Martin Buber Werkausgabe: Band 6 Sprachphilosophische Schriften 9783641248550

Von der verschwenderischen »Leichtigkeit« der Sprache zum »strengen dienst am Wort« - darin liegt ein wichtiger Charakte

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German Pages 229 Year 2003

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
Autobiographische Fragmente (1960)
Geleitwort: Eisik Scheftel (1905)
Brief an Henri Borel über das Wesen der Sprache (1917)
Buchbesprechung: Ein Wörterbuch der hebräischen Philosophie (1928)
November
Seit ein Gespräch wir sind
Geleitwort: Wintersaat (1953)
Authentische Zweisprachigkeit
Jakob Hegner zu seinem siebzigsten Geburtstag
Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens
Dem Gemeinschaftlichen folgen
Das Wort, das gesprochen wird
Philosophische Gespräche
Auszüge aus ›Antwort‹
Kommentar
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Glossar
Sachregister
Personenregister
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Martin Buber Werkausgabe: Band 6 Sprachphilosophische Schriften
 9783641248550

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Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und Peter Schäfer unter Mitarbeit von Martina Urban

Gütersloher Verlagshaus

Martin Buber Werkausgabe 6 Sprachphilosophische Schriften Bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Asher Biemann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Die Edition wurde von 1998 aus Mitteln der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie von 2001 aus Mitteln der German-Israeli Foundation for Scientific Research and Development (G.I.F.) finanziert. Zusätzlich wird die Edition durch Zuschüsse der Lucius N. Littauer Foundation, der Memorial Foundation for Jewish Culture, dem Franz Rosenzweig Research Center for German-Jewish Literature and Cultural History und der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt.

Copyright © 2003 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Umschlaggestaltung: Init Kommunikationsdesign GmbH, Bad Oeynhausen Satz: SatzWeise GmbH, Bad Wünnenberg ISBN 978-3-641-24855-0 www.gtvh.de

Buber / p. 5 / 29.8.2003

Inhalt Danksagung 7 Einleitung 9 Autobiographische Fragmente (1960) 69 Geleitwort: Eisik Scheftel (1905) 73 Brief an Henri Borel über das Wesen der Sprache (1917) 75 Buchbesprechung: Ein Wörterbuch der hebräischen Philosophie (1928) 77 November (1948) 81 Seit ein Gespräch wir sind (1952) 83 Geleitwort: Wintersaat (1953) 87 Authentische Zweisprachigkeit (1963) 89 Jakob Hegner zum siebzigsten Geburtstag (1952) 93 Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens (1953) 95 Dem Gemeinschaftlichen folgen (1956) 103 Das Wort, das gesprochen wird (1960) 125 Philosophische Gespräche (1963) 139

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Inhalt

Auszüge aus ›Antwort‹ (1961) 145 Kommentar 149 Abkürzungsverzeichnis 187 Quellen- und Literaturverzeichnis 190 Glossar 210 Sachregister 212 Personenregister 217 Gesamtaufriß der Edition 230

Buber / p. 7 / 29.8.2003

Danksagung Den Herausgebern der Buber Werkausgabe gilt mein Dank für die Einladung zur Mitarbeit. Paul Mendes-Flohr bin ich zutiefst dankbar verbunden für die zahlreichen kritischen Hinweise und seinen freundschaftlichen Rat in den verschiedenen Stadien des Manuskripts. Einmal mehr schulde ich Margot Cohn vom Martin Buber Archiv in Jerusalem meinen Dank für ihre kompetente und unerschöpfliche Hilfe bei der Beschaffung der relevanten Primärquellen. Martina Urban von der Arbeitsstelle in Berlin fungierte stets als mein wissendes Gewissen und bereitwillige Quelle der Auskunft. Ihr und Helen Przibilla danke ich für die kritische und fachgerechte Bearbeitung des Manuskripts und besonders die Erstellung der Register. Ein besonderer Dank sei hier an Dr. Henk Visser in Amsterdam ausgesprochen, ohne dessen Großzügigkeit und tiefkundige Beratung der Hintergrund der Korrespondenz Martin Bubers mit dem Amsterdamer Internationalen Institut für Philosophie im Dunkel geblieben wäre. Hilfreiche Auskünfte kamen auch von Julia Matveev, Jerusalem, und Judith Buber Agassi, Herzliah. Auch die Mitarbeiter der Judaica Division der Widener Library seien hier dankend erwähnt. Und nicht genug danken kann ich meiner Familie, deren Gegenwart und Wärme meine eigene Ausdauer ermöglicht haben. Cambridge, Massachusetts, Sommer 2002

Asher Biemann

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Einleitung 1. Problemstellung »Bubers Philosophie auf der reifsten Stufe ist Sprachphilosophie.« 1 Mit dieser Feststellung faßte der Prager Historiker, Philosoph und erste Buber-Biograph Hans Kohn (1891-1971) bereits Anfang 1930 das Denken Martin Bubers (1878-1965) zusammen, zu einer Zeit, da dessen sprachphilosophische Schriften im engeren Sinn noch gar nicht entstanden waren. Die Einschränkung »im engeren Sinn« ist hier rechtmäßig angebracht. Denn, wie Kohn eben selbst sagt, Bubers dialogische Philosophie ist Sprachphilosophie, oder, wie Hans Fischer-Barnicol mehr als dreißig Jahre später schrieb, als das Werk Bubers nun abgeschlossen vorlag: »immer wieder äußert sich das Denken bei Buber rein und makellos als Sprache, ereignet sich Wahrheit als Wort«. 2 Damit aber ist noch nicht gemeint, daß Buber auch notwendig eine eigene Sprachphilosophie hatte. So ist es zu verstehen, wenn für Bernhard Casper die Sprache bei Buber »viel weniger […] Ausgang des Denkens« war 3 als bei den in unmittelbarer Nähe zu Buber stehenden Sprachdenkern, dem jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig (1886-1929), dem gemeinsamen Freund Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973) und dem katholischen Denker Ferdinand Ebner (1882-1931), mit dem Buber allerdings nicht persönlich in Verbindung stand. Dies trifft zu insofern als Bubers Sprachphilosophie – als Philosophie der Sprache – tatsächlich nur umrißhaft und selbst im Spätwerk weitgehend an der Peripherie seines Denkens blieb, während gerade Rosenzweig, Ebner und Rosenstock-Huessy ihr dialogisches Denken aus einer Philosophie der Sprache heraus entwickelten. Dennoch deutet Buber in den wenigen eigenen Kindheitserinnerungen, die uns von ihm überliefert sind, ein profundes Verhältnis zur Sprache an, das sich in der Jugendzeit und den Studienjahren nur noch vertiefte und verzweigte. 4 Wie es in Bubers chassidischen Schriften eine Vorahnung des dialogischen Prinzips gab, 5 so gab es in seinem Frühwerk 1. 2. 3. 4. 5.

Kohn, S. 240. H. Fischer-Barnicol, ›… und Poet dazu‹. Die Einheit von Denken und Dichten bei Martin Buber, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts, Jg. 9, Nr. 33-36 (Tel Aviv 1966), S. 3. B. Casper, Das dialogische Denken, S. 300. Siehe Kapitel 2 der Einleitung. Nach Bubers eigenem Zeugnis: »[I]n dem im September 1919 verfaßten ›Geleitwort‹ zu dem Buch ›Der große Maggid und seine Nachfolge‹ (1921) wird die jüdische Lehre als ›ganz auf die doppelgerichtete Beziehung von Menschen-Ich und Gott-Du, auf die Gegenseitigkeit, auf die Begegnung gestellt‹ gekennzeichnet. Bald danach, im

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Einleitung

auch rudimentäre Ansätze einer Theorie der Sprache, die sich zunächst in seiner engen Beziehung zur Dichtung darstellten. Einer der ersten erhaltenen Aufsätze Bubers befaßte sich mit zeitgenössischen Wiener Literaten, mit Hermann Bahr (1863-1934), Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), Peter Altenberg (1895-1919) und Arthur Schnitzler (1862-1931), den Wortführern des Kreises »Jung-Wien«. 6 Es folgten kurze Stücke zu so unterschiedlichen Schriftstellern wie Jitzchak Leib Perez (1851-1915)7 , David Pinski (1872-1959)8 und Rudolf Borchardt (1877-1945)9 sowie eigene Versuche in der Poesie. 10 In den Geschichten des Rabbi Nachman (1906) und im Daniel (1913) schließlich kündigen sich erste Reflexionen und Spekulationen über das Wesen der Sprache, Rede und Dichtung an, noch ganz unter dem Einfluß freilich der Neuromantik. 11 In Ich und Du (1923), Bubers bekanntester philosophischen Schrift, ist der erste Teil bereits mit »Wort« überschrieben,12 und dem Manuskript ein Satz vorangestellt, der allerdings im Druck – wie auch die Kapitelüberschriften – ausgelassen wurde: »Was hier Sprache genannt wird, ist der Urakt des Geistes, dessen menschlichem Vollzug die Laut- und alle Zeichensprache und alle Mächte der Äußerung als Helfer und Werkleute dienen.«13

6. 7. 8.

9. 10.

11. 12. 13.

Herbst 1919, folgte die erste, noch unbeholfene Niederschrift von ›Ich und Du‹.« Vgl. Buber, Begegnung, 1978, S. 80. Zur Wiener Literatur (1897), erstmals in deutscher Übersetzung erschienen in: MBW I, S. 119-129. »J. L. Perez – Ein Wort zu seinem fünfundzwanzigsten Schriftsteller-Jubiläum«, in: Die Welt, Jg. 5, Nr. 18 (3. Mai 1901), S. 9. Auch »J. L. Perez«, in: Jüdischer NationalKalender 5676, Wien 1915, S. 80-83. Buber übersetzte z. B. Pinskis Gedicht »Das Erwachen« aus dem Jiddischen, erschienen im Jüdischen Almanach, Berlin 1902, S. 209-215. Siehe auch Bubers Übertragung eines Gedichts von Saul Tschernichowski (1875-1943), »Entsinnst du dich?«, ebd., S. 44. Zu seiner Übersetzung von Pinskis Eisik Scheftel (1905) verfaßte Buber auch ein Vorwort. Siehe S. 73-74 in diesem Band. »Das Buch Joram, von Rudolf Borchardt«, in: Die Zukunft, 61, Nr. 12 (21. Dez. 1907), S. 410. Buber schrieb bis in sein hohes Alter Gedichte. Zu seinen frühen Versuchen gehören »Unser Volkes Erwachen« (Die Welt, 3. Jg, Nr. 46 [17. Nov. 1899], S. 14 f.), »Neue Jugend« (Jüdischer Volkskalender für das Jahr 5661, Leipzig 1900, S. 51 f.) und »Der Ackersmann« (Die Welt, 5. Jg., Nr. 49 [6. Dez. 1901], S. 24 f.). Zu Buber und der Neuromantik siehe M. Duarte de Oliveira, »Passion for Land and Volk: Martin Buber and Neo-Romanticism«, in: LBIYB 41 (1996), S. 239-260. Die drei Teile des Manuskripts waren ursprünglich »Wort«, »Geschichte« und »Gott« benannt, doch »scheute« sich Buber, »diese Namen als Überschriften zu setzen«. Vgl. B. an Rosenzweig, 14. Sept. 1922, B II, S. 128. Die hier zitierte Vorbemerkung, die auch bei Hans Kohn erwähnt ist (Kohn, Martin Buber, S. 240), unterließ Buber auf Anraten Franz Rosenzweigs (vgl. Rosenzweig an B., undatiert [vor 14. Sept. 1922], B II, S. 125; B. an Rosenzweig, 14. Sept. 1922, B II, S. 129 und B. an Rosenzweig, 19. Sept. 1922, B II, S. 130 f.). Stattdessen stellte Buber der ersten Auflage einen Vers aus dem West-Östlichen Divan Goethes voran:

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Problemstellung

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Auch wenn uns eine systematische Philosophie der Sprache bei Buber weitgehend fehlt, so ist es doch die Sprache, die für ihn in der dialogischen Werkperiode die menschliche Ausgangsposition bedeutet, so ist es doch die Dualität der »Grundworte«, in deren aktuellem Gesprochenwerden sich das Menschsein manifestiert: »Wer ein Grundwort spricht,« heißt es in Ich und Du, »tritt in das Wort ein und steht darin.« 14 Er »steht darin«, sagt Buber; er »steht in der Sprache und redet aus ihr«, heißt es an späterer Stelle; nicht umgekehrt die Sprache aus ihm. 15 Die Sprache in diesem Sinn kann nicht »gehabt« werden, denn sie »hat« uns, und jedes Reden über die Sprache ist ein Reden mit der Sprache, in der Sprache, von dem der Sprechende sich nicht lösen, noch umgekehrt die Sprache von ihm gelöst werden kann. Eine Sammlung »sprachphilosophischer Schriften« Martin Bubers stößt daher unausweichlich an dieselben Grenzen, die bereits der Grundkonzeption der Buberschen Philosophie innewohnen: Die Gesprochenheit der Sprache sowie die menschliche Grunderfahrung der Begegnung widerstrebt der deskriptiven, »logisierenden« und vorgedachten Sprache der Philosophie und will sich doch dem Leser bleibend mitteilen. »Ich bin nicht bloß an die philosophische Sprache, ich bin an die philosophische Methodik gebunden,« schreibt Buber in seiner »philosophischen Rechenschaft« (1961). 16 Aber später schränkt er dies ein: »[I]ch philosophiere nicht mehr als ich muß.« 17 Über die Gesprochenheit zu sprechen wird so zum Paradox der Sprache selbst, dem auch die Sprachphilosophie – oder gerade sie – nicht zu entrinnen vermag. Um das »Wesen« der Sprache zu erschließen, das für Buber eben in ihrer augenblicklichen Gesprochenheit liegt, darin, daß das Wort nicht ohne Sprecher ist, doch auch »nicht bei seinem Sprecher bleiben will«, 18 mußte die systematische Philosophie der Sprache Platz machen, die Gesprochenheit gewissermaßen wiederhergestellt werden. Der in der Buber-Literatur zur Genüge zitierte Satz »Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch« 19 besagt nicht nur dies, sondern auch, daß da, wo die Philosophie aufhört, allein die Unmittelbarkeit der Sprache einsetzen kann, und mehr noch, mit ihr in einem steten Spannungsverhältnis bleibt. Die vielleicht nicht immer ganz glückliche Vermählung von

14. 15. 16. 17. 18. 19.

»So hab ich endlich vor dir erharrt: / In allen Elementen Gottes Gegenwart.« (Ich und Du, Leipzig 1923, S. 5). Ich und Du, W I, S. 79. Ebd., S. 103. Antwort, S. 560. Ebd., S. 601. Buber, Das Wort, das gesprochen wird, S. 127 in diesem Band. Antwort, S. 593.

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Einleitung

Dichtung und Philosophie, die natürlich seit jeher besteht, gilt in großem Maß auch für Buber. Form, Methode und Genre sind ständige Variablen in seinem Werk, die sich jeder flüchtigen Zuordnung widersetzen. Formal betrachtet ist es nicht verfehlt, sein Frühwerk, bis hin zu Ich und Du, dessen stilisierte Ausdrucksform noch maßgeblich in Wechselwirkung mit dem deutschsprachigen Expressionismus stand, 20 als literarisch und poetisch zu klassifizieren. Gerade über Ich und Du schrieb ein späterer Kritiker, sein Stil sei »mehr affektiert als schrankenlos ehrlich«, ja mehr noch, daß es in seiner dem Zarathustra Friedrich Nietzsches (1844-1900) entlehnten Pose »dem orakelhaften Ton falscher Propheten nahe« komme. 21 Weniger kritisch bezeichnete der erste englische Übersetzer das Buch als ein »philosophisch-religiöses Gedicht«. 22 Eine »Art Dichtung, ja große Dichtung,« nannte es ein anderer. 23 Buber selbst schwankte in den frühen Jahren seiner literarischen Tätigkeit zwischen den Berufungen von Dichtung, Übersetzung, poetischer Philologie und suggestiver Mystik, 20. Schon vor dem Erscheinen von Ich und Du war Buber eng mit dem literarischen Expressionismus verknüpft, vor allem durch den Daniel und die als Fortsetzung gedachten Ereignisse und Begegnungen, woraus größere Teile in den Weißen Blättern erschienen, einer der führenden Zeitschriften des Expressionismus (siehe den Kommentar zu Bubers Ereignisse und Begegnungen, in: MBW I, S. 323 f.). Siehe auch W. Paulsen, Expressionismus und Aktivismus. Eine typologische Untersuchung, Bern/ Leipzig 1935, S. 8-11. In diesem Zusammenhang schrieb der Dichter und Essayist Kasimir Edschmid: »Der größte Rufer zu dem Goldton hin ist heut Martin Buber, der die junge jüdische Generation zu einer Selbstbesinnung überzeugt […]. Schüler von ihm haben sich an Hölderlin verschenkt, aber sie ertrinken in ihm.« (K. Edschmid, Die doppelköpfige Nymphe. Aufsätze über die Literatur und die Gegenwart, Berlin 1920, S. 138). Ähnlich zählte der Kritiker Hermann Bahr Bubers Daniel zu den repräsentativen Werken des Expressionismus: »Mir ist das Buch seit Wochen ein lieber Gefährte, so einer, dem man gern zuhört, weil man sich dabei sich selbst zu hören meint; und wirklich bleibt es ja unentschieden, ob man nicht, während er spricht mehr auf sich selbst horcht und sich nur von seinem Klang angenehm begleiten läßt, wie wenn man im Garten geht und die Blätter rauschen. […] Solang ich jedes Gespräch als Musik auf mich einwirken ließ, schwoll ich in Gedanken. Sobald ich einen einzelnen Satz genau zu befragen unternahm, ward ich irre.« H. Bahr, Expressionismus, München 1916, S. 42 f. 21. W. Kaufmann, »Bubers Fehlschläge und sein Triumph«, in: Bloch/Gordon, S. 28. 22. R. G. Smith, Introduction, I and Thou, Edinburgh 1937, S. vi: »[T]hough we might call I and Thou a ›philosophical-religious poem‹ it belongs essentially to no single specialised class of learned work.« Im Vorwort zur zweiten Auflage behielt Smith das Attribut Dichter bei: »I am still inclined to retain, with reservations, the description of ›poet‹.« I and Thou, New York 1958, S. vii. 23. Ch. Hartshorne, »Martin Bubers Metaphysik«, in: Schilpp/Friedman, S. 42. Zum poetischen Charakter von Ich und Du siehe besonders R. E. Wood, Buber’s Ontology: An Analysis of I and Thou, Evanston, Ill., 1969, bes. S. 30-31 und 34-109. Siehe auch P. Mendes-Flohr, »Buber’s Rhetoric«, in: Martin Buber: A Contemporary Perspective, Proceedings of an International Conference held at the Israel Academy of Sciences and Humanities, hrsg. v. ders., Syracuse/Jerusalem 2002, S. 23.

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Problemstellung

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und fühlte sich, trotz seiner Universitätsstudien, kaum vorbereitet auf eine akademische Laufbahn.24 Als er 1923 einen Lehrauftrag für jüdische Religionsphilosophie und Ethik an der Frankfurter Universität annahm, führte ihn das Personalverzeichnis immer noch als »Schriftsteller«.25 Gemessen an Bubers früheren Werken, besonders dem Daniel, der geradezu literarisches Aufsehen in seiner Zeit erregte, 26 bildete sich in den späteren dialogischen Werken ein dennoch zunehmend philosophischer, schlichter und zuletzt existenzphilosophischer Stil heraus. Aber schon in Ich und Du zeichnete sich ein zögernder Übergang zur Philosophie vor. So kam es, daß der ehemalige Geistliche Florens Christian Rang (18641924), mit dem Buber seit dem ersten Weltkrieg eng freundschaftlich verbunden war, über die »Sprechweise« in Ich und Du klagte, »Sie neigt viel zu sehr auf die wissenschaftliche Sprachseite«, 27 ein außergewöhnliches Urteil vielleicht, in dem sich jedoch ein Grundthema der späteren Sprachphilosophie Bubers ankündigen sollte. Rang, der wie Franz Rosenzweig auch die Korrekturbögen von Ich und Du wenigstens in den fortgeschrittensten Stadien kannte, war besorgt um die verführerische Leichtigkeit der Sprache, um eine betäubende Klarheit des Wortes: »Das Büchlein ist zu klar«, schrieb er über das Manuskript von Ich und Du, »– und darum noch nicht genug in der Klarheit. Es trägt noch zu wenig Schauder von dem, was unsagbar ist«. 28 Das Wort fließe »zu leicht«, um die »Schwere der Überwindung des bebenden Schweigens« vollständig zu tragen. »Jedes Wort,« sagt Rang schließlich, »mögen wir es auch ›reales‹ nennen, ist ja zu schlecht; aber es muß gesagt werden als sein eigenes Opfer; vor unserem unreinen Wortopfer sollte unsere Sprache beben.«29 Buber war sich dieses »Bebens« wohl bewußt. Noch 1957 klingen die Worte Rangs bei ihm nach: »In der Sprache wie in allen Bereichen des 24. Die Frage der akademischen »Wissenschaftlichkeit« stellte sich auch als 1927 die Gründung eines Institutes für Religionswissenschaft unter Bubers Leitung an der Hebräischen Universität in Jerusalem im Gespräch war. »Ich habe mit meiner wissenschaftlichen Arbeit spät begonnen,« schrieb B. an Hugo Bergmann, »obgleich ich seit mehr als 15 Jahren das Rüstzeug zusammengeholt habe; meine Gedanken und Methoden weichen von der in der heutigen Religionswissenschaft üblichen wesentlich ab […].« B. an Bergmann, o. D. (B II, S. 293 f.). Der Plan des Institutes unter Buber wurde nicht verwirklicht. 25. Vgl. W. Schottroff, »Martin Buber an der Universität Frankfurt am Main (19231933)«, in: Licharz/Schmidt, Bd. 1, S. 65, Anm. 5. Noch 1945 verfaßte Buber ein Ernst Simon (1899-1988) zugeeignetes Gedicht »Bekenntnis des Schriftstellers« (Nachlese, S. 11). 26. Zur Rezeption des Daniel siehe M. Tremls Einleitung, MBW I, Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1891-1924, bes. S. 59-68. 27. Rang an B., 19. Sept. 1922 (B II, S. 133). 28. Ebd., S. 132. 29. Ebd., S. 133.

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Einleitung

menschlichen Daseins ist heute kein Bestand mehr zu behaupten, es sei denn durch das Opfer.« 30 Auch für Buber war der Abgrund zwischen Begriff und Wirklichkeit weder durch den Gehalt noch die Form des Wortes zu überbrücken. »Die wörtersprachliche Form erweist nichts,« schreibt er in Ich und Du 31 und in Zwiesprache (1932) lesen wir, daß der Dialog sich »außerhalb der mitgeteilten oder mitteilbaren Inhalte« vollende.32 Die Klarheit der Sprache war für Buber überhaupt keine Klarheit der Aussage, sondern eine Klarheit der Ansprache: »Nie ist Sprache gewesen, ehe Ansprache war.« 33 Jede Definität der Begriffe, die auf der Ebene der Verständigung unentbehrlich ist, hemmt auf der Ebene der Gesprochenheit die Dialogizität des Wortes. Nicht die »Eindeutigkeit des Wortes, sondern seine Mehrdeutigkeit [konstituiert] die lebendige Sprache« – die »Aura« des Wortes, wie Buber es nannte. 34 Doch die »Aura« für Buber war nicht eins mit bloßer Gefühlsstimmung; noch hielt er sie für etwas, das voraussagbar oder gar zu präfabrizieren wäre. Einen Versuch des Internationalen Institutes für Philosophie in Amsterdam, »Wörter spirituellen Wertes« zu schaffen, lehnte er bereits 1917 entschieden ab. 35 Stattdessen setzte Buber eine »Reinigung des Wortes« zum Ziel und einen Kampf gegen den »Mißbrauch der großen alten Worte«. 36 Rückblickend schreibt Buber, daß er sich aus der verschwenderischen »Leichtigkeit« der Sprache seines Frühwerks zu lösen hatte, um zum »strengen Dienst am Wort« durchzudringen.37 Darin liegt ein wichtiger Charakterzug der immanenten Sprachphilosophie Martin Bubers: Sie ist Sprachphilosophie, aber immer auch Sprachkritik. Die »Reinigung des Wortes« wird zu einem fundamentalen Anliegen seiner Philosophie, und der Dichtung steht es nun an, die Sprache auf ihre ursprüngliche Gesprochenheit hin zu »reinigen«, denn »das Gedicht ist Gesprochenheit, Gesprochenheit zum Du, wo immer ihm der Partner wese«. 38 Die Wahrheit des Gedichts, nach Buber, ist eine Wahrheit, die eben nur in der »worthaften Gestalt« des Gedichts Ausdruck finden kann. Aber sie ist auch eine Wahrheit, die »außerhalb aller Relation zu einem aussagbaren Was« steht und der alles »erkennbare Was« klärenden Begrifflichkeit notwendig entrückt ist. 39 Das »Gedicht spricht«, doch 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38.

Buber, Nachlese, S. 14. Ich und Du, W I, S. 120. Zwiesprache, W I, S. 176. Buber, Das Wort, das gesprochen wird, S. 131 in diesem Band. Ebd., S. 130. Vgl. Buber, Schreiben, S. 75 in diesem Band. Ebd., S. 75. Nachlese, S. 14. Das Wort, das gesprochen wird, S. 134.

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Problemstellung

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es sagt nichts aus. Aber indem es spricht, entfaltet es die Sphäre des »Zwischen«40 , den eigentlichen – raumlosen – Ort des Gesprächs. »Jedes lyrische Werk ist ein Gespräch, darin der Partner in einer übermenschlichen Sprache redet,« heißt es im Daniel; doch »was er sagt, ist des Dichters Geheimnis.«41 Als »schwingende Erkenntnis« beschreibt das Gedicht nicht bloß eine Wirklichkeit, sondern schafft selbst eine Wirklichkeit im »gesteigerten Sinn«, 42 unverfälscht durch die Erkenntnis in Begriffen, in der Welt und Wort geschieden sind. Nur der Dichter entscheidet sie, der Dichter »sagt« die Welt. 43 Damit stehen wir inmitten der Philosophie als Sprache und Kritik der Sprache bei Martin Buber. Wir stehen am Übergang von der Sprachphilosophie im eigentlichen Sinn zur sprechenden Philosophie. Ein früher Leser des Daniel bemerkte, daß Bubers Sprache hier »zugleich ganz Sprache des Sprechenden und ganz sprechende Sprache« sei. 44 Dieser Leser war Gustav Landauer (1870-1919), ein enger Freund Bubers seit

39. Ebd., S. 134. 40. Als selbständiger Begriff tritt das »Zwischen« bei Buber erst relativ spät hervor. Im Problem des Menschen (1943) beschreibt Buber das Zwischen als den »wirkliche[n] Ort und Träger zwischenmenschlichen Geschehens« (W I, S. 405). Der Begriffsinhalt des »Zwischen« hingegen erscheint bereits in den frühen Schriften. Siehe z. B. Der heilige Weg (1918): »[I]m Dazwischen, im scheinbar leeren Raum [erhebt] sich die ewige Substanz […]: der wahre Ort der Verwirklichung ist die Gemeinschaft, und wahre Gemeinschaft ist die, in der das Göttliche sich zwischen den Menschen verwirklicht« (JuJ, S. 88); in: Ich und Du (1923) ist das »Dazwischen« als die »Sphäre zwischen den Wesen« vorgestellt (W I, S. 160). Buber selbst führte den Begriff des »Zwischenmenschlichen« auf sein Geleitwort zur Schriftenreihe Die Gesellschaft zurück (W. Sombart, Das Proletariat [Die Gesellschaft, Bd. 1] Frankfurt a. M. 1906, S. 14-15. Vgl. Elemente des Zwischenmenschlichen [1954], W I, S. 269. In einer Nachbemerkung zum selben Text geht Buber auch auf den Begriff des »Zwischenmenschen« in Alexander von Villers’ »Briefen eines Unbekannten« ein, wo es heißt »Ich habe einen Aberglauben an den Zwischenmenschen. Ich bin es nicht, auch du nicht, aber zwischen uns entsteht einer, der mir Du heißt, dem anderen ich bin.« [vgl. W I, S. 289]). Zur Analyse des Geleitworts siehe P. Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 29 ff. Beachte auch den Brief von B. an Hugo v. Hofmannsthal, 26. Juni 1906 (B I, S. 243 f.), worin Buber noch mit dem Gedanken spielt, selbst ein »sexual-philosophisches Thema« zur Gesellschaft beizusteuern: »Das kleine Buch über die Geschlechter, das in der Sammlung erscheinen soll, denke ich mir als Prolegomena zu einer Deduktion des Zwischenmenschlichen.« Das Thema jedoch wurde nicht von Buber, sondern der Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé (1861-1937) behandelt (Die Erotik, Bd. 33 der Gesellschaft). Zur philosophischen Bedeutung des »Zwischen« siehe M. Theunissen, Der Andere, S. 243-277; 330-346. 41. Daniel, MBW I, S. 230. 42. Ebd., S. 195. 43. Ebd., S. 233. 44. Landauer an B., 25. Juli 1912 (B I, S. 307).

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Einleitung 45

der Jahrhundertwende und ein intimer Mitarbeiter des Pioniers der Sprachkritik, Fritz Mauthners (1849-1923). Von Mauthner stammte das Postulat einer »kritischen Aufmerksamkeit auf die Sprache« als alleinige Aufgabe der Philosophie. 46 Landauer dachte Mauthners radikalen Skeptizismus durch zur Mystik, zum »Ineinanderschwingen von Unsagbarkeiten«.47 Buber, von dessen Verbindung zu Mauthner und Landauer noch die Rede sein wird, ging beide Wege: Von der Sprache zur Mystik, und von der Mystik zurück in die Sprache.

2. Frühe biographische Zusammenhänge Beinahe achtzigjährig, schrieb Buber eine kurze »Erinnerung« an seine Kindheit nieder: »In Wien geboren, bin ich in der ersten Kindheit in die Hauptstadt der galizischen Provinz gekommen, in der eine eigentümliche Sprachenvielheit mir die Tatsache des Nebeneinanderlebens sehr verschiedener Volkstümer unauslöschlich einprägte.« 48 Die Hauptstadt der galizischen Provinz der Habsburgmonarchie war Lvóv, oder Lemberg, wo Buber insgesamt elf Jahre seiner Kindheit verbrachte. Polnisch war die Sprache von »Straße und Schule«, Jiddisch die des »Judenviertels« und Hebräisch die »große Stimme der Vorzeit« in der Synagoge. 49 Um die Jahrhundertwende lebten in Galizien, das 1772 unter Maria Theresia dem Habsburger Reich eingegliedert wurde, immer noch mehr als zwei Drittel der jüdischen Bevölkerung Österreichs, viele unter Verhältnissen extremer Armut, doch die meisten – im Gegensatz zum weitgehend assimilierten Judentum der Metropole des Kaiserreichs – nach traditionell jüdischer Weise, tief berührt vom Einfluß des Chassidismus. 50 Die »Spra45. Zur Freundschaft Buber-Landauer siehe N. Altenhofer, »Martin Buber und Gustav Landauer«, in: Licharz/Schmidt, Bd. 2, S. 150-177. 46. Vgl. Beiträge I, S. 705: »So ist jedes geschlossene System eine Selbsttäuschung, so ist Philosophie als Selbsterkenntnis des Menschengeistes ewig unfruchtbar, und so kann Philosophie, wenn man schon das alte Wort beibehalten will, nichts weiter sein wollen, als kritische Aufmerksamkeit auf die Sprache.« 47. Vgl. G. Landauer, Skepsis und Mystik, S. 153. An anderer Stelle wendet sich Landauer gegen eine Klassifikation Bubers als »philosophischen Dichter oder poetischen Philosophen«: »Wie seine Bilder und Gleichnisse nur Taktgebilde seines Rhythmus scheinen, so ist all seine Abstraktionssprache Musik: man gibt sich ihr hin, man ist zauberhaft gefangen und wie in sie aufgelöst; man schwimmt in ihrem Strome, wohlig berührt und von Gefühl umflossen;« allerdings auch in der Gefahr, nichts von ihre zu behalten als »Rhythmus und Gefühl«. (G. Landauer, »Martin Buber«, in: ders., Werkausgabe, Bd. 3., S. 165 f.). 48. Nachlese, S. 12. 49. Ebd., S. 12. 50. Um 1900 zählten die Israelitischen Kultusgemeinden Galiziens 811.183 Mitglieder,

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chenvielfalt«, die der junge Buber hier erlebte, war durchaus nicht außergewöhnlich, sondern eher typisch für den jüdische Haushalt im Osten Europas, wie für den Vielvölkerstaat überhaupt, in dem etwa 50 Millionen Einwohner in elf verschiedenen Sprachen lebten. Seltener, wenngleich in gehobeneren Verhältnissen nicht unerhört, war schon der Einbruch der bürgerlichen »Bildungssprachen«, besonders des Französischen und Deutschen, in ostjüdische Milieus. In seinen Autobiographischen Fragmenten erinnert sich Buber an die französische Übersetzungsarbeit für seinen Großvater und die versteckte Liebe zur Sprache Schillers bei seiner Großmutter. 51 Eigenartig jedoch schreibt er: »Der Großvater war ein wahrhaftiger Philologe, ein ›das Wort Liebender‹, aber die Liebe der Großmutter zum echten Wort wirkte noch stärker auf mich als die seine: weil diese Liebe so unmittelbar und so fromm war.« 52 Diese besondere Beziehung zur deutschen Sprache empfand Buber auch bei sich selbst. In einem Brief an seinen ehemaligen Schüler Nahum Glatzer (1903-1990) spricht er von seiner »Liebschaft […] mit der deutschen Sprache«, 53 wozu Glatzer viel später schrieb: »Buber sagt nicht meine Liebe, sondern meine Liebschaft, womit angedeutet ist, daß er zu dieser Sprache von außen kam – zu ihr kam, nicht in ihr aufwuchs.« 54 Wie einen »gefundenen Schatz«, berichtet Buber, hütete die Großmutter die deutsche Sprache.55 Etwas von solcher Gefundenheit durchwaltet tatsächlich Bubers Sprachbiographie. Als er 1896, nun 18 Jahre alt, in seine Geburtsstadt

51.

52. 53. 54. 55.

wovon jedoch nur etwa 10 % steuerpflichtig waren (siehe Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden, 4. Jg., Heft 12 [Dez. 1908], S. 190; und ebd., 8. Jg., Heft 10 [Okt. 1912], S. 149). Lemberg selbst hatte um 1900 einen jüdischen Bevölkerungsanteil von 27,7 % (siehe, ebd., 9. Jg., Heft 1 [Jan. 1913], S. 21). Zum kulturellen Bild der Provinz Galizien siehe F. Kratter, Briefe über den itzigen Zustand von Galizien: Ein Beitrag zur Statistik und Menschenkenntnis (1786), Berlin 1990; A. J. Brawer, Galizien, wie es an Österreich kam: Eine historisch-statistische Studie über die inneren Verhältnisse des Landes im Jahre 1772 (1910), Berlin 1990; A. v. Guttry, Galizien: Land und Leute, München 1916 sowie J. Holzer, »Die multinationale Provinz Galizien im k. u. k. Staat«, in: J. Nautz und R. Vahrenkamp (Hrsg.), Die Wiener Jahrhundertwende: Einflüsse, Umwelt, Wirkungen, Wien 1993, S. 835-842. Buber, Begegnung, S. 8 f. Siehe auch S. 68 in diesem Band. In traditionell jüdischen Haushalten Osteuropas, wo das Jiddische die Sprache des Alltags war, galt das Lernen fremder Sprachen noch bis ins 19. Jahrhundert als verpönt. Schiller und dessen liberale Zeitschrift Die Horen zu lesen, zeugte daher von einer ungewöhnlichen Selbständigkeit von Seiten Bubers Großmutter. Es verdient Beachtung, daß Buber mit seiner Großmutter deutsch korrespondierte (die in hebräische Lettern transkribierten Briefe der Großmutter sind erhalten), während sein Großvater ihm im traditionellen Jiddischen schrieb. Für diese Auskunft danke ich Paul Mendes-Flohr. Ebd., S. 8. B. an Glatzer, 3. Nov. 1949, B III, S. 223. N. Glatzer, Buber’s Impact on German Jewry, in: LBIYB 25 (1980), S. 303. Buber, Nachlese, S. 12.

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zurückkehrte, um an der kaiserlichen Universität sein Studium zu beginnen, erschien ihm Wien als eine »heimatliche Fremde«. 56 Wenn Buber sich im späten Alter noch als einen »polnischen Juden« bezeichnete, 57 so lag darin mehr als bloß sentimentale Affektion. Vielmehr stand der junge Buber vollends in der jiddischen Sprachwelt, beherrschte das Polnische genug, um darin druckreif schreiben zu können (was durchaus nicht selbstverständlich war), und war dem Hebräischen, wenigstens in dessen klassisch-rabbinischer Form, von Kindheit anvertraut. Daß er dennoch den Weg eines deutschsprachigen Schriftstellers ging, und nicht etwa den der hebräischen Literatur wie der ebenso in Galizien aufgewachsene und vom Chassidismus berührte Shmuel Josef Agnon (1888-1970),58 oder den der jiddischen, zeugt nur einmal mehr von der tiefen Affinität, die Buber (wie das bürgerliche Judentum im allgemeinen) zur deutschen und österreichischen Kultur empfand. 59 Es zeigt aber auch, daß sich Buber vom traditionellen Judentum, wie er es vom Haus seiner Großeltern kannte, entschieden entfernt hatte 60 und eine innere Fragmentierung durchlebte, die charakteristisch war für die komplexe Identität seiner Generation. Von einem »schlimmen Weg der Zersplitterung« schrieb Buber im Jänner 1900 an seinen Großvater anläßlich dessen dreiundsiebzigsten Geburtstags; 61 von einer »Welt des Wirrsals« ist später noch die Rede: »[Ich lebte] in beweglicher Fülle des Geistes, aber wie ohne Judentum, so auch ohne Menschlichkeit und ohne die Gegenwart des Göttlichen.«62 Dieses Gefühl der Unsicherheit und »beweglichen Fülle« ging mit der allgemeinen Stimmung der Zeit einher. »[D]as Wesen unserer Epoche ist Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit,« heißt es bei Hofmannsthal in einem Vortrag von 1905. »Sie kann nur auf Gleitendem ausruhen und 56. Buber, Begegnung, S. 20. 57. So die vielzitierte Stelle in Bubers Nachwort zu Gog und Magog (S. 406): »Ich bin ein polnischer Jude, zwar aus einer Familie von Aufklärern, aber in der empfänglichen Zeit des Knabenalters hat eine chassidische Atmosphäre ihren Einfluß auf mich ausgeübt.« Den Eindruck des »polnischen Juden« hatte auch Fritz Mauthner bei seiner ersten Begegnung mit Buber. Vgl. G. Weiler, »Fritz Mauthner: A Study in Jewish Self-Rejection«, in: LBIYB 8 (1963), S. 147. 58. Mit Agnon verband Buber auch eine langjährige Freundschaft und Zusammenarbeit an einem geplanten Corpus Chassidicum, das jedoch durch einen Brand in Agnons Bibliothek vereitelt wurde. Siehe G. Schaeder, »Martin Buber. Ein biographischer Abriß«, B I, S. 58. Agnon schrieb seine Briefe an Buber natürlich auf Hebräisch. 59. Zum Begriff der Bildung siehe G. L. Mosse, German Jews beyond Judaism, Bloomington 1985, S. 3-20. 60. »Aber nicht nur den Chassidim allein war ich damals entfremdet, sondern dem ganzen Judentum.« Buber, Mein Weg zum Chassidismus, W III, S. 965. 61. B. an Salomon und Adele Buber, 31. Jan. 1900, B I, S. 153. 62. Buber, Mein Weg zum Chassidismus, W III, S. 966.

