Martin Buber Werkausgabe. Band 2.1 Mythos und Mystik: Frühe religionswissenschaftliche Schriften 9783641248505

Band 2.1 der Martin Buber Werkausgabe versammelt 30 frühe Texte Bubers, wobei die Bezeichnung »früh« sich auf die Schrif

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German Pages 538 Year 2013

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Dank
Einleitung
Alte und neue Gemeinschaft
Satu’s Leiden und Rache
Über Jakob Boehme
Zur Geschichte des Individuationsproblems
Gustav Landauer
Jüdische Märchen
Eingesandt
Die jüdische Mystik
Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom
Das Haus der Dämonen
Ekstase und Bekenntnis [Einleitung der Ekstatischen Konfessionen]
[Mystik als religiöser Solipsismus]
Kalewala, das finnische Epos
Die Mythen des Chassidismus
Der jüdische Sagenschatz
Zwiefache Zukunft
Der Mythos der Juden
Zwei flandrische Wundergeschichten
Die vier Zweige des Mabinogi
Der Engel und die Weltherrschaft
Der Geist des Orients und das Judentum
Jüdische Religiosität
Die zweiten Tafeln
Vier Gleichnisse des Ferid-ed-din Attar
Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung
Das dämonische Buch
Kabbalistische Sagen
Drei Reden
Über Religionswissenschaft
Kommentar
Editorische Notiz
Diakritische Zeichen
Einzelkommentare
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Glossar
Stellenregister
Sachregister
Personenregister
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Martin Buber Werkausgabe. Band 2.1 Mythos und Mystik: Frühe religionswissenschaftliche Schriften
 9783641248505

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Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und Bernd Witte

Gütersloher Verlagshaus

Martin Buber Werkausgabe 2.1 Mythos und Mystik Frühe religionswissenschaftliche Schriften Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von David Groiser

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Gefördert von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf, mit Unterstützung von Dan Georg Bronner und Harry Radzyner.

Gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen.

Gefördert von der Israel Academy of Sciences and Humanities.

1. Auflage

Copyright © 2013 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, Copyright © 2013 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Dieses Werkdieses einschließlich Teile ist urheberrechtlich geschützt. Der Inhalt E-Booksaller ist seiner urheberrechtlich geschützt und enthält Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung unbefugteund Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und diedurch Einspeicherung Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Umschlaggestaltung: Init Kommunikationsdesign GmbH, Bad Oeynhausen Satz: SatzWeise GmbH, Bad Wünnenberg ISBN 978-3-641-24850-5 www.gtvh.de

Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Alte und neue Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Satu’s Leiden und Rache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

Über Jakob Boehme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

Zur Geschichte des Individuationsproblems (Nicolaus von Cues und Jakob Böhme) . . . . . . . . . . . . . . .

75

Einleitung

Gustav Landauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Jüdische Märchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Eingesandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Die jüdische Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom . . 124 Das Haus der Dämonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Ekstase und Bekenntnis [Einleitung der Ekstatischen Konfessionen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 [Mystik als religiöser Solipsismus]

. . . . . . . . . . . . . . . . . 150

Kalewala, das finnische Epos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Die Mythen des Chassidismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Der jüdische Sagenschatz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Zwiefache Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Der Mythos der Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Zwei flandrische Wundergeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Die vier Zweige des Mabinogi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Der Engel und die Weltherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

6

Inhalt

Der Geist des Orients und das Judentum . . . . . . . . . . . . . . 187 Jüdische Religiosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Die zweiten Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Vier Gleichnisse des Ferid-ed-din Attar . . . . . . . . . . . . . . . 216 Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung . . . . . . . . . . . 218 Das dämonische Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Kabbalistische Sagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Drei Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Über Religionswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

Kommentar Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Diakritische Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Einzelkommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Stellenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 Gesamtaufriss der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539

Vorbemerkung Der vorliegende Band ist der vierte, der nach der Übernahme der Arbeit an der Martin Buber Werkausgabe durch die Heinrich Heine Universität Düsseldorf publiziert werden kann. Er ist nach den neuen Editionskriterien gestaltet, wie sie erstmals in Band 9 der MBW angewandt und im vorliegenden Band in der Editorischen Notiz als Einleitung zum Kommentar erörtert werden. Mythos und Mystik bilden für Martin Buber eine Einheit. Daher rechtfertigt sich die Zusammenstellung seiner frühen religionswissenschaftlichen Schriften in der vorliegenden Form. So erklärt sich auch die für diesen Band gewählte Überschrift »Mythos und Mystik«, die im Gegensatz zur Auffassung der jüdischen Aufklärung von ihrer Unvereinbarkeit steht. Die »Ekstatischen Konfessionen«, Bubers Sammlung mystischer Zeugnisse aus der ganzen Welt, wurden wegen ihres Umfangs und Gewichts in einen eigenen Band (MBW 2.2) ausgegliedert. Allerdings ist die Einleitung zu dieser Sammlung wegen ihrer Bedeutung für den sachlichen Zusammenhang des Bandes hier noch einmal in der Fassung des von Buber separat publizierten Erstdrucks aufgenommen. Auch zwei weitere kulturhistorische Anthologien, die Buber in dieser Zeit herausgegeben hat (»Kalewala« und die »Vier Zweige des Mabinogi«) sind mit ihren Einleitungen in diesen Band eingegangen. Für die von Buber zusammengestellten Texte dieser Anthologien verweisen wir auf die jeweiligen Einzelausgaben. Die Anthologien zur chinesischen Literatur werden als MBW 2.3 in Kürze als gesonderter Band vorgelegt. Die Israel Academy of Sciences and Humanities, deren erster Präsident Martin Buber war, hat im Jahre 2012 die Arbeit an der Werkausgabe erneut als ein »highly important project« anerkannt und fördert sie seitdem mit einem jährlichen Beitrag. Ein Projekt wie diese Werkausgabe wäre ohne eine großzügige finanzielle Förderung nicht möglich. Wir danken dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für ihre nachhaltige Unterstützung. Besonders sei auch Dan Georg Bronner und Harry Radzyner (beide Düsseldorf) gedankt, die durch ihre Spenden an die Heinrich Heine Universität maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Düsseldorf, im August 2013

Paul Mendes-Flohr, Bernd Witte

Dank Für Ihre Mitarbeit bei der Erstellung dieses Bandes sei den Redakteurinnen und Redakteuren der Arbeitsstelle Martin Buber Werkausgabe, Heike Breitenbach, Grazyna Jurewicz, Andreas Losch und Arne Taube gedankt. Mein Dank gilt auch Caterina Rosato, die als wissenschaftliche Hilfskraft die Korrektheit der Textwiedergaben mehrfach überprüft hat. Ich danke Daniel Matt, Päivi Mehtonen und Schalom Ratzabi für ihre Hilfe bei der Lokalisierung von Zitaten. Oxford, im August 2013

David Groiser

Einleitung Der große Lauscher Selbst die unermüdlichsten Kritiker von Martin Buber geben offen zu, dass er nicht zuletzt deshalb eine außerordentlich starke Wirkung hatte, weil er seine Zeitgenossen, besonders die damalige jüdische Jugend, gerade in den Fragen anzusprechen wusste, in denen sie am empfindlichsten waren, die nach Antworten zu verlangen schienen, wo die einstige Identität scheinbar schon lange brüchig geworden war. Hatten die Entwicklungen des neunzehnten Jahrhunderts trotz aller Romantik und des zeitweiligen Aufkommens gegenaufklärerischer Bewegungen in den Augen vieler zu einer allgemeinen Ausblendung von nichtrationalistischen Elementen geführt, so ging diese Tendenz unter den deutschen Juden in noch stärkerem Maße vor sich. Ein entscheidender Grund dafür war das Streben der Juden nach Emanzipation und Akkulturation, das es nahelegte, das Judentum als Vorbild einer rationalistischen Religion Kantischer Prägung auszuweisen. Dieser Versuch, der freilich nicht auf eine einfache und einseitige Vergeistigung reduziert werden darf, brachte es mit sich, dass man geschichtliche Erscheinungen und auch gegenwärtige Tendenzen zu marginalisieren pflegte, die mit dem Judentum als exemplarischer Religion der Vernunft nicht vereinbar schienen. Im Laufe einer vermeintlichen Läuterung der jüdischen Religion wurden mystische Strömungen und mythische Aspekte, wie wir noch sehen werden, weitgehend an den Rand gedrängt. Vieles, was so einem geläuterten Bild des jüdischen Glaubens zu widersprechen drohte, fiel der Verachtung, wenn nicht gar dem Vergessen anheim. Unter denen, die um die Jahrhundertwende über die religiöse und soziale Stellung ihrer Eltern zu reflektieren begannen, waren nicht wenige, die daraus ein negatives Fazit zogen. Für sie hatten diese Generationen, deren Weltsicht sie als einer apologetischen Verkürzung des Judentums auf ephemere Zeitforderungen mit Misstrauen begegneten, tiefgreifende Entstellungen zu verantworten. Den jüngeren Juden, die dieses Projekt auf unterschiedliche Weise für gescheitert hielten, stellte sich nun die Aufgabe zu retten, was noch zu retten war. Was den unmittelbar vorausgegangenen Generationen ein Gräuel war, gerade das wollte man jetzt wieder aufgreifen. Unter den Juden, die dieser Dynamik der Dissimilation zuzuordnen sind, besaß Buber einen unvergleichlichen Spürsinn für das, was in Vergessenheit geraten war. 1 In seiner Würdigung von Bubers 1.

Zur Dissimilation siehe Shulamit Volkov, Die Dynamik der Dissimilation: Deutsche

12

Einleitung

geschichtlicher Bedeutung fasst Gershom Scholem (1897-1982) diese Fähigkeit Bubers treffend zusammen: »Buber war ein großer Lauscher«. 2 Buber habe sich, so fährt Scholem fort, von Stimmen der Vergangenheit angesprochen gefühlt, die der vorigen Epoche undeutlich und unverständlich geworden waren. Diese Stimmen, die er, wenn überhaupt, nach eigenem Geständnis in »spröder, ungelenker, ungestalter« Form vorfand, hat er in den Dienst der Erneuerung des Judentums gestellt und sie den Juden seiner Zeit nahe zu bringen versucht. 3 Die persönliche Erweckung Bubers wird von ihm selber so erzählt, dass sie en miniature die jüdische Renaissance als ganze vorwegzunehmen scheint. Auf die Kindheit des Volkes sowie auf Bubers eigene, die beide einst eine jüdische Existenz selbstverständlich lebten, folgt nach eigener Aussage – die im Grunde eine Variation des Musters der religiösen Autobiographie darstellt – eine Zeit der Entfremdung, eine Wanderung in der Wüste, die für Buber Wien hieß, eine Art Abfall und Exil von sich selbst und den volkhaften Wurzeln, bevor man endlich durch einen Ruf zu sich zurückgeholt wird und durch Erneuerung die eigenen Grundlagen wieder zu entdecken beginnt. 4 Faktisch war es zwar der Zionismus, der Buber »den ersten Anstoß zu meiner Befreiung« gab, aber zugleich liegt ihm viel daran, dieses »nationale Bekenntnis« von dem »unmittelbare[n] Erkennen« des zu sich kommenden jüdischen Menschen zu unterscheiden, das er als »das Aug-in-Auge-Erkennen des Volkstums in seinen schöpferischen Urkunden« beschreibt. 5 Die Stimmen, die Buber aus den jüdischen Urkunden zunächst und am

2. 3.

4.

5.

Juden und die ostjüdischen Einwanderer, in: Dies., Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. 10 Essays, München 1990, S. 166-180; auch Paul Mendes-Flohr, Fin de Siècle Orientalism, the Ostjuden, and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation, in: Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, hrsg. von Paul Mendes-Flohr, Detroit 1991, S. 77-132; Ders., Jüdische Identität. Die zwei Seelen der deutschen Juden. Aus dem Amerikanischen von Dorthe Seifert, München 2004, S. 45-64. (Titel der englischen Originalausgabe: German Jews. A Dual Identity, New Haven u. London 1999, S. 46-64.) Gershom Scholem, Martin Bubers Auffassung des Judentums, in: Ders., Judaica 2, Frankfurt a. M. 1970, S. 133-192, hier S. 153-154. Martin Buber, Mein Weg zum Chassidismus, in: Sondernummer der Mitteilungen des Verbandes der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands, 8. Jg., Nr. 6, 10. Dezember 1917, S. 181-190, Zitat S. 186; aufgenommen in: W III, S. 967, wo das Adjektiv »ungelenker« weggelassen wird. Siehe Buber, Mein Weg zum Chassidismus, S. 182-186 (W III, S. 962-967). Wien war freilich, wie er selber schreibt, sein eigentlicher Geburtsort, doch die Rückkehr dorthin erscheint in Bubers Rekonstruktion als die Abkehr aus einem im Grunde zweiten, seelischen Geburtsort in Galizien und der Bukowina, unweit von Sadagora, wo er jeden Sommer verbrachte und die chassidischen Gemeinden aus der Nähe kennenlernte (Mein Weg zum Chassidismus, S. 182; W III, S. 963). Buber, Mein Weg zum Chassidismus, S. 185 f. (W III, S. 967).

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Einleitung

stärksten ansprachen, waren die von Mythos und Mystik. Sie haben ihn bei allen Abwandlungen sein Leben lang begleitet.

Mythos und Moderne Das ausgehende neunzehnte und das beginnende zwanzigste Jahrhundert erleben eine weitverbreitete und tiefgehende Umwertung des Mythos. Den Hintergrund dieser Wandlung bilden die Begegnung mit fremden Völkern und deren Mythen während der Entdeckungsreisen der Frühen Neuzeit sowie das Interesse an Mythologie in dem damals aufkommenden europäischen Geschichtsdenken, das schließlich in die Anfänge der modernen Geschichtsschreibung münden sollte. Im Zeitalter der Aufklärung wird der Mythos zum ersten Mal Gegenstand der Wissenschaften, darunter der Völkerkunde, Vorläufer der Ethnologie, und der vergleichenden Religionswissenschaft. Deren Sichtweise ist nicht selten eine kritische, die eine lange Tradition hat. Spätestens seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. wird das Wort bei Rationalisten polemisch eingesetzt, um »mythisches Dunkel mit aufklärerischem Licht« zu vertreiben. 6 Mit der Romantik entsteht ein neues historisches Interesse am Mythos. Es kommt nun erst recht die Zeit der Forscher und Sammler. Mythologische Urkunden und Fundstücke aller Art sollen die Ursprünge der menschlichen Kultur erhellen: Sagen, Legenden, Märchen, je primitiver, umso besser. Die Entdeckung des Mythischen als einer Funktion, die imstande ist, Kultur schaffend und Kultur erneuernd zu wirken, bleibt aber einer späteren Epoche vorbehalten, der Epoche Martin Bubers. Er hat sie in Bezug auf das Judentum entscheidend mitbestimmt, hat an ihrer Gestaltung mitgearbeitet. Wie er das gemacht hat, davon legen die in diesem Band gesammelten Schriften Zeugnis ab. Schon zur Zeit der Aufklärung wurde nicht mehr primär über den Wahrheitsgehalt einzelner Mythen gestritten. Im Zeichen der Toleranz erweiterte man den Blick auf mythische Ausdrucksformen unterschiedlicher Art. Spätestens mit der Romantik wurde dann der Ruf nach einer neuen Mythologie laut. Zwar interessierte man sich wie nie zuvor für die empirisch vorfindlichen Mythologien und Mythen, auch unter den exotischen Völkern, bei denen man früher nicht unbedingt nach Weisheit gesucht hätte. Doch verstand man unter dieser neuen Mythologie oft keine bestimmte Ausformung, sondern eine Art mythologisches Schema, 6.

Aleida Assmann u. Jan Assmann, Mythos, in: Handwörterbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. IV, hrsg. von Hubert Cancik u. a., Stuttgart 1998, S. 179.

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Einleitung

wie es etwa bei Schelling (1775-1854) und Hegel (1770-1831) in Form einer sinnlichen Religion, einer Mythologie der Vernunft, die ersehnte Wiederversöhnung von Vernunft und Sinnlichkeit ästhetisch in Aussicht stellen sollte. 7 Man wandte sich dem Norden zu, aus dessen ältesten Dokumenten, meist Epen und Lieder, worunter sich auch berühmte Fälschungen befanden, die Stimmen der nordischen Seele herüber wehen sollten. Auch gen Osten blickte man zu dieser Zeit, wobei die neue Wissenschaft der Orientalistik reichliches Material lieferte. Aus solchen mythischen Befunden wollte man die »ältesten Urkunden des Menschengeschlechts« heraushören. 8 Die einst gültige Allegorese verlor nun ihre methodische Gültigkeit. Sogar von der Bibel behauptet Herder (17441803), sie verwehre sich einer allegorischen Deutung und sei darin mit anderen mythischen Zeugnissen zu vergleichen. Überhaupt zeigte sich eine »Vorliebe für das dunkle Symbol gegenüber der begrifflichen Allegorie«. 9 Romantische Philosophie und Psychologie leisteten einen wichtigen Beitrag für die Herausbildung einer für das Mythische besonders empfindlichen Bewusstseinshaltung, wie sie sich etwa im Kind oder in der Einbildungskraft, in den Träumen oder der Poesie noch lebendig zeigt. Der zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts entstehende Historismus entwickelte das Programm eines nationalistischen Geschichtsinteresses. Die Nation wollte sich als selbstbewusste Einheit in den Dokumenten der eigenen Vergangenheit bespiegelt sehen. Im Gegensatz dazu bietet das spätere neunzehnte Jahrhundert das Bild einer ausgesprochen positivistischen Mythenforschung, die bestrebt war, die Weltmythen nach rationalistischen, einheitlichen Prinzipien zu ordnen und zu deuten. Vereinfachende Schemata sollten zur Erklärung dienen, wonach Mythen geographisch oder kognitivistisch determiniert seien.10 Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts kommt es zu einer regelrechten »Mythophilie«, die im Anschluss an die Romantik immer mehr zu einer »wahrhaft mythischen Verehrung des Mythos« wird. 11 Wie sich in der Neuzeit die 7. Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, in: Mythologie der Vernunft. Hegels »ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus«, hrsg. von Christoph Jamme u. Helmut Schneider, Frankfurt a. M. 1984, S. 7-14. Die Verfasserschaft der Programmschrift bleibt umstritten, wobei sowohl Schelling, Hegel als auch Hölderlin (1770-1843) jeweils ihre Fürsprecher gefunden haben. 8. Johann Gottfried Herder, Älteste Urkunde des Menschengeschlechts (1774/1776), in: Herder, Werke, hrsg. von Günter Arnold u. a., 10 Bde, Bd. 5: Schriften zum Alten Testament, hrsg. von Rudolf Smend, Frankfurt a. M. 1993, S. 179-488. 9. Assmann u. Assmann, Mythos, S. 183. 10. Ebd., S. 183 f. 11. Theodore Ziolkowski, Der Hunger nach dem Mythos. Zur seelischen Gastronomie der Deutschen in den Zwanziger Jahren, in: Die sogenannten Zwanziger Jahre, hrsg. von Reinhold Grimm u. Jost Hermand, Bad Homburg, Berlin u. Zürich 1970,

Einleitung

15

Idee von einer Mythologie als solcher gegenüber den tatsächlichen Mythologien verselbständigt, so löst sich aus den unzählbaren historisch belegten Mythen ein selbständig gewordener Mythos, zu dem die Fakten zu gerinnen scheinen, der aber jedes einzelne Mythologem weit hinter sich lässt. Doch oszilliert man von nun an zwischen den literarischen Mythen, die »aus der Empraxie gesellschaftlicher Lebenszusammenhänge« entflochten worden sind, und dem ihnen vermeintlich zugrundeliegenden Mythos, der als »fundierende, legitimierende und weltmodellierende Erzählung« aufgefasst wird. 12 Dieser Mythos wird nach der Jahrhundertwende auch zunehmend aus ethnographischer und kulturgeschichtlicher Sicht erforscht und so erstmals »im gelebten Funktionszusammenhang« interpretiert. 13 Neben dieser Entwicklung und den bis dahin weit ausgedehnten Feldstudien verstärkt sich, gestützt von Seiten der Psychoanalyse, der Glaube an eine primitive Schicht in der Seele des Menschen, deren längst vergessene und verdrängte Urerfahrungen an den Mythen abzulesen seien. Je nach Interpretationsmuster wird nach einer unbewussten sozialen oder individuellen Tiefenstruktur des Mythos gefragt. Damit ist aber die Schwelle schon in gewisser Hinsicht überschritten, von der aus Bubers Mythenauffassung zu verstehen ist. Aber nur um ein Weniges: Geht Buber doch nicht so weit, den Mythos ganz auf das Unbewusste, geschweige denn auf die Struktur desselben zu gründen. Wohl aber geht es ihm doch schon um einen Mythos, der nicht allein der narrativen Oberfläche zu entnehmen ist, nach dem man also suchen muss, und der bei aller Verschiedenheit des Gehalts eine weitgehend invariante Form aufweist. Seine Form ist für Buber eine der Bewegung. Allerdings muss man, um diese Bewegung ans Licht zu bringen, ein feines Gespür für sie haben. Buber verstand sich meisterhaft darauf, in den mythischen Berichten des Judentums dessen unveränderliche Wesenszüge zu erkennen.

S. 169-201, Zitat S. 170. Die Bezeichnung »Mythophilie« stammt von Harry Levin, Some Meanings in Myth, in: Myth and Mythmaking, hrsg. von Henry A. Murray, New York 1960, S. 103-114. Vgl. ferner George S. Williamson, The Longing for Myth in Germany. Religion and Aesthetic Culture from Romanticism to Nietzsche, Chicago 2004. 12. Assmann u. Assmann, Mythos, S. 180. 13. Ebd., S. 184.

16

Einleitung

Mystik und Moderne Die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Mystik verläuft in der Moderne in ähnlicher Weise. Der weitgehend kritischen Einstellung der Aufklärungsepoche folgt eine Zeit positiven Neuinteresses. Mit dem Aufkommen der Romantik greift man auf die Mystiker früherer Zeitalter zurück, besonders auf die deutschen der Frühen Neuzeit. Schelling, der sich für Jakob Böhme (1575-1624) begeistert, oder Franz von Baaders (17651841) und Hegels Bewunderung für Meister Eckhart (1260-1328) stellen keine Ausnahmen dar, obwohl es immer noch keineswegs an Verurteilungen aus orthodoxer Perspektive fehlt. Auf den Positivismus des späteren neunzehnten Jahrhunderts folgt dann eine zweite Welle der Mystik-Rezeption. Die Neuromantik, auch Neoromantik oder literarischer Jugendstil genannt, umfasst unterschiedliche Tendenzen, zeigt sich aber doch in fast allen Schattierungen als eine würdige Nachfolgerin der Romantik, indem sie für alles Mystische und Magische, für Sagen und Märchen aufgeschlossen ist. Zu dieser neuromantischen Bewegung gehörte zeitweise auch Buber. 14 Am intimsten war sein Verhältnis zu jenem inneren Kreis der Neuromantiker, der sich um die Brüder Hart scharte. Gerade in den Jahren, in denen Buber sich als Schriftsteller zu etablieren suchte, übte diese Gruppierung großen Einfluss auf weitere Kreise aus. In dieser Gegenkultur kam Buber zu sich. Zugleich gewann er aber auch Distanz zu ihr. Sie prägte ihn nachhaltig, auch wenn er sich später ausdrücklich von jeder Romantik abzugrenzen versuchte. 15 Die Suche nach Erneuerung in den weiten Gefilden des Geistes, die auch sie befeuerte, hinterließ im Denken Bubers bleibende Spuren. Es hat den Anschein, dass eine Epoche, in der die Vernunft an ihre äußerste Grenze gelangte, fast zwangsläufig mit einem Neuerwachen mystischer Tendenzen zusammenfällt oder es zumindest vorbereitet. Eine derartige geschichtliche Dialektik kommt schon bei Nietzsche (18441900) zum Ausdruck, nicht zuletzt in Form der modernen Philosophie, durch die – Nietzsche zufolge – Kant (1724-1804) und Schopenhauer (1788-1860) das Denken vor den Abgrund seiner eigenen Begrenztheit gestellt und damit eine tragische Kultur eingeleitet hatten.16 Damit ist die Vernunft sich der eigenen Unzulänglichkeit bewusst geworden und tendiert dazu, in ihr Gegenteil umzukippen. Der Mystik und jeder Art von Irrationalismus wird Tür und Tor geöffnet. Nur in einem geschicht14. Vgl. Martin Treml, Einleitung zu MBW 1, S. 45-47. 15. Spätestens von 1917 an lässt sich eine solche Distanzierung nachweisen. 16. Vgl. Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Leipzig 1872, Kap. 18.

Einleitung

17

lichen Sinn ist deshalb also die Überraschung gerechtfertigt, mit der der Held von Huysmans (1848-1907) Roman auf diese wunderliche Erscheinung reagiert: »Quelle bizarre époque! reprit Durtal […]. C’est juste au moment ou le positivisme bat son plein, que le mysticisme s’éveille et que les folies de l’occulte commencent.« 17 In einem Zeitalter des zunehmenden Materialismus, des mechanistischen und physikalischen Determinismus, wie auch der damit verbundenen Religionskritik und der daraus folgenden, sich steigernden Krisis des traditionellen Glaubens, kann es kaum verwundern, dass Tendenzen aufkommen, die gegen diese Ausklammerung des Jenseits, diese Negation des Geistes sich dadurch zur Wehr setzen, dass sie den Sinn für das Absolute, das alle Sinneswahrnehmung und Erkenntnis transzendiert, wieder geltend machen wollen. Dies auf mystischem Wege zu erreichen, scheint ohne Weiteres möglich, zumal man dabei die etablierten Dogmen der Religion aufgeben kann, ohne unbedingt auf deren außerdogmatische Formen verzichten zu müssen. »Wenn Skepsis und Sehnsucht sich begatten«, bemerkt Nietzsche, »entsteht die Mystik«. 18 Diese auf den ersten Blick widersprüchliche Kombination war damals so geläufig, dass Gustav Landauer (1870-1919) sein 1903 erschienenes Buch Skepsis und Mystik betiteln konnte. Darin war ihm freilich Fritz Mauthner (1849-1923) schon vorangegangen, der seinerseits nach einer »agnostische[n] Mystik« Ausschau hielt und dementsprechend die von ihm entworfene Sprachkritik als eine – in Anlehnung an Mendelssohns (1729-1786) Beschreibung des Kantischen Kritizismus – »alles zermalmende Skepsis«, aber auch, »nach vorwärts blickend« als »eine Sehnsucht nach Einheit«, als »Mystik« charakterisierte. 19 Der Sprachskeptiker und der Mystiker stimmen schließlich darin überein, dass beide die Inadäquatheit der normalen, logisch-begrifflichen Sprache für die Erfahrung und Kommunikation der (letzten) Wirklichkeit hervorheben. Nach Mauthner sollten noch viele kommen – man denke etwa an Hugo von Hofmannsthal, Gerhart Hauptmann, Rainer Maria Rilke, T. S. Eliot, Alfred Mombert, Peter Altenberg, Gustav Landauer, Karl Joël, Hermann Hesse und schließlich Robert Musil – die ein derartiges Spannungsverhältnis zwischen Ratio und Mystik glaubten konstatieren zu müssen. Selbst wenn sich das Denken nicht mit den eigenen 17. Joris-Karl Huysmans, Là-Bas [1891], 15. Aufl., Paris 1895, S. 363. 18. Friedrich Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Siebente Abteilung, 1. Bd.: Nachgelassene Fragmente Juli 1882 bis Winter 1883-1884, Berlin u. New York 1977, S. 86; Vgl. Asher Biemann, Einleitung zu MBW 6, S. 32 f. 19. Fritz Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, Bd. 4, Stuttgart u. Berlin 1923, S. 446 f.

18

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Grenzen konfrontiert sieht, sondern im Gegenteil sich einbildet, auf schlechthin alles sich erstrecken zu können, werden sicher einige auf die Idee kommen, dass es jenseits der Ratio Gebiete geben müsse, die bestimmten Grundbedürfnissen des Menschen besser entsprächen.

Die Wiederentdeckung des Mythos Das Wort von einer Wiederentdeckung des Mythos ist wahr und zugleich irreführend. Jede Epoche weist einen bestimmten Mythosbezug auf, entwickelt ihre eigene Geste des Rückgriffs auf den Mythos. Denn seine Wiederentdeckung gehört zur Gegenaufklärung, und zwar in einem spezifisch historischen und in einem allgemeineren Sinne. Sie ist beinahe fester Bestandteil der kritischen Hinterfragung jedes Versuchs, den Geltungsbereich des Intellekts, die Grenzen der Vernunft zu erweitern. Die romantische Kulturkritik leitet eine Phase dieser unaufhörlichen Auseinandersetzung insofern ein, als sie auf die Vernunftansprüche der historischen Aufklärung mit einer Wiederbehauptung des ganzheitlichen Menschen antwortet, dessen Sinnlichkeit, Gefühle, Glaubensvorstellungen nun einmal nicht wegzudenken sind. Doch liegt etwas Wahres in der Behauptung, dass die Wende zum Mythos nach 1900 auch einen gewissen Einschnitt darstellt. Die vorromantische Aufklärung, etwa bei Hamann (1730-1788) oder Herder, und erst recht die Romantik selbst, in den Schriften von Schelling, Schlegel (17721829), Baader oder Görres (1776-1848), hatten schon begonnen, im Mythos den Ausdruck eines dem Menschen innewohnenden Vermögens zu sehen, dessen Beschreibung die allzu enge, rationalistische Vorstellung vom menschlichen Geist in Frage stellen sollte. Selbst bei den Idealisten, die in der Nachfolge Kants stehen, so bei Schiller (1759-1805), Hegel oder Fichte (1762-1814), zeigte sich schon der Drang nach einer Sicht des Menschen, die ihn nicht in unversöhnliche Dualismen wie die von Verstand und Sinnlichkeit aufteilt, sondern ihm im umfassendsten Sinne gerecht wird. Sofern die Ästhetik dabei eine entscheidende Rolle spielte, gewann der Mythos an Bedeutung. Das Bild der menschlichen Erfahrung, das aus diesen unter sich verschiedenartigen Ansätzen hervorgeht, ist schließlich dadurch gekennzeichnet, dass es meist auf die Versöhnung des Menschen mit sich selbst und damit auf eine Harmonie von Vernunft und Sinnlichkeit zielt. Bei der Einsicht, dass der Mythos ein menschliches Grundbedürfnis sei, liegt der Gedanke zumeist noch fern, dass die Überwindung von Dualismen unter gänzlicher Aufgabe der Vernunft zu erreichen sein könnte.

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Das Interesse am Mythos im zwanzigsten Jahrhundert unterscheidet sich von diesem früheren gerade dadurch, dass man nun bereit ist, diese extreme Schlussfolgerung zu ziehen. Das Mythische wird jetzt als eine Funktion im menschlichen Bewusstsein angesehen, die unauslöschlich ist und den klaren Bewusstseinsprozessen zugrundeliegt und diese, wenn auch kaum spürbar, veranlassen und bedingen kann. Die psychologischen, politischen, soziologischen, historischen, kulturwissenschaftlichen und ästhetischen Folgen, die ein solches Verständnis des Mythos mit sich bringt, scheinen von tiefgreifender Bedeutung. In den Mittelpunkt des Interesses tritt infolgedessen oft eine primitive Bewusstseinsschicht, die das Denken, Erkennen und Handeln des Menschen bis heute hin prägt. Dabei braucht sie auf den Verstand, mehr noch auf die Vernunft keine Rücksicht zu nehmen. Sie wird in der Tat nicht selten als völlig arational gedacht. Aus anderer Perspektive, wie zum Beispiel in der Kritischen Theorie von Adorno (1903-1969) und Horkheimer (1895-1973), erscheint der Mythos als seit jeher unauflöslich verwoben mit Aufklärung, wobei dialektisch Mythos stets in Aufklärung, in instrumentelle Vernunft übergeht, wie auch umgekehrt eben diese Aufklärung, sobald sie sich auf moderne Weise als Herrschaft über die Natur zu etablieren versucht, zwangsläufig in Mythos zurückfällt. Hier wird der Mythos nicht mehr vorwiegend gattungsspezifisch, sondern als eine Denk- und Verhaltensweise verstanden. Dadurch schließt sich diese Auffassung der modernen Betrachtungsweise an, die im Allgemeinen bereit ist, der Rolle des affektiven Lebens auch bei scheinbar rein mentalen Haltungen und Handlungen größere Aufmerksamkeit zu schenken. Für diese neue Phase der Mythos-Rezeption steht bekanntlich Nietzsche Pate. Später, nach den ersten Jahren des Enthusiasmus, spricht aus seinen Schriften eine düstere Stimme, die den aufgeblasenen Mythenprojektionen der Zeit immer kritischer gegenübersteht und bei den eigenen zu selbstkritischer Haltung geneigt ist. Nietzsche übte großen Einfluss auf Buber aus. 20 Das gilt besonders für den jungen Buber, dessen erste Arbeiten, vollendete und unvollendet gebliebene, um diesen Philosophen kreisen oder von seinen Gedanken stark beeinflusst sind. 21 Aber auch später war sein Einfluss tiefgreifend und nachhaltig, auch wenn er in den Schrif20. Aus der umfangreichen Literatur sei gennant: Paul Mendes-Flohr, Zarathustras Apostel. Martin Buber und die »Jüdische Renaissance«, in: Nietzsche und die jüdische Kultur, hrsg. von Jacob Golomb, Wien 1998, S. 225-235; Jacob Golomb, Nietzsche and Zion, Ithaca u. London 2004; Treml, MBW 1, S. 35-39. 21. Vgl. die Aufsätze über Zarathustra (1896-97), »Ein Wort über Nietzsche und die Lebenswerte« (1900) und »Feste des Lebens. Ein Bekenntnis« (1901), in: MBW 1, S. 103-117, 149-151, 153-155.

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ten der jeweiligen Schaffensperiode unterschiedlichen Niederschlag findet. Obwohl Nietzsche in Sachen Mythos keineswegs den Anfang der Versuche darstellt, einen angeblich eingeschlummerten Volksmythos zu erneuern, so stellt er doch insofern einen Neuanfang dar, als er für die Äußerung dieser Bemühungen einen neuen Stil prägt. Mit Nietzsche tritt der Mythosdiskurs in die Moderne ein und bedient sich auf eine seither nur selten wieder erreichte Art ihrer formalen und stilistischen Möglichkeiten. Selbst in den Jugendschriften Nietzsches, die er selber später wegen ihrer romantischen Exzesse – und damit meint er sowohl gedankliche wie auch sprachliche Übertreibungen – zu tadeln weiß, macht sich doch ein neuer Ton bemerkbar. Auch da im Grunde unnachahmbar, obwohl Gegenstand unzähliger Nachahmungsversuche, lässt Nietzsche das Pathos des Strebens nach dem Mythos neu anklingen, indem er eine unerhörte Emphatik einsetzt, zugleich aber geht er ein Bündnis mit dem aufdämmernden Sinn für dessen Gebrochenheit ein. Er bemüht sich darum, auf die eine oder andere Art unter seinen Zeitgenossen den Sinn für den Mythos wieder zu erwecken. »Denn dies ist die Art«, so schreibt er in Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, »wie Religionen abzusterben pflegen: wenn nämlich die mythischen Voraussetzungen einer Religion unter den strengen, verstandesmässigen Augen eines rechtgläubigen Dogmatismus als eine fertige Summe von historischen Ereignissen systematisirt werden und man anfängt, ängstlich die Glaubwürdigkeit der Mythen zu vertheidigen, aber gegen jedes natürliche Weiterleben und Weiterwuchern derselben sich zu sträuben, wenn also das Gefühl für den Mythus abstirbt und an seine Stelle der Anspruch der Religion auf historische Grundlagen tritt.« 22 Im lebendigen Mythos zerbreche das Dionysische das principium individuationis und führe den Menschen zur Natur zurück. Indem eine Kultur den eigenen Mythos unaufhörlich schafft, schaffe und erhalte sie sich selber lebendig. Deshalb stellt Nietzsche in den Vordergrund seiner Vision von einer genesenden deutschen Kultur den Mythos. Von Nietzsche hat Buber zu allererst seinen Stil. Nietzsche verdankt er auch sein Misstrauen gegen den Intellekt, seinen Hang, in schematisierenden Gegensätzen zu denken, seinen Protest gegen die Zersplitterung des Wissens, die Spezialisierung auf Kosten der Einheitlichkeit der Person und der Kultur, den Glauben an die erlösende Kraft der künstlerischen Kreativität. Des Weiteren kann man feststellen, dass die Bedeutung, die 22. Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, in: Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe, Dritte Abteilung, 1. Bd.: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-III (1872-1874), S. 70.

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Buber in seinen frühen Schriften dem Helden beimisst, an einen Grundzug von Nietzsches Vorstellung von Mythos anknüpft. Dessen Vorstellung von einer mutigen Vorhut, einem aristokratischen Individualismus, schlägt sich in Bubers Vision vom Helden des Mythos nieder, angefangen bei den ersten Nacherzählungen chassidischer Legenden von den Zaddikim und gipfelnd in dem Abschnitt »Helden« aus Ereignisse und Begegnungen (1917). Wenn einem, wie das für Buber zutrifft, daran gelegen ist, das religiöse Gefühl zu erneuern, so kommt man kaum umhin, an Nietzsche anzuknüpfen. Denn offenbar ging es diesem vor allem darum, den Verlust des Mythos auch in der Religion wieder rückgängig zu machen. Lässt sich der Mythos einerseits als Widersacher der Offenbarung verstehen, wie etwa Franz Rosenzweig (1886-1929) dies tut, 23 so scheint er andererseits durch ein Zuviel an Geschichte gefährdet. Der von Nietzsche aufgenommene Kampf gegen eine tödliche Historisierung und für eine Befreiung des Menschen für die Gegenwart und die Zukunft, beide vom Mythos inspiriert, gehört in den Zusammenhang der Krise des Historismus, die gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts immer weiter um sich greift. Nietzsche versucht, auf sie eine Antwort zu geben. Für Buber folgt freilich aus der Wiederentdeckung des Mythos nicht notwendig ein Rückzug aus der Geschichte. Seine Einstellung zur Tradition ist zu komplex und zu ambivalent, als dass er sich uneingeschränkt gegen die geschichtliche Religion stellen könnte. Die Beziehung des Einzelnen zum Judentum habe, so ist von relativ früh an immer wieder aus seinen Schriften zu ersehen, das geschichtliche Dasein des Volkes und die vorhandene bzw. rekonstruierbare Überlieferung zu berücksichtigen, ja sie habe wesentlich darauf aufzubauen. Schon 1909, also im selben Jahr, in dem die Ekstatischen Konfessionen erscheinen, entwirft Buber in seiner Rede über »Das Judentum und die Juden« die Grundlage zu einer Theorie von der Aneignung der Tradition. Obwohl dort der Vorgang selbst nur grob und undeutlich umrissen wird, ist nicht zu verkennen, welche Bedeutung Buber der Entdeckung der »Folge der Geschlechter« beimisst. 24 Persönliches Zugehörigkeits- und Verantwortungsgefühl kann nicht hinreichend durch das Blut gewährleistet werden. Neben dem zentralen Gedanken einer Bindung durch das Blut steht so eine Vorstellung von der Selbstbesinnung und Selbsterfassung, die dem Individuum fast unvermeidlich die Auf23. Franz Rosenzweig, Atheistische Theologie, in: Rosenzweig, Kleinere Schriften, Berlin 1937, S. 278-290; ebenso in: Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, hrsg. von Reinhold Mayer u. Annemarie Mayer, Dordrecht 1984, S. 687-697. 24. Martin Buber, Das Judentum und die Juden, in: Buber, Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911, S. 18 (jetzt in: MBW 3, S. 222).

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gabe auferlegt, sich mit der Geschichte der eigenen Gemeinschaft vertraut zu machen und ernsthaft auseinanderzusetzen. Fast möchte man meinen, eigentlich habe die Rede vom Blut bei Buber symbolisch für eben diese Anknüpfung zu stehen. Buber entwickelt sich jedoch zugleich in einigen Aspekten von Nietzsche weg. Nietzsches Argwohn der konventionellen, metaphysisch beladenen Sprache gegenüber findet kein Gegenstück in Bubers Schriften. Wo andere, etwa Julius Langbehn (1851-1907), vor allem im Bild das Medium der kulturellen Genesung sehen und das Wort für mitschuldig an der Entartung und Spiritualisierung der Kultur halten, hält Buber dem Wort die Treue. 25 Mag er auch immer wieder dem Bild oder Sinnbild große Bedeutung beimessen, mit dem Wort, vornehmlich dem gesprochenen Wort, bricht er schließlich nie. In den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts tritt Nietzsche auch Schelling an die Seite als ein bedeutender Orientierungspunkt bei der Suche nach einer Konzeption von Mythos, die dazu fähig wäre, Sinn zu stiften und die Kultur zu erneuern. An Schelling knüpften namhafte Philosophen und Theologen wie Heidegger (1889-1976) und Paul Tillich (1886-1965) an. 26 Søren Kierkegaard (1813-1855) hatte 1841-1842 in Berlin Friedrich Wilhelm Schellings Vorlesungen über die positive Philosophie, über die Philosophie der Offenbarung und Mythologie, gehört und zunächst begeistert davon berichtet, bevor er wegen Schellings Wende zur Mythologie sich allmählich voller Enttäuschung von ihm abwandte. Aus seinen Schriften kann man die Verflochtenheit von Mythos und Mystik im Frühexistentialismus erkennen. So wurde die »positive Philosophie« Schellings, ebenso wie Kierkegaard selber, für die Generation nach der Jahrhundertwende zunehmend bedeutsam. Deshalb wandten sich die jüdischen Intellektuellen an Schelling, als sie daran gingen, über das Verhältnis von Glauben, Mythos und Existenz neu zu reflektieren. 27 25. Zu Langbehn siehe Asher Biemann, Aesthetic Education in Martin Buber: Jewish Renaissance and the Artist, in: New Perspectives on Martin Buber, hrsg. von Michael Zank, Tübingen 2006, S. 85-110, hier S. 95-98. 26. Martin Heidegger, Schellings Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), hrsg. von Hildegard Feick, Tübingen 1971; Paul Tillich, Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910); Ders., Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung (1912). Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte Schelling auch für Karl Jaspers und Jürgen Habermas zu einer wichtigen Quelle werden, besonders in seiner Rolle als Vorläufer des Existentialismus. 27. Werner J. Cahnman, Friedrich Wilhelm Schelling and the New Thinking of Judaism, in: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 48 (1981), S. 1-56; ebenfalls in: Kabbala und Romantik. Die jüdische Mystik in der romantischen Geistesgeschichte, hrsg. von Eveline Godman-Thau u. a., Berlin u. New York 1994, S. 167-

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Die Wiederentdeckung der Mystik Als Josef Quint (1898-1976) 1927 seine Antrittsrede an der Universität Bonn über »Die Sprache Meister Eckharts als Ausdruck seiner mystischen Geisteswelt« hielt, konnte er anscheinend zuversichtlich auf »die immer stärker werdende Welle mystischer und pseudo-mystischer Regungen im geistigen Leben unserer Tage« hinweisen. 28 Die Tage, auf die sich Quint hier bezieht, reichen bis zur Jahrhundertwende zurück. Um 1900 erlebte die Mystik geradezu eine Renaissance, auf Grund derer man von einer Mystik der Moderne gesprochen hat. Darin steckt viel Krisenbewusstsein, aber auch die Anknüpfung an eine Tradition, die dem kulturellen Gedächtnis verlorengegangen war. Dieser Verlust wird zum einen als ein normaler Aspekt der Kulturentwicklung empfunden. Zum anderen aber wird er offenbar so verstanden, dass gewisse Geistestendenzen verdrängt oder sogar unterdrückt wurden. Der moderne Rückgriff auf die mystische Tradition erfolgt unter dem Zeichen einer grundlegenden Ambivalenz. Das Verlangen nach mystischer Einheitserfahrung und einer ihr dienlichen Wiederaufnahme der Mystik muss mit der akuten Empfindung eines unheilbaren Bruchs mit den vergangenen Traditionen in Einklang gebracht werden. Von seinen frühesten Äußerungen bis hin zum Spätwerk bringt Buber genau diesen Zusammenhang immer wieder zum Ausdruck. Wie der Jude seiner Drei Reden über das Judentum (1911) das Verlangen nach Einheit gerade in dem Maße empfindet, als seine Existenz von Zweiheit geprägt wird, so ist auch für den älteren Buber diese Spannung zentral: »Die Ganzheit der Seele ist gerade in der Gebrochenheit der menschlichen Situationen zu bewähren«, schreibt er als Antwort auf seine Kritiker, wobei das ethnisch-religiöse Element hier abgelöst wird durch eine allgemeinmenschliche Situationsethik. 29 Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die radikale Anknüpfung an die mystische Tradition stets Gefahr läuft, vom Sog totalitärer Ideologisierungen erfasst zu werden. 30 Eine Kritik am vermeintlichen Zerfall der 206; Joseph Mali, The German Mythologism of the Jewish Philosophers, in: Zur Gegenwärtigkeit deutsch-jüdischen Denkens. Festschrift für Paul Mendes-Flohr, hrsg. von Julia Matveev u. Ashraf Noor, München 2011, S. 207-238. 28. Josef Quint, Die Sprache Meister Eckharts als Ausdruck seiner mystischen Geisteswelt, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 6 (1928), S. 671-701. 29. Martin Buber, Antwort, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 589-639, Zitat S. 618. 30. So Martina Wagner-Egelhaaf, Die mystische Tradition der Moderne: ein unendliches

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Werte im Namen der Einheit, auch wenn sie im Zeichen einer progressiven Moderne geschieht und sich auf heterogene, räumlich wie zeitlich fernliegende Quellen beruft, ließe sich nach dieser Auffassung leicht von einer ihr entgegen gesetzten Ideologie vereinnahmen. Als Kritik am Bestehenden und Behauptung des Differenten beginnend, kann sie ebenso schnell in ihr Gegenteil münden. Die radikale Geste allein entscheidet nicht darüber, ob der Rückgriff auf die Mystik der Vergangenheit eine kritische oder eine fragwürdige Idee von Einheit befürwortet. Zwischen dem Glauben an eine persönliche, unvorhersehbare Erfahrung von Einheit und den althergebrachten und seit langem festgelegten Verfahren zu ihrer Produktion – will sagen: zwischen Ganzheit und Totalität – besteht ein gewaltiger Unterschied, aber die Wege zu beiden beginnen am selben Ort. Die Meinung, erst um die Jahrhundertwende und mit der Stimmung des Fin de Siècle setze ein ernsthaftes Interesse an der Mystik, insbesondere an der orientalischen Mystik, ein, lässt sich, sobald man die Quellen genauer ansieht, nicht aufrechterhalten. In ähnlicher Form ist ein solches Interesse schon zur Zeit der Romantik zu belegen. Man braucht nur an Goethes (1749-1832) Faszination durch die Sufis, die islamischen Mystiker, zu denken, die sich in Werken wie dem West-Östlichen Divan (1819) niederschlug. Oder um ein anderes Beispiel zu nennen, Friedrich August Tholuck (1799-1877), Professor der Theologie in Berlin und Verfasser unter anderem von mehreren Studien und Sammlungen zur »morgenländischen Mystik«, verstand seine Aufgabe offensichtlich nicht nur als eine geschichtliche und philologische, sondern darüber hinaus als notwendigen Beitrag zur Neubelebung des Glaubens, von dessen damaligem Zustand in Deutschland er, der er vom Pietismus und von der Theologie Friedrich Schleiermachers (1768-1834) stark beeinflusst wurde, nicht viel hielt. So schreibt er in der Vorrede zu seiner Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik (1825) – der Buber Textstellen für seine Sammlung der Ekstatischen Konfessionen entnahm – »der tief religiöse Gehalt der meisten Auszüge [steht] besonders zu dem Geiste unsrer gegenwärtigen Zeit in naher Beziehung. Das Gute und Heilige dieser Mystik, wie das Verkehrte hat in unserer Zeit seine Analoga«. 31 Die von ihm gesammelten Texte sollen ferner dazu dienen, »träge, flache Geister zu erregen und zu etwas Höherem hinzuführen als Hausmoral und BrauchSprechen, in: Mystique, mysticisme et modernité en Allemagne auteur de 1900 / Mystik, Mystizismus und Moderne in Deutschland um 1900, hrsg. von Moritz Baßler u. Hildegard Châtellier, Strasbourg 1998, S. 41-57, Zitat S. 44. 31. Friedrich August G. Tholuck, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik nebst einer Einleitung über Mystik überhaupt und morgenländische insbesondere, Berlin 1825, S. II.

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verstand«.32 Mit der christlichen Überheblichkeit, die in allem Orientalischen nur Aberglaube sieht, macht er Schluss. Er will sogar solche »beschämen, welche außer dem Reiche der christlichen Offenbarung an keine erziehende Gnade Gottes glauben wollen.«33 Wer dieser Meinung sei, verkenne den Kern des Christentums und sei also an dessen »Weisheit irre zu machen«.34 Denn sonst müsse er eigentlich gewahr werden, dass er »mit tieferen Muhammedanern auf einer Stufe« 35 stehe. Dies klarzumachen, wünscht sich Tholuck von seiner Arbeit. Aus seinen Vorbemerkungen geht deutlich hervor, dass ihm die Auseinandersetzung mit der Mystik des Orients keine beliebige, sondern eine seiner Zeit höchst angemessene und wegen ihrer positiven und negativen Eigenschaften für sie höchst wichtige Beschäftigung war. Von ihr erhofft er sich ein Korrektiv zur Religion aus dem Geist der Biedermeierzeit und einem schon damals als öde und leer angesehenen Verstandeskult. Um die Jahrhundertwende des vorigen Jahrhunderts versuchte man, eine Tradition der Mystik ohne Gott zu etablieren. Diese Mystik sollte ohne die herkömmlichen Praktiken mystischer Adepten auskommen: ohne Riten, Gebete, Meditation und asketische Vorschriften (Fasten, Enthaltsamkeit, Wachen, Schweigen). Die Entstehung und Entwicklung einer solchen »gottlosen Mystik« zu rekonstruieren, machte sich Fritz Mauthner zur Aufgabe. 36 Ihm zufolge gipfele diese radikale religiöse Tradition, die bei Shelley (1792-1822), Hegel und Kierkegaard anhebe, über Ibsen (1828-1906), Tolstoi (1828-1910) und sogar Multatuli (1820-1887) verlaufe und die auf die »Befreiung vom Gottesbegriff« 37 hinsteuere, in der sehnsüchtigen Mystik Nietzsches, die mit einem unleugbaren Gotteshass aufs Engste verbunden sei, aber auch im Naturalismus und den Bewegungen der religiösen Sozialisten. 38 Bei Mauthner versteht sich dabei eins von selbst: Die von ihm behandelten Denker rücken dem Idealzustand einer atheistischen Mystik umso näher, je mehr sie zu Dichtern werden. Diese Gleichung wird in der Fortführung von Mauthners Grundgedanken bei Gustav Landauer wieder aufgenommen. Für Mauthner ist es nur ein kleiner Schritt von Nietzsche zum Naturalismus. Von Bruno Wille (186032. 33. 34. 35. 36.

Ebd. Ebd., S. III. Ebd. Ebd., S. II. Mauthner, Der Atheismus, Bd. 4. Vgl. zum Kontext Uwe Spörl, Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende, Paderborn 1997. 37. Mauthner, Der Atheismus, Bd. 4, S. 372. 38. Ebd., S. 366, 373-382; unter den Zeitgenossen verweist Mauthner u. a. auf Hermann Kutter, Leonhard Ragaz (auch ein wichtiger Gesprächspartner Bubers), Gustav Radbruch, Paul Tillich und Paul Göhre.

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1928) wird schließlich ein Atheismus propagiert, in dem die Religion in Dichtung umgedeutet ist: Paulus habe die »Christus-Legende« gestiftet, während die Christologie eine Art »Volkspoesie« sei, den Märchen der Brüder Grimm vergleichbar. 39 Gegen den Kirchenglauben und den Materialismus bzw. Mechanismus führt Mauthner Beispiele der neuen gottlosen Mystik an, so etwa Jean-Marie Guyau (1854-1888). Offenbar bedient sich eine derart gottlose Mystik fast notwendig künstlerischer Mittel. Nicht selten ergibt sich somit aus dem Wunsch nach einer atheistischen eine ausgesprochen ästhetische Mystik. Bubers Umgang mit der Mystik bildet dabei keine Ausnahme. Das neuerweckte Interesse an der Mystik um 1900 führte auch zu zahlreichen neuen Editionen von Klassikern aus der mystischen Tradition, besonders aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Wissenschaftlich wurden damals nicht nur Meister Eckhart, von dessen Schriften mehrere Neuausgaben erschienen, sondern auch Mystiker wie Johannes Tauler (ca. 1300-1361) und Heinrich Seuse (1295/97-1366) neu bearbeitet. Auch einem breiteren Lesepublikum wollte man Zugang zu den Quellen der Mystik verschaffen. Dementsprechend kamen viele eher populär angelegte Ausgaben auf den Markt. In diesem Sinne ist Landauers 1903 erschienene Ausgabe des Meisters Eckhart zu verstehen. Zu dieser Entwicklung trug der Diederichs-Verlag entscheidend bei, der ab 1903 eine Reihe alter und neuer Mystiker verlegte. 40

Wissenschaft des Judentums und jüdische Volkskunde Dass die Wissenschaft des Judentums gerade zu der Zeit entstand, als die deutsche Romantik daran ging, die Volkskunde als neues Forschungsfeld zu etablieren, hat zu der Vermutung Anlass gegeben, die Begründer der Wissenschaft des Judentums hätten eben darum von diesem neuen Gebiet der Wissenschaft Abstand genommen.41 Die Gründe für ihr Tun wa39. Ebd., S. 372. 40. Justus H. Ulbricht, Durch »deutsche Religion« zu »neuer Renaissance«. Die Rückkehr der Mystiker im Verlagsprogramm von Eugen Diederichs, in: Mystik, Mystizismus und Moderne in Deutschland um 1900, hrsg. von Baßler u. Châtellier, S. 165186; Ders., »Theologia deutsch«. Eugen Diederichs und die Suche nach einer Religion für moderne Intellektuelle, in: Romantik, Revolution und Reform. Der Eugen Diederichs Verlag im Epochenkontext 1900-1949, hrsg. von Justus H. Ulbricht u. Meike G. Werner, Göttingen 1999, S. 156-174; Spörl, Gottlose Mystik. 41. Siehe Galit Hasan-Rokem, Jewish Folklore and Ethnography, in: The Oxford Handbook of Jewish Studies, hrsg. von Jeremy Cohen, Martin Goodman, David Sorkin, Oxford 2005, S. 956-974, hier S. 969.

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ren jedoch vielfältiger Natur. Die Züge des jüdischen Volkscharakters, die über die rein religiöse Eigenart hinausgingen, konnten möglicherweise zur Bestätigung tief angelegter völkischer Unterscheidungen gebraucht werden, und die oft nationalistisch geprägte Volkskunde der Romantik wäre insofern einer auf Akkulturation und Integration ausgerichteten Auffassung des Judentums abträglich. Da man aber andererseits nicht minder das Anrecht des Judentums auf Anerkennung als eine vollwertige und eigenständige Religion unterstützen wollte, begab man sich nicht gern auf ein Forschungsfeld, dessen Ergebnisse vielfach darauf hinausliefen, durch Aufdeckung des extensiven kulturellen Austausches zwischen Juden und den sie umgebenden Völkern eher auf Ähnlichkeiten und Parallelen hinzuweisen und dadurch die Grenzen der jüdischen Kultur und damit auch die Besonderheit des Judentums in Frage zu stellen. Die Beachtung von volkstümlichen Elementen, die nicht geeignet waren, das Bild eines rationalistischen, mit den anderen monotheistischen Religionen in Einklang befindlichen Judentums zu bestätigen, würde nur zu einer verschärften Abgrenzung der jüdischen Eigenart führen. Trotz solcher Ambivalenz begann man, die Schätze der jüdischen Vergangenheit, die nicht zum religiösen Bereich im engeren Sinn gehörten, Zeugnisse jüdischen Lebens, Volksglaubens und jüdischer Volksdichtung zu sammeln und zu studieren. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts entstanden in Deutschland zu diesem Zweck mehrere Vereine für jüdische Geschichte und Literatur. 42 1898 gründete dann der damals in Hamburg, ab 1905 in Wien amtierende Rabbiner Max Grunwald (1871-1953) eine Gesellschaft für jüdische Volkskunde nach dem Muster der damals ins Leben gerufenen deutschen Gesellschaften. 43 Von 1898 bis 1929 gab die Gesellschaft eine Zeitschrift heraus, die unter dem Titel Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde Artikel über allerlei Ethnologisches, über den Chassidismus in Polen und Wunder wirkende Zaddikim, sowie über Geister und Dämonen brachte, also auch das, was das Philo-Lexikon noch 1935 unter der Rubrik »Jüdischer Volksglauben« als »eingewurzelte Vorstellungen abergläub.[ischer] Art« bezeichnen konnte. 44 In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatte dieser Versuch schon begonnen. An seinem Beginn steht Abraham Tendlaus (1802-1878) 42. Jacob Borut, Vereine für jüdische Geschichte und Literatur at the End of the Nineteenth Century, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 41 (1996), S. 89-114; Michael Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, aus dem Englischen übers. von Holger Fliessbach, München 2000, S. 31 f. 43. Vgl. ebd., S. 40 f. 44. Art. Volkskunde, j., in: Philo-Lexikon. Handbuch jüdischen Wissens, Berlin 1935, Sp. 756.

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mehrfach nachgedruckte Arbeit Das Buch der Sagen und Legenden jüdischer Vorzeit von 1842, an seinem Ende Bernhard Kuttner (1847-1926) mit seinen 1902 erschienenen Jüdischen Sagen und Legenden für jung und alt gesammelt und wiedererzählt. 45 Beide dienten wohl als Modelle für die Anthologien Bubers.46 Nachdem Buber mit den Sammlungen der von ihm nacherzählten chassidischen Schriften die Existenz einer lebendigen, Mythisches und Mystisches in sich verbindenden Tradition im Judentum zu Evidenz gebracht hatte, stand der Weg für andere relativ offen. 1919 erschien von Julius Bergmann (1874-1955) Die Legenden der Juden. 47 Ab 1925 wurden im Rahmen des YIVO (Jiddisches Wissenschaftliches Institut) vielfältige ethnographische und folkloristische Studien der jüdischen Kulturen Osteuropas herausgegeben. Die erste hebräische Zeitschrift für jüdische Volkskunde, Reshumot, wurde 1918 von Chaim Nachman Bialik (1873-1934), Yehoshua Chana Rawnizki (1859-1944) und Alter Druyanow (1870-1938) gegründet. 48 Mit dem neuerwachten Interesse für jüdische Volkskunde steht eine Wiederbelebung der Tradition der Aggada in Verbindung, die bisweilen geradezu ideologische Dimensionen annehmen konnte. 49 Einen frühen Beitrag lieferte auch hier der schon erwähnte Max Grunwald. Seine Texte zeigen die Tendenz, die Aggada auf einen emphatischen Begriff von Literatur zu beziehen und in den Dichtern ihren wahren Hort zu sehen.50 Dem anthologischen Prinzip folgend, sammelten Bialik und Rawnizki 1908-1911 rabbinische Legenden für ihr Sefer ha-Aggadah. 51 Sie alle leisteten damit einen Beitrag zur wachsenden Nachfrage nach Sammelbänden, die dem jüdischen Erzählgut in Form von Legenden, Mythen und Dichtung Priorität einräumten. Sofern sich die Ideen der Romantik durchgesetzt hatten, hatte man gelernt, von einer echten Kultur volksnahe Traditionen und Verbundenheit mit der Erde, Mythen und Märchen, das Irrationale und das Wunderbare 45. Abraham W. Tendlau, Das Buch der Sagen und Legenden jüdischer Vorzeit, Stuttgart 1842; Bernhard Kuttner, Jüdische Sagen und Legenden für jung und alt gesammelt und wiedererzählt, Frankfurt a. M. 1902. 46. Martina Urban, Aesthetics of Renewal. Martin Buber’s Early Representation of Hasidism as Kulturkritik, Chicago 2008, S. 47. 47. Julius [Judah] Bergmann, Die Legenden der Juden, Berlin 1919. 48. Reshumot: Me’asef le-Divre Zikhronot, le-Etnografyah ule Folklor be-Yisrael, Odessa, Jerusalem u. Tel Aviv 1918-1930; Neue Folge Tel Aviv 1945-. 49. Vgl. die jüngst erschienene Studie von Johannes Sabel, Die Geburt der Literatur aus der Aggada. Formationen eines deutsch-jüdischen Literaturparadigmas, London u. Tübingen 2010. 50. Ebd., S. 2. 51. Chaim Nachman Bialik u. Yehoshua Chana Ravnitzky, Sefer ha-Aggadah, Odessa 1908-1911.

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zu verlangen. In diesem Zusammenhang ist es kaum verwunderlich, dass diejenigen, denen an einer Erneuerung des jüdischen Volks gelegen war, auch das Judentum den herrschenden Idealvorstellungen vom Volkstum angleichen wollten. Eine jüdische Version der aufkommenden Begeisterung für das einfache Volk musste erst geschaffen werden. Die Juden seien keineswegs »Luftmenschen«, vielmehr seien sie ein Volk, das den elementaren Gewalten und dem Land einst nahestand und einmal wieder nahestehen werde. Alles Zwischenzeitliche, der Anpassungswille und Rationalismus des neunzehnten Jahrhunderts mit eingerechnet, sei nur eine Abirrung vom Weg des echten Judentums. Somit wandte sich auch die Erneuerungsbewegung mehrfach gegen das Erbe der Aufklärung. Die anwachsende Erforschung des jüdischen Mythos ist ohne das Aufkommen des Historismus kaum vorstellbar, denn sie bedient sich genau derselben wissenschaftlichen Methoden wie die damalige Geschichtsschreibung. Diese Zeitgenossenschaft hat auch dazu geführt, dass man sie der Reduzierung und Abschwächung des lebendigen Volksmythos zu einer annehmbar harmlosen Volkskunde, zu einer jüdischen Folkloristik bezichtigt hat. 52 Eher sollte diese Sammel- und Katalogisierungsarbeit als ein Beitrag zu den verschiedenartigen Bestrebungen angesehen werden, die Wissenschaft des Judentums um eine jüdische Wissenschaft zu erweitern oder gar sie durch eine solche gänzlich zu ersetzen, 53 eine jüdische Wissenschaft, die nicht nur historisch verfahren wollte, sondern auch die Gegenwart und Zukunft der jüdischen Gemeinschaft gestalten und innerhalb dieser als lebendige Einheit arbeiten sollte. Zu ihr hatten Buber, Rosenzweig und andere schon relativ früh aufzurufen begonnen.

Mystik und Mythos im Judentum »Lurjanisch-mystische Schriften, damals noch eine Seltenheit, waren ihm in die Hände gerathen; er lernte sie auswendig, vertiefte sich darin, und diese vollendeten seine Verirrung.« 54 So spricht, nicht ohne einen Anflug von Ironie, der große Historiker des jüdischen Volks, Heinrich Graetz (1817-1891), sein Mitleid für den im »Chaos der Kabbala« sich verlieren52. So etwa bei Gershom Scholem, Wissenschaft des Judentums einst und jetzt, in: Ders., Judaica 1, Frankfurt a. M. 1963, S. 147-164. 53. Vgl. Brenner, Jüdische Kultur, S. 41, der auf die neue Betonung der praktischen Anwendung hinweist. 54. Heinrich Graetz, Geschichte der Juden. Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Aus den Quellen neu bearbeitet, Bd. 10: Von der dauernden Ansiedelung der Marranen in Holland 1618 bis zum Beginne der Mendelssohnschen Zeit 1750, Leipzig 1868, S. 372.

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den Mosche Chaim Luzzato (1707-1746) aus. Ein bekannter Gegner alles Mystischen mag Graetz für die Einstellung der gerade mit ihm ihren Höhepunkt erreichenden Wissenschaft des Judentums stehen. Die Kabbala nennt Graetz in seiner monumentalen Geschichte der Juden rundheraus einen »Schwindel«. 55 Er ergeht sich förmlich in herabsetzenden Worten über die jüdische Mystik, die ihm und Seinesgleichen leicht Grauen einflößen konnte. Das Hauptwerk der jüdischen Mystik nennt er »das Lügenbuch Sohar, das sich frech über die heilige Schrift und über den Talmud setzte«. 56 Wörter wie Wahn, Verblendung, Torheit liegen ihm immer wieder nahe, wenn er auf die Kabbala zu sprechen kommt. Als geschichtliche Erscheinung umfasst die Mystik innerhalb des Judentums nicht nur das Buch Sohar, sondern diverse andere Phänomene: die ältere Kabbala, aber auch den aschkenasischen Chassidismus im mittelalterlichen Deutschland sowie den neueren, osteuropäischen Chassidismus, – von Buber deshalb zunächst »Neuchassidismus« genannt – zudem die talmudische Esoterik sowie verschiedene messianische Strömungen, die zuweilen in eine Art von Häresie oder pseudomessianischer Bewegung ausbrachen, etwa bei den Anhängern des Sabbatei Zwi (1626-1676) oder den Frankisten. 57 Gegen all dies sowie gegen den darin erhaltenen Hang zum Mythos zeigen Graetz und die meisten seiner Zeitgenossen eine starke Abneigung. Ihnen geht es darum, das Judentum als eine vorbildlich rationalistische Religion auszuweisen. Bis hin zu Hermann Cohens (1842-1918) posthum erschienenem Werk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (1919) erhält sich weitgehend die Tendenz, das Judentum als Religion der Vernunft im kantischen Sinn darzustellen. Zwar wurde das Alterswerk Cohens von manchen Lesern der nächsten Generation nicht nur als Vollendung seiner neukantischen Entwicklung angesehen, sondern zugleich als, wenn auch unbeabsichtigtes, Betreten philosophischen Neulands. Franz Rosenzweig, der zu diesem Bild vom radikalen Alten am meisten beitrug, sieht etwa in dem Nachlasswerk weniger einen »Anbau an die alte Philosophie«, als den es Cohen gemeint habe, als den »Neubau der Stadt des natürlichen Denkens«, eine Wiederentdeckung des »verlorenen Paradies[es] der Menschheit«. 58 Indem Cohen die Lücke 55. Ebd., S. 128. 56. Ebd., S. 423. 57. Vgl. hierzu Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a. M. 1957. 58. Franz Rosenzweig, Hermann Cohens Nachlasswerk. Brief an die Redaktion der Jüdischen Rundschau, in: Jüdische Rundschau, Chanukka-Nummer 1921; wieder abgedruckt in: Rosenzweig, Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken,

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im System entdeckte, nämlich das Individuum, kam er auf das Ich-DuVerhältnis und sprengte durch dieses Gegenübersein den monistischen Rahmen des Idealismus. 59 Doch insgesamt setzt Cohen die Tendenz der deutschen Juden fort, sich und das Judentum den Prinzipien der Vernunft zu verschreiben. Denn damit wollte man einer Aufklärung die Treue halten, mit der die eigene Emanzipation eng verbunden schien. 60 Um die Jahrhundertwende wurde es angesichts bestimmter kulturgeschichtlicher Entwicklungen zunehmend schwierig, das Bild des Judentums als einer vollkommen rationalistischen Religion aufrechtzuerhalten. Zudem hatte der Aufstieg des politischen Antisemitismus den Glauben an die Möglichkeit einer nur noch konfessionalisierten Form der jüdischen Religion bereits in Frage gestellt, wenn nicht geradezu erschüttert. Dem aufkommenden jüdischen Nationalismus in der Form der zionistischen Bewegung schien das ein weiterer Beweis dafür, dass der Traum der Juden von einer Zukunft als deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens hoffnungslos verfehlt war, ja dass dieses Wunschbild sich nun endgültig als einseitige Schimäre entpuppt hatte. Bei manchen jüngeren Juden, die oft weitgehend akkulturiert aufgewachsen waren, machte sich eine wachsende Enttäuschung über die Bilanz der formalen Emanzipation bemerkbar. Mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts setzten auch innerhalb des Judentums kulturelle Veränderungen ein, die denen der nichtjüdischen Gesellschaft weitgehend entsprachen. Wichtig für die Auffassung von Mystik und Mythos ist die wachsende Skepsis gegenüber den positivistisch orientierten Wissenschaften. Selbst wenn sich nur wenige deutschsprachige Juden mit Haut und Haar dem Irrationalismus zuwandten, wollte man sich doch nicht mehr ausschließlich auf die Vernunft verlassen, sondern andere, komplementäre Erfahrungsbereiche erschließen und damit für das Leben einen Zuwachs an Sinn erschließen. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts spielte die Neubesinnung auf die eigenen mythischen und mystischen Traditionen bei den deutschsprachigen Juden eine bedeutende Rolle. Besonders während des Ersten Weltkriegs, als die Hoffnung, nun werde durch den letzten Schritt leidenhrsg. von Reinhold Mayer u. Annemarie Mayer, Dordrecht 1984, S. 229-233, Zitat S. 230. 59. Franz Rosenzweig, Über Hermann Cohens »Religion der Vernunft«, in: Rosenzweig, Zweistromland, S. 225-227, Zitat S. 225. 60. Dem Festhalten der deutschen Juden an den Grundgedanken der Aufklärung (politischer Liberalismus und philosophischer Rationalismus), auch nachdem diese Haltung zum Anachronismus zu werden drohte, gehen die Arbeiten von George L. Mosse, German Jews beyond Judaism, Indiana 1985, und David Sorkin, The Transformation of German Jewry 1780-1840, New York 1987, nach.

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schaftlichen Opfers für das Vaterland endlich die langersehnte Anerkennung seitens der deutschen Gesellschaft und die damit einhergehende volle Integration in Erfüllung gehen, endgültig gescheitert schien, wurde es manchem klar, dass es für die Zukunft der Juden nun auf eine Erneuerung der eigenen Gemeinschaftsformen ankomme. In dieser Hinsicht hat man bei den Juden der Weimarer Zeit eine allgemeine Bevorzugung der Gemeinschaft vor der Gemeinde festgestellt. 61 Das Verlangen nach neuen Religionsformen schlug sich in einer Hinwendung zu Mystik und Mythos nieder, denn eben damit wollte man jede Art von theistisch-religiösem Dogmatismus meiden. Von Nietzsche inspiriert und gleichermaßen diagnostiziert, suchten die neureligiösen Bewegungen der Jahrhundertwende nach Erzählungen und Bildern, die ein Erlebnis des Göttlichen in nicht-theistischer, etwa säkularisierter oder anthropozentrischer Gestalt zu vermitteln schienen. Dies geschah im jüdischen wie im nichtjüdischen Kontext gleichermaßen. Neben der innerjüdischen Auseinandersetzung mit dem Erbe der Aufklärung setzte damals eine weitere Entwicklung ein, die zum Teil apologetische Züge aufzuweisen scheint. Zur wachsenden Abkehr vom Rationalismus und Liberalismus unter nichtjüdischen Intellektuellen gehörte auch deren Identifizierung des Judentums mit genau den aufklärerischen Werten, die zunehmend abgelehnt wurden. Dieser kulturelle Wandel, der bis hin zum Ersten Weltkrieg immer weiter um sich griff, führte dazu, dass Juden, die für die neuen Tendenzen Sympathie hegten, das Judentum damit in Einklang zu bringen versuchten. Von Richard Wagner (18131883) bis zu Werner Sombart (1863-1941) wiederholt sich in mannigfachen Formen die Behauptung, die Juden seien ein durch und durch rationalistisches Volk, das kein Mysterium, kein Geheimnis kenne, ja sogar den eigenen kulturellen Wurzeln entwachsen sei und seit langem nur ein nachahmendes Verhältnis zur echten – also hier zur deutschen – Kultur unterhalte. Die Juden wurden so als das nicht mythologische Volk par excellence dargestellt. Besonders die Generation jüngerer jüdischer Intellektueller entgegnete darauf oft mit dem emphatischen Hinweis auf die doch reichlich zu belegenden mystischen und mythischen Quellen des Judentums. Das Judentum war und ist, so wollten sie klarmachen, keineswegs die trockene Verstandesreligion, als die es von antisemitischer Seite ausgegeben wird. Ähnliches gilt, wenn auch nicht ganz ohne Widerspruch, für den damit einhergehenden Vorwurf des Materialismus, der die Juden angeblich für das Höhere und Geistige unempfänglich machen sollte. Einerseits sollen 61. Vgl. Brenner, Jüdische Kultur, S. 47-78.

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die Juden an einer Überhandnahme trocken rationalistischer Tendenzen leiden, an Kleingeistigkeit und Kasuistik, die in der rabbinischen Kultur ihren reinsten Ausdruck finde, insbesondere im Pilpul, der talmudischen Dialektik für die Behebung textueller Widersprüche bei halachischen Schwierigkeiten, die in Verruf zu stehen kam, kaum mehr als Haarspalterei zu sein. Andererseits wurde ihnen vorgeworfen, sie seien moralisch korrumpiert, neigten zu Aberglauben, äußerlichem Ritualismus, des Weiteren zu Lüsternheit, Krankheiten und Hysterie. In Bubers Notizen zu seinen Schriften sowie teilweise in den Schriften selbst finden sich häufig Auszüge aus zeitgenössischen Texten, von angesehenen wissenschaftlichen Arbeiten bis hin zu gemeinen Schmähschriften, die solche Vorurteile feilbieten. 62 Die jüdische Wiederaufnahme der eigenen mythischen und mystischen Traditionen ist außer als Selbstkritik und legitimer Teil des jüdischen Selbstverständnisses somit auch in nicht unerheblichem Maße als Reaktion auf die Unterstellung solcher Defizite zu verstehen.

Die Mystik und die Neuorientierung des Judentums Bei der weitreichenden Vernachlässigung oder Verwerfung jüdischer Mystik unter den sich akkulturierenden Juden gab es nebenher immer wieder einzelne, die bestrebt waren, ein positiveres Bild der jüdischen Mystik wach zu halten. Im neunzehnten Jahrhundert legen beispielsweise die Werke von Adolph Jellinek (1820-1893), Rabbiner in Wien und Autor von zahlreichen wissenschaftlichen und erbaulichen Werken, von dieser entgegengesetzten Neigung Zeugnis ab. Nachdem er schon 1844 Adolphe Francks La Kabbale ou la philosophie réligieuse des Hébreux [Die Kabbala oder die Religions-Philosophie der Hebräer] aus dem Französischen übersetzt hatte, erschienen in kurzer Abfolge unter anderem Moses Ben Schem-Tob de Leon und sein Verhältniss zum Sohar (1851), Beiträge zur Geschichte der Kabbala (1852), seine Auswahl kabbalistischer Mystik (1853), sowie Philosophie und Kabbala (1854), eine Ausgabe von Abraham Abulafias Sheva netivot ha-torah [Die sieben Wege der Thora], die er neben Thomas von Aquins De animæ facultatibus (in der Übersetzung: Ma’amar be-Kochot ha-Nefesh) veröffentlichte. Überhaupt hat Jellinek als erster die Werke von Abulafia (1240- um 1291), der als bedeutendster Vertreter der prophetischen und ekstatischen Kabbala gilt, der Öffentlichkeit zugänglich 62. Siehe beispielsweise der Hinweis auf die Notizen zu »Der Mythos der Juden«, im Kommentar dieses Bandes, S. 377 ff.

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gemacht. Später hat er zudem noch unbekannte Midraschim herausgegeben, darunter viele wichtige Texte für die Erschließung der Frühkabbala, so etwa Hekhalot Rabbati oder Nitsarot R. Schimon bar Jochai. 63 Bis zur Jahrhundertwende und in den darauffolgenden Jahrzehnten begann die Mystik, immer mehr Juden anzusprechen. Führende Rabbiner wie Leo Baeck (1873-1956) oder Nehemiah Nobel (1871-1922) bekannten sich zur mystischen Tradition des Judentums. Im Falle Baecks geschah dies erst nach einer Anfangsperiode, in der er der Kabbala eher misstrauisch, wenn nicht geradezu ablehnend gegenüberstand. Waren liberale Rabbiner wie Baeck noch im neunzehnten Jahrhundert, besonders im Kontext der Wissenschaft des Judentums, der jüdischen Mystik gegenüber weitgehend feindselig eingestellt, so vollzog sich vor allem nach dem Ersten Weltkrieg ein Bewusstseinswandel, der die Kabbala als produktive Quelle für die jüdische Gegenwart erscheinen ließ. Man war bereit, über eine mögliche Nähe zwischen Reform und Chassidismus nachzudenken und das Nichtrationale ins Judentum mit einzubeziehen.64 Der Rabbiner Max Dienemann (1875-1939) konnte beispielsweise 1921 anlässlich der Jahrestagung der Vereinigung der liberalen Rabbiner Deutschlands einen Vortrag über das Irrationale halten, in dem er, ohne mit der Vernunft brechen zu wollen, für eine angemessene Beachtung und Integrierung des »Dunklen, Triebhaften, Unerklärbaren, Mystischen« plädierte, damit man denen, für die man Verantwortung hat, besser helfen und ihnen das Judentum nahe bringen könne.65 Den tieferen Gründen und Motiven des Glaubens sei mit Vernunft und Sprache nun einmal nicht restlos beizukommen. Denn »das Religiöse ist in seiner Wurzel irrational«. 66 Nicht zufällig führt er zum Schluss die unter den Juden vor allem mit Buber identifizierte Idee der Religiosität als wichtigste Grundlage einer Neubesinnung ein. 67 63. Adolph Jellinek, Bet ha-Midrasch. Sammlung kleiner Midraschim und vermischter Abhandlungen aus der ältern jüdischen Literatur, 6 Bde., Leipzig u. Wien 1853-1877. Im zweiten Band bringt er die »Ma’ase Merkabah« unter dem Titel »Tractat von den himmlischen Hallen« (Jellinek, Bet ha-Midrasch, Bd. 2, Leipzig 1853, S. 40-47); im dritten Band die »Nitsarot R. Schimon bar Jochai« [»Mysterien des R. Simon ben Jochai«] (Ebd., Bd. 3, Leipzig 1855, S. 78-82); wie auch »Hekhalot Rabbati« [»Die großen Hechalot«] (Ebd., S. 83-108). Vgl. Isaak Markus Jost, Adolph Jellinek und die Kabbala, Leipzig 1852, S. 8 ff., für eine frühe Anerkennung seiner Leistungen. 64. Brenner, Jüdische Kultur, S. 55 f. 65. Max Dienemann, Über die Bedeutung des Irrationalen für das liberale Judentum, in: Liberales Judentum. Monatsschrift für die religiöse Erneuerung des Judentums 13, Nr. 4-6 (1921), S. 27-32, Zitat S. 29. 66. Ebd., S. 30. 67. Ebd., S. 31.

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Was bei Baeck in dieser Hinsicht entscheidend wirkte, war die Einsicht in die für das Judentum charakteristische Form der Mystik, die mit einer weltverneinenden, asketischen oder abseitigen Haltung nichts zu tun hat. In der zweiten Auflage seines sehr einflussreichen Buchs Das Wesen des Judentums (1923) rücken das Geheimnis und die Mystik zusehends mehr ins Zentrum der Darstellung, wobei das Geheimnis in einem schöpferischen, dialektischen Verhältnis zu dem auf dem Gesetz beruhenden Gebot steht. Beide zusammen stehen für die eine Polarität bildende Dimension der jüdischen Gotteserfahrung. 68 Das Geheimnis umschreibt Baeck an anderer Stelle als »das Mystische«. 69 Im Gegensatz zur mystischen Stimmung der damaligen Zeit, die im »Quietiven und der Gebotlosigkeit« zu schwelgen neigt, bedeutet das Jüdische an der Mystik für Baeck, dass sie zukunftsorientiert, eben messianisch ist und deswegen nach Schaffen und Gestalten drängt. 70 Weil sie »Gebotsmystik« ist, eben darum ist sie zugleich »Sabbatmystik«, die zur Ruhe auffordert und so auch gegen Zeittendenzen arbeitet. 71 Die jüdische Mystik will nach Baeck »eine Mystik des Lebens« sein. 72 Selbst in der von gnostischen Gedanken durchsetzten Kabbala, samt ihrer Buchstaben- und Zahlensymbolik sowie der Tendenz, das echte Geheimnis durch »die hingestellte Verborgenheit« zu ersetzen, sieht er schließlich ein Primat des ethischen Handelns, eine Bejahung des zu befreienden Willens, des zu verwirklichenden Gebots und des mit Gott zu einenden Lebens.73 Die Mystik nahm in der Neuorientierung, für die viele arbeiteten, einen wichtigen Platz ein, so auch in der Neoorthodoxie. Hierfür ist Pinchas Kohn (1867-1941) nicht untypisch, der sich von der Kabbala eine Erneuerung theozentrischer jüdischer Praxis erhoffte. 74 Rabbi Meir 68. Leo Baeck, Das Wesen des Judentums, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1923; auch: Ders., Geheimnis und Gebot, in: Baeck, Werke, Bd. 3: Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, hrsg. von Werner Licharz, Gütersloh 1997, S. 45-54;, Ders., Bedeutung der jüdischen Mystik für unsere Zeit, in: Baeck, Werke, Bd. 3: Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, hrsg. von Werner Licharz, Gütersloh 1997, S. 86-90 und Ders., Die Mystik im Judentum, in: Baeck, Werke, Bd. 3: Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, hrsg. von Werner Licharz, Gütersloh 1997, S. 82-85. Vgl. Alexander Altmann, Leo Baeck and the Jewish Mystical Tradition, New York 1973. 69. Leo Baeck, Ohne Titel, in: Franz Rosenzweig zum 25. Dezember 1926. Glueckwuensche zum 40. Geburtstag, Leo Baeck Institute Archive, New York, Franz Rosenzweig Collection, AR 3001, 548/2, 1/5; auch in: Baeck, Werke, Bd. 6: Briefe, Reden, Aufsätze, hrsg. von Michael A. Meyer, Gütersloh 2003, S. 584 f. 70. Baeck, Bedeutung der jüdischen Mystik für unsere Zeit, S. 88-90. 71. Ebd., S. 89. 72. Ebd., S. 87. 73. Ebd., S. 83 ff. 74. Alan L. Mittleman, Between Kant and Kabbalah. An Introduction to Isaac Breuer’s Philosophy of Judaism, New York 1990, S. 8.

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Munk (1869-1928), obwohl er bei dem religiös-liberalen Hermann Cohen studiert hatte, trug viel dazu bei, die kabbalistische Welt bekannt zu machen. 75 Isaac Breuer (1883-1946), ein Enkel von Samson Raphael Hirsch (1808-1888), der die Austrittsorthodoxie begründet hatte, und seinerseits ein bedeutender Schriftsteller der orthodoxen Richtung und Vertreter des »Totalitätsanspruch der Thora«, konnte problemlos jüdisches Gesetz, Rechtsphilosophie und Mystik miteinander in Einklang bringen. 76 Der Rekurs auf die Kabbala bildete einen Teil seines Versuchs, die Neoorthodoxie zu erweitern, indem er an die Orthodoxie vormoderner Prägung anknüpfte. 77 Unter die Erklärungsgründe für die neue Sicht des jüdischen Mythos und der jüdischen Mystik nach 1900 und besonders seit dem Ersten Weltkrieg gehört auch der Kontakt deutscher Juden mit den Juden aus Osteuropa, der bis dahin noch kaum stattgefunden hatte. 78 Sowohl positiv als auch negativ reagierten die deutschen Juden auf ihre Glaubensgenossen, die kulturell kaum zu ihnen zu gehören, sondern vielmehr aus einer anderen Welt, einer längst vergangenen Zeit zu stammen schienen.

75. Siehe Meir Munk, Das tägliche Gebet, in: Vom Sinn des Judentums: ein Sammelbuch zu Ehren Nathan Birnbaums, hrsg. von A. E. Kaplan u. Max Landau, Frankfurt a. M. 1925, S. 144-158, wo er die jüdischen Gebete auf die Kabbala hin deutet; vgl. Moses Calvary, Das neue Judentum, Berlin 1936, S. 36 ff.; Mordechai Breuer, Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871-1918. Sozialgeschichte einer religiösen Minderheit, Frankfurt a. M. 1986, S. 322. 76. Ebd., S. 348; Mittleman, Between Kant and Kabbalah. Außer seinen theoretischen Schriften verfasste Isaac Breuer auch zwei Romane, Ein Kampf um Gott (1920) und Falk Nefts Heimkehr (1923); dazu Brenner, Jüdische Kultur, S. 163 f. 77. Mittleman, Between Kant and Kabbalah, S. 9. 78. Dazu Scholem Adler-Rudel, Ostjuden in Deutschland 1880-1940. Zugleich eine Geschichte der Organisationen, die sie betreuten, Tübingen 1959; Sander Gilman, The Rediscovery of the Eastern Jews: German Jews in the East. 1890-1918, in: Jews and Germans from 1860-1933, hrsg. von David Bronsen, Heidelberg 1979, S. 338-365 (deutsche Übersetzung: Sander Gilman, Die Wiederentdeckung der Ostjuden. Deutsche Juden im Osten 1890-1918, in: Beter und Rebellen. Aus 1000 Jahren Judentum in Polen, hrsg. von Michael Brocke, Frankfurt a. M. 1983, S. 11-32.); Steven E. Aschheim, Brothers and Strangers. The East European Jews in German and German Jewish Consciousness 1800-1923, Madison 1982; Trude Maurer, Ostjuden in Deutschland. 1918-1933, Hamburg 1986; Brenner, Jüdische Kultur, S. 158-164, 201-215; Jack Wertheimer, Unwelcome Strangers. East European Jews in Imperial Germany, New York u. Oxford 1987; Ritchie Robertson, Western Observers and Eastern Jews. Kafka, Buber, Franzos, in: Modern Language Review 83 (1988), S. 87-105; Ders., Urheimat Asien. The Re-Orientation of German and Austrian Jews, 1900-1925, in: German Life and Letters, 46. Jg., Nr. 2 (April 1996), S. 121-281; Delphine Bechtel, Cultural Transfers between »Ostjuden« and »Westjuden«. German-Jewish Intellectuals and Yiddish Culture 1897-1930 in: Leo Baeck Institute Yearbook 42 (1997), Nr. 1, S. 67-83.

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Der Neubeginn Als Simon Dubnow (1860-1941) sich vorsetzte, eine Geschichte des Chassidismus zu schreiben, und ab 1888 an deren Erforschung ging, fand er nach eigenem Bericht zum Thema Chassidismus eine wissenschaftliche Literatur vor, die sich »wie eine öde Wüste« vor ihm ausgebreitet habe, »die nur hie und da eine spärliche Vegetation aufwies«. 79 Ab 1888 veröffentlichte er dann Vorstudien zu seinem 1923 erschienenen Hauptwerk. 80 Dubnow gewährt uns einen interessanten Blick in die Geschichte der Forschung zur jüdischen Mystik. Nachdem er in seiner Quellenübersicht das Bild des Chassidismus behandelt hat, wie es aus den Texten der Haskala (»Aufklärungsliteratur«) hervorgeht, kommt er auf die ersten wissenschaftlichen Abhandlungen zu sprechen, die mit der Entstehung der modernen Wissenschaft des Judentums zu erscheinen begannen. An erster Stelle nennt er Graetz’ mehrbändige Geschichte der Juden, deren elfter Band »Das neue Chassidäertum« diskutiert. Dubnow erkennt ohne weiteres den Beitrag an, den Graetz wie keiner vor ihm zur Erforschung des Chassidismus geleistet habe. Er sei nämlich der erste, der »diesen aus dem Dickicht der Dogmatik herauslöste und in den Rahmen der geschichtlichen Entwicklung einfügte«. 81 Bei aller lobenswerten Historisierung stehe Graetz jeoch »dem Gegenstand seiner Forschung nicht als ein objektiv urteilender Historiker, sondern als Ankläger gegenüber. Ein Feind der Kabbala und aller Mystik überhaupt, hob Graetz lediglich die negative Seite des Chassidismus hervor, in dem er irrtümlicherweise eine Art Fortsetzung der sabbatianischen Bewegung, eine bloß zerstörende, nicht aber aufbauende Kraft erblickte«. 82 Sowohl der Ideengehalt wie auch die Sprache Dubnows erinnern hier wie in der Einleitung zu seinem Werk unverkennbar an Bubers Darstellung der chassidischen Lehre, auch wenn Dubnow dessen Arbeiten aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive allen Wert abspricht. Wir werden sehen, dass es auch Buber sehr daran gelegen ist, eine andere Entwicklungslinie innerhalb des Chassidismus zu identifizieren, die weniger von der gnostischen Seite der älteren Kabbala geprägt wurde. Buber folgt Graetz nur insofern, als er die von der Kabbala tief und andauernd beeinflusste chassidische Tradition auf den Maggid von Meseritsch zurückführt. Aber ebenso wie Bu79. Simon Dubnow, Geschichte des Chassidismus. Aus dem Hebr. übers. von A. Steinberg, 2 Bde., Berlin 1931, S. 12. 80. Dubnow, Chassidut We-chassidim [Der Chassidismus und die Chassidim], 4 Bde., Berlin 1923. 81. Dubnow, Geschichte des Chassidmismus, S. 302 f. 82. Ebd., S. 303.

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ber bei der Verteidigung seines Ansatzes gegen die historische Schule Scholems, bemerkt auch Dubnow, Graetz habe die nachher erfolgenden Verzweigungen des Chassidismus nicht auseinander gehalten. Der Baalschem und seine Nachfolger haben die theosophisch-magische Kabbala zwar aufgenommen, aber zugleich überwunden, indem sie sie in Ethos umwandelten. Schließlich sei Graetz in geistiger Hinsicht ein Verbündeter der klassischen Gegner der Chassidim. Bei der Darstellung des Wilnaer Gaon »ergreift der Verfasser die Partei der angriffswütigen Misnagdim«. 83 Schon einige Zeit vor Ende des neunzehnten Jahrhunderts haben jüdische Forscher und Schriftsteller begonnen, die Frage nach einer jüdischen Mythologie zu stellen. Einer der ersten auf diesem Gebiet – und damit ein Vorgänger Bubers – war Ignaz Goldzihers (1850-1921) mit seinem Buch Der Mythos bei den Hebräern (1876). Er liegt dem allgemeinen Bewusstseinswandel der deutschen Juden gut dreißig bis vierzig Jahre voraus. Zu diesen Vorläufern ist auch Max Grünbaum (1817-1898) zu rechnen, der Pionierarbeit auf dem zum Teil von ihm selber abgesteckten Gebiet der jüdischen Sagenkunde leistete.84 Micha Josef Berdyczewski [Micha bin Gorion] (1865-1921), Alexander Eliasberg (1878-1924) und andere haben dann nach ihm Sagen, Legenden und Märchen der Juden herausgegeben und neu erzählt. Sie folgen darin teilweise der Gattung der Ghettogeschichten, die sich schon einige Jahrzehnte zuvor etabliert hatte, schlagen aber mit dem Material einen anderen Weg ein. Es ist nicht untypisch hierfür, dass der erste Jahrgang von Bubers Zeitschrift Der Jude (1916) drei altjüdische Geschichten aus dem von bin Gorion herausgegebenen Born Judas brachte. 85 Der Bedeutung des Mythos bei Buber entspricht die Tatsache, dass er großen Wert auf eine neue ästhetische Kultur des Judentums legt. Sie soll integraler Bestandteil der jüdischen Renaissance sein, die Buber selber mit dem Ruf nach einer neuen »Schönheitskultur« einleitet. 86 Die bis dahin ausgesprochen ethische Orientierung des Judentums soll nun durch 83. Ebd. Mitnagdim (oder Misnagdim) heißen die rabbinischen Gegner des Chassidismus. 84. Max Grünbaum, Neue Beiträge zur semitischen Sagenkunde, Leiden 1893; Ders., Jüdisch-Spanische Chrestomathie, Frankfurt a. M. 1896; Ders., Jüdischdeutsche Chrestomathie. Zugleich ein Beitrag zur Kunde der hebräischen Literatur, Hildesheim 1969; Max Grünbaum u. Felix Perles, Gesammelte Aufsätze zur Sprach- und Sagenkunde, Berlin 1901. 85. Vgl. Eleonora Lappin, Der Jude 1916-1928. Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus, New York u. Tübingen 2000; Brenner, Jüdische Kultur, S. 156 f.; Biemann, Aesthetic Education. 86. Martin Buber, Juedische Renaissance, in: Ost und West, 1. Jg., Nr. 1, Januar 1901, Sp. 10 (jetzt in: MBW 3, S. 147).

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eine ästhetische bereichert, wenn nicht vollkommen ersetzt werden. Bei dieser Bestrebung steht offensichtlich Nietzsche Pate, ebenso wie der Kulturzionismus ihm auch sonst vieles verdankt. Schon Nietzsche selbst nimmt die eigene Erstlingsarbeit deshalb in Schutz, und zwar vornehmlich gegen sich selbst, weil ihr Hang zum Ästhetizismus, den er schonungslos moniert, einen gesunden Instinkt zeige, von der Moral loszukommen. 87 Selbst wenn er sich infolgedessen in gewissen Exzessen ergangen habe, so sei er doch wenigstens dadurch einer moralischen Lösung der dringenden Zeitprobleme aus dem Weg gegangen. Der Vorrang ästhetischer Werte vor ethischen, der Bubers Beitrag zur jüdischen Renaissance charakterisiert und ihn insbesondere zum erzählerischen Traditionsgut hinzieht, prägt die Erneuerungsbewegung innerhalb des Judentums auf tiefgreifende Weise. Im Entartungsdiskurs der Zeit wird dem Ästhetischen, der Kunst, nicht selten eine rettende, heilbringende Wirkung zugeschrieben. Bei den Vertretern der jüdischen Renaissance soll sie die negativen Erscheinungen der Galut beseitigen und damit gleichzeitig das Volk zum Bewusstsein seiner selbst und zur wahren jüdischen Religiosität erziehen. Nicht weniger bedeutend für diese Renaissance ist es, dass die zu erneuernde Kunst die Juden an einem universalen Schönheitsgefühl teilnehmen lassen würde.

Bubers mythisch-mystische Anfänge Die Frage nach der Stellung der Mystik in Bubers Denken wirft ein entscheidendes Licht auf das Verständnis seiner Entwicklung im Ganzen. Es sind insbesondere zwei Aspekte, die dabei erörtert werden müssen. Erstens stellt sich die Frage, wie sich die offenbar komplementären Bereiche von Mystik und Mythos zueinander verhalten. Wo genau sind sie in Bubers Entwicklung anzusiedeln? Zweitens wird dadurch die Frage aufgeworfen, ob Buber die Mystik hinter sich lässt, indem er zum reifen dialogischen Denken gelangt. Aus der Untersuchung dieser Entwicklungsproblematik folgt ein weiteres Problem. Inwiefern ist das sogenannte vordialogische Denken Bubers tatsächlich als Mystik zu bezeichnen? Lassen sich Phasen in seiner Mystik-Rezeption ausmachen? Damit wird man gleich auf eine verwandte Frage gebracht: Haftet nicht auch Bubers Dialogik vielleicht immer noch eine gewisse Mystik an? Diese Frage positiv 87. S. Friedrich Nietzsche, Versuch einer Selbstkritik, in: Ders., Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, in: Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe III.1, S. 516.

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zu beantworten, wäre für sein dialogisches Denken schon problematisch, denn dieses räumt der Beziehung zur Welt als einer realen und zum Gegenüber als dem unterscheidbar Anderen Priorität ein und setzt sich gerade darin immer wieder nachdrücklich von der gewöhnlichen Mystik ab. Für das Verständnis von Bubers Denken ist es darum unerlässlich, sein Verhältnis zur Mystik zu präzisieren. Die im vorliegenden Band gesammelten Texte dienen eben diesem Zweck. Von Anfang an zeigt sich bei Buber ein lebhaftes Interesse an Mythos und Mystik. Für den jungen Studenten und angehenden Schriftsteller sind dies nicht etwa Nebenbeschäftigungen, sondern zentrale Gegenstände seines Studiums und für seine weitere Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Auf allen Gebieten seines Schaffens wirkt sich die Auseinandersetzung mit ihnen auch weiterhin aus. In jungen Jahren sieht sich Buber wie Musils ebenso junger und frühreifer Törleß fast überwältigt von dem Problem des Endlichen und Unendlichen 88 , das sich ihm zunächst als eine Frage nach der Zeit stellt. Von da ist es kein großer Schritt zum Problem der Einheit und Vielheit, schneiden sich doch beide Problemfelder darin, dass sie um das Verhältnis von Physis und Metaphysis, von Welt und Absolutem kreisen. Die verschiedenen Spielarten dieser Vorstellungen, wenn sie in der Philosophie auch im Grunde nicht neu waren, gehören in die Aporien, die damals die Intellektuellen mit besonderem Nachdruck beschäftigten. Es ist nicht zuletzt eben diese Problematik, der das Interesse an der Mystik seine Neubelebung weitgehend verdankt. Sie war dazu angetan, philosophisch das auszudrücken, was man aus gesellschaftspolitischer Perspektive als Zersplitterung, als Verlust an Kohärenz, Ordnung und festen Bindungen erfuhr und beklagen zu müssen glaubte. Buber ist die Mystik gerade deshalb so wichtig, weil sie eine Erfahrung von etwas Absolutem anbietet. Dieses Absolute ist, und das ist ein wesentlicher Punkt, in sich eine Einheit. Unbedingtheit und Einheit des Absoluten sind demnach für Bubers mystische Vorstellungen von entscheidender Bedeutung, gleichgültig, ob es sich um metaphysische, psychologische oder ethische Zusammenhänge handelt. Aber wie Buber von Anfang an und mit zunehmender Deutlichkeit betont, die Einheit ist nicht auf Kosten der Vielheit der Welt zu erlangen. Deshalb ziehen Buber Formen der Mystik an, die in seinen Augen die Welt heiligen. Heiligung der Welt bedeutet zweierlei. Erstens soll es heißen, dass der Mystiker die Realität und Pluralität des Lebens nicht negieren darf, um die Erfahrung der Einheit zu erlangen. Heiligung verneint nicht die Welt, 88. Robert Musil, Die Verwirrungen des Zöglings Törleß, Wien 1906.

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sondern bestätigt sie, so dass es keinen Widerspruch zwischen der Erfahrung des Glaubens (Einheit und Ausschließlichkeit) und diesem Leben gibt. Zweitens bleibt der Mystiker kein isoliertes, ekstatisches Individuum, sondern ist in eine Gemeinschaft eingebunden. Deshalb ist diese Mystik nicht mehr eine ausschließlich private Erfahrung. In der Tat schließt die Heiligung des Lebens die Tatsache mit ein, dass es ein geteiltes Leben ist. Gemeinschaftliche Existenz schließt Differenz mit ein, und die Realität solcher beziehungsreicher Differenz wird den Kern von Bubers dialogischem Denken ausmachen. Die Auffassung von Mystik, auf die Buber sich schließlich einlässt und an die er glaubt, findet er im frühen Chassidismus verwirklicht, der als zentrales Element seiner Lehre einen gemeinschaftlichen Rahmen für die Verwirklichung des Höchsten im Alltäglichen bietet. Das ist es, was die jüdische Tradition als »Heiligung des Namens« bezeichnet, wie Hugo Bergmann (1883-1975) in einem wichtigen gleichnamigen Essay seinen Zeitgenossen ins Gedächtnis ruft. 89 Wenn die Mystik eine Erfahrung des Absoluten ist, dann stellt der Mythos den Bericht und das Medium dieser Erfahrung dar. Denn der Mythos bleibt für Buber der Vielfältigkeit der Welt treu. Insofern steht er im Gegensatz zu den rationalistischen, dogmatischen Systemen, die das Leben auf ein Prinzip oder wenige Prinzipien reduzieren wollen. Im Mythos wird man der »Daseinsfülle« gerecht, wogegen die positive Religion auf einer »ungeheuren Vereinfachung«, auf »Bändigung, Vergewaltigung« beruht. 90 Für Buber stellt der Mythos deshalb den Boden der wahren Religiosität her, die von der Religion immer wieder bedroht ist. Insofern stehen Mythos und die Religion in einem unaufhörlichen Daseinskampf miteinander. Diese Auffassung lässt sich besonders in Bubers früheren Schriften finden. Der Mensch, als Einzelseele und als Gemeinschaft, ist zwischen beide gestellt. Die Gestalt, die er seinem Leben gibt, hängt wesentlich davon ab, inwiefern er sich der einen oder anderen Seite zuneigt. Der Mythos ist der vielheitlichen Wirklichkeit näher. Führt die Mystik zur Einheit, so bewahrt der Mythos von Natur aus die Vielheit des Lebens. Drückt sich in der Mystik die letzte Einheit alles Seienden aus, macht sich im Mythos die elementare Pluralität der Welt geltend. Im Gegensatz zu den monistischen Philosophien bieten die von Buber bevorzugten Formen der Mystik die Vorstellung von einer komplexen Einheit, also einer Einheit, die die Vielheit nicht ausschließt, sondern mit umfasst. 89. Vgl. zu Bergmanns Aufsatz in dieser Einleitung, Anm. 95. 90. Martin Buber, Die Legende des Baalschem, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1908, S. III.

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Um diese mystische »Vieleinheit« war es Buber stets zu tun. Dementsprechend war sein Begriff des Mythos dazu angetan, Vielheit mit Einheit zu versöhnen, indem der Mythos die Dinge in die Welt des Absoluten erhebt, ohne sie dadurch aufzuheben. Die Welt mythisieren heißt demnach für Buber nicht, sie ihrer Wirklichkeit und Besonderheit zu entkleiden. Vielmehr wird der Alltag ins Absolute eingestellt und bleibt doch immer noch Alltag. Bubers Verständnis vom Glauben, insbesondere das vielfach umstrittene vom chassidischen Glauben, schließt von vornherein aus, dass man die vorgefundene Wirklichkeit transzendieren oder bloß als Mittel zu etwas Höherem entwerten dürfe. Auf diesen Grundsatz musste er auch seine Auffassung von der Mystik abstimmen. Das geschieht zum einen dadurch, dass sie sich des Mythos bedient. Denn im Mythos treffen sich alle Einzelseelen. Zum anderen aber legt der Mythos die Gestalt eines Volkes bloß. In ihm, so Buber, »wird die innerliche Struktur des Volkswesens, das Geheimnis der Seele und der Bestimmung eines Volkes wirklich und offenbar«.91 Zudem bewirkt der Mythos ein Heraustreten aus der Kette der Kausalität. Nach Buber bricht er mit dem Determinismus, dem die Gegenstände in Raum und Zeit notwendig unterliegen. Der Mythos ist so das Wunder. Durch ihn wird der Sinn für das, was spontan geschieht und nicht ursächlich zu erklären ist, wach gehalten. Die mythische Anschauung, so Buber 1917 in Ereignisse und Begegnungen, weiß »das Geschehen als ein überkausal sinnvolles«.92 Ebenso wie der Mythos als Wunder erscheint, stellt die mystische Handlung der Jichud (Einung) nach Buber ein »Wunder« dar, »das nicht geglaubt, das nur erlebt werden kann«.93 Zum Begriff Jichud, auf den Buber häufig rekurriert, zählt sowohl die liturgische Formel des Einheitsbekenntnisses Gottes im jüdischen Hauptgebet (dem Schma Jisrael, »Höre, Israel!«), wie auch speziell die kabbalistische Einigung mit der Herrlichkeit Gottes, die als ein meditatives Eindringen in die hinter den Sefirot, den wirkmächtigen Emanationen Gottes, verborgene göttliche Einheit verstanden wird. Im Chassidismus schließlich brachte diese Idee sogar eine eigenständige Literaturgattung hervor. Der Einfluss der Jichudim wird von den Kabbalisten ganz wörtlich genommen, vor dem Hintergrund einer mystischen Kosmologie, nach der jeder Akt, den der

91. Martin Buber, Das Gestaltende. Nach einer Ansprache (1912), in: JB I, S. 205-216, Zitat S. 212 (jetzt in: MBW 3, S. 263). 92. Martin Buber, Ereignisse und Begegnungen, Abschnitt »Helden«, Leipzig: Insel-Verlag 1917, S. 40 (jetzt in: MBW 1, S. 258). 93. Martin Buber, Jüdische Religiosität, siehe in diesem Band, S. 204-214.

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Mensch auf Erden vollbringt, einen korrespondierenden Effekt in den göttlichen Sphären hat. In der von Isaak Luria (1534-1572) vollzogenen Erweiterung der Kabbala erfährt die Herrlichkeit Gottes, seine Schechina, die »Einwohnung«, die bei der Schöpfung schon einmal ins Unendliche hinausgeschleudert und nachher beinahe wieder geeint worden war – als die zehnte Sefira – nun aufgrund des Sündenfalls eine zweite Verbannung. Die kosmisch zerstreuten Funken dieser Glorie müssen jetzt restituiert, d. h. wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückgebracht werden. Es ist den Menschen aufgegeben, an der Heilung des zerbrochenen Kosmos mitzuarbeiten. Es hängt von jedem seiner Handlungen ab, ob die Restitution der Funken, also das Kommen der Erlösung beschleunigt oder verlangsamt wird. Es ist diese lurianische Vorstellung vom Tikkun, dem gegenseitigen Heilen des kosmischen Bruchs durch menschliche und göttliche Tat, die Buber an die Mystik bannt. In der Kawwana, der »Intention«, kann der Mensch die Welt heilen, indem er sie heiligt. Er heiligt sie durch die Art, wie er sich zu ihr verhält. Diese lurianische Haltung ist, so Scholem, »die Welt des messianischen Handelns«.94 Der wichtige Aufsatz von Hugo Bergmann, »Die Heiligung des Namens (Kiddusch Haschem)« 95 von 1913, zeugt von dem durch Buber neu erweckten Interesse an diesem Begriff. Anhand einer Diskussion von Midrasch Theruma 34, wo metaphorisch von Gott als dem Verkäufer die Rede ist, der einzigartig sich selber durch seine Lehre verkauft – eine Quelle übrigens, die auch bei anderen Zeitgenossen wie etwa Rosenzweig eine bedeutende Rolle spielt 96 – leitet Bergmann eine Diskussion der Bedeutung des Jichud innerhalb der Kabbala ein, wobei er auf die Deutung Simeon ben Yochais eingeht. 97 In seiner radikalsten Ausprägung umfasst dieser Gedanke die Vorstellung von der theurgischen »Erlösung« Gottes durch die menschliche Tat. Der Mensch ist imstande, durch seine mystischen Handlungen am Werk der Erlösung teilzuhaben, und zwar nicht nur im bildlichen Sinne. Die Heiligung des Namens im Gebet (Kiddusch Haschem) erwirkt zugleich eine Einung des Namens (Jichud Haschem). 98 94. Vgl. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 301. In der ursprünglichen englischen Ausgabe, Major Trends in Jewish Mysticism, New York 1946, S. 274, heißt es: »The world of Tikkun is therefore the world of Messianic action.« 95. Hugo Bergmann, Die Heiligung des Namens (Kiddusch Haschem), in: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hrsg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig 1913, S. 32-43. 96. Rosenzweig, Atheistische Theologie, in: Zweistromland, S. 696. 97. Bergmann, Die Heiligung des Namens, S. 38. 98. Ebd., S. 33 f.

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In einer Tradition, in der dem Namen ontologische und schöpferische Bedeutung beigemessen wird, ist eine solche Handlung keineswegs von geringer Bedeutung. 99 Diese radikale Vorstellung dürfte der Identifikation von Thora und Gott entsprungen sein, aus der mystische Korrespondenzen zwischen den Geboten und den Sefirot abgeleitet werden können.100 Ein Brief Bergmanns an Buber von 1913 zeugt unverkennbar davon, wie er seine Gedanken zu diesem Thema in Anlehnung an die Grundterminologie Bubers entwickelt. 101 Buber schätzt seine Überlegungen als »sehr wichtig« ein. Auf Bergmanns Frage, wie denn in der jüdischen Tradition von Gott und seinem Namen die Rede sein kann, gibt Buber eine Antwort, die für sein Denken sehr aufschlussreich ist: Er findet in der Bergmann »dunkel« anmutenden Unterscheidung zwischen Gott und seinem wahren Namen eine Bestätigung dafür, dass »wir alle schöpferische Funktion nur als Polarisierung, als Ausdruck einer immanenten Dualität aufzufassen vermögen«. Die Einheit als Ursprung kann daher »nicht mehr als reine Einheit konzipiert werden«. In seiner Auslegung rabbinischer Aussagen ist Buber also auch durchaus in der Lage, Vorstellungen zu entwickeln, die seine Grundüberzeugung vom Hervorgang der Einheitssehnsucht aus der faktischen Zweiheit zu bestätigen scheinen. Auch Leo Baeck, der sich erst langsam zur Mystik bekehren ließ, greift auf diese kabbalistische Tradition zurück. »Er [der Mensch] einigt Gott« schreibt Baeck, »in der Liebe zu ihm. Das Schöpferische des Menschen fand seinen starken Ton in diesem Verlangen: Gott zu einigen«. 102 Für Buber erfüllt Jichud praktisch das Bekenntnis zur Einheit Gottes. Als »unablässig erneute Bestätigung der göttlichen Einheit in der Vielfältigkeit der Erscheinungen, und zwar ganz praktisch gefaßt« verwirklicht sie die Gottähnlichkeit des Menschen.103 Im Einklang mit seiner Hervorhebung eines theosophischen Elements, die den jüdischen Kommentatoren vielleicht früher unbehaglich war, kritisiert Scholem Bubers vage, aktivistische Interpretation von Jichud dafür, dass er mit ihr deren über99. Vgl. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 301 f. 100. Moshe Idel, Kabbalah. New Perspektives, New Haven u. London 1988, S. 187 f. 101. Bergmann an Buber, 2. 5. 1913, in: B I, S. 328 ff. Bergmann liest im Kreis des Bar Kochba Vereins aus dem Entwurf seines Aufsatzes »Die Heiligung des Namens (Kiddusch Haschem)« vor; der Sammelband des Vereins unter dem Titel Vom Judentum, der im gleichen Jahr wie der Brief erschien, erhielt dann neben Bubers »Der Mythos der Juden« die Endfassung von Bergmanns Aufsatz. 102. Baeck, Das Wesen des Judentums, S. 143. 103. Martin Buber, Der Glaube des Judentums, in: Volk und Reich der Deutschen, hrsg. von Bernhard Harms, Berlin 1929, S. 429-440, Zitat S. 431 (aufgenommen in: JuJ, S. 185-200, Zitat S. 188).

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wiegend kontemplativen Charakter sowohl in den kabbalistischen wie auch in den chassidischen Schriften unterdrückt. Dort umfasse Jichud die mystische Konzentration auf die Thora und werde für eine besondere, eine Handlung begleitende Meditation und auch für das Ergebnis derselben verwendet. Nur im Singular, eine in den chassidischen Texten nicht häufig vorkommende Form, bezeichnet sie die Lenkung des Bewusstseins oder Handelns auf Gott hin, was also nur zum Teil Bubers Interpretation stützen würde. 104 In Bubers Augen erreicht die jüdische Vorstellung von der Erlösung mit Hilfe der Mystik ihren Höhepunkt in dieser Erlösung Gottes als »Wiedervereinigung des Gotteswesens«.105 Wie sehr eine solche potentiell theurgische Interpretation der liberalen Sensibilität der deutschen Juden am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts noch fremd klingen konnte, geht aus ihrer Klassifikation als »merkwürdige Vorstellung« durch Ernst Müller (1880-1954) in einem Standardlexikon der Zeit hervor. 106 Nicht selten wird die mystische Erfahrung, sofern sie sich typologisieren lässt, auch als passiv klassifiziert. »Der Mystiker ist der mystischen unio ausgesetzt.«107 Für Buber soll ganz im Gegenteil die von ihm herausgearbeitete spezifische Form der jüdischen Mystik gerade eine aktive Haltung fordern. In seinen Schriften greift Buber eben diese Idee immer wieder auf.

Einheit Aus den Schriften Bubers spricht ein Verlangen nach Einheit. Mit den Zeitgenossen unterschiedlicher Couleur, ob sie der Lebensphilosophie oder Neuromantik, Lebensreform- oder Jugendbewegung angehörten, teilte er die Suche nach einem uneingeschränkten Erlebnis der Einheit. Der emphatische Charakter dieser Suche ist sicherlich als eine Reaktion auf das anzusehen, was als ein allgemeiner Verlust an Sinn empfunden wird. Die unterschiedlichen Erfahrungen der Entfremdung, die den Anbruch der Moderne begleiten, führen schließlich zu Rettungsversuchen, die die verloren geglaubte Einheit wieder herstellen sollen. Der Rekurs auf 104. Gershom Scholem, Martin Bubers Deutung des Chassidismus, in: Ders., Judaica 1, Frankfurt a. M. 1963, S. 165-206, hier S. 200 f. 105. Martin Buber, Das Judentum und die Menschheit, in: Buber, Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911, S. 33-57, Zitat S. 47 (jetzt in: MBW 3, S. 232). 106. Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens, begr. von Georg Herlitz u. Bruno Kirschner, 4 Bde., Berlin 1927-1930, Bd. 3, S. 267. Vgl. Idel, Kabbalah, S. 187. 107. Spörl, Gottlose Mystik, S. 18.

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ein neues Verständnis von Mystik und Mythos gehört in diesen Kontext eines Wertezerfalls sowie einer zunehmenden Verunsicherung der überkommenen Formen von Wissen und Erkenntnis. In den für das frühe Denken Bubers wichtigen Schriften von Georg Simmel (1858-1918) nimmt der Begriff Einheit einen bedeutenden Platz ein, sowohl in seiner Auffassung von der Religion als auch von der Gesellschaft überhaupt. 108 Auch Simmels Vorstellung von der Religiosität, die Buber nominell und inhaltlich übernimmt, ist durchaus mystisch geprägt. 109 Auf derselben Tagung, zu der Buber mit seiner Äußerung »Mystik als religiöser Solipsismus« beitrug, wird Simmel von Ernst Troeltsch (1865-1923) dafür kritisiert, das Christentum zu sehr von der Mystik aus interpretiert zu haben.110 In seinem Beitrag weist Buber in Anlehnung an Simmel darauf hin, dass »die Mystik die unbedingte Religiosität ist, weil in ihr der eigentliche Inhalt des religiösen Erlebens, die Beziehung eines Menschen zu dem als Gott Empfundenen am unbedingtesten realisiert ist«. 111 Nicht von ungefähr notiert Scholem 1915 in seinem Tagebuch: »Die Mystik in unserer Zeit und das Judentum in ihr – Bergson, Landauer, Joël, Simmel.« 112 Buber will die Menschen dazu bringen, jeder für sich im eigenen Leben und alle gemeinsam in der geteilten Welt Einheit zu stiften. Als dritter Modus der gelebten Einheitserfahrung kommt das Erlebnis des Absoluten dazu, das Buber als eine überindividuelle Einheit oder später als das absolute Du versteht. Voraussetzung dieser Sehnsucht ist die grundsätzliche Dualität der gegenwärtigen Situation. Buber glaubt, und dies verbindet ihn mit vielen seiner Zeitgenossen, in einer Zeit beispielloser Zersplitterung zu leben. Angesichts der vermeintlich zersetzenden Individualisierung und Zweckorientierung, worunter die damalige Kultur in zunehmendem Maße leidet, stellt er die Aufgabe der Einheitsstiftung in den Vordergrund. Neben der Einheit stellt sich für den jungen Buber auch die Frage der 108. Yossef Schwartz, The Politicization of the Mystical in Buber and His Contemporaries, in: New Perspectives on Martin Buber, hrsg. von Michael Zank, Tübingen 2006, S. 205-218. 109. Vgl. Georg Simmel, Die Gegensätze des Lebens und die Religion, in: Das freie Wort. Frankfurter Halbmonatsschrift für Fortschritt auf allen Gebieten des geistigen Lebens, 4. Jg., Nr. 8, 1904, S. 305-312. 110. Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M, Tübingen 1911, S. 213; vgl. auch Grete Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, Göttingen 1966, S. 36. 111. Siehe in diesem Band, S. 151. 112. Gershom Scholem, Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis 1923, 1. Halbbd.: 1913-1917, hrsg. von Karlfried Gründer u. Friedrich Niewöhner, Frankfurt a. M. 1995, Bd. I, S. 106 (15. Mai 1915).

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Identität. Ihm wird daher oft eine »Identitätslehre« zugeschrieben.113 Es hat den Anschein, als gehe es Buber in den ersten Jahren um eine Einheit jenseits aller Differenz, also um eine Art unio mystica, die den Menschen jeder irdischen Schranke, jeder Zweiheit enthebt und ihn wenigstens seelisch schon in den Stand der Erlösung setzt. Auch die mystische Vertiefung, die Versenkung in sich und die daraus resultierende Vereinzelung, interessiert ihn deutlich. Doch bei näherer Untersuchung zeigt sich, dass ihn eigentlich von Anfang an Vorstellungen von der Einheit anziehen, die die Vielheit mit einbegreifen. Das gilt vor allem für die mystische Einheit. In einer kleinen Schrift zum Chassidismus rühmt Buber dessen Begründer, dem Baalschem, nach, er habe eine Mystik in die Welt gesetzt, die »ohne Schwächung der gelebten Allvielheit« sei, die »die Konkretheit des Absoluten hütet«. 114 Buber dokumentiert zwar eifrig die Ekstase verschiedener mystischer Traditionen, besonders in der Zeit bis 1920, glaubt aber gleichwohl, dass die Erneuerung des Lebens aus einer Art mystischem Erlebnis hervorgehen werde, in dem der lebendigen Daseinsvielfalt eine Einung widerfährt und der Mystiker sich von der Welt nicht abwendet, sondern ihr gerade dadurch inniger zugewandt bleibt, wobei er unter Welt auch die Mitmenschen mit einbegreift. Es sollte daher nicht überraschen, wenn Buber in der Folge auf die Idee des Werdens zurück greift. Denn in einer dynamischen Einheit werden jeweils die einzelnen Momente zusammengefasst. Daher ist es das Geeinte oder Einsgewordene, das das Mannigfaltige in sich enthält, nicht das Einfache, das im Mittelpunkt seines Interesses steht. Im Einklang mit den damaligen lebensphilosophischen Strömungen, die in der Nachfolge von Nietzsche etwa bei Wilhelm Dilthey (1833-1911), Henri Bergson (18591941) oder Simmel das Leben und Erleben als im Grunde genommen ein Werden, einen dynamischen Vorgang auffassen, wendet Buber sich von den althergebrachten philosophischen Vorstellungen eines unveränderlichen, unbeweglichen Seins ab. Im jüdischen Kontext, so Buber, werde die Idee und »Volkstendenz« der Einheit erst im Rabbinismus zum Schema. 115 Die Einheit ist also für Buber kaum je eine einfache. Vielmehr stellt sie das Ergebnis der Einung dar. Deshalb entsteht sie gerade dort als Forderung, wo Dualität herrscht. Das Streben nach Einheit, die dem Buber 113. Vgl. Paul Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog. Martin Bubers geistige Entwicklung bis hin zu »Ich und Du«, Königstein/Ts. 1979, S. 60. 114. Martin Buber, Des Rabbi Israel ben Elieser genannt Baal-Schem-Tow das ist Meister vom guten Namen Unterweisung im Umgang mit Gott aus den Bruchstücken gefügt von Martin Buber, Hellerau: Jakob Hegner 1927, S. 12. 115. Martin Buber, Die Erneuerung des Judentums, in: Buber, Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 191 S. 57-102, hier S. 74 (jetzt in: MBW 3, S. 238-256, hier S. 244).

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der Drei Reden als ein konstitutives Prinzip der Menschheit gilt, bricht am sehnlichsten eben aus »dem extremen Dualitätsbewußtsein im Judentum« hervor. 116 Weil er die Einheit ins Zentrum seines Denkens rückt, betont Buber zugleich die Bedeutung des dynamischen Werdens. Die Ratio verfehle diese Grundstruktur der Existenz, insofern sie in die Welt der Individuation, der individuellen Erscheinungen verstrickt bleibe. Buber geht es um die Überwindung der Individuation. Ein Weg aus dieser Verstrickung führt für ihn, besonders in der Zeit der geistigen Nähe zum Kreis der Neuen Gemeinschaft, über die naturwissenschaftliche Erkenntnis. 117 So entwickelt sich innerhalb weniger Jahre bei ihm die Idee der Einheit, die insofern zur Dialogik hinüber leitet, als sie schon die Vorstellung mit einbegreift, die Seele des Menschen gehe beim einfühlsamen Erleben eines Dinges aus sich heraus, um dem Leben beizuwohnen, wie es sich ereignet. Schon damit ist eine gewisse Gegenseitigkeit anerkannt, die für das Verhältnis von Ich und Welt als konstitutiv zu gelten hat. Buber ist es stets darum zu tun, wie das Erlebnis festgehalten wird. Auf der einen Seite sieht er, besonders in den ersten Jahren, eine unüberbrückbare Spannung zwischen der Ekstase und ihrer Mitteilung oder Rettung für das Gedächtnis. Nichts wird dem mystischen Erlebnis gerecht. Dieses Erlebnis gehe, wie er assertorisch schreibt, »nicht in das Gedächtniß« ein. 118 Auf der anderen Seite fasst er den Mythos, das Sinnbild, immer deutlicher nicht nur als die äußerliche Spur eines schon verklungenen ekstatischen Erlebnisses auf, sondern sieht ihn selber als Teil der mystischen Erfahrung. Im Mythos wird das Wertvolle am mystischen Erlebnis erlebt, nur nicht isoliert, sprachlos, an sich unsagbar. Indem der Mystiker trotz aller Unaussprechlichkeit sein Erlebnis ausspricht und sich dadurch in die Kette des Mythos einreiht, wird etwas Machtvolles geschaffen.119 Auch in den Ekstatischen Konfessionen gehen nach Buber die Mystiker über die sprachliche Konfession oder den bloßen Bericht hinaus. Das mystische Erlebnis wird Werk, eingetan, so Buber, »in die Tat ihres Lebens«.120 Wenn auch unklar bleibt, woraus genau eine solche Tat bestehen soll, erweitert sie schon deutlich den Bereich der mystischen Erfahrung ins Aktive. Das Verhältnis der schließlich immer noch unzu116. Martin Buber, Das Judentum und die Menschheit, S. 42 (MBW 3, S. 230). 117. Zur Neuen Gemeinschaft siehe: Heinrich u. Julius Hart, Das Reich der Erfüllung, Heft 1, Leipzig 1900; sowie zu Bubers Beziehung zu ihr vgl. Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 60-72. 118. Martin Buber, Ekstase und Bekenntnis, in diesem Band, S. 148. 119. Ebd., S. 149. 120. Ebd.

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länglichen Worte zum ursprünglichen Erlebnis scheint schon hier interessanterweise nicht mehr nur das eines sekundären, berichtenden Epiphänomens. Die Darstellung selber kann aus Bubers Sicht, wenn auch nur beschränkt, eine Erweiterung des mystischen Vorgangs werden. Später sollte Buber zu einem umfassenderen Verständnis davon gelangen, wie ein Volk seiner Beziehung zum Absoluten legitim äußerliche Gestalt verleihen kann. Werden bei ihm in dieser Hinsicht stets narrative Formen bevorzugt, so bezieht er doch im Laufe der Zeit weitere jüdische Traditionsquellen mit ein. Wenn er auch weiterhin instinktiv zu dem neigt, was die Tradition Aggadisches nennt, geht er dennoch darüber hinaus, gelegentlich sogar einen Schritt hin zur Anerkennung der Möglichkeit, dass auch die halachische Tradition, das jüdische Gesetz, unter gewissen Umständen ein Vehikel der echten Begegnung sein könne.121 Wie bei seiner Deutung des Chassidismus gelangt Buber zu dieser Einsicht dadurch, dass er die in seinen Augen zu unterscheidenden Linien innerhalb des betreffenden historischen Gebildes in positive und negative einteilt: Pharisäer gegen Sadduzäer, die Schule Schammais gegen die Hillels.

Sind das Ketzergedanken? So lautet die Frage, die Gustav Landauer einem seiner wichtigsten Aufsätze voranstellt. 122 Es lag keineswegs auf der Hand, dass die Antwort auf nein hinauslaufen sollte. Ganz im Gegenteil bildet das vermeintlich Ketzerische, an der Mystik wie auch allgemein, für Landauer, Buber und zahlreiche Zeitgenossen einen Hauptteil ihrer Attraktivität. 123 Bei der Neuromantik sowie bei anderen Gegenbewegungen war diese Vorliebe schon durchaus ausgeprägt. Angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen dem religiösen Erneuerungswillen und dem Misstrauen aller Kirchlichkeit gegenüber verhielt sich der Verleger Eugen Diederichs (1867-1930) nicht untypisch, wenn er sich von den »Ketzernaturen« angezogen fühlte. 124 Seine Autoren und sein Verlag haben diese Faszination 121. Siehe z. B. Martin Buber, Pharisäertum, in: Der Jude, Sonderheft. Antisemitismus und jüdisches Volkstum, 1925, S. 123-131 (jetzt in: MBW 9, S. 87-95). 122. Gustav Landauer, Sind das Ketzergedanken? In: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hrsg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig 1913, S. 250257; auch in: Gustav Landauer Werkausgabe, Bd. 3: Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hrsg. von Hanna Delf u. Gert Mattenklott, Berlin 1997, S. 170-174. 123. Zu Landauer und Buber siehe den Kommentar zu Bubers Aufsatz »Gustav Landauer« (1904), in diesem Band S. 311 f. 124. Dazu Ulbricht, Die Rückkehr der Mystiker, S. 171-173.

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mehrfach verlegerisch umgesetzt, wobei allerdings nach dem Ersten Weltkrieg diese neomystische Orientierung eine finstere Wendung zum Völkisch-Antisemitischen hin nahm. 125 Überhaupt wurde der Ketzer als Idealtypus zur Schlüsselfigur, in der die Hoffnungen der Neureligiösen auf eine Erneuerung des religiösen Gefühls, eine »Diesseitsreligion« losgelöst von jeder etablierten Religion gebündelt war. 126 Der große Zuspruch, den damals Meister Eckhart fand, dessen mystische Schriften Landauer herausgab, erklärt sich zum Teil just aus dieser Suche nach einer Vermittlung zwischen Religiösem und Religion. Für Autoren des Diederichs Verlags wie Herman Büttner, der im gleichen Jahr, als Landauers Edition erschien, auch eine neuhochdeutsche, beträchtlich umfangreichere Ausgabe von Eckharts Schriften zusammenstellte, ist Eckhart, der immerhin Dominikaner war, doch der Sprecher einer »versunkenen Religion«. 127 Er steht somit innerhalb und außerhalb der bestehenden Religion. 128 Gegen jedes institutionelle Mittlertum richtet sich das neureligiöse Interesse an Eckhart, das ihn als Verkünder einer Religion der unmittelbaren Innerlichkeit ansehen will. 129 Für Landauer und Büttner kommt es auf das seelische Erleben an, das Eckhart einer dogmatischen und scholastischen Begrifflichkeit entgegenzustellen wagt. 130 Weniger um die geschichtliche als um die lebendige Persönlichkeit geht es den beiden Herausgebern, die unverhohlen zugeben, nur das aus Eckhart zu nehmen, was der Zeit und ihren Forderungen angemessen scheint. »Meister Eckhart ist«, so Landauer, »zu gut für historische Würdigung; er muß als Lebendiger auferstehen«.131 Diese religiös durchdrungene Rhetorik basiert auf Rettungs- und Erweckungsvorstellungen, die gleichermaßen Büttner befeuern, der seine Ausgabe trotz vordergründig wissenschaftlicherer Ansprüche schließlich doch populärphilosophisch anlegt, wobei im Gegensatz 125. Ebd., S. 176. 126. Eugen Diederichs, Einleitung in den Almanach Drei Jahre deutscher Kulturarbeit während des Weltkrieges 1914 bis 1917, Jena 1917, zitiert in: Ders., Aus meinem Leben, Jena 1938, S. 71. 127. Meister Eckeharts Schriften und Predigten. Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt und herausgegeben von Hermann Büttner, 2 Bde., Jena 1903-1909, Bd. 1, S. 1; Meister Eckharts Mystische Schriften in unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer, Berlin 1903. Landauers Band erschien im Verlag Schnabel als erster in der Reihe Verschollene Meister der Literatur. 128. Vgl. Büttner, Meister Eckeharts Schriften und Predigten, S. 9. 129. Büttner sieht in der Eckhart umfassenden Bewegung des 14. Jahrhunderts »eine von dem Mittlerchristentum der Kirche grundverschiedene Religion« (Meister Eckeharts Schriften und Predigten, S. 9). 130. Gustav Landauer, Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik, Berlin 1903, S. 103 (»seelisches Erleben«); Büttner, Meister Eckeharts Schriften und Predigten, S. 10 (»seliges Erlebnis«). 131. Landauer, Meister Eckharts Mystische Schriften, S. 5.

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zu Landauer das Populäre stets ins Völkische übergeht. Büttner ist es ebenso um eine Wiederherstellung eines ursprünglichen Sinnes zu tun, um die religiöse Bedeutung der Person Christi, der aus seiner untergründigen Existenz und aufgezwungenen »Verkapselung« in Mythen und Geschichte befreit zu werden verlangt. 132 Auch Büttner fasst die Geschichte derjenigen, die diese wahre Botschaft zu erhalten versuchten, als »zum guten Teil Ketzergeschichte« auf. Weniger aus der Perspektive einer religiösen Erneuerung im engeren Sinne als aus einer anarchistisch-atheistischen ziehen auch Landauer die Ketzer aller Schattierungen an, wobei ihm Eckhart als der »Größte unter all diesen ketzerisch mystischen Skeptikern« gilt. 133 Auch für Buber bezeugen die Ketzer, nötigenfalls mit ihrem Leben, die Wahrheit einer meist untergründig verlaufenden Tradition echter Religiosität. Sie steht weitgehend in krassem Gegensatz zu dem, was Buber das »offizielle« Judentum nennt. Auf den heroischen Kampf des unterirdischen Judentums kommt er immer wieder zu sprechen. In der zweiten der Drei Reden über das Judentum (1911) heißt es, »der schöpferische Kampf der Propheten und Erlöser gegen die Gottlosen und Selbstzufriedenen« sei unter dem Druck der Selbsterhaltung in »blinde Selbstzerstörung« ausgeartet, die zu einem »grausamen, verketzernden, einsichtslosen, besinnungslosen Kampf des offiziellen gegen das unterirdische Judentum« führte. 134 Da das »Streben nach Einheit […] gewaltsam niedergedrückt« wurde, flüchtete es fast völlig aus dem öffentlichen Leben, um nur »in der glühenden Innerlichkeit der jüdischen Ketzer und Mystiker« fortzuleben.135 Etwa gleichzeitig lobt Buber die »zentralen Menschen«, die großen Juden, die in der Galut zum unterirdischen oder außerjüdischen Leben verurteilt waren, »die verketzert und gesteinigt werden«. 136 Solche »Gestaltende« werden nach Buber immer wieder zu Außenseitern und Verstoßenen, die aber in der Niederlage siegen. Es ist dies auch zum Teil eine Stilisierung des Verstoßenen und Unzeitgemäßen in Anlehnung an Schopenhauer und Nietzsche. Die versuchte Anknüpfung an eine solche verborgene Tradition ist bei Buber wie auch bei anderen Ausdruck einer grundlegenden Ambivalenz. 132. Büttner, Meister Eckeharts Schriften und Predigten, S. 11. 133. Landauer, Skepsis und Mystik, S. 102. 134. Buber, Das Judentum und die Menschheit, S. 50 f. (MBW 3, S. 234). Vgl. »Der Geist des Orients und das Judentum«, wo Buber von einem Erstarren des Judentums spricht, das infolgedessen »verketzernd und lebensfeindlich« wurde, in diesem Band, S. 200. 135. Ebd. 136. Martin Buber, Das Gestaltende, in: JB I, S. 210 u. 208 (jetzt in MBW 3, S. 262 u. 261).

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Zum einen will er dadurch Distanz von den bestehenden Religionsformen gewinnen. Gleichzeitig erlaubt diese Geste aber auch eine Rückbindung an die jüdische Tradition, die nicht primär ins rabbinische Judentum führt, aber auch nicht in striktem Gegensatz dazu stünde. Sie gewährt also Rückbindung ohne unerwünschte Bindung. Darin meldet sich unverkennbar die tiefe Ambivalenz, die Bubers Verhältnis zur normativen Tradition anhaftet. Indem die jüdischen Ketzer und Mystiker eine seelische »Kontinuität« des jüdischen Geistes gewährleisten, halten sie »die Seele des Judentums bereit für den Augenblick der Befreiung«. 137 Dass Buber seine Lobrede auf die gestaltenden Ketzer mit dem Mythos von dem Knecht Gottes aus Jesaja belegt, weist, abgesehen von dem typischen hermeneutischen Verfahren der Mythos-Deutung, auf einen wichtigen Aspekt seiner Einstellung hin. 138 Denn die Umstellung von einem öffentlich ausgefochtenen Geisteskampf auf die institutionelle Verfolgung derjenigen, die die Ideen des Unbedingten 139 und der Einheit im Stillen hüten und meist nur esoterisch weitergeben, verfestigt Bubers Tendenz, das potentiell konkret Aufwühlende und Umwälzende in den Bereich der Seele aufgehen zu lassen. Bei aller Betonung der Tat, oder genauer: der Tatidee, wird bei den jüdischen Mystikern, die Buber der Welt aufs Neue vorlegt, nämlich bei den Chassidim, dementsprechend ihren messianischen Energien eine Richtung nach außen verweigert und ins Seelische verlagert, wobei Buber diesen historischen Augenblick selber für eine gehemmte und beschränkte Manifestation des »echten Geisteskampfes« hält. Wenn er dieses Verfehlen beschreibt, bedient sich seine Sprache einer gewaltsamen Metaphorik, als ob sie für das Ausbleiben des Aufstands in der historischen Wirklichkeit aufzukommen hätte. 140 Dies folgt daraus, dass Ketzer und Mystiker für Buber nicht ein und dasselbe sind. Sie werden von ihm sehr häufig nebeneinandergestellt, stellen aber zwei unterschiedliche Ausdrucksformen der Religiosität angesichts der Zwangsherrschaft des Bestehenden dar. Während die Ketzer oft durch gewaltige Auflehnungen Unruhe und Unheil stiften, schreibt er der jüdischen Mystik eine »stetige, aufbauende Tätigkeit« zu, »die den 137. Buber, Das Judentum und die Menschheit, S. 52 (MBW 3, S. 234). 138. Buber, Das Gestaltende, in: JB I, S. 212 (MBW 3, S. 263). 139. Vgl. Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 200: »die Kraft der Unbedingtheit lebte nur noch fort in Ketzern«. 140. So spricht Buber von der jüdischen Mystik, die »das heilige Feuer der alten Gottverbundenheit« zum letzten Mal im Chassidismus »ins Volk aufflammen ließ«, und von diesem als einer »großen religiösen Erhebung«, die »die polnische Judenheit erfaßte« und »die schrankenlose Gewalt des orientalischen Menschen aus den entbrannten Seelen« offenbarte. Ebd., S. 200.

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erstarrten Ritus durch die Idee der Kawwana, der Intention zu beleben und jeder religiösen Handlung einen heimlichen, auf Gottes Schicksal und die Erlösung der Welt gerichteten Sinn zu geben strebt«. 141 Allmählich schüttelt die jüdische Mystik ihre abstrakt theologisierenden, teilweise auch gnostischen Tendenzen ab und wird in der späteren Kabbala, besonders der lurianischen, zu einer mystischen Auffassung des Lebens, die »unmittelbar-gefühlsmäßig« ist. Danach dringt sie laut Buber immer mehr ins Volk, bis sie mit dem Chassidismus eine »Volksbewegung« wird. Bemerkenswert ist, wie in der von Buber geschilderten Entwicklung der Mystik die Religiosität sich immer mehr des Gefühls und des Volks bemächtigt, jedoch immer weniger dazu angetan ist, in umwälzende, messianische Handlungen überzugehen.

Rezeption Bubers Schriften zu Mystik und Mythos übten in den ersten Jahren einen mächtigen und weitreichenden Einfluss auf gewisse Kreise der europäischen Juden aus. Besonders bei der jüdischen Jugend wurden sie mit Begeisterung aufgenommen. Eine positive Rezeption fanden sie aber nicht nur dort, sondern auch unter durchaus unterschiedlichen Richtungen und Gruppierungen der deutschsprachigen Juden sowie bei diversen nichtjüdischen Intellektuellen.142 Viele fanden in ihnen Grund zu einem neuen Stolz auf ihre jüdische Identität. Hatte Buber doch gezeigt, dass die Juden es in Sachen Mythos und Mystik mit jedem anderen Volk aufnehmen könnten. Das Bild der Vergangenheit und Zukunft des jüdischen Volks musste für viele neu überdacht werden. Dies trifft auch für das Bild des Chassidismus zu, dessen letzte Gestalt Buber als Höhepunkt der jüdischen Mystik verherrlichte. An Kritik hat es dabei nicht gefehlt. Über die spätere Rezeption von Bubers Schriften breitet sich ein großer Schatten, der den Namen Scholem trägt. Es ist in dieser Einleitung schon mehr als einmal auf die Auseinandersetzung mit Bubers Auffassung von Mystik und Mythos von Seiten Gershom Scholems und seiner Schüler hingewiesen worden. Sie bildet zweifellos die wichtigste Infragestellung von Bubers Arbeit auf diesen Gebieten, wenn nicht von seinem Ansatz überhaupt. Scholem, der sich ab den zwanziger Jahren immer mehr als bedeutendster Forscher der jüdi141. Buber, Jüdische Religiosität, in diesem Band, S. 213. 142. Einen Überblick über die Rezeption der Schriften zum Chassidismus gibt MendesFlohr, Fin de Siècle Orientalism, S. 96-109.

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schen Mystik etablierte, indem er das Studium der Kabbala auf eine moderne, wissenschaftliche Basis stellte, war ursprünglich leidenschaftlicher Anhänger Bubers, wie seine Tagebücher aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu Genüge dokumentieren. Bald aber machten sich erheblich Zweifel geltend, die dann in kurzer Zeit in vehemente Ablehnung und heftige Kritik mündeten. Diese Kritik ließ mit den Jahren keineswegs nach. Auch wenn sie sich im Laufe der Jahre einigermaßen differenzierte, so erhielten sich doch die wesentlichen Streitpunkte. Aus eigener Erfahrung weiß Scholem die Anziehungskraft von Bubers Schriften zu würdigen. Im Kontext seines bedeutenden Aufsatzes über Bubers Auffassung des Judentums erkennt Scholem die unvergleichliche Rolle an, die Buber in der Wiederentdeckung der jüdischen Mystik und des jüdischen Mythos gespielt hat. »Buber war der erste jüdische Denker«, so Scholem 1967, »der in der Mystik einen Grundzug und eine kontinuierlich wirkende Tendenz des Judentums sah«. 143 Zusammen mit seinem nicht minder lebhaften Interesse am Mythos sei Buber an die chassidischen Schriften herangegangen. Scholem unterschätzt auch keineswegs den Einfluss von Bubers mächtiger, schwungvoller Prosa, die immer wieder reiche, poetische Bilder schafft, anstatt sich in historische Details zu verlieren. Doch ihm ist es letztlich um historische Genauigkeit zu tun, und bei der Frage, inwiefern Buber die jüdische Mystik, besonders ihre Gestalt im Chassidismus, verlässlich darstellt, hebt seine Kritik an. Dabei ist Scholem sich darüber im Klaren, dass Buber schließlich nicht in erster Linie auf das geschichtliche Phänomen bedacht ist, sondern auf das »geistige«. Auch Scholem selber behält ja stets die Fähigkeit der eigenen Forschung im Auge, zur jüdischen Erneuerung einen effektiven Beitrag zu leisten. 144 Indem Scholem Bubers Deutung des Chassidismus kritisch hinterfragt, fällt er zugleich ein Urteil über dessen Auffassung von der jüdischen Mystik überhaupt. Die Haupteinwände, die er gegen Bubers Darstellung vorbringt, betreffen vor allem die Auswahl der Literatur und die Methode der Interpretation des ausgewählten Materials. Laut Scholem umfasst das Korpus der chassidischen Werke zwei Kategorien: erstens die theoretischen Schriften, die vorwiegend 1770 bis 1815, also während der Entstehungsphase der Bewegung entstanden, und zweitens die Legenden, Biographien, Erzählungen und Aussprüche, die großenteils in die Jahre von 1800 bis 1850 zu datieren seien. Dass Bubers Bild vom Chassidismus sich fast ausschließlich auf die Legenden, Anekdoten und Aussprüche der 143. Scholem, Martin Bubers Auffassung des Judentums, S. 157. 144. Scholem, Martin Bubers Deutung des Chassidismus, S. 170.

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Meister, der Zaddikim, stützt, bringt Weglassungen und Umdeutungen mit sich, die es letztlich hoffnungslos beeinträchtigen. Das habe zu dem Ergebnis geführt, dass es vielen, die den Chassidismus aus Bubers Nacherzählungen und Einführungen kennen, überhaupt nicht einmal bewusst sei, dass es so etwas wie eine theoretische Seite des Chassidismus gebe.145 Wenn Buber diese Methode zu rechtfertigen versucht, indem er die Legende als das eigentlich Schöpferische im Chassidismus bezeichnet und als »die Hauptquelle zu seiner Erkenntnis«, 146 begebe er sich aus Scholems Sicht in einen sehr prekären, eigentlich unhaltbaren Standpunkt. Denn im Wesentlichen sei diese Literaturgattung erst ein halbes Jahrhundert nach der Zeit entstanden, in der der Chassidismus durch seine theoretischen Schriften »tatsächlich produktiv« war. 147 Dagegen argumentiert Scholem, dass das Leben der Chassidim »tief von den Ideen beeinflußt und gestaltet wurde, die in der theoretischen Literatur niedergelegt sind, während es in seinem Ursprung sicherlich nicht von der Legende beeinflußt war«. 148 Nicht nur also, dass Buber ein ausgesprochen einseitiges Bild der Bewegung vorlegt, er stellt die Tatsachen und ihre Chronologie auch geradezu auf den Kopf. Der Grund für Bubers Entscheidung, der legendären Überlieferung den Vorrang zu geben, ist darin zu suchen, dass er das Verhältnis des Chassidismus zur Kabbala auf ganz besondere Weise interpretiert. Denn im Grunde streitet Buber irgendeine bedeutende Abhängigkeit des Chassidismus von der Kabbala ab. Er leugnet zwar nicht, dass der Chassidimus aus der kabbalistischen Mystik, besonders in ihrer lurianischen Ausprägung, hervorgeht, glaubt aber trotzdem, dass alles, was an der chassidischen Bewegung schöpferisch ist, sich nicht direkt aus dem theosophischen Grübeln der Kabbala herleiten lasse, sondern fast bis zur Unkenntlichkeit in Neues abgewandelt und umgedeutet worden sei. Aus einer spekulativ-metaphysischen Lehre der Kabbala über das Innenleben der Gottheit macht der Chassidismus nach Buber eine ethische Lebensanschauung. Aus der Esoterik werden also Anleitungen zum richtigen Leben des Menschen und seinem Verhältnis zu Gott. Der Chassidismus, wie sein berühmtes Wort diese Idee zusammenfasst, ist die »Ethos gewordene Kabbala«.149 Die einseitige Betonung der moralischen Umdeutung der kabbalisti145. Ebd., S. 178. 146. Martin Buber, Die chassidische Botschaft, Heidelberg: Lambert Scheider 1952, S. 35; aufgenommen in: W III, S. 760. 147. Scholem, Martin Bubers Deutung des Chassidismus, S. 179. 148. Ebd., S. 177 f. 149. Martin Buber, Die jüdische Mystik, in diesem Band, S. 119.

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schen Begriffe durch den Chassidismus geschieht, so Scholem, auf Kosten von dessen dogmatischem Kern. 150 Damit verliere Buber den Zusammenhang aus den Augen, der allein die von ihm so geliebten Legenden und Aussprüche in ihrem eigentlichen Sinn erscheinen lasse. Nach Scholem teilen alle Erforscher des Chassidismus mit Buber die Ansicht, dass dieser gerade bei der Übernahme kabbalistischer Auffassungen am wenigsten originell war. 151 Buber gehe jedoch über die denkbar berechtigten Schlussfolgerungen hinaus, indem er einen künstlichen Gegensatz zwischen dem einfältigen Frommen und dem in der Kabbala bewanderten Gelehrten postuliere. Im Grunde lese Buber die eigene Kritik am Intellekt in die Quellen hinein, während der Chassidismus von einem solchen Gegensatz gar nichts wisse. 152 In für ihn typischer Weise setzt sich Scholem für eine Erfassung des historischen Phänomens in seiner Totalität ein, ohne irgendwelche Abstriche, die es dem Zeitgeschmack oder den Zeitforderungen anpassen möchten. Daraus folgt, dass die spekulative und die legendäre Seite des Chassidismus nicht voneinander zu trennen sind. Um eine von ihnen richtig zu verstehen, müsse man stets beide im Auge behalten. Das gelte zudem für die Beziehung des Chassidismus zum jüdischen Gesetz. So wenig die Chassidim mit der Kabbala gebrochen hätten, so wenig hätten sie mit der Halacha gebrochen. Ein Leben, dessen Handlungen vom jüdischen Gesetz bestimmt sind, bildet nach Scholem den notwendigen Hintergrund für die chassidische Mystik. Die Wendung der Kabbala ins Ethische bedeutet deshalb gar nicht, dass es dem Chassid nur darauf ankommt, wie eine Handlung ausgeführt wird. Dass seine Tat idealiter mit der Intention auf Gott (Kawwana) erfüllt wird, heißt noch lange nicht, das es gleichgültig ist, was der Mensch tut. Für Scholem ist Buber »ein religiöser Anarchist«. 153 Sein unablässiger Aufruf, sich zu entscheiden und gerichtet zu sein, fordert von dem Menschen nur, dass er entscheidet und eine Richtung hat, und in welcher Weise er das tun soll. Auf bestimmte Handlungen oder Handlungsarten lässt sich Buber jedoch nicht festlegen. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass Buber im Chassidismus eine Lehre sieht, die die Grenze zwischen dem Heiligen und dem Profanen aufhebt, indem ihm schlechthin alles Ziel eines heiligenden Tuns werden kann. Damit aber klammert Buber den eigentlich kaum verkennbaren Kontext aus, der dem chassidischen Menschen den Bereich des zu Tuenden jeweils vorläufig bestimmt. Die jüdische Mystik 150. 151. 152. 153.

Scholem, Martin Bubers Deutung des Chassidismus, S. 179 f. Ebd., S. 181. Ebd., S. 182 f. Ebd., S. 197.

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bezieht sich, so Scholem, auch im Chassidismus »auf die Welt der Tora und der Gebote, die für die Chassidim immer noch Alles bedeutete«. 154 Die Pole von Mythos und Mystik treffen sich für Buber im Polen des achtzehnten Jahrhunderts. In der esoterischen Bewegung der Chassidim zieht die Mystik im Gewand des Mythos ins Volk, während andererseits der Mythos eben durch diese Synthese geläutert wird. »In ihm«, schreibt Buber vom Chassidismus, »strömen Mystik und Sage zur Einheit zusammen«.155 Buber legt es dementsprechend darauf an, die chassidische Bewegung von jedem Verdacht der theosophischen Spekulation sowie der Magie fernzuhalten. Im Laufe der Jahre äußert sich dieses Anliegen mit stetig wachsendem Nachdruck. Je mehr er den Chassidismus als eine fast beispiellos aktivistische Mystik darzustellen versucht, umso häufiger wird die theosophische Kabbala, deren geistige Nähe zur Mystik er abstreitet, mit der Gnosis identifiziert. Bubers Kampf gegen die Gnosis im Judentum zeugt von seinem ständig wiederholten, immer stärker werdenden Versuch, durch Unterscheidung eines wahren Traditionsstrangs von angeblich peripheren und abgeleiteten eine Einheit zu finden, die sich um die Vielschichtigkeit des Gegenstands nicht mehr zu kümmern braucht. Solche Differenzierung zum Zweck der Vereinfachung könnte fast als Ersatz für die Dialektik gelten, die Scholem, für den die chassidischen Autoren »klar und deutlich als Gnostiker« schrieben, an Bubers Schriften meist vermisst. 156 Dem willkürlichen, durch Bubers System bestimmten Auswahlprinzip entspricht ein methodisches Prinzip, das Scholem »überaus fragwürdig« erscheint. 157 Bei der Wiedergabe der Legende trifft Buber auch Entscheidungen, die Scholem zufolge ein Bild der Bewegung hervorbringt, das mit dem historischen Gegenstand oft weniger zu tun hat als mit Bubers eigenem Denken, das er hier wie sonst »in die Deutung geschichtlicher Erscheinungen legt«. 158 Die Unbestimmtheit und Zweideutigkeit von Bubers Begriffen begünstige nur diese Tendenz. Scholem bestreitet zudem Bubers Behauptung, im Gegensatz zu den meisten mystischen Traditionen hätten wir es im Chassidismus mit einer mystischen Weltbejahung zu tun, mit einer Freude am Dasein und einer Liebe zu den Dingen in ihrer je eigenartigen Beschaffenheit. Überzeugend weist er nach, wie das, was Buber als chassidische Hingabe an das Hier und Jetzt der je begegnenden 154. 155. 156. 157. 158.

Ebd., S. 198 f. Buber, Die Legende des Baalschem, S. V. Scholem, Martin Bubers Deutung des Chassidismus, S. 179. Ebd., S. 177. Scholem, Martin Bubers Auffassung des Judentums, S. 156.

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Welt versteht, sich in Wahrheit zur Wirklichkeit destruktiv verhält, sofern es in der mystischen Konzentration auf ihre Entleerung zielt. Die Beziehung des im Einzelding wohnenden Funken auf die göttliche Sphäre, die Erhebung der verbannten Funken Gottes auf ihren himmlischen Platz, hat somit ein Transzendieren der Welt zur Folge, eine Abstraktion von ihr, und keineswegs ihre Verherrlichung als solche. Lehren wie die von Tikkun und Jichud, sobald sie in ihrem unveräußerlichen kabbalistischen Kontext richtig verstanden werden, strafen Bubers Bild eines weltfreudigen Pansakramentalismus Lüge. 159 Ungeachtet aller Unterschiede haben Buber und Scholem in diesem Streit schließlich mehr miteinander gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Beide wollen ihre Arbeit in den Dienst einer jüdischen Erneuerung stellen. Beiden ist es deshalb darum zu tun, das lebendige, schöpferische Judentum wieder ans Licht zu bringen. Diese Wiederentdeckung scheint ihnen nötig, weil sie glauben, am Ende einer Zeit zu leben, die das lebendige Judentum mehr denn je in lebensbedrohender Weise verschüttet hat. Das schöpferische Element liegt in der jüdischen Geschichte verborgen und bedarf der Wiederbelebung und Wiederaneignung. Buber und Scholem gehen gemeinsam davon aus, dass sich der Schatz, der dort zu suchen ist, aus den mythischen und mystischen Strömungen der jüdischen Vergangenheit zusammensetzt. Gegen eine jahrhundertlange Verstellung wollen sie dem Mythischen und Mystischen im Judentum wieder zum Ausdruck verhelfen. Wenn Scholem die Kabbala für das Wiedererwachen des mythischen Bewusstseins in der rationalistischen antimythischen Religion für verantwortlich hält, dann stellt sich als Konsequenz die Frage, ob vielleicht die geläufige Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Monotheismus und Mythos nicht ganz richtig ist. 160 Was so für Scholem zunächst ein überraschendes, denkwürdiges Paradox darstellt, äußert sich bei Buber als deklarative und stolze Feststellung: »Die Juden«, so schreibt er in der Einführung zu Die Legende des Baalschem (1908), »sind vielleicht das einzige Volk, das nie aufgehört hat, Mythos zu erzeugen.«161 Scholem widmet ein langes Leben der Erforschung der Kabbala deshalb, weil auch er letzten Endes davon überzeugt ist, dass im Mythos, in der mythischen Macht der jüdischen Mystik, die lebendige Kraft des jüdischen Menschen zum Ausdruck kommt. Der Wiedereinzug des Mythos ins Judentum, von dem die Geschichte seiner Mystik Zeugnis ablegt, steht für die Kraft eines Denkens ein, das 159. Scholem, Martin Bubers Deutung des Chassidismus, S. 193-196, 200-202. 160. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 24. 161. Buber, Die Legende des Baalschem, S. III.

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den engen Zaun um die Thora zu sprengen droht, indem es durch eine symbolisierende Deutung der Gebote – es ist sogar eine besondere Gattung entstanden unter dem Namen ta’amei ha-mitzwot (die Gründe für die Gebote) – das Tun des Menschen fast unvorstellbar erhöht und es mit einer kosmischen Bedeutung erfüllt, so dass die kleinste Handlung für die Erlösung Gottes und der Welt von Bedeutung ist und den Bereich der menschlichen Erlösungsarbeit maßlos erweitert. 162 Nur aus dem Mythos, so stimmen beide Denker wenigstens in diesem Punkt überein, kommt Rettung für die Juden von heute und morgen. Es überrascht also nicht und lässt dennoch aufhorchen, wenn Scholem, gerade als er sich anschickt, Bubers Lebenswerk einer gewichtigen und für manche vernichtenden Kritik zu unterziehen, dennoch schreibt: »Wir alle sind in irgend einem Sinne seine Schüler«.163 In diesem Bekenntnis liegt mehr als Pietät, die Scholem ohnehin nur selten aufbringt, und auch mehr als Ironie, die bei ihm schon eher zu erwarten wäre, auch wenn das Adverbial wohl einigen Interpretationsspielraum zulässt. Vielmehr verleiht er mit vollem Ernst der Dankbarkeit einer ganzen Generation Ausdruck für die Richtung, die Buber wies und in die trotz mannigfacher, manchmal radikaler Meinungsverschiedenheiten Scholem und auch viele nach ihm gegangen sind.

162. Scholem, Martin Bubers Deutung des Chassidismus, S. 199. 163. Ebd., S. 168.

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Wenn in die Mitte dumpf behaglicher Menschen ein neues zukunftschwangeres Ding tritt, dessen Art sie nicht kennen, für das sie keinen Namen und keine Schublade haben und das sich dem, was sie »Leben« nennen, in grosser Macht und Schönheit als das wahre Leben gegenüberstellt, dann löst sich zumeist ihr feindseliges Misstrauen in der Frage aus: Welchen Zweck hat dies? Und auf diese Frage kann das Neue gewöhnlich nichts antworten, wenn es Rede stehen will. Denn das Schöpferische, das neue Welten zeugt, weiss mit den alten Zwecken und der alten Zwecksprache nichts anzufangen, weil in ihm etwas ist, das über alle Zwecke hinaus will. Wenn es aber doch antwortet auf die Frage, welchen Zweck es habe, so sagt es, was alle grosse Kunst darauf sagen darf: sich selbst und das Leben. Das ist auch unsere Erwiderung auf die Frage der Vielen: Welchen Zweck hat die Neue Gemeinschaft? Sich selbst und das Leben. Die Neue Gemeinschaft hat Gemeinschaft zum Zwecke. Dies aber ist die lebendige Wechselwirkung ganzer und durchgeschmiedeter Menschen, in der Geben ebenso selig ist wie Nehmen, weil beides dieselbe Bewegung ist, das einemal vom Beweger, das anderemal vom Bewegten aus gesehen. Dass reife Menschen, denen die stille Fülle zu eigen wurde, fühlen, dass sie nicht anders wachsen können, nicht anders leben können als wenn sie als Glied in solch eine Flut des Schenkens und der schaffenden Hingabe eintreten, dass sie sich dann sammeln und sich die Hände umspannen lassen von einem gleichen Bande – um der grösseren Freiheit willen, das ist Gemeinschaft, das wollen wir. Und die Neue Gemeinschaft hat das Leben zum Zwecke. Nicht dieses oder jenes Leben, das von einer im letzten Grunde unberechtigten Abgrenzung beherrscht ist, sondern das Leben. Das Leben, das von allen Grenzen und Begriffen erlöst, denn Begriffe sind seltsame Stelzen für Menschen, für deren Fuss die Erde zu rauh und zu wild ist; wem es aber geglückt ist, sich aufs Leben selbst zu stellen, wer die Sprache der That sprechen gelernt hat, der feiert lachend seine Befreiung von den knechtenden Starrheiten des Gedankens und nach langer Sonderung die Vereinigung seiner Kräfte zur Lebenseinheit. Denn auch im einzelnen Menschen giebt es Gemeinschaft und Harmonie der nebeneinanderbestehenden Gegensätze. Uns aber, die wir eine Gemeinschaft schaffen und das Leben erhöhen wollen, ist Gemeinschaft und Leben eines. Solche Gemeinschaft, wie wir sie meinen, ist nur ein Ausdruck überströmender Sehnsucht nach dem ganzen Leben; alles Leben stammt aus Gemeinschaften und strebt Gemeinschaften zu. Gemeinschaft ist Mündung und Quelle des Lebens.

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Wir können unser Lebensgefühl, das uns die Verwandtschaft und Gemeinschaft alles Weltenlebens zeigt, nicht anders als in Gemeinschaft voll bethätigen; und wir können in reiner Gemeinschaft nichts schaffen, was nicht Kraft, Sinn und Wert des Lebens steigerte. Leben und Gemeinschaft sind zwei Seiten desselben Wesens, und uns zuerst ist es eigen, Beide rein zu nehmen und zu geben: Leben um des Lebens willen, Gemeinschaft um der Gemeinschaft willen. Das unterscheidet uns von den beiden Formen der alten Gemeinschaft, von der wirtschaftlichen und der religiösen. Die wirtschaftliche Gemeinschaft, heisse sie nun Gens, Innung oder Genossenschaft, will immer den Nutzen der Gemeinschaft; wenn auch Einzelne von Ideen der Entwickelung bewegt werden, die Gruppe will nichts als Nutzen. Und die Sekte will den Gott der Sekte; Gott aber mag Einzelnen den Sinn der Welt und das ewige Ideal bedeuten; der Sekte ist er nichts als der jenseitige Nutzen. Alle alte Gemeinschaft ist dem Nutzzwecke unterthan; alle alte Gemeinschaft will nur eine Welle sein im Menschheitsstrome, den der Nutzzweck treibt. Wir aber wollen lieber noch wie ein wilder wunderschöner Felsbach zu Thale stürzen und unsre Kraft verschwenden, als uns mittreiben lassen und unsere Kraft verbrauchen. Wir haben gesehen, dass das Thun der Menschen vom Nutzen beherrscht ist und ebenso ihre Moral, welche die Selbstbehauptungsinstinkte zähmen will und daher den Nutzen der Anderen als alleinseligmachend verkündet, und alle Normen ihrer Gesellschaft. Und wir haben erkannt, dass alles Starke und Umgestaltende, und alles, was bisher neue Saaten weckte und Sonnenfeuer aus dem Steine schlug, nicht nützen sondern schaffen wollte und nicht an Nutzen, sondern an die Schönheit des Werkes dachte. Wenn dabei wohl auch Nützliches entstand, so war es nicht anders, als wenn aus der schönen Frucht einer Pflanze Heilsäfte gepresst werden; war das der Willen der Pflanze, als sie ihre Kraft und ihre Liebe zusammenströmen liess in ihres Lebens Vollendung? Wir haben erkannt, dass alles Ganze und Lebendige jenseits des Nutzens steht, und dass alles Kleine und Dumpfe vom Nutzzwecke und vom Nutzwillen kommt; und uns, die wir das Leben lieben, fasste ein Ekel an und eine Sehnsucht. So wurde es unser Wille, uns eine Welt zu bauen, die vom Nutzen erlöst ist. Und wenn einer zu uns kommt mit dem tapfern alten Spruche »Die Menschennatur lässt sich nicht ändern«, so können wir des Spruches lachen und weitergehen, denn wenn er sogar »wahr« wäre, d. h. für das Vergangene Geltung hätte, er würde doch unser Thun ebensowenig berühren wie irgend eine andere Abstraktion aus vergangenem Geschehen; zu allen Zeiten hat ein neues Beginnen mutlose Abstraktionen geweckt, und als es zur That wurde, sie widerlegt und zunichte gemacht. Wenn aber einer zu uns kommt mit

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der weisen Lehre: »Alles Menschliche ist ursprünglich aus dem Nutzen entstanden«, dann können wir getrost dieser Lehre lachen wie aller Theorien, denn wenn sie sogar wahr währe (– sie ist es nicht –), uns kümmert nicht das »Woher« – nur das »Wohin«. Nicht vom »Woher«, nur vom »Wohin« kommt unsre Wahrheit und unsre Macht. Dies aber, dass wir des Spruches und der Theorie nicht achten, ist ein Weiteres, das uns von jenen alten Gemeinschaften unterscheidet. Sie kamen durch ein Wort zusammen, das sie bald zum Dogma erstarren liessen, oder durch eine Meinung, die bald in ihnen zum bindenden Gesetze wurde. Wir aber kommen durch eine Lebensnotwendigkeit zusammen, die einzelne Menschen unserer Zeit ergreift, und die Verschiedenheit unserer Meinungen ist uns so lieb und wert, wie an den Dingen die Verschiedenheit der Farben und Formen. Jene bildeten in der Gemeinschaft einen Zwang aus, wir bilden in der Gemeinschaft die höchste Freiheit aus. Wir wollen keine andere gemeinsame Gewissheit als die seligste von allen: die Gewissheit des Werkes. Wir wollen keine andere gemeinsame Wahrheit als die des Goethewortes: »Was fruchtbar ist, allein ist wahr«. Wir stehen im Leben, d. h. wir stehen jenseits des Dogmas, des bejahenden wie des verneinenden, jenseits des Glaubenswortes, das dem Leben lügt. An die Stelle des Dogmas setzen wir die persönliche Lebensoffenbarung jedes Einzelnen, die wahrer ist als jenes, weil sie doch einmal gelebt wird, das Dogma aber niemals. An die Stelle des Glaubenswortes und des Wissenswortes, setzen wir das Kunstwort, welches das Wesen der Welt in dessen ganzer Unendlichkeit giebt, während alle Glaubens- und Wissensworte nur die Umarbeitung eines kleinen Weltstückes sind. Weil aber nicht irgend eine gemeinsame Ansicht uns vereinigt, sondern ein gemeinsames Erlebnis, und weil dieses Erlebnis in vielen Menschen dieser Zeit emporkommt, darum gehören viele, die wir nie gesehen haben und von denen wir ebensowenig wissen wie sie von uns, weit tiefer und ganzer zu uns als Mancher, den wir an jedem Tage sehen, auch wenn Dieser unsere Meinungen über dies und jenes teilt, während Jene andere Horizonte und andere Gedanken haben. Dieses seltsame und entscheidende Erlebnis ist es, das Gustav Landauer in den Worten schildert: »Wenn wir uns ganz gründlich absondern, wenn wir uns als Einzelne in uns selber tiefst hinein versenken, dann finden wir schliesslich, im innersten Kern unseres verborgensten Wesens, die urälteste und allgemeinste Gemeinschaft: mit dem Menschengeschlecht und mit dem Weltall«. Unsere neue Vereinigung ist nichts als ein lebendiger Ausdruck unseres Gefühles von dieser allgemeinsten Gemeinschaft. Unser Leben verzehrte sich in Kampf und Zweifel; in stillen einsamen Stunden kam uns all unser Mühen ganz sinnlos vor und keine Brücke schien uns von

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unserm Sein zu dem grossen Du zu führen, das wir um uns bis ins unendliche Dunkel hinaus sich erstrecken fühlten. Da aber kam dieses Erlebnis wie ein geheimes Hochzeitsfest: und wir waren von allen Schranken befreit und hatten den unsagbaren Sinn des Lebens gefunden. Aus solchen Erlebnissen einiger Menschen, als dieser Erlebnisse Frucht und Bethätigung, entstand eine Neue Gemeinschaft. Erlebt hatten es noch viele andere; und viele hatten sich auch in Stunden der Weihe im Gefühle der Wesensverwandtschaft und des seligen Tausches mit allen Dingen in Raum und Zeit – zu einer Augenblickskrystallisation, zu einer kurzen Festgemeinschaft zusammengefunden. Einige aber wollten das Ideal – die Entfaltung der höchsten Eigenheit aus der innigsten Gemeinsamkeit – leben. Ich glaube: sie werden es leben können. Im Ideale aber werden sie zugleich den Sinn des Menschenlebens, das freie Wachsen und Schaffen der Persönlichkeit, und den Sinn des Weltalls, die unendliche Einheit des Werdens, leben. Denn »Einsamkeit ist Endlichkeit und Beschränktheit, Gemeinsamkeit ist Freiheit und Unendlichkeit.« So findet der Einzelne die Natur, in der er als Kind ohne Gedanken aber in reinster Freude gespielt hatte und von der er sich entfernt hatte, um zu sich zu kommen, in menschlicher Gestalt und auf höherer Entwicklungsstufe wieder, und so, dass sie ihm erst die Vollendung seines eigensten Wesens ermöglicht. Dieselbe Entwicklung aber von der Gemeinschaft zur Gemeinschaft macht das Menschengeschlecht durch. Das wird sich uns aufdrängen, wenn wir die Frage zu beantworten suchen: Wie verhält sich die Neue Gemeinschaft zur heutigen Gesellschaft, die ja aus einer Gemeinschaft entstanden ist? In einem bekannten sociologischen Werke wird die Gemeinschaft, »deren ursprünglicher Regulator der natürliche Instinkt war«, ihrem Wesen nach für präsocial erklärt, »während die Gesellschaft, welche ihre Regelung der Form des Zusammenlebens aus einer, wenn auch noch so rudimentären äusserlichen Konvention schöpft, mit vollem Recht ein sociales Gebilde heisst«. All dies sind ja nur Worte. Geht man aber überhaupt auf diese Sprache ein, dann sind wir in diesem Sinne durchaus antisocial. In einem anderen Werke heisst es »sociales Leben ist äusserlich geregeltes Zusammenleben von Menschen«. Wer uns versteht, wird fühlen, was zwischen diesem sogenannten »socialen Leben« und unserem Leben liegt. Was wir anstreben, ist nicht äusserliche Regelung, sondern innerliche Gestaltung. Die Form menschlichen Zusammenlebens kann nicht von aussen auf lebendige Menschengruppen gestülpt werden; sie muss in jeder Zeit und an jedem Orte von innen heraus geboren werden. Erst wenn der jubelnde Rhythmus des Lebens die Regel besiegt hat, erst wenn

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an die Stelle toter Konvention das ewig flutende, ewig sich umformende innere Lebensgesetz getreten ist, ist die Menschheit vom Zwange des Leeren und Unwahren frei, erst dann hat sie die Wahrheit gefunden, denn »was fruchtbar ist, allein ist wahr«. Dieser Wahrheit will die Neue Gemeinschaft thatfreudig die Wege bereiten. Weil sie dies aber will, weil sie neue Formen des Zusammenlebens der Menschheit vorleben will, darum widerlegt sie durch die sonnige Unmittelbarkeit der That jene Theorie, nach der die Gemeinschaft ihrem Wesen nach präsocial wäre. Unsere Gemeinschaft ist eher eine postsociale zu nennen; denn sie geht über die Gesellschaft und ihre Normen hinaus, sie stellt sich auf einen ganz anderen Boden. Sie will nicht reformieren; ihr kommt es eher schon aufs Transformieren an. Aber auch das will sie nicht durch irgendwelche Einwirkungen auf das Bestehende; denn sie will leben. Man hat uns lange genug vorgeredet, man könnte nicht bauen, ohne zuvor gestürzt zu haben. Nun haben wir erkannt, dass dies im tiefsten Kerne unwahr ist. Es giebt noch freien Platz genug auf der Erde für neue Heimstätten und neue Heiligtümer. Nicht in dem Gewimmel der Städte, wo man, wenn man neue Häuser bauen will, erst altes Gerümpel niederreissen muss, wollen wir unsere Welt hinstellen; fernab wollen wir gehen, in das stille wartende Land, starken jungfräulichen Boden wollen wir suchen, dass rings um unser Haus die freie Liebe der wachsenden Natur sei und der nährende Geruch saftreicher Erde. Da können wir bauen, ohne vorher stürzen zu müssen, in dem stillen festen Glauben, dass immer, wenn nur Menschen da sein werden, die bauen wollen, auch freier Platz zum Bauen da sein wird, gleichviel auf welche Weise er frei wird. So will unsere Gemeinschaft nicht Revolution, sie ist Revolution. Aber sie hat den alten negativen Sinn der Revolution überwunden; Revolution heisst für uns nicht alte Dinge stürzen, sondern neue Dinge leben. Wir sind nicht zerstörungssüchtig, sondern schaffenslustig. Unsere Revolution bedeutet, dass wir in kleinem Kreise, in reiner Gemeinschaft, ein neues Leben schaffen. Ein Leben, in dem die schöpferische Kraft so glüht und pocht, dass aus dem Leben ein Kunstwerk wird, so leuchtend in Form, so tönend in siegreicher Harmonie, so reich an süsser heimlicher Zaubermacht wie keines zuvor: die neue Kunst, die aus dem Ganzen Ganzes schafft und jedem Tage göttliche Festesweihe schenkt. In diesem neuen Leben werden die Menschen, welche durch die Specialisierung der gegenwärtigen Gesellschaft zu Organen geworden waren, denen eine bestimmte engbegrenzte Funktion obliegt und die in dieser Funktion aufgehen müssen um leben zu können, wieder zu Menschen, die aus dem Vollen schöpfen können, und kommen zu einander nicht mehr wie früher, weil specialisirte Menschen auf einander ange-

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wiesen sind, sondern aus Liebe, Gemeinschafssehnsucht und schenkender Tugend. In diesem neuen Leben werden die Menschen, die in der gegenwärtigen Gesellschaft in ein ungeheures Nutzgetriebe hineingestellt waren, so dass unter dem Joche der Nutzarbeit ihr freies Schaffen verkümmerte, in eine ganz andere Ordnung von Dingen gehoben, in der nicht das utilitarische, sondern das schöpferische Prinzip waltet und ihre gefesselten Kräfte freimacht. In diesem neuen Leben wird nicht bloss die Vielgemeinschaft, sondern durch sie und in ihr auch die Zweigemeinschaft in neuer edlerer und reinerer Form wiedergeboren werden, und auch die Einsamkeit der stillsten Kontemplations- und Schaffens-Stunden wird eine neue reichere Färbung gewinnen. Jeder wird zugleich in sich und in Allen leben. So wird die Menschheit, die von einer stumpfen und schönheitsbaren Urgemeinschaft ausgegangen ist, durch die wachsende Sklaverei der »Gesellschaft« hindurchgelangt, zu einer neuen Gemeinschaft kommen, die nicht mehr wie jene erste auf der Blutsverwandtschaft, sondern auf der Wahlverwandtschaft beruht. In ihr erst kann der alte ewig neue Traum sich erfüllen und die triebhafte Lebenseinheit des Urmenschen, die so lang zerspalten und zersetzt war, auf höherer Stufe und im Lichte eines schöpferischen Bewusstseins in neuen Formen wiederkehren, so dass zugleich zwischen den Menschen und im einzelnen Menschen neue Gemeinschaft gestiftet wird.

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Satu’s Leiden und Rache. Eine ägyptische Legende.

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Als Satu einst in der Wiege lag, schlafend, die Stirn noch rein von allem Wissen und mit halboffenem Munde, kam der Gott Thoth auf bastenen Sohlen zu ihm und hatte beide Hände voll von Geheimnissen. Er trat zum Kinde hin und benetzte seine Augen mit himmlischem Wasser, und ebenso that er mit seinen Ohren und seinen Lippen. Dann entfaltete er seine dunklen Flügel, die von der Farbe der Regenwolke waren, und flog in andere Länder hin. Als Satu aber erwachte, sahen seine Augen hinter jedem Geräthe und hinter jedem lebenden Wesen einen Schatten und in dem Schatten eine riesengrosse Welt, in der nur helle Wunder waren. Und seine Ohren hörten in jedem Geräusche und in jeder Stimme eine lange Reihe von wonnevollen Tönen, die niemals mit einander kämpften. Und seine Lippen redeten eine Sprache, die kein Mensch verstand. So wuchs Satu auf und seine Eltern und Alle, die ihn kannten, verachteten ihn. Er aber war wie die Pflanze, welche man Mimose nennt, die vor Berührungen erbebt und die feinen Blätter zusammendrückt, und wie zarte verzauberte Frauen, die von Fremden bedroht werden und keine Kraft in den Füssen und keinen Laut in der Kehle haben. Das Schreien der rohen Menschen und ihre stumpfen bösen Blicke gruben sich tief in sein Herz ein und durchfurchten und zerfleischten dieses Herz, dass es zu einem Altare des Leidens wurde und zu einer roten Opferflamme des Leidens und zu einem Bette unterirdischer Thränenströme, die nie an die Oberfläche traten. Und das wurde ihm zu einer beglückenden und unerträglichen Last, dass er Wunder sah und Sänge hörte, denn er musste sie sagen und war von Freude erfüllt, aber wenn er sie sagte, da war Niemand da, der ihn verstünde. So gewöhnte er sich, den Wohnungen der Menschen fernzubleiben und bei der Heerde zu leben, welche ihm anvertraut war und ihn liebte. Den Ochsen und den Kühen sagte er, was er sah und hörte, und sie blickten ihn mit grossen Augen an, die grün und gütig wie der Nil waren. Aber die andern Hirten die ihn um seine einsame Genügsamkeit und um die Ruhe seines Viehes beneideten, denn das ihre war störrisch und wollte ihnen nicht folgen, kamen zu ihm und bewarfen ihn mit Spottreden, dass er ganz traurig und unmutig wurde. Eines Morgens aber, als er aus seinem Zelte trat und zu der Umzäunung gieng, wo er seine Heerde über Nacht hielt, sah er alle Ochsen und Kühe in ihrem Blute todt am Boden liegen; nur sein liebstes Thier, das von Stichwunden bedeckt war, lebte noch in einem Zucken und sah ihn noch einmal mit

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treuen traurigen Augen an. Da entfloh Satu in stummer Verzweiflung in die Wüste. In der Wüste lebte Satu allein mit seiner Trauer und lag lange Tage und noch längere Nächte auf dem Gesichte im heissen Sand, von einem Fieber der Seele geschüttelt. Keine Bilder waren in seinem Herzen, nur ein formloser Schmerz, unbewusst, stürmisch und uferlos wie das grosse Meer. Als er einmal so dalag, erinnerte er sich einer Sage, die er einst, er wusste nicht wann und wo, gehört hatte. Der graue Typhon hat Osiris, den Lichten, den Sonnigen, getödtet und seine Glieder in alle Gegenden der Erde verstreut. Isis irrt mit zerrauften Haaren, in zerrissenem Kleide, verlassen, in namenlos sehnsüchtigem Schmerze durch die Lande. Alle Menschen weinen leise. Alle Bäume senken die Zweige und alle Blumen neigen sich und die wilden Thiere sind still und mild und trauern mit ihr. Die Erde wird zum Teppich unter ihren Füssen und der Himmel ist grau und schwer, und doch ohne Regen, alle Dinge athmen tief und klagen in ihrer Seele. Isis irrt und sucht. Da stösst sie mit dem Fusse an eine schwarze, unförmliche Sache. Sie bückt sich: es ist ein neugeborenes Kind, ein kleines Ungeheuer, schwarz, mit eckigen Gliedmassen, verzerrtem Gesichte, den winzigen Körper mit roten Striemen bedeckt. Sie erkennt es: Typhons Kind ist es. Schon liegt seine Wildheit und stürzende Kraft in den feurigen Augen. Isis hebt das wimmernde Ding auf, nimmt es in ihre sehnsüchtigen Arme, legt es an ihre zitternde Brust, säugt es lächelnd, von Thränen überströmt. Zu einem Gotte erwächst das Kind, zu Anubis, dem Herrn der Kunst und der Geheimnisse, dem Helfer und Leiter. Als Satu sich dieser Geschichte erinnert hatte, wurde seine Brust erregt zu wildem Schluchzen, wie das Stöhnen der dunklen Geisterberge, in denen die Träume geschmiedet werden und die Gesichte der Nacht. Und seine Brust hob und senkte sich, wie der Strom sich hebt und senkt in unergründlicher Sehnsucht und dem Monde sein Leid klagt. Satu stand vom Boden auf, breitete die Arme aus und rief, rief laut und schrill wie ein verwundeter Adler zu Anubis. »Sohn des Bösen und des Zufalls, von aller Güte Ernährter, Geheimnistiefer, Allversteher! Schöpfer des Gedächtnisses, der Sprache, der Schrift, der Kunst, Erfinder der heiligen Einbalsamierung, Führer der Seelen! Meine Augen sehen alles Licht und alles Tanzen der Dinge und alles goldene Flimmerspiel, das die Götter weben. Meine Ohren hören allen wirbelnden Sang und alles Tönen der göttlichen Cymbeln. Und mein Mund redet in der Sprache der Götter. Aber mein Körper ist wie eine Lehmform und mein Herz ist krank. Nicht hier kann ich wohnen und nicht dort. In den Sand der Wüste sickert alles Blut meines Herzens. Mein Schlaf ist voller Schrecken und mein Wachen ist ein

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langsames Sterben. Hilf mir, Anubis, Ruhevoller, Klarer, Wissender, der an der Grenze der beiden Welten thront!« Um Satu wurde es kühl und die Luft segnete ihn mit frischem [Das Manuskript bricht ab.]

