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Samuel Hayim Brody, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. Bd. 16 Chassidismus I. Frühe Erzählungen, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen und Bernd Witte. Bd. 17 Chassidismus II. Theoretische Schriften, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Susanne Talabardon, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. Bd. 18 Chassidismus III. Die Erzählungen der Chassidim, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. Bd. 21 Schriften zur zionistischen Politik und zur jüdisch-arabischen Frage, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Samuel Brody und Paul Mendes-Flohr, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Werke II-III Martin Buber, Werke, 3 Bde., München: Kösel Verlag, und Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1962-64. Zweiter Band: Schriften zur Bibel (1964), Dritter Band: Schriften zum Chassidismus (1963).

Hebräische Bibel Gen Ex Lev Num Dtn Jos Ri I Sam II Sam

Genesis (1. Mose) Exodus (2. Mose) Leviticus (3. Mose) Numeri (4. Mose) Deuteronomium (5. Mose) Josua Richter 1. Samuel 2. Samuel

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Abkürzungsverzeichnis

I Kön Jes Jer Ez Hos Am Jon Sach Mal Ps Spr Hi Hhld Dan II Chr

1. Könige Jesaja Jeremia Ezechiel Hosea Amos Jona Sacharja Maleachi Psalm(en) Sprüche Solomons Hiob Hohelied Daniel 2. Chronik

Neues Testament Mt Mk Lk Joh Apg Eph Phil 2 Tim 1 Joh

Matthäus Markus Lukas Johannes Apostelgeschichte Epheserbrief Philipperbrief 2. Timotheusbrief 1. Johannesbrief

Außerkanonische Schriften Jdt

Judith

Rabbinische Literatur mAv mBer mBik mJoma mSuk

Mischna, Traktat Avot Mischna, Traktat Berakhot Mischna, Traktat Bikkurim Mischna, Traktat Joma Mischna, Traktat Sukkot

620

Abkürzungsverzeichnis

mTaan bAS bBB bBer bBM bJev bKet

Mischna, Traktat Taʻanit Talmud Bavli, Traktat Avoda Sara Talmud Bavli, Traktat Bava Batra Talmud Bavli, Traktat Berakhot Talmud Bavli, Traktat Bava Mezi‘a Talmud Bavli, Traktat Jevamot Talmud Bavli, Traktat Ketubbot

bPes bQid bSan bShab bShevu bSota bSuk bTaan jPea jTaan

Talmud Bavli, Traktat Pesachim Talmud Bavli, Traktat Qiddushin Talmud Bavli, Traktat Sanhedrin Talmud Bavli, Traktat Shabbat Talmud Bavli, Traktat Shevuʻot Talmud Bavli, Traktat Sota Talmud Bavli, Traktat Sukkot Talmud Bavli, Traktat Taʻanit Talmud jeruschalmi, Traktat Pe’a Talmud jeruschalmi, Traktat Ta’anit

ARN B BemR

Avot de-Rabbi Natan, Version 2 Bemidbar Rabba (Numeri Rabba)

BerR DevR EkhR Jalq MekhJ MTeh PesK PesR PRE QohR ShemR ShirR SifBem SifDev Sifra Tan Tan (Buber) TPsJ WaR

Bereshit Rabba (Genesis Rabba) Devarim Rabba (Deuteronium Rabba) Ekha Rabbati Jalqut Shim‘oni Mekhilta deRabbi Jischma‘el Midrasch Tehillim (oder Midrasch Schocher Tov) Pesiqta de-Rav Kahane Pesiqta Rabbati Pirqe de-Rabbi Eliʻeser Qohelet Rabba Shemot Rabba Midrasch Shir Ha-Schirim Sifre Bemidbar (zu Numeri) Sifre Devarim (zu Deuteronomium) Sifra (zu Levitikus) Midrasch Tanchuma Tanchuma, Ausgabe Buber Targum Jeruschalmi Wajjiqra Rabba

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographien 2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3 Verwendete Werke Martin Bubers 2.4 Verwendete Literatur 1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber Archiv (MBA) der National Library of Israel sind folgende unveröffentlichte Quellen verwendet worden:

1.1 Handschriften und Typoskripte Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum] (Handschriften) Arc. Ms. Var. 350 05 21 Nachahmung Gottes (Handschriften) Arc. Ms. Var. 350 03 38a u. Arc. Ms. Var. 350 03 71 Lebensfrömmigkeit (Handschriften) Arc. Ms. Var. 350 05 38b Der Glaube des Judentums (Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 05 38f. Das Erste (Handschrift) Arc. Ms. Var. 350 05 13 Gericht und Erneuerung (Handschrift) Arc. Ms. Var. 350 05 13 Freiheit und Aufgabe (Handschrift) Arc. Ms. Var. 350 05 12a Der Jude in der Welt (Handschrift und Typoskripte) Arc. Ms. Var. 350 05 12a Hebräischer Humanismus (Handschrift und Typoskripte) Arc. Ms. Var. 350 05 24a In Theresienstadt (Handschrift) Arc. Ms. Var. 350 05 62 Preface [zu Israel and the World] (Handschrift) Arc. Ms. Var. 350 08 705.I Israel und Palästina (Handschriften) Arc. Ms. Var. 350 06 1 u. Arc. Ms. Var. 350 06 1a An der Wende. Reden über das Judentum (Handschriften und Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 05 21 »Er macht Frieden« (Handschriften) Arc. Ms. Var. 350 02 102 u. Arc. Ms. Var. 350 02 102a »Fuer das Ganze zeugend« (Handschrift) Arc. Ms. Var. 350 02 102a Funktion des Geistes in der Geschichte (Handschriften und Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 02 155

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Der Glaube an die Wiedergeburt (Typoskripte) Mein Liberalismus (Handschrift)

Arc. Ms. Var. 350 07 65 Arc. Ms. Var. 350 05 50

2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographie Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn u. Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität Jerusalem u. München [u. a.]: K. G. Saur 1980.

2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers Achad Haam-Gedenkfeier in Berlin, Jüdische Rundschau, XXXVII/3 vom 11. Januar 1927 S. [17]. Adel, Jüdische Rundschau, 38. Jg., Nr. 41, 23. Mai 1933, S. 213. An der Wende. Reden über das Judentum, Köln: Jakob Hegner 1952, 107 S. [Botschaft], Mitteilungsblatt, 16. Jg., Nr. 19, 16. Mai 1952, S. 3. [Brief an Melchior Britschgi-Schimmer], Jüdische Rundschau, 33. Jg., Nr. 11, 7. Februar 1928, S. 79. Drei Stationen, Judisk Tidskrift II, 27. Juni 1929, S. 20. Ein Dankesgruss, Jüdische Pressezentrale Zürich, 16. Jg., Nr. 743, 28. April 1933, S. 5. Ein Spruch des Maimuni, Israelitisches Familienblatt, 37. Jg., Nr. 15 (11. April 1935), S. 9. Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum], Der Jude, VII/3, Juni 1923, S. 129-133. Ein Wort an Dreizehnjährige [Hebr.], Devar el bene schlosch-esre, Be‘ajot ha-jom, 1. Jg., Nr. 24 vom 16. März 1941, S. 3. »Er macht Frieden«, A.J.R. Information, 8. Jg., Nr. 5, 8. Mai 1953, S. 2. Das Erste, Jüdische Rundschau, XXXVIII/32, 21. April 1933, S. 153. Franz Rosenzweig †, Kantstudien, 35. Jg., Heft 4, 1930, S. 517-522. Freiheit und Aufgabe, in: Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5695, Berlin: Schocken Verlag 1934, S. 23-29. »Fuer das Ganze zeugend«, A.J.R. Information, 11. Jg., Nr. 12, Dezember 1956, S. 5. Funktion des Geistes in der Geschichte, in: Robert Weltsch zum siebzigsten Geburtstag, Tel-Aviv: Bitaon Publishing 1961, S. 207-208. Für die Sache der Treue, in: Franz Rosenzweig. Ein Buch des Gedenkens, Berlin: Soncino-Gesellschaft 1930, S. 28-30. Gericht und Erneuerung, Jüdische Rundschau, 38. Jg., Nr. 75/76, 20. September 1933, S. 545.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Gershom Scholem – 60 Jahre alt [Hebr.], Gershom Scholem ben ha-Schischim, Haaretz, Beilage Tarbut we-sifrut vom 6. Dezember 1956. Der Glaube des Judentums, in: Volk und Reich der Deutschen, hrsg. von Bernhard Harms, Berlin: R. Hobbing 1929, 3 Bde. (1. Bd.), S. 429-440. Der Glaube an die Wiedergeburt, Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 07 065). Greetings to Dr. Mordecai M. Kaplan, The Reconstructionist, 22. Jg., Nr. 6, 4. Mai 1956, S. 17. Das hebräische Buch, Jüdische Rundschau, 33. Jg., Nr. 27/28, 4. März 1928, S. 201. Hebräischer Humanismus, Neue Wege, 35. Jg. (1941), Heft 14, S. 1-11. Im Anfang, Jüdischer Almanach auf das Jahr 5685, Prag: Keren Kajemeth Lejisrael 1924, S. 35-36. In Theresienstadt, Mitteilungsblatt der Hitachduth olej Germania we-olej Austria, 7. Jg., Nr. 21, 21. März 1943, S. 1. Israel und Palästina, Zürich: Artemis Verlag 1950, 208 S. Israel und die Völker, Neue Wege, 35. Jg., Heft 3, März 1941, S. 101-113. Der Jude in der Welt, in: Die Stunde und die Erkenntnis. Reden und Aufsätze 19331935, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 41-48. Das Judentum und die neue Weltfrage, in: Festschrift zu Simon Dubnows siebzigstem Geburtstag, 2. Tischri 5691, hrsg. von Ismar Elbogen, Josef Meisl und Mark Wischnitzer, Berlin: Jüdischer Verlag 1930, S. 82-86. Der jüdische Mensch von heute, Der Orden Bne Briss. Mitteilungen der Großloge für Deutschland, Nr. 5, Mai 1933, S. 1. Klärung [Hebr.], Berur, Ha-Aretz vom 5. Mai 1927. Lebensfrömmigkeit, Der Jude. Sonderheft zu Martin Bubers fünfzigstem Geburtstag, 1928, S. 154-157. Die Lehre und die Tat, Israelitisches Familienblatt, 38. Jg., Nr. 32 vom 6. August 1936 und Nr. 33 vom 13. August. Martin Buber schreibt uns, Jüdische Rundschau, Jg. 40, Nr. 31/32 vom 17. April 1935, S. 22. Mein Liberalismus, Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 50). Nachahmung Gottes, Der Morgen, 1. Jg., Heft 6, Februar 1926, S. 638-647. Name verpflichtet, Kulturbund deutscher Juden – Monatsblätter, 1. Jg., Nr. 1, Oktober 1933, S. 2-3. Offenbarung und Gesetz, in: Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5697, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 147-154. Preface, in: Israel and the World. Essays in a Time of Crisis, New York: Schocken Books 1948, S. 5-7. [Rede auf dem XV. Zionisten-Kongreß], in: Protokoll der Verhandlungen des XV. Zionisten-Kongresses, Basel, 30. August bis 11. September 1927, Zentralbureau der Zionistischen Organisation 1927, S. 42-51. Religion in unserem Land [Hebr.], Darkhe ha-dat be-artzenu, Machbarot la-sifrut, 2. Jg., Heft 1, Mai 1942, S. 34-40.