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ist sich bewußt, daß es Gleitendes ist, wo andere Generationen an des Feste glaubten.« 63 Empfänglich für die Kultur des Fin de siècle, in deren Wiener Ausprägung Formen eines apokalyptischen Ästhetizismus, 64 gekonnten Dilettantismus 65 und empirischen Kritizismus frei miteinander verwirkt waren, fand sich Buber in eben dieser Fluidität der Gewißheiten und Wertvorstellungen wieder, an der sich besonders Literatur und Künste erlabten. Viel stärker noch als die Universität zog den jungen Buber das 1741 von Maria Theresia gegründete und vom Aufklärer Joseph II. intim geförderte Wiener Burgtheater an, 66 das unter der Leitung des ursprünglich theaterfernen Max Burckhard (1854-1912) eine Periode radikaler Erneuerung erlebte. 67 Es war Burckhard, der mit ungewohnter »Impulsivität und Schneidigkeit« 68 in den Jahren zwischen 1890 und 1898 das Publikum mit dem neuen Naturalismus schockierte, den Sozialdramen Henrik Ibsens (1828-1906) und Gerhard Hauptmanns (18621946), und mit Schnitzlers Liebelei (1895). 69 Mit dem Naturalismus wurde die gesprochene Sprache, die Mundart plötzlich bühnenfähig, und Burckhard rekrutierte Schauspieler, die diese Echtheit auf der Bühne zu verkörpern wußten. 70 Hermann Bahr, der schonungslose Kulturkritiker der Jahrhundertwende, bezichtigte den aus Berlin importierten neuen Stil auch wirklich »einer unerhörten Natürlichkeit, Lebendigkeit und Gewöhnlichkeit der Rede und der Gesten«: »Die ganze Wirklichkeit des Augenblicks, und nichts als diese Wirklichkeit, ist das Gesetz, und so 63. H. v. Hofmannsthal, Der Dichter und diese Zeit, in: GW, Prosa II, S. 272. 64. Siehe dazu W. M. Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848-1938, Wien 1974, S. 127-138. C. E. Schorske, Fin-de-Siècle Vienna: Politics and Culture, New York 1981. 65. Nicht zufällig erschien als 34. Band der von Buber herausgegebenen Sammlung sozialpsychologischer Monographien, Die Gesellschaft, eine Studie über den Dilettantismus von Rudolf Kassner (Der Dilettantismus, Frankfurt a. M. 1910). Siehe auch G. Landauer, »Vom Dilettantismus« (1911), in: ders., Der werdende Mensch. Aufsätze über Leben und Schrifttum, Potsdam 1921, S. 78-83 und F. Mauthner, »Der Dilettant«, in: ders., Credo. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1886, S. 230-234. 66. Vgl. Buber, Begegnung, S. 20; Buber, Nachlese, S. 13. 67. Zur Gründungsgeschichte des Burgtheaters siehe K. Glossy, Das Burgtheater unter seinem Gründer Kaiser Joseph II, Wien/Leipzig o. J. (1916); H. Bahr, Burgtheater, Wien 1920 (Theater und Kultur, Bd. 1); S. Loewy, Das Burgtheater im Wandel der Zeiten, Wien o. J. (1926) und V. Keil-Budischowsky, Die Theater Wiens, Wien 1983. 68. Loewy, Das Burgtheater, S. 136. 69. Auch Buber wird einiges von den Naturalisten gesehen haben; Ibsens »Die Wildente« premierte im Jänner 1897, Hauptmanns »Die versunkene Glocke« im März desselben Jahres. Beide gehörten zu den meistgespielten Autoren vor dem ersten Weltkrieg. Vgl. A. v. Weilen, Der Spielplan des neuen Burgtheaters 1888-1914, Wien 1916, bes. S. 149; 156. Siehe auch 175 Jahre Burgtheater, hrsg. v. der Direktion des Burgtheaters, Wien 1955. 70. Siehe Keil-Budischowsky, Die Theater Wiens, bes. S. 319.

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muß der Schauspieler auch, nach dem Beispiele der Natur, statt der fertigen Charaktere der Tradition, welche im ersten Akt gleich immer schon die letzte Szene tragen, vielmehr die unvermuteten Wunder des Werdens und Wachsens gestalten, den ewigen Wandel der Seelen im Wechsel der Ereignisse […].« 71 Von diesem Suchen nach Natürlichkeit und menschlicher Wahrheit, die sich in Wien gerade als Überwindung des Berliner Naturalismus darstellte, mußten Bubers frühe Theatererlebnisse erfüllt gewesen sein. Am Burgtheater glaubte Buber, »das ›richtig‹ gesprochene Menschenwort« vernehmen zu können: »Die Sprache – hier erst, in dieser Welt der Fiktion aus Fiktion, gewann sie ihre Adäquatheit; gesteigert erschien sie wohl, aber zu sich selber.« 72 In einer »Welt der Fiktion aus Fiktion« schuf der impressionistische Wiener Naturalismus also eine Wahrheit, die gerade jenseits der Natürlichkeit lag, anders als die Berliner Schule, von der der große Burgschauspieler dieser Zeit, Josef Lewinsky, sagte: »Sie bringen das Zufällige, Vergängliche, Augenblickliche. Sie haschen nach dem äußeren Scheine. Aber den notwendigen, ewigen, tiefen Kern der Dinge, die immanente Wahrheit treffen sie nicht. Ist denn das wahr, was jeden Moment auf der Straße geschieht? Ist denn die Wahrheit in den raschen Verirrungen eines Menschen, von denen er sich doch gleich wieder besinnt und erholt? Ist nicht die Wahrheit vielmehr hinter der Wirklichkeit, unter der zufälligen Erscheinung, und gilt es nicht vielmehr den heimlichen Kern aus der vergänglichen Hülle zu lösen, die subcutanen Seelenbewegungen in der Tiefe zu erlauschen? Das ist die Aufgabe der Kunst.« 73

3. Hugo von Hofmannsthal Mit dem Burgtheater als eigentlicher Lehranstalt, ein Gedanke, der unter Wienern dieser Zeit nicht unüblich war, 74 fand Buber auch einen neuen Lehrmeister der Sprache. Einer der gefeiertesten jüngeren Autoren am Burgtheater der Jahrhundertwende war Hugo von Hofmannsthal, der im März 1899 an der Burg debütierte. Als Buber dessen erste Gedichte 71. H. Bahr, »Der neue Stil«, in: ders., Studien zur Kritik der Moderne, Frankfurt a. M. 1894, S. 267. 72. Begegnung, S. 21; vgl. Nachlese, S. 13: »Da wurde von Menschen, die Schau-Spieler hießen, die deutsche Sprache gesprochen. Ich verstand: in den Büchern, die ich gelesen hatte, waren die Zeichen angegeben, hier erst wurden sie zu Lauten, die gemeint waren.« 73. Bahr, Der Neue Stil (Lewinsky), S. 270 f. 74. Vgl. Keil-Budischowsky, Die Theater Wiens, S. 267 f.

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1897 in einem Heft der »Wiener Rundschau« kennenlernte, überkam ihn, so schreibt er sechzig Jahre später, ein »heiliger Schauder«. 75 Bald darauf konnte Buber Hofmannsthal selbst begegnen.76 Das Gedicht, das Buber im Volksgarten sitzend las, »Lebenslied«,77 gehörte zur ersten Schaffensperiode Hofmannsthals, die noch ganz unter dem Zeichen einer apokalyptischen Ästhetik stand, einer motivischen Wiederkehr von Vergänglichkeit und Tod, Verworrenheit der Welt und ästhetischem Trotz. So heißt es in dem Gedicht: Er geht wie den kein Walten Vom Rücken her bedroht. Er lächelt, wenn die Falten Des Lebens flüstern: Tod! Ihm bietet jede Stelle Geheimnsivoll die Schwelle; Es gibt sich jeder Welle Der Heimatlose hin.

In seiner »Erinnerung« erzählt Buber, wie sehr die »wunderliche Leichtigkeit« gerade dieser Stelle sein Herz »bezauberte«. 78 Die Anlehnung des »Lebensliedes« an Nietzsches verschwenderischen Erben in der Fröhlichen Wissenschaft 79 vertrug sich gewiß gut mit Bubers damaliger Sensibilität und fiel zeitmäßig zusammen mit dessen eigenem Nietzsche-Enthusiasmus. 80 Wie Buber und viele beider Zeitgenossen war auch Hofmannsthal um die Jahrhundertwende stark von der Problematik der Weltentzweiung und Weltversöhnung berührt, die sich von Schopenhauer über Nietzsche in einen modischen Mystizismus verdünnte. Die 75. Vgl. Buber, [Auswahl von Gedichten], in: Trunken von Gedichten: Eine Anthologie deutscher Verse, hrsg. v. G. Gerster, Zürich 1953, S. 143. Es handelte sich um das Gedicht »Lebenslied«, erschienen in: Die Wiener Rundschau (1897). 76. Vgl. Trunken von Gedichten, S. 143. Buber besuchte Hofmannsthal in seiner Villa in Rodaun außerhalb von Wien. Die Bekanntschaft muß bald nach Bubers Entdekkung des Gedichts erfolgt sein, denn in seinem Aufsatz »Zur Wiener Literatur« (1897) zitiert Buber bereits einen (nicht erhaltenen) Brief Hofmannsthals. Vgl. MBW I, S. 122. 77. Hofmannsthal, Lebenslied, in: GW I, Gedichte und lyrische Dramen, S. 14. Zur Interpretation des Gedichts siehe R. Exner, Hugo von Hofmannsthals »Lebenslied«. Eine Studie, Heidelberg 1964. 78. Buber, Erinnerung, S. 14. 79. Siehe dazu H. J. Meyer-Wendt, Der frühe Hofmannsthal und die Gedankenwelt Nietzsches, Heidelberg 1973. Siehe auch G. Schaeder, Hebräischer Humanismus, Göttingen 1966, S. 48 f. 80. Siehe Bubers Zarathustra (1896/97), in: MBW I, S. 103-117. Zur Datierung des Manuskripts siehe ebd., S. 307-309. Zu Buber und Nietzsche siehe besonders P. Mendes-Flohr, »Zarathustras Apostel. Martin Buber und die ›Jüdische Renaissance‹«, in: J. Golomb, Nietzsche und die jüdische Kultur, Wien 1998, S. 225-235.

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Sprachmagie des jungen Hofmannsthal, in der Vergänglichkeit, »Verdorrung«, Tod und Zerfall der Welt und des Ich mit einer »Trunkenheit« des Traums aufgewogen waren, fesselte Buber durch die Zeit seiner »mystischen Periode« hindurch, auch dann noch, als Hofmannsthal selbst sich der Magie entsagt hatte. Für beide nahm der Einheitsbegriff, transponiert ins Ekstatische, eine wichtige Stellung im Frühwerk ein. »Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum«, heißt es am Schluß der »Dritten Terzine« Hofmannsthals.81 Die Ich-Entfremdung der »Ersten Terzine« (»Über die Vergänglichkeit«), die Abgesondertheit des Ich von der Welt, ist in einem traumhaften Zustand des Einsseins überwunden, von dem wir bereits am Beginn der »Dritten Terzine« Ahnung bekommen: »Wir sind aus solchem Zeug wie das zu Träumen.« Überwunden sind die Verhältnisse in Zeit und Raum, die zerstückelte »Verworrenheit« der Welt, das »Weltgetriebe«. »Er fühlte traumhaft aller Menschen Los, / So wie er seine eignen Glieder fühlte. / Ihm war nichts nah und fern, nichts klein und groß,« lautet ein Vers im Gedicht »Ein Traum von großer Magie«. 82 »[D]och sah ich; aber ich sah nichts Einzelnes mehr«, spricht der Erwachende in Bubers Daniel. 83 In seinem Vorwort zu den Ekstatischen Konfessionen (1909), Ekstase und Bekenntnis, sprach Buber vom »undifferenzierten Erleben« des Ekstatikers: »Über ihn, der immer nur Einzelnes von sich empfindet und weiß, Begrenztes, Bedingtes, gerät das Wetter einer Gewalt, eines Überschwangs, einer Unendlichkeit, in der auch seine ursprünglichste Sicherheit, die Schranke zwischen ihm und dem Andern, untergegangen ist.« 84 Der die Einheit Erlebende »weiß nichts von Ich und Welt«. 85 Sich in einem »Schauer von Bildern und Klängen« nach außen ergießend, bleibt das Erlebnis der Einheit doch »ein vielgestaltiges Mysterium«. 86 Der Begriff des Erlebens und Lebens war ein charakteristischer Begriff der Zeit. Sowohl der junge Hofmannsthal als auch der (um nur vier Jahre jüngere) Buber waren mit der Lebensphilosophie Wilhelm Diltheys (1833-1911), die den Begriff des Erlebens zum Ausgangspunkt der Geisteswissenschaften erklärte, eng vertraut. 87 Die Methode der Geisteswissenschaft dachte sich Dilthey als ein »Nacherleben« erlebten Lebens, das heißt, nicht als kategoriales Erkennen über die Sinne, sondern als Verste81. 82. 83. 84. 85. 86. 87.

Hofmannsthal, Terzinen, in: GW I, S. 19. Ebd., S. 22. Daniel, MBW I, S. 238. Buber, Ekstatische Konfessionen, S. xv. Ebd., S. xiv. Ebd., S. xv. Über Buber und Dilthey siehe Schaeder, Hebräischer Humanismus, S. 28 f.

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hen der »Lebensstruktur«. Darin kam der Dichtung besondere Bedeutung zu. Sie allein hielt Dilthey für frei von sinnlich Gegebenem, »denn sie hat in der Sprache ein Ausdrucksmittel für alles, was in der Seele des Menschen auftreten kann – äußere Gegenstände, innere Zustände, Werte, Willensbestimmungen – und in diesem ihrem Ausdrucksmittel der Rede ist schon eine Fassung des Gegebenen durch das Denken enthalten.« 88 So ist die Sprache der Dichtung dem Leben näher als die Begriffe der Philosophie und insofern verstehender als die um Erkenntnis ringende Wissenschaft. Der Dichter erschaut den »Sinn des Lebens«, und die Dichtung vermag es, durch Gespräch, Monolog oder Chor zu einer »zusammenhängenden und allgemeinen Auffassung des Lebens« zu gelangen.89 Und so führte bei Dilthey der Weg der Philosophie in die Dichtung und umgekehrt aus ihr heraus. »Nie war die Atmosphäre eines Lebenden verwandter mit der Atmosphäre einer Dichtung« schrieb Hofmannsthal in einem Nachruf auf den Berliner Philosophen. 90 Aber für Hofmannsthal war der Weg zwischen Dichtung und Leben ein Weg von Umwegen und Hindernissen. »Es führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie.« 91 Zwischen ihnen steht, als Brücke und Abgrund zugleich, das Wort, die Sprache. Die Sprache steht gleichsam vor sich selbst, und als sie selbst vor dem Erleben. Der die Einheit Erlebende und über die »Vielheit des Ich« gehobene, schreibt Buber in den Konfessionen, ist auch »von der Sprache geschieden, die ihm nicht folgen kann«. Denn »Sprache ist Erkenntnis: Erkenntnis der Nähe oder der Ferne, der Empfindung oder der Idee, und Erkenntnis ist das Werk des Getriebes, in ihren größten Wundern ein gigantisches Koordinatensystem des Geistes. Aber das Erleben der Ekstase ist kein Erkennen.«92 Damit öffnet sich bei Hofmannsthal und Buber ein ambivalentes, doppeltes Verhältnis zur Sprache, das eine je eigene Entwicklung durchläuft. Zum einen erscheint die Sprache als reflexiver Fremdkörper im Erlebnis des Lebens, als Lähmung des Augenblicks und Zertrümmerer der Einheit. »[D]ie Worte haben sich vor die Dinge gestellt,« klagt Hofmannsthal in seinem Aufsatz zum Schauspieler Friedrich Mitterwurzer: »Das Hörensagen hat die Welt verschluckt.« 93 So sind wir der Sprache müde, »müde, 88. W. Dilthey, »Die Lebensanschauung der Dichter und die Philosophen«, in: ders., Das Wesen der Philosophie, Zweiter Teil (1907), GS, Bd. 5, hrsg. v. G. Misch, Leipzig/ Berlin 1924. Hier zitiert nach der Philipp Reclam-Ausgabe, Stuttgart 1984, S. 98 f. 89. Vgl. ebd., S. 101; 102. 90. Hofmannsthal, Wilhelm Dilthey, in: GW, Prosa III, S. 52. 91. Hofmannsthal, Poesie und Leben, in: GW, Prosa I, S. 307. 92. Buber, Ekstatische Konfessionen, S. xvii; xviii. 93. Hofmannsthal, Eine Monographie (Friedrich Mitterwurzer, von E. Guglia), in: GW, Prosa I, S. 265.

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reden zu hören«, ermüdet bis zum »tiefen Ekel vor den Worten«. 94 Der Glaube an die Wissenschaft, die Bürokratie, die Tradition und gesellschaftliche Etikette – sie alle haben beigetragen, das Denken und Fühlen »unter den Begriffen ersticken«. Ein Mißtrauen gegen die Sprache hat sich in eine Abneigung gegen das »gut Ausgedrückte« verwandelt. Wahrheit und Leben werden nunmehr in der Wortlosigkeit gesucht: »So ist eine verzweifelte Liebe zu allen Künsten erwacht, die schweigend ausgeübt werden« – Tanz und Musik, Akrobaten und Gaukler. Der Schauspieler aber, der vor dem Wort nicht fliehen kann, versucht die Wahrheit oft durch eine Steigerung des Wortes und der Gebärden zu retten, doch nur, um dadurch tiefer dem Wort zu verfallen. »Denn für gewöhnlich stehen nicht die Worte in der Gewalt der Menschen, sondern die Menschen in der Gewalt der Worte.« 95 »Das Wort ist mächtiger als der es spricht,« steht in Hofmannsthals »Aufzeichnungen«.96 Der gute Schauspieler nun ist der, »der Gewalt über die Worte hat und der sie für nichts achtet, für nichts die Worte und für nichts die Gewalt über sie.« 97 Der gute Schauspieler redet, ohne bei seinen Erlebnissen abwesend zu sein. Er redet, und ist zugleich den Worten und Begriffen »völlig entzogen«, denn das Wissen, das er um sich selbst hat ist reines Erlebnis. »In seiner Beredsamkeit kommt die Seele hervor, wie ein Leibliches, und macht vor uns Erlebnisse durch.« 98 Zum einen also hat die Sprache uns das Leben und uns des Lebens entfremdet; zum anderen aber gibt es ein Reden, das uns das Leben wiedergibt. In der Gegenüberstellung des guten und schlechten Schauspielens, sind Setzung und Überwindung einer Sprachkrise angerissen, die Hofmannsthal und das österreichische Denken der Jahrhundertwende überhaupt durchdringend beschäftigte. 99 An der Schwelle zwischen Magie und Kritik, zwischen Leichtigkeit und Sprachverzweiflung, stand der 1901 verfaßte Chandos Brief. 100 Dort nimmt Hofmannsthal Abschied von der ekstatischen Phase und Einheitstrunkenheit und teilt mit, eben 194. 195. 196. 197. 198. 199.

Ebd., S. 265. Ebd., S. 267. Hofmannsthal, GW, Aufzeichnungen, S. 84. Hofmannsthal, Eine Monographie, S. 267. Ebd., S. 267. Siehe dazu besonders P. Kampits, »Sprachphilosophie und Literatur als Sprachkritik im Wien um 1900«, in: Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, hrsg. v. P. Berner et al., München 1986, S. 119-126 sowie U. Gaier, »Krise Europas um 1900 – Hofmannsthal ihr Zeitgenosse«, in: Paradigmen der Moderne, hrsg. v. H. Bachmaier, Amsterdam/Philadelphia 1990, S. 1-27. 100. Vgl. L. Wittmann, Sprachthematik und dramatische Form im Werke Hofmannsthals, Stuttgart 1966, bes. S. 60-67. J. Kühn, Gescheiterte Sprachkritik. Fritz Mauthners Leben und Werk, Berlin/New York 1975, S. 20-29.

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durch Lord Chandos, er habe sich des Schreibens, vielleicht sogar der Sprache, gänzlich entsagt, »nämlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreiben, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben wäre, weder die lateinische noch die englische noch die italienische und spanische ist, sondern eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen, und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde.« 101 Während der junge Chandos am Ansatz eines großen Geschichtswerks steht, verfällt er in eine Krise des Sagens und Schreibens, in der die einst so fließende, musikalisch-algebraische Sprache sich ihm mehr und mehr entwindet, in der nun auch die eigenen Werke – die früheren und zu schreibenden – durch einen »brückenlosen Abgrund« ihm entrissen sind, so »fremd« zu ihm sprechen, daß er zögert, sie länger sein Eigentum zu nennen.102 Chandos – oder Hofmannsthal – verstummen am Betrug der Worte und Begriffe, werden unfähig, »über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen«. 103 »Diese Begriffe,« schreibt Chandos weiter an seinen Mentor Francis Bacon, »ich verstand sie wohl: ich sah ihr wundervolles Verhältnisspiel vor mir aufsteigen wie herrliche Wasserkünste, die mit goldenen Bällen spielten; aber sie hatten es nur miteinander zu tun, und das Tiefste, das Persönliche meines Denkens, blieb von ihrem Reigen ausgeschlossen.«104 Ein »Gefühl furchtbarer Einsamkeit« überkam ihn, das Gefühl, in einem Garten von lauter »augenlosen Statuen« eingesperrt zu sein. Doch dann, berichtet Chandos, gibt es wieder Augenblicke, in denen eine »überschwellende Flut höheren Lebens« sich abseits der Begriffe ereignet: Eine »Offenbarung« im tiefst Alltäglichen – »eine Gießkanne, eine auf dem Felde verlassene Egge, ein Hund in der Sonne«, oder das Erlebnis einer Rattenjagd – in diesen Momenten der Begegnung, völlig unbenennbar, ist »Gegenwart«, »die vollste erhabenste Gegenwart.« 105 Anstelle der Sprache, des Benennens, Wahrnehmens und Begreifens, herrscht hier ein »ungeheures Anteilnehmen, ein Hinüberfließen in jene Geschöpfe oder ein Fühlen, daß ein Fluidum des Lebens und des Todes, des Traumes und des Wachens für einen Augenblick in sie hinübergeflossen ist«. 106 In solchen Augenblicken, in solcher »Gegenwart der Liebe« erscheint dem Lord Chandos alles als etwas, jede »nichtige Kreatur«, und sei es bloß ein »verkümmerter Apfelbaum«. Wer in dieses »neue Ver101. 102. 103. 104. 105. 106.

Hofmannsthal, Ein Brief, in: GW, Prosa II, S. 22. Ebd., S. 8. Ebd., S. 12. Ebd., S. 14. Ebd., S. 15; 16. Ebd., S. 17.

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hältnis mit dem Dasein« nun eintreten will, muß lernen, nicht mehr mit der Sprache zu denken, da nichts davon sich mit vernünftigen Worten darstellen ließe, sondern »mit dem Herzen«. Doch wieder, Hofmannsthals Absage an die Sprache, die der Brief des Chandos so ausführlich bezeugt, ist keine Absage an die Sprache schlechthin. Vielmehr äußert sich in ihr nur eine Stufe der Sprachkritik – die Kritik der denkenden und denkend dichtenden Sprache, die Kritik an der Rhetorik und Scheinbegrifflichkeit, die später – wenngleich mit anderen Zielsetzungen – die Philosophen des Wiener Kreises beschäftigen sollte. Das liebende, »hinüberfließende« Schweigen bei Hofmannsthal bedeutete noch nicht die Überwindung, sondern eben nur das Verstummen der Sprache. Um die Sprache aber und deren Krise wirklich überwinden zu können bedurfte es nichts anderen als – der Sprache selbst. Von der Sprachmagie der frühen Lyrik, in der Wort und Ding noch ineinander verschlossen waren, über die Sprachlosigkeit des Chandos, in der Wort und Ding stumm aneinander vorbeiglitten, geriet Hofmannsthal an das eigentliche Sprechen der Sprache, zurück in das Gespräch, dessen dichterischer Ort nun das Lustspiel wurde, nämlich die Wiedereinführung der Sprache durch das Sprechen der Liebenden. Mit der »Sprache des Herzens« sind sowohl die Einheit der Magie als auch die Einsamkeit der Krise durchbrochen. Der Lustspieldialog läßt die dramatische Ästhetik der Poesie und des Denkens bewußt hinter sich, um sich der alltäglichen, gelebten und unreflektiert ehrlichen Sprache zu bedienen. Die Handelnden sind keine rezitierenden Einzelnen mehr, sondern durch ihr liebendes Stammeln verbunden. Etwas ereignet sich »zwischen uns« bemerkt Silvia in Hofmannsthals gleichnamigem Lustspielfragment von 1907.107 Doch um dieses »zwischen uns« auszusprechen, muß die Sprache erst mühsam gereinigt, das heißt, liebend gesprochen werden: »Sprache sollte sein, wo Liebe ist, nirgends anders.«108 Und schließlich, gegen Ende zu, findet Silvia auch ganz in die Sprache und gesteht ihrem Rudolf, »daß ich dich so lieb habe – … daß diese Möbel da, alles wie aufgerissene Lippen sind, wie der Mund, der sich in Mund schlingen wird, daß es nichts gibt was nicht ich und du wären.«109 Der Höhepunkt des Lustspiels liegt in der immer unbeholfenen und deswegen immer echten Aussprache, zu der die Handelnden sich jedoch erst durchringen, aus Verwicklungen, Verirrungen und Konventionen befreien müssen. Zur ge107. H. v. Hofmannsthal, Silvia im »Stern«, hrsg. v. M. Stern, Bern 1959, S. 47. Zu einer Analyse des Stückes auf den Gesprächscharakter hin siehe Wittmann, Sprachthematik, S. 122-128. 108. Hofmannsthal, Silvia, S. 70. 109. Ebd., S. 103.

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sprochenen Sprache kann man nur durch Überwindung der denkenden, oder wie Hofmannsthal selbst schrieb: »Wahre Sprachliebe ist nicht möglich ohne Sprachverleugnung.« 110 Mit Hofmannsthal stand Buber bis zu dessen Tod in 1929 in Verbindung. Schon der Aufsatz zur Wiener Literatur von 1897 hebt einzig Hofmannsthal als einen »Dichter« hervor, »das heißt, einen Träumer, der über die Dissonanz zwischen der äußeren Welt und seinem geistigen Leben trauert, weil seine Seele hier keine Heimat findet und sich danach sehnt.«111 In seinem letzten erhaltenen Brief an Hofmannsthal schrieb der fünfzigjährige Buber noch, »daß die Tatsache Ihrer personhaften und sprachlichen Existenz mir von Jugend auf für meinen eigenen Zusammenhang mit der deutschen Kultur – dafür, daß er ein wahrhaft gegenwärtiger wurde – von großer Wichtigkeit gewesen ist.« 112 Neben der persönlichen und geistigen Verbindung aber gab es auch ein geregeltes Interesse, nämlich durch Bubers Herausgeberschaft der Schriftenreihe Die Gesellschaft. Im Frühjahr 1905 lud Buber Hofmannsthal zur Mitarbeit an der Reihe ein, der dieser durchwegs nicht abgeneigt war: »Aber meiner Teilnahme seien Sie bitte sicher, die war vom Tag an gewonnen, wo ich Ihre Handschrift zum ersten Mal zu Gesicht bekam.«113 Buber sandte Hofmannsthal daraufhin die neu erschienenen Hefte der Gesellschaft sowie das Manuskript seiner Geschichten des Rabbi Nachman (1906), wovon besonders die Einleitung, auf die noch zurückzukommen sein wird, Hofmannsthal sehr beeindruckte. 114 Zu einer Zusammenarbeit für die Gesellschaft jedoch kam es nicht. Daß Buber und Hofmannsthal weiterhin mit großer gegenseitiger Anerkennung verkehrten, bezeugt der etwa zwanzig Jahre später geführte Austausch über Hofmannsthals Trauerspiel Der Turm, dessen Endfassung Bubers substantiellen Einwänden zum letzten Akt gerecht wurde. 115 Umgekehrt schickte Buber Hofmannsthal den ersten Band der mit Franz Rosenzweig begonnenen Bibelübersetzung zu, mit dem Wunsch »sich einmal mit Ihnen über einige damit zusammenhängende Fragen unserer sprachlichen Situation [zu] unterhalten«. 116 Auch wenn sich der weitere Verlauf dieser Unterhaltung nicht mehr rekonstruieren läßt, so ist die Bedeutung Hofmannsthals für Bubers frühe geistige Entwicklung doch unübersehbar, 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116.

Hofmannsthal, Buch der Freunde, in: GW, Aufzeichnungen, S. 71. Buber, Zur Wiener Literatur, MBW I, S. 127. B. an Hofmannsthal, 21. Feb. 1928, B II, S. 311 f. Hofmannsthal and B., 11. März 1906, B I, S. 236. Vgl. Hofmannsthal an B., 20. Juni 1906, B I, S. 243. Vgl. B. an Hofmannsthal, 14. Mai 1926, B II, S. 255 f. Ebd., S. 256.

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wie überhaupt Hofmannsthal beträchtlichen Einfluß auf eine Vielzahl (jüdischer) Schriftsteller und Intellektueller der Zeit ausübte, einschließlich Max Brod (1884-1968) und Franz Kafka (1883-1924).117 Hofmannsthal war jedoch auch ein Schnittpunkt zweier anderer Denker, Fritz Mauthner und Gustav Landauer, denen Buber auf je eigene Weise nahestand, und deren Vermächtnis für die Sprachphilosophie der Jahrhundertwende von entscheidender Bedeutung ist.

4. Die Sprachkritik Fritz Mauthners Die Abhängigkeit der Sprachkritik Hofmannsthals, vor allem des Chandos Briefes, von Fritz Mauthner wurde bereits früh vermutet, nämlich von Mauthner selbst. In einem unmittelbar nach dem Erscheinen des Chandos Briefes (1902) verfaßten Schreiben an Hofmannsthal schien Mauthner von einem direkten Einfluß geradezu überzeugt: »Ich habe soeben Ihren ›Brief‹ gelesen. Ich habe ihn so gelesen als wäre er das erste dichterische Echo nach meiner ›Kritik der Sprache‹. In diesem Glauben genoß ich eine ernste Freude […]. Ich glaubte das Beste zu erleben, was ich geträumt hatte: Wirkung auf die Besten.« 118 Mauthners dreibändige Beiträge zu einer Kritik der Sprache waren zwischen dem Frühjahr 1901 und dem Sommer 1902 nach zwanzigjähriger Vorarbeit 119 erschienen, und es steht fest, daß Hofmannsthal wenigstens den ersten Band vor der Niederschrift des Chandos Briefes gelesen hatte. 120 Daß Hofmannsthal dennoch einen unmittelbaren Einfluß bestritt und dabei auf Gedankenübereinstimmungen in seinen früheren Werken verwies, 121 rührt wenig an der Tatsache, daß er Mauthners Werk spätestens nach 1902 vollständig und intim kannte und mit dem Philosophen auch seit 1892 persönlich verkehrt hatte. Auch Gustav Landauer, der Mauthners Manuskript der Kritik für den Druck vorbereitet und daran wohl auch mitgearbeitet 117. Siehe hierzu H. Tramer, »Brods Hofmannsthal-Huldigung«, in: Max Brod. Ein Gedenkbuch, hrsg. v. H. Gold, Tel Aviv 1969, S. 73: »… feststeht, daß Hofmannsthal unter fast all den jungen Literaten in Prag eine treue und begeisterte Gefolgschaft besaß.« 118. Mauthner an Hofmannsthal, Ende Okt. 1902 [20. Okt. 1902], zitiert bei J. Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 27. Vollständig abgedruckt in: »Der Briefwechsel Hofmannsthal – Fritz Mauthner«, eingel. und hrsg. v. M. Stern, in: Hofmannsthalblätter, Heft 19/20, 1978, S. 33. 119. Vgl. F. Mauthner, Erinnerungen (I. Prager Jugendjahre), München 1918, S. 207. 120. Vgl. Hofmannsthal an Mauthner, 3. Nov. 1902, Hofmannsthalblätter 19/20 (1978), S. 33. 121. Vgl. ebd., S. 33 f. Auch Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 27 f.

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hatte, brachte den Chandos Brief in engen Zusammenhang mit Mauthner: »Die Klage Schillers […], daß der Dichter ›in den Fesseln der Sprache‹ das Wirkliche bezwingen müsse, ist von einem Dichter unserer Zeit neu aufgenommen worden, von Hugo von Hofmannsthal,« schreibt er im letzten Kapitel seines Versuches über Mauthners Sprachkritik, Skepsis und Mystik (1903); 123 und er fährt fort, daß Hofmannsthals »Manifest […] wohl nicht ohne Kenntnis der Sprachkritik Mauthners verfaßt sein wird«. 124 Nicht nur Hofmannsthal, sondern auch Stefan George (1868-1933), Richard Dehmel (1863-1920) und Alfred Mombert (1872-1942) stellte Landauer unter Mauthners Einfluß. In ihnen, und besonders dem manifesthaften Chandos Brief, sah er eine »Abkehr« von dem, was sich bisher »Poesie« nannte und eigentlich »Rhetorik« war. Die Sprachkritik nun zerbricht den Wohlklang der »alten« Poesie, so wie die neuen Tonalgesetze der zeitgenössischen Musik mit den alten Harmonien brachen. In der »neuen Poesie« sind »Worte und Begriffe das Instrument, das uns zur Musik führt« – nicht umgekehrt die Musik zu den Worten – »zum Rhythmus, zum Unsagbaren, das in uns einschwingt und uns mitschwingen läßt.« 125 Oder wie Nietzsche es in seinen Vorarbeiten zur Geburt der Tragödie aussprach: »Die Dichtung ist häufig auf dem Wege zur Musik.« 126 Im »Ineinanderschwingen der Unsagbarkeiten« entsteht jene »Stimmung«, in der die Sprachkritik wieder Wortkunst werden kann, und es ist Mauthner, der den Weg zur »Ruhe aus der Verzweiflung« gezeigt hat. 127 Für Landauer war Mauthner mehr als bloß ein Philosoph der Sprache, nämlich Religionsstifter in einem unkonventionellen, gottlosen und stimmungsmystischen Sinn, auf einer Linie mit Meister Eckhart, mit der Herausgabe und Übersetzung dessen Predigten Landauer seit 1899 beschäftigt war. 128 122. Vgl. Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 201. Landauer hatte Mauthner seine Hilfe angeboten, nachdem dieser an einem Augenleiden erkrankt und nicht imstande war, das Manuskript fertig zu bearbeiten. Vgl. Landauer an Mauthner, 24. Feb. 1898, LGB I, S. 9 f. 123. G. Landauer, Skepsis und Mystik. Versuch im Anschluß an Mauthners Sprachkritik, Berlin 1903, S. 149. 124. Ebd., S. 149 f. 125. Ebd., S. 152 f. 126. F. Nietzsche, Fragment 2 [10], KSA 7, S. 47 f. Siehe auch H. G. Hödl, Nietzsches frühe Sprachkritik: Lektüren zu »Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne« (1873), Wien 1997, S. 23 f. 127. Landauer, Skepsis und Mystik, S. 154. Auch Mauthner, Kritik der Sprache III, S. 641: »Die ruhige Verzweiflung allein kann […] den letzten Versuch wagen, sich das Verhältnis des Menschen zur Welt bescheidentlich klarzumachen […].« 128. Vgl. Landauer an Hedwig Lachmann, 9. Okt. 1899, LGB, S. 47: »Im Zusammenhang

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Mauthners eigene Haltung zum religiös-mystischen Aspekt seiner Philosophie jedoch war zumindest ambivalent: »Ich habe mich bemüht, in meinen Darlegungen auch die versteckteste Neigung zur Mystik jedesmal zu unterdrücken, so sehr ich auch für heilige Sonntagsstunden die großen Mystiker lieben mag, die stammelnd beredten ›Stummen des Himmels‹.« 129 Die Kritik der Sprache galt der Skepsis allein, der radikalsten Skepsis des Denkens, der Zerschlagung der Denksprache. Sich vom Wort zu »befreien«, vom »Wortaberglauben« und vom Denken, das nichts als Sprache ist, und die Welt so »von der Tyrannei der Sprache zu erlösen«, dies war das Programm der Kritik. 130 Die Skepsis sollte sich selbst zersetzen, so radikal sein, daß sie unermüdlich am eigenen Zweifel zweifeln mußte; die Sprachkritik sollte sich selbst entlarven, so nüchtern und unbestechlich sein, daß ihr eigenes Medium – die Sprache – vor sich zerrinnen mußte. »Will ich emporklimmen in der Sprachkritik, die das wichtigste Geschäft der denkenden Menschheit ist, so muß ich die Sprache hinter mir und vor mir und in mir vernichten von Schritt zu Schritt, so muß ich jede Sprosse der Leiter zertrümmern, indem ich sie betrete,« lautet Mauthners berühmter Satz der Einleitung. »Wer folgen will, der zimmere die Sprossen wieder, um sie abermals zu zertrümmern.«131 Die Sprache des Sprachkritikers zertrümmert sich selbst. Nur mit der Arbeit an Mauthners Manuskript will ich mich nächstens an eine Übertragung der mittelhochdeutschen Predigten des Meister Eckhart machen.« Landauer sah also schon damals ein Verbindung Mauthners zu Eckhart. Das Buch erschien als Gustav Landauer, Meister Eckharts mystische Schriften, Berlin 1906, und wurde 1922 von Buber neu herausgegeben. 129. Mauthner, Kritik der Sprache III, S. 617. Siehe dazu auch P. Kampits, »Fritz Mauthner oder Sprachskepsis und Mystik«, in: ders., Zwischen Schein und Wirklichkeit: Eine kleine Geschichte der österreichischen Philosophie, Wien 1984, S. 103-113. 130. Mauthner, Kritik der Sprache I, S. 1. 131. Ebd., S. 1 f. Das Bild der Leiter hat freilich durch den aus Wien gebürtigen Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889-1951) eigentliche Berühmtheit erlangt (vgl. Wittgenstein, Tractatus-Logico-Philosophicus, Satz. 6.54). Daß Wittgenstein Mauthners Kritik kannte, geht klar aus dem Traktat hervor, wo es an bekannter Stelle (Satz 4.0031) heißt: »Alle Philosophie ist ›Sprachkritik‹.« Doch in Parenthese: »(Allerdings nicht im Sinne Mauthners).« Auch wenn Wittgensteins Kritik nicht im Sinne Mauthners war, so finden sich in seiner Philosophie doch immer wieder Mauthnersche Züge, vom Bild der Sprache als Spiel (beim späteren Wittgenstein) zum Motiv des Schweigens und der Mystik als Grenze der Sprache. Zum Zusammenhang Mauthner-Wittgenstein siehe E. Leinfellner, »Zur nominalistischen Begründung von Linguistik und Sprachphilosophie: Fritz Mauthner und Ludwig Wittgenstein«, in: Studium Generale, Bd. 22 (1969), S. 209-251; R. Haller, »Sprachkritik und Philosophie: Wittgenstein und Mauthner«, in: Sprachthematik in der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Institut für Österreichkunde, Wien 1974, S. 41-56. Übereinstimmungen, vielleicht noch tieferer Art, bestehen bei Wittgenstein auch mit dem Wiener Schriftsteller, Satiriker und Herausgeber der Fackel, Karl Kraus (1874-1936), dessen angeblich photographisches Gedächtnis ihn zu einer

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die des Dichters bleibt bestehen als eine Sprache der »Stimmung«. Alles andere, alle »starre Sprache« ist Selbstbetrug. Und Betrug ist auch unser Anspruch auf Welterkenntnis und religiösen »Dienst am Wort«. Gerade im Judentum, dem er sich schon früh in seiner Jugend entfremdet hatte, glaubte Mauthner einen »Wortfetischismus« zu sehen, nämlich einen Übergang vom Fetisch zum Wort, zu Worten, die »bloße Götter« geworden waren. 132 Dieser Wortglaube schuf für Mauthner immer wieder den Illusionszusammenhang von Wissenschaft und Religion, »weil Religion jedesmal und für jede Generation nichts anderes ist, als die eben überwundene Weltanschauung der früheren Generation oder die einer noch älteren Zeit«. 133 Als »alte Wissenschaft« füllt die Religion leere Worthülsen auf, meist in einer Verwirrung der verbalen (beziehungshaften), adjektivischen (einzig erfahrbaren) und substantivischen (dinghaften) Welt. Die Kritik hingegen schafft Religion, Weltanschauung und alles sichere Erkenntniswissen ab. »Erst die Sprachkritik, erst die Einsicht in den Unwert der Worte, wird dem Religionsbegriff die letzte Stütze nehmen. Die Sprachkritik erst wird lehren, daß der Glaube sich immer und überall derjenigen Worte bemächtigt, die unser bißchen Wissen fortgeworfen hat.« 134 Sprachkritik in diesem Sinn ist also immer auch Erkenntnis- und Ideologiekritik. Der Zusammenhang von Denken und Sprechen, die Spracherfülltheit des Gedächtnisses und die Erinnerungserfülltheit der Sprache, deren immer schon Gewußtes jeden Wissenserwerb nur vortäuscht – sie machen es unmöglich, Erkenntnis von der Sprache zu abstrahieren und dabei eine Brücke zu schlagen zwischen Innenwelt und Wirklichkeit. Wirklich an der Sprache ist nur ihr Gesprochenwerden, ihre gesellschaftliche Instrumentalität. Sprache und Erkenntnis sind für Mauthner soziale und sozialpsychologische Phänomene. Die Sprache ist nirgends Wirklichkeit als »in der Luft«, »zwischen den Menschen«, sie ist »Gemeineigentum« und kann gerade deshalb »bei einem Einzigen nicht sein.«135

132. 133. 134. 135.