Über Jakob Boehme. Boehmes Grundproblem, um das sich alle seine Gedanken scharen, ist das Verhältnis des Einzelnen zur Welt. Die Welt bleibt das Räthsel, das auf Einen einwirkt, auf das Einer einwirkt, und das doch ewig fern und fremd ist. Der Einzelne verzehrt sich in stummer, hoffnungsloser Einsamkeit. »Wir finden, dass das Leben ein brennend Feuer sei, das da zehrt; und so es nicht mehr zu zehren hat, erlischt es.« Gott und Natur sind ihm eins, wie Seele und Körper oder vielmehr wie Energie und Organismus. »Auch siehst du« – meint er – »wie die Natur nicht von den Kräften Gottes unterschieden werden könne, sondern es ist alles ein Leib. Wir erkennen, dass Gott in seinem eigenen Wesen kein Wesen ist, sondern bloß nur die Kraft oder der Verstand zum Wesen, als ein ungründlicher, ewiger Wille.« Nun ist es fraglich, wie aus dieser Krafteinheit die Welt der einzelnen und verschiedenen Dinge, oder, was dasselbe bedeutet, w i e a u s Go t t d er Mensch entsteht. Er erklärt sich dieses Werden durch das Element des Spieles, das der Kraft innewohnt. Alle schöpferische Selbstbethätigung ist ihm ein Spiel, wie denn ja auch uns Spielen und Schaffen wesensverwandt sind, beides eine vom Nutz-Zwecke befreite Ausgabe organischen Kraft-Überschusses. Gott geht in die Natur ein, »dass seine Kraft möge in Schiedlichkeit und Empfindlichkeit kommen, und dass ein Bewegen und Spiel in ihm sei, da die Kräfte miteinander spielen und sich in ihrem Liebesspiel und Ringen also selber offenbaren, finden und empfinden.« So wachsen aus der spielenden Urkraft die in ihr schlummernden Formen heraus. Und so ist alles Wesen um des Spieles und des schöpferischen Kampfes willen da; die Welt hat keinen anderen Sinn und Zweck als diesen. Sie ist der Ort der Kräfte, »darinnen sie ihr Liebesspiel als in einem Gehäuse verbringen können, dass sie etwas haben, damit und darinnen sie mit ihrem ringenden Liebesspiel mit sich spielen«. Weil aber die Einheit aller Kraft nur durch das Wirken der Kräfte in der Natur offenbar wird, weil, wie Boehmes Meister, der seltsame Valentin Weigel, ausführte, Gott nur durch die Weltschöpfung zu Gott wird, darum ist die Welt kein Sein, sondern ein Werden. Oder in Boehmes Worten: »Also stehet jetzo noch auf heute alles Ding in dem Schaffen.« So brauchen wir die Welt nicht hinzunehmen, sondern wir schaffen sie unaufhörlich. Die sogenannten Naturgesetze, die das Gewordene beherrschen, sind nur Erleichterungen unseres Zurechtfindens und nothwendige Kraftersparnis unseres Denkens. Die Wirklichkeit selbst aber ist neu an jedem

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Tage, und an jedem Morgen bietet sie sich aufs neue unseren gestaltenden Händen dar. Wir schaffen die Welt schon dadurch, dass wir unseren Wahrnehmungen unbewusst die Concentration und Festigkeit verleihen, die sie zu einer Wirklichkeit machen, dadurch, dass in jedem Augenblick in uns ein unbewusstes Existentialurtheil zu den Dingen, d. h. zu den Sinneseindrücken, spricht: Dieses i s t. Aber tiefer und inniger schaffen wir sie bewusst, indem wir unsere Kraft einfließen lassen in das Werden, indem wir selbst in das Weltschicksal eingreifen und ein Element des großen Geschehens werden, bis die Veränderungen, die unser Schaffen weckte, selbst eine Quelle zahlloser neuer, befreiender Sinneseindrücke vieler Wesen geworden sind. So sind wir nicht die Sclaven, sondern die Geliebten unserer Welt, und »also stehet jetzo noch auf heute alles Ding in dem Schaffen«.1 Nach Boehmes Gefühl werden alle Dinge durch zwei Grundkräfte bewegt: die Kampf- und die Liebessehnsucht. Aber ihm sind diese nicht die alten, empedokleischen Mächte, die nichts miteinander gemein haben und die Welt jeweilig von einem Extrem ins andere zerren, je nachdem die eine oder die andere Herr wird. Für Boehme sind Kampf und Liebe Eines: Die Sehnsuchts-Bewegu ng der Dinge zu einander, die verschiedene Formen annimmt. Die Bewegung des Kampfes führt zum Individuum, die Bewegung der Liebe zu Gott. Ich möchte bei dieser eigenartigen Wegbestimmung ein wenig verweilen. Kampf und Liebe sind nichts als Sehnsucht. Die Verschiedenheit der Dinge, die beide erzeugt, ist um der Sehnsucht und der Bewegung willen da; »denn«, so sagt Boehme, »so dieses nicht wäre, so wäre keine Natur, sondern eine ewige Stille und kein Wille; denn der Widerwille macht die Beweglichkeit und den Urstand des Suchens, dass die widerwärtige Qual die Ruhe suchet und sich in dem Suchen nur selbst erhebet und mehr entzündet.« Der Kampf entfaltet das Einzelding zur Persönlichkeit. »Es ist in der Natur immer eines wider das andere gesetzt, dass eines des andern Feind sei, und doch nicht zu dem Ende, dass sich’s feind, sondern dass eines das andere im Streite bewege und in sich offenbare. Denn so nur einerlei Wille wäre, so thäten alle Wesen nur ei n Ding, aber im Widerwillen erhebet sich ein jedes in sich selber zu seinem Sieg und Erhöhung; und in diesem Streite stehet alles Leben und Wachsen.« Die Liebe aber führt das Einzelding der wiedergeborenen Krafteinheit zu. »Ein jedes Wesen sehnet sich nach dem andern, das Obere nach dem Untern und das Untere nach dem Obern, denn es ist von einander entschieden, 1.

Vergl. S cho p e nha u er : Vorausgesetztsein des Objects im Satze vom zureichenden Grunde.

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und in solchem Hunger empfahen sie einander in der Begierde.« Dies aber ist nach Boehme der rechte Weg zum neuen Gott, den wir schaffen, zur neuen Einheit der Kräfte. Diese Auffassung findet in einem Worte Ludwig Feuerbachs ihre Bejahung und Ergänzung. ». . . . Der Mensch für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); der Mensch mit Mensch – die Einheit von Ich und Du – ist Gott.« Feuerbach will die Einheit, von der er spricht, auf die »Realität des Unterschiedes von Ich und Du« gestützt sehen. Wir aber stehen heute Boehme näher als der Lehre Feuerbachs, dem Gefühle des heiligen Franciscus von Assisi, der Bäume, Vögel und Sterne seine Geschwister nannte und noch näher dem Vedânta. Für Boehme aber sind Kampf und Liebe Versöhnungen und Überwindungen des Zwiespaltes, Brücken zwischen dem Ich und der Welt; der Kampf, weil in ihm und durch ihn ein Ich das andere Ich entfaltet und in seiner Schönheit offenbart, und die Liebe, weil in ihr die Wesen sich zum Gotte vereinigen. Aus dem Ineinandergreifen beider entsteht das Leben, in dem die Dinge nicht in starrer Abgeschiedenheit verweilen, aber auch nicht mit einander verschmelzen, sondern sich wechselseitig bedingen. Diese wechselseitige Bedingtheit ist für Boehme mit dem Bestehen alles Individuellen verknüpft. »Nun aber« – sagt er – »vermöchte sich eine Gestalt in der ewigen Geburt allein nicht zu offenbaren, denn eine ist der anderen Glied und wäre eine ohne die andere nichts.« Die Einheit aller Einzelwesen und deren Verschiedenheit hängen mit einander zusammen. Die Welt ist für Boehme eine Har mo ni e i nd iv i d u eller, in ihrer Eigenart voll entfalteter Tö ne, die aber von ei ner Bewegung geboren werden; »gleichwie eine Orgel von vielen Stimmen mit einer einigen Luft getrieben wird, dass eine jede Stimme, ja eine jede Pfeife ihren Ton gibt, und ist doch nur einerlei Luft in allen Stimmen, welche in jeder Stimme hallet, je nachdem das Instrument oder die Orgel gemacht ist«. Aber Boehme begnügt sich mit dieser Brücke nicht, und dies ist es, worin er sich uns am stärksten nähert. Ihn verlangt es nach einer tieferen Einheit. Es ist nicht genug, dass das Ich sich der Welt vereint. Das Ich ist die Welt. Das ist aber nicht im Sinne Berkeleys gemeint, für den die Welt eine Reihe von Affectionen eines Ich ist, noch auch im Sinne Fichtes, der nicht das Individuum, sondern die Ichheit überhaupt, »die Identität des Bewusstseienden und Bewussten« die Welt in sich fassen und aus sich herausstellen lässt, sondern im Sinne jener großen Renaissance-Lehre vom Mikrokosmos, die über Leibniz und Goethe zu uns herüberwirkt. Diese Lehre, in der Antike nur angedeutet, hatte in schematischer und lebloser Gestalt in der Scholastik herumgespukt; Cusanus, Agrippa, Paracelsus und Weigel hatten sie ausgebildet; Boehme führte sie am schönsten

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und am gefühlsmächtigsten durch: »Gott ist nicht abtheilig, sondern überall ganz, und wo er sich offenbart, da ist er ganz offenbar«. Und da Gott die Einheit aller Kräfte ist, so trägt jedes Einzelding aller Dinge Eigenschaften in sich, und was wir sein Individuelles nennen, das ist nur der höhere Entwicklungsgrad dieser oder jener Eigenschaften. »Wenn ich einen Stein oder Erdklumpen aufhebe und ansehe, so sehe ich das Obere und das Untere, ja die ganze Welt darinnen, nur dass an einem jeden Dinge etwa ei ne Eigenschaft die größte ist, darnach es auch genennet wird. Die anderen Eigenschaften liegen alle miteinander auch darinnen, allein in unterschiedlichen Graden und Centris«. Da aber für Boehme das Wesentliche dieser Anschauung in ihrer Anwendung auf das Ich besteht, bezieht er sie immer wieder auf den Menschen, und wiederholt, »dass im Menschen die ganze Creatur lieget; liegt doch Himmel und Erden mit allen Wesen, dazu Gott selber im Menschen.« Dieses wunderweite Weltgefühl ist uns ganz zu eigen geworden. Wir haben es in unser innerstes Erleben verwoben. Wenn ich eine Frucht zum Munde führe, so fühle ich: das ist mein Leib; und wenn ich Wein an meine Lippen setze, fühle ich: das ist mein Blut. Und es kommt uns manchmal die Lust, die Arme um einen jungen Baum zu legen und den gleichen Schritt der Lebenswelle zu fühlen oder aus den Augen eines stummen Thieres unser eigenstes Geheimnis zu lesen. Wir erleben das Reifen und Welken fernster Sterne wie etwas, was uns geschieht. Und es gibt Augenblicke, in denen unser Organismus ein ganz anderes Naturstück ist. Wenn aber für Boehme alles im Menschen ist, so kann für ihn dessen Entwicklung nur eine Entfaltung sein. Es wächst alles aus dem Innern heraus. Wir erkennen die Welt, weil wir sie in uns haben. Schon Weigel hatte gesagt: »Es sei dann Sach’, dass man vermeinen wollt’, die äußeren Gegenwürfe (d. h. die Gegenstände unserer Wahrnehmung) vermögen eine jegliche Erkenntnis in den Menschen zu tragen, so ist es doch nur eine Er weck u ng durch dieselbe; was der Mensch ist und sein soll von Natur und Gnaden, das muss er in ihm haben und besitzen.« Boehme fügt hinzu: »Gott führet keinen neuen oder fremden Geist in uns, sondern er eröffnet mit seinem Geiste unsern Geist«. Von alledem fühlen wir trotz aller erkenntnistheoretischen Wandlungen dieses eine, dass nichts in uns hineingetragen und alles ausgelöst werden kann, weil wir die Welt in uns haben. Und weil für Boehme in allem alles ist, darum kennt er keinen verschiedenen Wert der Dinge. Weil für ihn alles in allem ist, ist für ihn das Schenken eine natürliche Eigenschaft und eine nothwendige Voraussetzung der Selbstentfaltung. »Die Sonne« – so sagt er – »gibt sich mit ihrer Kraft ohne Unterschied darein, sie liebet eine jede Frucht und Gewächs und

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entzeucht sich keinem Dinge; sie will anders nichts, als einem jeden Kraute, oder was das ist, eine gute Frucht aufziehen; sie nimmt alle an, sie sind böse oder gut, und gibt ihnen ihren Liebeswillen; denn anders kann sie nicht thun, sie ist kein anderes Wesen, als was sie in sich selber ist.« – »Alle Worte, so der Mund hat geredet, welche die Luft hat in sich genommen und dem Worte zu dem Macher gedienet, soll d i e Lu ft 2 w i ed er d arstellen.«

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Unter »Luft« ist hier wohl die astrale Materie zu verstehen.

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Die vorliegende Abhandlung besteht aus zwei Abschnitten einer grösseren Arbeit, welche die Geschichte des Individuationsproblems von Aristoteles bis auf Leibniz und die neuere Philosophie behandeln und daran eine kritisch-vergleichende Erörterung des Problems knüpfen soll. Es musste daher dem vorliegenden Teile die kritische Zusammenfassung versagt bleiben, die erst aus einer vollständigen Darstellung der historischen Zusammenhänge hervorgehen kann. Ich habe mich darauf beschränkt, aus zwei philosophischen Systemen, denen des Nicolaus von Cues und des Jakob Böhme, ihre Auffassung des Problems herauszulösen, wobei ich die Anschauungen der Vorgänger nur insofern berücksichtigte, als sie wesentliche geschichtliche Voraussetzungen der dargestellten Lehren sind, die der Zeitgenossen nur insofern, als es nötig war, um die wiedergegebenen Doctrinen nicht isolirt erscheinen zu lassen, während ich den Einfluss auf Spätere nur in wenigen bedeutsamen Fällen hervorgehoben habe. Wenn ich hier aus der Fülle des Stoffes gerade diese zwei Gestalten herausgegriffen habe, so geschah dies zunächst deshalb, weil es galt, sie im Gegensatze zu der landläufigen Auffassung als zwei der Begründer des neueren metaphysischen Individualismus zu erweisen, als treue philosophische Vertreter der Epoche, deren Drang nach Persönlichkeit Wilhelm Dilthey (Arch. f. Gesch. d. Ph. IV.) so überzeugend geschildert hat, und als zwei der ersten von den Denkern, welche die transscendentale Grundlegung jener Personalitäts-Ethik geschaffen haben, die ihre harmonischeste ideelle Gestaltung bei Schleiermacher, ihren hinreissendsten literarischen Ausdruck bei Emerson gefunden hat. Es galt dies einerseits den lediglich den Erkenntnistheoretiker Cusanus behandelnden Darstellungen, anderseits der fast die ganze Böhme-Literatur erfüllenden einseitig theologischen Betrachtungsweise gegenüber darzulegen. Diese Aufgabe wurde durch den zumeist fragmentarischen Charakter der mitunter von Widersprüchen verdunkelten einschlägigen Stellen erschwert. Vielleicht ist es aber doch ein wenig gelungen, diese bisher zu wenig beachtete Seite der beiden Gedankensysteme zu beleuchten und damit auch – und dies ist der zweite Grund für die Abgrenzung des Gegenstandes – mehr als es bisher geschah auf den Zusammenhang derselben hinzuweisen. Beiden ist in der That die Beantwortung der Frage nach Ursprung und Sinn der

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Vielheit und Verschiedenheit der Dinge im Wesentlichen gemeinsam. Beide vertreten den Gesichtspunkt, den Lasswitz (Geschichte der Atomistik I 264) als einen der beiden Grundgedanken der Erneuerung des Neoplatonismus in der Renaissancephilosophie bezeichnet, »den Begriff einer Entwickelung der Vielheit und Mannigfaltigkeit der Sinnenwelt aus der Einheit und Einfachheit der Idee«, nur dass bei Cusanus diese Entwickelung das Hervorgehen relativer Wirklichkeiten aus der absoluten Wirklichkeit, bei Böhme im Gegenteil die Actualisirung der absoluten Möglichkeit bedeutet. Ueberdies versucht Cusanus, die quantitativische Individuationstheorie der Scholastiker zu vertiefen, ohne dass es ihm aber gelingt, die reale qualitative Verschiedenheit in consequenter Weise auf die quantitative Verschiedenheit der Participationsgrade zurückzuführen; während doch anderseits in der Grad-Theorie schon eine Ankündigung der Leibnizschen Stufenfolge zu finden ist. 1 Böhme hingegen gibt den quantitativischen Gesichtspunkt gänzlich auf, verlegt aber, in der theologischen Denkart befangen, den Existenzgrund des Qualitativen nur allzu oft in das Mysterium göttlicher Akte; indessen geht er doch wieder dadurch, dass er die Stetigkeit und zeitliche Fortdauer des Entwicklungsprocesses betont und ihn so der erfahrbaren Realität nähert, über Cusanus hinaus. – Ein anderer Beiden gemeinsamer Gesichtspunkt ist die Weiterbildung der Mikrokosmoslehre, durch die Cusanus Bruno, Cusanus und Böhme Leibniz vorarbeiten 2 . Es ist hier natürlich nicht jene Lehre gemeint, die im Einzelwesen lediglich dieselben Grundeigenschaften oder Grundmächte wie im Kosmos auffindet und die von Heraklit bis zu Schopenhauer (vgl. W. a. W. u. V. I., 2. B., §. 29, II., 4. B., C. 47.) sich hinzieht, sondern die neoplatonische Idee des Allumfassens jedes Individuums. Diese Idee äussert sich bei Cusanus, im Anschluss an die Scholastik, vorwiegend perceptionistisch: alle Vorstellungen sind in jedem Individuum gelegen, nur in verschiedenen Bewusstheitsgraden; bei Böhme, im Anschluss an Paracelsus, vorwiegend existentialistisch: alle Eigenschaften sind in jedem Individuum gelegen, nur in verschiedenen Entfaltungsgraden. Beide Auffassungen sind bei Cusanus und Böhme mit theologischen Elementen verquickt. Eine von dieser Beimischung freie 1. 2.

Der Zusammenhang der Cusanischen Anschauungen über diesen Gegenstand mit Aristotelischen Lehren konnte in der vorliegenden Abhandlung nicht behandelt werden. Es sei hier erwähnt, dass Leibniz den Terminus Monas offenbar nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, F. M. van Helmont, sondern Cusanus entnommen hat (vgl. Cusanus, De filiatione Dei, Op. 1565, p. 123; De Beryllo 17.; De venatione sapientiae 13.). Das Individuationsproblem hat übrigens Rob. Zimmermann in seiner Studie über Cusanus als Vorgänger Leibnizens (Stud. u. Kritiken, I., 61-83) zu wenig berücksichtigt.

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Synthese beider darf man wohl in Leibnizens Formel (Syst. nouv. § .16.) erblicken: Tout esprit étant comme un monde à part, suffisant à luimême, indépendant de toute autre créature, enveloppant l’infini, exprimant l’univers, est aussi durable, aussi subsistant et aussi absolu que l’univers même des créatures. Das Gesagte dürfte die Abgrenzung des Gegenstandes rechtfertigen. Einige hermeneutische Kühnheiten mag die Notwendigkeit entschuldigen, aus der oft dunklen Sprache der beiden Denker, insbesondere Böhmes, die wahre Absicht herauszuarbeiten. Die einschlägige Literatur glaube ich nahezu vollständig kennen gelernt zu haben. Insbesondere habe ich auch wohl nur Weniges von all dem vernachlässigt, was von theologischer Seite über Cusanus, Weigel und Böhme, von naturwissenschaftlicher über Paracelsus und die Paracelsisten geschrieben wurde, so geringe Ausbeute ich davon auch erwartete und fand. Im Text habe ich nur das angeführt, was mich in der einen oder anderen Richtung gefördert hat; doch müssen ausser dem dort Citirten auch die Aufsätze Diltheys und Euckens »Beiträge«, sowie die Arbeit Robert Zimmermanns erwähnt werden.

Cusanus. Mehr als in irgend einem anderen Teile seiner Philosophie erweist sich Nicolaus von Cues in der Behandlung des Individuationsproblems als der an der Wende der Zeiten stehende Denker, der von einer zwischen Mystik und Scholastik, das heisst zwischen die Verallgemeinerung der persönlichen Ekstase und die ontologische Dialektik geteilten Epoche zu der sich langsam durch immer reinere und intensivere Beobachtung des Wirklichen anbahnenden Moderne überleitet. Der mittelalterlichen Mystik war das Individuum nur der Träger eines das Transcendente umfassenden Erlebens, niemals das Objekt der Anschauung und Analyse. Ihr gilt nur d er Einzelne, der die Bande der Einzelheit abstreift und zu einer Intuition des Weltgrundes gelangt, für die es keine Einzelheit mehr gibt. So sehr wird ihr die persönliche ekstatische Stimmung zur einzigen wahren und notwendigen Wirklichkeit. Die Individuation ist lediglich zur Abkehr und Ueberwindung gegeben. Am klarsten hat dies Meister Eckhart in seiner grossartig schlichten Art ausgesprochen. »Wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen abkehrt, so weit du das thust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser Funke entzieht sich allen Creaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst ist. Er begnügt sich nicht mit Vater oder Sohn oder heiligem Geist und nicht mit den drei Personen, sofern jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht.« »Dieses Licht begnügt sich nicht mit dem einfachen stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch nimmt, sondern es will wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den einfachen Grund, in die stille Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder Vater noch Sohn noch heiliger Geist, gedrungen ist; in dem Innigsten, wo niemand heimisch ist, da begnügt es sich in einem Lichte, und da ist es einiger als in sich selbst; denn dieser Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst unbeweglich ist.« Einer Weltansicht, für die das Wesen des Seins so vollkommen in der Aufhebung der Individuation beruht, kann diese selbst nicht zum Problem werden. Der mi t tel alterli chen Mys t i k i st d i e Ind iv i d u at i o n d as Ni cht s ei n schlecht hi n. »Man nehme eine brennende Kohle und lege sie auf meine Hand. Sagte ich, die Kohle brenne meine Hand, so thäte ich ihr gar unrecht. Soll ich eigentlich sagen, was mich brennt? Das thut das Nichts, weil die Kohle etwas in sich hat, was meine Hand nicht hat. Seht, eben dieses Nichts brennt mich. Denn hätte meine Hand alles das in sich, was die Kohle ist und leisten kann, so hätte sie völlige Feuernatur. Wenn einer dann alles Feuer, das je brannte, nähme und auf meine Hand schüttete,

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so könnte es mich nicht schmerzen.« Dieses klassische Gleichnis Eckharts zeigt, wie völlig er Sein mit Allessein identificirt und alles Individuelle nur als dessen Negation und als Hemmung auf dem Wege zur Vollkommenheit betrachtet. So ist hier keine Möglichkeit einer Analyse gegeben. Für die scholastische Philosophie kam das Problem, ihrer ganzen Geistesrichtung und insbesondere dem dominirenden Einflusse des Universalienstreites gemäss, kaum über das Gebiet der begrifflichen Construction hinaus. Nicht das in der Erfahrung vorgefundene oder als intelligible Personalität gefasste Individuum und die metaphysische Möglichkeit seiner gesonderten und differentiirten Existenz waren der eigentliche Gegenstand der Untersuchung, sondern der Begriff des Individuums und dessen Beziehungen zu allgemeineren Begriffen. Damit hängt zusammen, dass die von der Stoa betonte, vom Neoplatonismus vertiefte Bedeutung der Verschiedenheit der Individuen von der Scholastik weder im empirischen noch im transcendentalen Sinne gewürdigt wurde. Hatte Thomas noch in der quantitativen Determination ein partielles, nur bedingungsartiges Individuationsprincip aufzustellen gesucht, 3 so ist für Duns Scotus das Individuum schon nichts als die ultima realitas, 4 die als contingens nicht weiter zurückgeführt werden kann, und Occam begnügt sich damit, individuelles Sein und Sein überhaupt gleichzusetzen und jeden der Individuation allein geltenden Erklärungsgrund abzulehnen.5 Diese Auffassung berührt sich in ihrer Negation, aber natürlich auch nur in dieser, mit der der modernen Naturwissenschaft, für die das Individuum auch kein specifisches Problem, sondern nur gewissermassen der Schnittpunkt mehrerer teils bekannter teils noch unbekannter Kreise ist, nämlich der Punkt, an dem sich mehrere, mehr oder minder erforschte Naturgesetze bethätigen und verwirklichen. Der Laplace’sche Weltgeist würde das Individuum etwa als Kombination von Atomen oder von Energien in mathematisch bestimmbarer Menge, Art und Formung des Zusammentreffens erblicken. Das Mangelhafte auch dieser Auffassung, das von der modernen Teleologie dargelegt wurde und in einem späteren Teile dieser Arbeit erörtert werden soll, mag hier dahingestellt sein. Der Unterschied zwischen der Anschauung des Scholastikers und der modernen, in dem sich die ganze Entwicklung des menschlichen Gedankens documentirt, besteht offenbar darin, dass dort der Negirung das Fehlen wissenschaftlich philosophischer Erklärungsprincipien, hier die ausschliessliche An3. 4. 5.

De ente et ess. 2. De princ. ind. 297 u. a. vgl. hierzu Philos. Jahrb. 1888, S. 450. quaelibet res eo ipso quod est, est haec res.

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wendung gewisser als wirkend festgestellter Gesetze zu Grunde liegt. Zwischen beiden liegt die grosse Epoche der Geistesrevolution, die Nicolaus von Cues eröffnet. Cusanus, den Fiorentino (Il rinascimento filosofico nel quattrocento. p. 111.) den letzten der deutschen Mystiker, Spaventa (Saggi di critica filosofica, 2. ed., p. 23.) den Ersten, der die Ketten der Scholastik brach, nennt, trägt in Wirklichkeit ebensoviel von diesen beiden Geistesrichtungen als von einer sich bereitenden, von Mathematik und Mechanik bestimmten Weltanschauung in sich. Steht er in seiner Auffassung des Individuums als eines positiven Wertes in entschiedenem Gegensatze zu Eckhart, so folgt er ihm, wenn er das Wesen des Menschen in seinem Gottumfassen, in seinem Participiren an der Gottheit erblickt. Genügt ihm der Agnosticismus nicht, den die Scholastik dem Probleme der Vielheit verschiedener Existenzen gegenüber entwickelte, so kann er sich doch in Bezug auf das Verhältnis von Materie und Form, von Potentialität und Wirklichkeit von ihren starren Formeln nicht losmachen und das Schema des Universalienstreites haftet noch seinem ganzen Denken an. So ahnt er auch schon die methodische Notwendigkeit der Empirie, ja er wirft manchmal Bemerkungen hin, die wie ein allerdings sehr fragmentarischer Versuch einer modern naturwissenschaftlichen Erklärung aussehen; z. B. wenn er die Variation der Individuen auf Milieu und Ernährung zurückführt: ex diversitate nutrimenti atque locorum individua variari necesse est (De coniecturis II. 8.) Aber solche Einfälle, in denen sich die keimende Macht einer neuen Zeit äussert, stehen ausser allem Zusammenhange mit seinem System. Und wenn die traditionelle Theologie ihn veranlasst, die Konsequenzen seiner Gedankengänge (z. B. des vom Aufsteigen der Einzeldinge zum maximum) abzubrechen, so ist sie nicht wie bei Späteren der äussere Zwang, sondern noch die innerste Grundlage seiner Anschauung und Ideenbildung. Die Ansätze eines Pandynamismus, die sich bei ihm vorfinden (sie werden insbesondere von Falckenberg, Grundzüge der Philosophie des N. C., hervorgehoben; den historischen Zusammenhang hat kürzlich Karl Lamprecht, Zukunft, X. Jahrgang, Nr. 27, darzustellen versucht), gehen kaum über die scheue, unbestimmte und nicht widerspruchslose Anwendung aristotelischer Begriffe hinaus. So tritt uns in Cusanus eine Fülle von Möglichkeiten entgegen, jede aber belastet mit den engen, unlebendigen, wirklichkeitsfremden Schemen eines überwundenen Zeitalters. Als der erste neuzeitliche Denker erweist sich Cues namentlich in der Grundlegung des Individuationsproblems, in der Frage der individuellen Verschiedenheit und der Einzigartigkeit des Individuums. Die Thatsache der absoluten Verschiedenheit wird, wie insbesondere Eucken (Grund-

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begriffe der Gegenwart, p. 201.) hervorgehoben hat, zuerst von der Stoa formulirt (die ältere Lehre präcisirt Seneca; die von Eucken citirten Stellen sind nur Anwendungen von epistolae 113,13: exegit a se, ut, quae alia erant, et dissimilia essent et imparia; ein besonders scharfes Beispiel bringt der die Lehre als unwahrscheinlich bezeichnende Cicero, Acad. II. 26,85.), der sie als eine Konsequenz der Weltvollkommenheit erscheint. Plotin und die späteren Neuplatoniker haben sie tiefer begründet. Das ganze Mittelalter hindurch bleibt sie vernachlässigt, dem nivellirenden Zuge im geistigen, vornehmlich im Glaubens-Leben der Zeit gemäss. Cusanus nimmt sie wieder auf, aber in moderner Form, das Beharren des Einzelnen in seiner Besonderheit und den absoluten UnersetzlichkeitsWert des Einzelnen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellend. Diese Grundanschauung ist allen seinen Werken gemeinsam, ja sie wird immer schärfer und prägnanter ausgesprochen. Was zunächst die Thatsache der Verschiedenheit selbst betrifft, so lässt es sich genau nachweisen, wie den verschiedenen Epochen im Leben des Cusanus (wenn wir uns an die von Uebinger, Die philosophischen Schriften des N. C., Ztschr. f. Phil. 1893-1895, aufgestellte Chronologie der Schriften halten) eine immer präcisere Fassung entspricht. In der docta ignorantia (1440) begnügt er sich zumeist mit einer blossen Wiederholung der stoischen Lehre, so II. 11 (nulla duo in universo per omnia aequalia esse possunt simpliciter); jedes Ding hat seine ihm eigentümliche, unvergleichbare Wesensart (III. 1: ut nihil sit in universo, quod non gaudeat quadam singularitate, quae in nullo alio reperibilis est); die Individuationsprincipien vereinigen sich in jedem Einzeldinge zu einmaliger, unwiederholbarer Harmonie, so dass ein Jedes einzigartig und in seiner Art vollkommen ist (das.) Dieser fundamentale Unterschied aller Individuen verschärft sich in de genesi (1447) zum Gegensatz: quodlibet est idem sibi ipsi et alteri valde oppositum (p. 129.) Idiotae de sapientia (1450) greift nach einem prägnanten Gleichnisse, um nachzuweisen, dass es keine gleichmässige Einheit des menschlichen Intellects gibt (III. 12.) Das Sehen deines Auges kann nicht das Sehen irgend eines Anderen sein, selbst wenn man es von deinem Auge abtrennen und einem fremden Auge einfügen würde. Und in der letzen Epoche tritt die extremste Fassung, die des principium indiscernibilium, auf: keine zwei Dinge können einander gleich sein, denn sonst würden sie zusammenfallen, würden eines und dasselbe sein. Die Formulirung dieses Princips, dass als eine Erläuterung des stoischen bezeichnet werden kann, findet sich nur in zwei Werken, die den zwei letzten Lebensjahren des Cusanus angehören: de venatione sapientiae (XXIII.) und de ludo globi (II., Op. ed. 1565, p. 227, an welcher Stelle statt »veritate« offenbar »varietate« zu lesen ist: quae illu-

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minantur [sc. a luce divina], non possunt nisi varia esse: quia multa et plura sine varietate nec multa nec plura essent, alias idem essent). Das mag vielleicht mit der von Falckenberg (a. a. O., p. 23.) betonten popularisirenden Tendenz dieser Alterswerke zusammenhängen; jedenfalls ist es ein Zeichen für die wachsende Exclusivität der Anschauung. Durchgehend erhält sich die, schon doc. ign. II. c. 4. ausgesprochene Auffassung, dass die Identität des Universums sich nur an der von ihm eingeschlossenen Verschiedenheit erweisen kann, wie die Einheit an der Vielheit. Das Individuum ist der Mittelpunkt eines unendlichen Weltprocesses; die Elemente treten in ihm zu gebundenem begrenztem Sein zusammen und treten aus seiner Auflösung wieder in das fliessende Ganze auseinander: est enim individuum quasi finis fluxus elementorum atque initium refluxus eorum (de coni. II. 5.) Hier kündigt sich schon das grosse und moderne Weltbild an, dem Bruno zuerst zureichenden Ausdruck finden sollte: jedem Wesen gehört die Ewigkeit zu, ein unendlicher Bezirk der Zusammenhänge. So muss denn auch jedes Wesen diesem objektiven Individualismus unendlich wertvoll erscheinen. Schon weil es überhaupt ist, denn gut und edel und köstlich ist das Sein (de l. gl., p. 236.). Dann aber und hauptsächlich, weil es einzeln und einzig ist (de ven. sap. XXII.) Jedes Wesen ist als solches vollkommen, auch wenn es im Verhältnis zu einem andern weniger vollkommen erscheint (doc. ign. II. c. 2., u. and.). Und in einer der Schriften seiner mystischen Periode (de beryllo 10.) geht Cusanus, einige dunkle Worte aus dem 8. Capitel von Per½ qefflwn ¤nom€twn (die areopagitischen Schriften haben namentlich auf seine Lehre von der göttlichen Monas entscheidenden Einfluss ausgeübt) deutend, so weit, in dem individuellen Beharren der Dinge die Sühnung aller Schuld zu erblicken. Eine Konsequenz dieser Auffassung vom absoluten Werte des Individuellen ist, dass Jedes in seinem eigenen Sein beharren will. Alle Dinge bewegen sich gesondert zu ihrer Vollendung (doc. ign. II. 10.) Jedes Ding liebt am meisten seine eigenen Gaben und strebt danach, sie zu erhalten und zu vervollkommnen (II. 2.) Es gibt kein Ding, das nicht sein eigenes Sein allem Sein und seine eigene Seinsart allen anderen Seinsarten vorziehen würde (de visione Dei c. 4.) Alles was ist, schätzt sich so sehr als gut, dass es in Ewigkeit nichts anderes als es selbst zu sein wünscht, und dieses Eine immer vollkommener in der seiner Natur gemässen Weise. (de dato patris luminum c. l.) Mag dieses Selbstbeharren auch zum Kampfe führen, so ist dieser doch die Quelle wie alles Entwerdens, so auch alles Werdens (de genesi p. 129.) Und nur daraus, dass Jedes das Seine kräftig ent-

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faltet, erwächst die Harmonie des Weltgeschehens, die den Einen Gott in der zahllosen Verschiedenheit darstellt (das.) Bei Paracelsus, namentlich aber bei Böhme werden wir das Fortwirken dieser Betrachtungsweise verfolgen können. Ist nun die Welt eine Vielheit absolut verschiedener, ja gegensätzlicher Dinge, so steht ihr die absolute Einheit und Einheitlichkeit des göttlichen Weltgrundes gegenüber. Es entsteht die Frage nach dem Zusammenhange beider, nach dem Hervorgehen jener aus diesem. Auf die einfachste Formel wird die Fragestellung in de genesi (p. 127.) gebracht: quomodo Idem ipse est omnium causa, quae adeo sunt diversa et adversa. Diese Frage hat natürlich nur in einem relativ monistischen System wie das des Cusanus ihre Berechtigung, in einem System, für das die Welt der deus sensibilis ist (de d. pat. lum. 2.) und Gott in den Individuen lebt wie die Seele eines Menschen in dessen Organen, ganz in jedem und in jedem beschränkt (das.) Alles ist Gott: ungeteilter Ursprung, entfaltete Welt und Einungsziel alles Seins. Igitur omne qe@: qui est principium effluxus, medium in quo movemur, et finis refluxus (de quaerendo Deum, p. 294; So schon Scotus Eriugena de div. nat. I. 12.) Gott umfasst alles was ist und sein kann (d. ign. I. 4., II. 3., de possest, p. 251. u. 266., de d. p. l. II.) In ihm sind alle Dinge, auch die gegensätzlichsten, eingeschlossen: er ist die complicatio contradictoriorum (I. 22.) Die Frage verschiebt sich also dahin, wie sich die Einheit und Einheitlichkeit des unentfalteten Gottes mit der Vielheit und Mannigfaltigkeit des entfalteten begrifflich vereinen lässt. Denn als eine Entfaltung Gottes denkt sich Cusanus den Weltprocess. Sein System, wenn man dieses Wort hier gebrauchen darf, wurde (von Ferri in der Nuova Antologia 1872) als Emanatismus bezeichnet. In der That steht Cusanus, obgleich er das Allessein Gottes betont, im Ganzen Plotin nahe, in Manchem näher, als modernen Anschauungen. Dem Pantheismus Bruno’s geht hier ein relativerer Pantheismus voraus, der wohl Gott in allem sieht, aber doch auch ausser allem; die Natur wohl als den erfahrbaren Gott, aber doch nur als Hinweis auf die Transcendenz des unerfahrbaren; alles einzelne Sein als göttlich, aber doch nur als Ausfluss eines einheitlichen Ursprungs, dessen Einheit und Ganzheit durch diese Ausstrahlung oder Entfaltung kein Abbruch geschieht. Gott war vor den Dingen, ist in ihnen, ohne dass diese Manifestation irgend eine Aenderung in ihm bewirkt, und wird, wenn alles in ihn zurückgeflossen sein wird, derselbe geblieben sein. 6 Für Bruno hat die Natur keinen Anfang, 6.

so übrigens schon bei Scotus Eriugena: dum in omnibus fit super omnibus esse non desinit.

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kann sie keinen Anfang haben; einen Anfang hat nur der Kosmos, der aber nur eine Erscheinungsform der notwendig wirkenden Natur ist. Allerdings ist diese Anschauung bei Bruno keineswegs consequent und widerspruchslos durchgeführt, wie er denn einerseits zu ihrer consequenten Ausbildung bei Spinoza, andererseits aber auch zur Ausgestaltung der cusanischen Ideen bei Leibniz überführt. »Antevenit diversitatem, alietatem, oppositionem, inaequalitatem, divisionem« heisst es bei Cusanus (de coni. I. 7.) von der göttlichen Einheit. In Gott sind alle Dinge, aber zusammengefaltet, complicite et inevolute, wie der Kreis im Punkte (de l. gl. I., p. 219.); in ihm sind sie Gott, wie sie entfaltet in der Weltschöpfung Welt sind (de poss., p. 251.) Der schaffende Gott denkt die Welt, indem er sich denkt; er denkt sie als Endlichkeit, weil Denken Begrenzen ist; er denkt sie als Vielheit, weil Denken Auswikkeln der Zahl aus der Einheit ist (ven. sap. XXVII., doc. ign. II. 3.); und er denkt sie als Verschiedenheit, weil die absolute Verschiedenheit die vollkommenste Art der Offenbarung ist (magna enim diversitas immultiplicabilitatem melius exprimit, id. de sap. I., p. 142; ähnlich de d. pat. lum. IV.). Die Selbstoffenbarung, die Selbsterkenntnis aber, die Bethätigung und Verwirklichung der geistigen Kraft Gottes ist der Zweck der Weltschöpfung, und der Zweck alles gesonderten Seins, weil das Denken ein Sondern ist. Omnia quaecumque creata sunt, lumina quaedam ei sunt ad actuandam virtutem intellectualem (de d. p. lum. V.); dieses vom individuellen Geiste Gesagte gilt auch vom göttlichen Geiste, der dessen Quelle ist; wie denn jedes Wesen, in dem sich Gott verwirklicht, in gewissem Sinne ein Anfang des Wesens Gottes ist, als ein Anfang seiner Schöpfung (das. IV.) Diese bei Cusanus ungenauen und andeutungsartigen Bemerkungen werden später von Böhme ausgestaltet. Aber die Welt soll nicht nur Gott offenbaren, sie soll auch schön sein (ven. sap. XXX.); allerdings hängt Beides notwendig zusammen, da ja Gott der vollkommenste Künstler ist (de quaer. D., p. 297.). Es gehört aber zum Wesen der Schönheit, dass die Teile nicht gleich, sondern verschieden sind: die unendliche Schönheit kann nur aus der unendlichen Mannigfaltigkeit hervorleuchten (ven. sap. XXX.) 7 Auch hier erinnert Cusanus an Plotin; aber er wendet ästhetische Kategorien, wie vorher logische, auf Gott an, der doch notwendig ausserhalb des Giltigkeitskreises dieser Kategorien steht. Hier ist der Einfluss der Scholastik deutlich erkennbar. Damit ist aber erst der Zweck der Verschiedenheit dargelegt, ihre Ent7.

ähnlich Pomponazzi: Deus enim facit hanc diversitatem ex universali perfectione (De fato l. V. C. 9., ed. Bas. 1567. p. 1004.)

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stehung und ihr Wesen sind noch nicht erklärt. Dies versucht Cusanus in der Lehre von der explicatio und participatio. Gott entfaltet sich in den Einzeldingen und zwar so, dass er sich in jedes ganz eingibt, aber in jedes in anderem, nur diesem eigenthümlichen Grade der Verteilung von Wirklichkeit und Möglichkeit, von Bewusstsein und Unbewusstsein. Dies ist aber nicht so zu verstehen, als seien die Dinge zuerst an sich da und empfingen dann Gott in sich, sondern durch die Entfaltung, welche die Dinge hervorbringt, ist schon Gott in sie gelegt, wie an der Analogie der menschlichen Zeugung (d. d. p. l. IV) zu ersehen ist. Daher ist der Einwand Falckenbergs, Nicolaus habe übersehen, »dass die Participation nicht nur einen Spender, sondern auch einen vorher vorhandenen Empfänger voraussetzt«, durchaus unrichtig. Denn die participatio ist keineswegs der platonischen mffqexi@ analog; sondern indem Gott die Dinge aus sich schafft, geht er in sie ein; in diesem Eingehen, d. h. in dem Determiniren der absoluten Wirklichkeit zu einem jeweilig anderen Grade relativer Wirklichkeit besteht eben das Schaffen. Gott kann sich unendlich oft ganz und dies in unendlich vielen Klarheits- und WirklichkeitsGraden ausgeben, ohne sich zu verlieren, und die Dinge sind nicht etwa Hülsen, die sein Ausgeben aufnehmen, sondern sie sind dieses Ausgeben selbst in seinen verschiedenen Abgrenzungen, die aber nicht den Umfang des Seins – in Jedem ist Gott ganz – sondern nur den Umfang der Actualität und Bewusstheit betreffen (wobei allerdings nicht nur Unbewusstheit, sondern auch Potentialität als ein Sein vorausgesetzt wird). Gerade darin, dass die participatio keinen Empfänger voraussetzt, liegt für Cusanus die tiefe Wahrheit und zugleich die scheinbare Irrationalität dieser Idee. »Quis est igitur qui intelligere queat quomodo diversimode una infinita forma participetur in diversis creaturis, cum creaturae esse non possit aliud esse quam ipsa resplendentia [sc. Dei], no n i n ali qu o al io p o s i t ive recep ta , sed contingenter diversa« (d. ign. II. 2.) Diese Auffassung, dass Gott in Jedem ganz, somit Alles in Allem, nur in individueller Modification ist (omnia in omnibus, scilicet suo esse modo, de ven. sap. XVII.), darf als eine Vertiefung der alten Lehre vom Mikrokosmos angesehen werden, deren Entwicklung mit der des Individuationsproblems von Cusanus bis Leibniz eng zusammenhängt. Zwar ist der citirte Satz offenbar kaum mehr als eine Uebersetzung von Proklus’ p€uta ¥n p”sin, o§kefflw@ d’¥n k€stw (ed. Creuzer. III. 103.) und auch bei Plotin wie bei Porphyrius findet sich manches Analoge; doch geht Cusanus, indem er die lange vernachlässigte Theorie wieder aufnimmt, über dieses ihr Stadium dadurch hinaus, dass er einerseits das Umfassen aller Dinge durch das Individuum mit dessen Gottumfassen verknüpft, andererseits diese Lehre zu einer Erklärung der individuellen

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Verschiedenheit ausbaut und mit dem ganzen Weltbilde in Zusammenhang bringt. In allen Teilen scheint das Ganze wieder, in jedem Dinge ist das All gegenwärtig. Jedes Wesen ist eine endliche Unendlichkeit, weil es der geschaffene Gott ist (d. ign. II. 2.) Jedes Wesen ist eine contractio Gottes und so aller Werke, aber eine contractio individualis (d. p. l. I.) In jedem Dinge ist das Universum enthalten, aber in jedem als dieses Ding: in qualibet enim creatura universum est ipsa creatura (d. i. II. 5.) In jedem Individuum erscheint das All in der diesem Individuum eingeborenen, durch die ursprüngliche Determination ihm eingefügten Art: omnia in te Juliano julianisant, ut harmonia in lutina lutinisat, in cithara citharizat; neque in alio hoc ut in te possibile est (coni. II. 3.) Hier, beim Menschen, tritt als ebenfalls alles in sich einschliessend das Denken hinzu, das Cusanus nirgends vom Sein trennt, als dessen höchste Entfaltungsform es ihm erscheint. Der Intellect ist die Allheit der Dinge, intellectuell gefasst. (de filiatione Dei, p. 126.) Der Mensch findet in sich, als in der messenden und wertenden Vernunft, alle geschaffenen Dinge (Ber. 5.); er hat die Dinge in sich wie Gott; aber dieser hat sie als die Urbilder in sich, der Mensch als Beziehungen und Werte, wie denn Gott von Cusanus mit dem schaffenden Münzmeister, die menschliche Vernunft mit dem wertenden Wechsler verglichen wird (l. gl. II., p. 237.). Wir haben in unserer Seele den Verstand und das Wissen alles Wissbaren potentiell; doch fühlen wir diese Wahrheit nur dann, wenn wir uns tief in uns selbst versenken. (das. 234.) Ja wir dürfen sogar sagen, dass wir wie Gott selbst ein Urbild der Dinge in uns tragen: in Gott bedeutet es die Fähigkeit, alles zu formen, in uns die, alles zu erkennen. (das. 229.) Denn darum können wir alles erkennen, weil wir alles potentiell besitzen. Das Sehen schliesst alle sichtbaren Formen in sich ein und was ihm entgegentritt, das erkennt es aus seiner eigenen Natur. (Ber. 38.) So erkennt auch die Vernunft das Wesen aller Dinge »der Aehnlichkeit nach«, weil alle Dinge in ihrem Grunde ruhen (de mente III. 3.). Diese Lehre werden wir zunächst bei Valentin Weigel und später in moderner Gestalt in der Monadologie wiederfinden. Welche Stellung kommt nun in diesem Zusammenhange der individuellen Verschiedenheit zu? Da alles in allem ist, kann sie nicht elementar qualitativer Art sein. Wird der Zweck der göttlichen Selbstoffenbarung, wie wir gesehen haben, durch die absolute Verschiedenheit am vollkommensten verwirklicht, und gibt sich Gott doch notwendigerweise jedem Dinge ganz ein, so kann die Individuation nur auf einem Princip beruhen, das Allheit und Besonderheit, Unendlichkeit und Endlichkeit, Einheit und Andersheit vereinigt. Dieses Princip findet Cusanus in seinem Begriffe des possest, des Seinkönnens, der Potentialität. Die Potentialität

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ist keineswegs das Nichtsein, sie ist das minimale Sein, von dem bis zum maximalen, das in Gott erfüllt ist, unzählige Grade führen. Wenn Gott daher in jedem Wesen ganz ist, so ist er es in jedem Wesen in einem diesem eigentümlichen Grade der Potentialität. Gott determinirt sich in den Dingen, aber nicht so, dass er einen Teil von sich abtrennte und so den Rest auflöste; denn Gott ist durchaus unteilig und nichts von ihm kann je zu Nichts werden. Sein Determiniren kann somit nur darin bestehen, dass er sich in jedem Dinge bis zu einem gewissen diesem eigenen Grade in Potentialität versenkt. Mag auch innerhalb dieses Grades im Leben der sinnlichen Erscheinung eine instabilitas herrschen (d. i. I. 11.), ein Fluctuiren von Möglichkeit zu Wirklichkeit, eine stetige Erweiterung des Aktualitätskreises, so kann doch der Grad selbst in seiner Beziehung auf das Transcendente niemals existential, sondern nur durch eine intellectuale Exstasis überschritten werden. Neben dieser Auffassung geht bei Cusanus allerdings noch die platonische Urbilder-Lehre einher. Zum Teil gibt er sie nur traditionell und im Namen der sapientes, zum Teil aber greift er auch danach offenbar deshalb, weil ihm, der von den Abstraktionen immer wieder zum lebendigen Schauen zurückkehrt, die Participationstheorie das Rätsel der empirischen Verschiedenheit nicht völlig erklären konnte. Doch widersprechen sich bei ihm die beiden Anschauungen nicht, sie ergänzen sich vielmehr, indem jedes Urbild einem bestimmten Potentialitätsgrade entspricht und wie dieser das Wesen des Dinges, die Formung des Dinges bestimmt. Die Verschiedenheit der Dinge besteht also wesentlich in der verschiedenen Participation der Gottheit (coni. II. 13, fil. D. p. 120., 125., d. p. l. II., IV., ven. sap. XXIII., l. gl. II.) Für die erste Betrachtung ist sie eine Verschiedenheit des Modus, und die Individuen werden mit Spiegeln verglichen, die verschiedene Abbilder desselben Dinges geben (d. p. l. II.) Dies ist aber nur eine Verschiebung der Frage, denn es bleibt ungelöst, warum die Spiegel verschieden sind. Für die zweite und tiefere Betrachtung erscheint die Verschiedenheit als eine Verschiedenheit des Participations-, d. h. des Potentialitäts-Grades. Alle Dinge unterscheiden sich durch den Grad: universa ab invicem gradibus distinguuntur, ut nullum cum alio coincidat (d. i. III. 1. vgl. auch das. II. 8.: cadunt differentiae et gradationes, ut unum magis actu sit, aliud magis potentia). Kein Concretes kann an dem Concretionsgrad irgend eines anderen teilhaben, so dass jedes notwendig ein bestimmtes Anderes entweder an Actualität übertrifft oder von ihm übertroffen wird (das.). So existieren zwischen dem maximum, d. i. Gott als der vollkommenen Actualität, (d. qu. D. p. 297, d. i. I. 7. gen. 128.) und dem minimum, d. i. der vollkommenen Potentialität, die man auch als Materie bezeichnen kann (l. gl. 219. 239.) (da die

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Formung mit der Actualisirung zusammenhängt), alle Dinge, d. i. alle Grade des Seins (d. i. III. 1.) und jeder schliesst sich an den nächst höheren und den nächst niedrigeren an (das., vgl. auch coni. II. 16.); hierin vollzieht sich der unendliche Weltprocess, so dass das Universum als ein vollkommenes Continuum angesehen werden darf. Doch führt diese als unendlich gedachte Reihe oder Stufenfolge, die sich doch zwischen zwei Endpunkten erfüllt, niemals zu einem derselben; denn das maximum an sich besitzt keine Potentialität und das minimum keine Actualität; von irgend einem Sein aber zum Nichts gibt es keine Brücke (das.) Das Fortwirken aller dieser Gedanken ist bei Leibniz zu beobachten. Die Dinge sind somit in der Tatsache der Participation gleich, in Art und Grad derselben ungleich (ven. s. XXIII.), so zwar, dass die Art nur ein Ausdruck des Grades ist. Nun ist aber innerhalb des Grades ein Uebergehen von Potentialität zu Actualität möglich. Kein Wesen kann zu einem nächsthöheren Grade aufsteigen; eine Entwickelung im modernen Sinne kennt Cusanus nicht. Aber innerhalb des gegebenen Grades ist in jedem Wesen Wirklichkeit und Möglichkeit verteilt: der Grad, d. h. das Urbild des Dinges ist ursprünglich nur angelegt und wird allmählich verwirklicht, indem immer mehr Potentialität sich in Actualität umwandelt. Das Urbild, das ein Product des Participationsgrades ist, verwirklicht sich im Verhältnis zu dieser Actualisirung. Würde alle Möglichkeit in einem Dinge in Wirklichkeit umgewandelt werden, so wäre der Participationsgrad dieses Dinges erfüllt, d. h. das ihm entsprechende Urbild, und mit ihm Gott erreicht, welcher die absolute Wirklichkeit und die absolute Ruhe ist. Das Ding würde dadurch aber nicht alle Dinge werden, denn alle Dinge lagen wohl in ihm, aber sie waren in ihm (wie wir gesehen haben) eben dieses Ding und dessen Entfaltung kann an dieser individuellen Formung des Ganzen in ihm nichts ändern: es verwirklicht sich und so auch das All, das in ihm liegt, aber der Lehre von der Selbstbeharrung des Individuums gemäss nur in der diesem Einzeldinge eigenen Formung, die gleichsam ein Widerschein des Urbildes ist. In jedem Wesen findet demnach ein Process des Uebergehens von potentia zu actus statt. Dieser Process ist dem der »Auswicklung« Gottes analog; auch er ist eine explicatio, eine Entfaltung; und beiden kommt bei Nicolaus der Name motus zu, dessen zweiter Sinn, der der Actualisirung des Individuums, dem Sprachgebrauche bei Aristoteles und mehr noch bei Thomas (S. th. I., p. 2. a. 3.) entspricht. Dieser Process bringt das Einzelne seiner Vollkommenheit, somit Gott, immer näher; die Gottnähe liegt für das Individuum in den Bedingungen seiner eigenen Natur; ist diese vollendet, so hat es sein Urbild und seine höchste Ruhe, das Ende aller Bewegung, gefunden. (d. p. l. V.) So gelangt in Gott alles Concrete als

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in seiner Vollkommenheit zur Ruhe (d. i. III. 3.). Jedes Wesen hat seine Linie der Verwirklichung; Gott aber ist der Punkt, in dem alle Vollkommenheitslinien zusammentreffen (das.) Jedes Wesen hat somit seine Sphäre, seinen eigenen Himmel gleichsam, der die specifische Kraft des Wesens umfasst und es von anderen unterscheidet (gen. 136.); innerhalb dieser Sphäre bewegt es sich zu seiner Vollkommenheit. Diese Bewegung aber wird von der göttlichen Kraft selbst geleitet (das., dat. V.), die in jede individuelle Actualisirung eingreift (ven. XXXVIII., vgl. auch quaer. D. 297.). Gott selbst ruft die Dinge zu sich empor: zur assimilatio, d. h. zur Verwirklichung ihrer eigenen Anlagen. Denn Gott will die Verschiedenheit der Dinge, in der er sich offenbart hat, nicht aufheben, sondern in sich vollenden: nicht die Entpersönlichung, sondern gerade die Verpersönlichung führt die Dinge zu Gott. Jedes Ding bewegt sich innerhalb seiner Sphäre und wenn es zur Vollkommenheit gelangt, ruht es in seiner Sphäre, die keinem Anderen erreichbar ist (gen. 135, vgl. auch l. gl. I. 220.) Und wie ein Mensch die ewige Seligkeit in seiner eigenen Natur verlangt und nicht als ein Engel sondern als er selbst selig sein will (de pace 13.), so lässt auch Gott das Individuum sich als solches erfüllen und als solches in ihm zur Vollkommenheitsruhe gelangen. Wie dies mit der Seelenlehre des Cusanus zusammenhängt, die die Seele als die Einheit und Wirklichkeit, den Körper als die Andersheit und Möglichkeit im Individuum betrachtet (coni. II. 10), kann hier nur angedeutet werden; auch sind hierüber nur wenige und nicht ganz eindeutige Belegstellen zu finden. Jedenfalls wird die Seele, die eigentliche Wirklichkeit, auch als die eigentliche Persönlichkeit aufgefasst, als die einfache und geeinte Kraft, die das Individuum bewegt (coni. II. 16, ähnlich l. gl. I.) Sie ist das Einheitsprincip des Einzelwesens, seine complicatio, wie der Körper die explicatio (coni. II. 10); sie steht also zu diesem in demselben Verhältnisse wie Gott zur Welt. Wenn wir hiermit die oben dargelegten Anschauungen sowie die Unsterblichkeitsauffassung des Cusanus vergleichen, so kann seine Meinung offenbar nur dahin gehen, dass die Verwirklichung und Vereinheitlichung des Individuums, die zugleich dessen Verpersönlichung und Vervollkommnung ist, mit einem Wachsen der Seelenherrschaft und des Seelenbezirkes zusammenhängt, und die Vollkommenheit des Individuums ist das erfüllte Allessein der Seele, die Vernichtung des Körpers. Hieran lässt sich vielleicht die Anschauung schliessen, dass die ungeistigen Wesen nur durch die geistigen oder mit deren Hilfe zu Gott gelangen können, wobei die untere Grenze der geistigen Wesen der Mensch bildet (dat. V.), eine Anschauung, die in einem gewissen Widerspruche zu einzelnen dargelegten Gedanken steht und die denn auch wesentlich

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ein Fortwirken neuplatonischer Traditionen ist: es heisst an der citirten Stelle »intellectualia autem sunt, per quae inferiora fluunt a Deo et refluunt ad ipsum«; namentlich der erste Teil steht in entschiedenem Gegensatze zur Lehre von der explicatio 8 und die daselbst erörterten zehn Grade der Intellectualität sind auf die Rangordnungen des Proklus zurückzuführen, dessen dominirender Einfluss bei Cusanus manchmal die Consequenzen der eigenen Ideen zurückdrängt. Jedenfalls aber darf man wohl mit jener Anschauung vom Seelenwachstum, welche die Evolution der Seele, die Vollendung der Individuation und das Gottwerden des Einzelwesens gleichsetzt und zu Einer Entwikkelung verschmilzt, die schönen Worte in Zusammenhang bringen (quaer. D. 297), dass unser Geist die Feuerkraft in sich hat: missus est enim a Deo in terram, non ad aliud, nisi ut ardeat, et crescat in flammam.

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Diese fasst z. B. Rudolf Eucken (Lebensanschauungen 318) so zusammen: »Gott wirkt nicht durch Mittelglieder, etwa die Ideen, sondern er ist unmittelbar durch alles thätig.«

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Man kann Böhme im Gegensatz zu Eckhart den Individualisten der deutschen Mystik nennen. Das Individuationsproblem ist für ihn das Problem des wirklichen Seins der Dinge. Die Frage nach dem Zwecke einer Vielheit von verschiedenen, abgesonderten Existenzen rückt immer mehr in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Während in seiner lange Zeit überschätzten Erstlingsschrift der Individuationsgedanke noch unsicher und verdunkelt von Widersprüchen auftritt, gewinnt er in der Folgezeit, namentlich aber in der Periode, die der Böhme-Biograph H. A. Fechner – unter Berücksichtigung sehr unwesentlicher Momente – als die »dialektische« bezeichnet und die im Jahre 1622 gipfelt, also namentlich in den Schriften Theoscopia, De signatura und Von der Gnadenwahl, eine immer schärfere und prägnantere Fassung, um in Böhmes letztem grossem Werke, dem Mysterium Magnum (1623; Fechner construirt hier wieder ganz unrichtig eine »gnostische« Periode) in der ersten consequenten Anwendung der Mikrokosmoslehre auf das Individuationsproblem den reichsten und reifsten Ausdruck zu finden. Böhmes Philosophie ist fast an allen Punkten von der Cusanischen beeinflusst, aber diese nahm er kaum unmittelbar, sondern fast ausschliesslich aus der Hand einerseits Paracelsus und der Paracelsisten, andererseits Valentin Weigels auf. Auf den Zusammenhang Böhmes mit den Paracelsischen Lehren hat namentlich Harless (J. B. und die Alchymisten, insbes. S. 59. ff.) hingewiesen; doch sind auch bei Fechner (S. 56-59, 141-144.) und Peip (S. 7/8.) wichtige Tatsachen angeführt. Weigels Einfluss ist noch nicht genügend erörtert worden (vgl. Ritter, Geschichte der Philosophie X. 93. und 97, wo eine sehr bedeutsame gemeinsame Idee hervorgehoben wird); die Biographen Weigels, Opel und Israel, haben zu dieser Frage keine Stellung genommen; Peip behandelt sie ganz flüchtig. Von Paracelsus übernahm Böhme dessen Weiterbildung der Mikrokosmoslehre. Wir haben gesehen, wie diese von Plotin zu Cusanus hinüberwirkte, der sie in zwei Grundsätzen zusammenfasste: cum quodlibet non possit esse actu omnia, cum sit contractum, contrahit omnia ut sint ipsum, und: nullum contractum gradum contractionis alterius praecise participare potest. Paracelsus gestaltete diesen Gedanken im Sinne seiner aus pandynamistischen und panorganicistischen Elementen zusammengesetzten Naturphilosophie um. Der selbst noch von teleologischen Anschauungen durchdrungene Vorläufer einer Epoche absoluter Kausalitätsgeltung, musste er, um den Widerspruch zwischen dem Allumfassen des Individuums und der vollkommenen Verschiedenheit aller Individuen aufzulösen, eine Naturkraft zu Hilfe rufen. Wenn in jedem Dinge

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alle Elemente vorhanden sind, so muss in jedem ein schöpferisches Princip wirken, das eine Wesenheit herausbildet, d. h. gewisse Elemente und Qualitäten gleichsam hervorlockt und aus ihnen die Individualität gestaltet, sie gewissermassen herausmeisselt (dieses bei Paracelsus häufig, so Schriften, ed. 1589/90, I. S. 216, Wundarznei ed. 1591, S. 185 angedeutete Bild wird in dem noch völlig unter dem Einflusse Paracelsus’ stehenden Jugendwerke J. B. van Helmonts, der von Broeckx, Antwerpen 1854, herausgegebenen Eisagoge in artem medicam sehr detaillirt, aber in rein physiologischer Auffassung durchgeführt). Dieses durchaus dynamisch gemeinte Prinzip (vgl. Lasswitz, Geschichte der Atomistik I 301; Sigwart, Kleine Schriften I 46; Rixner und Siber, Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker I 67; Ritter, Geschichte der Philosophie IX 165; Spiess, van Helmonts System der Medicin S. 45; Delff in der Deutschen Biographie XI. 706; abweichende, aber ungerechtfertigte Meinung äussert Lange, Geschichte des Materialismus, 3. Aufl., S. 176. f.) nennt Paracelsus den Archeus. 9 Der Paracelsusschüler Marcus Marci definirt den Archeus als »vis et potestas animae per systema ideale limitata ad vitaliter agendum; systema vero ideale est series idearum ab uno radice ordinem et nexum ad se habentium« (Idearum operatricium idea, Prag 1635, S. 418.) Böhme nimmt dieses Princip in seine Lehre unter dem Namen des Separators auf (so Theosc. 3. C. 33.; 47. Sendbrief 11-31, insbes. 27; ferner de test. Christi, Von der Taufe II. Buch, 3. C. 19, wo aber auch der Name »Archeus« vorkommt; ebenso Clavis 111; das. 91. wird »Mercurius« in diesem Sinne gebraucht.) 10 Welchen Platz er ihm in seinem System anweist, soll unten ausgeführt werden. Zur Vertiefung des Problems bei Böhme hat vor Allem Valentin Weigels Einfluss beigetragen. Weigel ist bisher noch gar nicht in den historischen Zusammenhang der Renaissance-Philosophie eingefügt worden. Allerdings ist ihm alles Systematische fremd; und während Böhme mit unermüdlicher Zähigkeit immer wieder von Neuem mit der mystischen Schöpfungsgeschichte ansetzt, bemüht, immer treuer den Weltsinn zu erschliessen, entringen sich Weigel seine Philosopheme im Gebete, in einer Predigt, in dem schlichten Stammeln der Ekstase. Aber vielleicht Keiner 9. Die dynamische Auffassung des Archeus wird am besten durch De meteoris c. 4. (ed. 1589/90, VIII 206) belegt. Ueber den Zusammenhang des Begriffes mit dem der Entelechie einige nicht ganz zutreffende Bemerkungen bei Willmann, Geschichte des Idealismus III. 90. 10. Hier sei auf einen kleinen Irrtum Windelbands (G. d. Ph., S. 304) aufmerksam gemacht. Es heisst da vom Archeus: »Jacob Böhme, auf den auch diese Lehre übergegangen ist, nennt ihn den Primus.« Das letztere Wort ist jedoch bei Böhme niemals gleichbedeutend mit Archeus, sondern bezeichnet die durch diesen gleichsam emporgerufene dominirende Eigenschaft eines Dinges.

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in seiner Zeit leitet so rein wie er von Platon zu Leibniz hinüber. Es sind nur wenige Ideen, die uns das Studium seiner Schriften bringt. Gott ist der »Beschluss oder Begriff aller Geschöpfe; er trägt sie in sich wie der Same alle Teile des Baumes«11 (»Von der seligmachenden Erkenntnis Gottes«, herausgegeben von Israel aus einer Breslauer Handschrift in seiner Weigel-Biographie, S. 97. ff.) Alle Dinge und Wesen in ihrer Verschiedenheit sind verschiedene Entfaltungsstadien des göttlichen Lebens (Gebetbüchlein, C. 21.) So liegen in jedem Geschöpfe alle Geschöpfe (Der güldene Griff, C. 1.). Alles, was ein Wesen ist und sein soll, ist und hat es nicht von aussen, sondern in sich selber (C. 15.). Alle äusseren Dinge fliessen von innen heraus und nichts von aussen hinein (C. 1. u. 2.). Der Mensch aber hat nicht nur alle Dinge in sich, sondern auch die Erkenntnis zu allen Dingen, und die »Gegenwürfe« sind nur Erweckungen dieser Erkenntnis (C. 9. u. 15.; Libellus disputatorius, ed. 1618, S. 42.) Diesen Lehren hat Böhme namentlich die Auffassung Gottes und seines Verhältnisses zu den Dingen entnommen und zum Teil weitergebildet. Sein Ausgangspunkt in der Behandlung des Individuationsproblems ist wie der des Cusanus die absolute Verschiedenheit und Abgesondertheit der Individuen. Jedes Ding hat eine sonderliche Eigenschaft und Gestalt in sich (vgl. 3. Princ. 6. C. 1.) Diese Sonderheit fasst Böhme nicht als zeitlich und geworden auf, sondern als jenseits aller Zeit in der Ewigkeit ruhend (Aur. 21. C., 21/22). Alle Individualität ist einzigartig und damit ewig: jede liegt im Sinne der Schöpfung und hat in ihm ihren Bestand. Der Zweck des Einzelwesens ist das Beharren in seiner Einzelheit und Eigenheit. »Darum will Gott eine jede Kreatur in der Quall haben, darein er sie geschaffen hat, auf dass sein ewiger Wille bestehe und nicht zerbrochen werde.« (Vom 3fachen Leben 11. C., 105.) 12 Schon hier, an der Schwelle des Problems, stehen einander gegenüber die Einheit, Einigkeit und Einheitlichkeit Gottes und die Vielheit, Verschiedenheit und Abgesondertheit der Dinge. Es ist nun offenbar, dass für die Philosophie des Mittelalters, die an dem biblischen Schöpfungsberichte dogmatisch festhielt, dieser Gegensatz nicht die wesentliche Frage gewesen sein konnte. Der Schöpfungsakt nach der Auffassung der mittelalterlichen Theologie führte von der Einheit Gottes zur Vielheit der Welt, ohne dass eine metaphysische Untersuchung des teleologischen Zusammenhanges Not getan hätte. Der Gegensatz ist, gerade weil er der absoluteste ist, kein Problem. Erst in der Renaissance, während die Lehre von der universalen Immanenz Gottes sich geltend macht, bildet sich 11. ein ähnliches Gleichnis bei Böhme, 3 Princ., 3. C., 9. 12. vgl. ausser Cusanus auch Paracelsus IV 264/5.

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auch das Problem von Einheit und Vielheit immer stärker aus. Es ist bemerkenswert, dass schon unter den ersten Scholastikern die zum Pantheismus neigenden es waren (so insbesondere Eriugena), die den Gegensatz tiefer zu erfassen sich bemühten. Je unmittelbarer vereinigt Gott und Welt erscheinen, desto mehr wird jener Gegensatz der lebensvollste notwendigste Gegenstand der Vernunft. Allerdings muss das Problem in consequenten pantheistischen Monismus aufgelöst werden, denn wo alle Transcendenz des Einheitsbegriffes aufgehoben ist, kann die Einheit nur noch die beseelte Zusammenfassung oder den beseelten Träger der Vielheit bedeuten. Für Böhme aber, der zwischen Theismus und Pantheismus schwankt und aus diesem Konflikte nicht herauskommt, ist das Problem des Gegensatzes unmittelbar gegeben und er behandelt es als historisches sozusagen: als das Problem der Schöpfung. Wir haben gesehen, wie dieses von Cusanus nur angedeutet wurde. Mehr als auf diesen geht Böhme auf Eriugena und Anselm zurück. Nachdem namentlich der Erstere sein System auf seine Schöpfungstheorie aufgebaut hatte, wurde das Thema von der Scholastik immer mehr aus dem Kreise der philosophischen Betrachtung ausgeschieden, bis Duns Scotus in folgerichtiger Durchführung seiner Trennungsmethode es völlig ausschloss. Eckhart nahm die Frage wieder auf, aber getreu seiner Lehre von der Unzeitlichkeit der göttlichen Akte rückte er sie weiter als irgend einer seiner Vorgänger in das Mysterium zurück. Auch die explicatio des Cusanus darf nicht streng zeitlich aufgefasst werden. Die spärlichen Ausführungen bei Agrippa (De occ. phil. I. 8. u. 11.) und Paracelsus (a. a. O. IV. 253 und Phil. ad. Athenienses I. Buch, 10.) entbehren aller Originalität. Die eigentümlichste Ueberleitung zu Böhme (und zwar eine eigentlich über Böhme hinausgreifende) finden wir in Valentin Weigels Lehre, dass Gott erst durch die Weltschöpfung zu Gott wird (Erkenne dich selbst II 16 ff.,13 Stud. univ. G. 1. a.) und in seiner damit zusammenhängenden Idee von der sich im Menschen, d. h. in der Entwickelung der Schöpfung zum Bewusstsein vollziehenden Selbsterkenntnis Gottes (Der Güldne Griff c. 14., Erkenne dich selbst I 13; s. hierzu Hegels Anmerkungen zu §. 564. der Encykl.; vgl. noch Baur, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit III 257 f.). Das Büchlein Weigels »Erkenne dich selbst« (Gnji seautn) in dem diese merkwürdigen Sätze zu finden sind, gehörte zu denen, die auf Böhme den grössten Einfluss ausgeübt haben (s. Sendbrief IX. 14.) Böhme hat den darin fast

13. Neuere Forscher bestreiten die Echtheit des II. Teiles des Gnji seautn. Doch ist derselbe jedenfalls, wenn auch nur mittelbar, auf Weigel zurückzuführen. Im Uebrigen stehen eingehende Untersuchungen noch aus. (vgl. Erdmann, Grundriss I.)

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aphoristisch hingeworfenen Gedanken nicht weitergebildet – noch Hegel fand ihn ungebraucht vor –, aber er hat ihn erfasst und auf seine Weise seinem Ideencomplexe eingefügt, wobei allerdings Manches von der tiefsinnigen Ursprünglichkeit Weigels verloren ging, vor allem die angedeutete Idee einer Entwickelung Gottes in der Welt. Auch für Böhme ist, wie schon für Albertus (Summa de creat. I. 1.), der Hervorgang der Vielheit aus der Einheit ein Wunder; er spricht von der »unerforschlichen Vielfältigung« (3 Principien, 4 C. 55.). Dennoch versucht er ihn auf Begriffliches zurückzuführen. Seine »göttlichen Kräfte«, die sich »in eine Formirung, in einen äusserlichen Grund einführen« (Myst. Mag. 6. C. 33.) sind die Mittlerelemente, welche die individuirte Welt erzeugen und doch von Ewigkeit in Gott gesonderten Bestand hatten; sie entsprechen den lgoi spermatikoffl der Stoa, den ⁄swm€toi dun€mei@ Philons, den proorfflsmata des Eriugena, den inneren Worten Anselms, den seminaria rerum des Georgius Venetus.14 Sie stellen eine dynamische Auffassung der Ideen dar. »So viele Kräfte Gottes, so viele Ideen sind, in Gott aber sind sie alle gleich«. 15 Sie sind die transcendenten Träger der Individuation, und da sie ewig sind, so ist es auch die Form der Welt, die sich aus ihnen aufbaut: »die Form dieser Welt ist in Gottes Natur von Ewigkeit gewesen« (3faches Leben, 5. C. 84.) Wie sie, sind auch die individuirenden Kräfte in Gott latent: »es liegen alle Kräfte und Eigenschaften in dem unanfänglichen Gotte i n d er Temp er at u r« (Gnad. 2. C. 20.) 16 Daher ist doch wieder in dem vorweltlichen Gotte keine Vielheit, sondern eine absolute Einheit (3 Princ. 14. C. 61), von der allerdings Böhme nicht erklären kann, wie in ihr die Form der Welt enthalten sei. Denn dieser Einheit kann kein wesenhaftes Sein zugesprochen werden, sie ist sozusagen präexistentiell und den Kategorien des menschlichen Denkens durchaus entrückt. »Wir erkennen, dass Gott in seinem eigenen Wesen kein Wesen ist, sondern nur bloss die Kraft, oder der Verstand zum Wesen, als ein ungründlicher ewiger Wille« (Myst. Mag. V. 1.). Es ist die Einheit einer irrationalen dynamischen Potentialität, nicht die einer noch so absolut gedachten Substanz. »Der erste Wille ist stille und in sich selber ohne Wesen« (incarn. verbi II. T. 3. C. 3.). Dieser Gott wird denn auch manchmal bei Böhme geradezu als das Streben der unendlichen Möglichkeit nach Verwirklichung dargestellt. So nur kann man es verstehen, dass von dem »ewigen Gemüt Gottes« 14. De harmonia mundi (1525) 3,16. 15. vgl. Patritius: »quot sunt in Archetypo Ideae et unitates, tot inde sunt .. vires .. seu rerum semina.« vgl. auch Agrippa de occ. phil. I. 11. Nova de un. phil. XXI (ed. Fe. 1591 f. 116.) 16. vgl. Paracelsus, Schriften IV 253 und Phil. ad Ath. I. 1.

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(3 Princ. 14. C. 61) gesagt wird, es stehe im Urkunde in der Finsternis; Finsternis ist ein Böhmesches Symbol für Potentialität, wie Licht für die Aktualität des Schaffensaktes und der Schöpfung. Das ewige Gemüt Gottes, das »in der Finsternis stehet«, »hat sich von Ewigkeit gesehnet und im Willen gehabt zu gebären das Licht; und dasselbe Sehnen ist die Quelle, und derselbe Wille ist das Aufsteigen« (das.). So mag man denn Gott erst in der Schöpfung Geist nennen; denn der Geist ist »anders nichts als ein aufsteigender Wille« (das. 8. C. 21., eine eigentümliche Stelle, die auf den böhmekundigen Schopenhauer vielleicht nicht ohne Einfluss gewesen ist). Gott, der alle Potentialität umfasst, ist demnach zugleich das ewige Streben nach Actualisirung und Individuirung; der wesenlose Wille, der »die Aengstlichkeit zur Geburt« ist, »schwängert sich mit dem Begehren, dass er voll Wesen ist« (incarn. II. T. 3. C. 3.), oder, wie es Böhme – das. 2. – deutlicher sagt, indem er seine Auffassung des Geistes anders formulirt: »dieser Geist ist die ewige Vermögenheit des Ungrundes, da sich der Ungrund in Grund führet«. (Ueber Böhmes »Ungrund«, dessen Herkunft von den Valentinianern und dessen Nachwirken bei Schelling s. Schopenhauers »Satz vom Grunde«, II. 8.). Man darf demnach den Böhmeschen Gott wohl definiren als eine potentielle Unendlichkeit von Kräften, die aber durchaus keine Vielheit sondern eine irrationale Einheit bildet, der ein Streben nach Actualisirung innewohnt. Dieses Streben ist teleologisch doppelt bestimmt, kosmisch und noetisch: als Streben nach Bewegung und als Streben nach Erkenntnis. Charakteristischerweise wird in Böhmes früheren Werken (so 3 Princ., 3faches Leben, sig. rer.) lediglich das erstere betont, während in seinen späteren (Theosc., Gnad.) das letztere in den Vordergrund tritt. Den Bewegungs- und Wechselwirkungszweck nennt Böhme »Spiel«, auch »Liebespiel« und »Freudenspiel«. »So müssen wir sagen, das sich die Kräfte des geformten und geoffenbarten Wortes in ihrer Liebesbegierde wieder in ein äusserliches Wesen einführen, nach aller Kräfte Eigenschaft, darinnen sie ihr Liebespiel als in einem Gehäuse verbringen können, dass sie etwas haben, damit und darinnen sie mit ihrem ringenden Liebespiel mit sich spielen« (Myst. Mag. 6. C. 3.). Für alle Bewegung und damit für alle Wirklichkeit ist Individuation Voraussetzung; um wirkend zu werden, müssen die »inneren Kräfte« »bildlich und formlich« werden (Clavis 105.). Gott in der Welt ist ganz Individuation; »das göttliche Wesen ist die Formung der Kräfte« (Myst. V. 2.). Tiefer – und an Weigel anklingend – begründet Böhme den Erkenntniszweck der Schöpfung. Das absolut Irrationale kann auch nicht einer ei g enen Ratio gegeben sein. »Der Wille des ewigen Ein ist unempfindlich« (Theosc. 3. C. 10.), d. h. empfindungslos, nicht erkennend. Präciser fasst Böhme das Problem in

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die Frage: »Wie mag in einem einigen Willen eine Erkenntnis seiner selbsten sein?« (das. 1. C. 11.). Gott als »die ewige Vermögenheit« kann sich selbst nicht erkennen17 ; er gelangt zur Erkenntnis erst durch die Actualisirung der in ihm ruhenden latenten Individuation, durch die »Offenbarung der Kräfte, dass in dem Einen eine unendliche Vielheit der Kräfte als ein ewiger Blick erscheine, au f d a ss d a s ew i g e Ei ne s chi ed li ch, em p fi nd li ch [i. e. empfindend], fü hlend u nd wes ent li ch s ei .« (Gnad. 2. C. 20.) Durch die Selbsterkenntnis Gottes vollzieht sich zugleich die Selbsterkenntnis und wechselseitige Erkenntnis der Individuationskräfte, die in Gott alle »inne liegen«, ohne dass eine von der anderen erkannt wird (incarn. II. T. 3. C. 1.). Dass die Ewigkeit sich zur Schöpfung bewegt, bewirkt zugleich, dass die Kräfte sich zu einander und gegen einander bewegen und dass sie einander und sich selbst erkennen, »sich selber offenbaren, finden und empfinden« (Gnad. 2. C. 28.). Wie in Gott selbst, so ist auch in jeder seiner Kräfte der Wille zur Gestalt, jede Kraft ist in ihrer Potentialität eine »Gestalt im Geiste«, und jede Gestalt im Geiste »ist eine Imagination, ein begehrender Wille, und begehret sich zu offenbaren« (incarn. II. T. 3. C. 2.). Und wie in Gott selbst, so ist in jeder seiner Kräfte das Streben teleologisch doppelt bestimmt: sie will sich »finden«, d. h. erkennen, und sich »offenbaren«, d. h. actualisiren (das. II. T. 5. C. 5.) Erst durch die Individuation wird die irrationale, »wesenlose« Einheit Gottes zur natürlichen Einheit, welche die Zusammenfassung und Beseelung aller Differentiirtheit ist. So geht erst aus dem Bestehen und Zusammenwirken absoluter Verschiedenheit die vollkommene Einheit hervor, »gleichwie eine Orgel von vielen Stimmen mit einer einigen Luft getrieben wird, dass eine jede Stimme, ja eine jede Pfeife ihren Ton giebt, und ist doch nur einerlei Luft in allen Stimmen, welche in jeder Stimme hallet, nachdem das Instrument oder Orgel gemacht ist« (sig. 16. C. 3. 18 ) Alle Dinge sind in Gott »Ein Leib in vielen Gliedern« (3faches L. 11. C. 106.) und durch die innigste und bedeutsamste Wechselwirkung mit einander verbunden: ihr Sein beruht ganz auf ihrer Wechselwirkung, nur in dieser s i nd sie; jede Gestalt »ist der anderen Glied, und wäre eine ohne die andere Nichts.« (3 Princ. 11. C. 16.) Diese wechselseitige Bedingtheit und Wechselwirkung ist dadurch gegeben, dass derselbe Urwille in allen ist, in jedem aber in einer anderen Form individuirt. »Also gehet jedes Ding in seiner Harmonie, und wird von einem einigen Geiste getrieben, der ist in jedem Dinge wie des Dinges Eigenschaft ist« (sig. 16. C. 12.) 17. vgl. Eriugena: »Deus itaque nescit se quid est, quia non est quid.« De div. nat. II. 28. 18. vgl. Plotins Bild vom Lichte (Enn. I. l. 1. c. 8.)

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»Die Kraft der Herrlichkeit Gottes… lieget in jedem Dinge nach des Dinges Eigenschaft im Centro verborgen« (Gnad. 3. C. 29.) Gott geht in die Schöpfung ganz ein, so vollkommen, dass man diese mit seinen actualisirten Kräften identifiziren darf. Die Welt ist restlos der individuirte Gott. »Auch siehest du, wie die Natur nicht von den Kräften Gottes unterschieden werden könne, sondern es ist Alles Ein Leib,« 19 heisst es schon in der »Aurora« (23. C.) Wenn Böhme sich anderswo (sig. 8. C. 56.) gegen die Behauptung verwahrt, er halte die Natur für Gott, so mag dies zum Teil an den Nöten einer dem freien Bekenntnisse feindlichen Zeit liegen und die Worte »ich schreibe nicht heidnisch, sondern theosophisch« (das.) drängen die Vorstellung der Verteidigung vor einem Ketzergerichte auf; zum Teil wird man dies zu den mancherlei sonstigen Widersprüchen Böhmes zählen dürfen, die in dieser Darstellung nicht berücksichtigt werden können. Ist nun Gott in der Schöpfung ganz, so ist er es auch in jedem Ding: »Gott ist nicht abteilig, sondern überall ganz, und wo er sich offenbaret, da ist er ganz offenbar« – ein Gedanke, den wir bereits bei Cusanus kennen gelernt haben. Da aber Gott alle Wesenheit umfasst, so muss auch jedes Ding alle Dinge in sich tragen, und zwar so wie Gott vor der Schöpfung: »in der Temperatur«. In jedem Dinge liegen alle Eigenschaften, aus denen die Welt besteht, latent. Diese Auffassung, die wir ebenfalls bei Cusanus fanden und bei Leibniz seinem System eingefügt wiederfinden werden (»Obgleich jeder eigene Selbstbestand ohne Teile, so sind doch in ihm andere Dinge eingedruckt, und in allem und jedem steckt alles, doch mit gewisser Kraft der Klarheit« 20 ), hat sich Böhme erst in seinem letzten grossen Werke, dem Mysterium Magnum, zu eigen gemacht. »Ein jeder Stern«, heisst es da (13. C. 9.), »hat aller Sterne Eigenschaften in sich, aber in der Natur verborgen, und ist nur in einer einigen Eigenschaft offenbar«. Oder noch prägnanter (das. 2. C. 6.): »Wenn ich einen Stein oder Erdklumpen aufhebe, und ansehe, so sehe ich das Obere und das Untere, ja die ganze Welt darinnen, nur, dass an einem jeden Dinge etwa eine Eigenschaft die grösste ist, danach es auch genennet wird. Die anderen Eigenschaften liegen all miteinander auch darinnen, allein in unterschiedlichen Graden und Centris, und sind doch alle Grade und Centra nur ein einiges Centrum, es ist nur eine einige Wurzel daraus alles herkommt.« Ist Böhme zu dieser Auffassung demnach erst spät gelangt, so hat er doch schon früher die alte Lehre vom menschlichen Mikrokosmus in dieser Richtung ausgebildet; neben der 19. vgl. Eriugena: »non duo a se ipsis distantia debemus intelligere Dominum et creaturam, sed unum et id ipsum.« 20. Von der wahren theologia mystica. Ueber Böhmes Einfluss auf Leibniz vgl. Peip, S. 158-179, der aber die Zusammenhänge nicht darzustellen weiss.

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»Gnadenwahl« (»das Ens aller Kreaturen lag im menschlichen Ente in der Temperatur«, V. 29.; »alle Eigenschaften in dem Spiritu Mundi haben in dem Menschen geoffenbaret«, VII. 1.; »dass im Menschen die ganze Creation lieget«, VIII. 41.) kommen hier namentlich zwei Schriften in Betracht, die sonst sehr geringe philosophische Ausbeute liefern, die »II. Schutzschrift wider Balthasar Tilken« und die »6 Puncta theosophica«; in den letzteren ist insbesondere 9. C. 34. bemerkenswert, wo von der individuellen Entwickelung des Menschen als von einem »Erwecken« dieser oder jener Eigenschaften gesprochen wird. 21 Doch hat Böhme diese Betrachtungsweise seinen übrigen Ideen unvergleichlich loser eingefügt, als Cusanus seinem System, und er versagt somit gerade da, wo der für uns wesentliche Teil des Problems ansetzt. Es muss aber hervorgehoben werden, dass die Individuation für Böhme nicht etwas Geschehenes und Abgeschlossenes ist, sondern sich als unaufhörliches Werden über den gesammten Weltprozess erstreckt. Gott schafft nicht bloss die Welt; er schafft auch in der Welt, so vollkommen er in sie eingegangen ist, und in jedem Wesen. »Also stehet jetzo noch auf heute alles Ding in dem Schaffen« (3 Princ. 23. C. 25; ähnlich Myst. 11. C. 9.) Gott bleibt auch in der Natur das dynamische Individuationsprincip; er ist »die ewig-gebärende Kraft« (Myst. 7. C. 5.). Er ist dies, wie Böhme in eigenartiger Ausdeutung des Bibelwortes ausführt, dadurch, dass er jedes Ding zu einem Gleichnis des ewigen Geistes gemacht, d. h. eben sich in jedes Ding ganz eingeführt hat (sig. 8. C. 2.). So ist in jedem Ding, wie in dem vorweltlichen Gott, Potentialität und Wille zur Actualisirung, »Geschöpf« und »gebärendes Wesen« (Gnad. 3. C. 38.). Wie der Gott-Schöpfer immer wieder Separator genannt wird (so Theosc. 3. C. 18, 47. Sendbrief 11., Clavis 67.), weil er aus seiner Potentialität in »Schiedlichkeit« eingeht, 22 so hat jedes Wesen seinen »eigenen Separatoren, Scheider und Macher in sich, und ist in sich selber ganz nach Eigenschaft der ewigen Einheit« (Theosc. 3. C. 10. 23 ), d. h. es arbeitet daran, von dem potentiellen All, das es in sich trägt, immer mehr zu verwirklichen und seiner Individualform gleichsam einzuverleiben: in jedem Ding »arbeitet das Innerliche stets zur Offenbarung« (sig. 1. C. 15.), jedes versucht, »seine innere Geburtsgestaltnis«, d. h. seine in der Schöpfung angelegte Form möglichst vollkommen, mit möglichster Ausgestaltung 21. vgl. Paracelsus V 158, IX 29. 22. zur Terminologie vgl. Paracelsus, Phil. ad Ath. I. 10. – 23. vgl. auch 47. Sendbr. 27. »dass ein jedes Kraut seinen eigenen Separator in sich hat, der es also machet, und in Form scheidet«, und De test. Christi, Von der Taufe II. Buch 3. C. 19. »wie der Separator oder Archaeus des Dinges ist, davon es urständet.«

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der Potentialität, zu realisiren (das. 9. C. 1.). Hier finden wir bei Böhme die Archeuslehre des Paracelsus wieder, deren metaphysische Seite er ausgebildet hat, wie der ältere van Helmont die biologische, ohne ihren dynamistischen Charakter zu verleugnen. Während aber van Helmont die Gegensätzlichkeit der Archeen, als ein Streben nach gegenseitiger Vernichtung auffasst und einen Kampf ums Dasein oder besser um die Macht, zwischen allen Wesen construirt, 24 sieht Böhme in dieser Gegensätzlichkeit nur ein neues Element im Dienste der Individuation und Aktualisirung. Je mehr jedes Wesen von seiner Potentialität in Individualform umsetzt, desto vollkommener wird die göttliche Individuation. Diese Umsetzung vollbringt aber nicht bloss jedes Ding aus sich, sondern gerade die Gegensätzlichkeit und wechselseitige Gegenbewegung der Dinge trägt dazu bei, in jedem die Kräfte gewissermassen hervorzulocken und zur Betätigung anzutreiben, und so die Anlage jedes Wesens zu realisiren. »Es ist in der Natur immer eines wider das andre gesetzt, dass eines des andern Feind sei, und doch nicht zu dem Ende, dass sich’s feinde, sondern dass eines das andre im Streite bewege und in sich offenbare, auf dass das Mysterium Magnum in Schiedlichkeiten eingehe« (Gnad. III. 22.). Und wie die Bewegung der Dinge gegen einander, so dient auch die Bewegung der Dinge zu einander der Individualisirung. Die Bewegung der Dinge zu einander beruht auf dem Streben, in die Einheit des Urzustandes zurückzukehren, das dem Streben nach Differentiirung parallel läuft. »Es ist im Anfang der Schöpfung, alles aus einem Wesen erboren… darum ist je ein heftiger Hunger in einem jeden, eines nach dem andern« (3 Princ. 8. C. 40.). Daraus entstehen alle Verbindungen im Kosmos, wobei Böhme insbesondere sowohl an die chemischen als auch an die biologischen denkt. »Ein jedes Wesen sehnet sich nach dem andern, das Obere nach dem Untern, und das Untere nach dem Obern, denn es ist von einander entschieden, und in solchem Hunger empfahen sie einander in der Begierde« (Clavis 110.) Diese Verbindungsprozesse führen aber nicht zur Aufhebung, sondern zur Steigerung und Erweiterung der Individuation. »Also führet der Separator jedes Willens wieder Eigenschaften aus sich aus, davon die unendliche Vielheit entstehet.« So werden in Böhmes Auffassung beide empedokleischen Urkräfte zu individuirenden Mächten. Alle Gewalten der Natur dienen der Actualisirung. Die »Natur dieser Welt arbeitet mit höchstem Fleisse, dass sie möchte himmlische Form hervorbringen«. Daraus erst kann man Böhmes vielfach missverstandenes Wort von »den zweierlei Willen in Gott« (3faches L. 7. C. 43.) recht begreifen. 24. Windelband, Gesch. d. neueren Phil. I. 52., schreibt diese Auffassung schon Paracelsus zu; nicht ganz mit Recht, da dieser sie nur hie und da flüchtig andeutet; vgl. hingegen van Helmont, Opera, ed. Amst. 1652, S. 144/5, 468, 473, 503, 519, 523 u. a.

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Der eine, den Böhme unter dem – schon oben in diesem Sinne erwähnten – Gleichnisse des Lichtes darstellt, ist das ewige Streben nach Aktualisirung, nach Individuation, nach der Verwirklichung Gottes. Der andere, den Böhme mit dem Feuer vergleicht und den er (das.) nur der Natur, nicht aber dem vorweltlichen Gotte zuerkennt, der »alles an sich ziehend und fressend« ist, stellt das der Natur innewohnende Streben nach Selbstvernichtung, nach Rückkehr in den Urzustand dar, das mit jenem so unlösbar verbunden ist, wie das Feuer mit dem Licht. Aber auch er muss mittelbar dem anderen dienen. Sein Wesen ist: »über das Licht ausfliegen und nicht können«. Er will vernichten und muss individuiren. Er »begehret alles zu fressen und ein Nichts zu machen« und ist doch nur ein Werkzeug des Licht-Willens, der »Wesenheit begehret und Wesenheit hält«. »Je höher er fliegt, desto höher ist das Licht.«

Gustav Landauer. »Da war ich selbst, da wollte ich mich selbst und erkannte mich selbst diesen Menschen machend und darum bin ich Ursache meiner selbst.« Meister Eckhart in Gustav Landauers Uebertragung.

Unsere Wertung der zeitgenössischen Persönlichkeiten würde eine starke Verschiebung erfahren, wenn wir jede einzelne auf ihren repräsentativen Gehalt prüfen möchten. Mancher der ersten wird unter die letzten geraten, wenn wir danach fragen, welches spezifische Verhältnis der Dinge oder zu den Dingen zu gestalten, welcher Grundstimmung des Lebens die Zunge zu lösen er berufen wurde. Versuchen wir von Zeit zu Zeit den sonst wohlberechtigten Kategorien zu entrinnen und aus der heimlichen und wahren Menschengeschichte heraus, die wir in unserem innersten Erleben vorfinden, zu urteilen, und uns werden als die wahrhaft entscheidenden Geister der Epoche die Befreier erscheinen, welche einen bisher noch in Dämmer getauchten Trieb, eine bisher noch nicht recht erschaute Beziehung in die Welt des Lichtes und der Wirksamkeit heben; vor allem aber die, denen der ganze große Reichtum der Formen, den ihre Seele trägt, gerade gut genug ist, um jenem Triebe, jener Beziehung zu Gewand und Schmuck dargebracht zu werden. Zu diesen scheint mir Gustav Land a u er zu gehören. Das, was der repräsentative Sinn seines Werkes ist, die Einsicht, daß alles wahre Wirken im tiefsten Zweifel wurzelt, alles echte Schaffen auf der radikalsten Negation ruht, alle reine Weltbejahung aus der letzten Verzweiflung herkommt, haben Philosophen und Mystiker zu allen Zeiten angedeutet, aber keiner hat diese Einsicht wie er für unser unmittelbares Lebensgefühl gewonnen und fruchtbar gemacht, bei keinem finden sich so hinreißend mannigfaltige Gestaltungen dieses Grundmotivs. Selten aber auch ist die Persönlichkeit selbst so ganz Ausdruck des Verkündeten; denn er wird nicht müde, Dogmen anzutasten, Antworten fragwürdig zu machen, Sicherheiten zu erschüttern, aber jedesmal weiß er an die Stelle des alten Dogmas ein neues Weltbild, an die Stelle einer alten Antwort eine neue Weltmetapher zu setzen, und er baut ein Reich der ungeglaubten, spielhaften, schaffensbewußten Illusion auf, da, wo aller Boden unter den Füßen gewichen ist. So sind hier der Grundinhalt des Gegebenen und der Grundtrieb des Gebers ein Einziges und Unteilbares. Das wird dem am überwältigendsten bewußt werden, der, bevor er Landauers Bücher kennen lernt, an seine zwei Aufsätze über den Anar-

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chismus herantritt, von denen der eine in der »Zukunft« vom 5. Jänner 1895, der andere in der »Zukunft« vom 26. Oktober 1901 erschienen ist. Diese zwei nebeneinander gehalten sind nicht bloß ein Stück Entwicklung, sondern eines der schönsten Dokumente menschlicher Selbstbefreiung. In dem ersten wird ein Dogma, das freilich von vielen für die freieste und rücksichtsloseste Aeußerung geistiger Fessellosigkeit – der andere Teil der Menschheitsmajorität sagt: Zügellosigkeit – gehalten wird, in möglichst undogmatischer Weise gelehrt. Der zweite aber ist ein großartiges Bekenntnis der errungenen Seelenkunde, daß auch dieses »Freieste« nur ein Komplex von Unfreiheiten ist. Es ist Unfreiheit, der autoritären Gewalt die »freie« Gewalt entgegensetzen zu wollen; nie kommt man durch Gewalt zur Gewaltlosigkeit. Die sind frei, die selbst keine Gewalt mehr üben. Es ist Unfreiheit, die anarchistische Gesellschaft der Menschheit aufoktroyieren zu wollen; »wer der Welt die Freiheit bringen will – das heißt eben doch: seine Auffassung von der Freiheit –, ist ein Despot, aber kein Anarchist.« Die sind frei, die sich zu innerst von allem Seelenzwange gelöst haben und nun mitten in der alten Gesellschaft eine neue zu stiften, mitten unter den anderen Völkern das Neue zu schaffen sich anschicken. Anarchie ist in Wahrheit eine Grundstimmung jedes Menschen, der aus sich ein neues Wesen formen will: er fühlt, daß jeder Wiedergeburt ein Tod vorausgehen muß, und er löst seine Seele in ihre Triebe auf, um sein Urältestes und Bestes zu finden und sie daraus als Werk, als Gewolltes neu aufzubauen. »Den nenne ich einen Anarchisten, der den Willen hat, nicht doppeltes Spiel vor sich selber aufzuführen, der sich wie einen frischen Teig in entscheidender Lebenskrise geknetet hat.« Und der so der Freieste ist, der ist auch am innigsten mit der Welt verbunden. Denn er läßt sein Innerlichstes in sich herrschen, das, worin das Leben all der Generationen von Wesen, aus denen er hervorgegangen ist, zu neuer, eigentümlicher Wirklichkeit geworden ist. »Dem wird die Welt sein wie er selbst und er wird sie lieben als sich selbst. Die werden untereinander leben als Gemeinsame, als Zusammengehörige. Da wird Anarchie sein.« Ist hier in der Frage des Zusammenlebens von Menschen und des reinsten Sozialgefühls Selbstschöpfung an Selbstzerstörung geknüpft worden, so geschieht dies in noch tieferem, noch fruchtbarerem Zusammenhange in der Erörterung von Problemen der Welterkenntnis, der das Buch »Skep s i s u nd My s ti k « 1 gewidmet ist. Das Buch hat zwei Fehler, die miteinander zusammenhängen: es ist nicht genügend aus den einzelnen Essays zu einer Einheit komponiert und es will als »Versuche im An1.

Verlag von F. Fontane & Co., Berlin 1903.

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schluß an Mauthners Sprachkritik« genommen werden, obgleich die das Werk Mauthners besprechenden Partien zu dem positiven und wesentlichen Inhalte in recht lose Beziehung gebracht sind, so innig sie auch genetisch gewesen sein mag. Dennoch ist gerade dieser Anschluß in einer Hinsicht überaus bemerkenswert. Mauthner ist vielleicht der radikalste, jedenfalls der intensiv und extensiv energischste Skeptiker unserer Zeit. So ist seine Sprachkritik für Landauer der geeignetste Unterbau zu seiner Mystik geworden. Wie er einmal von Egidy sagte, daß sein Wirken mit seinem Zweifeln wuchs, so kann mit größerer Berechtigung von ihm selbst gesagt werden, daß seine bauende Kraft desto stärker wurde, aus je tieferen Quellen der Skepsis er trank. Und diese Grundstimmung der schöpferischen Skepsis durchglüht das ganze Buch. Was ist mir am unmittelbarsten gewiß? Daß ich bin; und gehe ich von hier aus konsequent weiter, dann ist alles meine Anschauung und nichts als ich hat Realität. Aber ich will, daß die Welt sei; denn nicht als Einsamer unter Phantomen, sondern als Teil unendlicher Existenz will ich leben. Darum schlage ich meine einzige Gewißheit in Trümmer, und »baue mir eine neue Welt mit dem Bewußtsein, daß ich keinen Grund habe, auf dem ich baue, sondern nur eine Notwendigkeit,« und diese Welt ist mein, von mir geschaffen, für mich giltig, mit jener höchsten Giltigkeit, die das Schaffen allein verleihen kann. Das Gespenst der absoluten Wahrheit ist verscheucht; nur die Weltbilder der Einzelnen leben; und das ist ein Begreifen der Welt nicht mit dem Intellekt oder irgend einer losgelösten Funktion, sondern mit dem ganzen Reichtum des persönlichen Seins. Landauer gibt gleichsam zwei Teilskizzen zu einem solchen Weltbilde. Die eine gilt dem Individuum, die andere der Körperwelt. Wieder setzt er mit einer Tat der Skepsis an. Es gibt keinerlei Individuen, sondern nur Gemeinschaften; Individuen sind nur Schnittpunkte von Kreisen, Durchgangspunkte elektrischer Ströme, Glieder einer gewaltigen Kette, die vom Unendlichen herkommt und ins Unendliche weiterreicht. Die Generationen sind nur der Wellenrhythmus des großen Stromes; in jedem Einzelnen ist die ganze Vorfahrenwelt wirklich und wirksam, und zwar desto stärker, je mehr er sich von der Umwelt in sich selbst zurückzieht. »Was der Mensch von Hause aus ist, was sein Innigstes und Verborgenstes, sein unantastbares Eigentum ist, das ist die große Gemeinschaft der Lebendigen in ihm, das ist sein Geblüt und seine Blutgemeinde … Unser Allerindividuellstes ist unser Allerallgemeinstes.« Ist das Individuum demnach eigentlich nur eine Metapher unseres Selbstbewußtseins, so ist die Körperwelt nur eine Metapher unserer Sinne, und zwar eine allzu enge, denn sie kann das Physische nicht fassen. Wir können das rein Zeitliche, das seelische Geschehen, nicht als Raum dar-

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stellen. Wohl aber können wir alles Räumliche zeitlich darstellen, die Welt als Psyche, die Materie als Sinnbild seelischen Vorganges. Ist die Zeit nach Kant die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen überhaupt, während der Raum als Bedingung a priori bloß auf äußere Erscheinungen eingeschränkt bleibt, so ist uns damit der Weg zu einer neuen Weltmetapher gegeben, die der Welt gerechter wird und die Extensität der äußeren Dinge zum Bilde macht für die Intensität unseres Ichgefühls. In der Musik, der Formung des rein Zeitlichen haben wir schon die Vorahnung einer neuen Sprache. Zehn Jahre vor »Skepsis und Mystik« ist Gustav Landauers erstes Buch erschienen, das »Der To d es p red i ger« benannt ist. 2 Das ist ein recht jugendliches Buch mit recht ärgerlichen Schwächen und völlig entzükkenden Ursprünglichkeiten, stellenweise wie toll hingepatzt, und dann wieder von allergrößter Kraft und Geschmeidigkeit. Es hat Geschmacklosigkeiten, die peinigen, und ganz Leises, Zartestes, das an die Heimlichkeiten unserer eigenen Seele rührt. Es nennt sich Roman, ist aber alles eher als dies, und überhaupt sozusagen nichts Gescheites, aber ein prächtiges Ding. Es ist offenbar von einem geschrieben, dem das Leben in die entgegengehaltene Hand noch nicht eingeschlagen hat, und doch hat es einen hinreißenden Ton von Lebensüberwindung. Einheitliche Fügung ist hier nicht zu suchen, unmotivierte Länglichkeiten und unmotiviertes Abbrechen wechseln mit einander ab, Stile wirren durcheinander, der Anfang ist schematisch und der Schluß unzureichend, und fast ein Drittel des Buches bilden drei von der Hauptperson verfaßte Aufsätze, deren letzter die beiden vorhergehenden widerlegt. Dennoch ist eine tiefere und mächtigere Einheitlichkeit darin als in der großen Masse von glatten und wohlgerundeten Erzeugnissen, die heute Literatur genannt wird: die Einheitlichkeit des erlebenden Menschen. Man fühlt: hier hat einer sein innerstes Ringen und Erringen niedergelegt, noch zitternd von sich weggegeben. Ich möchte den »Todesprediger« das Buch der reinen Wandlung nennen. Es geht darin eigentlich fast nichts vor als innere Wandlung, und zwar Wandlung, die ganz rein gebracht wird, das heißt, ohne kausale Erörterungen, mit ganz wenigen Strichen, rein bildhaft, höchst undialektisch, in wohltuendem Gegensatze zu dem allzusehr auf das Sprechen gestellten Rest des Buches. Wie Karl Starkblom, der Sozialist, mitten in einer Versammlungsrede von einem »innerlichen Lachen und Aufbäumen« überrumpelt wird und nun ohne weiteres seinen Absagebrief an den Sozialismus schreibt, wie Karl Starkblom, der Todesprediger, Marguerite und den Sinn des Lebens lieb gewinnt und nun 2.

Zweite Ausgabe, Verlag von Heinrich Minden, Dresden und Leipzig (1903).

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wieder ohne weiteres seinen Absagebrief an den Tod unter dem Titel »Utopien« schreibt, das sind für jeden, der sie aufzunehmen versteht, unvergeßliche Seiten. Und so ist, wenn man alles zu allem nimmt, dieses Buch kein Kunstwerk, aber ein wirkendes Werk. Doch Landauer war auch das Kunstwerk gegönnt. Zehn Jahre nach dem »Todesprediger«, kurze Zeit nach »Skepsis und Mystik« erschien »Macht und M ä chte«, 3 beide Werke die Frucht dieser langen Pause (die literarisch nur durch Aufsätze in der damals von Landauer herausgegebenen Zeitschrift »Der Sozialist« und anderen Blättern, vor allem aber durch eine tapfere, rücksichtslose und bedeutungsvolle Tätigkeit im öffentlichen Leben repräsentiert war) und einer großen Entwicklung. Im »Todesprediger« hatte das Grundmotiv der fruchtbaren Negation die Form der Zerstörung und Aufbauung von Weltanschauungen in der ringend sich bemühenden Seele des Einzelmenschen angenommen. In den zwei Novellen, die das Buch »Macht und Mächte« bilden, webt sich dieses Grundmotiv in das Verhältnis des Einzelmenschen zu den einengenden, niederdrückenden, würgenden Mächten der Gesellschaft ein. Wenn man über die zweite die Landauer’schen Worte schreiben könnte: »Wir müssen uns selbst binden in dem Moment, wo wir alle Bande sprengen«, so kann der Sinn der ersten in den Worten zusammengefaßt werden: Wir müssen alle Bande sprengen, um uns selbst zu finden. Die Verbote aller Gesetze und Traditionen sind nichts als dürftige, jämmerliche Wörter für den, der sich eigenen Glückes vermißt; und die Frage Raskolnikows, ob ein nichtsnutziges Leben der Erhebung eines wertvollen geopfert werden darf, wird glühend und stürmisch bejaht. Der Atem freien Berglandes ist hier und das Sichdehnen entfesselter Glieder. Aber es ist die Freiheit dessen, »der sich wie einen frischen Teig in entscheidender Lebenskrise geknetet hat.« Haben wir das eine mal das Gefühl: seht, hier ist nicht geredete, sondern gestaltete Revolution, dann überkommt es uns das andere Mal, wie es doch ein Größeres gibt: gelebte Wiedergeburt. Jenes ist die eine und dieses die andere Novelle. Und mit der reinen herben Luft der Berge wird uns auch ihr Friede geschenkt. Aber wir kommen hier mit unserem Grundmotiv nicht aus, denn es tritt ein neues Element hinzu, und das ist Landauers Ku ns t . Wir haben schon gesehen, daß es eine errungene Kunst ist, mit der Kraft des Selbstgestalters aus den tiefen Möglichkeitsschichten der Seele emporgelockt und stetig wachsend. Von den beiden Novellen ist die erste mehr interessant als bedeutend, die zweite mehr bedeutend als interessant, das vollere Werk, die echtere Erzählung. In der ersten wird zu viel gesagt, in 3.

Egon Fleischel & Co., Berlin 1903.

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der zweiten ist alles verbildlicht. Die Bindung wird straffer, die Kontinuität strömender, der Stil eigen und einheitlich. Die erste Novelle erinnert zuweilen an Stifter, an Keller, die zweite aber ist wie eine Erzählung von Stifter oder von Keller: in sich erfüllt. Das Seelenleben der Menschen wird uns in »Arnold Himmelheber« zumeist mitgeteilt, in »Lebendig tot« wird es dargestellt. So waltet hier ein Aufstieg, der zu immer Höherem weist. Erzählen möchte ich diese Erzählungen nicht. Es sind in ihnen so kühne und stolze Dinge und in einer so kühnen und stolzen Art gesagt, daß alles Referieren ihnen nicht nur Unrecht tun müßte, sondern auch Gefahr liefe, in Karikatur zu verfallen. Schrankenloses Leben kann gestaltet, aber darf nicht beredet werden. Nur auf eines möchte ich aufmerksam machen: auf die Schilderung der jungen Leidenschaft in der zweiten Novelle. Die ist ganz und gar wundervoll und eine der schönsten Schöpfungen der deutschen Prosa. Landauers höchste Meisterschaft ist seine feine heimlich klangvolle Art, das Zueinander und Ineinander zweier Menschen darzustellen. Was vom einen zum andern an Ungesagtem und Unsagbarem zieht, was an stillstem Rausch und glühendstem Herzenslied die goldenen Momente mit Ewigkeit füllt, das gibt er leise und verschwingend oder stolz und feierlich, in einer Geste, in einem Gesang, und es ist restlos da. Das Wort ist hier dahin gebracht, der Ueberwindung aller Wörter zu dienen. Dennoch: Das Größte steht noch aus. Gustav Landauers Werk ist eine Verheißung. Und deshalb, glaube ich, ist die Einheit von Landauer dem Denker und Landauer dem Künstler, das, was man vielleicht als die Personalsynthese bezeichnen darf, noch nicht ganz offenbar. Er hat einmal den einen Anarchisten genannt, »wer den Trieb festgestellt hat, der er sein will und der sein Leben ist«. Dies potenziert sich nun bei Landauer in eigentümlicher Weise, da sein Grundtrieb, wie ich gezeigt habe, der ist, den man wohl den anarchistischen nennen kann: der Trieb zum Zerstören um des Schaffens willen, zum Entwerden um des Werdens willen. Dieser Trieb herrscht auch in Landauers Werk, durch das er in ewig neuer Gestalt schreitet. Nur in Landauers Kunst hat er sich noch nicht ganz eingeformt. Erst wenn dies geschehen sein wird, werden wir, wenn wir die repräsentativen Menschen dieser Zeit herausheben, die Ueberschrift prägen dürfen: Gustav Landauer oder der Anarchist.

Jüdische Märchen. Vor einiger Zeit erschien in diesem Blatte ein Aufsatz, in dem die Behauptung aufgestellt wurde, es gebe keine jüdischen Märchen. Der Verfasser sah darin merkwürdigerweise einen Vorzug unseres Volkes: es zeige sich darin der Wahrheitssinn der Juden. Ich würde in dem Fehlen einer Märchenliteratur keinen gesteigerten Wahrheitssinn, sondern lediglich einen Mangel an reiner und bildhaft gesammelter Phantasie erblicken können, wie denn ja den Deutschen, dem Volke der schönsten und edelsten Märchen, zugleich ein stürmisches Streben und Ringen nach Wahrheit und eine stille, starke Einbildungskraft eignet, während manches südliche Volk wohl zur bunten Lüge neigt, des eigentlichen Märchens aber fast völlig entbehrt. Dieses entsteht zumeist dann, wenn ein mächtiges transzendentales Bedürfnis sich mit einem ausgeprägten Sinn für das bildhafte Geschehnis vereinigt. Diese beiden Elemente sind aber bei den Juden gegeben: das erste in eminentem Maße, das zweite schwächer, selten voll ausgebildet, dennoch von unbestreitbarer Fruchtbarkeit. Das Fehlen einer Märchenliteratur hätte daher schwerlich volkspsychologisch erklärt werden können. Nun ist aber diese Voraussetzung ganz falsch und es wundert mich, wie der Verfasser jenes Aufsatzes zu ihr gelangen konnte; die ganze agadische und midraschische Literatur hätte ihn eines Besseren belehren können. Mag hier auch fast immer ein didaktischer Zweck der Erzählung zugrunde liegen, er ist oft so diskret gegeben, die Geschichte ist so sehr in sich geschlossen und wirkt so sehr durch sich selbst, daß wir sie keiner anderen Gattung als der des Märchens zuzählen können. Man denke etwa an die Erzählung von Salomo und Asmodai. Daran schließt sich dann die spätere »Maaße«-Literatur; so häufig hier auch Anlehnungen an deutsche und orientalische Motive zu finden sind, so enthält sie doch auch manche originale Erzählung, die zugleich den echten Märchenton hat. Ich möchte etwa an die Geschichte von Rabbi Chanina und dem Frosch erinnern. Ist so eine unleugbare, wenn auch spärliche Märchentradition gegeben, so enthält doch die erste jüdische eigentliche Märchensammlung nicht Volksmärchen, sondern künstlerische Schöpfungen eines Einzelnen. Es sind dies die »Sippure Maassijot« (Geschichten) des Rabbi Nachman ben Ssimcha von Bratzlaw, eines der merkwürdigsten und eigenartigsten Bücher der Weltliteratur. Rabbi Nachman war einer der bedeutendsten Vertreter des Chassidismus, jener mystischen Bewegung, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts das östliche Judentum ergriff und eine kurze, aber reiche geistige Blütezeit schuf. Der Chassidismus war eine Reaktion gegen die erstarrte rabbi-

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nische Lehre, ein leidenschaftlicher Protest gegen die seelenlosen Reste einer einst großen Lebensanschauung. Der Stifter des Chassidismus, Israel Baalschem, war der Urgroßvater Rabbi Nachmans. Dieser gehört der zweiten Phase der Bewegung an, die nicht mehr die innige Volkstümlichkeit der ersten hatte, aber die Mystik als Lebensform im Gegensatze zu allem Rationalismus stärker ausbildete, und die zugleich kirchlich-aristokratische Institutionen einführte, welche später am meisten zur Entartung des Chassidismus beitrugen. Rabbi Nachman, der Enkel Udels, der Tochter des Baalschem, wurde 1772 (dieses Datum entnehme ich persönlichen Mitteilungen Dubnows; A. S. Waldstein gibt in der Jewish Encyclopedia den 9. Oktober 1770, Gotthard Deutsch im Hebrew Union College Annual, Cincinnati 1904, den 7. Oktober 1771 als Geburtstag 1 an) in Miedzyborz geboren. In den Jahren 1798-1799 unternahm er eine Reise nach Palästina, deren psychologisch noch mehr als kulturhistorisch bedeutsame Schilderung von seinem Schüler Rabbi Nathan von Niemirow, dem Herausgeber seiner Märchen, nach seinem Tode veröffentlicht wurde (eine deutsche Uebertragung wird demnächst erscheinen). Bald nach seiner Rückkehr, 1802, ließ er sich als Haupt der Chassidim zu Bratzlaw nieder, lebte da, von Schülern umgeben und weithin seinen Einfluß ausübend, zugleich aber in heftigem Streite mit anderen Zaddikim, die ihn seiner Anschauungen wegen grimmig verfolgten, noch einige Jahre und zog dann nach Uman, wo er 1810 (nach Waldstein 1811) starb. Von seinen Werken ist hier nicht der Ort zu reden; nur die von seinen Schülern niedergeschriebenen, posthum veröffentlichten »Reden« (Ssichot) will ich erwähnen, eine wahre Schatzkammer tiefsinniger psychologischer, ethischer, religionsphilosophischer Aussprüche mitten unter naiven, ja manchmal roh abergläubischen Vorschriften und Ratschlägen (eine Auswahl in Uebertragung bereite ich vor). Die Märchen erzählte der Rabbi seinen Schülern bei mancherlei Anlässen, über die wir von Rabbi Nathan – insbesondere in seiner überaus interessanten Autobiographie, – Auskunft erhalten. Nathan war es auch, der sie niedergeschrieben und nach dem Tode seines Lehrers, 1815, in hebräischer und jüdischer Sprache veröffentlicht hat. Ueber die Treue dieser Niederschrift vermag man natürlich nicht zu urteilen, da keine Möglichkeit eines Vergleiches mit der ursprünglichen Erzählung gegeben ist. Aber allem Anscheine nach ist diese maßlos entstellt worden; denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß ein Mann von so wunderbar machtvoller Phantasie so gar keine noch so primitive Erzählerkunst besessen hätte: die in der Erfindung oft hinreißend reichen und farbigen Märchen lassen 1.

Deutsch eigentlich als Todestag, was aber offenbar auf einem Druckfehler beruht.

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Stil und Einheitlichkeit, Reinheit der Komposition und Prägnanz des Ausdrucks durchaus vermissen. Doch so wie sie sind, geben sie uns ein bewundernswürdiges Dokument des schöpferischen jüdischen Geistes, zeigen ihn uns in neuer ungeahnter Gestalt. Von den dreizehn, die das Buch enthält (später sind andere veröffentlicht worden, die aber zum Teil gewiß apokryph sind), sind einzelne fragmentarisch und verworren, zwei oder drei bilden fremde, zumeist morgenländische Motive aus, die übrigen sind von überraschender Fülle und Originalität. Wenn wir sie lesen, drängt sich uns immer stärker die Ueberzeugung auf: wer diese Märchen erzählen konnte, wer in einem so engen Milieu, bei so dürftiger erzählerischer Tradition einen solchen Born der Bildkraft, eine solche Macht des Fabulierens und eine solche Seelenmusik in sich trug, der wäre unter glücklicheren Umständen einer der ganz Großen, Ueberragenden geworden. Was er mit den Märchen wollte, war Belehrung; er wollte eine mystische Idee oder eine Lebensmaxime fest in das Herz seiner Hörer pflanzen; und ohne daß er es im Sinne hatte, gestaltete sich die Erzählung in seinem Munde, griff über den Zweck hinaus, trieb Blütengeranke von unerhörtem Reichtum. In Osteuropa, namentlich in Rußland, in mehreren Ausgaben weitverbreitet, ein wahres Volksbuch, sind die Sippure Maassijot im Westen fast gänzlich unbekannt geblieben. Dort von bedeutenden Forschern, wie Dubnow, als historische Erscheinung, von Repräsentanten der hebräischen Moderne, wie Berdyczewski, als künstlerisches Phänomen gewürdigt, sind sie hier allseitig ignoriert worden. Die Geschichten der hebräischen Literatur, die jeden Traktat des Rabbinismus, jedes Pamphlet der Haskala verzeichnen, nennen ihren Namen nicht. Weder Grünwald noch Wiener wissen von dem jüdischen Texte, dem ersten persönlichen Kunstwerke der Jargonliteratur zu berichten; Wiener stellt lediglich in seiner Bibliographie den Titel, ohne Angabe des Autors, an die Spitze des Abschnittes »Folklore«, wohin diese Märchen – so viel folkloristisch Interessantes sie auch bieten – gewiß nicht gehören; sie sollten vielmehr einen Abschnitt eröffnen, der »Anfänge der modernen jüdischen Prosadichtung« hieße. Kein Ostjude, der sie als Kind auf den Knieen seiner Mutter gehört hat, kann die Märchen je vergessen. Aber auch uns prägen sie sich machtvoll ein, graben den schlichten, starken Eindruck mit ewiger Schrift in unsere Seelen. Da ist die Geschichte von der verlorenen Königstochter, mit mancherlei Motiven aus dem deutschen Märchen, dann aber auch wieder mit recht eigenen Zügen; man lese nur, wie die Prinzessin ihren Schleier mit ihren Tränen beschreibt und diese Abschiedsbotschaft neben den schlafenden Jüngling legt, der ausgezogen war, um sie zu befreien und nicht

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standgehalten hat. Da ist die Geschichte von der fahrenden Kaiserstochter mit ihrer unerschütterlichen Treue und ihren kühnen Abenteuern, an Tausend und eine Nacht anklingend, aber mit einem in seiner innigen Knappheit eigentümlichen Schlusse: wie die Prinzessin den nach tausend Fährnissen wiedergefundenen Bräutigam mit den Worten begrüßt: »Und du, Königssohn, laß uns nach Hause zurückkehren!« Dann die urjüdische Erzählung von dem Stier und dem Widder, die einen mystischen Zusammenhang zwischen den Sternen einerseits und Talles und Tefillin andrerseits aufbaut. Daran reiht sich die tiefsinnige Legende von dem Rabbi und seinem einzigen Sohne, in einem ganz anderen Tone gehalten, nicht mehr eine fabelgraue Vergangenheit ausschmückend, sondern die Gegenwart des Erzählers verklärend. Und nun die ergötzliche Geschichte von dem Klugen und dem Einfältigen, die uns ein Stück der chassidischen Seele enthüllt und uns zugleich den Kampf zeigt, den es galt, gegen die einseitig entwickelte Geistigkeit der Juden, gegen die Suprematie des Verstandes zu führen; es ist die einzige Geschichte, der eine ausführliche Moralanwendung beigefügt ist: wie der Ueberkluge in eitel Beschwerden lebe, während es dem, der geraden und einfachen Sinnes ist, recht wohl ergehe auf Erden; besonders köstlich ist darin die Erzählung von der Lebensweise des Einfältigen: wie er in einem Stück Brod alle Leckerbissen der Welt kostet, in einem Schluck Wasser die erlesensten Getränke schmeckt, und die herrlichsten Gewänder an seinem Leibe spürt, wenn er seinen ruppigen Schafpelz anzieht. Dann wieder die tiefernste Geschichte von den sieben Eiden bei den sieben Wassern, die ein agadisches Motiv in farbenreicher Weise ausgestaltet. Ihr folgt das künstlerisch wertvollste der Märchen, die Geschichte von dem Königssohne und dem Sohne der Magd; ihre Grundidee ist die Bewährung echten naturgegebenen Königtums; diese Idee aber ist ohne alle Lehrhaftigkeit, rein bildhaft durchgeführt, und es ist überaus reizvoll, in welcher echt märchenhaften Art das dämonische Naturleben in das Schicksal der Menschen hineinwirkt. Nun kommen wir zu der Geschichte von dem Gebetsmann; es ist eine scharfe, helle, meisterhafte Satire auf die Macht des Geldes, aber wieder nicht didaktisch sich vordrängend, wie man erwarten möchte, sondern ganz und gar eingehüllt in ein buntes, prächtiges, bilderreiches Gewebe; wieder ein Dokument des Milieus und des Kampfes, der wie dem krankhaften jüdischen Geistesleben so auch dem nicht minder kranken und einseitigen jüdischen Wirtschaftsleben gegenüber Pflicht der führenden Männer, Pflicht dieser Mystiker und Revolutionäre war; aber zugleich eine unvergleichliche Schöpfung der jüdischen Phantasie. Und endlich, die Reihe abschließend, unvollendet, wie eine Torso gebliebene Symphonie wirkend, die Geschichte der sieben Bettler; denn die Bettler sind es,

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die erzählen; und von der spitzfindigsten Pilpulistik bis zur weichsten, zartesten Stimmung, von der kalten, raschen Zweckmäßigkeitskunde bis zur fernsten Träumerei ist es die ganze Skala des jüdischen Seelenlebens, die sie erzählen; aber über alles dominiert ein Ton, der durch das ganze Märchen geht: der Ton der Ekstase, der Verzückung, des Gottschauens – der chassidische Ton. Ich habe nicht alle Geschichten angeführt. Manche andere wäre noch zu nennen. Sie alle zusammen aber, in all ihrer Schönheit, in all ihren Mängeln – darf man sie nicht im wahrsten Sinne jüdische Märchen nennen?

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Eingesandt. Sehr geehrter Herr Redakteur!

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Besten Dank für das neue Heft des »Wegweiser für die Jugendliteratur, herausgegeben von der Großloge für Deutschland VIII U. O. B. B.«, das sie mir gleichzeitig mit der letzten Nummer des »Generalanzeigers«, in der mein Aufsatz über jüdische Märchen steht, zuschicken. Es ist in der Tat ein eigentümliches Zusammentreffen, daß gerade in diesem Heft des »Wegweisers« über »Das jüdische Märchen« geschrieben wird und daß der Verfasser die These, deren völlige Unrichtigkeit ich nachgewiesen zu haben glaube, wie etwas Selbstverständliches an die Spitze seiner Ausführungen stellt: »Die Tatsache kann nicht geleugnet werden: es gibt kein jüdisches Märchen«. Zweifellos sollte ein Organ, das die Aufgabe eines Wegweisers erfüllen will, mit solchen Behauptungen vorsichtiger sein. Aber noch entschiedener möchte ich mich gegen die Konklusion des Verfassers wenden, der die »Kommission zur Schaffung einer jüdischen Jugendliteratur« auffordert, »das jüdische Märchen« zu »schaffen«. Nein: wenn w i r d as jüdi sche M ärchen ni cht hät ten, ver mö chte kei ne Ko mm i ss i o n d er Welt es zu s cha ffen; man würde nichts zustande bringen, als künstliches, unecht wirkendes Zeug. Es genügt nicht, wie der Verfasser sich vorstellt, Esrog und Bsomimbüchsen in den Zusammenhang einer »märchenhaften« Erzählung zu bringen, um ein jüdisches Märchen zu machen; ebensowenig wie es etwa genügt (mancher glaubt es freilich) einen Bochur mit allen Einzelheiten seines Kostüms abzukonterfeien, um ein jüdisches Bild zu schaffen. Ja: noch weniger. Denn das Kunstmärchen kann nur aus dem Anschluß an eine Tradition entstehen, an deren Anfang das Volksmärchen steht; sonst wird es niemals rein und echt wirken. So stieg Goethes »Märchen«, so die der Romantiker aus den Tiefen volkstümlicher Ueberlieferung auf, so selbständige Erfindung sie auch beherrschte, so hohe Meisterschaft ihnen auch Form gab. Hätten wir keine solche Tradition, so müßte jedes etwa entstehende »jüdische« Märchen entweder unmärchenhaft oder unjüdisch ausfallen; und dasselbe wird der Fall sein, wenn jemand eines schreiben wollte, ohne die jüdischen Märchen zu kennen. Noch einmal also: Wenn wir das jüdische Märchen nicht hätten, könnte niemand es schaffen. Da wir es haben, kann es ausgestaltet, kann daran weitergebaut werden. So steht es auch wohl mit der jüdischen Kultur überhaupt. Dr. Martin Buber.

Die jüdische Mystik Rabbi Nachman von Bratzlaw, der 1772 geboren wurde und 1810 starb, ist vielleicht der letzte jüdische Mystiker. Er steht am Ende einer ununterbrochenen Ueberlieferung, deren Anfang wir nicht kennen. Man hat diese Ueberlieferung lange Zeit zu leugnen gesucht; sie kann heute nicht mehr angezweifelt werden. Man hat nachgewiesen, daß sie von persischen, dann von spätgriechischen, dann von albigensischen Quellen gespeist wurde; sie hat die Kraft des eigenen Stromes behauptet, der allen Zufluß aufnehmen konnte, ohne von ihm bezwungen zu werden. Freilich werden wir sie nicht mehr so ansehen dürfen, wie ihre alten Meister und Jünger es thaten: als Kabbala, Das heißt: als Uebergabe der Lehre von Mund zu Ohr und wieder von Mund zu Ohr, in solcher Weise, daß jedes Geschlecht sie empfinge, aber jedes in einer weiteren und reicheren Offenbarung und Ausdeutung, bis am Ende der Zeiten die restlose Wahrheit verkündet würde; doch werden wir ihre Einheit, ihre Besonderheit und ihre starke Bedingtheit durch die Art und das Schicksal des Volkes, aus dem sie heraufwuchs, anerkennen müssen. Die jüdische Mystik mag recht ungleichmäßig erscheinen, oft trüb, manchmal kleinlich, wenn wir sie an Eckhart, an Plotinos, an Lao-Tse messen; sie wird ihre Brüchigkeit nicht verbergen können, wenn man sie gar neben den Upanishads betrachten wollte. Sie bleibt die wunderbare Blüthe eines uralten Baumes, deren Farbe fast allzu grell, deren Duft fast allzu üppig wirkt und die doch eins der wenigen Gewächse innerer Seelenweisheit und gesammelter Ekstase ist. Die mystische Anlage ist den Juden von Urzeiten her eigen und ihre Aeußerungen sind nicht, wie es gewöhnlich geschieht, als eine zeitweilig auftretende bewußte Reaktion gegen die Herrschaft der Verstandesordnung aufzufassen. Es ist eine bedeutsame Eigenthümlichkeit des Juden, die sich in den Jahrtausenden kaum gewandelt zu haben scheint, daß sich die Extreme bei ihm an einander entzünden, schneller und mächtiger als bei irgend einem anderen Menschen. So geschieht es, daß mitten in einem unsäglich begrenzten Dasein, ja, gerade aus seiner Begrenztheit heraus plötzlich mit einer Gewalt, die nichts zu bändigen versucht, das Schrankenlose hervorbricht und nun die widerstandslos hingegebene Seele regirt. Für diese Macht des Unbegreiflichen in enger Stille mag uns die Gottesvision Elijahus ein Sinnbild sein. Ein Anderes, Wesentlicheres kam hinzu. Wenn jede Seele sich ihre natürliche Substanz aus den kräftigen, werthbetonten Bildern formt, die sie mit ihren Sinnen aufgenommen und mit ihrem Gefühl gefaßt hat, so muß der Seele des Juden von je her diese natürliche Substanz gefehlt ha-

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ben. Unvergleichlich mehr motorisch als sensorisch veranlagt, reagirt er auch in seinem ganz innerlichen geistigen Leben sehr viel intensiver, als er empfängt. Er gestaltet das Empfangene mehr zu Wortgedanken, Begriffen, als zu Bildgedanken, Vorstellungen, aus. Den vom Subjekt unabhängigen Gegenständen unendlich fremd, nur für die den Funktionen des Subjektes unterworfenen Gegenstände verständnisvoll (sogar für Spinoza ist die Natur m o r e g e o m e t r i c o darlegbar), existiert der Jude nicht in Substanz, sondern in Relation. Er hat den höchsten Sinn für die allgemeinen und offenbaren wie für die heimlichen und besonderen Beziehungen des Kosmos und der Psyche und weiß sie in mathematischen Formeln und in logischen Definitionen festzulegen oder in Rhythmen und Melodien auf das Meer der Ewigkeit auszuschicken. Aber er hat einen geringen Sinn für die ganze Wirklichkeit eines Baumes, eines Vogels, eines Menschen, der für sich ein absolutes, unerschöpflich reiches, so und so geartetes Dasein einschließt. Und sehr selten vermag er schaffend Dinge, Gegenstände, Gestalten sichtbar, greifbar, fühlbar hinzustellen. Und so verläuft auch sein Leben selbst nur in der Beziehung, nicht in dem Wesen: er opfert sich dem Nutzen hin, wenn er eine enge, er bringt sich einer Idee dar, wenn er eine weite Seele hat; niemals aber oder fast niemals lebt er mit den Dingen, sie geruhig pflegend und fördernd, liebreich zu der Welt und sicher in seinem Bestande. Es giebt jedoch ein Element, das all Dies in gewisser Weise ersetzt, indem es der Seele des Juden einen Kern, eine Sicherheit, eine Substanz giebt, allerdings keine sensorische, objektive, sondern eine motorische, subjektive. Das ist das Pathos. Ich vermag es nicht zu analysiren noch auch in eine Definition zu fassen. Es ist ein eingeborenes Eigenthum, das sich einst mit allen anderen Qualitäten des Stammes aus dessen Orte und dessen Geschicken heraus gebildet hat. Will man es immerhin umschreiben, so darf man es vielleicht als das Wollen des Unmöglichen bezeichnen. Es streckt die Arme aus, das Schrankenlose zu umfangen. Es trägt eine schlechthin unerfüllbare Forderung, wie das Pathos Mose und der Propheten die Forderung der absoluten Gerechtigkeit, wie das Pathos Jesu und Pauli die Forderung der absoluten Liebe; oder eine schlechthin unerfüllbare Absicht, wie das Pathos Spinozas die Absicht, das Sein zu formuliren; oder ein schlechthin unerfüllbares Verlangen, wie das Pathos Philons und der Kabbala das Verlangen nach der Vermählung mit Gott, die im Sohar »Siwwug« genannt wird. So wird die Seele, die in den wirklichen Dingen keinen Boden finden kann, von ihrer Leere und Unfruchtbarkeit erlöst, indem sie in dem Unmöglichen Wurzel schlägt. Kommt demnach die Kraft der jüdischen Mystik aus einer ursprünglichen Eigenschaft des Volkes, das sie erzeugt hat, so hat sich ihr weiter

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auch das Schicksal dieses Volkes eingeprägt. Das Wandern und das Martyrium der Juden haben ihre Seelen immer wieder in die Schwingungen der letzten Verzweiflung versetzt, aus denen so leicht der Blitz der Ekstase erwacht. Zugleich aber haben sie sie gehindert, den reinen Ausdruck der Ekstase auszubauen, und sie verleitet, Nothwendiges, Erlebtes mit Ueberflüssigem, Aufgeklaubtem durcheinanderzuwerfen und in dem Gefühl, das Eigene vor Pein nicht sagen zu können, am Fremden geschwätzig zu werden. So sind Schriften wie der »Sohar«, das Buch des Glanzes, entstanden, die ein Entzücken und ein Abscheu sind. Mitten unter rohen Anthropomorphismen, die durch die allegorische Ausdeutung nicht erträglicher werden, mitten unter öden und farblosen Spekulationen, die in einer verdunkelten, gespreizten Sprache einherstelzen, leuchten wieder und wieder Blicke der verschwiegenen Seelentiefen und Offenbarungen der letzten Geheimnisse auf. Das Pathos erniedrigt sich oft genug zur Rhetorik; diesem Sündenfall waren die Juden von je her ausgesetzt; und nicht immer nur die mittelmäßigen. Doch immer wieder macht sich das Pathos frei und ist reiner und größer als zuvor. Am Größten, wenn es die Gefahr erkennt, die ihm vom Worte droht. Sich mittheilend, weil es nicht anders kann, fühlt es doch die Unzulänglichkeit aller Mittheilung, fühlt die Unaussprechlichkeit des Erlebnisses und glüht auf in Angst, von der eigenen Rede geschändet zu werden. »Komm und schau!« heißt es im »Sohar«; »Denken ist der Anfang von allem, was ist; aber also seiend ist es in sich beschlossen und unbekannt… Das wirkliche Denken ist mit dem Nichts verbunden und löst sich nicht von ihm.« Und als ein fremder Greis den Jüngern Simeon ben Jochais, des legendären Urmeisters der Kabbala, die Unvergänglichkeit der Energie verkündet (»Nichts fällt ins Leere, auch nicht die Worte und die Stimme des Menschen; Alles hat seinen Ort und seine Bestimmung«), da fahren sie vor ihm zurück, aber sie fürchten nicht für sich, sondern für ihn, der gesprochen hat; sie reden zu ihm: »O Greis, was hast Du gethan? Hätte es nicht besser getaugt, das Schweigen zu bewahren? Denn nun bist Du davongetragen, ohne Segel und Mast, auf einem ungeheuren Meer. Wenn Du aufsteigen wolltest, könntest Du es nicht mehr; und im Niedersinken findest Du den Abgrund ohne Boden.« In der Zeit des Talmuds war die mystische Lehre noch ein Geheimniß, das man nur einem »Meister in Künsten und kundig des Flüsterns« anvertrauen durfte, und von den Essäern wissen wir aus Josephus, wie sorgsam sie das Mysterium behüteten und die geheimen Schriften, die ihnen als uralt galten. Erst später greift die Lehre über das Gebiet der Sekte und der persönlichen Uebergabe hinaus. Die erste uns erhaltene Schrift, das pythagoreisierende »Buch der Schöpfung«, ist wahrscheinlich zwischen

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dem siebenten und dem neunten Jahrhundert entstanden; und der »Sohar« stammt, jedenfalls in seiner jetzigen Redaktion, aus dem Ende des dreizehnten; zwischen beiden liegt die Zeit der eigentlichen Entwickelung der Kabbala. Aber noch lange bleibt die Beschäftigung mit ihr auf enge Kreise beschränkt, mochte sie sich auch über Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland bis nach Egypten und Palästina erstrecken. All die Zeit bleibt auch die Lehre selbst dem Leben fremd: sie ist Theorie im neoplatonischen Sinne, Gottschauen, und verlangt nichts von der Wirklichkeit menschlichen Daseins; sie fordert nicht, daß man ihr nachlebe, sie hat keine Fühlung mit dem Handeln, das Reich der Wahl, das der späteren jüdischen Mystik, dem Chassidismus, Alles bedeutete, ist ihr nahezu gleichgiltig; sie ist außermenschlich und berührt sich nur in der Betrachtung der Ekstase mit der seelischen Realität. Sie steht zwei anderen Mächten im Judenthum gegenüber, der harten, allem persönlichen Leben feindlichen, um das »Gesetz« besorgten Strenggläubigkeit und dem von Aristoteles bestimmten, naturfernen Rationalismus, aber sie setzt dem Ethos der einen und dem des anderen kein eigenes entgegen; und so dringt ihr Sinn nicht ins Volk. Erst in den letzten Zeiten dieser Epoche werden neue Kräfte offenbar. Die Vertreibung der Juden aus Spanien gab der Kabbala den großen messianischen Zug. Der einzige energische Versuch der Diaspora, im Exil eine Kultur schaffende Gemeinschaft und eine Heimath im Geist zu begründen, hatte in Trümmern und Verzweiflung geendet. Der alte Abgrund that sich wieder auf, und aus ihm stieg wieder, wie immer, der alte Erlösungtraum empor, ragend und gebieterisch wie nie zuvor seit den Tagen der Römer. Die Sehnsucht brennt: das Absolute muß Wirklichkeit werden. Auch der Messianismus der Juden war von je her ein Wollen des Unmöglichen. Die Kabbala konnte sich ihm nicht verschließen. Sie nannte das Reich Gottes auf Erden »die Welt der Vollendung«. Sie nahm die Inbrunst des Volkes in sich auf. Und als sie es that, zog sie ins Volk ein, wie der Messias selbst in seine Stadt. Die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts beginnende neue Aera der jüdischen Mystik, die den ethisch-ekstatischen Akt des Einzelnen als Mitschaffen an der Erlösung verkündet, wird durch Isaak Lurja eröffnet. Er, der hundert Jahre vor Locke lehrte, alles Seiende bestehe aus Substanz und Erscheinung und es sei keine objektive Erkenntniß gegeben, war in seinen Gedanken über die Emanation der Welt aus Gott und die demiurgischen Zwischenpotenzen fast durchaus von der älteren Kabbala abhängig; aber in seiner Darstellung der unmittelbaren Wirkung der Menschenseele, die sich läutert und vollendet, auf Gott und Welterlösung giebt er den alten Weisheiten eine neue Gestalt und eine neue Folge.

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Schon im Talmud heißt es, der Messias werde kommen, wenn alle Seelen in das leibliche Leben eingetreten sein würden. Die Kabbalisten des Mittelalters glaubten, zu erkennen, ob die Seele eines Menschen, der vor ihnen stand, aus der Welt des Ungeborenen in ihn niedergestiegen oder mitten in ihrer Wanderung bei ihm eingekehrt sei. Der Sohar und die spätere Kabbala bauten die Lehre aus, die wir bei Lurja endgiltig gefaßt finden. Es giebt danach zwei Formen der Metempsychose: den Kreisgang oder die Wanderung, Gilgul, und den Ueberschwang oder die Schwängerung, Ibbur. Gilgul ist das Eintreten von Seelen, die auf der Fahrt sind, in einen Menschen im Augenblick seiner Zeugung oder Geburt. Aber auch ein bereits mit einer Seele begabter Mensch kann in irgend einem Moment seines Lebens eine oder mehrere Seelen empfangen, die sich mit seiner vereinigen, wenn sie mit ihr verwandt, Das heißt: aus derselben Ausstrahlung des Urmenschen entstanden sind. Die Seele eines Toten verbindet sich der eines Lebenden, um ein unvollendetes Werk, das sie im Sterben lassen mußte, vollbringen zu können. Ein hoher abgeschiedener Geist steigt in ganzer Lichtfülle oder in einzelnen Strahlen zu einem unfertigen hinab, um bei ihm zu wohnen und ihm zur Vollendung beizustehen. So wird Prophetie geboren. Oder zwei unvollkommene Seelen vereinigen sich, um einander zu ergänzen und zu läutern. Kommt über eine dieser Seelen Schwäche und Hilflosigkeit, dann wird die andere ihre Mutter, trägt sie in ihrem Schoß und nährt sie mit dem eigenen Wesen. Auf allen diesen Wegen vollzieht sich die Reinigung der Seelen von der Urtrübung und die Erlösung der Welt aus der ersten Verwirrung. Ist Dieses gethan, haben Alle die Wegreise vollzogen, dann erst zerbricht die Zeit und das Gottesreich hebt an. Als letzte steigt die Seele des Messias ins Leben herab. Durch ihn geschieht die Vergöttlichung der Welt. Lurjas eigenthümliche That ist, daß er diesen Weltprozeß auf die Haltung einiger Menschen stellen wollte. Er verkündete, eine unbedingte Lebensführung Derer, die sich der Erlösung weihen, in Tauchbädern und Nachtwachen, in ekstatischer Betrachtung und absoluter Liebe gegen Alles und Alle, würde die Seelen gleichsam in einem Sturm läutern und das messianische Reich herbeirufen. Das Grundgefühl, dessen ideelle Aeußerung diese Lehre war, fand nahezu hundert Jahre später seinen elementaren Ausdruck in der großen messianischen Bewegung, die den Namen Sabbatai Zewis trägt. Sie war eine Entladung der unbekannten Volkskräfte und eine Offenbarung der verborgenen Wirklichkeit der Volksseele. Die scheinbar unmittelbaren Werthe, das heile Leben und der Besitz, waren plötzlich schal und nichtswürdig geworden und die Menge vermochte es, diesen zu verlassen wie ein überflüssiges Geräth und jenes nur noch mit leichter Hand zu halten

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wie ein Gewand, das dem Laufenden entgleitet und das er, wenn es ihn allzu sehr hemmt, die Finger öffnend fahren läßt, um nackt und frei das Ziel zu ereilen. Der vermeintlich von der Vernunft regirte Stamm entbrannte im Eifer um die Botschaft. Auch diese Erhebung brach zusammen, jämmerlicher und entsetzlicher zugleich als irgend eine der früheren. Und nun verinnerlicht sich der Messianismus wieder. Das eigentliche Zeitalter der Mortifikation beginnt. Der Glaube, durch mystische Uebung die oberen Welten zwingen zu können, dringt immer tiefer ins Volk ein. Um das Jahr 1700 vollzieht sich der asketische Zug der Fünfzehnhundert in das Heilige Land, der in Tod und Elend aufgeht. Aber auch Einzelne bereiten sich in rücksichtsloser Entäußerung. In Polen namentlich reift in Vielen der Wille, sich und die Welt zu entsühnen. Manche von ihnen ziehen, da keine einzelne Kasteiung ihnen genugthun kann, auf die Wanderung, »in die Verbannung«, wie sie es nennen, nehmen nirgends Speise und Trank an und wandern so, von ihrem Willen getragen, bis mit ihrer Kraft auch ihr Leben erlischt und sie auf fremdem Ort unter Fremden tot hinfallen. Diese Märtyrer des Willens sind die Vorläufer der letzten und höchsten Entwickelung der jüdischen Mystik, des um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entstandenen Chassidismus, der sie zugleich fortsetzte und widerlegte. Der Chassidismus ist die Ethos gewordene Kabbala. Aber das Leben, das er lehrt, ist nicht Askese, sondern Freude in Gott. Chassid bedeutet: der Fromme; aber der Chassidismus ist kein Pietismus. Er entbehrt aller Sentimentalität und Gefühlsostentation. Er nimmt das Jenseits ins Diesseits herüber und läßt es in ihm walten und formen, wie die Seele den Körper formt. Sein Kern ist eine höchst gotterfüllte und höchst realistische Anleitung zur Ekstase, als zu dem Sinn und dem Gipfel des Daseins. Aber die Ekstase ist hier nicht, wie etwa bei der deutschen Mystik, ein »Entwerden« der Seele, sondern deren Entfaltung; nicht die sich beschränkende und entäußernde, sondern die sich vollendende Seele mündet in das Absolute. In der Askese schrumpft das geistige Wesen, die Neschama, zusammen, sie erschlafft, wird leer und trüb; nur in der Freude kann sie wachsen und sich erfüllen, bis sie, alles Mangels ledig, zum Göttlichen heranreift. Niemals hat eine Lehre das Gottfinden mit solcher Kraft und in solcher Reinheit auf das Selbstsein gestellt. Wieder war es Polen, das sich schöpferisch erwies, und vor Allem die steppenreiche Ebene der Ukraine. Polen hatte eine feste, durch die fremde, verachtende Umwelt in sich gestärkte jüdische Gemeinschaft, und zum ersten Mal seit der spanischen Blüthe entwickelte sich hier ein eigenes Leben in Werken und Werthen, eine dürftige und gebrechliche, aber selbständige Kultur. Waren so die Voraussetzungen für geistiges Wirken

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überhaupt gegeben, so konnte eine mystische Lehre doch nur auf dem Boden der Ukraine emporwachsen. Hier herrschte seit den kasakischen Judenmetzeleien unter Chmielnicki ein ähnlicher Zustand der tiefsten Unsicherheit und Verzweiflung wie jener, der einst nach der Vertreibung aus Spanien die Kabbala verjüngte. Und dann war der Jude hier nicht, wie in den übrigen polnischen Ländern, ein Städter, der in dem engen rabbinischen Studium vertrocknete oder in der Atmosphäre der geschäftigen Masse verflachte, sondern meist ein Dörfler, einsamer und sich selbst näher, begrenzt im Wissen, aber ursprünglich im Glauben und stark in seinem Traum von Gott. Der Begründer des Chassidismus war Israel aus Miedzyborz, der »Baalschem« (Meister des wundersamen Gottesnamens) genannt wurde. Um ihn und seine Jünger spann sich eine farbenreiche und innige Legende. Er war ein schlichter, wahrhaftiger Mann, unerschöpflich an Inbrunst und lenkender Gewalt. Die Lehre des Baalschem ist uns sehr unvollkommen erhalten. Er selbst schrieb sie nicht nieder; und auch mündlich theilte er, wie er einmal sagte, nur Das mit, was ihn wie ein allzu volles Gefäß überquellen machte. Unter seinen Schülern scheint er keinen als würdig erfunden zu haben, seinen Gedanken restlos aufzunehmen; ein Gebet von ihm wird überliefert: »Herr, Dir ist bewußt und offenbar, wie Vieles in mir an Erkennen und Vermögen ruht, und da ist kein Mensch, dem ich es kundthun könnte.« Von Dem aber, was er lehrte, scheint das Meiste ganz unzulänglich niedergeschrieben worden zu sein, oft gänzlich entstellt. Beim Durchblicken einer solchen Niederschrift soll er einmal ausgerufen haben: »Hier ist nicht ein Wort, das ich gesagt hätte.« Dennoch ist der wirkliche Sinn seiner Grundlehren unverkennbar. Gott, so lehrt der Baalschem, ist das Wesen jedes Dinges. Wer, ungeblendet vom Schein, in das Wesen der Dinge schaut, Der schaut Gott. Gott spricht nicht aus den Dingen, sondern er denkt in den Dingen; und so kann er nur mit der innersten Kraft der Seele empfangen werden. Ist diese Kraft freigemacht, dann ist es dem Menschen an jedem Ort und zu jeder Zeit gegeben, sich mit Gott zu vereinigen. Jede Handlung, die in sich geweiht ist, mag sie noch so niedrig und sinnlos erscheinen dem von außen Herankommenden, ist der Weg zum Herzen der Welt. In allen Dingen, auch in den scheinbar völlig toten, wohnen Funken des Lebens, die in die bereite Seele fallen. Was wir das Böse nennen, ist kein Wesen, sondern ein Mangel; es ist »Gottes Exil«, die unterste Stufe des Guten, der Thron des Guten; es ist, in der Sprache der alten Kabbala, die »Schale«, die das Wesen der Dinge umgiebt und verhüllt. Es giebt kein Ding, das böse und der Liebe unwürdig wäre. Auch die Triebe des Menschen sind nicht böse; »je größer ein Mensch, desto größer

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ist sein Trieb«; aber der Reine und Geheiligte macht aus seinem Trieb »einen Wagen für Gott«, er löst ihn von aller Schale ab und läßt seine Seele sich daran vollenden. Der Mensch soll seine Triebe in ihren Tiefen fühlen und sie besitzen. »Er soll den Stolz lernen und nicht stolz sein, den Zorn kennen und nicht zürnen. Der Mensch vermag sich mit allen Wonnen zu kasteien. Er vermag zu blicken, nach welchem Ort er will, und sich nicht über seine vier Ellen hinaus zu verlieren; Worten des Scherzes zu lauschen und sich zu betrüben. Und so geschieht es, daß er hier sitzt und sein Herz ist oben, er ißt und vergnügt sich in dieser Welt und genießt aus der Welt der geistigen Seligkeit.« Das Schicksal des Menschen ist nur der Ausdruck seiner Seele: Der, dessen Gedanken an unreinen Dingen umherstreifen, erlebt Unreines; wer sich ins Heilige versenkt, erfährt das Heil. Des Menschen Denken ist sein Sein: wer an die obere Welt denkt, ist in ihr. Alles äußere Gesetz ist nur ein Aufstieg zum inneren; der letzte Zweck des Einzelnen ist, selbst ein Gesetz zu werden. In Wahrheit ist die obere Welt kein Außen, sondern ein Innen; es ist die »Welt des Gedankens«. Ist demnach das Leben des Menschen in jedem Punkt und in jeder Thätigkeit dem Absoluten geöffnet, so soll er es auch in Weihe leben. Jeder Morgen ist eine neue Berufung. »Er erhebe sich eilend und in Eifer von seinem Schlaf, denn er ist geheiligt und ein anderer Mensch worden und ist würdig, zu erzeugen, und ist wie Gott, der die Welten erzeugt.« Auf allen Wegen findet der Mensch Gott, und alle Wege sind voll der Einung. Aber der reinste und vollkommene ist der Weg des Gebetes. Wer in seinem Feuer betet, in Dessen Kehle redet Gott selbst das innere Wort. Dieses ist das Erlebniß; das äußere Wort ist nur sein Gewand. »Wie von brennenden Hölzern der Rauch emporsteigt, aber die schweren Theile am Boden haften und zu Asche werden, so steigt vom Gebet nur der Wille und die Inbrunst empor, aber die äußeren Worte zerfallen zu Asche.« Je höher die Inbrunst, je gewaltiger die Intentionkraft, Kawwana, desto unbedingter ist die Vereinigung. »Es ist eine große Gnade von Gott, daß der Mensch nach dem Gebet am Leben bleibt; denn nach der Natur müßte er sterben, weil er seine Kraft begraben und in sein Gebet eingethan hat wegen der Kawwana, die er hegt. Er denke vor dem Gebet, daß er bereit ist, zu sterben um der Kawwana willen.« Aber das Gebet soll nicht in Pein und Buße, sondern in großer Freude geschehen. Freude allein ist wahrhafter Gottesdienst. War die Ekstase der Kabbala nur ein Mittel, wandernde Seelen zu lösen, dem Messias zu rufen, der oberen Welt zu befehlen, so ist sie hier im Grunde sich selbst Sinn und Ziel geworden. Die Lehre des Baalschem fand bald Eingang ins Volk, das ihrer Idee

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nicht gewachsen war, aber ihr Gottesgefühl mitschwingend empfing. Die Frömmigkeit dieses Volkes hatte von je her einen Hang zum mystisch Unmittelbaren; sie nahm die neue Botschaft auf wie einen erhobenen Ausdruck ihrer selbst. Die Verkündung der Freude in Gott wirkte nach einem Jahrtausend freudenbarer, freudenfeindlicher Gesetzesherrschaft wie eine Befreiung. Dazu kam, daß das Volk sich bisher einer durchaus unfruchtbaren, der Wirklichkeit fremden, thatenlosen, aber nie angezweifelten »geistigen Aristokratie« von Talmudgelehrten gegenüber gesehen hatte. Nun wurde es mit einem Schlage von diesem Gegensatz erlöst und auf den eigenen Werth gestellt. Nun wurde ihm gesagt, nicht das Wissen entscheide über den Rang eines Menschen, sondern die Reinheit und Weihe seiner Seele; Das ist: seine Gottnähe. Die neue Lehre kam wie eine Offenbarung Dessen, was man bisher nicht zu ahnen wagte. Sie wurde wie eine Offenbarung aufgenommen. Natürlich sagte die Orthodoxie der neuen Ketzerei, der Chassidut, den Krieg an und führte ihn mit allen Mitteln, Bannspruch, Synagogenschließung und Bücherverbrennung, Gefangennahme und öffentlicher Mißhandlung der Führer, schrak auch vor Denunziationen an die Regirung nicht zurück. Dennoch konnte hier der Ausgang des Kampfes nicht zweifelhaft sein: die religiöse Starrheit konnte der religiösen Erneuerung nicht Stand halten. Ein gefährlicherer Gegner erstand dieser später in der Haskala, der jüdischen Aufklärungsbewegung, die im Namen des Wissens, der Zivilisation und Europas gegen den »Aberglauben« auftrat. Aber auch sie, die die Gottessehnsucht des Volkes widerlegen wollte, hätte der Bewegung, die diese Sehnsucht stillte, nicht eine Fußbreite Bodens abzuringen vermocht, wenn nicht im Chassidismus selbst eine Zersetzung begonnen hätte, die ihn zu der maßlosen Entartung brachte, in die er heute versenkt ist. Ihre erste Ursache bestand darin, daß der Chassidismus auch nach außen hin eine Forderung des Unmöglichen war: daß er vom Volk eine seelische Intensität und Sammlung verlangte, die es nicht besaß. Er gab ihm die Erlösung, aber um einen Preis, den es nicht zahlen konnte. Als die Brücke zu Gott wies er eine Reinheit und Geklärtheit des Blickes, eine Spannung und Konzentration des geistigen Lebens, deren immer nur Wenige fähig sind; er aber sprach zu Vielen. Und so entstand aus der Seelennoth des Volkes eine Institution von Mittlern, die Zaddikim (Gerechte) genannt wurden. Die Theorie des Mittlers, der in beiden Welten lebt und das Bindeglied zwischen ihnen ist, durch den das Gebet emporgetragen und der Segen herabgebracht wird, entwickelte sich immer üppiger und überwucherte zuletzt alle andere Lehre. Der Zaddik machte die chassidische Gemeinde reicher an Gottessicherheit, aber unendlich ärmer an dem einzig Werthvollen: dem eigenen Suchen und Eifern. Dazu kam der

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widerlichste äußere Mißbrauch. Zuerst wurden nur wirklich Würdige, meist Schüler und Schülersschüler des Baalschem, zu Zaddikim erhoben. Aber weil der Zaddik von seiner Gemeinde reichlich Lebensunterhalt bekam, um sich ganz seinem Dienst ergeben zu können, drängten sich bald niedrige Menschen zur Pfründe; und weil sie nichts anderes bieten konnten, verschafften sie sich durch allerlei erbärmliche Wunderthuerei ein Anrecht. Allmählich entstanden richtige Dynastien von Zaddikim. Mochte Deren Prachtliebe auch zuweilen der Größe nicht ermangeln, so riß doch zugleich eine unsägliche Gauklerei und Heuchelei ein, die die Reineren abstieß, die Bestimmbaren erniedrigte und die dunkelste Menge herbeizog. So artete der Chassidismus zuletzt in wüstes, lichtloses Sektenwesen aus.

Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom Nach einer alten Erzählung* Esther Schneerson-Feiwel zugeeignet.

In der Stadt Rom stand von Urzeiten her ein gewaltiger Turm, zu dem sieben eiserne Pforten führten, eine vor der andern. Jede einzelne war mit vielen mächtigen und kunstreichen Schlössern versperrt. Seit Menschengedenken gebot es der Brauch, daß jeder neue König an dem Tage, an welchem er die Krone empfing, der siebenten und äußersten Pforte zu allen übrigen noch ein neues Schloß anlegen ließ, und diese Sitte war so alt und so viele Geschlechter hatten ihrer gepflogen, daß allgemach der Grund, der sie gebot, in Vergessenheit gesunken war. So fügte es sich zu einer Zeit, daß ein Kaiser in der Stadt Rom verblichen war, und es kamen zu Rate alle, die durch Macht und Reichtum groß waren in der Stadt, und alle, die durch ihre Weisheit Ansehen hatten im Volke, daß sie sich vereinigen und den neuen Herrscher wählen sollten. Da geschah es, daß einer in ihrer aller Augen sich würdig und fähig erwies, und sie erhoben sich allesamt und begaben sich zu ihm und traten in sein Haus und sprachen: »Es ist des Volkes Wille, der dir durch uns kündet, daß du über uns herrschen sollst.« Er redete zu ihnen: »Ihr sehet mich bereit zu tun, wie ihr verlangt, auf daß ihr nicht leeren Angesichts von hinnen ziehet. Doch ehe ich meinen Nacken unter das Joch der Herrschaft beuge und die Bürde der Krone mir auflade, sollet ihr in einem Ding mir zu Willen sein. Ich verlange, daß ihr mit Siegel und Schrift euren Willen und den Willen des ganzen Volkes in meine Hand leget, euch ohne Widerstand dem ersten Gebot zu beugen, das ich als euer Kaiser über euch aussprechen werde.« Da sprachen sie zu ihm: »Sage uns, was gedenkst du über uns zu verhängen?« Er antwortete: »Kein Wort sollt ihr hören, bis ihr mit Siegel und Schrift euer Vertrauen mir dargebracht habet.« Und sie gingen hin und hielten Rat und redeten zum Volke: und es wurde beschlossen und geschah, wie der neu erwählte Kaiser es bestimmt hatte. Sie erhoben ihn alsbald auf den Thron und setzten ihm die Krone aufs Haupt. Und es *

Die Geschichte, der die Motive dieser Pessach-Legende entnommen sind, habe ich in einem hebräischen Büchlein gefunden, das außer ihr einige »neue Erzählungen« des Rabbi Nachman von Bratzlaw (1772–1810) enthält und danach betitelt ist. Die Quelle der sehr ungleich gehaltenen und offenbar aus einer ursprünglichen Überlieferung überarbeiteten Geschichte ist mir unbekannt.

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war am nächsten Tage, da sandte er und beschied alle Großen zu sich und sprach zu ihnen: »Vernehmet, es ist nur ein kleines Ding, was ich von euch verlange. Es ist nur, daß ihr den alten verschlossenen Turm, der sieben wohlverwahrte Pforten hat, mir öffnen möget, denn längst begehrt meine Seele zu wissen, was sich in ihm verbirgt.« Da stieg es in aller Herzen auf wie mit ei ner Gewalt und alle sprachen wie mit ei nem Munde: »Herr Kaiser, was ihr da aussprechet, dünkt uns ein schweres Vermessen. Denn so viele Herren seit undenkbaren Zeiten diese Stadt regierten, so war dennoch keiner unter ihnen, der das Begehren getragen hätte, den Turm zu öffnen. Vielmehr war es die erste Tat eines jeden, daß er ein Schloß hinzutat zu den ungezählten übrigen, dies alte Geheimnis mit immer mehr Erhabenheit zu wahren. Und siehe, nun stürmt dein Wunsch heran und will die Schranke niederreißen, die hundert Geschlechter errichtet haben. Uns bangt, es möge Übel und Unheil hervorgehen aus den geöffneten Pforten und über unsere Stadt und über unsere Häupter kommen.« Der Kaiser erbebte in heftigem Zorn und rief: »Sparet eure Worte. Es tut einzig not, daß ihr mir diesen Turm öffnet, daß ich in ihn eingehe und sehe, was in ihm ist.« Sie gingen hin und holten die Schmiede der Stadt herbei. Nach gewaltiger Arbeit taten sich die sieben Tore des Turmes auf und der Kaiser stählte sein Herz und ging als erster hinein. Ringsum standen Rat und Volk in Entsetzen und Erwartung. Dem Kaiser folgten nur einige seiner Männer. Er selbst durchwanderte den Turm von Gemach zu Gemach und ließ keinen Raum unerforscht, aber alle fand er leer bis auf den letzten, der als geheimnisvoller Kern inmitten lag. In ihm stand eine Truhe, gleißend, ganz aus hartem Golde, über und über von unlösbaren Zeichen bedeckt. Der Kaiser hob den Deckel, da wallte mannigfacher Geruch empor und erfüllte die Luft, betäubend wie der Atem der Erde im Frühling. Die Truhe aber war gefüllt mit allen Arten von Kräutern, welche die Lande bedecken in ihren Höhen und Tiefen, und sie waren grün und voll aufsteigenden Saftes, wie zu der Zeit, da eine Hand sich dem Erdboden genähert, und sie seinem Schoße entrissen hatte. Da befiel den Kaiser ein unermeßliches Staunen und er rief: »Wie mag es geschehen, daß diese Gewächse, die tausend Jahre und mehr ohne Nahrung und Licht in dumpfer Finsternis verschlossen waren, heute so frisch sind wie an dem Tage, an dem die frühe Sonne sie aus dem quellenden Erdreich gelockt hatte?« Aber es war nichts als ein großes Schweigen und ein großes Staunen rings um ihn. Da wandte er sich ab und befahl seinen Knechten, die Truhe auf ihre Schultern zu laden und in seinen Palast zu tragen. Alsogleich sandte er Boten in die Stadt und ließ die Diener aller Götter zu sich rufen und die Magier und Zeichendeuter und die Seher. Alle kamen und versammelten

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sich um seinen Thron. Und der Kaiser sprach vor ihrem Angesichte ein Gebot aus: »Es tut not, daß ihr mir das Geheimnis jener Kräuter ergründet, welche am heutigen Tage meine Hand aus dem Grunde des alten Turmes gehoben hat. Entziehet ihr euch meinem Befehl, so sollt ihr wissen, daß ihr euren Tod erwählt habet.« Da kam ein Erbleichen über aller Gesichter und ihre Stimmen flackerten wie ein Licht, über das der Wind hinstreicht, und sie redeten folgendermaßen: »Ewig lebe unser Herr, der Kaiser! Seine Gnade gewähre uns eine Frist, zu forschen und zu prüfen, was die Hand der Schreiber an alten Kunden niedergeschrieben hat, und was die Zeichen des Himmels eröffnen, ob es uns nicht gelingt, die Wurzel des Geheimnisses zu finden.« Der Kaiser antwortete ihnen: »Ich gewähre euch eines Mondes Umlauf. Wenn die Zeit sich erfüllt hat, sollet ihr vor mir erscheinen und Rechenschaft ablegen, wie ich euch geboten habe.« Sie schlichen von hinnen, aller Seelen in Zagen gehüllt, und versammelten sich in ihren Häusern und Tempeln. Sie nahmen die Lasten der Buße auf sich und versenkten sich den Tag über in die alten Schriften und erhoben allnächtlich ihre Augen zu den Sternen und horchten um die Zeit der Schatten auf die Stimmen der Wasser. Aber nirgends stieg ihnen die Kunde auf, und in Eitelkeit flossen die Tage dahin. Als der letzte Tag aber herankam, der mit seinem Sinken die Frist vollenden sollte, sammelte sich das ganze Volk um die Weisen, ließ von seiner Arbeit und von seinen Gepflogenheiten und gab sich dem Fasten und der Trauer hin, und wie eine gewaltige Woge stiegen die Hilferufe aller zu den Göttern auf. In jener Zeit aber lebte in der Stadt Rom ein alter Mann, der in seinem Leben ein Jahrhundert sich hatte erfüllen sehen und manches Jahr noch darüber zählte. Er hatte sieben Söhne und alle waren gerade nach dem Wunsche seines Herzens und waren in Weisheit groß geworden und von der Ehrfurcht der Menge umgeben. Sie gehörten zu den obersten Priestern der Götter. Und wiewohl sie alle mit Kindern und Enkeln begnadet waren und Häuser und blühenden Besitz ihr eigen nannten, und wiewohl sie jeder Tag zu dem Dienste der Götter in den Tempel berief, führte sie ihr erster Weg des Morgens, ehe sie den Gedanken der Welt in ihrer Seele Einlaß gewährten, zu ihrem alten Vater, ihn zu grüßen und seinen Segen zu empfangen. Aber an jenem letzten des vollendeten Mondes blieb der Greis zum erstenmal in den Tagen seines Alters verlassen, und erst am Abend, als die Söhne aus dem Rate nach Hause kehrten in der Fülle ihres Kummers, versammelten sie sich um ihren Vater. Da sprach er zu ihnen: »Meine Söhne, wodurch scheidet sich dieser Tag von allen Tagen, daß ihr nicht zu mir gekommen seid, auch nicht ei ner von euch, um mein Angesicht zu sehen, wie es euer guter Brauch ist?« Sie antworteten: »Herr,

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unser Vater, was sollen wir reden und uns rechtfertigen? Wisse, daß wir unserer Trauer hingegeben waren, erfüllt von unserer Sorge und unserem bösen Schicksal. Nach dieser Nacht tagt der Morgen, da wir von dir zurückgefordert werden und dich einsam lassen in der Zeit deines hohen Alters.« Und da der Alte ihre Worte vernahm, war es, als ob er durch die Lider ihrer Augen blicke wie durch Glas, und er sprach: »Bei eurem Leben, meine Söhne, lasset mich diesen ganzen Gegenstand hören.« Da erzählten sie ihm von dem Funde der Kräutertruhe in dem verschlossenen Turm und von dem Verhängnis, das der Mund des Kaisers über sie ausgesprochen hatte. Der Alte sprach: »Wenn dies eure Sorge ist, so sollet ihr ohne Trübsal und guter Dinge sein, denn das Geheimnis dieser Sache ist mir in seiner ganzen Tiefe kund. Morgen, wenn der Tag aufsteigt, werdet ihr mich vor den Kaiser führen und ich werde die Schleier vor ihm aufdecken und seine Augen sollen dieses Wesen in seiner Wahrheit erschauen.« Da fielen die Söhne ihrem alten Vater zu Füßen und küßten seine Hände und redeten zu ihm: »Es lebe deine Seele, wie du uns belebt hast.« Und sie gingen zu schlafen in Ruhe und Vertrauen. Am Morgen trugen sie ihren Vater auf ihren Schultern in den Palast des Kaisers und sie führten ihn vor den Thron und sprachen: »Unser Herrscher, um diese Stunde wird sich die Frist vollenden, die du uns gewährt hast. Siehe, wir sind gekommen, um dich das Geheimnis dieser Kräuter wissen zu lassen und ihren Endzweck.« Da nahm der Alte das Wort und redete also zum Kaiser: »Herr, neige mir dein Ohr und höre meine Rede, denn siehe, ich bin es, der den Grund dieses Dinges in Vollkommenheit kennt, wie er überliefert ist von Urzeiten von Mund zu Mund. Es war ein König über Rom und er war das vierte Geschlecht von Eliphas, dem Sohne Esaus, der erbaute jenen Turm mit den sieben erzenen Pforten und ließ jene goldene Truhe hineintragen und in sie legte er sechzig zehntausende Arten von Kräutern nach den sechsmalhunderttausend Seelen Israels, die aus Ägypten zogen. Und er tat über sie einen gewaltigen Spruch und einen zwingenden Zauber, daß all die Zeit, da die Kräuter in ihrer Grüne und Feuchtigkeit verharren werden, die Gewißheit sei, daß Israel bestehe und in der Welt verharre, wenn sie aber vertrocknen, so möge die Gewißheit sein, daß der Stamm Israels verdorre und von der Welt hinweggetilgt werde. Und er schloß die goldene Truhe in den letzten innersten Raum des Turmes und ließ die ehernen Tore versichern, auf daß keiner Eingang gewinne, die Kräuter zu tränken, auf daß sie in der goldenen Truhe kein Körnchen Erde fänden, daraus Leben zu saugen, auf daß kein Zug wärmender Luft in die dumpfen Tiefen des Turmes dringe. Dann erließ er ein Gebot, daß jeder, der nach ihm über Rom herrsche, der siebenten Pforte ein neues Schloß anfüge. So wollte er die Kräuter aus-

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dorren und Israel von der Erde vertilgen. Aber, du hast es gesehen, o Herr, der Zauber war ohnmächtig, denn in tausenden von Jahren ohne Licht und ohne Erde sind die Kräuter frisch geblieben wie die Seele Israels auf Erden. Aber nun beuge dein Ohr tiefer zu mir und ich will dir das letzte Geheimnis offenbaren. Es war einer unter meinen Urvätern, er war ein weiser Mann und ein Magier und hatte die Welt durchzogen in ihren Breiten, und siehe, er war auch in dem alten Lande der Juden gewesen, hatte seinen Fuß auf die Trümmer ihrer Burgen gesetzt und war Tag und Nacht in den öden Streifen umhergewandert. Eines Nachts hemmte die tiefe Dunkelheit seinen Fuß. Es war eine jener Nächte, in denen die Unirdischen die Elemente beherrschen und keinen Sterblichen dulden. Da suchte er Zuflucht in einer großen verlassenen Höhle und streckte sich auf den dürren Erdboden zur Rast. Aber es kam keine Ruhe über ihn, die Erde zitterte und tief unter sich im Innern der Felsen und hoch über sich in den Lüften vernahm er Geräusche wie Stimmen von Schatten, die Zwiesprache pflegen. Und er hörte ein Lachen, daß ihm das Herz bebte, und hörte die Stimme des Felsengeistes, die sprach: »Öffnet eure Augen und sehet jenen Zug von gekrönten Schemen, die wie getrieben über die Felsen hingleiten und keine Ruhe finden. Es sind die toten Könige, die den Turm bewacht haben, in dem das Schicksal Israels beschlossen ist. Erhebet euch, ihr Stimmen, und lachet der Toren, denn ihr Tun ist eitel und wird es bleiben allezeit. Denn wisset, in der Kette der Geschicke gibt es nur ei ne Art, daß unser Volk von der Welt vertilgt werde: wenn die Juden je die Haggadah lesen und die Festordnung der Pessachnacht abhalten würden, über jener Truhe, in der sechzig zehntausende von Kräutern ruhen zum Zeichen der sechsmalhunderttausend Seelen Israels, die aus Ägypten zogen. Sollte dies jemals geschehen, dann wird aus dem Leben der Kräuter ein Dämon geboren, der wird die Welt beherrschen und Israel vernichten. Wir aber mögen des gewiß sein, daß solches niemals geschehen wird, dieweil diese Schloß für Schloß an die Pforte hängen, die Truhe zu bewahren.« So sprach die Stimme des Felsengeistes und andere antworteten ihr und es sprachen die Stimmen der Lüfte und des Wassers aus ihrer Sehnsucht nach den Kindern dieses abgestorbenen Landes und aus dem Bangen um das Geschick der Zerstreuten und Verbannten. Also verbrachte der Wanderer die Nacht in Grauen und Staunen. Als er im Morgendämmern den Ort verließ, traf er auf zwei Hirten, die ihre Herden bergan trieben, und sie wandten sich schauernd von ihm ab und einer sprach zum andern: »Sieh diesen Fremdling, er hat in der Höhle des Propheten genächtigt.« Und als mein Ahn alt geworden war und seine Seele entfliehen fühlte, vertraute er das Geheimnis seinem ältesten Sohne und dieser dem seinen

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und so habe ich es von meinem Vater erfahren. Und nun vernimm, o Kaiser, du und ich sind die einzigen, die es kennen, denn ich habe es keinem meiner Söhne verraten.« Als der Kaiser die Worte des Alten vernommen hatte, entließ er ihn in Ehren. Und sogleich heischte er, daß die besten Gold- und Erzschmiede der Stadt gebracht wurden, und er zeigte ihnen die goldene Truhe, die er in dem Turm gefunden hatte, und er befahl ihnen, eine gleiche anzufertigen, die dieser ähnlich sei auf ein Haar, in der Form und in den Maßen sowie in der Schönheit der Arbeit. Und er befahl ihnen, bei Verlust ihres Lebens zu schweigen gegen jedermann, und gab ihnen Gold, so viel sie bedurften, und hieß sie an einem einsamen Orte seines Palastes arbeiten. Nach einer Zeit brachten sie die Truhe vor ihn, und es war alles so, wie er geboten hatte, und er entlohnte sie nach Gebühr und hieß sie gehen. Alsdann füllte der Kaiser den neuen Kasten mit edlen Steinen, Perlenreihen, wunderbaren Geräten und stolzem Reichtum aller Art. Dann rief er einen seiner Diener und sprach zu ihm: »Gehe in dieser Stunde hin und rufe mir den obersten Rabbinen der Stadt, den, welcher der Weiseste der Juden und ihr Meister ist, daß er alsbald zu mir komme.« Und als der kam, empfing der Kaiser ihn mit großer Ehre und rief seinem Gefolge zu: »Gehet hinweg, alle ihr Männer, von mir und lasset mich mit diesem allein.« Und so blieben die beiden allein, der Kaiser und der Weise. Und der Kaiser sprach: »Du weißt, es ist noch nicht lange, daß ich die Herrschaft angetreten habe. Gleichwohl kenne ich die Seelen aller Söhne meines Reiches und Bundes und weiß, daß sie Betrüger sind, Männer in denen keine Treue ist, und daß sie der Stunde harren, in der sie sich gegen mich empören wollen, meine Macht zu vernichten und mein Eigentum zu rauben. Ich will dir ein Geheimnis offenbaren und es sei beschlossen zwischen dir und mir. Siehe, ich habe diese Truhe angefüllt mit allem, was meine Hand gefunden hat an Edelsteinen und wertvollem Gerät, und zur Stunde begehre ich von dir, daß du die Truhe in dein Haus nehmest. Sie sei verborgen und geheim in deiner Macht und du sollst sie erstatten zur Zeit, da ich es gebiete. Denn ich weiß nicht, was der Tag gebären wird.« Und zugleich öffnete er den Kasten vor dem Weisen und zeigte ihm, daß er vielen Reichtums voll war. Dann sprach er: »Ich gebiete dir, daß diese Truhe ständig vor dir sei, du sollst auf sie achten mit offenen Augen, aber vor dem Blick der Fremden sollst du sie bewahren. Vollbringe auf ihr all dein Tun, sie soll dein Tisch sein, darauf zu lesen, zu essen und zu trinken, und sie soll dein Lager sein, darauf du deine Kissen bereitest, damit sie immer in deiner Gewalt sei. Deine Augen haben gesehen, daß sie all meine Schätze birgt. Von deiner Ehre werde ich sie einst wiederverlangen.« Der Rabbi antwortete: »Ich nehme das Wort des Kaisers auf mich und werde tun,

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wie mein Herr befiehlt.« Und der Kaiser sandte ihm die Truhe mit zweien seiner Diener zur Nacht ins Haus, aber er hatte ihn betrogen und jenen Kasten, der voll von Kleinodien war, mit dem andern vertauscht, den er mit Kräutern gefüllt in dem alten Turm gefunden hatte. Der Weise aber ahnte in seiner Gerechtigkeit und Einfalt nichts von dem, was geschehen war, und er ließ die Truhe in jenes Gemach seines Hauses stellen, in dem er sich stets zu verweilen pflegte. Er gedachte in Treue seines Versprechens an den Kaiser, sie war ihm Tisch und Lagerstätte und er ließ seine Augen nicht von ihr. Selbst in der Pessachnacht wollte er keine andere Tafel zum Seder bereiten, denn die Truhe. In der Stunde, da der Rabbi von dem Abendgebete nach Hause zurückkehrte, begab er sich mit all den Seinen zur Tafel. Und es stand der Rabbi und hob den Becher und begann den Segen über den Wein zu sagen und sprach: »Dieses sind die Feste des Herrn – –.« Und während er sprach, hörte er plötzlich in seinem Hause eine Stimme schreien wie aus großer Not, und die Stimme rief: »Gepriesen sei der wahrhafte Richter! Gesäuertes ist im Hause!« Da verstummte der Rabbi und stand bestürzt über das schlimme Wort. Und er überlegte in seinem Sinne und dachte: »Vielleicht ist es dennoch nur Täuschung und Trug meiner Sinne.« Und er nahm aufs neue den Becher in seine Hand und begann den Segen zu sprechen. Und wiederum ging eine große Stimme hervor und schrie: »Gepriesen sei der wahrhafte Richter! Gesäuertes ist im Haus!« Doch der Rabbi achtete ihrer nicht und sprach den Segen und trank den Becher angelehnt aus. Sobald er aber den Seder zu machen begann und die ungesäuerten Brote erhob, ging abermals eine Stimme aus, fürchterlicher als jemals eine Stimme erhöht worden war, und sie schrie: »Gepriesen sei der wahrhafte Richter! Gesäuertes ist im Hause!« Da standen sie alle auf und zitterten, und es sprachen die Söhne des Rabbi: »Wie lange, o Vater, wirst du noch schweigen zu diesem Dinge?« Da gingen der Rabbi und die Seinen aus, das Haus zu durchforschen, und sie suchten an allen Orten, aber sie vermochten nichts Gesäuertes zu finden und blieben ohne Rat. Da entbot der Rabbi einen Diener und hieß ihn zu allen Großen der Gemeinde, zu den Weisen und Rabbinen gehen, sie mögen zur Stunde und eilends bei ihm sich versammeln. So geschah es. Und der Rabbi empfing seine Gäste und sprach zu ihnen: »Beehret mich in dieser Nacht und machet den Seder der Haggadah mit mir.« Sie antworteten ihm: »Wir sind mit Freuden bereit, nach deinem Willen zu tun.« Sogleich setzten sich alle um die Truhe und begannen mit ihm den Seder zu machen. Da erhob sich aufs neue die Stimme und schrie, daß das Haus in seinen Grundfesten erbebte, und verkündete ihre Worte. Alle sprangen bleich und bestürzt von ihren Sitzen auf. Und der Rabbi sprach zu ihnen: »Nun habet ihr alle das Wort gehört.« Da

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nahm ein jeder von ihnen eine Leuchte in seine Hand, sie gingen und spürten und suchten abermals im ganzen Hause von einem Orte zum andern, aber nirgends vermochten sie Gesäuertes zu finden. Da kam die Not seines Herzens über den Rabbi und überwältigte ihn und er sprach zu seinen Gästen: »Wir haben das Haus durchsucht und rein befunden, und nichts haben wir ungeprüft gelassen, es sei denn diese Truhe, die unsere Tafel ist.« Und in der Ehrfurcht vor der Stimme, die er vernommen hatte, erzählte er seinen Genossen, wie dieser Kasten, das Eigentum des Kaisers, in sein Haus gekommen sei. Und wie sie den Deckel hoben, quollen Dämpfe aus ihr empor, feuerfarben und atemraubend, daß ihnen die Sinne beinahe schwanden, und es wallten immer neue Dämpfe, und verschlangen und wanden sich im Raume und allgemach schlossen sie sich zusammen und verdichteten sich. Und vor den Augen der Rabbinen entstand ein Geschöpf des Abscheus und des Schreckens, von nie gesehener Gestalt, anzusehen wie das Bild eines Mannes, aber mit Fängen und Flügeln wie die eines ungeheuren Raubvogels. Und das Wesen stand und zitterte in der Luft, gleichsam durchsichtig, und flackerte und schien seine Wirklichkeit nicht gewinnen zu können. Seine Augen waren fließendes Feuer ohne Kern und der Atem seines Mundes wie Eishauch und Nebel. In ihrer großen Furcht standen die Weisen verwirrt und bekümmert und jeder sprach zu seinem Herrn: »Was hat Gott über uns verhängt, daß er diese große Schrecknis über uns bringt in der geheiligten Nacht?« Der Rabbi aber begann mit starken Worten zu seinem Gott zu reden und seine Seele erhob sich in Rufen und Tränen. Da stieg eine Stimme, eine Tochter des Himmels, hernieder, und der Rabbi und alle, die dastanden, vernahmen sie, und sie sprach. »Es male der Rabbi mit seiner Hand auf die Stirn des Geschöpfes den heiligen Namen und er male den Namen auf dessen Herz und auf dessen Füße, und dieses Geschöpf wird sterben.« Da erhob sich der Rabbi und schrieb mit seiner Hand auf die Stirn des Geschöpfes den heiligen Namen, da sank der Kopf kraftlos zur Seite. Und er schrieb den Namen auf das Herz, da verging dem Wesen der Atem. Und er schrieb ihn auf die Füße, da sank es in sich zusammen und es stieg vor ihm wie eine Wolke auf und verflüchtigte sich im Raume. Da überkam alle, die zugegen waren, eine große Freude, daß die böse Kraft von der Welt vernichtet war. Und es sprach zu ihnen der Rabbi: »Dieser Tag ist ein Tag der Botschaft. Gehet hin in Frieden, ein jeder an seinen Ort.« Und sie gingen hin, ein jeder nach seinem Hause, und sie machten den Seder in großer Freude. Und in der Fülle der Freuden geschah es, daß kein Schlaf zu ihnen kam, und sie wachten die ganze Nacht. In der Morgenfrühe aber kamen Männer vom Kaiser, den Rabbi zu rufen, auf daß er die anvertraute Truhe zurückbringe. Auch der Kaiser

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hatte in dieser Nacht keine Rast gefunden und in unruhiger Erwartung auf das Licht des Morgens geschaut, um zu erfahren, welches große Wehe aus der Truhe hervorgestiegen und über das Volk der Juden gekommen sei. Als der Rabbi vor ihm erschien und ihm den Kasten übergab, eilte er sogleich hin und hob den Deckel. Da lagen die Kräuter frischer als vordem und sie hatten Knospen und Schößlinge getrieben. Da geriet der Kaiser in Verwirrung und fragte den Rabbi: »Ist diese Truhe bei dir geöffnet worden? Es tut not, daß du mir die Wahrheit sagest.« Und als er im Angesicht des Weisen die Furcht erkannte, sprach er: »Es schwört dir der Kaiser, daß du ruhig und sicher sein kannst und nichts zu fürchten hast, wenn du die Wahrheit kundtust.« Da erzählte der Rabbi die Geschehnisse der Nacht. Als der Kaiser solches vernahm, beugte sich seine Seele und er sprach: »Nun weiß ich, daß euer Gott immerdar mit euch ist und auf euch achtet, und in jeder Sorge, die über euch kommt, kümmert er sich um euren Kummer, und er vereitelt den Rat eurer Feinde.«

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Auf dem Hauptplatz einer Stadt im Lande Polen lag ein großes stattliches Haus, wohl sehr alt, aber aus seinen grauen Steinen fest und schmuck gefügt. Es war seit Menschengedenken unbewohnt und stand wie ein schlafender Koloß mit seinen geschlossenen Fensterläden und Türen. Die Familie, der es angehörte, wohnte seit vielen Jahrzehnten in einer entfernten Stadt und bekümmerte sich wenig um dieses Gut. Warum ihre Glieder es verschmähten, das schöne Gebäude zu bevölkern, wußte niemand in der Stadt. Wenn sie einen Grund hatten, war er wohl unter den Leuten längst vergessen, und sie selbst sprachen nie darüber. Aber immerhin blieb es höchst seltsam, daß das Geschlecht, das in allen seinen Generationen kinderreich und weitverzweigt war, es vorzog, fremden Besitz zu erwerben und sich dort niederzulassen, und höchst seltsam auch, daß sie niemals versucht hatten, einen Mieter zu finden, um so doch einigen Gewinn zu ziehen. Ganz leicht wäre ihnen das vielleicht auch nicht geworden, denn unter dem Volk liefen seit langem mancherlei dunkle Gerüchte über das Haus um, die durch einen merkwürdigen und traurigen Umstand, der sich vor einigen Jahren zugetragen hatte, noch vermehrt worden waren. Es geschah damals, daß ein kleiner mutwilliger Knabe, der durch den verwilderten Garten an der Rückseite des Hauses eingedrungen war, eines der niedriggelegenen Fenster zu ebener Erde erkletterte, den morschen Laden aufstieß, und so das Innere des Hauses betrat. Die Kinder, die mit ihm waren, hörten gleich darauf ein vielstimmiges Wehgeschrei heraustönen, Gepolter und Durcheinanderlaufen, aber im nächsten Augenblick sahen sie den Knaben, von unsichtbarer Hand geschleudert, im weiten Bogen durch das offene Fenster fliegen, hart zu Boden fallen, und als auch sie über die niedrige Mauer kletterten, um dem Gespielen aufzuhelfen, fanden sie ihn tot liegen. Die Leute, die durch ihr Weinen alsbald angelockt wurden, schenkten der Erzählung, die die Kleinen von dem Vorgang gaben, wohl nur geringen Glauben, aber dennoch blieb es sehr sonderbar, daß der kleine Junge, dessen Leiche man mit gebrochenem Genick antraf, durch den Sturz von so geringer Höhe auf den weichen Rasen sich hatte tödlich verletzen können. Immerhin wurden Haus und Garten von nun an noch mehr gemieden, und da und dort hörte man auch von verschiedenen Beobachtungen reden, die ein oder der andere späte Gänger im Vorübereilen gemacht hatte. Wochenlang nach dem traurigen Vorfall wollte man leises Wimmern allnächtlich aus dem Innern gehört haben, späterhin war Licht durch die Spalten, ja selbst eine leise Musik vernommen worden. Die klugen und aufgehellten Köpfe

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in der Stadt hatten freilich kaum mehr denn ein Lächeln für diese Mären. Trotz allem war das Erstaunen groß und allgemein, als man vernahm, daß einer der jüngsten Söhne aus der Familie der Eigentümer nächstens hier anlangen werde, um mit seiner neu angetrauten Frau sich in dem alten vergessenen Stammhaus seines Geschlechtes heimisch zu machen. Es hieß, daß der junge Mann ganz eigenmächtig zu dem Entschluß gekommen sei, dem Willen der älteren Familienglieder zuwider, die mit allerlei dunklen Worten dem Jüngling abrieten, indem sie sagten, daß ein Ahnherr in dem Hause Unseliges erlebt habe, und daß seither der Ort jedem ihres Geschlechtes zum Unheil werde. Der junge Mann traf alsbald ein. Das Haus wurde schnell von Arbeitsleuten aller Gattungen mit emsigem Treiben erfüllt, und in wenigen Wochen stand es von innen und von außen rein, glänzend und wohnlich da. Die wunderlichen Geschichten, die sich darum spannen, waren durch die Handwerker wieder belebt worden, die gar seltsame Dinge zu erzählen wußten. So hatte sich alsbald ein Jeglicher unter ihnen geweigert, den Keller zu betreten, nachdem mehrere ihrer Gefährten bei dem Versuch, dort einzutreten, mit Steinen und Erde beworfen, an den Haaren gezerrt und zu Boden gedrückt worden waren, ohne daß sie einen Menschen angetroffen oder auch nur Spuren menschlicher Gegenwart wahrgenommen hätten. Da blieb dem neuen Hauswirt denn nichts anderes übrig, als auf die Benützung des Kellers zu verzichten, da er, so wie er dalag, unsauber und verwahrlost, für den häuslichen Bedarf nicht zu gebrauchen war. Das mochte ihm wohl wenig genehm sein, doch hoffte er, im Laufe der Zeit, wenn die albernen Einbildungen der Leute, wie er es bei sich nannte, verraucht waren, andere Helfer zu gewinnen, die die Räume instand setzen und brauchbar machen würden. So zog er denn ein mit seinem jungen Weibe und all dem Hausgesinde, das er aus seiner früheren Heimat mit sich führte. Eine Weile ging es ganz friedlich und heiter in der neuen Ehegemeinschaft zu, nur geschah es mitunter, daß die junge Frau mitten in der Nacht erwachte und ihrem Mann erzählte, sie sei durch ein klagendes, bitterliches Weinen aus dem Schlafe aufgestört worden. Der Mann, der sein Weib zärtlich liebte, suchte auf alle Weise die Ursache zu erforschen, jedoch gelang es ihm nicht, da er selbst niemals einen Laut davon vernahm. Einmal trug es sich zu, daß sie vermeinte, es habe sie eine Hand nächtlicherweile schmerzhaft an dem langen Haar gezogen, das ihr über die Kissen hing, und ihr so die Ruhe verscheucht; und wieder ein andermal begab es sich, daß sie im Schlafe fühlte, wie ihr jemand, den sie indes nicht wahrnahm, heftig ins Gesicht blies, und als sie erwachte, waren ihr die Augen verschwollen,

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so daß sie sie gar nicht aufmachen konnte, und es währte einen ganzen Tag so an, ohne daß es ihr jedoch weh tat. Diese Dinge machten das junge, frische Weib bald blaß und über die Maßen schreckhaft, und der Mann wurde ernstlich besorgt. Da es sich aber alsbald zeigte, daß die junge Ehefrau schwanger war, war man geneigt, zu glauben, diese Sonderbarkeiten hingen nur mit ihrem Zustand zusammen, zumal viele andere Frauen sie beruhigten, indem sie erzählten, sie hätten zu der Zeit ebensolche und noch ärgere Einbildungen durchgemacht, und all das fände seinen natürlichen Abschluß. Indessen kam ein fröhliches Kindchen heil zur Welt und lebte, und die Mutter genas, ohne daß diese unerklärlichen Erscheinungen ein Ende gehabt hätten, ja vielmehr wurden sie nun auch von anderen wahrgenommen. So fand man das Kindlein zuweilen verkehrt in der Wiege liegen, das Gesicht in die Kissen vergraben, oder man fand es schlafend gar unter dem Bettchen auf dem Fußboden. Es geschah ihm wohl nie ein ernstliches Leid, doch durfte man es bald nimmer wagen, das Kleine auch nur einen Augenblick zu verlassen. Desgleichen stürzten in der Küche und in den Wohnräumen plötzlich ohne jeglichen Anlaß die Geräte von den festen Haken und Borden klirrend und polternd zu Boden, und zuweilen fanden die Dienstboten einen Tag lang kaum ein anderes Geschäft, als die Scherben zu entfernen. Wollte man sich zu Tische setzen, so kam wohl die Küchenmagd heulend gelaufen und jammerte, irgendein Bösewicht habe ihr just in dem Moment, als sie in die Speisekammer nach einer Zutat gegangen sei, Asche und Abfälle in die Eßtöpfe geworfen. Mitunter wurden alle Türen aufgerissen, und hastende Tritte huschten durch die Räume, ohne daß man irgend jemand sah, der das Geräusch hätte verursachen können. Schritt ein Hausgenosse des Abends über die Gänge, so wurde ihm der Leuchter gewaltsam aus den Fingern gerissen und an die Decke geschleudert, er stand im Dunkeln, unsichtbare Hände rissen und zerrten ihn an Haar und Kleidern, bis er kläglich um Hilfe rief oder sich zu den anderen zurücktastete. Weder der Herr noch der Knecht fanden Schonung oder Ruhe. Im Hause herrschte der verdrießlichste Mißmut, denn keiner war je sicher, seine Arbeit in Frieden vor den Quälgeistern verrichten zu können, seine Speise zu finden oder der Rast zu pflegen. Doch da sich nie ein ernstliches Unheil zutrug, sah man dem Treiben geraume Weile zu, insbesondere, da der junge Hauswirt sich nicht öffentlich beschämen wollte, indem er zugestand, daß seine Warner nun doch recht behalten mochten. Schließlich lagen ihm aber seine Hausfrau und das Gesinde gar hart mit ihren Beschwerden zu jeglicher Zeit im Ohr, so daß er hinging und einen weisen, alten Juden berief, damit der in sein Haus käme und die neckenden, boshaften Geister von der Schwelle banne. Der Alte kam und tat

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seinen Spruch, aber seine Rede erwies sich als sehr ohnmächtig und tat dem Treiben der Kobolde durchaus keinen Eintrag, ja reizte sie, da sie nun lebhaft empfinden mochten, wie ernstlich man es anging, sie von hinnen zu jagen, und sie trieben es noch viel ärger, verübten den buntesten Schabernack, so daß das Leben im Hause einem jeden schier unerträglich dünkte. Da lief der junge Herr des Hauses in seinen Nöten zur Gemeinde und bat um deren Rat. Die wies ihn an den vielgerühmten Rabbi Joel, den Wundertäter, der zu Zamosc hauste und von dem der Spruch ging, daß er Gewalt habe auch über die Wesen der unterirdischen Reiche. Allsogleich sendete der Bedrängte einen Boten nach Zamosc, und bald erschien der heilige Meister Joel und war zum Werk bereit. Zuerst hieß er die Einwohner das Haus verlassen und nur den Herrn mit sich darin zurückbleiben. Alsdann bereiteten sich die beiden einen Tag und eine Nacht im Beten und Fasten vor. Erst als die zweite Mitternacht nahte, entzündete der Heilige die Lichter, streute Kräuter in ein Kohlenbecken, und rief darauf mit mächtig gebietenden Worten die Geister auf zum Erscheinen, indem er ihnen den Namen des Bezwingers und Herrn aller Welten vorhielt, ihnen aber auch zugleich Gerechtigkeit verhieß und, wenn es in seiner Macht liege, die Erlösung von ihrer irdischen Gebundenheit. Alsbald war eine zitternde Bewegung in der Luft zu spüren, und es antwortete ihm eine Stimme: »Ich bin hier, der Herr der Meinen, des Geschlechtes jener Dämonen, das seit zwei Jahrhunderten dies Haus bewohnt. Wisse, daß Besitz und Recht unser ist, und nicht jener aus dem Geschlecht der Irdischen, die gekommen sind zu unserem Verderb und sich anmaßen, was unser ist. Du siehst uns bereit, unser Recht zu belegen. So schaff’ ein Gericht zur Stelle und gewähr’ uns Gehör und Spruch, wie du verheißen hast!« Da beschwor Rabbi Joel den Dämon, in der dritten Nacht zur selben Stunde am selben Ort sich einzufinden, allwo er ein Gericht vorfinden werde, seine Sache zu prüfen. Das war der Geist willens und sagte es ihm zu. Zur Stunde begab sich der heilige Meister ins Haus, gefolgt von den beiden Dajanim 1 , und auch der Herr des Hauses war anwesend. Rabbi Joel rief den Dämon an, und die Stimme meldete sich in der Luft und sprach: »Ich bin zugegen.« Es antwortete der Meister und redete: »So trag’ uns deine Sache vor, wie es der Brauch ist, und lass’ uns alles vernehmen, was not tut.« Und es erzählte die Stimme und wurde von allen gehört: »In alter Zeit war dies Haus einem jüdischen Mann zu eigen, der in 1.