624

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Glossar Ag(g)ada, ag(g)adisch: aramäisch »Ansammlung«, »Verkündung«, »Erzählung«; erzählende, nicht gesetzliche Bestandteile des Talmud im Gegensatz zur ! Halacha. Amoräer: in der Gemara zitierte rabbinische Autorität. Chassid (Plural Chassidim): hebr. »Frommer«; Anhänger des ! Chassidismus. Chassidismus: durch Rabbi Israel ben Eliezer, gen. Baal Schem Tov gegr. volkstümliche mystische Bewegung des Judentums; von Osteuropa ausgehend, verbreitete sie sich in der Diaspora ebenso wie im Staat Israel. Freies Jüdisches Lehrhaus: 1920 von Franz Rosenzweig in Frankfurt a. M. gegründete Bildungseinrichtung; 1926/27 Einstellung des regulären Lehrbetriebs; im November 1933 unter dem Namen Jüdisches Lehrhaus wieder eröffnet; bestand bis 1938. Galut(h): hebr. »Verbannung«; Bezeichnung des Exils, der Diaspora, des Aufenthaltes der Juden in Ländern außerhalb Palästinas seit der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70; häufig mit negativem Beiklang. Gemara: aram. »Abschluss [der Lehre]«; der spätere und weitaus größere Teil des ! Talmuds, der die ! Mischna erläutert und erörtert. Gnosis: griech. »Erkenntnis«; mystisch-philosophische Weltanschauung der neuplatonischen Schule bes. des ersten Jh. v. Chr., die zwischen Gottheit und Materie unterscheidet, sich von der Schau Gottes Einsicht in die Welt des Übersinnlichen erhofft und von starker Leibfeindlichkeit geprägt ist; beeinflusste die spätere Entwicklung der christlichen und jüdischen Mystik. Halacha: hebr. »Gang«, »Lebensweg«; Bezeichnung des jüd. Religionsgesetzes, wie es die Rabbinen aus der Überlieferung entwickelt haben; sie regelt das Leben der Gläubigen in allen Einzelheiten; im Unterschied zur ! Aggada. Haskala: hebr. »Erkenntnis«; Bezeichnung der jüdischen Aufklärung in Mittel- und Osteuropa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Hüttenfest ! Sukkot Jom Kippur: hebr. »Versöhnungstag«; der Tag des Sündenbekenntnisses und der Läuterung, an dem von einem Abend bis zum andern streng gefastet wird. Der ganztägige Gottesdienst enthält als zentrales Element das Sündenbekenntnis. Vor dem Fest sollen alle einander vergeben, da der Tag nur die Sünden gegen Gott, nicht auch die gegen die Mitmenschen sühnt, solange sie von diesen nicht vergeben sind. Kabbala: hebr. »Überlieferung«; Bezeichnung der jüd. Mystik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die sich durch theurgische Praktiken sowie Spekulationen über das innere Wesen Gottes und die Schöpfung der Welt auszeichnet. Buchstabendeutungen, -permutationen und Zahlenkombinationen stellen ihre wichtigsten hermeneutischen Techniken dar, die aus jedem Zeichen den verborgenen

Glossar

633

Sinn freilegen sollen. Für den Chassidismus ist besonders die Phase der lurianischen Kabbala, die sich im 16. Jh. in Palästina entwickelte, bedeutsam. Kawwana (Plural Kawwanot): hebr. »Ausrichtung«; die auf Gott gerichtete Intention bei der Ausführung einer (insbesondre kultischen) Handlung; von zentraler Bedeutung besonders in der Kabbala und dem Chassidismus. Midrasch: hebr. »Auslegung«, »Studium«. Eine der homiletischen Schriftauslegung gewidmete, an Legenden, Parabeln, Gleichnissen und Weisheitssprüchen reiche, nachtalmudische Literaturgattung. Mischna: erste autoritative Sammlung des jüdischen Religionsgesetzes; redigiert um 200 n. Chr.; wird in der sog. ! Gemara kommentiert, mit der zusammen sie den ! Talmud bildet. Neujahr (hebr. Rosch Haschana): Zweitägiges Fest zu Beginn des jüdischen Neuen Jahrs, welches Gott als Schöpfer, König und Richter der Welt hervorhebt. Offenbarungsfest ! Schawuot. Rabbi: hebr. »mein Lehrer«, »mein Meister«; Anrede verehrter jüd. Lehrer, Gelehrter; seit talmud. Zeit der Titel des ordinierten jüd. Rechtsgelehrten, der die Tora verbindlich auslegen kann und Auskunft in relig. Fragen erteilt; Führer einer chassidischen Gemeinde. Raw ! Rabbi. Rosch Haschana ! Neujahr. Sabbat (hebr. Schabbat): der siebte Tag der Woche; ein Freuden- und Feiertag, Ruhetag Gottes, der die Erschaffung der Welt abschließt; die halachisch begründeten Einschränkungen sollen sicherstellen, dass der Mensch an diesem Tag von Arbeit befreit ist und die Heiligkeit des Sabbat gewahrt bleibt. Schawuot: hebr. »[Fest der] Wochen«. Ein sieben Wochen nach ! Passah stattfindendes zweitägiges Fest; es ist zugleich Fest der Erstlingsfrüchte und dem Gedächtnis der Offenbarung am Sinai geweiht. Schechina: hebr. »Einwohnung« [Gottes]; in der rabbinischen Literatur die Gegenwart Gottes im Volke Israel, insbesondere im Heiligtum; von den Kabbalisten als letztes der zehn Attribute Gottes bestimmt; wird in der ! Kabbala zum zentralen Symbol der Exilssituation. Schofar: hebr. »Widderhorn«; das in der Synagoge, vornehmlich am Fest des ! Neuen Jahres, geblasene Widderhorn. Der Überlieferung nach wird dessen Ruf das Kommen des Messias ankündigen. Sukkot: hebr. »Laubhüttenfest«; achttätiges Fest im Herbst, das ein Erntedankfest ist, und daran erinnert, dass die Israeliten während der Wüstenwanderung in Hütten lebten. Man soll in dieser Zeit, soweit klimatisch möglich, in einer Hütte (hebr. »Sukka«) wohnen. Talmud: Bezeichnung von ! Mischna und ! Gemara, Hauptwerk der jüdischen Lehre und des Religionsgesetzes. Der maßgebliche babylonische Talmud wurde gegen Ende des 5. Jahrhunderts redigiert, der Jerusalemer Talmud ungefähr hundert Jahre zuvor. Tannait: in der ! Mischna zitierte rabbinische Autorität.

634

Glossar

Tefillin: hebr. »Gebetsriemen«; Phylakterien, Lederkästchen, die Schrifttexte (Ex 13,1-10.11-16, Dtn 6,4-9 u. 11,13-21) auf Pergament enthalten und beim wochentäglichen Morgen-Gottesdienst zum Zeichen des Bundes mit Gott (vgl. Dtn 11,18) mit Riemen an die Stirn und den linken Arm gebunden werden. T(h)ora: wörtl. »Lehre«; Grundbegriff des Judentums; bezeichnet im engeren Sinn den Pentateuch (die fünf Bücher Moses), im weiteren Sinne die jüdische Glaubenslehre insgesamt. Von Buber oftmals mit »Lehre« übersetzt. Zaddik (Plural Zaddikim): hebr. »Gerechter«; durch charismatische Eigenschaften oder durch dynastische Abfolge legitimierte höchste relig. Autorität einer Gemeinde von ! Chassidim.

Stellenregister Bibelstellen Hebräische Bibel (Altes Testament) Gen 1,1 1,27 1,28 1,31 2,5 3,9 3,17 3,24 4,9 5,29 6,11 6,11-13 6,17 8,22 9,11 9,20 11,9 11,24-32 11,28 11,31 12,1 12,2 12,1-9 12,2 f. 12,7 12,8 12,10-20 13 13,4 13,14 13,15 13,18 14,13 15,5 15,6 15,7 15,13 17,1 17,5 18,25 20,13 21,33

402, 550 487, 614 186 433 185 421 547 547 605 186 547 186 186 186 186 186 249 546 546 193 129, 182, 193, 454 195, 550 194 195 192, 195, 546 194, 201, 546 546 195 201, 546 195 550 546 182 201, 453 203 194 246 140, 201 605 193, 605 182 201

22,9 25,20 26,27 27,43 28,10-22 28,15 28,17 29,31 31,3 31,5 33,19 35,19 43,11 50,5

546 546 560 546 452 222 553, 560 602 222 222 218 556 181 218

Ex 1,14 3,8 3,13 3,14 6,4 6,5 13,1-10 13,11-16 13,17 15,2 17,7 17,11 f. 19 19,5 19,6 20,2 20,3 23,10 f. 24,10 33,1 33,13 34,22

250 195 435 435 196 195 634 634 265 42, 495, 496 603 608 400 202, 494, 548 202, 605 129 (2 �) 129 (2 �) 188 316 195 43 546

Lev 2,12 18 18,27-30 19,18 19,34 20,22 23,17 23,40 25,2-7

546 187 547 455, 605 455 187 546 556 189

25,8-55 25,23 25,38 26,3-45 26,33 26,34 26,34-43 26,38 26,41

547 189, 202 221 190 190 191 190 196 191

Num 6,24-26 11,4 13,19 13,32 14,9 14,25 14,33 f. 15,20 f. 18,12 f. 22,1 28,16 35,33

416 571 196 196 196 196 196 546 546 196 546 187

Dtn 1,5 1,10 1,21 4,4 4,24 5,1 5,3 f. 5,5 6,4 6,4-9 6,5 6,8 7,7 f. 8,7 8,7-10 8,8 8,9 9,4 ff. 10,18 f. 11,10-17 11,10 11,11 11,12 11,13 f.

196 39 197 39 43 120 179 129 433 476, 634 433, 454 (2 �) 480 212, 213 197 197 180 560 212 604 197 197 197 184, 197, 550 198

636

Stellenregister

11,13-21 11,14 11,16 f. 11,18 11, 22 11,31 f. 12,28 f. 13,5 16,20 17,14 18,4 18,13 24,4 26 26,1-11 26,3 26,4 26,5 26,9 26,11 29,28 30,12-14 32,4

547, 634 547, 548 198, 550 480, 634 42 221 221 43 495 178 546 156, 495 187 178 178 183 546 180, 546 180 180, 547 435 435 495

Jos 3,13 3,18 4,7 4,18 24,2 24,3 24,32

615 615 615 615 194 195 218

Ri 4,14 f. 5 5,4 5,20 5,26 11,24 11,27

201 493 201 201 201 193 193

I Sam 2,12 3,1 3,7 8 8,5 8,20 10,1 26,19

351 351 351 493 442, 475 442, 475 614 221, 526

II Sam 5,24 7,14-16 7,21 7,23 12,9 12,13 12,28

350 603 493 132, 239, 481 605 605 201

I Kön 6,12 9,3 18 18,21 18,37 18,39 19,11 f. 21

550 213 198 136, 547 198 200 605 547

Jes 1,12 2 2,2 2,3 2,4 2,6 4,5 6 6,5 8,17 11,6-8 11,9 19,6 ff. 19,24 24 24,5 24-27 24,23 25,1 25,6 25,8 26,19 28,21 29,8 31,4 31,9 41,27 42,6 42,7 43,2 44,3 45,1 45,7

204 347 204 204 486 204 204 548 205 351 204 204 198 204 187 547 205 205 202 205 205 209 351 204 204 548 316 206, 548 206 559 199, 547 548 433

45,11 45,14 f. 45,15 48,16 49,3 49,6 49,8 49,9 51,16 52,7 57,15 57,16 65,17 f. 65,25

351 351 199 351 347 206 206, 548 206 207 206 555 524 207 206

Jer 2,3 2,11 3,1 3,9 3,14 3,22 7,4 7,7 10,2 17,13 18,11 23,15 25,5 27,22 30,10 31,15-17 32,41 33,7 33,11 50,6

183, 604 244 187 187 435 435 495 202 103 434 435 187 435 222 105 556 202 202 202 182

Ez 14,6 18,30 20,32 f. 20,35 33,11 34,4 34,16 36,13 f. 38,12

435 435 571 571 435 182 182 196 203

Hos 2,1 2,10 2,10-15 14,2 f.