Gleichsetzung von Sprache und Wirklichkeit führte, die bei Wittgenstein in der Abbildtheorie der Sprache wiederkehrt. In Anlehnung an Kraus und entgegengesetzt zu Mauthner, bezeichnete Wittgenstein seine Sprachphilosophie nicht als »Kritik«, sondern als »Sprachlehre«. Über Wittgenstein und Kraus siehe W. Kraft, »Ludwig Wittgenstein und Karl Kraus«, in: Neue Rundschau, 72. Jg., Heft 4 (1961), S. 812844. Zum Begriff der Sprachlehre bei Kraus siehe Kraus, »Zur Sprachlehre«, in: Die Fackel, Nr. 572-576 (Juni 1921), S. 1. Vgl. Mauthner, Kritik der Sprache I, S. 169 f. Ebd., S. 173. Mauthner, Kritik der Sprache III, S. 629. Vgl. Mauthner, Kritik der Sprache I, S. 19; 28; und Kritik der Sprache III, S. 637: »Die Sprache ist kein Besitz des Einsamen, weil sie nur zwischen den Menschen ist.«

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Ähnlich verhält es sich mit der Erkenntnis. Sie ist eine »gemeinsame Tätigkeit der Menschen«, ein Produkt unserer Sozialität so wie Ethik, Ästhetik und selbst die Logik. »Wo immer nun wir den Versuch machen werden, das Wesen der Erkenntnis zu entdecken, da wird es sich genau wie die Sprache als eine soziale Erscheinung, vielleicht als eine soziale Illusion enthüllen.«136 Was an der Erkenntnis wirklich ist, ist nur ihre Sprachlichkeit, die soziale Wirklichkeit des Sprechens, von der kein Weg zur Wirklichkeit der Welt führt. Der Sprachgebrauch allein, nicht die Sprache – denn die Sprache als Substantiv gibt es nach Mauthner nicht – ist wirklich. Er ist so wirklich wie eine Spielregel, »die auch umso zwingender wird, je mehr Mitspieler sich ihr unterwerfen, die aber die Wirklichkeitswelt weder ändern noch begreifen will.« 137 Die Sprache selbst, das heißt, ihr Gebrauch ist damit nicht mehr und nicht weniger kritikwürdig als ein Spiel. Eigentliche Sprachkritik übt Mauthner daher nicht an der Sprache, sondern an unseren gemeinsamen Erfahrungsweisen der Welt. Seine Sprachkritik ist letztlich in einem umfassenden Sinn Sozialkritik. Der »wirklichen Wirklichkeit« kann der Mensch sich nur außersprachlich nähern, denn »die Natur ist vollends sprachlos. Sprachlos würde auch, wer sie verstünde.«138 Eine Befreiung aber aus dem »Gefängnis« der Sprache, aus deren »Tyrannei«, muß notwendig eine Illusion bleiben. Wir sind gefangen in einer Sprache, die für uns »dichtet und denkt«, letztlich unerlösbar, auch wenn die Kritik der Sprache »die Befreiung von der Sprache als höchstes Ziel der Selbstbefreiung« lehrt. 139 In der neuen Philosophie, die am Ende des Denkens beginnt, begeht die Sprache »Selbstmord.« Der erste Band von Mauthners Kritik schließt mit dem Kapitel »Todessehnsucht«. Von hier setzt sich Mauthners gespaltenes Verhältnis zur Mystik fort zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Was für Landauer als eine notwendige Folge erschien, ließ Mauthner wenigstens als Möglichkeit offen. Im 1910 erschienen Wörterbuch der Philosophie, worin Mauthner seine Sprachkritik zur Wortkritik ausdehnte, wird der Mystik ein momenthafter Durchblick zum Leben gestattet. Das »Ich«, das die Kritik zur Täuschung, und die Erfahrungswelt, die die Kritik zur Illusion erklärt hatte, gehen in dem Augenblick ineinander über, da das Ich sein Ichbewußtsein und Bewußtsein der Welt ablegt, und nur noch rein »erlebt«, ohne zu erkennen: »Was ich erleben kann, das ist nicht mehr bloß Sprache. Was ich erleben kann, das ist wirklich. Und ich kann es erleben, für kur136. 137. 138. 139.

Mauthner, Kritik der Sprache I, S. 34. Ebd., S. 25. Ebd., S. 49. Ebd., S. 713.

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ze Stunden, daß ich nichts mehr weiß vom principuum individuationis, daß der Unterschied aufhört zwischen der Welt und mir. ›Daß ich Gott geworden bin.‹ Warum nicht?« 140 Der letzte Tod des Gautama Buddha (1913) nimmt diese Gedanken wieder auf: »Bin ich so ein Gott?« will der eben verstorbene Buddha wissen. Und die Götter antworten in ihrer unmenschlichen, »ungeworteten Sprache«: »Gautama ist noch nicht leicht genug, hat noch Erinnerung, hat noch Menschheit« 141 – mit anderen Worten, hat noch Sprache. Trotz seiner stellenweisen Neigung zum mystischen Erlebnis, zu Eckhart, den Veden und dem Buddhismus 142 fühlte sich Mauthner bis in sein Alter jedoch als schonungsloser Kritiker, als welcher er auch in die Geschichte der Sprachphilosophie einging. »Sprachkritik war mein erstes und ist mein letztes Wort,« schreibt er im Atheismus und seine Geschichte im Abendland (1920-23), seinem letzten großen Werk. »Nach rückwärts blickend ist Sprachkritik alles zermalmende Skepsis, nach vorwärts blickend, mit Illusionen spielend, ist sie eine Sehnsucht nach Einheit, ist sie Mystik.« 143

5. Mauthner und Mach Man hat Mauthners Kritik der Sprache eine »Revolution der Philosophie« genannt. 144 Tatsächlich aber stand Mauthner inmitten einer kritischen Tradition, die von den Begriffsnominalisten, besonders Wilhelm Ockham (um 1290-1349), über den Sensualismus John Lockes (16321704) und die Erkenntnislehre George Berkeleys (1685-1753), über den Skeptizismus David Humes (1711-1776), die Sprachphilosophen Friedrich Jacobi (1743-1819) und Johann Georg Hamann (1730-1788), und schließlich über Friedrich Nietzsche, dessen Ausspruch »Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben«145 gera140. F. Mauthner, Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache II, München 1911, S. 131. Zum Erlebnisbegriff bei Mauthner siehe H. Schleichert, »Kritische Betrachtungen über Mauthners Sprachkritik«, in: Fritz Mauthner: Das Werk eines kritischen Denkers, hrsg. v. E. Leinfellner und H. Schleicher, Wien 1995, S. 45 f. 141. F. Mauthner, Der letzte Tod des Gautama Buddha, München 1913, S. 123. 142. Siehe auch Mauthner, »Die Wiedergeburt des Buddhismus«, in: Berliner Tageblatt, 41. Jg. (4. Aug. 1912). 143. F. Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande IV, Stuttgart/Berlin 1923, S. 447. 144. Zum Beispiel M. Krieg, Fritz Mauthners Kritik der Sprache. Eine Revolution der Philosophie, München 1914. 145. F. Nietzsche, Götzendämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert, Kapitel Die »Vernunft« in der Philosophie, Abschnitt 5, KSA 6, S. 78. Die Abhängig-

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dezu programmatisch scheinen mußte, genau in die geistige Situation der Jahrhundertwende führte. Dazu rief Mauthner noch Spinoza (16321677), Otto Ludwig, Max Stirner (1806-1856) und – zum Gram Landauers – Otto von Bismarck (1815-1898) zu den Zeugen seiner Philosophie auf. 146 Der eigentliche und unmittelbarste Anstoß aber zu seiner Kritik kam von dem Physiker, Physiologen und Philosophen Ernst Mach (1838-1916), dessen Vorträge der junge Mauthner am Prager Polytechnikum 1872 gehört hatte. »Machs erkenntnistheoretischer Positivismus – der die metaphysischen Worte nicht, wie Auguste Comte, haßt, sondern psychologisch beschreibt, also erklärt – hatte in meinem Unterbewußtsein nachgewirkt,« schreibt Mauthner fast fünfzig Jahre später im Rückblick. 147 Machs wohl einflußreichstes Werk war die 1886 erstmals und 1900 in einer zweiten Auflage erschienene Analyse der Empfindungen, die nicht nur auf die philosophisch-wissenschaftliche, sondern auch die literarische Welt der Jahrhundertwende – etwa Hofmannsthal, der Mach 1897 in Wien gehört hatte, Robert Musil (1880-1942), der über Mach dissertierte, oder Hermann Bahr – großen Eindruck machte. 148 Die Verlagerung des Erkenntnis- und Wirklichkeitsbegriffs auf den der »Empkeit Mauthners von Nietzsche zeigt sich an einer Stelle desselben Abschnittes (ebd. S. 77): »Die Sprache gehört ihrer Entstehung nach in die Zeit der rudimentärsten Formen von Psychologie: wir kommen in ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen.« 146. »In Bismarck war ein Tatmensch von der Wortverachtung ausgegangen, die selbst einem Kant noch fehlte. Die Erlösung vom Sprachaberglauben, die seit Bismarck in der Luft liegt, konnte endlich auch in der Philosophie versucht werden.« (Mauthner, Erinnerungen, S. 233). Die Bismarck-Verehrung Mauthners stieß mit dem Anbruch des ersten Weltkrieges auf ein tiefes Unverständnis bei Landauer, von dem sich die Freundschaft nie wirklich erholte. Siehe Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 258 f. 147. Vgl. Mauthner, Erinnerungen, S. 210. Mauthner spricht hier von einem »Anstoß, der ohne mein Wissen durch Jahrzehnte fortgedauert haben muß.« Es ist jedoch anzunehmen, daß die Begegnung mit Machs Philosophie keine einmalige, sondern eine eher kontinuierliche war und durch die Arbeit an der Kritik der Sprache andauerte (vgl. A. Berlage, Empfindung, Ich und Sprache um 1900: Ernst Mach, Hermann Bahr und Fritz Mauthner im Zusammenhang, Frankfurt a. M. et al. 1994, S. 136 f. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 20, Philosophie, Bd. 414). 148. Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, Jena 1900. Den populärsten Teil des Buches bildeten wohl die einleitenden »Antimetaphysischen Vorbemerkungen«. Zur Wirkungsgeschichte Machs siehe J. Thiele, »Zur Wirkungsgeschichte der Schriften Ernst Machs«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 20 (1966), S. 118-130; M. Diersch, Empiriokritizismus und Impressionismus: Über Beziehungen zwischen Philosophie Ästhetik und Literatur um 1900 in Wien, Berlin 1973; R. Haller und F. Stadler (Hrsg.), Ernst Mach – Werk und Wirkung, Wien 1988; Berlage, Empfindung, siehe auch Ch.-P. Berger, »Hermann Bahrs Mach-Rezeption aus kultursoziologischer Sicht«, in: Kreatives Milieu: Wien um 1900, hrsg. v. E. Brix und A. Jansik, München 1993.

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findung«, womit Mach die Spaltung von Ich und Welt in einen Monismus aufzulösen suchte, resonierte gut mit der impressionistischen Stimmung der Zeit, 149 ließ sich aber auch auf die immer wiederkehrende mystischen Einheitsthematik übertragen, von der Mach selbst in einer berühmten Fußnote seiner Analyse der Empfindungen zu handeln schien: »An einem heiteren Sommertage im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend. Obgleich die eigentliche Reflexion sich erst später hinzugesellte, ist doch dieser Moment für meine ganze Anschauung bestimmend geworden.«150 In dieser prägnanten Erinnerung Machs, die sich auf einen präobjektiven Erfahrungsinhalt stützt, war die Spannung und zugleich Verknüpfbarkeit von Kritik und Sensualität vorgezeichnet, die sich bei Mauthner als Sprachtötung und bei Hofmannsthal in der »Flut höheren Lebens« – das in Wirklichkeit das einfache, ungeteilte Leben ist – wiederereignete. Zugleich aber war es Mach, der besonders während seiner zweiten Lehrtätigkeit in Wien (1895-1901) zum Wortführer einer antimetaphysischen, rein empirischwissenschaftlichen Weltanschauung wurde. 151 Wie bei Mauthner, so gab es auch bei Mach eine literarische und eine philosophischen Wirkung. Während die Motive der Sprachbeklommenheit, der Zersetzung und »Unrettbarkeit« des Ich, 152 des Primats der Empfindung und des Erlebens starken literarischen Widerhall fanden, wirkte die eigentlich analytische und reduktionistische Erkenntnistheorie Machs auf Philosophen wie Wilhelm Jerusalem (1854-1923), Adolf Stöhr (1855-1921) und auf die Schule des Wiener Kreises, den sogenannten Neo-Positivismus oder logischen Empirismus. 153 Die Sprache stand hier 149. Nicht zufällig bezeichnete Hermann Bahr Mauthners Denken als eine »Philosophie des Impressionismus«. Bahr, »Impressionismus«, in: Dialog vom Tragischen, Berlin 1904, S. 114. 150. Mach, Analyse der Empfindungen, S. 21. Für einen Hinweis auf ähnliche Bilder in der Literatur der Jahrhundertwende, vor allem Rilke, siehe Schaeder, Hebräischer Humanismus, S. 70 f. 151. Vgl. R. Carnap, H. Hahn, O. Neurath, Wissenschaftliche Weltauffassung – der Wiener Kreis, Wien 1929; wiederabgedruckt in: K. R. Fischer (Hrsg.), Das goldene Zeitalter der österreichischen Philosophie. Ein Lesebuch, Wien 1995, S. 128 f. Siehe auch O. Neurath, »Die Entwicklung des Wiener Kreises und die Zukunft des Logischen Empirismus«, in: ders., Gesammelte philosophische und methodologische Schriften, hrsg. v. R. Haller und H. Rutter, Wien 1981, S. 673-702. 152. Vgl. Mach, Analyse der Empfindungen, S. 15 f.: »Die scheinbare Beständigkeit des Ich besteht verzüglich nur in der Continuität, in der langsamen Änderung.« […] »Die Continuität ist aber nur ein Mittel, den Inhalt des Ich vorzubereiten und zu sichern. Dieser Inhalt und nicht das Ich ist die Hauptsache. […] Das Ich ist unrettbar.« Vgl. auch Berlage, Empfindung, S. 55 f. 153. Siehe dazu E. Leinfellner, »Fritz Mauthner im historischen Kontext der empiristi-

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wiederum im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Methode. Stöhrs Kritik an der »glossomorphen«, das heißt, an der Sprache geformten Philosophie 154 lag nicht nur auf einer Linie mit Mauthner, sondern prägte auch das Sprachverhältnis des Wiener Kreises mit. Denn Ziel des Wiener Kreises, dessen Mitglieder vorwiegend aus dem Bereich der Naturwissenschaft kamen, war es, die metaphysische Weltanschauung, die Philosophie selbst, durch sprachliche Analyse, den Einsatz eines »Sinnkriteriums«, zu »überwinden« und so zu einer klaren wissenschaftlichen Weltauffassung zu gelangen, in der die natürliche Begriffssprache auf Elementarsätze gebracht und in logische Formalsprachen übersetzt werden konnte. 155 Gerade der Gebrauch von Metaphern, der poetischen Stimmungssprache, und die Tendenz der spekulativen Philosophie von Parmenides bis Heidegger, Wörter zu substantivieren, etwa die Kopula »sein«, erschienen dem Kreis als philosophische Irrwege, die immerzu sinnlose Fragen aufwarfen. Im Gegensatz zum totalen Erkenntnisskeptizismus Mauthners entstand bei den logischen Empiristen das Modell einer Reinigung von »Scheinproblemen«, das auf einem kritischen Vertrauen in die logische Sprachen und den theoretisch unbegrenzten Erkenntniswert der »Einheitswissenschaft« fußte. Damit war die Erkenntnisfrage des Wiener Kreises grundsätzlich zwar ein Sprachproblem, nicht aber ein Problem der Sprache an sich, sondern ein Problem des falschen, unökonomischen Sprachgebrauchs. Aus dem »Selbstmord« der Sprache führte ein Ausweg durch Reduktion und Logisierung, der Mauthner – da er auch die Logik für unrettbar Sprache hielt – verschlossen blieb. Die Sprachkritik der Jahrhundertwende und des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die nun gemeinhin als linguistic turn in der Philosophie betrachtet wird, bedeutete eine bewußte Abkehr von der Transzendentalphilosophie und metaphysischen Denkweise, gegen die sich gerade auch die dialogische Philosophie kehrte. 156 Daß Wien zu einem Zentrum der schen, analytischen und sprachkritischen Philosophie«, in: Leinfellner/Schleichert (Hrsg.), Fritz Mauthner, S. 145-163. 154. Siehe A. Stöhr, Umriß einer Theorie der Namen, Leipzig 1889. 155. Siehe bes. R. Carnap, »Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache«, in: Erkenntnis, Nr. 2 (1932), wiederabgedruckt in: Fischer (Hrsg.), Das goldene Zeitalter der österreichischen Philosophie, S. 181-203 und ders., Der logische Aufbau der Welt und Scheinprobleme in der Philosophie (1928), Neudruck: Hamburg 1961. 156. Vgl. auch M. Benedikt, »Einleitende Thesen zum Verlust der Transzendentalphilosophie: Dialogische Wende, Linguistic Turn und gebrochene Erfahrung«, in: A. Bäumer und M. Benedikt (Hrsg.), Dialogdenken – Gesellschaftskritik. Wider die allgegenwärtige Gewalt gesellschaftlicher Vereinnahmung, Wien 1991, S. 17-31.

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neuen, sprachorientierten Philosophie wurde und bis zum Anbruch der Nationalsozialisten blieb, mag besonders am Bewußtsein der Sprachenvielfalt und am Gemisch der Dialekte gelegen haben, das die Kaiserstadt auszeichnete und zugleich die Bruchlinien der Nationalitäten bestimmen sollte. 157 Dies galt freilich auch von anderen Metropolen – Prag, Budapest, Agram, Czernowitz, Triest – und den Provinzen des Kaiserreichs. »[I]ch verstehe es gar nicht, wenn ein Jude, der in einer slawischen Gegend Österreichs geboren ist, zur Sprachforschung nicht gedrängt ist,« schrieb Fritz Mauthner von seiner Kindheit in Böhmen,158 ein symptomatischer Satz, der – mit vertauschten Provinzen – auch auf Buber zutraf. Doch die Zusammenkunft der Denker und Dichter, die den Fortgang der österreichischen und, man kann sagen, europäischen Philosophie dieser Phase prägen sollten, schuf gerade in Wien eine einzigartige Symbiose von Wissenschaft, Literatur und Kunst, der die im Habsburgerreich verspätete Aufklärung, ein intellektueller Liberalismus und ein Anliegen der Universität, die Wissenschaft zu popularisieren, zugute kamen.159 So also gestaltete sich, in wenigen Umrissen, das (sprach-)philosophische Ambiente, in dem sich der junge Buber in den ersten Jahren seiner Universitätsstudien bewegte. Es muß darauf hingewiesen werden, daß Buber in Wien sowohl die Philosophen Wilhelm Jerusalem und Adolf Stöhr als auch deren geistigen Mentor Ernst Mach hörte 160 und zudem bei dem 1896 aus Prag nach Wien berufenen Münchener Philosophen Friedrich Jodl (1849-1914) dissertierte, einem begeisterten Anhänger Ludwig Feuerbachs (1804-1872), der zwei Jahre zuvor (1902) die Disser-

157. Siehe dazu M. Hroch, »Sprache, Literatur und nationale Identität«, in: Nautz/Vahrenkamp (Hrsg.), Die Wiener Jahrhundertwende: Einflüsse, S. 377-388 und E. Gellner, Language and Solitude: Wittgenstein, Malinowski and the Habsburg Dilemma, Cambridge 1998, S. 12 f. 158. Mauthner, Erinnerungen, S. 32. 159. Dies war durchaus das historische Selbstverständnis des Wiener Kreises. Siehe Carnap/Hahn/Neurath, Wissenschaftliche Weltauffassung, S. 127: »In der Wiener liberalen Bewegung standen Gelehrte von Weltruf an führender Stelle. Hier wurde antimetaphysischer Geist gepflegt.« Zu den »volkstümlichen Universitätskursen« vgl. ebd., S. 128: »Diesem Geist der Aufklärung ist es zu danken, daß Wien in der wissenschaftlich orientierten Volksbildung führend gewesen ist. Damals wurde unter Mitwirkung von Victor Adler und Friedrich Jodl der Volksbildungsverein gegründet und weitergeführt.« Zur verspäteten Aufklärung in Österreich und ihren Folgen für die Entwicklung in der Philosophie siehe W. Schmied-Kowarzik, »Vergessene Impulse der Wiener Philosophie um die Jahrhundertwende. Eine Philosophische Skizze wider den main stream verdrängten Erinnerns«, in: Nautz/Vahrenkamp (Hrsg.), Die Wiener Jahrhundertwende, bes. S. 184 f. 160. Zum Studienplan Martin Bubers siehe MBW I, S. 301-304.

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tation Otto Weiningers (1880-1903) betreut hatte. Jodl galt als »kämpferischer Sozial-Liberaler«, der sich nicht nur für den Ausbau des Volksbildungswesens und die höhere Bildung der Mädchen einsetzte, sondern auch für eine radikale Trennung von Staat und Kirche und gegen den antisemitischen Populismus: »Mit einem Wort, Friedrich Jodl war der erste – vielleicht sogar der einzige – radikale Aufklärer, den Wien erlebt hatte – Wien, eine Stadt, von der alle geistigen Emanzipationsbestrebungen bisher erfolgreich ferngehalten worden waren.«162 Inwieweit der Wiener Empiriokritizismus und Positivismus Bubers Denken letztlich beeinflußt hat, ist schwierig zu beurteilen. Die kritische Hinwendung zur Sprache, die Auflösung des Ichs in eine empirische Beziehungshaftigkeit zur Welt, der psychophysische Erkenntnismonismus, sie könnten allerdings als Nachhall dieser Schule in seiner späteren Philosophie betrachtet werden. Deutlicher jedoch sind die Zusammenhänge mit der Sprachkritik Mauthners.

6. Mauthner und Buber Buber hat sich mit dem Werk Fritz Mauthners, angeregt vermutlich durch Hofmannsthal und Landauer, intensiv beschäftigt. Daß es dennoch schwierig erscheint, eine direkte Beeinflussung nachzuweisen, liegt an dem Umstand, daß Buber Mauthners Schriften weder zitierte noch je namentlich erwähnte. 163 Dennoch war es Mauthner, den Buber 1906 für die Mitarbeit an einem Band zur Sprache in der Gesellschaft zu gewinnen suchte: »[D]ie Sache läßt mit sich nicht reden: sie braucht Sie, braucht Sie mehr als irgendeinen Anderen,« schrieb Buber in seinem Ansuchen an Mauthner. 164 Bald darauf, Ende Mai 1906, kam es zu einer ersten Begegnung in Freiburg, wobei Bubers offenbar gute Kenntnisse der Kritik der Sprache bei Mauthner einen gewissen Eindruck hinterließen.165 Im 161. Gedruckt als Geschlecht und Charakter (1902), Wien/Leipzig 1918. In seinem Vorwort dankte Weiniger Laurenz Müllner »für die wirksame Förderung« und Friedrich Jodl »für das freundliche Interesse, welches er meinen Arbeiten von Anbeginn entgegenbrachte« (ebd., S. XII). Müllner und Jodl waren eben auch Bubers Doktorväter in 1904. 162. Schmied-Kowarzik, Vergessene Impulse der Wiener Philosophie, S. 192 f. 163. »[V]on einer gegenseitigen gedanklichen Beeinflussung [kann] nicht die Rede sein,« schreibt Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 241. Bezugspunkte sieht er nur in beider Interesse an der Mystik. 164. B. an Mauthner, 24. April 1906 (B I, S. 238). 165. Vgl. Weiler, a. a. O., S. 147 f. Aus dem bereits oben erwähnten Brief zitiert Weiler: »Dieser Dr. Buber hat mir stundenlang aus einer Arbeit vorgelesen, die demnächst erscheint. ›Rabbi Nachman‹, vor hundert Jahren gelebt, polnischer Jude, Vorgänger

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Oktober desselben Jahres wurde ein Vertrag zwischen Buber, Mauthner und dem Verlagshaus der Gesellschaft, Rütten & Loening abgeschlossen, und Ende März 1907 gelang es Mauthner, trotz Fieber und einer »tüchtigen Influenza« das Manuskript Die Sprache fertigzustellen.166 »Auf eine Äußerung von Ihnen über die beiliegenden Blätter bin ich sehr begierig und denke dabei gar nicht an den Herausgeber, nur an Martin Buber,« schrieb er kurz darauf. 167 Quellen zu einem weitergeführten Austausch über Sprache zwischen Mauthner und Buber gibt es jedoch nicht, und man muß annehmen, daß es sich, wie bei Hofmannsthal, um vorwiegend mündliche Diskussionen handelte. Überhaupt scheint Mauthner den jüngeren Buber als Denker nur bedingt geschätzt zu haben: »Buber, der jüngst zwei Mal hier war, steht für mich als Mensch und als Schriftsteller sehr hoch; als Denker mit der Einschränkung, daß er jüdischer orientiert ist, als er selbst ahnt, und meiner Ahnung nach noch als Sektierer anders wirkt, d. h. nicht ganz frei.« 168 Die Frage jüdischer »Identität« oder, nach Mauthner, »Judenfrage« nahm einen prominenten Platz im Verhältnis zu Buber ein. Im April 1906 veröffentlichte die Berliner Zeitschrift Ost und West einen kurzen, doch enthusiastischen Aufsatz über Mauthners Kritik der Sprache, in dem das »jüdische Element von fundamentaler Bedeutung« für Mauthners Schaffen genannt wurde. 169 Daraufhin befremdete sich ein anonymer Leser, daß eine jüdische Zeitschrift wie Ost und West den »getauften Juden« Mauthner wie ein Mitglied des jüdischen Kulturkreises behandelte. Mauthners Entgegnung, die den Umstand richtig stellte, daß er aus dem Judentum zwar ausgetreten, jedoch nicht getauft war, wurde gemeinsam mit einer langen, allerdings mit persönlichen Angriffen durchsäten Notiz der Herausgeber im Folgeheft teilweise abgedruckt. 170 Bubers Intervention bei Leo Winz (1876-1952), dem Herausgeber der Zeitschrift, zeigte sich erfolglos, und ein offener Brief Bubers zu der Affäre wurde nicht gedruckt. 171

166. 167. 168. 169. 170. 171.

sprachkritischer Ideen. War mir anstrengend, aber sehr interessant. […] Daneben freute mich auch die intime Kenntnis, die Dr. Buber von meinem Werke zeigte.« Mauthner an B., 23. März 1907, MBA, Ms. Var. 350/481:13. Das Buch erschien im Juni 1907 als 9. Band der Serie, ist im Druck jedoch auf »June 15, 1906« datiert. Mauthner an B., 28. März 1907, MBA, Ms. Var. 350/481:11. Eine »Äußerung« Bubers ist leider nicht erhalten. Mauthner an Auguste Hauschner, 4. Okt. 1918, in: F. Mauthner, Briefe an Auguste Hauschner, hrsg. v. M. Beradt und L. Bloch-Zavrel, Berlin 1929, S. 167. Zitiert bei Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 241. M. Adler, »Fritz Mauthner«, in: Ost und West, 6. Jg., Heft 4 (April 1906), S. 280. Zum Artikel über Mauthner, in: Ost und West, 6. Jg., Heft 5/6 (Mai/Juni 1906), S. 325-328. Die Herausgeber betrachteten den Austritt als »Fahnenflucht«. Vgl. B. an Mauthner, 18. Nov. 1906, MBA, Ms. Var. 350/481, I:10.

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Jahre später stand Buber Mauthner abermals zur Seite: Mauthner war in einer Umfrage von 1912 für eine Schließung der Grenzen gegen die Zuwanderung der Juden aus dem Osten eingetreten, da er fürchtete, diese könnte der Assimilation der deutschen Juden entgegenwirken. 172 Buber wurde mit Mauthners Stellung offenbar erst nach dem ersten Weltkrieg bekannt, als Zitate aus der Umfrage in einer »Anti-Mauthner-Kampagne« wieder emporkamen,173 hielt die Äußerung jedoch zunächst für eine Verleumdung und erklärte sich sofort bereit, eine Protestnote in seiner Zeitschrift Der Jude zu veröffentlichen.174 Als er schließlich von der Richtigkeit der Anklage erfuhr, konnte er seine Enttäuschung nicht verbergen: »Aber die Tatsache meines Schmerzes darüber, daß auch Sie einmal dafür eingetreten sind, man solle die Ostjuden Deutschlands Grenzen nicht überschreiten lassen, glaubte ich Ihnen gerade um unserer mir sehr teuren Beziehung nicht verschweigen zu dürfen.«175 Andererseits hielt Buber Mauthners Stellung zum Judentum an sich für eine Privatangelegenheit und versicherte ihm, daß »die Seele unserer Beziehungen nicht den leisesten Schaden gelitten hat«. 176 Geprüft wurde die Freundschaft noch einmal zwischen 1921 und 1923 im Zusammenhang mit der Herausgabe der Briefe des im Mai 1919 von den bayerischen Gegenrevolutionären brutal ermordeten Gustav Landauer. Mauthner weigerte sich zunächst, die in seinem Besitz befindlichen Briefe Landauers Buber zu überlassen, da er Bedenken an der Auswahl hatte und besorgt war um die Wahrung eines »wahren und schönen« Landauer Bildes. 177 Erst nach längerem Zögern willigte Mauthner ein, allerdings unter der Bedingung, »daß die Briefe und Briefstellen weggelassen werden, die lebende Menschen verletzen können oder die irgendwie gegen G[ustav] L[andauer] gedeutet werden könnten«.178 Am Höhe172. Mauthners Beitrag erschien in: Judentaufen von Werner Sombart [et al.], München 1912, S. 74-77. 173. Vgl. Mauthner an Hauschner, 9. Dez. 1918, in: Briefe an Hauschner, S. 175 f. 174. Vgl. B. an Mauthner, 8. Dez. 1918, MBA, Ms. Var. 350/481, I:27. Buber schreibt, daß es ihm nicht möglich war, seine Protestnote in das November/Dezember-Heft des Juden einzuarbeiten. »Ich hätte sie übrigens nach Eingang Ihres Briefes umarbeiten müssen, da ich angenommen hatte, auch die Behauptung, Sie hätten eine Sperrung der Grenze empfohlen, sei völlig unwahr. Daß sie es nicht ist, tut mir (wie dürfte ich es verschwiegen?) weh.« Vgl. auch Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 147. 175. Vgl. B. an Mauthner, 12. Dez. 1918, MBA, Ms. Var. 350/481, I:24. 176. Ebd. 177. Vgl. B. an Mauthner, 24. Aug. 1922, MBA, Ms. Var. 350/481, I:34. Zu Mauthners Bedenken siehe Mauthner an Hauschner, 9. Jan. 1921, in: Briefe an Hauschner, S. 224, vgl. Kühn, Gescheiterte Sprachkritik, S. 241. 178. Vgl. Mauthner an B., 12. April 1923, MBA, Ms. Var. 350/481: 46. Mauthner stellte allerdings nur einen »kleinen Teil« der Briefe an ihn zur Verfügung. Auch der Philosoph Constantin Brunner (1862-1937) weigerte sich »die sehr umfänglichen letzten

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punkt der Krise war Buber nahe daran, seine Herausgeberschaft des Briefwechsels zurückzulegen, während Mauthner von einer »Entfremdung« sprach. 179 Zu einem Bruch kam es jedoch auch hier nicht, wie überhaupt die Enge und Dauerhaftigkeit der Freundschaft zwischen Mauthner, Landauer und Buber, trotz so unterschiedlicher politischer und religiöser Auffassungen, ein in der Tat außergewöhnliches Zeugnis philosophischer Affinität nahelegt. Doch kehren wir zur Sprachthematik zurück. Wie an Hofmannsthal, so schickte Buber ein Exemplar seines Rabbi Nachman auch an Mauthner, nachdem er schon in seinem ersten Schreiben vom April 1906 angekündigt hatte, daß er »in dessen Einleitung einiges Sprachtheoretische aus der Kabbala und dem Chassidismus anführe«. 180 Ein Zitat aus dem Rabbi Nachman, das auch aus der Kritik der Sprache hätte stammen können, findet sich in einem späteren Brief an Mauthner: »Alle Gedanken des Menschen sind Worte und sprechende Bewegung, auch wenn er es nicht erfährt.« 181 Tatsächlich stellt die Einleitung zum Rabbi Nachman, entstanden inmitten des Sprachdiskurses der Jahrhundertwende und, wie zeitlich anzunehmen ist, in Auseinandersetzung mit Mauthners Kritk der Sprache und Landauers Skepsis und Mystik, eines der frühesten Dokumente aus Bubers Sprachphilosophie dar. Die jüdische Mystik, erklärte Buber in der Einleitung, war nie eine Mystik des Sehens und der Wesensschau, sondern, der »motorischen« Veranlagung der Juden entsprechend, eine Mystik, in der das Empfangene in »Wortgedanken« umgeformt und das Empfangen selbst als Beziehungsakt empfunden wird: Briefe Landauers an ihn« herauszugeben. Vgl. Bubers Einleitung zum Briefwechsel, LGB, S. VII. Landauer und Mauthner waren sich der Nähe Brunners zur Kritik der Sprache durchaus bewußt: »Die starken Übereinstimmungen im Negativen mit der Sprachkritik habe ich schon vor Jahren bemerkt, und sie treten in spätern Teilen, besonders seiner [Brunners, Anm.] Begriffslehre, manchmal ganz verblüffend hervor.« Vgl. Landauer an Mauthner, 1. Juni 1906, in: LGB, S. 152. Zu Brunner und Buber siehe M. Treml, Einleitung, MBW I, S. 55-59. 179. So beginnt eine Postkarte an B.: »Hochgeehrter Herr Dr., ich muß wieder von meinem Befinden anfangen, im Widerspruch zu der Entfremdung, die ich jüngst festgestellt habe.« (Mauthner an B., 15. April 1922, MBA, Ms. Var. 350/481:29). Zum Herausgeberstreit siehe B. an Mauthner, 24. Jan. 1923, MBA, Ms. Var. 350/481, I:36: »Um das einer einheitlichen Ausgabe der Briefe Landauers im Weg stehende Hindernis, Ihre Bedenken gegen die Person des Herausgebers, zu beseitigen, mache ich Ihnen folgenden Vorschlag: Ich verzichte auf die Herausgeberschaft der Briefe.« Der Landauer Briefwechsel erschien 1929, sechs Jahre nach Mauthners Tod, unter Bubers Herausgeberschaft. 180. Vgl. B. an Mauthner, 24. April 1906, B I, S. 239 und 2. Okt. 1906, MBA, Ms. Var. 350/481, I:9. 181. B. an Mauthner, 7. Juni 1906, MBA, Ms. Var. 350/481, I:3. Das Zitat stammt aus Die Geschichten des Rabbi Nachman, S. 35 (Denken und Sprechen).