Dajanim, die Stellvertreter des Rabbinen, die zusammen mit ihm als Schiedsrichter fungieren.

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seiner Jugend in vielen Landen umhergezogen war und in seinem Beruf, goldenes und silbernes Gerät und Schmuck zu treiben, auch edle Steine zu fassen und zur Wirkung zu bringen, eine wunderbare und weitgerühmte Geschicklichkeit erworben hatte. Er war nun schon in Mannesjahren, als er hierher in die Heimat seiner Kinderzeit zurückkehrte, dies Haus erbaute, sich mit eines frommen Juden Tochter vermählte und sich für alle Zeit hier niederließ. Er fand bald Zuspruch von den Mächtigen und Reichen des Landes, und manches edle Kunstwerk wurde unter seiner Hand geboren. Wohl war er – wie sein Benehmen wies – ein gläubiger Jude geblieben; dennoch schien den Leuten manches an seinem Haben und Gebaren allzu ungewohnt, so daß ihn jeglicher nur mit Scheu besah, gleich, ob er auch Reichtum und Ansehen genug hatte. Nun war es wohl so, daß der Goldschmied in der Enge der Stadt und ihrer Seelen nicht mehr recht mochte heimisch werden, hatte er doch in anderen Ländern viel des Köstlichen geachtet und erlebt. So mochte man ihn – war er nicht just mit allen Sinnen seiner Kunst hingegeben – oft im Garten oder sonst irgendwo vor der Stadt gehen und stehen sehen, der Wirklichkeit fern, in seine Träume und seine Sehnsucht vertieft, denn es litt ihn schwer am Orte. Er härmte sich unbändig in die Ferne, und dennoch durfte er nimmer ziehen, denn sein Haus, Weib und Kinder hielten ihn fest. Er stand einst, ganz in Gedanken versponnen, über den tiefen Brunnen gebeugt, den ihr im Winkel des Gartens noch findet, da kräuselte sich das Wasser, und es stieg ein lichtes, nacktes Weib herauf, setzte sich auf den Rand und lächelte, und sie gefiel ihm sehr und gewann ihm alsbald seine Seele so völlig ab, daß er nimmer von ihr lassen mochte. Da nahm er sie, die aus dem Geschlechte der Dämonen war, noch in derselben Nacht ins Haus und barg sie im Keller in einem heimlichen Gemach, das außer ihm keiner je betrat, wo er hinter eiserner Tür die Kleinode verwahrte, die ihm zur Arbeit zugebracht wurden. Da verblieb sie nun allezeit. Und es wuchs zwischen der Dämonenfrau und dem Menschensohne eine hohe Liebe, seine Seele war an die ihre gebunden, und er begehrte nimmermehr im Verborgenen seines Herzens, fortzuziehen. Sie lebten Jahre miteinander, die Freude wich nimmer von ihm, das fremde Weib aber brachte ihm Kinder aus seinem und ihrem Blute, die von Menschen- und Dämonenart zugleich waren. Er barg sie alle mit ihrer Mutter in der Tiefe des Hauses, und außer ihm wußte keine Menschenseele von ihrem Leben. Seine Ehefrau aber, die weder von Körper noch von Seele lieblich war, sondern ernst, karg und knapp, hart im Schalten und Befehlen im Hause, gewahrte wohl gleich anderen Menschen, daß an ihrem Manne manches

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Ungewöhnliche sei, aber sie gab sich in Gedanken wenig mit ihm ab und wußte sich dessen keine Deutung. Sie war es zufrieden, daß er für sie und ihre Kinder nach dem Brauche Sorge trug, und dankte es ihm, daß seiner Hände Arbeit ihren Reichtum stündlich mehrte. Auch pflegte er äußerlich die Gebräuche des Glaubens, nur zuweilen, wenn auch selten, kam es vor, daß ihn mitten im Gebete im Lehrhaus eine unbezwingliche Sehnsucht nach der Dämonin befiel, und er eilte nach Hause zu ihr. Aber es war niemand, der darum Acht hatte. Da trug es sich einmal zu, daß er mit den Seinen den Sseder 2 in der ersten Pessachnacht feierte. Inmitten des Mahles aber schien es ihm, er vernehme die Stimme der Dämonin, die ihn mit ihrem silberklingenden Lachen lockte. Da wurde ihm das Mahl zum Ekel, und er vermochte den Anblick der Menschen nicht zu ertragen, sondern stand wortlos auf und ging eilig hinaus. Sein Weib sah ihn mit Befremden weggehen, und da ihr dies doch zu dieser Stunde allzu seltsam vorkam, erhob sie sich und schlich ihm, der in den Keller niederstieg, heimlich nach. Sie sah ihn hinter der eisernen Tür verschwinden, und von der Neugier getrieben, kam sie auf den Zehenspitzen herbei, bückte sich zum Schloß nieder und sah durch den Spalt hindurch in ein prächtiges, strahlendes Gemach. Auf einem blühend weißen Lager gewahrte sie ein lichtes Geschöpf, und ihr Mann stand daneben und liebkoste sie. Im Zimmer aber waren Kostbarkeiten aller Art gleich Traumesschätzen. Die Frau erstarrte vor Zorn und Schmerz, doch faßte sie sich bald und ging ganz leise zu den Ihren. Als auch ihr Mann nach einer Weile zurückkehrte, war sie bereits ganz in sich beruhigt, und unterschied sich, schweigsam und verschlossen wie immer, nicht von ihrem alltäglichen Wesen. Kommenden Tages aber eilte sie – ohne erst ihrem Mann von ihrem Mitwissen gesagt zu haben – zum Rabbi des Ortes, berichtete ihm von allem, und bat ihn, ihren Mann zu bewegen, daß er von dem fremden Weib lasse, sonst aber von ihres Hause Schande gegen jeglichen zu schweigen. Der Rabbi verhieß es ihr und ließ den Goldschmied kommen. Dem hielt er sogleich vor, daß er mit einer Unirdischen in Gemeinschaft lebe, beschwor ihn, das Weib auszutreiben, und hing ihm, ihn gegen die Dämonin und ihre Bitten zu feien, ein Amulett um den Hals, auf das er kräftige Sprüche geschrieben hatte. Da hatte der Mann seinen Willen in den des Rabbi ergeben, und noch in selber Nacht trieb er das Weib mit seiner Sippe von hinnen und zwang sie mit den Ihren in den Brunnen nieder, aus dem sie aufgestiegen war. Von der Nacht an aber wich die Freude von ihm. Er lebte wohl noch 2.

So wird das Ritual der zwei ersten Osterabende genannt, das die Erzählung vom Auszug der Juden aus Aegypten umschließt.

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manches Jahr, war aber verdrossen und trübe in jeder Stunde. Auch wurde er vor der Zeit hinfällig und alt. Als er auf seinem letzten Lager eines Abends wie oft vom Schlaf gemieden dalag, tat sich die Tür auf, und es kam die Dämonin herein, setzte sich an sein Bett und legte ihm ihre Hand auf die Stirn. Da wurde er gar selig bewegt. Er sah, daß sie jung und strahlend war, gleich wie an jenem Tage, da sie zuerst aus dem dumpfen Brunnen gekommen war, aber obgleich sie ihm zulächelte, gewahrte er ihre Augen voll Tränen und Trauer. Da bat er sie, ihm zu gestehen, was ihr fehle. Und sie entdeckte ihm, daß es um der Kinder willen sei, die sie ihm geboren habe, denen es, da sie halb von Menschenblut entsprossen, verwehrt sei, gleich ihr ins Reich der Dämonen einzugehen, wie sie um ihrer Abstammung von der Mutter willen auch nicht unter den Menschen hausen könnten, und derart friedlos und unstet ohne Stätte allzeit unselig umherirrten. Und sie blickte ihn liebreich an und bat ihn mit süßen Worten, er möge um ihrer Liebe willen vor seinem Tode ihren Kindern noch einen Ort schaffen, wo sie ohne Qual und Verfolgung leben könnten, bis ihr Ende käme, denn ihre Frist sei wohl nicht so kurz wie die Wandlungen der Menschenseele, aber auch nicht von ewiger Dauer wie das Leben der Dämonen. Der Mann verhieß es ihr, daß ihr Geschlecht nach seinem Tode wieder in sein Haus zurückkehren und dort für immer bleiben dürfe. Da dankte sie ihm mit lieblichen Gebärden und schwand hinweg. Des anderen Tages hieß der Mann seinen ältesten Sohn vor sich kommen und trug ihm auf, er möge nach seinem Tode mit der ganzen Familie und allem Gut hinwegziehen, und das Haus möge leer stehen und gemieden werden von ihm und allen kommenden Geschlechtern. Der Sohn nahm einen Eid auf dieses Wort, und als der Vater tot war, zog er hinweg. Und in der nämlichen Nacht stieg die Sippe der Dämonen aus dem Brunnen auf und nahm Besitz von ihrem Gut. Und nun höre mich, Meister Joel, der ich hier bin, um für mein unseliges Geschlecht zu reden. Eines Menschen und einer Dämonin Sohn, und heimisch in keinem Reiche der Erde und in keinem anderen Reiche, lebe ich mit den Meinen ein Leben der Qual und Wehmut in Dämmerung und Schatten. Ist einst unser Dasein erfüllt, dann sind wir frei und erlöst, ungebundene Geister. Aber dieses Leben, in dem wir stehen, ist durch das Vermächtnis unseres Vaters an das Haus gebunden worden, das er uns ließ. Wenn es fällt und der letzte Stein niedersinkt, dürfen auch wir dahingehen. Kommen aber Menschensöhne und pflegen und erhalten es und verlängern so unsere Zeit und machen unser Hoffen zuschanden, so müssen wir sie quälen und Uebles zu ihrem Schaden tun, und das Unheil wird wachsen, bis sie

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unsere Stätte verlassen. Darum gib uns unser Recht und laß die Zeit ihr Werk tun.« Und es schwieg die Stimme in der Luft. Ueber alle die Männer aber war Kälte und Grauen gekommen, und sie redeten untereinander, daß es ihnen billig schiene, daß den Geistern verbleibe, was ihrer sei. Es tat Rabbi Joel den Spruch, es möge der Mann aus dem Geschlecht des Goldschmiedes hinwegziehen, und das Haus möge geräumt und verschlossen werden, und keine Hand solle hinfürder daran rühren. Da dankte die Stimme des Dämonen und erstarb und verschwebte.

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Unser menschliches Lebensgetriebe, das Alles einläßt, das ganze Licht und die ganze Musik, alle Tollheiten des Gedankens und alle Varianten des Schmerzes, die Fülle des Gedächtnisses und die Fülle der Erwartung, ist nur Einem verschlossen: der Einheit. In jedem Blick blinzeln heimlich tausend Blicke mit, die sich ihm nicht verschwistern wollen, jedes schöne reine Staunen wird von tausend Erinnerungen verwirrt und noch in das stillste Leid zischeln tausend Fragen. Das Getriebe ist üppig und karg, es häuft und versagt das Umfangen, es baut einen Wirbel von Gegenständen und einen Wirbel von Gefühlen, Wirbelwand zu Wirbelwand, daß es gegen einander und über einander fliegt, und läßt uns hindurchgehen, diesen unseren Weg lang, ohne Einheit. Das Getriebe läßt mich die Dinge haben und die Ideen dazu, nur nicht die Einheit: Welt oder Ich, gleichviel. Ich, die Welt, wir, – nein, ich Welt bin das Entrückte, das nicht zu Fassende, nicht zu Erlebende. Ich gebe dem Bündel einen Namen und sage Welt zu ihm, aber der Name ist keine Einheit, die erlebt wird. Ich gebe dem Bündel ein Subjekt und sage Ich zu ihm; aber das Subjekt ist keine Einheit, die erlebt wird. Name und Subjekt sind des Getriebes und mein ist die Hand, die sich ausstreckt – ins Leere. Aber Das ist der Gottessinn des Menschenlebens, daß das Getriebe eben doch nur das Außen ist zu einem unbekannten und allerlebendigsten Innen und daß dieses Innen sich nur der Erkenntniß, die eine Tochter des Getriebes ist, nicht aber der schwingenden und sich befreienden Seele zum Erlebniß versagen kann. Die Seele, die sich ganz gespannt hat, das Getriebe zu sprengen und ihm zu entrinnen, die ist es, welche die Gnade der Einheit empfängt. Sie mag einem lieben Menschen begegnen oder der Landschaft eines wilden Steinhaufens: an diesem Menschen, an diesem Steinhaufen entzündet sich die Gnade und die Seele erlebt nicht mehr ein Einzelnes, um das tausend andere Einzelne schwirren, nicht den Druck einer Hand oder den Blick der Felsen, sondern sie erlebt die Einheit, die Welt: sich selber. Alle ihre Kräfte spielen, alle Kräfte geeint und als Eins gefühlt, und mitten unter den Kräften lebt und strahlt der geliebte Mensch, der geschaute Stein: sie erlebt die Einheit des Ich und in ihr die Einheit von Ich und Welt; nicht mehr einen Inhalt, sondern Das, was unendlich mehr ist als aller Inhalt. Und doch ist auch Dies der Seele noch nicht eine ganze Freiheit. Sie hat es nicht aus sich, sondern von dem Anderen empfangen und das Andere ist in der Hand des Getriebes. So kann irgendein Vorgang des Getriebes –

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ein Gedanke, der das Gesicht des Geliebten, eine Wolke, die das Gesicht des Felsens verwandelt – Macht über sie gewinnen und ihre Einheit verderben, daß sie wieder verlassen und geknechtet steht im Wirbel der Gefühle und der Gegenstände. Und auch in dem reinen Augenblick selbst kann es erscheinen wie ein Zerreißen, wie ein Hervorschauen: und statt der Einheit sind zwei Welten und der Abgrund und die schwankste aller Brücken darüber; oder das Chaos, das Gewimmel der Finsterniß, das keine Einheit kennt. Allein es giebt ein Erlebniß, das aus der Seele selber in ihr wächst, ohne Berührung und ohne Hemmung, in nackter Eigenheit. Es wird und vollendet sich jenseits des Getriebes, vom Anderen frei, dem Anderen unzugänglich. Es braucht keine Nahrung und kein Gift kann es erreichen. Die Seele, die in ihm steht, steht in sich selber, hat sich selber, erlebt sich selber – schrankenlos. Nicht mehr, weil sie sich ganz an ein Ding der Welt hingegeben, sich ganz in einem Ding der Welt gesammelt hat, erlebt sie sich als die Einheit, sondern, weil sie sich ganz in sich eingesenkt hat, ganz auf ihren Grund getaucht ist, Kern und Schale, Sonne und Auge, Zecher und Trank zugleich. Dieses allerinnerlichste Erlebniß ist es, das die Griechen Ekstasis (Das ist: Hinaustreten) nannten. Wenn wirklich die Religion, wie man sagt, sich »entwickelt« hat, so kann man als ein wesentliches Stadium dieses Vorganges die Wandlung ansehen, die sich in der Auffassung Gottes vollzogen hat. Zuerst scheint der Mensch mit dem Namen Gottes vornehmlich Das erklärt zu haben, was er an der Welt nicht verstand, dann aber immer öfter Das, was der Mensch an sich nicht verstand. So wurde die Ekstase (Das, was der Mensch an sich am wenigsten verstehen konnte) zu Gottes höchster Gabe. Jenes Phänomen, das man nach einem optischen Begriff als Projektion bezeichnen kann, das Hinausstellen eines Innerlichen, zeigt sich in seiner reinsten Gestalt an der Ekstase, die, weil sie das Innerlichste ist, am Weitesten hinausgestellt wird. Der Gläubige des christlichen Zeitalters kann sie nur an den Polen seines Kosmos lokalisiren: er muß sie Gott zuschreiben oder dem Teufel. Noch Jeanne de Cambray schreibt an ihren Beichtvater: »Ich bin genöthigt, Euch die innere Noth bekannt zu machen, worin ich mich seit Euerm letzten Zuspruch befunden habe, da Ihr mich noch immer im Zweifel lasset, ob es Gott oder der Teufel sei, der mich regirt. Ist es der Teufel, so ist all mein Gebet, worin ich mich nunmehr siebenunddreißig Jahre geübt habe, zu nichts nützlich.« Aber nicht bloß jene Zeiten, die das Leben zwischen Göttliches und Teuflisches auftheilten, weil sie die Macht und Weite des Menschlichen nicht kannten, haben die Innerlichkeit der Ekstase nicht erfaßt: es giebt fast keinen Ekstatiker, der nicht sein Icherleben als Gotterleben gedeutet hätte (und wie sehr

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man Gott auch zu verinnerlichen suchte, ganz ins Ich, als dessen Einheit, hat ihn kaum Einer genommen). Das scheint mir im Wesen des Erlebnisses begründet zu sein. Im Erleben der Ekstase selbst weist noch nichts nach innen oder außen. Der die Einheit von Ich und Welt erlebt, weiß nichts von Ich und Welt. Denn (so heißt es in den Upanischaden) wie Einer, von einem geliebten Weibe umschlungen, kein Bewußtsein hat von Dem, was außen oder innen ist, so auch hat der Geist, von dem Urselbst umschlungen, kein Bewußtsein von Dem, was außen oder innen ist. Aber der Mensch kann nicht umhin, auch noch das Subjektivste, Freiste, nachdem es gelebt worden ist, in die Kette des Getriebes einzustellen und Dem, was zeit- und fessellos wie die Ewigkeit durch die Seele fuhr, eine kleine Vergangenheit, die Ursache, und eine kleine Zukunft, die Wirkung, anzuschmieden. Je eigener und gelöster aber das Erlebniß ist, um so schwerer muß es sein, es in den Kreis des Anderen, Gebundenen einzustellen, um so natürlicher und unwiderlegbarer, es Einem zuzuschreiben, der über der Welt und außer aller Bindung ist. Der Mensch, der in den Funktionen seiner Körperhaftigkeit und Unfreiheit einherstapft Tag um Tag, empfängt in der Ekstase eine Offenbarung seiner Freiheit. Er, der nur differenziertes Erleben kennt – Erleben eines Sinnes, des Denkens, des Willens, miteinander verknüpft, aber doch geschieden und in dieser Scheidung bewußt –, erfährt ein undifferenzirtes Erleben: das Erleben des Ich. Ueber ihn, der immer nur Einzelnes von sich empfindet und weiß, Begrenztes, Bedingtes, geräth das Wetter einer Gewalt, eines Ueberschwangs, einer Unendlichkeit, in der auch seine ursprünglichste Sicherheit, die Schranke zwischen ihm und dem Anderen, untergegangen ist. Er kann dieses Erlebniß nicht dem allgemeinen Geschehen aufladen; er wagt nicht, es auf sein armes Ich zu legen, von dem er nicht ahnt, daß es das Weltich trägt; so hängt er es an Gott. Und was er von Gott meint, fühlt und träumt, geht wieder in seine Ekstasen ein, schüttet sich in einem Schauer von Bildern und Klängen über sie aus und schafft um das Erlebniß der Einheit ein vielgestaltiges Mysterium. Die elementare Vorstellung darin ist die einer (mehr oder minder körperhaft gedachten) Vereinigung mit Gott. Ekstasis ist ursprünglich: Eingehen in den Gott 1 , Enthusiasmos: Erfüllt sein vom Gotte. Essen des Gottes, Einathmen des göttlichen Feuerhauchs, Liebeseinung mit dem Gott 1.

Zu den bei Dieterich, »Eine Mithrasliturgie« (dieses Buch, das ein Vermächtnis ist, darf hier nicht unerwähnt bleiben), angeführten Belegen für die Auffassung Gottes als des pneumatischen Elementes, in dem der Gläubige steht, sollte vielleicht noch der spätjüdische Gottesname Makom (Das ist: Ort) herangezogen werden, der wie die letzte Spur eines urzeitlichen Bildes erscheint.

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(diese Grundform ist aller späteren Mystik eigen geblieben), Neugezeugtwerden, Wiedergeburt durch den Gott, Auffahrt der Seele zum Gott, in den Gott, sind Gestalten dieser Vorstellung. Paulus weiß nicht, ob seine Seele in dem Leib oder außer dem Leib war, und Haj Gaon weist eine Meinung der Menge zurück, wenn er von dem Adepten, der die zehn Stufen überwunden hat, sagt: »Dann öffnet sich der Himmel vor ihm; nicht daß er in ihn aufstiege, sondern in seinem Herzen geschieht Etwas, wodurch er in das Schauen der göttlichen Dinge eintritt.« Und wie weit auch der Weg ist, der von Diesem zu den Platonikern, zu den Sufis, zu den deutschen Gottesfreunden führt: auch bei ihnen lebt immer noch der Gott, mit dem die Ekstase vereinigt. Nur in indischen Urworten (und vielleicht hernach noch von Einzelnen in seltener Rede) wird das Ich verkündigt, das eins mit dem All und die Einheit ist. Von allen Erlebnissen, von denen man, um ihre Unvergleichbarkeit zu kennzeichnen, sagt, sie könnten nicht mitgetheilt werden, ist die Ekstase allein ihrem Wesen nach das Unaussprechliche. Sie ist es, weil der Mensch, der sie erlebt, eine Einheit geworden ist, in die keine Zweiheit mehr hineinreicht. Das, was in der Ekstase erlebt wird (wenn wirklich von einem Was geredet werden darf), ist die Einheit des Ich. Aber um als Einheit erlebt zu werden, muß das Ich eine Einheit geworden sein. Nur der vollkommen Geeinte kann die Einheit empfangen. Nun ist er kein Bündel mehr: er ist ein Feuer. Nun sind der Inhalt seiner Erfahrung und das Subjekt seiner Erfahrung, nun sind Welt und Ich zusammengeflossen. Nun sind alle Kräfte zusammengeschwungen zu einer Gewalt, nun sind alle Funken zusammengelodert zu einer Flamme. Nun ist er dem Getriebe entrückt, entrückt ins stillste, sprachloseste Himmelreich; entrückt auch der Sprache, die das Getriebe sich einst in der Mühsal schuf zu seiner Botenmagd und die, seit sie lebt, ewig nach dem Einen, Unmöglichen verlangt: ihren Fuß zu setzen auf den Nacken des Getriebes und ganz Gedicht zu werden, – Wahrheit, Reinheit, Gedicht. »Nun spricht« (so heißt es bei Meister Eckhart) »die Braut im Hohenliede: Ich habe überstiegen alle Berge und all meine Vermögen, bis an die dunkle Kraft des Vaters. Da hörte ich ohne Laut, da sah ich ohne Licht, da roch ich ohne Bewegen, da schmeckte ich Das, was nicht war, da spürte ich Das, was nicht bestand. Dann wurde mein Herz grundlos, meine Seele lieblos, mein Geist formlos und meine Natur wesenlos. Nun vernehmet, was sie meint! Daß sie spricht, sie habe überstiegen alle Berge, damit meint sie ein Ueberschreiten aller Rede, die sie irgend üben kann aus ihren Vermögen, – bis an die dunkle Kraft des Vaters, wo alle Rede endet.« So ganz über die Vielheit des Ich, über das Spiel der Sinne und des

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Denkens gehoben, ist der Ekstatiker auch von der Sprache geschieden, die ihm nicht folgen kann. Sie ist als eine Speicherung von Zeichen für die Affektionen und Nöthe des Menschenleibes entstanden; sie ist gewachsen, indem sie Zeichen bildete für die empfindbaren Dinge in Nähe und Ferne des Menschenleibes; sie ist der werdenden Menschenseele nachgegangen auf immer heimlicheren Wegen und hat Namen geformt, gelöthet, ziseliert für die trotzigsten Künste und für die wildesten Mysterien der Tausendfältigen; sie hat den Olymp des Menschengeistes erstürmt, nein, sie hat den Olymp des Menschengeistes gemacht, indem sie Bildwort auf Bildwort thürmte, bis auch noch die höchste Aufgipfelung des Gedankens im Worte stand; und Solches thut sie und wird sie thun; aber sie kann immer nur von Einem empfangen, Einem Genüge thun: der zeichenzeugenden Vielheit des Ich. Niemals wird sie in das Reich der Ekstase eingehen, welches das Reich der Einheit ist. Sprache ist Erkenntniß: Erkenntniß der Nähe oder der Ferne, der Empfindung oder der Idee, und Erkenntniß ist das Werk des Getriebes, in ihren größten Wundern ein gigantisches Koordinatensystem des Geistes. Aber das Erleben der Ekstase ist kein Erkennen. Das ist der Sinn Dessen, was wir in dem Buche des Hierotheos (des Syrers Stefan bar Sudaili?) lesen; des selben Hierotheos, so weit wir urtheilen dürfen, von dem es in den areopagitischen Schriften heißt, er habe das Göttliche nicht bloß erfahren, sondern auch erlitten, o' mnon majn ⁄llÞ ka½ pajn tÞ je…a – »Mir scheint es recht, ohne Worte zu sagen und ohne Erkenntniß zu verstehen Das, was über Worten und Erkenntniß ist: Dieses meine ich, ist nichts Anderes als das geheime Schweigen und die mystische Ruhe, die das Bewußtsein vernichtet und die Formen auflöst. Suche denn, im Schweigen und im Geheimniß, jene vollkommene und ursprüngliche Vereinigung mit dem wesenhaften Urgut.« Aber nicht bloß seiner früheren Vielheit gegenüber ist, Der die Ekstase erlebt, eine Einheit geworden. Seine Einheit ist nicht relativ, nicht vom Anderen begrenzt: sie ist grenzenlos, denn sie ist die Einheit von Ich und Welt. Seine Einheit ist Einsamkeit, die absolute Einsamkeit: die Einsamkeit Dessen, der ohne Grenzen ist. Er hat das Andere, die Anderen mit in sich, in seiner Einheit: als Welt; aber er hat außer sich keine Anderen mehr, er hat keine Gemeinschaft mehr mit ihnen, keine Gemeinsamkeit. Die Sprache aber ist eine Funktion der Gemeinschaft und sie kann nichts als Gemeinsamkeit sagen. Auch das Persönlichste muß sie irgendwie in das gemeinsame Erlebniß der Menschen überführen, irgendwie aus diesem zurechtmischen, um es auszusprechen. Die Ekstase steht jenseits vom gemeinsamen Erlebniß. Sie ist die Einheit, sie ist die Einsamkeit, sie ist die

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Einzigkeit: die nicht überführt werden kann. Sie ist der Abgrund, den kein Senkblei mißt: das Unsagbare. In jener Stelle des großen pariser Zauberbuches, die den Apathanatismos, die Weisung an den Mysten zur höchsten Weihe, der Neugeburt zur Unsterblichkeit, enthält, wird ihm gesagt: »… Sehen wirst du aber, wie die Götter Dich anblicken und gegen Dich heranstürmen. Du aber lege sogleich den Zeigefinger auf den Mund und sprich: Schweigen, Schweigen, Schweigen, – Symbolon des lebendigen, unvergänglichen Gottes, beschütze mich, Schweigen! … Wenn Du nun die obere Welt rein und einsam erschaust und keinen der Götter oder Engel heranstürmen siehst, bereite Dich, zu hören Krachen gewaltigen Donners, daß Du erschüttert wirst. Du aber sprich wiederum: Schweigen. Gebet: Ich bin ein Stern, der mit Euch die Bahn wandelt und aufleuchtet aus der Tiefe.« Das Schweigen ist unser schützendes Symbolon gegen die Götter und Engel des Getriebes: unsere Hut wider seine Irrgänge, unsere Reinigung wider seine Unreinheit. Wir schweigen das Erlebniß, und es ist ein Stern, der die Bahn wandelt. Wir reden es; und es ist hingeworfen unter die Tritte des Marktes. Wir sind dem Herrn still: da macht er Wohnung bei uns; wir sagen Herr, Herr: da haben wir ihn verloren. Aber so gerade ist es mit uns: wir müssen reden. Und unsere Rede wölbt einen Himmel über uns, über uns und die Anderen einen Himmel: Dichtung, Liebe, Zukunft. Aber Eins ist nicht unter diesem Himmel; das Eine, das noththut. Das Bewußtsein stellte die Ekstase hinaus in der Projektion; der Wille stellt sie zum anderen Mal hinaus in dem Versuch, das Unsagbare zu sagen. Auch das innerlichste Erlebniß bleibt vor dem Triebe zur Veräußerung nicht bewahrt. Ich glaube an die Ekstasen, die nie ein Laut berührte, wie an ein unsichtbares Heiligthum der Menschheit; die Dokumente Derer, die in Worten mündeten, liegen vor mir. Hier sind Menschen, die ihre Einsamkeit, die höchste, die absolute, nicht ertrugen, die aus dem Unendlichen, das sie erlebt hatten, mitten ins Endliche stiegen, aus der Einheit mitten in die wimmelnde Vielheit. Sobald sie sprachen, sobald sie (wie es der Rede Vorspiel zu sein pflegt) zu sich sprachen, waren sie schon an der Kette, in den Grenzen; der Unbegrenzte spricht auch nicht zu sich, in sich, weil auch in ihm keine Grenzen sind: keine Vielheit, keine Zweiheit, kein Du im Ich mehr. Sobald sie reden, sind sie schon der Sprache verfallen, die Allem gewachsen ist, nur nicht dem Grund des Erlebens, der Einheit. Sobald sie sagen, sagen sie schon das Andere. Es gibt freilich ein allerstillstes Sprechen, das nur Dasein mittheilen, nicht beschreiben will. Es ist so hoch und still, als sei es gar nicht in der Sprache, sondern wie ein Heben der Lider im Schweigen. Es übt keine Untreue, denn es sagt nur aus, daß Etwas ist.

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Dieser kundige Redner und Kirchenmann, Bernhard von Clairvaux, hält einmal plötzlich mitten in der Predigt inne und sagt dann leise, nicht prahlend und auch nicht demüthig, (es ist kein Kunstgriff, sondern die Erinnerung hat ihn überkommen und die Rede zerbrach in seinem Munde): Fateo r et mi hi advent as se ver bu m : Ich bekenne, daß auch mir das Wort genaht ist. Sodann spricht er weiter, etwas lauter wohl, aber doch die wieder Einlaß verlangende Kunst mit schlichter Seele bezwingend: wie er fühlte, daß es da war, wie er sich entsinnt, daß es da gewesen ist, wie er geahnt hatte, daß es kommen würde, und wie er doch Kommen und Gehen nicht empfand. Wie es durch keinen Sinn eintreten konnte, das Unsinnliche, wie es nicht aus ihm selbst stammen konnte, das Vollkommene. »Wenn ich hinausschaute, fand ich es jenseits alles meines Außen; wenn ich hineinsah, war es meinem Innersten innerlicher. Und ich erkannte, daß es wahr ist, was ich gelesen hatte: daß wir in ihm leben, uns bewegen und sind; aber Der ist glückselig, in dem es ist, der von ihm lebt, der durch es bewegt wird.« Ich glaube ihm sein Bekennen. Ich fühle, daß er einst, als er noch nicht wie heute reden konnte, Stunden hatte, da auch er das Göttliche erlitt. Und all die schamlose Zierlichkeit seines Redens ist mir dadurch erkauft, daß er so von seiner Stunde berichtet, daß er das Wort nicht den Worten zum Fraße hinwirft, sondern für das Wort mit seinem Schweigen zeugt wie ein Märtyrer mit seinem Blut. Von diesem Sprechen führen viele Stufen zu jenem Erzählen von Gott und seinen Gaben, das nicht erschrickt und nicht umkehrt, sondern sagt und sagt. Es ist nicht weniger redlich, seine Sprache klingt nirgends gesprungen, wir wissen, daß es nicht lügt, sondern Gemeintes bekennt. Aber die Stille fehlt ihm, und wo keine Stille ist, da ist die Stimme der Nothwendigkeit wie eine Stimme der Willkür zu hören. Schon das Phänomen der Projektion selbst – daß Einer, der sein Ich erlebt hat, sich und Anderen verkündet, er habe Gott erlebt – muß Manchem als Willkür erscheinen: dem Gottlosen als die Willkür eines überflüssigen Theismus (oder unreinen Pantheismus), dem Frommen als die Willkür der Ueberhebung und Blasphemie. »Und wenn sie«, sagt Jeremy Taylor, der ein viel zu feiner Geist war, um sich zu empören, statt zu verstehen, »Entzückungen leiden über die Lasten und die Stütze der Vernunft hinaus, leiden sie, sie wissen nicht was, und nennen es, wie es ihnen beliebt (t he y su ffer t he y know no t w hat , and c all i t w hat t he y p leas e).« Und doch ist da in Wahrheit keine Willkür, sondern Noth und Nothwendigkeit. Willkürlicher noch muß der Inhalt der Konfession des Ekstatikers erscheinen, vor Allen Dem, der nicht an der eigenen Seele die Tragoedie erfahren hat, die aus dem Zusammentreffen des Triebes nach Veräuße-

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rung des Innerlichsten und Persönlichsten mit der gegebenen Menschensprache entsteht: den Kampf des Irrationalen mit dem Rationalen, der ohne Sieg und Niederlage endet, in einem beschriebenen Blatt Papier, das dem sehenden Auge das Siegel eines großen Leidens zeigt. Bossuet, ein Geist weit geringerer Ordnung als Taylor und ein Liebhaber der Logik (so lange das Dogma durch sie nicht gekränkt wird), will die Ekstatiker mit dem Witz der Aufdeckung eines Widerspruchs vernichten. Sie sagen, so ruft er aus, die Betrachtung schließe nicht allein alle Bilder im Gedächtniß und alle Spuren im Gehirn aus, sondern auch jede Idee und jede geistige Erscheinung; und während sie Das sagen, sind sie gezwungen es niederzureißen, nicht allein in Hinsicht auf die geistigen Erscheinungen und Ideen, sondern auch in Hinsicht auf die körperhaften Bilder selbst, da ja die Bücher, in denen sie sie ausschließen, davon erfüllt sind. In der That: ein Widerspruch ist aufgedeckt. Aber was kann er für die Beurtheilung von Menschen bedeuten, die ihr Leben in der Pein eines ungeheueren Widerspruches verbringen: des Widerspruches zwischen dem Erlebniß und dem Getriebe, aus dem sie emporstiegen und in das sie wieder hinabstürzen Mal für Mal? Das ist der Widerspruch zwischen der Ekstase, die nicht in das Gedächtniß eingeht, und dem Verlangen, sie für das Gedächtniß zu retten, im Bild, in der Rede, in der Konfession. Ja, es ist wahr: der Ekstatiker kann das Unsagbare nicht sagen. Er sagt das Andere, Bilder, Träume, Gesichte; die Einheit nicht. Er redet, er muß reden, weil das Wort in ihm brennt. Der nicht zu den Menschen redete, hat zu sich geredet; er war heiliger, weil er nach außen einsam blieb; aber vielleicht blieb er einsam, weil es ihn nicht so schlug und stieß, Botschaft zu den Anderen zu tragen; die unmögliche Botschaft? Er lügt nicht, der in Bildern, Träumen, Gesichten von der Einheit redet, von der Einheit stammelt. Gestalten und Klänge, die, aus seinem Gottgefühl geboren, um das Urerlebniß kreisten, sind in seinem Gedächtniß geblieben: rings um den treibenden Brand, der allein als Spur des Erlebnisses selbst in ihm lebt; vielleicht mischen sich, aus dunklen Sphären seiner Seele tauchend, andere Gestalten und Klänge darein, von denen er nicht weiß, woher sie kommen, und nach denen er greift, um sich selbst zu verstehen. Denn er versteht sich nicht; und doch ist in ihm das Verlangen erwacht, das in der Ekstase erloschen war: sich zu verstehen. Er sagt die Gestalten und Klänge, und merkt, daß er nicht das Erlebniß sagt, nicht den Grund, nicht die Einheit, und möchte innehalten und kann nicht und fühlt die Unsagbarkeit wie ein Thor mit sieben Schlössern, an dem er rüttelt, und weiß, daß es nie aufgehen wird, und darf nicht ablassen. Denn das Wort brennt in ihm. Die Ekstase ist gestorben, hinterrücks

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ermordet von der Zeit, die nicht will, daß man ihrer spotte; aber sterbend hat sie das Wort in ihn geworfen; und das Wort brennt in ihm. Und er redet, redet, er kann nicht schweigen, es treibt ihn die Flamme im Worte, er weiß, daß er es nicht sagen kann, und versucht es doch immer und immer, bis seine Seele erschöpft ist zum Tode und das Wort ihn verläßt. Dies ist die exa lt at i o Dessen, der in das Getriebe zurückgekehrt ist und sich mit ihm nicht abfinden kann; Dies ist seine Erhebung, die Erhebung eines Redenden: der Erhebung des Dichters verwandt, geringer als sie im Besitz, gewaltiger im Dasein. Dies ist die Spannung zum Sagen des Unsagbaren, eine Arbeit am Unmöglichen, eine Schöpfung im Dunkel. Ihr Werk, die Konfession, trägt ihr Zeichen. Und doch ist das Sagenwollen des Ekstatikers nicht bloß Ohnmacht und Stammeln: auch Macht und Melodie. Er will der spurlosen Ekstase ein Gedächtniß schaffen, das Zeitlose in die Zeit hinüberretten; – er will die Einheit ohne Vielheit zur Einheit aller Vielheit machen. Der Gedanke an den großen Mythos erwacht, der durch die Zeiten der Menschheit geht: von der Einheit, die zur Vielheit wird, weil sie schauen und geschaut werden, erkennen und erkannt werden, lieben und geliebt werden will und, selbst Einheit bleibend, sich als Vielheit umfaßt; von dem Ich, das ein Du zeugt; von dem Urselbst, das sich zur Welt, von der Gottheit, die sich zum Gotte wandelt. Ist der Mythos, den Veden und Upanischaden, Midrasch und Kabbala, Platon und Jesus kündeten, nicht das Sinnbild Dessen, was der Ekstatiker erlebt? Haben die Meister aller Zeiten, die ihn schufen und immer wieder neu schufen, nicht aus ihrem Erlebniß geschöpft? Denn auch sie haben die Einheit erfahren; und auch sie sind aus der Einheit in die Vielheit gegangen. Aber wie ihre Ekstase nicht das Hereinbrechen eines Unerhörten war, das die Seele überwältigt, sondern Einsammlung und tiefstes Quellen und eine Vertrautheit mit dem Grunde, so lag auf ihnen das Wort nicht wie ein treibender Brand: es lag auf ihnen wie die Hand eines Vaters. Und so lenkte es sie, das Erlebniß einzuthun, – nicht als Ereigniß in das Getriebe, nicht als Bericht in die Kunde der Zeit, sondern es einzuthun in die That ihres Lebens, es einzuwirken in ihr Werk, daraus neu zu dichten den uralten Mythos und es so hinzusetzen nicht als ein Ding zu den Dingen der Erde, sondern als einen Stern zu den Sternen des Himmels. Aber ist der Mythos ein Phantasma? Ist er nicht eine Offenbarung der letzten Wirklichkeit des Seins? Ist nicht das Erlebniß des Ekstatikers ein Sinnbild des Urerlebnisses des Weltgeistes? Ist nicht Beides ein Erlebniß? Wir horchen in uns hinein: und wissen nicht, welches Meeres Rauschen wir hören.

[Mystik als religiöser Solipsismus] Ich möchte nur mit wenigen Worten ein Problem berühren, das eigentlich die Gesamtdarstellung, die Herr Professor Troeltsch hier gegeben hat, kaum trifft, das aber wohl etwas zu tun hat mit dem Schema, das er im Anfang seiner Erörterungen ausgesprochen hat und auf dem sich seine weiteren Ausführungen aufbauen. Dieses Schema beruht auf einer Dreiteilung von Kirche, Sekte und Mystik. Ich bin weit entfernt davon, irgend einen Punkt der beiden ersten Kategorien anfechten zu wollen. Hingegen möchte ich doch die Frage aufwerfen, inwiefern denn die Mystik überhaupt eine soziologische Kategorie ist. Ich möchte nämlich behaupten, daß sie keine solche, daß sie lediglich eine psychologische Kategorie ist, und daß daher auch keinerlei realer oder logischer Zusammenhang der Mystik mit dem Naturrecht konstruiert werden darf. Ich glaube, die Mystik darf als religiöser Solipsismus bezeichnet werden. Sie ist auf der einen Seite wohl die absoluteste Verwirklichung der Reli g i o s i t ät als jener Eigenart der Selbstwahrnehmung und jener Intensität der Selbststeigerung, die eine »Apperzeption Gottes«, die Stiftung eines persönlichen Verhältnisses zu einem als Gott empfundenen Seeleninhalt ermöglicht. Sie erscheint mir aber andererseits sehr weit entfernt zu sein von der Reli g i o n als einem auf der Religiosität aufgebauten soziologischen Ganzen. Es scheint mir, daß die Mystik vielmehr alle Gemeinschaft negiert, nicht etwa bekämpft, nicht sich ihr gegenüberstellt, wie die Sekte, sondern sie negiert, und zwar deshalb, weil es für sie nur ei ne reale Beziehung gibt, die Beziehung des Einzelnen zu Gott, weil also hier jener Vorgang, den Herr Professor Troeltsch andeutete, das Zusammentreffen der Gläubigen, von denen allen Linien zu Gott führen, gar nicht stattfindet, sondern jeder Gläubige hier in seiner Gläubigkeit durchaus isoliert bleibt und es mit nichts anderem zu tun hat als mit seinem Gott. Nun muß natürlich zugegeben werden, daß sich die Mystik sehr häufig mit soziologischen Strukturen verbindet. Ein gutes Beispiel hat bereits Herr Professor Weber angeführt aus der russischen Religiosität. Man könnte auch hinweisen etwa auf das Staatsideal, das Laotze entworfen hat dem Konventionalismus des damaligen chinesischen Staates gegenüber, vielleicht auch auf die sektiererische Bewegung um Eckhart. Aber das sind alles, das muß betont werden, bloß Verbindungsprodukte; der eigentliche Typus der Mystik hat damit nichts zu tun. Ich möchte daher auch bestreiten, was Herr Professor Troeltsch über den sachlichen Zusammenhang der Mystik mit dem Naturrecht gesagt hat, daß zwar die Mystik niemals das Recht einer freien Religionsübung postuliert habe, daß

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sie es aber postulieren könnte. Das möchte ich bestreiten, und zwar aus drei Gründen. Erstens deshalb, weil die Mystik ihrem eben charakterisierten Wesen nach die Institutionen nicht anzuerkennen vermag, von denen sie eine solche Freiheit empfangen könnte, weil sie die Institution, die ihr eine solche Freiheit geben könnte, gar nicht als gebend anzuerkennen imstande ist. Und darüber hinaus: weil auch gar nicht der Wunsch des Mystikers nach Freiheit gehen kann, weil für den Mystiker das Problem der äußeren Freiheit, das Postulat der äußeren Freiheit gar nicht existiert, vielmehr für ihn die Freiheit ganz und gar die innere Freiheit, die innerliche Vereinheitlichung im Verhältnis zum Göttlichen ist, der gegenüber die äußere nicht einmal den Wert eines Symbols haben könnte. Und endlich könnte man sagen, daß für den Mystiker die äußere Unfreiheit vielleicht sogar einen positiven Wert hat, weil sie ihn immer wieder auf die Isolierung hindrängt, ihn also immer wieder zu seiner Aufgabe diszipliniert. Wenn ich diesen Punkt, der ja in der Gesamtdarstellung von Professor Troeltsch, wie ich schon sagte, keine wesentliche Bedeutung hat, dennoch hervorgehoben habe, so habe ich es deshalb getan, weil eben die Mystik die unbedingte Religiosität ist, weil in ihr der eigentliche Inhalt des religiösen Erlebens, die Beziehung eines Menschen zu dem als Gott Empfundenen am unbedingtesten realisiert ist, und weil daraus hervorgeht, daß die unbedingte Religiosität überhaupt mit dem Naturrecht nichts zu tun hat, weil sie mit dem Recht als der Normierung der Beziehungen zwischen den Menschen nichts zu tun hat. Demgemäß hätte der reine Typus der Religiosität mit dem Naturrecht nichts zu schaffen.

Kalewala, das finnische Epos »… Um die epische Poesie aber steht es weit anders, in der Vergangenheit geboren reicht sie aus dieser bis zu uns herüber, ohne ihre eigne Natur fahren zu lassen, wir haben, wenn wir sie genießen wollen, uns in ganz geschwundene Zustände zu versetzen. Ebenso wenig als die Geschichte selbst kann sie gemacht werden, sondern, wie diese auf wirklichen Ereignissen, beruht sie auf mythischen Stoffen, die im 5 Altertum wacher Stämme obschwebten, leibhafte Gestalt gewannen und lange Zeiten hindurch fortgetragen werden konnten. Sie kommt also schon Völkern zu, deren Aufschwung beginnt, und gelangt zur Blütezeit bei solchen, die jener Stoffe mächtig die ganze junge Kunst der Poesie darüber zu ergießen vermochten; aber ein Grund und Anfang mußte immer, man weiß nicht zu sagen wie, vorhanden 10 sein, und gerade auf ihm beruht der Dichtung unerfindbare Wahrheit.« Jakob Grimm, Über das finnische Epos (1845).

1 »Kalewala«, das finnische Epos, ist die Schöpfung eines Volkes und das Werk eines einzelnen. Unter seinen Liedern ist nicht eins, das nicht vorher in dem tönenden Gedächtnis des Volkes sein Leben gehabt hätte. Aber keins der Lieder ist so gesungen worden, wie es im Epos aufgezeichnet steht: nicht etwa, daß Ungesungenes eingeschoben wäre – nur wenige verbindende Verse sind hinzugekommen –, nein, uralt ist das Lied in seinen Stücken, aber in seiner Ganzheit ist es neu. Denn dem Laulaja, dem finnischen Volkssänger, sind der Vers und die Weise heiliges, unverrückbares Urgesetz: das Wort aber ist sein Bereich, seiner Macht anheimgegeben, Recht und Beruf ist ihm es zu wandeln, – es zu härten und zu sänftigen, zu erhöhen und zu verdeutlichen. So singt jeder Laulaja das Lied aller und sein eigenes, ja mancher ändert es zu mehreren Malen und sagt zu verschiedenen Zeiten verschiedenes. Darum hört jener einzelne, der davon träumt, die Schöpfung des Volkes zum Werke zu formen, Elias Lönnrot, im finnischen Lande umherziehend jedes Lied in vielfacher Gestalt; er sammelt die Gestalten, er wählt für jeden Vers die schönste, für jeden Vorgang die vollständigste, er verbindet das Mannigfaltige, er baut wahrhaft das Lied aller auf. Und aus den so aufgebauten Liedern errichtet er das Epos. Auch der Laulaja verknüpft Lieder zu Liedergruppen, jeder anders, und auch dies tut mancher zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Weise; aber die Kraft, die mit den Worten zu schalten wußte, wird plump und

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schwer, wenn sie statt Wort an Wort Lied an Lied zu reihen strebt. Wohl trägt der Sänger jenen Zusammenhang des Mythos, der die epische Rune hervorbrachte, dunkel oder dämmerhaft in seinem Sinn; aber er vermag nicht, ihn in einem Zusammenhang der Lieder zu realisieren. Jener einzelne aber, der gesammelt hat, hat die Kunde der Verschmelzung. Kein Dichter, weil ohne Selbständigkeit, kein Gelehrter, weil ohne Distanz, ein Laulaja seinem Gemüt und seiner Begabung nach, ist er den Sängern des Volkes überlegen an Weite und Einheitlichkeit des Wissens: er kennt den Volksgesang wie keiner vor ihm, und seiner Kenntnis ist die Weihe der synthetischen Funktion verliehen. So verschmilzt er die Lieder zum Epos. Daß er es konnte, das ist freilich aus seinen Fähigkeiten allein nicht zu verstehen; Fähigkeiten sind unfruchtbar ohne einen Glauben. Lönnrot hatte einen Glauben, dem seine Kräfte dienten und der sie fruchtbar machte: den Glauben an das ursprüngliche Epos, das eine Einheit war wie der Mythos, den es sang, und das dann in all die Lieder zerfiel, – die Lieder, die nun selbständig weiter wuchsen, wucherten, sich wandelten, bis sie in seine Hand kamen, der nun versuchen wollte, die alte Dichtung wiederherzustellen, erweitert um all das, um das sie an Wesentlichem, Lebenaussprechendem, Schicksalgestaltendem die singenden Geschlechter erweitert hatten. Ein Trugglaube, von der Forschung unsrer Zeit aus gesehen; aber im Reich des Wirkens gilt nur die Kraft des Glaubens, nicht seine Probabilität. Lönnrot glaubte an das alte Epos wie Kolumbus an den Weg nach Indien; so öffneten sich ihm die neuen Länder.

2 Mehr als von irgendeinem Volk gilt es vom finnischen, daß das Singen älter ist als das Reden. Eine andre, heiligere Sprache hat der finnische Dichter Zachris Topelius den Gesang genannt; aber er ist mehr als das: er ist die Ursprache. Im Singen äußert der Mensch von je sein Verhältnis zu den Gewalten, den Ganzheiten des Lebens; im Reden äußert er sein Verhältnis zu den Dingen, das später, mittelbarer ist als jenes. Der Gesang ist die elementare Gemeinschaft, die urzeitliche feindlich-friedliche Vertraulichkeit mit der Natur, deren Herzschlag seinen Rhythmus erzogen hat; die Rede ist die erworbene Sonderung, das große Unterscheiden, die Weisheit der Orientierung, die Kunst der Distanz. Der Gesang ist Magie, die Rede Kausalität. Singen ist die Ausübung einer eingeborenen Freiheit, Reden die Erfüllung eines unentbehrlichen Vertrags. So ruht in der Seele des finnischen Bauern, der noch den Elementen nahe ist, der Gesang auf

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dem Grunde, aber quellend und ewig bereit; die Rede liegt dicht unter der Fläche, aber stockend und unlustig. Dem Wortkargen erwachen die Lippen im Liede, der Schwerfällige wird leicht und überlegen, sobald er zu singen beginnt. Und die finnische Sprache selber: sie scheint nicht für die Rede, scheint zuerst für den Gesang geschaffen; ihre Worte enden zumeist auf Vokale und selten stoßen mehrere Konsonanten zu einem spröden Laut zusammen; eine der wohllautendsten und gefügsten des Erdbodens hat sie Jakob Grimm genannt, und der große finnische Forscher Porthan (1739– 1804) sagt von ihr 1, ihr Geist sei dem Streben der Volkssänger sonderlich günstig. Zu Porthans Zeiten war der tiefe Quell noch unverschüttet. Alle Vorgänge des persönlichen und öffentlichen Lebens, Tätigkeit und Muße, Festfreude und einsames Leid riefen die tausendfältige Rune. Der Freund, der um den toten Vertrauten trauert, und der Feind, der über den Verhaßten spottet, der Hirt, der seinem knappen Leben nachsinnt, und der Jäger, der von der Beute träumt, die Frau, der die Ehe grausam war, und das Mädchen, dessen Liebster in der Ferne weilt, sie alle singen, althergebrachten, vom Erlebnis umgeschmolzenen Gesang. Des Festmahls höchste Freude ist das Lied; es gibt dem Zechen seine Weihe; nach den Gesängen ist die Hochzeitsfeier gegliedert. Wenn eine Reisegesellschaft, wie es vornehmlich im Winter Brauch und Bedürfnis ist, zu Kauf und Verkauf aus den oberen Bezirken in die Städte und auf die Märkte zieht, bei der Ausfahrt schon verbunden oder auf dem Wege zusammengeströmt, singt sie in allen Herbergen und macht die berühmten Runen der Heimat im weiten Lande bekannt. Und die Frauen singen, wie einst die Frauen von Lesbos, beim Mahlen des Kornes ihre »Mühlenlieder« – von der Liebe und von der Not des Frauenlebens. Bekanntes wird gesungen, aber auch Neues, und beides ist eins; denn der Sänger selbst scheidet nicht, was ihm sein Sinn befiehlt, von dem, was er als Kind übernommen hat. Auch der Berufene, der Laulaja, nicht, der sich aus der singenden Menge erhebt als der Sendbote der dauernden, von Geschlecht zu Geschlecht gehenden Dichtung und über der flüchtigen Welle den großen feierlichen Zusammenhang trägt. Ein Bauer wie die andern, nicht durch Stand, sondern durch Wissen vor ihnen ausgezeichnet, seiner Sprache kundig, daß er über all ihre Köstlichkeit gebieten kann und, um frei zu sein, nicht aus dem Bann des Gesetzes zu schreiten braucht, im schriftlosen Gedächtnis die Fülle überlieferten Gesanges fassend, den er in der Jugend dem Vater und den alten Meistern ablauschte, ehrfürchtig gegen 1.

Dissertatio de Poësi Fennica (1766–1778) Opera selecta III. Helsingfors 1867.

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die Tradition und doch auch, fast ohne es zu merken, unabhängig von ihr, des guten Verses sicherer Kenner und Verwalter, ohne um Regeln zu wissen, so erhält der Laulaja das Erbe der Vorzeit lebendig, vor allem die epische Rune. Er trägt sie, zumeist beim Festgelage, nach uralter Sitte vor: er wählt sich einen Helfer, der in der Mitte des Verses einfällt, ihn mitsingt und sodann allein wiederholt, oft mit Einfügung eines bekräftigenden Wörtchens, dieweil der Laulaja sich auf den nächsten Vers besinnt. So sitzen sie einander gegenüber, Knie an Knie und Hände in Händen, die Köpfe sacht einander zubewegend, und singen, nach einer einfachen, gleichmäßigen Melodie, deren Einfalt und Liebreiz so groß sind, daß sie ewig nur vertraut, nicht gewohnt wirkt, zum Spiel der Kantele, der fünfsaitigen Harfe, von der erzählt wird, der mythische Ursänger Wäinämöinen, der Heros der epischen Rune, habe sie aus dem Holz der Maserbirke und den Haaren einer Jungfrau geschaffen: die Lieder von den Taten der Urzeit. Aber es gibt noch eine andere Rune, die nicht unstet ist wie die lyrische, sondern als eine heilige Überlieferung gehütet wird, die aber auch nicht öffentlich und allgemeinsam ist wie die epische, sondern in großem Geheimnis von dem Wissenden dem Jünger, vorzusgweise dem Sohne, kundgegeben wird. Das ist Zauberrune. Wie kaum in einem andern Volk wurzelte im finnischen der Glaube an die Wundermacht des Wortes: des heimlichen urgegebenen Wortes; es ist der aller Magie zugrunde liegende Glaube an die Macht des Gebundenen über das Ungebundene, des strengen Wissens über die wimmelnde Gefahr. Das Wort ist der Herr der Elemente; wer es besitzt, kann schaffen und vernichten, kann alles Übel bannen und den Göttern selber seinen Willen auferlegen. Er singt seine Feinde zu Stein und wilde Tiere in Ketten; er tötet den Frost und zieht ihm seine Kleider aus; Kalma, der Tod, ist sein Waffengefährte. Er kennt den Ursprung aller Dinge, und so werden alle Dinge ihm untertan; denn jedes schweifende Wesen wird zuschanden an dem Wissenden, der ihm seinen Ursprung entgegenspricht. Wenn er zu singen beginnt, »zerfließen die Berge wie Butter, die Felsen wie Fleisch der Schweine, die blauen Wälder wie Honig, vom Biere schwellen die Seen, die Tiefen werden erhaben, die Höhen sinken zu Tale«. In der Ekstase spricht er sein Wort, unter gewaltsamen Bewegungen, mit einer neuen Stimme; da wird er zum Haltia, zum Dämon, und sein Tun ist dämonisch, bändigend, überwältigend. Darum ruft er, wenn er ans Werk geht, seine »Natur« an, sie möge unter dem Steine erwachen, die selber hart wie Stein sei, und fährt fort: »Natur des Ahnen, der Ahnin, Natur der Mutter, des Vaters, Natur meiner Voreltern aller, geselle dich zu der meinen, umhüll’ mich mit feurigem Hemde, bekleid’ mich mit flammendem Pelze, daß ich die Übel verwirre, die

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Erdunholde beschäme.« 2 War der Zusammenhang mit den Ahnen in der lyrischen Rune unbewußt und musikalisch, in der epischen betrachtend und dichterisch, so ist er in der magischen handelnd und dämonisch. Sie ist der leidenschaftlichste Ausdruck der Tradition. Darum wird sie auch nie einem Fremden ungekürzt mitgeteilt: sie möchte sonst ihre Kraft verlieren; wenn ein Tietäjä, ein Zauberer, nach langem Widerstreben sich bereit erklärt, einem Sammler seine Runen mitzuteilen, so läßt er eine Stelle weg oder verändert sie; wenn dem Spruch drei Worte fehlen, kann er dem Fremden nicht nützen, seine Kraft bleibt bei seinem Eigner. Die neuere Forschung hat die Frage erörtert, ob die Zauberrune älter sei als die epische 3 . Wie immer sich das Historische entscheiden mag: in beiden, in der, die nur erzählen, und in der, die umgestalten will, ja in dem ganzen finnischen Volksgesang äußert sich ein Volk mit der ungeteilten Kraft seiner Instinkte, aus der letzten Ursprünglichkeit seines natürlichen Daseins und aus der Gefühl gewordenen Verbundenheit seiner Geschlechtsfolge. Der Laulaja umschließt in seiner Rune das mythische Gedächtnis der Ahnen, der Tietäjä in seiner der Ahnen magische Gewalt. So lebt das mythische, unhistorische Gedächtnis mitten im geschichtlichen Bewußtsein, so lebt die magische, unangepaßte Gewalt mitten in der naturkundigen Zweckweisheit einer neuen Zeit fort. Auch über das Alter der Runendichtung überhaupt sind sehr verschiedene Ansichten geltend gemacht worden: die einen ließen sie in der Zeit der Völkerwanderung, andre in der Zeit der Wikinger, andre in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters entstehen. Gleichviel: im entscheidenden Sinn ist sie so alt wie das Volk, das sie geboren hat, mochte es sie auch, wie Wäinämöinens Mutter ihr Kind, siebenhundert Jahre im Schoße tragen.

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3 Der bedeutendste unter den Laulajat, die für Lönnrot auf seinen Sammelfahrten die Lieder sangen, aus denen er das finnische Epos aufbaute, der achtzigjährige Arhippa Perttunen von Latwajärwi in Russisch-Karelen, 2.

3.

Die Zauberrunen, denen die Zitate entnommen sind, sind in Lönnrots Sammlung »Su o me n Ka nsa n mu i na s i a Lo i t s i r u no ja«, Helsingfors 1880, veröffentlicht; eine englische Uebersetzung in Abercrombys »The Pre- a nd Pro to hi sto r i c Fi nns «, London 1898. Als aus der Zauberrune entstanden behandelt die epische Comparetti (»Der Kalewala oder die traditionelle Poesie der Finnen«, deutsche Ausgabe, Halle 1892), als parallele, voneinander unabhängige Erscheinungen betrachtet die beiden Runenarten Kaarle Krohn (»Wo und wann entstanden die finnischen Zauberlieder?« Finnischugrische Forschungen I, II. Helsingfors 1901 1902).

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führte all sein Wissen auf seinen Vater zurück, den »großen Jiwana«, der ein weit größerer Sänger gewesen sei als er. Er erzählte Lönnrot, wie er als Kind den Vater zum abendlichen Fischfang begleitete und wie da Jiwana Hand in Hand mit einem Gefährten beim Reisigfeuer Nächte durch sang, ohne eine Rune zu wiederholen: »Ich war damals ein kleiner Knabe und lauschte, so erlernte ich die wichtigsten Lieder. Aber viele davon habe ich schon vergessen. Keiner meiner Söhne wird nach meinem Tode in solcher Art ein Sänger bleiben wie ich nach meinem Vater. Man kümmert sich nicht mehr so sehr um den alten Gesang wie in meiner Kindheit, als er das Größte war sowohl bei der Arbeit, wie auch wenn man sich zur Mussezeit im Dorfe versammelte. Wohl hört man noch den und jenen bei Zusammenkünften singen, sonderlich wenn sie etwas zu trinken bekommen haben, aber selten ein Lied, das einigen Wert hätte. Statt dessen singen die Jungen nur ihre eigenen unanständigen Weisen, mit denen ich meine Lippen nicht beflecken möchte. Ach, wenn jemand in jener Zeit, so wie ihr nun, Lieder gesucht hätte, er wäre nicht in zwei Wochen damit fertig worden, die allein niederzuschreiben, die mein Vater wußte.« Das schwermütige Gefühl der schwindenden Rune, das aus diesen Worten des alten Laulaja spricht, hängt in einer bedeutsamen Weise mit dem Grundgefühl der Sammlergeneration zusammen, aus der Lönnrot hervorging. Dies ist ja aller nationalen Romantik eigen, daß sie die Schöpfung der Gewalten, deren natürliche Existenz im Leben des Volkes abzusterben beginnt, zu retten strebt; nicht unmittelbar, denn eine Einwirkung auf das triebhafte Volksleben ist ihr versagt, sondern durch Überführung in das Reich des ordnenden und erhaltenden Bewußtseins. Aber wie das Bewußtsein in der Welt gemeiniglich auf Kosten der Vitalität zustande kommt, so ist auch, was in die Sammlung eingeht, an Kraft und Wahrheit des Daseins nicht mehr das Gleiche wie damals, als es wild wuchs, den Kennern unbekannt oder verächtlich, Trost und Wonne den stillen Bauernherzen. Eine blauweiße Madonna des Luca über einer Haustür ist vom Atem all der Kindergeschlechter, die auf der Schwelle spielten, heilig angehaucht, und man fühlt sich ihr seltsam ergeben, wie sie so herunterschaut und alles weiß, ohne zu wissen; aber die Robbiawände des Bargello sind ein toter Schatz. Sammlungen des Volksgesanges sind Herbarien. Es sei denn, daß das ordnende und erhaltende Bewußtsein von jener einzigen Art ist, die nicht auf Kosten der Vitalität, sondern mit ihr wird und wächst: daß es ein schöpferisches Bewußtsein ist. Der Romantiker, der die volkstümliche Gewalt nur liebt, wird manches Schöne dem allgemeinen Gedächtnis bewahren, aber keine lebendige Ganzheit stiften, die die Ganzheit des gesungenen Sanges zu vertreten vermöchte; der Romantiker, der selbst ein Teil jener Gewalt ist, wird sie in ein neues

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Leben einsetzen. Solcherart ist Elias Lönnrots Werk gewesen. Die Kraft der finnischen Rune schlug in ihm noch einmal in breiterer Flamme als je zuvor auf; in einer Flamme, die die ganze riesenhafte tausendfach geformte Materie ergriff und zu einem großen Erzbilde verschmolz. Auch vor Lönnrot sind Runen gesammelt, geordnet, ja auch schon nach dem Inhalt aneinander gereiht worden. Ohne ihn gäbe es sicherlich würdige Sammlungen finnischer Volkslieder; aber nicht den Organismus des Kalewala. In ihm vereinigten sich die Kombinationsversuche der Forscher und die der Volkssänger selber. Er hatte die Klarheit des Forschers und die Kühnheit des Laulaja; und er hatte den Glauben eines schöpferischen Menschen. Was er wagte, kann man unwissenschaftlich nennen, weil er Lieder verschiedener Herkunft, verschiedenen Zusammenhanges, verschiedener Gattung durcheinander mischte; man kann es unkünstlerisch nennen, weil er Motive verflocht, die einander widersprachen, Gestalten zusammengoß, die einander unähnlich waren, Verse verlötete, die widereinander schrien; und alle die Verschiedenartigkeit, all der Widerspruch, sie sind noch im Epos drin, aufdringlich, unversöhnbar. Und dennoch: es ist lebende Substanz, es ist wirkende Einheit, es ist werkgewordene Schöpfung.

4 Als der arme Dorfschneider Lönnrot an einem Apriltag des Jahres 1802 sein viertes Kind mit der Nachbarsfrau zur Taufe sandte, geriet die auf dem weiten Weg in ein Schneegestöber und hatte, als sie das Ziel erreichte, den mitgegebenen Namen vergessen; so mußte der Pastor im Kalender nachschlagen und taufte den Knaben Elias. In diesem Zeichen stand Elias Lönnrots Kindheit; sie war preisgegeben. In der armseligen Hütte wurde das Mehl mit Flechten und Fichtenrinde gemischt; und wenn auch dies Brot ausging, hungerte man. Als vollends der Krieg über das Land kam, mußten die Kinder betteln gehen; das tat der sechsjährige Elias so, daß er stumm an den Türen stand und wartete. Auf einer solchen Wanderschaft kam er einigen russischen Soldaten in die Quere; denen war der scheue Junge gerade recht für ihren gröhlenden Spaß: sie packten ihn und warfen ihn in einen Brunnen. All das brachte dem Knaben weder Schaden noch Bitterkeit; wenn er lief oder schwamm, vergaß er den Hunger; und gelang’s ihm einmal nicht, dann las er in den drei Büchern, die im Hause waren: Bibel, Gesangbuch, Katechismus, und da gelang es doch. Für eine Zeit kam der Zehnjährige in die Schule, um das geheimnisvolle Schwedisch zu erlernen; bald mußte er nach Haus zurück und dem Vater bei

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der Arbeit helfen. Wieder erwirkte er es, daß er zur Schule kam, diesmal in die Hauptstadt; da er keine Bücher hatte, saß er, während ein Kamerad zu Mittag aß, mit dessen Buch auf der Treppe und spürte den Winterfrost nicht. Drei Jahre lang half er sich durch, indem er dem Universitätsdiener für etliche Pfennige allerlei Arbeit leistete; dann trieb ihn die Not zum zweiten Male nach Hause zurück. Endlich nahm sich ein Pfarrgehilfe des jungen Elias an; auf seinen Rat zog der Siebzehnjährige nach altem Brauch wie einst Luther von Haus zu Haus, seine tiefe Schüchternheit gewaltsam überwindend, sang Psalmen und sammelte Korn ein, woraus zu Hause Brot gebacken wurde; damit versehen, wurde er in ein Gymnasium gebracht. Als der Brotvorrat zu schwinden begann, bekam Elias eine Stelle in einer Apotheke; tagsüber hatte er keinen freien Augenblick, aber in den Nächten lernte er so eifrig, daß er mit zwanzig Jahren die Hochschule beziehen konnte. Die studentische Korporation, in die er einzutreten wünschte – sie feiert jetzt ihr Jahresfest an Lönnrots Geburtstag –, wollte ihn erst nicht aufnehmen, weil er während seiner Schulzeit niedrige Arbeit getan hatte. Sechs Jahre später, im Sommer 1828, tritt der Magister Lönnrot, der die Medizin zu seinem Fachstudium gemacht hat, seine erste Sammlerfahrt an, zu Fuß, seine Ersparnisse im Betrag von hundert Papierrubeln in der Tasche, als Bauer gekleidet, einen derben Stock in der Hand, die Tabakspfeife im Mundwinkel, den Ranzen auf dem Rücken, die Flinte über der Schulter, im Knopfloch ein Band, daran eine Flöte hängt. Er gibt sich für einen Bauernsohn aus, der seine Verwandten in Karelen besuchen will; doch widerfährt es ihm zuweilen, daß er für einen Landstreicher, ja sogar für einen Räuber angesehen wird. Zumeist wird er sehr gastfrei aufgenommen. Wenn er in einem Dorfe ankommt und mehrere Leute sich um ihn versammeln, spielt er auf seiner Flöte und lockt noch andere herbei; dann fühlt er sich, wie er in seinem Tagebuch niederschreibt, »wie ein zweiter Orpheus oder, um es vaterländischer zu sagen, wie ein neuer Wäinämöinen«. Ist das Spiel zu Ende, erfragt er von den Zuhörern die Namen der sangeskundigen Bauern des Dorfes und sucht sie auf. Da zieht er nun ein Heft von den unlängst erschienenen Volksliedersammlungen aus der Tasche und liest daraus vor; die Bauern kennen bereits, was er liest, wenn auch oft in anderer Fassung, sie horchen erstaunt und angeregt und kommen bald selbst ins Singen. Nicht immer gerät es; vornehmlich die Zauberer bringen es fertig, sogar dem Branntwein zu widerstehen. Aber allmählich kommt ein reicher Ertrag zusammen, mit dessen Veröffentlichung bald darauf begonnen wird: »Kantele« heißt die Sammlung. Eine zweite Fahrt wird durch die Nachricht unterbrochen, daß in Helsingfors die Cholera herrscht; Lönnrot kehrt zurück, pflegt die Kranken,

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wird selbst angesteckt, überwindet die Seuche und besteht sein Doktorexamen. Auf einer darauffolgenden Sammlerreise haben ihn die Bauern im Verdacht, er sei einer der Brunnenvergifter, die die Cholera ins Land gebracht haben. Kurze Zeit danach läßt er sich als Arzt nieder, in einem entlegenen und wirtschaftlich unergiebigen Distrikt, den er gewählt hat, um dem Gesanggebiet nahe zu sein. Bei seiner Ankunft ist in der Gegend eine Hungerseuche ausgebrochen, die er einen Winter lang bekämpft, wieder mit einer Unterbrechung, da er selbst fast dem Tode verfällt. Eine neue Fahrt folgt, die nicht nur vielfältiges Material bringt, sondern auch den ersten großen, zugleich keimhaften und entscheidenden Versuch zeitigt, die Lieder zu einer epischen Einheit zusammenzuschließen: Ende 1833 schreibt Lönnrot die »Liedersammlung von Wäinämöinen« nieder, etwa fünftausend Verse in sechzehn Runen. Zwei Jahre später, 1835, ist daraus das »Kalewala« in seiner ersten gedruckten Fassung geworden, das »alte Kalewala«, mehr als zwölftausend Verse in zweiunddreißig Runen. Die Fahrten mehren sich; Mitarbeiter erstehen, die das Land durchziehen und dem Schöpfer des Volksepos ihre Ernte zubringen; aus all dem Stoff gestaltet er das endgültige Werk, das 1849 erscheint: nahezu dreiundzwanzigtausend Verse in fünfzig Runen4 . Hier erst sind durch Aufnahme neuen lyrischen und magischen Materials die drei Stimmen des Volksgesangs, das epische Gedicht, das Lied und der Zauberspruch in Wahrheit zu einem Chor verbunden, und aus der in unübersehbarer Fülle spielenden Flut der Rune ist eine Gestalt, eine Einheit emporgestiegen. Hunderttausend Varianten der Kalewala-Lieder ruhen in den Sammlungen der Finnischen Literaturgesellschaft. Welch eine Welt! Und doch steht das einige Epos ihnen gegenüber wie die schmale und auserwählte Wirklichkeit dem überreichen Chaos der Potentialität. Daß der finnische Volksgesang sich so zu einem – nicht minder als er lebendigen – Werke verengerte und objektivierte, ist Elias Lönnrots Tat, aus seiner Abstammung, aus seinem Lebensgang, aus seiner Seelenart geboren: aus dem in ihm sich vollendenden Mythos der Finnen. Denn der große Laulaja s i ngt nicht bloß das mythische Dasein, er ist ein S tü ck davon; und Elias Lönnrot war der letzte der großen Laulajat. Lönnrot hat sowohl zwischen den beiden Kalewala-Fassungen als später Sammlungen von Volksliedern, von Sprichwörtern, von Rätseln, von Zauberrunen (diese, bereits erwähnte, erschien 1880, vier Jahre vor seinem Tode) veröffentlicht, die für die finnische Volkskunde grundlegende

4.

Eine von mir besorgte Neuausgabe der Schiefnerschen Uebertragung (1852) erscheint demnächst bei Georg Müller in München.

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Bedeutung haben; aber groß und eines Werkes Meister war er nur das eine Mal, als er nach seiner Laulaja-Natur schaffen durfte.

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Daß er die Seele eines Laulaja hatte und daß er ein Nachgeborener war, in dem der Sinn des Volkssängers, der Glaube an die Ureinheit des nationalen Mythos, Bewußtsein und Wille wurde, daraus ist Lönnrots Methode in der Gestaltung des »Kalewala« zu verstehen; eine Methode, die wir als den einzigen uns nach Material und nach Mitteilungen des Bearbeiters bekannten Weg der Entstehung eines Volksepos lückenlos überschauen können5 . Mag Lönnrot auch die erste Anregung zu seiner epischen Konzeption von Äußerungen und Versuchen einiger für Ossian begeisterten, von Herder bestimmten, durch die Homerfrage tiefbewegten Männer empfangen haben, mögen ihm sodann die von den Laulajat selbst herrührenden Liederverknüpfungen, die er auf seinen Fahrten kennen lernte, einen unmittelbaren Antrieb gegeben haben: was ihn zuinnerst lenkte und lehrte, war der Glaube an die ursprüngliche Einheit. Schon Porthan hatte durch Zusammenschiebung der Varianten den fiktiven »Urtext« eine Liedes wiederherzustellen gesucht, aber er tat es als Philologe, ohne zureichendes Verständnis für das flutende Leben des Gesanges, dem der Gott in jeder Stunde nahe ist und von dessen Wandlungen jede ihr eigenes Recht hat. Dies Verständnis hatte Lönnrot. Darum vermeinte er nicht, einen ursprünglichen Text wiederherstellen zu können, sondern er wollte eine Einheit bilden, die der Einheit des alten Epos, an das er glaubte, nicht gliche, sondern entspräche; die das alte Epos gleichsam als Kristallisationskern, von dem vielfältigen Lied der Jahrhunderte umschlossen, in sich trüge; und die solchermaßen das ganze Leben des finnischen Volkes darstellte. Lönnrot wußte, daß dies nur durch einen Akt der Willkür, der Usurpation vollbracht werden konnte; aber dieser Akt war eben von je dem Laulaja eigen gewesen, und indem Lönnrot usurpierte, ordnete er sich ein. Das sprach er in der Einleitung zum neuen »Kalewala« dadurch aus, daß er die Worte des wagefrohen Lemminkäinen im Epos: 5.

Eine gute auf Ergebnissen der neueren finnischen Forschung, insbesondere der Arbeiten von Julius und Kaarle Krohn beruhende Darstellung der Entwicklung der einzelnen Motive enthält F. Ohrts Buch »Ka le v ala s o m Fo lke d i g t ni ng o g Nat i o na l- ep o s «, Kopenhagen 1908, das auch über die vorlönnrotschen Versuche zusammenfassend berichtet.

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»Ich erhob mich selbst zum Sänger, Schuf mich selbst zum Zaubersprecher« auf sich anwandte. Diese scheinbare Willkür ist in Wahrheit Vollstreckung und Vollendung. Die neue finnische Forschung hat gezeigt, daß die epische und die magische Rune in verschiedenen Gegenden entstanden sind und auf ihren Wanderungen mannigfache Verbindungen eingingen; in FinnischKarelen verschmelzen diese Verbindungen zu neuen Gesängen, die eine neue Art episch-magischer Dichtung konstituieren; in Russisch-Karelen endlich reihen sich die Gesänge um einzelne herrschende Personen und Motive, verknüpfen sich zu Zyklen; Russisch-Karelen ist das Sammelgebiet Elias Lönnrots, der das zyklische Material zum Epos verschmolz. »Es gab nur ei ne Zeit und nur ei ne Gegend, deren Gesangsart ei nem Manne die Möglichkeit darbot, das Kalewala-Epos zusammenzustellen.«6 Womit nun freilich die spezifische Genialität dieses Mannes als das unmittelbare und entscheidende Agens ausgesprochen ist, da ja mit ihm nicht nur die Tätigkeit des letzten Kombinierens, sondern auch die nicht minder bedeutsame des Wählens hinzutritt, die recht eigentlich ein Privilegium des Genies ist. Die Laulajat verknüpften Motive und Lieder zu zyklischen Gebilden; sie flochten zur Schmückung eines Gesangs Stücke aus andern ein; ja sie ersannen auch selbst wohl, wo es not tat, verbindende Verse. Aber Lönnrot war der erste und einzige, der das Mannigfaltige besaß und das Eine aus ihm bestimmte. Haim Steinthal sprach einmal 7 von der immanenten Einheit, die das Epos, ehe Lönnrot es heraushob, in den Liedern selbst hatte, ohne daß jemand von ihr wußte. Aber das war nur eine dynamische Einheit, die Einheit gemeinsamen Werdens. Und wohl mag eine Ureinheit sich in ihr kundgegeben haben, aber diese war eine Einheit vo r dem Liede: die elementare Einheit des mythenbildenden Volkstriebs und seines Bilderspiels.

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6 Wenn irgendeiner Dichtung, kommt dem »Kalewala« der Name eines Volksepos zu: von des Volkes Urträumen geboren, im breiten Leben der Volkszeiten erwachsen, empfing es die Bildung und den Zusammenhang von einem, der aus Blut und Schicksal der tragenden, wesenerhaltenden 6. 7.

Kaarle Krohn, »Zur Kalevalafrage« (Anzeiger der Finnisch-Ugrischen Forschungen I). »Das Epos« (Zeitschrift für Völkerpsychologie V. 1868).

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Volksschichten gekommen war. Aber noch durch etwas anderes, Besonderes ist das »Kalewala« das finnische Volksepos: daß es die beiden Elemente des volkstümlichen Mythos, das imaginative und das aktive, die im alten Volksgesang sich gesondert als die epische und die magische Rune äußerten und allmählich erst unbeständige Verbindungen eingingen, endgültig in der gleichsam urkundlichen Form des Werkes vereinigte und so der Einheit des lebendigen Mythos einen einheitlichen Ausdruck schuf. Der finnische Mythos ist seiner ganzen Art nach ein magischer: nicht des Gottes, sondern des Menschen Macht ist sein eigentümlicher Gehalt. Die finnischen Götter sind vage Gebilde, ohne Eigenwillen, ohne Gemeinschaft, ohne eine Geschichte; alles, was von ihnen ausgesagt wird, fließt aus dem Wesen der magischen Handlung, die sie regiert. Sie sind nicht Verweser des Zornes und der Gnade, denen der Mensch als Bittsteller naht, sondern Bündel von Kräften, die der Magier in Bewegung setzt; sie sind Sendlinge und Werkzeuge dessen, der sie anruft; Zauber und Gegenzauber schleudern widereinander den Gott, den Wahllosen, wie ein Wurfgeschoß hinüber und herüber. Freilich sollen ja auch die Heroen des Epos, Wäinämöinen, der Weltsänger, Ilmarinen, der Weltschmied, ursprünglich Götter sein, jener ein Gott des Wassers, dieser der Luft; und ihnen ist ja all dies eigen: Wille, Gemeinschaft, Geschichte. Aber was von ihnen erzählt wird, das wird von ihnen eben nicht als Göttern, sondern als zaubermächtigen Menschen erzählt. Von der einstigen göttlichen Natur Wäinämöinens reden nur versprengte Spuren, von der Ilmarinens kaum mehr als sein Name. Erst durch die Vermenschlichung haben sie eine Geschichte gewonnen, mit der sie jetzt all den Götterschemen gegenüberstehen wie das Gezeugte dem Gedachten. Und diese Geschichte des Heros ist auch wieder nichts anderes als eine Kette magischen Geschehens. Die Macht der Dinge und die Übermacht des Zauberers – das ist der Gegenstand der epischen Rune. Darum hat sie auch keine rechte Kontinuität, sie verläuft episodisch, explosiv: das Leben des Zauberers sind seine Machtäußerungen, die nicht eigentlich aufeinander folgen, von denen jede für sich steht als ein Ring, jede den Weltprozeß neu beginnend und beschließend. Denn das Reich der Magie ist keine Welt der Abfolge und des ursächlichen Zusammenhangs aller Vorgänge; das Wirkende und das Bewirkte sind seine Pole, zwischen ihnen die zuckende Tat, um sie das brandende Nichts. Die wesentliche Tat aber in der finnischen Magie ist das Wort. Der finnische Zauberer ist der Runensprecher, der Runensänger. Durch das Wort werden im Epos Tierscharen, Wälder, Sterne erzeugt, Gewalten aus dem

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Wasser, aus der Wolke, aus der Erdtiefe berufen, Wunden geschlagen und geheilt, Menschen getötet und ins Leben zurückgebracht, der Frost ausgesandt und bezwungen, der Boden fruchtbar gemacht und dem Samenkorn göttliche Kraft verliehen. Wäinämöinen fehlen die Worte, um ein Boot zu vollenden; er sucht sie vergebens in der Unterwelt und zwingt endlich den Urriesen Wipunen, in dessen Bauche sie ruhen, sie ihm auszuliefern. So waltet in allem Sein das schöpferische Wort. Wie der ägyptische Gott die Dinge als innere Worte in seinem Leibe trägt und sie schafft, indem er sie als Laute zum Munde hinauswirft, so schafft der finnische Zauberer die Dinge, die er singt. Aus dem Glauben an die schöpferische Macht der Rune ist der finnische Volksgesang zu erfassen. Das Zauberlied ist das Dokument dieser Macht, das epische Lied der Bericht von ihr und ihre Verherrlichung. In ihm feiert der Gesang sich selber, indem er seine Macht erzählt. Aber erst durch die Aufnahme der Zauberrune wird der Akt vollkommen. Die Laulajat pflegen die Zauberrunen nur anzudeuten; Lönnrot erst hat sie wirklich in die epische Rune eingeführt. Durch die Vereinigung der beiden Arten stellt das »Kalewala« den finnischen Mythos des Zauberers dar, vollendet es den finnischen Volksgesang, wird es zum Epos des schöpferischen Wortes. Ich, sagt der Laulaja zuweilen, statt den Namen des Helden zu nennen, und erzählt die Tat, als habe er sie getan. In dieser naiven Kundgebung lebt der tiefe Sinn des »Kalewala« wie die Magie des Kindes in seinem Lächeln.

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Mit den Stoffen dieser Geschichten hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Es sind my t hi s che Stoffe, und doch stammen sie nicht aus der Urzeit, sondern aus einer unfernen Vergangenheit. Man ist gewohnt, unter Mythen Göttergeschichten zu verstehen, die sich Naturvölker oder auf einer primitiven Entwicklungsstufe stehende Kulturvölker erzählen. Damit scheint mir der Begriff Mythos viel zu eng gefaßt zu sein. Wir haben Mythen aus allen Zeiten und aus allen Völkern, und es gibt in der Geschichte keine große Gestalt und kein großes Ereignis, an denen sich die mythenbildende Kraft nicht bewährt hätte. Die mythenbildende Kraft der Menschenseele ist darin begründet, daß der Mensch in den Zeiten hoher Spannung und Intensität des Erlebens das ganze Weltgeschehen, das er erlebt und von dem er weiß, als ein s i nnvo ll es empfindet, als eines, in dem ein zentraler Sinn sich kundgibt. Dieser »Sinn des Lebens« ist nicht ein abstraktes Prinzip, das gedanklich zu erfassen wäre, sondern eine anschauliche, in aller Vielheit gegebene Wirklichkeit. Wenn die Vorgänge des tatsächlichen Daseins auf ihn bezogen, in ihm begriffen werden, entsteht der Mythos: er ist die Einstellung der Tatsächlichkeit in den symbolischen Weltprozeß. So werden die Vorgänge zu Bildern und Gleichnissen des Wesentlichen. Unter den mythenschaffenden Völkern in diesem Sinne nehmen – dies muß im Gegensatz zu modernen Rassentheorien nachdrücklich betont werden – die Juden eine bedeutende Stelle ein. Dies ist deshalb bisher nicht genügend erkannt worden, weil die große Urkunde der jüdischen Antike, das »Alte Testament«, von einer mythenfeindlichen Körperschaft redigiert und bearbeitet worden ist, und ferner deshalb, weil das spätere jüdische Schrifttum, insbesondere das der jüdischen Mystik, bisher auch in den Kreisen derer, die sich damit beschäftigen, eine Psychologie des Judentums zu konstruieren, gar nicht oder fast gar nicht bekannt geworden ist. Nimmt man aber beides zusammen, die ältere und die neuere Literatur, so sieht man, daß in der Bibel trotz aller Eliminationsarbeit derer, die im Mythos, der stärkeren Grundlage der Religiosität, eine Gefahr für die Religion sahen, doch noch eine Unzahl von Mythen rudimentär sich erhalten hat, und daß die mythenbildende Kraft auch in aller späteren Zeit nie erstorben ist. Es ist, wie gesagt, vor allem die jüdische Mystik, in der sie lebendig war. Innerhalb dieser Mystik aber ist es vor allem ihr Höhepunkt, der Chassidismus, der einen großen Mythenkreis

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Die Mythen des Chassidismus

schuf. Der Chassidismus war eine tief religiöse Bewegung, die gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die osteuropäische Judenheit ergriff. Er lehrte, daß das Göttliche nicht etwas ist, das jenseits der Dinge besteht, sondern daß es in den Dingen selber lebt und daß man es dadurch erfahren und empfangen kann, daß man sich zu den Dingen in eine wahrhafte Beziehung setzt, daß man ihr Wesen schaut und sich an ihnen heiligt. Und wie es kein Ding gibt, das nicht in sich Gott trüge, so gibt es keine Handlung, die an sich profan oder gemein wäre: jede wird heilig durch die Heiligung der Seele in ihr und vermag dann die Seele dem Göttlichen zu vereinigen. Es ist offenbar, ein wie fruchtbarer Boden diese Anschauung für die Entstehung des Mythos sein mußte. Wem in jedem Ding und in jedem Ereignis Gottes Leben ruht, den muß es dazu treiben, jedes Ding und jedes Ereignis zu mythisieren, das heißt: es in den symbolischen Weltprozeß einzustellen, der als das E rleben Go t tes aufgefaßt wird. Den Mythen des Chassidismus habe ich die Stoffe meiner Erzählungen entnommen. Ich habe mich zu ihnen so frei gestellt, wie der Dichter sich zu Mythen stellen muß, die an sich keine Form haben, sondern – als die Erzeugnisse nicht bewußten Künstlergeistes, sondern einer dumpfen, erschütterten, in sich hineinhorchenden Volksmasse – gänzlich formlos und elementhaft sind. Diese Freiheit scheint mir aber gerade die rechte Treue zu sein, wie sie dem Nachgeborenen geziemt, der nicht zu wiederholen, sondern fortzusetzen hat, und der nicht einer früheren Zeit, sondern aller Zeit botmäßig zu sein versuchen muß.

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Der jüdische Sagenschatz ist einer der grössten und merkwürdigsten der Weltliteratur. Insbesondre sind es die Motive der biblischen Geschichten, die, in unablässiger Wandlung und Ausformung begriffen, zu einer Fülle mythischer und legendärer Erzählungen erwuchsen. Vieles entwickelte sich aus den Stoffen der kanonischen Sammlung, manches Andere unabhängig von ihnen oder doch nur lose mit ihnen verknüpft, aus der Volksphantasie, die freilich sowohl eigennationalen als auch fremden Einflüssen zugänglich war, aber mit ihrem Material doch in einer eigentümlich freien, bildnerischen Weise schaltete. Wie die Schriftsteller der Bibel einerseits jüdisch-historische Überlieferungen, anderseits die Mythensprache der grossen Nachbarsvölker verwerteten und doch etwas durchaus Einzigartiges daraus erschufen, so gestaltete die in mündlicher Tradition lebende Sage aus Elementen uralten Dämonenglaubens und aus der ewig bildsamen Legende, die das Leben religiöser und volkstümlicher Heroen verklärte, eine geschlossene Welt von unsäglich wirksamer Originalität. In dem talmudisch-midraschischen Schriftthum niedergelegt, behielt die Sage auch über diese Epoche hinaus die Fähigkeit der Erneuerung, ja sie nahm durch die Einwirkung der mittelalterlichen jüdischen Mystik einen tieferen, symbolischen Charakter an. So ist ein stetig wachsender Kreis von Erzählungen und Erzählungsfragmenten entstanden, der im Gegensatz zur festgelegten und unantastbaren gleichsam die freie und in ewigem Werden begriffene Bibel darstellt. Dieser Sagenschatz war dem deutschlesenden Laien bisher unzugänglich; er wird für ihn erst durch die Publikation, deren ersten – in sich selbstständigen – Band wir hier vorlegen, erschlossen. Aus einer ungewöhnlich umfassenden Quellenkenntnis entstanden, so dass sie sich auch dem Gelehrten vielfach nützlich erweisen muss, verdankt sie ihre Gestalt einem feinsinnigen und verständnisvollen Sammel- und Auswahlsprinzip. »Es musste«, sagt der Herausgeber mit Recht, »eine Art neuen SagenMidraschs geschaffen werden«, das heisst eine neue von jenen seltsamen, auf mythischem Grunde aufgebauten Schrifterklärungen oder vielmehr Schrifterweiterungen; eine, die wie die alten ihre Anordnung dem Gange der biblischen Erzählung entnimmt, die sich aber von ihnen allen dadurch abhebt, dass sie ihre Vereinigung, ihre Synthese darstellt: dass in ihr alles, was jene an eigenwüchsiger Kraft und dauerndem Wert enthalten, zu einer neuen Einheit geworden ist. Und da die Übersetzung zugleich getreu und ausdrucksvoll ist, glauben wir dieses Buch allen emp-

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fehlen zu dürfen, die in eine geheimnisvolle, an wundersamer Schönheit reiche Welt eingeführt zu werden begehren.

Zwiefache Zukunft Dieser Aufsatz ist als Antwort auf eine Umfrage über die Zukunft des Judentums im dem IV. Band des von S. Hurwitz herausgegebenen hebräischen Sammelbuchs Heathid (Die Zukunft) erschienen. 5

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Kultur und Religiosität sind zwei Mächte, die einander in der Geschichte der Völker ablösen. Kultur ist die Stabilisierung der Lebensimpulse und Lebensformen zwischen zwei religiösen Erschütterungen. Religiosität ist die Erneuerung der Lebensimpulse und Lebensformen zwischen zwei kulturellen Entwicklungen. Wenn eine Kultur zerfällt, lösen sich die Kräfte aus ihrem Zusammenhang; es entsteht jenes fruchtbare Chaos, in dem allein der Same einer werdenden Religiosität aufgehen kann. Und in dem Maße, wie sich diese Religiosität objektiviert, wie sie aus dem Stadium der Erschütterung aller Seelenkräfte in das der konstanten Form übergeht, in dem Maße bereitet sich eine neue Kultur vor. In der religiösen Erneuerung waren die Kräfte frei geworden, in der Kultur binden sie sich wieder in neuen Lebensformen, binden sich immer fester, immer zäher, bis sie schwunglos gefangen liegen in den Formen; und dann kommt wieder ein Augenblick, wo das Leben aufsteht wider das sinnlos gewordene Gesetz, das einst der Geist ihm schuf, – wo es die Form zerbricht und den Geist zu neuer Schöpfung aus dem Chaos aufruft. Aber dieses Zerbrechen ist in der Existenz eines Volkes oder einer Völkergruppe kein bloßer Wendepunkt, an dem man zuversichtlichen Blickes in die Zukunft schauen kann; es ist vielmehr eine furchtbare Krisis, die sich oft nicht zur Erneuerung, sondern zum Tode entscheidet. Und doch gibt es nicht bloß zu einer neuen Religiosität, sondern auch zu einer neuen Kultur keinen anderen Weg als durch dieses Zerbrechen; denn von einer sterbenden zu einer jungen Kultur führt kein allmählicher Übergang, sondern ein elementarer Umschwung, eine Aufrüttelung aller Kräfte. Dieser Umschwung kann zunächst keinen anderen Ausdruck finden als den religiösen; ehe der in seinen Kräften erneuerte Mensch sich neue Lebensformen schafft, schafft er sich ein neues Verhältnis zum Leben selbst, einen neuen Sinn des Lebens – vielmehr, der neue Sinn des Lebens ist in der Erneuerung aller Kräfte der innerste Trieb und Kern. Und wie es sich ereignen kann, daß ein Volk mitten in der Krisis zugrunde geht, weil es nicht mehr stark genug ist, um dem Chaos standzuhalten, um es mit dem Geiste zu überwinden, so kann es sich ereignen, daß ein Volk auch noch dann zugrunde geht, wenn es nicht mehr im Chaos, sondern schon in der religiösen Erneuerung steht; es kann sich ereignen, daß es mit dem letzten Laute des neuen Weltenwortes auf den Lippen stirbt. Das geschieht dann, wenn das Volk noch innere Gewalt,

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aber keine innere Sicherheit mehr hat; es kann noch schaffen, aber es kann nicht mehr halten – es sammelt sich und gibt sich aus in seiner letzten Schöpfung. Gewalt des stürmenden Geistes, den Brand zu erregen; Sicherheit der aufbauenden Seele, sich in dem Läuterfeuer des Brandes zu erhalten: das sind die Mächte, die ein Volk zu verjüngtem Leben geleiten. Damit ist im Grunde alles gesagt, was ich zur Frage nach der Zukunft des Judentums zu sagen habe. Unsere Goluskultur ist zerfallen, weil ihre Lebensformen zerfallen sind. Alle Versuche, an sie anzuknüpfen, müssen scheitern; das sind mit größerem oder geringerem Geschick unternommene Galvanisierungexperimente, nichts weiter. Wir leben im Chaos. Doch wir fühlen, daß wir noch nicht zu sterben brauchen, daß wir noch nicht sterben können, weil unser Geist noch die Gewalt zu neuer Schöpfung hat. Diese Schöpfung aber kann nichts anderes sein als das einzige, was allezeit aus der Auflösung einer Kultur hervorging, wenn die Gewalt noch lebendig war: religiöse Erneuerung. Ich habe bereits einmal gesagt, daß deren Mutterboden nur »die ungeheure Zerissenheit, die schrankenlose Verzweiflung, die unendliche Sehnsucht, das pathetische Chaos vieler heutigen Juden« sein kann. Jetzt und hier: in diesem fiebernden Land, in dieser schreienden Stunde wird das Heilige geboren. Und wer über eine neue Religiosität hinaus in eine neue Kultur schauen will: brauche ich ihm noch zu sagen, daß wir wohl noch innere Gewalt aber keine innere Sicherheit mehr besitzen? Dem jüdischen Volk, das wir kennen, ist sie auf ewig verloren. Gebt ihm alle äußere Sicherheit – die innere, die aufbauende, formgebende Sicherheit der Seele wird es nicht wiedergewinnen können. Die kann nur ein neues Volk im Wachstum vieler Geschlechter aus starker Erde mit starken Wurzeln saugen. Ein neues Volk; neue Völker entstehen nicht bloß aus der Vermischung mit einem anderen Stamm, sie können auch aus der Vermählung mit einer andern Erde hervorgehen. Und kann diese Vermählung nicht eine – Wiedervermählung sein? In unseren Tagen gehen junge Menschen unseres Blutes zu der anderen – zu ihrer eigenen Erde; es wird eine Zeit kommen, da dort ein neues Volk geboren sein wird, blutsverwandt mit diesem hier, das wir das jüdische nennen, dennoch von ihm durch einen Abgrund getrennt, durch den Abgrund zwischen innerer Sicherheit und innerer Unsicherheit. Aber wenn dort nicht bloß Leben, sondern auch Kultur wachsen soll, wird über den Abgrund ein Funke springen müssen: der Funke der religiösen Erneuerung. Es ist ein tiefes Symbol des Judentums, daß das Kommen des Messias v o r die Erlösung des Volkes gestellt wurde. Und es wird vielleicht geschehen, daß hier ein Volk sterben wird, mit dem letzten Laute des neuen Weltenwortes auf den Lippen, hinsterben in die Menschheit; und daß dort ein Volk leben wird, die neue Religiosität einschränkend und einformend zur Kultur.

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Wir können uns unser eigenes Gefühl vom Mythos zunächst nicht besser deuten, als wenn wir uns den Sinn des Wortes etwa von Plato mitteilen lassen. Wir finden dann, daß Mythos bedeutet: ein Bericht von göttlichem Geschehen als einer sinnlichen Wirklichkeit. Es ist demnach nicht Mythos zu nennen, wenn das göttliche Geschehen als ein transzendenter Hergang oder als ein Erlebnis der Seele zu erzählen versucht wird: ein theologischer Vortrag, sei er auch von evangelischer Einfalt und Größe, oder eine Nachricht von ekstatischen Visionen, sei sie von noch so erschütternder Sichtbarkeit, stehen außerhalb des eigentlich Mythischen. Dieser ursprüngliche Gehalt der sprachlichen Überlieferung ist so tief und dauernd berechtigt, daß man es recht wohl begreifen kann, wie sich aus ihm die Ansicht bilden mußte, die mythenbildende Kraft sei einzig jenen Völkern eigen, denen das Göttliche als eine sinnlich gegebene Substanz galt und die daher auch sein Tun und Leiden als einen Zusammenhang rein sinnlicher Begebenheiten auffaßten. Man ging weiter und stellte die polytheistisch empfindenden Völker den monotheistisch empfindenden als die mythenschaffenden den mythenlosen gegenüber. Zu diesen, den mythenlosen Völkern, wurde das jüdische gezählt und als solches verherrlicht oder verachtet; verherrlicht, wenn der Beurteilende im Mythos eine niedere Vorstufe der Religion sah, verachtet, wenn er in ihm den sich über aller Religion erhebenden Gipfel des Menschentums, die natürliche und ewige Metaphysik der Menschenseele erblickte. Solche – zumeist recht wirksame – Versuche, das Wesen von Völkern zu bewerten, statt es zu erkennen, sind immer töricht und unnütz; am meisten dann, wenn sie wie hier auf Unkenntnis oder Entstellung der geschichtlichen Realität gegründet sind. Unkenntnis und Entstellung sind ja die Grundpfeiler der modernen rassenpsychologischen Behandlung des Judentums; man entdeckt etwa einen rationalistischen oder utilitaristischen Zug in einigen Aussprüchen oder Gepflogenheiten des offiziellen Judentums und beteuert, den Rationalismus oder den Utilitarismus des Judentums erwiesen zu haben; ohne zu ahnen oder ahnen zu wollen, daß jenes nur unbedeutende, wiewohl geltungsmächtige Stockungen in der großen, aber demütigen Flut der inbrünstigen, hingegebenen, überzweckhaften jüdischen Volksreligiosität bedeutet. Und die jüdischen Apologetiker hinwieder, deren armseliger Eifer darauf geht darzulegen, daß das Judentum gar nichts Besonderes, sondern nur die pure Humanität sei, tun das Glei-

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che auf ihre Weise: weil sie selbst in der Korruption des Rationalismus und Utilitarismus befangen sind. So hat man denn auch von beiden Seiten die Existenz von Mythen im Judentum lange Zeit geleugnet. Das war nicht gar schwer. Das nachbiblische Schrifttum blieb in seinem Wesen lange unbekannt: die Agada galt als müßiges Phantasiespiel oder als flache Parabeldichtung, der Midrasch als spitzfindige und unfruchtbare Kommentarsammlung, die Kabbala als sinnlose und groteske Zahlentüftelei, den Chassidismus kannte man kaum dem Namen nach oder tat ihn als eine krankhafte Schwärmerei mit geringschätziger Gebärde ab. Die Bibel aber mochte auch mancher redlichen Erforschung so erscheinen, als sei ihr alles Mythische fremd; ist sie doch in die Form, in der sie auf uns gekommen ist, durch eine vom Geiste des offiziellen spätjüdischen Priestertums inspirierte Körperschaft gebracht worden, die die nährende Quelle aller wahrhaften Religiosität, den Mythos, als den Erbfeind der Religion, wie sie sie dachte und wollte, ansah und daher aus der Fülle überkommener Schriften alles Mythische nach bestem Wissen ausschied. Glücklicherweise war dieses ihr Wissen kein vollständiges, und manches entging ihr, dessen ursprünglicher Charakter ihr nicht mehr gegenwärtig war. So finden sich in allen Büchern der Bibel versprengte Adern des edlen Erzes. Als sie durch die neue Forschung aufgedeckt wurden, konnte man die Existenz des jüdischen Mythos nicht länger leugnen; aber man bestritt nunmehr seine Selbständigkeit. Wo man bei einem anderen vorderasiatischen Volke ein verwandtes mythisches Motiv fand, wurde es als das Original, das jüdische als Abklatsch proklamiert; und wo man keins fand, da nahm man eben an, das Original sei verloren gegangen. Es tut nicht not, hier diesen Kleinlichkeiten (die dem tief fundierten, aber aussichtslosen Verlangen des heutigen Abendländers entsprungen sind, sein Christentum, auf das er nicht verzichten kann, zu entjuden) nachzugehen; denn was unendlich wesentlicher ist als sie einzeln zu widerlegen: die ganze Geschichtsauffassung, die sie erst möglich macht, ist eine ungeheuerliche Verirrung. Es ist ein verkehrtes und vermessenes Beginnen, einen solchen zyklopischen Bestand wie den Mythenbesitz eines Volkes unter dem kläglich ephemeren Gesichtspunkt der sogenannten Originalität zu betrachten. Wo der Geist vor uns steht, da gilt nicht Originalität, sondern Realität; und die Werke des Geistes sind nicht dazu da, daß wir sie zerlegen und die Produkte der Analyse daraufhin prüfen, ob sie hier zum erstenmal vorkommen – dieses »zum erstenmal« kann nur der kümmerliche Maulwurfsverstand konzipieren, der die unendliche Geschichte des Geistes und seine ewig neuen Bildungen aus dem ewig gleichen Material nicht ahnt –; die Werke des Geistes sind dazu da, als geformte Ganzheit, als einige Gestalt, als Realität empfangen, erlebt, verehrt zu werden.

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Und eine solche Realität ist der Mythos der Juden, wie wir ihn trotz aller jüdischen und antijüdischen Anschläge uns wieder aufzubauen vermögen. Er mag allerlei »Motive« mit denen anderer Völker gemein haben, und es wird kaum je möglich sein, wahrhaft zu ermitteln, welche davon auf einer Wanderung von Volk zu Volk – wie sich ja alle Völker, die sogenannten produktiven und die sogenannten rezeptiven, gebend und nehmend erfahren – beruhen, welche hingegen auf der Artgemeinsamkeit, die zwischen den Juden und jenen anderen Völkern bestand oder besteht: der Gemeinsamkeit der Formen des Erlebens und der Formen, das Erlebte auszusprechen, aber auch auf der Gemeinsamkeit der Erde und des Schicksals: der Gemeinsamkeit der Inhalte des Erlebens. Das, sage ich, wird wohl nie völlig zu ermitteln sein. Aber nicht das ist uns Nachgeborenen wesentlich, sondern die Reinheit und Größe des schöpferischen Menschentums, das all dies, wie Cellini seinen ganzen Hausrat, in den Gußofen wirft und daraus die unsterbliche Gestalt errichtet. – Gleichzeitig mit der Bibel wurde auch das spätjüdische Schrifttum, wenn auch nicht in gleichem Grade, Gegenstand der neuen Forschung. Und obgleich auch in ihm, wie in der Bibel, das Walten mythenfeindlicher Elemente, des Rigorismus des Gesetzes und der rabbinischen Dialektik, sich kundgibt und die Äußerung beschränkt, konnte man nicht umhin, darin eine Fülle mythischen Stoffes zu entdecken. Was als willkürliche Kommentierung biblischer Stellen gegolten hatte, erwies sich als ein Schöpfen und Umbilden ältesten Volksgutes; sagenhafte Überlieferungen, die man bei der Redaktion des Kanons zu ersticken versucht hatte, blühten hier in urweltlichem Reichtum; eine von Mund zu Ohr und wieder von Mund zu Ohr durch die Geschlechter wandernde Übergabe heiliger Geheimnisse, und doch auch ein unablässiges Neuwerden, bis in die große Umdichtung aus dem Geiste der jüdischen Mystik. – Wie die antijüdischen Rassentheoretiker nach dem Bekanntwerden der mythischen Elemente der Bibel, so konnten nach dem Bekanntwerden der mythischen Elemente des nachbiblischen Schrifttums die rationalistischen jüdischen Apologetiker die Fiktion, es gebe keinen jüdischen Mythos, nicht länger aufrechterhalten. Sie betraten daher einen neuen Weg: sie unterschieden nunmehr ein negatives, mythologisches und ein positives, monotheistisches Judentum; jenes verwarfen sie als Hemmung und Trübung, dieses feierten sie als die wahre Lehre; sie sanktionierten den Kampf des Rabbinismus gegen den Mythos als die fortschreitende Reinigung eines bedeutenden Ideengehalts und stellten sich gleichsam selbst in diesen Kampf ein. Ein namhafter jüdischer Gelehrter, der dieser Richtung nahesteht, obgleich er sich größere Ziele als die Apologetik setzt, David

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Neumark, formulierte diese Ansicht in dem Satz: »Die Entwicklungsgeschichte der jüdischen Religion ist in Wahrheit die Geschichte der Befreiungskämpfe gegen die eigene und fremde, altehrwürdige und neugedichtete Mythologie.« Dieser Satz enthält eine Wahrheit, aber sie ist so parteiisch ausgedrückt, daß sein Wahrheitsgehalt verdunkelt erscheint. Wir wollen ihn wiederaufhellen und dem Satz eine gerechtere Fassung geben: »Die Entwicklungsgeschichte der jüdischen Religion ist in Wahrheit die Geschichte der Kämpfe zwischen dem natürlichen Gebilde der mythisch-monotheistischen Volksreligion und dem intellektuellen Gebilde der rational-monotheistischen Rabbinenreligion.« Ich sagte: der mythisch-monotheistischen Volksreligion; denn es ist gar nicht wahr, daß Monotheismus und Mythos einander ausschlössen und ein monotheistisch empfindendes Volk somit der mythenbildenden Kraft entbehren müßte. Vielmehr ist jeder lebendige Monotheismus des mythischen Elements voll, und nur solange er dies ist, ist er lebendig. Allerdings bemühte sich das Rabbinentum in seinem blinden Streben nach »Abgrenzung« des Judentums um die Herstellung eines vom Mythos »gereinigten« Gottesglaubens; aber was es dabei zustande brachte, war ein elender Homunkulus. Und dieser Homunkulus war der ewige Exilarch, er hatte die Herrschaft über die Geschlechter des Galuth; unter seiner Tyrannei mußte die lebendige Kraft des jüdischen Gott-Erlebens, der Mythos, sich in den Turm der Kabbala verschließen oder sich am Spinnrocken der Frauen verstecken oder aus den Mauern des Ghetto in die Welt flüchten: er wurde als Geheimlehre geduldet oder als Aberglaube verachtet oder als Ketzerei verstoßen. Bis der Chassidismus ihn auf den Thron, auf den Thron eines kurzen Tages setzte; von dem er herabgestoßen wurde, um als ein Bettler unsere schwermütigen Träume zu durchirren. Und doch ist er es, dem das Judentum in den Zeiten der Gefahr seine innerste Geschlossenheit verdankte. Nicht Josef Karo, sondern Isaak Lurja hat im sechzehnten, nicht der Gaon von Wilna, sondern der Baalschem hat im achtzehnten Jahrhundert das Judentum wahrhaft gefestigt und abgegrenzt: da sie die Volksreligion zu einer Macht in Israel erhoben und die Persönlichkeit des Volkes erneuerten aus den Wurzeln seines Mythos. Und wenn es den freigelassenen Juden unserer Generation so schwer wird, ihre menschliche Religiosität mit ihrem Judentum zu einer Einheit zu verschmelzen, so ist dies die Schuld des Rabbinismus, der das jüdische Ideal entmannt hat; wenn aber dennoch der Weg zur Einheit uns noch geöffnet steht und es uns gewährt ist, indem wir unser Menschentum vollenden, zugleich unser Volkstum zu gewinnen, und indem wir nach unserem selbeigenen Gefühl das Göttliche verehren, die Flügel des jüdischen Geistes über unserem Haupte rauschen zu hören, so hat dies uns die hohe Kraft unseres Mythos erwirkt.

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Wollen wir nun das Wesen des monotheistischen jüdischen Mythos erkennen und dadurch zugleich das Wesen des Mythos überhaupt tiefer erfassen lernen, so liegt uns ob, die Entstehung des jüdischen Monotheismus zu betrachten, wie sie sich uns aus der Bibel kundgibt. Wir entdecken dann drei Schichten, die wir klar zu sondern vermögen. Von diesen drei religionshistorischen Schichten – die mit den textgeschichtlichen der modernen Bibelkritik nicht verwechselt werden dürfen – steht die erste unter dem Namen Elohim, die zweite unter dem Namen Jahwe, die dritte benutzt beide Namen, um ein in Wahrheit namenloses Gotteswesen in seiner zwiefachen Erscheinung als Allgott und als Volksgott anzudeuten; und jede dieser Schichten hat ihre spezifische Mythologie; in ihnen baut sich der jüdische Mythos auf. Der Name »Elohim« tritt in der Bibel gewöhnlich als Singular auf, aber es ist unverkennbar, daß er ursprünglich ein Plural war und etwa »die Gewalten« bedeutete. Wir finden zahlreiche Spuren dieser Gottvielheit, die nicht in verschiedene, individual existierende Gestalten von persönlicher Art und persönlichem Leben differenziert ist, sondern gleichsam eine im Wesen gesonderte, im Handeln verbundene Mehrheit kosmischer Kräfte, ein Aggregat schaffender, erhaltender und zerstörender Mächte, eine seltsame und unvergleichbare, über die Erde ziehende, sich in sich selber beratende und aus ihrem Rat beschließende Götterwolke darstellt*. Man kann verwandte Erscheinungen bei anderen Völkern aufzeigen; aber das sind alles sekundäre Gottheiten, Hilfsgottheiten – dem monumentalen Monopluralismus des Elohim-Mythos ist nichts anderes an die Seite zu setzen. Einzigartig ist auch seine weitere Entwicklung. Innerhalb der Vielheit des Elohim bildet sich eine dominierende Gewalt, ein namentragendes Hauptwesen heraus, das immer größere Macht an sich reißt und sich endlich, mit den mythischen Insignien eines alten Stammgottes geschmückt, als selbständiger Herrscher loslöst: Jahwe … Noch wird gesungen: Wer gleicht Jahwe unter den Söhnen der Götter? Bald aber führt er die Mächte, die ihm einst Gefährten waren, als dienende Heerschar mit sich, mit der er auch seinen Namen ergänzt: Jahwe des Gewaltenheeres, Jahwe Zebaoth. Zuletzt sinkt das Elohim zu einem bloßen Attribut herab: Jahwe Elohim wird der Einzige genannt; aber auch in seinen anderen Namen, so in Schaddai, schwingt die einstige Polydämonie nach. Und noch *

Ich kann an dieser Stelle nur auf Resultate hinweisen; wer unbefangen und mit Verständnis für den Sinn hebräischer Urworte den Bibeltext liest, wird sich die Belege leicht zusammenstellen.

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viel später, als er schon ins Unsinnliche gehoben worden ist, redet er zuweilen, als spräche er noch zu der urweltlichen Göttervielheit. Jahwe ist der göttliche Heros seines Volkes und die uralten Hymnen, die uns wie aus einer früheren geologischen Epoche bewahrt in den prophetischen Schriften, im Hiob, in den Psalmen versprengt erhalten geblieben sind, preisen seine Siegestaten, jede ein echter Mythos: wie er das Untier des Chaos zerschmetterte und unter dem Jubel der morgendlichen Sterne die Pfeiler der Erde in die Tiefe senkte. – Und nun greift jene supreme Tendenz des Judentums ein, die sich mit keinem Einheitsgebilde bescheidet, sondern von jedem zu einer höheren, vollkommeneren Einheit fortschreitet, und weitet diesen kosmisch-nationalen Jahwe zum Gott des Alls, zum Gott der Menschheit, zum Gott der Seele. Aber der Gott des Alls darf sich nicht mehr am Abend unter den Bäumen seines Paradieses ergehen, und der Gott der Menschheit darf nicht mehr mit Jakob bis zum Morgengrauen ringen, und der Gott der Seele darf nicht mehr im unversehrten Dornbusch brennen. Der Jahwe der Propheten ist keine sinnliche Wirklichkeit mehr; und die alten mythischen Bilder, in denen er verherrlicht wird, sind nur noch Gleichnisse seiner Unaussprechlichkeit. So scheinen denn die Rationalisten nun doch noch Recht zu bekommen und der jüdische Mythos ein Ende gefunden zu haben. Aber dem ist nicht so. Schon deshalb nicht, weil das Volk die Idee eines sinnlich nicht erlebbaren Gottes noch Jahrtausende später nicht wahrhaft angenommen hatte. Vor allem aber deshalb nicht, weil die Rationalisten den Begriff des Mythos zu eng und zu klein fassen. Wir haben damit begonnen, Mythos den Bericht von göttlichem Geschehen als einer sinnlichen Wirklichkeit zu nennen. Aber weder Plato noch unser Sprachgefühl versteht diese Definition so wie die Rationalisten sie verstehen: als ob nur der Erzählung von dem Tun oder Leiden eines als sinnliche Substanz gegebenen Gottes der Name eines Mythos zukäme. Vielmehr ist dies ihr Sinn: daß wir Mythos alle Erzählung von einem sinnlich wirklichen Geschehen zu nennen haben, die es als ein göttliches, ein absolutes Geschehen empfindet und darstellt. Um dies mit aller Klarheit zu erfassen, müssen wir noch einmal nach dem Allgemeinen ausschauen und danach fragen, wie denn Mythos entsteht.

3. Die Welterkenntnis des »zivilisierten« Menschen ist getragen von der Funktion der Kausalität, von der Betrachtung der Weltvorgänge in einem

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empirischen Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen. Durch diese Funktion wird erst eine Orientierung, ein Sichzurechtfinden im unendlichen Geschehen ermöglicht; zugleich aber wird der Sinn des einzelnen Erlebnisses geschwächt, weil es so nur aus seiner Beziehung zu anderen Erlebnissen, nicht vollkommen aus sich selber erfaßt wird. Beim primitiven Menschen ist die Funktion der Kausalität noch recht schwach ausgebildet. Fast ausgeschaltet ist sie bei ihm Ereignissen gegenüber, die ihm eine Sphäre darstellen, in die forschend, wiederholend, nachprüfend einzudringen nicht in seiner Macht ist, wie Traum und Tod; Menschen gegenüber, die in sein Leben mit einer gebieterischen Dämonie eingreifen, die er nicht nach Analogie seiner eigenen Fähigkeiten zu begreifen vermag, wie der Zauberer und der Held. Er reiht diese Ereignisse nicht in den ursächlichen Zusammenhang ein wie die kleinen Begebenheiten seines Tages, er reiht die Taten dieser Menschen nicht in die Kette des Geschehens ein wie die seinen und die seiner Vertrauten, er registriert sie nicht mit kundigem Gleichmut wie das Gewohnte und Verständliche, sondern er nimmt sie, von der kausalen Funktion ungehemmt, mit der ganzen Spannung und Inbrunst seiner Seele in ihrer Besonderheit auf und bezieht sie nicht auf Ursachen und Wirkungen, sondern auf ihren eigenen Gehalt, auf ihren Sinn als Äußerungen des unsagbaren, undenkbaren, nur eben in ihnen sich darstellenden Sinnes der Welt. Daraus ergibt sich die unzulängliche Empirie und Zwecksicherheit des Primitiven solchen elementaren Erlebnissen gegenüber, aber zugleich auch sein hohes Gefühl für das Irrationale des einzelnen Erlebnisses, für das, was daran nicht aus andern Vorgängen zu begreifen, sondern nur aus ihm selbst zu erschauen ist, für seine Bedeutung als Signum eines geheimen, überkausalen Zusammenhangs, für die Anschaulichkeit des Absoluten. Er stellt die Vorgänge in die Welt des Absoluten, des Göttlichen ein: er mythisiert sie. Sein Bericht von ihnen ist eine Erzählung von einem sinnlich-wirklichen Geschehen, die es als ein göttliches, ein absolutes Geschehen empfindet und darstellt: ist Mythos. Diese mythisierende, mythenbildende Fakultät erhält sich im späteren Menschen trotz aller Entfaltung der kausalen Funktion. In Zeiten hoher Spannung und Intensität des Erlebens fällt gleichsam vom Menschen die Fessel der Kausalitätsfunktion ab: er erkennt das Geschehen der Welt als ein überkausal sinnvolles, als die Äußerung eines zentralen Sinnes, der aber nicht etwa mit dem Gedanken, sondern nur mit der wachen Gewalt der Sinne und dem glühenden Schwingen der ganzen Person zu erfassen ist, als eine anschauliche, in aller Vielheit gegebene Wirklichkeit. So etwa ist noch immer das Verhältnis des wahrhaft lebendigen Menschen zu der Gestalt und dem Schicksal des Helden beschaffen; er vermag ihn in die

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Ursächlichkeit einzustellen und mythisiert ihn dennoch, weil ihm die mythische Betrachtung eine tiefere, ganzere Wahrheit eröffnet als die kausale und ihm so erst die geliebte, beseligende Gestalt im Innersten erschließt. So ist denn der Mythos eine ewige Funktion der Seele. Es ist nun seltsam und bedeutsam zu beobachten, wie diese Funktion sich mit der fundamentalen Anschauung der jüdischen Religiosität begegnet und wie sie doch auch wieder in dieser ein wesensverschiedenes, sie umwandelndes Element findet: wie sozusagen von Natur der jüdische Mythos eine geschichtliche Kontinuität darstellt und wie er doch zugleich sein besonderes, den andern, namentlich den okzidentalen Mythen fremdes Gepräge besitzt. Die fundamentale Anschauung der jüdischen Religiosität und der Kern des so vielfach mißverstandenen, so grausam rationalisierten jüdischen Monotheismus ist die Betrachtung aller Dinge als Äußerungen Gottes, alles Geschehens als einer Kundgebung des Absoluten. Während dem andern großen Monotheisten des Orients, dem indischen Weisen, wie er sich uns in den Upanischaden darstellt, die sinnliche Wirklichkeit ein Schein ist, den man abstreifen muß, um in die Welt der Wahrheit einzukehren, ist dem Juden die sinnliche Wirklichkeit eine Offenbarung des göttlichen Geistes und Willens. Darum ist für den indischen Weisen, wie später für den Platoniker, aller Mythos eine Metapher, für den Juden ist er ein wahrhafter Bericht von der Kundgebung Gottes auf Erden. Der antike Jude kann gar nicht anders als mythisch erzählen: weil ihm erst dann eine Begebenheit erzählenswert ist, wenn sie in ihrem göttlichen Sinn gefaßt worden ist. Alle erzählenden Bücher der Bibel haben einen Inhalt: die Geschichte von den Begegnungen Jahwes mit seinem Volke. Und später, als er aus der Sichtbarkeit der Feuersäule und der Hörbarkeit des Donners über dem Sinai in das Dunkel und Schweigen der Unsinnlichkeit eingegangen ist, bricht diese Kontinuität des mythischen Erzählens nicht ab; wohl kann Jahwe nicht mehr wahrgenommen werden, aber wahrgenommen werden können alle seine Äußerungen in Natur und Historie. Aus diesen baut sich der unendliche Gegenstand des nachbiblischen Mythos auf. Es geht wohl schon aus dem Gesagten hervor, was das ist, was ich das besondere Gepräge des jüdischen Mythos genannt habe. Er hebt die Kausalität nicht auf, er setzt nur an die Stelle der empirischen eine metaphysische Kausalität, einen ursächlichen Zusammenhang der erlebten Vorgänge mit dem Wesen Gottes. Das ist aber nicht etwa bloß in dem Sinne gemeint, daß sie von Gott bewirkt sind, sondern immer stärker bildet sich die tiefere und fruchtbarere umgekehrte Konzeption heraus: die von

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dem Einfluß des Menschen und seiner Tat auf Gottes Schicksal. Diese Anschauung, die schon früh eine zugleich naive und mystische Gestaltung findet und die im Chassidismus ihren höchsten Ausdruck gewinnt, lehrt, daß das Göttliche in den Dingen schlummert und nur durch den erweckt werden kann, der die Dinge in Weihe empfängt und sich in ihnen heiligt. Die sinnliche Wirklichkeit ist göttlich, aber sie muß in ihrer Göttlichkeit verwirklicht werden durch den, der sie wahrhaft erlebt. Die Gottesherrlichkeit ist in die Verborgenheit gebannt, sie liegt gebunden auf dem Grunde jeglichen Dinges, und sie wird in jedem Dinge erlöst durch den Menschen, der schauend oder handelnd dieses Dinges Seele freimacht. So ist ein jeder berufen, mit seinem eigenen Leben Gottes Schicksal zu bestimmen; so steht jeder Lebendige tief verwurzelt im lebendigen Mythos. Diesen zwei Konzeptionen entsprechen die zwei Grundformen, in denen sich der jüdische Mythos ausgebildet hat: die Sage von den Taten Jahwes und die Legende vom Leben des zentralen, des vollkommen verwirklichenden Menschen. Die eine folgt dem Gang der Bibel, so daß sich um den Bestand der Schrift eine zweite, gleichsam eine in unzähligen Schriften verstreute Sagenbibel geformt hat; doch schließt sich auch manches Stück späterer Geschichte und manche zeitlich nicht lokalisierte Erzählung an. Die zweite Grundform berichtet zunächst von einigen biblischen Personen, insbesondere von jenen geheimnisvollen Gestalten, die der kanonische Text vernachlässigt hat, wie Henoch, der aus Fleisch zu Feuer gewandelt wurde und aus einem Sterblichen zu Matatron, dem Fürsten des göttlichen Angesichtes; sodann erzählt sie in kosmischer Weite das Leben der heiligen Männer, die über die innere Welt herrschten, von Jeschua aus Nazareth bis zu Israel dem Sohne Eliesers, dem Baalschem. Die erste stellt gleichsam den ewigen Zusammenhang, die zweite die ewige Erneuerung dar. Die eine lehrt uns, daß wir Bedingte sind; die andere, daß wir Unbedingte werden können. Die eine ist der Mythos der Welterhaltung, die andere der der Welterlösung.

Zwei flandrische Wundergeschichten 1. Das Schauspiel Vor etlichen hundert Jahren war es in Flandern häufig, daß fromme und nachdenkliche Männer sich zu Gemeinschaften zusammentaten, um ihre Meinungen über jene Dinge auszutauschen, die sie zutiefst bewegten. Solche Vereinigungen nannten sich rhetorische Kammern. Eine von ihnen führte als Devise den Spruch: »Mein Werk ist heimlich,« und ihre Mitglieder sagten, es sei ihnen dieses Wort auf wunderbare Weise zugekommen; doch waren sie nicht geneigt, Genaueres über jenen Vorfall zu übermitteln. Hingegen fand man zu einer viel späteren Zeit in alten Berichten derselben Gesellschaft Aufzeichnungen über ein anderes geheimnisvolles Ereignis. Am Donnerstag vor Ostern pflegte diese Kammer alljährlich zur Erbauung einer Anzahl erwählter Personen ein Mysterium aus der Schrift vorzuführen. In dem Jahre, von dem der Bericht redet, fanden sich die Freunde in Brüssel zusammen, wo die Geschichte des Propheten Elias dargestellt werden sollte. Während des Spiels geschah dies: als der künstliche Rabe, der den Einsamen speist, von verborgenen Händen gelenkt, sich dem Darsteller näherte, stieß plötzlich mit heftigem Flügelschlag ein lebendiger Rabe aus der Höhe der Bühne nieder, entriß dem falschen das Brot, reichte es dem Propheten und entschwand. Die Zuhörer verharrten mit flatterndem Herzen zwar, aber dennoch in eine fremde Starre gebannt. Auf dem Theater ging das Spiel weiter. Jetzt war der Augenblick nahe, da Elias in einem feurigen Wagen im Wetter gegen oben entführt werden soll. Alles war sorglich vorbereitet und oftmals geprobt, doch schien es den Leuten, die hinter der Bühne den künstlichen Apparat bedienten, als lösche das Licht unter ihren Händen und als weigere sich zugleich die verborgene Winde, ihre Arbeit zu tun. Wie sie sich aber geängstet und mit großer Anstrengung mühten, brauste der Sturm durch den Raum, wehte alle Lichter aus, der Wagen begann zu leuchten, erst nur gedämpft, dann brach ein gewaltiger Feuerstrom aus ihm, er wurde gehoben, nach oben getragen und entführt. Im Augenblick des Entschwindens aber wuchs die Gestalt des Darstellers über Menschenmaß, sein Angesicht wandelte sich ins Unaussprechliche, furchtbar blendend traf sein letzter Blick. Das Feuer, das nichts und niemanden sehrte, erfüllte das Haus und war so weithin sichtbar, daß sich der nächtliche Himmel rötete und der große freie Platz vor dem Theater sich alsbald mit schreiendem Volk füllte, das

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aufgeschreckt aus Häusern und Gassen herbeiströmte. Schon aber erlosch das Licht. Blaß und verschwiegen kamen die Gäste in die frostige Frühlingsnacht hinaus. 2. Das Schweigen 5

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Einst war in Flandern ein Mönch, der trug so große Ehrfurcht vor dem Wort, das da ist von Anbeginn als Meister aller Dinge, daß er sechzehn Jahre seines Lebens lebte und ließ in dieser Zeit keine Rede je über seine Lippen. Da geschah, daß in dem Kloster Afflighem, dem er zugehörte, in einer Nacht ein großer Brand ausbrach, der war so unstillbar und ungebärdig, daß die Arbeit der Brüder und Knechte an ihm zuschanden wurde. Und alsbald war unter den Klosterleuten kein anderer Gedanke mehr, als das nackte Leben zu sichern, und sie flohen in Hast und ohne Ueberlegung aus dem rings brennenden Haus, ein jeder wie ers am besten vermochte. Der Schweiger aber blieb inmitten, stand eine Weile unbewegt, dann öffnete er den Mund und redete zur Flamme: Halt ein zu dieser Stunde! Da verspürte das Element die alte unverstellte Gewalt, die aus einem Menschenmunde kam und an der Welt nicht war eitel worden, gehorchte und ließ ab vom Kloster.

Die vier Zweige des Mabinogi Ein keltisches Sagenbuch In den Jahren 1838 bis 1849 veröffentlichte Lady Charlotte Guest den Text und die englische Übertragung 1 von elf alten walisischen Prosaerzählungen in drei Bänden unter dem Titel »Die Mabinogion«. Die Erzählungen waren mit einer Ausnahme einer Handschrift der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts entnommen, die als »das Rote Buch von Hergest« bekannt ist und, wie so viele des Mittelalters, einen sehr mannigfaltigen Inhalt – Geschichten und Gebete, Gesetze und Gedichte – umfaßt. Sie stammen alle in ihrem Wortlaut aus einer älteren, in ihrer Fabel aus einer weit älteren Zeit als die Handschrift; aber nur vier von ihnen (wenn man von dem merkwürdigen Fragment »Taliesin« absieht) sind eine Umprägung ältesten Volksguts. Diese vier sind auch die einzigen, denen der Name Mabinogion (Plural von Mabinogi) rechtmäßig zusteht; richtiger noch sind sie – den Eingangs- und Schlußformeln der einzelnen Erzählungen gemäß – die vier Zweige des Mabinogi zu nennen. Das Wort Mabinog bezeichnete 2 einen Bardenschüler, wie deren jeder Barde drei hatte, und das Wort Mabinogi den überlieferten mythischen und historischen Stoff, den er sich – neben der Kenntnis der Sprache, der Metrik, der Gesetze und der Sitten – anzueignen hatte. Eine Sammlung solchen Stoffes stellen die vier Zweige des Mabinogi dar. Sie sind daher mit Recht den Sagen in des Isländers Snorri Sturluson Edda verglichen worden, die er zum Gebrauch der Skalden zusammengetragen hat. Wie jene darf man sie »als die Reste eines Schrifttums betrachten, das von einer besonderen literarischen Kaste geschaffen wurde, zu deren festgesetzten Pflichten es gehörte, die mythischen und heroischen Überlieferungen der Rasse zu erhalten«.3 Die sprachliche Form der vier Erzählungen weist auf das Ende des zwölften oder den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts als die Zeit ihrer Niederschrift hin, doch wird vielfach als ihre eigentliche Entstehungszeit 1.

2. 3.

Die Abschrift war vielfach ungenau und die im ganzen vorzügliche Übertragung zuweilen fehlerhaft; überdies hat Lady Guest Stellen, die ihr anstößig schienen, weggelassen oder paraphrasiert. Eine zuverlässige und vollständige Übertragung hat erst 1889 J. Loth gegeben (H. d’Arbois de Jubainville: Cours de littérature celtique. III. IV. Eine neue Auflage erschien 1913). S. John Rhys’ Einleitung zu seiner und J. Gwenogfryn Evans’ Ausgabe der Mabinogion (Old Welsh Texts I. Oxford 1887). Ivor B. John: The Mabinogion (Popular Studies in Mythology, Romance and Folklore XI. London 1911).

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das zehnte und elfte Jahrhundert angenommen, da sie im Gegensatz zu den andern Geschichten des Roten Buches keine Spur eines Einflusses der Artussage aufzeigen, die, so volkstümlich sie schon damals in Wales sein mochte, erst nach der Eroberung Englands durch die Normannen eine entscheidende Wirkung wie auf die ganze west- und mitteleuropäische so auch auf die keltische erzählende Dichtung ausübte. Die vier Zweige des Mabinogi sind fast das einzige Dokument der walisischen epischen Prosa jener Zeit. Sie sind die auf uns gekommene Auslese eines – nach den in anderen Dichtungen, insbesondere aber in den sogenannten Triaden verstreuten Hinweisen zu schließen – ungeheuren Sagenbestandes, der im zehnten und elften Jahrhundert literarische Gestalt gewann. Man sieht ihnen selbst an, daß dem so war, denn manches Motiv wird – als eines, das aus einer andern Erzählung bekannt ist – mehr angedeutet als ausgeführt. Ein anderer Umstand noch weist darauf hin, daß die vier Erzählungen aus einem alten Sagenbestande herausgehoben worden sind: die zyklische Form. In der ersten wird Pryderis Geburt, in der zweiten und dritten seine Kämpfe und Leiden, in der vierten sein letzter Krieg und sein Tod berichtet; aber außer zwischen der zweiten und der dritten herrscht zwischen den Geschichten keinerlei Kontinuität, und Pryderi, der sie verbindet, ist in keiner die zentrale Person, sondern steht an Sichtbarkeit und Bedeutung in der ersten seinem Vater Pwyll, in der zweiten seinem Oberherrn Bran, in der dritten seinem Waffengefährten Manawyddan, in der vierten seinem Feinde Gwydion weit nach. Die vier Erzählungen bilden demnach keinen natürlichen, durch das Schicksal des Helden gefügten epischen Zusammenhang, sondern sie sind eine zyklische Vereinigung von Sagen aus dem gleichen Stoffkreise, bei deren kunstvoller 4 Zusammenstellung manche wesensfremde Motive miteinander verschmolzen worden zu sein scheinen. 5 Aber der Sagenbestand selber, dem die vier Zweige des Mabinogi entnommen worden sind, hat, ihn umbildend und mit Neuem vermischend, aus noch viel älterem, aus uraltem Mythenstoff geschöpft. Mancher ihrer Helden trägt den Namen eines Gottes; so ist Manawyddan Sohn Llyrs offenbar kein andrer als der zauberkundige irische Gott Manannan Sohn Lirs, und die Söhne der Don gemahnen an die Tuatha de Danann, den Stamm der Göttin Danu, das Göttergeschlecht der Iren. Und stärker noch 4. 5.

Vgl. z. B. die Verknüpfung des »Spiels des Dachses im Sacke« in der ersten Erzählung mit den schlimmen Zaubertaten Llwyds in der dritten, die als eine für jenes genommene Rache erscheinen. So z. B. in der zweiten Erzählung das Motiv des Wiedergeburts-Kessels mit Branwens Geschichte.

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als die Namen kündigen die Taten der Helden, die Atmosphäre von heimlicher Macht und Magie, die um sie ist, von ihrer einstigen Natur (wobei allerdings zu bedenken ist, daß die keltischen Götter niemals olympisch vom Menschlichen abgehoben waren, sondern ihm immer wesensverwandt und verbunden blieben). Es ist frühkeltisches mythisches Element, das hier von einem in neue Formen des Lebens hineingewachsenen Volke so verwandelt worden ist, daß es aus dieser Gestalt nur mit Hilfe der artgleichen irischen Sagen, die sich vom mythischen Urgrund nicht abgelöst haben, erschlossen und erkannt werden kann. Für die Barden, die die Mabinogion verfaßten, war der Mythus nicht mehr die Wirklichkeit der Welt, sondern dichterisches Material, freilich eines, in dem sich die Rassentradition, die zu erhalten ihnen oblag, verkörperte. Was sie taten, hat Matthew Arnold glücklich charakterisiert. »Das erste,« sagt er, 6 »was uns beim Lesen des Mabinogion aufstößt, ist, wie offenbar der mittelalterliche Geschichtenerzähler ein Altertum plündert, dessen Geheimnis er nicht wahrhaft besitzt: er ist wie ein Bauer, der seine Hütte an dem Orte erbaut, wo Halikarnassus oder Ephesus stand; er baut, aber was er baut, ist voll von Bestandteilen, deren Geschichte er nicht oder nur durch eine glimmende Überlieferung kennt: Steine ›nicht von diesem Hause‹, sondern von einer älteren, größeren, sinnreicheren, majestätischeren Architektur.« Und doch trifft Arnolds Gleichnis nicht völlig zu; denn mochten die Schöpfer der Mabinogion der heiligen Gewalt des Mythus halb entfremdet sein, sie standen im Dienst einer andern, die, wo sie wie hier in ihrem reinen, starken Wesen lebt, sich als jener ebenbürtig offenbart: der seligen Gewalt der Dichtung.

6.

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Es war zu einer Zeit, da aus dem Willen des Herrn, in dessen Hand eines jeglichen Dinges Ursprung und Ende ist, ungemessen Pein und Siechtum sich über die Welt ergoß. Vom Dunst der Tränen war die Luft beschwert, vom Hauch der Seufzer trübe und durchpeitscht vom Schrei der Vergehenden. Wehmut und Trauer lag selbst über den Heerscharen, die den Thron umstehen. Unter ihnen aber war einer, dem war das Herz ganz verstört von all dem zehrenden Leiden, auf das er niederblickte. Wenn er seine seelenmatte Stimme in den klingenden Gesang der andern mengte, rang der Zweifel in ihm mit der Treue, seine Gedanken lehnten sich auf und vermaßen sich am Herrn. Nimmermehr konnte er verstehen, zu welchem Ende der ewige Strom der Bitterkeit seine Giftfluten in das Meer des Lebens ausschütten mußte, nimmermehr, warum Tod und Verderben die Bindeglieder sind in der Kette des Geschehens. Da fühlte er einmal erschauernd, wie das Auge der Welten in sein Auge drang und die Verwirrung seines Herzens erfaßte. Er reckte sich auf und trat vor den Herrn hin. Sein lichtes Angesicht war vom Schmerz verdunkelt und seine Stimme versagte, da er reden wollte. Der Herr aber rief ihn mit Namen und berührte seine Lippen. Nun hub der Engel zu reden an und begehrte mit freien und kühnen Worten, daß Gott die Führung der Erde für eines Jahres Frist in seine Hände geben möge; er wolle sie zum Guten führen. Die Scharen um den Thron erzitterten in Scham und Bangen um den Vermessenen. Dann aber erstrahlten die Himmel unter Gottes gütigem Lächeln. Er blickte den Heischenden liebreich an und sprach die Gewährung aus. Der Engel hob sich schimmernd und erglühend gleich einer goldgesäumten Rosenwolke von hinnen. Nun kam ein Jahr der Wonne und der Anmut über die Erde. Der lichte Engel schüttete den ganzen Ueberfluß seines gnadenseligen Herzens auf die verängstigten, in Nöten erstarrten Kinder der Welt hernieder. Kein Schrei des Siechtums und des Sterbens störte die rauschenden Harmonien und der dunkle Genoß in der stählernen Rüstung, der vor kurzem noch brausend durch die Lüfte geeilt war, stand mit gesenktem Schwerte, seines Amtes entsetzt, in verdrossenem Warten bei Seite. So schwebte die Erde erst in einem Blütenhimmel, dann stand sie schwer und gebeugt unter ihrer Früchtelast. Die Menschen zogen singend durch die sattgelben Felder, als der Sommer reif und glühend war, kein Sterblicher wußte sich

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solchen Segens zu entsinnen. Dann kam die Ernte und es schien, als ob die Mauern bersten und die Dächer sich heben müßten, um all der Fülle Raum zu bieten. Der helle Engel aber, da er all seine Wünsche hatte vollbringen dürfen, lebte in einer Glorie stolzer Zufriedenheit. Ging auch die Herrschaft an dem Tage, da der erste Winterschnee die Felder deckte, wieder in des Herrn Hände über, so hatte er doch Güte und Gnade so über alles Maß gespendet, daß die Söhne der Irdischen auf eine lange Zeit der Gaben sich erfreuen würden. Es kam aber ein kühler, später Tag im Jahr, da scholl ein tausendstimmiges Wehgeschrei zum Himmel. In jähem, staunendem Erschrecken fuhr der Engel zur Erde nieder und trat, als Pilger angetan, in das erste Haus am Wege. Sie hatten das Korn gedroschen, zu Mehl gemahlen und zu Brot gebacken – aber wehe, das Brot, das aus der Glut kam, zerfiel in Stücke und die Stücke waren ungenießbar und erfüllten den Mund mit widerlichem, rauhem Erdgeschmack. Und so war es im zweiten Haus und im dritten und überall, wo der Engel seinen Fuß hinsetzte. Die Menschen aber lagen am Boden, rissen sich die Haare und fluchten dem Herrn der Welten, der ihre armen Herzen mit seinem falschen Segen genarrt habe. Der Engel flog hinweg und stürzte vernichtet Gott zu Füßen. »O Herr,« schrie er auf, »laß mich verstehen, worin der Mangel lag in meiner Kraft und Aufsicht!« Da erhob der Herr seine Stimme und sprach: »Es ist ein Ding bei mir, und bei mir allein seit Anbeginn, zu schwer und zu grausig für deine sanften Geberhände, mein freundlicher Gesell, – das heißt, die Erde mit Fäulnis nähren und mit Schatten decken, daß sie aus dem Samen gebäre, – das heißt, die Seelen mit Blut und Schmerzen fruchtbar machen, daß das Werk aus ihnen erstehe.«

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Im Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts und im Beginn des neunzehnten wußten Herder und Goethe, Novalis und Görres, daß der Orient eine Einheit ist. Wohl kannten sie die Vielfältigkeit seiner Völker, die in ihren geschichtlichen und literarischen Urkunden damals recht eigentlich erst von Europa entdeckt worden waren, aber sie blickten durch die Schale der Vielfältigkeit in den einigen Kern des Geistes. Das Morgenland war ihnen kein poetischer Tropus, sondern eine einheitliche, wirkende Wirklichkeit, deren Berührungen sie erfuhren und deren großes Leben sich ihrer ehrfürchtigen Ahnung auftat. Diese Einsicht blieb lebendig, bis die Rassentheorie unseres Zeitalters ihr mit breitem Erfolg entgegentrat. Wie die Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode auf die Psychologie, so hat hier deren Anwendung auf die Geschichte den edelsten Besitz der erkennenden Menschheit zu zersetzen versucht: eine Totalität. Das Verhältnis zwischen Reizstärke und Empfindungsstärke mag errechenbar sein, von der Wirklichkeit seelenhaften Geschehens weiß diese Rechnung nichts auszusagen; es mag noch so exakt feststellbare Rassenunterschiede geben, die überrassenhaften Gebilde – Völker und Völkerverbände – bleiben, solcher Untersuchung unzugänglich, die Wirklichkeit des Geistes. Als eine Totalität ist der große Völkerverband des Orients zu erweisen, als ein Organismus, in dessen Gliedern, mögen sie funktionell noch so verschieden sein, eine gleichartige Struktur und eine gleichartige Vitalität waltet und der dem Abendland in eignem Recht gegenübersteht. Man hat den Orientalen zuweilen als eine primitive Bildungsstufe, gleichsam als den stehengebliebenen Menschen angesehen, – eine karge und schematisierende Betrachtungsweise. Wohl aber darf man vom Orientalen hervorheben, daß die bestimmende Zeit seines inneren Schicksals, die Zeit, die seinen geistigen Charakter geprägt und seine schöpferische Kraft bestimmt hat, daß die Stunde seiner entscheidenden Plastizität in eine frühere Epoche der Erdgeschichte fällt als die plastische Stunde des Europäers. Was China und Indien, Ägypten und Vorderasien in dem ungeheuren dritten Jahrtausend vor Christi Geburt an formenden Gewalten erlebten, läßt sich aus den von diesem und dem folgenden Jahrtausend erhaltenen Resten ihrer riesenhaften Schöpfungen, dem Schiking und den Veden, den Pyramidensprüchen und dem Gilgameschepos nur in der Ahnung erschließen; etwas deutlicher wird uns, w as damals geschah, wenn wir die Männer begreifen, die in der Zeit, als über Grie-

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chenland die Blüte kam, im Orient erstanden: Männer der Restauration und Regeneration, Verkünder der Umkehr und Wiederherstellung, – die jüdischen Propheten und die Denker der Upanischaden, Zarathustra und Laotse. Man wird daraus verstehen, warum man vom Orientalen, wie etwa von der ägyptischen Plastik aus dem Anfang des dritten Jahrtausends, sagen darf, daß er zugleich primitiv und vollendet ist. Ich möchte den orientalischen Menschentypus, wie er ebenso in den Urkunden der asiatischen Antike wie im heutigen Chinesen oder Inder oder Juden erkennbar ist, im Gegensatz zum abendländischen, der etwa durch den Griechen der Perikleischen Zeit oder durch den Italiener des Trecento oder durch den Deutschen unserer Tage repräsentiert wird, als den motorischen im Gegensatz zum sensorischen ansprechen. Ich nenne sie so nach den Vorgängen, die bei dem einen und bei dem andern im Mittelpunkt des seelischen Prozesses stehen; wobei ich wohl weiß, daß ich vereinfachen, Vermischtes rein, Fließendes starr, Verknüpftes einsam machen muß, um das Wesentliche aufzuzeigen. Der psychische Grundakt des motorischen Menschen ist zentrifugal: ein Antrieb geht von seiner Seele aus und wird zur Bewegung. Der psychische Grundakt des sensorischen Menschen ist zentripetal: ein Eindruck fällt in seine Seele und wird zum Bilde. Beide sind empfindende, beide handelnde Menschen; aber der eine empfindet in Bewegungen, der andre handelt in Bildern; der erste hat, wenn er wahrnimmt, das Erlebnis der Tat, der zweite hat, wenn er tut, das Erlebnis der Gestalt. Beide denken; aber des einen Denken meint Wirken, des andern Denken meint Form. Ich sagte: der motorische Mensch empfindet in Bewegungen; er tut gleichsam seine Empfindung; sie wächst nicht in ihm, sondern schlägt durch ihn; sie nistet nicht einsam in seinem Gehirn, sondern breitet sich allem verbunden in dem erregten Leibe. Die Sinne dieses Menschentypus sind miteinander und mit dem dunklen Leben des Organismus eng verbunden; der Eindruck, der einen seiner Sinne trifft, geht als Stoß durch alle, und die spezifischen Sinnesqualitäten erblassen vor der Wucht des Gesamtzustands. Beim sensorischen Menschen sind die Sinne voneinander und von dem undifferenzierten Boden des organischen Lebens gelöst; sie stehen unter der Hegemonie des gelöstesten, unabhängigsten, objektivsten unter ihnen, des Gesichtssinns; der Triumph des Griechentums in der Welt der reinen Gestaltung ist das Werk dieser Hegemonie. Beim motorischen Menschen ist das Sehen nicht souverän, es dient nur der Vermittlung zwischen der bewegten Welt und der latenten Bewegung des eignen Leibes, der befähigt ist, jene mitzuempfinden und mitzuleben; die Bewegung der Welt ist es, die er mit dem Gesicht wie mit den andern

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Sinnen aufnimmt und die sich in ihm fortpflanzt. Er wird weniger des vielfältigen, ruhenden Seins der Dinge inne als ihres Geschehens und ihrer Beziehung, ihrer Gemeinsamkeit und ihrer Gemeinschaft; weniger des Umrisses als der Gebärde; weniger des Nebeneinander als des Nacheinander; weniger des Raums als der Zeit. Dieser Gegensatz ist auch noch in den innerlichsten Erlebnissen des Geistes mächtig. Platon schaut die von je ruhenden Ideen; was der indische Mystiker schaut, ist nicht die Ruhe, sondern das Aufhören der Bewegung. Platon schaut, und da ist nichts weiter als das Schauen; der jüdische Prophet schaut Gott nur, um sein Wort zu vernehmen. Platon nennt das Wesen der Dinge Eidos, das heißt Gestalt; der chinesische Philosoph nennt das Wesen der Dinge Tao, das heißt die Bahn. Das Weltbild des Orientalen ist von seiner Seelenartung bestimmt. Dem sensorischen Menschen, der unter der Führung des objektivsten Sinnes, des Gesichts, steht, objektiviert sich die Welt als eine Vielheit von Dingen, die sich vor seinen Augen ausbreitet und zu denen auch er selber, sein Leib gehört. Dem motorischen Menschen bekundet sich die Welt als die schrankenlose Bewegung, die ihn durchdringt. Er nimmt die Einzeldinge wahr, aber nicht jedes als ein für sich Seiendes, in sich Ruhendes und Beschlossenes, sondern alle nur als Knotenpunkte der unendlichen Bewegung, die durch ihn selber geht. Nur in diesem Sinn ist es berechtigt, den Orientalen einen subjektiv gerichteten Menschen zu nennen; er betrachtet naturgemäß die Welt zunächst als etwas, was an ihm geschieht; er spürt sie mehr als er sie wahrnimmt; denn sie erfaßt und durchfährt ihn, sie, die dem Okzidentalen gegenübertritt. Der Okzidentale begreift seine Empfindung aus der Welt, der Orientale die Welt aus seiner Empfindung. Der Okzidentale geht in seinem Weltbild von der Gegenständlichkeit der Welt aus, auch wo er von ihr zu den obersten Abstraktionen aufsteigt oder sich in die seelenhaftesten Geheimnisse versenkt, der Orientale von der Innerlichkeit der Welt, die er in seiner Innerlichkeit erlebt. Aber diese seine Innerlichkeit, in der alle Bewegung seines Leibes und seiner Seele gegründet ist, ist selbst nicht Bewegung; er fühlt sie in sich unantastbar und unwandelbar ruhen, aller Vielfältigkeit, allem Gegensatz urgrundhaft enthoben, den Mutterschoß, der alle Vielfältigkeit und allen Gegensatz gebiert und verschlingt, den namenlosen Kern und Sinn. Und wie er die Bewegung, die bewegte Erscheinung der Welt aus seiner Empfindung begreift, so ist es dieses sein Wissen um den Kern und Sinn seines Lebens, aus dem er den Kern und Sinn der Welt erschließt; dieser offenbart sich ihm in jenem, und in der letzten Wahrheit sind beide eins. In dieser Identifizierung wurzelt die schöpferische Gewalt des orientalischen Geistes. Der Okzidentale schreitet stufenweise von der Erscheinung zur Wahrheit

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der Welt oder dringt in aufblitzender Intuition zu ihr vor, der Orientale trägt die Wahrheit im Kern seines Lebens und findet sie in der Welt, indem er sie ihr gibt. Dieses Geben und Finden in einem ist der religiöse Akt des Orientalen. Jedes Weltbild ist ja, seinem Wesen als Bild gemäß, eine Vereinfachung und Vereinheitlichung der Welt; aber der Grieche etwa vereinfacht sie, indem er ihre Phänomene unter allgemeine Begriffe einordnet, der Asiate, indem er aus seiner Innerlichkeit, aus der Einheit im Geiste, die einige Welt aufbaut. Sein Einheitstrieb ist der elementarere. Die einige Welt aber soll – und hier begegnen einander alle großen asiatischen Religionen und Ideologien – nicht bloß konzipiert, sie soll realisiert werden. Sie ist dem Menschen nicht gegeben, sondern aufgegeben; es ist seine Aufgabe, die wahre Welt zur wirklichen Welt zu machen. Hier bewährt sich der motorische Charakter des Orientalen in seiner höchsten Sublimierung: als das Pathos der Forderung. Die Forderung mag durch eine ganz innerliche Tat erfüllt werden; so meint es der Inder des Vedanta, der, das Gewebe des Scheins zerreißend, sein Selbst als mit dem Selbst der Welt identisch erkennt und die wahre, die einige Welt in der allumfassenden Einsamkeit seiner Seele verwirklicht. Oder aber die Forderung geht auf die Aktivität der ganzen Lebenshaltung. Auf eine Aktivität etwa, die das Werden der inneren Welt in der äußeren gegen die Übergriffe der gewaltsamen Extreme schützt; so meint es der taoistische Chinese, in dessen uraltem Weltbild das Geschehen der Welt aus einem Gegenspiel zweier Prinzipien, des hellen und des dunklen, quillt, der aber als das einige Urprinzip, in dem beide stehen, das Tao, die Bahn, erkennt, das Tao, welches der Weise auf Erden mit seinem Leben verwirklicht, nicht eingreifend und doch durch die Wesenhaftigkeit seines Tuns und seines Nichttuns den einigen Sinn der Welt in der Wirklichkeit durchsetzend. Oder auf eine Aktivität, die das Hindernde, das böse Prinzip bekämpft und so dem Durchbruch der Einheit in der entzweiten Welt dient; so meint es der Perser des Avesta, für den es nicht gilt, das Gleichgewicht zwischen Licht und Finsternis zu halten, sondern für das Licht rückhaltlos Partei zu nehmen und dessen Krieg zu führen, bis es die Finsternis völlig vernichtet hat und die Welt unter seinem ausschließlichen Walten geeinigt ist. Immer aber, in allen Gestalten, ist es die gleiche beschwingte Forderung nach dem rechten Leben, dem erfüllenden Leben, nach dem »Weg«. Immer tritt das Wissen um die Beschaffenheit der Welt, auf dem der Okzidentale fußt, der sie bewältigen will, zurück vor dem Wissen um den Weg; von aller Lehre des Orients ist zu sagen, was ein Pilger von Buddha sagt: er habe nicht vorgetragen, ob die Welt ewig oder zeitlich sei, er habe einzig den Weg gelehrt. Auch Sokrates wollte den Weg und nicht das Wissen lehren; aber hier fehlt das Gefühl der oberen Lebenswahrheit:

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daß das innere Schicksal der Welt von der Handlung des Handelnden in einem Maße abhängt, das keiner zu ermessen vermag. Diese Wahrheit bedeutet der »Weg« der orientalischen Lehren. Es ist die Wahrheit des Wortes »Eins tut not«. Die Erkenntnis der Orients ist: daß die Innerlichkeit der Welt in ihrer Äußerung und Offenbarung gehemmt ist, daß die urgemeinte Einheit gespalten und entstellt ist, daß die Welt des Menschengeistes bedarf, um sie zu lösen und zu einigen, und daß das Leben des Menschen auf der Welt einzig darin seinen Sinn und seine Macht hat. Das Sein steht in der Entzweiung: in der Entzweiung von Ja und Nein, sagt die chinesische Formulierung, von Gut und Böse, die persische, von wahrer Welt und Scheinwelt, die indische. Der Mensch ist berufen, das Sein aus der Entzweiung zur Einheit zu bringen. Die Welt harrt des Menschen, daß er sie einige. Der Pfade, die ihn zu diesem Werke führen, sind viele, aber der Weg ist der eine,  ¡d @ to‰ jeo‰ (Mc. 12, 14), der Weg Gottes in der Welt. Das aber ist die ewige Größe des Orients und seine ewige Bedeutung für das Menschentum, daß diese Erkenntnis ganz ins Leben gekehrt ist: ob sie in Einsamkeit oder in Gemeinschaft, in der Stille oder im Kampf zu verwirklichen ist, ihr Wesen ist, daß sie verwirklicht zu werden heischt. Als Erkenntnis ist sie nur angelegt, vollendet ist sie erst als Tat. Die gedachte Idee ist dem Orient ein Entwurf, der erst in der gelebten zur Realität wird. Sie allein ist.

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Das Grundprinzip des Orients, das ich dargelegt habe, ist in allen seinen Völkern, die sich ein geistiges Haus erbauten, zur Entfaltung gelangt. Aber in einem unter ihnen, in dem kleinsten und spätesten, an der räumlichen Scheide zwischen Morgen- und Abendland gesiedelt und an der zeitlichen Scheide zwischen Blüte des Morgenlands und Blüte des Abendlands sich erschließend, hat es eine Wendung erfahren, welche das Geschick der Menschheit für die bis zu uns reichende Epoche entschieden hat. Die Juden sind ein Spätling des Orients. Sie erscheinen zu einer Zeit, da die großen Völker des Orients längst aus der Ära der Plastizität, der bestimmend formenden Erlebnisse getreten waren, und ihre schöpferische Kraft beginnt sich zu offenbaren, als jene Völker die ihre längst in weitausgespannten Kulturen ausgeprägt hatten. Zwei dieser Kulturen, von denen die biblischen Urkunden der ältesten Wanderungen Israels zu erzäh-

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len wissen, die babylonische und die ägyptische, haben das junge Volk der Juden beschenkt. Eine Gruppe von Gelehrten hat aus dieser Tatsache die Unselbständigkeit und Unproduktivität des jüdischen Geistes ableiten zu können geglaubt. Aber all ihr Bemühen geht von einer grundfalschen Voraussetzung aus: es bestehe die produktive Selbständigkeit eines Menschen oder eines Volkes darin, daß die Inhalte seiner Schöpfung nicht von andern hergenommen sind. Das Gegenteil ist wahr; schaffen heißt die Elemente in sich versammeln und zum Gebilde verschmelzen, und es gibt keine andre zulängliche Selbständigkeit als die der Gestaltung. Nicht wo einer ein »Motiv« findet, sondern was er daraus bildet, ist historisch entscheidend. Wenn ein ägyptischer Priester des zweiten Jahrtausends prophezeit, es werde eine Hungersnot über das Land kommen, dann aber werde ein König erscheinen, der den früheren Wohlstand wiederherstellt, so mag damit ein »Schema« tradiert sein, aber es ist gehaltlos und unfruchtbar; wenn aber tausend Jahre danach Amos von Tekoa dieses Schema ergreift und mit seiner Inbrunst lebendig macht, wenn er verkündet, der Herr Jahwe werde Israel unter allen Völkern sieben, daß kein Korn zur Erde falle, und werde die zerfallene Hütte Davids aufrichten, dann ist hier und nicht dort Schöpfung, hier und nicht dort Anfang. Und das gleiche ergibt sich, wenn man einen babylonischen Bußpsalm mit einem jüdischen vergleicht; dort die Beteuerung des Beters, er habe nur unwissentlich gegessen, was seinem Gott ein Greuel ist, hier die Bitte: Gib mir einen neuen und gewissen Geist. Was kann es gelten, wieviel da etwa übernommen wurde, gegenüber dem unsäglichen Prozeß der Verinnerlichung, der sich daran vollzogen hat? Verinnerlichung – so dürfen wir es nennen, was das jüdische Volk an den geistigen Elementen des Orients, die in seine Hand kamen, getan hat. Aber mit diesem Namen meine ich nichts Allgemeines, sondern etwas durchaus Eigentümliches. Alles, was ich vom Orientalen gesagt habe, gilt mit besonderer Deutlichkeit vom Juden. Er repräsentiert den motorischen Menschentypus in seiner reichsten Ausprägung. »Sein Bewegungssystem«, so habe ich es zu formulieren versucht*, »arbeitet intensiver als sein Sinnensystem, er hat im Handeln mehr Substanz und mehr Persönlichkeit als im Wahrnehmen, und seinem Leben ist wichtiger, was er zustande bringt, als was ihm widerfährt.« Das Tun ist ihm wesentlicher als das Erleben, oder richtiger: sein wesentliches Erleben ist in seinem Tun. Wie der Orientale überhaupt, so wird ganz besonders der Jude mehr der Gebärde der Dinge als ihres Umrisses inne, mehr des Nacheinander als des Nebeneinander, mehr der Zeit als des Raumes. »Die malenden Epitheta der Bibel sprechen *

Drei Reden über das Judentum (1911).

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im Gegensatz zu den homerischen nicht von Form und Farbe, sondern von Schall und Bewegung, die adäquateste künstlerische Ausdrucksform des Juden ist die spezifische Zeitkunst, die Musik, und der Zusammenhang der Generationen ist ihm ein stärkeres Lebensprinzip als der Genuß der Gegenwart.« Er erfährt die Welt weniger in dem gesonderten vielfältigen Einzeldasein der Dinge als in ihrer Verbindung, ihrer Gemeinsamkeit und Gemeinschaft. »Er sieht den Wald wahrhafter als die Bäume, das Meer wahrhafter als die Welle, die Gemeinde wahrhafter als den Menschen. Darum hat er mehr Stimmungen als Bilder, und darum auch treibt es ihn, die Fülle der Dinge, ehe sie noch ganz durchlebt wurde, im Begriff zu binden.« Beim Griechen ist der Begriff der Abschluß eines seelischen Prozesses, beim Juden der Anfang. Aber weit tiefer wurzelt in ihm des Orientalen elementarer Einheitstrieb, der in ihm, wie ich schon sagte, eine denkwürdige Wendung genommen hat. Auch der Jude sieht die Innerlichkeit der Welt in ihrer Äußerung und Offenbarung gehemmt, die urgemeinte Einheit gespalten und entstellt; auch er sieht die Welt in der Entzweiung stehen. Aber er erlebt die Entzweiung nicht bloß als etwas, was sich ihm in der Welt kundgibt, wie der Chinese, oder im Verhältnis zwischen der Welt und dem erkennenden Subjekt, wie der Inder, oder im Verhältnis zwischen der Welt und dem handelnden Subjekt, wie der Perser. Sondern er erlebt sie vor allem andern zuinnerst in sich selber: als die Entzweiung seines eignen Ich. Die einige Welt, die aufgebaut werden soll, ist im Menschen selber gemeint und angelegt als der »Wille Gottes«; aber im Menschen selber steht ihr das Hemmende, das Widerstrebende entgegen. Er fühlt sich zu jenem berufen, aber in dieses eingebettet; er erlebt sich als den Schauplatz des ungeheuersten Widerspruchs. Ein repräsentativer Jude, Saul von Tarsos, hat diese Erfahrung in erschütternd einfachen Worten ausgesprochen: »Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.« Der Mensch, dem dies widerfährt, steht in der Unfreiheit der Entzweiung, in der Bedingtheit, im Zwiespalt, in der »Sünde«; denn Sünde bedeutet gar nichts andres als zwiespältig, unfrei leben. Er ist der Träger der Weltentzweiung, er erlebt an sich selber das Schicksal der Welt, die aus der Freiheit in die Unfreiheit, aus der Einheit in die Entzweiung gefallen ist. Es ist aber in seine Macht gegeben, auch der Träger der Welteinung zu sein. Wie der Inder die Welt zur Einheit bringt, indem er erkennt, so bringt der Jude die Welt zur Einheit, indem er sich entscheidet. Beides ist scheinbar nur ein Vorgang im und am Individuum, in Wahrheit ist es ein Vorgang im und am Wesen der Welt. (Der im Geist lebende Orientale fühlt sich nicht als ein von den andern getrenntes Individuum, sondern als Subjekt schlechthin, ebenso wie er

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die Gemeinde nicht als eine Gruppe von Individuen, sondern als Subjekt schlechthin empfindet.) Das Wesen der Welt ist es, das in der Erkenntnis des Inders und in der Entscheidung des Juden zu sich selber, zu seiner Einheit und Ganzheit kommt. Darin offenbart sich nicht etwa bloß einem Menschen die Einheit seines Geistes mit dem Weltgeist, sondern es erfüllt sich die Einheit des Seins. In der Entscheidung entscheidet sich die entzweite Welt zur Einheit. Der in der Entscheidung steht, weiß nichts, als daß er zu wählen hat, und auch das weiß er nicht mit dem Denken, sondern mit dem Sein; aber wenn er mit der ganzen Seele wählt, vollzieht sich das Mysterium und der Geist Gottes schwebt über den Wassern. Mit der ganzen Seele. Wer sich mit der ganzen Seele entscheidet, entscheidet sich zu Gott; denn alle Ganzheit ist Gottes Ebenbild, und in jeder leuchtet er selber auf. In der wahrhaften, geeinten Entscheidung, in der alle Zweiheit aufgehoben ist, erfüllt sich in ewiger Erstmaligkeit der Ursinn der Welt. Von ihr sagt ein jüdisches Wort: »Die Welt ist um der Wahl des Wählenden willen erschaffen worden.« Dem Menschen, der sich entscheiden soll, stellt sich seine Entzweiung als die von Gut und Böse dar, das heißt von Richtung und Kraft. Nur wo sich eine Seele nicht zur Ganzheit zusammenzuschließen vermag, ergreift sie das Böse: läßt sie die richtungslose Kraft gewähren; die aus ihrer Einheit entscheidet, in der sind Kraft und Richtung vereint, die ungeschmälerte Gewalt des leidenschaftlichen Antriebs und die unabgelenkte Geradheit der Intention. An dem ihm anvertrauten Bereich vollendet dieser Mensch das Werk der Schöpfung. Jedes Dinges Vollendung aber, des größten und des geringsten, rührt an das Göttliche. Man kann von diesem Ort aus überschauen, wie unter allen Orientalen der Jude der offenbarste Widerpart der Griechen ist. Der Grieche will die Welt bewältigen, der Jude will sie vollenden; für den Griechen ist sie da, für den Juden wird sie; der Grieche steht ihr gegenüber, der Jude ist ihr verbunden; der Grieche erkennt sie unter dem Aspekt des Maßes, der Jude unter dem des Sinns; für den Griechen ist die Tat in der Welt, für den Juden ist die Welt in der Tat. Jene höchste Sublimierung des motorischen Charakters des Orientalen, das Pathos der Forderung hat im Judentum seine größte Intensität gewonnen. Daß er die Entzweiung der Welt in sich als die seine erlebt, gibt dem Einheitsverlangen des Juden den siegreichen Impuls. Er hat das Bangen der Welt nicht bloß erfahren, er hat es erlitten; in seinem Willen zum Einswerden pocht die Sehnsucht der Welt; und was er, erlösend und einend, an sich selber und an den Wesen und Dingen vollbringt, die ihm zugeteilt sind oder ihm begegnen, das tut er in urgeheimem Zusammenhang dem Herzen der Welt. In allem Ereignis bekundet sich ihm jene

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obere Lebenswahrheit des Orients, von der ich gesprochen habe: daß das innere Schicksal der Welt von der Handlung des Handelnden in einem Maße abhängt, das keiner zu ermessen vermag. Die Grundanschauung des Judentums ist die Anschauung von dem abs o lu ten Wert der Tat als einer Entscheidung. Scheinbar ist die Tat unentrinnbar eingestellt in das eherne Gefüge der Ursächlichkeit, aus dessen Regeln sich ihr Gewicht ergibt; aber in Wahrheit wirkt sie tief und heimlich ins Schicksal der Welt, und wenn sie sich auf ihr göttliches Ziel, die Einheit, besinnt, wenn sie sich von der Bedingtheit losmacht und im eignen Lichte, das ist im Lichte Jahwes, wandelt, ist sie frei und gewaltig wie Gottes Tat. Unter allen Geistesgestaltungen der Menschheit ist das Judentum die einzige, in der die Entscheidung des Menschen solcherweise Mitte und Sinn alles Geschehens wird. Teschuba, Umkehr – so heißt der Akt der Entscheidung in seiner letzten Steigerung: wenn er die Zäsur eines Menschenlebens, den erneuernden Umschwung mitten im Verlauf einer Existenz bedeutet. Wenn mitten in der »Sünde«, in der Entscheidungslosigkeit, der Wille zur Entscheidung erwacht, birst die Decke des gewohnten Lebens, die Urkraft bricht durch und stürmt zum Himmel empor. An dem Umkehrenden geschieht die Schöpfung aufs neue; an seiner Erneuerung erneuert sich der Bestand der Welt. Ehe die Welt erschaffen war, heißt es, war da nichts als Gott allein und sein Name; da geriet es in seinem Sinne, die Welt zu erschaffen, und er zeichnete sie vor sich hin; aber er sah, daß die Welt nicht bestehen konnte, weil sie keine Grundfeste hatte; da schuf er die Umkehr. Durch die Inbrunst seiner Forderung der Umkehr und durch die Inbrunst seines Glaubens an die Macht und Herrlichkeit der Umkehr, durch seine neue Magie, die Magie der Entscheidung, hat das Judentum den Okzident für die Lehre des Orients gewonnen. Durch sie ist es recht eigentlich der wirkende Orient geworden.