155 183 200 435

637

Stellenregister Jo 2,13 Am 1,9 2,3 2,5 3,2 3,6 4,5 4,13 8,8 8,11 9,7 Jon 3,5-10 Mi 4,1 4,5 7,13 Sach 1,3 f. 2,9 4,10 9,12 14,9

435 347 139 139 138, 192 449 139 345 188 199 138, 192, 414, 548, 604 453 486 486 (2 �) 550 435 239 213 435 239

Mal 3,7

435

Ps 2,7 10,17 16,8 19,2 30,2 37,11 45,5 47 47,10 48,3 49,12 63,9 82 82,6 f. 82,8 89,10 89,33 100,3

603 42 495 605 547 560 76 205 f. 347 173 201 558 352 555 605 559 550 40

102,14 107,29 111,6 119,176 121,4 132,12 136,1 137,5 146

553 559 217 182 213 550 605 551, 570 209

Spr 8,26 15,3

550 213

Hi 12,10 25,2 29,4 31,38 ff. 34,5 38,26 42,5

213 606 43 188 605 213 605

Hhld 2,9

551

Dan 8,16 f. 8,25 9,21 10,13 10,21 12,1

606 134 606 606 606 606

II Chr 36,21 f.

191

Neues Testament Mt 3,2 3,10 4,17 5,3 9,9 10,6 15,24 11,18 19,21 22,21

435 (2 �) 603 435 435 407 603 603 375 407 603

Mk 1,11

615

1,11 f. 1,12 1,15 2,14 10,21 12,17

614 375 435, 614, 615 407 407 603

Lk 3,9 3,21 4,1 9,59 13,24 15,7 16,16 18,22 20,25

603 375 375 407 376 435 376 407 603

Joh 1,4-9 1,18 1,43 6,27 14,9 21,19 21,22

435 615 407 410 37 407 407

Apg 17,23-28

378

1 Kor 11,1 15,24

39 563

Eph 5,1

37

2 Tim 2,19

410

1 Joh 3,9 5,1

377 378

638

Stellenregister

Außerkanonische Schriften Jdt 5,7

194

Rabbinische Literatur Mischna

bBM 85a

551 (2 �), 552

bJev 46a-b 109

614 120

mAv I,18 III,18

604 40, 494, 605

bKet 110b 110b-111a 111a 112a

mBer II,2

435

bPes 54a

434, 449, 614

mBik III III,3

184 547

bQid 66a

549

bSan 37a 97a 97b

548 552 415

mJoma VIII,9

434

mSuk IV,5

42

mTaan III,8

549

551 551 557 551

bShab 10a 119b 133b 156a

604 604 42 103

bShevu 39a-b

449, 556

bSota 14a

42

bSuk 49b

213

Jerusalemer Talmud jPea 15b

Targum, Midrasch, Sammelwerke ARN B XXXI

550

BemR Paraschat Mase’i XXIII,7 550 BerR zu Gen 15,5 zu Gen 23,19 zu Gen 49,29 XXXIX, 8 XLIV,18 LXIII,9 LXXIV,1 LXXIX,7

103 43 40 550 556 487 551 550

DevR zu Dtn 1,10

39

EkhaR 3,20

551

MekhJ 37a 42 Traktat Amalek, Parascha XX 550 Traktat Bachodesch, Parascha 9 550

42

jTaan I,4/3; 64b, 54-63 3,3/1; 66c, 26-28

549 549

Babylonischer Talmud bAS 8a

496

bBB 158b

552

bBer 5a 34b 54a 61b

550 435, 614 433 433

bTaan 2a 2a-b 7a 7b 8a 10a 20a 25b

548 548 549 (2 �) 548 549 549, 560 549 549

MTeh zu Ps 1,1 zu Ps 117,1

41 549

QohR III,15

95

SifDev zu Dtn 11,22 42 Paraschat Eqev §38 549 Paraschat Re’e, § 80 551 PesK XXIII

104

PesR 46b

39

639

Stellenregister PRE Kap. 34

551

ShirR zu Hhld 2,1 zu Hhld 2,9 zu Hhld 5,2 zu Hhld 8,10

602 551 434 551

Sifra zu Lev 19,2 Tan zu Gen 25,1 zu Gen 28,12 Bereschit I,7 Kodaschim 10 Naso 19

42

Eusebius, Kirchengeschichte IV 15 37 V 20 37 Herodot 2,12 f. Homer, Ilias 1, 527 1, 580 14, 276 15, 18 16, 297

198 Stobaeus, Eclogae 249,8 35 36 36 36 36 200

103 104 434 548, 553 614

Ignatius, Brief an die Philadelphier 7,2 39

Tan (Buber) zu Gen 1,27

41

Brief an die Philipper 8,2 37

TPsJ zu Dtn 32,8 f.

602

WaR Paraschat Kedoschim, XXV,3 550 Paraschat Emor, XXX,3 435 XXX,9-12 556 XXX,12 602 Paraschat Behar, XXXIV,7 551

Politeia VI, 493 B-C 604 Theaitetos 176 B-D 35 Timaios 29a 435

Jamblichus, Vita Pythagorae 137 35 Josephus, Jüdische Altertümer XIV. Buch, 2. Kapitel 549 Martyrium Polycarpi 1, 2 37

Antike Werke

Ovid III,136 f.

438

Äschylos, Heliaden Frg. 70 36

Pausanias V II

36

Euripides, Troerinnen 884 36

Platon Gesetze 636 D Phaidros 248 A

Strabo VIII 353

36

Andere Literatur Jalqut Reubeni zu Gen 1,27 41 Jehuda Ha-Levi, Kusari I,1 552 I,2 552 I,4 552 I,10 552 I,11 552 I,12 552 I,13 552 I,109 552 (2 �) I,115 553 (2 �) II,8 553 II,12 553 (2 �) II,14 553 II,16 553 II,18 553 II,20 553 II,21 553 II,24 553 (2 �) Schluss, 22 553 Schluss, 23 553 (4 �) Schluss, 24 553 Schluss, 25 553 Schluss, 26 553 Schluss, 27 553 (2 �), 554

38 35

Raschi zu Gen 1,1 550 zu bShab 133b 42

Sachregister Abendland 67, 329, 332 Abraham 43, 62, 103, 104, 107, 156, 174175, 181-182, 193-195, 201, 203, 206, 214, 218, 228, 237, 242, 246, 265, 334, 347, 452, 453, 454, 460, 520, 546 Absolutes 131-133, 140-143, 329 Achad Haam –, Autoemanzipation 282 Adam 61, 69, 165, 185, 250 Adama 185-186, 188, 250, 265 Adoptionismus 379-380 Aggada 208, 214, 216, 218-219, 301, 354, 548, 581, 632 Ägypten 115, 175, 178, 181, 184, 195, 197198, 201, 210, 230, 247, 249, 265, 333, 351, 373, 379, 466 Ahasver 113 Akademie für die Wissenschaft des Judentums 84 Alltag 15, 16-17, 75, 362, 427-429 –, Heiligung des 71, 77 Altes Testament, siehe Bibel, Hebräische Anfang 34, 68, 87, 245, 344 Antike 149-150, 377 Antisemitismus 113, 169, 325, 418, 457, 462, 463, 576 Apokalyptik 334 Assimilation 60, 62, 133, 291, 300, 325, 418-419, 420, 586 Auferstehung 209, 264, 431-432 Auschwitz 352, 578

283, 325, 326-327, 345-346, 349, 351, 375, 423-424, 578, 589, 598, 599, 601 Bibelkritik, moderne 174 Böse, das 66-67, 73, 161 Buber, Martin –, Biblischer Humanismus 148 –, Die chassidischen Bücher 89 –, Cheruth 18-19, 122 –, Drei Reden über das Judentum 389, 402 –, Die Erzählungen der Chassidim 611 –, Der große Maggid 89 –, Ich und Du 21-22, 89, 390 –, Israel und die Völker 112 –, Kampf um Israel 441 –, Königtum Gottes 89, 503 –, Die Lehre und die Tat 119 –, Moses 503 –, Reden über das Judentum 89, 320, 390 –, Religion als Gegenwart 21-22 –, Die Schrift und ihre Verdeutschung 123 –, Das verborgene Licht 89 –, Zwei Glaubensweisen 408, 433 –, Zwiesprache 89 Buch Daniel 134 Buch Hiob 159 Buch Jesaja 203, 205 Buch Jona 349 Buch Josua 194 Buch Judith 194 Buch Leviticus 187 Bundeslade 330

Baal 183, 198, 199-200 Babylon 103, 115, 177, 178, 210, 230, 249, 333, 350, 373, 379, 466 Baeck, Leo –, Das Wesen des Christentums 603 Bar-Mizwah 57-58, 144-146, 416 Begegnung 16, 21, 29, 32, 72 Bewährung 22-23, 77 Bewegung –, chassidische 251, 343 –, messianische 380, 430 –, nationale 50-51, 52, 53, 173, 176 –, zionistische 13, 150, 153, 157, 276, 279, 281, 287, 296, 315, 411-412, 503, 567, 568 Bibel, Hebräische 20, 22, 24, 72, 88, 110, 148, 150, 170, 178, 181, 192, 216, 227,

Chassidismus 14, 22, 24, 63, 71, 72, 86, 251-253, 315, 316, 324, 338, 343-344, 360-362, 428-429, 558, 577, 584, 608, 632 Chessed 213 Chowewe-Zion 285, 287, 316, 567 Christentum 37, 83, 94, 134-135, 169, 325, 327, 334-335, 338-340, 342, 373, 379, 380, 423, 499, 587, 589-590, 596 –, frühes 72 –, Krisis des 137 Christus 37, 378, 380 Cohen, Hermann –, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums 31, 76, 82, 110 Dämonie 236, 238-239 Dekalog 179, 338, 341, 347