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»Der Jude [existiert] weniger in Substanz, als in Relation.« Selten vermag er, »Gestalten sichtbar, greifbar, fühlbar hinzustellen«. Der Unformung in »Wortgedanken« entsprach Landauers Abkehr von den zeitlosen »Wortbildern«, von der »quantitativen Raumsprache« und »qualitativen Gesichtssprache«, die die Sprache der Menschen beherrscht. »Alles Räumliche zeitlich auszudrücken« betrachtete Landauer als »eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Menschen.«183 »Der Raum muß in Zeit verwandelt werden,« das Sein in Werden.184 Die »zeitlose«, »leblose« Mystik des sehenden Erlebens ging damit über in ein »Fließen«, in eine Mystik des »Hörens« und der »Intensität«. 185 Wie bei Schopenhauer und Nietzsche waren es nun die »Traum- und Klangbilder«, in denen sich die Welt unmittelbar ausdrücken, und unmittelbar – ohne räumliche Erkenntnis – wahrgenommen werden konnte. So blieb das Gehör, der »Zeitsinn«, das einzig vom radikalen Empiriokritizismus verschonte Empfindungstor zur Welt: »Wenn wir so Raum und Materie nur als ein Sinnbild für intensive Vorgänge in der Zeit auffassen, als eine Sinnestäuschung, die wir umdeuten müssen, dann füllen wir etwa den Abgrund aus, der bisher unser inneres Dasein und unsere Außenwelt getrennt hat.« 186 Die vor der Kritik gerettete Sprache Landauers ist stimmungszeugend, im Zeitfluß wie die Musik, nicht sinnbildlich und raumhaft. Ähnlich schreibt Buber von Nachman: »Das Wort, das nur einen Sinneseindruck rasch und unzulänglich hersagt, verschmäht er.« 187 Stattdessen ist eine »Bangigkeit des Wortes« in ihm, und diese Bangigkeit, das Wissen um die »Gefahr […], die ihm vom Worte droht«, ist es, die ihn vom »Geschwätz« und der mystischen »Rhetorik« bewahrt. 188 Nachmans Wort kommt nicht von den Sinnen, sondern aus dem innersten »Seelengrunde«, »organisch« aus tiefen Erleben geformt und mit »wirkender Lebendigkeit«: Es ist kein »Werk der Seele, sondern die Seele selbst.«189 In Nachman spricht das »innere Wort«, wird zum Erlebnis, während das »äußere Wort« nur dessen Gewand bleibt.190 Und wenn Nachman spricht, so ist sein Sprechen nicht Mitteilung, sondern Worterweckung: »Das Wort be182. Buber, Rabbi Nachman und die jüdische Mystik, in: Die Geschichten des Rabbi Nachman, S. 21. 183. Landauer, Skepsis und Mystik, S. 33. 184. Vgl. ebd., S. 108; 126. 185. Vgl. ebd., S. 105; 127. 186. Ebd., S. 127 f. 187. Buber, Rabbi Nachman, S. 28. 188. Vgl. ebd., S. 29; 8. 189. Ebd., S. 28 f. 190. Ebd., S. 17.

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wegt eine Luft und diese die nächste, bis es zu dem Menschen gelangt, der empfängt das Wort des Genossen und empfängt seine Seele darin und wird darin erweckt.« 191 So erreicht das Wort den Hörenden und wandelt ihn, am Höhepunkt der Wortübergabe, zum Sprechenden. Buber nennt es ein »eigentümliches Gegenstück zur sokratischen Maieutik«. 192 Im Gegensatz zum »Entwerden« der zeitlosen Erlebnismystik, stellte Buber den Chassidismus als eine immer werdende Lebensmystik dar, in der Pathos über Askese, und Rede über Schweigen stand. »Wir müssen reden,« schreibt er in den Ekstatischen Konfessionen. »Und unsere Rede wölbt einen Himmel über uns, über uns und die Anderen einen Himmel: Dichtung, Liebe Zukunft.«193 Wo die Sprache aber immer »Anderes« und nichts vom Erlebnis sagt, da gibt es auch ein »allerstillstes Sprechen, das nur Dasein mitteilen, nicht beschreiben will. […] Es übt keine Untreue, denn es sagt nur aus, daß etwas ist«. 194 So geht das Sagenwollen des Ekstatikers über von »Ohnmacht und Stammeln« in »Macht und Melodie«, und so wird das Zeitlose in die Zeit hinübergerettet. Der Ekstatiker spricht nun nicht mehr von seinem Erlebnis, sondern im Mythos, durch die »Tat« seines Lebens.195 Betrachten wir Bubers frühes Verständnis der Mystik von der Sprache aus, so kündigte sich bereits im Rabbi Nachman eine differenzierte Haltung zum Erlebnisbegriff und zur mystischen Schau an. Der kontemplativen Versenkung in der Einheit stand von Anbeginn die Spaltung durch die Sprache gegenüber, und das Reden als Reparatur der Sprache. Wie Landauer übernahm Buber die Grundlagen der Mauthner’schen Sprachkritik, nahm Mauthner beim Wort, daß die Sprache reine Handlung ist, um gerade auf dem erkenntnistheoretischen Nihilismus ein ethisches Gebäude zu errichten, in das die Sprache wieder einziehen konnte. Der Einfluß Mauthners lag also gerade in der Überwindung Mauthners. Denn die Zertrümmerung der Sprache, das reine Erleben, war bei Buber nicht der Endpunkt der Philosophie, sondern ein Anfang. Von der Sprachzerstörung Mauthners und der Sprachüberwindung Landauers gelangte er zu einer Philosophie Sprachzeugung.

191. 192. 193. 194. 195.

Ebd., S. 28. Ebd., S. 30. Buber, Ekstatische Konfessionen, S. xx. Ebd., S. xxf. Vgl. ebd., S. xxv.

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Einleitung

7. Übergang zum Sprachdenken Ein Übergang deutet sowohl auf Kontinuität als auch Diskontinuität. In den Jahren zwischen seinen mystischen Schriften und der Abfassung von Ich und Du war Bubers Auseinandersetzung mit der Sprache uneinheitlich und eher sporadisch als gezielt. Die Brennpunkte seiner Aufmerksamkeit lagen in der im weiteren und vergleichenden Sinn religiösen Erfahrung, im Mythos, aber auch in der jüdischen Bildungsarbeit und der Herausgabe der Monatschrift Der Jude (1916-1924).196 In den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs entwickelte sich eine Freundschaft Martin Bubers mit dem Dichter und Germanisten Ludwig Strauß (1892-1953). Wie viele jüdische Intellektuelle, einschließlich Buber, war auch Strauß zunächst vom Kriegsgeschehen sehr eingenommen und erwartete seine Einberufung (als Freiwilliger) mit einer »fast schmerzhaft starke[n] Bereitschaft.« 197 Verwundet kehrte er von der Westfront zurück, um an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin sein Studium der Philosophie und Germanistik fortzusetzen, jedoch mit einer längeren Unterbrechung aus gesundheitlichen Gründen. Zwischen 1925 und 1926 arbeitete Strauß (durch Bubers Vermittlung) als Dramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus. Im Juni 1925 heiratete er, nach einer kurzen Ehe mit der Bildhauerin Riwka Kaufmann (1896-1953), Bubers Tochter Eva. 198 1929 erhielt er einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule in Aachen, wo er bis zu seiner Emigration nach Palästina im Jänner 1935 unterrichtete. Wie früh Strauß unter dem Eindruck Bubers jüdischer Schriften stand, zeigt sich in seinem stark von der Sprache Bubers gefärbten Beitrag »Die Revolutionierung der westjüdischen Intelligenz« für das von der Prager jüdischen Studentenschaft Bar Kochba herausgegebene Sammelbuch Vom Judentum (1913). 199 Doch erlebte er auch die Lektüre von Bubers 196. Zur Geschichte der Zeitschrift Der Jude siehe E. Lappin, Der Jude 1916-1928. Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus, Tübingen 2000. 197. Siehe Strauß an B., 30. Sept. 1914, BBS, S. 26. Zum Leben Ludwig Strauß’ siehe besonders Ludwig Strauß 1892 – 1992: Beiträge zu seinem Leben und Werk, hrsg. v. H. O. Horch, Tübingen 1995; Ludwig Strauß. Eine Gedenkschrift, hrsg. v. B. Witte, Aachen 1982 und Ludwig Strauß – Sein Leben und Werk (Nachwort von Dafna Mach), in: BBS, S 275-291. 198. Siehe Strauß an B., Mai 1925, BBS, S. 96. 199. L. Strauß, »Die Revolutionierung der westjüdischen Intelligenz«, in: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, S. 179-185. Siehe auch I. Shedletzky, »Fremdes und Eigenes. Zur Position von Ludwig Strauß in den Kontroversen um Assimilation und Judentum in den Jahren 1912-1914«, in: Ludwig Strauß 1892 – 1992: Beiträge zu seinem Leben und Werk, S. 173-185 sowie H. O. Horch, Nachwort, in: Ludwig Strauß. Prosa und Übertragungen, GW I, S. 568.

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Daniel (1913) als »unendlich beglückend«. Drei Jahre später schrieb Strauß an Buber, daß er beim Lesen dessen Bücher immer wieder empfand, »wie sehr Sie über alle Gedanken und Inhalte hinaus durch die Botschaft Ihrer Bücher die Atmosphäre unseres Lebens bestimmt haben, so daß ein junger Jude, der nichts von Ihnen gelesen hat, doch schon von dem, was aus Ihren Worten jüdisches Gemeingut geworden ist, die selbstverständliche Freiheit des Blicks empfangen muß. […] Ich habe die Hoffnung, daß die Wirkung dieser Sätze, die das beglückende Signum der Wahrheit tragen, jetzt auf immer weiteren Kreis sich ausdehnt.« 201 Doch blieb Bubers Verbindung zu Strauß nicht nur die eines lebenslangen Mentors, dessen Vermittlung einen erheblichen Anteil am schriftstellerischen Werdegang Strauß’ einnahm. Schon 1917 scheute sich der jüngere Strauß nicht, das Buch Ereignisse und Begegnungen (1917) des älteren Buber scharf zu kritisieren: »So viel Schönes in manchen dieser Stücke ist […], so wenig ist doch irgendwie eine harmonische Gestalt erreicht. Die feuilletonistischen Beiklänge […] stehen Ihnen nicht natürlich an. Und wenn je in Ihren Schriften Pathos und Konzentration die Sprache überlastet haben, dann vor allem hier.« 202 Gegen die »Überladenheit« und »scheinbare Unechtheit« der Sprache Bubers erhob Strauß auch bei der Lektüre des Aufsatzes »Die Eroberung Palästinas« (1918) Bedenken: »[W]äre es nicht richtiger, schöner und wirksamer, wenn der Stoff wirklich leibliche Gestalt in der Sprache hätte, statt sich gleichsam gegen sie wenn auch durch sie durchzusetzen?«203 Worauf Buber zugeben mußte, er hätte bei »Nachprüfung« mancher Stellen »in der Tat einen rhetorischen Zug wahrgenommen.«204 Und vier Jahre später unterzog Strauß die Sprache und Grammatik im Manuskript des Großen Maggid (1922) einer geradezu pedantischen Kritik, von der Buber dann wissen ließ, er habe »fast alles berücksichtigen können.«205 So ist Strauß’ Anteil an Bubers Überwindung der »Leichtigkeit« seiner Sprache unübersehbar. Verbindend zwischen Strauß und Buber wirkte die gemeinsame Vorliebe für den Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843). Hölderlin zählte, neben Hofmannsthal und Goethe, zu den prägendsten literarischen Gestalten in Bubers Jugend, aber auch einer ganzen, von der Romantik be200. 201. 202. 203. 204. 205.

Strauß an B., 6. Aug. 1913, BBS, S. 19. Strauß an B., 20. März 1916, BBS, S. 39. Strauß an B., 17. Dez. 1917, BBS, S. 56. Strauß an B., undatiert [1918], BBS, S. 58. B. an Strauß, 19. Jan. 1918, BBS 58. Vgl. Strauß an B., 17. Mai 1922 und B. an Strauß, 20. Mai 1922, BBS, S. 79-83.

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rührten Generation. 1914, noch unter dem Rausch seiner Kriegsbegeisterung, empfahl Buber Hölderlins »Hyperion« zur Lektüre, »um reiner zu erfassen, was der deutsche Krieg mit dem Geist des deutschen Menschen zu schaffen hat«. 207 Strauß wiederum hielt bereits 1916 einen Vortrag über Hölderlin vor dem Aachener Jüdischen Jugendverein, verfaßte eine Dissertation zu Hölderlin und Schelling sowie eine Habilitationsschrift über Hölderlins »Hyperion«. 208 Auch glaubte er, gewisse Übereinstimmungen zwischen Hölderlin und dem frühen Buber erkennen zu können, eine Vorstellung, der Buber nicht abgeneigt war, und die durch den mythischen, naturnahen Stil des Daniel bestätigt wird. 209 Etwa um dieselbe Zeit bewunderte Gustav Landauer die Sprachwerdung der stummen Natur und Naturwerdung der Sprache in den Hymnen Hölderlins: »Immer werden ihm die Naturvorgänge zum Mythos, zum Gleichnis hohen Menschenschicksals; aber nie weicht er aus dem Bezirk der Natur zur Allegorie und nie auch zur epischen Fabeldichtung mit Ausschmükkungen selbständiger Erfindung.« 210 Für Landauer stand Hölderlin jenseits der Sprachkritik seines Mentors, nicht in der begrifflich-bildlichen Sprache, sondern in der eigentlichen Sphäre der Sprachmusik, die er von Nietzsche her sowohl als Sprachgrenze als auch Grenzsprache kannte. Wir sind erinnert an Skepsis und Mystik und Bubers Einleitung zu Rabbi Nachman, wenn Landauer in seinem Hölderlin-Aufsatz schreibt: »Die Begriffe, in denen sich unsere äußere und dann innere Welt aufbaut, gehen in allem Substantiellen auf den schweigenden Gesichtssinn zurück; die von der Kraft des Menschengeistes gemachte Sprache bedarf der Geräusche, auf daß wir, während wir Zeichen machen und empfangen, mit Sinn und Tat in der Natur bleiben.«211 In den Hymnen Hölderlins glaubte Landauer eine »Durchsichtigkeit« der Sprache zu erkennen, eine der »Grammatik und fast der Logik entwachsene Sprache«, sehend

206. Buber wählte die Urfassung von Hölderlins »Patmos« für die Anthologie Trunken von Gedichten (ebd., S. 144 f.). Vgl. auch Kohn, Martin Buber, S. 61: »Novalis und vor allem Hölderlin wurden die meistgelesenen ›Klassiker‹ unserer Jugend, die in diese Zeit fiel. An ihnen lernten wir die Größe des Menschen empfinden, von Hölderlin die Macht der Sprache verehren.« Zur Interpretation des Gedichts und seinem Zusammenhang mit der johanneischen Sprachphilosophie siehe J. Schmidt, Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen »Friedensfeier« – »Der Einzige« – »Patmos«, Darmstadt 1990, bes. S. 193-196. 207. Buber, Bücher, die jetzt und immer zu lesen sind, MBW I, S. 279. 208. Siehe Kommentar, Seit ein Gespräch wir sind, S. 160 f. in diesem Band. 209. Vgl. ebd., S. 161. 210. G. Landauer, Friedrich Hölderlin in seinen Gedichten (1916), in: ders., Werkausgabe, Bd. III, hrsg. v. H. Delf, Berlin 1997, S. 59. 211. Ebd., S. 57 f.

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und dichtend enthüllend und verhüllend zugleich. »[I]m Wort das Mysterium bergend und offenbarend, dem Gotte prophetisch getreu!« schrieb Buber 1914 über den Dichter. 213 Der Hinweis auf den »sehenden« Dichter und die durchscheinende, prophetische Sprache hob sich von der anti-religiösen der Kritk Mauthners wesentlich ab und schlug eine Brücke zurück in die Tradition des sakramentalen Sprachbegriffs und deren wichtigsten Vertreter Johann Georg Hamann (1730-1788). Für Mauthner war die Sprache eine Erfindung des Menschen, ein soziales Konstrukt, nicht durchscheinend, sondern grundsätzlich trüb. Die Grenzen der Wirklichkeitserkenntnis waren bei ihm durch die Sprache abgesteckt. Die Natur dagegen betrachtete er als »sprachlos«, und eben deswegen »wirklich«. Für Hamann jedoch war »jede Erscheinung der Natur […] ein Wort, – das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen aber desto innigeren Vereinigung, Mitteilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen. Alles was der Mensch am Anfang hörte, mit Augen sah, beschaute und seine Hände betasteten, war ein lebendiges Wort; denn Gott war das Wort.« 214 In einer bewußten Erwiderung seines Zeitgenossen Johann Gottfried Herder (1744-1803), für den der Ursprung der Sprache in der Reflexion, der »Besonnenheit« der Menschen allein lag, 215 und im Gegensatz zu den Vertretern eines rein göttlichen Ursprungsmodells, suchte Hamann den Ursprung der Sprache in einer gott-menschlichen »communicatio«, 216 als Gleichursprünglichkeit zwischen Gott und Mensch: Indem Gott den Menschen ansprach, mußte er sich selbst zur Rede vermenschlichen, während umgekehrt der Mensch durch das Gesprochenwerden der Schöpfung und sein eigenes Aus- und Angesprochenwerden sich vergeistigte. Als Träger der Offenbarung diente die Sprache als Bindeglied zwischen geistiger und sinnlicher Welt, zwischen Hören und Sehen, zwischen Orient und dem Abendland, Religion und Philosophie. »[D]ie 212. Ebd., S. 65. 213. B. an Kurt Singer, 7. Feb. 1914, B I, S. 357. 214. Hamann, Sämtliche Werke II, S. 32. Vgl. auch Sämtliche Werke I, S. 308: »Das Buch der Natur und Geschichte sind nichts als Chyffren.« Zur Darstellung Hamanns Sprachphilosophie siehe R. Unger, Hamanns Sprachtheorie im Zusammenhang seines Denkens. Grundlegung zu einer Würdigung der geistesgeschichtlichen Stellung des Magus in Norden, München 1905; G. Baudler, ›Im Worte sehen.‹ Das Sprachdenken Johann Georg Hamanns, Bonn 1970; H. Stahmer, »Speak That I may See Thee«: The Religious Significance of Language, New York 1968. 215. Vgl. J. G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1727), Stuttgart 1997, S. 31: »Der Mensch, in den Zustand von Besonnenheit gesetzt, der ihm eigen ist, und diese Besonnenheit (Reflexion) zum erstenmal frei wirkend, hat Sprache erfunden.« 216. Vgl. Hamann, Sämtliche Werke II, S. 27.

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Schöpfung [ist] eine Rede, deren Schnur von einem Ende des Himmels zum anderen sich erstreckt.« 217 Seit dem Sündenfall, in dem sich für Hamann die Sprache verdunkelte, begleitet den Menschen eine immerwährende Sehnsucht nach dem Ursprung in der Sprache. Und wie Hamann den Ursprung der Sprache eigentlich in die Ursprungslosigkeit, in die gott-menschliche Korrespondenz, die Gleichzeitigkeit des Redens und Hörens, letztlich in die Selbstinterpretation Gottes verlegte, so definierte er auch das Wesen der Sprache als eine sich immer wiederholende Tätigkeit des Übersetzens: »Reden ist übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heißt Gedanken in Worte – Sachen in Namen – Bilder in Zeichen.« 218 Sprache und Welt besaßen damit einen immanenten Symbolcharakter, eine Chiffrenhaftigkeit und Diaphanie. In jeder Wirklichkeit steckte nach Hamann das göttliche Wort. Seine Weltauffassung war die eines immer neu zu entschlüsselnden »Verbalismus«, einer Wirklichkeit, die Übersetzer brauchte, Propheten und Dichter. Für Buber war Hölderlin ein solcher Dichter. In den Ludwig Strauß gewidmeten Bemerkungen »Seit ein Gespräch wir sind« (1952; s. S. 85 in diesem Band) interpretiert Buber Hölderlin ganz im Sinne Hamanns: »Unser Gesprochenwerden ist unser Dasein,« schreibt er dort, und weiter: »Aber die Sprache erfüllt sich erst, wenn sie durch uns selber ›Eigentum‹ geworden ist und wir nun ›die menschlich göttliche‹ unser nennen dürfen.« Der Zusammenhang von Sprache und Ontologie in Bubers dialogischem Denken, der sich zurückführen läßt auf den Korrespondenzcharakter des Daseins bei Hamann, wird hier deutlich. Ein solches Sprachverständnis prägte auch Bubers Auffassung vom Judentum als einer Ablösung vom zeitlosen Dogma durch die sich immer neu in der Zeit ereignende sprachliche Begegnung: »Der Schöpfungsakt Gottes ist Sprache; aber auch jeder gelebte Augenblick ist es. Die Welt wird dem sie wahrnehmenden Menschen zugesprochen, und das Leben des Menschen selbst ist Zwiegespräch.« 219 In allen Erfahrungen des Menschen sind »Zeichen einer Anrede«, und es liegt am Menschen, der Anrede Antwort zu stehen oder seine Antwort zu versagen. Die »heimliche, wirkliche Weltgeschichte« verstand Buber als einen »Dialog zwischen Gott und seiner Kreatur«, an dem der Mensch nicht nur empfangend teilnimmt, sondern zum eigenen Sprachschöpfer wird.

217. Hamann, Schriften I, S. 449 (Brief an Lindner). 218. Vgl. Hamann, Schriften II, S. 262 (Aesthetica in Nuce). 219. Buber, Der Glaube des Judentums (1928), in: JuJ, S. 185.

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8. Das geistige Umfeld des Patmos-Bundes Das sakramentale Sprachdenken Hamanns fand seinen Niederschlag in der geistigen Verfassung des 1915 gegründeten Patmos-Bundes, einer Gemeinschaft von Intellektuellen und religiösen Denkern, die nach dem ersten Weltkrieg von dem Dichter und Schriftsteller Leo Weismantel (18881964) im Patmosverlag konsolidiert wurde. 220 Der Bund war in mancher Hinsicht eine Parallelerscheinung zum 1914 ins Leben gerufenen, doch schon ein Jahr später aufgelösten Potsdamer Forte-Kreis, dem unter anderen Gustav Landauer, Florens Christian Rang sowie der niederländische Sinologe Henri Borel (1869-1933), der Psychotherapeut und Sozialreformer Frederick van Eeden (1860-1932), der Schriftsteller Erich Gutkind (1877-1965) und, am Rande des Kreises, Wassily Kandinsky (1866-1944) und Walther Rathenau (1867-1922) angehörten. 221 Zu den Mitgliedern des Patmos-Bundes zählten, neben Weismantel, Franz Rosenzweig und dessen Cousins Hans und Rudolf Ehrenberg (1883-1953, bzw. 1884-1969) auch der reformierte Theologe Karl Barth (1886-1968), Werner Picht (1887-1960) und der Rechtsgelehrte Eugen RosenstockHuessy, der Franz Rosenzweigs Sprachphilosophie entscheidend beeinflussen sollte. 222 Beide Bünde waren von einer utopischen, humanistischsozialen Geisteshaltung getragen und auf der Suche nach kultur-, staatsund glaubensübergreifenden Gemeinschaftsmodellen, die vor allem in den Sozialexperimenten van Eedens zur Umsetzung gelangten. 223 Anders jedoch als der Forte-Kreis, dessen Ursprünge im utopischen Sozialismus lagen, fühlte sich der Patmos-Bund – benannt nach der griechischen Insel Patmos, wo der Evangelist Johannes seine Vision der Schöpfung durch 220. Zum Patmos-Bund siehe G. Weismantel, »Begegnungen: Eugen Rosenstock-Huessy und Leo Weismantel«, in: Eugen Rosenstock-Huessy – Denker und Gestalter, hrsg. v. L. Bossle, Würzburg 1989, bes. S. 95-98, H. Stahmer, ›Speak that I may see Thee‹, S. 121-124, E. Rosenstock-Huessy, Ja und Nein. Autobiographische Fragmente, hrsg. v. G. Müller, Heidelberg 1968, S. 107 f. 221. Zur Geschichte des Forte-Kreises siehe C. Holste, Der Forte Kreis (1910-1915): Rekonstruktion eines Versuchs, Stuttgart 1992. Siehe ferner R. Faber und C. Holste (Hrsg.), Kreise – Gruppen – Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziationen, Würzburg 2000. 222. Vgl. Rosenstock-Huessy, Ja und Nein, S. 71: »Franz Rosenzweig empfing von mir, wie er nicht müde geworden ist, sein ganzes Leben lang zu versichern, die Lehre vom Dich, das dem Ich vorhergeht.« 223. Die durch Henry Thoreau inspirierte Siedlungskolonie »Walden« (gegründet von 1898-1900) gehörte zu van Eedens ersten Experimenten. Eine Walden nachempfundene Van Eeden-Kolonie entstand 1909 in Wilmington, North Carolina. Vgl. Holste, Der Forte Kreis, S. 142-156. Siehe auch F. v. Eeden, Happy Humanity, Garden City, N.Y. 1912; ders., Practical Communism – Work and Bread (Civic Forum Addresses, Bd. 1 [1907-08, Nr. 6]), New York 1908.

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Sprache empfing – als eine von Grund auf religiöse Gemeinschaft, die sich in den Wirren des ersten Weltkriegs zwischen Apokalypse und Wiedergeburt sah. »Von 1915 bis 1923 fühlte sich diese Freundesgruppe, als ob sie auf Patmos lebe,« schreibt Rosenstock-Huessy in seinen Erinnerungen. »Hier bildete sich das johanneische Reich abseits der Kluft zwischen katholisch und protestantisch. […] In die Grenzenlosigkeit der ersten Nachkriegsjahre hinein gesprochen, war ›Patmos‹ ein echter existentieller Ausruf.«224 Buber gehörte zum Umkreis beider Bünde. Dem Forte-Kreis entfremdete er sich – wie auch Gutkind und Rang – bereits kurz nach Ausbruch des Krieges, ergriffen von einer kurzzeitigen Kriegsschwärmerei. 225 Zum Patmos-Bund wiederum stieß er relativ spät, war dann jedoch seit 1926 mit der Herausgabe der aus dem Patmosbund entstandenen Zeitschrift Die Kreatur betraut, gemeinsam mit dem (zwischen 1926 und 1946 exkommunizierten) katholischen Priester Joseph Wittig (1879-1949) und dem protestantischen Naturwissenschaftler Victor v. Weizsäcker (18861957). Die Kreatur war als ökumenisches Forum gedacht, in dem die Sprecher verschiedener Traditionen frei miteinander kommunizieren konnten. So schrieb Florens Christian Rang im Geleitwort zum ersten Heft: »Religionshafte Sonderungen, aus denen es keine andere Befreiung gibt als die messianische, haben die Not und die Zucht von Exilen […]. Erlaubt aber und am diesen Tag der Geschichte geboten ist das Gespräch: der grüßende Zuruf hinüber und herüber, das sich-einanderAuftun […], die Unterredung über die gemeinsame Sorge der Kreatur.« 226 Bereits 1914 scheint Buber Rosenstock-Huessys Schrift Königshaus und Stämme gelesen zu haben, nicht ohne Anerkennung dessen sprachlicher Überlegungen.227 Wie Buber, so stand auch Rosenstock-Huessy am Beginn seiner Sprachphilosophie unter dem Bann Fritz Mauthners, der zeitlich mit seiner Abwendung vom Judentum und Hinneigung zum Christentum zusammenfiel.228 »Seit 1902 hat mein bewußtes Leben un224. Rosenstock-Huessy, Ja und Nein, S. 54; 107. 225. Siehe dazu Treml, Einleitung, MBW I, S. 73-80. 226. E. Rosenstock-Huessy, Königshaus und Stämme, Leipzig 1914. Zu Bubers Reaktion siehe Stahmer, ›Speak that I may see Thee‹, S. 184. 227. Die Kreatur, hrsg. v. Buber, J. Wittig, V. v. Weizsäcker, Jg. 1, Heft 1 (1926). 228. Rosenstock-Huessy, Ja und Nein, S. 58. Vgl. auch Rosenstock an Franz Rosenzweig, 4. Okt. 1916 (Rosenzweig, Briefe, S. 665): »Und diese Künstler des circulus vitiosus blicken auf einen Geist wie Mauthner herunter, der nur die Konsequenz zieht, die Unverständlichkeit und Unmitteilbarkeit alles Denkens und aller Sprache durch ein dreibändiges Werk zu beweisen.« Zu Rosenstock-Huessys früher Neigung zum Christentum siehe H. Stahmer, »Christianity in the Early Writings of Eugen Rosen-

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ter dem Kennwort ›Sprache‹ gestanden,« erinnert sich Rosenstock-Huessy und fährt fort: »Ich wollte die Organisation der Menschheit auf Grund der Sprache enträtseln […].« 229 Mit Jakob Grimm (1785-1863), Hamann, Hölderlin und den deutschen Klassikern ausgestattet, gelangte er über seine johanneische Auffassung des Christentums zu einer »leibhaftigen Grammatik«, in der die Sprache zur Erklärungsweise seelischer, sozialer, politischer und historischer Phänomene herangezogen wird. »Der Leib des Geistes ist die Sprache«, heißt es in der 1916 als »Sprachbrief« an Franz Rosenzweig entworfenen Angewandten Seelenkunde (1923), und es liegt am Menschen, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen Sprechen und Denken. »Der Mut zum Sprechen kann gerade dem Denker abhanden gekommen sein.« 230 Auch in der »leibhaftigen Grammatik« bestand ein Verlangen, die Sprache aus dem Abstraktum des Geistes in die körperliche Konkretheit des Sprechens zurückzuführen. »Die Schale der Schulgrammatik muß dazu durchstoßen werden.«231 Gegen die griechische Grammatik, die das Ich als Ausgangsperson des Verbums betrachtete, stellte Rosenstock-Huessy das grammatisch-seelische, das heißt, in diesem Sinn »psychologische« Ich, das »zuerst ein Du« ist, bevor es durch die Anrede, den Anruf in der Du-Form des Imperativ zum Ich wird. »Ich bin Ich« entsteht immer als Antwort auf ein anrufendes Du. Erst auf der letzten Stufe der Person-Entwicklung wird das NichtAnredende als solches erkannt und zur dritten Person, zum Er, Sie, oder Es. »Die Grammatik der Seele braucht […] die drei Personen, alle drei. Denn die Seele muß sich in göttlichen Momenten als Ich, in beschaulichen als Es, im Erwachen aber und Einschlafen als Du ansprechen lassen. Die Seele wandelt vom Es über das Du zum Ich und umgekehrt.« 232 Die Personen nennt Rosenstock-Huessy »Erscheinungsweisen der Seele in ihren verschiedenen Momenten«. Ihnen stehen die Modi (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ) als »Wirkungsweisen« gegenüber. Die »leibhaftige Grammatik« deckt nun das Beziehungsgeflecht zwischen den Personen und Modi auf, zwischen den »Ursätzen« und deren Ableitungen,

229. 230. 231. 232.

stock-Huessy«, in: Eugen Rosenstock-Huessy: Studies in His Life and Thought, hrsg. v. M. D. Bryant und H. R. Huessy, Lewiston/Queenston 1986, S. 31-47. Für eine umfassende Darstellung seiner Sprachphilosophie siehe W. Rohrbach, Das Sprachdenken Eugen Rosenstock-Huessys. Historische Erörterung und systematische Explikation, Stuttgart 1973. Rosenstock-Huessy, Ja und nein, S. 60 f. Rosenstock-Huessy, »Angewandte Seelenkunde«, in: ders., Die Sprache des Menschengeschlechts. Eine leibhaftige Grammatik in vier Teilen, Bd. 1, Heidelberg 1963, S. 806 (gesperrt im O.). Ebd., S. 781. Ebd., S. 756.

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während die Schulgrammatik nur die »Oberfläche« der »Sprachströme« zu erfassen vermag, das Nebeneinander der Personen und Modi. Und hier distanziert sich Rosenstock-Huessy von der Sprachphilosophie, die von der »Verwertung der Ursprache« handelt, von der zweckhaften Sprache der Verständigung, vom »Sprechenkönnen«. Die »leibhaftige Grammatik« genügt sich gerade nicht am Können, sondern dringt durch zum »Sprechenmüssen«: »Der gewöhnliche Mensch in uns kann nur, was andere gemußt haben. Wo aber das Muß der Sprache den Menschen antritt, da begreift er nicht mehr die Sprache als sein Mittel, um sich verständlich zu machen, sondern da wird er ergriffen, weil sich die Dinge ihm verständlich machen wollen, weil der Mensch sich begreiflich machen will oder weil ihm Gott vernehmlich werden will.« 233 Sich »begreiflich« machen wird zum Anliegen des »Menschenmenschen«, dem es nicht um bloße Verständigung mit den Mitteln der fertigen Sprache geht, sondern um ein allzeit wiederzuerneuerndes »Ursprünglich-Sprechen«, dessen Gelingen ungewiß und unvorhersehbar ist. Die Verständigungssprache (lies: Verstandessprache) erscheint so als indikativisch, bemüht, etwas über die Welt auszusagen; ihre Zeitform ist die Vergangenheit. Zu ihr gesellt sich die Sprache der Konjunktive, in der philosophisch die Willensfreiheit begründet ist; ihre Zeitform ist die Zukunft, das Werdende. Der Indikativ ist Es-lastig, der Konjunktiv Ich-herrlich. Was fehlt, ist noch eine Philosophie des Imperativs, in der die Welt vermenschlicht und das Ich entherrlicht wird. Aber dazu vermag die nachdenkende Philosophie nicht zu gelangen. Denn die Zeitform der »benennenden« Sprache ist die Gegenwart, »die Wende von Vergangenheit in Zukunft«: die eigentlich fließende Zeit. Den Imperativ nennt Rosenstock-Huessy den »Modus der Verwandlung«. In der Gegenwart allein geschieht Wandel. Die Vergangenheit ist bereits fertige Verwandlung, die Zukunft noch nicht gewandelt. In der Nominalsprache der Gegenwart, im Akt des Ansprechens und Antwortens, wandelt sich die Person. »Respondeo etsi mutabor« – Ich antworte, obwohl ich verwandelt werde – wird zum Motto der imperativischen Philosophie und Soziallehre. Und die »Allgültigkeit der Wandlung« zu lehren, wird zur Aufgabe der »Urgrammatik«. 234 Auch bei Rosenstock-Huessy stechen einerseits Parallelen zur reiferen Sprachphilosophie Martin Bubers hervor, die sich dann jedoch nicht in einer direkten Linie zurückverfolgen lassen. Im Gegenteil, es war Rosenstock-Huessy, der später, anläßlich der 1963 von Maurice Friedman ein233. Ebd., S. 757. 234. Ebd., S. 765.

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berufenen philosophischen Gespräche, Bubers Sprachdenken bezüglich seiner Geschichtlichkeit in Frage stellen sollte (siehe Zeit und Geschichtlichkeit, S. 141 f. in diesem Band). Unmittelbarer zeigten sich hier Verbindungslinien zu Franz Rosenzweig, der 1913 in Leipzig bei dem zwei Jahre jüngeren Rosenstock-Huessy Vorlesungen zur Rechtsgeschichte belegte. 235 Zwischen den beiden entwickelte sich noch im selben Jahr das berühmte Religionsgespräch über Judentum und Christentum, das drei Jahre später einen ausführlichen und 1935 erstmals veröffentlichten Briefwechsel zu dem Thema hervorrief. 236 Der Sprache kam in dieser Auseinandersetzung wieder eine Kernfunktion zu, denn sie war nicht nur das Medium der Auseinandersetzung, sondern auch die Verknüpfungslinie der beiden Religionsverständnisse. In der Sprache begann sich das Denken der Briefpartner als Sprache zu formen. Hier steht eine der frühesten Formulierungen des Sprachdenkens Rosenstock-Huessys, genau im Gegensatz zum »verzweifelten Festhalten an der sprachentwachsenen Denkfreiheit« 237 Kants: »Ich denke nicht gleichzeitig, sondern als Bedürfnis und mit meinem Bedürfnis nacheinander. Und diese Zeitlichkeit meines Denkens ist ja das A und O, von dem aus ich alles wieder anfasse. Die Sprache bildet diesen processus auch für den philosophisch Verseuchten noch anschaulich ab. Deshalb redete ich früher lieber von Sprache als von Vernunft.« 238 Dazu gehören freilich die bekannten Stellen aus Rosenzweigs »Neuem Denken« (1925): »Das neue Denken weiß genau wie das uralte des gesunden Menschenverstands, daß es nicht unabhängig von der Zeit erkennen kann […]. An die Stelle der Methode des Denkens, wie sie alle frühere Philosophie ausgebildet hat, tritt die Methode des Sprechens.«239 Hier also war das Sprachdenken als Methode und Erneuerung der Philosophie ausgesprochen. Schon 1918 bemerkte Rosenzweig über seinen 235. Vgl., Rosenstock-Huessy, Ja und Nein, S. 70. 236. Judentum und Christentum, in: Rosenzweig, Briefe, S. 638-720. Ursprung der Korrespondenz war eine im Sommer 1913 geführte Debatte über das Buch Das Wunder des Antichrist der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf (1859-1940) zwischen Rosenstock-Huessy, Rosenzweig und Rudolf Ehrenberg. Zum historischen Zusammenhang des Briefwechsels siehe die Einleitungen Harold Stahmers, Alexander Altmanns und Dorothy Emmetts, in: Judaism despite Christianity: The ›Letters on Christianity and Judaism‹ between Eugen Rosenstock-Huessy and Franz Rosenzweig, hrsg. v. E. Rosenstock-Huessy, Alabama 1969, S. 1-70. 237. Rosenstock-Huessy an Rosenzweig, 16. Juli 1916, Rosenzweig, Briefe, S. 650. 238. Rosenstock-Huessy an Rosenzweig, 28. Okt. 1916, Rosenzweig, Briefe, S. 676. 239. F. Rosenzweig, Das neue Denken, in: ders., GS III, S. 149; 151. Zur Sprachphilosophie Rosenzweigs siehe A. E. Bauer, Rosenzweigs Sprachdenken im »Stern der Erlösung« und in seiner Korrespondenz mit Martin Buber zur Verdeutschung der Schrift, Frankfurt a. M. 1992.