3. Keine der großen religiösen Lehren ist im Abendland entstanden; das Abendland steht ihnen rezeptiv gegenüber. Es verarbeitet, was der Orient ihm darreicht, es paßt es seinen Denk- und Gefühlsformen an und modelt es nach ihnen um, zuweilen gelingt es ihm, es auszubauen; niemals aber vermochte es den riesenhaften Sinnbildern Asiens ein eignes gegenüberzustellen, niemals, die fugenlose Welt einer Gotteslehre auf irrationalem und unerschütterlichem Grunde aufzurichten. Europa hat Ideologien von unvergleichlicher Reinheit, Sicherheit und Geschlossenheit, aber kei-

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ner von ihnen eignet die elementare Gewalt der großen Lehren; Europa hat Dichtungen von heiliger Bildkraft, aber keine von ihnen kennt jene Metaphern des Namenlosen, welche die Sprache der großen Lehren sind; Europa hat religiöse Genies von innerster Legitimität, aber keiner von ihnen hat das Mysterium selbeigen aus dem Abgrund gehoben und in die Welt der Menschen eingesetzt, sie alle haben es empfangen, getragen und offenbart – auch der größte unter ihnen, Eckhart, ist nur ein später Sendbote des morgenländischen Meisters. Was ist es, was Europa fehlt, wessen es allezeit bedarf und was es aus sich nie erzeugen kann? Es hat das umfänglichste und ausgebildetste Wissen und findet aus sich nicht den Sinn; es hat die strengste und reinlichste Zucht und findet aus sich nicht den Weg; es hat die reichste und freieste Kunst und findet aus sich nicht das Zeichen; es hat den innigsten und geradesten Glauben und findet aus sich nicht den Gott. Was ihm fehlt, kann nicht die Einheitsfunktion sein, all sein Denken wurzelt in ihr; es kann nicht die Symbolfunktion sein, all sein Bilden kommt aus ihr her; es kann nicht die Kraft des Aufbaus sein. Was ihm fehlt, ist die Ausschließlichkeit der Kunde vom wahrhaften Leben, die eingeborne Gewißheit jenes Eins tut not. Dies ist es, was in den großen Lehren des Orients und einzig in ihnen schöpferisch besteht. Sie setzen das wahrhafte Leben als das fundamentale, von nichts anderm abgeleitete, auf nichts andres zurückzuführende metaphysische Prinzip; sie verkünden den Weg . Es gibt, so sprechen sie, dem Menschen nirgendwo anders den Sinn als im wahrhaften Leben, das die Welt einigt und erlöst; es gibt ihm nirgendwo anders die Wahrheit als im wahrhaften Leben. Wer den Weg geht, geht in den Fußtapfen Gottes. Unter den großen Geistesgestaltungen des Orients mußte die entscheidende Wirkung auf den abendländischen Menschen die ausüben, in der die Verkündung des wahrhaften Lebens als Forderung an jeden Menschen erging, für die es nicht das Vorrecht des Weisen, des Erlesenen war, sondern jedem gleicherweise zugänglich, und die gerade den Verirrten, den Richtungslosen, den »Sünder« am mächtigsten beschwor: die jüdische Lehre von der Entscheidung und der Umkehr. Die andern haben auf Weise, auf Erlesene gewirkt, diese auf die Völker, auf das Volk des Abendlands. Daß jedem, der das Rechte ergreift, die Pforten des Gottesreichs offenstehen, daß, wer sich nach dem Trost des Unbedingten sehnt, das Unbedingte nur handelnd zu erwählen braucht, das zwang die Weisen und die Einfältigen in eine Gemeinde zusammen. Die erste große werbende Eigentümlichkeit der jüdischen Lehre war diese ihre Alloffenheit, die zweite war ihre Richtung auf die positive Tat. Sie wollte nicht, wie etwa der Buddhismus, von der Welt weg, sondern ins Herz der Welt füh-

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ren; sie forderte von dem tätigen Menschen nicht, daß er auf das Tun verzichte, sondern daß er das Rechte tun lerne; sie tötete die lebendige Energie der Leidenschaft nicht, ja sie wollte sie noch steigern durch den ungeheuren Anspruch, den sie an sie stellte. Beide Prinzipien der jüdischen Lehre sind in den feierlichen Worten des Tanna debe Elijahu vereinigt: »Ich nehme zu Zeugen den Himmel und die Erde, daß auf Heiden und Juden, auf Mann und Weib, auf Knecht und Magd der heilige Geist ruhen kann, alleinzig nach der Tat des Menschen.« Von beiden Prinzipien war die urchristliche Bewegung getragen, durch deren Entwicklung die jüdische Lehre das geistige Schicksal des Abendlandes gestaltete. Wohl hat diese Bewegung nicht mit ihrem ursprünglichen Wesen, sondern synkretistisch vermischt das Abendland überwältigt; wohl hat sie vom Hellenismus mehr angenommen als Bilder und Worte; aber das dauernd Zeugende im Christentum war jüdisches Urgut. Es ist bedeutsam, daß das erste Wort der Predigt Jesu bei den Synoptikern, das die johanneische Predigt wiederholt, das Grundwort der Propheten ist: Kehret um, und in seinem innern Sinn nur aus der überlieferten Lehre von der Teschuba verstanden werden kann. Die Schwungkraft der Botschaft Jesu ist die altjüdische Forderung der unbedingten Entscheidung, die den Menschen wandelt und ins Gottesreich hebt. Und sie ist die Schwungkraft des Christentums geblieben, auf die es zurückgriff, sooft es sich erneuern wollte – und wenn es sich dabei noch so sehr zu entjuden vermeinte.

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Die urchristliche Bewegung war im Judentum keine isolierte Erscheinung; wie sie aus dem Schoße alter jüdischer Lebensgemeinschaften entstanden war, so war sie auch in ihrer Zeit selbst nur eine der Äußerungen einer neuen geistigen Blüte, von der uns das Schrifttum bedeutende, wenn auch fragmentarische Zeugnisse überliefert hat. Mitten in dieser Epoche großer Fruchtbarkeit kam über die Juden das Verhängnis: der Untergang ihres Staates. In welcher Fülle seiner Lebenskraft dieses Volk gebrochen wurde, zeigte sechs Jahrzehnte nach der Zerstörung Jerusalems der große Aufstand Barkochbas, der so gewaltig war, daß Rom um seinen ganzen orientalischen Besitz bange wurde und daß, als ihm im vierten Jahr unablässiger Anstrengungen seiner besten Feldherrn und Truppen die Niederwerfung des judäischen Völkleins gelang, Hadrian in seiner Siegesmeldung an den Senat die übliche Formel »Ich und mein Heer befinden uns wohl« wegließ. Was damals dem Judentum geschah, läßt sich

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in seiner tragischen Tiefe nur ahnen; wie ein ungeheuerliches Sinnbild mutet der Bericht an, daß auf dem Markt an der Terebinthe Abrahams zu Hebron Juden um den Preis eines Pferdes verkauft wurden. So kamen sie an das Abendland. Dieses Ereignis hat die Geschichte des Judentums entzweigebrochen, wie es nie zuvor und darnach einem Volk widerfuhr. Indem es seiner morgenländischen Erde entrissen wurde, wurde es zugleich der Kontinuität seines geistigen Werdens entrissen. Das ist aus zwei Dingen zu verstehen: aus dem Zusammenhang des antiken Juden mit seinem Lande und aus der Genesis seiner geistigen Produktivität. Einige Gelehrte, die sich mit der Psychologie des Judentums befaßt haben, sprechen mit axiomatischer Sicherheit die Ansicht aus, Israel sei ein Nomadenvolk gewesen und geblieben, und leiten allerlei wirkliche oder angebliche jüdische Eigenschaften davon ab. Diese Ansicht wird etwa damit begründet, daß in den biblischen Büchern, so bei den meisten Propheten, uns überall Bilder und Gleichnisse aus dem Hirtenleben entgegenträten, wogegen die aus dem Bauernleben äußerst selten seien. Das trifft auf keines der Bücher zu; ja in den älteren der prophetischen Bücher, deren Urheber am stärksten mit dem natürlichen Leben des Volkes zusammenhingen, wie etwa beim ersten Jesaja, kommt auf zwanzig Bilder aus Feld, Garten und Weinberg kaum eins aus der Viehzucht. In Wahrheit haben wir von der Zeit vor der Eroberung Kanaans zu wenig zuverlässige Kenntnis, um die Behauptung wagen zu dürfen, die Juden seien damals ein reines Nomadenvolk gewesen; und soweit wir die biblischen Erzählungen als Quelle anzusehen berechtigt sind, können wir aus ihnen das Gegenteil herauslesen; Isaaks Segen an Jakob ist der Segen eines Ackerbauers und Josefs Traum vom Garbenbinden der Traum eines Ackerbauers. In der palästinensischen Zeit aber zeugt das ganze Schrifttum von einer Liebe zur Scholle, von einer Verklärung des Bodenbaus, wie wir sie bei wenigen andern Völkern finden; göttliche Drohungen und göttliche Verheißungen haben fast immer den Acker zum Gegenstand; und Jesus Sirach spricht das Gefühl der Jahrhunderte aus, wenn er sagt, der Pflüger erhalte die ewige Schöpfung in ihrem Bestand. Selten hat es ein Volk gegeben, das so in seiner Seßhaftigkeit beschlossen und beseligt war. Und das ganze geistige und religiöse Leben des alten Judentums war eng verbunden mit dem Leben der Erde, mit dem Leben dieses vertrauten Bodens; Gott war der Lehnsherr des Ackers, seine Feste waren Ackerfeste, und sein Gesetz ein Ackergesetz; zu welcher Höhe allgemeinen Geistes sich die Prophetie auch erhob, sie wurzelte immer in diesem natürlichen Leben und ihre Forderung wollte in diesem natürlichen Leben verwirklicht werden – immer wollte ihr allgemeiner Geist einen Leib aus dieser

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besonderen kanaanitischen Erde anziehen. Die jüdische Religion lehrte (und das außerpaulinische Urchristentum ist ihr darin treu geblieben) nicht wie das paulinische Christentum ein Hinaustragen der Botschaft in die Völker, nicht wie der Islam ein Erobern der Welt für den Glauben, sondern die Einwurzelung im heimatlichen Boden, die Bewährung des rechten Lebens in der Enge, die vorbildliche Gestaltung einer Menschengemeinschaft auf der schmalen kanaanitischen Erde. Und die am tiefsten ursprüngliche Schöpfung des Judentums, der Messianismus, ist nur die gleiche Idee, als letzte Erfüllung gedacht, in die absolute Zukunft projiziert, da der Herr allen Völkern auf dem Berge Zion ein Mahl richten wird von reinem Wein, darinnen keine Hefe ist. Alles Schaffen nahm seine Kraft und seine Gestalt aus dem organischen Zusammenhang mit dieser Erde. Und nun wurde dieser Zusammenhang zerrissen; mit ihm zerriß der innere Zusammenhang des jüdischen Geistes. Gott wurde aus einem Lehnsherrn des Ackers der Schutzherr der Frömmigkeit, seine Feste aus Ackerfesten Feste der Synagoge und sein Gesetz aus einem Ackergesetz ein Ritualgesetz; der Geist wurde von seinen Wurzeln gelöst. Damals wu rd en die Juden ein Nomadenvolk. Aber noch ein Zweites kam hinzu. Das geistige Leben der orientalischen Völker, in dem die Gefahren des motorischen Menschen mit seinen sublimsten Möglichkeiten verknüpft sind und die Preisgabe des Selbst an den Taumel der Welt sich von den gleichen Wurzeln nährt wie die Besinnung des Selbst auf seine und der Welt unwandelbare Innerlichkeit, entwickelt sich oft in der Form eines Kampfes: des Kampfes der schöpferischen Geister, der Führer und Erlöser, gegen die Richtungslosigkeit der Volkstriebe. Eine besondere Intensität und Fruchtbarkeit hat dieser Kampf im alten Judentum. Aus dem Erlebnis der inneren Entzweiung und aus der immanenten Forderung der Entscheidung, das heißt des Einswerdens der Seele, ergab sich das Auseinanderfallen des Volkes in zwei geistige Klassen, die der Wählenden, der sich Entscheidenden, der zur Unbedingtheit Durchdringenden, der ans Ziel Hingegebenen, und die der Geschehenlassenden, der Entscheidungslosen, der träge in der Bedingtheit Verharrenden, der zweckhaft Selbstsüchtigen und Selbstzufriedenen; biblisch gesprochen, die der Diener Jahwes und die der Diener Baals, wobei zu beachten ist, daß diese sich keineswegs etwa für Baal und gegen Jahwe entschieden, sondern nach dem Wort Elijas »auf beiden Seiten hinkten«. Im Kampf gegen sie entzündet sich allezeit die spezifische Genialität der Propheten und Lehrer Israels; sie ist eine kämpferische Genialität, und die jüdische Fruchtbarkeit ist eine kämpferische Fruchtbarkeit. Im Gegensatz zu der des Abendlandes, die auf das Werk geht und an ihm ihre Grenze hat, hat die jüdische Produktivität Form,

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aber keine Grenze; sie hat, darf man wohl sagen, die Form des Unendlichen, denn sie hat die Form des Geisteskampfes. Mit der Zerstörung des jüdischen Gemeinwesens wurde die Fruchtbarkeit des Geisteskampfes geschwächt. Die geistige Kraft sammelte sich nunmehr auf die Erhaltung des Volkstums gegen die äußeren Einflüsse, auf die strenge Umzäunung des eignen Bereiches, um das Eindringen fremder Tendenzen zu verhüten, auf die Kodifizierung der Werte, um aller Verschiebung vorzubeugen, auf die unmißverständliche, unumdeutbare, also konsequent rationale Formulierung der Religion. An die Stelle des gotterfüllten, fordernden, schöpferischen Elements trat immer mehr das starre, nur erhaltende, nur fortsetzende, nur abwehrende Element des offiziellen Judentums; ja, es richtete sich immer mehr gegen das Schöpferische, das ihm durch seine Kühnheit und Freiheit den Bestand des Volkstums zu gefährden schien, es wurde verketzernd und lebensfeindlich. In der sterilen Atmosphäre dieses Kampfes entwickelte sich eine abgelöste Geistigkeit, eine von dem Wurzelgrund des natürlichen Lebens und von den Funktionen des echten Geisteskampfes abgelöste Geistigkeit, neutral, substanzlos, dialektisch, die sich an alle Gegenstände, auch an die indifferentesten, hingeben konnte, um sie begrifflich zu zergliedern oder in Beziehung zueinander zu setzen, ohne auch nur einem wirklich schauend-triebhaft anzugehören. Die gebrochene, des Zusammenhangs beraubte schöpferische Kraft, die Kraft der Unbedingtheit lebte nur noch fort in Ketzern, die zumeist machtlos und gestaltlos blieben und im Dunkel untergingen, zuweilen, wie der große Spinoza, die Umzäunung durchbrachen und die Welt anredeten, daß sie stille wurde, um ihnen zu lauschen; in messianischen Bewegungen, die in ungeheuren Wirbeln gläubiger Begeisterung aufstiegen und zusammenfielen; und in der tiefen Welt der jüdischen Mystik, die das heilige Feuer der alten Gottverbundenheit unterirdisch hütete und es nur einmal, ein einziges spätes Mal ins Volk aufflammen ließ: in der großen religiösen Erhebung des Chassidismus, die im achtzehnten Jahrhundert die polnische Judenheit erfaßte; er offenbarte noch einmal die schrankenlose Gewalt des orientalischen Menschen aus den entbrannten Seelen, aber im Bann der Ängste um die Wahrung der Art befangen, wagte er die Umzäunung nicht anzutasten und vermochte sich daher die Funktionen des echten Geisteskampfes nicht anzueignen. So konnte es geschehen, daß im neunzehnten Jahrhundert, als die Emanzipation das Judentum auf einen hohen Berg führte und ihm die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigte, die Umzäunung durchbrochen und niedergetreten wurde nicht von einer elementaren, zu neuer Schöpfung drängenden Kraft, sondern von blassen, schwächlichen Re-

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formversuchen, die ihre Gedanken und Formen den Musterbüchern des europäischen Aufklärertums und der sogenannten fortgeschrittenen Religionen entnahmen. Wir leben in der problematischen Situation, die auf diese Versuche gefolgt ist: in der im Judentum der letzte alte Aufbau des orientalischen Geistes erschüttert und einem neuen kein Grund gelegt scheint. Und doch besteht dieser Grund, besteht unerschüttert fort. Dieser Grund ist die Seele des Juden selbst. Denn der Jude ist Orientale geblieben. Er ist aus seinem Lande getrieben und über die Länder des Abendlands geworfen worden; er hat unter einem Himmel wohnen müssen, den er nicht kannte, und auf einem Boden, den er nicht bebaute; er hat das Martyrium erduldet und, was schlimmer ist als Martyrium, das Leben in der Erniedrigung; die Sitten der Völker, bei denen er wohnte, haben ihn angerührt, und er hat die Sprachen der Völker gesprochen; und in alledem ist er Orientale geblieben. Er hat die motorische Schrankenlosigkeit des Grundwesens mit ihren Begleiterscheinungen, der Herrschaft des Zeitsinns und der schnellen Begriffsfunktion, in sich bewahrt, er hat den elementaren Einheitstrieb und die immanente Forderung in sich bewahrt, zuweilen verschüttet, zuweilen entartet, nie völlig erdrückt. Man wird sie im angepaßtesten Juden entdecken, wenn man sein Gemüt zu erschließen vermag; und welcher aus dem Inhalt seines Denkens den letzten Rest des Judentums ausgerottet hat, der trägt es in der Form seines Denkens unausrottbar fort. Aber weithin erkennbar leben sie in den an Fertigkeiten der Zivilisation armen, aber an Macht des ursprünglichen Ethos und des unmittelbaren Geistes trotz eindringender Verderbnis und Zersetzung reichen jüdischen Volksmassen Osteuropas. Man sehe etwa den epigonenhaften, dennoch auch jetzt noch wundersamen Chassid unsrer Tage an; man sehe ihn zu seinem Gotte beten, von der Inbrunst geschüttelt, mit seinem ganzen Leibe das gleiche aussprechend, das seine Lippen sagen, ein grotesker und erhabener Anblick; man sehe ihn mit königlichen Gebärden und gesammelter Weihe das heilige Mahl des Sabbatausgangs begehen, an dem die Geheimnisse der Welterlösung hangen; und man wird fühlen: hier ist, verkümmert, verzerrt, dennoch unverkennbar, asiatische Gewalt und asiatische Innerlichkeit. Auf diesem offenbaren oder latenten Orientalismus, diesem unter allen Einflüssen erhaltenen Seelengrund des Juden baut sich mein Glaube an eine neue geistig-religiöse Schöpfung des Judentums auf. In der Abgelöstheit und Aufgelöstheit seiner abendländischen Existenz kann ihm freilich nur Stückwerk geraten; kühne Wagnisse des Geistes können unternommen, starke Worte des Geistes können geprägt werden; religiöse Erregungen können aus dem wetterschweren Dunkel des Volksschicksals aufblit-

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zen; aber eine große Schöpfung, die sie alle in einer Synthese vereinigt, die die Kontinuität des jüdischen Werdens wiederaufnimmt und dem unsterblichen jüdischen Einheitstrieb wieder adäquaten Ausdruck gewährt, wird nur erstehen können, wenn die Kontinuität des palästinensischen Lebens wiederaufgenommen wird, aus dem einst die großen Konzeptionen dieses Einheitstriebs erwuchsen. Der Jude ist nicht der gleiche, der er damals war; er ist durch alle Himmel und Höllen des Abendlands hindurchgegangen und hat an seiner Seele Schaden gelitten; aber seine Urkraft ist unversehrt geblieben, ja sie ist geläutert worden. Wenn sie ihren mütterlichen Boden berührt, wird sie wieder schöpferisch sein. Der Jude kann seinen Beruf unter den Völkern nur dann wahrhaft erfüllen, wenn er von neuem und mit seiner ganzen, unversehrten, geläuterten Urkraft daran geht, zu verwirklichen, was seine Religiosität ihn in der Vorzeit lehrte: die Einwurzelung im heimatlichen Boden, die Bewährung des rechten Lebens in der Enge, die vorbildliche Gestaltung einer Menschengemeinschaft auf der schmalen kanaanitischen Erde.

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5. Das Zeitalter, in dem wir leben, wird man einst als das der asiatischen Krisis bezeichnen. Die führenden Völker des Orients sind teils unter die äußere Gewalt, teils unter den innerlich vergewaltigenden Einfluß Europas gekommen; sie haben ihre heiligsten Güter, die großen Traditionen ihres Geistes nicht gewahrt, ja sie haben sie zuweilen selber preisgegeben. Die Unterjochung Indiens, die Selbsteuropäisierung Japans, die Schwächung Persiens, zuletzt die Zerrüttung Chinas, in dem der altorientalische Geist unantastbar sicher zu wohnen schien, sind einige Stadien dieses Prozesses. Die Seele Asiens wird gemordet, und es selber tut bei diesem Morde mit. Die Welt ist im Begriff, das unersetzlichste Gut zu verlieren und kümmert sich nicht darum, vielmehr, sie spendet den Nationen Beifall, die es zerstören. Selbstbesinnung, Einkehr, Umkehr tut not. Das Volk, das in dieser vorangehen muß, ist das, dessen Leben im Geiste und dessen metaphysische Schöpfung einzig im modernen Europa denen der großen orientalischen Völker verwandt ist, das deutsche Volk. Es muß sich unterfangen, eine neue Ära der Erhaltung des Orients und des Einvernehmens zwischen ihm und dem Abendland zu gegenseitiger Förderung und gemeinsamer menschheitlicher Arbeit zu begründen, eine Ära, in der Asien durch Europa nicht vergewaltigt, sondern aus seinen eignen Keimkräften heraus entfaltet, und Europa durch Asien nicht bedroht, sondern zu den großen Lebenswahrheiten hingeführt wird. Für diese weltgeschichtliche

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Mission bietet sich Deutschland ein Mittlervolk dar, das alle Weisheit und Kunst des Abendlands erworben und sein orientalisches Urwesen nicht verloren hat, das berufen ist, Orient und Okzident zu fruchtbarer Gegenseitigkeit zu verknüpfen, wie es vielleicht berufen ist, den Geist des Orients und den Geist des Okzidents in einer neuen Lehre zu verschmelzen. Unter allen Nationen Europas hat die deutsche am stärksten auf den wandernden Juden eingewirkt, sie hat seine Sprache und seine Lebensformen dauernd beeinflußt, unverlierbar gehört ihr seine Liebe; und unter allen Nationen Europas hat die deutsche die stärksten Eindrücke vom Judentum empfangen: die Bibel ist einzig in Deutschland, durch Luthers unerhörtes Werk, wie ein autochthones Buch angenommen worden, Spinoza wurde einzig in Deutschland ein tiefer und fruchtbarer Besitz der entscheidenden Geister, und der Sozialismus Marxens und Lassalles konnte nirgendwo sonst so völlig assimiliert werden. Das ist nicht Zufall, sondern sinnvoller Zusammenhang. Der Augenblick scheint mir nahe zu sein, wo er sich in einem Zusammenhang der Aktivität erproben kann. Wie dies geschehen mag, ist heute noch nicht zu umgrenzen. Aber dies eine sei gesagt, daß Jerusalem immer noch, ja mehr als je das ist, als was es im Altertum galt: das Tor der Völker. Hier ist der ewige Durchgang zwischen Orient und Okzident. Hierher lenkte das antike Asien seinen Schritt, wenn es, wie unter Nebukadnezar und Cyrus, erobernd gen Abend zog, hierher das Europa Alexanders und der Römer, wenn es das Morgenland zu überwältigen gedachte. Unter dem Ansturm von Osten nach Westen brach der erste jüdische Staat zusammen, unter dem Ansturm von Westen nach Osten der zweite. Seither hat sich die Weltbedeutung Palästinas verdichtet und vertieft. Heute ist in einem noch schwereren, noch umfänglicheren, noch drohungs- und verheißungsvolleren Sinn Jerusalem das Tor der Völker. Es gilt das Heil Jerusalems zu suchen, welches das Heil der Völker ist.

Jüdische Religiosität Die jüdische Religiosität ist nicht, wie viele glauben, ein Gegenstand zwar von besonderer Würde, aber von unerheblicher Aktualität für die sogenannte »Lösung der Judenfrage«, sondern sie ist, wie von je, so auch jetzt, für das Judentum der einzige Gegenstand von absoluter Aktualität, Triebkraft seines Schicksals, Richte seiner Bestimmung, die Gewalt, deren Aufflammen es neu beleben, deren völliges Verlöschen es dem Tode überantworten würde. Erneuerung des Judentums bedeutet in Wahrheit: Erneuerung der jüdischen Religiosität. Man kann, ohne sich um die jüdische Religiosität zu bekümmern, die Auflösung des Judentums wünschen, fordern, proklamieren; man kann, ohne sich um sie zu bekümmern, die »Erhaltung«, das heißt die unmerkliche Auflösung des Judentums wünschen, fordern, proklamieren; nicht aber eine Erneuerung des Judentums. Wer diese ersehnt, will, daß es wieder ein mit allen Sinnen lebendiges, ein aus allen Kräften tätiges, ein zu heiliger Gemeinde verbundenes Judentum gebe; er hat erkannt, daß dahin aus der Gegenwart des jüdischen Daseins kein anderer Weg führt als durch Absage und Neubeginn. Dem aus solchem Willen und solcher Erkenntnis eine Erneuerung des Judentums Ersehnenden wird, je aktiver seine Sehnsucht ist, desto gewisser offenbar werden, daß Erneuerung des Judentums Erneuerung der jüdischen Religiosität bedeutet. Ich sage und meine: Religiosität. Ich sage und meine nicht: Religion. Religiosität ist das ewig neu werdende, ewig neu sich aussprechende und ausformende, das staunende und anbetende Gefühl des Menschen, daß über seine Bedingtheit hinaus und doch mitten aus ihr hervorbrechend ein Unbedingtes besteht, sein Verlangen, mit ihm lebendige Gemeinschaft zu schließen, und sein Wille, es durch sein Tun zu verwirklichen und in die Menschenwelt einzusetzen. Religion ist die Summe der Bräuche und Lehren, in denen sich die Religiosität einer bestimmten Epoche eines Volkstums ausgesprochen und ausgeformt hat, in Vorschriften und Glaubenssätzen festgelegt, allen künftigen Geschlechtern ohne Rücksicht auf deren neu gewordene, nach neuer Gestalt begehrende Religiosität als für sie unverrückbar verbindlich überliefert. Religion ist so lange wahr, als sie fruchtbar ist; dies aber ist sie so lange, als die Religiosität, das Joch der Vorschriften und Glaubenssätze auf sich nehmend, sie doch – oft ohne es zu merken – mit neuem glühenden Sinn zu erfüllen und zuinnerst zu verwandeln vermag, daß sie jedem Geschlecht erscheinen, als wären sie ihm selber heute offenbart, seine eignen, den Vätern fremden Nöte zu stillen. Sind aber die Riten und Dogmen einer Religion so erstarrt, daß

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die Religiosität sie nicht zu bewegen vermag oder sich ihnen nicht mehr fügen will, dann wird die Religion unfruchtbar und damit unwahr. Es ist also Religiosität das schaffende, Religion das organisierende Prinzip; Religiosität beginnt neu mit jedem jungen Menschen, den das Geheimnis erschüttert, Religion will ihn in ihr ein für allemal stabiliertes Gefüge einzwingen; Religiosität meint Aktivität – ein elementares Sichinverhältnissetzen zum Absoluten –, Religion meint Passivität – ein Aufsichnehmen des überlieferten Gesetzes; Religiosität hat nur ihr Ziel, Religion hat Zwecke; aus Religiosität stehen die Söhne wider die Väter auf, um ihren selbeignen Gott zu finden, aus Religion verdammen die Väter die Söhne, weil sie sich ihren Gott nicht auferlegen ließen; Religion bedeutet Erhaltung, Religiosität bedeutet Erneuerung. Worin immer aber ein andres Volk sein Heil finden mag, dem jüdischen ist es nirgendwo anders erschlossen als in der lebendigen Macht, an die sein Volkstum von je gebunden war und durch die es bestanden hat: nicht in seiner Religion, wohl aber in seiner Religiosität. Ein Wort des Baalschem spricht es aus: »Wir sagen ›Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs‹, wir sagen nicht ›Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs‹, damit dir gesagt sei: Isaak und Jakob stützten sich nicht auf Abrahams Überlieferung, sondern selber suchten sie das Göttliche.« Ich will versuchen, das besondere Wesen der jüdischen Religiosität aus dem Schutt, mit dem es Rabbinismus und Rationalismus bedeckt haben, herauszulösen. Der Akt, der in allen Zeiten dem Judentum als der Wesensgrund aller Religiosität erschien, ist der Akt der Entscheidung als der Verwirklichung der göttlichen Freiheit und Unbedingtheit auf Erden. Der spätjüdische Spruch »Die Welt ist um der Wahl des Wählenden willen geschaffen worden« ist nur die reife Formulierung einer Idee, die unformuliert schon in der biblischen Zeit lebendig und wesenhaft war. Wie die Reihe der SinaiGebote durch den Ruf zur ausschließenden und unbedingten Entscheidung für den Einen eröffnet wird, so dienen die größten unter Moses Worten der gleichen Forderung: »Ganz sollst du mit Jahwe deinem Gott sein« und »Jahwe deinem Gott zu dienen mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele«; und das gleiche verkünden die Propheten von Elija an, der zum Volke spricht: »Wie lange noch hinket ihr auf beiden Seiten?« Das nachbiblische Schrifttum bildet die Idee immer prägnanter aus. Die Mischna deutet das Wort »Du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Herzen« dahin, daß gemeint sei: mit deinen beiden Trieben, mit dem »guten« und dem »bösen« Trieb; das heißt: mit der Entscheidung und durch sie, also daß die Inbrunst der Leidenschaft gewandelt wird und mit ihrer ganzen Kraft in die einige Tat eingeht; ist doch an sich kein Antrieb böse,

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sondern der Mensch macht ihn dazu, wenn er sich ihm ergibt statt ihn zu regieren; der Midrasch läßt Gott zum Menschen sprechen: »Du hast die Leidenschaft, die in deine Hand gegeben ist, böse gemacht.« So wird auch das Wort des Psalmisten »Mein Herz sei ganz in deinen Gesetzen« dahin gedeutet, David habe zu Gott gesprochen: »Laß nicht den bösen Trieb mich teilen, sondern mache mein Herz ganz.« Und noch nachdrücklicher heißt es: »Nur wenn du ungeteilt bist« (d. h. wenn du die innere Zweiheit durch die Entscheidung überwunden hast), »hast du teil an Jahwe deinem Gotte.« Die Trägheit aber, die Entscheidungslosigkeit wird als die Wurzel alles Übels bezeichnet; Sünde ist ganz und gar nichts andres als Trägheit. Wer ihr verfallen war, dann aber sich durch die gewaltigste Entscheidung ihr entwand, wer in den Abgrund der Entzweiung versunken war und sich daraus einen Weg zur Einheit brach, wer sich selber wie einen trägen Erdenkloß in die Hände nahm und zu einem Menschen knetete, der ist unter allen Gott der liebste; oder, wie es die Gemara ausdrückt, »an dem Ort, wo die Umkehrenden stehen, vermögen die vollkommenen Gerechten nicht zu stehen«. Die große Entscheidung ist der höchste, der göttliche Augenblick des Menschenlebens, ja des ganzen Weltlebens; »besser«, sagt die Mischna, »ist eine Stunde der Umkehr in dieser Welt, als das ganze Leben der kommenden Welt«; denn diese ist nur noch Sein, jene aber ist das gigantische Werden. Sünde heißt nicht frei, das ist sich entscheidend, sondern unfrei, bewirkt, bedingt leben; der Umkehrende entzündet das Mysterium der Freiheit, er schwingt sich aus der Bedingtheit in die Unbedingtheit, er ist, wie es im Sohar heißt, »lebendig an allen Seiten und vereinigt im Baume des Lebens«. Kein Mensch kennt den Abgrund der inneren Zweiheit wie der Jude, aber keiner wie er das Wunder der Einung, das nicht geglaubt, das nur erlebt werden kann. Darum kann ihm kein Verwirklichtes, sondern nur die mit jedem neuen Menschen neu anhebende Tat, die Verwirklichung selber Genüge tun. Das ist der Sinn des jüdischen Dualismus, daß jeder selbeigen aus seiner Tiefe und Finsternis nach göttlicher Freiheit und Unbedingtheit ringt: kein Mittler kann ihm helfen, kein Getanes ihm seine Tat erleichtern, da eben an der durchbrechenden Kraft seines Ansturms alles gelegen ist und jede Hilfe, jeder »Anschluß« diesen Ansturm nur zu schwächen vermag. Deshalb wurde die urchristliche Bewegung für den Juden unfruchtbar, als sie aus der wahrhaft jüdischen Verkündigung Jesu, jed er könne durch unbedingtes Leben Gottes Sohn werden, die Lehre machte, allein der Glaube an d en ei ng ebo r nen Sohn Gottes könne dem Menschen die Ewigkeit gewinnen. Deshalb mußte der Chassidismus seine volkerneuernde Wirkung verlieren, als er an die Stelle jener unmittelbaren Verbindung mit Gott, darin der Mensch »bis zur Wurzel

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aller Lehre und alles Gebotes kommt, zu Gottes Ich, der einfachen Einheit und Schrankenlosigkeit, wo alle Flügel der Gebote und Gesetze niedersinken«, weil er sich durch seine Unbedingtheit über sie alle erhoben hat, – als er an die Stelle dieser wunderbaren Selbstbefreiung die Vermittlung des Zaddiks setzte. Die Grundanschauung der jüdischen Religiosität ist in dem Spruch enthalten: »Wenn der Mensch sich selbst reinigt und heiligt, ergießt sich der heilige Geist über ihn.« Man fälscht den Sinn des Aktes der Entscheidung im Judentum, wenn man ihn als einen bloß ethischen behandelt; er ist ein religiöser, vielmehr: er ist der religiöse Akt; denn er ist die Verwirklichung Gottes durch den Menschen. In der Auffassung dieser Verwirklichung sind in der jüdischen Religiosität drei Schichten zu unterscheiden, in deren Aufeinanderfolge sich das Werden jenes unterirdischen Judentums kundgibt, welches, heimlich und unterdrückt, das wahrhafte, das zeugende ist im Gegensatz zum offiziellen Scheinjudentum, das ohne Berufung herrscht und ohne Legitimität repräsentiert. In der ersten, frühesten Schicht wird der Akt der Entscheidung als eine Verwirklichung Gottes durch Nachahmung, als eine imitatio Dei aufgefaßt. Gott ist das Ziel des Menschen, das Ursein, dessen Ebenbild zu werd en er streben soll, denn »Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbilde«, d. i. daß er es werde. Grundlegend für diese Auffassung ist das Wort des Buches Leviticus: »Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin ich Jahwe, euer Gott.« Es wird so gedeutet: »Wie ich abgesondert« – d. i. von keinem Ding bestimmt, allem Bedingtsein entrückt, aus mir selber wirkend – »bin, so sollt ihr abgesondert sein«; und weiter heißt es: »Wie Gott einig und einzig ist, so sei euer Dienst einig.« Gott ist einig; so soll der Mensch seine Entzweiung überwinden und einig werden. Gott ist unbedingt; so soll sich der Mensch den Fesseln der Bedingtheit entwinden und unbedingt werden. Am schlichtesten und überzeugendsten wird diese Anschauung in einem Wort Abba Schauls überliefert; in einer Erklärung eines Verses des Liedes Mose am Schilfmeer (»Dies ist mein Gott und ich will ihn preisen«) sprach er: Dies ist mein Gott – ich und er; das ist: ich will wie er werden. Daß es aber dazu keinen andern Weg gibt als den der Entscheidung und der Unbedingtheit, das erweist der Mythos des Sündenfalls: die Menschen vermaßen sich »wie Gott zu sein« und dadurch den Sinn des Lebens zu vereiteln, der darin besteht, wie Gott zu werd en; so erlangten sie nichts anderes als das Wissen um die Zweiheit von Göttlichem und Menschlichem, die »Erkenntnis von Gut und Böse«. In der zweiten Schicht wird der Akt der Entscheidung als eine Verwirk-

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lichung Gottes durch Steigerung seiner Wirklichkeit aufgefaßt. Gott ist um so wirklicher, je mehr er vom Menschen in der Welt verwirklicht wird. Eine paradox klingende und doch unmittelbar ergreifende Formulierung dieses Gedankens ist es, wenn zu dem Jesajawort »Ihr seid meine Zeugen, spricht Jahwe, und ich bin Gott« eine Deutung des geheimnisumwitterten Rabbi Simon ben Jochai angeführt wird: »Wenn ihr meine Zeugen seid, bin ich Jahwe, und wenn ihr nicht meine Zeugen seid, bin ich nicht Jahwe.« Gott ist das Ziel des Menschen; so fließt jede Gewalt menschlicher Entscheidung dem Meere göttlicher Kraft zu. In diesem Sinn wird das Psalmwort »Gebet Gott die Macht« durch den Spruch erklärt: Die Gerechten mehren die Kraft der oberen Gewalt. Das spätere, insbesondere das kabbalistische Schrifttum hat den Gedanken, daß der unbedingt handelnde Mensch Gottes Genosse und Helfer in dem ewigen Schöpfungswerk ist, vielfältig ausgebaut. So nennt der Bahir den Gerechten eine Säule, die von der Erde zum Himmel geht und das Weltall trägt. So erklärt der Sohar das Psalmwort »Die Werke seiner Hände … sind mit Wahrheit und Redlichkeit gemacht« durch den Einfluß des wahrhaftig und redlich handelnden Menschen auf das Werden der Welt; und der Satz »Gott hatte noch nicht regnen lassen auf der Erde, und es war kein Mensch, das Land zu bebauen« wird ebenda dahin erläutert, es habe kein Werk von oben gegeben, weil es keine Tat von unten gab; dann aber »stieg von der Erde ein Dunst auf, und die Fläche des Landes ward getränkt«, das heißt: durch Wirkung von unten geschah Werk von oben. In der dritten Schicht endlich, die erst in der Kabbala in die Erscheinung tritt, steigert sich die Auffassung der Verwirklichung Gottes durch den Menschen zur Idee einer Wirkung der Menschentat auf Gottes Schicksal. Die Gottesherrlichkeit, die Schechina ist in die Welt des Bedingten gefallen, sie ist wie Israel in der Zerstreuung, im Galut, sie wandert und irrt wie Israel, ausgeschüttet ins Reich der Dinge, sie will wie Israel erlöst, will mit dem Gotteswesen wiedervereinigt werden. Dazu aber kann nur der wirken, der in sich das Bedingte zum Unbedingten erhebt; durch ihn vollzieht sich die Erhebung der Welt, das ist die Erhebung der Schechina. Darum sagt ein chassidisches Wort von den Umkehrenden, daß sie Gott loskaufen. Und wie in dem Eintritt der Seele in den Menschenleib der König, Gott, sich der Königin, der Schechina, in Liebe zuneigt, so hebt sich in der Bezwingung des Bedingten durch die umkehrende, die wiedergeborene Seele die Königin in Liebe zum König empor; durch solche Liebeseinung wird das Sein ewig erneuert. »So wächst das Leben von oben und von unten, der Urquell füllt sich ewig, ewig füllt sich das Meer und alles ist ernährt.« Allen drei Schichten gemeinsam und der jüdischen Religiosität ur-

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eigentümlich ist die Anschauung von dem abs o lu ten Wert der Menschentat, der nicht mit der dürftigen Erkenntnis irdischer Ursachen und Wirkungen ermessen werden kann. In irgendeiner Tat irgendeines Menschen mündet Unendliches, Unendliches entströmt ihr. Nicht am Handelnden ist es, zu fassen, welcher Mächte Abgesandter, welcher Mächte Beweger er ist, aber er wisse, daß die Fülle des Weltgeschicks in namenlosen Verknüpfungen durch seine Hände geht. Es heißt in der Gemara: »Jeder soll sprechen: um meinetwillen ist die Welt erschaffen worden«; und wieder heißt es: »Jeder soll sagen: auf mir steht die Welt«; eine chassidische Schrift bekräftigt: Ja, er ist der Einzige in der Welt und ihr Bestand hangt an seiner Tat. In der Unbedingtheit seiner Tat erlebt der Mensch die Gemeinschaft mit Gott. Nur für den Lässigen, den Entscheidungslosen, den Geschehenlassenden, den in seine Zwecke Verstrickten ist Gott ein unbekanntes Wesen jenseits der Welt; für den Wählenden, den sich Entscheidenden, den um sein Ziel Entbrennenden, den Unbedingten ist er das Nächste, das Vertrauteste, das er selber handelnd ewig neu verwirklicht und erlebt, und eben darin das Geheimnis der Geheimnisse. Ob Gott »transzendent« oder »immanent« ist, ist nicht eine Sache Gottes; es ist eine Sache des Menschen. Zu der Erzählung der Genesis, wie die drei Männer zu Abraham »in der Glut des Tages« kommen, bemerkt der Sohar: »Wenn die untere Welt im Verlangen nach der oberen auflodert, steigt diese zu ihr herab und beide Welten vereinigen und durchdringen einander alsdann im Menschen.« Im gleichen Sinn kann das Psalmwort erklärt werden »Gott ist allen nahe, die ihn rufen, allen die ihn mit der Wahrheit rufen«; das heißt: mit der Wahrheit, die sie t u n. Mit der Wahrheit, die sie tun. Diese Wahrheit ist kein Was, sondern ein Wie. Nicht der Inhalt der Tat macht sie zur Wahrheit, sondern ob sie in menschlicher Bedingtheit oder in göttlicher Unbedingtheit geschieht. Nicht die Materie der Tat bestimmt darüber, ob sie im Vorhof, im Reich der Dinge verläuft oder ins Allerheiligste dringt, sondern die Macht der Entscheidung, die sie hervorbringt, und die Weihe der Intention, die ihr innewohnt. Jede Handlung, auch die zu den profansten gezählt wird, ist heilig, wenn sie in Heiligkeit, in Unbedingtheit getan wird. Die Unbedingtheit ist der spezifische religiöse Gehalt des Judentums. Nicht auf einem Glaubenssatz und nicht auf einer ethischen Vorschrift ist die jüdische Religiosität aufgebaut, sondern auf einem Grundgefühl, das dem Menschenleben seinen Sinn gibt: auf dem Grundgefühl, daß eins not tut. Wo die Religiosität gemeinschaftbildend, religionstiftend wirkt, wo sie aus dem Leben des Einzelnen in das Leben zwischen den Menschen ein-

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tritt, wird dieses Grundgefühl zur Forderung. Im Zeichen der Forderung und des Kampfes um sie steht die Stiftung der jüdischen Religion, stehen alle ihre schöpferischen Erhebungen. Als Forderung und Kampf vollzieht sich die Stiftung der jüdischen Religion. Wenn Mose, das Feuer des Dornbusches in den Augen, vor die Ältesten Israels tritt, fühlt man schon alles vorbestimmt, was geschehen wird. Ich kenne in Weltgeschichte und Weltmythos keinen größeren Vorgang, keinen furchtbareren. Das Volk ist von dem abgefallen, den es noch nicht zu fassen vermochte – die Söhne Levis durchschreiten auf Moses Geheiß das Lager und erschlagen dreitausend ihrer Brüder. Das ausziehende Geschlecht hält den Prüfungen der Wüste nicht stand – es muß in der Wüste hinsterben. In der Vernichtung alles Halben und Unzulänglichen offenbart sich der verkündete Gott, als das verzehrende Feuer der Unbedingtheit. Schon hier treten nebeneinander und gegeneinander die zwei führenden Menschentypen, zwischen denen die innere Geschichte des Judentums sich als ein Kampf austrägt: der Prophet und der Priester. Mose ist der Fordernde, der auf nichts hört als auf d i e S t i mme und nichts anerkennt als die Tat. Aaron ist der Vermittelnde, der den Stimmen ebenso zugänglich ist wie der Stimme und das Volk durch seinen richtungsbaren Formendienst zuchtlos macht. Der Prophet will die Wahrheit, der Priester will die Macht. Es sind ewige Typen in der Geschichte des Judentums. Im Kampf wurde die jüdische Religiosität aus dem Geiste Moses zur Religion; im Kampf muß sie sich immer wieder mitten in der Religion erneuern, deren Formenzwang sie zu ersticken droht, muß immer wieder die erstarrte Masse mit ihrer glühenden Forderung umzuschmelzen versuchen. Niemals gelingt es ihr, dem offiziellen Judentum, den geltenden Institutionen die Herrschaft zu entreißen; immer aber wirkt sie, sei es offenbar, sei es heimlich, tief auf das Werden des Volksgeistes ein. Zuweilen erhebt sie die Religion zu einem neuen, höheren Leben. Zuweilen sprengt sie das Gefüge der Gemeinschaft. Zuweilen zerfällt sie nach einem kurzen Aufblühen. Für jede dieser Möglichkeiten gibt uns die Geschichte des Judentums ein repräsentatives Beispiel. Der Opferkult Israels mag aus dem primitiven Bedürfnis nach einer lebenden Gemeinschaft mit dem Gott durch den sakramentalen Akt etwa eines gemeinsamen Mahles entstanden sein; sicherlich wirkte bald ein ganz anderes Gefühl mit: das Bedürfnis nach einer Hingabe, welche die eigentlich gewollte und gemeinte Selbsthingabe sinnbildlich vertreten und darstellen mochte. Unter der Leitung des Priesters aber wird das Symbol zum Ersatz. Der Opferkult wird so ausgearbeitet und kodifiziert,

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daß in jeder Lage des Menschenlebens, in jedem Augenblick des Menschenschicksals ein vorgeschriebenes Opfer zur Verfügung steht, um die Verbindung mit Gott herzustellen, und hinwieder besteht diese Verbindung in nichts anderm mehr, als in dem Opfer. Es tut nun nicht mehr not, wenn Leid einen anfaßt oder die eigne Sünde einen erschreckt, sich ringend, hingegeben, im Sturm der Entscheidung an Gott zu schließen, bis der Schrei der Kreatur verstummt vor der heimlichen Stimme; man bringt das Opfer, man tut, was angeordnet ist, und der Gott ist versöhnt. Wohl tritt Jahwes Opferkult mit dem Anspruch der Wahrheit dem vielfältigen Götzendienst im Volke entgegen, und noch Elija weiß es nicht anders zu sagen, als daß er für Jahwe und wider Baal streitet; aber ob ein Dienst Götzendienst oder Gottesdienst ist, darüber entscheidet nicht, unter welchem Namen man seinen Gott anruft, sondern wie man ihm dient. Das ist die große Erkenntnis der späteren Propheten, die ein Jahrhundert nach Elija zum Volke zu reden beginnen. In Worten einer gebieterischen Leidenschaft verwerfen Amos und Micha, Jesaja und Jeremija den »Greuel« des Opferkults und fordern den wahrhaften Gottesdienst: die »Gerechtigkeit«, das heißt das u nbed i ngte Leben mit Gott und mit den Menschen. Die inhaltlichen Bestimmungen, die sittlichen Normen, hat die Botschaft der Propheten mit Lehren anderer Völker gemein; das Einzige, das Jüdische an ihr ist der Atem der Unbedingtheit, der sie durchweht, das Postulat der Entscheidung, das in jedem ihrer Worte und noch in dem fordernden Rhythmus ihrer Sätze tönt: ihre Religiosität. Jede Konstruktion einer »reinen Ethik« des Judentums ist von Grund aus verfehlt; da ist der Kern des Judentums, wo das Unbedingte ein verhülltes Gottesangesicht ist, das in der Menschentat offenbart werden will. Die Propheten wollten den Opferkult vernichten. Sie haben seine Herrschaft nicht zu schmälern vermocht; der Priester behielt die Führung in Händen. Und doch haben sie die jüdische Religiosität, haben die Seele des Volkstums erneuert; so unsichtbar vollziehen sich die Siege des Geistes. Im zweiten Reich tritt eine neue religiöse Institution in den Mittelpunkt: die Schrift. Sie wird als der festgelegte Ausdruck der Staatsreligion allmählich kanonisiert. Aus der Fülle überlieferten Materials scheiden dem Priestertum botmäßige Körperschaften alles aus, was ihnen mythisch, verdächtig erscheint. So entsteht das Buch, welches das hinfort allein gültige Schrifttum umfaßt; es wird so alleingültig, daß alle nicht in den Kanon aufgenommenen Bücher untergehen. Aber nicht bloß über das übrige Schrifttum siegt es, auch über das Leben. Die Schrift ist fortan die Wahrheit; man kann zu Gott nur dadurch gelangen, daß man sich in allem an die Schrift hält. Sie wird aber vom Priester, hernach von dem ursprünglich freier gesinnten Schriftgelehrten nicht als eine im Leben

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auszugestaltende, mit neuem Lebenssinn zu füllende Verkündigung, sondern als eine Satzung, eine Summe von Vorschriften behandelt, vom Priester formalistisch abgegrenzt, vom Schriftgelehrten dialektisch ausgesponnen, immer aber ins Enge, Starre, Unfreie gewandt, die lebendige Religiosität nicht fördernd, sondern unterbindend. Dieser Tendenz des offiziellen Judentums erwächst einerseits eine mehr vermittelnde Gegenaktion im eigenen Lager, deren späten literarischen Niederschlag wir in der Agada finden, anderseits eine radikalere Gegenaktion in der sich absondernden essäischen Gemeinschaft und der um sie flutenden Bewegung, die zuletzt im Urchristentum mündet. Von beiden gilt in ihrem Verhältnis zur Schrift, was von den Therapeuten gesagt wird: die ganze Gesetzgebung scheine ihnen einem lebendigen Wesen vergleichbar, dessen Leib die Worte, dessen Seele der verborgene Sinn sei; in diesem schaue die Menschenseele ihr eignes Selbst an. Beide weisen der Veräußerlichung gegenüber, die der Schrift angetan worden war, auf ihre Innerlichkeit hin. Und auch die urchristliche Bewegung wendet sich nicht – wie die Propheten sich gegen den Opferkult wendeten – gegen die Schrift, sondern dagegen, daß deren Sinn vom Unbedingten ins Bedingte gekehrt wird; sie will das Pathos der Forderung wiederherstellen. Aber keiner dieser Strömungen gelingt es, die jüdische Religion zu erneuern; der Agada nicht, weil sie nur fragmentarisch wirkte und ihre Kräfte nicht zusammenschloß; dem Essäismus nicht, weil er sich einer unfruchtbaren Absonderung ergab und nicht ins Volk strebte; das Urchristentum aber war für eine Erneuerung des Judentums verloren, als es sich selber untreu wurde und den großen Gedanken, der es emporgetragen hatte, die Idee der gotterobernden Umkehr, zum gnadenreichen Anschluß an den Christus verengerte: – damals gewann es die Völker und gab das Judentum preis, indem es das Gefüge seiner Gemeinschaft sprengte. Das Christentum ist von da aus zur Herrschaft über die Völker aufgestiegen, das Judentum in Erstarrung, Erniedrigung, Entartung gesunken; aber sein Kern hat unerschütterlich den Anspruch gewahrt, die wahre Ekklesia, die treugebliebene Gemeinde der göttlichen Unmittelbarkeit zu sein. Seit der Zerstörung Jerusalems steht die Tradition im Zentrum des religiösen Lebens des Judentums. Ein Zaun wurde um das Gesetz gezogen aus der Absicht, das Fremde und Gefährdende fernzuhalten, aber er hielt oft genug auch die lebendige Religiosität fern. Wohl bedarf die Religiosität der Formen, wenn sie sich in einer Gemeinschaft von Menschen darstellen, eine Gemeinschaft bilden und erhalten, – wenn sie als Religion bestehen will; denn nur in gemeinsamen Lebensformen ist dauernde, von Geschlecht zu Geschlecht gehende religiöse Gemeinschaft möglich. Wenn aber die Religion, statt die Menschen zur Freiheit in Gott zu ver-

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binden, sie unter dem unwandelbaren Gesetz hält und ihr Verlangen nach Freiheit verdammt, – wenn sie, statt ihre Formen als die Bindung zu betrachten, auf deren Grunde sich die wahrhafte Freiheit aufbauen kann, sie als die Bindung betrachtet, die alle Freiheit ausschließt, – wenn sie, statt dem Gesetz den großen urzeitlichen Zug zu lassen, es in einen wimmelnden Formelnkram verwandelt und die Entscheidung über rechtes und unrechtes Handeln zu einer spitzfindigen Kasuistik ausarten läßt: – dann ist sie nicht mehr Formung, sondern Knechtung der Religiosität. Dieser Prozeß kennzeichnet die Geschichte der jüdischen Tradition. Die Gegenaktion der Religiosität hat zweierlei Gestalt. Die eine ist die von einer Zeit zur andern aufflackernde Auflehnung der Ketzer, oft mit gewaltigen, das ganze Volk aufwühlenden messianischen Bewegungen verbunden. Die zweite ist die stetige, aufbauende Tätigkeit der jüdischen Mystik, die den erstarrten Ritus durch die Idee der Kawwana, der Intention zu beleben und jeder religiösen Handlung einen heimlichen, auf Gottes Schicksal und die Erlösung der Welt gerichteten Sinn zu geben strebt. In der älteren Kabbala wohnt dieser Tendenz noch ein theologisch-allegorisierendes Element inne, das ihr Volkstümlichwerden verhindert. Erst in der späteren lurjanischen Kabbala wird sie unmittelbar-gefühlsmäßig, und im Chassidismus wächst sie zur großen Volksbewegung. Dieser will das Gesetz nicht schmälern, er will es lebendig machen, will es aus dem Bedingten wieder ins Unbedingte heben: jeder soll durch wahrhaftes Leben selbst eine Thora, ein Gesetz werden. Aus dem Chassidismus hätte die jüdische Religiosität wie nie zuvor erneuert werden können. Aber vom offiziellen Judentum verketzert, verleumdet, denunziert, durch die Schwäche des Volkes, das der Entschiedenheit seiner Lehre noch nicht gewachsen war, entartend, zerfiel er, ehe er sein Werk getan hatte. Allen drei Bewegungen, der prophetischen, der essäisch-urchristlichen, der kabbalistisch-chassidischen ist es gemeinsam, daß sie nicht darauf ausgehen, das Leben des Menschen zu erleichtern, sondern es zu erschweren, zugleich freilich, es zu beseelen und beseligen. Allen gemeinsam ist der Antrieb, die E nts chei d u ng als die bestimmende Macht in aller Religiosität wiederherzustellen. Durch die Erstarrung des Opferkults, durch die Erstarrung der Schrift, durch die Erstarrung der Tradition wird die freie Entscheidung im Menschen niedergehalten; nicht die aus der Entscheidung geborene, in Unbedingtheit atmende Tat gilt als der Weg zu Gott, sondern die Erfüllung der Vorschriften. Das Prophetentum aber, das Urchristentum, der Chassidismus besinnen sich auf die Entscheidung als auf die Seele der jüdischen Religiosität und rufen zu ihr auf. Das ist der ewige Sinn dieser Bewegungen für das Judentum, das ist ihr durch nichts zu verkürzendes Recht auf unsere Treue; das macht sie

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uns wichtig für das Werk der Erneuerung: nicht worin sie ausgingen, sondern woraus sie herkamen, nicht die Formen, sondern die Kräfte. Das sind die Kräfte, die im Judentum nie zulängliche Form, nie Herrschaft gewannen, die vom offiziellen Judentum, das ist von der allzeit herrschenden Unkraft, allzeit niedergedrückt worden sind. Es sind nicht Kräfte von Volkszeiten und Volksteilen, es sind nicht Kräfte der Auflehnung und des Sektierertums, es sind die Kräfte, die den Geisteskampf des lebendigen Judentums gegen die Unfreiheit kämpfen, es sind die ewigen Kräfte. Aus ihnen allein kann die religiöse Erschütterung kommen, ohne die keine Erneuerung des jüdischen Volkstums geraten kann. Religiosität, sagte ich, ist das Verlangen des Menschen, mit dem Unbedingten lebendige Gemeinschaft zu schließen, und sein Wille, es durch sein Tun zu verwirklichen und in die Menschenwelt einzusetzen. Echte Religiosität hat somit nichts gemein weder mit den Träumereien schwärmerischer Herzen, noch mit dem Selbstgenuß ästhetisierender Seelen, noch mit den tiefsinnigen Spielen einer geübten Intellektualität. Echte Religiosität ist ein Tu n. Sie will das Unbedingte im Stoff der Erde ausformen. Gottes Angesicht ruht unsichtbar im Block der Welt; es muß hervorgeholt, herausgemeißelt werden. Daran arbeiten heißt religiös sein, nichts anderes. Am innigsten und unmittelbarsten ist uns diese Aufgabe zugeteilt im Leben der Menschen, das unserer Einwirkung erschlossen ist wie kein anderes Ding der Welt. Hier wie nirgendwo ist uns eine Vielheit in die Hand gegeben, sie zur Einheit zu bilden, eine gewaltig formlose Masse, in der wir die göttliche Gestalt ausprägen sollen. Die Gemeinschaft der Menschen ist ein angelegtes Werk, das unser harrt; ein Chaos, das wir zu ordnen, eine Diaspora, die wir zu sammeln, ein Widerstreit, den wir zu versöhnen haben. Dies aber können wir einzig dadurch, daß jeder von uns an seiner Stelle, im natürlichen Bereich seines Zusammenlebens mit den Menschen das Rechte, das Einigende, das Gestaltende tut: weil Gott durch ihn nicht geglaubt, nicht erörtert, nicht verfochten, sondern verwirklicht werden will.

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Die Tafeln, die Gott aus dem Stein gehauen und mit Zeichen, Menschenaugen lesbar, beschrieben hatte, lagen von den Händen Mose zerschlagen. Da er aber über den Scherben kauerte und umsonst zusammenzufügen suchte, was für die Ewigkeit zerschellt war, traf ihn der Befehl: Du, du haue nun zwei steinerne Tafeln, und ich will darauf schreiben. So hieb er sie, seine Hände bestaunend, aus dem Stein und trug sie zu Berge. Sodann stand er oben und harrte, daß sie ihm abgenommen würden. Nirgendher jedoch streckte sich ihm der Arm eines Empfängers entgegen, sondern die leere Einsamkeit kreiste um den stehenden Mann, bis mitten aus ihrer Leere das Wort auf ihn niederbrach: Schreib! Da stemmte er sein Ohr wider die Stimme und blieb unbewegt, tragend die Tafeln, die er dem Befehl zufolge gehauen hatte, daß Gott darauf schreibe. Und er war allda vierzig Tage und vierzig Nächte und aß kein Brot und trank kein Wasser, stand und harrte und weigerte sich der Stimme, die ohne Unterlaß die leere Einsamkeit durchschütterte. Am einundvierzigsten Morgen aber setzte sich Mose auf den Fels und nahm die Tafeln in die linke Hand. Noch zögerte er, ob der einst vertraute Herr nicht über ihn käme, ihm die Finger zu führen. Aber keine Gegenwart war ihm nah, in aller Ferne keine Gegenwart, gottlos ausgespannt die Luft, gottlos dröhnend der Augenblick. Sodann hob er an zu schreiben, die Stimme schwieg, und ganz verlassen schrieb Mose die Worte des Bundes zwischen Gott und dem Menschen. Da blühte rings um ihn göttlich der Raum auf, göttlich umklang ihn die Zeit, und das Geheimnis des lebenden Gottes legte sich an sein Herz. Gottes Zeichen, Menschenaugen lesbar, waren auf den Tafeln, und als er mit ihnen niederstieg, erschraken die Kinder Israel, denn Gottes Glorie leuchtete auf seinem Angesicht.

Vier Gleichnisse des Ferid-ed-din Attar Der Gottesnarr Ein Gottesnarr hatte eine hohe Stufe erlangt. Khizr sprach zu ihm: »O Vollendeter, willst du mein Freund sein?« »Du stehst mir nicht an«, antwortete er. »Du hast vom Wasser der Unsterblichkeit in langen Zügen getrunken, und nun wirst du ewig fortbestehn. Ich aber will dem Leben absagen, weil ich ohne meinen Freund bin und solch ein Sein nicht erdulden mag. Dieweil du eiferst, dein Leben zu bewahren, werfe ich das meine alle Tage hin. Es taugt aber besser uns zu trennen, wie Vögel, die einem Netz entschlüpften. Lebe wohl.«

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Medschnun sucht Laila Ein vornehmer Mann, der sich Gott ergeben hatte, sah, wie Medschnun mitten auf der Straße Erde siebte, und sagte zu ihm: »O Medschnun, was suchst du hier?« »Ich suche Laila«, antwortete er. »Wie kannst du wähnen,« fragte jener, »Laila so zu finden? Wie sollte die reinste Perle in diesem Staube wohnen?« »Ich suche Laila überall,« sprach Medschnun, »und das ist meine Hoffnung, daß ich sie eines Tages irgendwo finden werde.«

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Die trauernde Mutter Eine Mutter weinte an dem Grabe ihrer Tochter. Ein Wandrer, der sie sah, rief aus: »Diese Frau ist wahrlich den Männern überlegen, denn sie weiß, was wir nicht wissen: wer es ist, dem fern und verloren wir weilen, was es ist, das uns so sehnsüchtig macht. Selig der Mensch, der den Grund der Dinge kennt und weiß, wen er beweinen soll! Mir armem Betrübten aber geht es schlimm. Tag und Nacht sitze ich in meiner Trauer. Ich weiß nicht, um wen ich mich dem Schmerz preisgebe, um wen ich weine wie der Regen. Ich weiß nicht, wer es ist, dem ich entrückt bin, so groß ist meine Verwirrung, so bin ich außer mich geraten. Diese Frau hat ihren Rang über Tausenden wie ich, denn sie besitzt die Witterung des Wesens, das sie verloren hat. Ich aber besitze diese Witterung nicht, darum hat der Gram mein Blut ausgeschüttet und läßt mich vergehen in meiner Bestürzung. An der Schwelle des Orts, wo das Herz keinen Zugang hat, des unsichtbaren Orts, hat die Vernunft ihre Zügel fahren lassen, und die Pforte

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Vier Gleichnisse des Ferid-ed-din Attar

zur Stätte des Denkens ist nicht mehr zu finden. Wer an diesen Ort gelangt, wird sein Haupt verlieren; er wird in der Einfriedung dieser vier Mauern keine Öffnung finden. Wer aber den Weg fände, der fände in einem Augenblick und vollkommen das Geheimnis, das er sucht.«

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Die Falter Eines Nachts versammelten sich die Falter, von der Begierde getrieben, sich der Kerzenflamme zu einen. Alle sprachen: »Wir müssen einen entsenden, daß er uns von dem Gegenstand unsres Verlangens Kunde bringe.« Ein Falter flog zu einem fernen Schloß, und in dessen Innern erblickte er das Licht der Kerze. Er kehrte zurück und meldete seine Erfahrung; er begann nach der Fassung seines Verstandes die Kerze abzuschildern. Aber der weise Falter, der die Versammlung leitete, entschied, der Kundschafter wisse nichts von der Kerze. Ein andrer flog dem Lichte zu und näherte sich ihm. Er berührte mit seinen Flügeln die Flamme, die Kerze ward siegreich und er besiegt. Auch er kehrte zurück und berichtete, was er vom Geheimnis wußte. Er erklärte, worin die Einung mit der Flamme bestehe. Aber der weise Falter sprach: »Deine Meldung ist nicht zuverlässiger als die deines Gefährten.« Ein dritter Falter erhob sich, von Liebe trunken; er stürzte sich ungestüm auf die Flamme der Kerze; sich auf den Hinterfüßen emporschwingend, streckte er die vorderen der Flamme entgegen. Er verlor und versenkte sich wonnevoll in ihr; er entbrannte ganz, und seine Glieder wurden rot wie das Feuer. Als der weise Falter aus der Ferne sah, daß die Kerze jenen sich einverleibt und ihm das eigne Aussehn verliehen hatte, sprach er: »Der Falter hat erfahren, was er zu wissen begehrte; aber er allein faßt es, und das ist alles.«

Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung Ich habe mit Absicht nicht von Weltanschauung, sondern von Welterfassung gesprochen. Weltanschauung ist zu sehr etwas, das sich im Intellekt begibt, das zu wenig Kontakt, zu wenig Gegenseitigkeit voraussetzt. Das Wichtige ist, dass man etwas von der Welt fasst, nicht über sie nachdenkt. Wie steht es nun mit der wissenschaftlichen und religiösen Welterfassung? Einer, der sich immer mit diesem Problem befasst hat, ist Kant. Immer wieder bis in seine letzten Schriften sucht er diese Abgrenzung zwischen Wissen und Glauben. Seine Lösung ist, dass der Bereich der religiösen Wirklichkeit zurückgedrängt wird, auf etwas was nicht mehr Welt ist. »Gott ist keine äussere Substanz, sondern bloss ein moralisches Verhältnis in uns«. Dieses »bloss« ist das Programm für die nachkantischen Philosophen. Man postuliert eine Sphäre für die Religion, aber diese Sphäre wird immer fiktiver. Die Wirklichkeit des Religiösen wird aufgelöst. Di e L ü ckent heo r i e geht von der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung aus. Es gibt Lücken in dem naturwissenschaftlichen Weltbild: der Anfang der Bewegung, die Entstehung des organischen Lebens, Verhältnis von Seele und Körper, u. s. w. Diese Lücken sollen nun von der Religion ausgefüllt werden. Gegen diese Theorie erhebt sich sowohl die Religion als die Wissenschaft. Die Wissenschaft muss den Anspruch stellen, dass sich alle Probleme begrifflich lösen lassen, es darf keine Lücken geben. Auch die Religion protestiert, denn Gott ist nicht dazu da, unfertige Probleme zu lösen. Di e Zwei tei lu ng s th eo r i e tritt in mannigfaltigen Formen auf, bald als Trennung von Natur und Geist, dann auch als Trennung von Allgemeinem und Einmaligem. Es ist wieder eine Verkennung der Wissenschaft. Alle diese Grenzen gelten innerhalb der Wissenschaft, es soll keine Sphäre geben, die der Wissenschaft entrückt ist. Jene Trennung deutet einfach auf verschiedene Gebiete innerhalb der Wissenschaften, etwa auf die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften. Di e Tei lu ng d er Met ho d en sucht die Rollen so zu verteilen, dass beide Tätigkeiten am Gegebenen geschehen, so, dass die Wissenschaft es mit den Tatsachen zu tun hat, die Religion mit ihrem Sinn. Das ist Verwechslung. Die Metaphysik ist es, die es mit der Erklärung der Phänomene zu tun hat. Sie bildet ein Weltbild durch Deutung, indem sie verbindet, was noch unverbunden ist. Aber Religion hat nicht das zu tun. Wenn sie es tut, ist sie nur schlechte Metaphysik. Die Philosophie passt sich rechtmässig an das Gegebene an, die Wissenschaft liefert immer

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neues Material, das sie bearbeiten muss. Sie geht nicht vom Gültigen schlechthin aus, sondern vom Gegebenen mit der Richtung auf das Gültige. Die Religion hingegen hat sich nie anzupassen. Vers chi ed enhei t d er seeli s chen Fu nk t i o nen. Bei dieser Theorie wird die Zweiteilung in die Seele gelegt. Die Wissenschaft hat es mit Denken, Religion mit Gefühl zu tun. (Schleiermacher) Das Gefühl aber kann nie das entscheidende Problem lösen, Wahrheit zu finden. Nie findet man Wahrheit aus der Subjektivierung heraus. Mit dieser Theorie wird unmöglich der Unterschied zwischen psychischem und faktischem Geschehen erfasst. Gefühl besteht in der Dynamik. Gefühl ist umrissschwach, ist von andern Elementen umlagert, überholt. Gefühl steht immer in einer Skala, ist immer ein Moment in einer Skala. Gefühl ist ein polares Phänomen, gegensatzbedingt. Gefühl ist also immer flüchtig, steigerungs- und abnahmefähig, gegensatzbedingt, es kann also nicht der Grund sein zu Religion. Das Religiöse muss diesen Voraussetzungen enthoben sein. Das Religiöse kann allerdings von Gefühlen begleitet werden, von kreatürlichen und kreatorischen Gefühlen, das Faktum selbst ist nicht Gefühl. Das wäre eine Relativierung der absoluten Beziehung. Ueber ba u t heo r i e. Alles was die Wissenschaft hergibt, wird noch mit einem Ueberbau der Werte versehen. So lautet die Theorie. Aber auch da gehen Religion und Metaphysik wieder durcheinander. Die Realität ergibt den Unterbau, darüber ist der Oberbau der Werte, so kommen wir zum Gegensatz der Welt der Dinge und Welt der Ideen. Dieser Gegensatz ist sehr wichtig, für die Religion aber belanglos. Für das Religiöse ist entscheidend das Gegenseitige; Ideen geben aber nie Gegenseitiges. Es ist ein Widerspruch wenn zum Beispiel Cohen einerseits Correlation behauptet, andrerseits Gott Wirklichkeit abspricht, weil Wirklichkeit aus unserer Anschauung abgezogen sei. Wirklichkeit muss ein Teil der Beziehung sein. Unsere Wirklichkeit muss eingetan sein in die Wirklichkeit. Es darf kein Schnitt sein zwischen Wirklichkeit und Ideen. Das Ungegebene kann nicht in die Beziehung treten. Abarten dieser Theorien sind die Fi kt i o ns t heo r i en. Da liegt die eigentliche Absicht enthüllt. Die Philosophie des ›Als ob‹ stützt sich zumeist auf Kant. Religion sei lebensfördernd, entlastend; wirkliche Kultur muss Religion haben zur Komplettierung. In der Einheit des Geisteslebens sei dieses Element – Zusammenfassung des Menschlichen im Uebermenschlichen – notwendig. Um der Fundierung des moralischen Lebens willen sei die Religion zweckvoll. Sie befestigt den Ausspruch unseres Gewissens. Dazu gibt es noch aesthetische und soziologische Fundierungen. Alle sagen das gleiche: Religion besteht aus brauchbaren Fiktionen; man soll so handeln,

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al s o b ein Gott wäre. Dieses Als Ob zeigt die Unanständigkeit des Geistes. Es wäre viel anständiger diese Fiktion nun aufzugeben. Sie ist menschenunwürdig, degradierend. Sie degradiert noch das, was wir in aller Haltlosigkeit noch bewahrt haben. Was ist die wirkliche Differenz zwischen wissenschaftlicher und religiöser Welterfassung? Es besteht zunächst ein Unterschied zwischen wissenschaftlichen und religiösen Au s sa gen. Alle wissenschaftlichen Aussagen sind eindeutig. Sie bestehen darin, einem Ding eine Eigenschaft oder Tätigkeit zuzusprechen, die ihr Gegenteil ausschliesst. Sie stehen unter der Herrschaft des Satzes der Identität. Die religiöse Aussage steht nicht unter der Herrschaft dieses Satzes. Es kann von Gott nichts ausgesagt werden, wenn die Aussage unter dem Satz der Identität steht. Es genügt auch nicht die sogenannte negative Theologie, endliche Attribute zu verneinen und in’s Unendliche zu erheben. Es ist eine Vermessenheit von Gott in der dritten Person zu reden. Es ist aber rechtschaffene Vermessenheit, die dadurch korrigiert wird, dass man immer den Gegensatz ausspricht. Das gilt auch vom unmittelbaren Leben. Wir wissen: ich handle frei und es ist über mich bestimmt, ich bin anheimgegeben. Logisch widerspricht sich beides, im Leben gehört es zusammen. Es besteht nicht zu recht, wenn man von Gott sagt, er sei unpersönlich; es besteht nicht zu recht, wenn man von ihm sagt, er sei eine Person. Nur beides besteht. Transzendenz und Immanenz sind nur perspektivisch verschieden. Das eine oder andere behaupten, heisst Gott relativieren. Jede religiöse Aussage ist ein Wagnis, geschieht immer am Rand. Es besteht sodann ein Unterschied zwischen wissenschaftlichem und religiösem Aussagegrund. Alle Wissenschaft geht aus von einem Wissen d a ss : ich weiss d as s dies ist. Dies ›d as s ‹ gilt nicht im Glauben (Glaube nicht im kantischen Sinn als ein Zwischending zwischen Wissen und Meinen). Es gibt kein Glauben, d a ss … Die Wirklichkeit des Glaubens kann nicht durch ›dass‹ ergänzt werden. Man sagt wohl: ich glaube, d a ss Gott ist. Das ist aber sekundär, berührt nicht das Wesen des Glaubens. Glauben ist keine inhaltliche Erkenntnis, sondern Ereignis, eine Verbundenheit zwischen Mensch und Gott. Man nimmt dieser Verbundenheit ihre Essenz, wenn man sie erkenntnismässig umschreibt. Dann wird Glaube allerdings nur ein Zwischending. Endlich besteht ein Unterschied in der Vor a u s set zu ng . Für die Wissenschaft ist das Sein erforschbar, es gibt nichts Unerforschbares. Für die Religion ist das Sein ungeachtet der Erforschbarkeit Geheimnis. Nicht Geheimnis im Sinne von Geheimnis, das noch unerforscht ist,

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sondern das wesenhaftes Geheimnis ist, Geheimnis dessen Wesen ist, unerforschlich zu sein. In der Religion haben wir ein doppeltes Verhältnis zum Geheimnis: Erstens. Ehrfurcht, Anerkennung des Geheimnisses alles Seins, des Geheimnisses, in dem wir leben. Zweitens, dass wir nicht abgehoben sind von diesem Geheimnis. Es ist eine unmittelbare Beziehung. Die ewige Möglichkeit der unmittelbaren Beziehung zwischen mir und Gott. Es ist eine Gegenseitigkeit, nicht ein Subjekt-Objekt-Verhältnis. Alles Erkennen ist ein Verhältnis zwischen einem erkennenden Subjekt zu einem erkannten Gegenstand, zu einem Es. Das religiöse Verhältnis ist ein Verhältnis von Ich und Du. Diese zwei Grundhaltungen ineinander übergehen zu lassen ist Verdrehen der Achse der Welt. Diese zweifache Haltung haben wir in allem Leben: erstens wir erfassen die Dinge als Objekte, wir erkennen und verwenden Elemente. Zweitens wir erfassen Gegenstände als Begegnung, als ausschliessliche Beziehung, Gegenseitigkeit. Die Beziehung Mensch-Gott ist nur die unbedingte Beziehung die alle andern eint (nicht zusammenfasst). Der Ort des Vorgangs ist nicht im Geist, sondern zwischen Ich und Du. Alles Psychologische ist Brechung des Wirklichen. Gott ist stets gegenwärtig, es fehlt nur an der Gegenwärtigkeit des Menschen. Gottferne ist immer Ferne des Menschen. Auch in der Latenz des religiösen Vorgangs ist der Hinweis auf das Zwischen, auf das Transzendente. Was bedeutet das von der Seele aus? d a s Ganzwerd en der Seele. Da es nicht mehr Funktionen hat, nicht Elemente, nicht Phänomene und Phänomenkomplexe gibt. Es ist ein fugenloses Ganzwerden der Seele. Ein Wesenheitwerden der Seele. Darin liegt auch die relative Berechtigung der Gefühls-Theorie, dass unser Gefühl anzeigt, dass sich Ganzheit bildet. Gefühl ist immer Anzeigen, dass Ganzheit erstrebt wird, es exponiert, dass sich die Seele zusammenschliessen will. In der Beziehung erleben wir das Untergehen der Funktionen, die Totalität des Wesens, die Totalität des Erfassten. Es bleibt nichts draussen. Dieses Totale entsteht aber nicht durch Zusammensetzung, sondern dadurch, dass wir unmittelbar das Ganze erfassen. Auf Erfassen kommt es an, auf wirkliches Erfassen des Seins, des Weltseins, das sich bewährt an der Weltweite. Die religiöse Welterfassung ist ein Vierfaches: Erstens, dass jeweils im religiösen Vorgang erfasst wird ein Jetzt und Hier. Es ist das Einsetzen des Ich, die Selbsterfahrung im Vorgang. Zweitens. Das religiöse Leben ist ein Erfassen der gegenüberstehenden Welt, nicht als Objekt, sondern in wirklicher Zwiesprache. Erfassen der Welt als Gottes Sprache. Der religiöse Mensch weiss sich angesprochen, die Welt ist das Wort, mit dem er angesprochen wird. Es ist nicht übertragbar. Es ist verständlich, aber nicht in

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Aussage übermittelbar. Drittens. Der Religiöse erfasst jedes Ding so, dass er es ursprunghaft erfasst, dass mit dem Ding der ewige Ursprung der Dinge offenbar wird. Das ist nicht gemeint im Sinne des kosmologischen Gottesbeweises. Der Mensch erfasst in jedem Ding die Ursprunghaftigkeit, indem er die Dinge erfasst, lebt er in der Schöpfung der Dinge, er erfasst den ewigen Schöpfungscharakter der Dinge. Kant hat das so ausgedrückt: wir schauen die Dinge in Gott. Wir können auch sagen, wir sehen sie in der Verbundenheit. Viertens. Das religiöse Leben ist nicht ein Anschauen, es ist das ganze Leben der Menschen mit der Welt. Man muss sich nicht vom wirklichen Leben wegbegeben. Wir erfassen die Dinge, indem wir sie lieben, sie heiligen. Es bleibt nichts unheilig, jedes Ding, jede Handlung ist geheiligt: durch die Weihe des Gerichtetseins auf Gott. Das bedeutet Welterfassen, Welterkennen, in dem Sinne wie es im alten Testament heisst: und Adam erkannte sein Weib. Es ist nicht Subjekt-Objekt, sondern eine elementare Verbundenheit. Wo wahre eheliche Liebe ist, erkennt der Mann sein Weib auf andere Weise als im Subjekt-ObjektVerhältnis. Am anderen geht etwas auf, was man nicht erkennt, wenn es Objekt ist. Die jüdische Trauformel: du bist mir geheiligt – das sagt der fromme Mensch zu allen Dingen. Diese Heiligung ist zugleich Erfassung, Innewerden der Verbundenheit. Der Geistesmensch, der im religiös Wirklichen steht, der im Angesicht steht, an dem Punkt, wo alle Sphären des Geistes (Wissenschaft, Kunst, Sittlichkeit) einmünden und sich aufheben im Einswerden der geistigen Sphären, der erfasst das Sein und sich im Sein. Religion ist nicht eine der geistigen Sphären, auch nicht ihre Synthese, sie tut keine Teile zusammen, sie ist die Einheit. Alle geistigen Sphären haben ihren Ursprung in dieser religiösen Wirklichkeit. Sie gehen von ihr aus, sie kehren wieder in sie hinein, um wieder ermächtigt von ihr immer wieder heraus in ihre Autonomie zurückzukehren. Es gibt Zeiten wo die geistigen Sphären sich verbinden, wo über ihnen der Anhauch des Religiösen ist, es gibt Zeiten, wo sie in ihre Eigenrechte zurückkehren. Es gibt Zeiten, wo die Kunst eingebettet liegt in die Religion. Der aegyptische Bildhauer wollte nicht ein Abbild des Königs machen, sondern er wollte das ungeheure Sitzenbleiben des Königs darstellen. Es kommt aber auch die Zeit wo die Kunst heraustritt, sich ihr Eigenrecht erwirbt, autonom wird. Mit diesem Reifwerden kommt aber die Auflösung, der Zerfall. Sie wird Selbstzweck, sinnlos. Dann muss sie wieder eintauchen. Die Technik versagt, man verlangt von ihr das Uebertechnische. Sie fällt in die Auflösung der Form, weil sie das Letzte ausdrücken will. Aber dann kommt sie erneuert aus dem Eintauchen in die religiöse Wirklichkeit zurück, aus dem Eintauchen in Gott selbst.

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Es besteht heute eine Tendenz zum Polytheismus. Der moderne Mensch glaubt so sehr an die Autonomie der Sphären, dass er an keine Einheit mehr glauben kann. Die Sphären haben ihre verschiedenen Götter, Gott ist hier nicht gross genug gefasst. In allen Sphären liegt der Keim der Zersetzung. Die Erneuerung kommt aber nicht durch langsame Entwicklung, sondern durch den Sturz in die Einheit des Göttlichen. Das gilt auch für die Wissenschaft. Auch sie ist aus dem religiösen Ursprung gekommen. Die Kausalitätsauffassung ist ein kleiner Ausschnitt im Versuchen religiöser Welterfassung. Die Sonderaufgabe der Wissenschaft ist die Welt zu ordnen. Das ist auch ihre Grenze. Sie vermag Weltordnung zu erkennen. Sie soll den Menschen orientieren in der geordneten Welt. Besteht also Dualismus zwischen Wissenschaft und Religion? Nein. So wenig wie zwischen der Einheit des Lichts und den Farben. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Religion und Wissenschaft, die über allen Dualismus hinausgeht. Religion hält in der Wissenschaft die Problematik wach, weist immer auf den hypothetischen Charakter alles wissenschaftlichen Forschens und Findens. Wissenschaft erneuert sich, wenn sie sich an der Religion aufgehoben hat, dann geht sie neuermächtigt aus von ihr. Charakteristisch für unsere Zeit ist die Diskrepanz zwischen Weltbegriff und Weltvorstellung. Die Wissenschaft macht die Welt immer unvorstellbarer. Durch die Relativitätstheorie wird es unmöglich die Welt im Bilde zu erfassen. Auf der andern Seite ersetzt die Philosophie das Weltbild durch einzelne Teilkonzeptionen. Die Philosophie geht zurück auf die erkennende Subjektivität, sie tut nach der andern Seite das Gleiche wie die Relativitätstheorie: sie entzieht sich der Sinnlichkeit, dem Stoff oder der Kraft. Mitten zwischen diesen Reduktionswelten ist die Sinnenwelt. Es gibt keine Umfassbarkeit mehr. Die Welt ist nur umfassbar in Gott. Die Wissenschaft führt uns an die Schwelle, sie zeigt uns, dass alle unsere Wirklichkeit eingebettet ist in der Wirklichkeit Gottes. So kündigt sich eine Selbstaufhebung der Wissenschaft an. Es ist eine ewige Systole und Diastole des Geistes. Hier gilt Göthes Wort von der zweierlei Gnade, die im Atemholen besteht. Getrennte Es-Welt, geeinte Du-Welt, das ist Aus- und Einatmen des Geistes. Beides gehört zusammen, beides bezeugt in seiner Doppelbewegung Gott.

Das dämonische Buch Die Bretonen glauben an das dämonische Buch. Es hat verschiedene Namen, in jeder Gegend einen. In der von Quimper wird es Ar Vif genannt, das heißt Der Lebendige. Es ist ein riesenhaftes Buch. Wenn es aufrecht steht, hat es die Höhe eines Mannes. Die Blätter sind rot, die Lettern sind schwarz. Wer aber hinzutritt und es öffnet, sieht nichts als Rot. Die schwarzen Zeichen werden erst sichtbar, wenn einer mit dem Vif gekämpft und ihn überwältigt hat. Denn dieses Buch lebt. Und es will sich nicht befragen lassen. Nur wer ihm obsiegt, entreißt ihm sein Geheimnis. Der muß sich mit ihm stundenlang abmühen wie mit einem störrischen Pferd, bis er schweißbedeckt davorsteht und das gebändigte liest. Es ist ein gefährliches Buch. Man sperrt es mit einem dicken Vorlegschloß zu und hängt es an eine Kette, die am stärksten Balken haftet. Der Balken muß krumm sein. Wer sich den Vif untertan gemacht hat, kennt die verschwiegnen Namen der Dämonen und weiß sie anzurufen. Er geht nicht wie alle Welt. Er zögert bei jedem Schritt, denn er fürchtet auf eine Seele zu treten. Er hat etwas erfahren. Ich denke, daß jedes wirkliche Buch Ar Vif ist. Das wissen die wirklichen Leser, aber weit besser noch die wirklichen Schreiber – denn erst recht das Schreiben eines wirklichen Buches ist Gefahr, Kampf und Bewältigung. Mancher verliert inmitten den Mut und vollendet die Schrift, die er in den abgelesenen Zeichen des Geheimnisses begann, in den nichtigen Buchstaben seiner Willkür. Es gibt nur wenig Wirklichkeit des Geistes in der bücherreichen Welt.

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Daß Bloch die Sagen von R. Jizchak Lurja, dem »Ari«, dem Großmeister der späteren Kabbala, in deutscher Bearbeitung veröffentlicht, ist ein verdienstvolles Unternehmen und wäre mit ungetrübter Freude zu begrüßen, wenn dem Buch nicht einige Mängel anhafteten, die seinen Wert sowohl für den des Hebräischen unkundigen Kulturhistoriker und Religionsforscher als auch für den Laien beeinträchtigen. Ich will um der wichtigen Sache willen die wesentlichen Mängel kurz kennzeichnen und an Beispielen darlegen. Bloch hat weder alle Quellen herangezogen noch die Lesarten verglichen (unter dem gleichen Titel j«tae jhbu sind, was ihm entgangen zu sein scheint, zwei völlig von einander abweichende Sammlungen gedruckt worden). So kommt es, daß er zuweilen einer späten, korrumpierten Version folgt. Wie schlimme Sinnentstellungen dabei mit unterlaufen, dafür sei die erste Geschichte, »Die Geburt«, als Beispiel angeführt. Da wird bei Bloch erzählt, der Prophet Elijah habe sich R. Salomo, dem Vater des Ari, als Gevatter bei dem neugeborenen Kinde angeboten. Er sei denn auch, allen andern unsichtbar, in der Synagoge erschienen und habe zum Vater gesagt: »Setze dich auf meinen Stuhl, ich aber will selber die Beschneidung vornehmen.« Dann habe er den Knaben aus der Hand der Hebamme genommen und ihn beschnitten: »kein Mensch sah es, außer Rabbi Salomo«. Das ist ein wunderlicher Vorgang, auch für ein Wunder zu wunderlich: erst bietet sich Elijah als »Gevatter« an – d. h. doch, wie es ja auch seiner Funktion als »Engel des Bundes« entspricht, als Sandik und nicht als Mohel! – und dann kommt er und beschneidet den Knaben; und weiter: das Kind entschwebt der Hand der, das Faktum unbeeindruckt hinnehmenden, Hebamme, das Unsichtbare wirkt sich sichtbar an ihm aus, die Gemeinde aber, vor der dies geschieht, macht sich keinerlei Gedanken und geht heim, als ob nichts, oder vielmehr, als ob das Gewohnte und Normale geschehen wäre. – Alle diese Widersprüche lösen sich, wenn man auf die ursprüngliche Fassung der Geschichte zurückgeht. Da heißt es: »Da kam Elijahu und sprach zum Vater: ›Setze dich auf den Stuhl‹. Da setzte er sich und hielt den Knaben in seinen Händen. Und Elijahu kam und setzte sich auf den Schoß des Vaters und nahm den Knaben aus der Hand des Vaters und legte ihn auf seinen eignen Schoß und hielt ihn mit seinen beiden Händen, und der Mohel beschnitt ihn und sah nichts, nur den Vater allein.« Des weiteren kürzt Bloch die Geschichten häufig so, daß die für den geistigen Gehalt bedeutsamsten Motive weggelassen werden. Er tut es of-

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fenbar aus dem Gefühl, die Begebenheit ohne alles Ablenkende erzählen zu sollen; aber es geht hier um Elemente, die gerade erst die spezifische Bedeutung der Begebenheit aufschließen, und es wäre daher Sache der Bearbeitung, diese Motive stärker, als es die Vorlage tut, mit der Handlung zu verweben, nicht aber, sie fallen zu lassen. Auch hierfür sei ein Beispiel angeführt. In der Geschichte »Die Strafe« heißt es bei Bloch, der Ari habe sich in der Deutung einer Soharstelle unterbrochen, weil die Mitteilung ihres geheimen Sinns mit Lebensgefahr verbunden gewesen sei; auf die Bitten seiner Jünger habe er den geheimen Sinn der Stelle ihnen doch eröffnet; zur Strafe dafür aber sei sein Sohn gestorben. Um was für eine Stelle es sich handelt, wird nicht gesagt. Warum ihre Deutung so gefährlich ist, lernen wir erst ahnen, wenn wir aus dem Urtext erfahren, daß die Erzählung sich auf »das Mysterium des Auszugs aus dem ägyptischen Exil« bezieht, und innerhalb seiner auf das Gleichnis des Sohar von der Hirschkuh, die nicht gebären kann, ehe eine Schlange sie in den Leib beißt, – jenes an das Mysterium der Welterlösung rührende Gleichnis, vor dem es nicht bloß R. Schim’on ben Jochai, sondern Mose selber gegraut haben soll. (Vielleicht noch bedenklicher ist das Verschweigen der geheimnisvollen Bedeutung des Tanzes Davids vor der Bundeslade in der Geschichte »Das Wunder«, wo Bloch zum Ueberfluß den König, von dem die Vorlage in kosmischen Symbolen redet, »hupfen« läßt.) Einiges zu den Stilfragen der Uebertragung oder Bearbeitung solcher Texte gedenke ich ein andermal – nicht in kritischer, sondern in grundsätzlicher Fassung – zu sagen.

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Drei Reden Berlin. 1926–1927. 1. Rede Judentum. 22. XI. 26 Aula d. Schule am Nikolsburgerplatz Berlin-Wilmersdorf.

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Auf zwei Arten kann man das eigentümliche Wesen einer Religion darzustellen versuchen: 1. vom sogenannt. Inneren her 2. vom sogenannt. Äußeren her, also vom Kult und dem Zusammenhang seiner Formen. Wegen der Abgrenzung gegen andere Religionen scheint es zunächst zweckmäßig, nicht vom Glauben auszugehen, der nicht oder nicht ohne weiteres aus der Seele herausholbar ist sondern von den gelebten Formen. Jedoch scheint es mir sich dann doch umgekehrt zu verhalten: Glauben kann nämlich aus Seelenzusammenhang insoweit herausgelöst werden, als er ohne Verfälschung gedanklich übertragen werden kann. Das ist möglich, wenn man von den Abstraktionen des zu übertragenden Gedankens immer die Brücke schlägt zu den Konkretheiten des geglaubten (gelebten) Glaubens. Dagegen ist die Wirklichkeit des Kults von außen nicht zu erfassen; man verschiebt sie, wenn man sie von außen her darstellt. Man muß die Formen nur so betrachten, als ob man an Heiligtümern steht: es ist ein Geheimnisvolles wie zwischen 2 Menschen, von denen der eine den anderen »von innen heraus« erkämpft. Daher ist richtig, bei Darstellung einer Religion in jedem Falle von der sogenannten Subjektivität, dem Glauben, auszugehen. — Die genetische Betrachtungsweise der Beeinflussung der einen Religion durch andere Religionen hat in der Wissenschaft ihren Platz – in Wirklichkeit sind alle Religionen, Völker, Menschen durch andere beeinflusst – gerade dies heißt Leben. Wesentlich ist aber nicht das Gemeinsame, sondern das Ungemeinsame. Wesentlich ist nicht, was jüdische Propheten mit primitiven Eksta-

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tikern oder Derwischen gemein haben, sondern wenn ein Derwisch wie Jesaja redet, so ist das nicht mehr das Derwischhafte, sondern das Jesajahafte-Einmalige. — Das Judentum ist ein Faktum nicht in der Geschichte des Geistes, der Kultur- oder Weltgeschichte, sondern in der Geschichte der Schöpfung. Üblicherweise wird bei Judentum hingewiesen: 1. auf Monotheismus 2. ” Ethicismus. Aber Monotheismus findet sich auch in der indischen religiösen Spekulation und in der griechischen Philosophie. Beide sind dem Judentum gegensätzlich: die indische Spekulation, die akosmistisch ist (es gibt nur das Göttliche als wirklich – alles andere scheint nur zu sein. Das ewige unwandelbare Sein der indischen Spekulation ist akosmistisch, weil es nur durch Wegwenden von der Welt erfasst werden kann) die griechische Philosophie, die allerdings kosmistisch ist (Aristoteles, ihr typischer Vertreter, geht von der hiesigen Welt und ihren Ordnungen aus, denen das Göttliche eben die Einheit gibt – und Euripides sagt: »Zeus, – Du seist wer immer: die Notwendigkeit der Natur oder der Geist des Menschen«.) Beides ist etwas ganz anderes als der der jüdischen Religion eigene Monotheismus: denn bei den Juden geht es nicht um eine Gottesidee, sondern um einen lebendigen anwesenden Gott, der sich der Kreatur zuwendet und offenbart und seine Schöpfung zur Vollendung erlösen will: nicht das Sein, sondern das Dasein und Gegenwärtigsein des Gottes ist hier von centraler Bedeutung. Ein moralistisches System (also ein System, das vollkommen auf Handeln gerichtet ist) gibt es auch in China (wo aber Kung-tse – ebenso wie Buddha – gebietet, von den geheimen Dingen zu schweigen.) Bei den Juden wird im Gegensatze hierzu das abgelöst-Sittliche niemals gefordert, sondern nur im Zusammenhang mit der Religion: sittliches Leben heißt ihnen: auf-Gott-zu-leben. Heilig im Sinne der Juden ist der Mensch, der das eingeborene Ebenbild Gottes verwirklicht (im Gegensatz zum indischen Heiligen, der aus sich heraus – selbstgewiß lebt, nichts nachahmt und ohne Gegenüber ist.) — Der Grundgedanke der jüdischen Religion, in allgemeine Sprache übersetzt, ist: der Glaube an die absolute Realität der Geschichte als eines großen Zwiegesprächs zwischen Gott und dem Menschen, die einander ge-

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genüberstehen – diese beiden duzen einander, wie Wesen zu Wesen spricht. Damit ergibt sich ein neuer Begriff der Geschichte: nämlich daß Geschichte ein Ziel hat – daß Geschichte ein Weg von Schöpfung zu Erlösung ist und daher sinnvoll für jeden einzelnen. Gemeinsam ist diese Konzeption teils scheinbar teils wirklich mit anderen Religionen: scheinbar mit dem Parsismus: im Parsismus führen Licht und Finsternis den Kampf miteinander, der den Inhalt der Weltgeschichte ausmacht; aber der Sieg des Lichtes steht fest, zu einem bestimmt abgemessenen Termin, sei es nach 9.000 oder 12.000 Jahren. Das Geschehende selbst hat also keinen entscheidenden Einfluss, daher ist die ganze Geschichte unwirklich. Eine Entscheidung gegen Gott (Licht) ist im Parsismus als unmöglich ausgeschlossen. Von der jüdischen Auffassung aus aber kann die Geschichte nicht betrachtet werden als auf einer Rolle aufgezeichnet, die nur abzurollen braucht: vielmehr schwingt die Geschichte in einem strengen Dreiklang: 1. Urzeit – Schöpfung – Natur 2. Geschichte – Offenbarung – Geist 3. Ende – Erlösung – Einigung von Natur und Geist. — Das Christentum verknüpft, im Gegensatze zum Judentum, Offenbarung und Erlösung – dies birgt in sich eine Gefahr: die Auseinanderreissung von Schöpfung und Erlösung. Die Consequenz hieraus zieht Marcion, der unterscheidet zwischen dem Judengott, der die Welt erschaffen hat, in die der Mensch eingesperrt ist – dem nur gerechten Gott – und jenem anderen kosmosfernen Gott, der des Elends hier gewahr wird und seinen Sohn zur Erlösung der Welt entsendet. – Dem entspricht die Unterscheidung von Schöpfungsoffenbarung und Erlösungsoffenbarung. Die ganze Geschichte des Christentums ist die Geschichte des Kampfes zwischen Judentum und Marcismus. Von Marcion zu Harnack führt eine Linie – beide sagen das Gleiche, nur mit dem Unterschied, daß, dem Wandel der Jahrhunderte entsprechend, der eine von Wirklichkeit redet, der andere von psychologischen Religionen, vom »Überbau«. — Das Judentum kennt, im Gegensatz zur iranischen Religion, nicht zwei Schöpfungen, es kennt keine Sonderschöpfung des Bösen, sondern nur die All-eins=schöpfung, von der daher auch das sogenannt. Böse stammt. Das Böse ist also nicht Substanz, sondern Modalität, es ist durch geschöpfliches Handeln zum Bösen geworden. Der Mensch kann, nach jüdischer Auffassung, Gott nicht dienen ohne das, was man das Böse nennt, nämlich die Leidenschaft.

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Im Parsismus bedienen sich beide Mächte aller Dinge, auch des Menschen. – Dem Juden ist der Mensch selbständig – der Mensch ist nicht etwas, dessen eine Macht sich bedienen kann – der Mensch ist abgelöst von Gott und eingesetzt in die Welt, wo zwar nicht nur der Wille des Menschen, aber auch der Wille des Menschen geschieht. — Schöpfung ist Prinzip der Urzeit, aber nicht auf die Urzeit beschränkt. – So heißt es im jüdischen Gebete: täglich erneuert Gott das Werk der Schöpfung. – Der Mensch aber wird Genosse Gottes an diesem Werk – überall gibt es in Wahrheit immer wieder Adam und Eva, das erste Menschenpaar, das sich für Gott entscheiden oder ihn verwerfen kann. — Der Pater Przywara nennt mich (unvorsichtigerweise mit Cohen zusammen) einen Aktivisten, dessen Meinung sei, daß der Mensch sich durch sein eigenes Handeln erlösen könne. Das ist falsch – das ist theo-logisch. In der Theologie glaubt man entweder an den Willen (des Menschen) oder die Gnade (Gottes). Wenn man nur an den Willen glaubt, leugnet man Allmacht und Allwissen – das ist verführerisch, aber falsch. – Man kann hier nicht mit Gegenüberstellungen nur logischer Begriffe operieren: a oder non-a gelten für die Logik, aber weder für die Wirklichkeit Gottes noch für die Wirklichkeit des Menschen noch für das wirkliche Leben. Von Gott können wir freilich nicht reden, wohl aber vom Menschen: die Wirklichkeit des gelebten Augenblicks ist unendlich wirklicher als alles andere und in ihm fühlt der Mensch sich frei. Wenn daher die jüdische Religion das Prinzip des Willens betont, so tut sie das lediglich, weil sie nicht von der logischen Exklusion ausgeht, sondern vom wirklichen Leben, bei dem es auf das Hüben, nicht auf das Drüben ankommt – damit ist also nur gesagt, daß die Tat erforderlich ist, daß Gott sie und diesen Menschen braucht, brauchen will. So ist der Mensch Gottes Genosse und gerade in seiner Tat: Gottes Bild – wie dieser sich in der Wirklichkeit manifestiert – im gelebten Leben. – Zu diesem Werke muß sich der Mensch nur seiner Einzigkeit bewußt sein: gerade daß jeder einzelne ganz neu und ganz unableitbar ist, gerade dies ist die Immer-neu-schöpfung. — Nun zur Offenbarung: die Offenbarung an den Propheten ist nicht aus dem Unbewußten dieser Menschen zu erklären. Diese Erklärung ist schon deshalb falsch, weil was der Prophet spricht gerade gegen seine Instinkte, gegen sein Unbewußtes, gegen sein einfaches Leben geht. (Als Beispiele sind hier von Mose zu Jeremia alle jene Propheten zu nennen, die sich gegen die Sendung wehren.)

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Um den Begriff der Offenbarung rein zu erfassen, ist er abzugrenzen gegen den Begriff der Inkarnation: bei der Inkarnation wird die Distanz zwischen Göttlichem und Menschlichem durch einen Akt Gottes an sich selber – eben die Geburt – überwunden. Das ist christlich und auch indisch (Vishnu) Im Gegensatz hierzu stehen dem Judentum in aller Wirklichkeit Gott und Mensch immer einander gegenüber: so ist Geschichte der Ort der Offenbarung. Der Inhalt der Offenbarung aber ist, von Gott aus gefasst: nur der Name. Gott offenbart – II. Buch Moses’ – nur seinen Namen, nichts anderes – dies bedeutet dem Menschen das Gegenwärtigsein Gottes. »Ich werde dasein« – (nämlich bei Moses) – dieser Satz ist grob mißverstanden worden als eine Aussage Gottes über sein eigenes Wesen – dieser Satz bedeutet aber gerade das Gegenteil: nämlich nicht transzendent, sondern hierher bezogen: daß Er ein lebendiger Gott ist. Hiernach kann Offenbarung nur bedeuten: daß das Göttliche ein Menschliches, so wie es da ist, ergreift und mit sich verschmilzt – nicht aber daß es sich selbst in das Menschliche hineinbringt. Daher ist ebensowenig wie in der Wirklichkeit des Augenblicks auch theologisch nicht zu scheiden zwischen göttlichem und menschlichem Bestandteil der Offenbarung. Der Sinn der menschlichen Mitwirkung aber ist: die Zueinigung der Dinge: hier ist der Mensch dazu da, damit er die Dinge dem Gott zueinige – die Schöpfung Gottes zu Gott erhebe. – Ebenso wie die Schöpfung geschieht auch die Offenbarung immer wieder und überall – nicht gibt es eine einmalige Offenbarung, als Cäsur der Geschichte, die die Geschichte auseinanderrisse, und daher auch nicht den Augenblick der Geschichte, der Nichtgeschichte – Übergeschichte wäre. — Auch das Dritte: Erlösung ist nur als Wirklichkeit in der Wirklichkeit zu fassen. Das Christentum ist eine Erlöserreligion: ein Mensch ist dort in die Mitte der Welt gestellt, wo Erlösung und Offenbarung in einem Fakt geschieht. – Ebenso ist auch der Buddhismus, wenigstens der nördliche, eine Erlöserreligion. Das Judentum hingegen ist eine Erlösungsreligion: die Trübung der Welt ist das verfehlte, sich verfehlende Verhältnis der Kreatur zu Gott – Gott verdammt das nicht, sondern bezieht diese Trübungen immer wieder in sein Werk ein – das verkehrt antwortende Geschöpf wird immer wieder zur Überwindung der Trübung geleitet. So ist Geschichte nichts anderes als die Überwindung der Trübung selbst.

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Wohl besteht die Herrschaft Gottes in der Welt, aber sie ist durch das auf beiden Seiten hinkende Geschöpf behindert. Das Hervortreten aus diesem Zustand der Behinderung, das Durchbrechen der Schalen des Hindernisses – das bedeutet die Vollendung des Werkes durch Mitwirkung des Menschen. – In diesem Sinne heißt es: »es enthülle sich Deine Herrschaft über uns.« – Die Erlösung der Wirklichkeit gehört dieser Welt an, nicht einem Jenseits: die Endzeit ist keine Aufhebung der Welt, sondern ihre Reinigung und Vollendung. — Für das Christentum ist die Erlösung schon geschehen, für das Judentum ist die Erlösung, wenn sie sich auch der Seele insgeheim mitteilt, noch ungeschehen: noch ist die unerlöste Seele in der unerlösten Welt. Für das Christentum ist die Gnade entscheidend, für das Judentum ist entscheidend, daß der Mensch, wenn auch in einer ihm selbst unbekannten Weise, mitwirkt an der Vollendung der Welt: der Mensch, der hervortritt aus der Niederung des Alltags und mit dem Öl des Geistes gesalbt wird, dies ist der Mitwirkende. —

2. Rede Die Bibel als Erzähler.

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6. I. 27 / Bechsteinsaal Linkstr. Was ich Ihnen heute zu sagen habe, ist eine erste vorläufige und partielle Mitteilung einer Wahrnehmung, eines Fundes, einer Entdeckung: ich beabsichtige zu zeigen, was in allen abendländischen Zeiten nicht an der Bibel bemerkt worden ist, künftig aber nie mehr übersehen werden kann. — Die ursprüngliche Erzählung ist stets ein Bericht, d. h. eine Mitteilung von Begebenheiten, d. h. Äußerungen von Menschen über das, was ihnen widerfahren ist: in der Mitte steht stets ein Vorgang, und das Wesentliche an der Erzählung, ihre eigentliche Absicht ist, die Vorgänge so wiederzugeben, daß sie eigentlich wahrnehmbar werden. (Um dies durch ein Beispiel aus der modernen Literatur zu verdeutlichen, erinnere ich: nur ein deutscher Dichter berichtet Vorgänge so, daß sie wirklich wahrnehmbar werden: nämlich Kleist.) Nun darf man das Faktum des Berichtkerns aber auch nicht zu äußerlich fassen: was berichtet wird kann auch einem einzelnen Menschen in

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der Seele widerfahren sein, z. B. im Traum. Immerhin stammt der Kern nicht aus dem Sinn dieses Menschen, sondern aus dem, was ihm widerfahren – ihm zugekommen ist – aus einer Begegnung mit einem Du. – So ist auch in phantastischen Erzählungen z. B. bei Poe der Kern etwas, was diesem Erzählenden wirklich passiert ist, und wäre es auch nur im Traum oder in der Erinnerung. Allerdings dürfen wir keinen Unterschied machen zwischen äußerer und innerer Erfahrung, denn diesen Unterschied gibt es nicht für den naturnahen Menschen: hier tritt der Traum als Wirklichkeit auf und bricht sogar in den Wachzustand ein – daher ist, was dieser Mensch berichtet, nicht immer von außen, von anderen Menschen her nachprüfbar. — Auf solche Berichte ursprünglich erzählender Menschen gehen auch die Mythen zurück. Für den modernen Menschen aber scheint es selbstverständlich, daß Ereignisse wie die von den Mythen berichteten nie geschehen sein können. So entstehen heute Annahmen, als ob die Mythen am Sternhimmel abgelesen wären. – Ich glaube nicht, daß jemals ein Mythos so aus dem »Sinn« – gleichsam von innen her entstanden ist: ich glaube nicht, daß irgend ein Mensch eine Lebensgeschichte von Astralkörpern erzählt hat, ohne daß es je einen Menschen gegeben hätte, der nicht im Traum z. B. mit dem Sonnengott rang. Das beschränkt sich aber nicht auf den Traum, einen großen Schritt vorwärts zur Erforschung der Mythen bedeuten vielmehr die Arbeiten Dacqués, der zeigt, wie der Berichtkern von Flutmythen und Riesenmythen aus der Erinnerung früherer, den Erzählern selbst oft weit vorangegangener Generationen stammt. Ähnliches können wir auch in unserer Zeit noch beobachten, denn auch in unserer Zeit geht eine mythenbildende Wirkung von tatsächlichen, nur wenig zurückliegenden Ereignissen aus z. B. von Garibaldi. Ein überaus lehrreiches Beispiel für die Entstehung der Mythen und ihr Wesen haben wir aus jüngster Zeit von dem nordamerikanischen Indianerstamm der Suni erhalten. Dieser Stamm hat von je her zahlreiche Geheimbünde, deren jeder besondere Mythen über seine Entstehung besitzt: jede Mythe erzählt, wie ein Gott ihnen bestimmte Geheimnisse übergeben hat, damit sie um diese Geheimnisse herum den Bund gründen. – Amerikanische Ethnologen haben diese Erzählungen als Fiktionen oder als zu politischen Zwecken Erdachtes eingeschätzt. Nun hat sich 1891 begeben, daß einige Leute dieses Indianerstammes von einem Gewitter überrascht und in einer Hütte, in die sie sich flüchteten, vom Blitz getroffen wurden. Erst waren alle gelähmt – dann wurden sie allmählich durch eine mitgetroffene Frau geheilt und zwar spielten bei dieser Heilung

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Asche der verbrannten Hütte und Tonscherben, die ebenfalls aus der Hütte stammten, eine besondere Rolle als Heilmittel. Seitdem bilden diese Leute einen neuen Geheimbund: nämlich den Bund des Blitzgottes – sie besitzen ihren eigenen Mythos, der sich auf das eben erzählte Ereignis bezieht, und ihre besonderen Gebräuche, bei denen Asche und Tonscherben aus jener Hütte noch immer besonders wesentlich sind. Es ist aber richtiger zu sagen, daß sich an diesem Ereignis nicht die Phantasie jener Indianer, sondern das Erinnerungsvermögen entzündet hat. – Wir alle können von einem Traumgedächtnis sprechen, womit nicht das sondernde (»disjunktive«) Gedächtnis gemeint ist, das nach dem Erwachen Stücke des versinkenden und schon versunkenen Traumes heraufholt und reproduziert, sondern ein conjunktives Gedächtnis, welches die Gesamtheit des Traumes erinnert derart, daß die Erzählung schon vorher in diesem Gedächtnis vorgestaltet ist. Mag sein, daß der Traum viel zerrissener war: das conjunktive Gedächtnis hat schon eine Gestaltung an ihm vollzogen. Und so wie hier der Weg von Traum zu Erzählung geht, so gehen mittels des conjunktiven Gedächtnisses die alten Berichte und ihre Ereignisse in die Tradition über, die sie bewahrt und doch immer wieder neu gestaltet. In diesem Sinne sind Erinnerung und Phantasie keine Gegensätze für den ursprünglichen Menschen und sind es auch heute noch nicht für den elementarhaften Menschen. Im Bewußtsein der Menschen ein Erhalten, in Wirklichkeit ein Gestalten – das ist, was in der Generationenreihe mit dem Überlieferten geschieht. Dies geht so vor sich, wie im Talmud jeder im Namen seines Lehrers spricht, in Wahrheit aber, wenn auch an früheres anknüpfend, von seiner eigenen Sache. – Die Überlieferung wird stets lange vor der Niederschrift von Vater auf Sohn weitergegeben – einzelne Menschen, die die Autorität besonderer Bewahrer besitzen, schreiten ein, wenn Willkür und Laune die naive und bis auf den Tonfall genaue Überlieferung zu ändern drohen – damit nicht wie bei veränderten Zauberformeln die magische Wirkung verloren geht. Schliesslich genügt solches Einschreiten nicht mehr, um die mündliche Überlieferung vor Veränderungen zu schützen, dann wird aufgeschrieben. Aber auch das reicht nicht aus, um den Text zu sichern: in der Meinung, die Niederschrift enthalte schon Fehler, wird sie korrigiert und in der Absicht der Bereinigung weiter verändert. Diesen Prozess der Wandlung können wir z. B. an den Gilgameschbruchstücken noch gut erkennen: da ist das Motiv der Trauer beim Tode des Freundes – das ist sicher einmal wirklich erlebt und wirklich widerfahren; vielleicht gehört auch das Werben der Göttin um Gilgamesch dem Berichtskern des wirklich Erlebten an. Vieles andere ist dann bei der Wie-

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derholung hinzugekommen. – Festzuhalten ist: solche Berichtskerne finden sich in allen Mythen bis zu Apulejus hin. — Ein Hauptmotiv aller Mythen sind die Begegnungen mit den Göttern: wenn dem naturnahen Menschen eine plötzliche Veränderung durch irgendwelche Ereignisse widerfährt – eine Veränderung, die ihn nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich, in der Seele verändert zurücklässt – so kann er nicht wie der moderne Mensch die Linie des Geschehens verfolgen, sondern hält dies Ereignis für die Begegnung mit einem Gott. – Als Frage sollten wir uns vorstellen, daß wir eigentlich nicht entscheiden können, ob hier der Naturnahe oder der Moderne mit seiner Deutung des Ereignisses recht hat – nur als Frage; wenn wir hier mehr tun wollen, so wird es falsch. – Auch Homer gebraucht in allen plötzlich veränderten Situationen die Bezeichnung der Veränderung als Werk der Götter. — In einem Punkte ist die Bibel entscheidend abgehoben von allen anderen Mythen: darin, daß in ihr überhaupt nur von Begegnung mit Gott die Rede ist, während in den anderen Mythen diese Begegnungen nur ein Hauptmotiv bilden. Und wie verhält es sich in der Bibel mit den Berichten dieser Begegnungen? Die Berichte werden hier zum formenden Motiv, d. h. wo die Berührung mit Gott zum Ausdruck kommt, da entsteht unter Durchbrechung des Episch-Didaktischen ein eher lyrischer Styl. Das, um was es geht, ist: die Gestalt der Bibel zu erkennen – nicht etwa als eine abgelöste Form, sondern eine Form, durch die das Wesen des Buches überhaupt erst zu erschliessen ist – ich nenne das, im Gegensatz zum Aesthetischen, das »Meta-aesthetische«. – Das echte leibhafte Wort lässt keine Scheidung von Gestalt und Inhalt mehr zu, ist durch und durch beides – es gibt nichts anderes mehr als verleibten, verwirklichten Geist. Diese Gestalteinheit tritt hervor in den epischen Teilen der Bibel und zwar gerade dadurch, daß der epische Styl durchbrochen wird. Die Rhythmik dieser Stellen ist stets von höchster Bedeutung – es gibt kein Wortspiel in der Bibel, sondern nur Worternst – insbesondere ist auch die Wiederholung von Wortwurzeln (z. B. Psalm 40) von inhaltlicher Bedeutung. – Ebenso wie Brennpunktsprüche, die meist zu zweien – paarweise erscheinen, treten an den Durchbrechungs-stellen auch Brennpunktworte auf. – Das, was hier in das Epische eintritt, ist das Element des Zeugnisses (hierbei darf der Begriff »Zeugnis« jedoch nicht didaktisch-theologisch verstanden werden) – es ist ein die epische Form durchsetzendes Formelement: ein Signum höchst künstlerischer Art, nämlich das künstlerische Signum

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des Wortes der Begebenheit – dessen, was die Begebenheit sagt: sowohl zu dem Berichtenden als auch als ihren Sinn. Aus meiner Bibelübersetzung gebe ich Ihnen hierfür Beispiele: Aus »Im Anfang«: 1. Der Turmbau, das ist eine feindliche Begegnung von Gott und Mensch; der Mensch kommt von unten hinauf, Gott stößt auf ihn nieder. Diese Stelle ergibt an Laut- und Wortkorrespondenz folgendes: a. Mensch und Gott sagen hier beide anfänglich: »Auf« b. was die Menschen wollen, sagen sie mit dem Satz: »Machen wir uns einen Namen.« (Namen d. h. wirkliche Machtsubstanz, Macht von sich aus) was Gott will, sagt der Satz: »darum ruft man ihren Namen Babel (Wirrwarr)« c. ihren Zweck nennen die Menschen in dem Satz: »daß wir nicht über die ganze Erde zerstieben.« und was Gott tut, das sagt am Schluss der Satz: »und zerstoben von dort hat er sie«. So dringt das Ausgesagte in diesen Wiederholungen in den epischkünstlerischen Bau ein, ohne seine Einheit zu zerstören, vielmehr ihn bis zum Äußersten direkter Mitteilung steigernd. 2. Hagar. Häufige Wiederkehr der Wortwurzel: Druck. Hier soll verkündet werden, daß Gott nicht beim Bedrücker, sondern dem Bedrückten sich offenbart und zu ihm hält. (Der Bedrückte aber wird aufgefordert, sich selbst unter die Hände des Bedrückers zu drükken.) Andere Beispiele aus der Genesis, die hier nicht weiter erläutert werden sollen: Rebekkas Einholung Jakobs Kampf bei Joseph: gesandt nach Aegypten um großer Erhaltung willen. 3. Opferung Isaaks Dreifaches: Hier bin ich Doppeltes: Gott ersieht Das Wichtigste aber ist hier die lyrisch-refrainartige Wiederholung des Satzes: »so gingen die beiden mitsammen« Auch hier geschieht die Begegnung des Göttlichen und Menschlichen im großen Opfer. – Im berichteten Vorgang ist dem Sohne eine Passivität aufgezwungen, die der Berichtende im Innersten nicht wahrhaben will,

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daher steht, um auch des Sohnes Aktivität zu bekunden, der Satz: sie gingen mitsammen (nämlich den Opfergang). Aus »In der Wüste«: 1. Mose ersucht um Abnahme der Last (und ein Teil des göttlichen Geistes wird auf die Ältesten übertragen.) Gegenüberstellung der Worte: Fleisch – Geist 2. Korach. (Das ist der Bericht von der Gruppe, die sich besondere Kastenvorrechte erkämpfen will, nämlich Gottnähe.) a. es steht dasselbe Wort für ganzes Volk und besondere Gemeinde (Rotte.) b. Wiederholung des Wortes Nähe 3. Auflehnung Aarons und Mirjams. a. hier ist in dem, was Gott zur Gegenüberstellung seiner Beziehung zu Mose und den anderen Propheten spricht, die besondere Reihenfolge der parallel zuzuordnenden Beziehungen zu beachten, nämlich: a b’ b c’ c d’ d a’ b. Gegenüberstellung der Worte: Schau – Anschauung c. ” ” ” : im Traum – von Mund zu Mund. 4. Bileam (die Stelle von der Eselin) Bileam sagt zur Eselin dieselben Worte wie der Bote zu Bileam sagt Was hier dargestellt wird, ist das dreischichtige Verhältnis von Schöpfer zur Macht mißbrauchenden Kreatur zur anderen Kreatur – und zwar ist dies lyrisch durch die Wiederholung ausgedrückt und hervorgehoben. — Die Bibel ist nur insofern kunstvoll, als sie den Sinn vollkommen einverleibt im Worte: Wort und Sinn sind in einem entstanden wie beim elementaren Kunstwerk. – Die Erkenntnis des neuen Formelements aber – so wie ich sie Ihnen hier darzulegen versucht habe – ergibt zugleich ein neues Problem der Bibelübersetzung. —

3. Rede Die Gotteserscheinungen im Pentateuch. 10. I. 27. Aula d. Hochschule f. Wissenschaft des Judentums / Artilleriestraße. Aus dem gesamten Umkreis der Theophanie in den fünf Büchern kann ich nur eine Frage herausgreifen. Ich kann auf Offenbarungsformen z. B. auf das sehr wichtige Problem der beiden Sinaioffenbarungen nicht eingehen, ebensowenig auf Manifestationsformen. Ferner: wenn ich auf das Problem heute nur religionsgeschichtlich eingehe, so geschieht auch dies lediglich deshalb, weil ich nur eine Stunde zur Verfügung habe; wenn ich ein Kolleg hielte, würde ich das Thema zuerst theologisch behandeln. — Die Theologie sucht das Problem Mensch – Gott als ganzes zu behandeln; das kann sie nicht als Wissenschaft, weil sie den Gegenstand nicht ganz besitzt – gegeben ist nur das Verhältnis von Mensch zu Gott. Wenn die Theologie über dieses einseitige Verhältnis hinaus geht, transcendiert sie die Wissenschaft, indem sie in die Sphäre der Botschaft übergeht. Die Religionsgeschichte dagegen will nur das Verhältnis Mensch – Gott behandeln – hierbei muss sie so verfahren, als ob es Gott nicht gäbe, d. h. sie muß davon absehen, zu entscheiden, ob das, wozu der Mensch da in Beziehung tritt, eine Wirklichkeit oder eine Fiktion ist – sie muß also das Göttliche als mitwirkenden Partner ausschalten. Was dadurch angerichtet wird, können wir nicht wissen, da wir ja das Vorhandensein des Göttlichen nur glaubend aufnehmen, nicht vernunftgemäß wissenschaftlich überschauen können. Die Religionsgeschichte muß verfahren wie die Geschichte, die auch ein göttliches Wirken auf Erden aus der Betrachtung ausschalten muß. Ich lasse keinen Religionspsychologen los, ehe er mir diese Grundfrage nach dem Wirklichen im menschlich-göttlichen Verhältnis beantwortet hat – bei einem der Berühmtesten habe ich 3 Stunden dazu gebraucht. — Ich stelle mich auf den Boden der Texte, muß aber anerkennen, daß es verhältnismäßig späte Bücher über Frühzeit und verhältnismäßig frühe über Spätzeit gibt, daher darf die Religionswissenschaft sich nicht einfach auf die kanonische Reihenfolge verlassen. Ich halte es für möglich, daß gerade frühe Traditionen sich am längsten mündlich erhalten haben und daher mit späten Texten zusammenfallen. Der R[edaktor] scheint mir etwas höchst Ehrwürdiges zu sein: was R,

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der oft bis in den einzelnen Satz hinein den Text ineinanderfügte, für miteinander verträglich hielt, was ihm vertretbar und glaubbar erschien – das ist für uns eine genügend sichere Grundlage für die Betrachtung des alten Testaments. – Wir können die geschichtliche Entwicklung des jüdischen Glaubens nicht aufzeigen, wohl aber was R. dafür hielt und R.’s Glauben bzw. R.’s Theologie. Auch scheint mir die Abfolge der Theophanien, die in den von R. redigierten Büchern der Bibel angenommen ist, dem wirklichen Geschichtsablauf zu entsprechen. — Es scheint zunächst verwunderlich, daß eine Literatur über die Theophanieen noch fast gar nicht vorhanden ist. Dies dürfte aber dadurch verursacht sein, daß auch von allen mythischen Büchern nur die Bibel die verschiedenen Formen der göttlichen Erscheinung genau berichtet, während in den andern Büchern die göttliche Erscheinung nur funktionell auftritt. Überhaupt wird nur in ganz wenigen anderen Büchern von wirklicher Theophanie – von wirklicher Conception einer Theophanie gesprochen d. h. von Auftreten und Offenbarung vorher nicht vorhandener Götter, also von einem Hervortreten des Göttlichen aus der Sphäre des Nichtwahrnehmbaren in die Sphäre des Wahrnehmbaren – von einem Ereignis, das somit eine Änderung der gesamten kosmischen und metakosmischen Lage bedeutet. – In den meisten Büchern ist, wie bei Homer und in den indischen Götterberichten, nur von einem Gestaltenwechsel der Götter die Rede. Erst einer kommenden Zeit wird die Darstellung dieses Problems vorbehalten sein, bisher gibt es, wie gesagt, noch nichts. — Es ist hiernach nötig, inbezug auf die Theophanie 5 verschiedene Stadien zu unterscheiden: Erstes Stadium: das vorstammesgeschichtliche, zugleich vortheophanische, das in der Bibel also bis vor Abraham reicht. In diesem Stadium findet entweder – wie bei Adam – ein naturhafter Verkehr zwischen Gott und Mensch statt (da Gott und Mensch noch nicht in verschiedene Sphären auseinandergetreten sind, kann es auch keine Theophanie geben) oder Gott spricht nur, ohne aus der Sphäre des Nichtwahrnehmbaren hervorzutreten. Zweites Stadium: die Urgeschichte des Stammes, das »personal-objektive« Stadium. Hier tritt Gott zwar schon aus dem Nichtwahrnehmbaren hervor, jedoch auch hier durchaus naturhaft, ohne visionäre Elemente (daher »objektiv«) – die Erscheinung erfolgt gegenüber einzelnen Personen, den Stammvätern etc. (daher »personal«) – in den Stammvätern wird zugleich der Samen angeredet.

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Drittes Stadium: die plastische Volksstunde – die Sinaioffenbarung und was sich daran schliesst, etwa bis in die Zeit der Richter. Dieses Stadium ist charakterisiert durch das Schwanken zwischen personaler und universaler Manifestation (»universal« bedeutet hier, daß die Manifestation nicht nur an einzelne auserwählte Personen sondern an eine Gesamtheit erfolgt wie bei der allgemeinen Sinaioffenbarung, wo das Volk zwar keine Erscheinung, aber den Schall und Donner sieht). Um aus dem religionsgeschichtlichen Bereich für einen Augenblick herauszuschreiten, muss ich sagen, dass meinem wahrheitssuchenden Herzen der zweite Bericht mehr entspricht, wo auch nicht gesagt wird, was die Ausgewählten schauen, sondern nur, was zu Füssen der Gottheit war. Viertes Stadium: die Staatsbildung, das Stadium der »personal-subjektiven« Erscheinungsform. Die Erscheinung erfolgt nicht naturhaft, sondern durchaus visionär (daher »subjektiv«), sie erfolgt an einzelne Personen und zwar an solche, die weder Stammeshäupter, noch zur Macht berufen sind. Fünftes Stadium: der Verfall – das »personal-intellektualistische« Stadium, es gibt nur noch konstruierte Träume und Theologisierung, wie etwa bei Daniel. Das Gemeinsame der Stadien I.-IV. ergibt sich auf die Frage: wann und wem geschieht die göttliche Erscheinung? Die Antwort ist: sie geschieht nie dem Gesicherten und Besitzenden, vielmehr stets dem Herausgelösten, Unsicheren, Irrenden, Besitzlosen. — Primitiver Monotheismus (dieses Wort darf man heute wohl wieder aussprechen, ohne mißverstanden oder belächelt zu werden) – darunter verstehe ich das ganz natürliche Faktum, daß der naturnahe Mensch in allerhand Situationen gerät, wo sich ihm etwas antut, so daß er sich äußerlich und innerlich verändert wiederfindet. Solche Ereignisse mögen sein: wenn der naturnahe Mensch Getöse hört oder bei sexueller Liebe oder wenn er zum ersten Male einen Bogen oder ein Gefäss macht. Es ist dieser primitive Mensch, der hierbei unter seinen drehenden oder schnitzenden Händen etwas entstehen sieht, was zu erfinden er gar keine Absicht hatte, oder der (da er die Folgen der sexuellen Liebe nicht kennt) bei der Geburt sich einem Ereignis unbekannter Ursache gegenüber sieht – es ist dieser primitive Mensch darauf angewiesen, das Ereignis über dessen Fragmentcharakter hinaus sozusagen zu vervollständigen. Und so versucht er also die Ursache hiervon anthropomorph zu konzentrieren und zu statuieren als einen großen Urmenschen oder ein großes Urtier –

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also das, was zugleich universaler Geist und dieses spezielle Ereignis verursachende Macht in einem ist. Dieser primitive Monotheismus entspricht dem Wirtschaftsstadium der Jaeger und Fischer, wo es noch keine Rivalität der Stämme gibt, noch keinen Kampf der Götter, die die Stämme repraesentieren, miteinander – wo vielmehr der Bogen des Himmels kosmisch universal gesetzt ist. – Dies ist in der Bibel das erste Stadium der Theophanie – das Stadium des Noch-nicht-Auseinandergetreten-seins. — Im zweiten Stadium tritt gerade bei den semitischen Stämmen der Gott in zwei verschiedene personale Elemente auseinander (worauf Robertson Smith hingewiesen hat): in den Gott, der als Stammesgott mit dem Stamm zieht und ihm den Sieg sichert, und in den Gott des Landes, in das sie wandern: das ist der Gott des Himmels über diesem Boden, ein Himmelsgott vielleicht noch, aber kein universaler. Der erste, Melek, erhält entsprechend seinem Werke Menschenopfer, der andere, Baal, entsprechend seinem Werke, den Boden fruchtbar zu machen, Opfer von Bodenerzeugnissen, wozu Fruchtbarkeitshandlungen treten. Gegen dieses Auseinandertreten des Gottes in zwei geschiedene Personen bedeuten die Gotteserscheinungen des Pentateuch einen dauernden und immer gesteigerten Protest: es bekundet sich hier der mitgehende Gott, der zugleich auch sesshaft ist und dem Volke den Boden schenkt: der im Zelt, das für ihn errichtet ist, mit dem Volk zieht und zugleich nachher im eroberten Lande an einer Stätte angebetet wird, die von jeher seine Stätte war. Immer gibt der Gott sich als der Mitwandernde kund, der zugleich eine Stätte hat, so auch schon den Stammesvätern. Das Zeichen der Verbindung ist zuerst die Briß, dann auch das Zelt, das mit Wendungen der Schöpfungsgeschichte bezeichnet ist. Das Zelt ist die ständige Stätte seiner Praesenz mitten im Volke, nicht mehr nur vorübergehender Erscheinungen. Die Anweisung zur Errichtung des Zeltes aber ist gegeben an jenem Orte, der ebenfalls ausdrücklich als Stätte des Gottes bezeichnet ist in dem Satze: »wie auf Adlerflügeln habe ich Euch zu mir getragen und hergebracht.« Seitdem ist Abfall von Gott nicht nur Abfall zu einem fremden Kult, sondern auch wenn der Gott unter den Formen eines der beiden auseinandergetretenen Götter angebetet wird: dies ist auch die Bedeutung des Kalbes. —

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Was aber sagen die Gotteserscheinungen den Stammvätern? Der Gott versichert stets, daß er mit ihnen mitziehen wird, daß er sie fruchtbar machen wird und die Landgabe (wobei hinzugefügt wird, daß es ein fruchtbares Land sein wird). Dies ist der Inhalt aller von Gotteserscheinungen berichtenden Stellen der Genesis seit der ersten Erscheinung vor Abraham in Kanaan. (Wenn übrigens zu Abraham gesagt ist: »ziehe einher vor mir«, so ist das ebenso sinnlich einfach zu verstehen wie das Mit-Gott-Ziehen des Noah und Henoch: Abraham wird als Herold vorausgeschickt.) – Manche Stellen enthalten alle drei Verheißungen, manche nur eine. – Bei Isaac heißt es, allerdings nicht auf der Wanderung: ich will bei Dir bleiben – und bei Jakob, wieder auf der Wanderung: ich bin mit Dir und will Dich bewahren, wo Du hinziehst – und auch als Jakob nach Ägypten zieht, die Zusicherung: ich will mit Dir hinabziehen. – Immer ist zugleich betont das Anwesendsein des Gottes an einer Kult- und Manifestationsstätte und die Zusicherung der Mitwanderung. — Nun zum dritten Stadium der plastischen Volksstunde: dort gibt es ein Erscheinen Gottes eigentlich zuletzt im Dornbusch vor Mose, später gibt es nur ein Niederfahren und ein Wohnung-nehmen Gottes. – Was sagt Gott zu Mose? nach der Zusicherung der Landgabe, mit der hier die Befreiung verknüpft ist, sagt er, in immer neuen Variationen: ich werde da sein, bei Dir – bei Deinem Munde – bei Deinem und Deines Bruders Munde. Ehjeh ascher ehjeh ist keine Aussage Gottes über sich selbst, ist nicht, wie Maimonides will, eine Aussage über die Transzendenz: der Gott redet nicht theologisch, sondern redet aus einer konkreten Situation heraus zu einem lebendigen Wesen, um ihm für diese Situation etwas zu sagen: in solcher wirklichen und welthaft irdischen Situation verkündet Gott keine metaphysischen Wahrheiten. (Hierzu B. Jakob: Mose und die Erscheinung im Dornbusch – und von dem katholischen Prof. Helm: Die jüdische und die babylonische Gottesidee.) Man kann nicht annehmen, daß der hier berichtet die Genesis überhaupt nicht gekannt hätte: er kannte mindestens die Tradition über die Stammväter und daher auch den zu dieser Tradition gehörigen vierbuchstabigen Namen. – Wenn also Mose am Dornbusch das Volk fragen läßt, welches der Name dieses Gottes sei, so kann es sich nur um einen das Wesen des Gottes betreffenden d. h. einen zu magischen Zwecken verwendbaren Namen handeln. Und hierauf antwortet Gott: ich bin der Da-seiende, der Bei-Euch-seiende (also braucht Ihr mich nicht zu be-

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schwören) – Gott sagt: ich werde dasein als welcher ich da sein werde: die Gestalt, in der ich jeweils da sein werde, bleibt vorbehalten und dahingestellt. Hiernach tritt also das erste ehjeh der rein metaphysischen Konzeption entgegen – das zweite ehjeh aber der polytheistischen Auffassung von der bestimmten und gewissen Gestalt eines Gottes. – Das Eigentliche des Polytheism ist nämlich die Vorstellung der ein- für allemal festgelegten Gestalt des Gottes – Vielgötterei dagegen gibt es nur auf dem Olymp (und nicht, wenn ein Grieche wirklich betet, denn dann weiß er den Gott, zu dem er Du sagt, und hat, wenn er wirklich betet, auch das wirklich Göttliche vor sich). Der Ausdruck ehjeh ascher ehjeh bedeutet also nichts anderes als die Entmagisierung der Religion – er bedeutet damit zugleich das Heraustreten des Menschen aus dem frühen Zustand des Zwingen-wollens Gottes in das wirkliche Verhältnis des Ich und Du zu ihm, des gegenseitigen Nehmens und Gebens. Gleichviel wie der Gottesname zu verstehen ist – es gibt ja viele Deutungen – gleichviel ob er von dem Gotte eines ostkanaanäischen oder anderen Volkes herkommt, ob er Jahu oder anders heißt oder nichts von alledem – er ist der Ausdruck der lebendigen Gegenwärtigkeit. Diese Entmagisierung aber muß sinngemäß der Proklamation der Einheit Gottes vorausgehen, die in der Sinai-Offenbarung geschieht: Baal und Melek sind zwingbar und ehe diesen Menschengöttern in der Proklamation des Dekalogs entgegengetreten wird, muß mit dieser Entmagisierung zugleich die Zertrümmerung des Götzendienstes vorgenommen werden. – So geschieht hier etwas, das über die ganze geistige Geschichte der Menschheit entscheidet. —

Über Religionswissenschaft Ein grosser deutscher Gelehrter, der Philologe Albrecht Dieterich, äusserte einmal*, es gebe »keine Wissenschaft des Göttlichen, nur die Entwicklung des menschlichen Denkens vom Göttlichen«; es gebe »wissenschaftlich keine göttliche Offenbarung, sondern nur Entwicklung menschlichen Denkens von göttlicher Offenbarung«. Demnach wäre dieses Denken der Gegenstand der Religionswissenschaft, die Religion. Aber Religion ist nicht das menschliche Denken vom Göttlichen; dazu wird sie nur, wo und inwiefern sie in Theologie übergeht. (Theologie ist das Denken einer Religion, ihr Denken vom Göttlichen; es gibt keine allgemeine Theologie, nur immer die Theologie einer Religion; theistische, pantheistische u. s. w. »Theologie« ist in Wahrheit etwas ganz anderes, nämlich Metaphysik.) Religion ist vielmehr die Beziehung des Menschlichen zum Göttlichen. Diese Beziehung ist, in der Wirklichkeit des religiösen Lebens betrachtet, in die Gegenseitigkeit des Göttlichen und des Menschlichen eingeschlossen. Die Religionswissenschaft löst die Beziehung des Menschlichen zum Göttlichen, als das allein von ihr Erforschbare, aus der Gegenseitigkeit und betrachtet sie für sich. Wenn sie weiss, was sie damit tut, handelt sie rechtmässig, im Sinne der Rechtmässigkeit jedes Erkenntnisstrebens, das seine normative Grenze nicht überschreitet, vielmehr sich dieser Grenze bewusst bleibt und seine Arbeit von ihr mitbestimmen lässt. Die Grenze, deren sich eine rechtmässige Religionswissenschaft in einer ihre Arbeit mitbestimmenden Weise bewusst zu bleiben hat, ist die Bruchlinie, die entstand, als sie die Beziehung des Menschlichen zum Göttlichen aus der Gegenseitigkeit von Göttlichem und Menschlichem löste. Was jenseits dieser Linie besteht, kann sie nicht in ihre Forschung einbeziehen; aber sie muss in ihre Forschung das grundsätzliche und stetige Wissen einbeziehen, dass der Wirklichkeitscharakter ihres Gegenstandes nur aus dem Hinblick auf die Grenze als solche, d. h. nur aus dem Achten auf das Faktum der totalen Gegenseitigkeit zu erfassen ist; dass aber ohne Erfassung des Wirklichkeitscharakters ihres Gegenstandes nicht bloss dieser, sondern auch ihre Arbeit an ihr fiktiviert wird; dass alle Arbeit einer fiktivierenden »Religionswissenschaft«, die aus dem Sinn unseres Lebens ein wahnwitziges Spiel macht, selber spielhaft unverbindlich bleiben muss. An die Stelle der irreführenden Behauptung, es gebe wissenschaftlich *

Verhandlungen des II. Internationalen Kongresses für Allgemeine Religionsgeschichte (Basel 1905), S. 76.

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keine göttliche Offenbarung, hat daher die Wahrheit zu treten: Die göttliche Offenbarung kann wohl niemals Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung sein, aber sie ist ihre wirkliche Grenze, die Wirklichkeit als ihre Grenze, und damit ihr Halt, ihr kraftverleihender Ursprung und ihr richtungverleihendes Ziel. Darum ist die Religionswissenschaft um so realer begründet, je unmittelbarer sie an ein lebendiges Wissen um Offenbarung anknüpfen kann. Insofern vermag eine Religionswissenschaft, die von der inneren Wirklichkeit einer Offenbarungsreligion ausgeht, eine Art der Erkenntnis zu leisten, die die »allgemeine« Religionswissenschaft nicht zu leisten vermag. Doch wird die Aufgabe einer »jüdischen«, einer »christlichen« Religionswissenschaft völlig verkannt, wenn sie im Bereich des Judentums, des Christentums bleibt und alle Phänomene anderer Religiosität mit denen der vertrauten vergleicht, den Wert der anderen an diesen misst, die Eigentümlichkeit der eigenen Religion mit dem Wesen aller Religion identifiziert und alles, was jener fremd ist, aus der Sphäre des religiös Wirklichen verweist, – wobei überdies oft genug der Innenaspekt der eigenen Religion und die Aussenaspekte anderer Religionen nebeneinandergestellt werden. Vielmehr soll uns das Ausgehen von der inneren Wirklichkeit unserer eigenen Religion, in der unser lebendiges Wissen von Offenbarung wurzelt, gerade ermöglichen, zur eigentümlichen Wirklichkeit der anderen Religionen vorzudringen und ihr gerecht zu werden, – da wir ja auch dies wissen, dass sich die einige Offenbarung in der Vielfältigkeit des Menschlichen bricht. Wer den Innenaspekt der eigenen Religion mit dem Aussenaspekt eben dieser Religion vergleicht, wird durch die Erkenntnis der Distanz zwischen beiden belehrt werden, wie sehr auch bei den anderen Religionen deren innere Wirklichkeit von dem ihm zuerst begegnenden Aussenaspekte entfernt sein mag und einer wie grossen Anstrengung der Durchdringung und Vergegenwärtigung es bedarf, um dieser inneren Wirklichkeit so nahe zu kommen, dass wir rechtmässig von ihr wissenschaftlich handeln können. Freilich ist uns auch hier eine Schranke gesetzt. Die innerste Wirklichkeit einer Religion, ihr Allerheiligstes und Allerwirklichstes, ist nur den Geweihten zugänglich. Diese Schranke ist in letzter Wahrheit identisch mit jener Grenze der Wissenschaft: ihr Geheimnis, das Geheimnis der Vielheit der Religionen, ist letztlich identisch mit dem Geheimnis der Zweiheit von Religion und Wissenschaft. Die Lösung dieses Geheimnisses, die Überwindung jener Vielheit und dieser Zweiheit heisst die messianische Welt.

Kommentar

Editorische Notiz Der vorliegende Band folgt den neuen, in Band 9 der MBW (»Schriften zum Christentum«) erstmals vorgestellten Editionskriterien. Die Einleitung, die der Textsammlung vorausgeht, enthält allgemeine Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Texte, ordnet sie in Bubers Gesamtwerk ein und erläutert ihre zeitgenössische Rezeption. Im Kommentarteil des Bandes werden an erster Stelle die in den Variantenapparaten berücksichtigten, mit Siglen versehenen Textzeugen aufgelistet und, falls erforderlich, kurz charakterisiert. Darunter befinden sich ggf. Manuskripte aus dem MBA und die zu Bubers Lebzeiten erschienenen, d. h. die von ihm autorisierten Drucke. Der Bestimmung der Druckvorlage folgen ggf. die bibliographischen Angaben zu den Übersetzungen des Textes und die Aufstellung der Wiederabdrucke nach dem Tod des Autors. Darauf folgend wird ein Variantenapparat geboten, der inhaltliche, den Sinn des Textes verändernde Abweichungen der vorhandenen Textfassungen von der Druckvorlage verzeichnet. Einträge des Herausgebers sowie herausgeberbezogene Zeichen werden kursiv, der edierte Text recte formatiert, es sei denn, er ist auch im Original kursiv hervorgehoben. Der Kommentarteil zu dem jeweiligen Text wird in der Regel durch Wort- und Sacherläuterungen abgeschlossen. Die Texthervorhebungen der Originaltexte mit gesperrter und kursiver Schrift sowie Kapitälchen werden beibehalten. Alle anderen Arten von Schriftauszeichnung – fette Schrift, einfache und doppelte Unterstreichung, Versalschrift – werden vereinheitlicht mit kursiver Schrift wiedergegeben. Im Variantenapparat wird in allen Fällen (außer in den Lemmata) die Hervorhebung durch die gesperrte Schrift angewendet, da die kursive Schrift für die herausgeberbezogenen Zeichen reserviert ist. Die Reihenfolge der Texte Bubers im vorliegenden Band folgt einer möglichst chronologischen Ordnung. In dem Quellen-und Literaturverzeichnis werden nur die in diesem Band tatsächlich zitierten Schriften aufgeführt.

Diakritische Zeichen Ko r r e k t u r e n v o n B u b e r s H a n d : [Text] Texttilgung hTexti Texteinfügung ! Korrektur zu folgender Variante Herausgeberbezogene Zeichen: x, xx, xxx … Unentzifferte(s) Zeichen X Unentziffertes Wort ? unsichere Lesung des davor stehenden Wortes [Textverlust] eindeutig fehlende, nicht ergänzbare Textlücken wegen Schreibabbruch, Textzeugenbeschädigung etc. {Text} Variante aus einem Textzeugen, eingeblendet innerhalb einer Variante aus einem anderen Textzeugen / Zeilenumbruch Te x t z e u g e n - S i g l e n : Drucke D1, D2… Teilabdrucke, Druckfahnen und Korrekturbögen d1 , d2 … Handschriften H1, H2… Teilhandschriften h1, h2… TS1, TS2… Typoskripte TS1.1, TS1.2… Schichten innerhalb eines Textzeugen

Einzelkommentare Alte und neue Gemeinschaft Anlass zu diesem Vortrag war ein Treffen der von den Brüdern Heinrich und Julius Hart (1855-1906 und 1859-1930) ins Leben gerufenen Neuen Gemeinschaft im Berliner Architektenhaus. Bubers Teilnahme an diesem Kreis führte zur Begegnung mit Gustav Landauer, der damals schon verhältnismäßig etabliert war und nachher einen entscheidenden Einfluss auf Bubers Lebensgang nehmen sollte (vgl. in diesem Band »Gustav Landauer«, S. 102-107). Der Vortrag nimmt explizit auf einen wichtigen Beitrag Landauers, »Durch Absonderung zur Gemeinschaft«, Bezug (in: Die Neue Gemeinschaft, hrsg. von Heinrich Hart, Julius Hart, Gustav Landauer u. Felix Hollaender, Leipzig 1901, S. 45-68). Da diese Rede am 18. Juni 1900 im Schloßpark Steglitz gehalten wurde, darf angenommen werden, dass Buber den vorliegenden Text nicht früher geschrieben haben kann. Eine Datierung des Vortrags auf Juni 1900 findet sich bei Michael Matzigkeit (in: Gustav Landauer, Zeit und Geist. Kulturkritische Schriften 1890-1919, München 1997, S. 356), ebenso bei Walter Fähnders und Hansgeorg Schmidt-Bergmann (in: Gustav Landauer, Die Botschaft der Titanic. Ausgewählte Essays, Berlin 1994, S. 265). Auf Januar wird der Vortrag von Landauer irrtümlicherweise von Grete Schaeder datiert (vgl. Schaeder, Martin Buber. Ein biographischer Abriß, in: B I, S. 61). Bubers Rede war ursprünglich für das dritte Heft der von den Brüdern Hart herausgegebenen Zeitschrift Das Reich der Erfüllung vorgesehen, die aber nach zwei Nummern eingestellt wurde (vgl. Hans Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Mitteleuropas 1880-1930, Köln 1961, S. 294; Paul Mendes-Flohr u. Bernard Susser, Alte und neue Gemeinschaft: An Unpublished Buber Manuscript, in: Association for Jewish Studies Review 1, 1976, S. 41-56, hier S. 41-42). Der Ruf nach einer Erneuerung der Gemeinschaft, des Gemeinschaftssinns und -lebens, wurde in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts zunehmend laut. Unterschiedliche Reformbewegungen entwarfen damals zahllose Pläne und Visionen für ein neues Zusammenleben. Von einem »Gemeinschaftsstreben der Zeit« schrieb schon Bubers erster Biograph, Hans Kohn (1891-1971), der die Sehnsucht nach Erneuerung und Gemeinschaft auch selber geteilt und an der darauf hinzielenden Neuorientierung mitgearbeitet hatte (vgl. Kohn, Martin Buber, S. 186 f.). Die damalige Diskussion über die Idee der Gemeinschaft bezieht sich immer wieder auf Ferdinand Tönnies (1855-1936), dessen Gemeinschaft

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und Gesellschaft (1887) den entscheidenden Anstoß zu dieser Diskussion lieferte. Obwohl Tönnies in dem Ruf steht, Vater einer reaktionären Gegenmoderne zu sein, weist sein Werk doch naturrechtliche und aufklärerische Grundüberzeugungen auf, die ihn von den auf ihn folgenden völkischen Bewegungen unterscheiden. Tönnies verfalle nie einer romantischen Vergötterung des Staats als Organismus, so Kohn, da er als Endziel der Menschheitsentwicklung eine völkerübergreifende Weltrepublik im Auge habe, die die Merkmale aufweise, die an der vorstaatlichen Gemeinschaft zu preisen wären (Kohn, Martin Buber, S. 194). Trotz dieser Nähe habe Buber »an den Grundbegriffen von Tönnies eine Abänderung vorgenommen, die sie dem Sozialismus annähert« und sie unzweideutig der Möglichkeit einer »Wahlgemeinschaft« nahebringt (Ebd., S. 195). Die Idee der Gemeinschaft hängt eng mit Bubers Arbeit zu Mystik und Mythos zusammen. Sowohl die Gemeinschaften, in denen er sich bewegte und zu denen er sprach, als auch die Gemeinschaft, auf die er hoffte, haben seine Auffassung entscheidend mitbestimmt. Dazu kommen, gleichsam dazwischen liegend, die Gemeinschaften, deren einstige Existenz ihm von großer Bedeutung war. Zuvorderst und zuletzt sah er seine Idee der Gemeinschaft in der Blütezeit des Chassidismus verkörpert. Von Anfang an kam es Buber auf die lebendige Gemeinschaft an. Sie steht im Gegensatz zu jeder Gemeinschaft, die auf Zweckinteressen beruht, primär den gemeinsamen Nutzen ihrer Mitglieder verfolgt oder in festen Mustern eingefahren ist. Die lebendige Gemeinschaft kommt laut Buber dagegen immer wieder nur punktuell zustande. Die vorliegende Ansprache Bubers stellt die neue Gemeinschaft gegen jede vorherige Gemeinschaftsform, die einen »Nutzzweck« verfolgt. Zu Beginn seiner Laufbahn interessiert Buber die Gemeinschaft eher im metaphysischen Sinn. Das Problem vom Verhältnis zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, Teil und Ganzem, beschäftigt ihn fast unaufhörlich in seinen frühen Arbeiten zur Geistesgeschichte, wie aus anderen Schriften in diesem Band ersichtlich ist, etwa dem Aufsatz über Jakob Böhme (in diesem Band, S. 70-74) oder seiner Doktorarbeit (in diesem Band, S. 75101), die beide auch in diesen Jahren entstanden sind. Ein Vortrag über die neue Gemeinschaft vor der Neuen Gemeinschaft würde es nahelegen, eine Vermittlung zwischen solchen Abstraktionen und etwaigen sozialen Gemeinschaftsgebilden wenigstens zu versuchen. Doch bei aller Erwähnung realer Gemeinschaftsformen geht Buber schließlich darauf nicht ein. Vielmehr zieht er es vor, soziale Fragen mit mystisch-metaphysischen Lösungen zu beantworten. Die Kreise, in denen Buber damals verkehrte, waren zumindest teilweise ausgesprochen konservativ, wenn nicht sogar völkisch angehaucht.

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In dieser Zeit ist es nicht immer einfach, progressive und reaktionäre Tendenzen auseinanderzuhalten. Der Antimodernismus wie die Moderne umfassten unterschiedliche Richtungen, in denen romantische, reaktionäre und revolutionäre Strömungen ineinander flossen. Prägungen wie »reaktionäre Moderne« oder »konservative Revolution« zeigen die nicht selten verwirrende Mischung von anscheinend gegensätzlichen Ideologien und Weltanschauungen, die sich unter einem Dach zusammentun konnten. Die Rede von der Gemeinschaft ist darum nicht notwendig reaktionär. Schon Kohn sah, dass dieses Losungswort nicht nur in die eine Richtung weist. Sozialphilosophisch gesehen kann Gemeinschaft genauso gut einer anarchistischen wie einer konservativen Weltanschauung dienlich gemacht werden (vgl. George L. Mosse, The Crisis of German Ideology, New York 1965; Eugene Lunn, Prophet of Community, Berkeley u. Los Angeles 1973). Die besondere oppositionelle Kultur, in der sich Buber in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts bewegte, ist schon erörtert worden (s. Treml, MBW 1, S. 45-47). Die Neue Gemeinschaft, die zwischen Frühjahr 1900 und Spätherbst 1904 tagte (zur Datierung vgl. MBW 1, S. 46), ging aus dem Friedrichshagener Dichterkreis hervor, der sich schon 1888/89 aus Schriftstellern des Naturalismus geformt hatte. Die mystischen Neigungen der Neuen Gemeinschaftler zeigten sich allerorten, etwa in der von den Brüdern Hart geprägten Parole von einer »Vieleinheit«, der ein »substantieller Monismus« zugrunde liege (Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 62). Folgende Versammlungen der Gruppe fallen nachweislich in das Jahr 1900/01 (vgl. Landauer, Zeit und Geist, S. 356): 21. 4. 1900 18. 6. 1900

Berlin, Architektenhaus Berlin, Schloßpark Stieglitz (Landauer, »Durch Absonderung zur Gemeinschaft«) 1. 9. 1900 Berlin, Urania, Beethovensaal 26. 10. 1900 Berlin, Urania, Tonhalle (Landauer, »Die geistige Prostitution auf allen Gebieten des heutigen Lebens«) 9. 12. 1900 Berlin, o. O. (Landauer, »Theorie und Praktik der Neuen Gemeinschaft«) 20. 1. 1901 Berlin, o. O. (Landauer, »Nietzsche und die neue Generation«) 3. 3. 1901 Heim der Neuen Gemeinschaft, Uhlandstr. 14 (Landauer, »Referat über Fritz Mauthners Kritik der Sprache«, (s. Landauer an Mauthner, 28. 2. 1901, LMB, S. 42) 20. 4. 1901 Berlin, Architektenhaus (Landauer, »Tolstoi«)

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Obwohl Landauer bei fast allen Treffen sprach (auch ein Vortrag über Alfred Mombert (1872-1942) ungenauen Datums aus dem Jahr 1901 ist überliefert; vgl. LMB, S. 385, Anm. 2), kamen bei ihm bald Zweifel an dem Programm der Neuen Gemeinschaft auf. Schon im Mai 1901 zog er sich darum aus ihr zurück, begleitet von dem Anarchisten Erich Mühsam (1878-1934). Vorbehalte gegen den Monismus der Brüder Hart sowie den Abstand der Neuen Gemeinschaft zur sozialen Bewegung dürften dabei eine wichtige Rolle gespielt haben (vgl. Ulrich Linse (Hrsg.), Zurück, o Mensch, zur Mutter Erde. Landkommunen in Deutschland 18901933, München 1983). Kritik an der alles harmonisierenden Weltanschauung der Gruppe machte sich schon in Landauers Rezension des ersten Heftes der von der Neuen Gemeinschaft herausgegebenen Flugschriften bemerkbar (Gustav Landauer, Zukunft-Menschen, in: Die Zukunft 23. 6. 1900, Bd. 31, S. 529-534). Landauer ist es, wie er später in Skepsis und Mystik ausführlicher darstellen sollte, schon zu dieser Zeit vor allem suspekt, dass der Hartsche Monismus immer wieder an die Stelle der wirklichen Verbesserung und der zu verwirklichenden Einheit der Menschen eine bloß gedachte Harmonie setzt. Ein Wort von Mauthner übernehmend, erklärt Landauer seine »Absage an die Friedrichshagener« als eine doppelte. Seine Abneigung gegen die Offenbarungen von Bruno Wille, eines führenden Mitglieds des Friedrichshagener Dichterkreises, sei »unverändert« geblieben, die gegen die Weltanschauung der Brüder Hart dagegen ständig gewachsen (Landauer an Mauthner, 28. 11. 1901, LMB, S. 56): »daß ich mit der Überschätzung der erkenntnistheoretischen Grundlagen in Harts Schriften nicht mitgehe, habe ich bei der Besprechung des ›Neuen Gottes‹ wie der Flugschrift ebenso scharf gesagt«. Landauer war an einer praktischen Umsetzung von revolutionären Gedanken und Programmen interessiert, und allein dies sollte ihn immer enger mit Buber verbinden. Die Gegensätze des Lebens werden nach Landauer nicht schon dadurch aufgehoben, dass man sie als aufgehoben denkt und sich über solche Gegensätzlichkeiten hinwegzusetzen versucht, so sehr der subjektive Entschluss auch zu den ersten Schritten wesentlich gehören mag. Zusammenfassend bemerkt Buber im Vorwort zu seiner Ausgabe von Landauers Briefen, dessen Anteilnahme an der Begründung der Neuen Gemeinschaft habe ihn gelehrt, »wie Gemeinschaft nicht entsteht« (Buber, Vorwort, in: Ders. (Hrsg.), Gustav Landauer – Sein Lebensgang in Briefen, 2 Bde., Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1929, S. VI-VII). Buber sollte später noch einmal den Versuch einer gemeinschaftlichen Gruppierung unternehmen, als er kurz vor dem Ersten Weltkrieg an dem oppositionellen Potsdamer Forte-Kreis (1910-1915) teilnahm (dazu MBW 1, S. 68-73).

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Der Einfluss Landauers zeigt sich auch darin, dass Buber in diesem Aufsatz die Verehrung Goethes übernimmt, die Landauer diesem in zahlreichen Artikeln zollt. Anspielungen auf Faust häufen sich genauso wie in Landauers Artikel »Durch Absonderung zur Gemeinschaft«, der als nähere Quelle für Bubers Vortrag dient. Zur Beziehung zu Goethe gehört dann auch, dass im Text das Hauptgewicht auf die Tat gelegt wird. Buber macht in seinem Vortrag keinen Hehl daraus, dass er Landauer geistig viel verdankt. Ohne Vorbehalt zitiert er direkt aus dessen Schriften. Wenn ein Blick in das Manuskript etwa zeigt, dass für »Gemeinschaft zur Gemeinschaft« Buber zunächst »Naturgemeinschaft zur Menschheitsgemeinschaft« schrieb (vgl. die Textvarianten zu 64,22 in diesem Band, S. 259), so wird noch augenscheinlicher, inwiefern er seinerzeit im Bann Landauers stand. In Skepsis und Mystik spricht Landauer mit Bezug auf Meister Eckhart von eben einer solchen Menschheitsgemeinschaft. (Vgl. Gustav Landauer, Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik, Berlin 1903, S. 40) In diesem Zusammenhang entfaltet sich die frühe Mystik Bubers. Aus einem Gefühl der Verbundenheit mit dem Absoluten – das Buber hier, die eigene Dialogik unter anderem Zeichen vorausahnend, das »grosse Du« nennt (in diesem Band, S. 64) –, aus einem »Erlebnis« von dem »unsagbaren Sinn des Lebens«, der sich in einem »geheime[n] Hochzeitsfest« offenbart, soll die neue Gemeinschaft hervorbrechen. Wenn Buber dieses Erlebnis dahin beschreibt, dass der Mensch »von allen Schranken befreit« ist, so klingen Hauptzüge der mystischen Ekstase an, wie sie von Buber im Laufe des kommenden Jahrzehnts immer wieder dargestellt wird. Damit verbunden ist auch der häufige Einsatz einer ausgesprochenen religiösen Sprache für eine von der alten Religionsgemeinschaft losgelöste immanente Religiosität. Ein Blick in die Überarbeitungsstufen der Handschrift macht diese Tendenz noch deutlicher – etwa da, wo Buber den Satzanfang »Also dass unser neues Leben von Religion durchtränkt wird« erwägt und dann wieder streicht, da vermutlich das vorangehende Wort von einer »göttlichen Festweihe« zu sehr in die Richtung einer positiven Religion geführt hätte. Obwohl Buber sich bewusst an Landauer anlehnt und ihn auch an dieser Stelle zitiert, lassen sich leichte Abweichungen beobachten. Macht Landauer die Versenkung ins Eigene zur Voraussetzung für die Allgemeinschaft, spricht Buber von einer »Entfaltung der höchsten Eigenheit aus der innigsten Gemeinsamkeit« (in diesem Band, S. 64). Betont Landauer die Gemeinschaft, die über die Absonderung als Einzelne zu erreichen ist, so verlegt Buber in gewissem Maße den Nachdruck noch stärker auf das Individuum. Indem die Natur, die das Kind unbewusst

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gelebt hatte, um sich dann von ihr zu entfernen, in der freien Gemeinschaft als menschliche Natur wiederkehrt, erlebt der Mensch zwar die heraklitisch-nietzscheanisch gefärbte »unendliche Einheit des Werdens« (S. 64), das Weltgefühl, aber auch und nicht minder wichtig »die Vollendung seines eigensten Wesens« (ebd.). Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr Landauer und Buber im Grunde die gleiche Vorstellung von diesem Erlebnis einer »allgemeinsten Gemeinschaft« entwerfen. Denn die anvisierte Gemeinschaft soll letztendlich den Gegensatz von Individuum und Kollektiv, Teil und Ganzem überwinden. Für beide stellt dieser Vorgang eher eine paradoxe Entwicklung dar, die ebenso gut dialektisch genannt werden könnte. In der Wiederkehr einer bewusst gewordenen Natur »auf höherer Entwicklungsstufe«, scheint in der Tat noch einmal eine romantische Philosophie der Natur, des Geistes und der Politik nachzuklingen. Diese soll sich laut Buber nicht im Geiste vollziehen, geschweige denn in einer sich für absolut wähnenden Philosophie, sondern im Leben. Daraus ergibt sich in der vorliegenden Rede die starke Akzentuierung des Schaffens, des schöpferischen Aktivismus, der im vitalistischen Denken der Zeit häufig anzutreffen ist und hier als die einzige angemessene Haltung des Menschen angesichts der dynamischen Einheit der Welt beschrieben wird. Dazu plante Buber ein Buch über »Das Schaffen als Erlösung oder Evolution und Revolution« (s. lose Blätter, MBA Arc. Ms. Var. 350, für ein provisorisches Inhaltsverzeichnis; Kohn, Martin Buber, S. 295 datiert die Arbeit an diesem Werk auf 1903). Die Gemeinschaft dient dem Leben, mit dem sie sich letzten Endes eins weiß. »Wir können unser Lebensgefühl, das uns die Verwandtschaft und Gemeinschaft alles Weltenlebens zeigt, nicht anders als in Gemeinschaft voll bethätigen; und wir können in reiner Gemeinschaft nichts schaffen, was nicht Kraft, Sinn und Wert des Lebens steigerte.« (In diesem Band, S. 62.) Indem er so an eine Grundidee von Eugen Diederichs anknüpft, setzt Buber das Lebensgefühl an die erste Stelle. Man sollte hier auch genau auf die Wörter achten, mit denen Buber den Prozess der Lebenserhöhung durch Gemeinschaft beschreibt. Bedeutend für die Werteskala der Neuen Gemeinschaftler ist insbesondere die Reihenfolge »Kraft, Sinn und Wert«. Erst nachdem die Vitalität hervorgekehrt wird, darf das zu Wort kommen, was eine Beurteilung zulässt. Die Verherrlichung der Kraft als solcher wird hier von einer Anerkennung der nebenrangigen Bedeutung prinzipiell beurteilungsfähiger und moralischer Ideale begleitet. Buber stellt in seinem Vortrag unzweideutig die Wahlverwandtschaft über jede Blutsverwandtschaft. Er verschreibt sich also keiner wehmütigen Sehnsucht nach den alten Bindungen, die zwar auf die kommende

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Gemeinschaft hindeuten, an sich aber nicht hinreichend reflektiert und frei waren. Buber nennt sie im Vortrag Teile »einer stumpfen und schönheitsbaren Urgemeinschaft«. Vielmehr kommt es für ihn darauf an, dass alles, was an der alten Gemeinschaft zu loben war, nun »auf höherer Stufe und im Licht eines schöpferischen Bewusstseins in neuen Formen« wiederkehre. Nicht »die triebhafte Lebenseinheit des Urmenschen« soll also wieder aufgerichtet werden, sondern die reflektierte des neuen Menschen. Insofern darf man im gegenwärtigen Gesellschaftsstadium der Menschheit ein wesentliches, schließlich positives Entwicklungsmoment sehen. Denn nur aufgrund der mit der modernen Gesellschaft identifizierten sozialen Spaltung in Einzelpersonen und der der Neuzeit eigenen Form von Subjektivität wird die bewusste und gewählte Gemeinschaft erst möglich. Daraus folgt auch ein weiterer Aspekt dieser neuen Gemeinschaft, nämlich dass sie nicht auf räumlicher Nähe basiert, keine regelmäßige Begegnung verlangt, sondern viel eher dazu angetan ist, Verbindungen zwischen Menschen zu schaffen, die räumlich voneinander entfernt sind. Dabei zeigt sich der aristokratische Individualismus, der die frühen Äußerungen Bubers oft durchzieht, wobei nicht angestammter Adel, sondern wie bei Nietzsche eine Aristokratie des Geistes gemeint ist, ein geistiger Vortrupp, der allerdings eines Tages die ganze Menschheit aus der Vergötterung des Nutzzwecks befreien soll. Über den bis 1976 noch unveröffentlicht gebliebenen Vortrag berichtete damals mit Begeisterung Siegfried Jacobsohn (1881-1926) in der Welt am Montag (Kohn, Martin Buber, S. 29 f.). Textzeuge: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 47); 10 paginierte Seiten; ohne Datum; versehen mit einem Untertitel – »([Ansprache] ! Vortrag gehalten in öffentlicher [Zusammenkunft] ! Versammlung der Neuen Gemeinschaft zu Berlin)« – und einem Eintrag von fremder Hand – »Gehalten im Architektenhaus Berlin 1900«. Wiederabdrucke nach dem Tod des Autors: in: Association of Jewish Studies Review, I (1976), hrsg. u. mit einem Vorwort u. Anmerkungen versehen von Paul Mendes-Flohr u. Bernard Susser, S. 50-56 (MBB 1393). in: Paul Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog. Martin Bubers geistige Entwicklung bis hin zu »Ich und Du«, Königstein i. T.: Jüdischer Verlag 1978 u. 1979, S. 183-188 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: H

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Variantenapparat: 61,14 Die Neue Gemeinschaft hat Gemeinschaft zum Zwecke] [Die Neue Gemeinschaft hat sich selbst, d. h. die Gemeinschaft, u. z. eine neue Art von Gemeinschaft zum Zwecke. Das unterscheidet sie von allen alten Gemeinschaften, die den Nutzen einer Gruppe oder auch den Gott [einer], d. h. den »jenseitigen« Nutzen einer Gruppe zum Zwekke hatten.] Die Neue Gemeinschaft [will] ! hat Gemeinschaft hzum Zweckei H 61,16-17 in der Geben ebenso selig ist wie Nehmen, weil beides dieselbe Bewegung ist] [das lebendige Geben und Nehmen, beide gleich beseligend, weil beides dieselbe eine Bewegung ist] ! in der Geben ebenso selig ist wie Nehmen, weil beides dieselbe Bewegung ist H 61,19 nicht anders] nicht anders [als durch diese] H 61,22 von einem gleichen Bande] [vom Reife] ! von einem gleichen Bande H 61,28 für deren Fuss die Erde] [denen die Erde] ! für deren Fuss die Erde H 61,32 einzelnen Menschen] [Einzelnen] ! einzelnen Menschen H 61,33 Gegensätze.] Gegensätze. / [Beides aber, Gemeinschaft und Leben, ist eines. Denn solche Gemeinschaft, wie wir sie meinen] H 61,34-35 Uns aber […] ist Gemeinschaft und Leben eines.] [Beides aber, Gemeinschaft und Leben, ist eines. Denn solche Gemeinschaft, wie wir sie meinen] ! Uns aber […] ist Gemeinschaft und Leben eines. H 62,4-5 Leben und Gemeinschaft sind zwei Seiten desselben Wesens] [Leben ist nichts als Gemeins[chaft]] ! Leben und Gemeinschaft sind zwei Seiten desselben Wesens H 62,9 religiösen] religiösen[, von der Genossenschaft und der Sekte.] H 62,10 nun Gens] [Horde] ! nun Gens H 62,14 ist] [bedeutet] ! ist H 62,19 das] [alles] ! das H 62,23 Starke] [Neue] ! Starke H 62,33-34 Wille,] Wille, [uns oder unseren Kindern oder einem künftigen Geschlechte eine Welt zu bauen oder vorzubereiten, die vom Nutz] H 62,36 des Spruches lachen und weitergehen] [lachend unseren Weg weitergeh[en]] ! des Spruches lachen und weitergehen H 62,38 unser Thun] unsere That ! unser Thun H 63,6 achten,] achten, [das die Worte der Vergangenheit von uns] H 63,9 Meinung] [sociale Entdeckung] ! Meinung H 63,12 Meinungen] Meinungen [über dies und jenes] H 63,19 Glaubenswortes] [Wortes] ! Glaubenswortes H

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64,1-2 unendliche Dunkel] Unendliche ! unendliche Dunkel H 64,5 einiger] [mehrerer] ! einiger H 64,7 in Stunden der Weihe] in [Augenblicken und] Stunden der Weihe [zusammengefunden, aber] H 64,12 glaube] [weiss] ! glaube H 64,17 in der] in der [Wie aber verhält sich unsere Gemeinschaft zur heutigen Gesellschaft, die ja auch aus einer Gemeinschaft entstanden ist?] H 64,22 Gemeinschaft zur Gemeinschaft] [Natur]Gemeinschaft zur [Menschheits]Gemeinschaft H 64,39 Menschengruppen] [Gemeinschaften] ! Menschengruppen H 65,1 toter] [äusserer] ! toter H 65,5 die Wege bereiten] [verkünden] ! die Wege bereiten H 65,10 die] alle ! die H 65,28 alte Dinge] das Alte ! alte Dinge H 65,29 neue Dinge] das Neue ! neue Dinge H 65,36 schenkt.] schenkt. [Also dass unser neues Leben von Religion durchtränkt wird] H Wort- und Sacherläuterungen: 63,17 »Was fruchtbar ist, allein ist wahr.«] Aus der vorletzten Strophe von Goethes 1829 entstandenem Gedicht »Vermächtnis«, in: Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Frankfurter Ausgabe in 40 Bänden, I. Abteilung: Sämtliche Werke, Bd. 2: Gedichte 1800-1832, hrsg. von Karl Eibl, Frankfurt a. M. 1988, S. 685 f., Str. 6, Z. 33. Das Gedicht dürfte Buber in diesem Zusammenhang auch wegen der Mahnung »Geselle dich zur kleinsten Schar« (Z. 36) angesprochen haben. 63,34-38 »Wenn wir uns […] und dem Weltall.«] Gustav Landauer, Durch Absonderung zur Gemeinschaft, in: Heinrich u. Julius Hart (Hrsg.), Das Reich der Erfüllung. Flugschriften zur Begründung einer neuen Weltanschauung, Heft 2, Leipzig 1901, S. 48. 64,10 Festgemeinschaft] Buber verwendet »Fest« und verwandte Wörter öfters in der Metaphorik seiner frühen Schriften. Vgl. die fast gleichzeitig entstandene Schrift »Feste des Lebens. Ein Bekenntnis« (1901), in: Die Welt, 5. Jg., Nr. 9, 1. März 1901, S. 8-9 (jetzt in: MBW 1, S. 153-155). Diese Rede von einem gegenwärtigen oder zu gewärtigenden Fest zeigt nicht nur allgemein den Einfluss Nietzsches, sondern auch eine mögliche Beeinflussung durch das bei Diederichs erschienene Buch von Peter Behrens, Feste des Lebens und der Kunst, Leipzig 1900; Näheres in MBW 1, S. 312.

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64,15-16 »Einsamkeit ist Endlichkeit und Beschränktheit, Gemeinsamkeit ist Freiheit und Unendlichkeit.«] Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Zürich und Winterthur 1843, § 62, S. 83: »Einsamkeit ist Endlichkeit und Beschränktheit, Gemeinschaftlichkeit ist Freiheit und Unendlichkeit.« Die ungenaue Wiedergabe »Gemeinsamkeit« wird vermutlich dadurch verursacht, dass sie den Gegensatz zu »Einsamkeit« stärker hervorhebt. Aus dieser Schrift Feuerbachs (1804-1872) zitiert Buber häufig in »Über Jakob Boehme« (in diesem Band, S. 70 ff.). 64,29-32 »während die Gesellschaft, […] ein sociales Gebilde heisst.«] Ludwig Stein, Die sociale Frage im Lichte der Philosophie, Stuttgart 1897, S. 63. 64,34-35 »sociales Leben […] von Menschen.«] Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung (1896), 5., durch einen Nachtrag erg. Aufl., Berlin u. Leipzig 1924, S. 82, § 16. 65,4 »was fruchtbar ist, allein ist wahr.«] s. Wort- und Sacherläuterungen zu 63,17. 65,28-29 Revolution heisst […] neue Dinge leben.] Zu Bubers Begriff von Revolution vgl. den Brief an Landauer vom 26. Juli 1906, in: B I, S. 245-246.

Satu’s Leiden und Rache Die Erzählung »Satu’s Leiden und Rache« stellt einen Entwurf dar, an dem Buber spätestens 1900 zu arbeiten begann. »Liebster Schatz«, schreibt er im August desselben Jahres aus Berlin an seine Frau Paula (1877-1958), »ich lebe jetzt einen Teil des Tages im alten Ägypten, in der Welt meiner Satu-Geschichte.« (B I, S. 156) Die Arbeit an der Legende ist sicher zum Teil Ausdruck eines allgemeinen Widerwillens gegen den Wissenschaftsbetrieb und ebenso einer heranreifenden Entscheidung für den Beruf des freien Schriftstellers: »Die Dissertation ist mir vorläufig unmöglich, wie etwas Steifes. Ich tauge nicht zum Stundenmenschen. Diese feinen alten Sagen kommen wie ein einziges Bilderbuch zu mir, das in Umrissen gezeichnet ist und auf die Ausführung wartet; so lieb und vertrauensvoll legen sie sich in meine Hand.« (ebd.) Hier spricht sich schon das Selbstverständnis Bubers aus, das sich unter leichter Modifizierung bis in das Spätwerk erhalten sollte. Buber verbindet dies mit der noch in den Anfängen begriffenen Idee des Orients: »Noch nie habe ich so sehr die Seele des alten Orients in mir gefühlt und die Macht, seine

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Zeichen zu beleben.« (ebd.) In der Tat scheint es, dass Buber über dieser Arbeit der entscheidende Durchbruch zum eigenen Stil gelungen ist. »[I]ch habe einen eigenen künstlerischen Weg gefunden. Weißt Du noch, als Du die paar Satu-Seiten rühmtest? Es sei von meinem Besten, meintest Du. Damals wurde es zum ersten Mal angerührt.« (B I, S. 156 f.) Die Geschichte vom ägyptischen Gott Satu, von der nur der erste Teil erhalten blieb, ist insofern ein bedeutendes Dokument, als sie wohl das früheste Beispiel der Beschäftigung Bubers mit dem Mythos in Form einer Nacherzählung liefert. Spätestens um 1900 also hat Buber mit der Rezeption und Wiedergabe der legendären Überlieferung begonnen. Damit kam er dem Verlangen nach, dem er in einem Brief an seine Frau von April 1900 Ausdruck gegeben hatte. Unter dem Eindruck einer tags zuvor besuchten Ausstellung der Plastiken von Alfred Nossig (1864-1943), gesteht er seine Enttäuschung über die Darstellung des Jüdischen. Vor allem vermisst er ein Ergründen der Volksseele: »tief nationale Anknüpfungen, Auslösung von Momenten der Volksseele, Ausbildung des Unausgebildeten«. In Worten, die wie das Programm der kommenden Jahre anmuten, fährt Buber fort: »Thon wäre mir das Strömen und Gähren des Rassenwesens; hineingreifen und mit der Hand, die das unsterblich eine Blut sicher gemacht, herausreißen und zu Ende gestalten die Formen, die in der ›wirklichen Geschichte‹ unfertig blieben. Die Menschen, in denen sich das Volksgeschick nicht restlos sagen konnte, so gestalten, daß es sich restlos sagt. Die große unterirdische Volkshistorie vollenden!« (Buber an Paula Buber-Winkler, 24. 4. 1900, in: B I, S. 155). Damit lässt der angehende Deuter der Volksvergangenheit wichtige Grundzüge seiner künftigen Hermeneutik anklingen: den Primat der Geschichten vor der Geschichte bzw. vor einer Idee von Geschichte, wie es eigentlich gewesen; den Glauben an eine unterirdisch verlaufende Volkstradition und das Ausspielen dieser angeblich unterirdischen Historie gegen den offiziellen Bericht; den Anspruch auf Neugestaltung, damit das, was sich bisher nur unvollkommen, stammelnd äußerte, nun endlich zum vollen Ausdruck gelange. Der Nacherzähler in spe deutet so schon relativ früh einen Grundriss seiner zukünftigen Vorgehensweise im Umgang mit volkhaftem Erzählgut an. Es ist zweifellos kein Zufall, dass gerade zu der Zeit, als sich diese Hinwendung zum Nacherzählen bemerkbar macht, Buber auch Vorlesungen von Wilhelm Dilthey zu hören und sich mit dessen Schriften zu beschäftigen beginnt, in denen das Nacherleben vergangenen Lebens als zentrales hermeneutisches Prinzip aufgestellt wird. Einigermaßen auffällig ist in diesem frühen Bekenntnis allerdings der Nachdruck, den Buber auf die Gewährleistung der Eigentlichkeit durch ethnische Zugehörigkeit legt, sollte er sich doch innerhalb von wenigen

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Wochen daran machen, mit der Legende von Satu die ägyptische Volksseele sprechen zu lassen. Von irgendeiner Hemmung oder Schranke dem Stoff gegenüber ist in dem Brief vom August 1900 auch nicht die geringste Spur. Vielmehr beschreibt Buber hingerissen die gelungene Einfühlung in die »feinen alten Sagen«, für deren Bearbeitung er sich trotz ihrer fremden, nichtjüdischen Herkunft anscheinend doch für geeignet hält. Wohl gründet sich die Zuversicht, die er bei dieser besonderen Aufgabe zeigt, auf die gemeinsame Herkunft aus dem Orient, denn es ist die »Seele des alten Orients«, die ihn bei der Wiederbelebung der altägyptischen »Zeichen« beflügelt. Von diesem Interesse am Orient legen Geschichte und Brief recht frühes Zeugnis ab, wenn nicht das erste überhaupt, das überliefert ist. Doch betrachtet Buber die Satu-Legende als nur einen Teil eines größeren Werks, das »Sagen« heißen und außer dieser noch weiteres heterogenes Material enthalten soll, darunter »alte Geschichten der Inder und der Hebräer […], aber auch eine Erzählung des Herodotos und ein spätgriechisches Liebesmärchen« (B I, S. 157). Offensichtlich stand dem legitimen und erfolgreichen Nacherzählen einer solchen Vielfalt von Geschichten die eigene Herkunft nicht im Wege. Mit einem kühnen Vergleich fasst er die Schwierigkeit seiner Aufgabe zusammen: »Der Weg vom Material zu mir ist nicht so weit wie vom Volksbuch zum ›Faust‹, und doch wieder weiter: die Entwicklung der hundert Generationen, die zwischen meiner Seele und der jener Sagen-Dichter steht.« (Ebd.) Textzeuge: H: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 75); 4 unpaginierte Seiten; ohne Datum. Druckvorlage: H Variantenapparat: 67,2 bastenen] seidenen ! bastenen H 67,22 beglückenden] [lustvollen] ! beglückenden H 67,26 der Heerde] seiner Heerde ! der Heerde H 67,30 seines Viehes] seiner Heerde ! seines Viehes H 67,31 kamen zu ihm] [besuchten ihn] ! kamen zu ihm H 68,9 Der graue Typhon] Typhon der graue ! Der graue Typhon H 68,9 Sonnigen] [Seligen] ! Sonnigen H 68,19 winzigen] [kleinen] ! winzigen H 68,19-20 roten] [blutigen] ! roten H 68,21 Kind ist es.] Kind ist es. [Es weint und] H

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68,20-21 Schon liegt […] den feurigen Augen.] hSchon liegt […] den feurigen Augen.i H 68,23-24 Zu einem Gotte ] [Anubis wird aus] ! [Ein] ! Zu einem Gotte H 68,28 die Träume geschmiedet] die Träume [und die Nachtgesichte] geschmiedet H 68,30 sein Leid] seine Schmerzen ! sein Leid H 68, 30-31 Satu stand vom Boden auf, breitete die Arme aus und] [Und Satu] ! hSatu stand vom Boden auf, breitete die Arme aus undi 68,32 Bösen] Frevels ! Bösen H 68,35 Seelen!] Seelen! [Meine Augen sehen deine Welt, hden [einen] Reigen der Götteri meine Ohren hören dein Saitenspiel, mein Mund redet in [eurer] ! ihrer Sprache. Aber mein Körper ist wie ein Lehmbild und mein Herz ist krank. Siehe, in den Sand der Wüste fliesst alles Blut meines Herzens] H 68,41 voller Schrecken] [unruhig und] voller Schrecken H Wort- und Sacherläuterungen: 67,2 Thoth] ibisförmiger oder paviangestaltiger Gott des Mondes, auch mit Wissenschaft, Magie, Weisheit und Schreiben verbunden. 68,9 Typhon] Gestalt aus der griech. Mythologie, ein Riese mit 100 Schlangenköpfen; in späteren Quellen mit dem ägypt. Gott Seth gleichgesetzt. 68,9 Osiris] ägypt. Gott, Sohn des Erdgottes Geb und der Himmelsgöttin Nut; regiert im Totenreich; wird als Mumie mit Geißel und Krummstab dargestellt. Die ältere Überlieferung lässt Osiris ertrinken; nach einem jüngeren Mythos wird er von Seth ermordet, doch von seiner Frau und Schwester Isis wieder belebt, die ihm einen Sohn, Horus, gebiert. 68,24 Anubis] ägypt. Gott, dargestellt als Mensch mit Hundekopf, gilt als Sohn des Osiris. Er fungiert als Totenrichter.