Sachregister Deuterojesaja 203, 206, 351 Dialog, Dialogik 21-23, 65-66 Diaspora, siehe Exil Dichter 362-363 Dogmatik, jüdische 64 Dostojewski, Fjodor M. –, Die Dämonen 135, 414 Dreyfus-Affäre 565 Ebenbildlichkeit 40-41, 65, 141-142, 211, 334, 377 Einung, Jichud 64-65, 71, 73, 87-88, 381, 433, 582 Elia 198, 200, 258, 306 Emanzipation 116, 469-471 Emuna 202-203, 408, 433 Entscheidung 66, 87, 144-145, 152, 348349, 372 Erlebnis 18, 30 Erlösung 15, 52, 72, 73-74, 75, 82-83, 87, 129, 201, 207, 223-224, 234, 252-253, 353, 374, 376, 423-424, 429, 432, 588 Erneuerung 99 –, geistige 15 –, des Judentums 15, 409 –, religiöse 14, 75, 300, 344 Esau 144, 218, 525 Ethik 67 Exil, Diaspora, Galuth 47, 113, 115, 154, 219, 232, 235, 238-239, 243-244, 245, 247-249, 276, 297, 301, 304, 310, 314, 316, 318, 324, 336, 343, 355-356, 430, 457, 461, 467, 468, 595, 607, 632 –, babylonisches 196, 199, 203, 213, 276 Französische Revolution 173, 240, 469, 508, 514 Freies Jüdisches Lehrhaus 21, 84, 119, 457, 459, 472, 479, 632 Freiheit 104, 347-348, 349, 452 Frieden 323, 342, 354 Frömmigkeit 60, 62, 418 Führer, Führertum 45, 51-52, 170, 500 Galuth, siehe Exil Gebet 234 Gebot, siehe Gesetz Gefäße 265-266 Geheimnis 28, 30, 43-44, 70, 72, 104, 176, 303, 311, 344, 353, 393 Geist 22, 46, 51, 83, 88, 91, 92, 199, 270, 302, 304-305, 322, 330, 361, 375, 424-425 Gemeinschaft 22, 61, 87, 101, 115, 116, 118,

641 141, 152, 159, 175, 328, 346, 368, 465466, 467, 469, 470-471 –, Glaubens-/Religions- 114, 464-465, 469, 472 –, jüdische 113, 116 –, Menschen- 23, 85, 87-88, 440, 461, 467, 474 –, Volks- 19, 328, 469 Gerechtigkeit 22, 43, 56, 95, 141, 143, 156, 161, 218, 296, 340, 343, 576-578, 584, 586, 589, 591, 592, 595 Gericht 99 Geschichte 114, 175-176, 218, 270, 280, 335, 350, 465, 467 –, jüdische 132, 226 –, Welt- 131, 136, 138-139, 143, 467, 578, 581 Gesellschaft 145-146 Gesetz, Gebot, Mizwot 17-21, 86, 117, 119123, 124, 126, 128, 130, 140, 144, 146, 161, 217, 376, 382, 471, 476-477, 479 –, Erfüllung 161, 221 –, kodifiziertes 122-123 –, überliefertes 122-123, 124 Gewissen 146, 152 Ghetto 338 Glaube 49, 63, 77, 86, 88, 114, 118, 162, 203, 265, 357, 383, 463-464, 465-466, 472, 477, 486, 491, 577, 582, 586-587, 607 –, biblischer 192, 217, 576 –, jüdischer 64, 123, 170, 199, 499-500 Gnosis 70-72, 632 Gott 21, 22, 28-29, 31-32, 64-66, 72, 74, 104, 107, 136, 156, 159-161, 165, 174, 180, 213-214, 221, 228, 233-234, 327328, 330, 333, 345, 346, 348, 349-350, 390, 402, 424-426, 432, 454, 467-468, 470, 472, 474, 479, 481, 494-495, 577578, 582, 587, 589, 590-591, 595, 602 –, Bund mit 368, 457, 467-468, 472, 577 –, Dienst 233 –, Einheit 120, 263 –, fremder 72, 326 –, Königtum 69, 472, 581, 585, 591 –, Liebe zu 163, 340-341, 342, 453 –, Nachahmung 35, 37, 38-40, 42, 65, 87, 159, 214, 226, 402 –, verborgener 199, 352-353 –, Verwirklichung 31 –, und Volk 138, 141 Gottesherrschaft 174 Gottesknecht 430

642

Sachregister

Gottesname 71, 164, 183, 242, 332, 334, 426, 474 Griechenland, Griechen 198, 371, 486, 500 Gute, das 67 Halacha 17, 208, 362, 476, 548, 612, 632 Halevi, Jehuda –, Kusari 225, 315, 507, 552 Haran 193-195 Haredim 160 Harnack, Adolf von –, Das Wesen des Christentums 603 Hebräische Universität von Jerusalem 13 Heiliges, Heiligkeit 86, 174, 302, 303-304, 306 Heiligung 86-88 Herder, Johann Gottfried –, Ideen zur Geschichte der Menschheit 513 Herzl, Theodor –, Altneuland 290-292 –, Der Judenstaat 279, 286-289, 540 Hess, Moses –, Briefe über Israels Sendung in der Geschichte der Menschheit 278 –, Europäische Triarchie 272-273 –, Heilige Geschichte der Menschheit 271 –, Jugement dernier du vieux monde social 272 –, Mein Messiasglaube 277 –, Rom und Jerusalem 268, 271, 272- 275, 279 –, Über das Geldwesen 272 Hiob 43, 156, 159, 165, 188, 213, 352-353, 403, 578, 601 Hochmut 219 Homer –, Ilias 36 Hosea 200 Humanismus 149-150 –, biblischer 22-23, 153 –, europäischer 148, 149, 151 –, hebräischer 24, 147, 150-151, 153-154, 157, 359, 487-488 Humor 77-78 Idealismus, deutscher 81-82 Idee, nationale 173 Imitatio Christi 37 Imitatio Dei, siehe Gott, Nachahmung Innerlichkeit 28 Israel 55, 58, 64, 70, 75, 88, 90-91, 100, 103106, 113, 116, 131, 133, 134, 138-139,

–, –, –, –, –, –, –,

–,

141-143, 151, 153-157, 169, 174-177, 179, 183, 188, 191, 193, 200, 206, 212, 217, 236, 237, 240, 242, 244-247, 249, 262, 300, 302, 304, 306-307, 321, 324, 332-336, 339-341, 372, 394, 429, 441442, 452, 462, 464, 468, 470-472, 481, 488, 500, 503, 506, 544, 576, 579, 581, 583, 587-589 Bund mit Gott 179, 184, 188-189, 192, 195-196, 201-202, 227, 250 Einzigkeit 114, 115, 155, 242, 457, 464465, 472, 473-474 Erlösung 239 Erwählung 155, 174, 192, 215-216, 219, 243, 307 Geist 321-322, 327-328, 576, 579, 581584, 586, 590 Gemeinschaft 236, 239 Land 207, 210, 213-215, 218-224, 228-229, 232-234, 244, 249-251, 255, 264-266, 288, 298, 301, 305, 310, 506507 vorexilisches 467

Jakob 104-105, 144, 181, 182, 218, 221-222, 267, 348, 351, 525 Jehuda Liwa ben Bezalel –, Ewigkeit Israels 240 Jerusalem 113, 173, 184, 203, 205, 218, 220, 234, 235-236, 238, 239, 249, 274, 326, 460, 475, 564 –, himmlisches, oberes 220, 235, 239 Jichud, siehe Einung Jischuw 318, 575 Jobeljahr 189, 221, 547 Johannesevangelium 37, 72, 372 Jona 103, 258 Josef 198 Josua 428 Der Jude 401, 418, 479 Juden 123, 137, 459-473 –, deutsche 63, 94, 99, 100, 101, 148, 157, 443, 457 –, gläubige 63 Judentum 13-14, 17, 20-22, 24, 27, 32, 39, 61, 65, 67, 72, 73, 82, 85-88, 91, 94, 116, 120, 154, 162, 225, 271-272, 274, 275, 307, 333-335, 338-339, 342, 344, 382383, 390, 392, 396, 397, 403, 412, 423425, 427, 428-429, 431, 434, 440, 457, 462, 466, 469, 470-473, 481, 495, 498500, 562, 575-577, 590, 597, 615-616 –, Aufgabe des 140

Sachregister –, Glaube des 63 –, klassisches 163 –, Krisis des 320 –, modernes 142 –, Ost- 51, 284, 287, 315 –, rabbinisches 63 –, West- 51, 274, 284, 287 Jüdische Rundschau 109, 167, 359, 407, 412, 416, 446, 457, 609 Kabbala 71, 173, 235, 252, 400, 429, 529, 550, 559, 608, 632 Kain 69, 349, 369 Kanaan 175, 178-179, 182, 187, 193-200, 201-202, 208, 216, 217, 228, 247, 262, 267, 306 Kawwana 161, 633 Kibbuz 585, 591 Kirche 134-135, 339, 379, 380, 589 Knecht, leidender 213 Königtum Gottes 116, 321, 334, 472, 476, 581, 585, 591 Krochmal, Nachman –, Führer der Verirrten 481 Kult 174 Kultur 75, 101, 329-333, 336 –, jüdische 336 Kulturbund deutscher Juden 101, 450 Leben 86 –, dialogisches 69 –, kosmisches 308-309 –, religiöses 67 Lehre 130 –, jüdische 19, 120-122 Leidenschaft 66-67 Liberalismus, religiöser 124, 382-383 Liebe 107, 110, 343-344, 453 –, Nächsten- 110, 343 Lüge 144-145, 393 Magie 70, 71, 72, 372, 376 Marcionismus 328 Marx, Karl –, Die heilige Familie 561 Marxismus 271 Mensch 28-30, 74, 141, 148, 323, 329-330, 342, 345, 347-348, 354, 424, 581, 583-584 –, biblischer 152-153, 156, 599 –, jüdischer 232, 599 –, moderner 163-164, 348, 582 Messianismus 52, 251, 327, 335, 358, 429430

643 Messias 224, 241, 305-306, 334-335, 557, 595 Midrasch 316, 633 Mischna 209, 633 Monotheismus 64 Moses 43, 70, 107, 132, 155, 165, 179, 196199, 216, 222, 299, 333, 357, 425, 426, 428, 465, 495, 539, 571, 602 Mystik –, christliche 141, 339, 342 –, jüdische 429 Mythos 30, 70 Nation 114, 241, 322 Nationalismus 56, 133, 153, 155, 394, 503 –, jüdischer 153 Nativismus 379-380, 615 Natur 175, 199, 270, 302, 304-307, 308-310, 312, 342, 350, 424 Neues Testament 69, 326, 402 Neue Wege 480 Noah 186 Offenbarung 20, 70, 72, 73-74, 79, 82-83, 114, 123, 128-130, 140, 160, 184, 192, 199, 210, 216, 217, 228, 244, 250, 262, 326, 350, 410, 423-424, 427, 429, 438, 464-465, 479, 485, 588, 589, 594 Opfer 369-370, 427-428 Orient 331, 332 Orthodoxie 117, 382 Palästina 185, 229, 248, 276-277, 282, 284285, 287, 289, 294, 296-297, 299, 300, 308, 313, 414 Person, absolute 140, 142 Philosophie 80-81 Pinsker, Leo –, Autoemanzipation 279, 284-285, 316 Platon –, Phaidros 35 –, Theaitos 35 Platonismus 36 Profane, das 303, 429 Prophet, Nawi 88, 104, 115, 175, 198, 202, 203, 213, 226, 232, 296, 331, 333-334, 340, 343, 345, 347-348, 375-376, 377, 389, 428-429, 465, 466-467, 472, 577 Prophetie 105, 228, 234 Protestantismus 72, 327, 589-590