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(noch unveröffentlichten) Stern der Erlösung (1921), daß dort die »Sprachlehre […] durch das Ganze [gehe]«. 240 Und zugleich erkannte er die unbedingte Abhängigkeit von Rosenstock-Huessy, ohne den er »den Stern nie geschrieben hätte«. 241 Man kann tatsächlich den johanneischen Zug erkennen, der von Hamann bis Rosenstock-Huessy vorgebildet worden war, nämlich das Verständnis der Offenbarung als »Hin- und Wiedergang der Rede«, als »sprechende Sprache« im Unterschied zur »fest-stellenden«, »er-zählenden« Sprache der Schöpfung. Während die heidnische »Vor-welt« bei Rosenzweig »stumm« war und nur durch eine »Sprache vor der Sprache« – die Logik – redend gemacht werden konnte, folgt die Welt der Schöpfung, Offenbarung und Erlösung der »Sprache der Grammatik«, der »lebendigen Sprache«, in der der Mensch zum Menschen wird. Die »Urworte« der »Vor-welt« sind »Verheißungen des wirklichen Worts«, vernehmlich in der geschaffenen Welt; in der Schöpfungswelt werden sie verständlich. Die erzählende Schöpfung gehört der Zeitform der Vergangenheit an, dem Indikativ: sie sagt aus. Die Offenbarung hingegen »ist gegenwärtig, ja das Gegenwärtigsein selber«: sie spricht an. Ihr Modus ist der Imperativ, der aus dem »Kreis des Ich und Du« nicht heraustreten kann: »Was in jenem allumfassenden, einsamen, monologischen ›lasset uns‹ Gottes bei der Schöpfung des Menschen vorausklang, das geht im Ich und Du des Offenbarungsimperativs in Erfüllung. Das Er-sie-es der dritten Person ist verklungen.«242 Über Schöpfung und Offenbarung wölbt sich nun die Erlösung, das »Wir«, die Zeitform der Zukunft – aber eben nicht nur künftigen, sondern ewig vorwegnehmbaren Zukunft, die in den anderen Zeitformen »fast nebenbei« auftritt. 243 Statt der erzählenden Schöpfung und der Zwiesprache der Offenbarung, erscheint die Grammatik der Erlösung als »strophisch sich steigernder Gesang«;244 ein Gesang, der nur um der Gemeinsamkeit des Singens willen gesungen wird, nicht um einen Inhalt mitzuteilen. Im »Unisono des ›Wir‹« wächst die Welt der Erlösung. Ob Martin Buber Rosenzweigs Stern der Erlösung vor der Endfassung seines Buchs Ich und Du ausführlich gelesen oder nur flüchtig überblät-

240. Rosenzweig an Rudolf Ehrenberg, 4. Sept. 1918, Rosenzweig, Briefe, S. 346. 241. Rosenzweig an Rudolf Hallo, 4. Feb. 1923, Rosenzweig, Briefe, S. 475. Vgl. auch ders., Das Neue Denken, S. 152: »[D]och verdanke ich diese für das Zustandekommen meines Buches entscheidende Beeinflussung […] Eugen Rosenstock, dessen jetzt gedruckte ›Angewandte Seelenkunde‹ mir, als ich zu schreiben begann, schon anderthalb Jahre im ersten Entwurf vorlag.« 242. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, S. 207. 243. Vgl. ebd., S. 261. 244. Vgl. ebd., S. 258.

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tert hat, wie er später meinte, ist nicht vollständig geklärt. Buber selbst datierte den ersten Entwurf seines Buches auf den Frühling 1916, die erste Niederschrift auf den Herbst 1919 und die endgültige Fassung auf den Frühling 1922 und hielt noch später an einer »Lese-Askese« während seiner Arbeit am Hauptteil von Ich und Du fest, die erst mit der Lektüre der zwischen 1918 und 1919 verfaßten Pneumatologischen Fragmente (1921) des katholischen Philosophen Ferdinand Ebners (18821931) gebrochen wurde. 246 Ebners Fragmente waren zuerst in der von Ludwig von Ficker (1880-1967) herausgegebenen Zeitschrift Der Brenner erschienen, die ihrerseits wiederum 1914 in Ludwig von Wittgenstein (1889-1951) einen unerwarteten, durch Karl Kraus (1874-1936) vermittelten Mäzen gefunden hatte. 247 Im Brenner lernte Buber auch die Fragmente kennen, ehe er sich, vermutlich 1921, das Buch schicken ließ, um es, vor der Niederschrift des dritten Teils von Ich und Du zu lesen.248 Auch bei Ebner zeigte sich derselbe charakteristisch johanneische Ausgangspunkt, der sich von Hamann bis in den Patmoskreis verfolgen läßt. 245. Siehe hierzu bes. R. Horwitz: Buber’s Way to »I and Thou«: The Development of Martin Buber’s Thought and his »Religion as Presence« Lectures, Philadelphia 1988, S. 161-174. 246. Vgl. den Anhang zur ersten Ausgabe von Ich und Du (1923), S. 139 und Buber, Zur Geschichte des dialogischen Prinzips, W I, S. 298 f. 247. Vgl. L. v. Ficker, Denkzettel und Danksagungen. Aufsätze, Reden, München 1967, bes. S. 201-204. Der Brief Wittgensteins an Ficker vom 14. Juli 1914 befindet sich in: Ludwig von Ficker, Briefwechsel 1909-1914, hrsg. v. I. Zangerle et al., Salzburg 1986, S. 231 f. Siehe auch Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, S. 217. Zur Innsbrucker Zeitschrift Der Brenner siehe S. Klettenhammer und E. Wimmer-Webhofer, Aufbruch in die Moderne: Die Zeitschrift Der Brenner 19101915, Innsbruck 1990 und W. Methlagl, E. Sauermann und S. P. Schleichl (Hrsg.), Untersuchungen zum »Brenner«. Festschrift für Ignaz Zangerle zum 75. Geburtstag, Salzburg 1981. Über Karl Kraus und den Brenner siehe G. Stieg, Der Brenner und die Fackel: Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte von Karl Kraus, Salzburg 1976 (Brenner Studien, Bd. 3). Zu Kraus und Ebner siehe ebd., S. 223-234. 248. Vgl. Buber, Zur Geschichte des dialogischen Prinzips, W I, S. 298. Bei den von Buber gelesenen Fragmenten Ebners handelte es sich um die im April 1920 veröffentlichten Fragmente 1 und 2 (Der Brenner, 6. Folge, Heft 4, S. 141-151) unter dem späteren Titel Das Wort und die geistigen Realitäten (vgl. Ebner, Schriften I, S. 84-95); Wort und Menschwerdung (Heft 5, Juni 1920, S. 324-336), worin die Grundgedanken Ebners dialogischer Philosophie ausgedrückt waren, etwa: »Jedem persönlichen Verhältnis liegt das Verhältnis des Ichs zum Du zugrunde.« (Ebd., S. 324); »Das Ich hat keine ›absolute‹ Existenz, denn es existiert nur im Verhältnis zum Du.« (Ebd., S. 324) und »Das Urwort der Sprache« (Heft 6, Aug. 1920, S. 563-586). In dieser Jahrgang des Brenner zeichnete sich auch ein gewisser Johanneismus ab: So bildete den Auftakt zu Heft 5 (Juni 1920, S. 321-323) das 18. Kapitel der Offenbarung Johannis nach der Lutherübersetzung und in Heft 8 (Jan. 1921, S. 563-589) veröffentlichte Ebner seine Glossen zum Introitus des Johannes-Evangeliums. Der Brenner stellte also ohne Zweifel eine wichtige Quelle für das Sprachdenken Bubers dar.

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»Nach dem Johannesevangelium ist alles Sein – alles, was gemacht ist – durch das Wort gemacht, aus dem Wort, das im Anfang war, hervorgegangen.«249 »Gott […] schuf den Menschen, indem er zu ihm sprach,« heißt es im dritten Fragment: »Er schuf ihn durch das Wort […]. Gott schuf den Menschen heißt nichts anderes als: er sprach zu ihm. Er sprach ihn schaffend zu ihm: Ich bin und durch mich bist du.« 250 So war, seinem geistigen (»pneumatologischen«) Ursprung in Gott nach, der Mensch die »zweite Person« der Schöpfung, »das Du des ihn schaffenden göttlichen Wortes«. 251 Aus dem Schöpfungsverhältnis allein also kann Ebner sagen: »Das Ich hat keine ›absolute‹ Existenz, denn es existiert nur im Verhältnis zum Du.« 252 Wenn umgekehrt der Mensch sein »wahres Du« anspricht, so überwindet er seine »Icheinsamkeit«: »Im Wort tritt der Mensch aus der Icheinsamkeit seiner Existenz heraus in ein Verhältnis zum Du und in diesem erst hat er sein wirkliches geistiges Leben.«253 Doch ist dem Menschen das »Urwort« der Schöpfung in Vergessenheit geraten und er muß nun, vom Augenblick des Abfalls an, »die Sprache neu lernen, indem er sich das Wort – in der dunklen Erinnerung an jenes erste […] – neu erschuf […]. Die Wortschöpfung war des Menschen wahre anámnesis seines Ursprungs im Geist, in Gott.« 254 Im Akt des Sprechens erinnert sich der Mensch des Urworts und gelangt über die Sprache, in die ihn die Schöpfung gestellt hat, zurück zum Ursprung des eigenen Angesprochenwerdens. Existenz und Ansprache sind somit auch bei Ebner fest verbunden. Wie die Angesprochenheit des Menschen dessen Person schafft, so bezeugt der Mensch in seiner Ansprache Gottes – die nur eine Ansprache des »Du« sein kann – dessen Existenz. Es handelt sich, wie bei Buber, nicht um eine Ontologie des Seins an sich, sondern um eine Ontologie der Relation: »Was für eine Bewandtnis aber hat es nun mit dem eigentlichen Ich? Die Sache ist sehr einfach: dessen Existenz liegt nicht in seinem Bezogensein auf sich selbst, sondern […] in seinem Verhältnis zum Du.« 255 An dieser Stelle muß Ebner die zeitlose Seinsphilosophie, das mathematische Denken verlassen, denn das Wort drückt 249. F. Ebner, »Das Wort«, in: ders., Schriften I (Fragmente, Aufsätze, Aphorismen), München 1963, S. 950. Zur Darstellung Ebners siehe J. Jagiello, Vom ethischen Idealismus zum kritischen Sprachdenken: Ferdinand Ebners Erneuerung des Seinsverständnisses, München 1997 und A. K. Wucherer-Huldenfeld, Personales Sein und: Einführung in die Grundgedanken Ferdinand Ebners, Wien 1985. 250. F. Ebner, »Das Wort und die geistigen Realitäten«, Schriften I, S. 96. 251. Ebd., S. 97. 252. Ebd., S. 96. 253. Ebd., S. 144. 254. Ebd., S. 162. 255. Ebd., S. 84.

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sich nur »unmittelbar in der Aktualität seines Ausgesprochenwerdens« aus, in der Beziehungshaftigkeit von Personen: »Die mathematische Erkenntnis in ihrer letzten Konsequenz ist Aufhebung des Wortes,« steht im zwölften Fragment. 256 Somit ist das Problem der Sprache überhaupt kein philosophisches, ja die Philosophie, die den Hebel an den »archimedischen Punkt« der Sprache setzt, »hebt sich am Ende selbst aus den Angeln.«257 Die verblüffende Nähe Ebners zum Sprachdenken Rosenstock-Huessys, Rosenzweigs und besonders Martin Bubers ließe sich durch viele Stellen belegen.258 Buber selbst sprach von einer »fast unheimlichen Nähe«259 , wie auch Ebner die »außerordentliche Gedankennähe beider Bücher« hervorhob, 260 während er allerdings »alles, was bisher über Ich und Du geschrieben wurde, von Martin Buber, Gogarten, ganz und gar unzulänglich« fand. 261 Zwischen Buber und Ebner ist weder eine Korrespondenz noch eine jede Begegnung bekannt. Was Buber von Ebner wußte, wußte er aus dessen Schriften oder durch Vermittlung Franz Rosenzweigs, der seinerseits über Hans Ehrenberg, dem einzigen aus dem unmittelbaren Freundeskreis, der mit Ebner persönlich verkehrte, unterrichtet wurde. 262 Und auch hier sind die Fragen direkter Zusammenhänge noch offen. Gesichert ist, daß sich Bubers Übergang zum eigentlichen Sprachdenken in der Periode zwischen 1921 und 1922 ereignete, inmitten eines neuen Diskurses zur Sprache und einem Bemühen, die Welt grammatisch darzustellen – etwa als »leibhaftige Grammatik« bei Rosenstock-Huessy, als »pneumatologische Grammatik« bei Ferdinand Ebner, oder als »philosophische Grammatik« bei Wittgenstein. Bubers eigener »linguistic turn« war also mit den Denkformen der Zeit in intimster Berührung 256. Ebd., S. 224. 257. Ebd., S. 125; 191. 258. Siehe dazu R. Horwitz, Buber’s Way to »I and Thou«, S. 143-160 und dies., Ferdinand Ebner als Quelle von Martin Bubers »Ich und Du«, in: Methlagl et al., Untersuchungen zum »Brenner«, S. 283-293; dies. Ebner und Buber, Rosenzweig und Ehrenberg, in: W. Methlagl, P. Kampits et al., Gegen den Traum vom Geist: Ferdinand Ebner (Beiträge zum Symposion Gablitz 1981), Salzburg 1985, S. 97-105. 259. Buber, Geschichte des dialogischen Prinzips, W I, S. 298. 260. F. Ebner, Nachwort zur Mitarbeit am Brenner, Schriften I, S. 584. 261. Ebner an von Ficker, 7. Aug. 1929, Schriften III, S. 650. 262. Vgl. Horwitz, Ebner und Buber, Rosenzweig und Ehrenberg, S. 102 f. Zum Verhältnis Rosenzweig-Ehrenberg siehe W. Licharz/M. Keller (Hrsg.), Franz Rosenzweig und Hans Ehrenberg. Bericht einer Beziehung, Frankfurt a. M. 1986 (Arnoldshainer Texte, Bd. 42). Zum Leben Ehrenbergs siehe G. Brakelmann, Hans Ehrenberg: Ein judenchristliches Schicksal in Deutschland, Bd. 1 u. 2, Waltrop 1997 (Schriften der Hans Ehrenberg Gesellschaft, Bd. 3 u. 4) und ders. (Hrsg.), Hans Ehrenberg. Autobiographie eines deutschen Pfarrers, Waltrop 1999 (Schriften der Hans Ehrenberg Gesellschaft, Bd. 5).

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und war selbst ein Produkt der spezifischen Stimmung nach dem ersten Weltkrieg. Als Adolf Stöhr sein bekanntes, ablehnendes Gutachten über Ebners Fragmente schrieb, drückte er eben dies aus: »Es macht sich auch deutlich darin der Eindruck des politischen und kulturellen Zusammenbruches auf den Verfasser fühlbar. Aus diesem Werk spielt die Abkehr von Wissenschaft, Philosophie, Kunst und Kultur überhaupt und das Verlangen nach einer persönlichen Beziehung des menschlichen Ich zu seinem einzig echten Du, d. i. zu Gott.« 263 Das Buch, fuhr Stöhr fort, entspreche dem »Geschmack unserer jetzt zu jeder Art Okkultismus und Mystik neigenden Gesellschaft«, sei jedoch philosophisch »glattweg unmöglich«. Stöhr hätte sich vermutlich ähnlich über Bubers Ich und Du geäußert, übersah dabei jedoch, daß sich das Sprachdenken gerade gegen die Mystik stellte – bei Buber wie bei Ebner – und daß die philosophische »Unmöglichkeit« gerade der Ausgangspunkt des Sprachdenkens war. Während die Sprachkritik (auf deren Ahnherrn Mauthner sich übrigens auch Ebner berief) und Erkenntniskritik der Jahrhundertwende in ihren radikalsten Folgerungen nur den Ausweg der Sprachlosigkeit und Empfindungsmystik kannte, kehrte das Sprachdenken den Weg der Folgerung um und betrachtete die Sprache nicht mehr als Hindernis der Erkenntnis, sondern – genau wie die Kritik – als Erkenntnis selbst. Damit zog das Sprachdenken die letzte Konsequenz aus der Sprachkritik: Es wollte gerade nicht Sprachphilosophie, sondern eben philosophisch »unmöglich« sein: Denn wenn es uns nicht gelingt, das Denken von der Sprache zu trennen, wie die Kritik lehrte, dann müssen wir eben mit der Sprache denken – und dies bedeutet, in den grammatischen Formen unserer Sprache und in ihrem eigenen Zeitfluß. Diese Einsicht begleitete die Sprachdenker, deren Buber am nächsten stehende wir oben skizziert haben. Ihr »neues Denken« war bewußt gegen den Erkenntnisbegriff des Idealismus und der Transzendentalphilosophie gerichtet und von einem neuen Vertrauen erfüllt, die vom Krieg zerrüttete Gesellschaft durch die Sprache zu heilen.

9. Übersetzung und Zweisprachigkeit »Übersetzen ist ›angewandtes Sprachdenken‹,« wurde einmal treffend bemerkt. 264 Bubers Erfahrungen mit dem Übersetzen und der Mehrspra263. Abgedruckt im Vorwort zu Ebners Das Wort und die geistigen Realitäten, Schriften I, S. 79; 80. 264. Schaeder, Hebräischer Humanismus, S. 284.

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chigkeit überhaupt reichten, wie oben ausgeführt, bis in seine frühe Kindheit zurück. Unter seinen ersten Versuchen an der literarischen Übersetzungstätigkeit – wenn man von den frühen »Nacherzählungen« chassidischer Texte absieht – befindet sich die Verdeutschung des Arbeiterdramas Eisik Scheftel des jiddischen Schriftstellers David Pinski (1872-1959), die 1905 im vom Buber mitgeführten Jüdischen Verlag erschien (siehe Kommentar, S. 150 f. in diesem Band). In dem 1904 verfaßten Geleitwort reflektierte der junge Buber nicht nur über das Jiddische als einer »vollwertigen Sprache«, sondern auch über seine Rolle als Übersetzer und sein Bemühen, »die Redewendungen und Satzordnungen des Originals getreu wiederzugeben und so wenig wie möglich das Jüdische zu ›verdeutschen‹ […]. Hier redet das Volk selbst.« (Geleitwort, siehe S. 74 in diesem Band). Es liegt nahe, daß Bubers Spracherfahrung im Theater, auf die er in seinen Jugenderinnerungen mehrmals zurückkommt, sein Verständnis vom Übersetzen grundlegend geprägt hat. Wie er im Theater das »gesprochene Wort« in seiner natürlichsten Form zu vernehmen meinte, so las er wohl auch Pinskis Drama als gesprochenen Text, als »Rede« eines Volkes. Das seit der Aufklärung im Westen und der Hebräischen Renaissance des späten neunzehnten Jahrhunderts immer mehr polemisierte Jiddische 265 erschien Buber als die Volkssprache schlechthin, als die Sprache des jüdischen »Proletariats«. Den Akteuren des Dramas deutsche Hochsprache in den Mund zu legen, hätte nicht nur gegen den Berliner Naturalismus verstoßen, dem Buber, nun in Berlin lebend, ausgesetzt war, sondern auch gegen eine neue Sensibilität für das jiddische Kulturgut, dem sich die beginnende jüdische Renaissancebewegung der Jahrhundertwende rapide zu öffnen begann.266 So erschien eine längere Übersetzung David Pinskis bereits im ersten Jahrgang (1901) der von Davis Trietsch (1870-1935) und Leo Winz in Berlin herausgegeben Zeitschrift Ost und West, 267 gemeinsam mit einem Aufsatz Fabius Schachs, »Der deutsch-jüdische Jargon und seine Litteratur«, in dem es hieß: »Der Jargon ist thatsächlich die gegen-

265. Zur Rezeption des Jiddischen in der deutschen Aufklärung siehe J. A. Grossman, The Discourse on Yiddish in Germany from the Enlightenment to the Second Empire, Rochester, NY, 2000. 266. Zur Entdeckung des Ostjudentums siehe P. Mendes-Flohr, »Fin-de-Siècle Orientalism, the Ostjuden and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation«, in: ders., Divided Passions: Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991. Zum Sprachendiskurs der jüdischen Renaissance siehe M. Brenner, The Renaissance of Jewish Culture in Weimar Germany, New Haven/London 1996, bes. S. 185-211. 267. D. Pinsky, »Bergab«, übers. v. Theodor Zlocisti, in: Ost und West, Jg. 1, Heft 2 (Feb. 1901), S. 133-146.

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wärtige jüdische Volkssprache par excellence.« Diese Volkssprache bei den Kulturvölkern »populär« zu machen, nämlich durch eine »geregelte Grammatik und lateinische Buchstaben«, wurde zum Ziel des Autors: Der »Jargon« sollte »zu einer gesunden Sprache eines gesunden Volkes werden«. 269 Auch Buber ging es um die Erhaltung der »Volkssprache« im Rahmen einer weitgreifenden Erneuerung jüdischer Gesamtkultur; nur war es für ihn gerade die Form des Jiddischen, in der sich Authentizität der Kultur behauptete, da in der Form sich die Gesprochenheit manifestierte, und in der Gesprochenheit die Wiederbelebung eines verschütteten Volksgutes. Hören wir also Beile, die Frau Eisik Scheftels, im ersten Akt in Bubers Übertragung sprechen: »Wievielmal hab ich Dir gesagt, daß Du sollst den Teller unterm Schrank nicht anrühren!« Worauf Gischinke, ihre Tochter, erwidert: »Ich will mir nehmen, nur ein Stückel nehmen, ein klein Stückel.«270 Der Entschluß, die dem Jiddischen eigene Grammatik im Deutschen nachzubauen, das heißt, der Form nach zu übersetzen mindestens ebenso sehr wie dem Inhalt nach, sollte zum Leitgedanken Bubers späterer Übersetzungsarbeit werden. Als er 1925 von dem jungen Verleger Lambert Schneider (1900-1970) eingeladen wurde, an einer »erschwinglichen« Bibelausgabe mitzuarbeiten,271 begann sich Buber auch mit der Theorie des Übersetzens zu beschäftigen. Um Schneider zu verdeutlichen, worum es ihm bei der Revision Luthers und dann Neuübersetzung des biblischen Texts ging, sandte er ihm nicht nur ein Exemplar der Angewandten Seelenkunde Rosenstock-Huessys, sondern, offensichtlich auf Ferdinand Ebner anspielend, auch einen Hinweis über den »pneumatischen Realismus«. 272 Seine Übersetzungsarbeit stand also noch unter dem Eindruck des Sprachdenkens der frühen zwanziger Jahre. Die 1925 begonnene und erst 1962 vollendete Bibelübersetzung geschah bis 1929 in enger Zusammenarbeit mit Franz Rosenzweig. Auch Rosenzweig hatte bereits Erfahrungen als Übersetzer gesammelt, ja seine ganze »›literarische Entwicklung‹ seit 1920« nannte er ein »Übersetzen«. 273 Aber schon in einem Brief an Rudolf Ehrenberg von 1917 findet sich eine, an Hamann erinnernde, Stelle: »Das Übersetzen ist überhaupt 268. F. Schach, »Der deutsch-jüdische Jargon und seine Literatur«, in: Ost und West, Jg. 1, Heft 3 (April 1901), S. 178-190. 269. Ebd., S. 190. 270. D. Pinski, Eisik Scheftel. Ein jüdisches Arbeiterdrama in drei Akten, übers. v. Martin Buber, Berlin 1905, S. 20. 271. Vgl. Lambert Schneider an B., 6. Mai 1925, B II, S. 218. 272. Vgl. Lambert Schneider an B., 18. Juni 1925, B II, S. 223 f. 273. Vgl. Rosenzweig an B., 25. Okt. 1925, Rosenzweig, Briefe, S. 546.

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das eigentliche Ziel des Geistes; erst wenn etwas übersetzt ist, ist es wirklich laut geworden, nicht mehr aus der Welt zu schaffen. […] Entsprechend auch das Übersetzen von Mensch zu Mensch.« 274 Seine Gedanken zur Aufgabe des Übersetzens legte er in dem zwischen 1922 und 1923 verfaßten Nachwort zur Übertragung der sechzig Hymnen des Jehuda Halevi (1086-1140) aus dem Hebräischen nieder. »Der Übersetzer macht sich zum Sprachrohr der fremden Stimme, die er über den Abgrund des Raumes oder der Zeit vernehmlich macht,« schrieb Rosenzweig dort. 275 Seine Übersetzung wollte er gerade nicht als »Eindeutschung« verstanden wissen, sondern als »Erneuerung der Sprache«, die in der »schöpferischen Leistung des Sprechens selber« lag. Als »Sprachrohr« einer fremden Stimme wird der Übersetzer zum Sprecher und, da er im Sprechen nicht länger aus dem »Deutsch, das schon da ist« schöpfen kann, selbst zum »Sprachschöpfer«: »Die Sprache hat, nachdem er gesprochen hat, ein andres Gesicht als zuvor.« 276 Damit eine solche Erneuerung der Sprache möglich ist, setzte Rosenzweig eine »wesenhafte Einheit aller Sprachen« voraus, in der sich nicht nur das »Kann« des Übersetzens, sondern auch das »Gebot der allmenschlichen Verständigung« begründete. Die Rückführung der Sprachen in die Sprache wurde so zum Ziel des Übersetzens, aber auch zum Ziel der Menschheit. Das Bild des Sprachrohrs begleitete Buber und Rosenzweig in ihre gemeinsame Bibelübersetzung. Sie faßten den Text als ursprünglich gesprochenes Wort auf, das nicht zu lesen, sondern zu »hören« war. Dem Hören aber erschien der Text gerade vorgelagert. »Das Buch, statt dem Wort zu dienen, wandelt sich zur wortbeherrschenden, wortverwehrenden, zur ›heiligen Schrift‹.« 277 Aus der »Schriftwerdung« heraus führte nur die »Mündlichkeit« in die »Rettung des Menschen«: »Ein Mund mag noch so erbarmungslos sein, er ist doch von Fleisch und nicht von Papier.« 278 Gelesen als eine in die Zeitlosigkeit geschriebene Mitteilung von Inhalten ist der Text nur eine Akkumulation von »Was«. Für Buber aber ließ sich kein »ursprüngliches Was« von seinem »Wie« ableiten, 279 ein Problem, 274. Rosenzweig an Ehrenberg, 1. Okt. 1917, Rosenzweig, Briefe, S. 247. 275. F. Rosenzweig, Jehuda Halevi. Fünfundneunzig Hymnen und Gedichte, in: ders., GS IV. 1, S. 3. Zum historischen und theoretischen Hintergrund der Halevi Übersetzung siehe B. E. Galli, Franz Rosenzweig and Jehuda Halevi: Translating, Translations, and Translators, Montreal/Kingston 1995. 276. Rosenzweig, Jehuda Halevi, S. 3. 277. F. Rosenzweig, Die Schrift und das Wort, in: ders., GS III, S. 777. 278. Ebd. S. 778. 279. Vgl. Buber, Die Sprache der Botschaft, W II, S. 1097 f.: »[N]irgends kann hier auf ein ursprüngliches Was zurückgegangen werden, das dieses Wie empfangen habe […].« Vgl. ders., Über die Wortwahl in einer Verdeutschung der Schrift, W II, S. 1112: »Als

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das auch sein Offenbarungsverständnis betraf und als implizite Kritik des Gesetzesbegriffs gesehen werden muß. 280 In seiner Auffassung der Schrift als »echte Gesprochenheit« wurde die Frage von Inhalt und Form daher bedeutungslos, die Tatsache der Gesprochenheit aber zum Lautgeber der Übersetzung. »Was […] im Sprechen entstanden ist, kann nur im Sprechen je und je wieder leben, ja nur durch es rein wahr- und aufgenommen werden.« 281 Wie schon in seinen früheren Nachdichtungen chassidischer Texte sah Buber einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Übersetzens und der mündlichen Überlieferung. »Ich habe sie nicht übertragen, wie irgend ein Stück Literatur,« schrieb Buber von der Überlieferung seines Baal Schem, »[…] ich habe sie neu erzählt als ein Nachgeborener.« 282 In der »Kette der Erzähler« stehend, fühlte Buber »Blut und Geist« der alten Erzähler in ihm »neu werden«, so daß er selbst, als Sprachrohr eben, zum unmittelbaren Erzähler der »alten Geschichte« wurde. Das Neuerzählen verstand er als eine Wiedererweckung des Erzählaktes, in dem sich der Gehalt eines geistigen Ursprungs verlebendigte. Der Text mußte – wie bei Dilthey – nacherlebt, das heißt, als Text überwunden und erlebend erzählt werden. 283 Doch war diese Methode des erzählenden Übersetzens auf die Verdeutschung der Bibel nur bedingt anwendbar. Denn hier – wie in der Dichtung – war es der Urtext selbst, in dem sich die Sprache als gesprochen manifestierte. Und so konnte Übersetzen hier nicht ein Wiedererzählen bedeuten, sondern eigentlich nur ein »Nachsprechen«: »Unter biblischem Wort aber ist hier nicht dessen Gehalt, sondern das Wort selber zu verstehen. Die eigentliche Wirkung tut nur das ursprüngliche Wort im Geheimnis seiner Gesprochenheit: wenn man es so nachspricht, das es jetzt und hier gesprochen ist.« 284 Die besondere Eigenschaft des biblischen Texts sah Buber darin, daß in ihm die »Stimme des sprechen-

280.

281. 282. 283. 284.

ob eine echte Botschaft, ein echter Spruch, ein echter Gesang ein von seinem Wie ohne Schaden ablösbares Was enthielte.« »Offenbarung ist nicht Gesetzgebung. Für diesen Satz würde ich in einer jüdischen Weltkirche mit Inquisitionsgewalt hoffentlich zu sterben bereit sein.« B. an Rosenzweig, 3. Juni 1925, B II, S. 222. Worauf Rosenzweig erwiderte: »So ist Offenbarung sicher nicht Gesetzgebung; sie ist überhaupt nur – Offenbarung. Sie hat unmittelbar nur sich selbst zum Inhalt […].« Rosenzweig an B., 5. Juni 1925, B II, S. 223. Siehe auch D. Mach, »Martin Buber und die Jüdische Bibel«, in: Licharz/Schmidt, Bd. 1, S. 198-238. Buber, Über die Wortwahl, W II, S. 1114. Buber, Die Legende des Baal Schem, S. VII. Zu Bubers Hermeneutik und ihrem Einfluß durch Dilthey siehe S. Kepnes, The Text as Thou: Martin Buber’s Dialogical Hermeneutics and Narrative Theology, Bloomington 1992, bes. S. 3-18. Buber, Biblischer Humanismus, W II, S. 1089 f.

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den Menschen […] bleibt wie sie ist«, nicht beiläufig, sondern »ursprünglich«.285 Darin lag für ihn der wesentliche Unterschied zur Literatur der griechischen Antike und des Abendlandes überhaupt, wo das Wort »Werk« und die Sprache »Gebild« ist. 286 »Bildung« im biblischen Sinne konnte daher nicht die Rezeption von »geschmiedeten« Sprachgebilden bedeuten (zu denen Buber auch die platonischen Dialoge rechnete), sondern nur ein »Empfangen« der Sprache als ein Geschehen – »als das Geschehen in der Gegenseitigkeit.« 287 In den Dienst dieses Sprachgeschehens waren Rhythmus, Leitwörter, Etymologie und das Atemschöpfen 288 des natürlichen Sprechens nachempfindende Übersetzung der Bibel gestellt. Als nach Rosenzweigs Tod Buber allein mit dem Werk fortzufahren hatte, erwog er die Mitarbeit seines Schwiegersohns Ludwig Strauß, die jedoch nicht zustande kam. 289 Auch Strauß hatte sich bereits länger mit dem Übersetzen befaßt. Seine Übersetzung Ostjüdischer Liebeslieder wurde 1920 als Buch gedruckt, ein Jahr später verdeutschte Strauß einen Gedichtband von Chaim Nahman Bialik (1873-1934); 1934 erschienen seine Übertragungen aus dem »jüdisch-deutschen Maaßebuch«, 1936, als Strauß bereits nach Palästina ausgewandert war, die Übersetzung chassidischer Erzählungen des Dichters Jitzchak Leib Perez. 290 Unmittelbar nach seiner Ankunft in Palästina entwickelte sich Strauß zu einem zweisprachigen Dichter und fand eine aus der Wechselwirkung des Hebräischen und Deutschen, eigene Form der Poesie. Das Phänomen der »authentischen Zweisprachigkeit«, das sich eben auch mit der Frage des Übersetzens berührte, beschäftigte Buber noch später (siehe S. 89 f. und Kommentar, S. 162 f. in diesem Band). Nirgendwo als in seiner Bibelübersetzung wurde die Wechselwirkung der beiden Sprachen deutlicher. In der Verdeutschung des Hebräischen lag zugleich eine Hebraisierung des Deutschen, und über allem der Versuch, eine Sprache zu schaffen, die sich im akustischen Lesen immer wieder »erneuern« konnte. Buber setzte nach seiner Emigration nach Palästina in 1938 seine 285. 286. 287. 288.

Ebd., S. 1090. Vgl. ebd., S. 1091. Ebd. Vgl. F. Rosenzweig, Die Schrift und das Wort, GS III, S. 779: »Der Atem ist der Stoff der Rede; so ist das Atemschöpfen ihre natürliche Gliederung.« 289. Vgl. Ben-Chorin, Zwiesprache mit Martin Buber, S. 143. 290. Ostjüdische Liebeslieder, Übertragungen jiddischer Volksdichtung von L. Strauß, Berlin 1920; Ch. N. Bialik, Gedichte, aus dem Jüdischen übertragen von L. Strauß, Berlin 1921; Geschichtenbuch, aus dem jüdisch-deutschen Maaßebuch ausgewählt und übertragen von L. Strauß, Berlin 1934; J. L. Perez, Chassidische Erzählungen, aus dem Jiddischen übertragen von L. Strauß, Berlin 1936.

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schriftstellerische Tätigkeit vorwiegend in deutscher Sprache fort, während seine Bücher unmittelbar nach dem Krieg wieder in deutschen Verlagen erschienen und er selbst 1947 seine »starke Bindung an die deutsche Sprache, und damit auch an den echten deutschen Leser, soweit er eben vorhanden ist,« erneut betonte. 291 Ein Bekenntnis wie dieses war im entstehenden Israel, wo nach dem gewaltsamen Zusammenbruch der deutsch-jüdischen Existenz »eine gewisse Tendenz zur Ablehnung der deutschen Sprache bestand«,292 keine Selbstverständlichkeit. Im Februar 1938, ein Monat vor Bubers Emigration, mahnte ihn der bereits in Jerusalem lebende Prager Philosoph Hugo Bergmann (1883-1975), »der deutschen Sprache endgültig ab[zu]sagen« und von nun an in einem »einfachen Hebräisch« zu schreiben: denn »ohnehin hat der Reichtum Ihres Deutschen Sie oft verführt […] und Ihrer Wirkung, zumal in dieser harten Zeit, ungeheuer geschadet.« 293 Doch Buber weigerte sich, »die Tür der Möglichkeiten hinter sich zuzuschlagen«, auch wenn er, nach anfänglichen Schwierigkeiten, 294 zunehmend in hebräischer Sprache lehrte und schrieb. Für ihn galt weiterhin, was er 1919 ausgesprochen hatte: »Wir, die wir Orientalen und Europäer sind, haben wahrlich Eignung und Beruf, das Tor des Geistes und des Lebens in der von der Geschichte aufgerichteten Mauer zwischen dem erhabenen Mutterkontinent und seiner überreichen und zerfahrenen Halbinsel zu werden.« 295

291. B. an Salman Schocken, 17. Juli 1947, B III, S. 138. In diesem Jahr traf Buber auch im Zuge einer Europareise mit dem Verleger Lambert Schneider zusammen, dessen Verlagshaus den wichtigsten Ansatz zur Wiederveröffentlichung Bubers im Nachkriegsdeutschland machen sollte (vgl. ebd., S. 138). Ähnlich schrieb Buber 1945 an Hans Trüb, »daß meine Abgeschnittenheit von Deutschland mir schwer zu schaffen machte und noch macht.« 20. Dez. 1945, B III, S. 96. 292. C. D. Wormann, »German Jews in Israel: Their Cultural Situation since 1933«, in: LBIYB 15 (1970), S. 87. 293. Bergmann an B., 4. Feb. 1938, B II, S. 654. 294. So zögerte Buber noch im April 1939 ohne Redemanuskript zu sprechen: »Nur daß es mir noch zweifelhaft ist, ob ich in einer solchen Aussprache, also improvisierend, hebräisch schon das Eigentlichste sagen kann.« (B. an Strauß, 25. April 1939, BBS, S. 230). Dies stellte anfangs auch eine Herausforderung an Bubers Lehrtätigkeit dar. An Ernst Simon schrieb er Ende 1937 seine Bedenken zur »Hebraizität meiner Vorlesungen« (vgl. B. an Simon, 5. Nov. 1937, B II, S. 647). Seine frühen Redemanuskripte sandte Buber zur Übersetzung an den hebräischen Schriftsteller Zwi Woislavsky (1889-1957), der 1934 nach Palästina ausgewandert war. Allerdings war Buber weder mit dieser Lösung noch mit seinen eigenen Versuchen, hebräisch zu schreiben, zufrieden: »Ich würde also entweder dauernd zur Veredlung des Halbprodukts auf W[oislavsky] angewiesen sein oder ich würde eines schönen Tages ›meinen Stil ändern‹ müssen.« Ebd., S. 647. 295. Buber, Vor der Entscheidung, JuJ, S. 500.