Über Jakob Boehme Dem Aufsatz liegt eine Handschrift von 11 Seiten zugrunde, die sich unter den Notizen zu Bubers Dissertation befindet. Inhaltlich stimmt der gedruckte Aufsatz mit den Seiten 2-11 der Handschrift weitgehend überein. Der Fundort des Manuskripts hat zu der Vermutung Anlass gegeben, dass es sich dabei um einen frühen Entwurf der Dissertation handelt. So neigt Paul Mendes-Flohr zu der Annahme, dass wir es mit einem, wenn

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auch nur vorläufigen Dissertationsentwurf zu tun hätten (Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 97 f.). In dasselbe Konvolut ist neben der Handschrift auch ein Blatt eingeordnet worden, das »Pantheismus d. Renaissance« betitelt ist. Ein weiteres, unterstrichenes Stichwort oben links auf dem Blatt zeigt, dass es in den Themenbereich »Individuation« der Dissertationsvorarbeiten gehört. Gilya Gerda Schmidt, Martin Buber’s Formative Years: From German Culture to Jewish Renewal (1897-1909), Tuscaloosa u. London 1995, S. 143, weist im Zusammenhang des Böhme-Aufsatzes auf ein Manuskript hin, das den Titel »Pantheismus und Renaissance« tragen soll, und versteht es als eine Seite der Handschrift oder deren Anfang. In Wirklichkeit enthält das Blatt jedoch einen einzigen langen Auszug aus dem Aufsatz Diltheys über »Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert« (Die Autonomie des Denkens, der konstruktive Rationalismus und der pantheistische Monismus nach ihrem Zusammenhang im 17. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie VII (1894), S. 28-91, Zitat auf S. 75-77) und kann unmöglich als Teil der vorliegenden Handschrift angesehen werden, mag die Überschrift auch noch so gut zu Böhme passen. Sowohl die für den Druck weggelassenen Stellen als auch die biographischen Umstände deuten vielmehr darauf hin, dass es sich bei dem Manuskript um den Text einer Rede vor dem Kreis der Neuen Gemeinschaft handelt, die Buber am 9. März 1901 im Berliner Architektenhaus in der Wilhelmstraße gehalten hat (vgl. Kohn, Martin Buber, S. 29-30, 294; Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 97; Maurice Friedman, Martin Buber’s Life and Work, Detroit 1988, I, S. 77-79). Insofern ließe sich das Manuskript neben die Rede über »Alte und neue Gemeinschaft« stellen, die Buber nach Juni 1900 ausarbeitete und etwas später gehalten haben dürfte (vgl. in diesem Band S. 61-66 und Kommentar). Beide Vorträge sind also für eine Versammlung Gleichgesinnter bestimmt, die lebensreformerisch orientiert waren. Wiederholt weist Buber auf Böhmes Aktualität für die Neue Gemeinschaft hin, die er als eine Verwirklichung, Fortsetzung und zugleich Weiterentwicklung der Gedanken des frühneuzeitlichen Mystikers versteht. Kann Böhme für die Bestrebungen der jungen Generation der neuen Gemeinschaft als Pate angesehen werden, dann ist ebenso sicher, dass man nicht einfach bei ihm stehen bleiben kann. Dies verbietet schon die für Buber charakteristische Forderung, dass jeder, ob als Einzelner oder als Mitglied einer Gruppe, selbst schöpferisch und nicht nur empfangend wirken solle. Deshalb ist für Buber jeder Rückgriff auf vergangene Ideen oder Zeiten gleichzeitig auch ein Eingriff in das, was übernommen werden soll. Es gehört also wesentlich zu Bubers Programm der Erneuerung, dass man nichts unverändert lässt.

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Der gedruckte Aufsatz ist eindeutig im Umfeld der Studien zur Dissertation entstanden. Auch wenn sich Buber wohl erst 1903 ernsthaft der Fertigstellung der Doktorarbeit zuwandte (vgl. Brief an Gustav Landauer vom 2. August 1903, in: B I, S. 207), so hatte er sich doch schon von 1900 an mit den Vorarbeiten dazu beschäftigt (vgl. Brief an Chaim Weizmann vom 12. Dezember 1903, in: B I, S. 179). Ob Buber bei der Rede vor der Neuen Gemeinschaft auf schon geleistete Vorarbeiten zur Dissertation zurückgriff oder ob er diese Gedanken über Böhme anlässlich des Vortrags neu zu Papier brachte, lässt sich anhand der erhaltenen Schriften nur schwer eindeutig entscheiden. Dass die Handschrift im MBA in der Mappe zur Dissertation erhalten ist, kann hier nicht ausschlaggebend sein. Allem Anschein nach handelt es sich bei der Handschrift doch eher um einen Vorgetragstext, zumal die im gedruckten Aufsatz weggelassenen Stellen der Handschrift den persönlichen, gelegentlich bekenntnishaften Ton noch viel stärker hervortreten lassen, der den Eindruck einer Ansprache vor geschlossenem Kreis erweckt. Beiden Schriften, dem Aufsatz über Böhme und der Dissertation, liegen weitreichende und intensive Recherchen zugrunde. Das Problem der Individuation war für Buber zu dieser Zeit von zentraler Bedeutung, und er hat hierfür einen beeindruckenden Arbeitsaufwand geleistet und zahlreiche akribische Notizen angefertigt. Auch die im Vortrag erwähnte Lehre vom Mikrokosmos nimmt bei den Vorarbeiten zur Dissertation einen wichtigen und umfangreichen Platz ein, wobei sie im Vergleich dazu hier und in der Dissertation dann an nur wenigen Stellen vorkommt. Wie in der Dissertation setzt Buber voraus, dass das frühneuzeitliche Denken für die heutige Kultur von eminenter Bedeutung ist. Der Glaube, dass man in der Renaissance nach dem Ursprung der gegenwärtigen Kultur zu suchen habe, und zwar sowohl ihrer Konflikte als auch von deren Lösungen, zeichnet Buber als einen Schüler Diltheys und zugleich als einen Autor der Moderne aus dem Umkreis der Neuen Gemeinschaft und des Diederichs-Verlags aus. In der Renaissance glaubte man die ersten Regungen der Persönlichkeit zu sehen, wie sie sich dann in der Neuzeit entwickeln sollte. Die Kulturrevolutionen und Erneuerungsbewegungen des 19. Jh., die die Krankheiten einer auf einseitigen Rationalismus, geisttötenden Utilitarismus und zersetzenden Positivismus ausgerichteten Gesellschaft heilen wollten, griffen nicht selten auf die Epoche zurück, die für sie den Anbruch der modernen Welt verkörperte – samt Individualismus, Persönlichkeitsethos und ganzheitlichem Erleben. Wiederholt verweist Buber in den frühen Schriften auf die Bedeutung Diltheys, was besonders in den vorbereitenden Notizen zur Dissertation unverkennbar wird. Jacob Burck-

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hardt (1818-1897) hatte Bubers Generation gelehrt, in der Renaissance den entscheidenden Einschnitt in der modernen Geistesgeschichte zu erblicken (Jacob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien: ein Versuch, Leipzig 1901; von Buber abgeschriebene Auszüge aus der 1901 erschienenen 8. Auflage dieses Werks, besonders aus dem 4., 5. und 6. Kapitel, finden sich unter dem Stichwort »Psychologie« im MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 7). Dilthey wandte sich in ähnlicher Weise der »großen Umänderung in der Lebenshaltung des Menschen während des 15. und 16. Jahrhunderts« zu, die »die zunehmende Differenzierung der Individualitäten« förderte (Wilhelm Dilthey, Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie IV (1891), S. 604-651, Zitat S. 625). Dilthey interessierte an der Renaissance vor allem das Aufkommen eines modernen europäischen Pantheismus, der den transzendenten Gottesbegriff des Mittelalters abgelöst habe. Ebenso trägt Bubers Böhme durchaus pantheistische Züge, auch wenn er diesem die Vorstellung von einem dynamischen Selbstoffenbaren Gottes in allen Dingen, also von einer kontinuierlichen Schöpfung zuschreibt. Im Menschenbild der Renaissance suchte man nach Antworten auf das, was im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert als die zunehmend akute Krise des Humanen betrachtet wurde. Man sehnte sich nach historischen Mustern für ein fruchtbares Verhältnis von Natur und Geist, Naturwissenschaft und menschlichem Leben und Erleben. Im »neuen Weltbild« der modernen Wissenschaft, das sich im fünfzehnten Jahrhundert zu entwickeln begann, liege etwa den Brüdern Hart zufolge die Möglichkeit, die begrenzte Erkenntnis im Medium der Erscheinungen zu transzendieren und zur Einsicht in den unendlichen Wandlungsprozess der Welt zu gelangen (vgl. Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 60 f.). Eine andere Vision der Eintracht findet man bei Wilhelm Bölsche (1861-1939), der in seinem Vorwort zu einer Neuausgabe des Cherubinischen Wandersmann (1905 bei Diederichs erschienen) des frühneuzeitlichen Mystikers und Dichters Angelus Silesius (1624-1677), »Über den Wert der Mystik in unserer Zeit«, die Komplementarität von Mystik und Wissenschaft zu begründen versucht, wobei er sich doch im Vergleich zu den Gebrüdern Hart eher dem klassischen Unterschied von Glauben und Wissen anschließt und das mystische Erlebnis als subjektiv versteht. Doch beiden Ansichten gemeinsam ist der Glaube, in der Mystik einen Zugang zum Religiösen zu haben, der im Gegensatz zu den bestehenden dogmatischen Religionen nicht notwendig mit der Wissenschaft in Konflikt stehen müsse. Anders als die Dissertation macht der Beginn der Handschrift deutlich, wie sehr dieser Aufsatz aus der Auseinandersetzung Bubers mit Gesell-

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schaftsfragen der Zeit hervorgegangen ist. Denn es ist dort nicht nur von metaphysischen bzw. religiösen Wahrheiten die Rede, sondern auch von Menschenklassen, die überwunden werden sollen. Wenn Buber von »dem Reiche, das wir bereiten« spricht, und dies dahingehend charakterisiert, dass darin »die Gruppenunterschiede zu Gunsten der persönlichen Verschiedenheiten aufgehoben« seien (in diesem Band, S. 272), so zeigt sich deutlich, dass hier eine gesellschaftskritische Überlegung zur Bildung sozialer Klassen in eine philosophische, teilweise auch vitalistische Besinnung auf das gegenseitige Verhältnis »seelischer Menschenklassen« überführt wird. Umgekehrt legt ein solcher Übergang die unlösbare Verknüpfung von sozialen und religiösen Fragen nahe. Der Schluss geht dagegen eher auf metaphysische Aspekte einer lebensphilosophisch gefassten, von Nietzsche stark beeinflussten Erneuerungsutopie ein. Bei der Überarbeitung des Vortrags für den Druck werden von Buber in der Regel die Stellen nicht aufgenommen, in denen er explizit nuanciertere Vergleiche zwischen Böhmes System und den zeitgenössischen Erneuerungsversuchen zieht. Davon bleiben in der Druckfassung nur einige allgemeine Beobachtungen zustimmender Art über die Nähe Böhmes zu Gesinnung und Gefühl der zeitgenössischen Erneuerungsbewegung übrig. Aus den weggelassenen Passagen wird ersichtlich, welche aktuelle Bedeutung Böhme für Buber hatte, wobei er natürlich immer eine kritische Distanz wahrte. Wenn Buber schreibt, dass sich »bei Böhme diese neue Lebensform« andeute, die heute »[u]nsere einzige Welt« sei (in diesem Band, S. 272 f.), so spricht er aus, was sich seine Generation von der frühneuzeitlichen Mystik versprach: geistige Ahnen, Wegbereiter, die bei allen eingestandenen Grenzen, ja gerade ihretwegen die Visionen der lebenden Generation vorherzusagen und zu legitimieren scheinen. Die Idee einer Identität von Ich und Welt, auf der – so Buber im Manuskript – Böhme als erster bestanden habe, sei vermittelt durch Leibniz (1646-1716), Fichte und Goethe auf den neuromantischen Kreis übergegangen, wo sie nicht nur die begriffliche Grundlage bilde, sondern auch »eine neue Form angenommen« habe. Dabei kommt es Buber darauf an, die so bezweckte tiefere Einheit von einem bloßen Idealismus abzusetzen, nach welchem die Welt eine Konstruktion des Ich ist. Deshalb schließt er den subjektiven Idealismus eines Berkeley (1685-1753) oder Fichte explizit aus. Weit bedeutsamer wird für ihn die Kosmoslehre der Renaissance, wobei Buber an eine Art Monadologie zu denken scheint. Der Aufsatz steht in einem unverkennbaren Bezug nicht nur zur Dissertation Bubers, der er vorarbeitet, sondern auch zu seinem frühen Aufsatz »Ein Wort über Nietzsche und Lebenswerte« (1900). Auch dort spricht Buber von einem werdenden Gott, an dessen Entfaltung der

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Mensch mitschaffen könne (s. MBW 1, S. 151). Diese Idee vom Werden Gottes bezieht Buber jedoch nur im Böhme-Aufsatz auf Feuerbach, der einen gottähnlichen Individualismus prinzipiell ausschließt. Dabei beachtet er auch den Unterschied nicht, der zwischen Feuerbachs anthropologischem Ansatz und den Grundgedanken Böhmes besteht. Abstand nimmt Buber von Feuerbachs Satz allein in dem Sinn, dass er die Beschränkung der Gottesverwirklichung auf zwischenmenschliche Beziehungen als eine unnötige Engführung empfindet und die im Mitsein gegebene Realität Gottes auf grundsätzlich jede erfahrbare Beziehung ausdehnt (vgl. Grete Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, Göttingen 1966, S. 42). So radikal konsequent nimmt sich der Pantheismus des jungen Buber schließlich aus. Nach Buber beschäftigt Böhme das Problem, wie Einzelheit überhaupt erst entsteht. Aus einer ursprünglich einfachen Einheit wurde die Welt mit ihrer Pluralität von einzelnen Dingen. Nicht nur die Einzelheit also, sondern auch die Vielheit bedarf der Erklärung. Die Antwort, die Buber Böhme entnimmt, heißt: ein freies Spiel wohnt dem Schöpfen inne. Überhaupt verschiebt sich der Akzent bei Bubers Darstellung des Weltmythos von Gegensätzlichkeit auf Harmonie und Spiel (vgl. ebd.). Mit der Hervorhebung des Spiels stellt sich Buber in die Nachfolge unter anderem von Schiller, der die Idee des freien Spiels aus Kants Ästhetik zum Schlüsselbegriff machte, um den Gegensatz von Sinnlichkeit und Vernunft, Willkür und Gesetz zu überwinden, sie miteinander zu verbinden. Das Spiel steht der instrumentellen Vernunft entgegen und erlöst von den herkömmlichen, im Verstand verankerten Gegensätzen. Wie noch ausdrücklicher in dem Vortrag über »Alte und neue Gemeinschaft« (in diesem Band, S. 61-66, bes. S. 62) dient auch hier der »Nutzzweck« als Inbegriff einer Geistes- und Lebenshaltung, die verworfen werden muss. Jeder Handlung, die einen bestimmten Zweck verfolgt, werden das Spielen und das damit verbundene Schaffen entgegengesetzt. Wie in »Alte und neue Gemeinschaft« drückt sich hier ein starkes Pathos des Schaffens aus, zeigt sich doch für Buber in Böhmes Schriften »der rechte Weg zum neuen Gott, den wir schaffen, zur neuen Einheit der Kräfte« (in diesem Band, S. 72). Buber will den Selbstzweck, mithin keinen objektiven Zweck, der außerhalb des agierenden Subjekts liegen müsste. Die Welt gibt dem freien Spiel der universalen Kraft zwar einen Inhalt für seine Betätigung, aber dieser Inhalt ist kein Ziel. Darum bleibt das Kräftespiel zwecklos, anders gesagt: es hat nur sich selbst zum Zweck. Auffallend sowohl an dem Aufsatz als auch an der Behandlung Böhmes in Bubers Dissertation ist das Ausklammern oder wenigstens Herunterspielen des spezifisch Religiösen an dessen Denken. Die wohl in der Rede

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vorgetragenen, aber in den gedruckten Aufsatz nicht aufgenommenen Stellen veranschaulichen das Ringen Bubers mit dieser Grundlage, die nicht geleugnet werden kann. Da erkennt Buber den religiösen Zusammenhang zwar an, empfindet ihn aber bei Böhme nur als tragisch und beengend. »Von einer christlich specifischen Seele weiss er nur steife, dogmatische Worte hinzuschreiben.« – so das bemerkenswerte Fazit, das gegen Ende der Handschrift zu lesen ist (in diesem Band, S. 275). Auch wenn der Kontext undeutlich bleibt, so scheinen die Überlegungen, mit denen die Handschrift ansetzt und schließt, Böhme in ein tragisches Schema einordnen zu wollen. Wenigstens teilweise liest Buber Böhme in einer solchen tragischen Deutung, die weit eher als eine nüchterne Wiedergabe des frühneuzeitlichen Denkers geeignet ist, die zeitgenössische Sensibilität anzusprechen. Die existentielle Not der Menschen um 1900 legt er Böhme in den Mund, dessen Worte folglich die Verwirrung und Einsamkeit des Einzelnen aussprechen. Nach Schaeder (Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, S. 42) verrät der Aufsatz mehr das eigene Anliegen Bubers, als dass er Böhme gerecht wird: die Welt wird als ein »Rätsel« verstanden, der Mensch als ein »hoffnungslos Einsamer« (vgl. auch die von Schaeder festgestellte Ähnlichkeiten mit der Legende des Baalschem bei den jeweiligen Beschreibungen einer »mystischen Einheit des Menschen mit dem Weltleib« (Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, S. 59, wo verwiesen wird auf die Legende des Baalschem, S. 20-21: »Er ist der Bruder der Geschöpfe usw.«, im Abschnitt »Aboda: Von dem Dienste«.) Buber stellt eine dreiteilige Dynamik auf, die das Schicksal der »Täufer und Mystiker« (wie Böhme), der »Erlöser und Künstler« (wie Christus) und der »Erkennenden« (dafür wird kein Beispiel gegeben) umfasst. Böhme gehört für Buber zu denen, die das Ideal ahnen und bereiten, es aber nicht selber leben. Daraus ergibt sich die »sogenannte Unklarheit der Mystiker«, die auch Böhmes Schriften kennzeichnet und dem später an sie Herantretenden die Aufgabe, aber auch die Möglichkeit gibt, »die junge ringende Idee« zu erkennen. Aufgabe von Bubers Rede ist es, den Weg zu zeigen, dem bloßen Epigonentum der Erkennenden zu entkommen. Bei seinen Hörern und bei sich selbst erweckt Buber durch seine Überlegungen zu Böhme die Erwartung, die Umsetzung der geahnten Ideale des Mystikers Böhme in Tat und Leben messen zu können. Somit stellt er ihnen voller Hoffnung die Rolle der Erlöser und Künstler in Aussicht, dazu auch den Ausweg aus der Tragik, indem die neue Gemeinschaft solche Aufteilungen von Menschen durch eine Pluralisierung von Individuen ersetzen und durch »Ueberwindung der Gegensätze« sich selber erlösen soll. Die Tragödie Böhmes wird am Schluss der Handschrift noch

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ausdrücklicher genannt. Sein mutiges Wort über den Menschen als »Schöpfer seiner selbst« gerät nach Ansicht Bubers in Konflikt mit seinem Christenglauben und fällt schließlich diesem anheim. So dürfte wenigstens der Text, der mitten im Satz abbricht, den Anzeichen nach sich wohl fortgesetzt haben, wobei das letzte Wort, die Präposition »unter«, die Idee von einem Unterordnungszwang vorzubereiten scheint. Mit diesem Abschnitt will Buber anscheinend kritischer, als dies in der Druckfassung selber geschieht, den Punkt beleuchten, an dem Böhme für die Gesinnung der Neuen Gemeinschaftler seine Begrenztheit zeigt, wollen diese doch mit jeder Dogmatik, vornehmlich einer kirchlichen, endgültig Schluss machen. Im Aufsatz begegnet zum ersten Mal unter den in diesem Band gesammelten Schriften ein Hauptzug von Bubers Auffassung der Mystik: der Universalismus des mystischen Erlebens. Das Gefühl des Einswerdens mit der Welt findet Buber nicht nur bei Böhme, sondern auch bei Franz von Assisi (1181/82-1226) und in den Vedanta (gewöhnlich als Bezeichnung für die Upanischaden gemeint). In allen Glaubenstraditionen findet sich also im Grunde derselbe Gedanke. Diese Auffassung äußert Buber auch wenige Jahre später in einem Brief an Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) vom 15. März 1906: was Rabbi Nachman von dem Blick der »›ungeheuren Lichter und Geheimnisse, deren die Welt voll ist‹« sage, »ist doch eine eigentümliche Formel für den, Eckhart, den Upanischads und dem Chassidismus gemeinsamen Gedanken« (B I, S. 238). Auch in der Einleitung zu den Ekstatischen Konfessionen ist in einem Atemzug von »den Veden und Upanischaden, Midrasch und Kabbala, Platon und Jesus« die Rede, die auf je eigene Art alle auf dasselbe hinauswollen (»Ekstase und Bekenntnis«, in diesem Band S. 149; siehe auch MBW 2.2, S. 58). Bei aller Herausarbeitung des Spezifikums der jüdischen, christlichen oder irgendeiner anderen Glaubensweise erhält sich bei Buber bis ins hohe Alter durchaus die feste Überzeugung, dass allen Aussagen wahrer Religiosität ein Gemeinsames zugrunde liege. Die Eigenart des jeweiligen Mythos darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er immer wieder das Sinnbild des einen Erlebnisses ist. Später sollte Buber das im Aufsatz zitierte Wort von Feuerbach noch einmal aufgreifen und damit die eigenen Frühschriften einer Beurteilung unterwerfen. In »Zur Geschichte des dialogischen Prinzips« (1957), dem Nachwort zu Das dialogische Prinzip, steht Buber dem Satz nun viel kritischer gegenüber, und bezichtigt ihn des Überschreitens »ins Unbestimmte einer schlechten Mystik« und »eines anthropologischen Gottersatzes« (Martin Buber, Das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1962, S. 302). Der Standpunkt, den er de facto im frühen

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Aufsatz selber bezogen hatte, setzt er also im Nachhinein mit einem »scheinmystischen Atheismus« gleich (Ebd., S. 304). Hans Kohn zufolge stammen die zwei Anmerkungen des gedruckten Textes von der Redaktion der Wiener Rundschau (Kohn, Martin Buber, S. 388). Textzeugen: H: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 7); paginiert von 2 bis 12; S. 1 fehlt; das Manuskript bricht abrupt ab, was auf verschollene Blätter schließen lässt. Der Text des Erstdrucks hebt erst bei S. 3 der Handschrift an. D: Wiener Rundschau, hrsg. von Felix Rappaport, 5. Jg., Nr. 12, 15. Juni 1901, S. 251-253 (MBB 27). Druckvorlage: D Variantenapparat: Vorbemerkung: D lässt eine Passage zu Beginn des Textes aus. Die Auslassung wird von H nur teilweise bezeugt, weil die erste Seite der Handschrift fehlt: […] zu sein. Dadurch, dass sie diesem Form geben und es so der Menschheit vermitteln, d. h. es aus einem inneren Kampfe Einzelner zum Besitze aller machen, heben sie es auf. Es ist geworden, es ist tot, es stirbt mit ihnen. Mit Christus, der das Christentum lebt, hört dieses auf, Ideal zu sein; und Christi Tod bedeutet den Tod eines Ideals, das nun in den fertigen festen Besitzstand der Menschheit übergeht, nicht mehr als Ideal sondern als ein Moment der vollzogenen Entwickelung. Die Erkennenden haben zum Ideale selbst eigentlich keine Beziehung, sie haben mit ihm erst zu thun, wenn es aufgehört hat, Ideal zu sein. Erkennen nämlich bedeutet nicht ein inneres Verhältnis zur Welt- und Seelenbewegung, sondern nur das Einordnen von Wahrnehmungen: die Formung, Gruppirung und architektonische Verwertung dessen, was von aussen auf Einen eindringt. Während das Wesen alles Lebens im Werden liegt, und »ins Herz der Welt schauen« nichts anderes bedeutet als das Werden erfassen, hat die Erkenntnis es naturgemäss nicht mit dem Werdenden, sondern mit dem Gewordenen zu thun. Die Erkennenden erforschen und begreifen das erfüllte Ideal, die vergangene Entwickelung, und teilen es mit. Sie machen der Menschheit ihren Besitzstand bewusst, den die Täufer und Mystiker ihr bereitet, die Künstler und Erlöser ihr geschenkt haben. Bei den Erkennenden ist das Ideal Material geworden. In den Erfüllen-

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den [tritt] ! stellt es hsichi in seiner ganzen Reinheit [auf] ! dar, mit der Eindeutigkeit der That, sich vollendend und vernichtend. Bei den Ahnenden hingegen tritt es als ein chaotisches vieldeutiges Gefühlsleben auf, das widerstreitende Möglichkeiten in sich fasst; in organischer Ganzheit, d. h. mit den Träumen, Visionen, Krankheiten ei ner Persönlichkeit behaftet und verwoben, [von ihnen unlösbar]. Die sogenannte Unklarheit der Mystiker bedeutet eben diese seltsame Vermischung, aus der sich die junge ringende Idee nicht leicht herauserkennen lässt. Von ihnen allen gilt, was Maeterlinck von einem von ihnen, von Ruysbroeck, sagt, wenn er dessen Werk mit dem convulsivischen Fluge eines trunkenen, blinden und blutenden Adlers über Schneegipfeln vergleicht. [Aber diese ganze Dreiteilung ist vielleicht doch nur Historie, die Frage taucht auf, ob] In dieser Dreiteilung, in ihrer Notwendigkeit liegt eine grosse Tragik. Die das Ideal schaffen, können es nicht sagen; die es leben, müssen es töten; die es erkennen, denen lebt es nicht mehr. Aber all dies ist vielleicht doch nur Historie, und auch diese Tragik wird vielleicht in einer Ueberwindung der Gegensätze erlöst werden. Denn in dem Reiche, das wir bereiten, sollen die Gruppenunterschiede zu Gunsten der persönlichen Verschiedenheiten aufgehoben sein. Und aus dieser unserer Sehnsucht taucht die Frage auf, ob dann die soeben ausgeführte Trennung seelischer Menschenklassen bestehen bleiben wird. Zur Beantwortung dieser Frage sollen meine Worte über Jakob Boehmeh, der ein Ahnender war,i beitragen. Wir wollen uns ansehen, was in uns aus seinen Ahnungen geworden ist, wie wir sie in unserem Leben und Thun entwickelt haben, und ich glaube, dass wir dabei über jenes tragische Schema hinauskommen werden. H 70,1 Grundproblem,] Grundproblem, dem sein bester Kampf und seine innerste Glut gilt, und H 70,2 Welt] Welt. Ein Mensch ist da, ein Ich, etwas Einziges, Unvergleichbares, unendlich Wertvolles, wunderbar Begrenztes; und dann ist das Andere da, das unbegrenzte Sein, an jedem Punkte unerfassbar; jeder Blick führt ins Uferlose, jeder Schritt in den Abgrund, und wer nach dem Wesen graben will, dem schleicht aus der Tiefe das stumme wahnsinnige Entsetzen entgegen. Zwei Mächte, eine durch die andere bedingt, und doch führt keine Brücke von der einen zur anderen H 70,3 Die] kein Absatzwechsel H 70,7 es.«] es«. / Dieses Problem ist auch für uns noch das wesentliche, der Knotenpunkt unserer Selbstbestimmung. Doch ist uns die Macht und die Seligkeit unseres Handelns in ganz anderem Maasse als den Menschen jener Zeit bewusst geworden; sie hebt uns über die Verzweiflung des grossen Zwiespaltes empor. Unsere einzige Welt ist das

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Gebiet unseres Schaffens, und diese Welt bleibt uns nicht entrückt, sie vermählt sich uns in jedem Augenblick. Wir sehen bei Boehme diese neue Lebensform sich vorbereiten. Alles, was er sagt, möge es Gott oder Natur, Kraft oder Liebe betreffen, will nur an seiner Versöhnung des Gegensatzes bauen, in der sich schon die unsere andeutet. H 70,11 Leib. Wir] Leib.« Was wir Gott nennen, ist nichts anderes als die Einheit der Naturkräfte, die ewige Energie, die wirkende Lebensidee. »Wir H 70,14 Nun ist es fraglich] Und nun ist es Boehmes Lebensfrage H 70,15 dasselbe] für ihn dasselbe H 70,15-16 w i e au s Go t t d er Mensch] nicht hervorgehoben H 70,17 Spieles] hervorgehoben H 70,21 in Schiedlichkeit] in Majestät als in Schiedlichkeit H 70,30 nur] erst ! nur H 70,32 Gott […] zu Gott wird] Gott [nur] ! erst durch die Weltschöpfung hund nur durch siei zu Gott wird H 70,35-36 unaufhörlich] in jedem Augenblick ! unaufhörlich H 71,4 Wirklichkeit] Wirklichkeit[, zu einem Existentialurteil] H 71,Anm.] fehlt H 71,15 die Kampf- und die Liebessehnsucht] den Kampf und die [Liebe] ! Liebessehnsucht H 71,18 Für Boehme] [Für Böhme bekämpfen sich die Dinge, weil] ! Für Boehme H 71,19 Beweg u ng] nicht hervorgehoben H 71,20 annimmt] annimmt [hKampf und Liebe sind nichts als Sehnsucht.i] H 71,23 Kampf] [Die Verschiedenheit und der Widerstreit] Kampf H 71,25 sagt] meint ! sagt H 71,29 Der] Absatzwechsel H 71,29 Persönlichkeit] Persönlichkeit, hlockt aus ihm das Eigene herausi H 71,32 offenbare] offenbare [auf dass das Mysterium Magnum in Schiedlichkeiten eingehe] H 71,35 Die] Absatzwechsel H 72,3 Kräfte.] Kräfte. »Wenn wir uns nur selber suchen und lieben, so lieben wir Gott: was wir uns selber unter einander thun, das thun wir Gott; wer seinen Bruder und Schwester suchet und findet, der hat Gott gesuchet und funden.« H 72,4 »… Der Mensch] »Das Wesen des Menschen – heisst es da – ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten [– eine Einheit] … Der Mensch H

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72,6 Feuerbach] Wir aber gehen weiter. Denn Feuerbach H 72,8 sehen. Wir aber stehen heute Boehme näher] sehen. [Für uns] ! Uns aber ist die Einheit von Ich und Du von vornherein gegeben und die Gemeinschaft ist uns nur ein Ausdruck dieser Einheit. Wir haben jene Verzweiflung des Zwiespaltes, [von der Boehme ausging] von Grund aus überwunden. Wir stehen in unserem Einheitsgefühl [Boehmen doch wieder näher als dem Feuerbach, und noch näher dem] näher H 72,10 dem Vedânta] einem modern individualisierten Tat twam asi H 72,18-19 mit dem Bestehen alles Individuellen] [die Grundvoraussetzung alles] ! mit dem Bestehen alles Individuellen H 72,23-24 Ha r mo ni e i n d iv i d u eller […] Tö ne] nicht hervorgehoben H 72,38 herüberwirkt] herüberwirkt [und in den Weltideen, von denen die N. G. ausgegangen ist, eine neue Form angenommen hat.] H 73,8 ei ne] nicht hervorgehoben H 73,14-15 wunderweite Weltgefühl] [wundervolle Lebensgefühl] ! wunderweite Weltgefühl H 73,38 Dinge] Dinge. [Jedes Wesen ist eine stille Welt mit ungeweckten Zauberländern, die ihrer Stunde harren.] Er kann von der angestammten Scheidung von Gut und Böse nicht los; aber er fühlt, dass »in der allergiftigsten Kraft, im inwendigen Grunde, ofte die grösste Tugend aus der innern Welt innen lieget.« – Für uns sind Gut und Böse nur Farben u. wechselnde Werte geworden, die Sinn und Wesen der Dinge nicht enthüllen, sondern verschleiern; Reste einer undifferenzirten Sprache, die sich mit unserem Thun nicht mehr decken. Uns ist auch das sogenannte Böse, wenn es nun ein Böses der Kraft und des Ueberschusses und nicht ein Böses der Schwäche und des Mangels ist, ein Keim von Werten, Befreiungen, Kulturschöpfungen und ein notwendiges Moment des aufsteigenden Lebens. Und ein jedes Wesen ist uns eine stille Welt mit ungeweckten Zauberländern, die ihrer Stunde harren. Es giebt nur Formwerte H 74,4 ist.« –] ist.« – So glauben auch wir, nur dadurch reicher werden zu können, dass wir uns verschwenden. Als die grösste und köstlichste Kraftersparnis gilt uns die königliche Hingebung unsrer Kraft. / Und endlich ist es für Boehme, weil das Individuelle keine besondere Seele sondern die stärkere Herausbildung einzelner Eigenschaften in einem Welt-Ich ist, nicht möglich, Seelenunsterblichkeit zu postulieren. Wenn er selbständig von der Seele spricht, so meint er nur das menschliche Weltgefühl, dem alle Fähigkeiten des Menschen unterthan sind, die individualisierte Weltseele. Von ihr sagt er: »Und so

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denn nichts Höheres ist als die Seele, so ist auch nichts, das sie kann zerbrechen; denn es ist Alles unter ihr und in ihr, sie ist ein Kind des [ganzen] Wesens aller Wesen; also ist sie geschaffen worden.« Von einer christlich specifischen Seele weiss er nur steife, dogmatische Worte hinzuschreiben. In Wahrheit glaubt er nur an eine Unsterblichkeit der Bewegung, die er sich freilich nach Christenart vorstellt. So sagt er vom jüngsten Tage: H 74,6-7 d ie Lu ft w i eder d a rstellen.«] die Luft wieder darstellen.« Diese Andeutung hängt in all ihrer Dürftigkeit doch schon mit jener Unsterblichkeit der Bewegung zusammen, an die wir glauben: als an das Fortleben des Schöpfers im Geschöpfe, das selbst wieder schaffend wirkt, das Fortleben des Künstlers im Werke, das selbst wieder neue Seelenthaten auslöst, das Fortleben des Bewegers in der Bewegung, die sich mitteilt und neue geformte Kräfte erzeugt. – / Es ist Boehmes Tragödie, dass sein Christentum einen unlösbaren Widerspruch in seine Anschauungen brachte, dass er, der das Wort zu sagen wagte: »Der Mensch ist der Schöpfer seiner selbst«, seine Sehnsucht nach freier persönlicher Bewegung unter [Der Text bricht ab.] H 74,Anm.] fehlt H Wort- und Sacherläuterungen: 70,3-4 Die Welt bleibt das Räthsel, […] fern und fremd ist.] Mögliche Anspielung auf Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über Monistische Philosophie, Bonn 1899, seinerzeit eines der populärsten Werke der evolutionären und materialistischen Erkenntnistheorie. Dass Buber schon damals Haeckel (1834-1919) kannte, geht aus Notizen zum Problem der Individuation hervor, die u. a. Auszüge aus Haeckel, Anthropogenie; oder, Entwickelungsgeschichte des Menschen. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Grundzüge der menschlichen Keimes- und Stammes-Geschichte, Leipzig 1874, enthalten (loses Blatt zum geplanten Teil über ›Goethe u. d. Problem [der Individuation]‹ ; MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 7). 70,5-7 »Wir finden, dass das Leben ein brennend Feuer sei […] erlischt es.«] Jakob Böhme, De triplici vita hominis, oder Vom dreyfachen Leben des Menschen, 1620, 1. C. 3. 70,9-13 »Auch siehst du […] als ein ungründlicher, ewiger Wille.«] Jakob Böhme, Mysterium Magnum, oder Erklärung über das erste Buch Mosis, 1623, 6. C. 1. Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 95 (zweiter Satz, mit anderem Wortlaut) bzw. S. 98 (erster Satz).

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70,20-24 »dass seine Kraft möge […] finden und empfinden.«] Jakob Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl, oder dem Willen Gottes über die Menschen, 1623, 2. C. 28. 70,27-29 »darinnen sie ihr Liebesspiel […] mit sich spielen«.] Böhme, Mysterium Magnum, 6. C. 3. 70,31-32 der seltsame Valentin Weigel] Nach einem frühen Entwurf der Dissertation sollte Valentin Weigel (1533-1588) in dem Abschnitt »Mystik« behandelt werden. Er kommt dann auch schließlich im gedruckten Text der Dissertation mehrfach vor, doch gleichsam als vernachlässigte Randfigur, dessen religiös gefassten Ideen Buber zufolge die eher systematischen Äußerungen Böhmes an die Seite zu stellen sind. 70,34 »Also stehet jetzo noch auf heute alles Ding in dem Schaffen.«] Jakob Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens, 1619, 23. C. 25. Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 99. 71,11-13 So sind wir nicht die Sclaven, […] in dem Schaffen«.] Arthur Schopenhauer, Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Eine philosophische Abhandlung, Rudolstadt 1813, sowie ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Leipzig 1859, 1. Bd, 1. Buch, S. 40 (›Die Vorstellung unterworfen dem Satz vom Grunde: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft‹), wo es heißt, dass »der Satz vom Grunde aber nichts Anderes als die allgemeine Form des Objekts als solchen ist, mithin das Objekt schon voraussetzt« (§ 7). 71,15-16 die alten, empedokleischen Mächte] Empedokles (um 495-435 v. Chr.), griech. Philosoph und Arzt, der zwei bewegende Kräfte annahm, die einander entgegenwirken: eine vereinigende (philóte¯s, Liebe) und eine trennende Kraft (neíkos, Streit). Zusammen mit den vier Urelementen oder Urstoffen (Wasser, Feuer, Luft, Erde) bilden sie die sechs Prinzipien, deren Zusammenhang das Weltgeschehen konstituiert. 71,25-29 »denn […] so dieses nicht wäre, […] nur selbst erhebet und mehr entzündet.«] Jakob Böhme, De signatura rerum. Das ist: Von der Gebuhrt und der Bezeichnung aller Wesen, 1622, 2. C. 2. 71,29-32 »Es ist in der Natur immer […] im Streite bewege und in sich offenbare.] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl, 2. C. 22. Buber reiht dieses und das nachfolgende Zitat aus Mysterium Magnum hier unmittelbar aneinander, so dass der Eindruck entsteht, es handle sich um ein einziges Zitat aus einer Schrift Böhmes. Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 100.

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71,32-35 Denn so nur einerlei Wille wäre, […] stehet alles Leben und Wachsen.«] Böhme, Mysterium Magnum, 40. C. 8. 71,36-72,1 »Ein jedes Wesen sehnet sich nach dem andern, […] empfahen sie einander in der Begierde.«] Jakob Böhme, Clavis (Schlüssel, das ist Eine Erklärung der vornehmsten Puncten und Wörter, welche in diesen Schriften gebraucht werden), 1624, § 25. 72,4-6 »… Der Mensch für sich […] – ist Gott.«] Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 62, S. 83. Buber zitiert den Satz ohne Hervorhebungen. Das Original lautet: »Der Mensch für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); der Mensch mit Mensch – die Einheit von Ich und Du ist Gott.« Dieselbe Stelle sollte viele Jahre später, im Nachwort zu Die Schriften über das dialogische Prinzip (1954, S. 288) wiederkehren. Nach »Du« wird ein Gedankenstrich auch in der Akademie-Ausgabe von Feuerbachs Werken gesetzt, die den Erstdruck wiedergeben soll (Feuerbach, Gesammelte Werke 9. Kleinere Schriften II (1839-1846), hrsg. von Werner Schuffenhauer, 3. Aufl. Berlin 1990, S. 339), tatsächlich fehlt er aber im Erstdruck sowie auch in der Erstausgabe der Sämtlichen Werke (Bd. 2, Leipzig 1846, S. 344) gänzlich. Die emphatische Ablehnung der Feuerbach zugeschriebenen »Realität des Unterschieds zwischen Ich und Du« (72, 7) macht deutlich, inwiefern dem jungen Buber Grundgedanken des späteren dialogischen Denkens noch fremd sind. 72,6-8 Feuerbach will die Einheit […] von Ich und Du« gestützt sehen.] Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 61, S. 83: »Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten – eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschieds von Ich und Du stützt.« In ausführlicherer Form zitiert als Teil der Notizen zu Bubers Dissertation bei Paul Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 86 f. Später wird Buber Feuerbach zu den Vordenkern der dialogischen Philosophie zählen; vgl. »Zur Geschichte des dialogischen Prinzips«, in: W I, S. 294, wo dasselbe Zitat angeführt wird. 72,8 Wir aber stehen heute Boehme näher als der Lehre Feuerbachs] Aus der religionsanthropologischen Sicht Feuerbachs entwerfen sich die Menschen selber ihre Vorstellung von Gott, in dem sie sich selbst, zur Spezies erhöht, auf den Himmel projizieren. Gott stellt somit eigentlich nur ein »bewußtloses Selbstbewußtsein des Menschen«, ein idealisiertes und angebetetes Bild von der menschlichen Spezies dar. Vgl. Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, Leipzig 1841, 1. Teil (Zitat auf S. 37). 72,10 Vedânta] eines der philosophischen Systeme des Hinduismus; der

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Advaita-Vedânta als die bedeutendste Richtung innerhalb des Vedânta führt die Welt auf ein einziges Prinzip zurück; der Erkenntnisprozess des Menschen besteht nach der Lehre des Advaita-Vedânta darin, die Einheit von individueller Seele und Weltseele zu erkennen. 72,19-21 »Nun aber […] ohne die andere nichts.«] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens, 11. C. 16. 72,25-29 »gleichwie eine Orgel […] gemacht ist«.] Böhme, De signatura rerum, 16. C. 3. Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 97. 72,35-36 »die Identität des Bewusstseienden und Bewussten«] Johann Gottlieb Fichte, Sonnenklarer Bericht an das grössere Publicum, über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie, in: Fichte, Sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. II., Berlin 1845, S. 382. 72,37 Renaissance-Lehre vom Mikrokosmus] Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 76, 85, 91 u. 98. 73,1-2 »Gott ist nicht abtheilig […] ganz offenbar«.] Jakob Böhme, De incarnatione verbi / Von der Menschwerdung Jesu Christi, 1620, 8. C. 7. Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 98. 73,5-10 »Wenn ich einen Stein […] und Centris«] Böhme, Mysterium Magnum, 2. C. 6. »Centris« hier als Dativ Plural von »Centrum«. Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 98. 73,13-14 »dass im Menschen […] im Menschen.«] Das Zitat vermengt zwei Quellen: Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl, 8. C. 41: »[…] daß im Menschen die ganze Creation lieget, und daß er sich hat aus der Temperatur in irdische Begierde und Bildlichkeit im Falle eingeführet, und daß der Spiritus Mundi in ihm mit seiner Schiedlichkeit offenbar worden ist.« Der zweite Satzteil stammt aus Jakob Böhme, Libri apologetici oder Schutz-Schriften contra Balthasar Tilken. Apologia II contra Balth. Tilken, 1621, § 297: »Ich trage in meinem Wissen nicht erst Buchstaben zusammen aus vielen Büchern; sondern ich habe den Buchstaben in mir: liegt doch Himmel und Erde mit allem Wesen, dazu Gott selber, im Menschen. Soll er denn in dem Buche nicht dürfen lesen, das er selber ist.« 73,16-18 Wenn ich eine Frucht […] mein Blut.] Anspielung auf Mk 14,22-24, Mt 26,26-28, wobei der Sinn der Bibelstellen pantheistisch umgedeutet wird. 73,19 einen jungen Baum] Die Ausdehnung des Einheitsgefühls auf Außermenschliches an dieser sowie an früherer Stelle (»Bäume, Vögel

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und Sterne«, S. 72) durch das Beispiel des Baumes nimmt vorweg, wie Buber Jahrzehnte später noch einmal auf das gleiche Beispiel zurückkommen sollte, um die Betonung der Möglichkeit einer Art echter Beziehung zu einem weder menschlichen noch tierhaften, naturhaftem Du anschaulich zu machen, die für Buber die »Vorschwelle« zur vollen Gegenseitigkeit darstellt, vgl. Nachwort zu Ich und Du (1957) in Das dialogische Prinzip, S. 125. Dazwischen liegen andere Beispiele, vor allem in Daniel, wo das Empfangen des Baumes mit der »gerichteten Kraft« des dadurch verwandelten Menschen »das Mysterium der Wirklichkeit« gewahren lässt; vgl. MBW 1, S. 186187. 73,27-31 »Es sei dann Sach’ […] und besitzen.«] Valentin Weigel, Der güldene Griff, alle Ding ohne Irrtum zu erkennen, Halle 1613, Kapitel 9 u. 15; Libellus disputatorius, das ist Ein Disputation-Büchlein, spöttlicher Weyse schamroth zu machen, und zu widerlegen alle Disputanten vmd Gelehrten, die wider das Liecht der Natur Studiren, und de vero modo cognoscendi nichts wissen, Newenstadt 1618, S. 42. Vgl. Zur Geschichte des Individuationsproblems, in diesem Band S. 93. 73,32-33 »Gott führet […] unsern Geist«.] Jakob Böhme, Epistolae theosophicae / Theosophische Send-Briefe, 1618-1624, 12. Brief, § 26. 73,40-74,4 »Die Sonne […] in sich selber ist.«] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl, 8. C. 14. 74,1 entzeucht] veraltet für »entzieht«. 74,4-7 »Alle Worte […] d a rstellen.«] Jakob Böhme, Psychologia vera, oder: Vierzig Fragen von der Seele, ihrem Urstande, Essenz, Wesen, Natur und Eigenschaft, was sie von Ewigkeit in Ewigkeit sei?, 1620, 30. C. 48.

Zur Geschichte des Individuationsproblems Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fertigte Buber seine Dissertation bei den Wiener Philosophieprofessoren Friedrich Jodl (1849-1914) und Laurenz Müllner (1848-1911) an. Im November 1903 reichte er sie bei der Philosophischen Fakultät der Universität Wien ein und erhielt schließlich im Juli 1904 sein Doktordiplom. Gegen die mit dem Schreiben einer Dissertation verbundene Aussicht auf einen akademischen Beruf sträubte sich Buber immer wieder. An seine Frau berichtet er Anfang August 1900 aus Berlin: »Die Dissertation ist mir vorläufig unmöglich, wie etwas Steifes. Ich tauge nicht zum Stundenmenschen.« (B I, S. 156) In einem Brief vom folgenden Jahr kommt seine Abneigung gegen die akademische Laufbahn

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noch deutlicher zum Ausdruck: »Du mußt verstehen, Liebste, dass dies eine Sache auf Leben und Tod ist. Es handelt sich einfach um meine Kunst: wenn ich mich gehen lasse, verkomme ich – das steht fest; dann kann ich mich als Privatdozent und überhaupt als anständiger Mensch weiter entwickeln; mit dem Machen von lebendigen Dingen ist es zu Ende.« (Brief an Paula Buber-Winkler vom 26. Juli 1901, in: B I, S. 159.) Diese Worte lassen keinen Zweifel daran, dass für ihn die Berufung zur Kunst eine Art Widerstand gegen das bürgerliche, allzu behagliche Leben der »Bildungsphilister« des vergangenen Jahrhunderts darstellt. Das Wort »Bildungsphilister« stammt aus der Philosophie Nietzsches (vgl. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen I. David Strauss der Bekenner und Schriftsteller, in: Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. III.1., hrsg. von Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Berlin u. New York 1972, S. 155-238, hier S. 161 ff.). Noch 1933 konnte Buber gegenüber Hugo Bergmann beteuern: »Ich habe mich nie um eine akademische Laufbahn bemüht, 1918/19 habe ich ein Ordinariat, das eine kühn gesinnte Fakultät [der Universität Gießen] dem Outsider zugedacht hatte, abgelehnt, und die mir angebotene Frankfurter Honorarprofessur für allgemeine Religionswissenschaft nahm ich nur deshalb an, weil dieses Fach bis dahin christlichen Theologen vorbehalten war und der Position daher eine grundsätzliche Bedeutung zukam.« (B II, S. 497) Dagegen beschäftigte sich Buber um die Jahrhundertwende weitaus freudiger damit, alten Sagenstoff in Form der Nacherzählung zu bearbeiten. »Diese feinen alten Sagen«, schreibt er in einem Brief von 1900, »kommen wie ein einziges Bilderbuch zu mir, […] so lieb und vertrauensvoll legen sie sich in meine Hand.« (B I, S. 156) Buber verstand sich damals in erster Linie als Künstler, womit er sich der damals allgemeinen Hochschätzung des genialen produktiven Menschen anschloss. In seiner Dissertation konzentriert Buber sich auf die Individuationsproblematik und versucht dabei gewisse charakteristische Interessen der Romantik weiterzuentwickeln: das Individuum, die Persönlichkeit, die Entfaltung eines Organismus nach dessen immanenten Gesetzen. Insofern verdient seine intellektuelle Ausrichtung den Namen Neuromantik, wobei allerdings hinzukommt, dass Buber diese Probleme im Rahmen der Mystik behandelt. Der sich bereits um die Jahrhundertwende anbahnenden Abkehr Bubers vom Idealismus kommt diese Wiederentdeckung einer frühneuzeitlichen mystischen und theosophischen Theorie des Individuums wie gerufen. Die Dissertation ist inspiriert von Diltheys Interpretation der Renaissance als einer Erneuerung und Wiedergeburt (vgl. Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, S. 37). Wichtig für Buber dürfte der An-

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satz Diltheys gewesen sein, der im frühneuzeitlichen Denken eine Abwendung von der metaphysisch-theologischen Denkweise des späten Mittelalters und damit eine Hinwendung zum immanent Menschlichen und Natürlichen sah (vgl. Martin Mulsow, Diltheys Deutung der Geisteswissenschaften des 17. Jahrhunderts. Revisionen, Aktualisierungen, Transformationen, in: Dilthey und Cassirer. Die Deutung der Neuzeit als Muster von Geistes- und Kulturgeschichte, hrsg. v. Thomas Leinkauf, Hamburg 2003, S. 53-68, hier S. 53). In Bubers Nachlass hat sich eine umfangreiche Abschrift Bubers aus einem der wichtigen Aufsätze (»Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert«) erhalten, in dem Dilthey seine These zu begründen versucht (MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 7, loses Blatt im Umfeld der Dissertation). Buber zufolge seien Nikolaus von Cues (1401-1464) und Jakob Böhme – die Dissertation weist mehrere Verbindungen zu dem Aufsatz über Jakob Böhme (1901) auf (vgl. im vorliegenden Band S. 70-74) – nicht allein pantheistische oder pandynamische Denker, sondern sie lieferten bereits sehr früh entscheidende Beiträge zur Entwicklung eines metaphysischen Individualismus. Schon zu dieser Zeit hätten sie eine erkennbare, wenn auch erst in Ansätzen entwickelte Theorie der »Persönlichkeit« entworfen – bei dieser Bemerkung stützt sich Buber auf seinen Lehrer Dilthey – sowie die transzendente Grundlage einer Ethik der Persönlichkeit, was dann später zu den ähnlich angelegten Theorien Schleiermachers und Ralph Waldo Emersons (1803-1882) geführt habe. Dies zeigt, dass es Buber darauf ankam, die Quellen des romantischen Individualismus ans Licht zu bringen, die in der deutschen Mystik zu finden seien. Versuchsweise deutet Buber eine gerade Linie vom Neuplatonismus bis zur Romantik an. Über eine bloß äußerliche Mikrokosmoslehre hinaus – wie sie dem neuzeitlichen Denken vielfach eigen war – scheinen Buber diese Denker bedeutungsvoll, weil sie den Individualismus ernst nehmen. Demzufolge vollziehen sie den weiteren, wichtigen Schritt zu einer Mikrokosmoslehre des »Allumfassens jedes Individuums«. Im Abschnitt über Cusanus spricht Buber von dessen Vertiefung der »alten Lehre vom Mikrokosmos […] deren Entwicklung mit der [Auffassung] des Individuationsproblems von Cusanus bis Leibniz eng zusammenhängt« (siehe in diesem Band, S. 85). Mikrokosmoslehre und Individuationsproblem, das Hauptanliegen der Dissertation, sind also für Buber aufs intimste miteinander verknüpft. Buber wendet sich bewusst gegen die erkenntniskritische Rezeption des Cusanus und die theologische Deutung Böhmes. Mit anderen Worten, er möchte den Gegensatz zwischen Erkenntnistheorie und Theologie in Frage stellen. Die einseitige Betrachtung der beiden Denker als Theoretiker

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und Theologen soll dadurch ausbalanciert werden, dass bei dem einen wie dem anderen der jeweils »bisher zu wenig beachteten Seite« mehr Gerechtigkeit widerfährt. Im Grunde führt diese Herangehensweise dazu, die intimen Verbindungen von theologischem und erkenntniskritischem Denken hervortreten zu lassen. Zu seiner Methode schreibt Buber im Vorwort: »Einige hermeneutische Kühnheiten mag die Notwendigkeit entschuldigen, aus der oft dunklen Sprache der beiden Denker, insbesondere Böhmes, die wahre Absicht herauszuarbeiten.« (Siehe in diesem Band, S. 77.) Damit bekennt er sich zu einem Ansatz, der mit den Quellen nicht nur wissenschaftlich, sondern auch schöpferisch, notfalls frei umgeht. Die Dissertation ist das Ergebnis umfassender Recherchen Bubers. Die Vorarbeiten lassen keinen Zweifel daran, dass die Behandlung von Nicolaus von Cues und Jakob Böhmes gerade einmal zwei Abschnitte einer dem Entwurf nach auf bis zu zehn Kapitel angelegten Arbeit zur Geschichte des Individuationsproblems ausmacht; die sollte das Denken über das Individuationsproblem von Aristoteles (384-322 v. Chr.) bis zu Leibniz verfolgen, wurde aber anscheinend nie geschrieben. Wie Buber im Vorwort bekennt, habe er auf eine vollständige Darstellung des Problems sowohl im geschichtlichen als auch im systematischen Sinn verzichten müssen. Wie das größere Werk ausgesehen hätte, ist einem im MBA enthaltenen Entwurf zu entnehmen. »Zur Geschichte des Individuationsproblems. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X.

Die griechische Philosophie bis zur Stoa. Die Stoa. Der Neoplatonismus Die Scholastik. Nicolaus von Cues. Paracelsus und die Paracelsisten, insbesondere J. B. van Helmont. Die spätere deutsche Mystik (Weigel und Boehme). Bruno. Leibniz. Die neuere Philosophie.« MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 7.

An diesem Aufriss fällt auf, dass Buber vorhatte, Böhme Seite an Seite neben dessem älteren Vorgänger Valentin Weigel zu behandeln. Selbst wenn Weigel innerhalb der Dissertation eine wichtige Rolle behält, so ist Böhme doch in der Endfassung unvergleichlich wichtiger geworden.

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Doch konstatiert Buber, dass Weigel seinen verdienten Platz in der Philosophie der Renaissance noch nicht zugewiesen worden ist: »Weigel ist bisher noch gar nicht in den historischen Zusammenhang der Renaissance-Philosophie eingefügt worden.« (In diesem Band, S. 92). So habe man auch den Einfluss Weigels auf Böhme weitgehend vernachlässigt. Neben dieser eher geschichtlichen Perspektive scheint Buber auch ein mehr begrifflich orientiertes Aufbauprinzip erwogen zu haben, das verschiedene Formen angenommen hat. »A. Individuation. Verschiedenheit Abgeschlossenheit Einheit. Bestand. Monad. Harmonie. B. Einheit u. Vielheit. Entfaltung. Entfaltung aus d. Welt. Einheit in d. Vielheit. Gott u. d. Natur. Zweck d. Verschiedenheit. Differenz u. diff. Form. Separator. Schaffen=indiv. Indiv. Gleichnis Gottes. Gott in jedem Dinge ganz. C. Das Indiv. als Mikrokosmus. Mikrokosmus (exon.) ” (d. Mensch) ” u. Schiedlichkeit ” u. organ. Form. ” u. indiv. Gestalt. Kampf der Individuen. D. Verwandte Probleme. Kraft u. Form (Dynamismus) Wesen d. Geistes (Wille) D. formende Seele D. Zeugungs-Symbol.« MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 7. Einen Eindruck von den zahlreichen, heute weitgehend vergessenen Autoren und den geistigen Strömungen, mit denen Buber sich während der

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Arbeit an der Dissertation beschäftigte, vermittelt eine tabellarisch geordnete Liste einiger zentralen Themenbereiche, die augenscheinlich Buber dazu dienen sollte, sich einen Überblick zu verschaffen: »Humanismus Ficinus Giovanni Pico Reuchlin Pomponatius Caesalpinus Taurellus Patritius Nicolius Petrus Ramus Vives«

Magie Kabbalah Roger Bacon G. B. Porta Agrippa Paracelsus J. B. van Helmont F. M. van Helmont

Skepsis Natur Montaigne Leonardo Charron Kepler Sanchez

Gesellschaft Machiavelli Morus Mariana Bodin Campanella

Mystik Eckhart Ruysbroek Thomas a Kempis Tauler Die Theologie Seb. Frank Weigel Böhme

Philosophie Cusanus Cardano Telesio Bruno

MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 7. Dementsprechend werden die Notizen, die aus einer Mischung von Abund Selbstgeschriebenem bestehen, in einige Hauptbegriffe eingeteilt, von denen folgende am wichtigsten sind: Gliederung Verschiedenheit Entfaltung Mikrokosmus Praeformation Natur Der Daimon Der Archeus Der Lebensgeist Zeugung Samen Form (Entelechie) Organismus Psychologie Zum Begriff des Archeus machte sich Buber besonders viele Notizen, die zwanzig durchnummerierte Seiten ausfüllen. Am umfangreichsten aber ist die Psychologie, die mit einer Fülle von abgeschriebenen Zitaten 53 oft enggeschriebene Seiten umfassen. Dabei dehnt sich die Lektüre auf weitere Themen und Autoren wie z. B. die spanische Mystik, Montaigne

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(1533-1592), Plethon (1355 oder 1360-1492) oder Johannes von Kreuz (1542-1591) aus, die in die Endfassung der Dissertation allerdings keinen Eingang fanden. Zu jenen Themen, über die er dann schließlich schrieb, stellte Buber gründliche Forschungen an. Das dürftige Ergebnis solcher Recherchen erwähnt er im Vorwort: »Die einschlägige Literatur glaube ich nahezu vollständig kennen gelernt zu haben. Insbesondere habe ich auch wohl nur Weniges von all dem vernachlässigt, was von theologischer Seite über Cusanus, Weigel und Böhme, von naturwissenschaftlicher über Paracelsus und die Paracelsisten geschrieben wurde, so geringe Ausbeute ich davon auch erwartete und fand.« (In diesem Band, S. 77). In der Tat bezeugen die zahlreichen Notizen zu Autoren und Themen, die später nicht behandelt werden, dieses Missverhältnis zwischen Aufwand an Quellenforschung und dem, was in der Dissertation selbst angesprochen wird. Unter den Notizen finden sich beispielsweise Hinweise auf Goethe. Obwohl er in der Dissertation überhaupt nicht erwähnt wird, geht daraus hervor, dass Goethes Beeinflussung durch die Mystiker, insbesondere Agrippa (1486-1535) und Bruno (1548-1600), Buber faszinierte. Die Dissertation zeugt nachdrücklich von Bubers frühem Interesse an der Mystik, die er in erster Linie als eine Art »persönlicher Ekstase« auffasst. Buber geht es vor allem um die Psychologie des Mystikers. In seinen Darstellungen überragt dieser Aspekt jedes Interesse an der mystischen, theosophischen oder gar theologischen Lehre eines Denkers. Buber ist in späteren Jahren im Kontext seiner Beschäftigung mit der chinesischen Philosophie noch einmal auf das Individuationsproblem zurück gekommen. Vgl. die Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s Tao-te-king, in: MBW 2.3, S. 227-280, besonders S. 234 ff. In seinem Aufsatz »Zu einer Stelle aus Martin Bubers Dissertation« (1928) hebt der Freund und Mitherausgeber der Bibelübertragung Franz Rosenzweig die frühe in der Dissertation getroffene Bestimmung des Verhältnisses von (göttlicher) Einheit und (weltlicher) Vielheit, die am Beispiel von Cusanus und Böhme dargestellt wird, vom späteren Standpunkt des dialogischen Denkens ab. Neigte Buber in der Dissertation noch zur monistischen Annahme einer Immanenz Gottes in einer sich entwickelnden dynamischen Welt, womit das Verhältnis von Einheit und Vielheit zum Problem wird, so fand der ältere Buber auf seinen Gedankengang als »werdende[r] Denker« eine neue Antwort. Rosenzweig hält fest: »Einst wird der Verfasser von ›Ich und Du‹ durch den ganzen Begriffszaun Immanenz-Transzendenz durchbrechen ins Freie der wirklichen Beziehung, des Ansprechens und Angesprochenwerdens. Wer mich anspricht, muß

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mir, eben um es zu können, zwar ›transzendent‹ sein und wird mir eben durch die Ansprache ›immanent‹.« (Franz Rosenzweig, Zu einer Stelle aus Martin Bubers Dissertation, in: Kleinere Schriften, Berlin 1937, S. 519 f.) Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Alef 2); dreiteilig, jeweils neu paginiert, insgesamt 34 Blätter; ohne Datum; versehen mit einem Titelblatt und zwei Zwischentitelblättern – »Beiträge zur Geschichte des Individuationsproblems. / Nicolaus von Cues. / Martin Buber« und »Beiträge zur Geschichte des Individuationsproblems. / Jakob Böhme. / Martin Buber«; enthält vereinzelte Korrekturen und Streichungen von Bubers Hand. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Alef 2a); 38 paginierte Seiten; mit einem Titelblatt versehen; vereinzelte handschriftliche Rechtschreibkorrekturen, vermutlich von fremder Hand; die in H enthaltenen griechischen Zitate fehlen. d1: Teilabdruck (in diesem Band: S. 67,28–69,5); in: Aus unbekannten Schriften. Festgabe für Martin Buber zum 50. Geburtstag, Berlin: Lambert Schneider 1928, S. 240-244 (MBB 359). Druckvorlage: H Variantenapparat: 75,10 Vorgänger] Zeitgenossen ! Vorgänger H 75,23 Personalitäts-Ethik] individualistisch-universalistischen Ethik ! Personalitäts-Ethik H 76,9 bedeutet] bedeutet[, auch hebt dieser die Stetigkeit des Processes stärker hervor] H 77,8 Sprache] Ausdrucksweise ! Sprache H 80,25 System.] System.[; zwischen seinem noch durchaus scholastisches Gepräge tragenden cognitionistischen Pantheismus und dem existenzialistischen des Bruno liegen nicht nur 150 Jahre des Denkens, sondern der Abgrund eines Erwachens des Menschengeistes.] H 87,27 mit Spiegeln] [teils mit Augen] ! mit Spiegeln H 87,37-38 übertrifft] übersteigt ! übertrifft H 93,30-32 dass für die Philosophie des Mittelalters, die […] festhielt] dass für die Philosophie des Mittelalters, die [an der Transzendenz des Gott-Schöpfers] ! dass für die Philosophie des Mittelalters, die […] festhielt H daß für eine Zeit, die an der Transzendenz des GottSchöpfers festhielt d1

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94,7 pantheistischen Monismus] Pantheismus ! pantheistischen Monismus H 95,7 Hervorgang] Schöpfung ! Hervorgang H 95,13 ⁄swm€toi] berichtigt aus ⁄som€toi 98,12-14 zum Teil wird man dies zu den […] Widersprüchen Böhmes zählen dürfen, die […] nicht berücksichtigt werden können] [zum Teil aber ist es auf Böhmes Glauben an den vor- und nachweltlichen Gott, an die Rückkehr der Natur in Gott zurückzuführen, einen Glauben, der mit der Gleichsetzung von Natur und wirkend erkennendem Gotte nur in scheinbarem Widerspruch steht und von dem noch zu sprechen sein wird] ! zum Teil wird man dies zu den […] Widersprüchen Böhmes zählen dürfen, die […] nicht berücksichtigt werden können H 100,4 van Helmont] Paracelsus ! van Helmont H 101,7 dar,] folgt eine Fußnote vgl. Heraklits Zurückstreben der Vielheit der Dinge zur Einheit des Urfeuers. – TS Wort- und Sacherläuterungen: 75,21 (Arch. f. Gesch. d. Ph. IV.)] Wilhelm Dilthey, Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie IV (1891), S. 604-651, insbesondere S. 625 f. und V (1892), S. 337-400. 75,22 transscendentale] d. h. dessen, was der Erfahrung als Bedingung ihrer Möglichkeit notwendig vorausgeht. 76,4-6 »den Begriff einer Entwickelung […] der Idee,«] Kurd Lasswitz, Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton, Bd. 1: Die Erneuerung der Korpuskulartheorie, Hamburg u. Leipzig 1890, S. 264. »Entwickelung« Sperrdruck im Original; nach Lasswitz damit zusammenhängend ist der andere Gesichtspunkt der »Begriff der Weltseele, der allgemeinen innerlichen Belebtheit des Universums«. 76,14 Leibnizschen Stufenfolge] Nach Leibniz besteht die Welt aus unendlich vielen Kraftträgern, die für sich jeweils abgeschlossene, individuelle Seelen ohne Gestalt sind. In jeder von ihnen spiegelt sich das gesamte Universum, allerdings unterscheiden sie sich in der Deutlichkeit der jeweiligen Spiegelung. Hieraus ergibt sich für Leibniz die Vorstellung einer Stufenfolge aller Dinge. 76,Anm. 2 (Stud. u. Kritiken, I., 61-83)] Robert Zimmermann, Der Cardinal Nicolaus Cusanus als Vorläufer Leibnitzens, in: Studien und Kritiken zur Philosophie und Aesthetik, Bd. 1: Zur Philosophie, Wien 1870, S. 61-83; vorher bereits veröffentlicht in: Sitzungsberichte der

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philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Jahresband 8, Wien 1852, S. 306-327. 76,25 (vgl. W. a. W. u. V. I., 2. B., §. 29, II., 4. B., C. 47.)] Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I, 2. B. § 29, II. 4. B., C. 47. 77,1 (Syst. nouv. §. 16.)] Gottfried Wilhelm Leibniz, Système nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l’union, qu’il y a entre l’ame et le corps, in: Le Journal des Sçavans, Juni 1695, S. 294-300, § 16. 77,2-5 Tout esprit […] des créatures.] Gottfried Wilhelm Leibniz, Système nouveau de la nature et de la communication des substances, aussie bien que de l’union, qu’il y a entre l’ame et le corps, in: Ders., Die Philosophischen Schriften, hrsg. von Carl Immanuel Gerhardt, Berlin 1875-80, Bd. IV, S. 477 ff. (Nachdruck: Hildesheim 1960/61); Gottfried Wilhelm Leibniz, Neues System der Natur und Kommunikation der Substanzen (mit sämtlichen Erläuterungen), französischdeutsch, in: Leibniz, Philosophische Schriften, hrsg. von Hans Heinz Holz, Bd. 1: Kleine Schriften zur Metaphysik, Darmstadt 1996, S. 201319. 77,17 die Aufsätze Diltheys] Vermutlich: Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie IV (1891), S. 604-651 und V (1892), S. 337-400 (vgl. zu 75,21 oben) und Die Autonomie des Denkens, der konstruktive Rationalismus und der pantheistische Monismus nach ihrem Zusammenhang im 17. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie VII (1894), S. 28-91 (vgl. die Einleitung zu diesem Text, S. 281 in diesem Band). Der zweite Aufsatz wird auch in einem im MBA erhaltenen Literaturverzeichnis zur Dissertation angegeben (MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 7), dort zusammen mit dem Aufsatz Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus [nach seinem geschichtlichen Zusammenhang mit den älteren pantheistischen Systemen], in: Archiv für Geschichte der Philosophie XIII 4. Heft (1900), S. 445-482. 77,17 Euckens »Beiträge«] Rudolf Eucken, Beiträge zur Geschichte der neueren Philosophie, Leipzig 1886. 77,18 die Arbeit Robert Zimmermanns] Zimmermann, Der Cardinal Nicolaus Cusanus als Vorläufer Leibnitzens. 78,17-23 »Wenn sich der Mensch […] in ihrer Eigenschaft dasteht.«] Meister Eckharts mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer, Berlin 1903, S. 89 (Predigt 13 »Von der Einheit der Dinge«). 78,23-30 »Dieses Licht begnügt sich nicht […] die in sich selbst unbeweglich ist.«] Ebd., S. 89-90.

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78,34-79,1 »Man nehme eine brennende Kohle […] mich nicht schmerzen.«] Ebd., S. 60-61 (Predigt 7 »Vom innersten Grunde«). 79,6-9 Für die scholastische Philosophie […] kaum über das Gebiet der begrifflichen Construction hinaus.] Im Universalienstreit (9.-11. Jahrhundert), der von der Ideenlehre Platons (ca. 428-348 v. Chr.) ausging, geht es um die Frage, ob Allgemeinbegriffe wirklich existieren oder bloß menschliche Konstruktionen sind. Während die Realisten (u. a. Eriugena (ca. 810- ca. 877), Anselm von Canterbury (1033-1109), Thomas von Aquin (um 1225-1274)) den Begriffen ontologische Existenz beimessen, bestreitet die Gegenposition (u. a. Ockham (ca. 1287-1347), Roscelin (ca. 1050- ca. 1124)), der Nominalismus (von lat. nomen, Name), jede Existenz von solchen Allgemeinbegriffen und sieht darin lauter gedankliche Abstraktionen. Nach dieser Auffassung kommt allein den Einzeldingen Realität zu. Abaelard (1079-1142) und Duns Scotus (um 1266-1308) gehen etwas andere Wege, indem sie den starken Widerspruch auf je eigene Art zu vermitteln versuchen. 79,14 Stoa] griechische Philosophenschule, deren Name auf ihr erstes Lehrgebäude, ein Säulenhalle (Stoá Poikíle¯, griech. »bemalte Vorhalle, Säulenhalle«) auf der Agora in Athen zurückgeht. Die stoische Lehre beginnt mit Zenon von Kition (333-264 v. Chr.) an und reicht bis zu Marc Aurel (121-180). 79,16 Thomas] gemeint ist Thomas von Aquin, der als Hauptvertreter der scholastischen Philosophie des Mittelalters gilt. 79,Anm. 3 De ente et ess. 2. De princ. ind. 297 u. a.] Thomas von Aquin, De ente et essentia / Das Seiende und das Wesen, entstanden um 12521256, Erstdruck Padua 1475, Kapitel 2; ders., De principio individuationis, Entstehungszeit ungewiss. 79,19 ultima realitas] lat. für »höchste Realität«. 79,Anm. 4 vgl. hierzu Philos. Jahrb. 1888. S. 450. –] Franz Ignatius Jeiler, Die Lehre des hl. Bonaventura über die Natur der körperlichen und geistigen Wesen und ihr Verhältnis zum Thomismus von Dr. Joseph Krause, Rezension in: Philosophisches Jahrbuch Jg. 1888, S. 439-452; die einschlägige Stelle findet sich auf S. 451 (von Buber fälschlich mit S. 450 angegeben): »Diese differentia individualis ist nach S co t u s nichts als die ›ultima realitas entis omnino incommunicabilis et indivisibilis‹ [die letzte Wirklichkeit des Seienden ist vollkommen unvermittelbar und unteilbar], die jedes wirklich Existirende, also auch die Materie an sich, die Form und das Compositum begleitet und selbst formaliter das Princip der Individuation ist.« Scotus führte den Begriff der distinctio formalis (»formaler Unterschied«) ein, nach der es

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in der Natur, noch bevor sie wahrgenommen wird, sowohl das Einzelding (Individuum) als auch seine Artnatur gibt. Diese beiden stellen formal verschiedene Gegenstände dar. Demzufolge beruht die Gemeinsamkeit von Einzeldingen nicht erst auf der Erkenntnis, sondern ist bereits in der Natur enthalten. 79,19-20 contingens] lat. für »etwas Mögliches, aber nicht Notwendiges«; philosophisch fasst der neuzeitliche Terminus, der auf Boethius (ca. 485-524) zurückgeht, Unterschiedliches zusammen: u. a. das Geschehende, das Mögliche und das nicht Notwendige. 79,Anm. 5 quaelibet res eo ipso quod est, est haec res. –] lat. »dadurch, dass es existiert, ist alles Reale individuell«, Wilhelm von Ockham, zitiert bei Gabriel Biel, Collectorium in 4 libr. Sent. I, d. 2, qu. 6, C concl. III, ed. Basilea 1508, Jacobus de Pfortzen. 79,28 Der Laplace’sche Weltgeist] In seiner 1814 erschienenen Schrift Essai philosophique sur des Probabilités beschreibt Laplace (1749-1827) einen allwissenden Weltgeist, der aufgrund einer gegebenen Formel alle Weltereignisse der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft kennt und überblickt. 80,4-5 Fiorentino (Il rinascimento filosofico nel quattrocento. p. 111.)] Francesco Fiorentino, Il risorgimento filosofico nel quattrocento, Napoli 1885, S. 111. 80,5-6 Spaventa (Saggi di critica filosofica, 2. ed., p. 23.)] Bertrando Spaventa, Saggi di critica filosofica, politica e religiosa, 2. Aufl. Napoli 1886, S. 23. 80,22-23 ex diversitate […] (De coniecturis II. 8.)] »Die Individuen müssen also auf Grund der Unterschiedlichkeit von Nahrung und Standort verschieden sein.« Nikolaus von Kues, De coniecturis/Die MutMaßungen, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften, Bd. II, hrsg. von Leo Gabriel, übers. von Dietlind u. Wilhelm Dupré, Wien 1964, S. 129. 80,29 Pandynamismus] die Lehre, die die Welt als Aktivität und Zusammenspiel von Kräften versteht. 80,30-31 Falckenberg, Grundzüge der Philosophie des N. C.] Richard Falckenberg, Grundzüge der Philosophie des Nicolaus Cusanus mit besonderer Berücksichtigung der Lehre vom Erkennen, Breslau 1880. 80,31-33 den historischen Zusammenhang […] darzustellen versucht)] Karl Lamprecht, Pandynamismus, in: Die Zukunft, 10. Jg., 39. Bd., 5. April 1902, S. 57-70. 80,41-81,1 (Grundbegriffe der Gegenwart, p. 201.)] Rudolf Eucken, Grundbegriffe der Gegenwart historisch und kritisch entwickelt, 2. Aufl. Leipzig 1893, S. 201.

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81,3-4 epistolae 113,13 […] et imparia] Seneca, Epistulae morales, Liber XIX, 113,16. Buber gibt hier fälschlicherweise Vers 13 anstatt Vers 16 an. Zudem muss es am Schluss heißen: »et inparia«. Übers.: »Verlangt hat er [der Schöpfergott] von sich, daß verschieden und ungleich sei, was anders ist.« 81,5-6 Cicero, Acad. II. 26,85] Cicero, Academica II. (Lucullus), XXVI, 85: »Omnia dicis sui generis esse, nihil esse idem, quod sit aliud. Stoicum est id quidem nec admodum credibile, nullum esse pilum omnibus rebus talem, qualis sit pilus alius, nullum granum.« / »Du behauptest, alles gehöre je seiner Art an und nichts sei dasselbe, was ein anderes sei. Gewiß, das klingt gut stoisch – aber nicht besonders überzeugend: kein Haar sei in jeder Hinsicht so wie ein anderes Haar, kein Korn wie ein anderes.« Cicero, Akademische Abhandlungen. Lucullus, Text und Übersetzung von Christoph Schäublin, Hamburg 1995, S. 108-109. 81,17-18 Uebinger, […] Ztschr. f. Phil. 1893-1895] Johannes Übinger, Die philosophischen Schriften des N. C., in: Zeitschrift für Philosophie 1893-1895; vgl. Übinger, Die Gotteslehre des Nikolaus Cusanus, Münster u. Paderborn 1888; Übinger, Kleinere Beiträge. Zur Lebensgeschichte des Nikolaus Cusanus, in: Historisches Jahrbuch XIV 1893, S. 549561; Johannes Übinger (1854-1912) hatte 1903 bis 1911 den Lehrstuhl für Christliche Philosophie am Seminar I der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg inne, als Nachfolger von Adolf Dyroff (1866-1943). Er promovierte in Würzburg über die Philosophie des Nikolaus Cusanus (Würzburg 1880); später veröffentlichte er Die Gotteslehre des Nikolaus Cusanus und gab mehrere Werke des Cusanus in der Zeitschrift für Philosophie (1894-1896) heraus. 81,21-22 so II. 11 (nulla duo […] possunt simpliciter)] »daß […] es darum im Gesamt keine zwei Dinge gibt, die in allem vollkommen gleich sein könnten«. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften, Bd. I, hrsg. von Leo Gabriel, übers. von Dietlind u. Wilhelm Dupré, Wien 1964, S. 389. 81,23-24 (III. 1: ut nihil […] reperibilis est)] »Darum gibt es auch nichts im Gesamt, das sich nicht einer Einzigkeit erfreut, die in keinem andern gefunden werden kann«. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 429. 81,27 (das.)] »Principia enim individuantia in nullo individuo in tali possunt harmonica proportione concurrere sicut in alio, ut quodlibet per se sit unum et modo, quo potest, perfectum.« / »Die vereinzeln-

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den Prinzipien können in keinem Individuum in derselben harmonischen Verhältnisbeziehung zusammentreffen, wie in einem andern Individuum, so daß jedes Ding durch sich eins und auf die relativ beste Weise vollkommen ist.« Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/ Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 428-429. 81,28-29 quodlibet est […] oppositum (p. 129.)] »jedes [ist] sich selbst gegenüber das selbe und dem anderen gegenüber sehr entgegengesetzt«. Nikolaus von Kues, Dialogus de Genesi/Dialog über die Genesis, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 403. 81,35 principium indiscernibilium] Eigentlich principium identitatis indiscernibilium, lat. »Satz der Identität des Ununterscheidbaren«. 81,35-37 keine zwei Dinge […] dasselbe sein.] Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Metaphysische Abhandlung, 9. Teil: »Il s’ensuivent de cela plusieurs paradoxes considerables; comme entre autres qu’il n’est pas vray que deux substances se ressemblent entierement, et soyent differentes solo numero«. / »Hieraus folgen mehrere wichtige Paradoxa, so u. a., daß es nicht wahr ist, daß zwei Substanzen sich völlig gleich und nur der Zahl nach verschieden sind«. In: Gottfried Wilhelm Leibniz, Discours de Métaphysique, hrsg. u. übers. von Herbert Herring, Hamburg 1958, S. 18-19. 81,39-40 de venatione sapientiae (XXIII)] »Non possunt igitur plura esse praecise aequalia; non enim tunc plura essent, sed ipsum aequale.« / »Daher können nicht mehrere Dinge genau gleich sein; sie wären somit nicht mehrere Dinge, sondern das Gleiche selbst.« Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die Jagd nach der Weisheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 108-109. 81,41-82,2 quae illuminantur […] idem essent.)] »Was aber erleuchtet wird, kann nur Verschiedenes sein, weil Viele und Mehrere ohne Verschiedenheit weder Viele noch Mehrere, sondern das Selbe wären«. Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das Kugelspiel, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften, Bd. III, hrsg. von Leo Gabriel, übers. von Dietlind u. Wilhelm Dupré, Wien 1964, S. 299. 82,3 Falckenberg (a. a. O., p. 23.)] »In den Schriften der ersten Periode überwiegt das dialektisch-negative Element, in der mittleren Periode erobert sich das mystische die Herrschaft, um sie in der letzten mit einer auch die affirmative Theologie wider heranziehenden popularisirenden Tendenz zu teilen.« In: Falckenberg, S. 23 f. 82,6 doc. ign. II. c. 4.] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit. Buber gibt hier fast wörtlich wieder: »identitas universi est in diversitate sicut unitas in pluralitate«. Nikolaus von

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Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 340. 82,13-14 est enim individuum […] (de coni. II. 5.)] »Das Individuum ist nämlich gleichsam das Ende des Fließens der Elemente und der Anfang des Zurückfließens.« Nikolaus von Kues, De coniecturis/Die Mut-Maßungen, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 109. 82,20 de l. gl.] Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das Kugel-Spiel, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 221 ff. 82,20-21 Dann aber und hauptsächlich, […] (de ven. sap. XXII.)] »Singularitas igitur unius et boni maxima est, cum omne singulare necesse sit unum et bonum esse et ita in singularitate unius et boni complicari.« / »Die Einzigkeit des Einen und Guten ist daher die größte, weil notwendigerweise alles Einzelne das Eine und Gute ist, und so in der Einzigkeit des Einen und Guten eingeschlossen wird.« Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die Jagd nach der Weisheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 104-105. 82,21-23 Jedes Wesen ist […] erscheint (doc. ign. II. c. 2., u. and.)] Wörtliche Übersetzung von Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit II c. 2: »omnem creaturam ut talem perfectam, etiam si alterius respectu minus perfecta videatur«. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 328. 82,24 (de beryllo 10)] Nikolaus von Kues, De beryllo/Der Beryll, 10., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 12-15. 82,25 Per½ qefflwn ¤nom€twn] Peri theion onomaton/Die göttlichen Namen. Dem Dionysius Aeropagita (6. Jh.) zugeschriebene Schrift. Dionysius Aeropagita, Die Namen Gottes, Stuttgart 1988. 82,26 areopagitischen Schriften] Sammlung von Texten, die um 500-532 von einem unbekannten Autor niedergeschrieben und wohl irrtümlich dem in Apg 17,34 erwähnten Dionysius zugeschrieben wurden, den Paulus (ca. 10-65) durch seine Rede auf dem Athener Areopag bekehrt haben soll, daher Dionysius Areopagita, auch Pseudo-Dionysios genannt. 82,32 doc. ign. II. 10.] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit II 10., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 382 ff. 82,39-41 Mag dieses Selbstbeharren […] (de genesi p. 129.)] Vermutlich: »Sic cum calidum non-calidum ad sui identitatem vocat et frigidum non-frigidum ad suam vocat identitatem, oritur pugna, et ex hoc generatio et corruptio et quaeque talia temporalia, fluida, instabilia et

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varietas motuum. Iam vides unam omnium causam.« / »Und da das Warme das Nicht-Warme zur Selbigkeit mit ihm ruft und das Kalte das Nicht-Kalte, entsteht der Kampf und aus diesem Zeugung und Untergang und alles dergleichen: Zeitliches, Fließendes, Unbeständiges und Mannigfaltigkeit der Bewegungen. Schon siehst du den einen Grund von allem.« Nikolaus von Kues, Dialogus de genesi/Dialog über Genesis, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 402 f. 82,41-83,2 Und nur daraus, […] zahllosen Verschiedenheit darstellt (das.)] Vermutlich: »Pluralitas igitur, alteritas, varietas et diversitas et cetera talia surgunt ex eo, quia idem identificat. Hinc et ordo, qui est participio ipsius idem in varietate, hinc harmonia, quae idem varie repraesentat.« / »Vielheit, Andersheit, Mannigfaltigkeit und Unterschiedlichkeit und das übrige dergleichen entsteht dadurch, daß das Selbe Selbiges bewirkt. Darum gibt es auch die Ordnung, die die Teilhabe des Selben in der Mannigfaltigkeit bedeutet und die Harmonie, welche das Selbe mannigfach vergegenwärtigt.« Nikolaus von Kues, Dialogus de genesi/Dialog über Genesis, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 398-401. 83,9-10 quomodo Idem […] et adversa.] Vollständig: »Admiror quomodo idem ipse est omnium causa, quae adeo sunt diversa et adversa«. / »Ich staune darüber, daß eben das Selbe der Grund aller Dinge ist, die so verschieden und gegensätzlich sind«. Nikolaus von Kues, Dialogus de genesi/Dialog über Genesis, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 390 f. 83,13 deus sensibilis ist (de d. pat. lum. 2.)] »Deum omnium rerum nominibus et res omnes Dei nomine nominari, sic quod homo nominari possit deus humanatus, et hic mundus deus sensibilis, ut et Plato voluit«. / »daß Gott mit dem Namen aller Dinge und alle Dinge mit dem Namen Gottes genannt werden; so daß der Mensch ein menschgewordener Gott und diese Welt, wie es Plato wollte, ein sinnlicher Gott genannt werden kann«. Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichts, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 660-663. 83,16-18 Igitur omne […] (de quaerendo Deum, p. 294;] »Alles ist darum theos, der Ursprung, aus dem alles entströmt, die Mitte, in der wir uns bewegen und das Ziel, zu dem alles zurückfließt«. Nikolaus von Kues, De quaerendo Deum/Das Gott-Suchen, in: ders., PhilosophischTheologische Schriften II, S. 583. 83,18 So schon Scotus Eriugena de div. nat. I. 12.)] Johannes Scotus Eriugena, De divisione naturae, I. 12, in: Joannis Scoti opera quae supersunt omnia, hrsg. von Henricus Josephus Floss (= Patrologia Latina

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122, hrsg. von Jacques-Paul Migne), Paris 1853, S. 452-454, entstanden ca. 862-866. 83,19 d. ign. I. 4., II. 3.] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit I. 4, II. 3., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 204 ff. u. 330 ff. 83,19 de possest, p. 251. u. 266.] Nikolaus von Kues, Trialogus de possest/Das Können-Ist, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 267 ff. 83,20 de d. p. 1. II.] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichts, II., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 654 ff. 83,21 complicatio contradictoriorum (I. 22.)] »Et quoniam ex prioribus manifestum est Deum esse omnium complicationem, etiam contradictoriorum, tunc nihil potest eius effugere providentiam«. / »Aus dem Vorhergehenden ist offenbar, daß Gott die Einfaltung von allem, auch des Gegensätzlichen ist; darum kann nichts seiner Vorsehung entgehen.« Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 270271. 83,26-27 von Ferri in der Nuova Antologia 1872] Luigi Ferri, Nuova Antologia die scienze, lettere ed arti, VII, Florenz 1872. 83,Anm. 6 so übrigens schon […] non desinit.] Johannes Scotus Eriugena, De divisione naturae, III. 20, in: Joannis Scoti opera quae supersunt omnia, hrsg. von Henricus Josephus Floss (= Patrologia Latina 122, hrsg. von Jacques-Paul Migne), Paris 1853, S. 439-1022, Zitat S. 683 B, wobei dort an Stelle von »super omnibus« allerdings »super omnia« steht. 84,7-8 »Antevenit diversitatem, alietatem, oppositionem, inaequalitatem, divisionem«] »steht vor aller Verschiedenheit, Andersheit, Gegensätzlichkeit, Ungleichheit, Trennung«. Nikolaus von Kues, De coniecturis/ Die Mut-Maßungen, I. 7, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 19. 84,9-10 In Gott sind […] (de l. gl. I. p. 219.)] »Si bene cuncta capio, omnia sunt in Deo. Et ibi sunt veritas quae nec est plus, nec minus. Sunt ibi complicite et inevolute, sicut circulus in puncto. Omnia sunt in motu, sed ibi sunt ut evolvuntur, sicut cum punctus unius pedis circini super alio evolvitur.« / »Wenn ich alles recht begreife, ist alles in Gott. Und dort ist es die Wahrheit, die nicht mehr und auch nicht weniger ist. Es ist dort in eingefalteter und unentwickelter Weise wie der Kreis im Punkt. Alles ist in Bewegung, aber es ist darin so, wie es entwickelt wird, ähnlich, wie es der Fall ist, wenn der Punkt des einen

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Zirkelendes um das andere im Kreis entwickelt wird«. Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das Kugel-Spiel, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 268-269. 84,11 (de poss., p. 251.)] Nikolaus von Kues, Trialogus de possest/Das Können-Ist, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 267 ff. 84,14 (ven. sap. XXVII., doc. ign. II. 3.)] Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae, XXVII; Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, II. 3., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 330 ff. 84,16-17 magna enim […] id. de sap. I., p. 142] »Die nicht vervielfältigbare Unendlichkeit wird jedoch in jeweils verschiedener Aufnahme immer besser entfaltet«, Nikolaus von Kues, Idiota de sapientia/Der Laie über die Weisheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 447-449. 84,17-18 ähnlich de d. pat. lum. IV.] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, IV., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 666 ff. 84,21-22 Omnia quaecumque […] intellectualem (de d. p. lum. V.)] »Omnia enim quaecumque creata sunt, lumina quaedam sunt ad actuandam virtutem intellectualem«. / »Was auch immer geschaffen ist, sind Lichter, um die vernunfthafte Kraft in die Wirklichkeit zu versetzen«. Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 674-675. 84,29 (ven. sap. XXX.)] Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die Jagd nach der Weisheit, XXX., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 138 ff. 84,30 de quaer. D., p. 297] Nikolaus von Kues, De quaerendo Deum/Das Gott-Suchen, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 567 ff. 84,33 (ven. sap. XXX.)] Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die Jagd nach der Weisheit, XXX., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 138 ff. 84,Anm. 7 ähnlich Pomponazzi […] (De fato l. V. C. 9, ed. Bas. 1567. p. 1004.)] »Denn Gott schafft diese Mannigfaltigkeit aus der allgemeinen Vollkommenheit«. In: Petri Pomponatii philosophi et theologi doctrina et ingenio praestantissimi, Opera, hrsg. von Guilhelmus Gratarolus, Basileae: Ex officina Henricpetrina 1567, S. 1004. 85,9 (d. d. p. 1. IV.)] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, IV., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 666 ff.

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85,10-12 »dass die Participation […] Empfänger voraussetzt,«] Falckenberg, S. 29: »Dass die Participation nicht nur einen Spender, sondern auch einen vorher vorhandenen Empfänger voraussetzt, dass also das Dasein des Teilnehmenden nicht aus seinem Teilnehmen am Dasein, und die Unvollkommenheit des empfangenden Wesens nicht aus der Unvollkommenheit der Teilnahme erklärt werden darf, hat Nicolaus übersehen.« 85,13 mffqexi@] griech. für »Teilhabe«. 85,26-29 »Quis est igitur […] contingenter diversa« (d. ign. II. 2.)] »Wer könnte verstehen, wie die verschiedenen Geschöpfe an der einen unendlichen Gestalt auf verschiedene Weise teilnehmen, da das Sein des Geschöpfes nichts anderes sein kann als deren Widerschein, der in keinem andern positiv aufgenommen, sondern zufällig und verschieden ist?« Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 326327. 85,31-32 (omnia in omnibus […] sap. XVII.)] »alles [sei] in allem nach seiner eigenen Weise enthalten«. Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die Jagd nach der Weisheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 77. 85,35-36 von Proklus’ […] ed. Creuzer. III. 103.)] »Omnia sunt in omnibus; proprie vero sunt in unoquoque.«, in: Friedrich Creuzer (Hrsg.), Initia Philosophiae ac theologiae ex platonicis fontibus ducta sive procli diadochi et olympiodori in platonis alcibiadem commentarii, III: Procli successoris platonici institutio theologica, Frankfurt a. M. 1822, S. 152-153. »Alles ist in Allem, nach ihrer wahren Eigentümlichkeit sind sie auch in einem.« (Übersetzung D. G.) 86,5 (d. ign. II. 2.)] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, II. 2, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 322 ff. 86,5 contractio] lat. für »Zusammenziehung«. 86,6 contractio individualis (d. p. 1. I.)] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, I., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 646 ff. 86,7-8 in qualibet […] (d. ign. II. 5.)] »In jedem Geschöpf ist das Gesamt dieses Geschöpf«. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 345. 86,10-12 omnia in te […] (coni. II. 3.)] eigentlich: »Omnia enim universalia, generalia atque specialia in te, Juliano, iulianizant, ut harmonia in luto lutinizat, in cithara citharizat et ita de reliquis. Neque in alio

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hoc ut in te possibile est.« / »Alles Allgemeine, Gattungshafte und Eigengestaltliche ist in Dir, Iulianus, Julianus, so wie die Harmonie in der Laute Laute, in der Kithara Kithara ist, usw. Und in keinem anderen Ding kann es so sein wie in dir.« Nikolaus von Kues, De coniecturis/Die Mut-Maßungen, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 98-99. 86,15-16 (de filiatione Dei, p. 126] Nikolaus von Kues, De filiatione Dei/ Die Gotteskindschaft, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 609 ff. 86,17 (Ber. 5.)] Nikolaus von Kues, De beryllo/Der Beryll, 5., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 6-7. 86,21 (l. gl. II., p. 237] Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das KugelSpiel, II., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 285 ff. 86,23 (das. 234)] Ebd. 86,26 (das. 229)] Ebd. 86,29 (Ber.38)] Nikolaus von Kues, De beryllo/Der Beryll, 38., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 88-91. 86,30 (de mente III. 3.)] Nikolaus von Kues, Idiota de mente/Der Laie über den Geist, III. 3., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 500-505. 86,32 Monadologie] Die von Gottfried Wilhelm Leibniz begründete Lehre von den Monaden, d. h. den letzten Elementen oder Substanzen der Wirklichkeit. Die Monadologie bildet die zentrale Lehre in Leibniz’ Philosophie, dargelegt hat er sie in seinem 1714 erschienenen gleichnamigen Werk. Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie – Lehrsätze der Philosophie, Darmstadt 2009. 86,41 Begriffe des possest] possest, lat. Kontraktion von »posse« und »est«, »Potentialität« bzw. »Möglichkeit« und »Wirklichkeit«. 87,10 (d. i. I. 11.)] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, I. 11., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 228 ff. 87,17 sapientes] lat. (Pluralform von sapiens) für »die Weisen«. 87,25 (coni. II. 13.] Nikolaus von Kues, De coniecturis/Die Mut-Maßungen, II. 13., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 148 ff. 87,25 fil. D., p. 120., 125.] Nikolaus von Kues, De filiatione Dei/Die Gotteskindschaft., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 609 ff. 87,25-26 d. p. l. II., IV.] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, II., IV., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 654 ff. u. 666 ff. 87,26 ven. sap. XXIII.] Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die

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Jagd nach der Weisheit, XXIII., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 108-111. 87,26 l. gl. II.)] Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das Kugel-Spiel, II., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 285 ff. 87,28 (d. p. 1. II.)] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, II., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 654 ff. 87,33-34 universa ab invicem […] d. i. III. 1.] »[Daher] unterscheidet sich auch alles im Gesamt stufenweise voneinander, und [eigentlich: so daß] nichts koinzidiert mit einem andern.« Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., PhilosophischTheologische Schriften I, S. 423. 87,34-35 vgl. auch das. II. 8. […] magis potentia)] »Es treten […] Unterschiede und Abstufungen auf, durch die bedingt das eine mehr Wirklichkeit, das andere mehr Möglichkeit ist«. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., PhilosophischTheologische Schriften I, S. 367. 87,35-38 Kein Concretes kann […] von ihm übertroffen wird (das.).] Bei der Übersetzung Bubers wird der letzte Satzteil des Originals – ob aus Versehen, ob aus einem Missverständnis heraus – ins Positive gewendet: »ut nihil sit in universo, quod non gaudeat quadam singularitate, quae in nullo alio reperibilis est, ita quod nullum omnia in omnibus vincat aut diversa aequaliter, sicut cum nullo ullo umquam tempore aequale in quocumque esse potest.« / »Darum gibt es auch nichts im Gesamt, das sich nicht einer Einzigkeit erfreut, die in keinem andern gefunden werden kann, so daß kein Ding ein anderes in allem übertrifft oder das Verschiedene in gleicher Weise hervortreten läßt, wie es auch niemals mit irgend etwas anderem in irgendeiner Beziehung gleich sein kann.« Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, III. 1, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 428 f. In einer anderen Übersetzung heißt es: »so daß es nichts im Universum gibt, das sich nicht einer gewissen Einzigartigkeit erfreute, die sich in keinem anderen findet, so daß keines alles in aller Hinsicht oder Unterschiedenes in gleicher Weise übertreffe«. Nicolai de Cusa, De docta ignorantia/Die belehrte Unwissenheit, übers. von Hans Gerhard Senger, Hamburg 1977, S. 11. 87,39 (d. qu. D. p. 297] Nikolaus von Kues, De quaerendo Deum/Das Gott-Suchen, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 568 ff. 87,40 d. i. I. 7.] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende

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Unwissenheit, I. 7., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 214 ff. 87,40 gen. 128.)] Nikolaus von Kues, Dialogus de Genesi/Dialog über die Genesis, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 387 ff. 87,41 (l. gl. 219. 239.] Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das Kugel-Spiel, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 222 ff. 88,2 (d. i. III. 1.)] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, III. 1., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 420 ff. 88,3 coni. II. 16.] Nikolaus von Kues, De coniecturis/Die Mut-Maßungen, II. 16., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 172 ff. 88,12 (ven. s. XXIII.)] Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die Jagd nach der Weisheit, XXIII., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 108 ff. 88,37 Thomas (S. th. I. p. 2. a. 3.)] Thomas von Aquin, Summa Theologica I, p. 2, a. 3. 88,41 (d. p. 1. V.)] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, V., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 670 ff. 89,1 (d. i. III. 3.)] Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, III. 3., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 436 ff. 89,6 (gen. 136.)] Nikolaus von Kues, Dialogus de Genesi/Dialog über die Genesis., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 387 ff. 89,8 dat. V.)] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, V., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 670 ff. 89,9 (ven. XXXVIII., vgl. auch quaer. D. 297.)] Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae/Die Jagd nach der Weisheit XXXVIII, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 170 ff.; Nikolaus von Kues, De quaerendo Deum/Das Gott-Suchen., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 567 ff. 89,16 (gen. 135, vgl. auch l. gl. I. 220.)] Nikolaus von Kues, Dialogus de Genesi/Dialog über die Genesis, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 387 ff.; Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das KugelSpiel, I. 220., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 221 ff. 89,18 (de pace 13.)] Nikolaus von Kues, De pace fidei/Der Friede im Glauben, XIII., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 760 ff.

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89,22 (coni. II. 10)] Nikolaus von Kues, De coniecturis/Die Mut-Maßungen, II. 10., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 134 ff. 89,27 (coni. II. 16, ähnlich l. gl. I.)] Nikolaus von Kues, De coniecturis/ Die Mut-Maßungen, II. 16, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 172 ff.; Nikolaus von Kues, De ludo globi/Das KugelSpiel, I., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften III, S. 221 ff. 89,28 (coni. II. 10)] Nikolaus von Kues, De coniecturis/Die Mut-Maßungen, II. 10., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 134 ff. 89,40 (dat. V.)] Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, V., in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 670 ff. 90,2-3 »intellectualia autem sunt, […] ad ipsum;«] »Das denkende Sein aber ist das, durch welches das Niedrigere aus Gott entströmt und zu Gott zurückströmt.« Nikolaus von Kues, De dato patris luminum/Die Gabe vom Vater des Lichtes, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 672-673. 90,Anm. 8 Eucken (Die Lebensanschauungen 318)] Rudolf Eucken, Die Lebensanschauungen der grossen Denker. Eine Entwicklungsgeschichte des Lebensproblems der Menschheit von Plato bis zur Gegenwart, Leipzig 1890, S. 318. 90,12 (quaer. D. 297)] »Missus est a Deo in terram non ob aliud, nisi ut ardeat et crescat in flammam.« / »zu nichts anderem ist er von Gott auf die Erde gesandt, als daß er glühe und zur Flamme wachse«. Nikolaus von Kues, De quaerendo Deum/Das Gott-Suchen, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften II, S. 596-597. 91,9 Böhme-Biograph H. A. Fechner] Hermann Adolph Fechner, Jakob Böhme. Sein Leben und sein Schriften, in: Neues Lausitzisches Magazin 33 (1857), S. 313-446; 34 (1858), S. 27-138. 91,22-23 Harless (J. B. und die Alchymisten, insbes. S. 59. ff.)] Adolf Harless, Jakob Böhme und die Alchymisten. Ein Beitrag zum Verständniß J. Böhme’s. Nebst einem Anhang: J. G. Gichtel’s Leben und Irrthümer, Berlin 1870, S. 59 ff. 91,24 Peip (S. 7/8.)] Albert Peip, Jakob Böhme, der deutsche Philosoph, der Vorläufer christlicher Wissenschaft, Leipzig 1860, S. 7 f. 91,25-26 (vgl. Ritter, Geschichte der Philosophie X. 93. und 97] Heinrich Ritter, Geschichte der Philosophie, Zehnter Theil: Geschichte der christlichen Philosophie, Sechster Theil, Hamburg 1851, S. 93 u. 97. 91,27 die Biographen Weigels, Opel und Israel] Julius Otto Opel, Valentin Weigel. Ein Beitrag zur Literatur- und Kulturgeschichte Deutschlands im 17. Jahrhundert, Leipzig 1864; August Israel, M. Valentin Weigels

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Leben und Schriften. Nach den Quellen dargestellt, mit Weigels Bildnis und einer Nachbildung seiner Handschrift, Zschopau 1888. 91,31-33 cum quodlibet […] ut sint ipsum] De docta ignorantia II.5, 117: »Da jedes Ding verschränkt ist, kann keines in Wirklichkeit Alles sein; so verschränkt es Alles, auf daß Alles dieses selbst sei.« Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., Philosophisch-Theologische Schriften I, S. 345. 91,33-34 nullum contractum […] participare potest] De docta ignorantia III.1, 183: »Ein Verschränktes kann [also] am Grad der Verschränkung eines andern nicht genau teilhaben …« Nikolaus von Kues, De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit, in: ders., PhilosophischTheologische Schriften I, S. 423. 92,5 Schriften, ed. 1589/90, I. 216] Buber bezieht sich auf den ersten Band der sog. Huserschen Quartausgabe der medizinischen und philosophischen Schriften des Paracelsus (ca. 1493-1541), der ersten Gesamtausgabe der nichttheologischen Werke des Paracelsus, hrsg. von Johannes Huser, erschienen 1589 u. 1590 in Basel in 10 Bänden. 92,5 Wundarznei ed. 1591, S. 185] Paracelsus, Die große Wundarzney, Ulm, Augsburg u. Frankfurt a. M. 1536; Buber bezieht sich hier auf die Ausgabe Paracelsus, Chirurgische Bücher und Schriften, hrsg. von Johannes Huser, Basel 1591. 92,7-8 Jugendwerke J. B. van Helmonts, […] in artem medicam] Jan Baptista van Helmont, Le premier ouvrage (Eisagoge in artem medicam a Paracelso restitutam), hrsg. von Corneille Broeckx, Antwerpen 1854 (erstmals erschienen in: Annales de l’Académie Archéologie de Belgique 10 (1853), S. 327-392 und 11 (1854), S. 119-191). 92,10 Lasswitz, Geschichte der Atomistik I 301] Lasswitz, Bd. 1, S. 301. In seinen Notizen zitiert Buber folgende Stelle aus Lasswitz über Paracelsus: »Diese Archei sind die schaffenden Prinzipien oder wirkenden Kräfte (virtutes) in den Dingen, sie sind kei ne p ersö nli chen Gei s ter so nd er n Nat u r kräfte, wirken unbewusst und bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der stofflichen Elemente« (Meteor c. 4. VIII. p. 206). Zum Begriff des Archeus machte sich Buber zahlreiche Notizen, die aus einer gründlichen und weit ausholenden Lektüre schöpfen. Vgl. dazu auch die Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-Tse’s Tao-te-king, in: MBW 2.3, S. 227-280, besonders S. 236 f. 92,10-11 Sigwart, Kleine Schriften I. 46] Christoph Sigwart, Kleine Schriften, Bd. I, Freiburg 1881, S. 46. In Bubers Notizen findet sich folgender Auszug: »Wer hier die Verkündigung einer rein mechanisch-chemischen Betrachtung des organ.[ischen] Lebens sehen wollte, den

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dürfte man nur auf die Art verweisen, wie P.[aracelsus] die im lebend.[igen] Organismus wirkende Kraft in seinem ›Archäus‹ personificirt«. 92,11-12 Rixner und Siber, Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker I. 67], Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker am Ende des XVI. und am Anfange des XVII. Jahrunderts als Beyträge zur Geschichte der Physiologie in engerer und weiterer Bedeutung, hrsg. von Thaddä Anselm Rixner u. Thaddä Siber, 1. Heft: Theophrastus Paracelsus mit dessen Portrait, Sulzbach 1819, S. 67. In Bubers Notizen findet sich folgender Auszug: »Der Gang aber, den d.[ie] Natur geht bei d.[er] Hervorbringung eines Indiv.[iduums], ist der: Die ursprüngl.[iche] Materie … wird v.[on] d.[er] schaffenden Kraft (A.[rcheus]) … vorbereitet.« 92,12 Ritter, Geschichte der Philosophie IX 165] Heinrich Ritter, Geschichte der Philosophie, Neunter Theil: Geschichte der christlichen Philosophie, Fünfter Theil, Hamburg 1850, S. 165. In Bubers Notizen findet sich folgender Auszug: »Dadurch, dass H[elmont] in jedem Teile d.[es] lebend.[igen] Organismus eine ihm eigene tätige Lebenskraft, einen A.[rcheus] findet, welcher s.[eine?] eig.[ene] Materie sich bildet, u.[nd] mit den anderen durch einen allg.[emeinen] A.[rcheus] des ganzen Organ.[ismus] zur Einheit des Lebensprocesses zusammengehalten wird, dass er eine Vielheit d.[er] Lebenskräfte aber eine Einheit d.[er] Seele annimmt, zieht er eine Reihe v.[on] Gedanken zusammen, welche in d.[er] früheren Philos.[ophie] zerstreut dem neuen Monadensystem vorarbeiteten.« 92,12-13 Spiess, van Helmonts System der Medicin S. 45] Gustav Adolph Spiess, J. B. van Helmont’s System der Medicin, verglichen mit den bedeutenderen Systemen älterer und neuerer Zeit, ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte medizinischer Theorien; nebst der Skizze einer Theorie der Lebenserscheinungen im gesunden und krankhaften Zustande, Frankfurt a. M. 1840, S. 45. In Bubers Notizen findet sich folgender Auszug: »das mir aller Materie innigst verbundene, in ihr wirksame dynam.[ische] Princip. Selbst jeder Teil d.[er] unorgan.[ischen] Natur besitzt s.[einen] A.[rcheus], s.[eine] eigentüml.[iche] Kraft, durch die es seiner Natur gemäss wirkt.« 92,13-14 Delff in der Deutschen Biographie XI. 706] Hugo Delff, Johann Baptist von Helmont, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. XI, 1880, S. 703-707. In Bubers Notizen findet sich folgender Auszug: »(H.[elmonts] Briefe. XI. 706) Dazu kommt als eine wirkende u.[nd] regierende Kraft d.[er] ›A.[rcheus]‹. Derselbe ist nicht blind u.[nd; im Artikel steht anstatt »und« »noch«] leer, sond.[ern] er trägt in sich

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d.[ie] Idee od.[er] d.[as] Bild, d.[as] er nun v.[on] innen aus im Stoffe ausarbeitet u.[nd] entfaltet. D.[as] Bild ist also nicht etwas, das[s] d.[ie] bildende Kraft vor sich hat, nach dem sie arbeitet, auf das wie auf ein Endziel, einen Zweck sie es absieht, sond.[ern] es ist d[.ie] eigene innere Bestimmtheit, d.[er innere] Charakter dieser Kraft selbst.« 92,14-15 Lange, Geschichte des Materialismus, 3. Auf. S. 176. f.] Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, 3. Aufl. Iserlohn 1877, S. 176 f. In Bubers Notizen findet sich folgender Auszug: »P.[aracelsus], welcher die ›spiritus‹ […] anthropomorph gestaltet u.[nd] d.[ie] ganze Welt im Grossen u.[nd] Kleinen mit zahlosen Dämonen bevölkerte, v.[on] denen alles Leben u.[nd] alle Wirkung ausgeht.« 92,Anm. 9 Willmann, Geschichte des Idealismus III. 90] Otto Willmann, Geschichte des Idealismus, Bd. III: Der Idealismus und die Neuzeit, Braunschweig 1897, S. 90. 92,17-20 »vis et potestas animae […] Prag 1635, S. 418.)] Johannes Marcus Marci, Idearum Operatricium Idea sive Hypotyposis et detectio illius occultae Virtutis, quae Semina faecundat, & ex iisdem Corpora organica producit, Prag 1635, S. 418. Übers.: »Kraft und Macht der Seele, die durch ein ideales System zu lebhafter Wirkung begrenzt ist; ein ideales System ist eine Kette von Ideen, die aus der einen Wurzel eine Ordnung und eine Selbstbeziehung hat«. (Übersetzung D. G.) 92,21 Theosc. 3. C. 33.; 47. Sendbrief 11-31, insbes. 27] Böhme, Epistolae theosophicae / Theosophische Send-Briefe. 92,22 de test. Christi, Von der Taufe II. Buch, 3. C. 19] Jakob Böhme, De testamentis Christi / Von Christi Testamenten, 1623. 92,23 Clavis 111] Böhme, Clavis. 92,Anm. 10 Windelbands (G. d. Ph. S. 304)] Wilhelm Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Tübingen 1892, S. 304. 93,Anm. 11 Böhme, 3 Princ. 3. C. 9.] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 93,4-6 (»Von der seligmachenden […] Weigel-Biographie, S. 97. ff.)] Israel, S. 97 ff. 93,7-8 (Gebetbüchlein, C. 21.)] Valentin Weigel, Gebetbuch (Büchlein vom Gebet), Halle 1612. z. B.: »Jn einem körnlein Weitzen ist verborgen die Wurtzell, der Halm, die ähern mitt vill andern kornlein. soll nun der Weitze wachsen so mueß er Jn den Acker gesäet werden, vnd eben darumb wirt er gesäet, daß Jn Jhme solches alles verborgen ist. Das gesetz der vnwandelbahre Wille Gottes ist Jn vns zuuor, dannoch wirt es von Moyse Jn steinern Tafeln gebildet, vnd eben darumb ward

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es Jnn stainern Tafeln gebildet daß es zuuor in vnserm Herzen war.« Weigel, Schriften. Neue Edition, Bd. 4, hrsg. u. eingeleitet von Horst Pfefferl, Stuttgart 1999, S. 95 f. 93,8-9 (Der güldene Griff, C. 1.)] Weigel, Der güldene Griff. 93,14 Libellus disputatorius, ed. 1618, S. 42.] Weigel, Libellus disputatorius, S. 42. 93,20 (vgl. 3. Princ. 6. C. 1.)] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 93,22 (Aur. 21. C., 21/22)] Jakob Böhme, Aurora oder Morgenröthe im Aufgang. Das ist: Die Wurzel oder Mutter der Philosophiae Astrologiae und Theologiae, aus rechtem Grunde. Oder Beschreibung der Natur. Wie Alles gewesen und im Anfang worden ist, 1612 (erster vollständiger Druck: Amsterdam 1656). 93,27 (Vom 3fachen Leben 11. C. 105.)] Böhme, De triplici vita hominis, oder Vom dreyfachen Leben des Menschen. 93,Anm. 12 Paracelsus IV 264/5] Paracelsus, Werke, hrsg. von Johannes Huser (= Husersche Quartausgabe der medizinischen und philosophischen Schriften), Bd. IV, Basel 1589. 94,18-19 bis Duns Scotus […] es völlig ausschloss.] Scotus lehrte die strikte Unterscheidung von Philosophie und Theologie. 94,23-24 Agrippa (De occ. phil. I. 8. u. 11.)] Cornelius Agrippa, De occulta philosophia, Bd. 1, 1510. Cornelius Agrippa von Nettesheim, deutscher Polyhistor, vertritt in dieser Schrift eine neuplatonische, mit Alchemie, Magie und Mystik durchsetzte Philosophie. 94,24 Paracelsus (a. a. O. IV. 253] Paracelsus, Werke, Bd. IV. 94,24-25 Phil. ad. Athenienses I. Buch, 10.] Paracelsus, Philosophia ad Athenienses, drey Bücher (hier: Bd. 1), Cöln 1564. 94,28 Erkenne dich selbst II 16 ff.] Valentin Weigel, Nosce te ipsum. Erkenne dich selbst, 1615. 94,Anm. 13 (vgl. Erdmann, Grundriss I.)] Johann Eduard Erdmann, Grundriss der Geschichte der Philosophie, Bd. 1: Philosophie des Alterthums und des Mittelalters, Berlin 1866. 94,28 Stud. univ. G. 1. a.] Valentin Weigel, Studium Universale, 1618. 94,31 Der Güldne Griff c. 14. Erkenne dich selbst I. 13.] Weigel, Der güldene Griff; ders., Nosce te ipsum. Erkenne dich selbst. 94,32 Hegels Anmerkungen zu §. 564. der Encykl.] »Es liegt wesentlich im Begriffe der wahrhaften Religion, d. i. derjenigen, deren Inhalt der absolute Geist ist, dass sie geoffenbart und zwar von Gott geoffenbart sey. Denn indem das Wissen, das Princip, wodurch die Substanz Geist ist, als die unendliche für sich seyende Form das sebstbestimmende ist,

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ist es schelchthin manifestiren, der Geist ist nur Geist, in sofern er für den Geist ist, und in der absoluten Religion ist es der absolute Geist, der nicht mehr abstracte Momente seiner, sondern sich selber manifestirt«, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), = Hegel, Gesammelte Werke, Bd. 20, hrsg. von Wolfgang Bonsiepen u. Hans-Christian Lucas, Hamburg 1992, S. 549. 94,32-33 Baur, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit III 257 f.] Ferdinand Christian Baur, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Bd. 3: Die neuere Geschichte des Dogma, von der Reformation bis in die neueste Zeit, Tübingen 1843, S. 257 f. 94,36 Sendbrief IX. 14.] Böhme, Epistolae theosophicae / Theosophische Send-Briefe. 95,6 Albertus (Summa de creat. I. 1.)] Albertus Magnus, Summa de creaturis, Venedig 1498. 95,8 (3 Principien, 4 C. 55.)] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 95,11 (Myst. Mag. 6. C. 33.)] Böhme, Mysterium Magnum. Buber gibt hier einen falschen Vers an – es muss heißen: 6. C. 3.: »darinnen sich die Göttlichen Kräffte wieder in eine Formirung in einen äusserlichern Grad einführen«. 95,13 den lgoi spermatikoffl der Stoa] griech. für »Vernunftkeime«. 95,13-14 den ⁄swm€toi dun€mei@ Philons] griech. für »körperlosen Kräfte«. 95,14 den proorfflsmata des Eriugena] griech. für »Urgründe« (wörtlich: »Vorherbestimmungen«). »Formen, in denen die unveränderlichen Verhältnisse aller zu machenden Dinge, ehe sie sind, gegründet sind.« Gotthard Oswald Marbach, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Bd. 1.: Einleitung und Geschichte der griechischen Philosophie, Leipzig 1838, S. 236. 95,Anm. 14 De harmonia mundi (1525) 3,16.] Franciscus Georgius Venetus, De harmonia mundi totius cantica tria, Venedig 1525, S. LIIII: »Sunt igitur elementa in Deo seminaria rerum, & producendorum ideæ, & origines: In Angelis distributæ potestates: In cœlo, uirtutes quædam: In natura rerum semina: In mundo hoc inferiori crassiores formæ: Nisi enim essent elementares uirtutes in cœlo, quomodo ab eius influxu generarentur, & transmutarétur elementa hæc: ut quod nunc est aer in pluuia conuertatur«. 95,Anm. 15 »quot sunt in Archetypo […] rerum semina.«] »So viele

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Ideen und Einheiten in dem Archetyp sind, ebenso viele Kräfte kommen aus ihm hervor, oder Keime der Dinge.« (Übersetzung D. G.) 95,Anm. 15 Agrippa de occ. phil. I. 11.] Agrippa, De occulta philosophia, Bd. 1. 95,Anm. 15 Nova de un. phil. XXI (ed. Fe. 1591 f. 116.)] Francisco Patrizi, Nova de universis philosophia in qua aristotelica methodo non per motum sed per lucem et lumina ad primam causam ascenditur. Deinde propria Patricii methodo tota in contemplationem venit Divinitas. Postremo, methodo platonica, rerum universitas a conditore Deo deducitur, Ferrara 1591. 95,20 (3faches Leben, 5. C. 84)] Böhme, De triplici vita hominis, oder Vom dreyfachen Leben des Menschen. 95,23 (Gnad. 2. C. 20.)] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl. 95,Anm. 16 Paracelsus, Schriften IV 253] Paracelsus, Werke, Bd. IV. 95,Anm. 16 Phil. ad Ath. I. 1.] Paracelsus, Philosophia ad Athenienses, drey Bücher (hier: Bd. 1). 95,24 (3 Princ. 14. C. 61)] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 95,28-31 »Wir erkennen, dass Gott […] (Myst. Mag. V. 1.)] Böhme, Mysterium Magnum. Buber gibt hier einen ungenauen Zitatnachweis – es muss heißen: 6. C. 1. 95,33 (incarn. verbi II. T. 3. C. 3.)] Böhme, De incarnatione verbi / Von der Menschwerdung Jesu Christi. 96,1 (3 Princ. 14. C. 61)] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 96,13 (incarn. II. T. 3. C. 3)] Böhme, De incarnatione verbi / Von der Menschwerdung Jesu Christi. 96,18 Schopenhauers »Satz vom Grunde«, II. 8.] Arthur Schopenhauer, Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Eine philosophische Abhandlung, 2. Kap., § 8: »Daß er [Schelling] übrigens die ganze Fabel [vom Ungrund] aus Jacob Böhmes ›Gründlichem Bericht vom irdischen und himmlischen Mysterio‹ genommen hat, ist heutzutage bekannt genug: woher aber Jacob Böhme selbst die Sache habe und wo also eigentlich der Ungrund zu Hause sei, scheint man nicht zu wissen; daher ich mir erlaube, es herzusetzen.« In: Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke, hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen, Bd. III Kleinere Schriften, Darmstadt 1962, S. 5-189, Zitat S. 29. Schopenhauer schreibt die Lehre den Valentinianern zu. 96,23 noetisch] von griech. noe¯tós, »geistig wahrnehmbar«, die Noetik (Lehre vom Denken) betreffend.

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Einzelkommentare

96,24-25 3 Princ., 3faches Leben, sig. rer.] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens, ders., De triplici vita hominis, oder Vom dreyfachen Leben des Menschen, ders., De signatura rerum. 96,26 (Theosc., Gnad.)] Böhme, Epistolae theosophicae / Theosophische Send-Briefe, ders., De electione gratiae / Von der Gnadenwahl. 96,33 (Myst. Mag. 6. C. 3)] Böhme, Mysterium Magnum. 96,35-36 (Clavis 105.)] Böhme, Clavis. 96,37 (Myst. V. 2.)] Böhme, Mysterium Magnum. Buber gibt hier einen ungenauen Zitatnachweis – es muss heißen: 6. C. 2.: »So ist doch aber das wahre Göttliche Wesen (verstehet Wesen und nicht den Geist Gottes) anders nichts als der geoffenbahrte Verstand oder die Formirung der Kräfte«. 96,40 (Theosc. 3. C. 10.)] Böhme, Epistolae theosophicae / Theosophische Send-Briefe. 97,Anm. 17 Eriugena: »Deus itaque […] De div. nat. II. 28.] Johannes Scotus Eriugena, De divisione naturae, S. 862-866. »Gott kennt daher sich selbst nicht, was er sei, da er kein Was ist«. (Übersetzung D. G.) 97,8 (Gnad. 2. C. 20.)] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl. 97,11 (incarn. II. T. 3. C. 1.)] Böhme, De incarnatione verbi / Von der Menschwerdung Jesu Christi. 97,15 (Gnad. 2. C. 28.)] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl. 97,18 (incarn. II. T. 3. C. 2.)] Böhme, De incarnatione verbi / Von der Menschwerdung Jesu Christi. 97,29 (sig. 16. C. 3.] Böhme, De signatura rerum. 97,Anm. 18 (Enn. I. l. 1. c. 8.)] Plotin, Enneaden; erste vollst. dt. Übersetzung: Hermann Friedrich Müller (Hrsg.), Die Enneaden des Plotin, Berlin 1878-80. 97,30 (3faches L. 11. C. 106.)] Böhme, De triplici vita hominis, oder Vom dreyfachen Leben des Menschen. 97,34 (3 Princ. 11. C. 16.)] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 97,38 (sig. 16. C. 12.)] Böhme, De signatura rerum. 98,2 (Gnad. 3. C. 29)] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl. 98,Anm. 19 vgl. Eriugena: »non duo […] id ipsum.«] Johannes Scotus Eriugena, De divisione naturae III, S. 17 ff. 98,7 in der »Aurora« (23. C.)] Böhme, Aurora oder Morgenröthe im Aufgang.

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98,7-8 (sig. 8. C. 56.)] Böhme, De signatura rerum. 98,15-16 »Gott ist nicht abteilig, […] ganz offenbar«] Böhme, De incarnatione verbi / Von der Menschwerdung Jesu Christi, T. I C. 8, 7. 98,Anm. 20 Von der wahren theologia mystica.] Gottfried Wilhelm Leibniz, Von der wahren theologia mystica, in: Leibniz, Deutsche Schriften, hrsg. von G. E. Guhrauer, 2 Bde., Berlin 1838-40, Bd. 1, S. 410413. 98,Anm. 20 vgl. Peip, S. 158-179] Peip, S. 158-179. 98,26 (13. C. 9.)] Böhme, Mysterium Magnum. 99,1-2 (»das Ens aller Kreaturen […] Temperatur,«] Jakob Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl, 5. C. 29. 99,2-3 »alle Eigenschaften […] dem Menschen geoffenbaret«] Ebd., 7. C. 5. Buber gibt hier fälschlicherweise statt Vers 5 Vers 1 aus Kapitel 7 an. 99,3-4 »dass im Menschen die ganze Creatur lieget.«] Ebd., 8. C. 41.; eigentlich: »dass im Menschen die ganze Creation lieget.« 99,6 »II. Schutzschrift wider Balthasar Tilken«] Jakob Böhme, Libri apologetici oder Schutz-Schriften contra Balthasar Tilken. 99,6-7 »6. Puncta theosophica« […] 9. C. 34.] Jakob Böhme, Sex puncta theosophica. Oder: Von sechs theosophischen Punkten hohe und tiefe Gründung, 1620, 9. C. 34.: »Ein jeder Mensch trägt in dieser Welt Himmel und Hölle in sich; welche Eigenschaft er erwecket, dieselbe brennt in ihm, dessen Feuers ist die Seele fähig.« 99,Anm. 21 Paracelsus V. 158, IX. 29.] Paracelsus, Werke, hrsg. von Johannes Huser (= Husersche Quartausgabe der medizinischen und philosophische Schriften), Bd. V u. Bd. IX, Basel 1589/90. 99,18 3. Princ. 23. C. 25] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 99,18-19 ähnlich Myst. 11. C. 9.] Böhme, Mysterium Magnum. Die Stelle im 11. Kap., Vers 9, auf die sich Buber hier bezieht, lautet: »Denn wir können mit Wahrheit sagen: Daß das Verbum Fiat noch heute im Schaffen sey«. 99,20 (Myst. 7. C. 5.)] Böhme, Mysterium Magnum. 99,23 (sig. 8. C. 2.)] Böhme, De signatura rerum. 99,25 (Gnad. 3. C. 38.)] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl. 99,26-27 (so Theosc. 3. C. 18. 47. Sendbrief 11] Böhme, Epistolae theosophicae / Theosophische Send-Briefe. 99,27 Clavis 67.] Böhme, Clavis. 99,Anm. 22 Paracelsus, Phil. ad Ath. I. 10.] Paracelsus, Philosophia ad Athenienses, drey Bücher (hier: Bd. 1).

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99,30 Theosc. 3. C. 10.] Böhme, Epistolae theosophicae / Theosophische Send-Briefe. 99,Anm. 23 De test. Christi, Von der Taufe II. Buch 3. C. 19] Böhme, De testamentis Christi / Von Christi Testamenten. 99,33 (sig. 1. C. 15.)] Böhme, De signatura rerum. 100,Anm. 24 Windelband, Gesch. d. neueren Phil. I. 52] Wilhelm Windelband, Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften, 2 Bde., Leipzig 1878, Bd. 1, S. 52. 100,Anm. 24 van Helmont, Opera ed. Amst. 1652] Jan Baptista van Helmont, Opera omnia, Amsterdam 1652. 100,18-19 (Gnad. III. 22.)] Böhme, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl. Die von Buber zitierte Passage findet sich im 2. Kapitel – Buber gibt fälschlicherweise das 3. Kapitel an. 100,25 (3. Princ. 8. C. 40.)] Böhme, De tribus principiis / Beschreibung der Drey Principien Göttliches Wesens. 100,30 (Clavis 110.)] Böhme, Clavis. 100,31 Aufhebung] Bei dem Begriff handelt es sich um eine zentrale, formbestimmende Kategorie der Hegelschen Philosophie, in der drei Bedeutungen des Wortes zur Geltung kommen: Etwas in seiner Gestalt und geltenden Bestimmung zu verneinen und es hierbei aber zugleich als ein Moment zu bewahren, indem es auf eine höhere Stufe der Entwicklung gehoben wird. 100,32-33 »Also führet der Separator […] unendliche Vielheit entstehet.«] Ludwig Feuerbach, Geschichte der neueren Philosophie von Bacon bis Spinoza, Ansbach 1833, darin: IV. Jakob Böhme, § 51. Die sichtbare Natur und ihr Ursprung in ihren besonderen Gestalten. 100,34 empedokleischen Urkräfte] »empedokleisch«, von Empedokles (um 490 v. Chr.-430/420 v. Chr.): griech. vorsokratischer Philosoph, dessen Philosophie die Lehren der Eleaten und Heraklits (um 500 v. Chr.) verbindet: statt Entstehen und Vergehen gibt es nur Trennung und Mischung der vier Elemente (Feuer, Luft, Wasser, Erde); bestimmend dabei sind die von Buber hier erwähnten Urkräfte Liebe und Hass. 100,38 (3faches L. 7. C. 43.)] Böhme, De triplici vita hominis, oder Vom dreyfachen Leben des Menschen.

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Gustav Landauer

Gustav Landauer Sowohl in Landauers Beschäftigung mit der deutschen Mystik und insbesondere mit Meister Eckhart, sowie dem Begriff des Schaffens, der Bildung des Neuen vermittels der Zerstörung des Alten, ist eine Nähe zu Bubers eigenen Überlegungen gegeben (zur Beziehung zwischen Landauer und Buber vgl. die Einleitung zu diesem Band, S. 49 ff.). Die Idee der Ahnengemeinde, der in uns lebendigen Vergangenheit, kann auf den Einfluss von Landauers Skepsis und Mystik (1903) zurückgeführt werden, worin es heißt: »Wir sind die Augenblicke der ewig lebenden Ahnengemeinde.« (Landauer, Skepsis und Mystik, S. 15) Auffallend ist die besondere Bedeutung, die Buber der Musik zuspricht, was ebenso auf Landauer zurückgehen dürfte, der im dritten Kapitel von Skepsis und Mystik die Rolle der Musik gleichfalls hervorhebt. Die »Frage Raskolnikows, ob ein nichtsnutziges Leben der Erhebung eines wertvollen geopfert werden darf, (…) glühend und stürmisch« zu bejahen (ebd., S. 106), entspricht Bubers damaliger Ansicht von der Würde des Opferbringens, die zum Anfang des Ersten Weltkriegs noch deutlicher in den Vordergrund tritt. Diese Hochschätzung des Selbstopfers weist viele Ähnlichkeiten mit zeitgenössischen Tendenzen auf. Besonders in der Jugendbewegung, aber auch bei der künstlerischen Avantgarde begegnet immer wieder der Ruf nach einer Überwindung der bürgerlichen Halbheit, um endlich absolut leben zu können. Auch war der Hinweis auf Dostojewskij (1821-1881) unter solchen, die mit einer angeblich müde gewordenen Gesellschaft und einer bankrotten Kultur Schluss zu machen sich anschickten, durchaus gang und gäbe. Mehrfach findet sich in solchem Zusammenhang eine glühende Begeisterung für den russischen Schriftsteller, oft als Teil einer fast messianisch gesteigerten Erwartung, die Rettung des Abendlandes, dessen Untergang nicht nur von Oswald Spengler (1880-1936) angekündigt wurde, würde bald aus Russland kommen. Dabei wurden nicht selten in das russische Christentum übertriebene Hoffnungen gesetzt, und zwar nicht nur, wie man meinen möchte, von Christen, sondern auch von Juden. Der Artikel hat mit Landauers Aufsatz über Buber gemein, dass in beiden nach dem Ermessen des Autors die größte Leistung, die der Gewürdigte bringen könnte, noch ausstehe. Zum Schluss wendet sich darum der Blick auf Zukünftiges, zu Erwartendes. Geschätzt wird nicht nur das, was schon geleistet worden ist, sondern auch und vor allem das, worauf das Geleistete hoffen lässt. »Gustav Landauers Werk ist eine Verheißung« (in diesem Band, S. 107) schreibt Buber am Ende seiner Würdigung, was den Schlussworten Landauers verblüffend ähnelt: »Martin Buber ist ein kate-

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Einzelkommentare

gorischer und ungenügsamer Mann, wir dürfen ihm keinen Beifall spenden, dessen er sich schämen würde; wir wollen das Ganze und Äußerste, das Große und Hohe, das uns völlig Unbekannte, weil ursprünglich Seine von ihm erwarten und ihm sagen, daß wir es ihm zutrauen und daß er uns Teile davon, die aus der Ganzheit stammen, schon gegeben hat.« (Gustav Landauer, Martin Buber (1913) in: Gustav Landauer Werkausgabe, Bd. 3: Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hrsg. von Hanna Delf u. Gert Mattenklott, Berlin 1997, S. 162-170, Zitat: S. 170.) Textzeuge: D: Die Zeit (Wien), 11. Juni 1904, S. 127-128 (MBB 59). Druckvorlage: D Variantenapparat: 104,33 sich] ergänzt Wort- und Sacherläuterungen: 102,2-3 »Da war ich selbst, […] Ursache meiner selbst.«] Landauer, Meister Eckharts Mystische Schriften, Predigt 52, S. 109. Dieses Zitat hat Landauer als eines der Motti für die Eckhart-Übersetzung und als Motto für den Aufsatz »Durch Absonderung zur Gemeinschaft« (1901) gewählt. 102,37-103,1 seine zwei Aufsätze über den Anarchismus] Gemeint sind Landauers Aufsätze Der Anarchismus in Deutschland, in: Die Zukunft, 3. Jg., Heft 14 (5. Januar 1895), S. 29-34, und Anarchische Gedanken über den Anarchismus, in: Die Zukunft, 10. Jg., Heft 4 (26. Oktober 1901), S. 134-140. 103,10-11 Es ist Unfreiheit, der autoritären Gewalt die »freie« Gewalt entgegensetzen zu wollen;] Ebd., S. 135: »Und mindestens eben so verführerisch ist gewiß der Gedanke, der variiert tausendfach in der anarchistischen Literatur wiederkehrt: der autoritären Gewalt die freie Gewalt, die Rebellion des Individuums entgegenzusetzen.« 103,11-12 nie kommt man durch Gewalt zur Gewaltlosigkeit.] Wörtliches Zitat aus ebd., S. 136. 103,14-16 »wer der Welt die Freiheit bringen will […] aber kein Anarchist.«] Ebd., S. 136. 103,23-25 »Den nenne ich einen Anarchisten, […] Lebenskrise geknetet hat.«] Ebd., S. 137. Der vollständige Satz lautet: »Den nenne ich einen Anarchisten, der den Willen hat, nicht doppeltes Spiel vor sich selber

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aufzuführen, der sich so wie einen frischen Teig in entscheidender Lebenskrise geknetet hat, daß er in sich selber Bescheid weiß und so handeln kann, wie sein geheimstes Wesen ihn heißt.« 103,29-32 »Dem wird die Welt sein […] Da wird Anarchie sein.«] Ebd., S. 138. 103,39-104,4 es will als »Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik« […] genetisch gewesen sein mag.] »Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik« lautet der Untertitel von Gustav Landauers Schrift Skepsis und Mystik, Berlin 1903. Das Hauptwerk Fritz Mauthners, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3 Bde., Stuttgart u. Berlin 1901-1902, erfreute sich einer weiten Verbreitung und zählte zu den wichtigsten und meist diskutierten Ansätzen zur neuen sprachkritischen Wende innerhalb der Philosophie. Mauthner wurde von vielen der hervorragendsten Denker und Schriftsteller der Zeit rezipiert, u. a. Hofmannsthal, Wittgenstein (1889-1951), James Joyce (18821941), Samuel Beckett (1906-1989). Vgl. MBW 6, S. 28-43. 104,8 Egidy] Moritz von Egidy (1847-1898), Offizier und Pazifist. Auf Anregung Egidys, dessen Bekanntschaft er 1895 in der Arbeiter-Konsumgenossenschaft »Befreiung« machte, hatte sich Landauer in den Fall Ziethen eingeschaltet, was ihm schließlich nach dem Tod Egidys, der Hauptentlastungzeuge bei dem Revisionsverfahren war, am 21. 12. 1898 eine halbjährige Haftstrafe einbrachte, die er vom 18. 8. 1899 bis zum 26. 2. 1900 im Gefängnis Tegel absaß. Zu Egidy: Gustav Landauer, Ein Weg deutschen Geistes, in: Gustav Landauer Werkausgabe, Bd. 3: Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, S. 23-33, hier S. 46; Ders., Ernsthafter Fall und kuriose Geschichte, in: Ebd., S. 191-193. Der Kreis um Egidy brachte Landauer mit der Tradition völkischer Romantik in Verbindung. Zum Kreis gehörten u. a. Hermann Lietz (1868-1919), sowie Friedrich Schöll (1874-1967) und Bruno Wilhelmi (18651909), beides Befürworter der Gründung von autonomen, ländlichen Gemeinschaften. Insbesondere die Gedanken Egidys über Familie, Gemeinde und Volk als natürliche Gemeinschaften oder Körperschaften sowie über die Individualisierung als Voraussetzung jeder sozialen Revolution haben Landauer sehr beeinflusst; vgl. Lunn, S. 139-142; Mosse, The Crisis of German Ideology, London 1966, S. 111, 122, 160. 104,17-19 »baue mir eine neue Welt […] sondern nur eine Notwendigkeit,«] Landauer, Skepsis und Mystik, S. 16. 104,22-24 und das ist ein Begreifen der Welt […] ganzen Reichtum des persönlichen Seins.] Vgl. ebd., S. 17 f.: »An die Stelle der einen absoluten Welterklärung und der qualvollen vergeblichen Versuche, ihrer

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habhaft zu werden, treten Bilder der Welt, deren verschiedene ergänzend nebeneinander herlaufen können, Bilder, von denen wir wissen, daß sie nicht die Welt ›an sich‹, sondern die Welt für uns sind: eine Annäherung an das Jenseits unseres Ichs mit Hülfe unseres Ichgefühls«. Ebd., S. 107: »Nicht mehr absolute Wahrheit können wir suchen, seit wir erkannt haben, daß sich die Welt mit Worten und Abstraktionen nicht erobern läßt«. 104,27-30 Es gibt keinerlei Individuen, […] und ins Unendliche weiterreicht.] Vgl. ebd., S. 28-30. 104,30-34 Die Generationen sind nur der Wellenrhythmus […] von der Umwelt in sich selbst zurückzieht.] Vgl. ebd., S. 39-40; Landauer, Durch Absonderung zur Gemeinschaft, S. 58: »was wir sind, das sind unsere Vorfahren in uns, die in uns wirksam, thätig, lebendig sind, die mit uns sich an der Außenwelt reiben und wandeln, die aus uns heraus und mit uns zusammen in unsere Nachkommen wandeln.« 104,34-37 »Was der Mensch von Hause aus ist, […] ist unser Allerallgemeinstes.«] Landauer, Skepsis und Mystik, S. 37 f. Landauer, Durch Absonderung zur Gemeinschaft, S. 63. Statt »Eigentum« steht im Aufsatz allerdings »Eigengut«. 104,37-40 Ist das Individuum demnach eigentlich nur eine Metapher […] denn sie kann das Physische nicht fassen.] Zur Metapher vgl. Landauer, Skepsis und Mystik, S. 88-97. 105,1-2 Wohl aber können wir alles Räumliche […] als Sinnbild seelischen Vorganges.] Vgl. ebd., S. 108: »Der Raum muß in Zeit verwandelt werden.«; ebd., S. 111: »was wir als Äußeres wahrnehmen, muß uns etwas Psychisches bedeuten. […] diese körperliche Außenwelt ist uns nur noch ein Symbol, ein Zeichen für etwas, das gleicher Art ist mit unserem Seelenleben.« 105,5-8 so ist uns damit der Weg zu einer neuen Weltmetapher gegeben, […] die Intensität unseres Ichgefühls.] ebd., S. 120: »Wir müssen das Fremde zu unserem Eigenen machen, den Raum in Zeit verwandeln, die Extensität der äußeren Dinge muß uns ein Bild sein für die Intensität unserer Ichgefühle«. Zu den auf Kant folgenden neuen Metaphern vgl. ebd., S. 93-97. Vgl. auch die interessanten Bemerkungen: ebd., S. 121 f. über ein bei Kant vorkommendes »kühnes und mystisches Bild«. 105,8-9 In der Musik, der Formung des rein Zeitlichen haben wir schon die Vorahnung einer neuen Sprache.] Vgl. ebd., S. 127: die Musik »ist einer der Versuche des Kunstwissens, der Weltverinnerlichung, mit Hilfe qualitativ getönter Zahlenverhältnisse ein Bild der Welt als Psyche zu geben, eine Sprache zu schaffen für das Reich der Intensitä-

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ten«; auch ebd., S. 146, zur »Wortkunst«, die »Sprache, Sinnbild und Musik zugleich zum Sinnbild gestalten« könne. 105,Anm. 2 Zweite Ausgabe […] Leipzig (1903)] Erstdruck: Dresden u. Leipzig: Heinrich Minden 1893. Die zweite Ausgabe ist um ein Nachwort von Landauer erweitert. 105,36-37 »innerlichen Lachen und Aufbäumen«] Gustav Landauer, Der Todesprediger, 2. Aufl. Dresden u. Leipzig 1903, S. 109 (Ende des 2. Abschnitts): »Sowie er ein paar Sekunden gewartet hatte, kam ihm ein innerliches Lachen und Aufbäumen und ein fürchterlicher Nebengedanke, den er nicht abschütteln konnte. ›Mann gieb’s auf! Es ist alles falsch! Hat alles keinen Sinn!‹«. 105,37-38 seinen Absagebrief an den Sozialismus] Landauer, Der Todesprediger, S. 111-141. Der Brief bildet den dritten Abschnitt des Buches und erscheint unter dem Titel »Sendschreiben Karl Starkbloms an das Menschengeschlecht. Zugleich ein Absagebrief an den Sozialismus«. 105,39 Marguerite und den Sinn des Lebens lieb gewinnt] Anspielung auf die Oper Faust – der dt. Titel auch Margarete – des franz. Komponisten Charles Gounod (1818-1893), nach Goethes Faust I. 106,1-2 unter dem Titel »Utopien«] 6. Abschnitt, Utopien von Karl Starkblom. Meiner lieben Frau und dem kommenden Kinde gewidmet, in: Landauer, Der Todesprediger, S. 231-258. 106,Anm. 3 Egon Fleischel & Co., Berlin 1903.] 1923 erschien im Marcan-Block-Verlag zu Köln eine zweite Auflage, die um eine dritte Erzählung, »Der gelbe Stein« (1910), erweitert wurde. 106,15 zwei Novellen, die das Buch »Macht und Mächte« bilden,] Die zwei darin enthaltenen Novellen heißen »Arnold Himmelheber« (S. 1-134) und »Lebendig tot« (S. 135-238). 106,19-20 »Wir müssen uns selbst binden in dem Moment, wo wir alle Bande sprengen«] Gustav Landauer, Goethe. Zum 28. August 1899, in: Gustav Landauer Werkausgabe, Bd. 3: Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, S. 43-50, hier: S. 46. 106,23-25 und die Frage Raskolnikows, […] wird glühend und stürmisch bejaht.] Rodion Romanowitsch Raskolnikow, Hauptfigur in Dostojewskijs Roman Schuld und Sühne (1866). 106,27-28 »der sich wie einen frischen Teig in entscheidender Lebenskrise geknetet hat.«] Landauer, Anarchische Gedanken, S. 137. 107,27-28 »wer den Trieb festgestellt hat, der er sein will und der sein Leben ist«] Ebd.

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Jüdische Märchen Der Aufsatz entstand im Zusammenhang mit Bubers Arbeit am Chassidismus, insbesondere im Vorfeld der Abhandlung über Die jüdische Mystik (in diesem Band, S. 114-123), welche die Vorrede zu Rabbi Nachman darstellt. Es handelt sich um eines der frühesten Dokumente in diesem Band, die im Kontrast zum Chassidismus Bubers Charakterisierung des rabbinischen Judentums hervortreten lassen. Neben eine negative Darstellung eines »erstarrten« »offiziellen« Rabbinertums tritt die Anerkennung seiner einstigen, nicht wegzuleugnenden Größe. Diese Figur des Verfalls prägt auch Bubers Darstellung des Chassidismus und verleiht dem Ganzen eine ähnlich nostalgische Stimmung. Um die Jahrhundertwende zeigt sich eine Tendenz, die Entwicklung des osteuropäischen Judentums – das ab circa 1910 allgemein unter dem Stichwort »Ostjuden« beschrieben wurde – als eine Verfallsgeschichte zu charakterisieren. (Zum deutschen Ostjudenbild siehe Sander Gilman, Die Wiederentdeckung der Ostjuden; Aschheim; Maurer.) Für das deutsche Judentum wurde dies zur Notwendigkeit, um sich von dem damaligen Judentum Osteuropas abzuheben, insofern dieses als das Gegenteil einer akkulturierten religiösen Minderheit galt. Andererseits bestand auch der Wunsch, das herüberzuretten, was aus diesem Volk, namentlich aus seiner chassidischen Tradition, am wertvollsten schien. Die Konstruktion, welche beide Bestrebungen vereinigen sollte, verfährt in der Regel wie folgt: Nachdem man die Entstehung des Chassidismus aus größter Not und Leiden und die darauf folgende Blütezeit der ersten Generationen erzählt hat, geht man zur Darstellung seines Verfalls über, der mit dem starr gewordenen dynastischen Prinzip notwendigerweise einhergehe (vgl. in diesem Band »Die jüdische Mystik«, S. 122 f.). Eine Situation, in der das geistige Führertum auf Erbschaft beruht und die verschiedenen Dynastien miteinander konkurrieren, bringe zwangsläufig Korruption hervor. Wenn Buber dieses späte soziale Gebilde als »kirchlich-aristokratische Institutionen« bezeichnet (in diesem Band, S. 109), so folgt er darin nur dem damals geläufigen Diskurs. Das Urteil über die Distanz des späteren Chassidismus zum wahren Geist des Judentums drückt sich im kaum positiv gemeinten Beiwort »kirchlich« hinreichend deutlich aus. Der Text gibt des weiteren Auskunft über Bubers Verständnis der kulturellen Bedeutung des Jiddischen, das er gemäß dem damaligen Sprachgebrauch einmal »Jüdisch«, einmal »Jargon« nennt, dann wieder, neben Erwähnung des Hebräischen, einfach »jüdische Sprache«. Mehr als eine Art Volksdichtung, verdienten die jiddischen Erzählungen Rabbi Nachmans vielmehr den Namen »Prosadichtung« (in diesem Band, S. 110).

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Die starke Kontrastierung zwischen deutschem Tiefsinn und den leichtlebigen Südländern lässt sich auf Anschauungen der deutschen Romantik zurückführen. Solche Unterscheidungen waren Gemeingut einer damals geläufigen Einstellung, die an der »Zivilisation« anderer Nationen eine fehlende Tiefe bemängelte und der angeblich autochthonen, im Volk wurzelnden Kultur der Deutschen den Vorrang gab. Bei einem Vortragsabend 1907 im Berliner Bechsteinsaal zum Thema »Jüdische Märchen und Legenden« (Anonyme Rezension in: Berliner Börsen-Courier vom 11. Februar 1907) bringt Buber die in diesem Aufsatz entwickelten Gedanken zum Märchen mit der Idee der Legende zusammen, die sich während der Arbeit am Chassidismus, insbesondere an der Legende des Baalschem, zu kristallisieren begonnen hatte. Textzeuge: D: General-Anzeiger für die gesamten Interessen des Judentums, 4. Jg., Nr. 35, 27. August 1905, S. 5-6 (MBB 69). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 108,1 Vor einiger Zeit erschien in diesem Blatte ein Aufsatz, in dem die Behauptung aufgestellt wurde, es gebe keine jüdischen Märchen.] Offensichtlich irrt Buber sich hier in der Quellenangabe. Der Artikel von Isaak Herzberg (1857-1936) »Warum gibt es keine jüdischen Märchen?« erschien nicht im General-Anzeiger, sondern im Wegweiser für die Jugendliteratur, hrsg. von der Großloge für Deutschland VIII U.O.B.B. [Unabhängiger Orden Bne Briss], redigiert von Moritz Spanier, 1. Jg., No. 2, Mai 1905, S. 5-6. Darauf verweist auch Die Welt, 9. Jg. Nr. 22 vom 2. Juni 1905, S. 14. Auf den Aufsatz von Buber reagierte Herzberg noch einmal mit »Das ›jüdische‹ Märchen«, diesmal ebenfalls im General-Anzeiger für die gesamten Interessen des Judentums, 5. Jg., Heft 14 (8. April 1906), S. 2, und Heft 15 (15. April 1906), S. 5. Herzberg führt hier als Hauptgründe für die Ablehnung von Märchenliteratur an, dass Märchen den Glauben an zauberische Mächte kultivieren würden. Auf S. 2 verweist Herzberg auf den Aufsatz, den er zu diesem Thema schon veröffentlicht hatte: »In diesem Artikel bestritt ich die Existenz spezifisch jüdischer Märchen, d. h. solcher mit jüdischem Milieu, auch lehnte ich deren Existenzberechtigung mit Entschiedenheit ab. Meine Hauptgründe für diesen ablehnenden Standpunkt resultierten aus der Eigenart des Märchens überhaupt, dessen Wesen nach meiner Ansicht ist, daß es den Glauben an

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zauberische Mächte kultiviert, die in das Walten der ewigen Gottheit eingreifen.« Am Ende schreibt er, S. 5: »Wie bisher das jüdische Schrifttum dem Märchen den Eintritt versagt hat, so bleibe es ihm auch fernerhin verschlossen!-« 108,15 Das Fehlen einer Märchenliteratur hätte daher schwerlich volkspsychologisch erklärt werden können.] Die Völkerpsychologie, eine im 19. Jahrhundert noch relativ neue Wissenschaft, wurde von Moritz Lazarus (1824-1903) und Heymann Steinthal (1823-1899) begründet, später von Wilhelm Wundt (1832-1920) weiterentwickelt, dessen Veranstaltungen Buber während seiner Studienzeit besuchte (siehe MBW 1, S. 301 f.). Insofern die Völkerpsychologie, ihrer hohen Wertschätzung der Sprache gemäß, Sprachphilosophie und Psychologie in Verbindung setzte, dürfte sie als ein wichtiger Einfluss auf den jungen Buber betrachtet werden. 108,23 Man denke etwa an die Erzählung von Salomo und Asmodai.] Wie im Talmud erzählt wird, zwang König Salomo den Dämonenkönig Asmodai (hebr. Aschmedai), ihm zur Bearbeitung der harten Bausteine den Wurm Schamir zur Verfügung zu stellen (bGit 68a-b). 108,24-25 die spätere »Maaße«-Literatur […] Ich möchte etwa an die Geschichte von Rabbi Chanina und dem Frosch erinnern.] Das sogenannte Ma’assebuch (von hebr. ma’asse, »Geschichte«; jidd. majse buch, »Buch der Erzählungen«) erschien zuerst 1602 in Basel unter dem Titel Ajn schojn maasebuh von Jakob b. Abraham aus Mesritsch, hat aber eine jahrhundertelange Vorgeschichte der mündlichen Überlieferung. Die Erzählung von Rabbi Chanina und dem dankbaren Frosch (in einigen Rezensionen ist es ein Skorpion) bildet die 143. Geschichte. (Das Ma’assebuch. Altjiddische Erzählkunst. Vollständige Ausgabe ins Hochdeutsche übertragen, kommentiert und hrsg. von Ulf Diederichs, 2. verb. Auflage, München 2004, S. 349-360.) Jakob Meitlis, Das Ma’assebuch. Seine Entstehung und Quellengeschichte, Berlin 1933, S. 17, folgt Maier (Max) Grünbaum (Jüdisch-Deutsche Chrestomathie, Leipzig 1882, S. 385 f.) in der Vermutung, es handele sich bei dieser Geschichte anscheinend um ein west-östliches Märchen, dessen Hauptzüge wohl einem deutschen Märchen entsprungen seien, wenn auch der Held selber semitischen Ursprungs sei. 108,31-32 Es sind dies die »Sippure Maassijot« […] und eigenartigsten Bücher der Weltliteratur.] Sippure Maassijot heißen die ab 1806 von Rabbi Nachman von Bratzlaw (1772-1810) erzählten, 1815 in Berditschew erschienenen Geschichten. Die Sammlung enthält 13 Erzählungen und wurde zweisprachig veröffentlicht, das jiddische Original neben der hebräischen Übersetzung von Rabbi Nathan von Niemirow

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(1780-1845). Vgl. Rabbi Nachman’s Stories (Sippurey Ma’asioth). Translated with notes based on Breslover works by Rabbi Aryeh Kaplan, Jerusalem 1983. 109,10-11 A. S. Waldstein gibt in der Jewish Encyclopedia] A. S. Waldstein, Nahman B. Simhah of Bratzlav, in: Jewish Encyclopedia, Bd. 9, New York 1905, S. 144. 109,11-12 Gotthard Deutsch im Hebrew Union College Annual, Cincinnati 1904] Gotthard Deutsch, Memorable Dates of Jewish History, Hebrew Union College Annual Bd. 73, Cincinnati 1904, S. 380. 109,13-14 In den Jahren 1798–1799 unternahm er eine Reise nach Palästina] Vgl. Martin Cunz, Die Fahrt des Rabbi Nachman von Brazlaw ins Land Israel (1798–1799): Geschichte, Hermeneutik, Texte, Tübingen 1997; ders., Die Reise des Rabbi Nachman aus Brazlaw in das Land Israel, in: Frankfurter Judaistische Beiträge 25 (1998), S. 178-186. 109,24-25 posthum veröffentlichten »Reden« (Ssichot)] Rabbi Nachman von Bratzlaw, Sichot HaRan – eine Sammlung von Sprüchen und Weisheiten des Rabbi Nachman. Wieder veröffentlicht als Nahma¯n ˙ Ben-S´imha¯, Rabbi Nachman’s wisdom, Jerusalem 1973. ˙ 109,28 (eine Auswahl in Uebertragung bereite ich vor)] Martin Buber, »Worte des Rabbi Nachman«, in: Die Welt, 10. Jg., Nr. 49, 7. Dezember 1906, S. 11-12; Martin Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1906, S. 33-39. 109,32-33 in hebräischer und jüdischer Sprache veröffentlicht hat.] Gemeint ist auf Hebräisch und Jiddisch. 110,6-7 zwei oder drei bilden fremde, zumeist morgenländische Motive aus] Die Gleichsetzung von ›fremd‹ und ›morgenländisch‹ entspricht einer der bekanntesten Polaritäten in Bubers Denken. Im Gegensatz zu den westlichen, aus der griechischen Kultur stammenden Völkern Westeuropas sind nach Buber die Juden im Kern orientalisch; vgl. Martin Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 187-203. 110,22 Dubnow] Simon Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes. Von seinen Uranfängen bis zur Gegenwart, in zehn Bänden, Berlin 1928. 110,23 Berdyczewski] Der Born Judas. Legenden, Märchen und Erzählungen, gesammelt von M. J. bin Gorion [Micha Josef Berdyczewski], 6 Bde., Leipzig 1916-1923. 110,26-31 Weder Grünwald noch Wiener wissen von dem jüdischen Texte […] wohin diese Märchen – so viel folkloristisch Interessantes sie auch bieten – gewiß nicht gehören;] Buber meint hier wohl den Wiener Rabbiner Max Grunwald, der von 1898-1929 die Mitteilungen

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der Gesellschaft für jüdische Volkskunde herausgab. Das zweite Heft des Jahrgangs 1898 widmete sich dem Thema »Märchen und Sagen der deutschen Juden« und führte in einer allgemeinen Einleitung von Grunwald in die jüdische Märchentradition ein. Im gleichen Heft der Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde veröffentlichte der Philologe Leo Wiener (1862-1939) eine Sammlung »Aus der Russisch-Jüdischen Kinderstube. Abzählverse, Schmählieder, Humoristisches, Ammen- und Wiegenlieder«. Wiener hatte zuvor schon die Popular poetry of the Russian Jews (1898) und die Anthology of Russian Literature from the Earliest Period to the Present Time (1902-1903) veröffentlicht. Auf welche Bibliographie von Wiener sich Buber hier bezieht, konnte nicht eindeutig ermittelt werden. 111,6-7 Dann die urjüdische Erzählung von dem Stier und dem Widder] Vgl. Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, S. 43-52. 111,8 Talles] aschkenasische Aussprache der hebr. Bezeichnung Tallit, »Gebetsmantel«; »viereckiger, togaartiger Gebetüberhang oder Gebetmantel (ursprünglich ein orientalisches Obergewand), an dem die Schaufäden, Zizit (IV M. 15, 37) angebracht sind, und in den die Männer (mit Ausnahme der Unvermählten) sich beim Beten hüllen«, in: Martin Buber, Worterklärungen zu Die chassidischen Bücher, Hellerau: Jakob Hegner 1928, S. 685. 111,8 Tefillin] hebr. für »Gebetsriemen«. 111,36-37 dem nicht minder kranken und einseitigen jüdischen Wirtschaftsleben gegenüber] Vgl. Werner Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911. 112,1 Pilpulistik] Pilpul, abgeleitet von hebr. für »Pfeffer«; scharfsinnige talmudische Diskussionsweise, mit der Widersprüche im Text aufgelöst werden; in späterer Zeit herabsetzend für »Scheindiskussion« und »Haarspalterei« gebraucht.

Eingesandt Mit seiner Unterscheidung zwischen Volks- und Kunstmärchen reiht sich Buber in die Tradition der romantischen Auffassung vom Märchen ein. Je mehr das Märchen im Volk wurzele, so die Auffassung der Romantiker, desto echter sei es. Wie das bei den Romantikern selbst meist der Fall war, kommt es Buber und den zeitgenössischen Neuromantikern darauf an, das moderne Kunstmärchen aus dem rohen Volksmärchen zu entwickeln und in dessen Überlieferung zu begründen. Die hier eingeführten Begriffe des Ausgestaltens und Weiterbauens des

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Märchens verweisen auf Bubers eigene Methode des Nacherzählens, wie sie bei den zur gleichen Zeit entstehenden Arbeiten zum Chassidismus zur Anwendung kommt. Textzeuge: D: General-Anzeiger für die gesamten Interessen des Judentums, 4. Jg., Nr. 36, 3. September 1905, S. 6 (MBB 66). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 113,4-5 der letzten Nummer des »Generalanzeigers«, in der mein Aufsatz über jüdische Märchen steht,] Martin Buber, Jüdische Märchen, s. in diesem Band, S. 108-112 sowie den Kommentar zum Text. 113,6-7 daß gerade in diesem Heft des »Wegweisers« über »Das jüdische Märchen« geschrieben wird] Herzberg, Warum gibt es keine jüdischen Märchen?; vgl. auch den Kommentar zu Martin Buber, Jüdische Märchen, in diesem Band, S. 108-112. 113,19 Esrog und Bsomimbüchsen] Esrog, eigentl. Etrog, jidd. Essrig, ist eine gelbgrüne Zitrusfrucht; sie wird am Laubhüttenfest, hebr. Sukkot, zeremoniell gebraucht; nach Lev. 23,40 gehört der Etrog neben Palm- und Myrtenzweigen sowie Zweigen der Bachweide zum Feststrauß des Laubhüttenfestes. Buber erläutert in den Worterklärungen zu Die Chassidischen Bücher, S. 681 anders: »Die ›Frucht des schönen Baumes‹ (3. M. 23,40), einer Hesperidenart, gewöhnlich Paradiesapfel genannt, über der am Sukkotfest der Segen gesprochen wird.« Die Bsomimbüchse ist ein Behälter mit wohlriechenden Gewürzen, an dem traditionell bei der Hawdala, der Zeremonie zum Schabbatausgang, gerochen wird, damit man das ›gute Aroma‹ des Schabbat nicht vergisst. 113,22 Bochur] abgeleitet von hebr. »junger Mann«; Bezeichnung für einen Studenten an einer Jeschiwa, einer Talmud- und Torahochschule. 113,26 Goethes »Märchen«] »Das Märchen« erschien 1795 in Schillers Die Horen, wo es den Abschluss der Novellensammlung »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten« bildet.

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Die jüdische Mystik Der Aufsatz entstand während Bubers Aufenthalt in Florenz, wo er zwischen 1905 und 1906 einen Großteil seiner Zeit verbrachte und sich ausgiebig mit der jüdischen Mystik beschäftigte. In dieser Zeit konzipierte er auch seine Sammlungen und Bearbeitungen chassidischer Legenden, deren ersten Teil er unter dem Titel Die Geschichten des Rabbi Nachman 1906 publizierte. Der vorliegende Text, der dieser Buchpublikation als Einleitung dient, wurde in der Zukunft vom 23. Juni 1906 vorab gedruckt. In der MBB wird fälschlich der Abdruck in der Welt einen Monat später als Erstdruck ausgewiesen. Die Redaktion der Zukunft merkt einleitend zu dem Vorabdruck an: »In der Literarischen Anstalt von Rütten & Loening (Frankfurt a. M.) erscheint in diesen Tagen ein merkwürdiges Buch. Der junge Verfasser heißt Martin Buber, der Titel ›Rabbi Nachman und die jüdische Mystik.‹ Rabbi Nachman war auf seine besondere Weise ein Revolutionär. Einer, der nicht die dankbare Rolle des Thaumaturgen spielen, sondern der reine, selbstlose Mittler zwischen Gott und Mensch sein, nicht erziehen, sondern erlösen wollte. ›Der Größte, Reinste, Tragischste unter Denen, die nicht das Bessere, sondern das Unbedingte forderten.‹ Herr Dr. Buber hat die Geschichten des Rabbi nicht übersetzt, sondern ihm nacherzählt. ›Die Geschichten sind uns einer Schülerniederschrift erhalten, die die ursprüngliche Erzählung offenbar maßlos entstellt und verzerrt hat. Wie sie uns vorliegen, sind sie verworren, weitschweifig und von unedler Form. Ich war bemüht, alle Elemente der originalen Fabel, die sich mir durch ihre Kraft und Farbigkeit als solche erwiesen, unberührt zu erhalten und den Grundton einer jeden der so sehr verschiedenen Geschichten, den naiven und unmittelbar epischen der einen, den mystischen der anderen, den ethisch gedankenhaften einzelner, zu wahren.‹ Der erste Abschnitt, der hier veröffentlicht wird, giebt die Atmosphäre des Werkes, die Einführung in diese Welt seltsam fremder Mystik. Was ich von dem Buch kenne, ist ganz ungewöhnlich schön, stark und anregend. Ein Mann von feinem Stilgefühl spricht. Ein hellsichtiger Psychologe blickt unter die Schwelle eines Rassenbewußtseins. Schon in der Zeit des Messianismus findet er als bezeichnendsten Zug im Wesen des Juden ›Das Wollen des Unmöglichen‹. Ist damit nicht ungemein viel von Allem erklärt, was, positiv und negativ, Israel im Weltgeschehen bedeutet hat und noch heute bedeutet? Die jüdische Mystik, sagt Herr Dr. Buber, war die Blüte der Exilseele; sie verdarb aber auch am Exil und wir wissen nicht, ob ihr eine Auferstehung gewährt ist. ›Aber das innere Schicksal des Judenthumes scheint mir daran zu hängen, ob (in dieser Gestalt oder einer anderen) sein Pathos

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wieder zur That wird.‹ Christen und Juden sollten das schöne Buch lesen; in stillen Feiertagsstunden.« (Die Zukunft Bd. 55, 23. Juni 1906, S. 439) Bei einem zweiten Abdruck einen Monat später im »Zentralorgan der zionistischen Bewegung« Die Welt stellte die Redaktion dem Text folgende Bemerkung voran: »In der literarischen Anstalt von Rütten und Loening (Frankfurt a. M.) erscheint in diesen Tagen ein Buch unter dem Titel ›Rabbi Nachman und die jüdische Mystik‹, dessen Verfasser Dr. Martin Buber ist. Der erste Abschnitt, der hier veröffentlicht wird, gibt die Einleitung zu den von Martin Buber bearbeiteten Geschichten des Rabbi Nachman, von denen wir eine in unserer PesachNummer gebracht haben. In den nächsten Nummern lassen wir dann einige von Martin Buber bearbeitete chassidische L e g e n d e n folgen.« (Die Welt, X. Jg. Nr. 30, 27. Juli 1906, S. 14.) Diese wurden in der Tat in loser Folge bis Ende des Jahres jeweils unter der Überschrift »Die Legende der Chassidim« publiziert. Eine in Die Welt bereits zuvor abgedruckte Erzählung ist »Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom«, in diesem Band S. 124-32. Weitere Texte Bubers folgten 1907 und 1909. Was Buber mit seinem ersten Beitrag zur Literatur des Chassidismus bezweckte, geht aus einem Brief an Samuel Horodezky (1871-1957) hervor, der ihm über Jahrzehnte als vom Verlag angestellter Mitarbeiter bei der Sammlung von chassidischen Quellen geholfen hat. Buber selbst gehe es nicht um das Sammeln, sondern darum, was er daraus zu gestalten vermag. »Überhaupt«, schreibt er 1906 an Horodezky, »ist es nicht mein Zweck, neue Tatsachen zu sammeln, sondern lediglich eine neue Auffassung ihres Zusammenhanges, eine neue synthetische Darstellung der jüdischen Mystik und ihrer Schöpfungen zu geben, sowie diese Schöpfungen selbst dem europäischen Publikum in einer künstlerisch möglichst reinen Form bekannt zu machen.« (B I, S. 244.) Nach Buber existierte die jüdische Mystik ursprünglich als eine Geheimlehre. Vom 7. bis zum 9. Jh. bewege sie sich im Untergrund, um sich dann allmählich zur exoterischen Lehre zu entwickeln. Erst mit dem Sohar im 13. Jh. erreiche sie die ihr gebührende Anerkennung innerhalb des rabbinischen Judentums (siehe in diesem Band, S. 116 f.). Bubers Beschreibung lässt deutlich erkennen, inwiefern seine Sicht von der jüdischen Mystik von Böhme und Cusanus beeinflusst ist. Demzufolge schreibt er der Kabbala nicht nur Geheimniskrämerei, sondern auch ausgesprochen neuplatonische Züge zu. Darunter versteht Buber auch eine Neigung zur Spekulation – hier »Gottschauen« genannt – die er der chassidischen Betonung der Tat gegenüberstellt. Der Kabbala fehle also der ethische Schwerpunkt. Genau das Gegenteil gelte für den Chassidis-

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mus, dessen praktische Seite Buber zu Ungunsten der kontemplativen Aspekte betont. Dies wird von Gershom Scholem in »Martin Bubers Deutung des Chassidismus«, S. 200 f. kritisiert. Die Vorstellung von einer vollkommen esoterischen Kabbala, die nicht ins Volk gedrungen sei, ist heute nicht mehr haltbar, nachdem die neuere Forschung auf ihre zentrale Stellung innerhalb der rabbinischen Tradition aufmerksam gemacht hat (Vgl. Idel, Kabbalah). Mit der lurianischen Kabbala des 16. Jh. nimmt die jüdische Mystik – so Buber – eine neue Wendung zum Ethisch-Ekstatischen hin. Daher sei es gerechtfertigt, in ihr eine Quelle des Chassidismus zu sehen. Die Erwähnung von Meister Eckhart, Plotin (ca. 204-270) und Lao-Tse (6. Jh. v. Chr.) deutet auf Bubers frühe Begeisterung für diese Mystiker, die seinem Interesse an der jüdischen Mystik vorausgegangen ist. (Vgl. in diesem Band den Aufsatz über Jakob Böhme sowie die Doktorarbeit zur Geschichte des Individuationsproblems.) Ihren Höhepunkt erreicht diese Beschäftigung mit der Mystik im Allgemeinen in den Ekstatischen Konfessionen (siehe MBW 2.2). In den späteren Fassungen des vorliegenden Textes streicht Buber einige Bemerkungen, welche die Juden der Anlage nach mit anderen Völkern vergleichen. Solche Vergleiche stellt Buber in den frühen Reden und Schriften mehrfach an. Bei der Aufnahme des Rabbi Nachman in die Chassidischen Bücher (1928) zieht es Buber nun anscheinend vor, positive Eigenschaften der Juden hervorzuheben, ohne sie mit anderen mystischen Strömungen zu vergleichen. Entfallen ist beispielsweise die Behauptung, die Empfindung der Polarität des Lebens – eine Polarität, die er andernorts als ein spezifisches Wesensmerkmal der Juden darstellt (Buber, Das Judentum und die Menschheit, jetzt in: MBW 3, S. 228) – sei bei dem Juden »schneller und mächtiger als bei irgend einem anderen Menschen« (in diesem Band, S. 114). Im Allgemeinen zielen die Veränderungen in den Chassidischen Büchern darauf ab, die Ausdrucksweise einigermaßen zu entschärfen. An Stelle von Formulierungen, die dem Bereich der ekstatischen unio mystica zu entstammen scheinen, treten hier andere, weniger mystisch angelegte Sätze: aus »sich mit Gott vereinigen« wird etwa »das Göttliche aufnehmen«; statt »wie Gott, der die Welten erzeugt« steht nun »nach der Eigenschaft Gottes, da er seine Welt zeugte« (vgl. Kohn, Martin Buber, 305). Ebenso werden die Bemerkungen zur psychologischen Struktur des Juden »etwas weniger allgemein und kategorisch gefaßt« (Ebd., S. 317).

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Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Daleth 29), 11 Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte, mit Korrekturen versehen. Teil der Gesamthandschrift zu Rabbi Nachman. 1 : D Die Zukunft Bd. 55, 23. Juni 1906, S. 439-448 (nicht in MBB verzeichnet). D2: Die Welt, 10. Jg., Nr. 30, 27. Juli 1906, S. 14-16 u. Nr. 31, 3. August 1906, S. 16-17 (MBB 79). D3: Die Geschichten des Rabbi Nachman – Ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1906, S. 5-19 (MBB 74). D4: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig u. München: Kurt Wolff Verlag 1916, 2. Aufl. 1919, 3. Aufl. 1921, S. 96-117 (MBB 159). 5 D : Die chassidischen Bücher, Hellerau: Jakob Hegner 1928, S. 6-19 (MBB 356). d6: Teilabdruck von Auszügen (in diesem Band: 119,21-119,35; 120,27-32; 120,40-121,3; 121,14-17; 121,18-37); in: Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, Band 5, hrsg. von Julius Höxter, Frankfurt a. M. 1930, S. 96-98 (nicht in MBB verzeichnet). D7: Die Geschichten des Rabbi Nachman – Ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt a. M. u. Hamburg: Fischer Bücherei 1955, S. 11-22 (MBB 985). 8 D : Werke III, S. 9-18 (MBB 1219). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: in: The Tales of Rabbi Nachman, übers. von Maurice Friedman, New York: Horizon Press 1956, 214 S. (MBB 1019), Bloomington: Indiana University Press 1962, 214 S. (MBB 1195), New York: Avon 1970, 217 S. (MBB 1348) u. London: Souvenir Press 1974, 214 S. (MBB 1019). Niederländisch: in: De Vertellingen van Rabbi Nachman, hrsg., übers. und eingeleitet von Jef Last, Graveland: De Driehoek 1946, 135 S. (MBB 744); in: De Chassidische bodschap, übers. von R. Boeke u. C. Verhulst, Wassenaar: Servire 1968, 554 S. (MBB 1311). Polnisch: in: Opowies´ci rabina Nachmana, übers. von Edward Zwolski, Paris: Éditions du Dialogue 1983, 117 S. (in MBB nicht verzeichnet).