644 Rasse 270-271 Reformation 135, 327 Reich Gottes 16, 22, 69, 75, 88, 134, 216, 271, 274, 324, 374, 375-379, 429, 431 Religion 15, 28, 75, 101, 118, 152, 159, 163, 176, 311, 333, 337-338, 369, 389, 494495, 576 –, jüdische 52, 85, 88, 156, 358, 607 Religionsgeschichte 64 Religiosität 16-17, 389 –, jüdische 15, 22, 389 Renaissance –, italienische 147, 331 –, jüdische 13, 24, 147 Richtung 66 Rosenzweig, Franz –, Die Bauleute 20, 92, 126, 127, 129, 478479 –, Hegel und der Staat 79 –, Das neue Denken 77 –, Der Stern der Erlösung 76-77, 79, 80, 8284, 437, 438-439 Rousseau, Jean-Jacques –, Le contrat social 509, 512 Ruach 306, 395, 424-424 Sabbat 189, 228-229, 633 Sabbatianismus 251, 358, 557 Sabbatjahr 188-191 Sakrament 427-429 Salbung 333, 334, 372-373, 375, 429 Samuel 333, 351, 372, 373 Satan 247, 339 Schechina 29, 69, 164, 219-220, 229, 230, 231-232, 234, 235-236, 238, 239, 243244, 249, 264, 304, 306, 316, 400, 531, 551, 633 Schicksal 87 Schöpfung 65, 68-69, 72-74, 83, 87, 88, 99, 210, 215-216, 228, 235-236, 243, 244, 262, 304, 323, 326, 327, 342, 354, 377, 423-424, 427, 583 Schweiz 96 Seele 35, 40, 72, 233 Sinai 86, 88, 132, 138-139, 155, 204, 208, 210, 262, 347, 467, 583, 586, 587, 599 Sinn 88 Situation, dialogische 65, 72, 73, 345, 423, 427, 429 Sohar 235, 507, 550, 554 Sozialismus 269-270 Sprache 87, 149

Sachregister Staat 241 Sünde 245, 376 Sündenfall 41 Symbol 162, 183 Talmud 71, 208, 214, 585, 633 Taufe 375 –, Johannes- 373, 374, 375, 376, 379 –, Proselyten- 372, 375 Technik 135 Tempel 204, 205, 218-219, 235, 238 –, zweiter 230, 326 Tempelberg 139-140, 173, 184, 204, 206, 235 Terach 194 Theologie 80-81 –, jüdische 81-82 –, katholische 81 Theophanie 28-29, 390 Theopolitik 15 Theurgie 71 Thoreau, Henry –, On the duty of civil disobedience 572 –, Walden 572 Tod 431-432 Tora 70, 77, 87, 104, 139, 145, 160-161, 164-165, 210, 213, 216, 217, 220, 227, 229, 255, 258-259, 261-262, 265, 324, 325-326, 434, 470-471, 479, 556, 557, 586, 587, 634 Trieb, böser 67 Uganda-Projekt 293-294, 296, 315, 567 Umkehr 16, 68-69, 99, 123, 191, 211, 305, 334, 349, 372, 373-374, 376-379, 434, 467, 563 Unsterblichkeit 431 Verein Bar Kochba 389, 609 Verwirklichung 31, 84, 120, 323-326, 345, 346, 583, 584-586, 588, 591, 610 Volk, Völker 55, 85, 88, 114, 131-133, 134, 136, 139-141, 173, 240, 243, 464-465, 508-509, 514, 580, 582 –, abendländische 134, 142 –, deutsches 146, 155 –, heiliges 346 –, jüdisches 75, 133, 134, 143, 147, 156, 162, 173, 321, 325, 335, 401, 409, 412 –, und Land 175 –, primitives 367 –, russisches 136-137 Völkerbund 135

Sachregister Wahrheit 50, 77, 83, 107, 136, 144-146, 156, 357, 378, 393, 394-395, 409, 420, 439, 454, 576-577 –, göttliche 81 –, philosophische 122 –, religiöse 122 Welt, kommende 213, 263, 429 Wiedergeburt 366-367, 369-371, 372, 377 Wirklichkeit 30, 31-32, 66, 75, 83, 86, 119, 467 –, religiöse 27-28, 102, 397, 399

645 Zaddik 256, 262, 303, 634 Zeit, messianische 223, 556 Zeus 36, 198, 200-201, 202 Zion 34, 169, 173, 176, 203-205, 207, 230, 234-237, 239, 267, 274, 288-289, 291299, 300, 499, 503, 572 Zionismus, siehe auch Bewegung, zionistische 13-14, 23, 24, 112, 151, 176, 288, 293-294, 297-298, 315, 316, 401, 412, 414, 417, 418, 420, 436, 488, 499, 502-503 –, Kultur- 297, 390, 392, 408, 411, 414, 436

Personenregister Abba Schaul (2. Jh): Tannait; vermutlich ein Schüler des ! Rabbi Akiba. 41, 42 Abraham von Kaliski (oder Kolusk), Rabbi (1741-1810): chassid. Zaddik; wanderte mit ! Menachem Mendel von Witebsk 1777 nach Palästina ein und wurde dessen Nachfolger. 256, 559 Acha, Rabbi (4. Jh): paläst. Amoräer. 40, 41, 407 Achad Haam, hebr. »Einer aus dem Volke«, eig. Ascher Ginzberg (1856-1927): hebr. Schriftsteller und zionistischer Theoretiker aus Russland; Verfechter des sog. Kulturzionismus; Gegner ! Theodor Herzls. 45, 46-47,l 51, 52-55, 56, 59, 275, 282, 285-286, 297-301, 315, 407, 408, 412, 414, 417, 564, 575 Aischylos oder Aeschylos (525-456 v. Chr.): klass. griech. Dramatiker. 36 Akiba ben Joseph (ca. 50-135): paläst. Tannait der 2. Generation; bes. bedeutungsvoll für die Ausbildung der halachischen Tradition; unterstützte den ! BarKochba-Aufstand gegen Rom (132-135); erlitt den Märtyrertod; sehr volkstümliche Figur. 40, 154-155, 210-211, 349, 433, 434, 550 Amos von Tekoa (8. Jh v. Chr.): erster Schriftprophet; im Nordreich wirkend; prangerte besonders die fehlende soziale Gerechtigkeit an. 50, 138-139, 192, 199, 202 Asch, Schalom (1880-1957): jidd. Schriftsteller. 411 Auerbach, Berthold (1812-1882): dt.-jüd. Schriftsteller; Verfasser der Schwarzwälder Dorfgeschichten (1843). 269 Baal-schem-tow ! Rabbi Israel ben Elieser Baeck, Leo (1873-1956): dt. Rabbiner und führender Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland; seit 1912 Gemeinderabbiner in Berlin; bis zur Schließung der Berliner Gemeinde 1942 Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums; ab 1933 Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden; 1943 Deportation nach Theresienstadt; 1945 Emigration nach London; 1947 gründete er das später nach ihm benannte Leo Baeck Institut: Institut zur Erforschung des Judentums in Deutschland seit der Aufklärung; nach 1945 intensive Bemühungen um den Dialog zwischen Juden und Christen. 98, 167, 354, 357, 446, 496, 603, 605, 607 Bakunin, Michail Alexandrowitsch (1814-1876): russ. Revolutionär und Anarchist. 55, 415 Baneth, David Hartwig Zvi (1893-1973): dt.-jüd. Orientalist; von 1920-1924 Dozent an der Akademie für die Wissenschaft des Judentums; danach Lehrtätigkeit, seit 1936 als Prof. an der Hebräischen Universität in Jerusalem für arabische Sprache und Philosophie; Arbeiten zur jüd.-arabischen Philosophie. 507 Bar Kochba, hebr. für »Sternensohn« (gest. 135 n. Chr.): messianischer Beiname des Simon bar Koseba; Führer des letzten großen Aufstandes der palästinen. Juden gegen die Römer (132-135 n. Chr.); wurde zu Beginn des Aufstands von

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! Rabbi Akiba zum Messias erklärt; nach anfänglichen Erfolgen von den Römern besiegt und hingerichtet. 154, 326, 459, 589 Bergman(n), Shmuel Hugo (1883-1975): österr. Philosoph und Zionist; Mitglied des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; Freund Bubers; 1920 Emigration nach Palästina; erster Direktor der Jüdischen Nationalbibliothek; ab 1935 Prof. für moderne Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem, deren Rektor er 1935-1938 war. 410-411, 502 Bergson, Henri (1859-1941): franz. Philosoph jüd. Herkunft; 1900 Lehrstuhl für griech. Philosophie am Collège de France; seit 1914 Mitglied der Académie française; 1927 Nobelpreis für Literatur; bedeutender Vertreter der Lebensphilosophie. 338-344, 577, 603 Bialik, Chaim Nachman (1873-1934): russ.-jüd. Schriftsteller, Schöpfer moderner hebr. Lyrik und Prosa; gehörte zum Kreis um ! Achad Haam in Odessa; 1921 Übersiedlung nach Berlin; ab 1924 lebte er bis zu seinem Tod in Tel Aviv. 103, 360, 362- 363, 410, 416, 451, 611, 612 Bismarck, Otto v. (1815-1898): dt. Politiker, seit 1862 Ministerpräsident Preußens und von 1871-1890 des Deutschen Reichs. 157, 494 Blake, William (1757-1827): engl. Dichter und Maler. 274, 564 Blumenfeld, Kurt (1884-1963): dt. Zionist; 1923-33 Vorsitzender der Zionistischen Vereinigung für Deutschland; seit 1933 in Palästina. 416 Brenner, Josef Chaim (1881-1921): hebr. und jidd. Schriftsteller; Auswanderung nach Palästina 1909. 55 Britschgi-Schimmer, Ina Regina (1881-1949): dt. Sozialwissenschaftlerin und Zionistin; 1903-1906 Mitarbeit im Jüdischen Verlag; gab zusammen mit Buber Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen (1929) heraus; 1933 Auswanderung nach Palästina. 416 Britschgi-Schimmer, Melchior (1912-1980): Sohn von Ina Regina BritschgiSchimmer. 57, 416 Brunner, Emil (1889-1966): schweiz. prot. Theologe; Vertreter der Dialektischen Theologie. 445 Buber, Salomon (1827-1906): Großvater Martin Bubers; Großgrundbesitzer und Unternehmer in Galizien; jüd. Gelehrter und wiss. Herausgeber von Midraschim, die in seiner Bearbeitung teilweise noch heute in Gebrauch sind. 13 Buber, Adele geb. Weis (1830-1911): Großmutter Martin Bubers. 13 Bunam von Przysucha, Rabbi ! Simcha Bunam. Burdach, Konrad (1859-1936): bedeutender dt. Germanist; seit 1887 Prof. in Berlin; Autor des Sammelwerks Vom Mittelalter zur Reformation (7 Bde.; 1893 ff.). 147, 150, 488, 489, 493 Calvin, Johannes (1509-1564): franz.-schweizer. Reformator. 241, 242, 555 Chamberlain, Joseph (1836-1914): engl. Politiker; seit 1895 Kolonialminister. 292293, 569