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10. Sprache in Bubers Spätphilosophie Bubers Spätphilosophie, womit die Phase beginnend in den frühen vierziger Jahren bezeichnet werden soll, hängt organisch mit seiner früheren Philosophie, besonders der dialogischen Konzeption zusammen. Bedingt durch seine Lehrtätigkeit am Soziologischen Institut der Jerusalemer Hebräischen Universität von 1938 bis zu seiner Emeritierung in 1951 läßt sich jedoch eine verstärkte Beschäftigung mit soziologischen und anthropologischen Themen feststellen. In seiner 1961 erstmals veröffentlichten »Philosophischen Rechenschaft« wollte Buber sein Denken überhaupt als ein »anthropologisches« verstanden wissen, im Sinne einer »integrativen Anthropologie«, die sich mit der ganzen Leib-Seele-Einheit des Menschen befaßte. 296 Sowohl Soziologie als auch Anthropologie hatten für Buber »den Menschen mit dem Menschen« zum Gegenstand, die eine von der Gesamtheit der »Beziehungsfülle« her gesehen, die andere vom Individuum nach seiner »Beziehungsmöglichkeit« her. 297 Die der Erkenntnis jedoch strenggenommen entzogene Sphäre des »Zwischen«, in der sich diese Beziehungen ereigneten, machte nicht nur den Gegenstand beider Disziplinen grundlegend problematisch, sondern auch die angewandte Terminologie: »Ich habe zuweilen mein eigener Interpret sein müssen,« schrieb Buber in seiner Rechenschaft (S. 146 in diesem Band). Zwei seiner bedeutendsten Aufsätze zum Thema Sprache ordnete Buber der »philosophischen Anthropologie« in dem von ihm verstandenen Sinn zu. Der Vortrag »Dem Gemeinschaftlichen folgen« (S. 103 f. in diesem Band) war ursprünglich als Kapitel eines »größeren AnthropologieBuches« gedacht (vgl. Kommentar, S. 172 f.) und erschien erstmals 1956 in der Neuen Rundschau. Ein Abschnitt daraus, der sich mit den Meskalin Experimenten des englischen Romanciers Aldous Huxley (18941963) beschäftigte, erschien auf Hebräisch unter dem Titel »Der Mensch auf der Flucht«. Gemeinschaft und Flucht waren die entgegengesetzten Themen des Vortrags. Am Beispiel Herkalits (um 500 v. d. Z.) suchte Buber die »Gemeinschaftlichkeit« des logos nachzuzeichnen im Gegensatz zur Einsamkeit der im Traum- und Rauschzustand zu sich gekommenen Seele. Der Vortrag, über dessen Entstehung und Einfluß durch den Schweizer Psychiater Ludwig Binswanger (1881-1966) im Kommentarteil dieses Bandes Auskunft gegeben wird, distanzierte sich nicht nur von den Bewußtseinstheorien Sigmund Freuds (1856-1940), Carl Gu296. Vgl. Buber, Antwort (Schilpp/Friedman, S. 600). Zur »integrativen Anthropologie« siehe S. and B. Rome, Philosophical Interrogations, New York/Chicago 1964, S. 59. 297. Buber, Das Problem des Menschen, W I, S. 407.

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stav Jungs (1875-1961) oder Carl Rogers (1902-1987), sondern auch vom Heraklitverständnis Martin Heideggers (1889-1976), das Buber für »absolut falsch« hielt (Kommentar, S. 174). Auch hier stellte die »Gesprochenheit« der Sprache den Ausgangspunkt dar, doch war sie nun vom intimen Verhältnis aus Anrede und Rede auf das »Wir« erweitert. Die Sprache der Wachenden stiftet den gemeinsamen Kosmos, die Versenkung der Träumenden nur die Welt einer Illusion, argumentierte Buber in einer impliziten Polemik gegen die Psychoanalyse. Explizit hatte diese Polemik Eugen Rosenstock-Huessy in seiner Soziologie gemacht: »Der Psychoanalyse habe ich […] die Sprachanalyse unserer gesamten Sprachwelt seit eintausend Jahren in den Europäischen Revolutionen gegenübergestellt.« 298 Den Vortrag »Das Wort das gesprochen wird« hielt Buber im Sommer 1960 in München in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Die Entstehungsgeschichte des Vortrags – und auch hier muß auf den Kommentar verwiesen werden (S. 178 f.) – dokumentiert Bubers intensivste Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache. In seinen handschriftlichen Aufzeichnungen finden sich Hinweise auf die Werke Ernst Cassirers (1874-1945), Karl Bühlers (1879-1963), Karl Kraus’, Fritz Mauthners, Bronislaw Malinowskis (1884-1942) und anderer bedeutender Sprachphilosophen sowie lange Exzerpte aus den Schriften Wilhelm v. Humboldts, Hamanns, Rosenstock-Huessys und Ferdinand Ebners, die nicht nur auf profunde Vorarbeiten, sondern auch auf eine möglicherweise umfangreichere Arbeit zum Sprachthema schließen lassen, zu deren Ausführung es nicht mehr kam. »Das Wort, das gesprochen wird« ist Bubers differenzierteste Abhandlung über die Sprache. Während in früheren Texten die Aktualität der Gesprochenheit seine Sprachphilosophie dominierte, unterscheidet Buber in diesem Vortrag zwischen drei »Seinsweisen« der Sprache, dem »präsenten Bestand«, dem »potentialen Besitz« und dem »aktuellen Begebnis«: Mit Bestand meinte Buber die Gesamtheit des im jeweiligen Augenblick »Sagbaren«, mit Besitz die Gesamtheit des je »Geäußerten«, mit Begebnis die aktuelle Gesprochenheit. Bestand und Besitz bezeichnen somit historische Kategorien, sie setzen ein »geschichtlich Erworbenes« voraus, während die Gesprochenheit, durch ihre notwendige Gegenwart, historisch unabhängig erscheint: »hier […] ist nichts anderes vorauszusetzen als der verwirklichungsfähige Wille von Menschen zur Kommunikation.« (S. 126). Daß sie es in Wahrheit jedoch nicht ist, versuchte Buber zu zeigen. Bestand und Besitz »dienen« der Gesprochenheit, wie umgekehrt Bestand und Besitz von der »Aktualität des 298. Rosenstock-Huessy, Soziologie I, S. 150.

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Sprache in Bubers Spätphilosophie

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Wortes« nicht abgelöst werden können. In der Gesprochenheit geschieht Geschichte, denn hier laufen die Linien der sprachlichen Vergangenheit und sprachschöpfenden Zukunft in der sprechenden Gegenwart zusammen. Wie schon der Vortrag zum Gemeinschaftlichen war auch diese Rede in Auseinandersetzung mit Martin Heidegger entstanden. Den Hörern entging nicht, daß Buber Heideggers Substantivierung der Sprache attakkierte und der Heideggerschen aletheia als Wahrheit der »Entbergung« die biblische emuna als Wahrheit der Treue gegenüberstellte (siehe S. 136, Anm. 27 in diesem Band). Bubers Begegnung mit Heidegger während der in Altreuthe stattfindenden Vorbereitungsgespräche zur Münchener Sprachtagung ist immer ein noch eher undurchsichtiges Kapitel in beider Biographien (siehe Kommentar S. 182). Aus dem begonnenen Gespräch wurde nie die »Aussprache«, die sich Heidegger erhofft hatte. Im April 1959 aber wandte sich Günther Neske (1913-1997), der Herausgeber von Heideggers Schriften, an Buber mit der Bitte, einen Beitrag zur Festschrift anläßlich Heideggers 70. Geburtstag zur Verfügung zu stellen: »Ich glaube, daß Herr Professor Heidegger sich über einen Beitrag von Ihnen sehr freuen würde.« 299 In seinen Erinnerungen schilderte Neske sein Gespräch mit Bubers so: »Buber sah mich eindringlich an und fragte, welches Thema ich denn für einen Beitrag vorschlagen würde. ›Vielleicht wären Sie bereit, über das hebräische Verbum haja, in unserer Sprache sein, zu schreiben?‹ […] Martin Buber sah mich freundlich an und sagte: ›Sie sollen bekommen, was Sie wünschen.‹« 300 Den Beitrag konnte Buber aus gesundheitlichen Gründen jedoch nicht schreiben.301 Eine Darstellung der Sprachphilosophie Martin Bubers kann nicht ohne Einblick in sein Gesamtwerk geschehen. Die Auswahl in diesem Band schließt nur jene Texte ein, die sich explizit mit Sprache befassen. Eine Zuordnung der Texte in andere Bereiche des Denkens Martin Bubers ist daher nicht nur möglich, sondern auch immer wieder notwendig, will man die Reichweite der Sprachthematik bei Buber erfassen. Zugleich muß Bubers »Sprachdenken« nicht nur im Zusammenhang der sprachlichen Wende in der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts gesehen werden, 299. Neske an B., 9. April 1959, MBA, Ms. Var 350/539a:1. Als die Herausgabe der Gesammelten Schriften Bubers bei Jakob Hegner fraglich wurde, erklärte sich Neske bereit, auch Bubers Werke in seinen Verlag zu übernehmen. Vgl. Neske an B., 9. Sept. 1960, MBA, Ms.Var 350/539a:2. 300. G. Neske, Nachwort des Herausgebers, in: Antwort: Martin Heidegger im Gespräch, hrsg. v. G. Neske und E. Kettering, Pfullingen 1988, S. 283. 301. B. an Neske, 16. April 1959, MBA, Ms. Var 350/539a I:1.

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sondern auch im Problemkreis der Mehrsprachigkeit, der besonders die deutsch-jüdische Exilliteratur berührte und, wo immer Intellektuelle aus ihren Heimaten vertrieben werden, zu berühren fortfährt. Bubers Sprachphilosophie in diesem Sinn war von Anbeginn immer auch Sprachpraxis. Die Unzureichbarkeit der Sprache schien gerade in der Mehrsprachigkeit wenn nicht aufgehoben, so doch wenigstens relativiert. Im Übersetzen konnte eine Sprache die Grenzen der anderen überschreiten. Diese Sprachüberwindung durch Sprache, dieses Überschreiten war es, das den charakteristischen, oft als Affekt empfundenen Stil Bubers prägte und sein Suchen nach evokativer, majeutischer Präzision auszeichnete. Daß der Text selbst als Grundlage der Begegnung dienen kann und als solche erfahren werden muß, haben neuere Interpreten der spezifischen Hermeneutik Martin Bubers daher wiederholt betont. 302 Schreiben wie Übersetzen bedeutete für Buber nicht nur ein Überschreiten der Sprache, sondern auch ein ständiges Selbstüberschreiten; wie das Wort nicht beim Sprecher, so will auch der Autor nicht bei sich bleiben. Buber selbst nannte sich, wie wir gesehen haben, zuweilen seinen »eigenen Interpreten«, der die Sprache erst erfinden mußte, wo sie ihm abhanden kam. Den Text »sprechend« zu machen, in eine zeitlich-tonhafte Rede zu verwandeln, die den Text zu überschreiten und gleichsam »mehrsprachig« zu sprechen vermochte, galt Buber daher als fundamentales Anliegen seines Schreibens. Den Leser forderte er auf, sich von der »Stimme« des Textes »anreden« zu lassen und ihr mit dem Leben Rede zu stehen.303 Um dies erreichen zu können, mußte der Text die Fähigkeit haben, zugleich individuell und verbindend zu sprechen. Damit wurde die Sprache für Buber nicht nur zu einem Werkzeug der menschlichen Vernunft sondern der Menschlichkeit selbst. »Humanismus geht vom Geheimnis der Sprache aus und auf das Geheimnis der menschlichen Person zu,« schrieb er im Oktober 1933: »Die Wirklichkeit der Sprache soll im Geist der Person wirkend werden. Die Wahrheit der Sprache soll sich in der Existenz der Person bewähren.« 304 So war jede Sprachkrise für Buber eine Krise des Menschen und eine Krise der Menschlichkeit. In der Wiederherstellung der Sprache aber gründete sich seine Hoffnung auf Gemeinschaft.

302. Hier sei besonders verwiesen auf S. Kepnes, The Text as Thou. 303. Vgl. Buber, Biblischer Humanismus, W II, S. 1088. 304. Ebd., S. 1089.

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Autobiographische Fragmente Die Großmutter Die Großmutter, Adele,1 war eine jener Jüdinnen von einst, die, um ihren Männern Freiheit und Muße zum Studium der Lehre zu schaffen, mit umsichtigem Eifer der Geschäfte walteten. Beim Großvater 2 hatte »Studium der Lehre« eine besondere Bedeutung. Er war, wiewohl Autodidakt, ein echter Philolog, dem die ersten und heute noch maßgebenden kritischen Ausgaben einer besonderen Gattung der hebräischen Literatur zu verdanken sind: der Midraschim, einer einzigartigen Mischung von Schriftdeutung, Weisheitssprüchen und blühender Sage. 3 Dem bürgerlichen Beruf nach war er Großgrundbesitzer, dazu Getreidehändler und der Inhaber von Phosphoritengruben an der österreichisch-russischen Grenze. Überdies gehörte er zu den führenden Männern der jüdischen Gemeinde und zu denen der städtischen Handelskammer, sachkundig und von eigenem Urteil. Diese Ehrenämter vernachlässigte er nie; die eigenen Geschäfte aber überließ er im allgemeinen seiner Frau, die sie alle in einer großzügigen und umsichtigen Weise leitete, keine Entscheidung jedoch traf, ohne den Gatten zu befragen. Die Großmutter war in einer galizischen Kleinstadt 4 aufgewachsen, wo bei den Juden das Lesen »fremden« Schrifttums verpönt war, für die Mädchen aber alle Lektüre, mit Ausnahme erbaulicher Volksbücher, als unziemlich galt. Fünfzehnjährig hatte sie sich auf dem Speicher ein Versteck eingerichtet, in dem Bände von Schillers Zeitschrift »Die Horen«, 5 Jean Pauls Erziehungsbuch »Levana« 6 und manche andere deutsche Bü1. 2. 3.

4. 5.

6.

Adele Buber (gest. 1911). Salomon Buber (1827-1906). Salomon Buber war unter anderem Herausgeber des Midrasch Lekach Tov: Ha-Mechuneh Pesikta zutarta al Chamischa Chumsche Torah von Tobiah ben Eliezer (11. Jh.), Vilna 1880; Tanchuma zum Pentateuch (1885) und Midrasch Aggada (1894). Adele Buber, geb. Wizer, wurde in Sasow (Galizien) geboren, das auch der Sitz des Zaddik Reb Moshe Leib (1745-1807) war, eines Schülers von Schmelke von Nikolsburg (gest. 1778), von dem Buber in den Erzählungen der Chassidim berichtet. Die Horen, hrsg. von Friedrich Schiller, erschienen von Januar 1795 bis Juni 1798 bei Johann F. Cotta. Zu den Mitarbeitern der Zeitschrift zählten unter anderem Johann G. Fichte (1762-1814), Wilhelm und Alexander v. Humboldt (1767-1835 bzw. 1769-1859), Johann G. Herder (1744-1835), August W. Schlegel (1772-1829), Lazarus Bendavid (1762-1832), Friedrich H. Jacobi (1743-1819) und Friedrich Hölderlin (1770-1843). Zur Geschichte der Zeitschrift siehe G. Schulz, Schillers Horen: Politik und und Erziehung. Analyse einer deutschen Zeitschrift (Deutsche Presseforschung, Bd. 2), Heidelberg 1960. Jean Paul (1763-1825), Levana oder Erziehungslehre, Braunschweig 1807.

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cher standen, die von ihr heimlich und gründlich gelesen wurden. Als Siebzehnjährige nahm sie sie und den Brauch des konzentrierten Lesens in die Ehe mit, und sie erzog ihre zwei Söhne 7 in der Ehrfurcht vor dem gültigen Wort, das nicht zu umschreiben ist. Denselben Einfluß übte sie hernach auf mich aus; ich erfuhr, noch ehe ich vierzehn wurde und in das Haus meines Vaters und meiner Stiefmutter übersiedelte, was es bedeutete, etwas wirklich auszusprechen. In einer besonderen Weise wirkte auf mich die Art, wie die Frau die hochformatigen, gleichmäßig gebundenen Schreibbücher handhabte, in die sie täglich Einnahmen und Ausgaben verzeichnete: dazwischen nämlich trug sie, nachdem sie halblaut sie sich vorgesprochen hatte, ihr wichtig gewordene Stellen aus ihrer Lektüre ein, mitunter auch eigene Bemerkungen, die keineswegs etwa den Stil der Klassiker nachahmten, jeweils aber etwas, was sie ihm Umgang mit den hohen Geistern zu erwidern hatte, zuverlässig ausdrückten. Dasselbe war ihren mündlichen Äußerungen eigen: auch wenn sie offensichtlich das Ergebnis einer Reflexion mitteilte, nahm es sich aus, als beschriebe sie etwas Wahrgenommenes, und das kam zweifellos daher, daß Erfahrung und Nachdenken bei ihr nicht zwei Stadien, sondern gleichsam zwei Seiten desselben Prozesses waren: wenn sie auf die Straße sah, hatte sie zuweilen das Profil eines einer Frage nachsinnenden Menschen, und wenn ich sie ganz allein beim Nachsinnen betraf, erschien es mir zuweilen, als horchte sie. Dabei war es jedoch schon dem Blick des Knaben unverkennbar, daß sie, wen sie jeweils ansprach, wirklich ansprach. Der Großvater war ein wahrhaftiger Philologe, ein »das Wort Liebender«, aber die Liebe der Großmutter zum echten Wort wirkte noch stärker auf mich als die seine: weil diese Liebe so unmittelbar und so fromm war.

Sprachen Ich kam erst mit zehn Jahren in die Schule. Bis dahin erhielt ich Privatunterricht, hauptsächlich in Sprachen, sowohl meiner eignen Neigung und Begabung wegen, als auch, weil für die Großmutter ein sprachlich zentrierter Humanismus der Königsweg der Erziehung war. Die Vielheit der menschlichen Sprachen, ihre wundersame Verschiedenheit, in der das weiße Licht der Menschensprache sich zugleich brach und bewahrte, war schon meiner Knabenzeit ein Problem, das mich immer neu belehrte, aber in der Belehrung auch wieder von neuem beunru7.

Carl (Katriel/Yekutiel Zalman) Buber (1848-1935) und Rafael Buber.

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Wien

higte. Ich ging Mal um Mal einem einzelnen Worte oder auch Wortgefüge von einer Sprache zur andern nach, fand es da wieder und mußte doch Mal um Mal etwas daran verloren geben, was es anscheinend eben doch nur in einer einzigen von all den Sprachen gab. Da waren nicht bloße »Bedeutungsnuancen«: ich dachte mir zweisprachige Unterhaltungen mit einem Deutschen und einem Franzosen, später mit einem Hebräer und einem alten Römer aus und bekam immer wieder, halb spielhaft und doch zuweilen mit pochendem Herzen, die Spannung zu spüren zwischen dem, was der eine sagte, und dem, was der andre von seinem anderssprachigen Denken aus vernahm. Das hat tief in mich hinein gewirkt und ist in einem langen Leben in immer deutlichere Einsicht eingegangen. Die Sprachkenntnis des Knaben hat mir auch zuweilen ermöglicht, dem Großvater eine kleine Hilfe bei seiner Arbeit zu leisten. So kam es etwa vor, daß er, wenn er bei »Raschi« (Rabbi Schlomo Jizchaki), dem großen Bibel- und Talmud-Exegeten des 11. Jahrhunderts, einen Text durch einen Verweis auf eine französische Sprachwendung erklärt fand, mich befragte, wie diese zu verstehen sei. 8 Ich mußte jeweils zunächst aus der hebräischen Transkription den altfranzösischen Wortlaut herauslesen und nun diesen erst mir selber, dann dem Großvater verständlich machen. Hernach aber, wenn ich allein in meinem Zimmer im väterlichen Hause saß, bedrängte mich die Frage: Was heißt das und wie geht das zu, etwas, was in einer Sprache geschrieben worden ist, durch etwas, was man in einer anderen Sprache zu sagen pflegt, »erklären«? Die Welt des Logos und der Logoi tat sich mir auf, verdunkelte sich, erhellte sich, verdunkelte sich wieder. Wien Das erste Jahr der Universitätsstudien verbrachte ich in Wien, der Stadt meiner Geburt und frühesten Kindheit. 9 Die losen, flächigen Erinnerungsbilder schienen aus dem großen körperhaften Zusammenhang wie Scheibchen einer magischen Laterne hervor, aber auch manche Gegend, die ich nicht gesehen haben konnte, sprach mich als ein Bekanntes an. Die heimatliche Fremde lehrte einen täglich, wiewohl in noch undeutli8.

9.

Raschi: Akronym für Rabbi Schlomo Jitzchaki (1040-1105), geb. in Troyes, Nordfrankreich. Raschis Torah- und Talmudkommentar ist bis heute Standard der jüdischen Exegetik. Um schwierige talmudische Ausdrücke zu erklären, bediente sich Raschi häufig französicher Fremdwörter (Hebr. la‘azim), die heute als wichtige Quelle für die Erforschung des Altfranzösischen gelten. Es sind diese Wörter (in hebräische Buchstaben transkribiert), die Buber seinem Großvater verstehen half. Buber kam im Herbst 1896 nach Wien zurück.

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cher Sprache, daß man die Welt anzunehmen und sich von ihr annehmen zu lassen habe, sie nämlich sei bereit. Etwas fundierte sich damals, was in späteren Jahren durch keine der zeitalterlichen Problematiken hat umgegossen werden können. Die Vorlesungen jener zwei Semester, auch die bedeutender Gelehrten, 10 haben auf mich nicht bestimmend eingewirkt. Nur etliche Seminare, in die ich vorzeitig eingetreten war, vielmehr das Seminar als solches übte sogleich einen starken Einfluß aus: der geregelte und doch freie Umgang zwischen Lehrer und Schülern, das gemeinsame Interpretieren von Texten, an dem der Meister zuweilen mit einer seltsamen Demut teilnahm, als erführe auch er eben jetzt etwas, und das mitunter von aller schulmäßigen Geläufigkeit befreite Tauschen von Frage und Antwort, all dies erschloß mir, intimer als irgendeins der gelesenen Bücher, die eigentliche Tatsache des Geistes, als eines »Zwischen«. Was aber am stärksten auf mich wirkte, war das Burgtheater, in das ich mich oft, zuweilen Tag um Tag, nach mehrstündigem »Anstellen« drei Treppen hoch stürzte, um einen Platz auf der obersten Galerie zu erbeuten. Wenn dann tief unten vor mir der Vorhang aufging und ich in die Ereignisse des dramatischen Agon 11 als, wie spielhaft auch, dennoch jetzt und hier sich begebend blicken durfte, war es doch das Wort, das »richtig« gesprochene Menschenwort, was ich recht eigentlich in mich aufnahm. Die Sprache – hier erst, in dieser Welt der Fiktion aus Fiktion, gewann sie ihre Adäquatheit; gesteigert erschien sie wohl, aber zu sich selber. So war es jedoch nur so lange, bis etwa – was immerhin mitunter geschah – einer für ein Weilchen ins Rezitieren, ein »edles« Rezitieren, geriet; da zerbrach mir, mit der echten Gesprochenheit der Sprache, der dialogischen oder auch monologischen (sofern der Monolog eben ein Anreden der eigenen Person als eines Mitmenschen und keine Rezitation war), diese ganze, aus Überraschung und Gesetz geheimnisvoll gebaute Welt, – bis sie nach Augenblicken, mit der Wiederkehr des Gegenüber, neu erstand. Seither ist es manchmal vorgekommen, mitten in der Beiläufigkeit des Alltags, daß ich, etwa in einem Wirtshausgarten der Vorlandschaft Wiens sitzend, in dem vom Nachbartisch zu mir dringenden Streitgespräch zweier ausruhender Marktweiber über die sinkenden Preise, die Gesprochenheit der Sprache, das Laut werdende Einander vernahm. 10. In den beiden Semestern an der Wiener Universität (Winter 1896/97 und Sommer 1897) hörte Buber unter anderem bei den Philosophen Adolf Stöhr (1855-1921), Wilhelm Jerusalem (1854-1923), Friedrich Jodl (1849-1914), sowie dem Physiker und Erkenntnistheoretiker Ernst Mach (1838-1916). 11. Agon, griech. ursprüngl. »Versammlungsplatz«; »Wettstreit«.

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Geleitwort zu David Pinski Eisik Scheftel. Ein jüdisches Arbeiterdrama Der jüdische Proletarier hat in Morris Rosenfeld1 und David Pinski seine Dichter gefunden. Beide haben der grossen stummen Tragik dieser unselig ringenden Scharen Worte geliehen; in ihnen hat diese gepeinigte Seele zu tönen begonnen. Aber während Rosenfeld in lyrischer Subjektivität seufzt und singt, klagt und anklagt, hat Pinski das Gestalten erwählt. Rosenfeld sagt das Leid, Pinski stellt es dar. Er will in seinen Dramen und seinen Erzählungen nichts geben als die gesehene und gehörte Wirklichkeit. Aber indem er sie gibt, herb und ungeläutert, scheinbar ungeformt, enthüllt er den Sinn eines niedergehaltenen, geknechteten Lebens. Er zeigt das Walten des grausamsten Elends, er führt auf das Leichenfeld der Seelen. Wenn es wahr ist, was einer sagte, der an der geistigsten Abart der Judennot zugrunde ging, dass der heutige Jude der Mensch der grössten Möglichkeiten und der geringsten Wirklichkeiten ist, so ist Pinski ein Dichter dieses trauer- und verheissungsvollen Rätsels. Die Höhe seiner Kunst hat er noch nicht erreicht, er kämpft noch um die letzten Geschenke der inneren Form; aber wir dürfen von dem jetzt Dreiunddreissigjährigen die Vollendung erwarten. Eisik Scheftel 2 ist Pinskis erstes Drama. Es wurde schon vor mehreren Jahren geschrieben, ist aber bisher weder veröffentlicht noch aufgeführt worden. Wie Rosenfeld, so schreibt auch Pinski in der jüdischen Volkssprache. 3 Es ist nun wohl schon die Erkenntnis durchgedrungen, dass das Jüdische, der fälschlich sogenannte »Jargon«, keineswegs ein Dialekt schlechthin, sondern durchaus eine res sui generis ist. Es hat sich aus einem Volksidiom zur vollwertigen Sprache entwickelt, nicht gerade reich aber schmiegsam, weniger abstrakt aber wärmer als die durch sie ergänzte hebräische, ohne deren rein geistiges Pathos, aber voll unvergleichlich sanfter und derber, zärtlicher und boshafter Accente. Im Jüdischen ist das Volkstümliche selbst Sprache geworden. Hatte ich schon in meiner Uebertragung von Pinskis Erzählung »Das

1.

2. 3.

Morris Rosenfeld (1862-1923), geb. in Boksha, damals russisch Polen, 1886 Emigration in die U.S.A. Verfasser jiddischer Gedichte in revolutionärem Stil und Herausgeber des New Yorker Morgenblatt. Wichtige Gedichtbände: Die Glocke (1888), Die Blumenkette (1890), Das Liederbuch (1893). Rosenfelds Gedichte wurden bereits um die Jahrhundertwende ins Deutsche übersetzt. Benannt nach dem Hauptcharakter des Dramas. Gemeint ist Jiddisch.

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Geleitwortzu David Pinski Eisik Scheftel 4

Erwachen« (Jüdischer Almanach 5663) mich bemüht, die Redewendungen und Satzordnungen des Originals getreu wiederzugeben und so wenig als möglich das Jüdische zu »verdeutschen«, so habe ich mir dies hier noch in weit höherem Masse zur Aufgabe gesetzt. Hier redet das Volk selbst; und seine Worte in hochdeutsche Syntaxis transponieren, hiesse dem Wesen dessen, was es sagt, Gewalt antun. Grammatikalisch zwar musste ich mich im allgemeinen der deutschen Schriftsprache anpassen, da es hier unmöglich war, eine rationale Grenze zwischen dem Beizubehaltenden und dem zu Verändernden zu ziehen; auch drohte hier allzusehr die Gefahr, dass die Verständlichkeit gestört wird; und endlich scheint mir auf diesem Gebiet die sprachliche Individualität am wenigsten zur Geltung zu kommen. Immerhin habe ich manche eigentümlichen Wort- und Abwandlungsformen relativ unverändert gelassen. Hingegen habe ich in Satzbau, Anordnung der Wörter, sprichwörtlichen und volkstümlichen Wendungen, Interjektionen, abbreviativen Wortformen, indikativen Lauten, Diminutiven usw., kurz in allem, was mir für die besondere Art der Sprache charakteristisch erschien, zu erhalten gesucht, was irgend ich, ohne die Verständlichkeit zu beeinträchtigen, erhalten durfte. Eigentlich verändert habe ich nur ganz vereinzelte Wendungen, die einem dem deutschen Publikum völlig fremden Vorstellungskreis entnommen oder schlechthin unübersetzbar waren. Berlin, Oktober 1904.

4.

»Das Erwachen«, (»autorisierte Übersetzung aus dem Jüdischen von Martin Buber«). Jüdischer Almanach 5663, Berlin 1902, S. 209-215.

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Brief an Henri Borel über das Wesen der Sprache Heppenheim, 17. März 1917

Lieber Herr Borel, Ehe ich mich zu dem mir mitgeteilten Plan einer Akademie endgültig äussern kann, muss ich Sie um Klärung einer mir noch nicht recht verständlichen Einzelheit bitten. Es heisst in dem mir übersandten Exposé, es sei Aufgabe der zu begründenden Akademie. »Wörter spirituellen Wertes für die Sprache abendländischer Völker zu schaffen«.1 Das scheint mir, so hoch ich auch die Möglichkeiten einer Gemeinschaft gleichgesinnter Menschen und ihre wirkende Kraft einschätze, doch über die Funktionen einer solchen Gemeinschaft prinzipiell hinauszugehen. Wortschöpfung, Erschaffung des Wortes ist für mich einer der geheimnisvollsten Vorgänge des geistigen Lebens, ja ich gestehe, dass für meine Einsicht zwischen dem, was ich hier Erschaffung des Wortes nenne, und dem, was man Hervortreten des Logos genannt hat, kein Wesensunterschied besteht. Das Werden des Wortes ist ein Mysterium, das sich in der entbrannten, aufgetanen Seele des weltdichtenden, weltendeckenden Menschen vollzieht. Nur solch ein im Geiste gezeugtes Wort kann in dem Menschen zeugen. Daher kann es meines Erachtens nicht Aufgabe einer Gemeinschaft sein, es zu machen. Vielmehr scheint mir die Körperschaft wie die von Ihnen und Ihren Freunden 2 geplante sich nur eine Reinigung des Wortes zum Ziele setzen zu dürfen und zu sollen. Der Missbrauch der grossen alten Worte ist zu bekämpfen, nicht der Gebrauch neuer zu lehren. Dies ist, in aller Kürze ausgedrückt, meine Anschauung. Eine ausführlichere Auesserung, auch zu den andern Punkten, behalte ich mir für einen späteren Zeitpunkt vor, nachdem ich die erbetene Aufklärung erhalten habe. Mit herzlichem Gruss, Ihr Buber

1. 2.

Vgl. »Voorbereidend Manifest«, in: Mededeelingen van het International Instituut voor Wijsbegeerte te Amsterdam, Nr. 1, März 1918, S. 8. Das Manifest wurde unterzeichnet von H. P. J. Bloemers (1880-1947), Henri Borel (1869-1933), L. E. J. Brouwer (1881-1966) und Frederik van Eeden (1860-1932).

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Ein Wörterbuch der Hebräischen Philosophie. Thesaurus philosophicus linguae hebraicae et veteris et recentioris. 1 Buchsprechung. Die außergewöhnliche Bedeutung dieses Buches, auf das ich die Aufmerksamkeit jedes philosophisch Interessierten und der hebräischen Sprache Kundigen lenken möchte, liegt darin, daß es das erste Unternehmen enzyklopädischer Betrachtung der jüdischen Philosophie ist. Wobei man unter jüdischer Philosophie ihre Gesamtheit von Israeli 2 im 9. bis zu Krochmal 3 im 19. Jahrhundert zu verstehen hat, und zwar außer den hebräisch verfaßten Werken auch die in anderen Sprachen, soweit sie durch Übertragungen in den klassischen Bestand des hebräischen Schrifttums aufgenommen sind. Diese Erstheit des vorliegenden Buches bedeutet, da es geglückt ist, zugleich daß es die philosophische Begriffsbildung der hebräischen Sprache als einen einheitlichen Bau erschließt, nicht durch analytische Untersuchung oder historische Darstellung, sondern durch Aneinanderreihung und Erklärung der Termini und Zusammenstellung der wichtigen Belegsätze (aus den, zum Teil wenig bekannten, Druckwerken, aber auch aus Handschriften). Man erfährt aus Klatzkins Buch auf jene genußvolle Art, deren wohl höchste Steigerung wir durch Rudolf Hildebrands Beiträge zum Grimmschen Wörterbuch kennen, wie eine große Sprache »zum Denken kommt«. 4 Dazu bekommt man noch die besondere Funktion zu ahnen, die ein solches Inventar an der Produktivität selber üben kann; mit Recht hat der Verfasser die Doppelheit der Pflicht betont, in die er genommen ist: der gegen die Vergangenheit und der gegen die Zukunft. 5 Deutlich wird, daß er die zweite als die stärkere empfindet: dem Ringen 1. 2. 3.

4. 5.

[Verlagsanzeige:] Auctore Jakob Klatzkin. Pars Prima. Berlin-Charlottenburg, Eschkol-Verlag, [1928]. Geb. M 31. Isaak Israeli (ca. 855-955), Arzt und Philosoph. Buber bezieht sich hier auf das Buch Kitab al-hudud (Buch der Definitionen), in dem sich Israeli mit den Begriffen der Philosophie und Metaphysik befaßt. Nachman Krochmal (1785-1840), Philosoph, Historiker und Vorläufer der Wissenschaft des Judentums. Unter dem Einfluß Kants, Schellings und Hegels verfaßte Krochmal eine ausführliche Geschichtsphilosophie des Judentums in seinem Moreh Nevukhej ha-Zeman (Führer der Unschlüssigen der Zeit), der 1851 von Leopold Zunz posthum herausgegeben wurde. Rudolf Hildebrand (1824-1894), Über Grimms Wörterbuch in seiner wissenschaftlichen und nationalen Bedeutung. Vorlesung zum Antritt einer außerordentlichen Professur an der Universität Leipzig im Jahre 1869, Berlin 1937. Vgl. Thesaurus, Einleitung, S. 7.

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einer zu neuem Leben erstandenen Sprache um den Ausdruck selbständigen, aktuellen Denkens und Forschens ihr eignes vergessenes oder nie bekanntgewordenes altes Begriffsgut zur Verfügung zu stellen. So darf er sich einen Mittler zwischen den einstigen und den gegenwärtigen und künftigen Generationen nennen. Das Buch, dessen zwei ersten [sic] Bände (bis zum Buchstaben M einschließlich, 666 Seiten) vorliegen, 6 bildet die Ergänzung zu Klatzkins Anthologie der hebräischen Philosophie, die 1926 im gleichen Verlag erschien. 7 Sein erster Anfang war ein alphabetisches Verzeichnis der philosophischen Termini, das der Verfasser zu seinem persönlichen Gebrauch anlegte, 8 als er an seiner mustergültigen Übertragung von Spinozas Ethik ins Hebräische 9 arbeitete; staunend entdeckte er einen unvermuteten Reichtum und merkte allmählich, woran er sich gemacht hatte. »So bin ich« sagte er, »ohne, ja beinah wider meinen Willen zum Verfasser eines Wörterbuches geworden.«10 Ich kann nicht verhehlen, daß ich für die unfreiwilligen Schatzgräber und Finder gerade in der Wissenschaft viel übrig habe. Als mir Klatzkin vor einigen Jahren die ersten Korrekturfahnen dieses Buches zeigte, wirkte sogleich mit einem geradezu künstlerischen Reiz auf mich ein, wie hier die Konkretheit, Sinnlichkeit im Kern der Termini augenfällig wurde, in einem tektonischen Zusammenhang. Dieser Eindruck ist mir nun durch alle Teile der zwei Bände bestätigt worden. Man ist gewohnt, Begriffe der arabischen und der jüdischen Philosophie als scholastische Versteifung griechischer, vornehmlich aristotelischer anzusehen; der unbefangene Blick auf Zusammenstellungen in diesem Buch, wie etwa die von 35 Formen des Syllogismus (I 207 f.), die von 59 Urteilsformen (II 299 ff.) oder die von 23 Begriffsformen (II 283 ff.) oder auch wie das Register der Wissenschaften (I 294 ff.), das 100 Abteilungen mit weit mehr als 200 Bezeichnungen umfaßt, zeigt uns eine kräftige Bildhaftigkeit und Prägnanz. Die hebräische Sprache ist eben doch eine, die sich lange an der unverdünnten Lebenswirklichkeit genährt hat und ihr, als sie spät daran geht, sich über sie Gedanken zu machen, gestalterisch treu bleibt. Ich hätte – obgleich ich die prinzipielle Begründung der geübten Zu6. Bände drei und vier folgten 1930 bzw. 1933. 7. J. Klatzkin, Otzar ha-munachim ha-filosofiim we-antologia filosofit (Sammlung der philosophischen Begriffe und Anthologie der Philosophie), Berlin 1926. 8. Vgl. Klatzkin, Thesaurus, Einleitung, S. 7. 9. Baruch Spinoza, Torat-Ha-Middot [Ethik], übers. von J. Klatzkin (Kitvei Baruch Spinoza [Schriften Baruch Spinozas]), Ramat-Gan 1967. Vgl. auch Klatzkin, Thesaurus, Einleitung, S. 7. 10. Ebd., S. 7.

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rückhaltung kenne und würdige – gewünscht, daß die mystische Literatur von Klatzkin mehr berücksichtigt worden wäre, insbesondere für die Erschließung der allgemein-psychologischen Terminologie. Man kann den selbständigen Wortbereich der deutschen Seelenkunde nicht zur Erscheinung bringen, ohne Seite um Seite Meister Eckhart ausgezogen zu haben; und auch wer – um das Beispiel einer semitischen Sprache zu wählen – Massignons grundlegenden »Essai sur les origines du lexique technique de la mystique musulmane« (1922)11 durchgearbeitet hat, weiß, wie Wesentliches die begriffliche Differenzierung der Seelenzustände der Mystik zu verdanken hat. Die Ausbeute der Kabbala und ihrer Verzweigungen wird geringer sein, weil hier vielfach – wenn auch keineswegs überwiegend – eine Gnosis waltet, der es nicht um die menschliche Seele, sondern um Welt und Überwelt zu tun ist, und um diese zumeist jenseits der philosophisch verwendbaren Begrifflichkeit; aber eine gewissenhafte Bestandaufnahme wird auch hier Überraschendes und Fruchtbares zutage fördern.

11. Louis Massignon (1883-1962). Buber war mit Massignon befreundet, wie aus einem Brief von 1953 hervorgeht (B. an Massignon, 13. Sept. 1953 [B III, S. 351]).