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Variantenapparat: 114,Titel Die jüdische Mystik] [Rabbi Nachman [von Bratzlaw] ! und die jüdische Mystik] ! Die jüdische Mystik H 114,1-3 Rabbi Nachman von Bratzlaw […] steht am Ende einer ununterbrochenen Überlieferung, deren Anfang wir nicht kennen] Die jüdische Mystik {ist D4 versteht sich als D8} eine ununterbrochene Überlieferung D4, D8 114,2 vielleicht] hvielleichti H 114,6 dann von albigensischen] dann gar von albigensischen D5, D7, D8 114,7 behauptet] bewährt D5, D7, D8 114,8 bezwungen] gezwungen D2 114,10 Uebergabe] Übernahme D4 114,12 einer weiteren und reicheren] in weiterer, vollständigerer, vollkommenerer H 114,12 Offenbarung und] fehlt D7, D8 114,14 doch werden wir] aber wir werden H 114,14-15 ihre starke Bedingtheit] ihr starkes Bedingtsein D7, D8 114,16 Die jüdische Mystik] [Sie] ! Die jüdische Mystik H 114,17 manchmal] zuweilen H, D3, D4, D5, D7, D8 114,18 an Plotinos] han Plotinosi H 114,18-19 sie wird ihre Brüchigkeit nicht verbergen können, wenn man sie […] betrachten wollte.] fehlt D7, D8 114,19 Upanishads] [Veden] ! Upanishads H 114,20-21 deren Farbe fast allzu grell] [mit fast allzu grellen] ! deren Farben fast allzu grell H 114,21 üppig wirkt] üppig [ist] ! wirkt H 114,21-22 eins der wenigen Gewächse innerer Seelenweisheit und gesammelter Ekstase] eine der großen Erscheinungen ekstatischer Weisheit D7, D8 114,22 innerer] innerster H 144,22 gesammelter] gesammeltester H 114,26 Es ist eine bedeutsame] [Die] ! Es ist die bedeutsamste H 114,27 kaum] [nicht?] ! kaum H 114,28-29 aneinander entzünden, schneller und mächtiger als bei irgend einem anderen Menschen] schnell und mächtig aneinander entzünden D7, D8 114,31-32 plötzlich […] das Schrankenlose hervorbricht] plötzlich mit einer Gewalt, die nichts zu bändigen vermag, das Schrankenlose hervorbricht D4 urplötzlich das Schrankenlose hervorbricht D7, D8 114,31 zu bändigen versucht] zu [fesseln verm [sic]] ! bändigen versucht H

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114,32 und nun] und nun [wie ein fern? über alles Leben] H 114,32 widerstandslos hingegebene] sich ihm ergebende D7, D8 114,33-34 Für diese Macht […] mag uns die Gottesvision Elijahus ein Sinnbild sein.] fehlt D5, D7, D8 114,33 Unbegreiflichen] [XXX] ! Unbegreiflichen H 114,33 in enger Stille] in [der] ! enger Stille H 114,35-115,39 Ein anderes […] kam hinzu […] So wird die Seele […] erlöst, indem sie in dem Unmöglichen Wurzel schlägt.] fehlt D7, D8 114,35 Wesentlicheres] hWesentlicheresi H 114,35 jede Seele sich ihre] [jedes Leben seine] ! jede Seele sich ihre H 114,36 aus den kräftigen, werthbetonten Bildern] aus [der [Aufnahme] ! sinnlichen Aufnahme] ! den kräftigen, wertbetonten Bildern H 114,37 gefaßt] [verarbeitet] ! gefaßt H 114,38-115,1 so muß der Seele […] gefehlt haben] so scheint die Seele des Juden {dieser D3 an dieser D4, D5} natürlichen Substanz arm zu sein D3, D4, D5 115,1 Unvergleichlich mehr motorisch] Mehr mot [sic] ! Unvergleichlich mehr motorisch H 115,1-4 reagirt er auch in seinem innerlichen geistigen Leben sehr viel intensiver, als er empfängt. Er gestaltet das Empfangene […] aus. Den vom Subjekt] auch in seinem innerlichsten geistigen Leben sehr viel intensiver reagirend als empfangend, das Empfangene […] ausgestaltend, den vom Subjekte H 115,7 more geometrico] nicht hervorgehoben D2, D3, D4, D5 115,7-8 nicht in Substanz, sondern in Relation] weniger in Substanz, als in Relation D3, D4 weniger in Substanz als in Relation D5 115,8 höchsten Sinn] [Sinn] ! höchsten Sinn H 115,8-9 allgemeinen und offenbaren] allgemeinsten hund offenbarsteni H 115,10 des Kosmos und der Psyche] hdes Kosmos und der Psychei H 115,11 und in logischen Definitionen] fehlt H 115,12 auszuschicken. Aber] auszuschicken, aber H 115,15 Dasein einschließt] Dasein [hat] ! einschliesst H 115,17 Und so verläuft auch sein Leben] Und so lebt auch er H 115,17-18 nur in der Beziehung, nicht in dem Wesen] mehr in der Beziehung, als in dem Wesen D3, D4, D5 115,18 er opfert sich dem Nutzen hin] utilitaristisch H 115,18-19 er bringt sich einer Idee dar] sich einer Idee hinopfernd H 115,20 lebt er] fehlt H 115,25 Ich vermag es] [Es scheint mir [unmöglich] ! töricht, etwas so Primäres] ! Ich vermag es H 115,26 ein angeborenes Eigenthum, das] eine Ureigenschaft, die H

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Einzelkommentare

115,27-28 dessen Orte und dessen Geschicken heraus] [seinem] ! dessen Orte und [seinen Schicksalen] ! dessen Geschicken heraus H 115,28 es] [sie] ! es H 115,29 es] [sie] ! es H 115,29-30 Es streckt] [Das Pathos der Juden] ! Es streckt H 115,32 Forderung] hForderungi H 115,32-33 Jesu und Pauli] [Moses und der Propheten] ! Jesu und Pauli H 115,33 Forderung] hForderungi H 115,36 Philons und] hPhilons undi H 115,37 die im Sohar] welche him Sohari H 115,37-38 wirklichen Dingen] [Gegenständen keinen] ! wirklichen Dingen H 115,39 Unmöglichen] [Unwirklichen und] ! Unmöglichen H 116,1-2 Das Wandern und das Martyrium der Juden] [Die wandernde Pein der Juden, ihre] ! Das Wandern [der Juden] ! und das Martyrium H 116,2 ihre Seelen] deren Seelen H 116,3 so leicht] zuweilen D7, D8 116,4 erwacht. Zugleich] erwacht; zugleich H 116,4-5 der Ekstase] des Geschauten H 116,5 Erlebtes] Erfahrenes D7, D8 116,6 Aufgeklaubtem] Aufgesammeltem D7, D8 116,6 in] mit D2 116,7 vor Pein] hvor Peini H 116,7 geschwätzig] redselig D7, D8 116,8 »Sohar«] Sohar H 116,9 , die ein Entzücken und ein Abscheu sind] fehlt D7, D8 116,9 Mitten unter rohen] Aus den rohesten H 116,11 mitten unter öden und farblosen] aus den ödesten, farblosesten H 116,9-12 unter rohen Anthropomorphismen […] einherstelzen,] unter krassen Spekulationen D7, D8 116,13 verschwiegenen] verschwiegensten H 116,13-14 und Offenbarungen der letzten Geheimnisse] fehlt D5, D7, D8 116,14-24 Das Pathos erniedrigt sich […] Das wirkliche Denken […] löst sich nicht von ihm.«] fehlt D7, D8 116,15 diesem Sündenfall waren die Juden von je her] [dieser Gefahr] ! diesem [Fall] ! Sündenfall waren von jeher [nicht bloss] die Juden H 116,16 nur] bloss H 116,16 Doch] Aber H 116,24-34 Und als ein fremder Greis […] die Unvergänglichkeit der Ener-

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gie verkündet […], da fahren sie vor ihm zurück […] Wenn Du aufsteigen wolltest, könntest Du es nicht mehr, und im Niedersinken findest Du den Abgrund ohne Boden.«] fehlt D5, D7, D8 116,26 Unvergänglichkeit] [Ewigkeit] ! Unvergänglichkeit H 116,37-39 , und von den Essäern wissen wir aus Josephus, wie sorgsam sie das Mysterium behüteten und die geheimen Schriften, die ihnen als uralt galten] fehlt D7, D8 116,37 Josephus] Josephus [und Philon] H 116,39 später] [viel] später H 116,39 der Sekte und] fehlt D7, D8 116,41 pythagoreisierende] hpythagoreisierendei H 116,41-117,1 wahrscheinlich zwischen dem siebenten und dem neunten] wahrscheinlich um [den Anfang des neunten] ! [das Ende des neunten oder] ! das neunte H vermutlich nicht später als im sechsten D8 117,4-5 enge Kreise] [den Kreis der] ! enge Kreise H 117,5-6 Italien und] hItalien undi H 117,6 Egypten und Palästina] [Palästina] ! Egypten und Palästina H 117,9 ihr nachlebe] [so und nicht anders lebe] ! ihr nachlebe H 117,10 Fühlung] [Berührung] ! Fühlung H 117,11-12 nahezu gleichgiltig] hnahezui gleichgiltig H nicht unmittelbar lebendig D3, D4, D5, D7, D8 117,12-13 in der Betrachtung der Ekstase] da, wo sie die Ekstase zum Gegenstand hat, D5 117,13-14 Sie steht zwei anderen Mächten im Judenthum gegenüber] Sie liegt im Streite mit zwei anderen Mächten im Judentum H 117,13-18 Sie steht zwei anderen Mächten im Judenthum gegenüber […] so dringt ihr Sinn nicht ins Volk.] fehlt D7, D8 117,14-15 der harten, allem persönlichen Leben feindlichen,] fehlt D5 117,16 Rationalismus] [rationalistischen Philosophie] ! Rationalismus H 117,18 ihr Sinn] der Kampf H sie D5 117,19 werden neue Kräfte offenbar] [machen] ! tun sich neue Kräfte [geltend] ! kund H 117, 21 energische] grosse H 117,25 ragend und] fehlt D7, D8 117,26 muß] hervorgehoben D3, D4, D5, D7, D8 117,27-28 Auch der Messianismus der Juden war von jeher ein Wollen des Unmöglichen.] fehlt D7, D8 117,27 der Messianismus der Juden] der [jüdische] ! Messianismus der Juden H 117,29 Vollendung] [Vollkommenh [sic]] ! Vollendung H

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Einzelkommentare

117,30-31 Und als sie es that, zog sie ins Volk ein, wie der Messias selbst in seine Stadt.] und [zog so ins Volke ein wie der Messias selbst in seine Stadt] ! als sie es tat, zog sie im Volke ein, wie der Messias selbst in seine Stadt H fehlt D7, D8 117,32 achtzehnten] sechzehnten D3, D4, D5, D7, D8 117,33 den ethisch-ekstatischen Akt des Einzelnen] [den ethischen Akt des Einzelnen] ! [der ekstatische Akt des Einzelnen als Mitschaffen der Erlösung des ethisch] ! den ethisch-ekstatischen Akt des Einzelnen H 117,33 ethisch-] fehlt D7, D8 117,35-36 , der hundert Jahre vor Locke lehrte […] es sei keine objektive Erkenntniß gegeben,] fehlt D7, D8 117,38 fast] fehlt H 117,39 aber in seiner Darstellung der unmittelbaren Wirkung] aber seine Herleitung der Entstehung des Bösen aus dem Bersten der Urgefässe, denen sich die göttliche Fülle allzu gewaltig mitgeteilt habe, und ihrem Ueberströmen zu einem [neuen] ! zweiten Chaos in sieben Stufen und Reichen ist ihm eigentümlich; und in seiner Darstellung der [Wirkung der] ! der unmittelbaren Wirkung H 118,1 heißt es] [wird gesagt] ! heißt es H 118,6 endgiltig gefaßt] am vollständigsten H 118,7 Metempsychose] [Seelenwanderung] ! Metempsychose H 118,9 das Eintreten] [das Eintreten einer] ! [die Fahrt der Seelen und ihr Eintreten in] ! das Eintreten H 118,10 seiner Zeugung] [da er gezeugt wird] ! seiner Zeugung H 118,12 empfangen, die sich] treten und sich H 118,14-15 Die Seele eines Toten verbindet sich] [Zwei unvollkommene Seelen verbinden sich] ! Die Seele eines Toten verbindet sich H 118,15 sich der] sich mit der D2, D3, D4, D5, D7, D8 118,15 unvollendetes] vollendetes D4 118,17 in ganzer Lichtfülle oder in einzelnen Strahlen] in [voller Kraft oder in Funken] ! ganzer [Kraft oder in Strahlen] ! Lichtfülle oder in heinzelneni Strahlen H 118,17-18 unfertigen] [niederen] ! unfertigen H 118,19 So wird Prophetie geboren.] [Zwei unvollkommene Seelen] ! So wird Prophetie [in solche einer Vereinigung] ! geboren H fehlt D7, D8 118,20 Kommt über] [Wird eine] ! Kommt über H 118,25 haben Alle die Wegreise vollzogen] [sind alle vollkommen heimgekehrt] ! haben Alle die Wegreise vollzogen H 118,27 Vergöttlichung der Welt] Erhebung der Welt zu Gott D7, D8

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118,29-31 eine unbedingte Lebensführung […], in Tauchbädern […], in ekstatischer Betrachtung] durch eine unbedingte Lebensführung […], durch Tauchbäder […] durch ekstatische Betrachtung H 118,31-32 absoluter Liebe gegen Alles und Alle] vollkommener Liebe zu allem und allen D4 unbedingter Liebe zu allem D7, D8 118,32 gleichsam] fehlt D5, D7, D8 118,34 Das Grundgefühl] [Aus dem] ! Das Grundgefühl H 118,36 messianischen Bewegung] messianischen [Erregung und] Bewegung H 118,36-37 Sie war eine] [Diese Bewegung] ! Sie war eine H 118,41 ein überflüssiges Geräth] [eine überflüssige Hütte] ! ein überflüssiges Geräth H 119,3 von der Vernunft regirte] [vom Verstand regierte] ! von der Vernunft regirte H vom Verstand regierte D4 119,3-4 entbrannte] [loderte auf] ! entbrannte H 119,5 Erhebung] Bewegung D7, D8 119,5-6 und entsetzlicher zugleich] fehlt D7, D8 119,6-7 verinnerlicht sich der Messianismus wieder] [beginnt] ! verinnerlicht sich der Messianismus wieder H 119,7-8 Mortifikation beginnt] [Askese] ! [Kasteiung und] ! Mortifikation beginnt H 119,8 mystische Uebung] [das persönliche Tun] ! mystische Uebung H 119,9 immer tiefer] [imm [sic]] ! [insbesondere ins] ! immer tiefer H 119,10 der asketische Zug] jener asketische Zug H 119,11 aufgeht] [endet] ! aufgeht H 119,11-12 in rücksichtsloser Entäußerung] [im Stillen zu] ! in rücksichtsloser Entäußerung H 119,11-12 rücksichtsloser] rückhaltloser D8 119,19 Entwickelung] [Phase] ! Entwickelung H 119,19-20 um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entstandenen] hum die Mitte des 18. Jahrhunderts entstandeneni H 119,22-23 Chassid bedeutet: der Fromme; aber der Chassidismus] Das Wort Chassid bezeichnet einen »Frommen«, aber es ist eine Weltfrömmigkeit, die hier gemeint ist. Der Chassidismus D7, D8 119,25-26 es in ihm walten und formen, wie die Seele den Körper formt] dieses von jenem gestaltet werden wie der Körper von der Seele gestaltet wird H 119,26 höchst gotterfüllte und] [ebenso] ! höchst gotterfüllte und H fehlt D7, D8 119,27 dem Sinn und dem Gipfel] Sinn hundi Gipfel [und Vollendung] H dem Gipfel D7, D8

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119,28 Aber die Extase] [Niemals] ! Aber die Extase H 119,28 nicht, wie etwa bei der deutschen Mystik, ein »Entwerden«] hnicht, wie etwa bei der deutschen Mystiki [kein] ! ein Entwerden H 119,29 deren Entfaltung] [ihre] ! deren Entfaltung H 119,30 sich vollendende] [all das] ! sich vollendende H hervorgehoben D3, D4 119,31 in das Absolute] ins Unbedingte D5, d6, D7, D8 119,31-32 , die Neschama,] h, die Neschama,i H 119,33 Mangels] Fehls D8 119,34-35 Niemals hat eine Lehre das Gottfinden […] auf das Selbstsein gestellt.] fehlt D7, D8 119,36 war es Polen,] war es Polen, [und vor Allem die steppenreiche Ebene der Ukraine] H 119,40 und gebrechliche] hund gebrechlichei H 120,2 emporwachsen] erwachsen ! emporwachsen H 120,5 war der Jude hier nicht] [lebte hier] ! war der Jude hier nicht H 120,5-9 nicht […] ein Städter […] sondern meist ein Dörfler, einsamer und sich selbst näher] zumeist ein Dörfler D7, D8 120,6-7 der in dem engen rabbinischen Studium vertrocknete oder] [im] ! in dem engen rabbinischen Studium [aufwuchs] ! vertrocknete und H 120,8-9 einsamer und sich selbst näher] heinsamer und sich selbst näheri H 120,10-12 Gott. Der Begründer der Chassidismus war Israel […] der »Baalschem« […] genannt wurde] Gott. / Der Begründer des Chassidismus war Israel aus Miedzyborz, der »Baalschem«, das ist Meister des wunderwirkenden Gottesnamens, genannt wurde D3, D4 Gott. / Der Begründer des Chassidismus war Israel aus Mesbizˇ (Miedzyborz), der »Baal-schem-tow«, das ist Meister des guten Namens, geheißen wurde, eine Bezeichnung, die zweierlei vereinigt, das mächtige Wissen um den Gottesnamen, wie es den früheren wundertätigen »Baal-schems« zugeschrieben wurde, und den Besitz des »guten Namens« im menschlichen Sinn, des Volksvertrauens D5 Gott. / Der Begründer des Chassidismus war Israel aus Mesbizˇ (Miedzyborz), der »Baalschem-tow« {»Baal-schem-tow« D8}, das ist Meister des guten Namens, geheißen wurde, eine Bezeichnung, die zweierlei vereinigt, das wirkungsmächtige Wissen um den Gottesnamen, wie es den früheren wundertätigen »Baale-schem« zugeschrieben wurde, und den Besitz des »guten Namens« im menschlichen Sinn, des Volksvertrauens D7, D8

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120,12-13 farbenreiche und innige] [farbige und rührende] ! farbenreiche und innige H 120,14 lenkender Gewalt] [führender Gewalt] ! lenkender Gewalt H 120,14 Die] Absatzwechsel H, D3, D4, D5, D7, D8 120,14 Lehre] [wirkliche] Lehre H 120,17 überquellen] überströmen H 120,17 seinen] berichtigt aus einen 120,18 erfunden] befunden D4 120,22 das Meiste] vieles D7, D8 120,24 ein] hervorgehoben D3, D4, D5, D7, D8 120,25 Dennoch] Absatzwechsel H, D3, D4, D5, D7 120,25 ist der wirkliche] [kann man versuchen] ! ist der wirkliche H 120,27 , so lehrt der Baalschem, ] fehlt d6 120,27-30 das Wesen jedes Dinges […] er denkt in den Dingen; und so kann er] in jedem Ding als dessen Wesen. Gott spricht aber nicht aus den Dingen, sondern er denkt in den Dingen; und so kann er D5, d6 in jedem Ding als dessen Urwesen. Er kann D7, D8 120,30 der innersten Kraft][den] ! der innersten [Kräften] ! Kraft H 120,31 Ist diese Kraft] [Sind diese Krä [sic]] ! Ist diese Kraft H 120,32 sich mit Gott zu vereinigen] das Göttliche aufzunehmen D5, d6, D7, D8 120,36 Was wir] [Auch was] ! Was wir H 120,37 »Gottes Exil,«] h»Gottes Exil,«i H 120,38-39 die »Schale«, die das Wesen der Dinge umgiebt und verhüllt] »die Schale«[. Es gibt kein X Wesen, das böse wäre; wer aber eines Menschen Schuld das Urteil spricht] ! die das Wesen der Dinge umgibt und verhüllt H 120,40 Es giebt kein Ding […] wäre.] hEs gibt kein Ding […] wäre.i H 120,40-121,1 Mensch, desto größer ist] Mensch,« heißt es schon im Talmud, »desto größer D4 121,5-6 Der Mensch vermag sich mit allen Wonnen zu kasteien. Er] Und so ist es mit allen Eigenschaften. Denn der Mensch soll in allen Eigenschaften ganz sein, wie auch bei Gott beides ist, Gericht und Erbarmen … Der weise Mensch vermag alles Gute zu genießen und sich mit den Wonnen zu kasteien. Er D5 Und so ist es mit allen Eigenschaften. Der Mensch soll in allen Eigenschaften ganz sein … Der weise Mensch D7, D8 121,7-10 ; Worten des Scherzes zu lauschen […] aus der Welt der geistigen Seligkeit] fehlt D7, D8 121,14 Alles äußere Gesetz] Alle äußere Lehre D7, D8 121,15 ein Gesetz] eine Lehre D7, D8

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Einzelkommentare

121,18 Punkt] Anliegen D7, D8 121,19 Absoluten] Unbedingten D5, d6, D7, D8 121,20 eilend und] fehlt H, d6, D7, D8 121,22 erzeugen] [zeugen] ! schaffen H zeugen d6 121,22 wie Gott, der die Welten erzeugt] worden nach der Eigenschaft Gottes, da er seine {die D8} Welt {Welten D7, D8} zeugte {erzeugte D7, D8} D5, d6, D7, D8 121,22 erzeugt] [zeugt] ! schafft H 121,24 vollkommene] unmittelbarste D4 121,24-25 in seinem Feuer betet] [im Feuer betet] ! in seinem Feuer betet H in dem Feuer seines Wesens betet D7, D8 121,25 in Dessen Kehle redet Gott selbst] [dem redet Gott] ! in Dessen Kehle redet Gott selbst H 121,26 Dieses] Nur dieses H 121,26 Erlebniß] Ereignis D7, D8 121,26 das äußere Wort] das äussere hWorti H 121,30 höher] [grösser] ! höher H 121,30-31 unbedingter] tiefer D7, D8 121,31 Vereinigung] Wandlung D7, D8 121,34 hegt. Er] hegt … Er D3, D4, D5, d6, D7, D8 121,38-40 War die Ekstase der Kabbala […] Sinn und Ziel geworden.] fehlt D3, D4, D5, D7, D8 121,38 Kabbala] [früheren] Kabbala H 122,41 ins Volk] im Volke H 122,6-7 durchaus unfruchtbaren, der Wirklichkeit fremden, tathenlosen] lebensfremden D7, D8 122,7 der Wirklichkeit fremden] [lebensfremden] ! wirklichkeitsfremden H 122,8 »geistigen Aristokratie«] Aristokratie D7, D8 122,8-9 gegenüber gesehen hatte] gegenübersah, die von ihm lebte, ohne ihm irgend etwas zu geben H 122,9 einem] hervorgehoben H, D3, D7, D8 122,9 Gegensatz] zu innerst verlogenen Gegensatze H 122,9 erlöst] befreit D7, D8 122,11 die Reinheit] die [Art einer Seele, das ist seiner Gottnähe] ! Reinheit H 122,15-123,12 Natürlich sagte die Orthodoxie der neuen Ketzerei […] den Krieg an […] So artete der Chassidismus zuletzt in wüstes, lichtloses Sektenwesen aus.] fehlt D8 122,15 , der Chassidut,] fehlt D5, D7

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122,27-28 die ihn zu der maßlosen Entartung brachte, in die er heute versenkt ist] die ihn zu der [Entar [sic]] ! masslosen Entartung brachte, in die er [sich] heute [kleidet] ! versenkt ist H die ihn zu der Entartung brachte, in die er heute versenkt ist D3, D4 die ihn zu der Entartung führte, in die er heute versunken ist D5 die zu dem Verfall führte, der seither andauert D7 122,28-29 auch nach außen hin eine Forderung des Unmöglichen war: daß er] fehlt D7 122,31 Erlösung] Erfüllung D7 122,38 herabgebracht] [herabgeführt] ! herabgebracht H 122,40 unendlich] fehlt D4, D5, D7 122,41 und Eifern] fehlt D7 122,41-123,1 kam der widerlichste äußere Mißbrauch] [kommt ein] ! kam der [widerliches] ! widerlichste [Ueberhandnehmen] ! äussere Missbrauch H 123,1 widerlichste] wachsende D3, D4, D5, D7 123,2 erhoben] fehlt D7 123,6 erbärmliche] fehlt D3, D4, D5, D7 123,7-9 Allmählich entstanden richtige Dynastien […] so riß doch zugleich eine unsägliche Gauklerei und Heuchelei ein] Mancherorten riß eine Gaukelei ein D7 123,7 Dynastien von Zaddikim] Dynastien von Zaddikim, und mancher von ihnen baute sich haus den reichen Gaben seiner Gläubigeni ein Schloss und umgab sich mit einem Hofstaat, in dem zuweilen [auch] ! sogar der Hofnarr nicht fehlte H 123,9 unsägliche] fehlt D3, D4, D5 123,9 Gauklerei und Heuchelei] [Charlatanerie und] ! Gauklerei und Heuchelei H 123,11 herbeizog] [anzog] ! herbeizog H 123,11-12 So artete der Chassidismus […] aus.] fehlt D7 123,12 , lichtloses] [sonnenloses?] ! lichtloses H fehlt D3, D4, D5 Wort- und Sacherläuterungen: 114,26-29 Es ist eine bedeutsame Eigentümlichkeit des Juden, […] schneller und mächtiger als bei irgend einem anderen Menschen.] Dieser Satz spiegelt eine zentrale These in Bubers Denken über das Judentum und dessen Verhältnis zu anderen Religionen wider. 114,34 die Gottesvision Elijahus] Vgl. I Reg 19,1-18, bes. Verse 11-13. 115,1-3 Unvergleichlich mehr motorisch als sensorisch veranlagt […] viel intensiver, als er empfängt.] Bezieht sich auf den typologisierenden Unterschied zwischen dem Juden als Orientalen und dem Menschen

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Westeuropas, vgl. Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 187-203, besonders S. 188 f. 115,6-7 (sogar für Spinoza ist die Natur more geometrico darlegbar)] Baruch de Spinoza, Ethica more geometrico demonstrata, Amsterdam 1677. 115,37 Sohar] Sefer haSohar, »Buch des Glanzes«, aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts stammendes Hauptwerk der jüdischen Mystik. In deutscher Sprache gibt es nur eine Sammlung von Auszügen: Der Sohar. Das heilige Buch der Kabbala, hrsg. von Ernst Müller, Wien 1932. 115,37 »Siwwug«] »eheliche[r] Verbindung (Siwwug) des Menschen mit der Gottheit«. Graetz, Geschichte der Juden, Bd. 11: Vom Beginne der Mendelssohnschen Zeit 1750 bis in die neueste Zeit 1848, Leipzig 1870, S. 98. 116,21-24 »Komm und schau!« […] und löst sich nicht von ihm.«] »Komm und schau!« (bo ur’e) ist ein im Sohar häufig verwendeter Ausdruck. Darauf folgt in Bubers Text eine Zusammenstellung von Zitaten aus Band III,6a; II,226a; I,246b des Sohar. 116,25-26 Simeon ben Jochais, des legendären Urmeisters der Kabbala] Simeon ben Jochai (2. Jh.) gilt der Tradition nach als Verfasser des Sohar, dessen wirklicher Autor nach maßgeblicher Ansicht Moses de Leon gewesen ist. Vgl. Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 174. 116,26-28 »Nichts fällt ins Leere, […] alles hat seinen Ort und seine Bestimmung«] Sohar, II,100b. 116,30-34 »O Greis, was hast du getan? […] findest du den Abgrund ohne Boden.«] Sohar, II,100b. 116,36 »Meister in Künsten und kundig des Flüsterns«] In den Teschuwot haGeonim verwendetes Zitat aus Jes 3,3, vgl. Philipp Bloch, Geschichte der Entwickelung der Kabbala und der jüdischen Religionsphilosophie, Berlin 1894, S. 16. 116,37 Essäern] auch Essener; endzeitlich orientierte Gruppe innerhalb des antiken Judentums, die meist mit der Gemeinschaft von Qumran identifiziert wurde. 116,37-39 und von den Essäern wissen wir aus Josephus […] die ihnen als uralt galten.] Flavius Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges, 2. Buch, 8. Kapitel. 116,40-41 das pythagoreisierende »Buch der Schöpfung«] Sefer Jezira – das Buch der Schöpfung ist das älteste und grundlegende Werk der jüdischen Mystik; es stellt eine systematische Zusammenfassung kosmologischer Spekulationen auf der Basis einer ausgeprägten Buch-

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staben- und Zahlenmystik dar. Vgl. Gershom Scholem, Kabbalah, New York 1987, S. 23 ff. 117,10 das Reich der Wahl […] ist ihr nahezu gleichgiltig] Vgl. Die Geschichten des Rabbi Nachman, ihm nacherzählt von Martin Buber, S. 36: »Die Welt ist nur um der Wahl und des Wählenden willen geschaffen worden.« 117,34 Isaak Lurja] »Zentrale Figur der neueren Kabbala«. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 277-282, Zitat S. 278. Siehe dazu auch: Gerold Necker, Einführung in die lurianische Kabbala, Frankfurt a. M. 2008. 117,37-38 die demiurgischen Zwischenpotenzen] Der »Demiurg« ist in der Philosophie bei Platon und in der Gnosis der göttliche Baumeister des Kosmos, der die materielle Welt erschafft. 118,1-2 Schon im Talmud heißt es […] Leben eingetreten sein würden.] bJev 63b: »R. Asi sagte: Der Sohn Davids kommt erst dann, wenn keine Seele mehr im Guph [eigentlich »Körper«; Raum, in dem sich die Seelen der noch nicht geborenen Menschen befinden] ist, denn es heißt: [Jes 57,16] der Geist wird von mir eingehüllt und die Seelen habe ich erschaffen.« Lazarus Goldschmidt, Der babylonische Talmud, Frankfurt a. M. 1996, Band IV, S. 535. Vgl. auch bJev 62a. 118,7 Metempsychose] griech. für »Seelenwanderung«. 118,8 Gilgul] gilgul neschamot, hebr. für wörtlich das »Rollen der Seelen«. 118,9 Ibbur] ibbur, hebr. für »Schwangerschaft«, »Befruchtung«, »Brutzeit«. 118,35-36 großen messianischen Bewegung, die den Namen Sabbatai Zewis trägt.] Der nach Sabbatai Zwi (1626-1676) benannte Sabbatianismus war die größte und einflussreichste jüdisch-messianische Bewegung der Neuzeit. Vgl. Gershom Scholem, Sabbatai Zwi. Der mystische Messias, Frankfurt a. M. 1992. 119,10 der asketische Zug der Fünfzehnhundert in das Heilige Land] Anfang 1700 wanderten ca. 1300-1500 Anhänger einer sabbatianischen Sekte unter Juda Chassid (um 1650-1700) aus Polen aus mit dem Ziel, im Heiligen Land die Erlösung zu erwarten. Diese sog. Chassidäer zeichneten sich durch strenges Fasten und verschiedenste Kasteiungen aus. Auf dem Weg ins Heilige Land starben ca. 500 ihrer Anhänger. Als ihr Anführer Juda Chassid am ersten Tag nach der Ankunft in Jerusalem ebenfalls starb, zerstreute sich die Sekte der Chassidäer und löste sich auf. Vgl. auch Graetz, Geschichte der Juden., Bd. 10: Von der dauernden Ansiedelung der Marranen in Holland 1618 bis zum Beginne der Mendelssohnschen Zeit 1750, Leipzig 1868, S. 312 f.

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119,28-31 Aber die Ekstase ist hier nicht, […] mündet in das Absolute.] vgl. Buber, Zur Geschichte des Individuationsprinzips, in diesem Band S. 75-101. »Entwerden« wird von Meister Eckhart verwendet, die Bedeutung dort ist dunkel »zwischen aufhören, abgehen, untergehen, entgehen schwebend« (Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, hrsg. von Jakob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1862, Sp. 654). 119,31-32 Neschama] hebr. für »Seele«. 120,2-3 den kasakischen Judenmetzeleien unter Chmielnicki] Zwischen 1648 und 1657 erhoben sich in der Ukraine unter der Führung von Bogdan Chmielnicki (um 1595-1657) die ukrainischen Kosaken sowie weite Teile der ukrainischen Bevölkerung gegen die Herrschaft der Republik Polen-Litauen, zu der die Ukraine damals gehörte. Während des Aufstandes kam es zu grausamen Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung, bei denen über 10.000 Juden getötet wurden. Vgl. Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Band VII, Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit, Die zweite Hälfte des XVII. und das XVIII. Jahrhundert, S. 21-30: »Das Schreckensjahr des ukrainischen Gemetzels (1648)«. 120,34-36 In allen Dingen […] die in die bereite Seele fallen.] Die ›Funken des Lebens‹ beziehen sich auf die bei der Schöpfung ins All hinausgeschleuderten Funken des göttlichen Lichts. Erst wenn sie durch fromme Taten, Studium der Thora, Halten der Gebote und Gebet wieder in ihrer ursprünglichen Ordnung hergestellt worden sind (hebr. tikkun), lässt sich die Erlösung der Welt herbeiführen. Vgl. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 300 ff. 120,36-37 Was wir das Böse nennen, […] die unterste Stufe des Guten, der Thron des Guten] Die Kabbala stellt sich den Kosmos als von zehn Sphären strukturiert dar, den Sefirot, in denen das innerste Selbst der Gottheit (En-Sof) in Form von positiven Attributen hervortritt. Auch die letzten Gründe des Bösen liegen in einer dieser Sefirot. Diese Sefira der Strenge ist das große »Zornesfeuer« (Ebd., S. 258), was in Gott lodert, aber immer wieder von der Gnade gemildert und gebändigt wird. Wo es aber in einem übermäßigen Ausbruch seiner Entfaltung nach außen schlägt und sich von der Verbindung mit der Gnade trennt, bricht es aus der Welt der Gottheit heraus und wird zum radikal Bösen. (Vgl. ebd., S. 227-258f.) 120,38-39 es ist, in der Sprache der alten Kabbala, die »Schale«, die das Wesen der Dinge umgibt und verhüllt.] »Schalen«, hebr. kellipot. Nach kabbalistischer Lehre besteht das All, der Urraum der Welt, aus vielen formlosen Schalen, die jeweils einen Kern der Dinge umgeben. Im Rahmen des Weltprozesses soll diesen formlosen Kräften Gestalt

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verliehen werden. Solange dies aber nicht geschieht, verkörpern die Schalen das Böse und die Finsternis. Vgl. ebd., S. 325 ff. Zu Bubers Verständnis der Schalen vgl. die Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-Tse’s Tao-te-king, in: MBW 2.3, S. 270 f. 120,41-121,1 »je größer ein Mensch, desto größer ist sein Trieb«] bSuk 52a. 121,2 »einen Wagen für Gott«] Felix Weltsch (Die jüdische Renaissance und die Ethik des reinen Willens, in: Der Jude Heft 4 1920/21, S. 220-227, hier: S. 225) nennt dies schlicht eine »schön-jüdische Formulierung«, ohne Quellenangabe. Homolka und Friedlander zitieren den Vers in einem Abschnitt zum Chassidismus, allerdings ebenfalls ohne Quellenangabe (Walter Homolka und Albert H. Friedlander, Von der Sintflut ins Paradies. Der Friede als Schlüsselbegriff jüdischer Theologie, Darmstadt 1993, S. 52.97). 121,4-10 »Er soll den Stolz lernen […] und genießt aus der Welt der geistigen Seligkeit.«] nicht nachgewiesen. Auch zitiert in Ekstatische Konfessionen, jetzt in MBW 2.2, S. 204, dort unter »Worte der Chassidim«. 121,16-17 »Welt des Gedankens«] Der äquivalente hebräische Ausdruck, Olam Hamachschewa, erscheint an zwei Stellen im Sohar (Tikunei Sohar, Tekuna Aschrin Wetarin 68b; Sohar Chadasch, Bd. 1 (Tora) Paraschat Jitro, 57b) und häufig in den Sippurei Chassidut. 121,20-22 »Er erhebe sich eilend und in Eifer […] und ist wie Gott, der die Welten erzeugt.«] Spruch des Baalschem, der für Bubers Begegnung mit dem Chassidismus entscheidend wurde, vgl. Bernhard Casper, Das dialogische Denken, Freiburg 1967, S. 43. Später übersetzt Buber denselben Spruch jeweils etwas anders, vgl. die Angaben zu den verschiedenen Varianten zu 121,22 in den Druckauflagen D5, d6, D7, D8 oben S. 334. In Des Baal-Schem-Tow Unterweisung im Umgang mit Gott, Hellerau: Jakob Hegner 1927, S. 22, gibt Buber den selben Ausdruck wie folgt wieder: »Er erhebe sich im Eifer von seinem Schlaf, denn er ist geheiligt und ein andrer worden und ist würdig zu zeugen und ist worden nach der Eigenschaft Gottes des Heiligen, da er seine Welt zeugte.« 121,23-24 Einung] der hebräische Begriff jichud, der Einigung, Vereinigung, bedeutet, stellt einen wichtigen Begriff in Bubers Denken dar und spielt auch in der Kabbala eine wichtige Rolle. Erst in der Vereinigung Gottes mit der Schechina, der untersten Sefira (vgl. Anm. zu 120,36-37 oben), die auch mit der »Gemeinde Israel« identifiziert wird, wird die wirkliche Einheit Gottes jenseits der Mannigfaltigkeit

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der verschiedenen Aspekte, die jichud, erreicht. (Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 250 f.) 121,26-29 »Wie von brennenden Hölzern der Rauch emporsteigt, […] aber die äußeren Worte zerfallen zu Asche.«] nicht nachgewiesen. 121,30 Kawwana] »Absicht«, »Hingabe«; im Besonderen bezeichnet Kawwana die Hingabe im Gebet. Buber übersetzt Kawwana in Die Legende des Baalschem, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1908, S. 21 als Kapitelüberschrift mit »Von der Intention«. 121,31-35 »Es ist eine große Gnade von Gott, […] zu sterben um der Kawwana willen.«] Baalschem Tov, Sefer Zawwa’at haRivasch, Brooklyn/ NY 1997/98, S. 16, 42. 122,15 der Chassidut] die Lehre des Chassidismus.

Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom In einer Fußnote des Erstdrucks in Die Welt, 10. Jg., Nr. 15, Passah 1906, erwähnt Buber als Quelle der Geschichte »ein hebräisches Büchlein«. In der Nachbemerkung zu den Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen (1934) setzt er hinzu, dass die Geschichte trotz ihrer deutlich älteren Herkunft einem Buch entstammt, das außerdem Erzählungen des Nachman von Bratzlaw überliefert. Dies soll offensichtlich den Eindruck verstärken, dass die Geschichte von der Kräutertruhe genauso wie die anderen im Band enthaltenen Geschichten, die alle zeitgleich mit der Arbeit an den ersten chassidischen Büchern entstanden sind, als eine legitime Nacherzählung anzusehen ist, die dem Umkreis des Chassidismus zuzuordnen ist. In einem Brief an Georg Lukács (1885-1971), der sich begeistert über die Märchen geäußert und nach ihren Quellen gefragt hatte, gesteht Buber schließlich ein, dass es sich um dichterische Transformationen dichterischer Motive handle: »Dass Ihnen meine Chassidica etwas gewesen sind, freut mich sehr. Hoffentlich beeinträchtigt es Ihr Gefühl nicht, wenn ich Ihnen (ich muss es nun wohl) mitteile, dass im Baalschem zumeist nur die innersten Motive ›authentisch‹ sind. […] ›Die ganze Breite der Tradition‹ des Chassidismus, von der Sie sprechen, ist tot, wenn sie nicht aus der ganzen Enge eines Menschengehirns erneuert wird.« (Georg Lukács, Briefwechsel 1902-1917, Stuttgart 1982, S. 260.) Wie bei anderen Texten aus dieser Zeit nimmt Buber in der Neufassung von 1934 vor allem stilistische Änderungen vor, die in erster Linie die Rechtschreibung und Satzzeichensetzung betreffen. Im Allgemeinen zieht Buber in den späteren Fassungen seiner Texte vor, sowohl das Suffix ›e‹

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bei Substantiven im Dativ (z. B. Brauche ! Brauch, Blute ! Blut) als auch manche Schwa-Laute (›andere‹ ! ›andre‹) zu tilgen. In den meisten Fällen zielen solche Änderungen auf die Beseitigung gewisser Antiquiertheit oder Volkstümlichkeit der Sprache ab. Aus dem späteren Blickwinkel überflüssig oder schwülstig erscheinende Wendungen, besonders Adjektive, werden an einen schlichteren Stil angepasst. Buber versuchte damit den Stil des klassischen Märchens, den er in der ersten Fassung unverkennbar beabsichtigte, zu tilgen. Der für das Kunstmärchen typische Gebrauch der Konjunktion ›und‹ am Satzanfang wird beispielsweise durch die einfachere Wendung ersetzt: ›Und sie‹ wird also zu ›Sie‹. Bei der Wortwahl verfährt er ebenso. Die zweite Fassung vom 1934 pflegt eine andere, weniger gehobene Sprachebene, die nicht nur auf den Zeitabstand zurückzuführen ist, sondern auch mit einer anderen Auffassung von dem angemessenen Stil einer solchen Nacherzählung zu tun hat. Textzeugen: D1: Die Welt, 10. Jg., Nr. 15, Passah [13. April] 1906, S. 7-11 (MBB 78). D1.1: Autorenexemplar von D1 im MBA, an dem Buber im Zuge der Vorbereitung der Fassung von 1934 handschriftliche Änderungen vornahm. D2: Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen, Berlin: Schocken Verlag 1934, S. 8-22 (MBB 489). Wiederabdrucke nach dem Tod des Autors: in: Erzählungen von Engeln Geistern und Dämonen, 2. Aufl., Neuausgabe, Gerlingen: Lambert Schneider 1994, S. 11-27 (in MBB nicht verzeichnet). in: Erzählungen von Engeln Geistern und Dämonen, Neuausgabe, Frankfurt a. M. und Leipzig: Insel Verlag 2006, S. 12-26 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: in: Tales of Angels, Spirits and Demons, übers. von David Antin u. Jerome Rothenberg, New York: Hawk’s Well Press 1958, 61 S. (MBB 1092). Niederländisch: in: Vertellingen over engelen, geesten en demonen, vertaling Francis Hijszeler, Martin Buber Estate, Baarn: ten Have 2002. Ungarisch: in: Angyal-, szellem- és démontörtének, Paul Klee rajzaival, Ford. és a könyvet tervezte: Miklós Tama’s, Budapest: Atlantisz 2002.

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Variantenapparat: 124,Titel,Untertitel Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem goldenen Kalb D1.1, D2. In D2 an Stelle der auf den fehlenden Untertitel folgenden Anm. eine Nachbemerkung auf S. 69: Wie jene [Der Engel und die Weltherrschaft] auf eine Erzählung des Rizˇiner Rabbis zurückgeht, so sind die drei letzten Geschichten Bearbeitungen chaßidischen Legendenmaterials, der Stoff der zweiten ist, wiewohl älteren Ursprungs, immerhin einem Büchlein entnommen, das außerdem einige »neue Erzählungen« des Rabbi Nachman von Bratzlaw enthält und danach betitelt ist […]. 124,2 gewaltiger] mächtiger D1.1, D2 124,3 einzelne] fehlt D1.1, D2 124,9-20 war. So fügte es sich zu einer Zeit, daß ein Kaiser in der Stadt Rom verblichen war […] sollet ihr in einem Ding mir zu Willen sein] war. / Zu einer Zeit war ein Kaiser in der Stadt Rom gestorben, und zu Rate kamen alle, die groß waren im Volk, daß sie den neuen Herrscher wählen sollten. Einer erwies in ihrer aller Augen sich würdig, sie erhoben sich und sprachen zu ihm: »Es ist des Volkes Wunsch, daß du über uns herrschen sollst.« Er erwiderte: »Ihr seht mich bereit zu tun, wie ihr verlangt. Doch ehe ich die Bürde der Krone mir auflade, sollt ihr in einem Ding mir {zu Willen sein D1.1 willfahren D2} D1.1, D2 124,26-28 Und sie gingen hin […] und es wurde beschlossen und geschah] Sie hielten Rat, und es wurde beschlossen D1.1, D2 124,29-125,3 Und es war am nächsten Tage […] was ich von euch verlange] Am nächsten Tag beschied er alle Großen zu sich und redete zu ihnen: »Ein kleines Ding {verlange ich von euch D1.1 ist’s, das ich euch gebiete D2} D1.1, D2 125,4 längst] fehlt D2 125,5-6 Da stieg es […] auf […] und alle sprachen wie mit ei nem Munde] Da riefen alle wie mit Einem Mund D1.1, D2 125,12-13 dein Wunsch] Euer Begehr D2 125,14 Übel und] fehlt D1.1, D2 125,15-16 und über unsere Häupter] fehlt D1.1, D2 125,16 erbebte in heftigem Zorn und] fehlt D1.1, D2 125,24-25 als geheimnisvoller Kern] fehlt D1.1, D2 125,26 über und über] fehlt D1.1, D2 125,26 bedeckt] überzogen D1.1, D2 125,32 unermeßliches] fehlt D1.1, D2 125,34 und Licht] fehlt D1.1, D2 125,36 aus dem quellenden Erdreich] einst aus dem Erdreich D1.1, D2 125,37 ein großes Schweigen und ein großes Staunen] Schweigen D1.1, D2

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125,41 und die Seher] fehlt D1.1, D2 125,41 kamen und] fehlt D1.1, D2 126,5-7 Da kam ein Erbleichen […] und sie redeten folgendermaßen] Sie redeten D1.1, D2 126,8 und zu prüfen] fehlt D1.1, D2 126,12-16 Umlauf. Wenn die Zeit sich erfüllt hat, sollet ihr vor mir erscheinen […] und versenkten sich] Umlauf.« Sie versenkten sich nun D1.1, D2 126,18 stieg] ging D1.1, D2 126,22 und der Trauer] fehlt D1.1, D2 126,23 wie eine gewaltige Woge] fehlt D1.1, D2 126,25 alter] fehlt D1.1, D2 126,26-27 und manches Jahr noch darüber zählte] fehlt D1.1, D2 126,27-28 gerade nach dem Wunsche seines Herzens und waren] fehlt D1.1, D2 126,30-33 Und wiewohl sie alle mit Kindern und Enkeln begnadet waren […] führte sie ihr erster Weg] Stets aber führte sie ihr erster Weg D1.1, D2 126,35 Mondes] Mondes jedoch D1.1, D2 126,37-38 in der Fülle ihres Kummers] fehlt D1.1, D2 126,40-41 auch nicht ei ner von euch, um mein Angesicht zu sehen,] fehlt D1.1, D2 126,41-127,1 »Herr, unser Vater] »Unser Vater D1.1, D2 127,2 unserer Sorge und] fehlt D1.1, D2 127,3-4 von dir zurückgefordert werden und] fehlt D1.1, D2 127,4 lassen] lassen müssen D1.1, D2 127,11 ohne Trübsal und] fehlt D1.1, D2 127,11 Geheimnis] Wesen D1.1, D2 127,12 in seiner ganzen Tiefe] fehlt D1.1, D2 127,14-15 und seine Augen sollen dieses Wesen in seiner Wahrheit erschauen] fehlt D1.1, D2 127,17 Und sie gingen zu schlafen in Ruhe und Vertrauen.] fehlt D1.1, D2 127,17 Am] Absatzwechsel D1.1, D2 127,19-22 »Unser Herrscher […] wir sind gekommen, um dich das Geheimnis dieser Kräuter wissen zu lassen und ihren Endzweck.«] »Unser Herrscher, wir sind gekommen, um dich das Geheimnis dieser Kräuter wissen zu lassen.« D1.1, D2 127,22 Da nahm der Alte das Wort] Der Alte redete D1.1, D2 127,23 und höre meine Rede] fehlt D1.1, D2 127,23 siehe,] fehlt D1.1, D2 127,26 und er war das vierte Geschlecht] aus dem Geschlecht D1.1, D2

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127,30-31 gewaltigen Spruch und einen zwingenden Zauber] zwingenden Spruch D1.1, D2 128,3-4 wie die Seele Israels auf Erden] fehlt D1.1, D2 128,23 ei ne] nicht hervorgehoben D1.1, D2 128,23 unser] das D1.1, D2 128,24 Haggadah] Geschichte ihrer Befreiung D1.1, D2 128,25 Pessachnacht] Befreiungsnacht D1.1, D2 128,28-29 ein Dämon geboren, der wird […] vernichten] der Dämon des goldenen Kalbes wiedergeboren werden, dem sie einst gehuldigt hatten in der Stunde, als auf dem Weg aus Ägypten Gott sich ihnen offenbarte, und der seither im Unsichtbaren wartet, daß er ins Leben kehre, die Welt beherrsche und Israel verderbe D1.1, D2 128,32-35 und es sprachen die Stimmen […] aus dem Bangen um das Geschick der Zerstreuten und Verbannten] {, und es sprachen D1.1 , und liebreich redeten D2} die Stimmen {der Lüfte und des Wassers D1.1 aus Luft und Erde D2} von den verbannten Kindern des abgestorbenen Landes D1.1, D2 128,36 in Grauen und Staunen] fehlt D1.1, D2 129,1 vernimm] aber D1.1, D2 129,3 keinem] noch keinem D1.1, D2 129,7-9 gleiche anzufertigen, die dieser ähnlich sei […] in der Schönheit der Arbeit] ihr in der Form und in den Maßen sowie in der Schönheit der Arbeit gleiche D1.1, D2 129,13 und er entlohnte sie nach Gebühr und hieß sie gehen] fehlt D1.1, D2 129,14-15 Steinen […] und stolzem Reichtum] Steinen und Reichtum D1.1, D2 129,15-18 Dann rief er einen seiner Diener und sprach zu ihm: »[…] daß er alsbald zu mir komme.«] Er entbot einen seiner Diener: »Geh in dieser Stunde hin und rufe mir den obersten Rabbiner der Stadt, daß er alsbald zu mir komme.« D1.1 Er entbot einen seiner Diener, den obersten Rabbinen der Stadt herbeizurufen. D2 129,20 , alle ihr Männer, von mir] fehlt D1.1, D2 129,21 Weise] Rabbi D1.1, D2 129,24-25 daß sie Betrüger sind, Männer in denen keine Treue ist, und] daß in ihnen keine Treue ist und D1.1, D2 129,30-31 verborgen und geheim in deiner Macht] in deinem Besitz D1.1, D2 129,33 Weisen] Rabbi D1.1, D2 129,35-36 , aber vor dem Blick der Fremden sollst du sie bewahren] fehlt D1.1, D2 130,1 die Truhe] den Kasten D2

Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom

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130,2 ihn betrogen und] zuvor D1.1, D2 130,5-6 Der Weise aber ahnte […] nichts von dem, was geschehen war, und er] Der Rabbi D1.1, D2 130,7-8 Er gedachte in Treue seines Versprechens an den Kaiser, sie] Sie D1.1, D2 130,10-12 In der Stunde […] begab er sich mit all den Seinen zur Tafel.] fehlt D1.1, D2 130,19 Täuschung und] fehlt D1.1, D2 130,25-26 ging abermals eine Stimme aus […] sie schrie] erscholl abermals fürchterlich eine Stimme und schrie D1.1, D2 130,32-33 , zu den Weisen und Rabbinen,] fehlt D1.1, D2 130,33 zur Stunde und] fehlt D1.1, D2 130,35-36 der Haggadah] fehlt D1.1, D2 130,40 Alle sprangen […] auf.] fehlt D1.1, D2 131,2 abermals] fehlt D1.1, D2 131,14-15 und des Schreckens, von nie gesehener Gestalt] fehlt D1.1, D2 131,15 Mannes] Kalbes D1.1, D2 131,20-21 In ihrer großen Furcht […] jeder sprach zu seinem Herrn] Verwirrt standen die Weisen und jeder sprach zu seinem Herzen D1.1, D2 131,23 seinem Gott] Gott D1.1, D2 131,32 ihn] berichtigt nach D1.1 aus ihm 131,33 verflüchtigte] zerging D1.1, D2 131,34-35 , daß die böse Kraft von der Welt vernichtet war] fehlt D1.1, D2 131,39 Nacht] Nacht wie die Weisen zu Bne Brak D1.1, D2 131,41-132,4 Auch der Kaiser hatte in dieser Nacht keine Rast gefunden […] welches große Wehe […] über das Volk der Juden gekommen sei.] fehlt D1.1, D2 132,4 vor ihm erschien und ihm den Kasten übergab] damit im Palast erschien D2 132,8-15 worden? […] er vereitelt den Rat eurer Feinde.«] worden«? Nun erzählte der Rabbi die Geschehnisse der Nacht. Als der Kaiser sie vernahm, beugte sich seine Seele. D1.1, D2 Wort- und Sacherläuterungen: 124,1 Esther Schneerson-Feiwel] Ehefrau von Berthold Feiwel (18751937), Mitbegründer der demokratischen Fraktion in der zionistischen Bewegung. Er gründete zusammen mit Martin Buber 1902 den jüdischen Verlag in Berlin. 124,Anm. habe ich in einem hebräischen Büchlein gefunden, […] enthält und danach betitelt ist.] [Nachman von Bratzlaw,] Sippure ma’asijjot chadaschim, hrsg. von Eleasar Shenkel, Podgórze 1900.

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126,39 wodurch scheidet sich dieser Tag von allen Tagen] Die Frage spielt auf die vom jüngsten Sohn am ersten Pessachabend gestellte Frage nach den Bräuchen des Pessachfestes an, die in der Haggada mit der Frage eingeleitet werden: »Was ist dieser Abend anders als alle anderen … ?« Die Pessach-Haggada. Herausgegeben und erklärt von E. D. Goldschmidt, Berlin 1937 (Bücherei des Schockenverlags 54), S. 33. 127,29-30 sechsmalhunderttausend Seelen Israels, die aus Ägypten zogen.] Vgl. Ex 12,37. 127,34-35 daß der Stamm Israels verdorre und von der Welt hinweggetilgt werde.] Die Wendung vom »Hinweggetilgt-Werden« ist eine Anspielung auf die häufig wiederholte biblische Redewendung, vgl. Lev 23,30: »Und wer dieses Tages irgend eine Arbeit tut, den will ich vertilgen aus seinem Volk.«; 26,30: »Und will eure Höhen vertilgen und eure Bilder ausrotten«. 128,24-25 Festordnung der Pessachnacht] gemeint ist der Seder, der erste Abend des Pessachfestes; hebr. seder bedeutet »Ordnung«; der Sederabend wird nach einem vorgeschriebenen festen Ablauf begangen (darum seder / »Ordnung«), bei dem die Geschichte der Gefangenschaft und des Auszugs des Volkes Israel aus Ägypten gelesen wird und man bestimmte symbolische Speisen zu sich nimmt. Vgl. E. D. Goldschmidt, Die Pessach-Haggada. 128,39 Höhle des Propheten] gemeint ist die Höhle des Propheten Elija, die sich auf dem Berg Karmel befindet; der Legende nach kam Elija zum Beten hierher, bevor er die Propheten des Gottes Baal zum Gottesurteil auf dem Karmel herausforderte (vgl. I Reg 18). 130,10 Seder] der erste Abend des Pessachfestes; siehe Wort- und Sacherläuterungen zu 128,24-25. 130,16-17 Gesäuertes ist im Hause!] Zum Pessachfest dürfen keine gesäuerten Speisen oder Speisen, die gären können (hebr. chametz), verzehrt werden noch sich im Haus befinden. Vgl. Ex 12,20. Seit dem rabbinischen Judentum wurde diese Vorschrift auf alle Speisen ausgeweitet, die irgendwie mit Gesäuertem in Berührung gekommen sind. 130,23 und trank den Becher angelehnt aus] Zur Liturgie des Sederabends gehört es, dass man angelehnt isst und trinkt. vgl. Heinrich Heine, Der Rabbi von Bacherach, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 5, Hamburg 1994, S. 113: »und angelehnt wie es der Gebrauch heischt saß Rabbi Abraham und las und sang die Agade.« 130,24 die ungesäuerten Brote] hebr. mazza (Plural mazzot), das ungesäuerte Brot, das während des Pessachfestes gegessen wird. 131,34 die böse Kraft] Übersetzt den hebräischen Terminus jezer ha-ra, »das böse Prinzip«, das dem guten als Gegenpart hinzugesellt wird.

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Das Haus der Dämonen

Das Haus der Dämonen Als Quelle für die Geschichte hat Buber das 1705 erschienene Kaw hajaschar von Sevi Hirsch Koidanower (ca. 1650-1712) gedient, das er in der Nachbemerkung zu den Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen von 1934 »eins der bedeutendsten jüdischen Volksbücher« (S. 69) nennt. Zu den Änderungen in der Neufassung von 1934 vgl. den Kommentar zu »Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom«, in diesem Band S. 340 f. Textzeugen: D1: Die Sonntags-Zeit. Belletristische Beilage zu Nr. 1547 der Wiener Tageszeitung »Die Zeit«, 13. Januar 1907, S. 1-3 (MBB 90). D1.1: Autorenexemplar von D1 im MBA, an dem Buber im Zuge der Vorbereitung der Fassung von 1934 handschriftliche Änderungen vornahm. D2: Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen, Berlin: SchockenVerlag 1934, S. 23-36 (MBB 489). Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: in: Erzählungen von Engeln Geistern und Dämonen, 2. Aufl., Neuausgabe, Gerlingen: Lambert Schneider 1994, S. 29-44 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: in: Tales of Angels, Spirits and Demons, übers. von David Antin u. Jerome Rothenberg, New York: Hawk’s Well Press 1958, 61 S. (MBB 1092). Niederländisch: Vertellingen over engelen, geesten en demonen, vertaling Francis Hijszeler, Martin Buber Estate, Baarn: ten Have 2002. Ungarisch: Angyal-, szellem- és démontörtének, Paul Klee rajzaival, Ford. és a könyvet tervezte: Miklós Tama’s, Budapest: Atlantisz 2002. Variantenapparat: 133,18 kleiner] fehlt D1.1, D2 133,30 kleine] fehlt D1.1, D2 133,38 klugen und] fehlt D1.1, D2 134,6 ganz] fehlt D1.1, D2

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134,15 gar] fehlt D1.1, D2 134,39 wieder] fehlt D1.1, D2 134,39 begab es sich] fehlt D1.1, D2 135,1 gar] fehlt D1.1, D2 135,39-136,6 im Ohr, so daß er hinging […] so daß das Leben im Hause einem jeden schier unerträglich dünkte] im Ohr D1.1, D2 136,6 der junge Herr des Hauses] er D1.1, D2 136,16-17 zum Erscheinen] fehlt D1.1, D2 136,17 und Herrn] fehlt D1.1, D2 136,29-30 einzufinden, allwo er ein Gericht vorfinden werde] einzufinden, er werde hier ein Gericht vorfinden D2 136,32 Dajanim] Gerichtsbeisitzern der Gemeinde D1.1, D2 136, Anm.] fehlt D1.1, D2 136,35-36 und lass’ uns alles vernehmen, was not tut] fehlt D1.1, D2 136,37 Und es erzählte die Stimme und wurde von allen gehört] Die Stimme erzählte D1.1, D2 137,3 wunderbare und] fehlt D1.1, D2 137,8-9 wurde unter seiner Hand geboren] kam aus seiner Hand D1.1, D2 137,17-19 der Wirklichkeit fern […] es litt ihn schwer am Orte] in seine Sehnsucht vertieft D1.1, D2 137,22 ganz in Gedanken versponnen,] so D1.1, D2 138,6-7 eine unbezwingliche Sehnsucht] ein unbezwingliches Verlangen D1.1, D2 138,Anm] fehlt D1.1, D2 138,19 , strahlendes] fehlt D1.1, D2 138,20 blühend weißen] fehlt D1.1, D2 138,23 ganz] fehlt D1.1, D2 138,24 ganz] fehlt D1.1, D2 138,30 gegen jeglichen] fehlt D1.1, D2 139,2 und alt] fehlt D1.1, D2 139,5 gar] fehlt D1.1, D2 139,6 gleich] fehlt D1.1, D2 139,13 ohne Stätte] fehlt D1.1, D2 139,13 unselig] fehlt D1.1, D2 139,14 liebreich] fehlt D1.1, D2 139,22 hinweg] fehlt D1.1, D2 139,34 ein Leben der Qual und Wehmut] fehlt D1.1, D2 139,34-140,2 Schatten. Ist einst unser Dasein erfüllt […] laß die Zeit ihr Werk tun] Schatten, von den Menschen aus dem uns gewährten Raum verdrängt. Darum gib uns unser Recht D1.1, D2 140,3-5 Ueber alle die Männer aber war Kälte und Grauen gekommen

Ekstase und Bekenntnis

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[…] sie redeten untereinander, daß es ihnen billig schiene, daß den Geistern verbleibe, was ihrer sei.] fehlt D1.1, D2 140,9 Da dankte die Stimme […] und verschwebte.] fehlt D1.1, D2 Wort- und Sacherläuterungen: 136,8 Rabbi Joel, den Wundertäter, der zu Zamosc hauste] Joel Ben Uri Heilprin (1690-1757), Kabbalist aus Galizien; lebte in Zamosc; konnte vorgeblich mithilfe der jüdischen Mystik Wunder vollbringen; verfasste 1720 anonym das Werk Toledot Adam. 136,10 Zamosc] Stadt im Verwaltungsbezirk Lublin im südöstlichen Polen; am Ende des 16. Jahrhunderts von dem venezianischen Architekten Bernardo Morando (ca. 1540-1600) im Stil der italienischen Renaissance nach dem Vorbild der Stadt Padua erbaut, trägt darum auch den Namen »Padua des Nordens«.

Ekstase und Bekenntnis [Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen] Dieser Text wurde von Buber als Einleitung für die Sammlung Ekstatische Konfessionen konzipiert, die Sammlung mystischer Texte aus aller Welt, aus verschiedenen Traditionen und Zeitaltern (vgl. hierzu den Abdruck in MBW 2.2). Im Dezember 1908 veranlasste Maximilian Harden (1861-1927), der Herausgeber der Zukunft, einen Vorabdruck von »Ekstase und Bekenntnis«. Harden stellte dem Text folgende Anmerkung voran: »Die Einleitung in ein Buch, das Herr Dr. Martin Buber, unter dem Titel ›Ekstatische Konfessionen‹ (bei Eugen Diederichs in Jena), erscheinen läßt. Der Grundgedanke, der zu der Sammlung trieb, läßt sich kaum klarer ausdrücken, als in der Einleitung und dem (hier angeschlossenen) Vorwort geschehen ist. Der Name des Autors, dem wir die ungewöhnlich schönen und feinen Bücher ›Die Geschichten des Rabbi Nachmann [sic]‹ und ›Die Legende des Baalschem‹ zu danken haben und der ›Die Gesellschaft‹, eine Sammlung sozialpsychologischer Monographien, herausgiebt, bürgt dafür, daß auch diesmal eine werthvolle Gabe zu erwarten ist. Den Wunsch, Einleitung und Vorwort hier zuerst zu veröffentlichen, habe ich umso lieber erfüllt, als über das Wesen der Ekstase noch nicht viel Haltbares gesagt worden ist; trotz Allem, was gerade in neuerer Zeit über Johannes von Ruysbroek, den Doktor exstaticus, ans Licht gebracht wurde. Vielleicht das Beste hat Renan in den Kapiteln über Paulus geleistet (›Les commotions cérébrales produisent parfois une sorte d’effet rétroactif et troublent complétement les souvenirs des moments qui ont précédé la crise‹ [›Gedankliche Anregungen verursachen manchmal eine

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Art von nachträglicher Auswirkung und beunruhigen vollkommen die Erinnerungen an diejenigen Augenblicke, die der Krise vorausgingen‹ (Ernest Renan, Les Apôtres. Histoire des origines du christianisme, Bd. 2, S. 182)]. Hier aber läßt der Sammler in den verschiedensten Kulturzonen uns ekstatische Zustände bestimmter Menschen miterleben. Nicht die Psychologie, Physiologie, Pathologie dieser Menschen will er uns zeigen, sondern ihr Erlebnis uns noch einmal erleben lassen.« (Maximilian Harden in: Die Zukunft 65, 5. Dezember 1908, S. 380).

Im Buberheft der Neuen Blätter wurde 1913 ein Teil der Einleitung zu den Ekstatischen Konfessionen unter dem Titel »Das Reden des Ekstatikers« an erster Stelle abgedruckt. Es folgt darauf »Von der Lehre«, »Das verborgene Leben«, »Das Judentum und die Menschheit«, »Der Sinn der chassidischen Lehre«, »Kultur und Religiosität«, »Buddha«, »Drei Legenden vom Baalschem«, und der Aufsatz »Martin Buber« von Gustav Landauer. Die Auswahl entspricht hauptsächlich den zwei zentralen Themenbereichen der bis dahin erschienenen Werke Bubers: dem Chassidismus, worunter man auch den jüdischen Mythos zu verstehen hat, und der Mystik. Buber nimmt zwar 1917 »Ekstase und Bekenntnis« unverändert in seine Sammlung Die Rede, die Lehre und das Lied auf, doch wird nun eine gewisse Distanzierung deutlich, wenn er im Vorwort schreibt, dass von jenen drei »Erscheinungen des Wortes« die erstere, die in den Ekstatischen Konfessionen dargestellt wurde, »den seiner Absicht nach zum Mißlingen verurteilten Versuch einer redenden Mitteilung des zuinnerst Erlebten, das ›Bekenntnis‹« darstellt (Die Rede, die Lehre und das Lied, Leipzig: Insel-Verlag 1917, S. 5). Erlebt wird aber in allen Fällen – also auch bei der Lehre und beim Lied – das Gleiche: das Einswerden der Seele (vgl. ebd., S. 6). Dass die Mitteilung des Erlebten bei der Rede und nur bei ihr von vornherein zum Scheitern verurteilt sei, liege daran, dass »es sich als einen persönlich erfahrenen Inhalt berichten« wolle. Nur beim Bekenntnis sei das ursprüngliche Erlebnis noch zu spüren. Während die Lehre das Erlebnis in die wahrhaftige, absolute Offenbarung erhebe, und es im Lied keinen Gegenstand mehr darstelle, sondern nur noch »wirkende Kraft« sei, die die Welt magisch beschwören und bezwingen wolle, blieben in der Rede »noch die Spuren des Erlebnisses«. Sieht es Buber auch mittlerweile für geboten an, sich von dem früheren Aufsatz zu distanzieren, begründet er die Entscheidung, die Einleitung trotz sichtbaren Mangels unbearbeitet in Die Rede, die Lehre und das Lied wiederabzudrucken, damit, dass er es für unrecht halte, »das Werden in seinen Urkunden als Material zu benutzen, für recht, es als etwas Abgelöstes und Entrücktes zu ehren« (S. 7). Dabei sollen die drei dort versammelten Aufsätze auch ihren Charakter als »Gelegenheitsarbeiten«

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bewahren. Ganz unberührt ist die Einleitung letztlich aber doch nicht geblieben. Wie so oft konnte Buber es offenbar auch hier nicht über sich bringen, den Text ganz in seinem ursprünglichen Wortlaut zu belassen. Textzeugen: h: unvollständige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 69); 1 lose Seite; in blauer Tinte; enthält einen Abschnitt des Textes (in diesem Band: S. 141,15-19) und einen zusätzlichen Absatz (vgl. Variantenapparat). D1: Vorabdruck in: Die Zukunft 65, 5. Dezember 1908, S. 381-388 (in MBB nicht verzeichnet). D2: Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen, Jena: Eugen Diederichs 1909, S. XI-XXVI (MBB 99). 3 d : Teilabdruck: mit dem Titel »Das Reden des Ekstatikers« versehener Auszug (in diesem Band: S. 144,14-149,40); in: Neue Blätter. Der dritten Folge erstes und zweites Heft. Buberheft, Hellerau u. Berlin: Erich Baron 1913, S. 5-14 (MBB 127). D4: in: Die Rede, die Lehre und das Lied. Drei Beispiele, Leipzig: Insel Verlag 1917 u. 2. Aufl. 1920, S. 9-34 (MBB 175). D5: Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen, Leipzig: Insel Verlag 1921, S. 11-22; veränderte Neuausgabe (MBB 251). D6: Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen, Leipzig: Insel Verlag 1923, S. 11-22 (MBB 251) D7: in: Das Inselschiff. Eine Zeitschrift für die Freunde des Inselverlages, Leipzig: Insel Verlag, Weihnachten 1927, S. 38-49 (in MBB nicht verzeichnet). D8: Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen, Berlin: Schocken Verlag 1933 (Titelauflage der Ausgabe von 1923), S. 11-22 (in MBB verzeichnet). d9: Teilabdruck dreier Abschnitte (in diesem Band: S. 144,14-144,31, S. 144,41-145,18, S. 146,23-146,41), in: Literatur-Revolution 19101925: Dokumente, Manifeste, Programme, hrsg. von Paul Pörtner, Darmstadt [u. a.]: Hermann Luchterhand 1960, Bd. I, S. 167-168 (in MBB nicht verzeichnet). Wiederabdrucke nach dem Tod des Autors: Teilabdruck (Auszug), in: Theorie des Expressionismus, hrsg. von Otto F. Best, Stuttgart: Reclam 1976, S. 94-96 (in MBB nicht verzeichnet). Rationalität und Mystik, hrsg. von Hans Dieter Zimmermann, Frankfurt a. M. 1981, S. 85-95 (in MBB nicht verzeichnet).

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Teilabdruck (Auszug), in: Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910-1920, hrsg. von Thomas Anz und Michael Stark, Stuttgart: Metzler 1982, S. 578-581 (in MBB nicht verzeichnet) Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen, hrsg. u. mit einem Nachwort versehen von Paul Mendes-Flohr, Heidelberg: Lambert Schneider 1984, S. XXI-XXXVIII (in MBB nicht verzeichnet). Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen, in: Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker, gesammelt von Martin Buber, hrsg. von Peter Sloterdijk, München: Eugen Diederichs 1993, 2. Aufl. 1994, S. 53-67 (in MBB nicht verzeichnet). Einleitung der Ekstatische[n] Konfessionen, in: Mystische Weltliteratur. Gesammelt von Martin Buber, hrsg. von Peter Sloterdijk, München: Hugendubel 2007, S. 53-67 (in MBB nicht verzeichnet). Übersetzung: Englisch: Ecstasy and Confession [Introduction of Ecstatic Confessions], übers. von Esther Cameron, versehen mit einer Einleitung von Paul Mendes-Flohr, San Francisco: Harper & Row 1985, Syracuse: Syracuse University Press 1996, S. 1-11. Italienisch: Estasi e confessione, Confessioni estatiche, übers. und mit einer Einleitung versehen von Cinzia Romani, Milano: Adelphi [1987], 2. Aufl. 1990, 3. Aufl. 2000, 4. Aufl. 2002, 5. Aufl. 2005, 6. Aufl. 2010, S. 21-36. Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 141,Titel] Einleitung: Ekstase und Bekenntnis D5, D6, D8 141,4 Einem] ei nem D2 141,8 häuft] häuft den Überfluß D4, D5, D6, D7, D8 141,19 Aber Das ist der Gottessinn des Menschenlebens] Aber das ist der Gottessinn des Menschenlebens, dass nicht bloss das Getriebe ist sondern auch das Wunder, und dass hinter dem Getriebe das Wunder hervorschaut allerorten und allezeit, und dass das Getriebe der Schein ist und das Wunder die Wirklichkeit. Und das ist nicht das Wunder eines alten Götzen, das von der Wunderlosigkeit eines neuen Götzen umgebracht wird, sondern es ist ein rechtes [Gotteswunder] ! Gottes- und Menschenwerk, und von all euren Wahrheiten und Sicherheiten nicht umzubringen, weil es das Innen ist zu allem Aussen und die Einheit zu aller Vielheit und weil es erlebt wird von dir und von mir, allerorten und allezeit. h

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142,24 Welt] hervorgehoben D2, D4, D5, D7 142,25 sich] hervorgehoben D2, D4, D5, D6, D7, D8 142,27 Jenes] Absatzwechsel D2, D4, D5, D6, D7, D8 142,32 Cambray] Cambry (st. 1639) D5, D6, D7, D8 143,21 geschieden und in dieser Scheidung bewußt] geschieden in dieser Scheidung und bewußt D6, D7, D8 143,Anm.] fehlt D4 144,24 nun] fehlt D4, D5, D6, D8, d9 144,34 des Vaters] meines Vaters d3 145,16-17 in ihren] in ihrem d9 145,22-23 o' mnon majn ⁄llÞ ka½ pajn tÞ je…a] berichtigt aus o' monon majwn ⁄lla kai pajwn ta jeia; fehlt d3 145,35 außer] hervorgehoben D2, D4, D5, D6, D7, D8 146,10 heranstürmen siehst] heranstürmen D2, D3, D4, D5, D6, D7, D8 146,23-25 Das Bewußtsein stellte die Ekstase hinaus […] das Unsagbare zu sagen.] fehlt d3 146,37 das Andere] hervorgehoben D2, D3, D4, D5, D6, D7, D8 146,38 Es] kein Absatzwechsel d3 147,18 schamlose] gewandte D4, D5, D6, D7, D8 147,19-20 das Wort] hervorgehoben D2, D3, D4, D5, D6, D7, D8 147,36-37 (they suffer […] they please)] fehlt d3 148,5 weit] fehlt d3, D4, D5, D6, D8 149,38 ein] hervorgehoben D2, D3, D4, D7 Wort- und Sacherläuterungen: 142,7 das Chaos, das Gewimmel der Finsterniß] Möglicherweise Anspielung auf das »Tohuwabohu« (hebr. tohu-wa-bohu) der Schöpfungsgeschichte (Gen 1,2), das meist mit »wüst und leer« wiedergegeben wird, und auf welches das Wort »Finsternis« (hebr. choschech) folgt. Buber übersetzt den Vers zunächst wie folgt: »Und die Erde war Wirrnis und Wüste, / Finsternis allüber Abgrund.« Das Buch im Anfang. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Berlin: Lambert Schneider 1925, S. 7. 142,17 Sonne und Auge] Vgl. Martin Buber, Ich und Du, Leipzig: InselVerlag 1923, S. 79, über das »volle Ich Goethes«, das »Ich des reinen Umgangs mit der Natur«: »So bleibt, wenn es auf sich zurückgeht, der Geist des Wirklichen bei ihm, das Schauen der Sonne haftet an dem glücklichen Auge, das sich auf seine Sonnenhaftigkeit besinnt«. Der Begriff »Sonnenhaftigkeit« geht zurück auf Goethes Verse: »Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,/ Wie könnten wir das Licht erblicken?« In der Einleitung zum »Entwurf einer Farbenlehre« (WA II.1, S. XXXI).

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142,27-28 als Projektion bezeichnen] Der Begriff der Projektion in Bezug auf die Religion wurde im Zusammenhang mit Ludwig Feuerbachs Schrift Das Wesen des Christentums (1841) bekannt, wonach die Theologie als Produkt des menschlichen Geistes und die Vorstellung von Gott als Veräußerlichung und Vergegenständlichung der Idee vom Wesen des Menschen anzusehen sind. 142,33-37 »Ich bin genöthigt, Euch die innere Noth […] Jahre geübt habe, zu nichts nützlich.«] Pierre de Cambry, Abrégé de la vie de dame Jenne de Cambry, Anvers 1659, S. 84. Das Zitat findet sich in deutscher Übersetzung auf einer handschriftlichen Notiz Bubers, zusammen mit der »Erklärung: Gott oder Teufel. Jene Zeiten sahen die Macht und Fülle des Menschlichen noch nicht« (MBA, Arc. Ms. Var. 350, Beth 69). 143,Anm. bei Dieterich, Eine Mithrasliturgie […] in dem der Gläubige steht] Albrecht Dieterich, Eine Mithrasliturgie, Leipzig 1903, S. 116 ff. 144,3-4 Paulus weiß nicht, ob seine Seele in dem Leibe oder außer dem Leibe war] Vgl. Paulus im zweiten Brief an die Korinther: »Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es.« 2 Kor 12,2 f. 144,4 Haj Gaon] Haj Gaon (939-1038): jüdischer Theologe, Rabbi und Gelehrter; Leiter der Akademie von Pumbedita; zu seiner Zeit eine der maßgeblichen Autoritäten der Mischna-Kommentierung. 144,6-8 »Dann öffnet sich der Himmel […] der göttlichen Dinge eintritt.«] nicht nachgewiesen. 144,29-30 ihren Fuß zu setzen auf den Nacken des Getriebes] Vgl. Jos 10,24: »Als aber die fünf Könige zu ihm herausgebracht waren, rief Josua alle Männer Israels zu sich und sprach zu den Obersten des Kriegsvolks, die mit ihm zogen: Kommt her und setzt eure Füße auf den Nacken dieser Könige. Und sie kamen und setzten ihre Füße auf ihren Nacken.« 144,32-40 »Nun spricht« […] wo alle Rede endet.«] Das Zitat geht auf Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Zweiter Band Meister Eckhart. II. Tractate, XI. Von der Übervart der Gotheit, hrsg. von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 507, zurück, das als Vorlage für die Edition die Handschrift Einsiedeln, Stiftsbibliothek, cod. 277 verwendet hat. Allerdings sind in Bubers Wiedergabe zwei Textblöcke vertauscht; Buber richtet sich in dieser geänderten Reihenfolge vermutlich nach

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der Handschrift Berlin, Staatsbibliothek, mgq 191, von deren Wiedergabe des Zitats sich in Bubers Notizen zu den Ekstatischen Konfessionen im MBA eine Abschrift von Bubers Hand findet (Arc. Ms. Var. 350, Beth 69). Es sei angemerkt, dass in der heutigen Forschung nicht mehr angenommen wird, dass das Zitat oder der Traktat, in dem es zu finden ist, von Eckhart selbst stammen. 145,16-17 und Erkenntniß ist […] gigantisches Koordinatensystem des Geistes.] Vgl. die Darstellung des Rationalismus in: Martin Buber, Ereignisse und Begegnungen, Abschnitt »Mit einem Monisten«, Leipzig: Insel-Verlag 1917, S. 25 (jetzt in: MBW 1, S. 253): »Ich denke ihn mir als ein engmaschiges Netz, das alle Phänomene einfängt und dem keins wieder entschlüpfen kann.« 145,19 Buche des Hierotheos] Anfang des 6. Jahrhunderts wahrscheinlich von dem syrischen Mönch und Mystiker Stefan bar Sudaili (gest. 550) verfasste Schrift, die im ausgehenden 9. Jh. vom syrisch-orthodoxen Patriarchen Theodosios (gest. 896) ausführlich kommentiert wurde und im 13. Jh. eine beachtenswerte Renaissance erfuhr. 145,19-20 (des Syrers Stefan bar Sudaili?)] Vgl. Arthur Lincoln Frothingham, Stephen Bar Sudaili, the Syrian mystic, and the Book of Hierotheos, Leiden 1886, der zu dieser Spekulation über die Identität des Hierotheus den Anstoß gab. 145,21 areopagitischen Schriften] siehe Wort- und Sacherläuterung zu 82,26, in diesem Band, S. 293. 145,21 von dem es in den areopagitischen Schriften heißt […] o' mnon majn ⁄llÞ ka½ pajn tÞ je…a] Pseudo-Dionysius, De Divinis Nominibus, Cap. II, § IX, in: Patrologiae Graecae Tomus III. S. Dionysius Areopagita, hrsg. von Jean-Paul Migne, Paris 1857, Sp. 647-648. Das Wort verdankt seinen Ruhm der Überlieferung durch Thomas von Aquin, der in seiner Summa Theologica auf die Beschreibung des Hierotheus bei Dionysius hinweist: »et Dionysius dicit, II cap. de divinis nominibus, Hierotheus doctus est non solum discens, sed et patiens divina.« (Pars Prima, Frage 1, Artikel 6, ad 3). 145,24-29 »Mir scheint es recht […] Vereinigung mit dem wesenhaften Urgut.«] »To me it seems right to speak without words, and to understand without knowledge, that which is above words and knowledge: this I apprehend to be nothing but the mysterious silence and mystical quiet which destroys consciousness and dissolves forms. Seek therefore, silently and mystically, that perfect and primitive union with the essential Arch-Good.« (Frothingham, S. 96). In einer Mappe im MBA findet sich ein Notizzettel, auf dem Buber das englische Originalzitat unter der Überschrift »Frothingham aus d. Buche des Hiero-

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theos / (Stephen Bar Sudaili, Leyden 86, p. 96)« notiert hat (Arc. Ms. Var. 350, Beth 69). 146,5-13 »… Sehen wirst du aber […] und aufleuchtet aus der Tiefe.«] Zitiert aus: Dieterich, S. 7-9, wo der griechische Text samt Übersetzung und Kommentar wiedergeben wird. Buber hat anscheinend die Übersetzung Dieterichs leicht verändert. Bei Dieterich liest man Folgendes: »Sehen wirst du aber, wie die Götter dich ins Auge fassen und gegen dich heranrücken. Du lege sogleich den Zeigefinger auf den Mund und sprich: ›Schweigen! Schweigen! Schweigen!‹, das Zeichen des lebendigen unvergänglichen Gottes, ›Schütze mich, Schweigen!‹ […] Wenn du nun die obere Welt rein siehst und einsam und keinen der Götter oder Engel herankommen, erwarte zu hören gewaltigen Donners Krachen, so daß du erschüttert wirst. Sprich du aber wiederum: ›Schweigen! Schweigen!‹ Gebet: Ich bin ein Stern, der mit Euch seine Wandelbahn geht und aufleuchtet aus der Tiefe.« 146,19 Herr, Herr: da haben wir ihn verloren.] Zumindest in rhythmischer Hinsicht wohl eine Umwandlung des Wortes Jesu am Kreuz, Mt 27,46: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« 146,22 das Eine, das noththut] Vgl. Lk 10,42: »Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.« Dieses Wort Jesu kommt bei Buber – seinem eigentlichen Kontext im Neuen Testament entfremdet – häufig vor (vgl. Martin Buber, Das Judentum und die Menschheit, in: Buber, Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911, S. 55 (jetzt in: MBW 3, S. 237); ders., Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, »Von dem Sinn. Gespräch im Garten«, Leipzig: Insel-Verlag 1913, S. 73 (jetzt in: MBW 1, S. 211); ders., Ereignisse und Begegnungen, Abschnitt »Buddha«, S. 4 (jetzt in: MBW 1, S. 247); sowie ders., Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 187-203, hier S. 191, und ders., Jüdische Religiosität, in diesem Band, S. 204-214, hier S. 209) und dürfte auch auf die Lektüre von Kierkegaard zurückgehen, der das Zitat wiederholt gebraucht. Auch bei Nietzsche könnte Buber darauf gestoßen sein (Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Erster Band, in: Giorgio Colli u. Mazzino Montinari (Hrsg.), Kritische Gesamtausgabe, Vierte Abteilung. Zweiter Band, Berlin 1967, S. 329). Im Nachwort zu Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse wird es als Inbegriff der Lehre dargestellt – vgl. Martin Buber, Die Lehre vom Tao, in: Reden und Gleichnisse des TschuangTse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, Leipzig: Insel Verlag 1910, bes. S. 94 ff.; jetzt in: MBW 2.3, S. 101 ff.; vgl. dort auch S. 269. »Öfters verwendete Buber die Worte ›das Eine, das not tut‹, aber er

[Mystik als religiöser Solipsismus]

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zielte damit nicht auf etwas bestimmtes, sondern auf sie selbst, auf die Einheit die not tue.« Manfred Voigts, Martin Buber oder: Entscheidung und Gemeinschaft, in: Richard Faber u. Christine Holste (Hrsg.), Der Potsdamer Forte-Kreis, Würzburg 2001, S. 101-110, Zitat S. 105. 147,1 Bernhard von Clairvaux] Bernhard von Clairvaux (1091-1153) lehnte die Erkenntnis als Selbstzweck ab; für ihn ist die mystische Schau die Quelle alles Erkennens und die Ekstase der höchste Seelenzustand, in dem die Seele sich reinigt und, das Ich aufgebend, zu Gott hinaustritt. 147,5-6 Fateor et mihi adventasse verbum: Ich bekenne, daß auch mir das Wort genaht ist.] Sancti Bernardi abbatis primi clarae-vallensis opera, Bd. 2, hrsg. von Jean Mabillon, Venedig 1750, Sermo LXXIV, 5, S. 808. 147,12-16 »Wenn ich hinausschaute […] der durch es bewegt wird.«] Vermutlich Bubers eigene Übersetzung. Der Satz »dass wir in ihm leben, uns bewegen und sind« geht zurück auf Apg 17,28. 147,32-37 »Und wenn sie«, […] and call it what they please).«] Jeremy Taylor, Antiquitates Christianae: or, The Life of our Blessed Lord and Saviour Jesus Christ, London 1675, S. 60 (im Abschnitt »Of Meditation«): »and when they suffer transportations beyond the burthens and support of Reason, they suffer they know not what, and call it what they please«. 148,39 wie ein Thor mit sieben Schlössern] evtl. Anspielung auf das neutestamentliche Bild vom »Buch mit den sieben Siegeln« aus der Offenbarung des Johannes (Apk 5). 149,6 ex alt a ti o ] lat. »Erhöhung«. 149,39-40 welches Meeres Rauschen wir hören] Zur Verbindung der geschauten Einheit mit dem Bild des Meeres, vgl. das Nachwort zu Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse: Buber, Die Lehre vom Tao, S. 96 (jetzt in: MBW 2.3, S. 111): »Seiner [Lao-Tses] Rede, dem Buche [Tao-te-king] merkt man überall an, daß es gar nicht das war, was wir Rede nennen, sondern nur wie das Rauschen des Meeres aus seiner Fülle, wenn ein leichter Wind es berührt.«

[Mystik als religiöser Solipsismus] Dieser Text, der Bubers Beitrag einer Diskussion zwischen Troeltsch, Georg Simmel und ihm dokumentiert, die auf dem Ersten Deutschen Soziologentag 1910 in Tübingen stattfand (abgedruckt in: Verhandlungen des

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Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M., Tübingen 1911, S. 166-192), ist seine Replik auf Troeltschs Vortrag »Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht«. »Troeltsch war kein Mystiker, aber er hat bei der Herausarbeitung der sozialen Ausprägungsweisen christlich-religiöser Ideen der ›Mystik‹ neben ›Kirchen‹ und ›Sekten‹ soziologisch stets ihren legitimen Ort zuerkannt.« (Gangolf Hübinger, Kulturkritik und Kulturpolitik des EugenDiederichs-Verlags im Wilhelminismus, Auswege aus der Krise der Moderne?, in: Umstrittene Moderne. Die Zukunft der Neuzeit im Urteil der Epoche Ernst Troeltschs, hrsg. von Horst Renz, Gütersloh 1987, S. 259-274, Zitat S. 107) Buber wendet sich gegen diese Auffassung und hebt an der Mystik ihre dezidiert innerliche Seite hervor, womit sie zu einer aller Soziologie entrückten Erscheinung erklärt wird, die sich auch der Sphäre des Rechts gegenüber indifferent verhält. Textzeuge: D: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M., Tübingen: J. C. Mohr 1911, S. 206-207 (MBB 113). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 150,2 die Gesamtdarstellung, die Herr Professor Troeltsch hier gegeben hat] Ernst Troeltsch, Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M., Tübingen 1911, S. 166-192. 150,5-6 Dieses Schema beruht auf einer Dreiteilung von Kirche, Sekte und Mystik.] In seinen Schriften ist Troeltsch der Frage der Sektenbildung intensiv nachgegangen. Vgl. u. a.: Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912; ders., Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, hrsg. von Hans Baron (= Ernst Troeltsch, Gesammelte Schriften, Bd. 4), Tübingen 1925. 150,10 daß sie lediglich eine psychologische Kategorie ist] Der wohl bekannteste Vertreter einer psychologischen Deutung des mystischen Erlebnisses war der amerikanische Psychologe und Philosoph William James (1842-1919). 150,16 »Apperzeption Gottes«] Apperzeption – seit Leibniz und Kant in der Logik und der Erkenntnistheorie Begriff für eine urteilende Auf-

Kalewala, das finnische Epos

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fassung, die im Gegensatz zum bloßen Haben von Vorstellungen ein aktiv gliederndes, oft systematisierendes Bewusstseinsverhalten bezeichnet. 150,18-20 Sie erscheint mir aber andererseits […] auf der Religiosität aufgebauten soziologischen Ganzen.] Zum Begriff der Religiosität siehe den Text »Zwiefache Zukunft«, in diesem Band, S. 169 f. 150,29-30 Ein gutes Beispiel hat bereits Herr Professor Weber angeführt aus der russischen Religiosität.] Max Weber, Geschäftsbericht und Diskussionsreden auf dem ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt 1910. Erste Diskussionsrede zu Ernst Troeltschs Vortrag über »Das stoisch-christliche Naturrecht«, in: Weber, Schriften zur Soziologie und Sozialpolitik, Tübingen 1924, S. 467; zuerst erschienen in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M., S. 196-202, 210-211.

Kalewala, das finnische Epos Dieser Text den Buber zunächst im Literarischen Echo 1912 publiziert hat, wurde zwei Jahre später als Nachwort zu der von Elias Lönnrot (1802-1884) zusammengestellten und von Anton Schiefner (1817-1879) ins Deutsche übertragenen Ausgabe des finnischen Nationalepos Kalewala, gedruckt. Buber erkennt in der Herausgeberschaft Elias Lönnrots ein Verfahren, das seiner eigenen Sammlung und Bearbeitung der chassidischen Legenden verwandt ist. Darüber hinaus knüpft er hier, am Beispiel des lebendigen, schöpferischen Erbes tradierter Volksmythen, an seine Vorstellungen des Schöpferischen an, wie sie in den frühen Texten des vorliegenden Bandes bereits Darstellung fanden. Die Bewahrung des Mythos soll durch die Bearbeitung und verlebendigende Vergegenwärtigung einer Art von gegenwartsbezogener Philologie gewährleistet werden. Für die Ausgabe von 1922 ging Buber diesem Prinzip gemäß noch einen Schritt weiter, indem er nun selbst die Übersetzung Anton Schiefners einer schöpferischen Bearbeitung unterzog. Kohn betont Bubers vertiefte Überzeugung von der magischen Kraft des Worts, wie sie in den fünf Werken, die zwischen 1909 und 1914 entstanden sind (Ekstatische Konfessionen 1909, Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse 1910, Chinesische Geister- und Liebesgeschichten 1911, Die vier Zweige des Mabinogi 1914, Kalewala 1914), zum Ausdruck kommt. »Das finnische Epos ist Bericht von der Macht des Zauberers, der die

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Worte beherrscht, und ihre Verherrlichung. Es ist das Epos des schöpferischen Wortes.« (Kohn, Martin Buber, S. 88) Im Vergleich zu der Wiedergabe der Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse war das Verfahren bei der Kalevala-Ausgabe »insofern das gleiche als er bereits vorhandene Übersetzungen als Vorlage benutzte, wobei er von chinesischen Freunden, bzw. von ›jungen Finnen‹ sprachliche Hilfe erhielt.« (Erich Kunze, Martin Bubers Kalevalaausgabe mit einem Nachweis der von ihm benutzten Literatur, in: ders., Deutsch-finnische Literaturbeziehungen, Helsinki 1986, S. 68-76, Zitat S. 69). Leicht gemacht habe Buber sich seine Bearbeitung dabei nicht, so Kunze (ebd., S. 71). Zum Prozedere der Auseinandersetzung mit dem Werk schreibt Buber selbst rückblickend: »Dass ich nicht willkürlich ändern durfte, war offenbar, also schaffte ich mir das Originalwerk, eine Grammatik und ein Wörterbuch an. 1913 war ich soweit, dass ich alles vergleichen konnte; 1913 machte ich die Arbeit. Für ein paar schwierige Stellen wandte ich mich an Fachleute, doch erinnere ich mich an diese Einzelheiten nicht mehr genau. Bald fand ich, dass es möglich war, nicht bloss vieles dichterisch richtiger, sondern auch manches treuer als Schiefner wiederzugeben.« (Brief Bubers an Erich Kunze vom 3. Mai 1953, in: Erich Kunze’s Archive, National Library of Finland, HYK: coll. 484) Bubers Entschluss, die Schiefnersche Übersetzung zu überarbeiten, war also »eine intensive Beschäftigung mit dem Epos vorangegangen; sie dauerte an, bis die Arbeit beendet war. Nichts zeigt dies deutlicher als die ›Anmerkungen‹, die Buber dem Werk beigab. Er kommentiert jeden einzelnen Gesang, und der Kommentar enthält fast die gesamte finnische und ausländische Forschung, die in jener Zeit über ›finnische Poesie‹, bzw. das finnische Epos vorlag.« (Kunze, S. 70). »Die Zensurbehörde untersagte weitere Neuauflagen, unter Verweis auf die jüdische Abstammung Bubers, sodass man mit der Planung einer neuen metrischen Übersetzung begann.« Päivi M. Methtonen u. JussiPekka Hakkarainen, Retelling The Kalevala: From Martin Buber’s Mysticism to Third Reich Cultural Politics, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 87. Jg., Nr. 1 (2013), S. 123139, Zitat S. 123. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 61); 16 paginierte Seiten; ohne Datum; mit dem Titel »Nachwort« versehen. D1: Das literarische Echo, 14. Jg., Nr. 25, 1. September 1912, Sp. 16111622 (MBB 119). 2 D : Nachwort, in: Kalewala, das National-Epos der Finnen, übers. von

Kalewala, das finnische Epos

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Anton Schiefner, München: Georg Müller 1914, S. 467-478 (MBB 132). D3: Das Epos des Zauberers, in: Die Rede, die Lehre und das Lied. Drei Beispiele, Leipzig: Insel Verlag 1917, S. 95-126 (MBB 175). 4 : D Einführung, in: Kalewala, das National-Epos der Finnen, übers. von Anton Schiefner. Bearbeitet und durch Anmerkungen und eine Einführung ergänzt von Martin Buber, München: Meyer & Jessen 1922, S. IX-XX (MBB 269). D5: Einführung, in: Kalewala, das National-Epos der Finnen, übers. von Anton Schiefner. Bearbeitet und durch Anmerkungen und eine Einführung ergänzt von Martin Buber, verbesserte Neuausgabe, 5. Tsd., Berlin: Lambert Schneider 1927, S. IX-XX (MBB 338). D6: Das Epos des Zauberers, in: Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 84-103 (MBB 919). Druckvorlage: D1 Übersetzung: Hebräisch: »Epos hakosem«, in: Bechinot, Nr. 8, Nisan 1955. Über ›Kalewala, ausgewählte Abschnitte‹, Übersetzung Saul Tschernikowsky, Berlin 1929/30, Übersetzung der Einleitung in das Buch Kalewala, S. 15-20. (MBB 1008) Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: Nachwort I, in: Kalevala. Das Nationalepos der Finnen. Nach der deutschen Übertragung von Anton Schiefner und Martin Buber. Neubearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Wolfgang Steinitz, Rostock: Hinstorff Verlag 1968, S. 387-395 (MBB 1315). Variantenapparat: 152,Titel] Nachwort H, D2, D7 Das Epos des Zauberers D3 Einführung D4, D5 Das Epos des Zauberers / (1913) D6 152,1-12 Motto] fehlt H, D3, D6 152,14 die Schöpfung] das Werk ! die Schöpfung H 152,15 Liedern] Liedern ! Reimen ! Liedern H 152,15-16 das nicht vorher […] sein Leben gehabt hätte] das nicht [im lebendigen Wort, in der rauschenden Stimme der Geschlechter, in der Fülle ewig wechselnden Wortes und ewig gleichmässigen Gesanges] ! vorher in dem [heiligen schriftfreien schriftlosen] tönenden Gedächtnis des Volkes sein Leben [und seine Dauer] gehabt hätte[, schriftfremd] H

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Einzelkommentare

152,21 Volkssänger] Sänger H 152,26 verschiedenes] verschiedenes, sei es dass er sich mehr an den Vorgang als an das Wort erinnert, oder dass er eine bessere Fassung zu bilden sucht H 152,29-30 für jeden Vorgang die vollständigste,] fehlt H 152,33 Auch] kein Absatzwechsel H 153,3 hervorbrachte] gebar H 153,8 Weite und Einheitlichkeit des Wissens] [Wissen und an Überblick] ! Weite und Einheitlichkeit des Wissens H 153,12 Daß] kein Absatzwechsel H 153,15 Epos, das eine Einheit war] Epos, [an die uralte Dichtung, die] das eine Einheit war H 153,22 im Reich des Wirkens] im Reich des Wirkens [ist Trug ein leeres Wort, und das Fruchtbare allein ist wahr] H 153,23 seine Probabilität] [der Wahrheitsgehalt des Glaubens] ! seine Probabilität H 154,5 Und] kein Absatzwechsel H 154,Anm.] fehlt D3, D6 154,Anm. (1766–1778)] fehlt H 154,Anm. 1867.] 1867. S. 303-381 H 154,24 verbunden] zusammengeschlossen ! verbunden H 154,33 über der flüchtigen Welle] [aus der kommenden und schwindenden Welle] ! über der flüchtigen Welle H 155,7 besinnt] besinnt, ihn formt oder umformt H 155,10 gleichmäßigen] gleichmässigen, urzeitlichen H 155,19-20 dem Jünger […] kundgegeben] [seinem Sohn oder einem andern] dem Jünger, vorzugsweise seinem Sohne, [mitgeteilt, dem Uneingeweihten gegenüber aber als ein] kundgegeben H 155,28 Kalma, der Tod, ist sein Waffengefährte.] fehlt D7 155,34 zu Tale] zu Tale beim Nahen der göttlichen Stunde H 155,35 , mit einer neuen Stimme] fehlt H 155,37 seine »Natur«] seinen Dämon, seine »Natur« H 156,Anm. 2] fehlt D3, D6 156,Anm. 2 Loi t si r u noja ] ergänzt (Des finnischen Volkes alte Zauberrunen) D2, D4, D5 156,Anm. 3] fehlt D3, D6 156,17 Gewalt] Kraft H 156,19 Gewalt] Kraft H 156,20 fort] fort: beide ihre Ganzheit bewahrend mitten in einem [zerfallenen,] von modernem Christentum und modernen Wirtschaftsformen zersprengten Leben H

Kalewala, das finnische Epos

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157,19 spricht,] spricht, [war das Grundgefühl der Sammlergeneration, aus der Lönnrot hervorging. Der Verfall des Volksgesanges hatte begonnen] H 157,23 retten strebt] erhalten sucht ! retten strebt H 157,24-25 durch Überführung] [mittelbar] durch Verpflanzung H 157,27 Kraft] Grösse H 157,40 vertreten] repräsentieren ! vertreten H 157,41 Romantiker] Dichter ! Romantiker H 158,2 schlug] glühte ! schlug H 158,4 verschmolz] band ! verschmolz H 158,34 Bitterkeit] Kummer ! Bitterkeit H 159,9 gewaltsam] fehlt H 159,18 Magister] Kandidat ! Magister H 159,21 derben] festen H 159,39 : »Kantele« heißt die Sammlung] fehlt H 159,41 herrscht] ausgebrochen ist ! herrscht H 160,1 Seuche] Krankheit H, D2, D3, D4, D5, D6 160,Anm.] fehlt H, D3, D6 160,19-20 Hier […] die drei Stimmen] Hier erst sind [Zwischen den beiden Fassungen veröffentlichte Lönnrot Sammlungen von Volksliedern, Sprichwörtern, von Rätseln, denen später eine Sammlung von Zauberrunen folgte; sie sind alle von grundlegender Bedeutung für die finnische Volkskunde. Aber es sind nur Bücher; sein einziges Werk blieb das Kalewala. Es war kein wissenschaftlicher Geist; es verstand nur Prämissen zusammenzustellen, aber es vermochte nicht zu folgern, vielleicht weil sich wesentlich] die [Arten] ! Formen H 160,21 Zauberspruch] Zauberrune H 160,22 zu einem Chor] zur Einheit ! zu einem Chor H 160,23 Gestalt] Form ! Gestalt H 160,28 lebendigen] lebensvollen ! lebendigen H 160,29 objektivierte] realisierte H 160,31 s i ngt ] nicht hervorgehoben H, D2, D3, D4, D5, D6 160,32 S t ü c k ] nicht hervorgehoben H, D2, D3, D4, D5, D6 160,37 grundlegende] wesentliche ! grundlegende H 161,2 durfte.] durfte. [Er war kein Gelehrter, die strenge Methode war seinen Kreisen fremd] [er steht aufnehmend, nicht prüfend zu seinem Material; er war auch kein Dichter, seine eigenen lyrischen Versuche haben keine Kraft und sind wesenlos; sein Schöpferisches war die kombinierende, X Funktion des Laulaja.] H 161,7-10 ; eine Methode […] lückenlos überschauen können] fehlt H 161,Anm.] fehlt H, D3, D6

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161,15-16 einen unmittelbaren] den entscheidenden ! einen unmittelbaren H 161,18 Zusammenschiebung] Zusammenhang ! Zusammenschiebung H 161,19 fiktiven] fehlt H 161,26 Kristallisationskern] Idee H 161,30 vollbracht werden] geschehen H 162,10 reihen] verknüpfen ! reihen H 162,12 verschmolz] vereinigt H 162,Anm. 6] fehlt D3, D6 162,18 recht eigentlich] im inneren Sinne H 162,19-23 Die Laulajat verknüpften Motive und Lieder […] Aber Lönnrot war der erste und einzige, der […] das Eine aus ihm bestimmte] Durch sie erst vollendet sich die Schöpfung des Volkes zum Werke H 162,24-30] fehlt D7 162,Anm. 7] fehlt H, D3, D6 162,27 Werdens] Werdens und gemeinsamer Bestimmung H 162,35 wesenerhaltenden] entscheidenden ! wesenerhaltenden H 163,1-2 durch etwas anderes, Besonderes] in einem anderen prägnanten Sinne H 163,2 das finnische Volksepos] ein Volksepos H 163,3 imaginative] [vorstellende und] imaginative H 163,10 eigentümlicher Gehalt] eigentümliches Element H 163,11 vage Gebilde] schwankende ! substanzlose ! vage Gebilde, [ohne Substanz] H 163,13 der magischen Handlung, die] des magischen Aktes, der H 163,17 schleudern] werfen H 163,17 den Gott] die Götter ! den Gott H 163,31 der Gegenstand] [das ewige Motiv] ! der Gegenstand H 163,32 explosiv] unbiographisch H 163,33 eigentlich] [eigentlich] H 163,35 das Reich] die Welt ! das Reich H 163,41 Wälder] Pflanzen ! Wälder H 163,41 erzeugt] geschaffen ! erzeugt H 164,3-4 , der Boden fruchtbar gemacht und dem Samenkorn göttliche Kraft verliehen] fehlt H Wort- und Sacherläuterungen: 152,1-11 »… Um die epische Poesie aber steht es weit anders, […] der Dichtung unerfindbare Wahrheit.«] Jacob Grimm, Über das finnische Epos, in: Grimm, Kleinere Schriften, Bd. 2: Abhandlungen zur Mythologie und Sittenkunde, Berlin, 1865, S. 75-113, Zitat S. 75 f. Buber zi-

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tiert an zwei Stellen nicht korrekt. Im Original heißt es: »und gelangt zur Blüte« sowie: »die ganz junge Kunst der Poesie«. 154,8-9 eine der wohllautendsten und gefügsten des Erdbodens hat sie Jakob Grimm genannt] Grimm, Über das finnische Epos, S. 82. 157,5-17 »Ich war damals ein kleiner Knabe und lauschte, […] die allein niederzuschreiben, die mein Vater wußte.«] »Olin silloin pieni poika ja kuuntelin heitä, joten vähitellen opin parhaat laulut. Mutta paljon olen jo unhottanut. Pojistani ei tule yhtäkään laulajaa minun kuoltuani, kuten minusta isäni jälkeen. Ei enää pidetä vanhoista lauluista niinkuin minun lapsuudessani, jolloin niillä oli etusija, tehtiinpä työtä tai kokoonnuttiin joutohetkinä kylässä. Tosin kuulin vielä jonkun kokouksissa niitä laulavan, etenkin kun on hieman ryypätty, mutta harvoin sellaisia, joilla olisi jotakin arvoa. Sen sijaan nuori väki nyt laulelee omia rivoja laulujaan, joilla en edes tahtoisi huuliani saastuttaa. Jospa silloin joku, kuten nyt, olisi etsinyt runoja, ei hän kahdessa viikossa olisi ehtinyt panna kirjaan edes sitä, minkä isäni yksinänsä osasi.« Elias Lönnrot, Elias Lönnrotin Matkat. I Osa, Helsingissä 1902, S. 222. 157,30 Eine blauweiße Madonna des Luca] Anspielung auf die zumeist in blau und weiß glasierten Terrakottaplastiken aus der Werkstatt des Florentiner Bildhauers Luca della Robbia (ca.1400-1481). Seine Arbeiten waren im 15. Jahrhundert sehr erfolgreich und fanden v. a. in der Toskana weite Verbreitung. Der Neffe des Luca della Robbia, Andrea della Robbia (1435-1525), der die Werkstatt nach dem Tod seines Onkels übernahm, schuf um 1500 einen Altar der Himmelfahrt Marias, ebenfalls in den Farben blau und weiß. 157,33-34 die Robbiawände des Bargello] Der Palazzo del Bargello ist ein im 13. Jahrhundert erbauter Stadtpalast in Florenz, der seit 1866 bis heute ein Museum mit einer der weltweit bedeutendsten Skulpturensammlungen beherbergt. Zwei Museumsräume sind den Terrakottaskulpturen des Andrea della Robbia und seines Sohnes Giovanni gewidmet, nach dessen Tod die Werkstatt stillgelegt wurde. 159,29-31 »wie ein zweiter Orpheus […] wie ein neuer Wäinämöinen«] »Sellaisissa tilaisuuksissa olen aina kuvitellut itseäni toiseksi Orfeukseksi tai, puhuakseni isänmaallisemmin, uudeksi Väinämöiseksi.« Elias Lönnrot, Elias Lönnrotin Matkat. I Osa, Helsingissä 1902, S. 39. Schwedische Übersetzung: »Jag har alltid förekommit mig själv vid sådana tillfällen som en annan Orpheus eller för att tala mera patriotiskt, som en ny Väinämöinen.« Elias Lönnrot, Vandraren, Stockholm 2002, S. 74. Deutsche Übersetzung: »Ich bin mir bei solchen Gelegenheiten selbst immer wie ein neuer Orpheus vorgekommen oder, mehr

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patriotisch ausgedrückt, wie ein neuer Väinämöinen.« Elias Lönnrot, Der Wanderer, aus dem Schwedischen übertragen, herausgegeben und mit einem Vorwort von Gisbert Jänicke, Leipzig 1991, S. 82 f. 159,39 »Kantele« heißt die Sammlung.] Elias Lönnrot, Kanteletar oder alte Lieder und Gesänge des finnischen Volkes, Helsingfors 1840-1841. 160,Anm. 4 der Schiefnerschen Uebertragung (1852)] Kalewala, das National-Epos der Finnen, nach der zweiten Ausgabe ins Deutsche übertragen von Anton Schiefner, Helsingfors 1852. 160,Anm. 4 Eine von mir besorgte Neuausgabe der Schiefnerschen Uebertragung (1852) erscheint demnächst bei Georg Müller in München.] Kalewala, das National-Epos der Finnen, übers. von Anton Schiefner, München: Georg Müller 1914. 161,4-6 und daß er ein Nachgeborener war, […] ist Lönnrots Methode in der Gestaltung des »Kalewala« zu verstehen] Vgl. Bubers Einleitung zur Legende des Baalschem, wo Buber sich selbst im Zusammenhang seiner Arbeit an den chassidischen Legenden als »ein[en] Nachgeborene[n]« beschreibt, der die Geschichten neu erzähle: »ich habe sie neu erzählt als ein Nachgeborener«. Buber, Die Legende des Baalschem, S. II. 161,32-33 daß er die Worte des wagefrohen Lemminkäinen […] auf sich anwandte.] Vgl. Kalewala, Erste Rune, Z. 1-6: »Werde von der Luft getrieben, / Von dem Sinne aufgefordert, / Daß ans Singen ich mich mache, / Daß ich an das Sprechen gehe, Daß des Stammes Lied ich singe, / Jenen Sang, den hergebrachten«; Erste Rune, Z. 13-14: »Komme jetzt mit mir zu singen, / Komme um mit mir zu sprechen«. Die Worte Lemminkäinens kommen in der zwölften Rune im Gespräch zwischen diesem und seiner Mutter vor, die ihn von seinem Vorhaben abhalten will, sich aufzumachen und um die Saarijungfrau zu werben (Zwölfte Rune, Z. 157-168): »Anders hatte man gedrohet, / Anders ging die Sach’ vonstatten, / Drohten zaubernd mich zu bannen, Drohten tief mich zu versenken/ In den Sumpf, daß ich getreten, / In den Schmutz gestecket würde / Bis zum Kinn in Morasterde, / Bis zum Bart in argen Boden, / Aber ich ein Mann, wenn einer, / War auch dabei nicht in Nöthen, / Ich erhob mich selbst zum Sänger, / Schuf mich selbst zum Zaubersprecher«. Kalewala, das National-Epos der Finnen, übers. von Anton Schiefner, München: Georg Müller 1914, S. 3 u. 95. 163,2-8 daß es die beiden Elemente […] und so der Einheit des lebendigen Mythos einen einheitlichen Ausdruck schuf.] Vgl. die handschriftlichen Notizen zum Kalewala, loses Blatt, MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 61a: »Sind das Epische (vorstellendes Element d.[es] My-

Die Mythen des Chassidismus

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thos) u.[nd] d.[as] Magische (handelndes, wirkendes Elem.[ent] d.[es] Mythos) in der Entstehung d.[er] Rune getrennt, so sind sie doch im Mythos vereinigt, u.[nd] z.[war] [unleserlich] spricht im [unleserlich], der ein seinem Wesen nach magischer Mythos ist (vgl. Comp.[aretti]). Wesen d.[es] mag.[ischen] Mythos. / Dadurch, dass im Epos d.[ie] ep.[ischen] u.[nd] d.[ie] mag.[ischen] Runen sich vereinigen, wird d.[as] Epos zu einer Wiederspiegelung , der Einheit d.[es] Mythos.« 164,11-17 Aus dem Glauben an die schöpferische Macht der Rune […] Lönnrot erst hat sie wirklich in die epische Rune eingeführt.] Vgl. die handschriftlichen Notizen zum Kalewala, loses Blatt, MBA Arc. Ms. Var. 350, Beth 61a: »Schon die epische Rune trägt die Einheit in sich, weil die das Geschehen als ein magisches Geschehen erzählt. Der Gesang feiert u.[nd] bestätigt sich selbst, indem er seine Macht erzählt. / Dies wird im Epos durch Aufnahme der Zauberrune in extenso (im Gegens.[atz] zu Braun u.[nd] Laul.) verständ[lich?]./ D.[as] Kalewala, die Epopöe des magischen Aktes, u.[nd] z.[war] spez.[iell] des schöpferischen Wortes.«

Die Mythen des Chassidismus Im Allgemeinen bereitet dieser Text, der in dem Sammelband Heimkehr. Essays jüdischer Denker (Cernowitz, Berlin 1912) publiziert wurde, viele Überlegungen von »Der Mythos der Juden« (1913; in diesem Band, S. 171 ff.) vor, doch sind auch wichtige Unterschiede in der Akzentuierung festzustellen. Im Vergleich zum Aufsatz »Der Mythos der Juden« hat Buber hier noch als mystisches Erlebnis eine Art Ekstase vor Augen. Die Formulierung der chassidischen Lehre und ihrer fundamentalen Ansicht hebt den Aspekt der unio mystica hervor: »jede [Handlung] wird heilig durch die Heiligung der Seele in ihr und vermag dann die Seele dem Göttlichen zu vereinigen« (in diesem Band, S. 166). Somit knüpft er an Gedanken an, die er 1908 in »Das Leben der Chassidim« als Polarität von Ekstase (Hitlahabut) und gemeinschaftlichem Dienst (Aboda) in Zeit und Raum entwickelt (s. Legende des Baalschem, S. 2-21) und Ende 1910 erneut in seiner Rede »Die Erneuerung des Judentums« unter den Stichwörtern »die Einheit« und »die Tat« allgemeiner ausgebreitet und noch ausdrücklicher mit Kabbala und Chassidismus in Verbindung gebracht hat (s. JuJ, S. 34-37; jetzt in: MBW 3, S. 244-250). Hingegen formuliert Buber in dem späteren Aufsatz etwas vorsichtiger, indem er die grundlegende, dem Chassidismus zugeschriebene Auffassung des

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Mythisierens auf eine Vereinigung der Gottesherrlichkeit (Schechina), des in den Dingen schlummernden Göttlichen, mit dem Wesen Gottes beschränkt. Ebenso tritt im Unterschied zur ersten Ausgabe von »Die jüdische Mystik« in der Fassung für die Chassidischen Bücher (1928) an die Stelle der mystischen Wendung »sich mit Gott zu vereinigen« nun das etwas vorsichtigere »das Göttliche aufnehmen«. Dies legt nahe, »Die Mythen des Chassidismus« als einen Übergangstext zu betrachten, was auch zu dem Umstand passt, dass der Text entstand, als Bubers Arbeit an Daniel (jetzt in MBW 1, S. 183 ff.) schon weit fortgeschritten war. Wie schon in der 1908 erschienenen Legende des Baalschem macht Buber auch hier die Juden zum Vorbild eines mythenschaffenden Volks, was Unterstellungen der durch rassentheoretische Gedanken beeinflussten Wissenschaften entgegenarbeiten soll. Eine solche Motivation sollte Buber dann ein Jahr später noch einmal in »Der Mythos der Juden« zur Führung eines Gegenbeweises bewegen. Dort werden die im vorliegenden Aufsatz kurz erwähnten »modernen Rassentheorien«, besonders in den Vorarbeiten und dem zugrundeliegenden Vorlesungsmanuskript, ausführlich zitiert und teilweise beim Namen genannt (in diesem Band, S. 171 ff.). Die auf den ersten Blick paradoxe Verbindung zwischen Freiheit und Treue, die Buber am Ende des Aufsatzes herstellt, bildet ein Hauptthema fast jeder Einführung in seine chassidischen Bücher beginnend mit Die Geschichten des Rabbi Nachman (1906), gelangte aber erst in Mein Weg zum Chassidismus (1917) zur vollen Ausprägung. Bis dahin ändert sich Bubers Ansicht von den verschiedenen Gattungen des jüdischen Mythos allmählich. Mit Der große Maggid (1922) setzt bei Buber schließlich ein neues Verständnis seiner Aufgabe als nacherzählender Nachgeborener ein, wobei ihm das Weiterdichten oder Hinzufügen von neuen Motiven als nicht mehr zulässig erscheint (vgl. Der große Maggid und seine Nachfolge, Frankfurt a. M. 1922, S. VIII). Die Charakterisierung der Textgrundlage des Chassidismus als äußerst dürftig und fragmentarisch bleibt dabei fester Bestandteil seiner Darstellung. Textzeugen: D1: Heimkehr. Essays jüdischer Denker, hrsg. vom jued.-nat. akad. Verein »Emunah« Czernowitz, mit einem Vorwort von Universitätsprof. Dr. Leon Kellner, Czernowitz u. Berlin: Louis Lamm 1912, S. 187-188 (MBB 122). D1.1: Autorenexemplar von D im MBA. Druckvorlage: D1

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Variantenapparat: 165,31 stärkeren] ! stärksten D1.1 166,19 sich] berichtigt aus: sie nach D1.1 Wort- und Sacherläuterungen: 165,9-13 Die mythenbildende Kraft der Menschenseele ist darin begründet, […] in dem ein zentraler Sinn sich kundgibt.] Wie der ganze Gedankengang nehmen auch dieser und der nächste Satz fast wortidentisch Formulierungen des Aufsatzes »Der Mythos der Juden« vorweg; s. in diesem Band, S. 171 ff. 165,21 modernen Rassentheorien] gemeint sind außer allgemeinen rassentheoretischen Ideen etwa bei Gobineau (1816-1882) oder H. S. Chamberlain (1855-1927) insbesondere Theorien von der mythenfeindlichen Einstellung der Juden, die in der neueren Forschung zur Bibel im Zusammenhang von Mythos, Legende und Märchen aufgestellt wurden; vgl. in diesem Band den Kommentar zu »Mythos der Juden« (S. 377-383). 165,35-166,1 Innerhalb dieser Mystik aber ist es vor allem ihr Höhepunkt, der Chassidismus, der einen großen Mythenkreis schuf.] Vgl. in diesem Band (»Der Mythos der Juden«), S. 174.

Der jüdische Sagenschatz Bei diesem kurzen Text, der nur in Manuskriptform vorliegt, handelt es sich um die Einleitung zu einer Sammlung von jüdischen Sagen. Obwohl kein Werk genannt wird, lässt das Zitat, das Buber dem Herausgeber der Sagen zuschreibt, nur auf ein Buch schließen, denn es findet sich in fast identischer Form im Vorwort zu Die Sagen der Juden (erschienen 191327 in fünf Bänden) von Micha Josef bin Gorion, dem Pseudonym von Micha Berdyczewski (1865-1921). Dort heißt es: »Es mußte aus dem Sagenchaos eine Art neuen Sagen-Midraschs geschaffen werden, wie es teilweise auch geschah, als die Sage noch in vollem Fluß war; gänzlich ist übrigens dieser Fluß bis heute nicht abgelaufen.« (Micha Josef bin Gorion, Die Sagen der Juden. Mythen, Legenden, Auslegungen, übers. von Rahel Ramberg-Berdyczewski, 5 Bde., Frankfurt a. M. 1913-1927, Bd. 1, S. XIII) Der erste Band erschien 1913 bei Rütten & Loening, der zweite im folgenden Jahr, und wir wissen, dass Buber deren Veröffentlichung in seine Obhut nahm (Carsten Wurm, 150 Jahre Rütten & Loening … mehr als eine Verlagsgeschichte 1844-1994, Berlin 1994, S. 91 f.; vgl. auch MBW 1, S. 53). Buber war zu der Zeit bei Rütten & Loening als Lektor

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tätig und organisatorisch am literarischen Programm des Verlags beteiligt. Seine ersten chassidischen Erzählungen erschienen ebenfalls dort. Buber war im Verlag durchaus in der Position, von ihm geschätzte Werke auch relativ unbekannter Autoren zum Druck zu befördern (vgl. MBW 1, S. 53). Vier Jahre später sollte Buber im ersten Jahrgang von Der Jude (1916) drei Geschichten aus bin Gorions anderer wichtiger Midraschsammlung, Born Judas, bringen (Der Born Judas. Legenden, Märchen und Erzählungen, gesammelt von M. J. bin Gorion, 6 Bde., Leipzig 1916-1922; vgl. die Einleitung zu diesem Band, S. 38). Der dreizehn Jahre ältere Berdyczewski war ein Vorläufer Bubers auf dem Gebiet der Sammlung und Erforschung des jüdischen Mythos. Neben ihm hatten auch Simon Dubnow, Samuel Horodezky und Jizchak Leib Perez (1852-1915) Buber auf diesem Gebiet vorgearbeitet. Als Anhänger Nietzsches hatte Berdyczewski dessen Aufruf zur Wiederentdeckung des Volksmythos wahrgenommen und versuchte in diesem Sinne zu wirken. Von daher wurde er zu einem eifrigen Sammler jüdischen Volksguts auf den Gebieten des Mythos und des Chassidismus (siehe Zipora Kagan, Homo Anthologicus: Micha Joseph Berdyczewski and the Anthological Genre, in: The Anthology in Jewish Literature, hrsg. von David Stern, Oxford 2004, S. 211-225). Gegen die Vorherrschaft des Rabbinismus, der dem gesunden Volk Verstandeskult und Gesetzesdenken aufgedrängt habe, betonte er die Lebenskraft von Sagen und Legenden der jüdischen Vergangenheit, die ihm wie auch Buber eine Art Gegen-Tradition bildeten (vgl. Aschheim, S. 122-125). Es galt, eine seit der Niederschrift der Thora angeblich verdrängte Tradition jüdischer Mythen und Legenden aufzudecken und neuzubeleben. Im Vergleich zu Buber neigte Berdyczewski aufgrund einseitiger Nietzsche-Lektüre eher zum Nihilismus und ausdrücklichen Atheismus, zur Macht- und Schönheitsverherrlichung (vgl. Kohn, Martin Buber, S. 36-37, der den Einfluss von Berdyczewskis Dichtungsemphase und Schönheitsgedanken auf Buber würdigt). Kontakte zwischen Buber und Berdyczewski hatte es schon seit einigen Jahren gegeben. Zur Mitarbeit an der zionistischen Zeitung Die Welt hatte Buber ihn schon 1902 eingeladen. Herzl gegenüber zählte er Berdyczewski damals zu den »Besten« (Brief von Buber an Theodor Herzl vom 27. Februar [1902] in: B I, S. 172). Obwohl er wenige Jahre später dann milde Kritik an dessen Werk üben und jeden Einfluss auf die eigene Produktion abstreiten sollte, ist ihm Berdyczewski immer noch »ein in Betracht kommender Mensch« (Brief von Buber an Hugo von Hofmannsthal vom 26. Juni 1906 in: B I, S. 243-244). Ein Jahr zuvor nennt er ihn in dem in diesem Band vorliegenden Aufsatz über »Jüdische Mär-

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chen« (S. 108 ff.) unter den »bedeutenden Forschern« dieser im Westen vernachlässigten Literatur. Buber sandte Berdyczewski eine Kopie des eben erschienenen Die Legende des Baalschem, worauf dieser mit Dankbarkeit und Lob antwortete, aber zugleich auch am Buch auszusetzen hatte, dass es dem Chassidismus historisch nicht gerecht werde, insofern als die chassidischen Quellen unzureichend differenziert seien und Buber dabei »zuweilen aus sich selbst heraus in die Sachen hineingebracht habe[n], was in ihnen in Wirklichkeit nicht enthalten ist« (Brief von Micha Josef Berdyczewski an Buber vom 9. April 1908 in: B I, S. 262). Dies hat Buber nicht daran gehindert, dass er im folgenden Jahr Berdyczewski bei seinem Gründungsplan für eine »Societät zur Sammlung, Herausgabe u. ev. Übertragung jüdischer Mythen, Sagen u. Legenden« mit Rat beistand (Brief von Micha Josef Berdyczewski an Buber vom 28. Februar 1909 in: B I, S. 273). Die beiden kannten sich auch persönlich aus der Donnerstagsgesellschaft, die sich 1908-1915 im Restaurant Steinert in Berlin traf (vgl. Aschheim, S. 129. Auch MBA Arc. Ms. Var. 350, 112/7 für den Stammtisch der Donnerstagsgesellschaft). Daran nahmen außerdem als Stammgäste teil: Moritz Heimann (1868-1925), Gerhart Hauptmann (1862-1946), Oskar Loerke (1884-1941), Ephraim Frisch (18731942), Otto Mueller (1874-1930), Walther Rathenau (1867-1922) und Alfred Mombert. Es steht zu vermuten, dass Rathenau auf Bitten von Moritz Heimann die Arbeit Berdyczewskis an den Legenden der Juden finanziell unterstützte (Aschheim, S. 281). Das berühmte Sammelbuch Vom Judentum, das Bubers »Mythos der Juden« enthält, bringt im letzten Teil (»Aus alten Büchern«) einen Beitrag von Berdyczewski, der aus den rabbinischen Quellen »Fünf messianische Texte« zusammenstellt (vgl. Bar Kochba (Hrsg.), Vom Judentum. Ein Sammelbuch, Leipzig 1913, S. 267-273). Scholem verzeichnet in seinen Tagebüchern im Anschluss an die Aufzählung der Themen für ein geplantes Buch über Buber: »Dann Bubers Lehre vom Mythos als der wesenhaftesten Welterkenntnis. Bubers Tätigkeit zur Aufzeigung des mythischen Besitzes im Kreise meist unbekannter Völker. Jüdischer Mythos (ist er etwa mitschuldig an Berdyzewskys [sic] Sammlung der jüdischen Sagen?)« (Scholem, Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis 1923, 1. Halbbd.: 1913-1917, S. 106 f., Eintrag vom 15. Mai 1915). Und weiter an anderer Stelle: »Buber auch an den Sagen mitgearbeitet. Man bekommt immer wieder Hochachtung vor dessen Tätigkeit und umfassender Energie. Das Buch ist schön, jedoch Sagen der Juden ein nicht ganz richtiger Titel. Zu viel Mystik, die doch nicht Volksgut war, wenigstens nicht zu einem großen Teile. Man müßte sehen, das Literarische mehr auszuscheiden.« (ebd., S. 199-200, Eintrag

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vom 14. Dezember 1915). In einem Brief an Buber vom 28. Januar 1917 erwähnt Scholem die Sammlung in vergleichsweise respektvollem Ton. Er habe, so Scholem, in seinem Aufsatz über das Problem der Übersetzung aus dem Jiddischen von Berdyczewskis Büchern nur die Sagen der Juden genannt, »weil mir dort (und im 1. mehr als im 2. Bande, der aber gleichwohl hervorragend ist) die Sphäre eine metaphysisch reinere zu sein scheint als in dem ›Born Judas‹« (Brief von Gerhard (Gershom) Scholem an Buber vom 28. Januar 1917, in: B I, S. 468). Textzeugen: zweiteilige Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 27): H1: erste Niederschrift, 3 unpaginierte Seiten. H2: einseitige Reinschrift von H1, die eine von Buber niedergeschriebene Grundschicht (H2.1) und eine Überarbeitungsschicht von zweiter Hand (H2.2) enthält; mit einem Eingangsstempel versehen, der das Datum 23. Dezember 1912 angibt; bei der Beantwortungsbestätigung wurde kein Datum eingetragen. Druckvorlage: H2.1 Variantenapparat: 167,1 grössten und] [grössten und] H2.2 167,2 Insbesondre] Insbesondre aber H1 167,9-11 Wie die Schriftsteller […] die Mythensprache] Wie die hSchriftsteller deri Bibel sowohl [historische Vorfälle der jüdischen Geschichte] jüdisch-historische Überlieferungen als die Mythensprache H1 167,11 verwerteten] benutzten H1 167,12 Tradition] Überlieferung ! Tradition H1 167,13 aus Elementen uralten Dämonenglaubens] aus [der Materie des alten] ! Elementen uralten Dämonenglaubens H1 167,14 volkstümlicher] nationaler H1 167,15 unsäglich] [unsäglich] H2.2 167,17 hinaus] hinaus ja bis auf unsere Tage H1 167,18 durch die Einwirkung der mittelalterlichen jüdischen Mystik] [in der Kabbala und der neuen] ! durch die Einwirkung jüdischer Mystik H1 167,19-20 Kreis von Erzählungen und Erzählungsfragmenten] Mythenkreis H1 167,23-24 unzugänglich] wenig zugänglich H2.2 167,24-25 er wird […] erschlossen] er ist für ihn erst durch die vorliegende Publikation entdeckt worden H1

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Zwiefache Zukunft

167,26 umfassenden] vollständigen H1 167,27 Gestalt] [Form] ! Gestalt H1 167,31 , auf mythischem Grunde aufgebauten Schrifterklärungen] mythenhaltigen [Bibelkommentaren] ! Schriftkommentaren H1 167,32 Schrifterweiterungen] Bibelerweiterungen ! Schrifterweiterungen H1 167,34 , ihre Synthese] fehlt H1 167,35-36 enthalten] enthielten H1 167,37 getreu] sinngetreu H1 167,37 allen] allen Leserkreisen H2.2 168,1 dürfen] [können] ! dürfen H1 168,1-2 , die […] eingeführt zu werden begehren] [, die […] eingeführt zu werden begehren] H2.2 Wort- und Sacherläuterungen: 167,19-22 So ist ein stetig wachsender Kreis von Erzählungen […] und in ewigem Werden begriffene Bibel darstellt.] Vgl. »Der Mythos der Juden«, in diesem Band S. 179: »Die eine [Sage] folgt dem Gang der Bibel, so daß sich um den Bestand der Schrift eine zweite, gleichsam eine in unzähligen Schriften verstreute Sagenbibel geformt hat«. 167,29-30 »Es musste«, […] »eine Art neuen Sagen-Midraschs geschaffen werden«] Micha Josef bin Gorion, Die Sagen der Juden, Band 1, Frankfurt a. M. 1913, S. XIII.

Zwiefache Zukunft Wie Buber selbst in der Vorbemerkung zum vollständigen Abdruck des Aufsatzes 1916 in Die jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen 1900-1915 bemerkt, ist »[D]ieser Aufsatz … als Antwort auf eine Umfrage über die Zukunft des Judentums in dem IV. Band des von S. Hurwitz herausgegebenen hebräischen Sammelbuchs Heathid (Die Zukunft) erschienen« (in diesem Band S. 169). Der IV. Band dieses Jahrbuchs, der 1912 in Berlin erschien, publizierte den Aufsatz in hebräischer Übersetzung. (Zur Zeitschrift vgl. Elias Hurwicz, Shay Ish Hurwitz and the Berlin He-Athid. When Berlin was a Center of Hebrew Literature, in: Leo Baeck Institute Yearbook XII (1967), S. 85-102.) Da die im MBA erhaltene Handschrift alle Eigenschaften einer ersten Niederschrift aufweist, steht zu vermuten, dass der in He-Athid veröffentlichte Aufsatz auf diesen deutschen Text zurückgeht, der dann ins Hebräische übersetzt wurde. Angesichts dieses Zusammenhangs bezieht sich der Vermerk zu

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Beginn des Manuskripts (»V. H. H.«) auf die Redaktion des Sammelbuchs He-Athid, und ist vermutlich als »Verehrter Herr Hurwitz« zu lesen. Ein Teilabdruck des deutschen Textes erschien 1913 unter dem Titel »Kultur und Religiosität« im Buber-Heft der Neuen Blätter III, 1/2 neben den Aufsätzen »Das Reden des Ekstatikers«, »Von der Lehre«, »Das verborgene Leben«, »Das Judentum und die Menschheit«, »Der Sinn der chassidischen Lehre«, »Buddha«, »Drei Legenden vom Baalschem« und Gustav Landauers »Martin Buber«. Wie der ursprüngliche Titel des Aufsatzes »Kultur und Religiosität« andeutet, weist der Text Ähnlichkeiten mit anderen Aufsätzen Bubers auf, die sich ebenso eines derartigen schematischen Gegensatzes bedienen, wie etwa »Kultur und Zivilisation – Einige Gedanken zu diesem Thema« (1901), wo zwischen Epochen der »Kulturreife« und »solchen der Kulturkeime« unterschieden wird (MBW 1, S. 159). Insbesondere fällt die unmittelbare Nähe zu »Jüdische Religiosität« auf, wo Buber unter dem unverkennbaren Einfluss Nietzsches auf exemplarische Weise das Erbe Simmels herausarbeitet, dem er den Begriff der »Religiosität« ursprünglich verdankt (in diesem Band S. 204-213). Eine ähnliche Differenzierung erfolgt auch in den in diesem Band enthaltenen Schriften »Mystik als religiöser Solipsismus«, »Die Mythen des Chassidismus« und »Der Mythos der Juden«, wobei Buber normalerweise die »Religiosität« gegen die »Religion« ausspielt (in diesem Band S. 150 f.; S. 165 f.; S. 171-179). In den kaum mehr als zehn Jahren, die den vorliegenden Text von »Kultur und Zivilisation« trennen, hat das Wort »Kultur« einen bemerkenswerten Bedeutungswandel erfahren. Sein im früheren Aufsatz durchaus positiver Sinn, wo er wie später »Religiosität« das schöpferisch Punktuelle im Menschen meint, das im Leben schließlich immer wieder aufblitzt, wird jetzt geradezu umgekehrt, so dass Kultur sich nun nicht mehr auf die Seele, sondern auf die Formen bezieht. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 83); 5 unpaginierte Seiten; ohne Datum; mit Korrekturen von Bubers Hand; die erste Seite ist links oben mit »V.H.H.«, rechts oben mit dem Titel »Kultur und Religiosität« versehen, der später mit Bleistift von fremder Hand hinzugefügt wurde; am Ende des Textes »M. B.«. d: Neue Blätter. Der dritten Folge erstes und zweites Heft. Buberheft, Hellerau u. Berlin: Erich Baron 1913, S. 61-62 (MBB 127). D: »Zwiefache Zukunft«, in: Die jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen 1900-1914, Berlin 1916, S. 217-221 (MBB 232).

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Druckvorlage: D Übersetzungen: Hebräisch: »Atid Mischne« [Zwiefache Zukunft], in: Heathid, Band IV, Berlin 1912, S. 93 f. (MBB 125). Variantenapparat: 169, Titel] Kultur und Religiosität H, d 169, Vorbemerkung] fehlt H, d 169,4 gestrichener Zusatz vor dem ersten Textabschnitt [Es gibt Probleme, die man, wenn man ihnen auf den Grund gekommen ist, nicht mehr in einem Aufsatz, sondern nur noch in einem Buch oder – in einem Aphorismus behandeln kann. Da ich Ihnen kein Buch schreiben kann, muss ich mich mit einem Aphorismus begnügen.] H 169,4 Mächte] Grundkräfte ! Sphären ! Mächte H 169,4 Geschichte] Geschichte [eines Volkes] H 169,6 Lebensformen] Lebensformen [eines Volkes] H 169,9-10 in dem allein der Same einer werdenden Religiosität] [in dem eine werdende Religiosität ihren Samen wirft, den Samen ihrer Ideologie] ! in dem allein der Same einer werdenden Religiosität H 169,11 objektiviert] realisiert H 169,12 Form] Form [der kirchlichen Gebundenheit] H 169,14 wieder] fehlt H 169,17 Gesetz] Gesetz [des Geistes] H 169,19 Zerbrechen] Zerbrechen und dieses Chaos H 169,21 zuversichtlichen] sicheren ! zuversichtlichen H 169,25 Zerbrechen] Chaos H 169,30 Leben] Sinn des Lebens ! Leben H 169,38 noch] fehlt H 169,38 innere Gewalt] Kräfte ! innere Gewalt H 170,1 keine innere Sicherheit] kein Gleichmass ! keine innere Sicherheit H 170,2 letzten] fehlt H 170,3 den Brand] die ungeheure Erschütterung ! den ungeheuren Brand H 170,4 dem Läuterfeuer des Brandes] der Erschütterung ! dem Läuterfeuer des Brandes H 170,5 ein Volk zu verjüngtem Leben geleiten.] das [Volk aus dem Tale des erstarrten Daseins über die Höhen der religiösen Erneuerung] Volk zu [neuem] ! verjüngtem Leben führen. H 170,6-42 Damit ist im Grunde […] einformend zu Kultur.] fehlt d

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170,6-7 was ich zur Frage nach der Zukunft des Judentums zu sagen habe] was [ich zu Ihrer Frage sagen wollte] ich zur Frage nach der Zukunft des Judentums zu sagen habe H 170,7 Goluskultur] Galuth-Kultur H 170,7-8 , weil ihre Lebensformen zerfallen sind] h, weil ihre Lebensformen zerfallen sindi H 170,11 noch nicht zu sterben brauchen] hnochi nicht zu sterben brauchen H 170,11-12 daß wir noch nicht sterben können] fehlt H 170,13 aber kann nichts anderes sein als das einzige] kann nur das einzige sein H 170,15 Ich habe bereits einmal gesagt] Ich habe [an anderem Orte] ! bereits einmal gesagt H 170,18 sein kann] [sind] ! sein kann H 170,18 Jetzt und hier] [Dies ist der Ort, wo Hier und jetzt] ! Jetzt und hier 170,19 schreienden] [lärmenden] ! schreienden H 170,21 wohl noch innere Gewalt] hwohl nochi innere Gewalt H 170,23 Und doch] Dennoch d 170,24 die aufbauende] die schöpferische, aufbauende H 170,27 Vermischung] [Vermischung] ! Vermählung H 170,28 Vermählung] [Verbindung] ! Vermählung H 170,29-30 Wiedervermählung] Wiederkehr H 170,31 zu ihrer eigenen Erde] zu ihrer eignen Erde[, um sich mit ihr zu vermählen, um sie zu bebauen und Kinder] H 170,32 neues Volk] neues [jüdisches] Volk H 170,35 Kultur] heinei Kultur H 170,37 ein tiefes] [das tiefste] ! ein tiefes H 170,38 Erlösung] [Befreiung] ! Erlösung H 170,39 ein Volk] ein [altes] Volk H 170,39-40 dem letzten Laute] hdem letzten Lautei H Wort- und Sacherläuterungen: 170,7 Goluskultur] »Golus« hebr. für »Exil«. 170,16-18 »die ungeheure Zerissenheit […] heutigen Juden«] Buber zitiert aus der dritten seiner drei Reden über das Judentum mit dem Titel »Die Erneuerung des Judentums« (jetzt in MBW 3, S. 236-256, Zitat S. 242).

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Der Mythos der Juden

Der Mythos der Juden Am 16. Januar 1913 hielt Buber im Rahmen der alljährlichen Vorlesungsreihe des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag einen Vortrag über das Thema »Der Mythos der Juden«. Dies geschah auf Einladung des damaligen Obmanns des Vereins, Hans Kohn, der ein leidenschaftlicher, wenn auch nicht unkritischer Anhänger Bubers war und später eine der ersten umfassenden Interpretationen von Bubers Leben und Werk vorlegen sollte (Hans Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit, Hellerau 1930). Buber war den Pragern kein Fremder. Schon 1903 sprach er dort neben Berthold Feiwel über »Jüdische Renaissance« (siehe Friedman, I, S. 125). Auf dem Zionistischen Kongress von 1903 war Buber auch Delegierter des Prager Vereins und vertrat dort dessen im kulturzionistischen Sinn progressive, demokratische Richtung. Auf den Tod Theodor Herzls (1860-1904) folgten dann fünf Jahre, in denen die praktische Arbeit der Prager wie vieler anderer, nicht in erster Linie politischer Zionisten ins Stocken geraten war. 1908 lud schließlich Leo Herrmann (1888-1951) Buber ein, nach Prag zu kommen und im Verein Bar Kochba über das Judentum zu referieren (Brief von Leo Herrmann an Buber vom 14. November 1908, in: B I, S. 268-269). Der Verein erhoffte sich von einer Beteiligung Bubers, seine in dieser Zeit schwierige Situation zu beheben. Auf die Einladung hin hielt Buber in den Jahren zwischen 1909 und 1911 in Prag seine berühmten, die jüdische Jugend begeisternden Reden, die er kurz darauf als seine Drei Reden über das Judentum veröffentlichte (Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911; jetzt in: MBW 3, S. 219-256). Es waren dies Ereignisse ersten Ranges für das neu aufkommende Selbstbewusstsein der deutschsprachigen Juden und ein kaum zu überschätzendes Moment in der jüdischen Renaissance, deren Folgen weitreichend waren (zur Bedeutung der Drei Reden vgl. Scholem, Martin Bubers Auffassung des Judentums, S. 133-192, dort S. 148 f.; Bernd Witte, Jüdische Tradition und literarische Moderne, München 2007, S. 133 f.; sowie MBW 3, S. 32-38). Kohn berichtet später, die »Verbindung Bubers mit dem Prager Zionistischen Studentenverein währte durch lange Jahre und war für beide von höchster Bedeutung. […] Für die im Barkochba zusammengeschlossene westjüdische, durchaus assimilierte und dem Judentum entfremdete Jugend wurde Buber der Führer zum Judentum, der Lehrer, der das Geistesleben der Studenten in die Breite weitete und in die Tiefe aufwühlte.« (Kohn, Martin Buber, 1961, S. 90.; weitere Belege für die entscheidende Bedeutung Bubers im Verein finden sich S. 315 f.) Durch jene Reden vor dem Bar Kochba erwarb sich Buber unter

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der Prager jüdischen Jugend viele seiner wichtigsten Anhänger, darunter Hans Kohn, Robert Weltsch (1891-1982) und Hugo Bergmann (vgl. Friedman, I, S. 125), erlangte aber auch Ruhm weit über die Prager Kreise hinaus. 1913 kam er dann wieder nach Prag, um den Vortrag »Der Mythos der Juden« erneut im dortigen Verein zu halten. 1912 schien es den älteren Pragern, dass ihr Beitrag zur jüdischen Renaissance mittlerweile an Lebendigkeit verloren hatte. »Denn […] Sie wissen, Herr Doktor«, schrieb Kohn 1912 an Buber, »wie Ihr Geist uns ergriffen und umgestaltet hat und wie wir Ihnen seither geistige Gefolgschaft geleistet haben. Nun sind vier Jahre verflossen und die Physiognomie des Vereins hat sich sehr geändert. Heute sind wir drei oder vier Älteren noch, die in der Ideenwelt leben, die für uns mit Ihrem Namen verknüpft ist, und da wir an der Spitze stehen, drücken wir noch immer dem Verein unsern Stempel auf, aber zwischen uns und den andern – insbesonders unserem Nachwuchs und wir haben heuer 15 neue Mitglieder – ist eine Kluft, die oft den einen nicht verstehen läßt, was der andere sagt.« (Brief von Hans Kohn an Buber vom 20. Oktober 1912, in: B I, S. 314.) Kohn befürchtet den Verlust der »Kontinuität des Vereinsgeistes« (ebd.). Ihm diese Kontinuität zu sichern und neue Impulse zu geben, erhofft er sich von einem erneuten Auftritt Bubers. In dem schon zitierten Brief lud er darum Buber ein, durch eine erneute Vortragsreihe die Vereinsarbeit wieder zu beleben. Als Termin wurde der kommende Januar vorgesehen. In seiner Antwort vom 23. Oktober sagte Buber zu und besprach sogleich die Gestaltung des Festabends. Er äußerte »ein erhebliches sachliches Bedenken, das sich darauf bezieht, worüber ich sprechen könnte«. Als Thema schlug er »Der Mythos der Juden« vor, ein – wie er allerdings sofort gestand – »ebenso schöner wie schwieriger Gegenstand.« Er müsse sich erst prüfen, fährt Buber fort, ob er ihm gewachsen sei. An den Vortrag sollte sich ein Festabend anschließen. Buber geht sehr ins Detail, was die Auswahl des nach seinem Vortrag zu lesenden Materials betrifft. Ihm gehe es sehr darum, dass aus mythischen Schriften gelesen werden: »1) mythische Stücke aus der Bibel, 2) mythische Elemente der talmudischen Sage, 3) Mythisches aus der Kabbala, 4) Chassidisches.« (Brief von Buber an Hans Kohn vom 23. Oktober 1912, in: B I, S. 315.) Auf Kohns Vorschlag, die berühmte Schauspielerin Gertrud Eysoldt (18701955), seit 1905 am Deutschen Theater in Berlin, für den Festabend zu gewinnen, reagierte Buber sehr positiv. Seine Verehrung entlockte ihm sogar die Behauptung, dass Eysoldt, obwohl »weder Jüdin noch jüdischen Ursprungs«, seine Legenden so lese, »wie sie vermutlich keine Jüdin lesen kann« (ebd.). Eysoldt war Buber längst bekannt, denn sie hatte früher

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dessen mythische Bearbeitungen vorgetragen. Schon 1907 hatte sie bei einem Vortragsabend im Berliner Bechsteinsaal zum Thema »Jüdische Märchen und Legenden« als Rezitatorin mitgewirkt. (Anonyme Rezension in: Berliner Börsen-Courier vom 11. Februar 1907). Der Festabend, der am 16. Januar 1913 im Prager Hotel Zentral stattfand, verlief genau nach Bubers Vorstellungen. Dem Vortrag folgte eine Pause, nach der Eysoldt folgende Auswahl jüdischer Mythen las: »A) 1. Aus der Bibel: Die Weisheit Salomos – Die Hexe zu Endor 2. Sagen von der Urzeit: Die Barmherzigkeit und die Wahrheit – Der Vogel Milham – Die Erde zittert unter Kains Füssen – Der erste Götze – Lilith, das erste Weib Adams Kleine Pause B) Chassidische Legenden: Von Heer zu Heer – Das Rufen« (MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 23.) Es ist unsicher, ob Buber an der Auswahl beteiligt war. Unten auf der Ankündigung werden die Quellen angegeben. Die Urzeitsagen sind dem ersten Band von Micha Josef bin Gorions (Pseudonym für Micha Berdyczewski) Die Sagen der Juden entnommen (vgl. den Kommentar zu »Der jüdische Sagenschatz«, in diesem Band, S. 369 ff.); die chassidischen Legenden entstammen Bubers Die Legende des Baalschem. Unter den Zuhörern befand sich auch Franz Kafka (1883-1924), der an dem Abend seiner Verlobten, Felice Bauer (1885-1971), schrieb, wie er widerwillig dabei wäre auszugehen, um einen Vortrag von Buber über den jüdischen Mythos zu hören. »Denke nur, ich bleibe heute abend […] nicht zuhause. […] Buber hält nämlich einen Vortrag über den jüdischen Mythus; nun Buber würde mich noch lange nicht aus meinem Zimmer treiben, ich habe ihn schon gehört, er macht auf mich einen öden Eindruck, allem, was er sagt, fehlt etwas. (Gewiß kann er auch viel, er hat […] ›Chinesische Geister- und Liebesgeschichten‹ herausgegeben, die, soviel ich davon kenne, prachtvoll sind.) Aber nach Buber liest die Eysoldt vor und ihretwegen gehe ich hin.« (Brief vom 16. Januar 1913, in: Franz Kafka, Briefe an Felice, hrsg. v. Max Heller und Jürgen Born, Frankfurt a. M. 1967, S. 252 f.) Die Wahl des Themas Der Mythos der Juden ist einerseits sicherlich als

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Folge von Bubers jahrelanger Beschäftigung mit dem Chassidismus und den für diesen charakteristischen Abwandlungen von Mythos und Mystik anzusehen. Andererseits ist ein konkreter Anlass wohl darin zu finden, dass er 1912/13 damit beschäftigt war, dem ersten Band von Die Sagen der Juden, gesammelt von Micha Josef bin Gorion zum Druck zu verhelfen und Ende 1912 auch eine Einleitung für diesen Band schrieb. Das Manuskript enthält ursprünglich noch schärfere Äußerungen Bubers über das rabbinische Judentum. Erwogen, aber dann gestrichen (wahrscheinlich beim Schreiben selbst, aber möglicherweise auch erst bei der Überarbeitung für den Druck) ist beispielsweise die Apposition zu »des offiziellen Judentums«, die in der Handschrift ursprünglich lautete: »jenes unbedeutenden aber mächtigen, korrumpierten Volksteiles« (siehe die Varianten zu 171,29, in diesem Band S. 385). Den Gegensatz zum offiziellen Judentum, den Buber in seinem Aufsatz mit dem Begriff der »jüdischen Volksreligiösität« bezeichnet, kann als ein Schlüsselbegriff jener Zeit angesehen werden und findet sich in den unveröffentlichten Teilen des Manuskripts. Auch in einem Brief an Kohn vom 19. November 1912 heißt es (B I, S. 320): »Das unmittelbar wichtigste aber scheint mir dies zu sein, daß wir den Werten (also: Inhalte), die jahrtausendlang als Volksreligion im Gegensatz zum offiziellen Judentum gelebt haben […] zum Sieg verhelfen.«. Die Kräfte der Volksreligion sollen zur Findung »neuer Lebensformen« (ebd.) führen. Die Betonung der Volksreligion geht fast immer mit abwertenden Urteilen über das rabbinische Judentum einher. Das Manuskript gibt einen besseren Einblick in die Positionen, mit denen sich Buber auseinandersetzen wollte. Mit Houston Stewart Chamberlain und Hermann Gunkel (1862-1932), dem einen als Verkörperung des Literaten, dem anderen als Beispiel des Gelehrten, setzt er sich explizit auseinander. In das Umfeld dieser Recherche gehört auch Bubers Lektüre der Schriften von Werner Sombart und Ernest Renan (1823-1892). Von Sombart notiert er sich u. a. die Bemerkungen, »Heiligkeit (für d.[en] Juden) heißt die Rationalisierung d.[es] Lebens« (Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, S. 265) und »Die jüdische Religion kennt kein Mysterium« (ebd., S. 243), (MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 22). Unter den Aussprüchen Renans, auf die Bubers Augenmerk besonders fällt, sind viele, die auf gleiche Weise die Juden einer derartigen Historisierung und Verflachung der religiösen Gedanken, wenn nicht des Geistes überhaupt, bezichtigen, wobei allerdings – im Unterschied zu Sombart – die Juden der für die echte Wissenschaft unentbehrlichen Abstraktion für unfähig erachtet werden.

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Dass Buber unter seinen Notizen zu Chamberlain auch Renan oft direkt zitiert, dürfte kaum verwundern. Denn Renan wird in der antisemitischen Literatur mehrfach als Judenfreund zitiert, dessen Kritik am Judentum umso mehr Glaubwürdigkeit beizumessen sei. So etwa bei Chamberlain, der aus Renan wiederholt Belegstellen heranzieht, die die Juden als phantasielos, antiphilosophisch, vergeschichtlichend und bar jeder metaphysischen Regung abstempeln (Chamberlain, Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, München 1912, S. 381, 391, 396-7; zu Renan als dem »großen Judenfreund« s. ebd. S. 324). Diese Notizen scheinen der eigentlichen Arbeit am Vortrag um einige Zeit vorangegangen zu sein, denn darunter finden wir einen Satz, der fast wie ein programmatischer Entschluss Bubers klingt, sich mit diesem Gebiet zu befassen: »Der myth.[ische] Charakter d.[es] originalen jüd.[ischen] Schrifttums u.[nd] d.[ie] Lebendigkeit u.[nd] Fort[wirkung?] d.[es] Mythos im jüd.[ischen] Leben zu erweisen.« (MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 22) Wir dürfen demgemäß die Recherchen, deren Verlauf diese Notizen widerspiegeln, wohl als Keimzelle von Bubers endgültiger Entscheidung betrachten, sich mit dem Thema »Mythos der Juden« näher zu befassen. Wenn dem so ist, bestätigt sich im Detail, was man hinter Bubers Texten immer wieder vermutet hat. Wir sehen nämlich, wie die im Manuskript gerade noch sichtbare Reaktion auf zeitgenössische, das Judentum herabsetzende Argumente, die dann bemerkenswerter weise in der gedruckten Fassung verschwinden, zum guten Teil in einer umfangreichen und gründlichen Lektüre ihren Ursprung nimmt und Bubers positives Bild vom Judentum und jüdischer Religiosität weitgehend beeinflusst. Bis ins Detail bestimmen die herrschenden Vorurteile nicht selten das, was Buber an den Juden zu betonen und zu loben bestrebt ist. Unter den losen Blättern, die den Vorarbeiten und der Niederschrift des Vortrags zuzurechnen sind, findet sich ein Inhaltsentwurf, nach dem der Vortrag und der Aufsatz dann tatsächlich mehr oder weniger präzise gestaltet wurden. Er lautet: »1. Wesen des Mythos Widerleg.[ung] and.[erer] Auffassu.[ngen] 2. Der M.[ythos] im Judentum Falsche Ansichten darüber Wodurch verursacht? 3. D.[er] Sinn d.[er] Tat u.[nd] d.[es] M.[enschen] im J.[udentum] 4. M.[ythos] u.[nd] Religion

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5. Die Schichten des M.[ythos] a. Die Bibel b. Der Midrasch c. Die Kabbala d. Der Chassidismus 6. Beispiele Henoch Bileam Elija« (MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 22) Teil 4 dieses Entwurfs entspricht ungefähr dem dritten Teil des Aufsatzes. Die nachträgliche Geschichte vom Turmbau zu Babel wird im Entwurf interessanterweise gar nicht erwähnt. Auf einem weiteren losen Blatt merkt Buber an: »Ad II a Die Mythisierung Beispiele: die Geschichte vom Pardes Warum sind diese nicht Sage, sondern Mythos? Sie stellen den Vorgang in den symbol.[ischen] Weltprozeß ein, sie erzählen nicht, sondern mythisieren« (MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 22) Beim Pardes-Beispiel dürfte Buber an die Geschichte gedacht haben, die er im Manuskript erwähnt: »jener von Jahwe selbst gepflanzte Garten der vier Ströme« (vgl. die Varianten zu 173,26, in diesem Band S. 387). Sie wird im gedruckten Aufsatz ausgelassen, der in dieser Hinsicht nur eine in Betracht kommende Stelle enthält – jene im Zweiten Teil, wo gesagt wird, »der Gott des Alls darf sich nicht mehr am Abend unter den Bäumen seines Paradieses ergehen« (in diesem Band, S. 176). Im Unterschied zum endgültigen Text, in dem an keiner Stelle von einem »symbol.[ischen] Weltprozeß« die Rede ist, erinnert die hier zitierte Notiz eher direkt an den ein Jahr früher erschienenen Artikel zum Thema Mythos, »Die Mythen des Chassidismus«. Dort definiert Buber: »mythisieren, das heißt: es [das Geschehen] in den symbolischen Weltprozeß einzustellen, der als das Erleben Go t tes aufgefaßt wird.« (In diesem Band, S. 166.)

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Auf einem weiteren Blatt hat Buber dem Anschein nach einen möglichen Titel vermerkt: »Das Nachleben der Mythen in seiner Kontinuität«. (MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 22) Der Aufsatz ist mit dem zur gleichen Zeit in einzelnen Gesprächen erscheinenden Daniel (1913) eng verwandt, insbesondere mit dessen zweitem Gespräch »Vom heroischen Leben« (jetzt in: MBW 1, S. 204-216), welches Buber als das »allmenschliche« Pendant zum Mythos-Aufsatz versteht (vgl. den Brief Bubers an Hans Kohn vom 12. November 1912, in: B I, S. 318). Vgl. auch das Stück »Helden« aus Ereignisse und Begegnungen, MBW 1, S. 257-261. Der Aufsatz erschien in dem Teil des Sammelbandes Vom Judentum, dem der von Buber stammende Titel »Jüdische Religiosität« gegeben war. Neben »Der Mythos der Juden« standen Hugo Bergmanns Studie »Die Heiligung des Namens. Kiddusch Haschem«, über die er schon mit Buber korrespondiert hatte (Vgl. Vom Judentum, S. 32-43; B I, S. 329 f.), sowie »Jeschualegenden« von Ernst Elijahu Rappeport (1889-1952), der ebenfalls während seiner Arbeit an diesem Aufsatz Buber um Rat gebeten hatte (vgl. ebd. S. 44-48; B I, S. 300 f.). In der psychoanalytischen Zeitschrift Imago besprach Theodor Reik (1888-1969) im gleichen Jahr den Band und schenkte dem Aufsatz Bubers besondere Aufmerksamkeit. Auf Reiks Besprechung von Vom Judentum folgt eine Rezension von bin Gorions Die Sagen der Juden. Reik findet Vieles im Aufsatz, das er würdigen kann, setzt sich jedoch mit einigen Hauptthesen Bubers kritisch auseinander. Nach Reik könne der Rabbinismus unmöglich dem Volk eine Vertilgung seines Mythos aufgezwungen haben: »Ohne gleichgerichtete Tendenzen im Volke wäre es auch dem mächtigsten Priesterwirken nicht geglückt, den Mythos zurückzudrängen und ihn seines eigentlichen Sinnes zu entkleiden. An die Neuerstehung eines jüdischen Mythos vermag ich nicht zu glauben.« (Theodor Reik, Vom Judentum [Rezension] in: Imago, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften. Herausgegeben von Sigmund Freud, Band 2, Heft 6 1913, S. 597-602, Zitat S. 601) Richard Huldschiner (1872-1931) sieht in Bubers Essay den Geist Bergsons, der überhaupt dem Band Pate stehe (»Vom Judentum« [Rezension], Neue Hamburger Zeitung vom 4. April 1914). Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 23); 21 paginierte Seiten; ohne Datum; die erste Seite mit der Abkürzung »V. A.« für »Verehrte Anwesende« versehen.

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D1: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hrsg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1913, S. 21-31 (MBB 128). D2: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig u. München: Kurt Wolff Verlag 1916, 2. Aufl. 1919, 3. Aufl. 1921, S. 75-95 (MBB 159). D3: RGA, S. 125-142 (MBB 284). D4: Reden über das Judentum. Gesamtausgabe, 2. Aufl., Berlin: Schocken Verlag 1932, S. 125-142 (MBB 449). D5: JuJ, S. 78-88 (MBB 1216). Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: in: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, 2., durchgesehene u. erweiterte Aufl., Gerlingen: Lambert Schneider 1993, S. 76-86 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: »Myth in Judaism«, übers. von Ralph Manheim, in: Commentary, 9. Jg., Nr. 6, Juni 1950, S. 562-566 (MBB 837); in: On Judaism, übers. von Eva Jospe, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1967, 1972 u. 1973, 242 S. u. (MBB 1298). Hebräisch: in: Te’uda weJiud – Ma’amerim al Injanei haJahadut, Band 1, Jerusalem: haSifria haZionit, 1959, S. 80-88. (MBB 1135). Italienisch: in: Sette discorsi sull’ebraismo, übers. von Dante Lattes u. Mosè Beilinson, eingeleitet von Alessandro Bonucci, Firenze: Israel 1923, XXI S. u. 181 S. (MBB 285); in: Sette discorsi sull’ebraismo, eingeleitet von Clara Levi Coen, Assisi: B. Carruccio 1976, XXXII S. u. 207 S. (MBB 1391). Niederländisch: in: Over het Jodendom, übers. von F. de Miranda, mit einem Vorwort von Nahum N. Glatzer, Utrecht: J. Bijleveld 1978, 224 S. (MBB 1402). Variantenapparat: 171,1 Wir] Die Absicht meiner heutigen Worte an Sie kann nicht sein, Ihnen meine Auffassung des Mythos und seiner Bedeutung im Judentum vollständig darzulegen, sondern nur, Ihnen ein Bild des jüdischen Mythos zu geben, um in Ihnen das verschüttete Gefühl der Verbundenheit mit dieser Urrealität unseres Volkstums zu erwecken und so die höchste Tätigkeit der Seele, die der Selbstentdeckung, in Ihnen

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anzuregen. Dennoch müssen wir damit beginnen, uns offenbar zu machen, was Mythos zu nennen ist, da dieser Begriff in unserer Zeit einer gültigen und zulänglichen Bedeutung entbehrt, vielmehr zumeist [unterstellt und getrübt] durch unmässige Verengerung oder Erweiterung verzerrt erscheint. Man pflegt darunter entweder wie einige Assyriologen eine Art primitiver Astronomie, eine bildhafte und phantastische Kunde von den Sternbildern und den Jahreszeiten zu verstehen, oder aber wie einige Völkerpsychologen, [die ganze Vorstellungswelt der Naturvölker] eine Vorstufe der Religion. Diesen Exzessen der Theorie gegenüber wollen wir uns, wie immer, wenn der klare Aspekt eines Wortes durch den Missbrauch der Systematiker getrübt worden ist, auf den ursprünglichen Gehalt der sprachlichen Überlieferung besinnen und sodann uns selber danach fragen, ob unser gegenwärtiges Sprachgefühl – noch oder wieder – stark und rein genug ist, ihn neu einzusetzen. Hier scheint beides recht unmittelbar zusammenzustimmen; ja, wir H 171,6 Hergang] Vorgang ! Hergang H 171,9 Sichtbarkeit] Bild [gemeint vermutlich Bildhaftigkeit] ! Sichtbarkeit H 171,14-15 als einen Zusammenhang rein sinnlicher Begebenheiten auffaßten] [als ein sinnliches fassen mussten] ! als einen Zusammenhang rein sinnlicher Begebenheiten fassten H 171,19 verherrlicht] [je nachdem der es Beurteilende] verherrlicht H 171,25 Entstellung] Fälschung ! Entstellung H 171,26 Entstellung] Fälschung ! Entstellung H 171,27 rassenpsychologischen] rassentheoretischen ! rassenpsychologischen H 171,28 utilitaristischen] zweckhaften H 171,29 Aussprüchen oder Gepflogenheiten] Dogmen oder Gebräuchen H 171,29 Judentums] Judentums[, jenes unbedeutenden aber mächtigen, korrumpierten Volksteiles,] H 171,30 den Rationalismus oder den Utilitarismus] [die rationalistische Tendenz] ! den Rationalismus oder die Zweckhaftigkeit H 171,32 Stockungen] Stockung H 171,33 demütigen] stillen ! demütigen H 171,33 überzweckhaften] zweckerlösten H 171,34 Volksreligiosität] Volks reli g i o n H 171,36 Humanität] Humanität [(und also als Sonderexistenz überflüssig)] H 172,2 Utilitarismus] der Zweckhaftigkeit H 172,5 galt] fehlt D3, D4

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172,8-9 oder tat ihn […] ab] oder betrachtete ihn als eine krankhafte Schwärmerei H 172,14 Erbfeind] Erzfeind H 172,20 Erzes] Metalls ! Erzes H 172,23 Volke] Volke, insbesondre den Babyloniern (wobei man die dem Unbefangenen sich aufdrängende Erkenntnis, dass die babylonische Kultur einer Mischung sumerischen mit s emi t i s chem Volkstum entstammte, zu umgehen oder zu widerlegen sucht) – wo man also bei einem andern vorderasiatischen Volke H 172,25-29 gegangen. Es tut nicht Not, hier diesen Kleinlichkeiten […] nachzugehen;] gegangen. Ich muss mich hier begnügen, zur Charakterisierung dieser Methode zwei Aussprüche ihrer Vertreter, den eines glänzenden Literaten und den eines bedeutenden Gelehrten, herauszugreifen. Der Literat, H. St. Chamberlain, muss zugeben: »das Alte Testament steckt voller Mythen«, aber er fügt sogleich hinzu: »der Jude selber hatte gar kein Interesse für das Mythische und Metaphysische, sodass diese Dinge gleichsam gegen seinen Willen und ohne sein Wissen hineingekommen sind.« Man bemerke: das AT ist die einzige zulängliche Quelle, aus der wir erfahren können, wofür der Jude der Urzeit »Interesse hatte«; es steckt voller Mythen; man sollte nun wohl annehmen, dass der Jude, der es gelebt und geschrieben hat, für diese Mythen »Interesse hatte«; aber nein: sie sind »gegen seinen Willen und ohne sein Wissen hineingekommen«! Nicht wesentlich anders macht es der Gelehrte; ich habe für diesen einen der Besten, Hermann Gunkel, gewählt. Es ist ihm zwar wohl bekannt, dass die polytheistisch klingenden Mythen in den Kanon nicht aufgenommen wurden [und dass das AT nur ein Bruchstück der alten religiösen Literatur ist]; aber seine Darlegung des Gegenstandes ist davon nicht beeinflusst; er folgert etwa folgendermassen: »Das Leuchter-Symbol des Sacharja hat mythologischen Charakter. Das Judentum hat keine mythologischen Bilder erfunden. Also ist das Leuchter-Symbol des Sacharja ausländisch-babylonischen Ursprungs.« Wäre es nicht einfacher und – wissenschaftlicher zu folgern: »Dieses Symbol hat mythologischen Charakter. Also könnte das Judentum wohl gar mythologische Bilder erfunden haben«? / Aber, meine Verehrten, es ist mir zuwider, hier, wo es uns darum geht, uns über die Wirklichkeit des jüdischen Mythos zu verständigen, diesen Kleinlichkeiten länger nachzugehen. Sie sind im Grunde alle dem begreiflichen Verlangen des heutigen Abendländers entsprungen, sein Christentum, auf das er nicht verzichten [kann] ! will, zu entjuden. Aber es tut auch nicht Not, diesen Kleinlichkeiten länger nachzugehen. H

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172,31 verkehrtes] unsagbar verkehrtes H 172,32 einen solchen zyklopischen Bestand] eine solche zyklopische [Realität] ! Potenz H 172,34 betrachten] betrachten. Man wird einst darüber lachen, wie man heute über die ebenso leichten wie närrischen Versuche lacht, Shakespeare die »Originalität« abzusprechen, weil er zahllose Motive, Figuren, Vorgänge, ja ganze Szenen aus früheren Dramen übernahm H 172,34 Geist] hervorgehoben H 173,6 rezeptiven] rezeptiven, zugleich aktiv und passiv H 173,9 Formen] hervorgehoben H 173,11 Erde] hervorgehoben H 173,11 Schicksals] hervorgehoben H 173,11 Inhalte] hervorgehoben H 173,15 den Gußofen] die Gussform ! den Gußofen H 173,19-20 mythenfeindlicher Elemente] eines mythenfeindlichen Elementes H 173,24 ältesten] uralten ! ältesten H 173,26 Reichtum] Reichtum, wie jener von Jahwe selbst gepflanzte Garten der vier Ströme; H 173,26-27 und wieder von Mund zu Ohr] fehlt D3, D4 173,36-37 Trübung] Trübung [der wahren Lehre] H 173,38 die fortschreitende Reinigung] [eine] ! die fortschreitende [Befreiun [sic]] ! Reinigung H 174,4 enthält eine Wahrheit] ist falsch ! enthält eine Wahrheit H 174,11 ist] ist, wie ich nun darlegen werde H 174,15-16 bemühte sich] versuchte ! bemühte sich H 174,25 der Chassidismus] die grosse religiöse Bewegung, die das Judentum des Ostens um die Mitte des 18. Jahrhunderts ergriff, der Chassidismus H 174,25 eines] hervorgehoben H 174,28 Gefahr] schwersten Gefahren H 174,29 Karo] Karo hder Schöpfer d. Schulchanaruchi H 174,29 Lurja] Lurja hder Begründer d. neueren jüdischen Mystiki H 174,30 Wilna] Wilna hder Führer des späten Rabbinismusi H 174,30 Baalschem] Baalschem hSchöpfer des Chassidismusi H 174,33 aus den Wurzeln] [im Glanze seines] ! aus den Wurzeln H 174,33-34 den freigelassenen Juden] [uns heute Freigelassenen] ! den freigelassenen Juden H 174,34 ihre] unsere ! ihre H 174,35 ihrem] unserem ! ihrem H 174,37 geöffnet steht] offensteht ! geöffnet steht H

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174,41 unseres] des ! unseres H 175,12 in ihnen] aus deren Vermischung H 175,16 Gottvielheit] Göttervielheit ! Gottvielheit H 175,17 existierende] bestehende D2, D3, D4 175,18 ist] war H 175,18 sondern] sondern [eben nur als Vielheit erschien und bis sie zu ihrem seltsam] H 175,19 Mehrheit] Pluralität ! Mehrheit H 175,21 seltsame und unvergleichbare,] fehlt H 175,Anm.] die Anm. erscheint im Haupttext in einer erweiterten Fassung als Parenthese in Klammern zusammenstellen. [Ich will hier im Vorbeigehen an jene Stelle erinnern, wo Gott befürchtet, der Mensch könnte »wie einer von uns« werden.] H, fehlt D3, D4 175,23-24 Man kann verwandte Erscheinungen bei anderen Völkern aufzeigen […] sekundäre Gottheiten, Hilfsgottheiten] Man kann verwandte Erscheinungen bei anderen Völkern, etwa die babylonische Versammlung der Igigi[, die wahrscheinlich das Sternenheer bedeutet], aufzeigen; aber [diese entsprechen eher dem späteren Begriff Zebaoth; vor allem aber ist alles, was bei andern Völkern all dies nur] alle diese sind Gottheiten sekundären Ranges H 175,26 Entwicklung.] Entwicklung. [Sei es nun [zufolge] ! die Folge der Kreuzung zweier Stämme oder einer in demselben Stamm sich vollziehenden Umwandlung: neben das Elohim.] H 175,27 eine] hervorgehoben H 175,27-28 namentragendes] namenhaftes H 175,32 als dienende] [nunmehr] als dienende H 175,35 Jahwe Elohim] hervorgehoben H 176,4 Epoche] Schicht ! Epoche H 176,17 keine sinnliche Wirklichkeit mehr] hervorgehoben H 176,18 Gleichnisse] Metaphern H 176,37 »zivilisierten«] heutigen H 177,7-12 Fast ausgeschaltet […] die er […] zu begreifen vermag, wie der Zauberer und der Held] Fast ausgeschaltet ist sie Ereignissen gegenüber, die in der gleichen Weise zu wiederholen und gleichsam experimentell nachzuprüfen nicht in seiner Macht ist, wie Traum u. Tod, Naturkatastrophen, Himmelserscheinungen, oder Wesen gegenüber, mit denen er eine Verständigung nicht zu erzielen vermag, wie die Tiere, oder Menschen gegenüber, die in sein Leben mit einer gebieterischen [Macht] ! [Gewalt] ! Dämonie eingreifen, die er nicht nach Analogie seiner eigenen Fähigkeiten zu [verstehen] ! begreifen vermag, wie der Held H Fast ausgeschaltet ist sie bei ihm Ereignissen wie

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Traum und Tod gegenüber, die ihm eine Sphäre darstellen, in die forschend, wiederholend, nachprüfend einzudringen nicht in seiner Macht ist; Menschen wie der Zauberer und der Held gegenüber, die in sein Leben mit einer gebieterischen Dämonie eingreifen, welche er nicht nach der Analogie seiner eigenen Fähigkeiten zu deuten vermag D3, D4 177,15 Vertrauten] Umgebung H 177,26 erschauen] erfühlen H 177,33 Entfaltung] Ausbildung H 177,37-38 mit der wachen Gewalt der Sinne] mit der [wachen Schwungkraft der Sinne lebendigen] ! mit der wachen Gewalt der Sinne H 178,3 Gestalt] Menschengestalt H 178,6-9 Es ist nun seltsam […] wie diese Funktion […] sie umwandelndes Element findet] Es ist nun seltsam und bedeutsam zu beobachten, wie diese Funktion sich mit der elementarsten Tendenz und Anschauung der jüdischen Religiosität begegnet und wie sie beide doch auch wieder verschiedener Art sind H 178,10 doch zugleich] fehlt H 178,13 fundamentale] elementarste H 178,15-16 ist die Betrachtung […] des Absoluten] ist dies: [alle Dinge, alle Vorgänge, alle Vielheit, alles Geschehen] alle Dinge sind Äusserungen Gottes, alles Geschehen ist [Träger] ! eine Kundgebung des Absoluten H 178,19 Schein] Schein, eine Illusion H 178,27 Geschichte] erwägt mythischen Berichte H 178,27 Volke] Volke und von seinen Taten an seinem Volke H 178,30 ist] ist, in dem Stadium des sog. geläuterten Monotheismus H 178,33-34 Aus diesen baut sich der unendliche Gegenstand […] auf] Diese sind der unendliche Gegenstand des nachbiblischen Mythos H 178,39 bloß] hervorgehoben H 179,2-3 Gestaltung] Prägung H 179,5 in ihnen] an ihnen H 179,7-8 Gottesherrlichkeit] Schechina ist im Galuth H 179,15 Sage] Geschichte ! Sage H 179,16 Legende] Sage ! Legende H 179,16-17 zentralen, des vollkommen verwirklichenden] göttlichen H 179,18 unzähligen] tausend H 179,25 Angesichtes] Angesichtes[, der auch Jahwe der Kleine genannt wird] H 179,27 Jeschua aus Nazareth] [Jesus von] ! Jeschua aus Nazareth H 179,31 Welterlösung.] Welterlösung. / Lassen Sie mich Ihnen, meine Ver-

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ehrten, zum Schluss eine alte jüdische Sage erzählen. Sie handelt von dem Turm zu Babel, von dem die Bibel nur Weniges, der Midrasch weit mehr zu melden weiss. / Die Scharen der Menschen, so berichtet die Sage, taten sich zusammen, um Jahwe zu bekriegen. Die eine Schar sprach: Wir wollen den Himmel erstürmen und unsre Herrschaft darin [aufrichten] ! einsetzen. Die zweite Sprach: Wir wollen den Himmel erstürmen und auf Jahwes Grab die Altäre unsrer Götter [errichten] ! erbauen. Die dritte sprach: Wir wollen den Himmel erstürmen und ihn zertrümmern. Sie taten sich zusammen und bauten den Turm, Geschlechter vergingen in der Arbeit, der Turm wuchs so hoch, dass es eines Jahres bedurfte, um seine Spitze zu ersteigen. Damals wurde ein Ziegel kostbarer als ein Menschenleben. Keiner beachtete es, wenn ein Mensch stürzte [und starb]; wenn ein Ziegel aber fiel, brachen sie alle in Tränen aus. Keinem Weibe war gestattet, die Arbeit zu unterbrechen, wenn ihre Wehen über sie kamen; ziegelknetend gebaren sie, banden das Kind in einem Tuch an ihrem Leibe fest und kneteten weiter. Die aber auf der Höhe des Turmes standen, schossen [unablässig] Pfeile gen Himmel. Und die Pfeile fielen vom Himmel zurück unter die Scharen; aber da sie sie besahen, erschien es ihnen, dass die Spitze der Pfeile blutig war. Da schrie sie: Wir haben alle erschlagen, die im Himmel sind. Damals erhob sich Jahwe und verwirrte die [Sprache] ! Rede der Scharen, also dass der eine nicht kannte was der andre sprach. Und jedem war es, als sei er eingeschlossen in einer Welt die ihn verhöhnte. Denn wenn er Mörtel verlangte, wurde ihm ein Stein gereicht; so warf er den Stein, woher er kam, und tötete. Und die einen kamen solcherart um; die andern wurden zu Affen und zu Gespenstern. Von dem Turm [aber] sank ein Teil in die Erde, ein Teil wurde von Feuer verzehrt, nur ein Drittel blieb stehen. Wer aber heute über den Platz geht, wo einst der Turm gestanden hat, vergisst alles was er weiss. – / Wir sind wie die Scharen, deren Rede Jahwe verwirrte. Jeder von uns redet; aber keiner versteht den andern. Jeder von uns fühlt sich eingeschlossen in einer Welt, die ihn verhöhnt. Wir sind schon dabei, einander zu steinigen; wir sind schon dabei, zu Affen und Gespenstern zu werden. Die Religion der Rabbinen kann keine gemeinsame Sprache mehr sein; suchen wir sie, die es uns werden kann, die Volksreligion, die Religiosität des Mythos[, der uns die [geheime] ! heimliche Wahrheit der Welt zeigt,] in ihrer innigen Verborgenheit auf. Sie allein kann uns aus der Verwirrung erlösen. Eine Erneuerung des Judentums wird erst dann geschehen, wenn wir unseren Mythos in unser Leben aufgenommen ha-

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ben: wenn er das Eigentum unserer Seele und der Mutterboden unserer Taten geworden ist. H Wort- und Sacherläuterungen: 171,3-4 Wir finden dann, daß Mythos bedeutet: […] als einer sinnlichen Wirklichkeit.] nicht nachgewiesen. 171,31-34 ohne zu ahnen oder ahnen zu wollen, […] jüdischen Volksreligiosität bedeutet.] Vgl. die einleitenden Sätze von »Die Mythen des Chassidismus«, in diesem Band S. 165. Buber spielt in diesem Passus u. a. wohl auf die von Ernest Renan aufgestellte These an, den semitischen Rassen und insbesondere den Juden fehle es gänzlich an jedem Sinn fürs Metaphysische in der Religion (vgl. Ernest Renan, Histoire générale et système comparé des langues sémitiques, Paris 1855, S. 18: »L’abstraction est inconnue dans les langues sémitiques, la métaphysique impossible.«; Ders., Histoire du peuple d’Israël, Bd. I, Paris 1887, S. 78, von Buber wie folgt abgeschrieben: »Unter den Händen der Semiten wurden die Mythologien, die sie fremden Völkern entlehnten, zu flachen historischen Berichten.« MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 23). Demzufolge fehle es den Juden auch am Sinn für den Mythos. Zudem setzt Buber sich auch mit der These von Werner Sombart auseinander, die Juden seien mit einem kapitalistischen Rationalismus zu identifizieren; s. Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, S. 242: »Rationalismus ist der Grund des Judaismus wie des Kapitalismus.« Vgl. auch S. 265 und S. 328 f. Dass Buber sich in der Zeit, als er an seinem Vortrag »Der Mythos der Juden« arbeitete, intensiv mit Sombart beschäftigte, geht aus Bubers im MBA erhaltenen Notizen hervor (Arc. Ms. Var. 350, Hei 23). 172,21-25 aber man bestritt nunmehr seine Selbständigkeit. […] das Original sei verloren gegangen.] Vgl. Ernest Renan, De la part des peuples sémitiques dans l’histoire de la civilisation. Discours d’ouverture du cours de langues hébraïque, chaldaïque et syriaque, au Collège de France, Paris 1862, S. 18: »Le rôle philosophique des juifs au moyen âge est aussi celui de simples interprètes. La philosophie juive de cette époque, c’est la philosophie arabe sans modification. Une page de Roger Bacon renferme plus de véritable esprit scientifique que toute cette science de seconde main, respectable assurément comme un anneau de la tradition, mais dénuée de grande originalité.« Buber scheint sich der Übersetzung Chamberlains bedient zu haben, deren Wortlaut in seinen Notizen (MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 22) teilweise fast wörtlich wiederkehrt: »Genau ebenso verhält es sich mit der philosophischen Rolle, welche man den Juden im Mittelalter zuschreibt;

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sie haben aus fremden Sprachen übersetzt, weiter nichts. Die jüdische Philosophie ist die arabische Philosophie; nicht ein neuer Gedanke kommt hinzu. Eine einzige Seite Roger Bacon’s besitzt mehr wahrhaft wissenschaftlichen Wert als diese gesamte erborgte jüdische Weisheit, die zwar Achtung verdient, doch ledig der Originalität ist.« (Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, 10. Aufl., München 1912, S. 381.) 173,14-16 das all dies, wie Cellini […] die unsterbliche Gestalt errichtet.] Benvenuto Cellini, Vita di Benvenuto Cellini Orefice e Scultore Fiorentino da lui medesimo scritta; die deutsche Übersetzung von Goethe, Leben des Benvenuto Cellini, florentinischen Goldschmieds und Bildhauers: von ihm selbst geschrieben (zuerst in »Die Horen« 1796/97; Buchausgabe: Tübingen 1803). Die Bronzeplastik des Perseus (Florenz, Museo del Bargello) gilt als Hauptwerk des italienischen Goldschmieds Benvenuto Cellini (1500-1571). In seiner Autobiographie beschreibt er die dramatischen Vorgänge während des Gusses. Bei der Herstellung der Statue in einem Stück gab Cellini nach eigener Schilderung aus Mangel an ausreichender Menge Zinn seine eigenen Zinnteller und -schüsseln in die Legierung. In der Goetheschen Übersetzung findet sich diese Episode im Vierten Buch, Sechstes Kapitel (WA I.44, S. 205-216). 173,28-29 ein unablässiges Neuwerden […] aus dem Geiste der jüdischen Mystik.] Eine mögliche Anspielung auf den vollständigen Titel der Erstfassung von Nietzsches Erstlingswerk Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (Leipzig 1872), das auch die These von der Notwendigkeit des Mythos für jede lebendige Kultur vertritt und eine zentrale Schrift des um die Jahrhundertwende wachsenden Interesses am Mythos darstellt. Vgl. ferner Karl Joël, Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik, Jena 1906. 174,1-4 »Die Entwicklungsgeschichte der jüdischen Religion […] und neugedichtete Mythologie.«] David Neumark, Geschichte der jüdischen Philosophie des Mittelalters, Bd. 1, Berlin 1907, S. 4. 174,19 Exilarch] aram. resch galuta, Bezeichnung für den weltlichen Führer des babylonischen Judentums vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 9. Jahrhundert n. Chr. 174,25-26 Bis der Chassidismus […] Thron eines kurzen Tages setzte] Zum Bild des Throns im Chassidismus vgl. Martin Buber, Die Legende des Baalschem, Einführung, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1908, S. Xf: »Die Mystik wird Besitz des Volkes, und zugleich nimmt sie die ganze Erzählerglut der Sage in sich auf. Und in dem dunklen verachteten Osten […] wird dem Kinde der Jahrtausende der Thron

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bereitet«. Dieselbe Metapher bezieht Buber früh auch auf die ganze Erneuerung des Judentums, die das »ungebrochene Lebensgefühl des Juden wieder auf den Thron setzen« werde (Martin Buber, Jüdische Renaissance, in: JB I, S. 13; jetzt in: MBW 3, S. 146.). Das Bild gehört natürlich zu den festen Bestandteilen der kabbalistischen Kosmologie und drückt sich besonders in der Hechaloth-Literatur, damit sind gemeint die »Schilderungen der Hechaloth, der himmlischen Hallen oder Paläste, die der Schauende betritt und in deren letzten Siebenten sich der Thron der göttlichen Herrlichkeit erhebt.« (Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 48.) 174,29 Josef Karo] Im 16. Jahrhundert einer der Schulhäupter der jüdischen Gelehrten in Safed und Verfasser des Schulchan Aruch, eines bedeutenden Kommentars zur Halacha. 174,29 Isaak Lurja] Siehe die Wort- und Sacherläuterungen zu 117,34. 174,30 Gaon von Wilna] »der Weise«; eigentl. Elijah Ben Salomon Salman (1720-1797); ließ als Verfechter einer streng orthodoxen Auslegung von Thora und Halacha zweimal, 1772 und 1782, den Bann über die Chassidim aussprechen. 174,30 Baalschem] »Meister des [guten] Namens« eigentl. Israel ben Elieser (1700-1760); der berühmte Begründer der chassidischen Bewegung. Vgl. Buber, Die Legende des Baalschem. 175,24-26 dem monumentalen Monopluralismus des Elohim-Mythos ist nichts anderes an die Seite zu setzen] Vgl. Buber, Die Legende des Baalschem, Einführung, S. VIII: »Im Anfang ihrer [der Juden] grossen Urkunde ist das reinste aller mythischen Symbole, der Pluralsingular Elohim«. 175,34 Zebaoth] hebr. »Heere«, »Heerscharen«. 175,36 Schaddai] hebr. der »Allmächtige«. 176,15 mit Jakob bis zum Morgengrauen ringen] Jakobs Kampf am Jabbok; vgl. Gen 32, 23-33. 176,16 im unversehrten Dornbusch brennen] Gott erscheint Mose im brennenden Dornbusch; vgl. Ex 3, 1-4. 176,17-19 und die alten mythischen Bilder […] Gleichnisse seiner Unaussprechlichkeit] Zum Unterschied zwischen Gleichnis und Mythos, vgl. Martin Buber, Die Lehre vom Tao, in: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, S. 85-88 (jetzt in MBW 2.3, S. 103-105). 177,9-12 Menschen gegenüber, […] wie der Zauberer und der Held.] Vgl. Buber, Die Lehre vom Tao, S. 88 (jetzt in MBW 2.3, S. 105): »Wo die höchste Gestalt, der Held und Heiland, das erhabenste Ereignis, sein dargelebtes Leben, und die mächtigste Spannung, die der erschütterten Einfältigen, zusammentreffen, entsteht der Mythos, der alle Zu-

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kunft zwingt.«; ferner auch die Beschreibung des mythischen Helden in: Martin Buber, Ereignisse und Begegnungen, Abschnitt »Helden«, S. 37-48 (jetzt in: MBW 1, S. 257-261). 177,18 Inbrunst] »Inbrunst« bildet nach Buber einen Grundbegriff des Chassidismus; vgl. Buber, Die Legende des Baalschem, »Hitlahabut: von der Inbrunst«, S. 2-9; vgl. Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, S. 70. 177,26 Signum] Das Wort »Signum« kommt auch im Daniel in der gleichen Bedeutung vor; vgl.: »Dies ist Sinn: die mythische Wahrheit des ungehemmt Erkennenden, der jeden Vorgang allein auf seinen Gehalt bezieht und ihn so zu einem Signum des Ewigen bildet.« (Martin Buber, Daniel, Abschnitt: Von dem Sinn. Gespräch im Garten, S. 78; jetzt in: MBW 1, S. 213). 177,29-31 Sein Bericht von ihnen […] ist Mythos.] Vgl. Buber, Die Lehre vom Tao, S. 87 (jetzt in MBW 2.3, S. 104): »Der Mythos ist die Einstellung der Dinge in die Welt des Absoluten«; sowie die Darstellung der mythischen Anschauung in Buber, Ereignisse und Begegnungen, »Helden«, S. 39 ff. (jetzt in: MBW 1, S. 258), wo es heißt: »Diese Anschauung mag als primitivkausal bezeichnet werden, man könnte sie auch vorkausal nennen, weil sie allem vorausgeht, was heute ursächliche Weltorientierung heißt. […] Wie sie das Geschehen der Welt als ein überkausal sinnvolles weiß, so erscheint ihr die Tat des Helden als eine gesteigerte Offenbarung des Weltsinns.« 177,35-39 er erkennt das Geschehen der Welt […] in aller Vielheit gegebene Wirklichkeit.] Vgl. die Gegenüberstellung von »einreihen« (Orientierung) und »erfassen« (Verwirklichung) in Buber, Daniel, Abschnitt: Von der Wirklichkeit. Gespräch über der Stadt, S. 31 ff. (jetzt in: MBW 1, S. 193); ferner: Martin Buber, Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung, in diesem Band, S. 218-223. 178,5 So ist denn der Mythos eine ewige Funktion der Seele.] Vgl. Buber, Die Lehre vom Tao, S. 87 f. (jetzt in MBW 2.3, S. 105): »Mythos ist auch nicht ein Ding von dort und ehedem, sondern eine Funktion von heut und allezeit, von dieser Stadt, in der ich schreibe, und allen Orten des Menschen. Eine ewige Funktion der Seele: die Einstellung des Erlebten in den bald mehr triebhaft, bald mehr gedankenhaft, aber auch vom Dumpfsten nach irgendwie empfundenen Weltprozeß, in die Magie des Daseins.« 178,16-23 Während dem andern großen Monotheisten des Orients […] Kundgebung Gottes auf Erden.] Wesentlich positiver schätzt Buber an anderer Stelle die Upanischaden ein; vgl. Martin Buber, A. M. und Constantin Brunner, in: Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für

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das gesamte Judentum, 12. Jg., Heft 4, April 1912, Sp. 337 (jetzt in: MBW 1, S. 181), wo sie als Verkündigung »der Uridee alles grossen Menschendenkens«, d. h. der absoluten Einheit und der Sehnsucht danach, angepriesen werden. 178,28 aus der Sichtbarkeit der Feuersäule und der Hörbarkeit des Donners über dem Sinai] Während der Wüstenwanderung zeigt sich Gott dem Volk Israel in Gestalt einer Feuersäule, vgl. Ex 13,21 f.; am Sinai erscheint Gott dem Volk Israel mit lautem Donnern, vgl. Ex 19,16. 179,6-7 Die sinnliche Wirklichkeit ist göttlich, […] der sie wahrhaft erlebt.] Vgl. Buber, Ereignisse und Begegnungen, »Helden«, S. 41. (jetzt in: MBW 1, S. 258): die mythische Anschauung »leitet sie [die Tat des Helden] nicht aus dem Getriebe der Ursächlichkeit ab, sondern erfaßt sie aus dem Willen des Göttlichen, sich zu verwirklichen«. 179,16-17 die Legende vom Leben des zentralen, des vollkommen verwirklichenden Menschen.] Vgl. ebd., S. 42 (jetzt in: MBW 1, S. 259): über »das Tun des zentralen, des entscheidenden Menschen«. 179,23 Henoch] s. Gen. 5,18 u. 21-24, Henoch wurde zu einer zentralen Gestalt der jüdischen Apokalyptik; in der Hechaloth-Literatur wird er mit Metatron (siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 179,24) identifiziert. Vgl. Martin Buber, Das Judentum und die Menschheit, in: Buber, Drei Reden über das Judentum, S. 56 (jetzt in: MBW 3, S. 237); Buber, Daniel, Abschnitt: Von der Polarität. Gespräch nach dem Theater, S. 118. (jetzt in: MBW 1, S. 231); auch Martin Buber, Der große Maggid und seine Nachfolge, S. XXVII, zur chassidischen Geschichte von Henoch, dem Schuhflicker: »Dieser wunderliche Beitrag zur Legende des Urvaters, der göttlicher Gemeinschaft genoß, von der Erde hinweggenommen wurde und die Verwandlung in den demiurgisch gewaltigen Metatron, den feuerleibigen ›Fürsten des Angesichts‹ erfuhr, wird in der chassidischen Lehre gern variiert.« 179,22-23 die der kanonische Text vernachlässigt hat […] Fürsten des göttlichen Angesichtes] Henoch gilt als Verfasser des äthiopischen 1. Henochbuches, eines im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. geschriebenen Sammelwerks apokalyptischer Schriften, sowie des slawischen 2. Henochbuches, das im 1. Jahrhundert v. Chr. entstand, doch nur in christlicher Überarbeitung erhalten ist; das 3. Henochbuch stellt eine rabbinisch-esoterische Adaptation der frühjüdischen Henochtraditionen dar und wird zur Hechaloth-Literatur gezählt. 179,24 Matatron] auch Metatron, wichtige Gestalt der jüdischen Mystik, Engelsfürst, himmlischer Schreiber, mit dem in den Himmel aufgefahrenen Henoch identisch. 179,27 Jeschua] jüdische Schreibweise von Jesus, die Buber in dieser Zeit

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oft bevorzugt; vgl. Buber, Ereignisse und Begegnungen, Abschnitt »Der Altar«, S. 20 (jetzt in: MBW 1, S. 252): »der Jude Jeschua, wandelnd und lehrend zu seiner Zeit auf galiläischer Erde«.