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Choni, genannt der Kreiszieher (1. Jh v. Chr.): Tannait des 1. Jh v. Chr., dessen Gebete für Regen erhört worden sein sollen; volkstümliche Figur. 211-212, 549 Clermont-Tonnere, Stanislas Comte de (1747-1792): franz. liberaler Politiker; Verfechter der konstitutionellen Monarchie; Fürsprecher der Emanzipation der Juden. 469 Cohen, Hermann (1842-1918): dt.-jüd. Philosoph; Hauptvertreter des Marburger Neokantianismus; einer der wichtigsten Vertreter der jüdischen Philosophie des 20. Jh; von 1876-1912 Prof. der Philosophie an der Univ. Marburg; ab 1912 Lehrtätigkeit an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin; Lehrer ! Franz Rosenzweigs. 23, 31, 76, 82, 84, 110, 455 Dante Alighieri (1265-1321): ital. Dichter und Philosoph; Verfasser der Göttlichen Komödie. 150 David (11./10. Jh v.Chr.): nach Saul zweiter König Israels. Davids Dynastie herrschte im Südreich Juda bis zu dessen Untergang. 333, 349, 350 Dienemann, Max (1875-1939): führender dt. Rabbiner der liberalen Strömung; 1933 und 1938 KZ-Inhaftierungen; 1939 Emigration nach Palästina. 124 Dilthey, Wilhelm (1833-1911): dt. Philosoph, Geistes- und Literaturhistoriker; 1867 Prof. der Philosophie an der Univ. Basel, ab 1882 an der Univ. Berlin; Vertreter der Lebensphilosophie; Lehrer Bubers an der Universität Berlin. 147, 493 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch (1821-1881): russ. Schriftsteller. 50, 136, 137139, 141, 142, 414, 486 Dow Bär von Mesritsch (1704-1772): genannt »der große Maggid« oder auch »der Maggid von Mesritsch«; chassidischer Zaddik; gemäß der chassidischen Geschichtsschreibung Schüler und Nachfolger des ! Israel ben Elieser. 558, 559 Dreyfus, Alfred (1859-1935): jüd.-franz. Offizier, dessen Verurteilung 1894 wegen Landesverrats die Dreyfus-Affäre auslöste, 1906 rehabilitiert. 565 Dubnow, Simon (1860-1941): russ.-jüd. Historiker; Arbeiten zur Geschichte des Chassidismus sowie Weltgeschichte des jüdischen Volkes (10 Bde.; 1925 ff.); 1922 Emigration nach Deutschland, 1933 Rückkehr nach Riga, dort von Deutschen ermordet. 409, 440, 476 Eckhart von Hochheim, auch Meister Eckhart (1260-1328): dt. Theologe und Mystiker; sein Werk wurde um die Jahrhundertwende von Repräsentanten der wilhelminischen Gegenkultur wie ! Gustav Landauer wiederentdeckt. 380, 425, 615 Ehrenpreis, Markus, auch Mordechai (1869-1951): aus Lemberg stammender Schriftsteller und Publizist in hebr. Sprache, Übersetzer und Rabbiner; 1900-1914 Oberrabbiner zunächst Bulgariens, seit 1914 bis zu seinem Tode in Stockholm; seit den 1880ern zionistisch aktiv und Mitstreiter ! Theodor Herzls, später Kulturzionist. 75, 436 d’Eichthal, Gustave Seligman (1804-1886): franz. Schriftsteller. 564

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Elipandus von Toledo (717-808?) Erzbischof von Toledo; Vertreter einer als häretisch verurteilten adoptianistischen Lehre. 380, 615 Engels, Friedrich (1820-1895): dt. Philosoph und Politiker, Theoretiker des Sozialismus; enge Zusammenarbeit mit ! Karl Marx. 269, 270, 561, 562 Euripides (485/484 o. 480-406 v. Chr.): klass. griech. Dramatiker. 36 Ezechiel (6. Jh v. Chr.): Prophet, wirkte während des babylonischen Exils. 205 Fackenheim, Emil (1916-2003): dt.-jüd. Philosoph u. Rabbiner; Studien zum deutschen Idealismus; 1939 Flucht nach England; später Lehrtätigkeit in Toronto, seit 1984 Prof. in Jerusalem. 504 Feiwel, Berthold (1875-1937): österr.-jüd. Schriftsteller und zionist. Politiker; Mitglied der Demokratischen Fraktion; Freund Bubers. 13 Feuerbach, Ludwig (1804-1872): dt. Philosoph des Junghegelianismus. 561 Frank, Jakob (1726-1791): poln.-jüd. Begründer des Frankismus, einer messianistischen Sekte nach Art des Sabbatianismus; vertrat einen extremen Antinomismus und konvertierte schließlich zum Katholizismus. 251, 315, 557 Franz von Assisi (ca. 1181-1226): ital. Ordensgründer der Franziskaner und kath. Heiliger. 38, 407 Freud, Sigmund (1856-1939): österr. Mediziner und Kulturphilosoph; Begründer der Psychoanalyse; 1938 Emigration nach England. 142, 487 Friedrich II. (1712-1786): König von Preußen. 511 Geibel, Emanuel (1815-1884): dt. Lyriker. 494 Goldstein, Julius (1873-1929): dt.-jüd. Soziologe; gab seit 1925 die dt.-jüd. Zeitschrift Der Morgen heraus. 418 Gordon, Aaron David (1856-1922): jüd. Sozialist; 1904 Emigration nach Palästina; führende Persönlichkeit der Kibbuzbewegung. 33, 59, 301, 307-314, 315, 401, 417, 508 Grotius, Hugo Grotius (1583-1645): niederl. Jurist und polit. Philosoph der Frühaufklärung. Mit seinem Hauptwerk De jure belli ac pacis (»Über das Recht des Krieges und des Friedens«; 1625) legte er die Grundlagen für das moderne Völkerrecht. 241, 555 Grünewald, Max (1899-1992): dt.-US-amerik. Rabbiner; seit 1936 im Präsidialausschuss der Reichsvertretung der Deutschen Juden; 1938 Auswanderung über Palästina in die USA; 1955 Mitbegründer des Leo Baeck Instituts. 606 Guttmann, Julius (1880-1950): dt.-jüd. Religionsphilosoph und Rabbiner; seit 1934 Prof. für Jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität von Jerusalem; Hauptwerk ist die 1933 erschienene Philosophie des Judentums. 408 Hadrian (76-138): röm. Kaiser seit 117 n. Chr. 41, 326, 327, 475, 589, 590, 603 Haeckel, Ernst (1834-1919): dt. Zoologe und Philosoph; 1876-1909 Lehrstuhl in Jena; verbreitete Darwins Thesen in Deutschland. 270, 561 Halevi, Jehuda ! Jehuda Halevi 433, 552

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Harms, Bernhard (1876-1939): dt. Wirtschaftswissenschaftler; seit 1908 Prof. für Nationalökonomie an der Universität zu Kiel, 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Amt entfernt. 421 Harnack, Adolf von (1851-1930): dt.-prot. Theologe; einer der bedeutendsten Kirchen- und Dogmenhistoriker des späten 19. und beginnenden 20. Jh. 72, 327, 423, 589, 590, 603 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770-1831): Philosoph des dt. Idealismus. 52, 53, 133, 412, 439 Heidegger, Martin (1889-1976): dt. Philosoph, der Existenzphilosophie zugerechnet. 438, 451 Heinemann, Isaak (1876-1957): orthodoxer Gelehrter; 1919-1938 Dozent für Religionsphilosophie an dem Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau; 1938 Emigration nach Palästina und Prof. an der Hebräischen Universität in Jerusalem; Forschungen zu ! Philon. 507 Herder, Johann Gottfried (1744-1803): dt. Theologe und Philosoph; seine Sprachund Völkerphilosophie beeinflusste die romantische Bewegung. 512-515 Herodes (73-4 v. Chr.): Klientelkönig des römischen Reiches in Judäa, Galiläa und Samaria. 474 Herodot (490/480-ca. 424 v. Chr.): griech. Geschichtsschreiber der Antike. 198, 202 Herzl, Theodor (1860-1904): Schöpfer des modernen Zionismus und Gründer der Zionistischen Organisation; Schriftsteller und Journalist; bis zu seinem Tod Feuilletonredakteur der Wiener Neuen Freien Presse. 13, 51, 268, 276, 279-281, 283, 286-297, 315, 316, 415, 436, 540-541, 565, 567, 568, 569, 570 Hesiod (8. Jh. v. Chr.): griech. Dichter. 186, 547 Hess, Moses (1812-1875): Schriftsteller und Journalist; in früheren Jahren mit ! Karl Marx und ! Friedrich Engels befreundet; in seinem Buch Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage fordert er schon 1862 die Errichtung eines jüd. Nationalstaates in Palästina. 52, 53-54, 268-270, 272-279, 301, 315, 412, 415, 508, 537, 561, 563, 564 Heuss, Theodor (1884-1963): dt. Politiker; 1949-1959 Bundespräsident. 606 Hirsch, Moritz (oder Maurice) Baron (1831-1896): dt. Unternehmer und Philanthrop. 279, 315, 540 Hitler, Adolf (1889-1945): dt. Diktator; 1933-1945 Reichskanzler. 23, 148, 169, 441, 456, 499, 500, 610 Homer (ca. 8./7. Jh v. Chr.): griech. Epiker der archaischen Zeit; der Tradition nach Verfasser der Ilias und der Odyssee. 36, 201 Ignatius von Antiochia (2. Jh): Bischof in Antiochia; starb als Märtyrer. 37, 39, 407 Israel ben Elieser, genannt Baal-Schem-Tow, d. i. »Meister des guten Namens« (1700-1760): Gründerfigur des Chassidismus in Osteuropa. 250, 251-254, 257, 315, 316, 535, 557

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Israel von Rizin (1796-1850): populärster und einflussreichster Zaddik des 19. Jh 314 Jacob, Benno (1862-1945): dt.-jüd. Rabbiner; 1939 Flucht nach London. 417 Jehuda Halevi (1086-1140): span. Dichter und Philosoph; berühmt durch seine philosophische Apologie des Judentums (Das Buch Kuzari); vom Zionismus aufgrund seiner protozionistischen Hymnen wiederentdeckt. 84, 225, 227, 229-230, 232, 234, 315 Jehuda ibn Tibbon (ca. 1120-ca. 1190): Stammvater der Übersetzerfamilie ibn Tibbon, die philosophische und wissenschaftliche Werke aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzte. 552 Jehuda Liwa (Löwe) ben Bezalel, genannt »der Hohe Rabbi Löw von Prag« (1512/26-1609): Rabbiner, Talmudist, Philosoph und Mathematiker in Prag; gilt in der Überlieferung als Schöpfer des Golem. 240-246, 249, 250, 316, 508, 554, 555, 556 Jellinek, Adolf (ca. 1820-1893): Reformrabbiner in Wien und Vertreter der Wissenschaft des Judentums. 280, 281, 565 Jeremia (Wirkungszeit 626-585 v. Chr.): bibl. Prophet, der sich dafür aussprach, die Hegemonie der Babylonier als von Gott gewünscht anzuerkennen und deshalb von der judäischen Oberschicht verfolgt wurde. Die Missachtung seines Rates führte zur Rebellion, die von Nebukadnezar niedergeschlagen wurde und die Zerstörung des Südreichs Juda und des Tempels zur Folge hatte. 103, 191, 345 Jesaja (8. Jh v. Chr.): bibl. Prophet in Juda, der ähnlich wie Amos eine starke Sozialkritik übte. Er gehörte der oberen Gesellschaftsschicht an und besaß politischen Einfluss am Königshof. Der Großteil der ersten 40 Kapitel des Buches Jesaja wird ihm zugerechnet. 139-140, 170, 203-205, 206, 207, 430, 500 Jesus von Nazareth (um 0-30 n. Chr.): Gründergestalt des Christentums. 38, 325327, 372, 374-375, 378-380, 389, 407, 475, 586, 587, 589, 613 Joachim von Floris, auch Joachim von Fiore (ca. 1130/1135-1202): ital. Mystiker und Theologe; deutete durch allegorische Exegese den Aufbau der Bibel als Heilsgeschichte; entwickelte die Lehre von den drei Zeitaltern des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, welche großen Einfluss auf die verschiedensten häretischen Bewegungen gewann. 274, 563 Johannes der Täufer (ca. 1 v.-ca. 29 n. Chr.): Prophet, Bußprediger und Täufer des ! Jesus von Nazareth. 69, 374-376, 378, 389 Josephus, Flavius, auch Joseph ben Mathitjahu (ca. 38-ca. 100): jüd. Historiker; einer der wichtigsten Vertreter der jüd.-hell. Literatur. 212 Kaplan, Mordecai M. (1881-1983): US-amerik. Rabbiner und Philosoph; Lehrtätigkeit am konservativen New Yorker Jewish Theological Seminary; Begründer des »Reconstructionism«. 355-356, 607