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November Für Ludwig Strauß Die Rollen brannten langsam und lang. Ich sah aus der Ferne die Funken stieben, Ich sah, wie das Pergament zersprang, Und als ich den Blick zu beharren zwang Sah ich: die Asche sank. Nur das Wort ist geblieben. Die Täter sind nun längst abgetan, Ein wüster Haufe von Henkern und Dieben. Mit ihnen ging die Wut und der Wahn Und die kalte Sucht um den Plünderplan. Ich sah: geleert die Bahn. Unser Wort ist geblieben. Wir aber, sind wir Sprecher dem Wort? Vermögen zu lauten wirs und zu lieben? Ich seh uns ringen – um welchen Hort? Gewaltig der Arm – und das Herz verdorrt? O Stimme ohne Ort, Der das Wort ist geblieben!

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»Seit ein Gespräch wir sind« Bemerkungen zu einem Vers Hölderlins Ludwig Strauß zum Gedächtnis

»Seit ein Gespräch wir sind / Und hören können voneinander« (Schluß des Gedichts »Versöhnender, der du nimmergeglaubt« in der dritten Fassung). 1 Hölderlin sagt nicht »Seit im Gespräch wir sind«; er sagt und meint: Seit ein Gespräch wir sind. Die Erklärung »Seit die Götter uns in das Gespräch bringen« (Heidegger) wird dem nicht gerecht, was gesagt ist. 2 Wir selber sind das Gespräch: wir werden gesprochen (vgl. den Anfang der zweiten Fassung von »Mnemosyne«: »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«). 3 Unser Gesprochenwerden ist unser Dasein. Eben damit ist auch es »göttliche Gabe« (»Versöhnender«, erste und zweite Fassung), 4 ja es ist die eigentliche Gabe. Aber die Sprache erfüllt sich erst, wenn sie durch uns selber »Eigentum« (zweite Fassung) 5 geworden ist und wir nun »die menschlich göttliche« (ebd.) unser nennen dürfen. 1. 2.

3.

4. 5.

F. Hölderlin, »Versöhnender, der du nimmergeglaubt«, Dritter Ansatz, Werke und Briefe I (Gedichte – Hyperion), hrsg. v. F. Beißner und J. Schmidt, Frankfurt a. M. 1969, S. 163. »Seit die Götter uns in das Gespräch bringen, seit der Zeit ist es die Zeit, seitdem ist der Grund unseres Daseins ein Gespräch.« (M. Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung [Gesamtausgabe, 1. Abteilung, Band 4], S. 40). In Gottesfinsternis (1952) jedoch zitiert Buber einen Satz Heideggers zur Interpretation dieser Stelle: »[Aber] die Götter können nur dann ins Wort kommen, wenn sie selbst uns ansprechen und unter ihren Anspruch kommen. Das Wort, das die Götter nennt ist immer Antwort auf solchen Anspruch.« (ebd., S. 40; vgl. Buber, W I, S. 560). Mit dieser Interpretation, schreibt Buber dort, sei Heidegger »der Urwirklichkeit […] bemerkenswert nahe gekommen«. Und weiter: »Das ist ein Zeugnis dafür, was ich das dialogische Prinzip nenne – für die dialogische Beziehung zwischen einem göttlichen und einem menschlichen Von-sich-her.« (W I, S. 560). »Aber seither,« heißt es schließlich, »haben wir desgleichen von Heidegger nicht mehr gehört.« (Ebd.). Ein Zeichen sind wir, deutungslos, Schmerzlos sind wir und haben fast Die Sprache in der Fremde verloren. (Hölderlin, »Mnemosyne«, zweite Fassung, Werke und Briefe I, S. 199). Und menschlicher Wohltat folget der Dank, Auf göttliche Gabe aber jahrlang […] (Hölderlin, Werke und Briefe I, S. 158 und 161). Die Mühn erst und das Irrsal, Bis Eigentum geworden ist und verdient Und sein darf der Mensch dann auch Die menschlich göttliche nennen. (Ebd., S. 161).

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»Seit ein Gespräch wir sind«

In dem Maße, als wir erfüllend jeder den Spruch, der er ist, den Anderen offenbart, lassen wir das Kommende kommen, bis aus dem Hörenkönnen des Daseins in der Gegenseitigkeit dies geworden ist, daß »alle sich einander erfahren«6 und so in der wiedergekehrten »Stille« am »Abend der Zeit« 7 wieder »eine Sprache unter Lebenden«8 ist und die reinen Stimmen zusammentönen, kein Gespräch mehr, sondern »ein Chor nun« (unausgeführter Schluß), 9 mit den Lebenden die I Toten, so denn »alle Sterblichen, die wir kennen bis hierher«, »Eines all(e) in dir« (ebenda), 10 in »der Götter Gott« (erste Fassung), 11 der sie in seinem Gespräch mit den Göttern, den Entsandten, denen er Gott ist, äußerte und vernahm II .

Nachbemerkung III Diesen Hinweis auf den Sinn eines Verses Hölderlins habe ich im Oktober 1952 für eine aus handschriftlichen Freundesäußerungen zusammengestellte Gabe zum 60. Geburtstag von Ludwig Strauss (st. 1953) niedergeschrieben.12 Die seither bekanntgewordene »Friedensfeier« hat an meiner Anschauung nichts geändert. Die neue Fassung »bald sind wir aber Gesang«13 zeigt jedoch, wie sich im Dichter die ontische Schau, auf die ich hinweise, geklärt hat. »Ein Chor« sein bedeutet: zusammen Gesang her6. Schicksalgesetz ist dies, daß Alle sich erfahren, Daß, wenn die Stille kehrt, auch eine Sprache sei. (Hölderlin, »Friedensfeier«, Werke und Briefe I, S. 165). 7. Ebd., S. 166. 8. »Dass alle sich einander erfahren, und wenn die Stille wiederkehret, eine Sprache unter Lebenden sei.« (Hölderlin, »Versöhnender«, Entwurf, Sämtliche Werke, Vierter Band [Gedichte], hrsg. v. N. v. Hellingrath, Berlin 1923, S. 343. 9. [Anm. Buber:] Ich folge in diesem Punkt [Norbert v.] Hellingrath, sonst [Friedrich] Beißner. Der unausgeführte Schluß lautete: »Ein Chor nun sind wir. Drum soll alles Himmlische was genannt war, ein Zahl geschlossen, heilig, ausgehn rein aus unserem Munde.« (vgl. Hölderlin, Sämtliche Werke, Vierter Band [Hellingrath], S. 344). 10. »Dass aber ihr geliebtestes auch, an dem sie alle hängen, nicht fehle, / Und Eines alle in dir, sie all, sein, und alle Sterblichen seien, die wir kennen hieher.« (Ebd.). 11. Wohl wußtest du es, aber nicht zu leben, zu sterben warst du gesandt, Und immer größer, denn sein Feld, wie der Götter Gott Er selbst, muß einer der anderen auch sein. (Hölderlin, »Versöhnender«, Erster Ansatz, Werke und Briefe I, S. 158). 12. Vgl. Arc. Ms. Var 350/129b. 13. Viel hat von Morgen an, Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander, I II III

MS und TS: alle MS und TS: sei es zu sich selber, gesprochen hat. Nachbemerkung nicht in MS und TS.

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»Seit ein Gespräch wir sind«

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vorbringen; nun aber verheißt Hölderlin den Menschen, daß aus ihrem Sein als Gespräch ein Sein als Gesang werden soll. Dem Gespräch eignet ja das Beharren der Spannung in der Näherung; im Gesang sind alle Spannungen eingeschmolzen. Erst wenn die, deren Gespräch wir sind, uns singen, sind wir Wir.

Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang. (Hölderlin, »Friedensfeier«, Werke und Briefe I, S. 166).

Buber / p. 86 / 29.8.2003

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Geleitwort zu Ludwig Strauß Wintersaat. Ein Buch aus Sätzen »Die aphoristische Form,« sagt Ludwig Strauss in einem der »Sätze« dieses Buches, »indem sie Beweise nicht verlangt und nicht gestattet, gibt die Möglichkeit, nach Belieben zu schwindeln, aber auch die Freiheit, höchst wahrhaftig zu sein, nämlich unbeweisbare Gewißheiten auszusagen, ohne sie für den Augenschein logisch und systematisch aufzuputzen.«1 Dieser Satz weist zwischen seinen Zeilen auf eine dreifache Treue hin. Die erste ist die Treue des Wortes zum Gedanken. Schwindeln, im Sinn des angeführten Satzes, ist nicht dasselbe wie lügen. Lügen heißt wesentlich, etwas sagen, was man nicht meint, schwindeln wesentlich, etwas sagen, was man nicht gedacht hat; wer lügt, täuscht vornehmlich einen Sachverhalt vor, wer schwindelt, vornehmlich einen Denkprozeß. Der in diesem Bereich Treue ist durch seinen Gedanken in Pflicht genommen; ihn äußert er und nur ihn, er spitzt ihn nicht zu und verglättet ihn nicht, er fügt ihm weder »Beweise« noch Kommentare noch etwelchen Zierat bei, aber er sagt auch nicht weniger als ihn. Die zweite, höhere Treue ist die des Gedankens zur Seele. Am echten Gedanken wird, anders als am echten Wort, nicht gearbeitet; er wächst aus der Seele und erscheint. Er gehört nicht dem Augenblick zu, in dem er (hier, im Fall des Aphorismus, nicht als Stück eines Zusammenhangs, das erst herausgebrochen werden müßte, um ihn für einen »Satz« herzurichten, sondern als eben diese in sich beschlossene Einheit, die als solche erhalten werden will) hervortritt; alle Geschicke der Seele und all ihre Wagnisse haben ihm den Boden bereitet, nun ist er aufgesprossen und blüht. Hier wird keine Verantwortung geübt wie im Verhältnis des Worts zum Gedanken, es braucht keine geübt zu werden, denn das Dasein dieses Gedankens verantwortet ihn. Die dritte Treue, die höchste, ist die der Seele zu ihrem Urheber, der ihr die Wahrheit ihres Seins zubestimmt hat, daß sie ihr im Werden zustrebe. Ihr getreues Werden bewährt sich daran, daß der Wirbel der Einfälle, der sie umspielt hat, sie verläßt und sie sich der Samenkraft der Eingebung öffnen darf. Die »unbeweisbaren Gewißheiten«, die sie erlangt, werden weder im Bereich des Gedankens noch in dem des Wortes »aufgeputzt«. Es geht »höchst wahrhaftig« zu. So entsteht im Gang eines Menschenlebens ein »Buch aus Sätzen« wie dieses. 1.

L. Strauß, Wintersaat. Ein Buch aus Sätzen, Zürich 1953, S. 75 f.

Buber / p. 88 / 29.8.2003

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Authentische Zweisprachigkeit Die Symbiose deutschen und jüdischen Geistwesens hat in den wenigen Jahrzehnten ihrer Endperiode eine Reihe von Dichtern hervorgebracht, die eine besondere Beachtung verdienen, vornehmlich auf die Art hin, wie sich die Mischungen und Entmischungen jener beiden bestimmenden Seelenmächte in ihrem Werk kundtun. Es lassen sich hier unschwer drei Kategorien unterscheiden. In der ersten gibt sich das jüdische Element dem achtsamen Empfänger als etwas von dem Grund der Dichtung zu ihm Dringendes, aber seiner vergleichenden Analyse kaum Zugängliches zu erkennen; es ist unstreitig da, aber sowie man es einzuordnen versucht, entzieht es sich. Die zweite Kategorie ist dadurch gekennzeichnet, daß das Jüdische hier auch motivisch waltet: jüdische, ja urjüdische Motive treten hier nicht als bloße Sonderstimmungen, vielmehr als Sonderregungen auf, sie durchziehen die Dichtung, sie prägen sie, ja man darf zuweilen sagen, daß sie es recht eigentlich sind, die sie erzeugt haben. Es gibt jedoch noch eine dritte Art. Im Bereich des deutschen Gedichts unterscheidet sie sich nicht von jener; aber da treiben Schicksal und Eingebung den Dichter, treiben einen Teil seines Werkes über die deutsche Sprache hinaus: er bleibt ihr getreu, er sagt in ihr, was er in ihr zu sagen hat, aber um ein andres, schicksalhaft ihm Zugekommenes zu sagen, muß er eine andere, die ihm angestammte Sphäre betreten, muß nun auch – ich betone beides, »muß« und »auch« – in der ihm angestammten Sprache authentisch dichten. Diese dritte Kategorie ist durch einen einzigen Dichter hohen Ranges, durch Ludwig Strauss, vertreten. Keineswegs darf man die Tatsache, daß Strauss nach seiner Übersiedlung nach Palästina auch hebräische Gedichte schrieb, als ein zwar in seinem Lebenszusammenhang Wichtiges, aber nicht an dieser Stelle, am Eingang zu einer Sammelausgabe seines deutschen Werks zu Erörterndes ansehn. Denn diese eigentümliche Zweisprachigkeit, Straussens palästinensisches Weiterdichten in deutscher und Neudichten in hebräischer Sprache, ist repräsentativ für eine bedeutsame geistesgeschichtliche Situation, für den Auszug des jüdischen Geistes aus der deutschen Kultur. Was dieser Auszug für die deutsche Kultur bedeutet, gehört nicht hierher; aber auf seine Auswirkung in Dasein und Werk der ausziehenden – nur dieser, nicht auch der nachgeborenen – Generationen muß hier, gerade hier hingewiesen werden. Gleichsam als ein Präludium zu dieser Wende in Straussens Dichtergeschichte darf der überlebende Freund seine aktive Neigung zum Jiddischen ansehn, jenem von den ostjüdischen Volksmassen gesprochenen

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Idiom, das mich immer wieder wie die sprachgewordene Volkstümlichkeit selber anmutet. Ludwig Strauss, der rheinische Jude, in dessen Seele sich das Rheinländische eingewurzelt hatte, liebte die »Polnischen« mit einer gar nicht gewollten, gar nicht programmatischen, mit einer schlichten spontanen Liebe. Sie gab es ihm ein, jiddische Volkslieder zu übersetzen. 1 Das jiddische Idiom, das sich im Osten aus dem jüdisch-deutschen Dialekt entwickelte, hat (bei manchen hebräischen und etwelchen slawischen Einschlägen) die deutsche Sprachkultur bewahrt. Das jiddische Volkslied ist – wie Strauss in seinem im Januar 1935 in München niedergeschriebenen Vorwort zu der zweiten seiner Liedersammlungen hervorhebt – vom deutschen stark beeinflußt worden. 2 Deutsches Seelengut, mit eigenem verschmolzen, haben die Wanderer aus dem deutschen Exil ins osteuropäische mitgebracht. Als Strauss Anfang 1935 aus dem Deutschland Adolf Hitlers in die palästinensische Urheimat übersiedelte, kam er in eine Gemeinschaft, an der sich, in einem mit der konzentrativen Migration, der sie entstammte, eine höchst merkwürdige Wandlung vollzog: das Wiedergesprochenwerden, das Wiederselbstverständlichwerden einer uralten Sprache, die jahrtausendelang in der Atmosphäre des Willens, wesentlich in Kult und Studium, erhalten worden war. Die von sehr verschiedenen Sprachbereichen her sich hier versammelnden Scharen traten in einen synthetischen Prozeß ein, in das Werden einer neuen gemeinsamen Spontaneität, einer gemeinsamen Spontaneität des Wortes. Solch ein Prozeß kann sich nur im Gang der Generationen vollenden. Doch waren schon viele da, die nicht darum hebräisch sprachen, weil sie es sich vornahmen, sondern weil das eigene Wort sich ihrer Leiblichkeit schicksalhaft bemächtigte, weil es schicksalhaft dem Leben ihres Hirns und ihrer Kehle entstieg. Die Menschen, die vorsatzlos hebräisch dachten, waren hierzuland die eigentlichen Beginner. Einen besonderen Platz aber nehmen in der Geschichte dieser Verleiblichung des Geistes jene ein, die, ebenfalls nicht willentlich, sondern aus Notwendigkeit, hebräisch zu dichten begannen. Unter ihnen 1.

2.

[Anm. Buber:] Diese Übersetzungen sind in 2 Bändchen veröffentlicht worden: Ostjüdische Liebeslieder (Berlin: Welt-Verlag 1920) und Jüdische Volkslieder [Ausgewählt, aus dem Jiddischen übersetzt und erläutert von Ludwig Strauß] (Berlin: Schocken Verlag 1935). Strauß, Jüdische Volkslieder, Vorwort, S. 8 f.: »[…] dafür trat eine besonders große Aufnahmewilligkeit für das deutsche Volkslied ein, sei es, daß die Juden des Ostens beim Verlassen Deutschlands mit der jüdisch-deutschen, immer selbständiger bis zum modernen Jiddisch sich wandelnden Sprache deutsche Lieder mitgenommen hatten, sei es, daß diese Lieder später auf den nie abgebrochenen Brücken der geistigen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen West- und Ostjuden kamen.«

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aber nimmt Ludwig Strauss eine Stelle für sich ein: weil er hier, in der wiedergewonnenen Heimat, eine ganze Weile, nachdem er, vom Schicksal des Herzens bezwungen, hebräisch zu dichten begonnen hatte, weiter deutsche Gedichte schrieb – beides in vollgültiger Authentizität. Dieses Phänomen der Zweisprachigkeit ist durchaus verschieden von jenem, das wir insbesondere durch Rilkes französische Gedichte kennen.3 Diese rühren von einer künstlerischen Meisterschaft her, die Rilke bekanntlich erst spät unter eine höhere Macht gebeugt hat; hier, in den französischen Gedichten, herrscht sie einspruchslos, die moderne Form der französischen Lyrik fast wie im Spiel handhabend. Straussens dichterische Zweisprachigkeit bedeutet das Walten des Schicksals, von Landschaft und werdendem Volk her, in den Tiefen, denen das Wort entsteigt. Er selber hat zweimal in Fahrt und Erfahrung, und zwar im Abschnitt »An die Bucht« und am Anfang des Abschnitts »Billige Reime«, sich und seinem Leser zu verdeutlichen unternommen, um was es hier ging. Wir hören hier von einem noch frühen »unwillkürlichen Versuch«, das, was er »deutsch hatte sagen wollen, hebräisch zu sagen«,4 hören aus späterer Zeit, daß er dahin gelangte, hebräisch manches sagen zu können, was ihm »das Deutsche nie hatte zu Wort kommen lassen«.5 Noch stärker wird, was da geschah, in einem unübersetzbaren hebräischen Verspaar geäußert. Unübersetzbar ist es, weil es mit dem Doppelsinn eines hebräischen Nomens spielt, das sowohl »Lippe« wie »Sprache« bedeutet. »Wo ist die Sprache (Lippe)«, fragt Strauss, »in der ich alles sagen kann, was in mir ist? Meine zwei Sprachen (Lippen) sind das Lippenpaar meines Herzens.« 6 Für das, um was es hier geht, ist uns aber ein noch stärkeres, ein unmittelbares Zeugnis zugänglich: wenn wir die deutsche und die hebräische Fassung des ersten der zwei einzigen Gedichte miteinander vergleichen, die Strauss in beiden Sprachen geschrieben hat: des kleinen Lieds »An die Bucht«, aus der Zeit des Fußfassens im Land. In dem »Über die Entstehung eigener Gedichte« überschriebenen Anhang von »Fahrt und Erfahrung« hat der Dichter genau und mit äußerster Nüchternheit beschrieben, wie die hebräische, wie hernach die deutsche Fassung entstand. Zu einem eigentlichen Vergleichen geben uns hier 3. 4. 5. 6.

Rainer Maria Rilke (1875-1926), Gedichte in französischer Sprache, Frankfurt a. M. 1949. L. Strauß, Fahrt und Erfahrung. Geschichten und Aufzeichnungen, Heidelberg/Darmstadt 1959, S. 98. Aus dem Anhang (»Über die Entstehung eigener Gedichte«). Ebd., S. 61. Aus dem Kapitel »Billige Reime auf das Wort lebendig«. Zu dieser Stelle siehe Tuvia Rübner, Ludwig Strauß – Dichter in zwei Sprachen, in: Ludwig Strauß 1892 – 1992, S. 113 f.

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nur der Anfang und der Schluß einen Anhalt. Im deutschen Gedicht lautet er: »Du legst Sand / Rein wie Feuer / […]«. 7 Aber im hebräischen hatte es geheißen: »Du legtest Sand, / Brennende Reinheit […].« 8 Hier gab es kein »wie«, sondern das einzige Bild, aus zwei Worten gebildet, die aber nicht ein Adjektiv und ein Nomen, sondern ein Partizip und ein Nomen waren. Die Äußerung der Schau hatte einen dynamischen Charakter angenommen. Mehr noch: das hebräische Wort, das »Reinheit« bedeutet, wirkt mit voller Konkretheit; das deutsche Wort wäre der Abstraktheit nicht ganz zu entkleiden; aber das Adjektiv mitsamt dem Nomen des zum Vergleich genannten Elements, sagen von der anderen, der deutschen Seite her, was zu sagen ist, dasselbe und doch nicht mehr dasselbe. Anders, aber nicht weniger kennzeichnend, verhalten sich die zwei Schlußverse der einen und der anderen Fassung zueinander. Deutsch lauten sie »Und meine Sinne wie Ähren / Fallen«; hebräisch hatte es geheissen: »Und meine Sinne wie Ähren fallen, / Schwinden.« 9 In diesem Endwort, das im Deutschen die Gestalt des Gedichts zerstört hätte, hat sich der urhebräische, der biblische Hang zur ausschwingenden Vollständigkeit überliefert. Und ein Letztes noch. In der Mitte des Gedichts, am Anfang der zweiten Strophe, lesen wir in der deutschen Fassung: »Nichts als / Schauen will ich –.« In der hebräischen Fassung hingegen sagt der erste Vers dieser Strophe (der für die zwei deutschen steht): »Und zu meiner Seele sprach ich: Erwache, schaue!« 10 Hier hat die zentrale Macht der biblischen Seele, die dialogische, den Dichter überwältigt. Im Übergang zur deutschen Form mußte er sich davon freimachen. Unsere Zeit hat deutlicher als frühere erkannt, daß die Echtheit des echten Gedichts sich in der vollkommenen Einheit voll Gehalt und Form bekundet. Zu den wenigen, die das so deutlich erkannt haben, gehört Ludwig Strauss. Diese unsere Einsicht hilft dazu, jenes »Lippenpaar« als Seelenpaar zu verstellen, im Zusammenhang eines großen Vorgangs der Geistesgeschichte.

7. »An die Bucht«, in: Fahrt und Erfahrung, S. 97. 8. Hebr. »El ha-Mifratz«, in: [Arieh] Ludwig Strauß, Scha’ot wa-Dor. Schirim, Jerusalem: Mosad Bialik 1951, S. 13.: Hebr. Schat chol, / Tohar dolek […] 9. Ebd., hebr. We-chuschai ka-schibalim jiplu, / Jichlu. 10. Ebd., hebr. U-le-nafschi sakhti: »Uri chazi!«

Buber / p. 93 / 29.8.2003

Jakob Hegner zu seinem siebzigsten Geburtstag Für Jakob Hegner, das aus geschriebenen oder gedruckten Buchstaben zusammengesetzte Wort ist ein Sinnbild des aus gesprochenen Lauten zusammengesetzten und dieses ein Sinnbild des zeichenlos gemeinten. Weil dem so ist, reicht, wo das echte Wort gemeint ist, die sinnbildliche Verknüpfung bis in die typographische Gestaltung des Buchs, als in das letzte Stadium im Weg des Wortes zu seiner Darstellung; auch dieses Stück noch gehört zu Dienst und Verantwortung am Wort. Darum geht, wo das echte Wort gesagt ist, die Aufgabe, ein Buch »herzustellen«, letztlich nicht bloß über die technischen Zwecksetzungen, sondern auch über die ästhetischen hinaus, es kommt darauf an, dem Leser, dem authentischen Leser in seiner Aufnahme des Wortes so sehr zu helfen, wie das eben mit technischen und ästhetischen Mitteln tunlich ist. Wenn nun aber der Hersteller von Büchern zugleich – wie es eigentlich immer sein sollte – ihr Verleger ist, vereinigt er mit jener eine wesensverschiedene Verantwortung: für die Wahl zwischen dem echten, rechtmäßig sinnbildlichen Wort und dem andern, dem geläufigen. Er hat, an seinem Orte, zwischen Wert und Unwert zu entscheiden. Und wenn er sich zurecht dafür entschieden hat, ein Buch zu verlegen und herzustellen, kommt noch eine andere Verantwortung hinzu: er hat nicht das Buch allein, er hat den Autor selber als Urheber dieses und künftiger Werke, ja sogar als diese bestimmte Person, die ihn angeht, anzunehmen, zu verstehen, zu bestätigen – und was sich daraus ergibt. Heil dem wahrhaften Träger seiner Verantwortung.

Buber / p. 94 / 29.8.2003

Buber / p. 95 / 29.8.2003

Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens Ich kann meinen Dank an den deutschen Buchhandel für die mir erwiesene Ehrung nicht aussprechen ohne zugleich darzulegen, in welchem Sinn ich sie, ebenso wie den mir vorher von der Universität Hamburg verliehenen Hansischen Goethepreis, 1 angenommen habe. Vor einem Jahrzehnt etwa hat eine erhebliche Anzahl deutscher Menschen – es müssen mehrere Tausende gewesen sein – auf den indirekten Befehl der deutschen Reichsregierung, auf den direkten Befehl von deren Beauftragten, Millionen meiner Volks- und Glaubensgenossen umgebracht, in einer systematisch vorbereiteten und durchgeführten Prozedur, der an organisierter Grausamkeit kein früherer geschichtlicher Vorgang zu vergleichen ist. Ich, einer der am Leben Gebliebenen, habe mit denen, die an jener Handlung in irgendeiner Funktion teilgenommen haben, die Dimension des menschlichen Daseins nur zum Scheine gemein; sie haben sich dem menschlichen Bereich so dimensional entrückt, so in eine meinem Vorstellungsvermögen unzugängliche Sphäre der monströsen Unmenschlichkeit versetzt, daß nicht einmal ein Haß, geschweige denn eine Haß-Überwindung in mir hat aufkommen können. Und was bin ich, daß ich mich vermessen könnte, hier zu »vergeben«! Anders verhält es sich mit dem deutschen Volke. Ich habe von Jugend an die reale Existenz von Völkern aufs höchste ernst genommen, aber nie habe ich mir in der Sicht irgendeines geschichtlichen Moments, eines gewesenen oder eines gegenwärtigen, die in diesem Moment im Innern eines Volkes bestehende konkrete Vielfältigkeit, die bis zur Gegensätzlichkeit geht, seine konkrete innere Dialektik, durch den nivellierenden Begriff einer so und so beschaffenen, so und so handelnden Gesamtheit verdunkeln lassen. Wenn ich an das deutsche Volk der Tage von Auschwitz und Treblinka denke, sehe ich zunächst die sehr vielen, die wußten, daß das Ungeheure geschah, und sich nicht auflehnten; aber mein der Schwäche des Menschen kundiges Herz weigert sich, meinen Nächsten deswegen zu verdammen, weil er es nicht über sich vermocht hat, Märtyrer zu werden. Sodann taucht vor mir die Menge all derer auf, denen das der deutschen Öffentlichkeit Vorenthaltene unbekannt blieb, die aber auch nichts unternahmen, um zu erfahren, welche Wirklichkeit den umlaufen1.

Am 24. Juni 1953 erhielt Martin Buber den mit 10.000 DM dotierten Hansischen Johann Wolfgang von Goethe-Preis der Stadt Hamburg für das Jahr 1951. Siehe B III, S. 297 f. (Bruno Snell und Martin Buber) und Kohn, S. 456. Anläßlich der Verleihung an der Universität Hamburg hielt Buber den 1947 verfaßten Vortrag »Geltung und Grenze des politischen Prinzips« (W I, S. 1097-1108).

Buber / p. 96 / 29.8.2003

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den Gerüchten entsprach; wenn ich diese Menge im Sinne habe, überkommt mich der Gedanke an die mir ebenfalls wohlbekannte Angst der menschlichen Kreatur vor einer Wahrheit, der sie nicht standhalten zu können fürchtet. Zuletzt aber erscheinen die mir aus zuverlässigen Berichten an Angesicht, Haltung und Stimme wie Freunde vertraut Gewordenen, die sich weigerten, den Befehl auszuführen oder weiterzugeben und den Tod erlitten oder ihn sich gaben, oder die erfuhren was geschah und sich dagegen auflehnten und den Tod erlitten, oder die erfuhren was geschah und weil sie nichts dawider unternehmen konnten, sich den Tod gaben. Ich sehe diese Menschen ganz nah vor mir, in jener besonderen Intimität, die uns zuweilen mit Toten, und mit ihnen allein, verbindet; und nun herrscht in meinem Herzen die Ehrfurcht und die Liebe zu diesen deutschen Menschen. Jetzt aber nötigt mich etwas, aus der Erinnerung in die Gegenwart zu treten; und da umrauscht mich all die Jugend, die in der Zeit seit jenen Vorgängen herangewachsen ist und an dem großen Verbrechen keinen Anteil hat. Diese Jugend, die heute doch wohl die eigentlichste Lebendigkeit des deutschen Volkes ist, zeigt sich mir in einer gewaltigen inneren Dialektik. Ihr Kern ist als Kern in einen inneren Kampf einbezogen, der zumeist gleichsam unterirdisch verläuft und nur von einer Zeit zur andern an die Oberfläche tritt. Dieser aber ist nur ein Teil, und zwar der immerhin schon deutlichste Teil des großen Innenkampfes, der heute in allen Völkern, in der Herzgrube jedes Volkes, mehr oder weniger bewußt, mehr oder weniger leidenschaftlich gekämpft I wird. Die Rüstung zur Endschlacht des homo humanus gegen den homo antihumanus II hat in der Tiefe angehoben; aber die Front zerfällt in so viele Einzelfronten, als es Völker gibt, und die an einer Einzelfront stehen, wissen meist nichts von den anderen Einzelfronten. Noch deckt Dämmerung den Kampf, von dessen Verlauf und Ausgang es wohl abhängt, ob aus dem Geschlecht der Menschen trotz allem doch eine Menschheit wird. Der sogenannte kalte Krieg zweier riesenhaften Staatengruppen samt all seinen Nebenwerken verdeckt noch die wahre Kampf-Pflicht und -Solidarität, deren Linie quer durch alle Staaten und Staatsvölker geht, gleichviel wie diese ihr Regime benennen; aber der Blick für die tiefere Wirklichkeit, für die wahre Not und Gefahr ist im Wachsen. In Deutschland, vornehmlich in der deutschen Jugend, trotz all ihrer Zerrissenheit, habe ich mehr davon gefunden als sonstwo. Die Erinnerung an die zwölfjährige Herrschaft des

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homo antihumanus hat hier den Geist wacher und des ihm als Geist aufgetragenen Werkes bewußter gemacht, als er vordem war. Kundgebungen wie die Erteilung des Hansischen Goethepreises und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an einen überlebenden Erzjuden wollen in diesem Zusammenhang verstanden werden; auch sie sind Momente im Ringen des Menschengeistes gegen die Dämonie des Untermenschlichen und Widermenschlichen. Der Überlebende, an dem sich solche Kundgebungen vollziehen, ist in die hohe Pflicht der Querfront-Solidarität genommen: Solidarität aller Teilscharen in dem entbrennenden Kampf um das Werden einer Menschheit. Diese Pflicht ist in der gegenwärtigen Stunde die höchste Erdenpflicht. Ihr zu gehorchen lag dem zum Symbol erwählten Juden auch da, gerade da ob, wo das nie zu tilgende Gedächtnis dessen, was geschehen ist, sich dawider stellte. Denn wenn er vor kurzem dem über alles hinaus sieghaft wirkenden Geiste Goethes dankte und heute dem Friedensgeist dankt, der immer wieder und jetzt wie je aus Büchern deutscher Zunge zur Welt spricht, bedeutet sein Dank sein solidarisches Bekenntnis zum gemeinsamen – auch Deutschen und Juden gemeinsamen – Kampf gegen das Widermenschliche und die Entgegnung auf ein vernommenes Gelübde von Kämpfern. * Horchen auf die menschliche Stimme, wo sie unverfälscht ertönt, und Entgegnung an sie – das ist es, wessen es heute zuvorderst bedarf. Der betriebstolle Lärm der Stunde darf die vox humana 2 , die zu Stimme gewordene Essenz des Menschlichen, nicht länger übertönen. Sie soll aber nicht bloß gehört werden, Antwort soll ihr widerfahren, die sie aus der einsamen Monologik ins anhebende Gespräch der Völker zieht. In ihren menschlichen Menschen müssen die Völker ins Gespräch kommen, wenn der Große Friede erscheinen und das verwüstete Leben der Erde erneuern soll. Der Große Friede ist etwas wesensmäßig anderes als der Nichtkrieg. Auf einem frühen Wandbild im Stadthaus von Siena sind die bürgerlichen Tugenden versammelt.3 Würdig und würdebewußt sitzen die Frauen da, bis auf eine in ihrer Mitte, die sie alle überragt, nicht Würde mehr, sondern gelassene Majestät; drei Lettern melden ihren Namen: Pax. 4 Das 2. 3. 4.

Lat. »menschliche Stimme«. Es handelt sich um die von Ambrogio Lorenzetti (1285-1348) zwischen 1336 und 1339 geschaffenen Fresken im Palazzo Pubblico in Siena. Lat. »Friede«.

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ist der Große Friede, den ich meine. Sein Name bedeutet nicht, daß es ein Etwas, das man Krieg nannte, nicht mehr gibt, seit er waltet – das ist viel zu wenig, als daß man daraus diese Serenität verstehen könnte; er bedeutet, daß es nun etwas gibt, wirklich gibt, das größer und mächtiger, noch größer und noch mächtiger ist als der Krieg. In den Krieg gehen die menschlichen Leidenschaften ein wie die Wasser ins Meer und er schaltet mit ihnen, aber in den Großen Frieden müßten sie eingehn wie die Erze ins Feuer, daß es sie schmelze und verwandle, und nun würden die Menschenvölker in gewaltigerer Leidenschaft miteinander bauen, als sie je gegeneinander gefochten haben. Der sienesische Maler hat die hohe Pax nur in seinem Traum gesehen. Aus der geschichtlichen Wirklichkeit kannte er sie nicht, denn da ist sie noch niemals erschienen. Was man in der Geschichte Frieden nennt, ist ja nie etwas anderes gewesen als eine – angstvolle oder illusionsselige – Pause zwischen zwei Kriegen. Der weibliche Genius aber, den der Maler in seinem Traume sah, ist eine Herrin nicht der Unterbrechungen, sondern der neuen, der größeren Taten. Dürfen wir denn nun Hoffnung hegen, daß das aller bisherigen Geschichte unbekannt gebliebene Antlitz diesem unserm Spätgeschlecht erstrahle, das unrettbar dem Unheil verfallen scheint? Haben wir uns doch gewöhnt, den Weltzustand, in dem wir seit dem Ende des zweiten Weltkriegs leben, nicht einmal mehr als Frieden, sondern als die »kalte« Phase des in Permanenz erklärten Weltkriegs zu bezeichnen! Ist es nicht Schwärmerei, aus einem Zustand, der auch den Schein des Friedens nicht mehr zu wahren sucht, von dem nie gewesenen Großen Frieden als von etwas Erreichbarem zu reden? Es ist gerade die Tiefe der Krisis, die uns so zu hoffen erlaubt. Das ist nicht eine der geschichtlich vertrauten Erkrankungen des Völkerlebens, aus denen es zu einer gemächlichen Genesung gelangen mag: Urkräfte sind aufgerufen, an der einmaligen Entscheidung, die es gilt, der zwischen Verderben und Wiedergeburt, wirkend teilzunehmen. Es ist ja nicht der Krieg, durch den diese Krisis hervorgebracht worden ist, sondern sie, die Krisis des Menschen ist es, die diesen totalen Krieg und den auf ihn folgenden nichtigen Frieden hervorgebracht hat. Der Krieg hat von je einen Widerpart, der fast nie als solcher hervortritt, aber in der Stille sein Werk tut: die Sprache, – die erfüllte Sprache, die Sprache des echten Gesprächs, in der Menschen einander verstehen und sich miteinander verständigen. Es liegt im Wesen schon des primitiven Kriegs, daß er jeweils da beginnt, wo die Sprache aufhört, das heißt, wo die Menschen sich nicht mehr miteinander über die strittigen Gegenstände zu unterreden oder sie der schlichtenden Rede zu unterbreiten

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vermögen, sondern miteinander der Sprache entfliehen, um in der Sprachlosigkeit des Einanderumbringens eine vermeintliche Entscheidung, sozusagen ein Gottesurteil zu suchen; bald bemächtigt sich freilich der Krieg auch der Sprache und versklavt sie in den Dienst seines Schlacht-Geschreis. Wo aber die Sprache, und sei es noch so scheu, wieder von Lager zu Lager sich vernehmen läßt, ist der Krieg schon in Frage gestellt. Seinen Kartätschen wird es leicht, das Wort zu übertönen; aber wenn das Wort ganz lautlos geworden ist und nun, lautlos, hüben und drüben die Kunde in die Herzen trägt, daß kein menschlicher Konflikt durch Töten, auch nicht durch Massentötung, wirklich zu lösen ist, hat es, das Menschenwort, schon angefangen, die Kartätschen zum Verstummen zu bringen. Jetzt jedoch hat die Krisis des Menschen, die in unserem Zeitalter in die Erscheinung getreten ist, insbesondere eben das Verhältnis des Menschen zu Sprache und Gespräch zu zerrütten unternommen. Der Mensch in der Krisis, das ist der Mensch, der seine Sache nicht mehr dem Gespräch anvertraut, weil ihm dessen Voraussetzung, das Vertrauen, verlorengegangen ist. Darum hat der kriegsbesessene Widerfriede, der sich heute Frieden nennt, über die Menschen kommen können. Was bisher in jeder geschichtlichen Friedenszeit sich erhoben hatte, das lebendige Wort zwischen Mensch und Mensch, die Differenz der Interessen und Gesinnungen Mal um Mal entgiftend, daß sie nicht zur Absurdität des Nicht-mehrweiter, zum Wahn des Krieg-führen-müssens entartete, das lebendige Wort des Menschengesprächs, das jeweils seine Flüge tat, bis der Wahn es erstickte, scheint nun mitten im Nichtkrieg entseelt worden zu sein. Die Debatten der Staatenvertreter, die der Rundfunk uns zuträgt, haben mit einem Menschengespräch nichts mehr gemein: man redet nicht zueinander, sondern in die gesichtslose Öffentlichkeit hin. Aber auch die Kongresse und Konferenzen, die im Namen der Völkerverständigung tagen, entbehren der Substanz, die allein die Verhandlung zum echten Gespräch zu erheben vermag: der unbefangenen Direktheit in Anrede und Antwort. Darin aber verdichtet sich nur die allgemeine Tatsache, daß die Menschen nicht mehr willens oder nicht mehr fähig sind, unmittelbar zueinander zu sprechen. Sie sind es nicht, weil sie kein Vertrauen mehr zueinander haben, und jeder weiß, daß der andre zu ihm kein Vertrauen mehr hat. Hält aber etwa einer im Getriebe der widersprachlichen Rede inne und besinnt sich, dann merkt er, daß in all seinem Verhältnis zu irgendwem kaum noch etwas besteht, das Vertrauen genannt zu werden verdiente. Und dennoch ist es, man muß das wieder und wieder sagen, gerade die Tiefe der Krisis, die uns zu hoffen ermächtigt. Wagen wir es nur, die Si-

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tuation mit jenem großen Realismus zu erfassen, der zwar all die bestimmbaren Realien des öffentlichen Lebens überschaut, aus denen sie sich zusammenzusetzen scheint, aber auch des Allerrealsten gewahr wird, das insgeheim auf ihrem Grunde webt, der Latenz von Heilung und Heil im Angesicht des drohenden Untergangs. Was außerhalb der Krisis nie sich offenbarte, die wendende Macht, tritt ans Werk, wenn der von der Verzweiflung Ergriffene, statt sich fallen zu lassen, seine Urkräfte aufruft und mit ihnen die Umkehr des Wesens vollzieht. So geschieht es im Leben der Person und so in dem der Gattung. In der Tiefe ist die Krisis nackte Entscheidung: nicht ein Schwanken zwischen Verschlechterung und Besserung, sondern Entscheidung zwischen Zersetzung und Erneuerung des Gewebes. Die Krisis des Menschen, die in unseren Tagen kenntlich geworden ist, gibt sich am deutlichsten als Krisis des Vertrauens kund, wenn wir diesen Begriff des Wirtschaftslebens so gesteigert anwenden wollen. Man fragt: Vertrauen zu wem? Aber die Frage enthält schon eine Begrenzung, die hier nicht zulässig ist. Es ist das Vertrauen schlechthin, das dem Menschen dieses Zeitalters immer mehr abhanden gekommen ist. Und damit ist aufs engste die Krisis der Sprache verbunden; denn im wahren Sinn zu einem sprechen kann ich nur, wenn ich erwarten darf, daß er mein Wort wahrhaft aufnehme. Darum sind die Tatsache, daß es dem heutigen Menschen so schwer fällt zu beten (wohlgemerkt: nicht, für wahr zu halten, daß es einen Gott gibt, sondern ihn anzureden), und die Tatsache, daß es ihm so schwer fällt, mit seinem Mitmenschen ein echtes Gespräch zu führen, Stücke eines einzigen Sachverhalts. Dieser Mangel an Vertrauen zum Sein, diese Unfähigkeit zum rückhaltlosen Umgang mit dem Andern weisen auf eine innerste Erkrankung des Daseinssinns hin. Eine der Äußerungsformen dieser Erkrankung, und die aktuellste von allen, ist das, wovon ich ausgegangen bin: daß ein echtes Wort zwischen den Lagern nicht aufkommt. Kann solch eine Krankheit heilbar sein? Ich glaube, daß sie es ist, und von diesem meinem Glauben aus spreche ich zu Ihnen. Ich habe keine Beweise für meinen Glauben, ein Glaube ist nicht beweisbar, sonst wäre er nicht was er ist, das große Wagnis. Statt eines Beweises rufe ich den potentiellen Glauben eines jeden meiner Hörer an, der ihn zu glauben vermag. Wenn es Heilung gibt, wo kann die heilende Handlung ansetzen? Vielmehr, wo muß die Wesensumkehr beginnen, auf die die heilenden Mächte, die Heilsmächte auf dem Grunde der Krisis warten? Daß die Völker, die Völkermenschen kein echtes Gespräch mehr miteinander führen können, ist nicht bloß das aktuellste, es ist auch das uns

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am dringendsten anfordernde Phänomen der Pathologie unserer Zeit. Ich glaube trotz allem, daß die Völker in dieser Stunde ins Gespräch, in ein echtes Gespräch miteinander kommen können. Ein echtes Gespräch ist eins, in dem jeder der Partner den andern, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen existenten Andern wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so kann der Gegensatz zwar gewiß nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden. Zum Beginnen des Gesprächs sind naturgemäß jene berufen, die heute in jedem Volk den Kampf gegen das Widermenschliche kämpfen. Sie, die die ungewußte große Querfront des Menschentums bilden, sollen sie bewußt machen, indem sie rückhaltlos miteinander sprechen, nicht über das Trennende hinweg, sondern entschlossen, es gemeinsam zu tragen. Ihnen entgegen steht der Nutznießer der Völkertrennung, das Widermenschliche im Menschen, welches das Untermenschliche ist, der Feind der werdenwollenden Menschheit. Das Wort Satan bedeutet im Hebräischen Hinderer. Das ist die rechte Bezeichnung des Widermenschlichen im Menschen und im Menschengeschlecht. Lassen wir von dem satanischen Element darin uns nicht hindern, den Menschen zu verwirklichen! Erlösen wir die Sprache aus ihrem Bann! Unterfangen wir uns, trotz allem, zu vertrauen!