Zwei flandrische Wundergeschichten Es ist möglich, dass Buber während seiner Recherchen zu den Ekstatischen Konfessionen auch auf diese Geschichten stieß, die er 1913 in der Weihnachtsnummer der Frankfurter Zeitung (FZ vom 25. Dezember 1913) publizierte. Es handelt sich offensichtlich um traditionelle Märchen, die in Kurzform bereits früh niedergeschrieben worden sind: die erste Geschichte bei Lindanus, De Teneræmonda, Antwerpen 1612, S. 100 (übersetzt von Prudenz van Duyse im Kunst- en Letter-Blad 1841, S. 60) und die zweite Geschichte in Thomas Cantipratensis, Bonum universale di opibus, Duaci 1627, S. 202. Beide Geschichten erscheinen auch bei Johann Wilhelm Wolf, Niederländische Sagen, Leipzig 1843, S. 280 u. 441, dort in umgekehrter Reihenfolge als Nr. 148 »Der Mönch von Afflighem« und Nr. 368 »Ein Wunder im Theater«. Wolf notiert, dass sich die Sage des Mönches von Afflighem auch »noch an viele andere Klöster« knüpft (ebd., S. 682). Die Wortkargheit des Mönchs mag an die Charakterisierung der Zaddikim bei Buber erinnern, wie er sie in den Geschichten des Rabbi Nachman vornimmt. Auch in einem ein Jahr später kurz nach Kriegsausbruch erschienenen Beitrag zur Weihnachtsnummer der Wiener Kunst- und Buchschau (Nummer 9/10, Dez. 1914 jetzt in: MBW 1, S. 279-280), »Bücher, die jetzt und immer zu lesen sind« zeigt sich ein Bezug Bubers zu Flandern. Buber setzt den Akzent auf Werke, die in einem direkten Bezug stehen zu dem, was gegenwärtig geschieht. Außer dem Standardwerk zur Theorie des Krieges, Vom Kriege (1832-34) von Carl von Clausewitz (17801831), nennt er Charles de Costers (1827-1879) Uilenspegel und Lamme Goedzah (1910), weil dieser »das schmerzensreichste Herz dieser Tage, das Herz Flanderns«, auftue (MBW 1, S. 279). Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 76); 3 unpaginierte Seiten; ohne Datum; mit vereinzelten Korrekturen von Bubers Hand; mit dem Titel »Zwei niederländische Wundergeschichten« versehen. D: Frankfurter Zeitung, Nr. 367, 25. Dezember 1913 (MBB 131). Druckvorlage: D

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Variantenapparat: 180,Titel flandrische] niederländische H 180,1 Flandern] [den Niederlanden] ! Flandern H 180,3 zutiefst] zumeist ! zutiefst H 180,12 erwählter Personen] [von ihnen] ! erwählter Personen H 180,17 näherte] nähern sollte ! näherte H 180,27-28 durch den Raum] durchs Haus ! durch den Raum H 180,32 Unaussprechliche] unaussprechliche Heilige ! Unaussprechliche H 180,34 nichts und niemanden sehrte] [nichts zündete und] ! nichts und niemanden sehrte H 181,1 herbeiströmte] herbeistürzte H Wort- und Sacherläuterungen: 180,15-16 als der künstliche Rabe, der den Einsamen speist] Vgl. I Reg 17,4-6. 180,22-23 da Elias in einem feurigen Wagen im Wetter gegen oben entführt werden soll] Vgl. II Reg 2,11. 181,8 Kloster Afflighem] Im 11. Jh. gegründete Benediktinerabtei Affligem, in der Provinz Flämisch-Brabant gelegen.

Die vier Zweige des Mabinogi Ein keltisches Sagenbuch Buber hat diesen Text für die Einleitung des von ihm übersetzten und herausgegebenen »keltischen Sagenbuchs« Die vier Zweige des Mabinogi (Leipzig: Insel Verlag 1914) geschrieben. Seine Bemerkungen markieren eine noch entschiedenere Verklärung der poetischen oder zumindest ästhetischen Bearbeitung des Mythos, wie sie schon in den Ekstatischen Konfessionen und im Aufsatz zur »Kalewala« in Ansätzen zu bemerken war. Nun ist der Mythos nicht mehr allein »Urgut des Volkes«, sondern auch eine Hervorbringung des Barden. Hermann Hesse (1877-1962) bespricht den Text 1914: »Dieses Mabinogi-Buch ist wie eine wundervolle Versteinerung, in deren wunderlichen Formen wir mit Ergriffenheit ein Stück uralter Geschichte lesen, und es ist mehr als das, denn es erzählt in seinen traumhaften Sagenbildern ein Stück der Geschichte, die uns am nächsten angeht, der Geschichte der menschlichen Seele.« (Hermann Hesse, Die vier Zweige des Mabinogi [Rezension], in: Neue Zürcher Zeitung vom 20. 12. 1914, S. 1, jetzt in: Sämtliche Werke, Bd. 17, Frankfurt a. M. 2002, S. 394-397, Zitat S. 395.)

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Textzeugen: D1: Einleitung, in: Die vier Zweige des Mabinogi. Ein keltisches Sagenbuch, Leipzig: Insel Verlag 1914, 2. Aufl. 1922, S. 5-12 (MBB 133). Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: Einleitung, in: Die vier Zweige des Mabinogi. Ein keltisches Sagenbuch, Frankfurt a. M.: Insel Verlag 1966, S. 5-11 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: D1 Wort- und Sacherläuterungen: 182,3 »Die Mabinogion«] The Mabinogion. From the Llyfr Coch o Hergest and other ancient Welsh manuscripts, With an English translation and notes by Lady Charlotte Guest, London 1838-1849. 182,5-6 »das Rote Buch von Hergest«] eine der bedeutendsten mittelalterlichen walisischen Handschriften, entstanden zwischen 1382 und 1410, befindet sich heute im Jesus College der Universität Oxford, der erste Teil der Handschrift enthält das Mabinogion. 182,20 des Isländers Snorri Sturluson Edda] es handelt sich um das Handbuch für Skalden (s. 182,21), das dichtungstheoretische, mythographische sowie quellengeschichtliche Aspekte der altnordischen Dichtung und Mythologie behandelt. 182,21 Skalden] Bezeichnung der höfischen Dichter des Mittelalters in Skandinavien. 182,Anm. 2 John Rhys’ Einleitung zu […] Oxford 1887).] John Rhys u. John Gwenogvryn Evans, The Text of the Mabinogion. And other Welsh Tales from the Red Book of Hergest, Oxford 1887. 183,10 Triaden] eine der größten Sammlungen walisischer Volksdichtung. 183,20 Pryderi] der Sohn von König Pwyll und Königin Rhiannon kommt als einzige Figur der walisischen Mythologie in allen vier Zweigen des Mabinogi vor.

Der Engel und die Weltherrschaft Die Zueignung des Textes, der in der Chanukah-Sondernummer der Jüdischen Rundschau (26. September 1914) publiziert wurde, weist auf den vor wenigen Monaten ausgebrochenen Ersten Weltkrieg hin. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch im Inhalt der Geschichte, denn es geht schließlich um die Erkenntnis, dass das vordergründig Negative, das

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Dunkle und Böse, doch unentbehrlich für das Fortkommen und die schöpferische Tätigkeit des Menschen sei, dass also auch aus dem Schlechten auf dem Menschen verborgenen Wegen letztlich das Gute entstehe. Der kleinen Geschichte zufolge will Gott »die Seelen mit Blut und Schmerzen fruchtbar machen«. Das altjüdische Märchen, so harmlos es sich auch gebärdet, liefert also eine verschlüsselte Theodizee angesichts des Krieges. Wir wissen aus Bubers Schriften dieser Zeit und besonders aus seinem Briefwechsel, wie hoffnungsvoll er und manche Gleichgesinnte den Krieg begrüßten. Als Pendant zur allgemeinen Begeisterung, die in dem Krieg eine Gelegenheit sah, eine träge und ihrer selbst müde gewordene Kultur wieder zu den alten und das heißt vor allem martialischen Tugenden zurückzuführen, erwarteten Buber und seinesgleichen vom Krieg dadurch eine religiöse Erneuerung, dass er einen neuen Ernst einführen und die Menschen wieder auf das Absolute, das Unbedingte im Leben hinlenken würde. Exemplarisch für diese Tendenz ist Florens Christian Rang (18641924), dessen in Briefen geäußerter Kriegsenthusiasmus auch den anderen Mitgliedern des Forte-Kreises doch zu weit ging und zur Auflösung der Gruppe wesentlich beitrug (vgl. B I, S. 366-370). Für der »Engel und die Weltherrschaft« scheint der »Prolog im Himmel« aus Faust I, ob bewusst oder unbewusst, ein wichtiger Intertext zu sein. Auch dort wetteifert ein – allerdings gefallener – Engel mit Gott um die Lenkung der Menschen (vgl. Goethe, Faust I, Vers 271 ff.). Dabei wird vor allem auf ähnliche Weise auf die vorwärts treibende Kraft des Bösen verwiesen, (vgl. ebd., Vers 1336 f.). Auf die gleiche Zuversicht läuft Bubers Erzählung hinaus: Gott lässt den Menschen nur darum versuchen, um diesen aus seiner angeborenen Trägheit aufzurütteln und zum Heil zu führen. Das Böse gibt es nur, damit der Mensch zu Höherem strebe und so das Gute verwirkliche. Dieses Motiv findet sich auch in den später entstandenen Geschichten »Die Neidgeborenen«, »Die Wanderschaft der Kinderlosen« und »Der Totlebendige«, die neben anderen mit jener vom »Engel und der Weltherrschaft« schließlich in die Sammlung Erzählungen von Engeln Geistern und Dämonen aufgenommen und 1934 im Schocken-Verlag veröffentlich wurden. Textzeugen: D1: Jüdische Rundschau, 19. Jg., Chanukah-Sondernummer, 26. November 1914, S. 2 (MBB 136). D2: Jüdische Rundschau, 20. Jg., Nr. 8, 19. Februar 1915, S. 62 (MBB 148). 3 D : Selbstwehr, 9. Jg., Nr. 5, 5. Februar 1916, S. 2 (MBB 148).

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D4: Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen, Berlin: Schocken Verlag 1934, S. 5-7 (MBB 489). Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: in: Erzählungen von Engeln Geistern und Dämonen, 2. Aufl., Neuausgabe, Gerlingen: Lambert Schneider 1994, S. 5-9 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: in: Tales of Angels, Spirits and Demons, übers. von David Antin u. Jerome Rothenberg, New York: Hawk’s Well Press 1958, 61 S. (MBB 1092); The Angel and the World’s Dominion, in: Imperial Messages, hrsg. von Howard Schwartz, New York: Avon Books 1976, S. 113-114 (MBB 1394). Niederländisch: in: Vertellingen over engelen, geesten en demonen, vertaling Francis Hijszeler, Martin Buber Estate, Baarn: ten Have 2002. Ungarisch: in: Angyal-, szellem- és démontörtének, Paul Klee rajzaival, Ford. és a könyvet tervezte: Miklós Tama’s, Budapest: Atlantisz 2002. Variantenapparat: 185,Untertitel und Widmung] fehlt D4 185,4 Welt] Erde D4 185,4-6 Vom Dunst der Tränen war die Luft beschwert […] vom Schrei der Vergehenden] Die Luft war vom Dunst der Tränen beschwert und vom Hauch der Seufzer trüb D4 185,6 und Trauer] fehlt D4 185,7-8 dem war das Herz ganz verstört von all dem zehrenden Leiden, auf das er niederblickte] dem hatte das Leid, auf das er niederblickte, die Seele verstört D4 185,9 seelenmatte] fehlt D4 185,9 klingenden] fehlt D4 185,11-13 zu welchem Ende der ewige Strom der Bitterkeit seine Giftfluten […] ausschütten mußte, nimmermehr,] fehlt D4 185,14 fühlte] empfand D4 185,15 der Welten] des Seienden D4 185,19-20 mit freien und kühnen Worten] fehlt D4 185,22 um den Thron] fehlt D4 185,22 in Scham und Bangen] fehlt D4 185,22-23 Vermessenen] Verwegenen D4 185,23 Gottes gütigem Lächeln] dem Lächeln Gottes D4

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185,25-26 Der Engel hob sich […] von hinnen] Erglühend hob der Engel sich von hinnen D4 185,29 der Welt] fehlt D4 185,34-35 stand sie schwer und gebeugt unter ihrer Früchtelast] lag auf ihr die Last der Frucht D4 185,36 und glühend] fehlt D4 186,3 Der] Absatzwechsel D4 186,3-4 aber, da er all seine Wünsche hatte vollbringen dürfen,] fehlt D4 186,5 Felder] Fluren D4 186,6 und Gnade] fehlt D4 186,10 zum Himmel] empor D4 186,10 In jähem, staunendem Erschrecken] Erschreckt D4 186,13 kam] stieg D4 186,15 , rauhem] fehlt D4 186,17-18 Herrn der Welten] König der Welt D4 186,19 vernichtet] fehlt D4 186,19 Gott] seinem Meister D4

Der Geist des Orients und das Judentum Schon Ende 1912 bittet Hans Kohn Buber darum, vor dem Prager Verein Bar Kochba über das Thema »Orient und Okzident« zu sprechen (Brief an Buber vom 14. November 1912, in: B I, 320). In seiner Antwort geht Buber darauf nicht ein. Er schlägt vor, aus dem Danielgespräch »Vom heroischen Leben« zu lesen und anschließend von einem Mitglied »einen Vortrag über eine den Verein bewegende Frage« halten zu lassen (ebd.). Im Jahre 1915 hielt Buber dann im Berliner Abgeordnetenhaus einen Vortrag über »Die Juden als Volk des Orients«, der vermutlich dem unter dem Titel »Der Geist des Orients« veröffentlichten Aufsatz zugrunde liegt, der in Der Neue Merkur (Juni 1915) publiziert wurde. In Anspielungen kritisiert der Aufsatz die neuere Forschung zur babylonischen Kulturgeschichte, die bei Friedrich Delitzsch (1850-1922) und anderen zu dem Schluss geführt hatte, die Bibel fuße in großen Stücken auf der Mythologie Babyloniens und entbehre daher großenteils des Anspruchs auf Originalität. Buber greift diesen Ansatz an, indem er einen nur chronologischen Anfang vom wirklich schöpferischen Anfang abkoppelt und behauptet, ein übernommenes babylonisches Gebet komme erst bei den Juden zur wahrhaften Entfaltung, da es hier den notwendigen Prozess der Verinnerlichung durchgemacht habe. Diesen Zusammenhang hatte Buber schon in seiner Rede zum »My-

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thos der Juden« von 1913 behandelt (siehe in diesem Band, S. 171-179). Dort setzt er sich – im Vortrag selbst explizit, in der gedruckten Fassung dann nur implizit – mit der in seinen Augen sinnlosen und irreführenden Meinung auseinander, man könne über die Originalität des Kulturgutes eines Volkes einfach aburteilen (vgl. ebd., S. 172). Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Kulturen sei, so heißt es dort, »gebend und nehmend« zugleich (S. 173); oder, wie es im »Geist des Orients« ausgedrückt wird, der religiöse Akt des Orientalen sei »dieses Geben und Finden in einem« (S. 190). Dort geht Buber näher auf das ein, was hier als das »mehr oder minder unbewusste Apriori« (siehe H2 und H3 im Variantenapparat) jener Kritiker unerörtert bleibt: der Wunsch, die jüdischen Wurzeln des Christentums zu leugnen, das Christentum, wie es dort heißt, zu »entjuden« (vgl. in diesem Band, S. 197). Der Gegensatz zwischen dem »motorischen« Juden oder Orientalen und dem »sensorischen« Abendländer, der im Aufsatz eine zentrale Rolle spielt, kommt schon in den früheren Schriften Bubers vor. Im einleitenden Aufsatz »Die jüdische Mystik« zu Die Geschichten des Rabbi Nachman (1906), werden die beiden Typen erwähnt, ohne dass sie auf bestimmte Gruppen ausschließlich bezogen werden. »Unvergleichlich mehr motorisch als sensorisch veranlagt« sei, heißt es dort zwar, der Jude, aber es bleibt unbestimmt, wer dem sensorischen Menschen zuzuordnen sei. Ebenso bleibt der Hinweis auf »den Juden und seine motorische Anlage« im Text von Die Geschichten des Rabbi Nachman selbst eher allgemein gefasst (Martin Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, S. 29; vgl. in diesem Band, S. 115). Bereits in der Einleitung zum Sammelband Jüdische Künstler (Berlin: Jüdischer Verlag 1903) wird der Gegensatz vom orientalischen Ohren- oder Zeit- und okzidentalischen Augen- oder Raummenschen antizipiert. Im Vorwort zu den Ekstatischen Konfessionen stellt Buber zwar dem mystischen Bekenntnis des Abendlands eine andere Art von Ekstase entgegen, die im Orient ganz normal, ja sogar alltäglich sei und darum der Form einer besonderen Konfession nicht bedürfe (vgl. Ekstatische Konfessionen, S. XIX; jetzt in MBW 2.2, S. 49). Doch ist hier von den zwei Veranlagungen, der sensorischen und der motorischen, noch nicht die Rede, wenngleich die Merkmale schon gut in dieses Schema passen. Erst im vorliegenden Aufsatz tritt der Gegensatz deutlich hervor, indem sensorisch und motorisch explizit auf den Unterschied zwischen Orient und Okzident bezogen werden (vgl. Hans Kohn, Der Geist des Orients, in: Bar Kochba (Hrsg.), Vom Judentum. Ein Sammelbuch, Leipzig 1913, S. 9-18). Der Gegensatz zwischen dem orientalischen und dem abendländischen Menschen, dem motorischen und dem sensorischen Typus, nimmt das

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von Buber später eingeführte Begriffspaar emuna und pistis vorweg, die nach Buber idealtypisch die zwei Glaubensweisen des Judentums bzw. des Christentums bilden. Bei pistis geht es um eine Wahrheit, die wahrgenommen wird, um ein »Für wahr erkennen« (vgl. Buber, Zwei Glaubensweisen, MBW 9, S. 215). Dagegen steht emuna für eine Haltung des Vertrauens, das heißt einen Beziehungsvorgang: Wahrheit spielt hier nur insofern eine Rolle, als sie in der Beziehung verwirklicht wird. Dass der Text, der in voller Länge unter dem Titel »Der Geist des Orients und das Judentum« an erster Stelle in dem Sammelband Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte (Leipzig: Kurt Wolff 1916) abgedruckt wurde, im Ersten Weltkrieg entstand, macht sich in mancherlei Hinsicht bemerkbar. Der Hinweis auf das Kriegsgeschehen und seine Bedeutung für die Juden war im Vortrag mit dem gewichtigen Wort zum Ausdruck gekommen: »Wir leben in einer Schicksalsstunde des Planeten« (vgl. die Varianten zu 203,29, in diesem Band S. 419). Im Aufsatz ist dieser Schlusssatz entfallen. Der Krieg hat vor allem Spuren in der Geschichte der verschiedenen Ausgaben hinterlassen. Am bedeutendsten sind wohl die Änderungen, die Buber bei der ersten Nachkriegsfassung an späteren Textstellen vornahm. 1915 und 1916 ist noch direkt von den Deutschen und ihrer weltgeschichtlichen Mission als »Mittlervolk« zwischen Orient und Okzident die Rede. So wird auch in Bubers Besprechung dreier Bücher von Alfons Paquet (1881-1914) noch von einer historischen, fast schicksalhaften Beziehung zwischen Deutschland und den Juden gesprochen: »heute sei vor der Weltgeschichte zum zweiten Mal, wie zum ersten Mal zur Zeit der Kreuzzüge, etwas wie Verantwortung für das Schicksal eines großen Teiles der Judenheit dem deutschen Volk übertragen worden.« (»Ein Dankeswort an Alfons Paquet« (1916), MBW 1, S. 289.) Hingegen drückt sich Buber 1919 in der zweiten Auflage des Sammelbandes viel zurückhaltender aus. An die Stelle von Deutschland tritt nun ganz Europa, dem er die Aufgabe zuteilt, mit Asien eine neue, gegenseitig fördernde Verbindung einzugehen. Dementsprechend ist die enge geschichtliche Beziehung, die Buber 1916 zwischen Deutschland und den orientalischen Völkern behauptet und im Fall der Juden mit Beispielen zu belegen versucht, nirgendwo mehr zu finden. Buber blieb gegen die allgemeine Kriegsbegeisterung alles andere als gefeit. Doch teilte er diese auf ganz besondere Art. Weniger um der Assimilation willen – dass etwa Juden in der Bereitschaft, für das Vaterland zu sterben, sich als treue Mitbürger erweisen könnten – als vielmehr deshalb, weil der Krieg eine Zeit zumindest in Aussicht zu stellen, wenn nicht schon einzuleiten schien, in der man wieder »unbedingt« leben könne.

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Mit Florens Christian Rang und anderen hatte Buber den Krieg als eine Zeit der Unbedingtheit, des neuen Ernstes begrüßt. Ihm ging es in den ersten Kriegsjahren um die Möglichkeit einer neuen weltbürgerlichen Verfassung. In der Nachfolge des Forte-Kreises, der Ähnliches früher und auf falschem Weg angestrebt hatte, sollte dieser Neuerung oder Bewegung jetzt eine Spitze gegeben werden, die aus den hervorragendsten Geistern der Nationen zusammengesetzt sein würde. Später sollte Buber darauf bestehen, dass er nicht zu denjenigen zu zählen sei, die den Krieg als etwas Notwendiges hingenommen hatten, weil er nie für den deutschen Nationalismus Partei ergriffen habe. Wie vielen ging es Buber auch um die Glaubensgenossen in Osteuropa, besonders in Russland, die man aus einer vermeintlich mittelalterlichen, grauenhaft niedergedrückten Existenz unter zaristischer Herrschaft zu befreien hoffte. Darauf zielte vieles ab, was er während des Kriegs im öffentlichen Bereich unternahm, wie etwa das Eintreten für die Befreiung der russischen Juden. Mit Bubers Haltung zum Krieg vergleichbar, wenn auch aus dem liberalen Lager stammend, ist Hermann Cohens Kriegsaufsatz »Deutschtum und Judentum« (1915), der den deutschen Nationalismus und die sozialistische Weltmission als miteinander völlig kompatibel betrachtet. Die Rolle, die bei Buber die Juden als Volk spielen, fällt allerdings bei Cohen dem Judentum als ideengeschichtlichem Bindeglied zu. Das Judentum vermittle zwischen der altgriechischen Ethik Platons und der praktischen Philosophie Kants, und sein Monotheismus verbinde den Idealismus der Griechen mit dem Protestantismus. Nach Cohen besteht die Eigenart des Judentums darin, dass es »keine Scheidung zwischen Religion und Sittenlehre« anerkennt (Hermann Cohen, Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Leipzig 1919, S. 38). In einem für die Entwicklung Bubers entscheidenden Brief vom 12. Mai 1916 reagiert Gustav Landauer heftig auf »Der Geist des Orients und das Judentum« (vgl. B I, S. 433-438). Man hat den Brief mit Recht als einen Einschnitt im Leben Bubers erkannt (vgl. die Abschnitte »Landauer und der ›Kriegsbuber‹« und »Bubers Kehrtwendung« in: Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 135-150). Nach Landauer steht der Aufsatz, besonders was seine abschließenden Bemerkungen über Deutschland betrifft, in engem Zusammenhang mit Bubers gleichzeitig veröffentlichten Äußerungen in einem Aufsatz mit dem Titel »Die Losung«, der in der ersten Nummer der Zeitschrift Der Jude erschien (wiederabgedruckt in MBW 3, S. 286-289; siehe ebd. auch den Kommentar, S. 430 f.). In beiden Schriften betreibt Buber nach Ansicht Landauers unbefugt eine Art »Kriegspolitik« oder »Offiziosentum«. Landauer fühl-

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te sich offensichtlich gezwungen, angesichts dieser schleichenden, illegitimen Kriegspolitik eine unverhohlene und vernichtende Kritik zu schreiben. Spannungen in der Freundschaft waren allerdings schon seit 1914 zu spüren. Landauer, der von Anfang an Kriegsgegner war, geht mit Buber wegen dessen Befürwortung des Krieges als eines geistig heilsamen Erlebnisses scharf ins Gericht. Buber verschweige die auf der Hand liegende Nähe zwischen dem russischen und dem jüdisch-orientalischen Geist, um eine unwahrscheinlichere Verbindung mit dem Deutschtum zu behaupten. Des weiteren kritisiert Landauer Bubers Hoffnung, dass der Krieg eine Erneuerung des Gemeinschaftsgefühls und Gemeinschaftslebens mit sich bringen würde. Nach Landauer ist die Idee der Gemeinschaft »ästhetisch und formalistisch«. Landauer prophezeit, Buber werde um seiner selbst willen »auszulegen, hinzuzufügen, einzuschränken, zurückzunehmen und zu bedauern haben« (B I, S. 437). In der Tat unterließ Buber dann bei der Neuausgabe jeden Hinweis auf eine deutsche Mission und auf eine besonders herausgehobene Beziehung zwischen Deutschland und den Juden. Seine Erklärung lautete: »Von der zweiten Auflage an sind am Schluß der ersten Rede die Sätze gestrichen, in denen das deutsche Volk aufgerufen wurde, in der Umkehr voranzugehen und eine neue Ära des Einvernehmens mit dem Orient zu begründen. Das deutsche Volk hat die ihm in jenen Sätzen zugedachte Funktion nicht auf sich genommen und kann sie nun nicht mehr auf sich nehmen. Aber Europa steht die Entscheidung noch bevor.« (Buber, Vom Geist des Judentums.) In der Neuausgabe von 1932 ersetzt Buber die Wendung vom »Deutschen unserer Tage« durch »den Deutschen des Jahrhunderts Goethes« (vgl. die Varianten zu 188,11, in diesem Band S. 409). In der Zeit des aufkommenden Illiberalismus scheint Buber die Bezugnahme auf den Deutschen nicht uneingeschränkt mit seinen damaligen Erscheinungsformen identifizieren zu wollen und hebt daher die Zeit Goethes hervor, die er wohl als eine Epoche humanistischer Bildung und vergleichsweise liberalen Geistes verstanden wissen will. Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 22); 6 tw. paginierte Seiten; die ersten drei paginiert; ohne Datum; versehen mit dem Titel »Die Juden als Volk des Orients«; enthält eine Entsprechung zum Anfangsabschnitt (in diesem Band: S. 320,1-321,4) und zu Unterkapitel 5 (in diesem Band: S. 335,18-336,29). Da die Paginierung in der Textmitte aufhört, lässt es sich nicht feststellen, ob Dazwischenstehendes verlorengegangen ist.

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H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 22); 41 paginierte Seiten, Paginierung mehrmals korrigiert; ohne Datum; versehen mit dem Titel »Der Geist des Orients und das Judentum«; enthält einige Blätter mit Einfügungen verschiedener Länge. 3 : H Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 22); 29 paginierte Seiten; ohne Datum; versehen mit dem Titel »Der Geist des Orients und das Judentum«. d1: Abdruck des ersten Abschnitts; in: Der Neue Merkur, 2. Jg., Nr. 3, Juni 1915, S. 353-357 (MBB 150). D2: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1916, S. 9-48 (MBB 159). D3: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, 4.-5. Tsd. u. 6.-8. Tsd., Leipzig u. München: Kurt Wolff Verlag 1916, 2. Aufl. 1919, 3. Aufl. 1921, S. 9-48 (MBB 159). D4: RGA, S. 69-99 (MBB 284). D5: Reden über das Judentum. Gesamtausgabe, 2. Aufl., Berlin: Schocken Verlag 1932, S. 69-99 (MBB 449). D6: JuJ, S. 46-65 (MBB 1216). Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: in: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, 2., durchgesehene u. erweiterte Aufl., Gerlingen: Lambert Schneider 1993, S. 45-63 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: D2 Übersetzungen: Englisch: in: On Judaism, übers. von Eva Jospe, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1967, 1972 u. 1973, 242 S. (MBB 1298). Hebräisch: Ruach haMizrach wehaJahadut, Übersetzung durch P. Lachuber, in: Hazefira, Jahr 5 [1917], (3) 15. März, S. 6-8; (4) 12. März, S. 5-7; (5) 29. März, S. 6-7; (7) 12. April, S. 6-7; (10) 3. Mai, S. 5-6; (12) 17. Mai, S. 9-10. (MBB 198); in: Te’uda weJiud – Ma’amerim al Injanei haJahadut, Band 1, Jerusalem, haSifria haZionit, 1959, S. 5469. (MBB 1135). Italienisch: in: Sette discorsi sull’ebraismo, übers. von Dante Lattes u. Mosè Beilinson, eingeleitet von Alessandro Bonucci, Firenze: Israel 1923, XXI S. u. 181 S. (MBB 285); in: Sette discorsi sull’ebraismo, eingeleitet von Clara Levi Coen, Assisi: B. Carruccio 1976, XXXII S. u. 207 S. (MBB 1391).

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Niederländisch: in: Over het Jodendom, übers. von F. de Miranda, mit einem Vorwort von Nahum N. Glatzer, Utrecht: J. Bijleveld 1978, 224 S. (MBB 1402). Variantenapparat: 187,Titel ergänzt um ein Motto Wir alle leiden am Okzident (Ritter) H2 187,1-3 Im Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts […] wußten Herder und Goethe […] daß der Orient eine Einheit ist] [Vor hundertundfünfzig, vor hundert Jahren] Im achtzehnten Jahrhundert u. an d. Wende d. 19. wussten [Hamann und] Herder, Goethe [und] Novalis u. Frd. Schlegel, dass [Asien] ! der Orient eine Einheit ist H1 An der Wende des achtzehnten Jahrhunderts und im Beginn des neunzehnten wussten Novalis und die Schlegels, Görres und Creuzer, dass der Orient eine Einheit ist H2 Im Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts und im Beginn des neunzehnten wussten {wußten d1} Herder und Novalis, Görres und Creuzer, dass der Orient eine Einheit ist H3, d1 187,3 Wohl kannten sie] Sie kannten H1, H2 187,6 Kern des Geistes] Kern der Geistes, der sich in diesen Völkern, in ihren Artungen, ihren Schöpfungen aufbaute und kundgab H1 Keim des Geistes d1 187,7 Tropus] Begriff H1 187,9-10 Diese Einsicht blieb lebendig, bis die Rassentheorie unseres Zeitalters ihr […] entgegentrat] Die Rassenforschung unseres Zeitalters mit ihrem masslosen Anspruch hat das Bild dieser innerlichen Wahrheit verdunkelt H1 Diese Einsicht blieb lebendig, bis die Rassentheorie ihr mit breitem Erfolg entgegentrat d1 187,12 edelsten] heiligen H1 187,13 Totalität] Totalität. Es ist an der Zeit, diesen Übergriffen einen nun in den Grenzen der [anthropologischen Disziplin] biologischen Disziplinen beglaubigten Methode entgegenzusetzen H1 geistige Totalität H2 [geistige] Totalität H3 187,16 feststellbare] feststellbare »absolute« H1 feststellbare physiologische Rassenunterschiede H2 feststellbare [physiologische] Rassenunterschiede H3 187,17 Völkerverbände] Völkerverbände ! Völkergruppen H1 187,19-22 Als eine Totalität ist der große Völkerverband des Orients zu erweisen, als ein Organismus, […] der dem Abendland in eignem Recht gegenübersteht] Es gilt heute, das Gebilde eines grossen Völkerverbands, des Orients, als eine Totalität zu erweisen, als einen Organismus, in dessen Gliedern, mögen sie funktionell noch so verschieden sein, [die gleiche] eine gleichartige Struktur und [die

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gleiche] eine gleichartige Vitalität waltet, und der dem Abendland in [selbständig] eignem und geschlossenem Leben gegenübersteht. Als ein Beitrag hierzu mögen meine einleitenden Darstellungen aufgefasst werden. / An zweierlei ist dieser Erweis zu führen: an dem Menschen des Orients und an seiner Schöpfung, dem Geist des Orients H1 Es gilt heute, das Gebilde eines grossen Völkerverbands, des Orients, als eine Totalität zu erweisen, als einen Organismus, in dessen Gliedern, mögen sie funktionell noch so verschieden sein, eine gleichartige Struktur und eine gleichartige Vitalität waltet und der dem Abendland in eignem Leben gegenübersteht. Als ein Beitrag hierzu mögen meine einleitenden Darstellungen aufgefasst werden. / An zweierlei ist dieser Erweis zu führen: an dem Menschen des Orients und an seiner Schöpfung, dem Geist des Orients H2 Als eine [geistige] Totalität ist der grosse Völkerverbund des Orients zu erweisen, als ein [geistiger] Organismus, […] der dem Abendland in eignem [Leben] ! [Trieb] ! Recht gegenübersteht H3 187,24-25 angesehen, – eine karge und schematisierende Betrachtungsweise] angesehen. Wie mir scheint, zu Unrecht. Das Werden des Geistes vollzieht sich nicht so schematisch, wie manche [Entwicklungs] ! Evolutionstheoretiker es sich ausmalen, es gibt ganz andere, sehr viel [langsamere und] heimlichere und hrealerei Entwicklungen, als die fortschreitende Differenzierung, die man mit unberechtigter Abbreviatur als »Fortschritt« zu bezeichnen pflegt, und Werke, wie die der ägyptischen Plastik aus dem Anfang des 3. Jahrtausends vor Christi Geburt, bedeuten nicht Primitivität sondern Vollendung H1 angesehen. Diese [schematisierende] Betrachtungsweise scheint mir nur relativ berechtigt H2 187,26 hervorheben] sagen H1 sagen ! hervorheben H2 187,26 bestimmende] entscheidende ! bestimmende H1 187,26 inneren] geistigen ! inneren H1 187,28 bestimmt] bestimmt ! gebildet H1 gebildet H2 187,29 Epoche der Erdgeschichte] Menschheitsepoche ! Epoche der Erdgeschichte H1 187,31 dritten] zweiten ! dritten H1 187,33 riesenhaften] gigantischen H1, H2, H3 187,35 was ] nicht hervorgehoben d1 188,1 Restauration] Reformation H1, H2, H3, d1 188,3 Denker] Dichter ! Denker H1 188,4-6 Laotse. Man wird daraus verstehen, warum man vom Orientalen […] sagen darf, daß er zugleich primitiv und vollendet ist.] Laotse. / Der Menschentypus, den jene frühe grosse Zeit des Orients geformt

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hat, hat etwas Primitives und etwas [Vollendetes] ! Reifes zugleich. Er mag als primitiv angesehen werden in seinem Weltbild und in seiner [Lebenskonzeption] ! Lebensansicht; er ist ganz reif in seiner [aufbauenden] ! bauenden Macht, in der Fähigkeit, sein Weltbild und seine Lebensansicht zu Werke zu machen und ein Mass zu errichten, daran sich alles Sein und Geschehen, jedes Ding und jeder Vorgang messen muss; ganz reif [und gestaltet] in der rückhaltlosen und rücksichtslosen Kraft, mit der er auf Erden die Suprematie des Geistes [eingesetzt] ! begründet hat. H1 Man wird daraus verstehen, warum man sagen darf, dass der [Menschentypus, den jene frühe grosse Zeit des Orients geformt hat, hat etwas Primitives und etwas Reifes zugleich. Er mag als primitiv angesehen werden in seinem Weltbild und in seiner Lebensansicht; er ist ganz reif in seiner bauenden Macht, in der Fähigkeit, sein Weltbild und seine Lebensansicht zu Werke zu machen und ein Mass zu errichten, daran sich alles Sein und Geschehen, jedes Ding und jeder Vorgang messen muss; ganz] Orientale zugleich primitiv und vollendet ist, wie man es etwa von der ägyptischen Plastik aus dem Anfang des 3. Jahrtausends sagen darf. H2 188,11 Trecento] 13. Jahrhunderts H2 188,11 unserer Tage] des Jahrhunderts Goethes D5 188,14-16 ; wobei ich wohl weiß, daß ich vereinfachen […] muß, um das Wesentliche aufzuzeigen] fehlt H2, H3, d1 188,23 tut] hervorgehoben d1 188,29 Leibe] Leibe[; und wie es eine innerliche Sprache, eine Artikulation der Seele gibt, so ist hier eine Muskelspannung der Seele] H2 188,34 Boden des organischen Lebens] Urgrund des organischen Lebens H2 Urkern H3 188,37 das Werk] [die Bewährung dieser Hegemonie, die noch in seine Ideologie, in seine Mystik hineinreicht] ! [die Bewährung] ! das Werk H2 188,38 souverän] selbstherrlich H2 189,1-5 Er wird […] inne […] weniger des Raums als der Zeit] Er nimmt [nicht] ! weniger das vielfältige, ruhende Sein der Dinge wahr [sondern] ! als ihr Geschehen und ihre Beziehung; [nicht] ! weniger den Umriss [sondern] ! als die Gebärde; [nicht] ! weniger das Nebeneinander [sondern] ! als das Nacheinander; [nicht] ! weniger den Raum [sondern] ! als die Zeit H2 Er nimmt weniger das vielfältige, ruhende Sein der Dinge wahr als ihr Geschehen und ihre Beziehung, ihre Gemeinsamkeit und Gemeinschaft; weniger den Umriss als die Gebärde; weniger das Nebeneinander als das Nacheinander;

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weniger den Raum als die Zeit H3 Er nimmt weniger das vielfältige, ruhende Sein der Dinge wahr als ihr Geschehen und ihre Beziehung; weniger den Umriss als die Gebärde; weniger das Nebeneinander als das Nacheinander; weniger den Raum als die Zeit d1 189,13 Das Weltbild des Orientalen ist] Wir haben mit diesem Beispiel schon das Gebiet der höchsten schöpferischen Auswirkung des Orientalen, seiner eigentümlichen Geistigkeit betreten. Sein Weltbild ist ganz und gar H2 189,16 ausbreitet] ausbreitet [grenzhaft und gesondert] H2 189,18 durchdringt] durchschwingt, [und doch nicht er ist] H2 189,24 erfaßt] greift H2, H3 189,25 gegenübertritt] [erscheint. Darum geht dieser in seinem Weltbild von der Erscheinung der Welt aus, auch wo er von ihr zu den obersten Abstraktionen aufsteigt, der Orientale von der Innerlichkeit der Welt, die er in [seinem Gefühl] ! seiner Innerlichkeit erlebt. Jedes Weltbild ist eine Vereinfachung, Vereinheitlichung der Welt; aber der [Europäer] ! Grieche vereinfacht sie, indem er ihre Phänomene unter allgemeine Begriffe subsumiert, der Asiate, indem er aus seiner Innerlichkeit eine einige Welt, die wahre Welt, erbaut und über die ungeheuer strömende Bewegungswelt wölbt; der Grieche nimmt zunächst die Vielfältigkeit der Dinge hin und ordnet sie dem Gesetz seines Denkens ein, der Asiate nimmt die ihn durchdringende Bewegung der Welt nicht hin, er erschliesst aus ihr den [Impuls] ! Antrieb, der sie bewirkt, wie der Antrieb in ihm selber seine eigene Bewegung bewirkt, und diesen Antrieb der Weltbewegung, diesen Weltwillen erschliesst er fundamental nicht mit seinem Denken, sondern dadurch, dass er ihn eben in seinem eignen Antrieb [erlebt, dass er ihn sozusagen an sich selber mit Leib und Seele erfährt, vollzieht und erfährt in seinem eigenen] erlebt; [weil er mit seinem Gefühl weiss, wie] der Asiate, sage ich, nimmt die Welt nicht hin, sondern er sucht nach [ihrem] ! dem Sinn, der sie [trägt und vernimmt?, und diesen vermag er in keinem Ding der Welt als in sich selber zu entdecken; all sein Denken kann diese Entdeckung nur ausgestalten und] zur Bewegung treibt, und diesem gegenübertritt H2 189,38-39 erschließt; dieser offenbart sich ihm in jenem, und in der letzten Wahrheit sind beide eins] [zu erschliessen strebt. Wie der Urgrund in ihm, der innerste Ursprung seiner spontanen Bewegung, selbst nicht Bewegung ist, so kann der Urgrund der vielfältigen und wandelbaren Welt nicht [Vielfältigkeit] ! vielfältig, nicht wandelbar sein] ! erschließt; dieser offenbart sich ihm in jenem, und in der letzten Wahrheit sind beide eins H2

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189,39-40 Identifizierung] [Negation, die eine Position ist,] ! Identifizierung H2 190,1 aufblitzender] aufleuchtender H2 aufleuchtender ! strahlender ! aufblitzender H3 190,4 , seinem Wesen als Bild gemäß,] fehlt H2 190,7 einordnet] subsumiert ! einordnet H2 190,8 Sein Einheitstrieb ist der elementarere.] fehlt H3 190,13 bewährt] bewährt ! bekundet und bewährt H2 bekundet und bewährt H3, d1 190,18 allumfassenden Einsamkeit] Erkenntnis ! allumfassenden Einsamkeit H2 190,23 des hellen und des dunklen] des positiven und des negativen H2 190,24 einige] ewige d1 190,24 die Bahn] die Bahn oder den Weg H2 190,25 verwirklicht] verwirklichen soll H2 190,36 Beschaffenheit der Welt] äußere Welt H2 190,37 bewältigen] beherrschen H2 beherrschen und formen H3 190,41 lehren; aber hier fehlt das Gefühl der oberen Lebenswahrheit] lehren, und seiner Lehre gab der Tod das Pathos, das die Methode ihr nicht geben konnte; aber was hier fehlt, das ist das Gefühl der höchsten Lebenswahrheit H2 lehren; aber hier fehlt das Gefühl der höchsten Lebenswahrheit H3 191,4 tut] ist H2 ist ! tut H3 191,8 einigen] vollenden ! einigen H2 191,13 Einheit] [ursprünglichen] Einheit H2 191,15-16 ,  ¡d @ to‰ jeo‰ (Mc. 12, 14), der Weg Gottes in der Welt] fehlt d1 191,21-23 Die gedachte Idee ist dem Orient ein Entwurf […] Sie allein ist.] fehlt H2 191,26 sich ein geistiges Haus erbauten] eine geistige Welt erschufen H2 191,27-30 an der räumlichen Scheide […] sich erschließend,] fehlt H2 an der räumlichen Scheide […] aufleuchtend, H3 191,30-31 Geschick] Schicksal H2 191,33 sind] waren ! sind H2 191,33 erscheinen zu einer Zeit] treten zu einer Zeit auf H2, H3 191,34-35 bestimmend] entscheidend H2 191,35-36 schöpferische Kraft] [schöpferische Kraft] ! Produktivität ! schöpferische Kraft H2 191,36-37 weitausgespannten] weitausgespannten, vielfältigen H2 192,2 Gelehrten] Forschern, deren mehr oder minder unbewusstes Apriori ich hier nicht analysieren will H2, H3

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192,4 geglaubt] geglaubt [Um Analogien und Abhängigkeiten herzustellen, haben sie die kühnsten Konjekturen u. Kombinationen nicht gescheut.] H2 192,4 grundfalschen] grundfalschen allgemeinen H2 192,7-8 die Elemente in sich versammeln und zum Gebilde verschmelzen] alle Elemente [von allen nehmen] in sich versammeln und zum einigen Gebilde verschmelzen H2 192,9 andre zulängliche] höhere H2 192,14-15 gehaltlos und unfruchtbar] [gestaltlos und] gehaltlos H2 192,19 Schöpfung] Selbstständigkeit ! Schöpfung H2 192,25 Verinnerlichung] Absatzwechsel H2, H3 192,28 Eigentümliches] Eigentümliches, das in seinen Zusammenhängen betrachtet werden muss, wenn wir die geistige Bedeutung der Juden als eines Volks des Orients erkennen wollen H2 Eigentümliches[, das in seinen Zusammenhängen betrachtet werden muss, wenn wir die Bedeutung der Juden als eines Volks des Orients erkennen wollen] H3 192,29-30 Deutlichkeit] Prägnanz ! Deutlichkeit H2 192,31-35 »Sein Bewegungssystem […] arbeitet intensiver […] seinem Leben ist wichtiger, was er zustande bringt, als was ihm widerfährt.«] fehlt D4, D5, D6 192,35-36 Das Tun ist ihm wesentlicher als das Erleben […] sein wesentliches Erleben ist in seinem Tun] Die Tat ist ihm wesentlicher als das Erlebnis, oder richtiger: sein Erlebnis ist in seiner Tat H2 192,37-39 so wird ganz besonders der Jude […] inne […] mehr der Zeit als des Raumes] so nimmt ganz besonders der Jude mehr die Gebärde der Dinge als ihren Umriss wahr, mehr das Nacheinander als das Nebeneinander, mehr die Zeit als den Raum H2 192,39-352,5 »Die malenden Epitheta der Bibel sprechen […] nicht von Form und Farbe […] und der Zusammenhang der Generationen ist ihm ein stärkeres Lebensprinzip als der Genuß der Gegenwart.«] fehlt D4, D5, D6 193,5 erfährt] erfährt ! erlebt H2 193,5-6 dem […] vielfältigen Einzeldasein] der […] Vielfältigkeit ! dem […] vielfältigen Einzeldasein H2 193,7-11 »Er sieht den Wald wahrhafter als die Bäume […] darum auch treibt es ihn, die Fülle der Dinge […] im Begriff zu binden.«] fehlt D4, D5, D6 193,12 Anfang] Anfang[; der Grieche bildet Begriffe, der Jude schaut allgemeine Begriffe] H2 193,16 urgemeinte Einheit] urgewollte Einheit [des Seins gehemmt] H2 193,38-194,26 Beides ist scheinbar nur ein Vorgang […] / Man kann von

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diesem Ort aus überschauen] Wer sich mit der ga nzen Seele entscheidet, entscheidet sich zu Gott, denn er entscheidet sich zur Einheit. Aber nur wer die ganze Polarität seiner Seele umfasst hat, vermag sich so zu entscheiden. Die Mischna deutet das Wort »Du sollst Gott lieben mit deinem g anzen Herzen« dahin, dass gemeint sei: mit deinen beiden Trieben, mit dem guten und dem bösen Trieb; das heisst: mit der Entscheidung und durch sie, also dass die Leidenschaft des bösen Antriebs gewandelt wird und ungeschmälert, mit ihrer ganzen Kraft in die einige Tat eingeht. In diesem Menschen vollzieht sich das Mysterium der Wa h l, von dem ein jüdisches Wort sagt: »Die Welt ist um der Wahl des Wählenden willen erschaffen worden«. Man kann von diesem Punkt an ermessen H2 Beides ist scheinbar nur ein Vorgang […] in Wahrheit ist es ein Vorgang im und am [Sein] ! Wesen der Welt. […] Nur, wo sich eine Seele nicht zur Ganzheit zusammenzuschließen vermag, ergreift sie das Böse: läßt sie die richtungslose Kraft gewähren; die aus ihrer Einheit entscheidet, in der sind Kraft und Richtung vereint, die [ungetrübte volle] ! ungeschmälerte Gewalt des leidenschaftlichen Antriebs und die [volle Reinheit] ! unabgelenkte Geradheit der Intention. An dem ihm anvertrauten Bereich [einigt] ! vollendet dieser Mensch das Werk der Schöpfung […] Man kann von diesem [Punkt] ! Ort aus [ermessen] ! überschauen H3 194,30-31 der Grieche erkennt sie unter dem Aspekt des Maßes, der Jude unter dem des Sinns;] fehlt H2, H3 194,33 Jene] kein Absatzwechsel H2, H3 194,35 gewonnen] erlangt H2 194,35-36 in sich als die seine erlebt, gibt […] den siegreichen Impuls] als eine innere in sich erlebt, gibt seinem Einheitsverlangen den gewaltigsten Antrieb H2 194,36-41 Er hat das Bangen der Welt nicht bloß erfahren […] und was er […] an den Wesen und Dingen vollbringt, die ihm zugeteilt sind oder ihm begegnen, das tut er in urgeheimem Zusammenhang dem Herzen der Welt.] fehlt H2 Er hat das Bangen der Welt nicht bloß erfahren, er hat es erlitten; in seinem Willen zum Einswerden pocht die Sehnsucht der Welt; und was er an sich selber und an den Wesen und Dingen vollbringt, die ihm zugeteilt sind oder ihm begegnen, erlösend und einend, [die überallhin verbannten »Funken« hebend und dem göttlichen Feuerquell wiederbringend] das tut er in urgeheimem Zusammenhang dem Herzen der Welt. H3 194,41-195,13 In allem Ereignis bekundet sich ihm jene obere Lebenswahrheit […] in der die Entscheidung des Menschen solcherweise Mitte

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und Sinn alles Geschehens wird.] Die i nners te Erfahrung verkündet ihm jene obere Lebenswahrheit des Orients, von der ich gesprochen habe: dass das i nnere Schicksal der Welt von der Handlung des Handelnden in einem Masse abhängt, das keiner zu ermessen vermag. [In dem jüdischen Wort »Jeder soll sagen: Auf mir steht die Welt« ist die Wahrheit eingefasst; und ein späteres ergänzt: Ja, er ist der einzige in der Welt und ihr Bestand hangt an seiner Tat. Die Grundanschauung des Judentums ist die Anschauung von dem a bs o lu ten Wert der Tat als einer Entscheidung. Scheinbar ist die Tat unentrinnbar eingestellt in das eherne Gefüge der Ursächlichkeit; aber in Wahrheit wirkt sie tief und heimlich ins Schicksal der Welt, und wenn sie sich auf ein göttliches Ziel, die Einheit, besinnt, wenn sie sich von der Bedingtheit losmacht und im eignen Lichte, das ist im Lichte Jahwes wandelt, ist sie frei und gewaltig wie Gottes Tat. In der Unbedingtheit seiner Tat erlebt der Mensch die Gemeinschaft mit Gott. Nur für den Lässigen, den Entscheidungslosen, den Geschehenlassenden, den in seine Zwecke Verstrickten ist Gott ein unbekanntes Wesen jenseits der Welt; für den Wählenden, den sich Entscheidenden, den um sein Ziel Entbrennenden, den Unbedingten ist er das Nächste, das Vertrauteste, das er handelnd ewig neu verwirklicht und erlebt, und eben darin das Geheimnis der Geheimnisse. Ob Gott »transzendent« oder »immanent« ist, ist nicht eine Sache Gottes; es ist eine Sache des Menschen. hZu der Erzählung der Genesis, wie die drei Männer zu Abraham »in der Mitte des Tages« kommen, bemerkt der Sohar: Wenn die untere Welt im Verlangen nach der oberen auflodert, steigt diese zu ihr hinab und beide Welten vereinigen einander alsdann im Menschen.i Der Mensch kann Gott immanent machen: indem er ihn verwirklicht. Eine paradox klingende und doch unmittelbar ergreifende Formulierung dieses Gedankens ist es, wenn zu dem Jesaiawort »Ihr seid meine Zeugen, spricht Jahwe, und ich bin Gott« die Deutung angeführt wird: »Wenn ihr meine Zeugen seid, bin ich Jahwe, und wenn ihr nicht meine Zeugen seid, bin ich nicht Jahwe«. Der Akt der Entscheidung bedeutet die Verwirklichung der göttlichen Freiheit und Unbedingtheit auf Erden, die Durchdringung der Welt mit göttlichem Element, zugleich das Einswerden der Seele und das Einswerden der Welt. Unter allen Geistesgestaltungen der Menschheit ist das Judentum die einzige, in der die Entscheidung des Menschen solcherweise Mitte und Sinn alles Geschehens wird. Man fälscht den Sinn dieses Aktes im Judentum, wenn man ihn als einen bloss ethischen behandelt; er ist ein religiöser, vielmehr: er ist der religiöse Akt; denn er ist die Verwirklichung Gottes durch den Menschen. Die Botschaft der

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Propheten etwa hat ihre inhaltlichen Bestimmungen, die allgemein sittlichen, mit Lehren anderer Völker gemein; das Ei nzi g e, das Jüdische an ihr ist der Atem der Unbedingtheit, der sie durchweht, das Postulat der Entscheidung, das in jedem ihrer Worte und noch in dem fordernden Rhythmus ihrer Sätze tönt: ihre Religiosität. Jede Konstruktion einer »reinen Ethik« des Judentums ist von Grund aus verfehlt; da ist der Kern des Judentums, wo das Unbedingte ein verhülltes Gottesangesicht ist, das in der Menschentat offenbart werden will.] H2 In allem [seinem Tun bekundet sich] Ereignis bekundet sich ihm jene obere Lebenswahrheit […] Die Grundanschauung des Judentums ist die Anschauung von dem abs o lu ten Wert der Tat als einer Entscheidung. Wer sich entscheidet, entscheidet – er kann nicht wissen und nicht fassen, was und wie viel. Scheinbar ist die Tat unentrinnbar eingestellt in das eherne Gefüge der Ursächlichkeit, aus dessen [Gesetzen] ! Regeln sich [ihre Wirkung] ! ihr Gewicht ergibt […] Unter allen Geistesgestaltungen der Menschheit ist das Judentum die einzige, in der die Entscheidung des Menschen solcherweise Mitte und Sinn alles Geschehens wird. H3 195,16-24 Wenn mitten in der »Sünde« […] der Wille zur Entscheidung erwacht […]; da schuf er die Umkehr.] Die Umkehr ist die Grundform der Welt. Ehe die Welt erschaffen war, heisst es, war da nichts als Gott allein und sein Name; da geriet es in seinem Sinne, die Welt zu erschaffen, und er zeichnete sie vor sich hin; aber er sah, dass die Welt nicht bestehen konnte, weil sie keine Grundfeste hatte; da schuf er die Umkehr. [Die grosse Entscheidung ist der höchste, der göttliche Augenblick des Menschenlebens. »Besser«, sagt die Mischna, »ist eine Stunde der Umkehr in dieser Welt als das ganze Leben der kommenden Welt«; denn diese ist nur noch Sein, jene aber ist das gigantische Werden. hUnd in der Gemara heisst es: »An dem Akt, wo die Umkehrenden stehen, vermögen die vollkommenen Gerechten nicht zu stehen.«i »Sünde« ist im Grund nicht Abfall sondern Verfall: der Verfall ist die Entscheidungslosigkeit. Wenn mitten in dieser der Wille zur Entscheidung erwacht, birst die Decke des gewohnten Lebens, die Urkraft bricht durch, stürmt zum Himmel empor und erstürmt ihn. An dem Umkehrenden geschieht [(nach dem Wort des Pesikta)] das Werk der Schöpfung aufs neue; [er wird (so heisst es im Talmud) ein Sohn Gottes. –] H2 Wenn mitten in der »Sünde« […] der Wille zur Entscheidung erwacht, birst die Decke des gewohnten Lebens […] er sah, daß die Welt nicht bestehen konnte, weil sie keine Grundfeste hatte; da schuf er die Umkehr. [Die Welt kann nicht ohne ewige Er-

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neuerung bestehen; und es gibt keine Erneuerung als durch den Menschen, der umkehrt.] H3 195,31 Keine] Ich will hier von den allgemeinen kulturellen Einflüssen des Orients auf das Abendland – der Darbietung [oder Vermittlung] von Wissensmaterial, dem Eindringen gewisser Lebens- und Kultformen usw. – absehen und nur den einen behandeln, auf den es uns hier ankommt, den Einfluss der grossen geistig-religiösen Lehren. / Keine H2 196,13 Zeichen] Symbol ! Bild H2 196,18 Kunde vom] [Einsicht in das] ! Kunde vom H2 196,22 Weg ] nicht hervorgehoben H2, H3 196,24 einigt und erlöst] löst und einigt H2 196,25 Leben] Leben[, der Weg ist das Heil der Welt, das Heil des Menschen] H2 196,25-26 geht in den Fußtapfen Gottes] [hat den Gott gefunden] ! geht in den Fußtapfen Gottes H2 196,27-28 entscheidende] einzig entscheidende H2 196,37 braucht,] braucht, [dass es einen einzigen wahrhaften Weg gibt und der nicht von der Welt weg sondern ins Herz der Welt führt,] H2 196,40 positive] fehlt H2 197,3 nicht] nicht, sondern lenkte sie um, H2 197,10 geistige] innere H2 197,11 diese] die urchristliche H3 197,11-13 Wohl hat diese Bewegung […] das Abendland überwältigt; wohl hat sie vom Hellenismus mehr angenommen als Bilder und Worte] Ich weiss wohl, dass die urchristliche Bewegung nicht in ihrem reinen ursprünglichen Wesen sondern synkretistisch vermischt das Abendland überwältigt hat, und vielleicht muss jede Religion, die auf Völker andern Blutes wirken will, synkretistische Elemente aufnehmen H2 197,14 war] ist und bleibt H2 197,14-15 bedeutsam] sinnbildlich ! bedeutsam H2 197,17 innern Sinn] innersten Wesen H2 197,17-18 aus der überlieferten Lehre von der Teschuba verstanden werden kann] aus dem überlieferten Mysterium der Teschuba verstanden werden kann. [Die Lehre Jesu ist nur eine Entfaltung des [keimkräftigen] ! keimstarken, das Judentum aller Zeiten beherrschenden Wortes Mose: »Ganz sollst du mit Jahwe deinem Gotte sein«;] H2 197,28 bedeutende] reiche ! bedeutende H2 197,32 sechs Jahrzehnte] ein Menschenalter H2, H3 197,35 unablässiger] ungeheurer ! unablässiger H2 197,38 dem Judentum] mit den Juden H2 198,3-4 So kamen sie an das Abendland] [; als Sklaven] ! So kamen [die

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Juden] ! sie an das Abendland[, um ihr Schicksal fortan nicht mehr? aus sich hervorzubringen, sondern von den Völkern zu erleiden] H2 198,11 mit der Psychologie] im Nebenfach mit der Psychologie H2 198,15-16 so bei den meisten Propheten] insbesondere in den Propheten, die ein »Wüstenchor« genannt werden H2 198,21 Garten] Wald H2 198,22 zuverlässige] exakte H2 198,25 anzusehen berechtigt sind] ansehen dürfen H2 199,2 außerpaulinische] vorpaulinische H2 199,19-26 Das geistige Leben der orientalischen Völker […] entwickelt sich oft in der Form eines Kampfes […] gegen die Richtungslosigkeit der Volkstriebe] Das geistige Leben der orientalischen Völker entwikkelt sich oft in der Form eines Kampfes: des Kampfes der schöpferischen Menschen, der Führer und Erlöser, gegen die Schrankenlosigkeit der Volkstriebe, die sie jedoch nicht niederzwingen sondern sublimieren wollen, da ja ihre eignen Kräfte und Ideen nichts andres sind als die ins Geistige und Schöpferische gehobenen Volkstriebe H2 199,22 an den Taumel] an [das Schrankenlose] den Taumel H3 199,25-26 Richtungslosigkeit] [Schranken- und] Richtungslosigkeit H3 199,26 besondere] ganz besondere H2 200,3 wurde] wird auch H2 200,3-4 die Fruchtbarkeit des Geisteskampfes] dieser fruchtbare Geisteskampf H2 200,4 Die] Alle H2 200,6 Umzäunung des eignen Bereiches] Abgrenzung ! Umzäunung der eigenen Welt H2 200,7 Tendenzen] Elemente ! Tendenzen H2 200,7 Kodifizierung] ins Kleinste gehende Kodifizierung H2 200,7-8 aller] der leisesten H2 200,9 An die Stelle] An die Stelle des Kampfes um Gott und um die innere Einheit trat der Kampf um die äussere Einheit, der Kampf um die Wahrung der Art, an die Stelle H2 200,13-14 Volkstums] Judentums H2 200,26 ungeheuren Wirbeln] Flammenwirbeln D4, D5, D6 200,27 gläubiger Begeisterung] der Hoffnung ! gläubiger Begeisterung H2 200,30 aufflammen ließ] warf ! aufflammen ließ H2 200,33-36 aber im Bann der Ängste […] befangen, wagte er die Umzäunung nicht anzutasten und vermochte sich daher die Funktionen des echten Geisteskampfes nicht anzueignen] [offenbarte und schnell entartete] verfiel aber alsbald der Entartung, weil ihr der Wurzel-

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grund des natürlichen Lebens auf der eignen Erde fehlte und weil er, im Bann der Ängste um die Wahrung der Art befangen, die Umzäunung nicht anzutasten wagte und sich daher die Funktionen des echten Geisteskampfes nicht anzueignen vermochte H2 200,38 das Judentum] die Juden ! das Judentum H2 200,40-41 von einer elementaren […] Kraft] von einer [positiven, schaffenden und bauenden religiösen Gewalt] ! elementaren, zu [neuem Aufbau vorstürzenden] ! neuer Schöpfung drängenden religiösen Gewalt H2 201,2-3 Religionen] Religionen Europas H2 201,4 im Judentum] fehlt H2 201,10 geworfen] verstreut ! geworfen H2 201,11-12 das Martyrium] alles Martyrium [der Verfolgten] H2 201,13 die Sitten der Völker] [das Schicksal aller Völker] ! die Sitten der Völker H2 201,20 angepaßtesten] assimiliertesten H2 201,20 sein Gemüt] seine Innerlichkeit H2 201,22 ausgerottet] hinausgeschafft ! ausgerottet H2 201,25-26 trotz eindringender Verderbnis und Zersetzung] fehlt H2 201,28 unsrer Tage] fehlt H2 201,28 an] an[, über den die Gelehrten des Westens so viel gefabelt haben] H2 201,28 Inbrunst] Verzückung ! Inbrunst H2 201,31-32 das heilige Mahl des Sabbatausgangs] das dritte abendliche Sabbatmahl, das »Mahl der heiligen Königin« H2 201,34 Gewalt und asiatische Innerlichkeit] Gewalt und asiatische Einheit H2 [Bewegung] ! Gewalt und asiatische [Innerlichkeit] ! [Einheit] ! Innerlichkeit H3 201,36-37 mein Glaube an eine neue geistig-religiöse Schöpfung des Judentums] [unsere Hoffnung auf] ! mein Glaube an eine neue [geistige] ! geistig-religiöse Schöpfung des Judentums[, auf eine Wideraufnahme seiner historischen Kontinuität] H2 202,4 palästinensischen] erwägt orientalischen H2 202,9-10 Wenn sie ihren mütterlichen Boden berührt] Wenn sie [im] ! ihren mütterlichen Boden [wieder eingewurzelt wird, wird sie wie einst Frucht tragen. Der Jude kann seinen Beruf unter den Völkern nur dann nahrhaft] berührt H2 202,18 einst] einst vielleicht H1, H2 202,20 äußere] fehlt H1 202,20 innerlich vergewaltigenden] fehlt H1 202,23 Selbsteuropäisierung] Entmachtung ! Selbsteuropäisierung H1

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202,23-24 Schwächung] Zerrüttung ! Schwächung H1 202,25-26 dieses Prozesses] [auf diesem Wege] ! dieses Prozesses H1 202,29 es zerstören] den Orient vergewaltigen H1, H2, H3 202,29-32 Das Volk, das in dieser vorangehen muß […] das deutsche Volk. Es] Europa D3, D4, D5, D6 202,31 einzig im modernen Europa] [unter allen [Ideologien Europas] ! Völkern] ! einzig in Europa H1 202,33-34 Ära der Erhaltung des Orients und des Einvernehmens zwischen ihm und dem Abendland] Aera des Einvernehmens zwischen Morgenland und Abendland H1 Ära der Erhaltung des Orients und des Einvernehmens mit ihm D3 202,35 zu begründen] vorzubereiten ! zu begründen H1 202,35-38 , eine Ära, in der Asien durch Europa nicht vergewaltigt, sondern […] entfaltet, und Europa durch Asien […] zu den großen Lebenswahrheiten hingeführt wird] fehlt H1 203,1 Deutschland] Europa D3, D4, D5, D6 203,3 berufen] berufen und befähigt H1, H2, H3 203,3-5 zu fruchtbarer Gegenseitigkeit zu verknüpfen, wie es vielleicht berufen ist, den Geist des Orients und den Geist des Okzidents […] zu verschmelzen] zu verknüpfen H1, H2, H3 203,6-16 Unter allen Nationen Europas hat die deutsche am stärksten auf den wandernden Juden eingewirkt […] Der Augenblick scheint mir nahe zu sein, wo er sich in einem Zusammenhang der Aktivität erproben kann.] fehlt D3, D4, D5, D6 203,8 beeinflußt] bestimmt ! beeinflußt H3 203,15 Der Augenblick] Heute ! Der Augenblick H1 203,16 einem Zusammenhang der Aktivität] [einer Gemeinsamkeit] ! einem Zusammenhang des Werkes H1 203,17 umgrenzen] präzisieren H1, H2, H3 203,19 ewige] fehlt H1 203,21-22 gen Abend] nach Westen ! gen Abend H1 203,23 zu überwältigen gedachte] überwältigen wollte H1, H2 203,26-28 in einem noch schwereren […] verheißungsvolleren Sinn] in einem noch weit schwereren, umfänglicheren Sinne H1 203,29 ist] ist. Wir leben in [einer grossen] der tiefsten Schicksalsstunde [der Welt und ahnen nicht, wie tief sie ist.] der neuen Zeit H1 ist. Wir leben in der {einer H3} Schicksalsstunde des Planeten H2, H3 Wort- und Sacherläuterungen: 187,1-3 Im Ausgang des achtzehnten […], daß der Orient eine Einheit ist.] In der Goethezeit entsteht in Deutschland eine intensive Be-

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schäftigung mit dem Orient. Vgl. Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1770, Erstdruck 1772), Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1782-1788); Johann Wolfgang von Goethe, Mahomets-Gesang (1773), West-östlicher Divan (1815), Paria (1824), Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten (1830); Joseph Görres, Mythengeschichte der asiatischen Welt (1810). Zu Novalis (Friedrich von Hardenbergs (1772-1801)) Beschäftigung mit dem Orient vgl. Gabriele Rommel u. Ludwig Stockinger (Hrsg.), Novalis und der Orient, Wiederstedt 2007. Der Hinweis auf Friedrich Creuzer (1771-1858) im Vorabdruck des ersten Abschnitts sowie in den Handschriften (s. Variantenapparat zu 187,1-3 in diesem Band, S. 407) bezieht sich wohl auf sein Werk Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen (1812). Vgl. auch Friedrich Schlegel, Reise nach Frankreich (1803), Über die Sprache und Weisheit der Inder (1808); Othmar Frank, Das Licht vom Orient (1808) und Johann Arnold Kanne, Erste Urkunden der Geschichte oder allgemeine Mythologie (1808). 187,33 Schiking] chin. für »Buch der Lieder« oder »Klassiker der Dichtung«; ein Hauptwerk der chinesischen Literatur, das Konfuzius zugeschrieben wird. Das Buch, das als erste Sammlung chinesischer Gedichte gilt, wurde zuerst 1833 von Friedrich Rückert (1788-1866) unter dem Titel Schi-King. Chinesisches Liederbuch ins Deutsche übersetzt und erfuhr danach mehrere Übersetzungen. 187,34 Pyramidensprüchen] Sammlung altägyptischer Sprüche, die sich mit der Existenz des verstorbenen Herrschers im Jenseits beschäftigen; wurden in den Sargkammern und den zu ihnen führenden Gängen aufgezeichnet und finden sich in den Pyramiden der 5. bis zur 8. Dynastie. 187,34 Gilgameschepos] Bedeutendstes literarisches Werk aus dem babylonischen Raum; die Entstehungszeit der ursprünglichen Fassung des Epos reicht bis in das 18. Jahrhundert v. Chr. zurück; damit ist das Gilgameschepos eine der ältesten überlieferten literarischen Dichtungen und stellt das bekannteste literarische Werk des akkadischen und sumerischen Sprachraums dar. Gilgamesch war der Legende nach der König der sumerischen Stadt Uruk in Mesopotamien. 189,10 Platon nennt das Wesen der Dinge Eidos […] Tao, das heißt die Bahn.] Die Gegenüberstellung der griechischen Betonung des Sehens und der orientalischen Betonung des Hörens kehrt mehrfach wieder, etwa 1929 in Bubers Aufsatz »Religion und Philosophie«, wo von den Griechen gesagt wird, sie hätten »die Hegemonie des Gesichtssinnes über die anderen Sinne« aufgerichtet, »die optische Welt also zur Welt

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schlechthin« gemacht. »Die Geschichte der griechischen Philosophie«, fährt Buber dort fort, »ist die einer […] Optisierung des Denkens« (Martin Buber, Gottesfinsternis. Betrachtungen zur Beziehung zwischen Religion und Philosophie, Zürich: Manesse 1953, S. 33-57, Zitat S. 51). In diesem Aufsatz spielt die indische Lehre für Buber eine weniger positive Rolle: Sofern sie die Idee einer »Lösung des Erkennenden aus der Welt der Erfahrung« lehre, bereite sie die abstrakte »Denkschau« der Griechen vor (ebd.). Zu Bubers Interesse für chinesisches, insbesondere taoistisches Denken vgl. Martin Buber, Die Lehre vom Tao, in: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, S. 82-117 (jetzt in MBW 2.3; S. 101-125). 190,16 Vedanta] eines der philosophischen Systeme des Hinduismus; der Advaita-Vedânta als die bedeutendste Richtung innerhalb des Vedânta führt die Welt auf ein einziges Prinzip zurück; der Erkenntnisprozess des Menschen besteht nach der Lehre des Advaita-Vedânta darin, die Einheit von individueller Seele und Weltseele zu erkennen. 190,30 Avesta] das heilige Buch des Zoroastrismus; der Name dieser Sammlung religiöser Texte bedeutet »Lobpreis« oder auch »religiöses Wissen«; Teile des Buches werden traditionell dem Religionsstifter Zarathustra (2./1. Jahrtausend v. Chr.) zugeschrieben. 190,38-40 von aller Lehre des Orients ist zu sagen, […] er habe einzig den Weg gelehrt.] Vgl. den Abschnitt »Buddha« in: Martin Buber, Ereignisse und Begegnungen, S. 3-9, Zitat S. 5 (jetzt in: MBW 1, S. 247249, Zitat S. 248): »Buddha ist übrigens auch historisch und logisch keine Theorie. Er erweitert den Bestand der Vedânta nicht um eine Idee, sondern um eine Tat. Und er lehnt alle Positionen und Negationen ab, weißt alle Lösung der Antinomien von sich, um des ›Weges‹ willen. […] Und Potthapado der Pilger berichtet: ›Auch ich, ihr Lieben, habe vom Asketen Gotamo keinen einzigen schlechthin gültigen Lehrsatz vortragen hören, als wie etwa: ›ewig ist die Welt‹ oder ›zeitlich ist die Welt‹ oder dergleichen mehr.‹« 191,4 Wortes »Eins tut not«] Lk 10,42. Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 146,22 (»Ekstase und Bekenntnis«), in diesem Band S. 356 f. 191,14-16 aber der Weg ist der eine […] der Weg Gottes in der Welt.] Mk 12,14. 192,2-4 Eine Gruppe von Gelehrten […] ableiten zu können geglaubt.] Anspielung auf die Babel-Bibel-Debatte, die sich um die Jahrhundertwende abspielte. 192,9-11 Nicht wo einer ein »Motiv« findet, sondern was er daraus bildet, ist historisch entscheidend.] Dieses Argument auch in »Der Mythos der Juden«, vgl. in diesem Band, S. 172.

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192,15 Amos von Tekoa] der Prophet Amos, der nach Am 1,1 Schafzüchter im Dorf Tekoa nahe der judäischen Wüste war, bevor er von Gott berufen wurde. 192,16 Inbrunst] Der Begriff der »Inbrunst« (»Hitlahabut«) bildet einen Schlüsselbegriff in vielen anderen Schriften Bubers aus dieser Zeit, z. B. in: Die Legende des Baalschem, S. 2-9: »Hitlahabut ist ›das Brennen‹ ; die Inbrunst der Ekstase. Sie ist der Becher der Gnade und der ewige Schlüssel.« (S. 2). Auch in »Der Mythos der Juden«; vgl. auch Wort- und Sacherläuterungen zu 177,18, in diesem Band, S. 394. 192,16-18 wenn er verkündet […] die zerfallene Hütte Davids aufrichten] Am 9,9 u. 11. 192,21-22 dort die Beteuerung des Beters […] was seinem Gott ein Greuel ist] Aus dem »Bußpsalm an jedweden Gott«, wiedergegeben in: Hugo Gressmann (Hrsg.), Altorientalische Texte Zum Alten Testament, Bd. 1, Berlin und Leipzig 1926, S. 261 f., Zitat S. 261 Z. 19. 192,22-23 hier die Bitte: Gib mir einen neuen und gewissen Geist] Psalm 51,12. 192,Anm. Drei Reden über das Judentum (1911).] Dieser Satz stammt aus der dritten Rede: Martin Buber, Die Erneuerung des Judentums, in: Buber, Drei Reden über das Judentum, S. 79 (jetzt in: MBW 3, S. 246). 192,39-193,5 »Die malenden Epitheta der Bibel […] als der Genuß der Gegenwart.«] Ebd., S. 90 (MBW 3, S. 250 f.). 193,7-11 »Er sieht den Wald wahrhafter als die Bäume […] im Begriff zu binden.«] Ebd., S. 75 f. (MBW 3, S. 244). 193,27 Saul von Tarsos] Das ist der Apostel Paulus, vgl. Apg 9,11. 193,29-30 »Denn das Gute, das ich will […] das tue ich.«] Röm 7,19. 194,10 und der Geist Gottes schwebt über den Wassern] Gen 1,2. 1925 von Buber übersetzt: »Braus Gottes brütend all über den Wassern.« Das Buch im Anfang. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, S. 7. 194,15-16 »Die Welt ist um der Wahl des Wählenden willen erschaffen worden.«] In Anlehnung an ein Wort aus Die Geschichten des Rabbi Nachman über den »Zweck der Welt«: »Die Welt ist nur um der Wahl und des Wählenden willen geschaffen worden.«, in: Martin Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, ihm nacherzählt von Martin Buber, S. 36. Vgl. auch Martin Buber, Die jüdische Mystik, in diesem Band, S. 114-123, und ders., Jüdische Religiosität, in diesem Band, S. 205. 195,14 Teschuba, Umkehr] Der Begriff der teschuba zieht sich durch Bubers gesamtes Werk. Er wiederholt den biblisch-talmudischen Grund-

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begriff des Rufs nach Umkehr zu Gott (z. B. Dtn 30,8; Jes 30,15; siehe auch »Jüdische Religiosität«, in diesem Band S. 206), allerdings geht es Buber bei dieser Umkehr des Menschen zu Gott um eine Umkehr in seiner gesamten Existenz, d. h. einschließlich seiner Beziehungen zu seinen Mitmenschen und zur Gemeinschaft, in der er lebt, aber auch seiner Beziehungen zu anderen Völkern und zur Natur. 195,21 Ehe die Welt erschaffen war […] da schuf er die Umkehr.] PRE 3. Pirke de-Rabbi Eliezer ist ein historischer Midrasch zu Gen, Ex, Num in 54 Kapiteln, im Vergleich zu anderen Midraschim späte Endredaktion im 9. Jahrhundert n. Chr. 196,19 jenes Eins tut not] Lk 10,42. Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 146,22 (»Ekstase und Bekenntnis«), S. 356 f. 196,32-33 die jüdische Lehre von der Entscheidung und der Umkehr] die Idee der teschuba (vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 195,14). 197,5 Tanna debe Elijahu] auch: Seder Elijahu; ein midraschisches Werk, bestehend aus Seder Elijahu Rabba (SER) und Seder Elijahu Zuta (SES); die genaue Entstehungszeit des Werks ist ungewiss, seine Fertigstellung erfolgte aber sehr wahrscheinlich vor dem 9. Jahrhundert. 197,6-8 »Ich nehme zu Zeugen den Himmel und die Erde, […] alleinzig nach der Tat des Menschen.«] SER X. Das Wort wird dem Propheten Elija zugeschrieben. 197,15 bei den Synoptikern] von griech. syn-opsis, »Zusammenschau«; als Synoptiker oder synoptische Evangelien werden die Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas bezeichnet; beim Verfahren des Nebeneinanderstellens der drei Evangelien in einer sog. Synopse lassen sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Überlieferung vergleichend analysieren. 197,16-17 Kehret um] Vgl. Mt 3,1-2 und Mt 4,17. 197,33 der große Aufstand Barkochbas] der letzte große Aufstand der Juden gegen die Römer in den Jahren 132-135, unter Führung des als Messias verehrten Simon bar Koseba (gest. 135), genannt Bar Kochba (»Sternensohn«). 198,2-3 an der Terebinthe Abrahams zu Hebron] Nach Gen 13,18 ließ sich Abraham nach der Trennung von Lot unter den Terebinthen im Hain Mamre bei Hebron nieder. Buber übersetzt: »So zeltete Abram und kam und wohnte an den Eichen des Mamre bei Hebron.« (Das Buch im Anfang, S. 47). Benno Jacob identifiziert die Eichen als quercus ilex coccifera (Benno Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000, S. 366). 198,31-32 Jesus Sirach] Gelehrter; nach der hebr. Überlieferung: »Shimon, Sohn des Jeshua, genannt Ben Sira«, nach griech. und syr. Überliefe-

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rung: »Jesus, Sohn des Sirach« bzw. »Jesus Sirach«; lebte und wirkte im ersten Viertel des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Judäa; gilt als Verfasser des apokryphen Buches Ecclesiasticus oder Weisheit Sirachs, das die biblische Weisheitsliteratur fortentwickelt. 198,32-33 wenn er sagt, der Pflüger erhalte die ewige Schöpfung in ihrem Bestand] nicht nachgewiesen. Bei Jesus Sirach taucht der »Pflüger« zwar in Kapitel 6, Vers 19 auf, jedoch in anderem Sinnzusammenhang. 199,10-11 da der Herr allen Völkern auf dem Berge Zion […] darinnen keine Hefe ist.] Anspielung auf Jes 25,6. 199,36-37 »auf beiden Seiten hinkten«] I Reg 18,21. Vgl. Martin Buber, Jüdische Religiosität, in diesem Band, S. 205, und Martin Buber, Drei Reden, in diesem Band, S. 232. Auf Elia und seine Himmelfahrt im feurigen Wagen weist zur gleichen Zeit Bubers Schrift Daniel hin: Martin Buber, Daniel, Abschnitt: Von dem Sinn. Gespräch im Garten, S. 76 f. (jetzt in: MBW 1, S. 212), sowie aus dem gleichen Jahr der Text »Zwei flandrische Wundergeschichten«, s. in diesem Band, S. 180. 200,6 auf die strenge Umzäunung des eignen Bereiches] Die rabbinische Tradition versteht ihr Werk oft metaphorisch als das Aufstellen eines schützenden Zaunes um die Thora (Vgl. mAv 1,1). Damit bezeichnet sie die Absicht, das Einhalten der Gebote und traditioneller Praktiken durch vorbeugende Vorschriften zu sichern. Mit der Verwendung des Wortes »Umzäunung« anstatt »Abgrenzung« wollte Buber diesen Zusammenhang anscheinend deutlicher hervortreten lassen. Vgl. auch Martin Buber, Jüdische Religiosität, in diesem Band, S. 212: »Ein Zaun wurde um das Gesetz gezogen aus der Absicht, das Fremde und Gefährdende fernzuhalten, aber er hielt oft genug auch die lebendige Religiosität fern.« 200,37-39 als die Emanzipation das Judentum auf einen hohen Berg […] ihre Herrlichkeit zeigte] Anspielung auf die Versuchung Jesu durch den Teufel; Buber zitiert hier fast wörtlich aus der Versuchungsgeschichte Jesu, vgl. Mt 4,8 u. Lk 4,5. 203,21 Nebukadnezar und Cyrus] Der babylonische König Nebukadnezar II. (ca. 640-562) eroberte im Jahr 598 v. Chr. Jerusalem, zerstörte den Ersten Tempel und führte die Juden ins Babylonische Exil. Kyros II. (590/80-530 v. Chr.) war von 559-530 v. Chr. persischer König und Begründer des Persischen Reiches. Im Jahr 539 v. Chr. gelang ihm die Eroberung Babyloniens. Der Überlieferung nach entließ er daraufhin die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft.

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Jüdische Religiosität Am 3. Mai 1914 sprach Buber im Festsaale des jüdischen Rathauses zu Prag als Gast des Vereins jüdischer Hochschüler Bar-Kochba über »Jüdische Religiosität« (Anzeige des Vereins, in MBA Arc. Ms. Var. 350, Hei 22; zum Verhältnis zwischen Buber und dem Verein vgl. den Kommentar zu »Der Mythos der Juden« in diesem Band, S. 377 ff.). An Ernst Elijahu Rappeport schrieb er Anfang Mai 1914: »ich habe in Prag meinen fünften, vorläufig letzten und wichtigsten Vortrag gehalten, über jüdische Religiosität« (B I, S. 359). In diesem Satz kommt die eminente Bedeutung zum Ausdruck, die Buber damals diesem Vortrag beizumessen bereit war. 1916 wurde die Rede in dessen Sammelband Vom Geist des Judentums veröffentlicht. Abgesehen von einigen besonderen Stellen weist das Manuskript (H1) viel weniger Abweichungen von der endgültigen Fassung auf, als dies z. B. bei dem Manuskript von »Der Geist des Orients und das Judentum« der Fall ist (in diesem Band, S. 187-203). Immerhin sind die vorhandenen Abweichungen interessant. Das Manuskript zeigt noch deutlicher als die endgültige Fassung, inwiefern es Buber hier darum ging, sein Verhältnis zum Christentum zu präzisieren. Darauf zielt die im Vortrag angeführte Unterscheidung zwischen Formen und Kräften der Religiosität ab. Während uns die Formen fern lägen, harrten die Kräfte, die aus Bewegungen wie dem Urchristentum uns zukommen, immer der Wiederbelebung. Diese latenten Kräfte stünden für die Erneuerung des Judentums jederzeit zur Verfügung. Im Manuskript versucht Buber, seine Auffassung des Urchristentums, der Religion Jesu, als einer der jüdischen verwandten, immer noch anzueignenden Form von Religiosität genauer zu bestimmen und sie gegen Missdeutungen zu verteidigen. Buber ist wegen seiner Stellung zum Christentum auf dem XI. Zionistischen Kongress im September 1913 in Wien (s. das Protokoll des Kongresses, Zionistisches Aktionskomitee (Hrsg.), Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des XI. Zionisten-Kongresses in Wien vom 2. bis 9. September 1913, Berlin u. a. 1914, S. 325 ff.) angegriffen worden. Da der Vortrag schon am 5. Dezember 1913 erstmals im Freien Jüdischen Klub, Berlin, gehalten wurde, danach dann am 3. Mai 1914 in Prag, darf man annehmen, dass der auf dem Kongress vorgebrachte Angriff der unmittelbare Anlass für Bubers Verteidigung seiner Deutung des »Urchristentums« war. Der Begriff kommt in seinen Reden und Schriften dieser Zeit relativ häufig vor. Im Vortrag selber – nicht aber im gedruckten Aufsatz – reagiert Buber auf »einige in jüngster Zeit erfolgte Angriffe auf mich

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und meine Freunde«, welchen er zu begegnen versucht (siehe die Varianten zu 212,19-32). Am Ende des Manuskripts zitiert Buber ein dem älteren Plinius (ca. 23-79 n. Chr.) entnommenes Wort des Poseidonios (135-51 v. Chr.): »Deus est mortali iuvare mortalem; Gott ist, dass der Sterbliche dem Sterblichen hilft.« Dieser Spruch hat Buber zu jener Zeit sehr angesprochen. In einem Brief an Landauer vom August 1913 berichtet er, dass er ein »wundervolles Wort« bei Plinius gefunden habe (B I, S. 340). Das Wort biete sich sogar als »ein Motto gleichsam für den Sozialistischen Bund« an (ebd). Es bestehen viele Ähnlichkeiten zwischen diesem Aufsatz und der um dieselbe Zeit gehaltenen Rede »Der Geist des Orients und das Judentum«. Mehrmals kommen Sätze in einem der beiden Aufsätze vor, die in die endgültige Fassung des anderen nicht aufgenommen wurden. So gibt etwa die im Manuskript H1 vorhandene, aber im Druck des vorliegenden Textes gestrichene Stelle »die Anschauung von dem abso l u ten Wert der Tat als einer Entscheidung. Scheinbar ist die Tat unentrinnbar eingestellt in das eherne Gefüge der Ursächlichkeit« (siehe die Varianten zu 209,1-2) wortgetreu wieder, was dann im »Geist des Orients und das Judentum« zu finden ist (in diesem Band, 195,4-6). Buber bestimmt das Verhältnis von Religion und Religiosität als das zweier sich bekämpfender Generationen: »aus Religiosität stehen die Söhne wider die Väter auf, um ihren selbeignen Gott zu finden, aus Religion verdammen die Väter die Söhne, weil sie sich ihren Gott nicht auferlegen ließen«. Dies verweist auf Bubers Nähe zu verschiedenen Strömungen des Expressionismus, die in gleicher Weise die Auflehnung des Sohns gegen den Vater hervorheben. Der Text endet mit einem Blick auf die gemeinschaftsstiftende Kraft der Religiosität. Es dürfte darum kaum überraschen, wenn Buber im Vorwort zu Der heilige Weg (1919), einem der bis dahin klarsten Aufrufe zur Gemeinschaft, noch einmal auf diese Rede zu sprechen kommt. Sie scheint ihm dort vor allem erwähnenswert, weil sie seinen konsequent vertretenen Universalismus unzweideutig ausspricht. Danach werde »die jüdische Religiosität nur als die deutlichste Erscheinungsform der allmenschlichen echten Religiosität dargelegt« (Der heilige Weg, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1919, S. 10). Georg Simmel hatte an der in dem Aufsatz unter Beweis gestellten Gleichsetzung von »orientalisch« und »motorisch« Zweifel geäußert: »daß ein paar einzelne Zitate diesen Beweis nicht liefern könnten, wissen Sie natürlich so gut wie ich.« Darüber hinaus stellte er in Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine besondere orientalische Form der Religiosi-

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tät gebe. Eher wollte er Unterschiede innerhalb der orientalischen Welt feststellen. Simmel sieht im Begriff des Motorischen »gerade die spezifische Differenz des Juden (für den es sicher zutrifft) von der übrigen orientalischen Welt«, wobei er vielleicht bereit sei, die Japaner darunter einzubeziehen. Generelle Zweifel hegt Simmel aber an der Idee einer jüdischen Religiosität als solcher, denn so, wie Buber sie beschreibe, scheine sie eher »das Wesen aller Religiosität überhaupt« auszumachen (Brief Simmels vom 10. April 1916, in: B I, S. 426-427). Eine begeisterte Aufnahme fand der Aufsatz bei Ludwig Strauss (18921953; B I, S. 422), E. E. Rappeport (B I, S. 423) und Arnold Zweig (18871968; B I, 427 f.). Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 22); erste Niederschrift mit zahlreichen Streichungen und Korrekturen; 29 paginierte Seiten; ohne Datum. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 22); Reinschrift von H1; 24 paginierte Seiten; ohne Datum. 1 D : Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig u. München: Kurt Wolff Verlag 1916, 2. Aufl. 1919, 3. Aufl. 1921, S. 49-74 (MBB 159). D2: RGA, S. 101-123 (MBB 284). D3: Reden über das Judentum. Gesamtausgabe, 2. Aufl., Berlin: Schocken Verlag 1932, S. 101-123 (MBB 449). D4: JuJ, S. 65-76 (MBB 1216). Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: in: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, 2. durchgesehene u. erweiterte Aufl., Gerlingen: Lambert Schneider 1993, S. 63-76 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: in: On Judaism, übers. von Eva Jospe, hrsg. von Nahum N. Glatzer, New York: Schocken 1967, 1972 u. 1973, 242 S. (MBB 1298). Hebräisch: in: Lifnei Arbaim weChamesch Schana, in: Felix Weltsch (Hg.), Prag wiJeruschalaim. Erinnerungsbuch an Leo Hermann, Jerusalem: Halschacha hareschit schel Keren haJesod 1954, S. 143 (MBB 976); Te’uda weJiud – Ma’amerim al Injanei haJahadut, Band 1, Jeru-

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salem: haSifria haZionit, 1959, S. 70-79. (MBB 1135); Hachra’a weHagschama, in: Schadmot 5-6, Erster Adar 5722 (Februar 1962), S. 15-19 (MBB 1211). Italienisch: in: Sette discorsi sull’ebraismo, übers. von Dante Lattes u. Mosè Beilinson, eingeleitet von Alessandro Bonucci, Firenze: Israel 1923, XXI S. u. 181 S. (MBB 285); in: Sette discorsi sull’ebraismo, eingeleitet von Clara Levi Coen, Assisi: B. Carruccio 1976, XXXII S. u. 207 S. (MBB 1391). Niederländisch: in: Over het Jodendom, übers. von F. de Miranda, mit einem Vorwort von Nahum N. Glatzer, Utrecht: J. Bijleveld 1978, 224 S. (MBB 1402). Ungarisch: in: A Zs´idóság és a zsidók, übers. von Elza Forditása, Budapest: Hitachdut Hanoar b’Hungaria 1929, 48 S. (MBB 389). Variantenapparat: 204,1 Die jüdische Religiosität] [Es sind in jüngster Zeit in öffentlicher Rede und Schrift so irrige und irreführende Äusserungen über meine und meiner Freunde Anschauung von einer Erneuerung des Judentums getan worden, dass es mir angezeigt erscheint – nicht etwa gegen sie zu polemisieren (das dünkt mich müssig und unfruchtbar), sondern noch einmal, so deutlich und eindeutig als möglich, zu sagen, wie wir zu diesem Problem und vor allem, wie wir zu seiner schwierigsten Teilfrage, zur Frage der jüdischen Religiosität, stehen, was wir meinen und was wir vorhaben. Ich dürfte eigentlich nicht sagen: »Teilfrage«. Denn] Die jüdische Religiosität H1 204,1 glauben] meinen ! glauben H1 meinen D4 204,4-7 für das Judentum der einzige Gegenstand von absoluter Aktualität […], die Gewalt […], deren völliges Verlöschen es dem Tode überantworten würde] unser einziger Gegenstand von u nbed i ng ter Aktualität, Triebkraft unseres Schicksals, Richte unserer Bestimmung, die [entscheidende] Gewalt, deren Aufflammen uns neu beleben, deren völliges Verlöschen uns dem Tode überantworten [würde] wird H1 204,7 in Wahrheit] im innersten Grunde H1, H2 204,14 Gemeinde] Gemeinschaft H1, Gemeinschaft ! Gemeinde H2 204,15-17 aus der Gegenwart des jüdischen Daseins […] durch Absage und Neubeginn] aus [unserem Dasein] ! der Gegenwart[, wo die die Gemeinde heissen, keinen Funken wahrhafter Gemeinschaft, und die dieser Gemeinde die Führer heissen, keinen Tropfen echten Führerblutes haben, – aus unserem Dasein, wo wir ein offizielles Judentum dulden, das unserer Herzen Judentum verrät, – dass aus alle dem da-

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hin, wohin wir wollen,] kein anderer Weg führt als durch Absage und Neubeginn (man mag auch sagen »durch Verneinung des Galuth«, wenn man nur im Sinn behält, dass dieses Galuth kein räumliches, sondern ein seelisches ist und sich in Palästina ebenso breitmacht wie in den Ländern der Diaspora) H1 204,19 gewisser] überwältigender H1, H2 204,22 neu werdende] neue ! neu werdende H1 204,24 doch] doch zugleich H1 204,26 zu schließen] [zu finden und zu halten] ! zu schließen H1 205,3 Prinzip] Element H1 205,12 Erneuerung.] Erneuerung. – / Dass die Erneuerung des Judentums an der Erneuerung der jüdischen Religiosität hangt, kann auch dem Nationalisten, der religiösen Problemen nicht nachgeht, kaum verhohlen bleiben, sofern er nur historische Einsicht übt. Denn von je gab es nur zwei Dinge, daran ein krankes, aus seinem natürlichen Leben geratenes Volkstum zu gesunden, sich zu verjüngen vermag. Beide sind solcher Art, dass sie das Volk aus seiner Ohnmacht aufrütteln, seine verborgenen Kräfte emporrufen und es in die Opferweihe der Tat senden, in der es wiedergeboren wird. Das eine ist der Krieg gegen den Feind, der das Volkstum zu vernichten droht; kein blosser »Gedankenkrieg«, sondern ein [wahrhafter und rechtschaffener] derber und rechtschaffener Krieg, in dem das wahrhafte Ganzopfer dargebracht wird und der Tod zu neuem Leben segnet. Wir haben der Feinde genug, aber der Feind und der Krieg ist uns versagt. – Das andere aber ist, jene religiöse Begeisterung, von der ergriffen das Volk das Werk tut, das sein Heil ist, aber nicht um sich zu helfen, sondern weil es sich bewusst ist, durch dieses Werk dem Unbedingten zu dienen und es zu verwirklichen; und dieses ist grösser und mächtiger als der Krieg; es ist die Kraft der Auferstehung selber. Eine nationale Bewegung kann Flamme werden, wenn sie von einem Kampf getragen ist, und so lange brennen als der Kampf brennt; nur wenn ihr Kern eine grosse Religiosität ist, kann sie licht werden und einer Wiedergeburt leuchten. [Man hat sich bei uns vielfach bemüht, diese Wahrheit zu verwässern und zu verfälschen, indem man Schlagworte wie das von der Mission des Judentums ausgab; man braucht bloss die prophetischen Bücher aufzuschlagen, um das Echte und Grosse von dem Nichtigen und Verlogenen zu sondern. Dies ist der Wurzelgrund der Erneuerung: dass jeder Jude, der nach ihr verlangt, sich läutere bereite, lauter und bereit sein Leben lebe, nicht vieles wollend sondern eines, in dem Einen gesammelt, sich allzeit neu für das Eine entscheidend, tätig hingegeben, nach dem Unbedingten strebend in allem sei-

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nem Tun, weil Gott der Unbedingte durch ihn verwirklicht werden will; dies ist es, das Jesaia »im Lichte Jahwes wandeln« nennt und wovon es heisst, dass Zion dadurch erlöst wird.] H1 205,13 sein Heil finden] sich befreien ! sein Heil finden H1 205,16 Religiosität] Religiosität. / Wir sind hier bereits dem nahegekommen, was das besondere Wesen der jüdischen Religiosität ausmacht. Wir müssen versuchen, es aus dem Schutt, mit dem es Rabbinismus und Rationalismus – diese ewigen Krankheiten, die das geschichtliche Antlitz des Judentums verzerrt und entstellt haben – bedeckten, völlig herauszulösen, da wir erst dann klar zu sehen vermögen, wo die Erneuerung anzusetzen hat H1 205,16-23 Ein Wort des Baalschem spricht es aus […] / Ich will versuchen, das besondere Wesen der jüdischen Religiosität […] herauszulösen.] fehlt H1, H2 205,26 auf Erden.] auf Erden. Unter allen Geistesgestaltungen der Menschheit ist das Judentum die einzige, in der die Entscheidung des Menschen solcherweise Mitte und Sinn alles Geschehens wird. H1 205,32 Ganz] hervorgehoben H1 205,32 Jahwe] dem Herrn D4 205,33-34 »Jahwe deinem Gott zu dienen mit […] deiner ganzen Seele«] »So liebe denn den Herrn deinen Gott mit all deinem Herzen und all deiner Seele« D4 205,35 hinket ihr auf beiden Seiten] schwanket ihr nach beiden Seiten H1 wollt ihr auf den zwei Ästen hüpfen D4 205,40 Inbrunst der Leidenschaft] Leidenschaft des bösen Antriebs H1 [Leidenschaft der bösen Inbrunst] Inbrunst der [bösen] Leidenschaft H2 205,41-206,26 ist doch an sich kein Antrieb böse […]«. / Kein] und noch nachdrücklicher heisst es in Sifre: Nur wenn du ungeteilt bist (d. h. wenn du die innere Zweiheit durch die Entscheidung überwunden hast), hast du Teil an Jahwe deinem Gotte. So ist denn unter den Menschen d er Gott der liebste, der der gewaltigen Entscheidung fähig ist; oder, wie es die Gemara ausdrückt, »an dem Ort, wo die Umkehrenden (die Büsser) stehen, vermögen die vollkommenen Gerechten nicht zu stehen.« Und so wird hinwieder die Trägheit, die Entscheidungslosigkeit als die Wurzel alles Übels bezeichnet (von Bachja). Die Umkehr aber, die Gewalt der menschlichen Entscheidung ist die Grundfeste der Welt: Ehe die Welt erschaffen war, heisst es in den Pirke de R. Elieser, war da nichts als Gott allein und sein Name; da geriet es in seinem Sinne, die Welt zu erschaffen, und er zeichnete sie vor sich hin; aber er sah, dass die Welt nicht bestehen

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konnte, weil sie keine Grundfeste hatte; da schuf er die Umkehr. Die grosse Entscheidung ist der höchste, der göttliche Augenblick des Menschenlebens, des ganzen Weltlebens; »besser«, sagt die Mischna, »ist eine Stunde der Umkehr in dieser Welt als das ganze Leben der kommenden Welt«; denn diese ist nur noch Sein, jene aber ist das gigantische Werden. »Sünde« ist nichts anderes als Entzweiung; wenn mitten in ihr der Wille zur Einheit erwacht und Entscheidung wird, birst die Decke des gewohnten Lebens, die Urkraft bricht durch und stürmt zum Himmel empor. Sünde heisst nicht frei, d. i. sich entscheidend, sondern unfrei, bewirkt, bedingt leben; der Umkehrende entzündet das Mysterium der Freiheit, er schwingt sich aus der Bedingtheit in die Unbedingtheit, er wird »Gottes Kind« (Joma 86a), er ist, wie es im Sohar heisst, »lebendig an allen Seiten und vereinigt im Baume des Lebens«; das Werk der Schöpfung[, sagt die Pesikta,] ist an ihm neu geschehen. Kein H1 es ist doch an sich kein Antrieb böse […]; der Midrasch lässt Gott zum opfernden Kain sprechen: »In deine Hand habe ich die Leidenschaft gegeben und du sollst über sie herrschen zum Guten und zum Bösen.« […] Und noch nachdrücklicher heisst es im Sifre: »Nur wenn du ungeteilt bist […] hast du teil an Jahwe deinem Gotte.« […] die Entscheidungslosigkeit wird (von Bachja) als die Wurzel alles Übels bezeichnet; […] der Umkehrende entzündet das Mysterium der Freiheit […] er ist, wie es im Sohar heisst, »lebendig an allen Seiten und vereinigt im Baume des Lebens«; das Werk der Schöpfung, sagt die Pesikta, ist an ihm neu geschehen. / Kein H2 ist doch an sich kein Antrieb böse […] »Nur wenn du ungeteilt bist […] hast du teil an dem Herrn deinem Gott.« […] Sünde ist im Grunde nichts andres als Trägheit. […] Die große Entscheidung ist der höchste Augenblick des Menschenlebens, ja des ganzen Weltlebens; »besser«, heißt es in den Vätersprüchen (IV, 17), »ist eine Stunde der Umkehr in dieser Welt, als das ganze Leben der kommenden Welt«; denn diese ist nur noch Sein, jene aber ist das große Werden. […] / Kein D4 206,27 das Wunder] den Schwung ! das Wunder H1 206,29 mit jedem neuen Menschen neu anhebende Tat] die ewig sich anhebende Tat H1 206,30 der Sinn des jüdischen Dualismus] die Absicht der UmkehrLehre D4 206,38 Glaube an d en ei ngebo r nen Sohn] Anschluss an d en Sohn H1 207,5-7 Die Grundanschauung der jüdischen Religiosität ist in dem Spruch enthalten: »Wenn der Mensch […].«]Die Grundanschauung der jüdischen Religiosität ist in den feierlichen Worten des [Jalkut]

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! Tana de-be Eliahu enthalten: »Ich nehme zu Zeugen den Himmel und die Erde, dass auf Heiden und Juden, auf Mann und Weib, auf Knecht und Magd der heilige Geist ruhen kann, alleinzig nach [dem Werk] ! der Tat des Menschen«, deren Ergänzung sich in dem Spruch findet: »Wenn der Mensch […].« H1 Es ist keine Übersteigerung dieser Grundanschauung der jüdischen Religiosität, sondern nur ihr stärkster Ausdruck, wenn gesagt wird, über den Menschen, der sich selbst reinigt und heiligt, ergieße sich der Heilige Geist. D4 207,15 wahrhafte] wahrhafte, das schöpferische H1 207,15-16 offiziellen] offiziellen, rationalistischen H1 207,21-22 zu seinem Ebenbilde] sich zum Bilde D4 207,22 werde] zu werden strebe H1 207,24 so gedeutet] (im Sifra) so gedeutet H2 207,31-33 in einer Erklärung eines Verses […] sprach er] er erklärte die Worte des Mosesliedes fef9 n7af jla eg durch: Dies ist mein Gott und ich will ihm gleich werden; nach Raschi bildete er aus dem Wort fenaf nach dem Notariken-System die Worte afef jna und sprach H1 in einer Erklärung eines Verses […] (»Das ist mein Gott, ich rühme ihn«), sprach er D4 208,3 wird. Eine] wird; [denn Gottes Wirklichkeit ist eins mit seiner Offenbarung und es ist die Tat des Menschen in der und durch die sich Gott am vollkommensten] eine H1 208,4-5 »Ihr seid meine Zeugen […] und ich bin Gott«] »›Ihr seid meine Zeugen‹, Erlauten des Herrn« D4 208,7 Jahwe] der Herr D4 208,8 Jahwe] der Herr D4 208,11 Gewalt] Herrschaft D2, D3, D4 208,14-15 nennt der Bahir den Gerechten eine Säule] wird der Gerechte eine Säule D4 208,16 Werke] Taten D4 208,16-17 mit Wahrheit und Redlichkeit gemacht] Treue und Recht D4 208,17-18 wahrhaftig und redlich] treu und rechtschaffen D4 208,19-20 »Gott hatte noch nicht regnen lassen auf der Erde, und es war kein Mensch, das Land zu bebauen«] Gott hatte nicht regnen lassen auf die Erde, und es war kein Mensch, den Acker zu bebauen D4 208,26-27 auf Gottes Schicksal] auf Gottes Wesen selber H1 auf Gottes Erdenschicksal D4 208,27 Die Gottesherrlichkeit, die Schechina] Die Gottesherrlichkeit H1 Die Gottesglorie, die Schechina H2 Seine Schechina D4 208,33-34 Darum sagt ein chassidisches Wort von den Umkehrenden,

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daß sie Gott loskaufen.] Es ist die Merkaba, der Wagen, darin die Dinge zum Schrankenlosen fahren H1, H2 208,39 der Urquell] die Quelle ! der Urquell H1 208,40 ernährt.«] ernährt.« Und so wird die Erlösung [der Seele] bereitet. H1 ernährt.« Und so wird die Erlösung bereitet. H2 209,1-2 Wert der Menschentat] Werte der Tat als einer Entscheidung. Scheinbar ist die Tat unentrinnbar eingestellt in das eherne Gefüge der Ursächlichkeit; aber in Wahrheit wirkt sie tief und heimlich im Schicksal der Welt, und wenn sie sich auf ihr göttliches Ziel besinnt, sich losmacht und im eignen Lichte, das ist im Lichte Jahwes wandelt, ist sie frei und gewaltig wie Gottes Tat. H1 209,6 wisse] fühle H2 209,10 bekräftigt] fügt hinzu H1 209,11 seiner Tat] ihm ! seiner Tat H1 209,20 Menschen.] Menschen. [Der Mensch kann Gott immanent machen: indem er ihn verwirklicht.] H2 209,21 Glut] Hitze H1 209,33 innewohnt] innewohnt. Wer sich wahrhaft und vollkommen entscheidet, entscheidet sich zu Gott, entscheidet sich i n Gott H1 210,1 Forderung] Forderung. Der Unbedingte fordert von den Menschen, dass sie Unbedingte werden H1 210,16 innere] fehlt H1 210,19 Tat] hgottgeweihtei Tat H1 210,28-29 , den geltenden Institutionen] fehlt D4 210,31 sie] sich D4 210,36-37 den sakramentalen Akt etwa eines gemeinsamen Mahles] einen sakramentalen Akt H1 211,16-17 »Greuel«] »Frevel« H1 211,19 Bestimmungen, die sittlichen Normen] Bestimmungen, das was man die Sittlichkeit zu nennen pflegt H1 211,20-21 Einzige] hervorgehoben H1 211,27 Opferkult] intentionsleeren Opferkult D4 211,31 Reich] Staat D4 211,38 fortan] fehlt H1 212,7-8 deren späten literarischen Niederschlag wir in der Agada finden] die ihren literarischen Ausdruck in der Agada findet H1 212,10-16 Von beiden gilt in ihrem Verhältnis zur Schrift […] auf ihre Innerlichkeit hin.] fehlt H1 212,16-17 nicht – wie die Propheten sich gegen den Opferkult wendeten] – wie die Propheten nicht gegen den Opferkult an sich D4 212,19-32 sie will das Pathos der Forderung wiederherstellen. […] aber

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sein Kern hat unerschütterlich den Anspruch gewahrt, die wahre Ekklesia […] zu sein.] sie will die Schrift nicht aufheben, sondern erfüllen; sie will dass der Geist ins Leben komme, dass die Lehre der Unbedingtheit das Volk ergreife und heilige, dass der Wille Gottes im Menschenwillen geschehe. [»Darum sollt ihr vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.« / Ich will bei dem Urchristentum länger verweilen, als der Zusammenhang erfordert, weil einige in jüngster Zeit erfolgte Angriffe auf mich und meine Freunde sich hauptsächlich gegen unsere Stellungnahme zum Urchristentum und zur Gestalt Jesu wandten. Obgleich kein Zweifel darüber möglich war, dass Jesus uns nicht als Objekt sondern als Subjekt der Religiosität wichtig ist, weil er die jüdische Religiosität ausspricht und lebt wie Sokrates die griechische und Buddha die indische, wird doch unser Verhältnis zu ihm in gewissen Zeitungsartikeln mit einer Methode verdächtigt, die mich recht jesuitisch dünkt. Ich möchte daher, um unsere Anschauung in Worten zu präzisieren, von denen ich weiss, dass sie auch die Anschauung meiner Freunde ausdrücken, einige Sätze anführen, in die ich früher einmal gefasst habe, wie wir über das Urchristentum denken.] Ich will bei dem Urchristentum einen Augenblick verweilen, um einigen neueren Angriffen auf mich und meine Freunde gegenüber – Angriffen, die ich so behandeln w i ll, als beruhten sie auf Missverstehen – festzustellen, was eigentlich [viel zu selbstverständlich ist, um] der Feststellung nicht bedürfen sollte: / erstens, dass die radikaljüdische Bewegung, die Urchristentum genannt wird und der wir einst einen anderen, echteren Namen geben werden, uns nicht wichtig ist, weil, sondern trotzdem sie zu Missbildungen und Entartungen geführt hat; / zweitens, dass der zentrale Mensch dieser Bewegung, Jesus von Nazareth, uns als Objekt der Religiosität auf immer unüberwindlich fern und fremd ist, aber nah, wert und vertraut als Subjekt der Religiosität, als einer, der die tiefe jüdische Religiosität gelebt hat, wie Sokrates die griechische u. Buddha die indische; / drittens, dass es keinen Frieden u. keinen Waffenstillstand gibt zwischen uns reinen, ganzen Juden und der weltbeherrschenden christlichen Kirche und dass wir ihrer Usurpation jüdischen Urbesitzes entgegen unseren ewigen Anspruch, die wahre ¥kklhsffla, die Gemeinde Gottes zu sein, unerschütterlich aufrechterhalten [und aus dem Willen Gottes durchsetzen werden.] H1 212,20 der Agada] dem Agadismus H2 213,3 sich die wahrhafte Freiheit aufbauen kann] erst die wahrhafte Freiheit möglich ist H1 213,21 schmälern] schwächen H1

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213,40-41 , das ist ihr durch nichts zu verkürzendes Recht auf unsere Treue] fehlt D4 213,41 verkürzendes] erschütterndes H1 214,5 niedergedrückt] niedergedrückt oder ausgeschieden H1 214,12 schließen] stiften D4 214,18 Welt] Welt wie das Bildnis eines Menschen im Marmorblock H1 214,25 harrt;] harrt, dass wir es vollenden[: eine Diaspora, die wir sammeln], H1 214,27-28 Dies aber können wir einzig dadurch] [Und dies nicht durch Theorien und Diskussionen, nicht durch Mitten im Getriebe politischer Phraseologie, sondern] Dadurch H1 214,30 nicht geglaubt, nicht erörtert] nicht geglaubt. [Bei Plinius steht ein Wort, das (wahrscheinlich aus einem Spruche des grossen stoischen Weisen Poseidonios übertragenes) Wort, aus dem die erhabene Kraft klassischer Lebensanschauung redet: Deus est mortali iuvare mortalem; Gott ist, dass der Sterbliche dem Sterblichen hilft.], nicht erörtert H1 214,31 verwirklicht] hervorgehoben H1 214,31 will] will. Dies ist der Wurzelgrund der Erneuerung: dass jeder Jude, der nach ihr verlangt, sich läutere und bereite, lauter und bereit sein Leben lebe, nicht vieles wollend sondern eines, in dem Einen gesammelt, sich allzeit neu für das Eine entscheidend, [tätig seiner Gemeinschaft] tätig hingegeben, nach dem Unbedingten strebend in allem seinem Tun, weil Gott der Unbedingte durch ihn verwirklicht werden will. Dies ist es, was Jesaia »im Lichte Jahwes« wandeln nennt und warum es heisst, dass Zion dadurch erlöst wird H1 Wort- und Sacherläuterungen: 204,33-34 das Joch der Vorschriften] hebr. ol mizwot; aus der Mischna (mBer II,2) stammende Bezeichnung für die von einem Juden erwartete Bereitschaft, Gottes Gebote bedingungslos zu erfüllen. »Joch« wird hier – entsprechend seiner tatsächlichen Bedeutung – nicht als »Bürde«, sondern als Gerät aufgefasst, dass der Lenkung (ursprünglich von Ochsen) dient. Das Bild des Jochs, mit dem das Verhältnis des einzelnen zum Gesetz versinnbildlicht wird, ist hier anthropomorph zu einer Beschreibung des Verhältnisses zwischen religiösem Grundgefühl und seiner jeweiligen historischen Form umgestaltet. Das Wort »Joch« ist bei Buber sonst in der Regel negativ besetzt, beispielsweise in Bezug auf Religion, auf politische Unterdrückung oder die Herrschaft bestimmter sozialer Formen und der damit einhergehenden eingeschränkten Realitätswahrnehmung (z. B. der Kausali-

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tät bzw. des Zwecks). Letzteres etwa im Vortrag »Alte und neue Gemeinschaft«, in dem von »dem Joche der Nutzarbeit« die Rede ist, vgl. in diesem Band, S. 66, Zeile 4. 204,36-38 daß sie jedem Geschlecht erscheinen, […] den Vätern fremden Nöte zu stillen.] Spielt wohl auf die Vorstellung an, dass unter den 600 000 Mann (ohne Frauen und Kinder – vgl. Ex 12,37 u. Ex 19,125), die bei der Gesetzesoffenbarung am Sinai standen, auch jede künftige Generation mit gemeint sei; auch auf das Gebot, dass man das Pessachfest so begehen soll, als sei man selber aus Ägypten herausgeführt worden. Vgl. Ephraim E. Urbach, The Sages. Their Concepts and Beliefs, Cambridge/MA 1987, S. 287. 205,8-9 Religiosität hat nur ihr Ziel, Religion hat Zwecke] Vgl. Martin Buber, Die Legende des Baalschem, S. 21: »Kawwana meint nicht den Zweck, sondern das Ziel.« 205,9-10 aus Religiosität stehen die Söhne wider die Väter auf, um ihren selbeignen Gott zu finden] Anspielung auf den im Midrasch beschriebenen Ikonoklasmus Abrahams, dessen Vater mit Götzenfiguren handelte, s. BerR XXXVIII,13. Vgl. auch Gen 12,1, wo Gott Abraham befiehlt, sein Vaterhaus zu verlassen. 205,16-20 Ein Wort des Baalschem […] sondern selber suchten sie das Göttliche.«] Buber, Des Baal-Schem-Tow Unterweisung im Umgang mit Gott, S. 19: »Und so auch ist gedeutet worden, daß wir sprechen: ›Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs‹, nicht aber sprechen wir: ›Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs‹ – damit ist gesagt: Isaak und Jakob stützten sich nicht auf Abrahams Überlieferung allein, sondern selber suchten sie das Göttliche.« 205,26-29 Der spätjüdische Spruch […] lebendig und wesenhaft war.] Vgl. Martin Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, S. 36: »Die Welt ist nur um der Wahl und des Wählenden willen geschaffen worden. Der Mensch, der Herr der Wahl, soll sagen: Die ganze Welt ist nur um meiner willen erschaffen worden. Daher soll jeder Mensch achten und schauen, zu jeder Zeit und an jedem Orte die Welt zu erlösen und ihren Mangel zu füllen.« Zum »Reich der Wahl« vgl. Martin Buber, Die jüdische Mystik, in diesem Band, S. 117, und auch: Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 194. 205,29-31 Wie die Reihe der Sinai-Gebote […] unbedingten Entscheidung für den Einen eröffnet wird] Ex 20,2-3. 205,32-33 »Ganz sollst du mit Jahwe deinem Gott sein«] Dtn 18,13. 205,33-34 »Jahwe deinem Gott zu dienen mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele«] Dtn 10,12. 205,35 »Wie lange noch hinket ihr auf beiden Seiten?«] I Reg 18,21:

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»Da trat Elia zu allem Volk und sprach: Wie lange hinket ihr auf beide Seiten? Ist der Herr Gott, so wandelt ihm nach; ist’s aber Baal, so wandelt ihm nach. Und das Volk antwortete ihm nichts.« Vgl. Martin Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 199, und Martin Buber, Drei Reden, in diesem Band, S. 232. 205,37-38 »Du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Herzen«] Teil des Schma-Gebets aus Dtn 6,5. Das Schma Jisrael, hebr. »Höre Israel« ist das Haupt- und Bekenntnisgebet des Judentums, benannt nach den Anfangsworten des Verses Dtn 6,4. 205,36-41 Die Mischna deutet das Wort […] in die einige Tat eingeht] Sifre Devarim XXXII,3. Hans Bietenhard, Der tannaitische Midrasch Sifre Deuteronomium, Bern 1984, S. 82: »Von ganzem Herzen (Deut 6,5). Mit deinen beiden Trieben, mit dem guten Trieb und mit dem bösen Trieb.« Das Wort lewawach (»dein Herz«) enthält zweimal den Buchstaben Beth (weich als »w« ausgesprochen), was als Hindeuten auf die zwei Teile des Herzens aufgefasst wird. Vgl. auch Mischna Berakhot IX,5. 205,38-39 mit dem »guten« und dem »bösen« Trieb] Die Begriffe jezer ha-tow, hebr. »der gute Trieb«, und jezer ha-ra, hebr. »der schlechte Trieb«, bilden die rabbinische Vorstellung von den beiden von Gott geschaffenen Urtrieben im Menschen, über deren Ausgleich der Mensch stets selber entscheiden muss. 206,2-3 »Du hast die Leidenschaft, die in deine Hand gegeben ist, böse gemacht.«] Midrash Shimoni, Genesis 4:7. 206,4 »Mein Herz sei ganz in deinen Gesetzen«] Ps 119,80. 206,5-6 David habe zu Gott gesprochen: […] sondern mache mein Herz ganz.«] Midrasch Schemot Rabba XIX,43: »Oder: ›Das ist die Satzung für das Pesach.‹ Das sagt auch der Sänger Ps. 119, 80: ›Mein Herz sei ganz ungetheilt in deinen Satzungen.‹ Herr der Welt! sprach nämlich David, wenn ich mit der Ausübung deiner Satzungen beschäftigt bin, so habe die Leidenschaft (der böse Trieb) keine Gewalt, um mich zu entzünden, wie es Ps. 86, 11 heisst; ›Lehre mich, Ewiger, deinen Weg, dass ich wandle in deiner Wahrheit‹ d. i. dass mich die Leidenschaft nicht irre leite und ich mich vor den Gerechten (Tugendhaften) schämen muss. Und nicht nur das, wenn sie mich irre leitet, so bin ich verhindert an der Beschäftigung mit den Worten der Thora. Wenn ich dann komme, um mein Gelerntes vor dir vorzutragen, und die Schüler, welche jünger sind als ich, mir entgegnen und sprechen: Es verhält sich anders, so bin ich beschämt, gieb mir deshalb ein anderes Herz, damit ich mich ganz und gar mit der Thora beschäftigen kann.

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Das wollen die Worte sagen: ›Mein Herz sei ungetheilt in deinen Satzungen, damit ich nicht beschämt werde.‹« (Der Midrasch Schemot Rabba. Das ist die haggadische Auslegung des Zweiten Buches Moses, zum ersten Mal ins Deutsche übertragen von August Wünsche, Leipzig 1882.) 206,7-9 »Nur wenn du ungeteilt bist« […] »hast du teil an Jahwe deinem Gotte.«] Vgl. Bietenhard, Der tannaitische Midrasch Sifre Deuteronomium, S. 82: »Eine andere Auslegung. Von ganzem Herzen (Deut 6,5). Dass dein Herz nicht zerteilt sei über den Ort [d. h.: Gott].« 206,15-17 »an dem Ort, wo die Umkehrenden stehen, vermögen die vollkommenen Gerechten nicht zu stehen«] bBer 34b: »Ferner sagte R. Hija b. Abba im Namen R. Johanans: Sämtliche Propheten haben geweissagt nur über die Bußfertigen, von den vollkommen Gerechten aber [heißt es:] es hat außer dir, o Gott, kein Auge geschaut. Er streitet gegen R. Abahu, denn R. Abahu sagte, wo die Bußfertigen stehen, vermögen auch die vollkommen Gerechten nicht zu stehen, denn es heißt: Friede, Friede dem Fernen und dem Nahen, zuerst dem Fernen, nachher dem Nahen.« (Lazarus Goldschmidt, Der babylonische Talmud, Frankfurt a. M. 1996, Band I, S. 155.) Zitiert auch in Martin Buber, Bewegung. Aus einem Brief an einen Holländer, in: Der Neue Merkur, 1. Jg., Heft Januar/Februar 1915, S. 492 (jetzt in: MBW 1, S. 286). Vgl. auch bSan 99a. 206,18-20 »besser«, sagt die Mischna […] das ganze Leben der kommenden Welt«] Rabbi Jakob in mAv IV,22 [Sprüche der Väter]: »Er sagte ferner: Besser eine Stunde in Bussfertigkeit und guten Werken als das ganze Leben der zukünftigen Welt, und besser eine Stunde der Seligkeit in der zukünftigen Welt als alles Leben dieser Welt.« 206,24-25 »lebendig an allen Seiten und vereinigt im Baume des Lebens«] Sohar II,106a-106b (Sawa de-Mischpatim). 206,41-207,3 »bis zur Wurzel aller Lehre […] Gebote und Gesetze niedersinken«] Menachem Mendel ben Mosche von Witebsk, Peri ha-aretz, Zhitomir 1866, S. 12. 207,6-7 »Wenn der Mensch sich selbst […] der heilige Geist über ihn.«] SER X. Das Wort wird dem Propheten Elija zugeschrieben. 207,21-22 »Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbilde«] Gen 1,27. 207,23-24 »Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin ich Jahwe, euer Gott.«] Lev 19,2. 207,24-26 Es wird so gedeutet: […] »bin, so sollt ihr abgesondert sein«] Sifre Qedoschim 1: »Wie ich, Gott, abgesondert bin [hebr. perush], so sollt ihr abgesondert sein [hebr. perushim].« S. auch: Die Tora. In jüdischer Auslegung, hrsg. von W. Gunther Plaut, autorisierte Überset-

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zung, Bearbeitung und Gestaltung von Annette Böckler, Bd. 3: Wajikra/Levitikus, Gütersloh 2001, S. 191. Und vgl. Lev 20,24-26. 207,26-27 »Wie Gott einig und einzig ist, so sei euer Dienst einig.«] bChag 3a. 207,32-33 des Liedes Mose am Schilfmeer (»Dies ist mein Gott und ich will ihn preisen«)] Ex 15,2. 207,33-34 Dies ist mein Gott – ich und er; das ist: ich will wie er werden.] Nach Raschi; bShab 133b: »Abba Saul erklärte: Er ist mein Gott, ich will ihn verherrlichen; gleiche ihm: wie er gnädig und barmherzig ist, so sei auch du gnädig und barmherzig!?« (Lazarus Goldschmidt, Der babylonische Talmud, Frankfurt a. M. 1996, Band I, S. 855); vgl. MekhJ 37a. (Mechilta. Ein tannaitischer Midrasch zu Exodus, hrsg. von Jakob Winter u. August Wünsche, Leipzig 1909, S. 122: »Abba Saul sagt: Wir wollen ihm ähnlich sein: Wie er barmherzig und gnädig ist, so sei auch du barmherzig und gnädig.«) Vgl. Solomon Schechter, Aspects of Rabbinic Theology: Major Concepts of the Talmud [1909], New York 1961, S. 201. 207,35-36 der Mythos des Sündenfalls] Gen 3. 207,39-40 die »Erkenntnis von Gut und Böse«] Gen 3,5. 208,4-5 »Ihr seid meine Zeugen, spricht Jahwe, und ich bin Gott«] Jes 43,12. 208,5-6 des geheimnisumwitterten Rabbi Simon ben Jochai] spielt wahrscheinlich an auf die Legende, nach der sich Simon ben Jochai, nachdem er von den Römern zum Tode verurteilt worden war, zusammen mit seinem Sohn 13 Jahre lang in einer Höhle versteckte und die Thora studierte (bShab 33b). 208,6-9 »Wenn ihr meine Zeugen seid […] bin ich nicht Jahwe.«] Pesiqta deRav Kahana, XII,6 zu Jesaja 43,12-14: »R. Simeon ben Jochai hat gelehrt (hat diese Stelle dahin erklärt): Wenn ihr meine Zeugen seid, bin ich der Ewige, wenn ihr aber nicht meine Zeugen seid, so bin ich, wenn man so sagen darf, nicht der Ewige.« (Pesikta des Rab Kahana, das ist Die älteste in Palästina redigierte Haggada, hrsg. von August Wünsche, Leipzig 1885, S. 132). 208,10 »Gebet Gott die Macht«] Ps 68,35. 208,11 Die Gerechten mehren die Kraft der oberen Gewalt.] nicht nachgewiesen. 208,14 der Bahir] Sefer haBahir, »Buch des Hellen«; bahir, hebr. »das Durchsichtige«; ein frühes Werk der jüdischen Mystik, gnostisch-kabbalistische Schrift, die sich hauptsächlich mit der Buchstabenmystik befasst und auf die Lehre der Sefirot (nach kabbalistischer Lehre die zehn Attribute Gottes) hindeutet; erste Veröffentlichung im 12. Jh.,

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nimmt vermutlich aber viel ältere Textzeugen auf. Anhänger der Kabbala vermuten, dass die mündliche Überlieferung schon auf das 1. Jh. zurück geht. Von Gerhard (Gershom) Scholem 1923 ins Deutsche übersetzt: Gerhard Scholem, Das Buch Bahir. Ein Schriftdenkmal aus der Frühzeit der Kabbala auf Grund der kritischen Neuausgabe (1923), Neuausgabe: Darmstadt 1970 (= Qabbala. Quellen und Forschungen zur Geschichte der jüdischen Mystik, Bd. 1). 208,14-15 den Gerechten eine Säule […] das Weltall trägt.] Sefer haBahir, § 71: »Er hat gelehrt: Eine Säule [geht] von der Erde bis zum Himmel und ›Gerechter‹, Zaddik, ist ihr Name, nach den Gerechten. Und sind Gerechte auf Erden, so wird sie stark, wenn aber nicht, so erschlafft sie, und sie trägt die ganze Welt, denn es heißt [Prov 10,26]: ›der Gerechte ist der Grund der Welt‹.« Scholem, Das Buch Bahir, S. 74. 208,16-17 »Die Werke seiner Hände … sind mit Wahrheit und Redlichkeit gemacht«] Ps 111,7. 208,17-18 Einfluß des wahrhaftig […] auf das Werden der Welt] nicht nachgewiesen. 208,19-20 »Gott hatte noch nicht regnen lassen […] das Land zu bebauen«] Gen 2,5. 208,20-21 es habe kein Werk von oben gegeben, weil es keine Tat von unten gab] Sohar I,97a; III,48a. 208,21-22 »stieg von der Erde […] ward getränkt«] Gen 2,6. 208,23 durch Wirkung von unten geschah Werk von oben] Sohar I,35a. Vgl. auch III,28b-29a (Raja Mehemna). 208,24-26 In der dritten Schicht endlich, […] Menschentat auf Gottes Schicksal.] Vgl. »Der Mythos der Juden«, in diesem Band, S. 178 f. 208,33-34 Darum sagt ein chassidisches Wort […] Gott loskaufen.] dem Maggid von Mesritsch (Dow Baer ben Abraham von Mesritsch) zugeschrieben in: Or Ha-emet imre tzaddiqim, Zhitomir 1900, S. 12. 208,38-40 »So wächst das Leben […] alles ist ernährt.«] nicht nachgewiesen. 209,8 »Jeder soll sprechen: um meinetwillen ist die Welt erschaffen worden«] mSan IV,5. 209,9 »Jeder soll sagen: auf mir steht die Welt«] bSan 37a. Lazarus Goldschmidt, Der babylonische Talmud, Frankfurt a. M. 1996, Band VIII, S. 604: »Daher muss auch jeder Einzelne sagen: meinetwegen ist die Welt erschaffen worden.« 209,9-11 eine chassidische Schrift bekräftigt […] hangt an seiner Tat.] Mosche Chajim Efraim ben Jechiel Michal von Sadilkow, Degel machane Efrajim, Korez 1810, Bl. 20b. 209,18-20 Ob Gott »transzendent« […] eine Sache des Menschen.] In der

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Vorrede zur Ausgabe Reden über das Judentum von 1923 fügt Buber zur Bestimmung der religiösen Wirklichkeit hinzu: »Ungenau ist somit das Wort der fünften Rede, ob Gott ›transzendent‹ oder ›immanent‹ sei, sei nicht eine Sache Gottes sondern eine Sache des Menschen. Es ist, in der Wirklichkeit der Geschichte betrachtet, die Sache der Theophanie, an der Gott und Mensch Anteil haben. Es ist, in der Wirklichkeit des persönlichen Lebens betrachtet, die Sache des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, das, wenn es wirklich ist, Wechselwirkung ist.« (RGA, S. XII). 209,20-21 Zu der Erzählung der Genesis […] »in der Glut des Tages« kommen] Gen 18,1-15, Zitat Vers 1. 209,21-24 »Wenn die untere Welt […] durchdringen einander alsdann im Menschen.«] Sohar I,98a-b. 209,25 »Gott ist allen nahe, […] mit der Wahrheit rufen«] Ps 145,18. 209,26 mit der Wahrheit, die sie t u n.] Ps 111,7: »Die Werke seiner Hände sind Wahrheit und Recht; alle seine Ordnungen sind beständig.« 209,38-39 auf dem Grundgefühl, daß eins not tut.] Lk 10,42. Wort- und Sacherläuterungen zu 146,22 (»Ekstase und Bekenntnis«), in diesem Band S. 356 f. 210,8-9 Das Volk ist von dem abgefallen, den es noch nicht zu fassen vermochte] Ex 32,1-6: die Geschichte vom goldenen Kalb. 210,9-10 die Söhne Levis […] dreitausend ihrer Brüder.] Ex 32,25-28. 210,10-12 Das ausziehende Geschlecht […] in der Wüste hinsterben.] Num 14,22-23. 210,20-21 und das Volk durch seinen richtungsbaren Formendienst zuchtlos macht.] Ex 32,1-6. 211,10-11 und noch Elija weiß […] und wider Baal streitet] I Reg 18,21. Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 128,39. 211,15-19 In Worten einer gebieterischen Leidenschaft […] mit Gott und mit den Menschen.] vgl. z. B. Am 5; Mi 6,1-8; Jes 44, 6-20; Jer 4,1-4. 211,23-25 Jede Konstruktion einer »reinen Ethik« des Judentums ist von Grund aus verfehlt] Auseinandersetzung mit Moritz Lazarus’ Die Ethik des Judentums (1898). Mit Lazarus hat sich Buber auch in seiner dritten Rede über das Judentum »Die Erneuerung des Judentums« gründlich auseinandergesetzt, s. Martin Buber, Drei Reden über das Judentum, S. 64-67, (jetzt in: MBW 3, S. 239 ff.). Später fortgeführt in der Auseinandersetzung mit Hermann Cohens neukantianischer Auffassung des Judentums (Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, 1919, 2. Aufl. 1929). Zu Bubers Kontroverse mit Hermann Cohen s. Martin Buber, Begriffe und Wirklichkeit. Brief an Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Hermann Cohen, in: Der Jude,

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1. Jg., Heft 5 (August 1916), S. 281-289 (jetzt in: MBW 3, S. 293307); sowie ders., Zion, der Staat und die Menschheit. Bemerkungen zu Hermann Cohens »Antwort«, in: Der Jude, 1. Jg., Heft 7 (Oktober 1916), S. 425-433 (jetzt in: MBW 3, S. 307-320). 211,38-40 Die Schrift ist fortan die Wahrheit […] an die Schrift hält.] Nicht zufällig klingt diese Formulierung provokativ an den Satz Jesu an: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich« (Joh 14,6), den Buber im Folgenden als Verengung der Idee der Umkehr bezeichnet. In dem Wort »Schrift« vermengt Buber hier Unterschiedliches, so dass die traditionelle Gesetzestreue, die sich nicht unmittelbar nach der Schrift im engeren Sinn, sondern nach dem überlieferten Schrifttum insgesamt richtet und in der trotz endgültiger Festlegungen die unterschiedlichen Meinungen zur Schriftauslegung erhalten sind, fast als eine Art Schriftfundamentalismus ausgegeben wird. 212,11 Therapeuten] von griech. therapeutes, »Diener«, »Wärter«, »Pfleger«. Bezeichnung einer kontemplativen Gruppierung im Judentum, die sich nicht weit von Alexandria niedergelassen hatte. Philo (ca. 15/ 10 v. Chr.-40/50 n. Chr.) stellt sie den Essenern gegenüber, es könnte sich aber auch um einen Seitenzweig derselben gehandelt haben. 212,31 Ekklesia] lat. »Versammlung der Herausgerufenen«, im Christentum die Bezeichnung für die Gemeinde der christlichen Kirche. 212,34-36 Ein Zaun wurde um das Gesetz gezogen […] die lebendige Religiosität fern.] mAv 1,1. Vgl. Martin Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 200: »Mit der Zerstörung des jüdischen Gemeinwesens wurde die Fruchtbarkeit des Geisteskampfes geschwächt. Die geistige Kraft sammelte sich nunmehr auf die Erhaltung des Volkstums gegen die äußeren Einflüsse, auf die strenge Umzäunung des eignen Bereiches, um das Eindringen fremder Tendenzen zu verhüten«.

Die zweiten Tafeln Die kurze Geschichte, veröffentlicht im Inselalmanach auf das Jahr 1919, gibt das Geschehen aus Ex 34 wieder. Nachdem die Kinder Israels durch Anbetung des goldenen Kalbs abtrünnig geworden sind, stellt Gott den Bund zwischen sich und Israel wieder her, indem er die Zehn Gebote noch einmal verkündet. Das zweite Mal aber lässt er Moses die Gebote auf die steinernen Tafeln schreiben. Buber gestaltet den Ausgangstext derart, dass er ihn an die Form der

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Sage annähert. Er unterzieht die biblische Geschichte einer literarischen Bearbeitung, die zunächst einmal darin besteht, den Blickwinkel zu verschieben. Die Begebenheit wird großenteils aus der Perspektive von Moses dargestellt. Darin ähnelt die Geschichte der klassischen Aggada. Charakteristisch für Buber ist die Auslassung der göttlichen Stimme, die den Inhalt des Aufzuschreibenden proklamiert (Ex 34, 6-26). Aus der Mitteilung des Offenbarungsvorganges wird also in Bubers Bearbeitung zuvorderst ein persönliches Erlebnis. Die Erneuerung des Bundes mit Gott verwandelt sich in eine reine Begegnung. Es ist nun nicht einmal klar, wessen Stimme da spricht. Was wir für die Stimme Gottes anzunehmen geneigt sind, ertönt anonym. Sie ist lediglich »die Stimme«. Textzeuge: D: Insel-Almanach auf das Jahr 1919, Leipzig: Insel Verlag 1919, S. 148149 (MBB 228). Druckvorlage: D

Vier Gleichnisse des Ferid-ed-din Attar Die Beschäftigung Bubers mit der Dichtung Ferid-ed-din Attars (ca. 1140-ca. 1220) reicht mindestens bis in die Jahre der Arbeit an den Ekstatischen Konfessionen zurück, in denen er aus dessen Gespräch der Vögel schon umfangreiche Auszüge gebracht hatte (jetzt in MBW 2.2, S. 7277). Offensichtlich hatte Buber bei der Vorbereitung des Materials für die Ekstatischen Konfessionen noch weitere Texte von dem Autor ausgezogen (vgl. ebd., S. 219-229), darunter die zwei Geschichten »Der Gottesnarr« und »Medschnun und Laila« (ebd., S. 219 u. 226). Im Jahr 1921, in dem die Ekstatischen Konfessionen in der zweiten Auflage im Inselverlag erschienen sind, veröffentlichte er die Vier Gleichnisse im Inselalmanach auf das Jahr 1922 (Leipzig 1921). In diesem Almanach erschienen derartige Prosastücke Bubers relativ oft. Neben ihm publizierte dort häufig auch seine Frau Paula unter ihrem Pseudonym Georg Munk. Textzeuge: D: Insel-Almanach auf das Jahr 1922, Leipzig: Insel Verlag 1921, S. 113115 (MBB 261). Druckvorlage: D

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Wort- und Sacherläuterungen: 216,Titel-8 Der Gottesnarr […] Lebe wohl.«] Mantic Uttaïr, ou le langage des oiseaux, poëme de philosophie religieuse, traduit du Persan de Farid Uddin Attar, par M. Garcin de Tassy, Paris 1863, S. 44, unter dem Titel ›Le Fou et Khizr‹ : »Il y avait un fou, par excès d’amour de Dieu, qui occupait une position élevée. Khizr lui dit: ›O homme parfait! veux-tu être mon ami?‹ – ›Tu ne saurais me convenir‹, répondit-il, ›parce que tu as bu à longs traits de l’eau de l’immortalité, en sorte que tu subsisteras toujours. Or, moi, je veux renoncer à la vie, parce que je suis sans ami, et que je ne saurais ainsi supporter l’existence. Tandis que tu es occupé à préserver ta vie, je sacrifie tous les jours la mienne. Il vaut donc mieux que nous nous séparions, comme des oiseaux échappés du filet. Adieu.‹« Vgl. Hellmut Ritter, Das Meer der Seele. Mensch, Welt und Gott in den Geschichten des Farı¯duddı¯n ‘Atta¯r, ˙˙ Leiden 1955, S. 533. Zur Ausgabe merkt Ritter, S. 658, an: »Da diese ausgabe ungemein fehlerhaft ist, wurden die steindrucke Teheran 1319 und 1287, die türkische übersetzung des Isma¯‘ı¯l Fida¯’ı¯, steindruck I˙stanbul 1274, und der kommentar des Sˇem‘i, ms. Carullah 1716, mitbenutzt.« 216,9-15 Medschnun sucht Laila […] irgendwo finden werde.«] Mantic Uttaïr, S. 182, unter dem Titel ›Anecdote sur Majnûn‹ : »Un homme distingué qui aimait Dieu vit Majnûn tamisant de la terre au milieu du chemin, et il lui dit: ›Ô Majnûn! que cherches-tu ainsi?‹ – ›Je cherche Laïla‹, répondit-il. – ›Peux-tu espérer de trouver ainsi Laïla? reprit l’interlocuteur; une perle si pure serait-elle dans cette poussière?‹ – ›Je cherche Laïla partout, dit Majnûn, dans l’espoir de la trouver un jour quelque part.‹« Vgl. Ritter, Das Meer der Seele, S. 345. Goethe hat das Liebespaar in seinen West-östlichen Divan aufgenommen. Im Gedicht »Musterbilder« heißt es: »Nur für einander da: / Medschnun und Leila.« Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 3.1: West-östlicher Divan I, hrsg. von Hendrik Birus, Frankfurt a. M. 1994, S. 36. Vgl. auch »Geheimstes« (Ebd., S. 41 f.). 216,16-217,4 Die trauernde Mutter […] das Geheimnis, das er sucht.«] Mantic Uttaïr, S. 217, unter dem Titel ›La vieille mère et la jeune fille défunte‹ : »Une mère pleurait sur le tombeau de sa fille. Un passant qui la vit s’écria: ›Cette femme est vraiment supérieure aux hommes, car elle sait ce que nous ne savons pas; c’est-à-dire, loin de qui l’on reste éloigné et perdu, et comment on devient ainsi impatient. Heureuse la personne qui connaît l’état des choses et qui sait sur qui elle doit pleurer! Quant à moi, pauvre affligé, ma situation est bien péni-

Vier Gleichnisse des Ferid-ed-din Attar

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ble. Jour et nuit je suis assis dans le deuil. J’ignore si je dois me livrer à la douleur ou sur qui je dois pleurer comme la pluie. Je ne sais pas même de qui je suis éloigné, tant mon trouble est grand, hors de moi comme je le suis. Cette femme remporte la boule de l’excellence sur des milliers de personnes comme moi, parce qu’elle a trouvé l’odeur de l’être qu’elle a perdu. Pour moi, je n’ai pas trouvé cette odeur, aussi le chagrin a-t-il répandu mon sang et m’a-t-il fait périr dans ma stupéfaction. En un tel lieu, où le cœur n’a pas accès, lieu qui est même invisible, la raison a lâché ses rênes et l’on n’a plus trouvé la porte du logis de la pensée. Quiconque arrivera en ce lieu y aura la tête perdue; il ne trouvera pas d’ouverture à cette enceinte de quatre murs. Mais, si quelqu’un venait à trouver son chemin, il trouverait en un instant et entièrement le secret qu’il cherche.‹« Vgl. Ritter, Das Meer der Seele, S. 135. 217,5-27 Die Falter […] und das ist alles.«] Mantic Uttaïr, S. 222, unter dem Titel ›Anecdote sur les papillons‹ : »Une nuit, les papillons se réunirent, tourmentés du désir de s’unir à la bougie. Tous dirent: ›Il faut trouver quelqu’un qui puisse nous donner des nouvelles de l’objet de notre amoureuse recherche.‹ Un papillon alla jusqu’à un château lointain, et il aperçut dans l’intérieur la lumière de la bougie. Il revint et rapporta ce qu’il avait vu; il se mit à faire la description de la bougie selon la mesure de son intelligence. Mais le sage papillon qui présidait la réunion exprima l’opinion que le papillon explorateur ne savait rien sur la bougie. Un autre papillon alla passer auprès de la lumière et s’en approcha. Il toucha de ses ailes la flamme, la bougie fut victorieuse et il fut vaincu. Il revint lui aussi, et il révéla quelque chose du mystère en question. Il expliqua un peu en quoi consistait l’union avec la bougie; mais le sage papillon lui dit: ›Ton explication n’est pas plus exacte que celle qu’a donnée ton compagnon.‹ / Un troisième papillon se leva ivre d’amour; il alla se jeter violemment sur la flamme de la bougie: lancé par ses pattes de derrière, il tendit en même temps celles de devant vers la flamme. Il se perdit lui-même et s’identifia joyeusement avec elle; il s’embrasa complétement et ses membres devinrent rouges comme le feu. Lorsque le sage papillon (chef de la réunion) vit de loin que la bougie avait identifié l’insecte à elle et lui avait donné la même apparence, il dit: ›Le papillon a appris ce qu’il voulait savoir; mais lui seul le comprend, et voilà tout.‹« Vgl. Ritter, Das Meer der Seele, S. 587 f. Auch dieses Motiv findet sich in Goethes West-östlichem Divan im Gedicht »Selige Sehnsucht« (Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 3.1: West-östlicher Divan I, S. 24 f.). Die Geschichte en-

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det im Mantic Uttaïr, S. 222 f. dann wie folgt: »Celui en effet qui n’a ni trace ni indice de son existence sait réellement plus que les autres au sujet de l’anéantissement. Tant que tu n’ignoreras pas ton corps et ton âme, connaîtras-tu jamais l’objet de ton amour? celui qui t’a donnè le moindre indice de la chose plonge profondément par là ton âme dans le sang; mais, puisque le souffle même n’est pas admis ici, personne, à plus forte raison, ne peut l’être.«

Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung Aus einem Vermerk auf der stenographischen Mitschrift dieses Vortrags ist zu ersehen, dass Buber ihn am 28. November 1923 vor der Studentenschaft Zürich hielt. Ursprünglich hatte Buber die zweite Aprilhälfte 1923 für eine »Schweizerreise« vorgesehen. Da es sich aber herausstellte, dass er im Herbst in Frankfurt regelmäßig Vorträge halten musste, überlegte er, die Reise auf den Winter zu verlegen (unveröffentlichter Brief Bubers an Leonhard Ragaz vom 1. Februar 1923, MBA Arc. Ms. Var. 350, 605). Anfang Mai verhandelte er mit Leonhard Ragaz (1868-1945) über Vorträge in Zürich und andernorts. Um Ragaz, der 1908 Professor für Theologie in Zürich geworden war und von 1906 bis zu seinem Tod im Jahre 1945 die Zeitschrift Neue Wege. Blätter für religiöse Arbeit herausgab, hatte sich eine wichtige Gruppe von protestantischen religiösen Sozialisten gebildet. Unter Bubers christlichen Freunden stand ihm Ragaz besonders nahe (vgl. u. a. Unserem Verbündeten, Leonhard Ragaz zum 75. Geburtstag, jetzt in: MBW 9, S. 184-186, und Ragaz und Israel, ebd., S. 187-191; Schaeder in: B I, S. 87; Friedman, II, S. 98-103). Schon während des Ersten Weltkriegs hatte Ragaz Buber geschrieben, um ihm in Anerkennung seiner neuen Einstellung zum Kriegsgeschehen, die in Bubers Aufsatz »Zion, der Staat und die Menschheit« (Der Jude, Heft 7 1916, S. 425-433; jetzt in: MBW 3, S. 307-320) und in dem von Hermann Glenn (Pseudonym von Chaim Hermann Müntz (1884-1956)) ebenfalls in Der Jude, Heft 4 1916, S. 209-212 veröffentlichten Aufsatz »Imperialismus und Judentum« zum Ausdruck kam, »von Herzen die Hand« zu reichen (Brief vom 6. November 1916, in: B I, S. 457; vgl. Friedman, I, S. 221). Buber schlägt vor, über »Menschenliebe und Gottesliebe im Chassidismus« bzw. »Mensch und Gott in der jüdischen Mystik« zu sprechen (Brief an Leonhard Ragaz vom 28. März 1923, in: B II, S. 165). Ragaz hatte für Buber in der Tat eine kleine Vortragsreise organisiert, wobei dieser auch in Basel, Bern und Genf Reden hielt. Anfang Dezember 1923 befand sich Buber wieder in Zürich, um dort

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einen Vortrag vor dem Psychologischen Club zu halten. Der Titel des Vortrags lautete »Von der Verseelung der Welt« (jetzt in: MBW 10, S. 2936), hätte aber – so Buber – wissenschaftlich, also weniger unmittelbar ausgedrückt auch »Psychologie und Ontologie« heißen können (Brief an Hans Trüb (1889-1949) vom 18. Oktober 1923, in: B II, S. 172; jetzt in: MBW 10, S. 159; ein Entwurf des Vortrags wurde in Nachlese abgedruckt, S. 146-157). Buber hielt seine Vorträge um diese Zeit nicht selten frei. Es wundert daher weniger, dass kein Manuskript von »Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung« auffindbar und nur ein Typoskript überliefert ist. Den Vortrag selbst hielt Buber laut dem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung »im überfüllten Auditorium Maximum der Zürcher Universität […]. Der bedeutende Dichterphilosoph und Mittler mystischer Weisheit aus Westen und Osten mit dem schwarzbärtigen Antlitz eines russischen Popen stieß in fast völlig freiem Vortrag zu einer Eindringlichkeit der Formulierung vor, die für die Hörer, nicht zuletzt dank dem improvisatorischen Ringen um den Ausdruck, zum hohen Genuß wurde.« (Neue Zürcher Zeitung, Zweites Abendblatt, Nr. 1678, 3. Dezember 1923, S. [1], MBB 291.) Es schließt sich dann eine Zusammenfassung der »Hauptgedanken seiner Rede« an. Vergleicht man die Mitschrift H mit dem Typoskript und dem Bericht in der NZZ, so fällt auf, dass die Überlegungen zur Kunst einen größeren Raum einnehmen. Das Problem des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion scheint Buber zu Beginn der zwanziger Jahre besonders beschäftigt zu haben, war es doch schon lange im emphatischen Unterschied zwischen Erkennen und Erleben einigermaßen vorgebildet. Schon der oben erwähnte zwiefache Vorschlag des Titels für seine frühere Zürcher Rede lässt deutlich erkennen, wie sehr es ihm damals um die Frage der Grenze – nach wie vor auch in sprachlicher Hinsicht – zwischen den Gebieten von Wissenschaft und Religion zu tun war. Dies hängt wohl damit zusammen, dass er 1923 einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt a. M. erhielt – Rosenzweig musste ihn wegen seiner Krankheit ablehnen –, wo er über jüdische Religionswissenschaft und jüdische Ethik lehren sollte. Im Sommer 1924 las er über das Thema »Wie ist Religionswissenschaft möglich?«. Um Prinzipielles ging es ihm also von Anfang an. Nachdem Buber sein dialogisches Denken entwickelt hatte, konnte er sich dem Problemfeld zuwenden, wie die Beziehung zwischen Religion oder Ethik und der Welt zu verstehen ist. Mit diesem Text stehen wir schon deutlich jenseits der Wende zum dialogischen Denken. In den Werken zu Mythos und Mystik schlägt Buber einen unüberhörbar neuen Ton an, der auf Gedanken beruht, die er erst

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in den frühen Zwanziger Jahren entworfen hatte. Nicht zufällig fällt der Vortrag in dasselbe Jahr, in dem Ich und Du (1923) erschien, der erste und wohl bedeutendste Ausdruck seiner reiferen Philosophie. »Das religiöse Verhältnis«, schreibt Buber nun hier, »ist ein Verhältnis von Ich und Du« (in diesem Band, S. 221). Dagegen setze Wissenschaft stets ein Subjekt-Objekt-Verhältnis voraus. Spricht er im Aufsatz von einer derartigen zweifachen Haltung, die wir in allem Leben an den Tag legen, so übernimmt er ein zentrales Wort aus dem gleichzeitig erschienenen Buch. In Worten wie »Begegnung«, »ausschließliche Beziehung« und »Gegenseitigkeit«, die im Aufsatz anzutreffen sind, spiegelt sich die Sprache wider, die gegen 1920 zunehmend hörbar wird und sich dann in der Beschreibung des dialogischen Prinzips in Ich und Du endgültig herauskristallisiert. Wirklichkeit ist hier weder in der Welt noch im Subjekt allein, weder in der Materie noch im Geist, sondern ist, oder besser: geschieht zwischen den beiden Sphären, »zwischen Ich und Du« (in diesem Band, S. 221). Was man Bubers Ontologie des Zwischen genannt hat, lässt sich in diesem Text deutlich erkennen. Das »Zwischen« taucht hier zum ersten Mal als zentraler Begriff auf, auch wenn es in Form des Zwischenmenschlichen im Geleitwort zu der von Buber herausgegebenen Sammlung Die Gesellschaft vorweggenommen wurde. (In: Werner Sombart, Das Proletariat. Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien, Bd. 1, hrsg. von Martin Buber, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1906, S. XIVf.; auszugsweise abgedruckt in Kohn, S. 310-313.) Im Folgenden durchzieht die Sphäre des »Zwischen« sein ganzes späteres Werk. Nicht nur in Hinsicht auf die Bestimmung der Wirklichkeit ist der Vortrag mit der gleichfalls 1923 entstandenen Vorrede Bubers zu den Reden über das Judentum eng verwandt. Dort reagiert er auf Deutungen seiner früheren Reden, die er zwar zum größten Teil für Missverständnisse hält, aber zugibt, dass er zu solchen, wenn auch »unwissentlich«, beigetragen haben könnte (Buber, »Vorrede«, in: JuJ, S. 7). Darum sieht er seine Aufgabe darin, weiteren vermeintlichen Fehldeutungen dadurch vorzubeugen, dass er nun »um so nachdrücklicher auf die Dimensionen der Wirklichkeit« hinweist. Zu diesem Zweck nimmt er dort auf, was er im Vortrag über Cohen sagt. Gegen die ihm zugeschriebene Meinung, Gott werde in der Menschenseele, stellt er die vorausgehende »Urgewißheit des göttlichen Seins« (ebd., S. 8). Anders zu verfahren sei nichts als »ein verblasener Mißbrauch des Gottesnamens«. Nur aus dieser Urgewissheit vermöchten wir an das geheimnishafte Werden Gottes zu rühren. Das Wort Verwirklichung hätte also zunächst nur dann einen Sinn, wenn es sich auf menschliche Empfindungen bezieht. Ohne den Schluss zu teilen,

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den Cohen daraus zieht – Gott habe keine Wirklichkeit –, möchte Buber doch einräumen, dass Cohens Beschränkung der Wirklichkeit auf die »Beziehung des Denkens auf die Empfindung« zumindest einen solchen Missbrauch vermeidet. Dennoch will Buber über den Begriff einer »relativen, gottfernen Wirklichkeit« hinausgehen, denn wir leben in einer »Gott-Welt-Fülle«, wogegen ein System wie das von Cohen eine Trennung von Denken und Empfinden verabsolutiere. Was eigentlich nur eine relative, funktionelle Zweiheit sei, werde in eine absolute verwandelt, womit der Empfindung alles Recht auf eine Beziehung zu Gott abgesprochen wird. Der Vortrag bleibt vom Anliegen Bubers nicht unbeeinflusst, sich gegen Missverständnisse zu schützen und seine Stellung präziser darzutun. Nachdem er mit Ich und Du endlich volle Einsicht in das dialogische Leben erlangt hatte, wollte er anscheinend seine früheren Arbeiten soweit wie möglich mit der neugewonnenen dialogischen Konzeption in Einklang bringen. Seine Entwicklung will er als eine einheitliche verstanden wissen: seine jetzige Stellung dürfe man als eine »Klärung« des Früheren, nicht als eine »Bekehrung« bezeichnen. An einer solchen Klärung ist Buber in der Vorrede und in anderen Schriften aus diesem und den darauf folgenden Jahren gelegen. In diesem Zusammenhang ist auch der vorliegende Vortrag zweifellos zu sehen. Textzeugen: H: Eine Handschrift (Arc. Ms. Var. 350, Beth 40a) im Umfang von 14 Seiten – auf der ersten Seite mit folgendem Vermerk versehen: »Nov. 28. 1923 vor der Studentenschaft Zürich« –, die eine Mitschrift des Vortrags von fremder Hand ist. Die Handschrift entspricht dem Typoskript ihrem Inhalt nach, jedoch nicht syntaktisch. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 40a); 11 paginierte Seiten; ohne Datum; mit vereinzelten handschriftlichen Tippfehlerkorrekturen versehen, vermutlich von fremder Hand. TS weist weder Unterschrift noch andere Kennzeichen auf, die zweifelsfrei folgern ließen, dass es einem vermutlich verlorengegangenen Manuskript Bubers folgt oder zumindest von ihm gelesen wurde. Ein eindeutig von Buber autorisiertes Typoskript konnte nicht ermittelt werden. Dessen Vorhandensein scheint zweifelhaft, da Buber es derzeit oft vorzog, bei Ansprachen und Vorträgen ohne fertigen Text zu sprechen. Die Tatsache, dass TS unterhalb des Titels die Angabe »Vortrag gehalten von Dr. Martin Buber an der Universität Zürich am Mittwoch, den 28. Nov. 1923.« führt, spricht dafür, dass es sich um eine möglicherweise stenographisch hergestellte Mitschrift handelt.

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d: Neue Zürcher Zeitung. Abendblatt, Nr. 1678, 3. Dezember 1923 (MBB 291), zusammenfassender Bericht des Vortrags. Druckvorlage: TS Variantenapparat: 218,10 moralisches] berichtigt aus moralischen 219,40 aesthetische] berichtigt aus aestetische 222,30 es] berichtigt aus ist Wegen der erheblichen Abweichungen von H und d werden im Folgenden sowohl H als auch d abgedruckt. Abdruck von H: Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung Nov. 28. 1923 vor der Studentenschaft Zürich Das Thema führt uns in die tiefste Problematik hinein. Wir sollen die relig. und wissenschaftl. Welterfassung abgrenzen. Weltanschauung ist zu sehr vom eigentlichen Sinne abgezogen. Wir bekommen etwas mit der Welt zu tun, dann, wenn man etwas von ihr fasst, nicht aber, wenn man über sie meditiert. Nun stellt sich uns die Frage: inwiefern gibt es wissensch. und relig. Erfassung der Weltwirklichkeit? Was haben diese miteinander zu tun? Gehen wir von Kant aus: Kant wird nicht müde, in all seinen Schriften das Verhältnis von Wissen – Glauben durchzuführen. Diese Versuche sind dadurch eigentümlich, dass sie den Bereich der relig. Welterfassung auf etwas zurückdrängen, was nicht mehr Welterfassung ist, was nicht mehr Wirklichkeit ist. Gott ist hier eine Substanz; es kommt zu einer Verdinglichung der Religion, zu einem bloss moralischen Verhältnis von Gott – Mensch. Die Wirkung dieses seltsamen Vorganges ist die Zurückdrängung des relig. Wirklichkeitsanspruches. In den vielen verschiedenartigen Versuchen, das Problem zu behandeln, ist das das Gemeinsame, dass der Religion wohl ihre Sphäre postuliert wird, diese Sphäre sich aber als fiktiv erweist. Man will die Religion vor Veräusserlichung bewahren, ihre Realität sichern, dass sie nicht mit der empirischen Tatsächlichkeit verwechselt wird. Das, was den Sinn und Grund der Religion ausmacht, das Verhältnis von Mensch und Gott wird verdünnt und aufgelöst. Das ist die eigentliche Problematik unserer Zeit. Gehen wir nun zu den verschiedenen Theorien über.

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Da ist die Lückentheorie, aus der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung hervorgegangen. In dem Weltbild der Naturwissenschaft gibt es einige notwendige Lücken, die die Wissenschaft nicht auszufüllen imstande ist. Z. B. die Entstehung des organischen Lebens, das Grundverhältnis von Seele und Körper. Diese Lückenprobleme sind von der Religion auszufüllen. Dagegen protestieren sowohl der wissenschaft. wie der relig. Geist mit gleichem Recht. Die Wissenschaft muss den Anspruch erheben, dass diese Probleme in einer möglichen Entwicklung beantwortet werden. In ihrem Bau kann die Wissenschaft grundsätzlich keine Lücken anerkennen. Der relig. Geist protestiert nicht mit geringerem Recht. Gott ist nicht dazu da, dass wenn man ein Problem nicht wissenschaftl. lösen kann, dass man es auf ihn zurückführt als das Unbekannte; das ist eine Verfehlung. Zweiteilungstheorie: Innerhalb der Begebenheit wird unterschieden zwischen Natur und Geist. Alle diese Teilungen führen niemals zu einer Grenze, zu dem, was nicht Wissenschaft ist, nur zu einer Grenze zwischen den Wissenschaften. Keinesfalls kann durch solche Linienziehung durch das Sein ein Sonderbereich der Religion herausgelöst werden. Man sagt, die Wissenschaft sei auf die Erfassung der Tatsächlichkeit angewiesen, aber die Deutung der Tatsachen sei Sache der Religion. Religion habe es nicht mit den Tatsachen, sondern mit dem Sinn der Tatsachen zu tun. Sie unternimmt ein Weltbild zu formen und das in der Tatsächlichkeit Unverbundene durch Deutung zu verbinden. Wenn Religion das tut, so ist das nicht Religion, sondern schlechte Metaphysik. Die Anpassungstheorie: Die Philosophie passt sich rechtmässig dem Stande der Wissenschaft an. Sie findet immer ein neues Material vor, das sie zu bearbeiten hat. Wenn Religion das gleiche versucht, so verrät sie ihre Aufgabe. Die Anpassungsversuche werden im 19. Jahrhundert vielfach: zur Zeit, als die Evolutionstheorie siegreich zu sein schien, da gab es viele Auffassungen, die dahin gipfelten, dass Religion nur Evolution sei, nur in der Entwicklung liege. Das ist eine Verwechslung zweier Gebiete. Die Religion, von der hier die Rede ist, geht nicht vom Wirklichen aus, sondern von der Peripherie, nicht von Leuten, die Religion hatten, die sich ans Wirkliche anschloss. Dann die Verschiedenheit der seelischen Funktionen: die Zweiteilung wird nun da in die Seele verlegt. Die Wissenschaft ist eine Betätigung des Denkens, die Religion eine Sache des Gefühls. Das ist Schleiermachers Auffassung. Charakteristisch ist hier: Wie gelingt es, das entscheidende Problem, das Problem der Wahrheit zu bewältigen? Die Wahrheit kommt nie aus dem Psychologischen heraus, aus dem, was im Menschen geschieht, sondern was im Menschen und zwischen ihm und dem, was

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nicht Mensch ist, geschieht. Gefühl ist etwas, was mehr als ein anderes psychisches Element in der Dynamik der Seele steckt. Das Gefühl ist umrisslos, von andern Elementen umlagert; Gefühl ist stets in Skala, ist ein bestimmter Moment in einer Skala, nicht etwas qualitativ Gegebenes. Gefühl ist ein polares Phänomen, gegensatzbedingt, steigerungs- und abnahmefähig. Zu jedem Gefühl gehört sein Gegensatz; Gefühl kann nicht der Grund sein, worauf die relig. Wirklichkeit sich aufbaut. Das religiös Wirkliche muss Schwankungen enthoben sein, nicht flüchtig, nicht von 2 Gegensatzpolen bewegt werden. Wohl kann das religiös Wirkliche von Gefühlen begleitet [sein], vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl im Sinne von Schleiermacher, von einem schöpferischen, mitbauenden, von einem Mittätigkeitsgefühl. Doch kann es nie eindeutig sein. Wie immer auch die Begleitung ist, das Faktum selbst ist nicht gefühlshaft. Diese ganze Auffassung ist eine Relativierung der absoluten Beziehung. Diese Schwierigkeit besteht nicht in der Ü b e r b a u s t h e o r i e : Alles was Wissenschaft und Philosophie hergeben, wird Überbau, der gewöhnlich Überbau der Werte ist. Die ganze Realität ist schlechthin der Unterbau, worüber sich die Welt der Werte erhebt. Es ist der Gegensatz der realen Welt, der Welt der Dinge und der Welt der Idee. Für die Metaphysik kann das wichtig sein, für das religiös Wirkliche ist das unwirklich, belanglos. Für das Grundfaktum des relig. Lebens ist die entscheidende Voraussetzung die Gegenseitigkeit, worin der Mensch zum Göttlichen in Beziehung steht. Das Moment der Gegenseitigkeit darf nie fehlen. Hier in dieser Theorie ist nur ein einseitiges Verhältnis. In einzelnen dieser philos. Systeme findet sich ein Widerspruch. Cohen: bei ihm finden wir eine Correlation zwischen Mensch und Gott, und doch kann er anderseits Gott die Wirklichkeit absprechen. Eine Correlation kann es hier also nicht geben, denn Beziehungen finden sich nur in der Wirklichkeit. Wenn eine Wirklichkeit da ist, so kann sie mit uns in einer Beziehung stehen. Unsere Wirklichkeit ist eingetan in eine grosse Wirklichkeit, wir können keinen Schnitt ziehen zwischen der Wirklichkeit und der Ideenwelt. Wozu eine Beziehung besteht, da muss auch etwas Wirkliches sein, das zu uns in ein Verhältnis treten kann, das uns ansprechen und von uns angesprochen werden kann. F i k t i o n s t h e o r i e : Das ist die Theorie, die den Standpunkt des »als … ob« vertritt (Vaihinger). Diese F-Theorie geht dahin hinaus: Religion sei lebensfördernd. Der Mensch muss sich an einen letzten Halt klammern können, das entlaste das Leben. Zu einer vollständigen Kultur gehöre auch die religiöse Sphäre. Die Conception solcher übermenschl. Grössen sei in dem Kulturschöpfungsprozess ein wesentliches Element.

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Wegen der Einheit des Geisteslebens sei es nötig, dass dieses Element des Geistes die übrigen Faktoren des Lebens zusammenbinde; oder es wird gesagt, um der Fundierung des moralischen Lebens willen sei Religion anzuerkennen, denn sie verkläre den Anspruch unseres Gewissens und befestige in uns das Gefühl für das Unbedingte, für das vom Menschen unabhängig Absolute. Allen diesen Theorien ist gemeinsam, dass das relig. Leben als brauchbare Fiktion angesehen wird, man soll so handeln, als ob ein Gott und eine andere Welt wäre. Dieses a l s o b ist die eigentliche Unanständigkeit. Wenn das Religiöse als Fiktion erkannt wäre, so müsste es unser innerstes Bestreben sein, es so schnell wie möglich loszuwerden; alles Andere ist menschenunwürdig. Die ganze Frage der Religion ist eine Frage der Wirklichkeit. Als eine andere sie zu behandeln, heisst sie degradieren. Aus dieser Hörigkeit muss die Religion freigemacht werden. Welches ist der Unterschied zwischen wissenschaftl. und religiösen Aussagen. Alle wissenschaftlichen philosophischen Aussagen sind der Absicht nach eindeutig – ihr Gegenteil schliesst sich aus – sie stehen unter der Herrschaft des Satzes der Identität. Alle wirklich religiöse Aussage steht nicht unter diesem Satze. Es gibt keine religiöse Aussage, die über den blossen Satz: [»]das Seiende ist« hinausgeht, die nicht selbst in ihrer eigenen Bewegung das Gegenteil fordert. Es kann von Gott nichts ausgesagt werden, dessen Gegenteil nicht wahr wäre. Wenn gewagt wird von Gott in der 3.ten Person zu reden, so ist das eine Vermessenheit des Geistes, so zu reden. Dieser Vermessenheit muss sich aber der Mensch bedienen: Er weiss, zu jeder Aussage gehört auch der Gegensatz. Wir wissen von unserem Leben, dass es sich entscheidet in Freiheit. Das ist ein unmittelbares Wissen. Demgegenüber ist alle Philosophie ohnmächtig. Dann wissen wir aber auch: es ist über mich bestimmt. Ich bin anheim gegeben. Beides widerspricht sich und gehört doch zusammen. Ich bin anheim gegeben. Wer das aus der Wirklichkeit seines Lebens w e i s s , der weiss, was Religion ist. Es besteht nicht zurecht, wenn man von Gott sagt, er sei unpersönlich, und nicht zurecht, wenn man sagt, er sei Person. Nur beides zusammen besteht zurecht. Transcendenz und Immanenz sind perspektivische Sehweisen; das eine oder das andere ausschliesslich herausheben, heisst Gott relativieren. Jede religiöse Aussage ist ein Wagnis, kann immer nur als etwas geschehen, was nicht sein kann. Geschieht am Rande. Wenn wir von der Aussage zurückgehen auf den Aussagegrund, so stossen wir auf die entscheidende Differenz. Alle Wissenschaft geht aus von einem Wissen: ich weiss, d a s s dies geschieht, dass dies ist. Wenn wir nun glauben, nicht im kantischen Sinne als Zwi-

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schending von Wissen und Meinen erfassen, sondern nach der Wirklichkeit dessen, was uns Menschen als Glauben widerfährt. Glauben »d a s s « ist abgeleitet. Die eigentliche Wirklichkeit des Glaubens kann nicht durch das »dass« ergänzt werden: Ich glaube, d a s s Gott ist, ist eine abgeleitete Glaubenswahrheit, sekundär, und berührt nicht das Wesen des Glaubens als Wirklichkeit. Er ist ein Ereignis, nicht eine Erkenntnis, ein Verbundensein zwischen Mensch und Gott. Man nimmt dieser Verbundenheit ihre Essenz, wenn man sie erkenntnismässig umschreibt. Was bedeutet dies? Für die Wissenschaft ist das Sein erforschlich. Nichts Unerforschbares erkennt man. Für das religiöse Grundverhältnis ist alle Erforschung des Erforschbaren im Vorhof des wirklichen Lebens. Für den frommen Menschen ist das Sein, in das er hineingestellt ist, ungeachtet der Anerken[nun]g und Acht[un]g für die Arbeit der Erforschbarkeit, ist in seiner Wesenhaftigkeit Geheimnis, nicht Geheimnis, das noch unerforscht ist = Agnosticismus, sondern wesenhaftes Geheimnis, dessen Wesen es ist, unerforscht zu sein. Die religiöse Grundhalt[un]g steht in einem doppelten Verhältnis zu dem Geheimnis; e r s t e n s in der Ehrfurcht, es ist dies die schlechthinnige Anerkennung der Wesenhaftigkeit des Geheimnisses des Allesseins, in dem wir leben, uns regen und sind. Zweitens: dass wir von diesem Geheimnis nicht getrennt sind; dass zwischen uns und dem Geheimnis eine unmittelbare Beziehung besteht und bestehen kann: die Möglichkeit, die ewige Möglichkeit der unmittelbaren Beziehung zwischen mir und Gott, im Sinne der Gegenseitigkeit. Das scheint mir die Voraussetz[un]g der religiösen Halt[un]g zu sein. Von Wissenschaft unterscheidet sie sich, dass es kein subjekt-objekt-Verhältnis ist, kein Verhältnis des erkennenden Subjekts zum erkan[n]ten Gegenstand: Ich und Es. Die Verbundenheit zwischen Mensch und Gott ist kein subjekt-objektives Verhältnis, sondern ein gegenseitiges Verhältnis von: Ich und Du. Ein Mensch kann Wesen als Objekte seiner Erfahrung, seines Gebrauches betrachten. Der Mensch kann sich umlagert fühlen von Dingen oder bekom[m]t zu einem Dinge die ausschliessliche Beziehung, die Gegenseitigkeit, die 2 Wesen so umwallt. Die Bezieh[un]g zwischen Mensch und Gott ist eine unmittelbare Bezieh[un]g, die alle andern eint. Noch einmal: Mit Bezieh[un]g ist Wirklichkeit gemeint, nicht etwas, was dem Mensch eigen. Der Ort der Vorgänge ist nicht im Geiste des Menschen; er begiebt sich zwischen Ich und Du. Hier muss er also aus den Denkgewohnheiten heraustreten. Alle Psychologie ist Brech[un]g, Widerspiegelung des Wirklichen, geschieht zwischen Wesenheit + Wesenheit[,] zwischen Gott und mir. Wenn ihm die Begegnung mit dem Göttlichen vergön[n]t ist, so sei das selten, dass er der Ichheit enthoben werde. Gott ist aber dem Menschen stets gegenwärtig.