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Kaufmann, Jehuda; seit 1947 Jehuda ibn Schmue’el (1886-1976): aus der Ukraine stammender Judaist; 1926 Auswanderung nach Palästina; Übersetzer des Kusari von ! Jehuda Halevi. 507 Kaufmann, Walter (1921-1980): dt.-US-amerik. Sozialphilosoph und Religionswissenschaftler; übersetzte u. a. Bubers Ich und Du neu ins Englische (1970). 578 Kierkegaard, Sören (1813-1855): dän. Philosoph und Schriftsteller; Vorläufer der modernen Existenzphilosophie. 80, 438 Klatzkin, Jakob (1882-1948): zionist. Autor u. Philosoph; geb. in Russland, lebte u. a. in Marburg, wo er bei ! Hermann Cohen studierte; initiierte mit Nahum Goldmann die Encyclopaedia Judaica. 409, 416 Klausner, Joseph (1874-1958): israel. Historiker, Literatur- und Religionswissenschaftler, geboren in Litauen; als Zionist dem revisionistischen Flügel zuzurechnen; seit 1926 Professor in Jerusalem. 411 Kohn, Hans (1891-1971): dt. Historiker und Politikwissenschaftler; Freund Martin Bubers; Mitglied im Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba; lebte in den 1920er Jahren in London u. Jerusalem, danach in den USA; 1930 erschien seine grundlegende Darstellung zu Bubers Leben und Werk Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit. 417, 418, 420, 421, 612 Kook [Kuk], Abraham Isaak HaCohen, gen Rav Kook (1865-1935): aus Lettland stammender orthodoxer Rabbiner; 1904 Einwanderung nach Palästina und Rabbiner in Jaffa; seit 1921 aschkenasischer Oberrabbiner Palästinas, der dem Zionismus aufgeschlossen gegenüberstand; Mystiker. 301-303, 305-307, 316, 508, 571, 572 Krochmal, Nachman (1785-1840): hebr. Historiker und Philosoph; beeinflusst von der Philosophie ! Hegels; einer der ersten Forscher, der sich wissenschaftlich mit dem Judentum auseinandersetzte; lebte gesetzestreu. 131-133, 134, 135, 136, 137-140, 143, 480-481, 485 Kyros II. (590/580-530 v. Chr.): pers. Großkönig. 191, 206, 350, 420, 548 Lagarde, Paul de (1827-1891): dt. Kulturphilosoph; seit 1869 Lehrstuhl für orientalische Sprachen in Göttingen; Exponent des sich seit der Reichsgründung 1871 neu formierenden Antisemitismus. 64, 433 Landauer, Gustav (1870-1919): belletristischer und politischer Schriftsteller und Anarchist; seit 1900 eng mit Buber befreundet; ab Herbst 1918 in der Münchener Revolution aktiv; 1919 Ermordung durch gegenrevolutionäre Milizionäre; besorgte den dreizehnten Band »Die Revolution« (1907) in der von Buber herausgegebenen Reihe Die Gesellschaft. 416 Lassalle, Ferdinand (1825-1864): dt.-jüd. Schriftsteller und sozialist. Politiker; gründete 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, der später in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aufging. 270, 561 Löw, Leopold (1811-1875): ungar. Rabbiner der Reformbewegung. 277, 278, 565 Löw, Rabbi ! Rabbi Jehuda Liwa (Löwe) ben Bezalel Lukács, Georg (1885-1971): ungar. Philosoph und Literaturtheoretiker. 268, 560

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Luther, Martin (1483-1546): Theologe; dt. Reformator und Bibelübersetzer. 407, 423, 425, 455 Machiavelli, Niccolo (1469-1527): ital. Renaissancephilosoph und Verfasser staatspolitischer Schriften. 241, 554 Maimonides ! Moses ben Maimon Mann, Thomas (1875-1955): dt. Schriftsteller; Nobelpreis für Literatur 1929; Emigration 1933 erst nach Frankreich, später in die USA. 170, 500, 502 Marc Aurel (121-180): röm. Kaiser. 200, 547 Marcion (ca. 85-160): frühchristlicher Gnostiker; 144 wegen Häresie exkommuniziert; Begründer der bis ins 6. Jh bestehenden, weit verbreiteten marcionitischen Kirche; in seiner Lehre unterschied er zwei unversöhnliche Offenbarungsgottheiten: den »bekannten« strafenden Gott des Alten Testaments und den »fremden« Gott der Liebe und des Erbarmens, wie ihn ! Jesus von Nazareth verkündet habe. 72, 326-327, 435, 587-588 Marx, Karl (1818-1883): dt. Philosoph und Kritiker der pol. Ökonomie; seit 1849 im Londoner Exil; veröffentlichte 1867 sein Hauptwerk Das Kapital; gründete die Internationale Arbeiter-Assoziation. 142, 268-272, 412, 487, 537, 560, 561, 562 Maury, Jean Siffrein (1746-1817): franz. Kirchenmann und Politiker; in der Nationalversammlung Royalist und Gegner der Judenemanzipation; später Anhänger Napoleons, der ihn 1810 zum Erzbischof von Paris ernannte. 469 Meinecke, Friedrich (1862-1954): bedeutender dt. liberaler Historiker; 1901 Lehrstuhl in Straßburg, 1906 in Freiburg und seit 1914 in Berlin; 1893-1935 Hrsg. der Historischen Zeitung; entwickelte das Konzept der Ideengeschichte; Lehrer ! Franz Rosenzweigs. 79, 439 Meister Eckhart ! Eckart von Hochheim Menachem Mendel von Witebsk (1730-1788): chassid. Zaddik; 1777 Übersiedlung nach Palästina und Gründer der chassidischen Gemeinschaften von Safed und Tiberias. 256, 263, 558, 559 Micha (8. Jh v. Chr.): bibl. Prophet im Südreich. 139-140, 205 Michel, Wilhelm (1877-1942): Schriftsteller, Essayist und Hölderlin-Forscher; verfasste u. a. die Schrift Martin Buber. Sein Gang in die Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 1926 und Das Leben Friedrich Hölderlins, Bremen 1940. 60-62, 417-420 Mill, John Stuart (1806-1873): brit. Philosoph und Nationalökonom; Fürsprecher des Frauenwahlrechtes und Vertreter einer utilitaristischen Ethik. 53, 412 Mirabeau, Honoré Graf von (1749-1791): franz. Politiker; Vertreter des 3. Standes in der Nationalversammlung während der Französischen Revolution. 62, 421 Montagu, Samuel (1832-1911): brit.-jüd. Bankier und Politiker; unterstützte die Chowewe-Zion-Bewegung. 287 Moses ben Maimon, auch Maimonides oder RaMBaM (1135-1204): jüd. Religionsphilosoph, Bibelkommentator und Arzt; einer der bedeutendsten jüd. Gelehrten des Mittelalters; versuchte, die aristotelische Philosophie mit der jüdischen Offenbarungsreligion in Einklang zu bringen; wichtigste Schriften: das religionsphi-

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losophische Werk Führer der Unschlüssigen und das Kompendium zum jüd. Religionsgesetz Mischne Torah. 107, 248, 433, 453-454, 481, 482 Moses de Leon (1250-1305): Kabbalist, gilt als Verfasser des Sohar. 554 Nachman von Bratzlaw (1772-1810): chassid. Zaddik; Urenkel des ! Israel ben Elieser; 1798 Reise nach Palästina; teilweise von den anderen Zaddikim heftig angefeindet; Bubers erstes chassid. Werk Die Geschichten des Rabbi Nachman (1905) erzählen dessen originelle Geschichten nach. 250, 253, 254-260, 262-264, 267, 316, 557, 558-560 Napoleon Bonaparte (1769-1821): franz. General und Staatsmann; 1799 Konsul; 1804-1815 franz. Kaiser. 116, 257, 469-470, 559 Nathan [Steinhartz] von Nemirów, genannt Rabbi Nosen (1780-1844): seit 1802 Schüler und Begleiter des Rabbi ! Nachman von Bratzlaw sowie Hrsg. seiner Schriften. 253, 558 Nietzsche, Friedrich (1844-1900): dt. Philosoph; beeinflusste die Lebensphilosophie und den Ästhetizismus der Jahrhundertwende. 338-339, 438 Nikodemos ben Gorion (1. Jh): Bürger Jerusalems. 212 Nordau, Max, eig. Südfeld (1849-1923): ungar-jüd. Arzt, polit. Zionist und Schriftsteller; Freund ! Theodor Herzls und Gegner ! Achad Haams; Führer der zionist. Bewegung nach Herzls Tod. 289, 293, 295, 316, 508, 541, 567, 568 Oepke, Albrecht (1881-1955): dt evang. Theologe. 504 Paulus (ca. 10-65): christl. Apostel der Heidenmission, der vom Verfolger zum eifrigen Verbreiter der neuen Lehre wurde; ihm zufolge gilt das jüdische »Gesetz« als aufgehoben. 9, 37, 39, 203, 325-326, 367, 378-379, 425, 548, 587, 613 Pausanias (ca. 110/115-180): griech. Geograph und Historiker; Verfasser eines zehnbändigen Werks Beschreibung Griechenlands, dessen Angaben oftmals von der Archäologie bestätigt werden konnten. 36 Petrus (gest. 63/67?): der bedeutendste der zwölf Jünger Jesu und Apostel der gemäßigten Judenmission; nahm in der Urkirche eine Führungsrolle ein. 378 Phidias (ca. 500/490-430/420 v. Chr.): Bildhauer der Hochklassik im Athen des Perikles. 36, 406 Pinchas von Korez/Korzec (1726-1791): chassid. Zaddik; nach der chassid. Geschichtsschreibung ein Schüler des Rabbi ! Israel ben Elieser. 361 Pinsker, Leon (Judah Leib) (1821-1891): russ.-jüd. Arzt und Schriftsteller, Führer der Hibbat Zion, hebr. Autor; zunächst Vertreter der Assimilation, verfasste er 1881 nach den Pogromen in Südrussland das zionist. Manifest Autoemanzipation!. 275, 279-286, 296, 297, 316, 457, 540, 566 Platon (ca. 428-348 v. Chr.): griech. Philosoph; Begründer der abendländischen Metaphysik. 35, 38, 136, 170, 200, 339, 406, 435, 500, 604 Plehwe, Wjatscheslaw Konstantinowitsch von (1846-1904): russ. Innenminister. 293, 569

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Polykarp von Smyrna (ca. 69-155 n. Chr.): Märtyrer und Kirchenheiliger; wirkte angeblich als Bischof in Smyrna. 37 Portalis, Jean-Étienne-Marie (1746-1807): franz. Jurist, Rechtsphilosoph und Politiker; Mitarbeit am Code civil ! Napoleons. 116, 476 Prinz, Joachim (1902-1988): liberaler Rabbiner, amtierte seit 1926 als jüngster Rabbiner in Berlin; Zionist; 1937 Emigration in die USA; 1958-1966 Leiter des American Jewish Congress; engagiert in der Civil Rights Movement. 117, 476-477 Przywara, Erich (1889-1972): dt. kath. Theologe, Jesuit und Philosoph. 434 Pythagoras (570-510 v. Chr.): griech. Philosoph und Mathematiker. 35 Ragaz, Leonhard (1868-1945): schweiz. Theologe; 1908-1925 Prof. für Theologie in Zürich; 1906-1945 Herausgeber der Zeitschrift Neue Wege. Blätter für religiöse Arbeit; beeinflusst von der Dialektischen Theologie; setzte sich für den religiösen Sozialismus und die internationale Friedensbewegung ein; stand Buber nahe. 480, 485 Rang, Florens Christian (1864-1924): dt. prot. Theologe und Schriftsteller; Mitglied des Forte-Kreises; Freund Bubers; rief in seiner Schrift Deutsche Bauhütte (1924), die Beiträge diverser bedeutender Autoren versammelte, zu freiwilligen Reparationsleistungen an Belgien und Frankreich auf. 486 Raschi, Akronym für Schlomo Jizchaki (1040-1105): bedeutendster Bibel- und Talmudkommentator des Mittelalters. 42, 550 Rosenzweig, Franz (1886-1929): dt.-jüd. Philosoph; übersetzte mit Buber die Bibel; 1919 Leiter der jüdischen Volkshochschule (ab 1920 Freies Jüdisches Lehrhaus); anders als Buber vertrat er eine Rückbesinnung auf das traditionelle Judentum und stand dem Zionismus kritisch gegenüber. 9, 17-20, 21, 76-78, 79-84, 92, 117, 126-127, 161, 315, 382, 437, 438, 439, 455, 477-479 Rothschild, Edmond Baron de (1845-1934): Zionist; unterstützte seit 1882 die jüdische Kolonisation in Palästina. 293, 316, 570 Rousseau, Jean-Jacques (1712-1778): franz. Schriftsteller und Philosoph; 1761 erschien sein gesellschaftstheoretisches Hauptwerk Du contrat social ou principes du droit politique 508-512, 514-515 Rudolf II. (1552-1612): Kaiser des Heiligen Römischen Reichs seit 1576; Förderer von Wissenschaft und Kunst. 240, 554 Sabbatai Zvi, auch Schabtai Zewi (1626-1676): Pseudomessias und zentrale Figur des Sabbatianismus; dieser war die größte und (nahezu weltweit) einflussreichste jüd.-messianistische Bewegung der Neuzeit; 1665 Proklamation als Messias; 1666 Konversion zum Islam. 251, 281, 316, 557 Saul (11. Jh v. Chr.): nach der Bibel der erste König von Israel. 372-373, 425 Saul von Tarsos ! Paulus Schmitt, Carl (1888-1985): dt. Staatsrechtler; bereitete mit seiner Theorie des Ausnahmezustands den nationalsozialistischen Terror vor; verteidigte 1935 die Nürnberger Rassengesetze. 15

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Schocken, Salman (1877-1959): dt.-jüd. Kaufhausbesitzer, Verleger und Zionist, mit Buber befreundet und Verleger Bubers v. a. während der 1930er Jahre. 168, 497 Scholem, Gershom (1897-1982): dt.-jüd. Religionshistoriker; in seiner Jugend von Buber beeinflusst; nahm später eine kritische Distanz zu ihm ein; Begründer der wissenschaftlichen Erforschung der jüd. Mystik; 1923 Emigration nach Palästina; 1925 Dozent für Judaistik, ab 1933 Prof. für Jüdische Mystik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 358, 437, 507, 554, 608 Schopenhauer, Arthur (1788-1860): dt. Philosoph. 438 Scipio der Jüngere, eigentlich Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (185/ 184-129 v. Chr.): röm. Feldherr und Politiker; Zerstörer Karthagos. 493 Seïra, Rabbi (4. Jh): Amoräer, der aus Babylonien nach Palästina einwanderte. 222224 Simcha Bunam von Przysucha/Pžysha (1765-1827): chassidischer Zaddik. 53 Simmel, Georg (1858-1918): dt. Philosoph und Soziologe; verband in seinem Denken Neukantianismus und Lebensphilosophie; 1909 Prof. für Philosophie und Soziologie an der Univ. Berlin, 1913 an der Univ. Straßburg; Lehrer und Förderer Bubers; besorgte den zweiten Band »Die Religion« in der von Buber herausgegebenen Reihe Die Gesellschaft. 15 Simon ben Jochai (2. Jh): Tannait; bedeutender Schüler des Rabbi ! Akiba; soll sich nach dem Scheitern des Bar Kochba Aufstands jahrelang mit seinem Sohn in einer Höhle versteckt haben; angeblicher Verfasser des Sohar. 213, 550, 554 Simon ben Schetach (1. Jh v. Chr.): pharisäischer Gelehrter und Vorsitzender des Sanhedrin. 212 Simon, Ernst Akiba (1899-1988): dt.-jüd. Historiker, Pädagoge, Religionsphilosoph; 1923-28 Redakteur der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude; 1928 Emigration nach Palästina; ab 1939 Dozent für Geschichte und Philosophie der Pädagogik und 1950-1967 Prof. der Pädagogik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 127, 416, 437 Singer, Kurt (1885-1944): dt.-jüd. Neurologe und Musikwissenschaftler; gründete 1933 den Kulturbund Deutscher Juden; 1938 Emigration nach Holland; 1943 deportiert; 1944 Tod in Theresienstadt. 450 Smolenski, Perez (1842-1885): aus Russland stammender, seit 1868 in Wien lebender hebr. Schriftsteller und Journalist; Vertreter der Haskala und Zionist. 316 Sokrates (469-399 v. Chr.): griech. Philosoph. 35 Solon (um 640- um 560 v. Chr.): griech. Staatsmann und Lyriker. 200 Sombart, Werner (1863-1941): dt. Soziologe und Ökonom. 421 Sorel, Georges (1847-1922): franz. Ingenieur und anarchistischer Sozialphilosoph. 162-163, 495 Spencer, Herbert (1820-1903): engl. Philosoph des Liberalismus und Wissenschaftstheoretiker. 53, 412

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Spengler, Oswald (1880-1936): dt. Geschichtsphilosoph u. Kulturkritiker; Vertreter der sog. »Konservativen Revolution«; mit seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (2 Bde. 1918 u. 1922) wurde er schlagartig berühmt. 377, 614 Spinoza, Baruch, auch Benedikt de (1632-1677): niederl.-jüd. Philosoph des Rationalismus; beeinflusste pantheistische und materialistische Vorstellungen der Aufklärung; wurde wegen seiner Religionskritik 1656 von der seph.-jüd. Gemeinde Amsterdams mit dem großen Bann belegt. 52, 163, 270, 274, 412, 563 Spitzer, Moritz (1900-1982): öster.-jüd. Indologe; von 1932 bis 1934 Sekretär Bubers; anschließend Lektor im Schocken Verlag; 1939 Emigration nach Palästina. 455 Strauß, Ludwig (1892-1953): dt.-jüd. Schriftsteller und Germanist; Zionist; mit Bubers Tochter Eva verheiratet; 1935 Emigration nach Palästina. 401 Susman, Margarete (1872-1966): dt.-jüd. Philosophin, Dichterin und Journalistin; nach der NS-Machtergreifung Emigration in die Schweiz; gehörte dem Kreis um ! Leonhard Ragaz an; mit Buber befreundet. 437 Thoreau, Henry (1817-1862): US-amerik. Schriftsteller. 309, 572 Tillich, Paul (1886-1965): dt. prot. Theologe; emigrierte 1933 in die Vereinigten Staaten und lehrte bis 1955 am Union Theological Seminary in New York; Vertreter des religiösen Sozialismus. 421 Titus (39-81): ab dem Jahr 69 militärischer Oberbefehlshaber im jüd. Krieg; im Jahr 70 Eroberung und Zerstörung Jerusalems und des Tempels; ab 79 röm. Kaiser. 113, 460 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch Graf (1828-1910): russ. Schriftsteller; Vertreter eines anarchistisch-kommunistischen Christentums; seine Ideale hatten Einfluss auf die Einwanderer der zweiten Alija. 309, 572 Trüb, Hans (1889-1949): schweiz. Psychoanalytiker und -therapeut aus der Schule C. G. Jungs; beeinflusst von Martin Buber. 612 Tur-Sinai, Naftali Herz, eigentlich Harry Torczyner (1886-1973): öster.-jüd., später israel. Semitist, Bibelexeget und Übersetzer der Bibel ins Deutsche. 411 Vico, Giambattista (1668-1744): ital. Historiker und Geschichtsphilosoph; 16911741 Prof. für Rhetorik in Neapel. 131, 241, 485, 555 Wassermann, Jakob (1873-1934): seinerzeit populärer dt.-jüd. Schriftsteller. 422 Weil, Simone (1909-1943): franz. Philosophin jüd. Herkunft; in den 1930ern kommunistisch und pazifistisch engagiert; seit Kriegsbeginn mystische Erlebnisse, in denen sie dem christlichen Jesus begegnet. 339-343, 577, 603 Weizmann, Chaim (1874-1952): jüd. Chemiker u. zionist. Politiker; 1920-1931 und 1935-1946 Präsident der Zionistischen Weltorganisation; 1949 erster israelischer Staatspräsident. 13 Weltsch, Robert (1891-1982): öster. Publizist; Mitglied des Vereins Jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; 1919-1938 Chefredakteur der zionist. Wochenzeitung

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Personenregister

Jüdische Rundschau; 1939 Emigration nach Palästina, 1945 nach England; 1955 Leiter des dortigen Leo Baeck Instituts, dessen Yearbook er von 1956 bis 1978 herausgab. 359, 416, 417-420, 421, 455, 502, 609 Whitman, Walt (1819-1892): US-amerik. Dichter; Mitbegründer der modernen amerikanischen Dichtung. 309-310, 572 Wiener, Max (1882-1950): dt. Rabbiner; emigrierte 1939 in die USA. 480 Zlocisti, Theodor (1874-1943): dt. Mediziner und Zionist; Biograph des protozionistischen Schriftstellers ! Moses Hess und Herausgeber von dessen Werken. 508, 561 Zukerman, William (1885-1961): US-amerik. Publizist. 573 Zunz, Leopold (1794-1886): dt.-jüd. Gelehrter, Begründer der Wissenschaft des Judentums und Übersetzer der Bibel ins Deutsche. 481