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An der Gegenwart Gottes fehlt es nicht; es fehlt nur an der Gegenwärtigkeit des Menschen. Gottfern ist Ferne des Menschen von Gott, nicht Gottes vom Menschen. Das Gefühl zeigt an, dass sich Ganzheit in der Seele bilden will. Gefühl ist immer Anteil der Seele am Ganzwerden, ein Hinweis, dass die Seele sich zusammenschliessen will, dass sie nicht mehr Funktionen hat, dass sie geeint grenzenlos ist, Einswerden durch Wesenheitswerden der Seele, so dass sie zu Gott in Beziehung treten kann. Hierin liegt die relative Berechtigung der Gefühlstheorie. Der religiöse Vorgang ist ein Erfassen des Seins und des Weltseins. Dieser Vorgang ist nie von der persönlichen Situation des Menschen abgezogen. Mit jetzt und hier tritt der Mensch in die Wirklichkeit ein. Das religiöse Leben ist eine Erfassung der dem Menschen gegenüberstehenden Welt, aber nicht als ein Objekt der Erkenntnis. Wenn ein Mensch mit einem Menschen wahrhaft redet, eine wirkliche Sprache führt, dann erfasst der Mensch den andern Menschen; so erfasst der Mensch die Welt als Gottessprache. Er weiss sich angesprochen. Die Welt ist das Wort mit dem er angesprochen wird. Die Welt als Sprache ist nicht übertragbar. Verständlich ist der Sinn, den er empfängt, nicht die übermittelte Aussage. Der Mensch erfasst die Welt im religiösen Leben anders, als er sie sonst erfassen kann. Er erfasst jedes Ding ursprunghaft, dass mit dem Ding der Ursprung des Dinges offenbar wird, nicht im Sinne des cosmologischen Gottesbeweises. Der Mensch erfasst in jedem Ding die Ursprunghaftigkeit des Dinges. Er erlebt die Schöpfung der Dinge. Er erfasst den Schöpfungscharakter der Dinge. Da ist ein Wort von Kant, das merkwürdigerweise in einer jener Schriften steht, welche so viel Anhaltspunkte für die Fiktionstheorie bot: »Wir schauen die Dinge in Gott«. Dass wir die Dinge in Gott im Ursprung schauen, dass wir an ihrer Schöpfung teilhaben, das bedeutet ein wirkliches Verbundensein. Das wirkliche religiöse Leben ist nichts Contemplatives; es umfasst das ganze Leben des Menschen; es ist nichts Anderes. Es ist nicht so, dass wir aus unserem Leben weggehen müssen. Als religiöse Menschen leben wir mit den Dingen. Wir fassen sie, indem wir sie lieben und heiligen. Im ganzen Leben ist dann nichts unheilig; jede Handlung ist heilig, durch die Stärke und Weite des Gerichtetseins auf Gott. Alle Dinge heiligen sich in ihm. Das ist Welterkennen, wie es ein Urwort des biblischen Berichts in der Genesis berichtet: ein Erkennen der elementaren Verbundenheit, eine unmittelbare Beziehung zwischen Ich und Du. In einer rechten Ehe erkennen sich Mann und Frau so, wie es zwischen Subjekt und Objekt nicht möglich ist. Es geht auf, was man nicht erkennen kann, wenn der andere ein Er ist. Dieses Liebesverhältnis ist das religiöse Grundverhältnis zu den Dingen. Was in der jüdi-

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schen Trauformel der Mann zum Weibe sagt: »Du bist mir geheiligt«, das sagt der religiöse Mensch zu allen Dingen. Durch diese Verbundenheit wird alles geheiligt, und diese Heiligung ist im Erfassen, eine Erfassung jenseits vom Subjektiven und Objektiven. Es ist eine Erfassung in eben diesem Sinne der Verbundenheit. Neues Blatt: Der Geist des Menschen, der im religiös Wirklichen steht, der erfasst an dem Punkt, wo alle diese geistigen Sphären einmünden und sich aufheben im Einswerden der geistigen Sphäre, da erfasst er das Seiende und sich vor dem Seienden. Religion ist nicht eine der geistigen Sphären, nicht die Verbundenheit der Vielheit zu einer Einheit, sie tut die geistige Sphäre nicht zur Einheit zusammen. Sie ist zur Vielheit die Einheit, wie zur Vielheit der Farben das weisse Licht die Einheit ist. Religion ist die Einheit, alle kehren zu ihr zurück. Sie tut die Sphären nicht zusammen zu der Einheit, sie heben sich an ihr auf und gehen ermächtigt von ihr aus – neu entsendet gehen sie aus. Es gibt Zeiten, wo alle geistig. Sphären sich verbinden, wo die religiöse Kraft alles durchdringt, Zeiten, wo die geistig[en] Sphären Eigenbezirke ausbilden mit ihrem Eigenrecht und ihren Eigenmethoden, wo sie jede für sich Welten bilden, Welten der Sittlichkeit, des Rechts etc. Es gibt Zeiten, wo der Künstler keinen künstlerischen Selbstzweck hat, wo er nicht bestrebt ist, den Menschen abzubilden, sondern wo er ihn ins Bleibende hineinstellt. Es gibt aber auch Zeiten, wo die Kunst aus ihrer Verbundenheit heraustritt, sich selbst künstlerische Zwecke setzt. Somit kommt sie immer näher an den Punkt, wo ihr Selbstzweck sinnlos wird, so sie eintauchen muss in das, was ihre Grenzen übersteigt, vorerst dass sie an? Techniken leisten soll, was über ihre Grenzen hinausgeht. Weil sie das letzte ausdrücken will, kommt sie zur Auflösung und kann nur wieder Erneuerung finden, durch ein volles Wiedereintauchen ins Religiöse. Heute besteht eine Tendenz zu einem modernen Polytheismus. Jede Sphäre hat ihren Gott, doch krankt der Mensch daran, dass er Gott nicht gross genug fasst. Dieser Polytheismus zerschellt und endet am wahrhaft Göttlichen. Jede dieser Sphären ist vergänglich; in ihr liegt der Keim der Auflösung. Sie muss stürzen, das gehört zu ihrem Wesen und macht ihren Weg aus. So auch bei der Wissenschaft; aus religiösem Ursprung ist sie gekommen und taucht wieder ins Religiöse unter. Die Sonderaufgabe, die der Wissenschaft gestellt ist, ist: Die Welt zu ordnen. Das ist auch ihre Grenze; sie mag ja die Weltordnung im letzten nicht zu erkennen. Sie hat es mit der Erkennbarkeit der Dinge zu tun – selbst d i e Wissenschaft, die auf letzte Elemente reduziert, kann nur auf einer geordneten Welt fundieren. Ein Dualismus zwischen Religion und Wissenschaft besteht nicht, so wenig wie zwischen der Einheit des Lichts und den Farben. Re-

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ligion ist Einheit, nicht eine geistige Sphäre. Wissenschaft dagegen ist eine Sphäre. – Das religiöse Leben hält in der Wissenschaft die Problematik wach, das Grenzbewusstsein, den hypothetischen Charakter des wissenschaftlichen Empfindens. Die Wissenschaft erneuert sich an der Religion, tritt neu ermächtigt aus ihr hervor. Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch eine wachsende Diskrepanz von Weltbegriff und Weltvorstellung, durch das Werk der Wissenschaft selbst: sie macht durch die Welterforschung die Welt immer unvorstellbarer. Das beobachten wir bei der Relativitätstheorie. Die Relativitätstheorie opfert die Weltvorstellbarkeit, macht es immer unmöglicher, die Welt im Bilde zu erfassen. Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft gehen miteinander, sie geben nur Teilconceptionen. Nach einer Richtung tut die Naturwissenschaft, indem sie die Sinnenwelt reduziert, auf letzte Elemente (Stoff, Kraft oder Bewegungsverhältnisse) zurückführt, was die Wissenschaft auf anderer Seite tut. Unfassbar in ihrer excentrischen Bezogenheit aufeinander, unfassbar werden sie nur in der schlechthinnigen wirklichen Gotteswelt, in der Wirklichkeit Gottes selber. Die Wissenschaft führt uns an die Schwelle der Erkenntnis, dass unsere Wirklichkeit eingebettet ist in die Wirklichkeit Gottes. Dieses Tauchen der geistigen Sphäre in die Wirklichkeit gehört zu ihr wie ihr Abgrenzen zu eigener Existenz. Das Wort Goethe’s von den zweierlei Gnaden, die im Atemholen sind, fällt uns da ein. Es gibt eine Es-Welt und eine geeinte Du-Welt. Es ist das Ausatmen und Einatmen des Geistes. Beides gehört zusammen in ihrer doppelten Bewegung. Abdruck von d: Was haben wissenschaftliche und religiöse Welterfassung, sofern es sie gibt, miteinander zu tun? Die Frage umschließt ein entscheidendes Problem, wie besonders an Kant zu sehen ist, der nicht müde wurde, die Bereiche von Wissen und Glauben abzugrenzen. Fast allen seinen Versuchen ist es eigentümlich, daß er die Sphäre der religiösen Wirklichkeit von der Weltwirklichkeit abdrängt, ihr aber gleichwohl den Anspruch auf den Namen Religion verleiht. Seine Haltung wurde für die spätere philosophische Entwicklung maßgebend, die ebenso den Bereich der Religion postuliert, ihn aber fiktiv bleiben läßt. Das kam einer Verdünnung und Auflösung des wirklichen Verhältnisses von Menschlichem und Göttlichem gleich, in der die eigentliche Problematik unserer Zeit liegt, welche sich in ihren Systemen ebenfalls vergeblich um eine Einheit bemüht. Da ist, wie Buber geistreich summierend sagte, die »Lü ckent heo r i e«: sie geht von der Naturwissenschaft aus und bleibt bei dem

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Satze stehen, daß in ihrem Weltbild einige Lücken vorhanden seien, die nur von der Religion ausgefüllt werden könnten (Entstehung des organischen Lebens, Verhältnis von Seele und Leib usw.). Besonders die Religion protestiert dabei mit Recht, daß Gott nicht dazu da sei, als vage Benennung dieser dunklen Restbestände zu existieren. Die »Zwei tei lu ng s t heo r i e« unterschiedet deshalb zwischen Natur und Geist, Allgemeinem und Einmaligem und verteilt diese Hälften, ohne zu bedenken, daß sie damit nur innerhalb der Wissenschaft eine Grenze zieht. Dieser Zwiespalt wird wieder so beseitigt, daß der Wissenschaft die Behandlung der Tatsächlichkeit der Welt, der Religion die Erkenntnis ihrer Bedeutung zugewiesen wird. Die Religion, die daraus resultiert, ist aber nicht mehr als eine schlechte Metaphysik: denn die Anpassung an das Wissen der Zeit, welche die letztere mit Recht vollzieht, wird bei der Religion zum Verrat an ihrer innersten Aufgabe, der zu den geschichtlich bekannten theologischen Kompromissen führt. Andere wieder sagen, Religion gehöre zu einer »kompletten Kultur«, oder sie sei um der Einheit des Geistes willen, auch etwa zur Fundierung des moralischen, ästhetischen Lebens usw. nötig. All diese Auffassungen sehen im religiösen Leben eine Anzahl brauchbarer Fiktionen und geben den Rat, so zu handeln, als ob ein Gott wäre. Aber dies »Als ob« kann nur als die eigentliche Unanständigkeit des Geistes bezeichnet werden, die besser täte, ein so umschriebenes Religiöses sofort loszuwerden. Reli g i o n ist vielmehr eine Frage der Wirklichkeit. Die Aussagen der Wissenschaft unterstehen ausnahmslos dem Satz der Identität, die der Religion aber liegen außerhalb von ihm. Sie fordert auch das Gegenteil ihrer Aussagen. Ueber Gott kann nichts ausgesprochen werden, dessen Gegenteil nicht wahr wäre. Damit ist die Wirklichkeit des Religiösen dargetan, denn dasselbe gilt vom unmittelbar gelebten Leben, in dem das innere Freiheitsgefühl und die Ahnung schicksalhafter Bestimmtheit, also die äußersten Widersprüche, widerspruchslos hingenommen werden. Gott eine Person oder Gott unpersönlich: keine dieser Aussagen besteht allein zu Recht, sondern nur beide zugleich. Der Glaube ist nicht inhaltlich bestimmbar nach Art der Wissenschaft, die ein »Wissen, daß …« gibt. Ihm ist die umgebende Welt Geheimnis, nicht im Sinne der Lückentheorie, sondern dem Wesen nach Geh ei mni s . Die Haltung dem Geheimnis gegenüber ist eine doppelte, sie besteht aus Ehrfurcht und der Gewißheit, daß zwischen uns und ihm eine unmittelbare Beziehung besteht oder bestehen kann. Es ist nicht das wissenschaftliche Verhältnis eines Ich zu einem Es, sondern ein gegenseitiges von Ich und Du. Der Ort dieser Beziehung liegt nicht im Ich, sondern zwischen Ich und Du. An der Gegenwart Gottes fehlt es dabei ja nie, sondern nur an der

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des Menschen. Wird diese aber Ereignis, so verliert die Seele ihren komplexen Charakter und wird zur fugenlosen Ganzheit. Vorhandensein von Gefühl ist dabei immer ein Anzeichen, daß sich die Seele so zusammenschließen will. Gefühl drückt das Untergehen der Funktionen aus. Nun bleibt nichts draußen, nun wird die Seele an allen ihren Teilen des Ganzen teilhaftig. Sie bewährt sich an der ganzen Weite des Welt-Seins, und dieser Vorgang erfaßt ein Jetzt und Hier, die ganze persönliche Situation des Menschen wird von ihm ergriffen. Es ist ein Erfassen der Welt wie zwischen Freund und Freund. Auch hier geht wirkliche Sprache hin und her, die Welt spricht den Menschen an, ist ihm das Wort. Aber ihre Sprache ist unübertragbar, nicht in Aussagen zu vermitteln. Es läßt sich schwach so ausdrücken, daß der religiöse Mensch jedes Ding ursprunghaft erfaßt, mit jedem Ding seinen ewigen Ursprung erhält. Indem er die Dinge erfaßt, lebt er in der Schöpfung, dem kantischen Wort gemäß: »Wir schauen die Dinge in Gott.« Religion ist also nicht Kontemplation, sondern wirkliches, welthaftes Leben mit den Dingen. Wir erfassen sie, indem wir sie lieben, heiligen, so daß nichts unheilig bleibt und alle Dinge sich Gott weihen. Dies ist die Liebeserkenntnis Adams (»Und Adam erkannte sein Weib Eva«) und jeder wirklichen Ehe, in der jeder Teil den andern so erkennt, wie es in einem Subjekt-Objekt-Verhältnis nicht möglich ist. Es ist ein Innewerden aus Verbundenheit. Die Religion ist also nicht eine der geistigen Sphären, sondern ihrer aller Ei nhei t wie das weiße Licht die der Farben. Alle geistigen Sphären haben in ihr ihren Ursprung, kehren zu ihr zurück, heben sich auf an ihr und gehen dann neu in ihre Autonomien entsendet wieder von ihr aus. Es gibt Zeiten, wo alle auf die Religion bezogen sind, und andere, wo sie für sich existieren als eigene Welten, was die Geschichte der Kunst klar erweist. Auch heute haben wir die Tendenz zu solchem Polytheismus. Wir glauben so sehr an die Autonomie der einzelnen Sphären, daß wir keine gemeinsame Einheit mehr sehen. Wenn dabei noch jede ihre eigenen Götter haben soll (wohl eine Anspielung auf Bertram), so fassen wir Gott nicht groß genug. Denn die Sphären müssen einmal wieder ins Göttliche einstürzen, auch die Wissenschaft, deren Sonderaufgabe es war, die Welt zu ordnen. Dies ist auch ihre Grenze: sie kann nur Orientierung in dieser geordneten Welt geben. Das Verhältnis von Wissenschaft und Religion stellt also keinen Dualismus dar. Die Religion ist überall; in der Wissenschaft hält sie die Problematik wach, weist die Forschung auf den hypothetischen Charakter ihres Findens hin und ermächtigt sie dadurch neu. Heute im besondern erkennen wir eine immer noch wachsende Diskrepanz von Weltbegriff und Weltvorstellung. Die Wissenschaft selbst macht die Welt immer unvorstellbarer, perspek-

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tiviert sie in der Relativitätstheorie in einem Maße, das an Stelle eines Weltbildes nur noch Reduktionswelten übrig läßt. Damit führt uns die Wissenschaft selber zur Religion. Es ist ihre Selbstaufhebung, daß wir durch sie in das eine göttlich wirkende Leben eintauchen. Wie bei dem Goetheschen Bild von Systole und Diastole bezeugt dieser Wechsel von getrennter Es-Welt und geeinter Du-Welt in seinem unauflöslichen Wandel Gott. Wort- und Sacherläuterungen: 218,7-8 Immer wieder bis […] zwischen Wissen und Glauben] Vgl.: »Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen, […].« Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Vorrede zur zweiten Auflage, Riga 1787, in: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Akademie-Ausgabe), Bd. 3, Berlin 1911, S. 30. 218,10-11 »Gott ist keine äussere Substanz, […] moralisches Verhältnis in uns«.] Zitat nach Kant: Opus postumum: 1. Hälfte, in: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Akademie-Ausgabe), Bd. 21, Berlin 1936, S. 149. Das Zitat lautet im Original: »Gott ist also keine außer mir befindliche Substanz, sondern bloß ein moralisches Verhältnis in Mir.« 219,5-6 Die Wissenschaft hat es […] (Schleiermacher)] Nach Friedrich Schleiermacher ist Religion das »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit«; vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Bd. 1, Berlin 1821, § 9, S. 33-37. 219,18 Das wäre eine Relativierung der absoluten Beziehung.] Zur absoluten Beziehung vgl. Martin Buber, Ich und Du, S. 93: »In der Beziehung zu Gott sind unbedingte Ausschließlichkeit und unbedingte Einschließlichkeit eins. Wer in die absolute Beziehung tritt, den geht nichts Einzelnes mehr an, nicht Dinge und nicht Wesen, nicht Erde und nicht Himmel; aber alles ist in der Beziehung eingeschlossen.« 219,21-23 Die Realität ergibt den Unterbau […] und Welt der Ideen.] Die Termini »Unterbau« und »Überbau« stammen aus der marxistischen Theorie, wo sie zur Unterscheidung zwischen dem materiellen und dem ideologischen Bereich dienen. Zu Bubers Auffassung von Marx (1818-1883) vgl. Martin Buber, Das Problem des Menschen, Heidelberg: Lambert Schneider 1948 (ursprünglich eine Vortragsreihe gehalten 1938 an der Hebräischen Universität Jerusalem); zuerst erschienen in: Ders., Dialogisches Leben. Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften I, Zürich: G. Müller 1947; jetzt in: W III,

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S. 307-407; und Martin Buber, Pfade in Utopia, Heidelberg: Lambert Schneider 1950 (hebräische Ausgabe 1946), besonders der Abschnitt »Marx und die Erneuerung der Gesellschaft«, S. 147-177. Vgl. ferner Martin Buber, Drei Reden, in diesem Band, S. 229. 219,26-28 Es ist ein Widerspruch […] aus unserer Anschauung abgezogen sei.] Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1929, Nachdruck: Wiesbaden 1988, S. 95: »Die Korrespondenz zwischen Gott und Mensch erweist sich hier schon als eine Korrelation. Die Einzigkeit Gottes bedingt sein Verhältnis zur Vernunft des Menschen. Und die Vernunft des Menschen, als Schöpfung Gottes, bedingt sein Vernunftverhältnis zu Gott, daher aber auch den Vollzug dieses Vernunftverhältnisses in der Offenbarung, welche mitsamt der Schöpfung die Korrelation von Mensch und Gott begründet.«; ebd., S. 185: »Dieser Gott kann keine Wirklichkeit haben. Denn Wirklichkeit ist ein Beziehungsbegriff des Denkens auf die Empfindung. Diese Beziehung auf Empfindung aber ist vom Begriffe Gottes ausgeschlossen.« Vgl. auch Martin Buber, Vorrede (1923) zu Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1923, S. XVI-XVII; auch in: in JuJ, S. 8. 219,33-34 Die Philosophie des ›Als ob‹ stützt sich zumeist auf Kant.] Schlüsselwort des sog. Fiktionalismus, der von Kants Argument ausgeht, Gott, Freiheit, Seele seien bloß regulative Ideen, deren Realität angenommen werden muss, aber nicht bewiesen werden kann, weil sie niemals Gegenstände einer möglichen Erfahrung sein können. Sie sind also nach Kant immerhin notwendige Fiktionen oder Annahmen der Vernunft. Im Bereich der theoretischen Vernunft übernehmen sie eine regulative Funktion; im Bereich der praktischen Vernunft bilden sie den Grundsatz ab, jede Handlung müsse so getan werden, als ob es die regulativen Ideen gäbe. Diese Idee wurde – mit gewissen Abwandlungen – von Hans Vaihinger (1852-1933) in seinem Hauptwerk Die Philosophie des Als Ob (1911) popularisiert. 220,2-4 Es wäre viel anständiger […] in aller Haltlosigkeit noch bewahrt haben.] Vgl. die zur gleichen Zeit verfasste Vorrede zu den Reden über das Judentum, S. XII (auch in: JuJ, S. 5): »Gäbe es aber die religiöse Wirklichkeit nicht, gäbe es Gott nur in einer Fiktion, so wäre es eine Anstandspflicht des Menschentums, sie zu vernichten; denn ich kann mir nichts Schaleres und Unanständigeres denken als das sanktionierte Fingieren Gottes, und einer, der programmatisch so verfährt, ›als ob es einen Gott gäbe‹, verdiente (im Gegensatz zum rechtschaffnen Gottesleugner), daß Gott so verführe, als ob es ihn, den Fingierer, nicht gäbe.«

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222,7 wir schauen die Dinge in Gott.] Buber verweist hier fälschlicherweise auf Kant. Der Satz findet sich bei Ludwig Feuerbach und bezieht sich dort auf die Philosophie des Nicolaus Malebranche (16381715): »Es bleibt also nur noch die Ansicht übrig, daß wir alle Dinge in Gott schauen.« In: Feuerbach, Geschichte der neueren Philosophie von Bacon bis Spinoza, Kap. VII. Nicolaus Malebranche, § 103. Gott, das Princip aller Erkenntnis, S. 311. 223,31-32 Es ist eine ewige Systole und Diastole des Geistes.] Systole (griech. für »Einschränkung«, von systellein, »zusammenziehen«), Zusammenziehung des Herzmuskels; Diastole (griech. für »Trennung«, »Unterschied«), die auf die Systole folgende Erweiterung der Herzkammern. »Systole und Diastole sind Konkretionen des goethischen Polaritäts-Begriffs, die vorwiegend zur Beschreibung biologischer Prozesse herangezogen werden. ›Alle organische Bewegungen manifestiren sich durch Diastolen und Systolen‹ (WA II, 11, S. 290).« In: Goethe-Handbuch, hrsg. von Bernd Witte u. a., Bd. 4.2, Stuttgart u. Weimar 1998, S. 1034. 223,32-33 Hier gilt Göthes Wort von der zweierlei Gnade, die im Atemholen besteht.] Vgl. auch Goethes Verse aus dem West-östlichen Divan. Moganni Nameh. Buch des Sängers: »Im Athemholen sind zweyerley Gnaden: / Die Luft einziehn, sich ihrer entladen; / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt. / Du danke Gott, wenn er dich preßt, / Und dank’ ihm, wenn er dich wieder entläßt.« Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 3.1: West-östlicher Divan I, S. 15.

Das dämonische Buch Die Geschichte erschien als Bestandteil einer Festschrift für Anton Kippenberg (1874-1950), den Leiter des Insel-Verlags, anlässlich seines 50. Geburtstags. Buber entnahm die Legende der großen Sammlung von Anatole de la Braz (1859-1926) (La Légende de la Mort chez les Bretons Armoricains. Nouvelle Edition, Paris 1902, Bd. 1, S. 322-325 (Kapitel IX ›Le sort de l’ame‹)), in der folgende Passage zu finden ist: »L’Agrippa est un livre énorme. Placé debout, il a la hauteur d’un homme. Les feuilles en sont rouges, les caractères en sont noirs. Pour qu’il ait son efficacité, il faut qu’il ait été signé par le diable. Tant qu’on n’a pas à le consulter, on doit le maintenir fermé à l’aide d’un gros cadenas.

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Das dämonische Buch

C’est un livre dangereux. Aussi ne faut-il pas le laisser à portée de la main. On le suspend, au moyen d’une chaîne, à la plus forte poutre d’une pièce réservée. Il est nécessaire que cette poutre ne soit pas droite, mais tordue. Le nom de ce livre varie avec les pays. En Tréguier, il s’appelle l’Agrippa; dans la région de Châteaulin, l’Egremont, dont il y a une variante Egromus; aux alentours de Quimper, Ar Vif, dans les parages du Haut-Léon, An Negromans; à Plouescat, le livre de l’igromancerie. * Ce livre est vivant. Il répugne à se laisser consulter. If faut être plus fort que lui pour lui arracher ses secrets. Tant qu’on ne l’a pas dompté, on n’y voit que du rouge. Les caractères noirs ne se montrent que lorsqu’on les y a contraints, en rossant le livre, comme un cheval rétif. On est obligé de se battre avec lui, et la lutte dure parfois des heures entières. On en sort baigné de sueur.« Aus dem Vergleich zwischen Bubers Fassung und dieser Vorlage geht hervor, dass Buber nicht nur die Reihenfolge der Sätze teilweise ändert, sondern auch einige neue hinzudichtet sowie manche auslässt. Von le Braz kannte Buber weiterhin das etwas später erschienene Buch Vieilles Histoires du Pays Breton (Paris 1905), sowie auch Le théatre celtique (1905). Am Ende des Manuskripts ringt Buber lange um die genaue Formulierung des Schlusses. Die Streichungen legen es nahe, dass er bei der Gegenüberstellung von der »Wirklichkeit des Geistes« und »der bücherreichen Welt« wohl den berühmten Satz aus dem Buch Kohelet (12, 12) im Sinne hatte, wo der Prediger das endlose Büchermachen beklagt. Zum »Dämonischen« vgl. die Texte »Der Dämon — Aus einem Drama« (in: Jüdischer Almanach, Berlin: Jüdischer Verlag 1902, S. 162 f.), »Das Haus der Dämonen« (in diesem Band, S. 133-140) und die Sammlung Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen (Berlin: Schocken Verlag 1934). Bubers Vorwort zu den Chinesischen Geister- und Liebesgeschichten endet mit den Worten: »Ausgewählt habe ich, außer etlichen, die ich aus anderen Gründen nicht vermissen wollte, die schönsten und merkwürdigsten Erzählungen von der Liebe zwischen Menschen und Dämonen.« (Frankfurt a. M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening 1911, S. XV; jetzt in: MBW 2.3, S. 131-134, Zitat S. 134).

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Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 112); 2 unpaginierte Seiten; ohne Datum. D1: Navigare necesse est. Eine Festgabe für Anton Kippenberg zum Zweiundzwanzigsten Mai MCMXXIV, Leipzig: Insel 1924, S. 172 (MBB 296). D1.1: Autorenexemplar von D1 mit einem handschriftlichen Zusatz von Bubers Hand. D2: Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 23-24 (MBB 1270). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: in: A Believing Humanism – My Testament, 1902-1965, übers., eingeleitet u. kommentiert von Maurice Friedman, New York: Simon and Schuster 1967, 252 S. (MBB 1293). Hebräisch: Sefer Pil’i, in: Ha’Aretz vom 12. 08. 1938 (MBB 593). Niederländisch: in: Sluitsteen, übers. von M. M. van Hengel-Baauw u. Sunya F. des Tombe, Rotterdam: Lemniscaat 1966, 255 S. (MBB 1285). Variantenapparat: 224,Titel] ergänzt 1924 / Aus einer Festschrift zum 50. Geburtstag von Anton Kippenberg D2 224,3 heißt] ist ! heißt H 224,4 die Höhe] den Wuchs ! die Höhe H 224,9 überwältigt] bewältigt ! überwältigt H 224,11 obsiegt] übermächtig ist ! obsiegt H 224,15 haftet] befestigt ist ! haftet H 224,26 Willkür] Erfindung ! Willkür H 224,27 nur] fehlt H 224,27 Wirklichkeit des Geistes] wirklichen Muts ! Wirklichkeit des Geistes H 224,27 der bücherreichen Welt.] der [Welt. Aber es gibt sehr viele Bücher] bücherreichen Welt. H in der bücherreichen Welt. / Heil ihm, der der Wirklichkeit des Geistes treu blieb! D1.1 Wort- und Sacherläuterungen: 224,Titel Das dämonische Buch] Während es in der ursprünglichen Legende von Anatole de la Braz darum geht, wie man zuverlässige Hin-

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weise (»renseignements sûrs«) auf das Schicksal der Seele eines kürzlich Verstorbenen erhalten kann, deutet Buber die Geschichte auf den »dämonischen« Charakter eines jeden Buches, der darin besteht, dass jeder Schreibende und Lesende dem Buch einen neuen Sinn entreißen muss.

Kabbalistische Sagen Martin Buber veröffentlichte seine Kritik von Chajim Blochs (18811973) Buch Kabbalistische Sagen (Leipzig, Verlag der Asia Major, 1925) im Jüdischen Wochenblatt im Juni 1925. Chajim Bloch, der David Bakan zufolge mit Sigmund Freud (1856-1939) über die jüdische Mystik gesprochen hat (David Bakan, Sigmund Freud and the Jewish Mystical Tradition, London 1990, S. XVIII), hat in seinem Werk die Sagen vom Leben und Wirken des Kabbalisten Isaak Luria ins Deutsche übertragen. Das Buch widmet er »Meinem Förderer, Herrn Ludwig Vogelstein in New York« (Chajim Bloch, Kabbalistische Sagen, Leipzig 1925, S. V.). Dieser hatte ihn zur Arbeit an einer Übersetzung der Schriften von Chajim Vital, des Kabbalisten des 16. und 17. Jahrhunderts, ermuntert. Textzeuge: D: Rezension von Kabbalistische Sagen, hrsg. von Chajim Bloch, Jüdisches Wochenblatt, 2. Jg., Nr. 22, 5. Juni 1925, S. 249-250 (MBB 307). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 225,14-21 dafür sei die erste Geschichte, »Die Geburt« […] »kein Mensch sah es, außer Rabbi Salomo«.] Bloch, Kabbalistische Sagen, S. 25-28. 225,22-23 erst bietet sich Elijah als »Gevatter« an] Bloch, Kabbalistische Sagen, S. 25 f. 225,23 »Engel des Bundes«] Nach der rabbinischen Tradition ist der Prophet Elija als »Engel des Bundes« bei der Zeremonie der Beschneidung anwesend. Rabbi David ibn Zimra, Metzudat David 3,1; auch PRE XXVIII. 225,24 Sandik] auch Sandak, wohl von griech. synteknos (Gevatter) abgeleitet, jiddisch: kvater; der Pate, der das männliche Kind während der Beschneidung auf dem Schoß hält. 225,24 Mohel] Vollzieher der Beschneidung. 225,31-36 »Da kam Elijahu und sprach […] nur den Vater allein.«] deut-

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sche Übersetzung aus der Sammlung Isaak Luria, Schivche Ha’Ari (j«tae jhbu), Schklow 1894, S. 1b wohl von Buber selber. 226,6 In der Geschichte »Die Strafe« […] zur Strafe dafür aber sei sein Sohn gestorben.] Bloch, Kabbalistische Sagen, S. 73 f. 226,18-22 (Vielleicht noch bedenklicher […] »hupfen« läßt.)] Bloch, Kabbalistische Sagen, S. 137: »Einer der Jünger [des Arj] konnte sich nicht enthalten und hob beim Anblick des hupfenden David zu lachen an.«

Drei Reden Die drei Reden, im Winter 1926/27 in Berlin gehalten, sind als Ganzes allein durch von Buber nicht autorisierte Mitschriften überliefert, die von Simon Guttmann (1891-1990) und Erich Unger (1887-1950), Angehörigen des Kreises um Oskar Goldberg (1885-1953), angefertigt wurden. Goldberg und seine Anhänger – Vertreter einer extrem antiaufklärerischen Auffassung des Judentums – standen Buber ablehnend, sogar feindselig gegenüber. Demnach sollten die Mitschriften der Reden einer gegen Buber gerichteten Kampagne dienen (vgl. Martin Buber: Drei Reden und eine Diskussion 1926-1929, hrsg. von Manfred Voigts, in: Jewish Studies Quarterly, Bd. 6, 1999, S. 182-198). Diese war vor allem durch die gemeinsam mit Franz Rosenzweig begonnene Bibelübersetzung motiviert, welcher der Goldberg-Kreis mit massiver Ablehnung begegnete. Gleichwohl ist dieser Gegnerschaft die Überlieferung der Drei Reden zu danken. Sie fanden sich nach dem Tode Simon Guttmanns im von ihm verwahrten Goldberg-Nachlass. Die zweite Rede wurde außerdem 1936 in der Zeitschrift Der Morgen unter dem Titel »Die Bibel als Erzähler – Leitwortstil in der Pentateucherzählung« veröffentlicht (jetzt in: MBW 14, S. 95-110). Kontakte zwischen Buber und dem Goldberg-Kreis bestanden schon zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Laut Buber habe Goldberg Erich Unger zu ihm geschickt mit der Bitte, Buber solle sich bei dem Berliner Auswärtigen Amt für ihn einsetzen. Er wolle im Auftrag des Amtes nach Indien fahren, um dort mit den Mahatmas Kontakt aufzunehmen, deren »metaphysische Geheimnisse« Deutschland zum Sieg verhelfen würden (Werner Kraft, Gespräche mit Martin Buber, München 1966, S. 33). Goldbergs Biograph zufolge hatte sich Buber »mit Ungers Bitte ernsthaft auseinandergesetzt« (Manfred Voigts, Oskar Goldberg, Der mythische Experimentalwissenschaftler. Ein verdrängtes Kapitel jüdischer Geschichte, Berlin 1992, S. 34). Zweifel auf Seiten Bubers ließen aber nicht lange auf

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sich warten. Vor allem fürchtete er, dass Goldberg vorhabe, ein unheilvolles Bündnis zwischen Europa und Asien zustande zu bringen. Buber besteht auf seinem bereits am Anfang des Krieges gemachten Unterschied zwischen dem Judentum an sich, das mit dem Krieg nichts zu tun habe, und den einzelnen am Krieg beteiligten Juden. Erst »wenn das Deutschland verwirklicht sein wird, das der Jude liebt, und wenn dieses Deutschland darangehen wird, seine Aufgabe an Indien zu erfüllen, dann wird das Judentum mittun und wird ihm ein Helfer sein«. (Brief Bubers an Unger vom 24. Februar 1916, zitiert in: Voigts, Oskar Goldberg, S. 34) In dieser Hoffnung bzw. Prophezeiung hallen die Schlussworte von »Der Geist des Orients und das Judentum« nach, die eine ähnlich groß angelegte Vision von der bevorstehenden Weltmission der Juden heraufbeschwören, die zum Mittlervolk zwischen Orient und Okzident berufen seien. Auch dort stellt Buber in diesem Zusammenhang eine enge Verbindung zwischen den Juden und Deutschland her. Textzeuge: H: Handschrift im Deutschen Literaturarchiv Marbach aus dem Nachlass Oskar Goldbergs (HS. 2009.0109); 31 paginierte Seiten; versehen mit dem Datum – 21. Februar 1927 – und einem Titelblatt; es handelt sich um eine von Simon Guttmann erstellte Mitschrift von Bubers Vortrag. Die Zweite Rede wurde später von Buber in anderer Fassung gedruckt publiziert, siehe MBW 14, S. 95-110 und den Kommentar dazu ebd., S. 260264. Wiederabdruck nach dem Tod des Autors: Martin Buber: Drei Reden und eine Diskussion 1926-1929, hrsg. von Manfred Voigts, in: Jewish Studies Quarterly, Bd. 6, 1999, S. 182-198 (in MBB nicht verzeichnet). Druckvorlage: H Variantenapparat: 227,6 sogenannt.] berichtigt aus sogenannt 229,37 sogenannt.] berichtigt aus sogenannt 236,25 Bedrückten] berichtigt aus Bedrücker Wort- und Sacherläuterungen: 228,13 akosmistisch] Richtung innerhalb der Philosophie, die die Realität der physischen Welt leugnet.

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Einzelkommentare

228,20-21 »Zeus, – […] oder der Geist des Menschen«.] Buber bezieht sich hier wohl auf folgenden Vers aus den Troerinnen des Euripides (ca. 485/480-406), wo Hekabe spricht: »Du hältst die Erde und du thronst auf ihr! / Wer du auch bist, du rätselhafter Zeus, / Gesetz des Stoffes, höchster Menschengeist, / Dich bet ich an!« Euripides, Die Troerinnen, Vers 884; zitiert nach: Euripides, Sämtliche Tragödien und Fragmente, Griechisch-Deutsch, Band III, übersetzt von Ernst Buschor, hrsg. von Gustav Adolf Seeck, München 1972, S. 253. 229,33 »Überbau«] Zur Überbautheorie bei Buber vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu »Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung«, S. 219. 229,40-41 Der Mensch kann, nach jüdischer Auffassung […] nämlich die Leidenschaft.] Bezieht sich auf die rabbinische Vorstellung von den zwei Grundtrieben des Menschen, dem guten Trieb (yezer ha-tov) und dem bösen Trieb (yezer ha-ra). Beide sind für das menschliche Leben notwendig. Sie bezeichnen nicht das Gute oder Böse schlechthin, sondern den Hang des Menschen zum Guten bzw. zum Bösen. Mehrere Stellen im Talmud weisen darauf hin, dass der böse Trieb zur Erhaltung der Welt unentbehrlich sei (z. B. bJoma 69b). Nach bBer 17a ist er »das Saure im Teig«. 230,8-9 So heißt es […] das Werk der Schöpfung.] aus dem Morgengebet, vgl. z. B. Des Segens Quell. Andachtsbuch für Israeliten, Eigenthum und Verlag von M. Schmelkes, Prag 1858, S. 46-48. 230,13-15 Der Pater Przywara nennt mich […] erlösen könne.] Erich Przywara, Judentum und Christentum. Zwischen Orient und Okzident, in: Stimme der Zeit, 56. Jg., 2. Heft, November 1925, S. 81-99, insbesondere S. 87-90. 230,13-14 (unvorsichtigerweise mit Cohen zusammen)] Gemeint ist der Philosoph Hermann Cohen. 231,11 »Ich werde dasein«] Ex 3,14: »Ich werde dasein, als der ich dasein werde.« (Nach der Buber-Rosenzweig-Übersetzung.) 232,1-2 das auf beiden Seiten hinkende Geschöpf] Anspielung auf I Reg 18,21: »Da trat Elia zu allem Volk und sprach: Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten? Ist der Herr Gott, so wandelt ihm nach; ist’s aber Baal, so wandelt ihm nach. Und das Volk antwortete ihm nichts.« Vgl. Martin Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, in diesem Band, S. 199, und Martin Buber, Jüdische Religiosität, in diesem Band, S. 205. 232,3-4 das Durchbrechen der Schalen des Hindernisses] Spielt wohl auf die Vorstellung der lurianischen Kabbala an, nach der bei der Schöpfung die Schalen (Kellipot) der Gottesherrlichkeit (Schechina) zerbro-

Drei Reden

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chen und ins All hinausgeschleudert wurden und nun als Splitter in der Welt gebannt liegen und darauf warten, durch menschliche Taten wieder Gestalt verliehen zu bekommen. Vgl. zum »Bruch der Gefäße« in Isaak Lurias Lehre Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 291-295. Siehe auch Martin Buber, Die jüdische Mystik, in diesem Band, S. 114-123. 232,5-6 »es enthülle sich Deine Herrschaft über uns.«] »Enthülle den Glanz deiner Herrschaft über uns« (hebr. »gale kwod malchutecha alenu«), aus dem Musafgebet an den drei Hauptfesten. Vgl. z. B. Des Segens Quell. Andachtsbuch für Israeliten, S. 291. 234,37-38 Gilgamesch-bruchstücken] Das babylonische Gilgameschepos, eine der ältesten überlieferten literarischen Dichtungen, wurde auf Tontafeln verfasst, die als Bruchstücke erhalten sind. 235,2 Apulejus] Der Roman Metamorphosen, das Hauptwerk des lateinischen Schriftstellers Apuleius (ca. 125-nach 170), enthält die Erzählung von »Amor und Psyche«, deren mythologischer Stoff von der Liebesbeziehung zwischen dem Gott Amor und der Königstochter Psyche handelt. 236,5 1. Der Turmbau] Gen 11,1-9. 236,22 2. Hagar.] Gen 16,1-15; 21,8-19. 236,30 Rebekkas Einholung] Gen 25,22 f. 236,31 Jakobs Kampf] Gen 32,23-33. 236,33 3. Opferung Isaaks] Gen 22,1-19. 237,4 1. Mose ersucht um Abnahme der Last] Num 11,11-17.24-26. 237,7 2. Korach.] Num 16,1-17,5. 237,12 3. Auflehnung Aarons und Mirjams.] Num 12,1-16. 237,22 4. Bileam] Num 22,21-35. 241,11-12 (worauf Robertson Smith hingewiesen hat)] Buber bezieht sich hier auf das Hauptwerk des Theologen und Orientalisten William Robertson Smith (1846-1894), die Veröffentlichung seiner Vorlesungen über Die Religion der Semiten (The Religion of the Semites, 1889, dt. 1899). 241,29 Briß] im deutschsprachigen Raum für hebr. brit, »Bund«. 241,34-35 »wie auf Adlerflügeln habe ich Euch zu mir getragen und hergebracht.«] Ex 19,4. 242,7 »ziehe einher vor mir«] Gen 17,1 f. 242,8-9 wie das Mit-Gott-Ziehen des Noah und Henoch] Gen 6,9; 5,22. 242,10 Bei Isaac heißt es […] ich will bei Dir bleiben] Gen 26,2 f. 242,11-13 und bei Jakob […] will Dich bewahren, wo Du hinziehst] Gen 28,15. 242,13-14 und auch als Jakob […] ich will mit Dir hinabziehen] Gen 46,4

470

Einzelkommentare

242,18-19 dort gibt es ein Erscheinen Gottes eigentlich zuletzt im Dornbusch vor Mose] Ex 3,2. 242,22-24 sagt er, in immer neuen Variationen […] und Deines Bruders Munde.] Ex 4,12 u. 16. 242,25 Ehjeh ascher ehjeh] hebr. für »Ich werde dasein, als der ich dasein werde.« Ex 3,14. So die Übersetzung Martin Bubers: Das Buch Namen, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Berlin: Lambert Schneider 1926, S. 15. 242,25-26 ist nicht, wie Maimonides will, eine Aussage über die Transzendenz] Der mittelalterliche jüdische Bibelkommentator und Gelehrte Moses ben Maimon, genannt Maimonides (1135-1204), interpretiert den Satz aus Ex 3,14: »ehjeh ascher ehjeh« ausführlich im 63. Kapitel des ersten Teils seines Hauptwerks Führer der Unschlüssigen. Für ihn stellt der Ausdruck »ehjeh ascher ehjeh« die Erklärung der Transzendenz Gottes bzw. die Idee dar, die sich in dem Namen für Gott, JHWH, verbirgt, nicht aber, wie Buber will, eine Aussage über die Gestalt, in der sich Gott in einer jeweiligen konkreten geschichtlichen Situation zeigen wird. 242,31 B. Jakob: Mose und die Erscheinung im Dornbusch] Benno Jacob, Mose am Dornbusch, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums Heft 1 (1922), S. 11-33. 242,32-33 Prof. Helm: Die jüdische und die babylonische Gottesidee] Buber bezieht sich auf: Johannes Helm, Die biblische und die babylonische Gottesidee. Die israelitische Gottesauffassung im Lichte der altorientalischen Religionsgeschichte, Leipzig 1913.

Über Religionswissenschaft Überlegungen zur Religionswissenschaft häufen sich bei Buber in den späten Zwanziger Jahren. Dies hängt gewiss mit seiner Lehrtätigkeit an der Universität Frankfurt zusammen, wo er den Auftrag erhielt, über die Gebiete der jüdischen Religionswissenschaft und jüdischen Ethik zu lesen. Grenzbestimmungen also rücken jetzt fast zwangsläufig in den Vordergrund seines Denkens, wenngleich sie Buber bereits von Anfang an beschäftigt hatten. Wollte Buber immer die Trennung von Glauben und Leben überwinden, wobei er sich gegen das begriffliche Denken wandte, sieht er sich jetzt mit der Notwendigkeit konfrontiert, nicht nur die eigene Position gegen die Abstraktion abzuheben, sondern auch diese in ihrer Realität anzuerkennen und die Scheidelinie zwischen beiden genauer zu bestimmen.

Über Religionswissenschaft

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Um diese Zeit arbeitete Buber an der Planung eines religionswissenschaftlichen Instituts an der Hebräischen Universität in Jerusalem, die 1924 unter seiner Mitwirkung gegründet worden war. Buber sollte dem Institut als erster Leiter vorstehen. Ende August 1927 schrieb Hugo Bergmann aus Jerusalem an Buber, dieser solle, wenn möglich, mit Judah Leon Magnes (1877-1948), dem Kanzler und ersten Rektor der Universität, über das Institut sprechen, da Magnes sich bald mit Chaim Weizmann (1874-1952) treffen werde (B II, S. 289 f.) Bergmann berichtet vertraulich weiter, Magnes sei schon bei den Professoren auf Widerstand bzw. Zweifel gestoßen, denn man habe insbesondere den »strengwissenschaftlichen Charakter« von Bubers Arbeit und daher auch den des Instituts in Frage gestellt. Es sei demgemäß zu fürchten, dass dies auf Magnes »einen negativen Einfluß gehabt« habe (B II, S, 290). In seinem auf Anfang September zu datierenden Brief an Magnes bittet Buber um eine Erklärung und erwähnt, dass er ein »Exposé« für das in Jerusalem zu errichtende Institut für Religionswissenschaft geschrieben habe (B II, S. 292). In seiner Antwort an Bergmann, offenbar kurz nach dem Brief an Magnes geschrieben, zieht Buber eine wesentliche Grenze zwischen seiner »spät begonnen[en]«, wenn auch ihm zufolge lange vorbereiteten wissenschaftlichen Arbeit und den »in der heutigen Religionswissenschaft üblichen« Methoden (Brief vom 11. September 1927, in: B II, S. 293 f.). Er bezieht sich damit auf seine Arbeit am Königtum Gottes, dessen ersten Teil er noch 1928 zu veröffentlichen hoffte. Das Buch erschien allerdings erst 1932 im Schocken Verlag. Der Aufsatz, der im Jüdischen Almanach auf das Jahr 5689 (Prag 1928) veröffentlicht wurde, geht erneut auf Ideen ein, die schon fünf Jahre zuvor in »Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung« erörtert worden waren (vgl. in diesem Band, S. 218-223). Es ist anzunehmen, dass Buber in ihm die methodischen Grundlagen erörtert, die auch für das für Magnes bestimmte Exposé ausschlaggebend waren. Textzeugen: D1: Jüdischer Almanach auf das Jahr 5689, Prag: Keren Kajemeth le-Jisrael 1928, S. 161-164 (MBB 375). D2: Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 124-127 (MBB 1270). Druckvorlage: D1

472

Einzelkommentare

Übersetzungen: Englisch: in: A Believing Humanism – My Testament, 1902-1965, übers., eingeleitet u. kommentiert von Maurice Friedman, New York: Simon and Schuster 1967, 252 S. (MBB 1293). Niederländisch: in: Sluitsteen, übers. von M. M. van Hengel-Baauw u. Sunya F. des Tombe, Rotterdam: Lemniscaat 1966, 255 S. (MBB 1285). Variantenapparat: 244,Titel] ergänzt / 1928 / Aus einem Vortrag D2 244,11-12 etwas ganz anderes, nämlich Metaphysik] eine »gebundene« Metaphysik D2 245,15 Eigentümlichkeit] Besonderheit D2 Wort und Sacherläuterungen: 244,1 der Philologe Albrecht Dieterich] (1866-1908) war Professor in Marburg, Gießen und Heidelberg und auch religionswissenschaftlich tätig. Buber rezipiert in der Einleitung der Ekstatischen Konfessionen (in diesem Band, S. 141-149, hier S. 143 u. 146; auch in: MBW 2.2, S. 50-59) dessen Mithrasliturgie.

Abkürzungsverzeichnis B I – III =

JB I = JuJ =

LMB = MBA = MBB =

MBW =

Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bde, hrsg. und eingel. von Grete Schaeder in Beratung mit Ernst Simon und unter Mitwirkung von Rafael Buber, Margot Cohn und Gabriel Stern, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1972-75. Bd. I: 1897-1918 (1972), Bd. II: 1918-1938 (1973), Bd. III: 1938-1965 (1975). Martin Buber, Die Jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen. Erste Folge, 1900-1915, Berlin: Jüdischer Verlag 1916. Martin Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, mit einer Einl. von Robert Weltsch, Köln: J. Melzer Verlag 1963. Gustav Landauer u. Fritz Mauthner, Briefwechsel 1890-1919, hrsg. von Hanna Delf von Wolzogen, München 1994. Martin Buber Archiv der Jüdischen Nationalbibliothek Jerusalem. Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität, und München/New York et al.: K. G. Saur 1980. Martin Buber Werkausgabe: Bd. 1 Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1891-1924, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2001. Bd. 2.2 Ekstatische Konfessionen, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012. Bd. 2.3 Schriften zur chinesischen Philosophie und Literatur, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Irene Eber, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. Bd. 6 Frühe jüdische Schriften 1900-1922, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Barbara Schäfer, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. Bd. 9 Schriften zum Christentum, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Karl-Josef Kuschel, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. Bd. 10 Schriften zur Psychologie und Psychotherapie, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Judith Buber-Agassi, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2008. Bd. 14 Schriften zur Bibelübersetzung, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012.

474

RGA = W I-III =

WA =

Abkürzungsverzeichnis

Martin Buber, Reden über das Judentum. Gesamtausgabe, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1923. Martin Buber, Werke, 3 Bde., München: Kösel Verlag, und Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1962-64. Erster Band: Schriften zur Philosophie. (1962), Zweiter Band: Schriften zur Bibel. (1964), Dritter Band: Schriften zum Chassidismus. (1963). Goethes’ Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Abtlg. I–IV. 133 Bände in 143 Teilen. H. Böhlau, Weimar 1887-1919.

Hebräische Bibel Gen Ex Lev Num Dtn Jos I Reg II Reg Jes Jer Ez Am Mi Ps

Genesis (1. Mose) Exodus (2. Mose) Leviticus (3. Mose) Numeri (4. Mose) Deuteronomium (5. Mose) Josua 1. Regum (1. Könige) 2. Regum (2. Könige) Jesaja Jeremia Ezechiel Amos Micha Psalm(en)

Neues Testament Mt Mk Lk Joh Apg Röm 2 Kor Apk

Matthäus Markus Lukas Johannes Apostelgeschichte Römer 2. Korintherbrief Offenbarung des Johannes (Apokalypse)

475

Abkürzungsverzeichnis

Rabbinische Literatur mAv mBer mSan mSuk bBer bChag bGit bJev bJoma bSan bShab BerR MekhJ PesK PRE SER ShemR SifDev

Mischna, Traktat (Pirke) Avot Mischna, Traktat Berakhot Mischna, Traktat Sanhedrin Mischna, Traktat Sukka Talmud Bavli, Traktat Berakhot Talmud Bavli, Traktat Chagiga Talmud Bavli, Traktat Gittin Talmud Bavli, Traktat Jevamot Talmud Bavli, Traktat Joma Talmud Bavli, Traktat Sanhedrin Talmud Bavli, Traktat Shabat Bereschit Rabba (Genesis Rabba) Mekhilta deRabbi Jishma’el Pesiqta deRav Kahana Pirqe deRabbi Elieser Seder Elijahu Rabba Schemot Rabba (Exodus Rabba) Sifre Devarim (zu Deuteronomium)

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1. Bibliographien 2.2. In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3. Verwendete Werke Martin Bubers 2.4. Verwendete Literatur

1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber Archiv der Jüdischen Nationalbibliothek Jerusalem sind folgende unveröffentlichte Quellen verwendet worden:

1.1 Handschriften und Typoskripte Alte und neue Gemeinschaft (Handschrift) Satu’s Leiden und Rache (Handschrift) Über Jakob Boehme (Handschrift) Zur Geschichte des Individuationsproblems (Handschrift) Zur Geschichte des Individuationsproblems (Typoskript) Die jüdische Mystik (Handschrift) Ekstase und Bekenntnis (unvollst. Handschrift) Kalewala, das finnische Epos (Handschrift) Der jüdische Sagenschatz (Handschrift) Zwiefache Zukunft / Kultur und Religiosität (Handschrift) Der Mythos der Juden (Handschrift) Zwei flandrische Wundergeschichten (Handschrift) Der Geist des Orients und das Judentum (Handschriften) Jüdische Religiosität (Handschriften) Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung (Handschrift und Typoskript) Das dämonische Buch (Handschrift)

Arc. Ms. Var. 350, Beth 47 Arc. Ms. Var. 350, Beth 75 Arc. Ms. Var. 350, Beth 7 Arc. Ms. Var. 350, Alef 2 Arc. Ms. Var. 350, Alef 2a Arc. Ms. Var. 350, Daleth 29 Arc. Ms. Var. 350, Beth 69 Arc. Ms. Var. 350, Beth 61 Arc. Ms. Var. 350, Hei 27 Arc. Ms. Var. 350, Beth 83 Arc. Ms. Var. 350, Hei 23 Arc. Ms. Var. 350, Beth 76 Arc. Ms. Var. 350, Hei 22 Arc. Ms. Var. 350, Hei 22 Arc. Ms. Var. 350, Beth 40a Arc. Ms. Var. 350, Beth 112

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Quellen- und Literaturverzeichnis

1.2 Notizen und Briefe Zur Geschichte des Individuationsproblems (Notizen)[tab]Arc. Ms. Var. 350, Beth 7 Notizen zu den Ekstatischen Konfessionen[tab]Arc. Ms. Var. 350, Beth 69 Notizen zur Kalewala[tab]Arc. Ms. Var. 350, Beth 61a Stammtisch der Donnerstagsgesellschaft[tab]Arc. Ms. Var. 350, 112/7 Notizen zum Mythos der Juden[tab]Arc. Ms. Var. 350, Hei 22/23 Brief Bubers an Leonhard Ragaz vom 1. Februar 1923[tab]Arc. Ms. Var. 350, 605

1.3 Andere Quellen Ein Brief Bubers im Erich Kunze Archiv, National Library of Finland, wurde eingesehen: Brief Bubers an Erich Kunze vom 3. Mai 1953, HYK: coll. 484 Darüber hinaus wurde folgende Handschrift aus den Beständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach benutzt: Drei Reden (HS. 2009.0109) Aus anderen Archivbeständen wurden zu Rate gezogen: Einsiedeln, Stiftsbibliothek, cod. 277 Berlin, Staatsbibliothek, mgq 191

2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographie Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn u. Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität Jerualem u. München [u. a.]: K. G. Saur 1980.

2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers Alte und neue Gemeinschaft, Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 47). Das dämonische Buch, in: Navigare necesse est. Eine Festgabe für Anton Kippenberg zum Zweiundzwanzigsten Mai MCMXXIV, Leipzig: Insel 1924, S. 172. Drei Reden, Handschrift im Deutschen Literaturarchiv Marbach aus dem Nachlass Oskar Goldbergs (HS. 2009.0109).

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Eingesandt, in: General-Anzeiger für die gesamten Interessen des Judentums, 4. Jg., Nr. 36, 3. September 1905, S. 6. Einleitung, in: Die vier Zweige des Mabinogi. Ein keltisches Sagenbuch, Leipzig: Insel Verlag 1914 u. 2. Aufl. 1922, S. 5-12. Ekstase und Bekenntnis, in: Die Zukunft 65, 5. Dezember 1908, S. 381-388. Der Engel und die Weltherrschaft, in: Jüdische Rundschau, 19. Jg., Chanukah-Sondernummer, 26. November 1914, S. 2. Der Geist des Orients und das Judentum, in: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1916, S. 9-48. Die Geschichte von der Kräutertruhe und dem Kaiser zu Rom, in: Die Welt, 10. Jg., Nr. 15, Passah 1906 / 13. April 1906, S. 7-11. Gustav Landauer, in: Die Zeit (Wien), 11. Juni 1904, S. 127-128. Das Haus der Dämonen, in: Die Sonntags-Zeit. Belletristische Beilage zu Nr. 1547 der Wiener Tageszeitung »Die Zeit«, 13. Januar 1907, S. 1-3. Jüdische Märchen, in: General-Anzeiger für die gesamten Interessen des Judentums, 4. Jg., Nr. 35, 27. August 1905, S. 5-6. Die jüdische Mystik, in: Die Zukunft Bd. 55, 23. Juni 1906, S. 439-448. Jüdische Religiosität, in: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig u. München: Kurt Wolff Verlag 1916, 2. Aufl. 1919, 3. Aufl. 1921, S. 49-74. Der jüdische Sagenschatz, Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Hei 27). Kabbalistische Sagen, hrsg. von Chajim Bloch (Rezension), in: Jüdisches Wochenblatt, 2. Jg., Nr. 22, 5. Juni 1925, S. 249-250. Kalewala, das finnische Epos, in: Das literarische Echo, 14. Jg., Nr. 25, 1. September 1912, Sp. 1611-1622. [Mystik als religiöser Solipsismus], in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M., Tübingen: J. C. Mohr 1911, S. 206-207. Die Mythen des Chassidismus, in: Heimkehr. Essays jüdischer Denker, hrsg. vom jued.-nat. akad. Verein »Emunah« Czernowitz, mit einen Vorwort von Universitätsprof. Dr. Leon Kellner, Czernowitz u. Berlin: Louis Lamm 1912, S. 187-188. Der Mythos der Juden, in: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hrsg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1913, S. 21-31. Satu’s Leiden und Rache, Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 75). Vier Gleichnisse des Ferid-ed-din Attar, in: Insel-Almanach auf das Jahr 1922, Leipzig: Insel Verlag 1921, S. 113-115. Wissenschaftliche und religiöse Welterfassung, Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Beth 40a). Über Jakob Boehme, in: Wiener Rundschau, hrsg. von Felix Rappaport, 5. Jg., Nr. 12, 15. Juni 1901, S. 251-253. Über Religionswissenschaft, in: Jüdischer Almanach auf das Jahr 5689, Prag: Keren Kajemeth le-Jisrael 1928, S. 161-164. Zur Geschichte des Individuationsproblems, Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Alef 2).

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Zwei flandrische Wundergeschichten, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 367, 25. Dezember 1913. Die zweiten Tafeln, in: Insel-Almanach auf das Jahr 1919, Leipzig: Insel Verlag 1919, S. 148-149. Zwiefache Zukunft, in: Die jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen 1900-1914, Berlin 1916, S. 217-221.

2.3 Verwendete Werke Martin Bubers Antwort, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 589-639. Begriffe und Wirklichkeit. Brief an Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Hermann Cohen, in: Der Jude, 1. Jg., Heft 5 (August 1916), S. 281-289; jetzt in: MBW 3, S. 293-307. Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-Tse’s Tao-teking, in: MBW 2.3, S. 227-280. Bewegung. Aus einem Brief an einen Holländer, in: Der Neue Merkur, 1. Jg., Heft Januar/Februar 1915, S. 492; jetzt in: MBW 1, S. 286. Die Bibel als Erzähler. Leitwortstil in der Pentateuch-Erzählung, in: Der Morgen, 11. Jg., Nr. 11 u. 12, Februar u. März 1936, S. 482-489, 530-536; jetzt in: MBW 14, S. 95-110. Das Buch im Anfang, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Berlin: Lambert Schneider 1925. Das Buch Namen, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Berlin: Lambert Schneider 1926. Bücher, die jetzt und immer zu lesen sind, in: Wiener Kunst- und Buchschau, Vienna: Hugo Heller, Nr. 9/10, Dezember 1914, S. 6-7; jetzt in: MBW 1, S. 279-280. Die chassidische Botschaft, Heidelberg: Lambert Scheider 1952. Die chassidischen Bücher, Hellerau: Jakob Hegner 1928. Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911. Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, Leipzig: Insel Verlag 1913; aufgenommen in: W I, S. 9-76; jetzt in: MBW 1, S. 183-245. Ein Dankeswort an Alfons Paquet, jetzt in: MBW 1, S. 289. Das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1962. Der heilige Weg, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1919 Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911; jetzt in: MBW 3, S. 239 ff. Ein Wort über Nietzsche und die Lebenswerte, in: MBW 1, S. 149-151. Ekstatische Konfessionen, gesammelt von Martin Buber, Jena: Eugen Diederichs 1909; jetzt in: MBW 2.2. Ereignisse und Begegnungen, Leipzig: Insel Verlag 1917; jetzt in: MBW 1, S. 247-276.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Ziolkowski, Theodore, Der Hunger nach dem Mythos. Zur seelischen Gastronomie der Deutschen in den Zwanziger Jahren, in: Die sogenannten Zwanziger Jahre, hrsg. von Reinhold Grimm u. Jost Hermand, Bad Homburg, Berlin u. Zürich 1970, S. 169-201.

Glossar* Ag(g)ada, ag(g)adisch: aramäisch »Ansammlung«, »Verkündung«, »Erzählung«; erzählende, nicht gesetzliche Bestandteile des Talmud im Gegensatz zu ! Halacha. Bar Kochba: hebr. »Sternensohn«; Name des Anführers eines Aufstandes in Palästina gegen die Römer (132-135) und Namenspatron des 1893 in Prag gegr. Verein jüdischer Hochschüler; zahlreiche Anhänger Bubers waren Mitglieder des Vereins, dem große Bedeutung für den sog. Kulturzionismus zukam. Chanukka: achttägiges Lichterfest zur Erinnerung an die Wiedereinweihung des von den Seleukiden entweihten Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr. durch Judas Makkabäus. Chassid (Plural Chassidim): hebr. »Frommer«; Anhänger des ! Chassidismus. Chassidismus: durch Rabbi Israel ben Eliezer, gen. Baal Schem Tov gegr. volkstümliche mystische Bewegung des Judentums; von Osteuropa ausgehend, verbreitete sie sich in der Diaspora ebenso wie im Staat Israel. Diaspora: griech. »Zerstreuung«; Bezeichnung für das Judentum im Exil, d. h. außerhalb Palästinas/Israels. Elohim: jüd. Gottesname, wird in der Mystik auf die Strenge Gottes bezogen. Emuna: hebr. »Vertrauen«, »Treue«, »Glaube«; Glaube im Sinne von unbedingtem Gott-Vertrauen; von Buber abgegrenzt von der (paulinisch-)christlichen ! Pistis als Glaube im Sinne von »Für-Wahr-Halten« von Glaubenssätzen. Galut: hebr. »Verbannung«; Bezeichnung des Exils, der Diaspora, des Aufenthaltes der Juden in Ländern außerhalb Palästinas seit der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70; häufig mit negativem Beiklang. Gemara: Bezeichnung der rabbin. Erörterung der ! Mischna, mit der zusammen sie den ! Talmud bildet. Gnosis: griech. »Erkenntnis«; mystisch-philosophische Weltanschauung der neuplatonischen Schule bes. des ersten Jh. v. Chr., die zwischen Gottheit und Materie unterscheidet, sich von der Schau Gottes Einsicht in die Welt des Übersinnlichen erhofft und von starker Leibfeindlichkeit geprägt ist; beeinflusste die spätere Entwicklung der christlichen und jüdischen Mystik. Haggada: das Buch, das am ersten (in der Diaspora auch am zweiten) ! PessachAbend beim Festmahl gemeinsam gelesen wird. Halacha: hebr. »Gang«, »Lebensweg«; Bezeichnung des jüd. Religionsgesetzes, wie es die Rabbinen aus der Überlieferung entwickelt haben; sie regelt das Leben der Gläubigen in allen Einzelheiten; im Unterschied zur ! Agada. Haskala: hebr. »Erkenntnis«; Bezeichnung der jüdischen Aufklärung in Mittel- und Osteuropa seit der Mitte des 18. Jh. *

Sofern der Begriff in den Schriften Bubers vorkommt, wird dessen Schreibweise übernommen. Alle anderen im Glossar angeführten hebräischen Begriffe folgen der für die MBW festgelegten Umschrift.

500

Glossar

JHWH: Tetragramm zur Bezeichnung des Eigennamens Gottes in der Hebräischen Bibel; da im Judentum der Name Gottes unaussprechlich ist, wird das Tetragramm beim Beten durch die Anrede Adonaj (»Herr«) oder Adonaj Elohim (»Herr Gott«) und beim Vorlesen eines Bibel- oder Gebetstextes durch haSchem (»der Name«) ersetzt. Kabbala: hebr. »Überlieferung«; Bezeichnung der jüd. Mystik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die sich durch theurgische Praktiken sowie Spekulationen über das innere Wesen Gottes und die Schöpfung der Welt auszeichnet; Buchstabendeutungen, -permutationen und Zahlenkombinationen stellen ihre wichtigsten hermeneutischen Techniken dar, die aus jedem Zeichen den verborgenen Sinn freilegen sollen; ihre Anhänger werden Kabbalisten genannt. Kawwana: hebr. »Ausrichtung«; die rechte Intention und Haltung beim Gebet und der Erfüllung der Gebote; spielt eine zentrale Rolle in der jüd. Mystik; führte zur Ausbildung der Literaturgattung der Kawwanot. Laubhüttenfest (hebr. Sukkot): eines der drei Wallfahrtsfeste, gefeiert in Hütten zur Erinnerung an das Wohnen in den Hütten während des Auszugs aus Ägypten. Maaße: hebr. »Tat«, »Werk«, »Arbeit«, auch »Erzählung«; Bezeichnung für eine Gattung deutender mystischer Geschichten, die von der Schöpfung (hebr. Ma’asse Bereschit) oder von den göttlichen Geheimnissen (hebr. Ma’asse Merkabah) erzählen. Ma’asse Bereschit bezieht sich auf Genesis 1; Ma’asse Merkabah beruht auf Ezekiel 1 und wurde unter den Gnostikern zu einer wichtigen Komponente der mystischen Praxis, verlor aber mit dem Aufkommen der Kabbala im 11. Jh. an Bedeutung. Ma’assebuch heißt eine Sammlung von Erzählungen, meistens Wundergeschichten, die erbaulicher Natur sind. Messias: hebr. »Gesalbter«; endzeitlicher Heilsbringer, den Christen in Jesus bereits erschienen, von den Juden für die Zukunft erwartet. Matatron: auch Metatron, wichtige Gestalt der jüd. Mystik, Engelsfürst, himmlischer Schreiber, mit Michael alternierend, mit dem in den Himmel gefahrenen Henoch identisch. Midrasch (Plural Midraschim): hebr. »Auslegung«, »Studium«; hebr. Auslegung, Studium; Auslegung der Bibel im rabbinischen Judentum. Mischna: erste autoritative Sammlung des jüdischen Religionsgesetzes; redigiert um 200; wird in der ! Gemara kommentiert, mit der zusammen sie den ! Talmud bildet. Mitzwa (Plural Mitzwot): hebr. »Gebot«; Bezeichnung der religionsgesetzlichen Vorschrift, aber auch der verdienstvollen Handlung. Pessach: im Frühlingsmonat Nissan gefeiertes Fest zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten; eines der drei Wallfahrtsfeste; auch Fest der ungesäuerten Brote genannt; beim Festmahl am ersten Abend zu Beginn des P. (in der Diaspora auch am zweiten), dem Seder, wird die ! Haggada gelesen. Pistis: griech. »Treue«, »Glaube«; im Neuen Testament und besonders in den paulinischen Schriften Bezeichnung für das Anerkennen von Tod und Auferstehung Christi als Heilstat Gottes; von Buber der jüdischen ! Emuna gegenübergestellt.

Glossar

501

Rabbi: wörtl. »mein Lehrer«, »mein Meister«; Anrede verehrter jüd. Lehrer, Gelehrter; seit talmud. Zeit der Titel des ordinierten jüd. Rechtsgelehrten, der die Tora verbindlich auslegen kann und Auskunft in relig. Fragen erteilt; Führer einer chassidischen Gemeinde. Schabbat: der siebte Tag der Woche; ein Freuden- und Feiertag, Ruhetag Gottes nach der Erschaffung der Welt; seiner Heiligkeit wegen ist an ihm das menschliche Tun mit halachisch begründeten Einschränkungen belegt. Schechina: hebr. »Einwohnung« [Gottes]; in der rabbinischen Literatur die Gegenwart Gottes im Volke Israel, insbesondere im Heiligtum; von den Kabbalisten als letztes der zehn Attribute Gottes bestimmt, seine weibliche Eigenschaft; wird in der Kabbala zum zentralen Symbol der Exilssituation. Synagoge: Bezeichnung für den Versammlungsort der Gemeinde, kein heiliger Ort, an ihm wird wochen- wie festtags gebetet und gesungen. Talmud: Bezeichnung von ! Mischna und ! Gemara als den rabbinischen Auslegungen der Bibel; Hauptwerk der jüdischen Lehre und des Religionsgesetzes; wurde in zweifacher Form in Palästina (Jerusalemer Talmud) und in Babylonien (Babylonischer Talmud) schriftlich niedergelegt. Tefillin: hebr. »Gebetsriemen«; von Männern wochentags beim Morgengebet am linken Arm und auf der Stirn getragene schwarze Lederriemen, die zur Befestigung von jeweils einer Kapsel mit den Abschnitten aus Ex 13,1-10, 11-16, Dtn 6,4-9 u. 11,13-21 dienen. Thora: wörtl. »Lehre«; Grundbegriff des Judentums, bezeichnet im engeren Sinn den Pentateuch (die fünf Bücher Moses), im weiteren Sinne die jüd. Lehre insgesamt. Upanischaden: (Sanskrit, wörtl. »sich (um den Lehrer) herum setzen«) 600-400 v. Chr. entstandene Schriften der relig. Tradition Indiens, teilweise mystischen Inhalts, die neben dem brahmanischen Opferkult auch die individuelle Askese als Erlösungsweg kennen; Bestandteil der ! Veden. Veden: (Sanskrit veda, »Wissen«) klassische Werke des Hinduismus, die nicht von menschlicher Hand herrühren, sondern ewig sein sollen; die frühesten Teile der Veden sind wohl im 13. Jahrhundert v. Chr. entstanden und wurden bis ins 5 Jahrhundert v. Chr. nur mündlich überliefert. Zaddik (Plural Zaddikim): hebr. »Gerechter«; durch charismatische Eigenschaften oder durch dynastische Abfolge legitimierte höchste relig. Autorität einer Gemeinde von ! Chassidim. Zionismus: im weiteren Sinn die relig.-politische Orientierung am Land Israel, als politische Bewegung 1897 von Theodor Herzl gegr., um den Erwerb eines Territoriums für das jüd. Volk, nach Möglichkeit in Palästina zu erreichen.

Stellenregister Bibelstellen Hebräische Bibel (Altes Testament) Gen 1,2 1,27 2,5 2,6 3 3,5 5,18 5,21-24 5,22 6,9 11,1-9 12,1 13,18 16,1-15 17,1 f. 18,1 18,1-15 21,8-19 22,1-19 25,22 f. 26,2 f. 28,15 32,23-33 46,4 Ex 3,1-4 3,2 3,14 4,12 4,16 12,20 12,37 13,1-10 13,11-16 13,21 f. 15,2 19,1-25 19,4 19,16 20,2-3 32,1-6 32,25-28

422 438 440 440 439 439 395 395 469 469 469 436 423 469 469 441 441 469 469 469 469 469 393, 469 469 393 469 468, 469 469 469 346 346, 436 501 501 395 432, 439 436 469 395 436 441 441

34 34,6-26

442 443

Lev 19,2 20,24-26 23,30 23,40 26,30

438 439 346 321 346

Num 11,11-17 11,24-26 12,1-16 14,22-23 16,1-17,5 22,21-35

469 469 469 441 469 469

Dtn 6,4 6,4-9 6,5 10,12 11,13-21 18,13 30,8

437 501 437, 438 436 501 436 423

Jos 10,24

354

I Reg 17,4-6 18 18,21 19,1-18 19,11-13

397 346 424, 436, 441, 468 335 335

II Reg 2,11

397

Jes 25,6 30,15 43,12 43,12-14 44,6-20 57,16

424 423 439 439 441 337

Jer 4,1-4

441

Am 1,1 5 9,9 9,11

422 441 422 422

Mi 6,1-8

441

Ps 51,12 68,35 86,11 111,7 119,80 145,18

422 439 437 440, 441 437 441

Neues Testament Mt 3,1-2 4,8 4,17 26,26-28 27,46

423 424 423 278 356

Mk 12,14 14,22-24

191, 421 278

Lk 4,5 10,42

424 356, 421, 423, 441

Joh 14,6

442

Apg 9,11 17,28 17,34

422 357 293

Röm 7,19

422

504 2 Kor 12,2 f. Apk 5

Stellenregister 68a-b 318 354 357

Außerkanonische Schriften Jesus Sirach 6,19 424 Rabbinische Literatur Mischna mAv I,1 IV,22

424, 442 438

ShemR XIX,43

bJoma 69b

468

SifDev XXXII,3 (zu Dtn 6,5) 437

bSan 37a 99a

440 438

Sifra Qedoschim 1 (zu Lev 19,2) 438

bShab 33b 133b

439 439

Andere Literatur

435 437

mSan IV,5

440

Midrash Shimoni Genesis 4,7 437

mSuk IV,5

432

MekhJ 37a

bGit

439

437

337 337

Midrasch, Targum, Sammelwerke BerR XXXVIII,13 436

bChag 3a

423

bJev 62a 63b

mBer II,2 IX,5

Babylonischer Talmud bBer 17a 468 34b 438

SER X

439

PesK XII,6 (zu Jes 43,12-14) 439 PRE III XXVIII

Sohar I,35a 440 I,97a 440 I,98a-b 441 I,246b 336 II,100b 336 II,106a-106b438 II,226a 336 III,6a 336 III,28b-29a 440 III,48a 440

423 465

Tikunei Sohar, Tekuna Aschrin Wetarin 68b. 339 Sohar Chadasch, Bd. 1 (Tora) Paraschat Jitro, 57b. 339 Rabbi David ibn Zimra Metzudat David 3,1 465

Sachregister Abendland: siehe Okzident Abercromby, John –, The Pre- and Protohistoric Finns 156 Abraham 198, 205, 209, 239, 242, 414, 423, 436 Abraham Abulafia –, Sheva netivot ha-torah 33 Absolutes 17, 40, 41, 42, 46, 47, 49, 117, 119, 121, 177, 178, 205, 453 Ag(g)ada 28, 49,172, 212, 346, 433, 434, 443 ag(g)adisch, ag(g)adisches 49, 108, 111 Agnostizismus 80, 454 Ägypten 127, 128, 187, 242 Albertus Magnus –, Summa de creaturis 95 All: siehe Universum Allegorese 14 Allegorie 14 Allheit 86 Alltag, Alltägliches 41, 42, 232 Altes Testament 165, 222, 239 Analyse 172 Anarchie 103 Anarchismus 102-103 Anarchist 56, 103, 107, 312 Andersheit 86, 89, 293, 294 Anschauung 219, 237 –, mythische 42 Antike 72 –, jüdische 165 –, asiatische 188, 203 Antisemitismus, politischer 31 Arbeiter-Konsumgenossenschaft »Befreiung« 313 Archeus 92, 99, 284, 302, 303 Arnold, Matthew –, Lectures upon the Study of Celtic Literature 184 Asiaten: siehe Mensch, orientalischer Asien: siehe Orient Askese 119 Ästhetiszismus 39 Atheismus 26 Aufklärung 13, 16, 18, 19, 31, 32 –, Gegen- 11, 18 –, jüdische: siehe Haskala Augenblick, gelebter 230

Aussage –, religiöse 220, 453 –, wissenschaftliche 220, 453 Baal 199, 211, 241, 243 Babylonien 401, 424 Baeck, Leo –, Das Wesen des Judentums 35 Barkochba, -Aufstand 197, 423 –, -Verein: siehe unter Verein Bar Kochba Bedingtheit 193, 195, 199, 204, 206, 207, 209 –, Un-, Unbedingtes 40, 52, 151, 179, 199, 200, 204, 205, 206-212, 213-214 Befreiung 52, 61, 122 –, Selbst- 207 Begegnung 49, 178, 221, 233, 235-236 Begierde 72, 100, 217 Begriff 61, 93, 115, 190, 193, 218 Berdyczewski, Micha Josef –, Der Born Judas 38, 370 –, Die Sagen der Juden 369, 371, 379, 380, 383 Bergmann, Julius –, Die Legenden der Juden 28 Bergmann, Schmuel Hugo –, Die Heiligung des Namens 43, 383 Bewegung 71, 88, 89, 96, 100, 188-189, 218 Bewegung (gesellschaftlich) –, chassidische 54-55, 57, 108-109, 166, 213, 393 –, Erneuerungs- 29, 39 –, Jugend- 45 –, Lebensreform- 45 –, messianische 200, 213 –, neureligiöse 32 –, neuromantische 16, 49 –, prophetische 213 –, pseudomessianische 30 –, sabbiatanische 30, 37, 118, 337 –, urchristliche 197, 206, 212-213 –, Volks- 53, 213 –, zionistische 31 Bewusstsein 19, 85, 94, 145, 146, 157 –, schöpferisches 157 –, Selbst- 104 –, Un- 85 Beziehung 115, 116, 166, 219, 221 –, absolute 219

506 –, Beziehung Mensch-Gott: siehe Verhältnis Mensch-Gott –, unmittelbare 221 Bibel 14, 30, 165, 167, 172, 173, 175, 178, 179, 192, 203, 211-213, 232, 235, 237, 239, 241, 401 –, Sagen- 179, 373 Bibelkritik, moderne 175 Bibelübersetzung 237, 466 Bild 22, 32, 114, 148, 165, 188, 190, 223 –, Sinn- 22, 48, 149, 195 –, Ur- 86, 87, 88 Bildkraft 110, 196 Bildwort 145 Bloch, Chaim –, Kabbalistische Sagen 225-226, 465 Blut 21-22 Böhme, Jakob –, Aurora oder Morgenröthe im Aufgang 98 –, Clavis 92, 99, 100 –, De electione gratiae / Von der Gnadenwahl 91, 99 –, De incarnatione verbi / Von der Menschwerdung 95 –, Libri apologetici oder Schutz-Schriften contra Balthasar Tilken 99 –, Mysterium Magnum, oder Erklärung über das erste Buch Mosis 91, 98 –, Sex puncta theosophica. Oder: Von sechs theosophischen Punkten hohe und tiefe Gründung 99 –, De signatura rerum 91 –, De testamentis Christi / Von Christi Testamenten 92, 99 Bölsche, Wilhelm –, Über den Wert der Mystik in unserer Zeit 266 Böse, das 120, 191, 193-194, 207, 229, 274, 339, 468 Botschaft 148, 399 Braz, Anatole de –, La Legende de la Mort chez les Bretons 462 –, La theatre celtique 463 –, Vieilles Histoires du Pays Breton 463 Buber, Martin –, Alte und neue Gemeinschaft 264, 268 –, Des Baal-Schem-Tow Unterweisung im Umgang mit Gott 47 –, Chassidische Bücher 324, 368

Sachregister –, Chinesische Geister und Liebesgeschichten 379, 463 –, Daniel 368, 383, 424 –, Das dialogische Prinzip 270, 279 –, Drei Reden über das Judentum 24, 48, 51, 192, 376, 377, 422, 441, 448 –, Ekstatische Konfessionen 48, 270, 324, 349, 396, 397, 402, 443 –, Ereignisse und Begegnungen 21, 42 –, Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen 340, 399, 463 –, Vom Geist des Judentums 425 –, Die Geschichten des Rabbi Nachman 316, 322, 324, 349, 368, 396, 402, 422 –, Der große Maggid 368 –, Der heilige Weg 426 –, Ich und Du 448, 449 –, Die jüdische Mystik 368 –, Jüdische Religiosität 374 –, Die Legende des Baalschem 317, 349, 368, 370, 379, 422 –, Mein Weg zum Chassidismus 368 –, Der Mythos der Juden 33, 44, 367, 369 –, Die Rede, die Lehre und das Lied 350 Buch –, biblisches 198 –, Jesaja 52, 198 –, Leviticus 207 –, prophetisches 198 –, der Schöpfung 116 Buddhismus 196, 231 Burckhart, Jacob –, Die Cultur der Renaissance in Italien 266 Clausewitz, Carl von –, Vom Kriege 396 Chaos 142, 160, 169-170, 176, 214 Charakter, motorischer: siehe Mensch, motorischer Charakter, sensorischer: siehe Mensch, sensorischer Chassid 38, 52, 55-57, 109, 119, 201, 393 chassidisch 12, 28, 45, 54, 56, 57, 112, 208, 209 Chassidismus 27, 30, 34, 37-38, 42, 47, 49, 53-57, 108-109, 117, 119-120, 122-123, 165-166, 172, 174, 179, 200, 206, 213, 252, 316, 323-324, 340, 367, 370, 371 –, früher 41 China 187, 202, 228 Chinese 188, 193 –, taoistischer 190

Sachregister

507

Christentum 25, 46, 172, 197, 212, 229, 231, 232, 245, 271, 386, 402, 403, 425 –, paulinisches 199 –, russisches 311 –, Ur- 199, 212, 213, 425, 434 Christologie 26 Christus 26, 212, 268, 270, 354 Cicero –, Academica II. (Lucullus) 81 Cohen, Hermann –, Deutschtum und Judentum 404 –, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums 30 Comparetti, Domenico –, Der Kalewala oder die traditionelle Poesie der Finnen 156 Cornelius Agrippa –, De occulta philosophia 94, 95 Costers, Charles de –, Uilenspiegel und Lamme Goedzah 396

–, Runen- 156 –, Volks-, jüdische 27 Differenz 41, 47 Differenzierung 100 Dilthey, Wilhelm –, Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert 266 Dionysisches 20 Dogma 17, 63, 102-103, 148, 204 Dogmatik 37, 270 Dogmatismus 20, 32 Dostojewski, Fjodor Michajlowitsch –, Schuld und Sühne 315 Du 64, 72, 146, 149, 221, 233, 243, 279 –, absolutes 46 Dualismus 18, 47, 223 –, jüdischer 48, 206 Dubnow, Simon –, Geschichte des Chassidismus 37 Dynamik 219

Daniel 240 Dasein 57, 114, 115, 119, 139, 146, 149, 157, 165 –, geschichtliches 21 –, Gottes 228 –, jüdisches 204 –, Kampf ums 100 –, menschliches 117 –, mythisches 160 –, eines Volkes 156, 157 Denken, das 16, 17, 19, 70, 84, 86, 95, 116, 121, 143, 145, 188, 194, 219, 244, 451 –, dialogisches: siehe Dialogik –, Geschichts- 13 –, natürliches 30 Derwisch 228 Determinismus 17, 42 Deutsche, der 108, 188, 202, 317 Deutschland 27, 117, 203, 403-405, 467 Dialektik 57 –, ontologische 78 –, rabbinische 173 –, talmudische 33 Dialogik 39, 40, 41, 48, 448 Diaspora 117, 214 Dieterich, Albrecht –, Eine Mithrasliturgie 244 Dichter 25, 28, 149, 153, 166 Dichtung 26, 146, 152, 153, 162, 184 –, keltische 183 –, magische 162

Edda 182 Eidos 189 Einheit 17, 23-24, 40-42, 44, 45-48, 51, 53, 72, 82, 86, 94, 95, 141-144, 145, 146, 148-149, 174, 176, 190, 191, 193194, 195, 206, 214, 222, 223, 228, 456, 459 –, absolute 83, 95, 97 –, dynamische 47, 162 –, Erlebnis der 45, 46, 143-144 –, ewige 99 –, göttliche 42, 44, 83, 84 –, irrationale 96, 97 –, Kraft- 70, 71, 72, 73 –, Lebens- 61, 66 –, mystische 47 –, natürliche 97 –, unendliche 64 –, vollkommene 97 –, von Ich und Du 72 –, der Idee 76 –, Ur- 162 –, des Ursprungs 83 –, des Urzustands 100 Einheitsbegriff 94 Einheitserfahrung: siehe Einheit, Erlebnis der Einheitsfunktion 196 Einheitssehnsucht 44 Einheitsstiftung 46 Einheitstrieb 190, 193, 201 –, jüdischer 202

508 Einheitsverlangen 194 Einsamkeit 64, 66, 70, 145, 146 Einung 42, 43, 44-45, 47, 52, 58, 121, 206, 339 Einzelne, der 63, 64, 70, 78, 81, 104, 117, 121, 150 Einzigkeit 146, 230 Ekstase 47, 48, 78, 92, 112, 114, 116, 117, 119, 121, 142-146, 148-149, 155, 357, 367, 402, 422 –, intellektuelle 87 Ekstatiker 142, 145, 147-149 –, primitive 227-228 Elohim 175 Emanzipation 11, 31, 200 Empfindung 145, 188-189 emuna 403 Endliches 40, 146 Endlichkeit 64, 84, 86 Energie 70, 116 Entelechie 92 Entscheidung 194-195, 196-197, 199, 205206, 207-208, 209, 211, 213, 413-415, 430-431 Entwerden 82, 107, 119, 338 Entzweiung 191, 193-194, 199, 206, 207 –, Welt- 193-194 Epos 158, 161, 162 –, finnisches 152-153, 156, 162, 163, 164, 359 –, Gilgamesch- 187, 234, 420, 469 –, Volks- 160, 161, 162, 163 Erdmann, Johann Eduard –, Grundriss der Geschichte der 94 Erfahrung, mystische, siehe Erlebnis, mystisches Erkennen 12, 19, 120, 145, 221 –, Welt- 222 Erkenntnis 17, 46, 73, 93, 96, 117, 141, 145, 176, 207, 220, 271 –, naturwissenschaftliche 48 –, Selbst- 97 –, Welt- 103, 176 Erlebnis 46, 63-64, 121, 141-143, 145-146, 148-149, 154, 171, 177, 188, 189, 191 –, mystisches 47, 48-49, 116 –, Ur- 148 Erleben 47, 48, 78, 143, 145, 146, 165, 173, 177, 192 –, Gott- 174 –, Gottes 166 –, Ich- 142 –, innerstes 73, 102

Sachregister –, religiöses 46, 151 –, seelisches 50 Erlösung 43, 45, 47, 117-118, 122, 170, 229, 231-232 –, Gottes: siehe Gottes, Erlösung –, Welt- 53, 59, 117, 118, 179, 210, 213, 226 Erneuerung 12, 16, 47, 169, 179, 195, 205, 223, 264, 416, 435 –, jüdische: siehe Judentum, Erneuerung des –, religiöse 49, 50, 51, 122, 169-170, 399 Erscheinung, göttliche: siehe Theophanie Erzählung 32, 108, 110, 232, 234 –, biblische 167 –, legendäre 167 –, mythische 15, 167, 176, 177 –, phantastische 233 Essäer 116, 212, 336, 442 Essäismus 212 Ethik 211 –, reine 211 –, Personalitäts- 75 –, Situations- 23 Ethisches 56 Ethos 38, 55, 117, 119 –, ursprünglicher 201 Eucken, Rudolf –, Beiträge zur Geschichte der neueren Philosophie 77 –, Grundbegriffe der Gegenwart historisch und kritisch entwickelt 80-81 –, Die Lebensanschauungen der grossen Denker 90 Europa 122, 187, 195-196, 202-203, 403 –, modernes 202 Ewigkeit 82, 93, 95, 97, 107, 115, 143, 206 Exil 117 –, ägyptisches 226 Existentialismus, Früh- 22 Expressionismus 426 Falckenberg, Richard –, Grundzüge der Philosophie des Nicolaus Cusanus mit besonderer Berücksichtigung der Lehre vom Erkennen 80, 82, 85 Fechner, Hermann Adolph –, Jakob Böhme. Sein Leben und seine Schriften 91 Ferri, Luigi –, Nuova Antologia die scienze, lettere ed arti 83

Sachregister Feuerbach, Ludwig –, Grundsätze der Philosophie der Zukunft 72 –, Das Wesen des Christentums 353 Fiorentino, Francesco –, Il rinascimento filosofico nel quattrocento 80 Flavius Josephus –, Geschichte des jüdischen Krieges 116 Forte-Kreis 399, 404 Franciscus Georgius Venetus –, De harmonia mundi totius 95 Franck, Adolphe –, La Kabbale ou la philosophie réligieuse des Hébreux 33 Freiheit 61, 63, 64, 103, 106, 143, 151, 193, 200, 206, 212-213 –, eingeborene 153 –, göttliche 205, 206 –, Un- 103, 143, 151, 193, 214 Freude 119, 121, 122 Friedrichshagener Dichterkreis 253, 254 Galut 39, 51, 174, 208, 429 Ganzes 62, 65, 82, 86, 88, 221 Ganzheit 23, 24, 83, 153, 157, 172, 194, 221 Gebet 92, 121, 122 –, jüdisches 36, 42, 43, 230 Gebot 35, 44, 57, 59, 207 –, Sinai- 205 Gedächtnis 152, 157 –, »disjunktives« 234 –, konjunktives 234 –, kulturelles 23 –, mythisches 156 –, schriftloses 154 –, Traum- 234 Gedanke 61, 64, 121, 141, 145, 177 –, Bild- 115 –, Wort- 115 Gefühl 219, 221, 452, 455 Geheimnis 32, 35, 42, 73, 145, 201, 205, 209, 215, 217, 220-221, 224, 245, 454, 458 –, seelenhaftes 189 Geist 16, 17, 73, 90, 96-97, 117, 143, 145, 169-170, 172, 187, 189, 190, 193-194, 201-202, 211, 218, 221-222, 223, 229, 232, 305-306, 451, 453, 458 –, allgemeiner 198 –, ewiger 99 –, Geschichte des 228

509 –, göttlicher 84, 178, 237 –, heiliger 78, 197, 207 –, individueller 84 –, jüdischer 52, 110, 111, 174, 192, 199 –, Menschen- 145, 191 –, menschlicher 18 –, okzidentaler 203 –, orientalischer 187, 189, 201, 202, 203 –, Sphären des 222 –, universaler 241 –, unmittelbarer 201 –, verwirklichter 235 –, Volks- 210 –, Welt- 79, 149, 194, 290 –, Wirklichkeit des 187, 224 Geistesleben 219 –, jüdisches 111 Geistesmensch 222 Geistesrevolution 80 Geisteswissenschaft 218, 457 Geistiges 32 Geistigkeit 111, 200 Gemara 206, 209, 415, 430 Gemeinde 32, 193, 194, 196, 212 –, chassidische 122-123 –, heilige 204 Gemeinwesen, jüdisches 200 Gemeinschaft 32, 41, 61-66, 104, 117, 145, 150, 191, 210, 212, 214, 251-253, 255257, 277, 405 –, alte 62-63 –, elementare 153 –, essäische: siehe Essäer –, jüdische 29, 31, 119 –, Lebens-, jüdische 197 –, Menschen- 199, 202 –, neue 61-66, 255, 269 –, Neue 48, 61, 64-66, 251-254, 264, 265 –, religiöse 62, 212 –, Ur- 66 –, wirtschaftliche 62 Gerechtigkeit 211 –, absolute 115 Gesang 107, 153-154, 157, 161, 162, 164 –, Volks-, finnischer 153, 156, 157, 160, 163, 164 Geschehen 42, 71, 143, 177, 178, 189, 195, 219, 235 –, absolutes 176, 177 –, göttliches 171, 176, 177 –, magisches 163 –, seelenhaftes, seelisches 104, 187 –, sinnlich-wirkliches 176, 177

510 –, unendliches 177 –, Welt- 83, 165, 177, 190 Geschichte 21, 152, 165, 187, 228-229, 231, 238 –, geistige 243 –, jüdische 58 –, der jüdischen Religion 174 –, der jüdischen Tradition 213 –, Menschen- 102 –, Religions- 238 –, Ur- 239 –, Welt- 210, 229 –, Ziel der 229 Geschöpf: siehe Kreatur Gesellschaft 46, 62, 64-66, 103, 106 –, anarchistische 103 Gesetz 63, 106, 154, 169, 205, 207, 212-213 –, Acker- 198-199 –, äußeres 121 –, inneres 121 –, jüdisches 35, 36, 49, 56, 117, 173, 199, 206 –, Lebens- 65 –, Natur- 70, 79 –, Ritual- 199 –, Ur- 152 Gesetzesherrschaft 122 Gesetzgebung 212 Gestalt, göttliche 97, 214 Getriebe 141-146, 148, 149, 352 Gewalt 103, 208 –, asiatische 201 –, autoritäre 103 –, dichterische 184 –, elementare 29, 196 –, formende 187 –, innere 169, 170 –, magische 156 –, schöpferische 170, 189 –, schrankenlose 200 –, volkstümliche 157 Gilgameschepos: siehe Epos, GilgameschGlaube 22, 24, 34, 41, 153, 196, 218, 220, 227, 450, 454, 457, 458, 470 –, chassidischer 42 –, Dämonen- 167 –, Gottes- 174 –, jüdischer 11, 239 –, Kirchen- 26 –, traditioneller 17 –, Volks-, jüdischer 27 Gläubige, der 150 Gnade 25, 121, 141, 163, 230, 232

Sachregister Gnosis 57, 229 Gnostiker 57 gnostisch 35, 37, 53, 91 Goethe, Johann Wolfgang von –, Faust I 255, 315, 399 –, Leben des Benvenuto Cellini 392 –, Das Märchen 321 –, West-östlicher Divan 24, 462 Goldziher, Ignaz –, Der Mythos bei den Hebräern 38 Gott 25, 35, 42, 44, 45, 55, 62, 65, 70-73, 78, 83-90, 93-99, 100, 101, 115, 117, 119, 120-122, 142-144, 147, 150, 151, 166, 176, 178, 189, 194, 196, 198-199, 205-212, 214, 215, 218-223, 228-231, 235-237, 238, 239, 242-243, 277, 287, 305-306, 339, 413, 441, 449, 450, 453, 458 –, ägyptischer 164 –, Einung mit 35, 44 –, Gemeinschaft mit 209-210 –, individuierter 98 –, keltischer 184 –, neuer 72 –, werdender 266-267, 448 Gottes –, Angesicht 214 –, Ebenbild 194, 207, 228 –, Einheit 44, 83, 93, 97, 243 –, Entfaltung 83, 88 –, Entwicklung 95 –, Erlösung 43, 45, 59 –, Exil 120 –, Gegenwärtigsein 228, 231 –, Herrlichkeit 42-43, 98, 179, 208 –, Herrschaft 232 –, Ich 207 –, Immanenz 93, 220 –, Knecht 52 –, Leben 166 –, Nachahmung 207 –, Name 44, 195, 231, 243, 448 –, Selbsterkenntnis 84, 94, 97 –, Sohn 206 –, Tat 195 –, Verwirklichung 101, 207-208, 214, 268, 414, 430 –, Vollkommenheit 89 –, Weg 191 –, Wesen 84, 178, 368 –, Wille 193, 434 –, Wirklichkeit 223, 230, 457 Gottesbeweis, kosmologischer 222

511

Sachregister Gottesdienst 121, 211 Gotteserfahrung, jüdische 35 Gotteserscheinung 242 Gottesgefühl 122, 148 Gottesreich 117, 118, 196-197 Gottessehnsucht 122 Götter, keltische 184 Gottferne 221 Göttliches 32, 119, 145, 147, 151, 166, 171, 174, 177, 179, 194, 207, 223, 228, 231, 236, 238, 239, 243, 244, 395 Gottnähe 88, 122, 237 Gottschauen 112, 117 Götzendienst 211, 243 Gounot, Charles –, Faust 315 Griechen 142, 188, 190, 193, 194, 243, 412 Griechenland 187-188 Griechentum 188, 197 Grimm, Jacob –, Über das finnische Epos 152 Guest, Charlotte –, Die Mabinogion 182 Gute, das 399, 468 Haggada 128, 172, 212, 346 Halacha 56, 393 Handlung: siehe Tat Harless, Adolf –, Jakob Böhme und die Alchymisten 91 Harmonie 18, 61, 65, 72, 81, 83, 97 Haskala 37, 110, 122 Hebron 198 Hechaloth-Literatur 393, 395 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich –, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 94 heilig 148, 152, 153, 155, 157, 173, 179, 184, 196, 202, 204, 207, 209, 228 Heiliges 56, 121, 170, 222 Heiligkeit 209 Heiligtum 65, 146 Heiligung, heiligen 40-41, 43, 56, 121, 166, 179, 207, 222, 367, 455-456, 459 –, des Namens 41, 43 Held 21, 163, 176, 177, 184, 389, 393, 394 Hellenismus: siehe Griechentum Helm, Johannes –, Die biblische und die babylonische Gottesidee 242 Helmont, Johan Baptista van –, Opera omnia 100

Heros: siehe Held Hinduismus 277, 421 Historismus 14, 21, 29 Ich, das 48, 72-73, 104, 141, 143-145, 146, 147, 149, 193, 221 Ich-Du-Beziehung 31, 72, 221, 243 Ideal 62, 64, 271, 272 –, jüdisches 174 Idealismus 31, 280 –, subjektiver 267 Idealisten 18 Idee 76, 90, 95, 115, 145, 189, 191, 219 –, Gottes- 228 –, neoplatonische 76 –, Tat- 52 Identität 47, 82 –, jüdische 53 –, Satz der 220 Imago (Zeitschrift) 383 Immanenz 453 Inbrunst 117, 120, 121, 177, 192, 195, 201, 205, 394, 422 Inder, der 188, 190, 193 Indien 187, 202, 467 Individualisierung 46, 100 Individualismus, aristokratischer 21, 257 –, metaphysischer 75, 281 –, objektiver 82 Individualität 92, 93 Individuation 48, 78, 79, 86, 90, 95-97, 99101, 265 –, göttliche 100 Individuationsprinzip 79, 81, 99 Individuationsproblem 75, 78, 80, 85, 91, 93, 281, 282 Individuelles 72, 73, 79, 82 Individuum 21, 31, 41, 71, 72, 76, 78, 79, 80, 82, 85-86, 88-89, 91, 104, 193, 255, 280 Inkarnation 231 Innerliches 99, 142 Innerlichkeit 50, 51, 142, 190, 199, 212 –, asiatische 189, 201 –, der Welt 189, 191, 193 Intellekt 18, 20, 56, 81, 86, 104, 218 Intellektualität 214 Intellektuelle 40 –, jüdische 22, 32 –, nichtjüdische 32, 53 Intention: siehe Kawwana irrational 95, 96, 97, 195 Irrationales 28, 34, 96, 148, 177

512 Irrationalismus 16, 31 Islam 199 Israel: siehe Juden Israel, August –, M. Valentin Weigels Leben und Schriften 93 Jacob, Benno –, Mose und die Erscheinung im Dornbusch 242 Jahwe 175-176, 178, 179, 192, 195, 199, 205-206, 207-208, 211, 382, 390, 430, 433 Japan 202 Jellinek, Adolf –, Auswahl kabbalistischer Mystik 33 –, Beiträge zur Geschichte der Kabbala 33 –, Hekhalot Rabbati 34 –, Moses Ben Schem-Tob de Leon und sein Verhältnis zum Sohar 33 –, Nitsarot R. Schimon bar Jochai 34 –, Philosophie und Kabbala 33 Jenseits 17, 119, 232 Jerusalem 197, 203, 212 Jichud: siehe Einung Jichudim 42 Jiddisch 316 Johannes Marcus Marci –, Idearum Operatricium Idea 92 Johannes Scotus Eriugena –, De divisione naturae 83 John, Ivor B. –, The Mabinogion 182 Joseph 198, 236 Der Jude 38, 370, 404 Juden 11, 23, 27, 29, 31, 32-33, 39, 53, 58, 59, 108, 111, 114-117, 128, 132, 165, 173, 178, 188, 191-194, 197-199, 201202, 203, 206, 228, 230, 319, 324, 401403, 404, 412 –, antike 178, 198, 316 –, deutsche 11, 31, 36, 38, 45, 53, 377 –, Emanzipation der 31 –, europäische 53 –, heutige 170, 174, 188 –, osteuropäische 36, 108, 110, 166 –, polnische 200 –, russische 404 Judenfrage 204 Judentum 11, 13, 15, 21, 27, 28-31, 32, 3435, 38, 46, 48, 52, 54, 57, 58, 117, 170, 171-172, 174, 176, 194-195, 197-199, 200-201, 203, 204, 205, 207, 209, 211,

Sachregister 213-214, 228, 229, 231, 232, 245, 381, 403, 404, 415, 467 –, Erneuerung des 12, 29, 32, 38, 39, 54, 58, 204, 212, 214, 377, 378, 390, 393, 429 –, Geschichte des 198, 210 –, lebendiges 58, 214 –, monotheistisches 173-174 –, mythologisches 173-174 –, offizielles 51, 171, 200, 207, 210, 212, 213, 214, 380, 428 –, östeuropäisches 108, 316 –, Psychologie des 198 –, rabbinisches 52, 316, 323, 380 –, unterirdisches 51, 207 –, Wissenschaft des 26, 29, 30, 34, 37 Jüdische Rundschau 398 Kabbala 29-30, 33-34, 35, 36, 37-38, 43, 54, 55-57, 58, 114, 115, 116-117, 119, 120, 121, 149, 172, 174, 208, 213, 323324, 338, 367, 440 –, ältere 30, 34, 37, 117 –, lurianische 43, 53, 118, 213, 225, 324, 468 Kabbalisten, mittelalterliche 118 Kalewala 152, 158, 160-164, 359, 363, 367 Kampf 70, 71, 72, 82, 100, 191, 199, 200, 210, 214, 224 –, Geistes- 52, 200, 214 –, schöpferischer 51, 70, 199 Kanaan 198, 199, 202, 242 Kausalität 42, 91, 153, 176-177, 178, 223 –, empirische 178 –, metaphysische 178 Kawwana 43, 53, 56, 121, 194, 209, 213, 340, 436 Ketzer 49, 50, 51-52 –, jüdische 51-52, 200, 213 Ketzerei 122, 174 Kirche 150 Koidanower, Sewi Hirsch –, Kaw ha-jaschar 347 Konfession 147-149 Königtum 111 Konkretes 88 Konvention 65 Körper 70, 89, 119, 188, 218 Kosmologie, mystische 42 Kosmos 84, 100, 115, 142 Kraft 62, 70, 89, 95-98, 100, 120, 141, 144, 169, 194, 204, 214, 223 –, aufbauende 196 –, Bild- 110, 196

Sachregister –, Einbildungs- 14, 108 –, ewige 214 –, geistige 84, 164, 200 –, göttliche 89, 95, 208 –, Grund- 71 –, Individuations- 97 –, innere 120 –, kosmische 175 –, Lebens- 197 –, mythenbildende 165, 171, 174 –, organische 70 –, schöpferische 65, 187, 191, 200 –, Seelen- 169 –, Ur- 70, 100, 195, 202 –, Volks- 118 Kreatur 93, 99, 211, 228, 231, 232 Krieg 429 Krisis 17, 169 –, asiatische 202 Krohn, Kaarle –, Wo und wann entstanden die finnischen Zauberlieder? 156 –, Zur Kalevalafrage 162 Kues, Nikolaus von –, De beryllo / Der Beryll 76, 82 –, De coniecturis / Die Mut-Maßungen 80 –, De dato patris luminum / Die Gabe vom Vater des Lichts 82 –, Dialogus de Genesi / Dialog über die Genesis 81, 82, 83 –, Idiota de mente / Der Laie über den Geist 86 –, Idiota de sapientia / Der Laie über die Weisheit 81 –, De ludo globi / Das Kugelspiel 81 –, De pace fidei / Der Friede im Glauben 89 –, De quaerendo Deum / Das Gott-Suchen 83 –, Trialogus de possest / Das Können-Ist 83 –, De venatione sapientiae / Die Jagd nach der Weisheit 76, 81 Kult 227, 241, 242 –, Opfer- 210-212, 213 Kultur 13, 20, 28, 46, 117, 169-170, 219, 374, 452, 458 –, ägytische 192 –, ästhetische 38 –, babylonische 192, 386 –, deutsche 20, 32 –, echte 28, 32 –, Erneuerung der 22 –, Gegen- 16

513 –, Golus- 170 –, jüdische 27, 28, 113, 119 –, neue 169-170 –, rabbinische 33 –, Schönheits- 38 –, tragische 16 –, Verfall der 22 Kulturentwicklung 23 Kulturkritik, romantische 18 Kunst 39, 61, 65, 106, 196, 203, 222, 456 Künstler 84, 107, 275, 456 Kunstwerk 65, 106, 237 Kunstwort 63 Kuttner, Bernhard –, Jüdische Sagen und Legenden für jung und alt gesammelt und wiedererzählt 28 Lamprecht, Karl –, Pandynamismus 80 Landauer, Gustav –, Arnold Himmelheber 107 –, Durch Absonderung zur Gemeinschaft 251, 312 –, Lebendig tot 107 –, Skepsis und Mystik 17, 50, 51, 105, 106, 311, 313 –, Der Todesprediger 105, 106 Lange, Fiedrich Albert –, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart 92 Lasswitz, Kurd –, Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton 76, 92 Laulaja 152-153, 154-155, 156, 157, 158, 160-161, 162, 164 Leben 31, 35, 40-41, 47, 48, 53, 61-63, 65, 70, 72, 117, 118, 119, 120, 121, 142, 153, 169-170, 191, 208, 209, 211, 220, 221, 227, 256, 271, 471 –, affektives 19 –, Baum des 206 –, biblisches 118 –, Erneuerung des 47 –, geistiges 23, 115, 122, 198, 199 –, gelebtes 230 –, göttliches 93 –, jüdisches 27 –, Menschen- 64, 141, 195, 206, 209, 211, 213 –, moralisches 219, 453 –, natürliches 198, 200 –, neues 65-66,

514 –, –, –, –, –, –, –,

organisches 188, 218, 302-303, 451 palästinensisches 202 persönliches 117 rechtes 190, 199, 202 religiöses 198, 212, 221-222, 244, 455 schrankenloses 107 Sinn des 64, 105, 165, 169, 189, 207, 244, 255 –, sittliches 228 –, soziales 64 –, unbedingtes 118, 211 –, wahres 61, 196, 213 –, Welt- 206 –, wirkliches 222, 230 Lebendiges 62, 104 Lebensanschauung, ethische 55 Lebenseinheit 61, 66 Lebensform 109, 169-170, 203, 212 Lebensgefühl 62, 102 Lebensgesetz 65 Lebensgetriebe 141 Lebensimpulse 169 Lebensphilosophie 45, 47 Lebenswahrheit 202 Legende 13, 167 –, chassidische 21, 37, 41, 55, 56, 57, 359, 367 –, rabbinische 28 Lehre, aristotelische 76 –, Archeus- 100 –, chassidische 37 –, Gottes- 195 –, indische 421 –, jüdische 196-197 –, mystische 116, 120 –, orientalische 190, 191, 195-196 –, platonische 87 –, rabbinische 108-109 –, religiöse 195 –, stoische 81 Leib: siehe Körper Leibniz, Gottfried Wilhelm –, Systéme nouveau de la nature et de la communication des substances 77 Leidenschaft 197, 205-206, 229, 437 Liberalismus 31, 32 Literatur 28, 105 –, aggadische 108 –, hebräische 110 –, Jargon- 110 –, Märchen- 108 –, midraschische 108 –, Welt- 108, 167

Sachregister Liebe 44, 57, 62, 65, 66, 71-72, 120, 146, 208 –, absolute 115, 118 –, eheliche 222 –, sexuelle 240 Liebeseinung 143 Logik 148, 230 Lönnrot, Elias –, Suomen Kansan muinasia Loitsirunoja 156 Loth, Joseph –, Cours de littérature celtique 182 Ma’assebuch 108, 318 Mabinog 182 Mabinogi 182, 184 Macht 61, 63, 80, 100, 142, 149, 163, 164, 175, 184, 191, 201, 208, 210, 230, 236, 237, 240 –, All- 230 –, lebendige 205 –, mythische 58 –, schöpferische 164 –, Wunder- 155 Machtäußerung 163 Magie 57, 153, 155, 163, 184, 195 –, finnische 163 Magier 163 Märchen 13, 16, 28, 108, 109, 110 –, deutsche 110 –, jüdische 108, 112, 113, 317 –, Kunst- 108, 113, 320, 341 –, Volks- 108, 113, 320 Märchenliteratur 108 Marcismus: siehe Gnosis Märtyrer 119, 147 Materialismus 17, 26, 32 Materie 80, 87, 105, 209 Melek 241, 243 Mensch 18, 19, 20, 41, 42, 43, 44, 47, 55, 56, 59, 62, 70, 72-73, 80, 86, 89, 93, 94, 99, 104, 120-122, 142-144, 151, 153, 163, 165, 169, 179, 191, 193-197, 204, 206-209, 214, 220, 222, 229, 230-232, 236, 277, 309, 450, 455, 456 –, abendländischer 189-190, 196, 402 –, chassidischer 56 –, elementarhafter 234 –, frommer 222 –, ganzheitlicher 18 –, Geistes- 222 –, handelnder 208 –, jüdischer 12, 58

515

Sachregister –, –, –, –, –,

lebendiger 177 moderner 223, 233, 235 motorischer 188-189, 192, 199, 402 naturnaher 233, 235, 240 orientalischer 187-189, 190, 192-194, 199-202, 402, 408, 410 –, primitiver 177, 240 –, religiöser 221 –, schöpferischer 158 –, sensorischer 188-189, 402 –, Ur- 66, 118, 240 –, ursprünglicher 234 –, zivilisierter 176 Menschengeist 145, 191 Menschengemeinschaft 199, 202 Menschengeschichte: siehe Geschichte Menschenleben 195, 206, 209, 211 Menschenleib 145, 208 Menschenseele 15, 48, 83, 145, 165, 171, 212 Menschentat 208-209, 211 Menschentum 171, 173, 174 Menschenwelt 204, 214 Menschheit 30, 48, 65, 66, 103, 146, 149, 170, 176, 187, 191, 195, 243 Menschliches 63, 142, 184, 207, 231, 236, 244, 245 Messianismus 117, 119, 199, 322 Messias 117-118, 121, 170 Metaphysik 171, 218-219, 244, 452 Metatron 179, 395 Midrasch 149, 172, 206, 431 –, Sagen- 167, 369 Mikrokosmos 72, 98, 252 Mikrokosmoslehre 76, 85, 91, 265, 281 Mischna 205-206, 413, 415, 435 Moderne 16, 20, 23, 24, 45, 78, 253 –, hebräische 110 Monadologie 86, 298 Monismus, pantheistischer 94 Monotheismus 58, 174, 228 –, jüdischer 175, 178 –, primitiver 240, 241 Moral 39, 62 Moses 115, 205, 209-210, 226, 230, 237, 242, 442-443 Musik 105, 193, 311, 314 Mysterium 32, 76, 94, 143, 194, 196, 206, 226 Mystik 16, 17, 22, 23-26, 34, 35, 36, 39, 42, 43, 45-47, 49, 53-54, 57, 78, 109, 150151, 266, 267, 270, 285, 358

–, –, –, –, –,

agnostische 17 atheistische 25-26 chassidische 56 deutsche 91, 119, 311 jüdische 30, 33-35, 37, 45, 51-54, 56, 58, 114, 115, 117, 119, 165, 167, 173, 200, 213, 322 –, kabbalistische 55 –, mittelalterliche 78 –, orientalische 24-25 Mystiker 16, 40, 41, 45, 47, 48, 102, 111, 151, 272 –, indische 189 –, islamische 24 –, jüdische 51-52, 323, 324 Mystisches 16, 28, 30, 34, 35, 58 Mythisches 13, 14, 19, 28, 58, 171, 172 Mythologie 13, 14, 15, 22, 174 –, jüdische 38 –, neue 13 Mythos 13, 14, 15, 18-21, 22, 28, 30, 31, 32, 38, 39-42, 46, 48, 53, 54, 57-59, 149, 153, 165-166, 171, 173-179, 184, 233, 235, 359, 393 –, finnischer 160, 163, 164 –, jüdischer 29, 36, 54, 172-173, 175-176, 178-179, 370, 371, 383, 386 –, lebendiger 20, 163, 176, 179 –, literarischer 15 –, nachbiblischer 178 –, nationaler 161 –, okzidentaler 178 –, Volks- 20, 29, 359, 370 –, volkstümlicher 163 –, Welt- 14, 210 Nation 14, 202, 203 Nationalismus, deutscher 404 –, jüdischer 31 Natur 19, 20, 64, 65, 70-71, 83-84, 98-101, 115, 153, 178, 218, 228, 229, 287, 290, 451, 458 Naturalismus 25, 253 Naturgesetz: siehe Gesetz, NaturNaturrecht 150-151 Naturwissenschaft 79, 213, 266, 451, 457 Der Neue Merkur 401 Neumark, David –, Geschichte der jüdischen Philosophie des Mittelalters 174 Nichtrationales: siehe Irrationales Nichts, das 88, 101, 116, 163

516 Nietzsche, Friedrich –, Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik 20, 39, 392 Nutzzweck 62-63, 70, 115, 252, 257 Objekt 221-222 Offenbarung 21, 84, 99, 114, 122, 143, 149, 178, 191, 193, 229-231, 239, 244-245 –, christliche 25 –, Erlösungs- 229 –, Lebens- 63 –, Schöpfungs- 229 –, Selbst- 84, 86 –, Sinai- 238, 240, 243 Okzident 187, 191, 195, 197-199, 201-203, 403, 467 Okzidentale, der: siehe Mensch, abendländischer Opfer 211, 236, 241 Opferkult: siehe Kult, OpferOrient 187-188, 190-192, 195-196, 202203, 260, 262, 402, 403, 405, 407-408, 409, 467 Orientale, der: siehe Mensch, orientalischer Orientalistik 14 Orthodoxie 36, 122 –, Neo- 35, 36 Palästina 109, 117, 203 Pantheismus 83, 94, 147, 266, 268 Paracelsus –, Die grosse Wundarzney 92 –, De meteoris 92 –, Philosophia ad Atheniensis 94, 95 Pardes 382 Parsismus 229, 230 Partizipationstheorie 87-88 Pathos 115-116, 190, 194, 212 Peip, Albert –, Jakob Böhme, der deutsche Philosophe, der Vorläufer christlicher Wissenschaft 91, 98 Perser 193 Persien 202 Persönlichkeit 64, 71, 75, 89, 102, 174, 192 Pessachfest 346, 436 Phantasie 108, 109, 234 –, jüdische 111 –, Volks- 167 Philosophen, nachkantische 218 Philosophie 40, 218, 223, 305, 452, 453 –, arabische 392 –, griechische 228

Sachregister –, jüdische 392 –, Lebens- 45 –, mittelalterliche: siehe Scholastik –, moderne 16 –, monistische 41 –, Natur- 91 –, positive 22 –, Renaissance- 76, 92, 283 –, romantische 14, 256 –, scholastische: siehe Scholastik Pistis 403 Plastizität 187, 191 Platoniker 144, 178 –, Neu- 81, 281 Platonismus, Neo- 76, 117 Plotin –, Enneaden 97 Poesie, epische 152 Polen 27, 57, 119 Pomponazzi, Pietro –, Petri Pomponatii philosophi et theologi doctrina et ingenio praestantissimi, Opera 84 Potentialität 80, 85-88, 95-97, 99-100, 160 Pothan, Henrik Gabriel –, Dissertatio de Poësi Fennica (17661778) 154 Priester 210-212 –, ägyptischer 192 Priestertum 211 –, spätjüdisches 172 Profanes 56, 166, 209 Projektion 142, 146, 147 Prophet 51, 115, 176, 188, 197, 205, 210, 211-212, 230 –, jüdischer 188, 189, 199, 227 Prophetentum 213 Prophetie 118, 198 Psyche: siehe Seele Psychologie 187, 454 –, des Judentums 165, 198 –, romantische 14 Psychologisches 221 Rabbi Nachman von Bratslaw –, Sippure Maassijot 108, 110, 318 Rabbinentum 174 Rabbinismus 47, 110, 173-174, 205, 370, 383, 390, 430 Rappeport, Ernst Elijahu –, Jeschualegenden 383 Rassentheorie 165, 187 Ratio 17, 18, 48

Sachregister Rationales 148 Rationalismus 29, 32, 109, 117, 171-172, 205, 265, 430 Rationalisten 13, 176 Räumliches 105 Recht, das 151, 196-197 Rede, die 153-154, 350 Relation: siehe Beziehung Relativitätstheorie 223, 457, 460 Religion 17, 20, 21, 26, 41, 46, 50, 142, 150, 165, 171, 172, 200, 204-205, 210, 212, 218-219, 220-221, 222-223, 227, 228, 244, 245, 255, 374, 426, 447, 450-453, 456-458, 459-460 –, asiatische 190 –, des Biedermeier 25 –, Entmagisierung der 243 –, Erlöser- 231 –, Erlösungs- 50 –, etablierte 229 –, iranische 11, 27, 31, 174, 199, 210, 228, 230, 380 –, jüdische 27 –, monotheistische 41, 255 –, Offenbarungs- 245 –, positive 11, 30-31, 58 –, Rabbinen- 174 –, rationalistische 13 –, sinnliche 231 –, Staats- 211 –, Verstandes- 32 –, Volks- 174 Religionsgeschichte 238 Religionskritik 17 Religionswissenschaft 11, 238, 244-245, 447, 470 Religiöses 34, 218, 219, 222 Religiosität 34, 46, 52-53, 150, 151, 169, 174, 204-205, 209, 211, 212, 213, 214, 245, 374, 425, 426, 429 –, echte 51, 214 –, griechische 434 –, indische 434 –, jüdische 39, 171, 178, 202, 204, 205, 207, 208, 209, 210, 214, 281, 212, 213, 381, 389, 427, 428, 429, 430, 432, 434 –, neue 169, 170 –, russische 150 –, unbedingte 46, 151 –, wahre 41, 172, 270 Renaissance 72, 93, 265-266, 267, 280 –, jüdische: siehe Judentum, Erneuerung des

517 Renan, Ernest –, Histoire générale et système comparé des langues sémitiques 391 Reshumot 28 Revolution 65, 106 –, konservative 253 –, soziale 313 Rhys, John –, The Text of the Mabinogion. And other Welsh Tales from the Red Book of Hergest 182 Ritter, Heinrich –, Geschichte der Philosophie 91, 92 Ritus 25, 53, 204, 213 Rixner, Thädda Anselm –, Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker am Ende des XVI. und am Anfange des XVII. Jahrunderts 92 Romantik 11, 13, 14, 16, 18, 24, 27, 28, 280 –, deutsche 26, 317 –, nationale 157 –, Neu- 16, 45, 49, 280 –, völkische 313 Romantiker 113, 157, 320 Rune 154, 156, 157, 160, 164 –, epische 153, 155, 162, 163, 164, 367 –, finnische 158 –, lyrische 155, 156 –, magische 162, 163 –, Zauber- 155-156, 160, 164, 367 Runendichtung 156 Russland 110, 311, 404 Sage 13, 16, 38, 57, 167, 183, 443 –, Artus- 183 –, irische 184 –, jüdische 167, 369 Sagenbibel 179 Sagenschatz, jüdischer 167 Schaffen, das 66, 70-71, 99, 102, 104, 107, 192, 199, 256, 268, 311 Schechina 43, 208, 339, 368, 468 Schicksal 111, 162, 173, 204 –, geistiges 197 –, Gottes 53, 179, 208, 213 –, Helden- 177, 183 –, inneres 187, 191, 195 –, Menschen- 121, 211 –, Volks- 114, 116, 201 –, Welt- 71, 193, 195 Schiking 187, 420 Scholastik 72, 76, 78-80, 84, 93-94

518 Scholastiker 94 Schönheit 61, 62, 72, 84 Schönheitsgefühl 39 Schönheitskultur 38 Schopenhauer, Arthur –, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde 96 –, Die Welt als Wille und Vorstellung 76 Schöpferisches 44, 61, 200 Schöpfung 43, 84, 93-94, 96, 97, 98, 99100, 169-170, 192, 194, 195, 198, 202, 222, 228-231, 415 –, ewige 198, 208 –, geistig-religiöse 201 –, metaphysische 202 –, Selbst- 103 –, Welt- 70, 84, 94 Schrankenloses: siehe Unendliches Schrift, areopagitische 82, 145 –, heilige: siehe Bibel –, prophetische 176 Schriftgelehrter 211-212 Schrifttum 211 –, jüdisches 165, 173 –, kabbalistisches 208 –, nachbiblisches 172, 173, 205 –, spätjüdisches 173 –, talmudisch-midraschisches 167 Schweigen 145-147 Scotus Eriugena –, De divisione naturae 83 Seele 42, 52, 70, 78, 83, 86, 89-90, 103, 105, 106, 118-119, 120-122, 141-142, 144, 149, 166, 171, 176-177, 178, 188, 190, 194, 208, 218, 219, 221, 227, 232, 235, 274-275, 357, 413, 459 –, aufbauende 170 –, chassidische 111 –, Einswerden der 199 –, Einzel- 41, 42 –, entbrannte 200 –, Ganzheit der 23, 455 –, Ganzwerden der 221 –, jüdische 114-115, 116, 201, 202 –, Menschen- 15, 48, 83, 117, 145, 165, 171, 212 –, wiedergeborene 208 Seelenkräfte 169 Seelenleben, jüdisches 112 Seelenwachstum 90 Sefer ha-Aggada 28 Sefirot 42, 44, 338, 439 Segen 122, 198

Sachregister Sehnsucht 17, 46, 62, 71, 117, 194, 204 –, Einheits- 44 –, Gemeinschafts- 61, 66 –, Gottes- 122 –, Kampf- 71 –, Liebes- 71 –, unendliche 170 Sein, das 47, 64, 70, 79, 82, 86, 88, 97, 115, 164, 191, 194, 206, 208, 220, 222, 228 –, Einheit des 194 –, einzelnes 83 –, individuelles 79, 82 –, minimales 87 –, wesenhaftes 95 Sekte 62, 116, 123, 150 Seligkeit, ewige 89 –, geistige 121 Seneca –, Epistulae morales 81 Sinnlichkeit 14, 18, 223, 268 Skepsis 17, 104 Sohar 30, 115-118, 206, 208, 209, 226, 323, 336, 431 Solipsismus, religiöser 46, 150 Sombart, Werner –, Die Juden und das Wirtschaftsleben 391 Sozialismus 105, 203, 252 Der Sozialist 106 Sozialisten, religiöse 25 Spaventa, Bertrando –, Saggi di critica filosofica, politica e religiosa 80 Spiel 70, 268 Spiess, Gustav Adolph –, J. B. van Helmont’s System der Medicin 92 Sprache 34, 144-145, 146 –, begriffliche 17 –, finnische 154 –, konventionelle 22 –, Menschen- 148 –, Mythen- 167 –, neue 105 –, Ur- 153 –, Zweck- 61 Sprachkritik 70, 104 Staat 252 –, chinesischer 150 –, jüdischer 197, 203 Steinthal, Chajim Heymann –, Das Epos 162 Stoa 79, 81, 95, 289

Sachregister Subjekt 115, 141, 193-194, 221-222 –, erkennendes 193, 223 –, handelndes 193 Subjektivierung 219 Subjektivität 223, 227 Substanz 115, 117 –, absolute 95 –, äussere 218 –, lebende 158 –, sinnliche 171, 176 Sufi 24, 144 Sünde 193, 195, 206, 415 Sündenfall 207 Sünder 196 Symbol 14, 151, 170, 210 Synagoge 199, 225 Synoptiker 197, 423 Talmud 234, 468 Talmudgelehrte 122 Tao 189-190 Tat 48, 52, 56, 59, 120, 163, 179, 188, 191, 194-195, 197, 204, 206, 208-209, 210, 213-214, 230, 414-415 –, einige 205 –, göttliche 43, 195 –, innerliche 190 –, Menschen- 208-209, 211 –, menschliche 43, 197 –, positive 196 Taylor, Jeremy –, Antiquitates Christianae 147 Teschuba: siehe Umkehr Theismus 94, 147 Theodizee 399 Theologie 230, 238, 244, 281, 305 –, mittelalterliche 93 –, negative 220 –, traditionelle 80 Theophanie (Erscheinung, göttliche) 238242, 441 Theorie –, Fiktions- 219, 452 –, Kritische 19 –, Lücken- 218, 451, 458 –, Überbau- 219, 452 –, Zweiteilungs- 218, 451, 458 Thora 36, 44, 45, 57, 59, 213, 338, 370, 424, 437 Tikkun 43, 58 Tönnies, Ferdinand –, Gemeinschaft und Gesellschaft 251 Totalität 24, 187, 221

519 Tradition 21, 49, 106, 155, 156, 212, 213, 234 –, chassidische 37 –, halachische 49 –, jüdische 41, 44, 52, 213 –, kabbalistische 44 –, mystische 23, 26, 31, 33-34, 47, 57 –, mythische 31 –, neuplatonische 90 –, Rassen- 184 Trägheit 206 Transzendentes 78, 87, 221 Transzendenz 83, 94, 220, 242, 453, 470 Traum 233-234 Trecento 188 Trieb 102, 103, 107, 120-121 –, böser 205, 206 –, Einheits- 190, 193, 201, 202 –, guter 205 –, Volks- 162, 199 Überbau 229 Überbautheorie 219 Ukraine 119-120, 338 Umkehr 188, 195-197, 202, 206, 212, 415, 423, 430-431, 442 Unbedingtes 204-205, 211-214 Unbedingtheit 209-211, 213 Unbewusstes 15, 230 Unendliches 40, 104, 115, 146, 200, 209, 220 Unendlichkeit 63, 64, 86, 143 Unfreiheit 103, 143, 151, 193 Universalienstreit 79, 80, 289 Universum 81, 86, 88, 99, 144, 176 Unmögliches 115, 117 Unsagbares 146, 148-149 Unsterblichkeit 146 Upanischaden 114, 143, 149, 178, 188, 394 Urbild 86-88 Urbildlehre, platonische 87 Ursprung 44, 83, 155, 222, 459 –, religiöser 223 Urzustand 101 Utilitarismus 171-172 Vedanta 72, 190, 270, 277, 421 Veden 149, 187 Veräußerlichung 146, 147-148, 212 Verdinglichung 450 Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba 377-378, 401, 425

520 Verhältnis, Mensch-Gott 150, 151, 221, 238, 244, 450, 454-455, 461 Verinnerlichung 192 Vernunft 14, 16, 18, 19, 31, 34, 86, 94, 119, 147, 268 –, instrumentelle 19 –, menschliche 86 Verschiedenheit 63, 71, 72, 76, 79, 81, 82, 83, 84, 87, 89, 91, 93 –, absolute 80, 86, 93, 97 –, empirische 87 –, individuelle 80, 86 –, qualitative 76 –, quantitative 76 Verstand 18, 19, 70, 86, 111 Verstandesordnung 114 Verwirklichung 89, 95, 206 Verzweiflung 102, 116 Vielheit 40-42, 47, 76, 82-84, 91, 93-97, 100, 145-146, 149, 177, 214 Volk 42, 49, 53, 57, 152, 157, 169-170, 171, 173, 187 –, deutsches 202-203, 405 –, einfaches 29 –, finnisches 153, 155, 156, 161 –, fremdes 13 –, jüdisches 29, 53, 116, 117, 122, 170, 171, 192, 197, 205 –, Kultur- 165 –, mythenloses 171 –, mythenschaffendes 165 –, mythologisches 32 –, Natur- 165 –, neues 170 –, Nomaden- 198, 199 –, orientalisches 187, 191, 199, 202 –, rationalistisches 32 –, südliches 108 –, vorderasiatisches 172 Völkerkunde 13, 26, 27, 29 –, jüdische 27, 28 Völkisches 51 Volksbewegung 53, 213 Volkscharakter, jüdischer 27 Volksdichtung, jüdische 27 Volksepos 160, 161, 162 –, finnisches 163 Volksgeist 210 Volksgesang 157, 160 –, finnischer 153, 156, 160, 163, 164 Volksgeschick 261 Volkskunde, jüdische 28 Volksleben 157

Sachregister Volksmärchen 108, 113 Volksmythos 20, 29 Volksphantasie 167 Volkspsychologie 318 Volksreligion 174 Volksreligiosität, jüdische 171, 380 Volkssänger 154, 158, 161 Volksseele 118, 211, 261 Volkstrieb 162, 199 Volkstum 12, 29, 174, 204, 205 –, jüdisches 200, 211, 214 Vollendung 82, 90, 118, 194, 228, 232 Vollkommenes 147 Vollkommenheit 89 Vorstellung 115 Wahrheit 65, 178, 209-210, 219 –, absolute 104, 314 –, Glaubens- 454 Wechselwirkung 97 Weg 190-191, 196 Die Welt 370 Welt 40, 41, 42, 43, 47, 48, 53, 58, 59, 63, 70-73, 83-84, 89, 93-95, 96, 98-100, 103105, 119, 121, 141-145, 189-196, 199, 205-206, 209, 218, 221, 223, 228, 231232, 267, 287, 314, 415, 440, 450, 455, 459 –, einige 190, 193 –, entzweite 46, 190, 193, 194 –, innere 179, 190 –, Körper- 104 –, neue 104 –, reale 452 –, Schein- 191 –, Sinnen- 76, 223 –, wahre 190, 191 –, Werden der 208 –, wirkliche 190 –, Vollendung der 232 Weltall 63, 64 Weltanschauung 218, 450 Weltbegriff 223, 457, 459 Weltbild 102, 104, 190, 223 –, naturwissenschaftliches 218 Welteinung 193 Welterfassung 218 –, religiöse 218, 220-221, 223, 450, 457 –, wissenschaftliche 218, 220, 450, 457 Welterkenntnis 103 Welterlösung 117, 118, 179, 201, 213, 226, 338

Sachregister Weltgeschichte: siehe Geschichte, WeltWeltgrund 73 –, göttlicher 83 Weltliteratur 167 Weltordnung 223 Weltprozess 82-83, 88, 99, 118, 163, 165166 Weltschicksal 71, 191, 195 Weltschöpfung 70, 84, 94 Weltsinn 92 Weltvergöttlichung 118 Weltvollkommenheit 81 Weltvorstellung 223, 457, 459 Werden 47-48, 64, 70-71, 82, 99, 107, 206 –, jüdisches 202 Werk 62, 63, 86, 199, 208 Werte 219 Wesen 82, 84, 86-87, 89, 93, 99-100, 115, 120, 194 –, geistige 89 –, ungeistige 89 Wille 96-97, 99-100, 146, 230 –, ewiger 95 Wille, Bruno –, Offenbarungen 254 Willkür 147 Willmann, Otto –, Geschichte des Idealismus 92 Wirklichkeit 17, 41, 42, 70, 85-89, 96, 177, 219, 231, 448, 452, 453 –, absolute 76, 85, 117 –, relative 76, 85 –, religiöse 218, 222, 452, 457 –, sinnliche 176, 178-179

521 Wissen 86, 190, 218, 450, 457 Wissenschaft 13, 218-220, 223, 227, 266, 447, 448, 451, 452, 453, 454, 456-457, 458, 459-460 –, jüdische 29 –, positivistische 31 Wolf, Johann Wilhelm –, Niederländische Sagen 396 Wort 22, 107, 116, 121, 145, 147-149, 152, 154-155, 163, 221, 359, 455 –, echtes 235 –, geoffenbartes 96 –, gesprochenes 22 –, Kunst- 63 –, schöpferisches 164, 360, 367 Wunder 42, 95, 352 Wunderbares 28 Zaddik 21, 27, 55, 122-123, 207, 440 Zauberer 156, 159, 163-164, 177, 359, 389 Zeit 40, 118 Zeitliches 104 Zerstören 107 Zeugnis 235 Zimmermann, Robert –, Der Cardinal Nicolaus Cusanus als Vorläufer Leibnitzens 76, 77 Zion 199, 435 Zionismus 12 –, Kultur- 39 Zorn 121 Zweifel 102

Personenregister Abaelard, Peter (1079-1142): franz. Philosoph der Scholastik. 289 Abba Schaul (Mitte 2. Jh.): Rabbi der dritten Generation der Tannaiten; rabbinischer Gelehrter der Mischnaperiode; vermutlich ein Schüler von Rabbi Akiba. 207 Abraham ben Samuel Abulafia (1240- um 1291): span.-jüd. Kabbalist; Vertreter der sog. prophetischen u. ekstatischen Strömung innerhalb der Kabbala. 33 Adorno, Theodor W. (1903-1969): dt. Philosoph und Komponist; begründete zusammen mit ! Max Horkeimer die Kritische Theorie und nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil das Frankfurter Institut für Sozialforschung. 19 Agrippa ! Cornelius Agrippa von Nettesheim Albertus Magnus (um 1200-1280): dt. Theologe und Philosoph; Lehrer des ! Thomas von Aquin. 95, 306 Alexander der Grosse (356-323 v. Chr.): makedonischer König und Feldherr; schuf mit seinen Eroberungen das größte Reich in der Geschichte der Alten Welt; verbreitete die griechische Kultur und Sprache, erschloß neue Handels- und Verkehrswege und begründete das Zeitalter des Hellenismus. 203 Andrea della Robbia (1435-1525): Bildhauer aus Florenz; Neffe des ! Luca della Robbia und dessen Schüler. 365 Angelus Silesius (1624-1677): dt. Theologe, Arzt und Dichter; gilt als bedeutender Lyriker des Barock; stand in seinen Dichtungen der Mystik nahe. 266 Anselm von Canterbury (1033-1109): Theologe und Philosoph; Mitbegründer der Scholastik. 94 f., 289 Apuleius (ca. 125-nach 170): lat. Schriftsteller und Philosoph. 469 Aristoteles (384-322 v. Chr.): griech. Philosoph; Begründer der abendländischen wissenschaftlichen Philosophie. 75, 88, 117, 228, 282 Baader, Franz von (1765-1841): Arzt, Bergbauingenieur und kath. Philosoph; Schüler Jakob Böhmes; wirkte nachhaltig auf Schellings Naturphilosophie ein; sah die Vereinigung der kath. Theologie mit der Philosophie als das Endziel seiner philosophischen Überlegungen. 16, 18 Baal Schem Tow ! Israel ben Elieser. Bachja Ben Josef Ibn Paquda (11. Jh.): span.-jüd. Religionsphilosoph und Dichter neuplatonisch-mystischer Prägung des späten 11. Jahrhunderts; sein um 1080 entstandenes Hauptwerk ist das auf Arabisch verfasste Buch »Pflichten der Herzen«, dessen hebr. Übersetzung von Jehuda ibn Tibbon aus dem Jahr 1161 (»Chowot ha-lewawot«) zu einer einflussreichen Erbauungsschrift wurde. 430, 431 Baeck, Leo (1873-1956): dt. Rabbiner und führender Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland; seit 1912 Gemeinderabbiner in Berlin; bis zu deren Schließung 1942 Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums; 1943 Deportation nach Theresienstadt; 1945 Emigration nach London; 1947 gründet

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er das später nach ihm benannte Leo Baeck Institut: Institut zur Erforschung des Judentums in Deutschland seit der Aufklärung. 34 f., 44 Bar Kochba, hebr. »Sternensohn« (gest. 135): messianischer Beiname des Simon bar Koseba, aus der Stadt Koseba in Juda; Führer des letzten großen Aufstandes der Juden gegen die Römer (132-135); wurde zu Beginn des Aufstands von Rabbi Akiba zum Messias erklärt; Rückeroberer Jerusalems, schließlich aber von den Römern besiegt. 423 Bauer, Felice (1887-1960): Verlobte ! Franz Kafkas. 379 Beckett, Samuel (1906-1989): irischer Schriftsteller; 1969 Nobelpreis für Literatur. 313 Benvenuto Cellini (1500-1571): ital. Goldschmied und Bildhauer der ital. Renaissance. 392 Berdyczweski, Micha Josef, Pseudonym Micha Josef bin Gorion (1865-1921): hebr. Dichter und Literaturhistoriker; geb. in Rußland, chassidisch erzogen, lebte seit 1890 in Deutschland; ab 1911 Aufbau eines Archivs jüdischer Legenden; u. a. Herausgeber der Midrasch-Sammlung Die Sagen der Juden, 5 Bde. (1913-27). 369, 373, 379, 380 Bergmann, Julius [Judah] (1874-1955): Rabbiner in Berlin; emigrierte 1934 nach Palästina u. lebte bis zu seinem Tod in Jerusalem. 28 Bergman(n), Schmuel Hugo (1883-1975): öster. Philosoph und Zionist; Mitglied des Vereins Jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; enger Vertrauter Bubers und Freund Gershom Scholems; Übersetzer wichtiger philosophischer Werke ins Herbäische; ab 1928 Prof. für Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem; Mitbegründer des Brith Schalom; 1935-38 Rektor der Hebräischen Universität Jerusalem. 41, 43 f., 280, 378, 383, 471 Bergson, Henri (1859-1941): franz. Philosoph; gilt neben ! Nietzsche u. ! Dilthey als einer der bedeutendsten Vertreter der Lebensphilosophie und als Vorläufer des Existentialismus. 46 f., 383 Berkeley, George (1685-1753): irisch. Philosoph und Theologe; bekannt durch seine erkenntnistheoretischen Schriften. 72, 267 Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153): franz. Theologe und Mystiker; einer der bedeutendsten Mönche des Zisterzienserordens; ideologischer Mitinitiator der Kreuzzüge; war die treibende Kraft der Verurteilung Abaelards; 1830 zum Kirchenlehrer erhoben. 147, 357 Bialik, Chaim Nachman (1873-1934): russ.-jüd. Dichter u. Schriftsteller; Schöpfer moderner hebr. Lyrik und Prosa; gehörte zum Kreis um Achad Ha’am in Odessa; 1921 Übersiedlung nach Berlin; ab 1924 lebte er bis zu seinem Tod in Tel Aviv. 28 Bin Gorion, Micha Josef ! Berdyczweski, Micha Josef. Bloch, Chajim (1881-1973): Rabbiner und Schriftsteller ukrainisch-rumänischer Herkunft; 1938 Verhaftung durch die Nationalsozialisten, konnte aber in die USA fliehen, wo er bis zu seinem Tod lebte. 225 f., 465 f. Boethius (ca. 485-524): römischer Theologe und neuplatonischer Philosoph; übersetzte und kommentierte Werke von Aristoteles und Plato; bekannt für seine in

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Gefangenschaft verfasste Schrift Consolatio philosophiae (Trost der Philosophie). 290 Böhme, Jakob (1575-1624): dt. Mystiker, Philosoph und Theosoph; beeinflusste den deutschen Idealismus, vor allem Hegel, der in ihm den »ersten deutschen Philosophen« sah. 16, 75-77, 83 f., 91-101, 252, 264, 265-270, 273, 275-279, 282-286, 287, 301, 303-310, 323 f. Bölsche, Wilhelm (1861-1939): dt. Schriftsteller; gilt als Begründer der naturwissenschaftlichen Populärlituar; Mitglied des Friedrichshagener Dichterkreises. 266 Bossuet, Jacques Bénigne (1627-1704): franz. kath. Bischof, Kanzelredner und Theologe; kämpfte für die Unabhängigkeit der franz. Kirche gegenüber Rom. 148 Braz, Anatole de la (1859-1926): frz. Schriftsteller; schrieb vor allem in volkstümlich bretonischer Sprache. 462-464 Breuer, Isaac (1883-1946): dt. Rabbiner u.Theoretiker der dt.-jüd. Neuorthodoxie; emigrierte 1936 nach Palästina. 35 f. Bruno, Giordano (1548-1600): ital. Philosoph. 76, 82-84, 282, 284-286 Buber(-Winkler), Paula, Pseudonym Georg Munk (1877-1958): dt. Schriftstellerin; Ehefrau Martin Bubers. 260 f., 280, 443 Buber, Salomon (1827-1906): poln.-jüd. Gelehrter; erster Herausgeber und Bearbeiter einer wissenschaftich-kritischen Ausgabe von Midraschim; Großvater Martin Bubers. 393 Buddha, eig. Siddharta Gautama (um 560-480 v. Chr.): indischer Adeliger; Stifter des Buddhismus. 90, 281, 350, 356, 374 Burckhardt, Jacob (1818-1897): schweiz. Kulturhistoriker; prägte den Begriff der Renaissance in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung. 265 f. Büttner, Hermann (Lebensdaten unbekannt): dt. Schriftsteller sowie Übersetzer und Herausgeber der Werke ! Meister Eckharts. Cellini, Benvenuto (1500-1571): ital. Goldschmied und Bildhauer; berühmter Vertreter des Manierismus. 173, 392 Chamberlain, Houston Stewart (1855-1927): dt.-engl. Schriftsteller; Verfasser zahlreicher populärwiss. Werke, u. a. zu Richard Wagner, ! Immanuel Kant und ! Johann Wolfgang von Goethe; Vertreter eines pangermanischen und rassistischen Antisemitismus; sein bekanntestes Werk, Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (1899), avancierte zu einem Standardwerk des rassischen und ideologischen Antisemitismus in Deutschland. 369, 380 f., 386, 391 f. Chmielnicki, Bogdan (1595-1657): ukrain.-kosakischer Feldherr; verantwortlich für die judenfeindlichen Pogrome von 1648 in der damaligen Ukraine. 120, 338 Cicero, Marcus Tullius (106-42 v. Chr.): röm. Politiker, Schriftsteller, Redner und Philosoph. 81, 291 Clausewitz, Carl von (1780-1831): preuß. General und Militärtheoretiker. 396 Cohen, Hermann (1842-1918): dt. Philosoph; Hauptvertreter des Marburger Neokantianismus; 1876 bis zu seiner Emeritierung 1912 Prof. der Philosophie an der Universität Marburg; ab 1912 Lehrtätigkeit an der Hochschule für die Wissen-

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schaft des Judentums in Berlin. 30 f., 36, 219, 230, 404, 441 f., 448 f., 452, 461, 468 Coster, Charles Théodore Henri de (1827-1879): belg. Schriftsteller. 396 Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486-1535): dt. Theologe, Jurist, Arzt u. Philosoph. 72, 94 f., 284 f., 305, 307 Creuzer, Friedrich (1771-1858): Altphilologe; sein Hauptwerk, Symbolik und Mythologie der alten Völker (1810-1812), trug wesentlich zum romantischen Interesse am Mythos bei. Cusanus ! Nikolaus Von Cues. Cyrus ! Kyros II. Dacqués, Edgar (1878-1945): dt. Paläontologe und Theosoph. 233 Delitzsch, Friedrich (1850-1922): dt. Assyriologe; mit seinem 1902 vor der Deutschen Orientgesellschaft gehaltenen Vortrag über ›Babel und Bibel‹, in dem er die These vertrat, die jüdische Religion sowie das Alte Testament gingen auf babylonische Wurzeln zurück, löste er den sog. »Babel-Bibel-Streit« aus. 401 Diederichs, Eugen (1867-1930): dt. Verleger und Buchhändler; verkehrte in der Neuen Gemeinschaft; Lebensreformer und Förderer neureligiöser Literatur; Verleger der von Buber herausgegebenen Ekstatischen Konfessionen; vertrat seit dem Ersten Weltkrieg zunehmend nationalistische, völkische und antisemitische Positionen. 26, 49 f., 256, 259, 265 f., 349, 351 f., 358 Dienemann, Max (1875-1939): dt. Rabbiner, Publizist und Philologe; neben ! Leo Baeck einer der führenden Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland. 34 Dieterich, Albrecht (1866-1908): dt. Altphilologe und Religionswissenschaftler. 143, 244, 354, 356, 472 f. Dilthey, Wilhelm (1833-1911): dt. Philosoph, Geistes- und Literaturgeschichtler; Begründer der verstehenden Geschichtswissenschaft; Lehrer Bubers an der Universität Berlin; einer der bedeutendsten Vertreter der Lebensphilosophie. 47, 75, 77, 260, 264-266, 280 f., 287 f. Dionysius Areopagita (6. Jh.), unbekannter christlicher Autor, der das Pseudonym des vorgeblich durch Paulus bekehrten Dionysius aus Apg 17,34 benutzte. 293, 355 Dostojewskij, Fjodor Michajlowitsch (1821-1881): russ. Schriftsteller. 311, 315 Druyanow, Alter (1870-1938): hebr. Schriftsteller u. Publizist; enstammte einer Rabbiner-Familie aus der Gegend um Vilna; zionist. Aktivist; gehörte zum Kreis um Achad Ha’am in Odessa; beeinflusst durch ! Micha Josef Berdyczweski. 28 Dubnow, Simon (1860-1941): russ.-jüd. Historiker. 37 f., 109 f., 319, 338, 370 Duns Scotus ! Johannes Duns Scotus. Dyroff, Adolf (1866-1943): dt. Philosoph. 291 Egidy, Moritz von (1847-1898): preuß. Offizier und Pazifist. 104, 313 Eliasberg, Alexander (1878-1924): russ.-jüd. Literaturhistoriker, Übersetzer u. Schriftsteller. 38 Elijah Ben Salomon Salman (1720-1797): genannt der Gaon von Wilna, hebr. der Weise; litauischer Rabbiner und Gelehrter; Verfasser bedeutender Kommenta-

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re zu Tora und Talmud; Verfechter der orthodoxen Lehre und Gegner des Chassidismus; lässt 1772 und 1782 den Bann über die Chassidim aussprechen, dem sich sämtliche litauischen Gemeinden anschließen. 393 Emerson, Ralph Waldo (1803-1882): amerik. Philosoph und Schriftsteller. 281 Empedokles (um 495-435 v. Chr.): griech. Philosoph; Vorsokratiker; prägte u. a. die während der Antike bedeutsame Lehre von den Vier Elementen. 276, 310 Eriugena ! Johannes Scotus Eriugena. Eucken, Rudolf (1846-1926): dt. Philosoph; erhielt als erster Philosoph den Literarturnobelpreis. 77, 80 f., 90, 288, 290, 301 Euripides (485/480-406): griech. Dramatiker. 228, 468 Eysoldt, Gertrud (1870-1955): seit 1905 Schauspielerin am Deutschen Theater in Berlin; 1913 Mitwirkung am Festabend des Prager Vereins Jüdischer Hochschüler Bar Kochba zum Thema ›Mythos der Juden‹. 378 f. Fechner, Hermann Adolph (1834-1880): dt. Philosoph und Schriftsteller. 91, 301 Feiwel, Berthold (1875-1937): öster.-jüd. Schriftsteller und zionist. Politiker; Mitglied der Demokratischen Fraktion; enger Freund Bubers zu Beginn des 20. Jh. 345, 377 Ferid-Ed-Din Attar (ca. 1140-ca. 1220): islam. Mystiker; persischer Dichter; einer der größten Sufidichter des Islams; sein Hauptwerk, das Mantiq ut-tair (»Vogelgespräche«), stellt eine Allegorie der Suche nach der göttlichen Quelle dar. 216 f., 443 f. Ferri, Luigi (1826-1895): ital. Philosoph. 83, 295 Feuerbach, Ludwig (1804-1872): dt. Philosoph der Junghegelianischen Schule erarbeitete eine radikale anthropologische Religionskritik materialistischer Prägung; beeinflusste nachhaltig ! Karl Marx. 72, 260, 268, 270, 274, 277, 310, 354, 462 Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814): dt. Philosoph; bedeutender Vertreter des Deutschen Idealismus. 18, 72, 267, 278 Fiorentino, Francesco (1834-1884): ital. Philosoph und Historiker. 80, 290 Franz von Assisi (1181/2-1226): ital. Ordensstifter der Franziskaner und Heiliger. 72, 270 Freud, Sigmund (1856-1939): öster. Mediziner und Kulturphilosoph; Begründer der Psychoanalyse; 1938 Emigration nach England. 283, 465 Frisch, Ephraim (1873-1942): dt. Schriftsteller. 371 Gaon von Wilna ! Elijah Ben Salomon Salman. Garibaldi, Giuseppe (1807-1882): ital. Freiheitskämpfer in der ital. Einigungsbewegung des 18. Jahrhunderts. 233 Cardano, Gerolamo (1501-1576): ital. Arzt, Mathematiker, Philosoph u. Astrologe; 1570 Verhaftung durch die Inquisition wegen Häresie; Freilassung nach drei Monaten, aber gegen ihn wurde ein Publikationsverbot verhängt u. die Niederlegung seiner Professur erwirkt; gilt als einer der letzten Universalgelehrten der Renaissance. 284 Gobineau, Arthur de (1816-1882): frz. Diplomat und Schriftsteller; einer der Begründer des modernen Rassismus. 369

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Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832): Dichter der dt. Klassik. 24, 63, 72, 113, 187, 254, 259, 267, 275, 285, 315, 321, 353, 392, 399, 405, 407, 409, 419, 420, 444 f., 457, 460, 462 Goldberg, Oskar (1885-1953): dt.-jüd. Arzt u. Religionsphilosoph; sein Hauptwerk Die Wirklichkeit der Hebräer erschien 1925. 466 f. Goldzihers, Ignaz (1850-1921): ungar. Orientalist. 38 Gounod, Charles (1818-1893): franz. Komponist. 314 Görres, Joseph (1776-1848): dt. Gymnasial- und Hochschullehrer und kath. Publizist; Gründer und erster Herausgeber der Zeitung Rheinischer Merkur; einer der einflussreichsten politischen Publizisten der ersten Hälfte des 19. Jh. 18, 187, 407, 420 Graetz, Heinrich (1817-1891) dt.-jüd. Historiker; verfasste mit seiner Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart eine der wichtigsten Gesamtdarstellungen jüdischer Geschichte. 29 f., 37 f., 336 f. Grimm, Jacob (1785-1863): dt. Sprachhistoriker. 26, 152, 154, 338, 364 f. Grimm, Wilhelm (1786-1859): dt. Sprachhistoriker. 26, 338 Grünbaum, Max (1817-1898): dt.-jüd. Orientalist. 38, 318 Grunwald, Max (1871-1953): Rabbiner in Hamburg und Wien; Verfasser zahlreicher Schriften zur jüdischen Geschichte und Volkskunde; Hrsg. der Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde. 27 f., 110, 319 f. Guest, Charlotte Lady (1812-1895): brit. Übersetzerin, u. a. des Mabinogion; widmete sich der Erforschung der walisischen Sprache und Literatur. 182, 398 Gunkel, Hermann (1862-1932): dt. prot. Theologe, Alttestamentler. 380, 386 Guttmann, Simon (1891-1990): dt. Literat u. polit. Autor; gehörte zum Kreis der Berliner Expressionisten um 1912 und der Züricher Dadaisten um 1917. 466 f. Guyau, Jean-Marie (1854-1888): franz. Philosoph u. Dichter. 26 Haeckel, Ernst (1834-1919): dt. Zoologe und Philosoph; ermöglichte mit seinen Schriften die Etablierung der Evolutionstheorie von Charles Darwin in Deutschland. 275 Haj Gaon Ben Scherira (939-1038): babyl. Gaon und Dezisor in Pumbedita und Leiter der dortigen Akademie. Hamann, Johann Georg (1730-1788): dt. Schriftsteller, Philosoph und Sprachdenker; erhielt seine entscheidende Prägung durch ein Erweckungserlebnis, infolge dessen er die zeitgenössische Aufklärungsphilosophie kritisierte. 18, 407 Harden, Maximilian (1861-1927): dt. Publizist u. Kritiker. 349 f. Harless, Adolf (1806-1879): dt. prot. Theologe. 91, 301 Harnack, Adolf von (1851-1930): dt. prot. Theologe; einer der bedeutendsten Kirchen- und Dogmenhistoriker des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. 229 Hart, Heinrich (1855-1906): dt. Schriftsteller und Lebensreformer; Vertreter des Naturalismus; zusammen mit seinem Bruder ! Julius Hart gründete er die Neue Gemeinschaft, in der auch Buber verkehrte. 16, 48, 251, 253 f., 259, 266

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Hart, Julius (1859-1930): dt. Schriftsteller und Lebensreformer; Vertreter des Naturalismus; zusammen mit seinem Bruder ! Heinrich Hart begründete er die Lehre der Neuen Gemeinschaft, in der auch Buber verkehrte. 16, 48, 251, 253 f., 259, 266 Hauptmann, Gerhart (1862-1946): dt. Schriftsteller; erhielt 1912 den Nobelpreis für Literatur. 17, 371 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831): dt. Philosoph des Idealismus. 14, 16, 18, 25, 94 f., 305 f., 310 Heidegger, Martin (1889-1976): dt. Philosoph, der Existenzphilosophie zugerechnet; 1928 Nachfolger Edmund Husserls in Freiburg; Fürsprecher des Nationalsozialismus. 22 Heilprin, Joel Ben Uri (1690-1757): jüd. Kabbalist und angeblicher Wundertäter. 349 Heimann, Moritz (1868-1925): dt. Schriftsteller; Lektor bei S. Fischer; Förderer der modernen dt. Literatur; Freund Bubers. 371 Helmont, Franciscus Mercurius van (1614-1699): fläm. Gelehrter, Schriftsteller und Diplomat; Sohn von ! Johan Baptista van Helmont. 76, 284 Helmont, Johan Baptista van (um 1580-1644): fläm. Arzt und Naturforscher. Heraklit (um 500 v. Chr.): griech. Philosoph. 76, 256, 287, 310 Herder, Johann Gottfried (1744-1803): dt. Theologe, Philosoph und Dichter der Weimarer Klassik; seine Sprach- und Völkerphilosophie beeinflusste die romantische Bewegung. 14, 18, 161, 187, 407, 420 Herodot (um 490-424): antiker Historiker und Geograph; verfasste teils phantastische geographische Schriften. 261 Herrmann, Leo (1888-1951): öster. Zionist; Mitglied des Vereins Jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; 1919 Auswanderung nach Palästina; Direktor des zionistischen Aufbau-Fonds Keren Hajessod. 377 Herzberg, Isaak (1857-1936): dt.-jüd. Pädagoge, Historiker, Schriftsteller; verfasste zahlreiche Beiträge zur jüdischen Kinder- und Jugendliteratur, daneben aber auch Schriften zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in der Provinz Posen sowie historische Romane und sog. Ghettoerzählungen. 317, 321 Herzl, Theodor (1860-1904): öster. Schriftsteller und Journalist; gilt seit der Schrift Der Judenstaat als Initiator des pol. Zionismus; erster Präsident der zionistischen Weltorganisation. 370, 377 Hesse, Hermann (1877-1962): dt. Schriftsteller, seit 1926 in der Schweiz; 1946 Nobelpreis für Literatur. 370, 377 Hirsch, Samson Raphael (1808-1888): dt. Rabbiner; führender Vertreter des orthodoxen Judentums in Deutschland; war ab 1851 Rabbiner in Frankfurt a. M.; Begründer der deutschen Neoorthodoxie. 36 Hofmannsthal, Hugo von (1874-1929): öster. Dichter und Essayist des Fin de siècle; wird der Literatengruppe Jung Wien zugerechnet; mit Buber lebenslang befreundet. 17, 270, 313, 370

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Homer (Lebensdaten ungewiss, 1200 v. Chr./850 v. Chr.): griech. Epiker der früharch. Zeit; der Tradition nach Verfasser der Ilias und der Odyssee. 161, 193, 235, 239 Horkheimer, Max (1895-1973): dt. Philosoph und Sozialwissenschaftler; begründete mit ! Adorno die Kritische Theorie. 19 Horodezky, Samuel Abba (1871-1957): hebr. Schrifsteller und Gelehrter der jüd. Mystik und des Chassidismus; in Malin (Ukraine) geboren, lebte er 1908-1938 in der Schweiz und Deutschland, danach in Tel Aviv; veröffentlichte Studien zur Geschichte der poln. Juden und Biographien mittelalterlicher Rabbiner; half Buber bei der Sammlung chassidischer Quellen. 323, 370 Huldschiner, Richard (1872-1931): öster.-jüd. Arzt und Schriftsteller. 383 Huysman, Joris-Karl (1848-1907): franz. Romancier. 17 Ibsen, Henrik (1828-1906): norw. Dramatiker des Naturalismus. 25 Israel ben Elieser (1700-1760): genannt Baal Schem Tow, hebr. Meister des guten Namens; Begründer des Chassidismus. 47, 393 Jacobsohn, Siegfried (1881-1926), mit nur zwanzig Jahren Theaterkritiker der Welt am Montag geworden und später Herausgeber der Schaubühne (vgl. Kohn, S. 29-30). 257 James, William (1842-1919): amerik. Psychologe und Philosoph. 358 Jeanne de Cambray (1581-1639): auch: Jeanne-Marie de la Presentation; franz. Mystikerin. 142, 353 Jellinek, Adolph (1820-1893): dt.-jüd. Gelehrter, Prediger u. liberaler Rabbiner in Leipzig u. Wien. 33 f. Jodl, Friedrich (1849-1914): dt. Philosoph; seit 1896 an der Univ. Wien; Herausgeber der Werke Ludwig Feuerbachs; Martin Bubers Doktorvater. 279 Joel Ben Uri Heilprin (1690-1757): poln. Kabbalist. 349 Johannes Duns Scotus (um 1266-1308): schottischer Theologe und Philosoph der Scholastik; Vedienste auf dem Gebiet der Modallogik; schätzte Glaube, Liebe und Wille höher als Vernunft und Wissen; vertrat eine strikte Unterscheidung zwischen Theologie und Philosophie. 79, 94, 289, 305 Johannes Marcus Marci (1595-1667): Arzt, Theologe, Philosoph und Naturwissenschaftler aus Böhmen. 92, 304 Johannes Scotus Eriugena (um 810-um 877): irisch. Theologe und Philosoph. 83, 94 f., 97 f., 294 f., 306, 308 Johannes Tauler (ca. 1300-1361): dt. Theologe u. bekannter Dominikaner-Prediger. 26, 284 Johannes vom Kreuz (1542-1591), span. Dichter, Mystiker und Kirchenlehrer; trat 1560 in den Orden der Karmeliten ein; gründete als Juan de la Cruz in Duruelo das Männerkloster der »unbeschuhten Karmeliten«, die ihn jedoch einige Jahre später als feindlichen Reformer betrachteten und ihn 1577 einsperrten und folterten; 1675 selig- und 1726 heiliggesprochen; seit 1926 gilt er als »Doctor Ecclesiae«. 285 Josephus, Flavius (ca. 38-nach 100): hebr. Name: Joseph ben Mathitjahu; jüdi-

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scher Historiker; einer der wichtigsten Vertreter der jüdisch-hellenistischen Literatur; während des jüdischen Krieges Kommandeur auf Seiten der Aufständischen in Galiläa; durch Vespasian gefangen genommen; prophezeite diesem die Kaiserkrone und wurde nach dessen Proklamation zum Kaiser im Jahr 69 freigelassen; vergebliche Vermittlungsversuche zwischen Römern und Aufständischen; ging nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 nach Rom; Erhalt des röm. Bürgerrechts. 116, 329, 336 Joyce, James, (1882-1941): irischer Schriftsteller; revolutionierte mit den Romanen Ulysses (1922) und Finnegans Wake (1939) die Prosaformen des 20. Jh. 313 Juda Chassid (um 1650-1700): Anführer der sabbatianischen Sekte der Chassidäer. 337 Kafka, Franz (1883-1924): öster. Schriftsteller, stand dem Prager Kreis um Max Brod, Felix Weltsch und Franz Werfel nahe. 36, 379 Kant, Immanuel (1724-1804): dt. Philosoph; Begründer der klassischen dt. Philosophie und Erneuerer der Metaphysik. 11, 16 f., 18, 30, 35 f., 105, 218-220, 222, 268, 314, 358, 404, 441, 450, 453, 455, 457, 459-462. Karo, Josef (1488-1575): Rabbiner u. a. in Konstantinopel und Safed; bekannt als Verfasser der umfangreichen Kommentare zur Halacha Beit Josef (Haus Josefs) und Schulchan Aruch (Der gedeckte Tisch); besonders letzteres genießt bis heute hohe Anerkennung im orthodoxen Judentum. 174, 387, 393 Keller, Gottfried (1819-1890): schweiz. Dichter und Lyriker. 107 Kierkegaard, Søren (1813-1855): dän. Philosoph; Vorläufer der modernen Existenzphilosophie; übte großen Einfluss auf die protestantische Theologie nach dem Ersten Weltkrieg aus. 22, 25, 356 Kippenberg, Anton (1874-1950): Verleger und bedeutender Goethe-Sammler; leitete den Insel-Verlag. 462, 464 Kleist, Heinrich von (1777-1811): dt. Dichter und Dramatiker der Romantik. 232 Kohn, Hans (1891-1971): öster. Historiker u. Politikwissenschaftler; Mitglied im Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba; lebte in den 20-er Jahren in London u. in Jerusalem, danach in den USA; 1930 erschien seine grundlegende Einführung in Bubers Leben und Werk Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit. 251-253, 256 f., 264, 271, 324, 359 f., 370, 377 f., 380, 383, 401 f., 448 Kohn, Pinchas (1867-1941): dt. Rabbiner in Mannheim und Ansbach; emigrierte 1939 nach Palästina. 35 Koidanower, Zewi Hirsch (ca. 1650-1712): jüdischer Gelehrter. 347 Konfuzius (ca. 551-479 v. Chr.): chin. Philosoph. 228, 420 Kung-Tse: ! Konfuzius. Kuttner, Bernhard (1847-1926): dt. jüd. Religionslehrer; am Frankfurter Philanthropin tätig; entwickelte eine an den Idealen der Aufklärung und dem jüdischen Gebot der Nächstenliebe orientierte Pädagogik.; verfasste 1902 die Anthologie Jüdische Sagen und Legenden für jung und alt. 28 Kyros II (590/580-530 v. Chr.): altpersischer König; eroberte 539 v. Chr. Babylon. 203, 424

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Lamprecht, Karl (1856-1915): dt. Historiker. 80, 290 Landauer, Gustav (1870-1919): dt. Schriftsteller und Anarchist; unterstützte Buber bei der Herausgabe der Ekstatischen Konfessionen; 1918 in der Münchener Revolution aktiv; als Mitglied der Regierung der bayerischen Räterepublik 1919 von Soldaten der Reichswehr ermordet. 17, 25 f., 46, 49-51, 63, 102, 104-107, 251, 253-256, 259, 260, 265, 288, 311-315, 350, 374, 404 f., 426 Langbehn, Julius (1851-1907): dt. Schriftsteller u. Kulturphilosoph; sein Hauptwerk Rembrandt als Erzieher (1890) erfuhr große Verbreitung. 22 Laotse (nach der Tradition 6. Jh. v. Chr.): legendärer chin. Philosoph; gilt als Gründer des Taoismus. 188, 408 Laplace, Pierre-Simon (Marquis de) (1749-1827): franz. Mathematiker und Astronom. 79, 290 Lassalle, Ferdinand (1825-1864): Politiker und Publizist; Demokrat und Sozialist; Mitbegründer und erster Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. 203 Lasswitz, Kurd (1848-1910): dt. Schriftsteller und Philosoph. 76, 92, 287, 302 Lazarus, Moritz (1824-1903): dt.-jüd. Philosoph und Psychologe; Mitbegründer der Völkerpsychologie; in seinem Hauptwerk Die Ethik des Judenthums (Bd. 1898, Bd. 1911) von ! Kant beeinflusst. 318, 441 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646-1716): dt. Philosoph und Universalgelehrter. 72, 75-77, 84 f., 88, 93, 98, 267, 281 f., 287 f., 292, 298, 309, 358 Lietz, Hermann (1868-1919): dt. Reformpädagoge und Begründer der Landerziehungsheime; dt.-national geprägt. 313 Locke, John (1632-1704): engl. Philosoph; wichtiger Wegbereiter der Aufklärung und des politischen Liberalismus. 117, 330 Loerke, Oskar (1884-1941): dt. Schriftsteller. 371 Lönnrot, Elias (1802-1884): finn. Volkskundler und Verfasser des Nationalepos Kalewala. 152 f., 156,-162, 164, 359, 363-366 Luca della Robbia (ca.1400-1481): Bildhauer aus Florenz; Mitbegründer der ital. Frührenaissance; bekannt für seine Terrakottaplastiken; Onkel des ! Andrea della Robbia. 365 Lukács, Georg (1885-1971): ungar. Philosoph und Literaturwissenschaftler. 340 Luria, Isaak ben Salomo (1534-1572): jüd. Mystiker; Begründer der modernen Kabbala. 43, 53, 55, 323, 337, 465, 466, 468 f. Luther, Martin (1483-1546): dt. Augustinermönch, Theologe und Bibelübersetzer; Urheber und prägender geistiger Kopf der Reformation. 159, 203 Maeterlinck, Maurice (1862-1949): belg. Schriftsteller; einer der wichtigsten Vertreter des Symbolismus; 1911 Nobelpreis für Literatur. 272 Magnes, Judah (1877-1948): amerik. Rabbiner; ab 1922 in Palästina; Mitbegründer und Präsident der Hebräischen Universität in Jerusalem. 471 Maimonides (1135-1204) siehe Moses ben Maimon Malebranche, Nicolaus (1638-1715): franz. Philosoph. 462 Marc Aurel (121-180): röm. Kaiser und letzter bedeutender Vetreter der Stoa. 289

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Marcion (ca. 85-160): Schiffsreeder aus Kleinasien; 144 wegen Häresie exkommuniziert; Begründer der bis ins 6. Jh. bestehenden einflussreichen marciontischen Kirche; in seiner Lehre unterscheidet er zwei unversöhnliche Offenbarungsgottheiten: den »bekannten« strafenden Gott des Alten Testaments und den »fremden« Gott der Liebe und des Erbarmens, wie ihn Jesus verkündet; verwirft das Alte Testament sowie Teile des Neuen Testaments, die er als »judaistisch verfälscht« erklärt. 299 Marcus Marci ! Johannes Marcus Marci Marx, Karl (1818-1883): Philosoph und Kritiker der politischen Ökonomie; begründete mit Friedrich Engels den wissenschaftlichen Kommunismus; veröffentlichte 1867 sein Hauptwerk Das Kapital. Zur Kritik der pol. Ökonomie; gründete die Internationale Arbeiter-Assoziation. 203, 460 f. Mauthner, Fritz (1849-1923): öster. Schriftsteller und Philosoph; bekannt durch seine sprachphilosophischen Schriften; eng befreundet mit Gustav Landauer; seit 1905 bekannt mit Martin Buber. 17, 25 f., 50, 104, 253-255, 313 Meister Eckhart (1260-1328): eig. Eckhart von Hochheim; Dominikaner; Theologe, Philosoph und Mystiker; starb während des Inquisitionsverfahrens gegen ihn; sein Werk wurde um 1900 von Repräsentanten der wilhelminischen Gegenkultur wie ! Gustav Landauer wiederentdeckt. 16, 23, 26, 50, 51, 78-80, 91, 94, 102, 114, 144, 150, 196, 255, 270, 284, 288, 311 f., 324, 338, 354 f. Mendelssohn, Moses (1729-1786): dt.-jüd. Philosoph und Wegbereiter der Haskala, der jüd. Aufklärung. 17, 29, 336 f. Mombert, Alfred (1872-1942): dt.-jüd. Dichter; sein dichterisches Werk trägt mystisch-visionäre Züge; 1940 Deportation ins KZ Gurs in Südfrankreich, 1941 gelingt die Emigration in die Schweiz, wo er wenig später an den Folgen der KZ-Internierung stirbt. 17, 254, 371 Montaigne (1533-1592) franz. Philosoph und Politiker, schuf die Form des Essays. 284 Morando, Bernardo (ca. 1540-1600): ital.-poln. Architekt; Baumeister der Stadt Zamosc im Südosten Polens, die er im Stil der italienischen Renaissance erbaute. 349 Mosche Chaim Luzzato (1707-1746): ital.-jüd. Rabbiner, Philosoph u. Kabbalist; gilt als Vorbereiter der neuhebr. Haskala-Literatur. 30 Moses ben Maimon, auch Maimonides oder RaMbaM (1135-1204): jüd.-seph. Religionsphilosoph, Bibelkommentator und Arzt; einer der bedeutendsten jüd. Gelehrten des Mittelalters; versuchte, die aristotelische Philosophie mit der jüdischen Offenbarungsreligion in Einklang zu bringen. 242, 470 Mühsam, Erich (1878-1934): dt. Schriftsteller und anarchistischer Aktivist; an der Ausrufung der Müchner Räterepublik (1919) beteiligt; 1934 im KZ Oranienburg ermordet. 254 Multatuli, eig. Eduard Douwes Dekker (1820-1887): niederl. Schriftsteller. 25 Munk, Meier (1869-1928): dt. Rabbiner. 35 f. Müller, Ernst (1880-1954): öster. Zionist und Übersetzer. 45, 336

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Mueller, Otto (1874-1930): dt. Maler des Expressionismus; Mitbegründer der Neuen Secession. 371 Müllner, Laurenz (1848-1911): öster. Philosoph u. Theologe; Zweitbegutachter der Dissertation Martin Bubers. 279 Müntz, Chaim Hermann (1884-1956): dt. Mathematiker; Verfasser judaistischer Arbeiten, die teils in Der Jude veröffentlicht wurden; korrespondierte mit Buber. 446 Nachman von Bratzlaw, Rabbi (ca. 1772-1810): chassidischer Zaddik; Urenkel des ! Baal Schem Tow. 108 f., 114, 124, 270, 316, 318-320, 322-326, 337, 340, 342, 345, 349, 368, 396, 402, 422, 436 Nathan von Niemirow, Rabbi (1780-1845): Schüler des ! Nachman von Bratzlaw. 109, 318 Nebukadnezar, eig. Nebukadnezar II (ca. 640-562): 604-562 v. Chr. König von Babylon; bedeutendster König des neubabylonischen Reiches. 203, 424 Neumark, David (1866-1924): dt.-jüd. Religionsphilosoph; Vertreter des Reformjudentums; bekannt v. a. durch seine dreibändige Geschichte der jüdischen Philosophie des Mittelalters. 174, 392 Nietzsche, Friedrich (1844-1900): dt. Philosoph; trug vermittels seiner antihumanen Lehre entscheidend zur Ausbildung faschistischer Ideologien bei. 15-17, 1922, 25, 32, 39, 47, 253, 256 f., 259, 267, 280, 356, 370, 374, 392. Nikolaus von Cues (1401-1464): dt. Theologe und Philosoph; vereinte in seinem Denken Mystik und Rationalismus; 1448 Ernennung zum Kardinal. 72, 281, 290302 Nobel, Nehemiah Anton (1871-1922): dt. Rabbiner; einer der Führer des orthodoxen Judentums in Deutschland. 34 Nossig, Alfred (1864-1943): poln.-jüd. Schriftsteller und Künstler; u. a. als Porträtbildhauer tätig. 261 Novalis (1772-1801): eig. Friedrich von Hardenberg; dt. Dichter und Philosoph der Frühromantik. 187, 407, 420 Ockham, Wilhelm von (um 1287-1347): Philosoph der Spätscholastik; Vertreter des Nominalismus. 79, 289 f. Paquet, Alfons (1881-1914): dt. Dichter und Journalist; christlicher Unterstützer des Zionismus. 403 Paracelsus (ca. 1493-1541): eig. Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim; Arzt, Alchemist, Astrologe, Philosoph und Mystiker. 76 f., 83, 91-95, 99 f., 282, 284 f., 287, 302, 303, 305, 307, 309 Paulus (ca. 10-65): christl. Apostel, der vom Verfolger zum eifrigen Verbreiter der neuen Lehre wurde; predigte ein gesetzesfreies Evangelium. 26, 144, 293, 349, 354, 422 Peip, Albert (1830-1875): dt. Religionsphilosoph; Vetreter eines christl.-spekulativen Theismus. 91, 98, 301, 309 Perez, Jizchak Leib (1852-1915): poln.-jüd. Schriftsteller; gehört zu den Begründern der modernen jiddischen Literatur. 370

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Perttunen, Arhippa (1762-1841): russ.-karelischer Volkssänger; seine Lieder dienten ! Elias Lönnrot als Quelle für dessen Nationalepos Kalewala. 156 Philo von Alexandrien (ca. 15/10 v. Chr.-40/50 n. Chr.): jüd. hell. Philosoph; versuchte die jüdische Religion und die griechische Philosophie in Einklang zu bringen. 442 Platon (ca. 428-348 v. Chr.): griech. Philosoph. 93, 149, 171, 176, 189, 297, 289, 294, 337, 404, 420 Plethon, Georgios Gemistos (1355 oder 1360-1492): griech. Philosoph. 285 Plinius, der Ältere (ca. 23-79): Gaius Plinius Secundus Maior; röm. Gelehrter; bekannt bes. durch seine Enzyklopädie Naturalis historia (Naturgeschichte). 426, 435 Plotin (ca. 204-270): griech. Philosoph; bedeutendster Vertreter des Neuplatonismus. 81, 83 f., 85, 91, 97, 114, 324 Poe, Edgar Allan (1809-1849): amerik. Schriftsteller. 233 Poseidonios (135-51 v. Chr.): griech. Philosoph. 426, 435 Porphyrius (ca. 233-301/305): griech. Philosoph; Schüler ! Plotins. 85 Porthan, Henrik Gabriel (1739-1804): finn. Philosoph, Philologe und Historiker. 154, 161 Przywara, Erich (1889-1972): dt. kath. Theologe, Jesuit und Philosoph. 230, 468 Quint, Josef (1898-1976): dt. Altphilologe; beschäftigte sich hauptsächlich mit der deutschen Mystik des Mittelalters; Übersetzer u. Herausgeber der Werke ! Meister Eckharts. 23 Ragaz, Leonhard (1868-1945): schweiz. prot. Theologe; begründete 1906 die religiös-soziale Bewegung in der Schweiz; Pazifist und Unterstützer der Arbeiterbewegung. 25, 446 Rang, Florens Christian (1864-1924): dt. prot. Theologe und Schriftsteller; Mitglied des Forte-Kreises; mit Buber befreundet. 399, 404 Rappeport, Ernst Elijahu (1889-1952): öster. Zionist und Dichter; Freund Bubers. 383, 425, 427 Raschi (Akronym für Rabbi Schelomo Jitzchaki) (1040-1105): bedeutendster jüd. Bibel- und Talmudexeget; wirkte in Nordfrankreich. 432, 439 Rathenau, Walther (1867-1922): dt. Industrieller und liberaler Politiker; 1922 von Freikorpssoldaten ermordert. 371 Rawnizki, Jehoschua Chana (1859-1944): russ.-jüd. Publizist, hebr. und jidd. Schriftsteller u. Literaturkritiker aus Odessa; Anhänger der »Chowewe Zion«Bewegung; zusammen mit ! Chaim Nachman Bialik Herausgeber des Sefer haAggadah. 28 Reik, Theodor (1888-1969): öster. Psychoanalytiker. 383 Renan, Ernest (1823-1892): franz. Historiker und Religionswissenschaftler. 349 f., 380 f., 391 Ritter, Heinrich (1791-1869): dt. Philosoph. 91 f., 301, 303 Roger Bacon (ca. 1214 – ca. 1292): engl. Franziskaner und Philosoph. 284, 391 f.

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Roscelin (um 1050 – um 1124): frz. Theologe und Philosoph; Vertreter des Nominalismus; Lehrer ! Abaelards. 289 Rosenzweig, Franz (1886-1929): dt. Philosoph; übertrug die Bibel gemeinsam mit Buber ins Deutsche. 21, 29 f., 43, 285 f., 447, 466 Rückert, Friedrich (1788-1866): dt. Dichter und Übersetzer u. a. des Koran; begründete die Orientalistik. 420 Ruysbroek, Jan (Johannes) van (auch: Ruusbroec, Rusbrochius) (ca. 1293-1381), flämischer Mystiker, Priester und Prior (im Kloster Groenendaal bei Brüssel), auch der »Wunderbare« genannt; 1908 für selig erklärt; Hauptwerk Die Chierheit der gheesteleker brulocht (Zierde der geistlichen Hochzeit), worin er den im Volk verbreiteten quietistischen, freigeistigen Ansichten die wahre mystische Lehre entgegenstellt; wurde wegen seiner mystischen Erfahrungen auch »doctor ecstaticus« oder ein »zweiter Dionysius« genannt. 284, 349 Sabbatai Zwi (1626-1676): Pseudomessias und zentrale Figur des Sabbatianismus, der größten und einflussreichsten jüd.-messian. Bewegung der Neuzeit; 1665 Proklamation als Messias; 1666 Konversion zum Islam. 118, 337 Salman, Elijah Ben Salomon (1720-1797), genannt der Gaon von Wilna: jüd.-lit. Gelehrter; seine Kommentare zu Tora und Talmud gelten bis heute als Standardwerke. 174, 393 Saul von Tarsos: ! Paulus. Schaeder, Grete (1903-1990): dt. Kulturwissenschaftlerin; Privatgelehrte; als Buberforscherin u. a. Herausgeberin der dreibändigen Briefausgabe. 251, 269 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von (1775-1854): dt. Philosoph; einer der bedeutensten Vertreter des deutschen Idealismus. 14, 16, 18, 22, 96, 307 Schiller, Friedrich (1759-1805): Dichter der dt. Klassik. 18, 268, 321 Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich von (1772-1829): dt. Kulturphilosoph und Literaturhistoriker; neben seinem Bruder August Wilhelm Schlegel einer der Begründer der modernen Geisteswissenschaft und wichtiger Vertreter der Frühromantik. 18, 407, 420 Schleiermacher, Friedrich (1768-1834): prot. Theologe und Philosoph; Mitglied des frühromantischen Kreises um ! Friedrich Schlegel. 24, 75, 219, 280, 452 f., 461 Schneerson-Feiwel, Esther (Lebensdaten nicht zu ermitteln): Ehefrau von ! Berthold Feiwel. 124, 345 Schiefner, Franz Anton von (1817-1879): dt.-baltischer Sprachforscher, Orientalist und Ethnologe; übersetzte 1852 das finn. Nationalepos Kalewala. 359 f., 366 Schöll, Friedrich (1874-1967): Vertreter einer völkischen Romantik. 313 Scholem Gerhard Gershom (1897-1982): dt.-jüd. Religionshistoriker; in seiner Jugend von Buber beeinflusst, nahm er später eine kritische Distanz zu ihm ein; Begründer der wissenschaftlichen Erforschung der jüd. Mystik; 1923 Emigration nach Palästina; ab 1933 Prof. für Jüdische Mystik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 12, 38, 43 f., 46, 53-59, 324, 371 f., 393, 440 Schopenhauer, Arthur (1788-1860): dt. Philosoph. 16, 51, 71, 76, 96, 276, 307

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Scotus Eriugena ! Johannes Scotus Eriugena. Seneca der Jüngere (gest. 65): röm. Politiker und Philosoph der Stoa. 81 Seuse, Heinrich (1295/1297-1366): auch: Heinrich von Suso; Mystiker, Theologe und Seelsorger; Schüler ! Meister Eckarts. 26 Shakespeare, William (1564-1616): engl. Dichter. 387 Shelley, Percy Bysshe (1792-1822): brit. Schriftsteller der Romantik. 25 Sigwart, Christoph von (1830-1904): dt. Philosoph. 302 Simeon ben Jochai (2. Jh.): Tannait und Schüler Akibas; überlebte das Scheitern des Aufstandes Bar Kochbas gegen die Römer; gilt traditionell als Verfasser des Sohar; starb der Tradition nach an Lag ba-Omer; sein Grab befindet sich in Meron in Galiläa und wird jährlich an Lag ba-Omer zum Wallfahrtsort für orthodoxe Juden. 43, 116, 336, 439 Simmel, Georg (1858-1918): dt. Philosoph und Soziologe; Lehrer und Förderer Bubers. 46 f., 357, 374, 426 f. Simon, Ernst Akiba (1899-1988): dt. Pädadoge und Philosoph; u. a. Redakteur von Bubers Zeitschrift Der Jude. Smith, William Robertson (1846-1894): schottischer Theologe für Altes Testament und Orientalist; bekannt v. a. für seine Arbeiten im Bereich der vergleichenden Religionswissenschaft und der Bibelkritik. 241, 469 Snorri Sturluson (1179-1241): isländ. Dichter, Historiker u. Staatsmann. 182, 398 Sombart, Werner (1863-1941): dt. Soziologe und Ökonom. 32, 380, 391 Sokrates (469-399 v. Chr.): griech. Philosoph. 190, 434 Spaventa, Bertrando (1817-1883): ital. Philosoph. 80, 290 Spengler, Oswald (1880-1936): dt. Kulturphilosoph; in seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeshichte (1918) wendet er sich gegen die Vorstellung eines linearen Fortschritts in der Menschheitsgeschichte und vertritt stattdessen die These von einer Kreislaufbewegung der Geschichte, wonach jede Kultur Aufstieg, Blüte, Vollendung und danach Verfall und Untergang erlebt. 311 Spiess, Gustav Adolf (1802-1875): dt. Philosoph. 303 Spinoza, Baruch de (1632-1677): niederl.-jüd. Philosoph; Vorkämpfer der Aufklärung; wegen seiner Lehren aus der jüd. Gemeinde Amsterdam verbannt. 84, 115, 200, 203, 236 Stammler, Rudolf (1856-1938): dt. Rechtsphilosoph. 260 Stefan Bar Sudaili (Anf. 6. Jh.): syr. Mönch u. Mystiker; gilt als Verfasser des Buch des Hierotheos. 145, 355 f. Stein, Ludwig (1859-1930): dt.-jüd. Philosoph, Soziologe u. Rabbiner. 259 Steinthal, Chajim Heymann (1823-1899): dt. Sprachwissenschaftler und Philosoph; Mitbegründer der Völkerpsychologie; neben ! Moritz Lazarus Herausgeber der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. 162, 318 Stifter, Adalbert (1805-1868): öster. Schriftsteller. 107

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Strauss, Ludwig (1892-1953); dt.-jüd. Schriftsteller und Literaturwissenschaftler; mit Bubers Tochter verheiratet. 427 Tauler, Johannes (um 1300-1361): dt. Theologe und Prediger; Angehöriger des Dominikanerordens; ging wie ! Meister Eckhart von der Anwesenheit Gottes in jedem Menschen aus und predigte die Einheit von tätigem und beschaulichem Leben; seine Lehren erzielten teils weite Verbreitung. 26, 284 Tendlau, Abraham (1802-1878): dt.-jüd. Volkskundler; verfasste mehrere Anthologien jüdischer Sagen und Legenden. 27 f. Theodosios (gest. 896): von 887 bis 896 Patriarch der syrisch-othodoxen Kirche von Antiochien. 355 Tholuck, Friedrich August Gottreu (1799-1877): dt. prot. Theologe; wandte sich gegen rationalistische Strömungen der Theologie. 25 f. Thomas von Aquin (ca. 1225-1274): ital. Theologe und Philosoph; gilt als der bedeutendste der kath. Kirchenlehrer; schuf auf der Grundlage des Aristotelismus ein ausgebreitetes System zur philosophischen Rechtfertigung der christlichen Dogmatik; 1323 heiliggesprochen. 33, 79, 88, 289, 300, 355 Tillich, Paul (1886-1965): dt. protestantischer Theologe; emigrierte 1933 in die Vereinigten Staaten; Vertreter des religiösen Sozialismus. 22, 25 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch (1828-1910): russ. Schriftsteller, Sozialreformer und Pädagoge. 25, 253 Tönnies, Ferdinand (1855-1936): dt. Soziologe; prägte mit seinem Werk Gemeinschaft und Gesellschaft eine von konservativen Vertretern in Deutschland adaptierte Begriffspolarität. 251 f. Troeltsch, Ernst (1865-1923): dt. Theologe und Philosoph; bedeutender Vertreter der Religionssoziologie 46, 150 f., 357-359 Trüb, Hans (1889-1949): schweiz. Arzt und Psychotherapeut; seit den zwanziger Jahren eng mit Buber befreundet; entwickelte unter Einfluss des dialogischen Prinzips die psychotherapeutische Methode der »Psychosynthese«. 447 Tschuang-Tse (ca. 395-290 v. Chr.): chin. Philosoph und Dichter; die unter seinem Namen zusammengefassten Schriften gelten neben dem Daodejing ! Lao-Tses als das bedeutendste Werk des Taoismus; Buber stellte aus jener Sammlung 1910 die Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse zusammen. 356 f., 359 f., 393, 421 Übinger, Johannes (1854-1912): dt. Philosoph u. Theologe. 291, 358 Unger, Erich (1887-1950): dt.-jüd. Philosoph; Schüler ! Oskar Goldbergs. 466 f. Vaihinger, Hans (1852-1933): dt. Philosoph. 452, 461 Wagner, Richard (1813-1883): dt. Komponist. 32 Weber, Max (1864-1920): dt. Soziologe, Sozialpolitiker und Nationalökonom. 150, 359 Weigel, Valentin (1533-1588): prot. Theologe und Schriftsteller. 70, 72 f., 77, 86, 91-96, 276, 279, 282-285, 301 f., 304 f. Weizmann, Chaim (1874-1952): Chemiker u. zionist. Politiker; wurde 1948 erster Präsident des Staates Israel. 265, 471 Weltsch, Robert (1891-1982): öster. Publizist; Mitglied des Vereins Jüdischer Hoch-

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schüler Bar Kochba in Prag; 1919-1938 Chefredakteur der zionist. Wochenzeitung Jüdische Rundschau. 378 Wiener, Leo (1862-1939): poln.-jüd. Philologe; emigrierte in die USA; Veröffentlichungen u. a. zur Geschichte der Jiddischen Literatur und zur volkstümlichen Literatur der russischen Juden. 110, 320 Wilhelmi, Bruno (1865-1909): Vertreter einer völkischen Romantik. 313 Wilhelm von Occam (ca. 1285-1347) ! Ockham, Wilhelm von Wille, Bruno (1860-1928): dt. Prediger u. Schriftsteller. 25, 254 Windelband, Wilhelm (1848-1915): dt. Philosoph. 92, 100, 304, 310 Wittgenstein, Ludwig (1889-1951): östr.-brit. Sprachphilosoph; schuf mit dem Tractatus Logico-Philosophicus (1921) ein Referenzwerk des logischen Positivismus und der analytischen Sprachphilosophie. 313 Wundt, Wilhelm (1832-1920): dt. Philosoph, Physiologe und Psychologe; Begründer der experimentellen Psycholgie. 318 Yochai, Simeon ben (2. Jh.): jüd. Gelehrter. 43 Zachris Topelius (1818-1898): finn. Schriftsteller, Journalist u. Historiker. 153 Zarathustra (2./1. Jahrtausend v. Chr.): altiranischer Priester und Prophet des Zoroastrismus. 19, 188, 421 Zenon von Kition (ca. 333-262 v. Chr.): griech. Philosoph und Begründer der Stoa. 289 Zimmermann, Robert (1824-1898): öster. Philosoph. 76 f., 287 f. Zweig, Arnold (1887-1968): dt. Schriftsteller; 1933 Emigration nach Palästina; 1948 Rückkehr nach Deutschland, wo er in der DDR lebte. 427