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Dem Gemeinschaftlichen folgen 1 Unter den Sprüchen, mit denen Heraklit zum Bau der abendländischen Denkweise den Grund gelegt hat, ist einer von so großer Schlichtheit und dünkt uns Spätlingen des Geistes so selbstverständlich, daß wir ihn als nur gleichnishaft gemeint zu verstehen gewohnt sind, zumal Heraklit selbst in anderen Sprüchen sich solchermaßen auf ihn zu beziehen scheint. Aber in dieser Höhe besteht nichts Konkretes, das nur als Gleichnis gilt, nichts, was nicht auch als Aussage der unmittelbaren Anschauung einer wahrgenommenen Wirklichkeit vollkommenen Bestand hat. Der Spruch besagt, die Wachenden, hätten einen einzigen ihnen gemeinschaftlichen Kosmos, 1 das heißt eine einzige Weltgestalt, an der sie gemeinschaftlich teilhaben, – und damit ist schon ausgesprochen, worauf der späte Moralphilosoph Plutarch, der uns das Fragment erhalten hat, interpretierend hindeutet, daß nämlich jeder Schläfer sich von dem gemeinsamen Kosmos ab und einem ihm allein eigenen Etwas zuwendet, welches er also mit keinem andern teilt und mit keinem zu teilen vermag. 2 Die Zweiheit von Wachen und Schlaf ist hier nicht, wie anderswo bei Heraklit, ein Sinnbild der Zweiheit jener Menschen, die des Seins und seines Sinns inne sind, und all der andern die davon abgekehrt leben.3 Hier ist – wie es je und je not tut, damit ein echtes Sinnbild im Geiste werden könne – ein leiblich Seiendes in entscheidender Schau gefaßt. Der Ephesier macht hier dem Okzident die grundlegende Einsicht offenbar, daß der rhythmisch geregelte Ablauf unseres täglichen Lebens nicht einen Wechsel zweier Zustände, sondern einen Wechsel zweier Bereiche bedeutet, in denen wir uns abwechselnd finden und von denen er den einen einen Kosmos nenntI . Diesen einen Kosmos, II den Heraklit als wertsetzender Denker bejaht, bezeichnet er als ein den Menschen Gemeinschaftliches. Das bedeutet aber Anderes und Größeres, als daß sie allesamt in jenem Bereich hausen, den wir Welt nennen, oder daß jedem von ihnen eben dieser Bereich zur 1. 2. 3.

Vgl. Heraklit, DK 22 B 89: »Die Wachenden haben eine einzige und gemeinsame Welt …« Ebd.: »… doch jeder Schlummernde wendet sich nur an seine eigene [Plutarch].« Vgl. DK 22 B 1 und DK 22 B 72.

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L, W: »Kosmos« benennt L, W: eben den

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Wahrnahme gegeben ist. »Das Gemeinschaftliche« ist für Heraklit die tragende Kategorie, die es ihm trotz des von ihm so peinvoll erlittenen und so grimmig gerügten Unverstands der Menschen möglich macht, ihr Miteinandersein, die Allgegenseitigkeit des Menschenwesens als ein geistig Wirkliches zu begreifen und zu bestätigen. Wenn Heraklit etwa vom Logos, dem in der Substanz des Wortes wohnenden Sinn des Seins, sagt, er sei gemeinschaftlich, 4 so ist damit geäußert, daß die Allheit der Menschen in der ewigen Ursprünglichkeit ihres sprachlichen Umgangs miteinander am Vollzug dieses Inwohnens teilhat. So verhält es sich auch mit der Weltgestalt, die der Gesamtheit des Menschengeschlechts zugehört, mit dem »gemeinschaftlichen Kosmos«. Derselbe Sinn des Seins, der im Wortwerden waltet, dieselbe im Feuer der Gegensätzlichkeit sich stets erneuernde Echtheit ist es, die sich im Weltprozeß verkörpert. Aber diese Welt, die Heraklit als die Welt der Menschen versteht, baut sich immer nur aus der Allheit des Menschengeschlechts auf, dem sie zugehört. Mit allem, was Menschen sind, tragen sie zum kosmischen Vorgang bei. Als einzelne sind sie sogar im Schlaf, mögen sie auch jeder in seinem Eigenbereich versenkt sein, dennoch, wie Heraklit sagt, »Werker und Mitwirker am Weltgeschehen«,5 passive Werker. Das heißt: es gibt keinen Zustand, in dem der einzelne lediglich ein Eigensein führte, ohne eben dadurch, was er in diesem Zustand lebt, sein Teil zum LebenI seiner menschlichen Umwelt und zu dem der Welt überhaupt beizusteuern. Aber an der Weltgestalt selber, die eben ein menschlicher Kosmos ist, als Kosmos dem Menschen als Menschen kenntlich, daran bauen sie wachend, gemeinschaftlich, miteinander in der Welt umgehend, einander von der Macht des Logos her helfend, die Welt als Weltordnung zu fassen, ohne welche ordnende Fassung sie nicht Welt ist und nicht Welt sein kann. Das freilich vermögen sie nur, wenn und insofern sie wahrhaft Wachende sind, wenn sie nicht im Wachen schlafen und traumhaften Trug, eigene Einsicht genannt, spinnen, – wenn sie gemeinschaftlich existieren. »Man soll dem Gemeinschaftlichen folgen.« 6 Dieser große Spruch Heraklits erschließt sich uns erst dann, wenn wir seine Lehre von der Gemeinschaftlichkeit des Logos wird des Kosmos aufgenommen haben. Wa4.

6.

Vgl. DK 22 B 2: »Drum ist es Pflicht dem Gemeinsamen zu folgen – d. h. dem Gemeinschaftlichen, denn der gemeinschaftliche [Logos] ist allgemein [Sextus Empiricus]. Aber obschon das Wort [logos] allen gemein ist, leben die meisten so, als ob sie eine eigene Einsicht hätten.« DK 22 B 75: »Die Schlafenden nennt, glaub’ ich, Heraklit Werker und Mitwirker an den Weltereignissen.« Vgl. Anm. 4.

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L, W ers. »Leben« durch »Werden«

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chen und Schlaf sind eines von den Gegensatzpaaren, in denen sich nach Heraklit die Einheit des Seins, in ihnen schwingend und die eigene Spannung in ihnen austragend, erfüllt. In jedem Paar hat jeder der beiden Gegensätze seinen Stand und sein Recht; aber die Verwischungen und Verquickungen sind vom Übel. So verhält es sich auch mit Wachen und Schlaf. Im Schlaf gibt es keinen faktischen Zusammenschluß mit anderen; jeder träumt von den anderen, aber die, von denen er träumt, haben nicht teil an seinem Traum. So soll auch die traumhafte Verlorenheit eines jeden an sein Eignes nicht in die gemeinschaftliche Wachwelt dringen. Hier und nur hier sind wir Wir. Hier dürfen wir wache Menschen als solche den Logos vernehmen, indem wir einander in unserer Wahrheit vernehmen, durch deren Stimme er spricht, und hier sind wir mit dem Kosmos werkhaft vertraut, mit ihm durch unser Zusammenwirken vertraut, weil er in dem Maße Kosmos wird, als wir ihn mitsammen erfahren. Heraklit stellt uns in die reine Pflicht und Verantwortung des wachen Miteinanderseins. Er verwirft selbstverständlich nicht den Traum, der dort, in der dem Wir unzugänglichen Entrücktheit, seinen Stand und sein Recht hat, aber er verwirft die traumhafte Absage an das Wir, die mit ihrem Trug den gemeinschaftlichen Tag sprengt.

2 Mit seiner Verkündigung der den Wachenden zugeteilten Weltgestalt und des in ihr sich darstellenden Seinssinnes als des Gemeinschaftlichen, dem wir folgen sollen, hat Heraklit dem Geiste das Werk angewiesen, sich, in Menschenwelt wachend, und das heißt eben: gemeinschaftlich gemeinschaftliche Wirklichkeit stiftend, zu bekunden. Was das in der Geschichte des Geistes bedeutet, sei an zwei Gegenbeispielen verdeutlicht. Im selben Zeitalter, in dem der kleinasiatische Grieche Heraklit Recht und Pflicht des wachen Geistes stiftete, hat sich in China, zumeist in mündlicher Überlieferung, die entscheidende Prägung einer Lehre begeben, die der seinen denkwürdig ähnlich und zugleich denkwürdig unähnlich ist. Es ist die Lehre von Tao, 7 der »Bahn«, die selber unbedingte Einheit ist, aber den Wechsel der Gegensätze und gegensätzlichen Prozesse, ihre Entsprechungen und ihre Widersprechungen, ihre Kämpfe und ihre Paarungen trägt, umfängt und rhythmisch regelt. Das geschieht so in der 7.

Siehe besonders Buber, »Die Lehre vom Tao«, als Nachwort zu Reden und Gleichnisse des Tschuang Tse (1910), und W I, S. 1021-1051. Buber benützte vor allem die von Alexander Ular besorgte Ausgabe Die Bahn und der rechte Weg des Lao-Tse der chinesischen Urschrift nachgedacht von Alexander Ular, Leipzig 1919.

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Welt wie im Geist, denn ebenso wie bei Heraklit ist auch hier die Ordnung beider Eine. Die Gegensätze selber aber stehen hier nicht wie dort in der nicht weiter zurückzuführenden Vielfältigkeit von Feuer und Wasser, Tag und Nacht, Leben und Tod, sondern all diese und ihresgleichen alle sind nur Erscheinungen und Akte der zwei Urwesenheiten, Yin und Yang, die sich als das Weibliche und das Männliche, das Dunkle und das Helle, das Lockere und das Feste, das Nachgiebige und das Vordringende, ja das Nichtsein und das Sein manifestieren. Sie ergänzen einander, vermählen sich miteinander; in dem Buch Tao Te King, das trotz aller Unsicherheit der Traditionen manches von der ältesten Sprachschicht der Lehre bewahrt zu haben scheint, heißt es sogar, Sein und Nichtsein brächten einander hervor. 8 Dennoch wird hier, anders als bei Heraklit, dem passiven Prinzip der Vorrang zugesprochen, weil es das wahrhaft wirksame sei. Was sich daraus für das Verhältnis zwischen dem Bereich des Wachens und dem des Traums ergibt, zeigt sich mit äußerster Anschaulichkeit in einem Text des Tschuangtse, eines Denkers und Dichters des vierten Jahrhunderts, der sich als einen nachgeborenen Jünger des ganz voll Sage umwobenen Laotse verstand. Tschuangtse berichtet einen Traum und dessen Nachspiel. Er redet von sich in der dritten Person. »Tschuang Tschou«, heißt es bei ihm, »träumte einst, er sei ein Schmetterling, ein hin und her flatternder Schmetterling, ohne Sorge und Wunsch, seines Tschuang Tschou-Daseins unbewußt. Plötzlich erwachte er, und da lag er, wieder der selbige Tschuang Tschou. Nun weiß er nicht: ist er ein Mensch, der träumte, er sei ein Schmetterling, oder ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch?« 9 Der Text ist nicht vereinzelt. In einem anderen taoistischen Buch 10 wird von einem Fabelreich erzählt, an dessen Grenze das Spiel der Gegensätze erlahmt. Da gibt es keinen Unterschied von Kälte und Wärme, von Nacht und Tag. Die Insassen, die weder der Nahrung noch der Kleidung bedürfen, schlafen sieben Wochen lang. Wenn sie dann erwachen, halten sie, was sie geträumt haben, für wirklich, und was sie nun erfahren, für scheinbar. Es ist offenkundig, daß in dieser Lehre dem wachen Dasein kein Vor8. Lao Tse, Tao Te king. Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm, Jena 1911 (Neuaufl., Düsseldorf/Köln 1957), S. 2: »Denn Sein und Nichtsein erzeugen einander.« 9. Vgl. Reden und Gleichnisse des Tschuang Tse, S. 9. Bei Buber ist der Traum in der Ich-Form wiedergegeben. 10. Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund »Tschung Hü Dschen Ging«. Die Lehren der Philosophen Liä Yü Kou und Yang Dschu. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm, Jena 1921 (1911). Buch III, 5, S. 33.

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zug zukommt, ja daß, wenn einer der beiden Bereiche als Welt anzusprechen wäre, es gar eher wohl der des Traums sein könnte, und zwar gerade deshalb, weil er sich dem Erwachenden als Traum zu erkennen gibt, wogegen der Erfahrungskreis des Wachen die Wirklichkeit schlechthin zu sein prätendiert, ohne daß er diesen Anspruch zu begründen vermöchte. Logos und Kosmos gelten hier nicht. Aber auch das Gemeinschaftliche gilt hier nicht. Der sich abkehrende Einzelmensch bekommt das volle Maß des Daseins zugeteilt. In demselben Abschnitt, in dem von jenem Fabelreich erzählt wird, lesen wir, wie ein gebrechlicher Knecht von seinem Herrn grausam geplackt wurde, aber Nacht um Nacht träumte, er sei ein Fürst und lebe in Freuden, und deshalb auch bei Tag mit seinem Lose zufrieden war, wogegen es dem Herrn umgekehrt erging. 11 Und wieder eine andere Geschichte desselben Abschnitts läßt Laotse sogar den Wahnsinn mit gelassenem Humor in ähnlicher Weise behandeln; »wäre die ganze Welt außer dir verrückt,« sagt er zum klagenden Vater eines geisteskranken Sohnes, »dann wärst eben du der Verrückte.« 12 So steht es hier um die gegensätzlichen Bereiche im Leben des Menschen. Was wir Wache als einen traumhaften Wahn determinieren, kann hier als ebenso wirklich wie die Wachwelt, ja als wirklicher gelten. Dieser Bereich steht jeweils bereit, den Menschen aufzunehmen, etwa gar tröstlich und gnadenreich. Aber eben nicht uns, sondern nur jeden einzelnen von uns besonders. Wir, als wir, können ihn nie betreten; er nimmt kein Wir auf. Jeder von uns träumt, er ginge mit anderen um; aber keiner dieser anderen erfährt es an sich, keiner betritt die Traumsphäre mit uns. Der Anspruch des Sonderbereichs, eine Welt zu sein, ist es, dem Heraklit seinen elementaren Spruch entgegenstellt: »Man soll dem Gemeinschaftlichen folgen.«

3 Die andere Kundgebung aus der morgenländischen Tiefe stößt hier weiter vor. Es ist die Lehre der ältesten Upanischaden, also eine ursprünglich streng esoterische Lehre, jeweils vom Mund des Meisters zu den Ohren der Schüler gehend, die ihm zu Füßen sitzen, die Lehre von Traumschlaf und Tiefschlaf. Der Traum wird hier durchaus als eine Vorstufe betrachtet. Der per11. Ebd., Buch III, 6, S. 34. 12. Ebd., Buch III, 9, S. 37.

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sönliche Wesensgeist wird geschildert, wie er, in den Traumschlaf eingegangen, die ganze Welt durchstreift und ihr seinen Baustoff entnimmt, den er »zerspellt«, also in die elementaren Bestandteile zerlegt, um daraus »im eigenen Licht« zu bauen, was er bauen mag, denn »er ist ein Schöpfer«.13 Verse, wohl noch älteren Ursprungs als die Lehrprosa, werden angeführt, in denen es heißt: Das niedre Nest muß ihm der Odem hüten, Er schwingt unsterblich sich vom Nest hinweg, Unsterblich schweift umher er, wo er mag, Der goldene Geist, die einsame Wandergans. Im Traumenlande schweift er auf und nieder Und schafft sich gotthaft vielerlei Gestalten. 14

Stärker als in den taoistischen Texten wird hier die souveräne Freiheit des Traums gepriesen. Allen Bindungen des Tages enthoben, schaltet er als selbstherrlicher Bildner mit der ganzen Welt, die ihm als widerstandsloser Stoff untertan ist, er bedarf zum Werk keines andern Lichtes als seines eigenen, und in göttlicher Wandlungsmächtigkeit bekleidet er sich mit Gestalt um Gestalt. Nun aber entsteigt der souveräne Geist auch der Sphäre des Traums. Er hat an dem Spiel der Wandlungen keine Genüge mehr, er gibt auch die letzte Bindung an die Welt, die durch die ihr entnommenen Bilder, auf und geht in den völlig traumlosen, bildlosen, wunschlosen Tiefschlaf ein. »Wie im Luftraum ein Falke oder Adler,« so heißt es in jenem Text weiter, »des Fliegens müde, die Fittiche faltend sich anschickt niederzuhocken, so eilt der Wesensgeist jenem Stande zu, da schlafend keinen Wunsch er wünscht und keinen Traum er schaut.« 15 Aus all den Gestalten gezogen, zu denen er den Weltstoff verwandte, hat er nun das gestaltlose Weilen im weltlosen Sein gefunden. Erst jetzt darin beschlossen und geborgen, ist er, wie es weiter heißt, »übers Verlangen hinaus, des Übels ledig, von Angst frei«, 16 denen allen er ja in der Traumwelt trotz seiner Ungebundenheit noch ausgesetzt war. Er erfährt nun nichts mehr, was von ihm selber unterschieden, unterscheidbar wäre, denn »da ist kein Zweites außer ihm«. 17 13. Brihad-Aranyaka-Upanischad, IV/3 (»Traum«). Vgl. A. Hillebrand, Aus Brahmanas und Upanishaden. Gedanken altindischer Philosophen, Jena 1923 (1921), S. 55: »Wenn er da in Schlaf versinkt, so sondert er ein Teilchen der alles enthaltenden Welt ab, zerspaltet es selbst, bau es selbst auf und versinkt beim eigenen Glanz, beim eigenen Licht in Schlaf […] er ist ein Schöpfer.« Auch P. Deussen, Sechzig Upanishad’s des Veda, Leipzig 1897), S. 468. 14. Ebd., IV/3, 10 (Hillebrand, S. 55; Deussen, S. 468). 15. Ebd., IV/3, 19 (Hillebrand, S. 56; Deussen, S. 470). 16. Ebd., IV/3, 21 (Hillebrand, S. 56; Deussen, S. 470). 17. Ebd., IV/3, 23 (Hillebrand, S. 57 f.; Deussen, S. 471 f.).

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Ein andrer, aus derselben ältesten Epoche der Upanischaden stammender Text umschreibt das gleiche in einer andern Sprache. »Wenn es heißt,« lesen wir hier, »ein Mensch schlafe« – womit eben der Tiefschlaf gemeint ist –, »ist er dem Sein geeint. Er ist in sein Selbst eingegangen. Wo einer kein Anderes sieht, kein Anderes hört, kein Anderes erkennt, dies ist die Fülle.«18 Wir müssen darauf achten, was diese Sprüche sagen, die im Abendland erst sehr spät bekanntgeworden sind, aber sich in unserem Zeitalter tiefreichend ausgewirkt haben. Der Schlaf erscheint hier als der Weg aus dem Bereich, in dem der Mensch vom Kern des Seins getrennt ist, zu dem, in dem er ihm geeint ist. Der Weg führt über die Freiheit, die sich im Traum entfaltet, zur Einheit. Diese Einheit ist die des individuellen Selbst mit dem Selbst des Seins: sie sind in Wahrheit ein einziges Selbst. Ihre Entzweiung in der Erfahrung der Wachwelt ist somit der große Trug. Von der Wachwelt wurden wir im Traum unabhängig und blieben ihr doch noch verhaftet; im Tiefschlaf werden wir von ihr frei und damit vom Trug, der allein das persönliche Selbst vom Selbst des Seins trennt, – eine Folgerung, die freilich erst von späteren, im genaueren Sinn philosophischen Lehren schlüssig gezogen wird. Demnach ist das Dasein des Menschen in der Welt das Dasein einer Scheinwelt, die eine zauberische Täuschung ist. Da aber die Identität das Selbst nur in einer absoluten Einsamkeit, wie eben der Tiefschlaf eine ist, erreicht werden kann, ist auch das Dasein zwischen Mensch und Mensch letztlich nur Schein und Trug. Jener Spruch »Das bist du« 19 , den spätere Zeiten auf das zwischenmenschliche Verhältnis haben erstrecken wollen, ist von der ursprünglichen Lehre einzig auf das Verhältnis zwischen Brahman und Atman, Selbst des Seins und Selbst der menschlichen Person, intendiert. Ob auch jedermann im Tiefschlaf die Identität alles Selbst erfährt, kann sie sich in der Wachwelt, als in der Scheinwelt, nicht stiften. Das Umschlungenwerden von einem geliebten Weib dient in einem der angeführten Upanischadtexte als Gleichnis der Einung; 20 als Tatsache des Lebens betrachtet, ist es dem Trug anheimge18. Vgl. Chandogya-Upanishad des Samveda, Sechster Prapathaka, Achter Khanda, v. 1 (Hillebrand, S. 84; Deussen, S. 164). 19. Vgl. ebd., v. 6-7: »Diese feinste Substanz durchzieht das All, das ist das Wahre, das ist das Selbst, das bist du, Çvetaketu.« In der sechsten Prapathaka dieser Upanishad belehrt Uddalaka seinen Sohn Çvetaketu über die Entstehung der Elemente des Menschen, den Schlaf, Hunger und Durst. Der Refrain »das bist du« wiederholt sich im 9. bis 11. Khanda. 20. Vgl. Brihad-Aranyaka-Upanischad, IV/3, 21: »Denn so wie einer, von einem geliebI

L: »anderer« gestrichen

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geben. Der Mensch, der der Lehre der Identität anhangt, mag freilich, wenn er zu einem Mitmenschen du sagt, zu sich, auf den andern hinweisend, sagen: »Der da bist du selber«, denn das Selbst des andern ist ja mit dem seinen identisch. Aber was das echte Dusagen zum andern in der Wirklichkeit des gemeinschaftlichen Daseins grundhaft bedeutet, die Bejahung des urtiefen Andersseins des anderen nämlich, die Bejahung seines von mir angenommenen, von mir geliebten Andersseins, das wird eben durch jene Identifikation entwertet und im Geist zunichte gemacht. Die Identitätslehre steht nicht bloß dem Glauben an das wahre Sein eines gemeinschaftlichen Logos und eines gemeinschaftlichen Kosmos entgegen; sie widerspricht auch der Erzwirklichkeit dessen, woraus alle Gemeinschaftlichkeit stammt, der menschlichen Begegnung. Das altindische »Das bist du« würde, in der faktischen wachen Kontinuität des Umgangs miteinander ernst genommen, dem Postulat einer Annihilierung der menschlichen Person, so der fremden wie der eigenen, gleichkommen, denn Person ist durch und durch Einmaligkeit, also Anderssein allem gegenüber. Und möchte darin etwa noch jenes vorgeblich universale Selbst auf dem Grunde des Ich verbleiben, Umgang könnte es mit niemand mehr pflegen. Wir aber sehen im Menschsein, in dem daraus sich ergebenden Umgang von Menschen miteinander die Chance der Begegnung zwischen Seiendem und Seiendem, in der jedes von beiden zwar nicht zu sich sagt: »Das drüben bist du«, wohl aber jedes zum andern: »Ich nehme dich an wie du bist.« Hier erst ist unverkürzte Existenz.

4 Die Absicht dieser Nebeneinanderstellung von Sprüchen Heraklits mit Sprüchen taoistischer Meister und der frühen Upanischaden ist keine historische; aber erst recht nicht geht es um eine kritische Vergleichung des Orients mit dem Okzident. Der Erdstrich zwischen Schwarzem und Rotem Meer, in dem im gleichen Zeitalter Anaximander und Heraklit auf griechisch lehrten und israelitische Propheten auf hebräisch mahnten und trösteten, ist ja nicht als ein Wall, sondern als eine Brücke zwischen Osten und Westen zu verstehen. Kamen doch die Lehren jener Denker, die Lehre vom Einander-Buße-Schulden aller Wesen und die Lehre von der Gemeinschaftlichkeit des Logos und des Kosmos, und die Botschaft ten Weibe umschlungen, kein Bewußtsein hat von dem, was außen oder innen ist, so auch hat der Geist, von dem erkenntnisartigen Selbste umschlungen, kein Bewußtsein von dem, was außen oder innen ist.«

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dieser Künder von dem Einander-Hilfe-Schulden der Menschen und von der Aufgabe eines gemeinschaftlichen Lebens, kamen doch jene und diese aus dem Herzen des Morgenlands und haben doch beide an der Grundlegung abendländischen Geistes gewirkt. Wenn ich die von scheinbarer Widersprüchlichkeit durchzuckte Philosophie Heraklits gegen die im Gleichmaß schwebenden Weisheiten des Orients anrufe, geschieht es um einer spezifischen Not unserer Zeit willen. Ich meine damit das Gegeneinanderstehen zweier Ansichten, von denen die erste die Kollektivität zuhöchst stellt, wogegen die zweite den Sinn des Daseins in dem Verhältnis des einzelnen zu seinem Selbst erschlossen oder doch erschließbar glaubt. Die erste erscheint wie eine Travestie der antiken Idee des Gemeinschaftlichen; die zweite, von westlichen Philosophen, Psychologen und Literaten vertreten, beruft sich gern auf altindische Lehren und deren Ableger. Ihr gilt die Erörterung, und der Grund für diese Wahl ist gewichtig. Der moderne Kollektivismus stellt zwar die Kollektivität über alles, aber er spricht ihr nicht den Charakter des Absoluten zu; er behandelt ja das Absolute überhaupt als eine unerlaubte Fiktion. Dagegen neigt die moderne Abart des Individualismus dazu, das individuelle Selbst, welches das Ich auf seinem Grunde findet, als das Selbst schlechthin und damit als das Absolute zu verstehen. Trotz aller Betonung des Interesses an der »Außenwelt« oder sogar einer Art von kosmischer Sympathie, trotz aller Hindeutung auf die »Allseele« als auf die eigentlich gemeinte, waltet hier unverkennbar die Tendenz zum Primat des Einzeldaseins und zu seiner Selbstherrlichkeit. Und dieser Individualismus ist noch bedenklicher als der Kollektivismus, weil die Prätention des falschen Absoluten bedenklicher als die Leugnung des Absoluten ist. Vergegenwärtigen wir uns erneut die vitale Ursprünglichkeit der drei Grundbegriffe Heraklits: der Begriffe des Gemeinschaftlichen, des Logos und des Kosmos, und unternehmen wir es, von ihrer Ursprünglichkeit aus in unsere Situation zu blicken. Heraklit sagt vom Denken, es sei allen gemeinschaftlich, und er erläutert dies auch noch dahin, alle Menschen hätten wie am Selbsterkennen so am Denken teil. In der Konkretheit seiner Betrachtung, die er bis in die höchsten Abstraktionen bewahrt, ist damit nicht das Allbekannte gemeint, daß jeder von uns die Denkfähigkeit besitzt, 21 sondern daß wir, wenn wir dem Logos gemäß erkennen und denken, dies nicht isoliert, sondern gemeinschaftlich tun: wir verschmelzen all unser Sonderwissen,

21. Vgl. DK 22 B 113: »Gemeinsam ist allen das Denken.«

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und auch noch zum Selbsterkennen hilft einer dem andern. Diesem Gemeinschaftlichen, an dem wir, miteinander lebend und aufeinander wirkend, teilhaben, »soll man folgen«. Heraklit ist stets im Einvernehmen mit der durch und durch sensuell lebendigen Sprache seiner Zeit geblieben. Daher hört der Logos auch in der äußersten Sublimierung nicht auf, ihm das sinnhafte Wort zu sein, die Menschenrede, die dem Sinn die Treue hält. Der Sinn kann im Wort sein, weil er im Sein ist. So regt er sich tief in der Seele, die des Sinns inne wird, mehrt sich in ihr, wird aus ihr zur Stimme, die zu den Mitseelen spricht und von ihnen vernommen wird, gar oft freilich ohne daß ihr Vernehmen zu einer wirklichen Aufnahme würde. Und wie der Logos, so gehört auch der Kosmos dem Gemeinschaftlichen zu als dem, woran die Menschen wie an einem gemeinsamen Werke teilhaben. Daß er ihnen gemeinschaftlich ist, meint nicht die ebenfalls allbekannte Tatsache, daß sie sich mitsammen in der Welt befinden; es meint, daß ihr Verhältnis zu ihr ein gemeinschaftliches ist. Was inzwischen als die subjektive Seite unserer Wahrnehmungen zu einiger Klärung gebracht worden ist, würde Heraklit in dieser seiner Einsicht gewiß nicht wankend gemacht haben; denn wir können ja dennoch einander die Dinge zeigen, einander die Dinge bezeichnen, jeder kann jedem, ihn ergänzend, helfen, eine Weltgestalt, eine Welt zu haben. Davon wird noch zu sprechen sein. Jetzt aber ist eine Abart jenes Individualismus ins Auge zu fassen, die uns in diesem Zusammenhang exemplarisch angeht. Die Tendenz, durch Verlassen der Gemeinschaftlichkeit eine höhere Seite des Daseins, ja das »eigentliche« Dasein 23 zu erreichen, ist hier zu einem besonders drastischen Ausdruck gelangt. Die Lobpreiser des Unternehmens meinen zwar, darin der »Welt der Selbstheit« entrückt zu sein, aber in Wahrheit sind sie durchaus beflissen, die dem einzelnen vorbehaltene Sphäre und damit die der Selbstheit zu isolieren. Die Vorgänge dieses Gebiets sind weit eher mitteilbar als was sich auf dem rein innerlichen Weg und gar an seinem Ende begibt, und so ist uns einiges Material gewährt.

22. Vgl. DK 22 B 116: »Allen Menschen ist es gegeben sich selbst zu erkennen und klug zu sein.« 23. Eine Anspielung auf die Existenzphilosophie, insbesondere Heideggers Unterscheidung der beiden »Seinsmodi« der »Eigentlichkeit« und »Uneigentlichkeit« (vgl. Sein und Zeit, S. 42 f.). Buber selbst jedoch verwendet diese Begriffe in seiner philosophischen Rechenschaft, wenn er von einer »Diskontinuität von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit«, womit er das Ich-Du bzw. Ich-Es Verhältnis versteht, spricht (vgl. Antwort, S. 637).

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5 Vor kurzem hat der namhafte englische Romancier Aldous Huxley die erstaunlichen Wirkungen des Meskalinrausches geschildert und gerühmt. 24 Meskalin wird aus einem Kaktus gewonnen, dessen Genuß von altersher mexikanische Indianerstämme so verzückt und beseligt hat, daß ihnen die freigebige Pflanze zum Mittelpunkt eines ritenreichen Kults wurde. Die Wirkungen des Rausches berichtet Huxley aus eigener Erfahrung, die sich in der Hut wohlgeschulter Selbstbeobachtung vollzieht. Was er da mit offenen Augen schaut, ist nicht etwa ein erdferner Phantasiebau, es ist die ihm vertraute häusliche Umwelt, aber von ihren räumlichen Bedingnissen losgemacht, in nie geahnter Farbengewalt und einer faszinierenden Präsenz des einzelnen Gegenstands, die Huxley mit der kubistischen Sehweise vergleicht. 25 Diese radikale Ästhetisierung des Verhältnisses zu den Dingen ist aber nur die Vorstufe einer höheren Art von Vision, die er als »die sakramentale Schau der Wirklichkeit« bezeichnet. 26 In den Religionen bedeutet Sakrament den in Leben und Sterben zu bewährenden Einstand der ganzen Person, die in ihrer leiblichen Existenz von dem Transzendenten berührt worden ist. Huxley meint aber mit sakramentaler Schau lediglich ein Eindringen und Aufgenommenwerden in die Tiefe der Sinnenwelt. Da zerfalle das durch Begriffe zusammengehaltene Schattenreich, das wir die Wirklichkeit nennen, denn es werde als »das Universum eines verminderten Bewußtseins« entlarvt, 27 und dieses verminderte Bewußtsein sei eben das in der Sprache zum Ausdruck gelangende. »Durch das Einnehmen eines geeigneten chemischen Präparats« werde jedermann, befähigt, »von innen her zu wissen, wovon der Mystiker redet«: 28 der sprachlose Urgrund des Seins öffne sich ihm in den Gegenständen. Da bestehe keine Scheidung mehr von Innen und Außen, von Subjekt und Objekt. Naturgemäß muß Huxley die Augen der im Zimmer anwesenden, ihm sonst besonders teuren Menschen meiden: sie gehören ja der »Welt der Selbstheit« 29 an, die er verlassen hat. Mit diesem Begriff bezeichnet er, ohne es auszusprechen, die gemeinschaftliche Welt. Wenn er den Meskalinrausch unter die verschiedenen Arten der »Flucht aus Selbstheit und Umwelt« einreiht, zu welcher Flucht 24. Aldous Huxley (1894-1963), The Doors of Perception, New York 1954. 25. Ebd., S. 21 f.: »Table, chair and desk came together in a composition that was like something by Braque or Juan Gris […] this purely aesthetic, Cubist’s eye view […].« 26. Ebd., S. 22: »sacramental vision od reality«. 27. Ebd., S. 23: »universe of reduced awareness.« 28. Vgl. ebd., S. 14. 29. Ebd., S. 36: »the world of selves«.

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der Drang »in fast jedem Menschen fast jederzeit vorhanden«30 sei, so meint er wieder die gemeinschaftliche Welt, der der Meskalingenießer für die Dauer seines Rausches entflieht. Huxley nennt ihn freilich den »Drang zur Selbstüberschreitung«, 31 worunter er versteht, daß der Mensch hier dem Verfangensein in das Netz seiner Nutzzwecke entgehe. In Wahrheit aber gelangt der Meskalinkonsument aus diesem Netz nicht etwa in eine freie Teilnahme am gemeinschaftlichen Sein, sondern gerade in eine schlechthin private, ihm für etliche Stunden zu eigen gegebene Sondersphäre. Die »chemischen Ferien«,32 von denen Huxley redet, sind Ferien nicht bloß von dem ins Getriebe seiner Zwecke verwickelten kleinen Ich, sondern auch von der an der Gemeinschaftlichkeit von Logos und Kosmos partizipierenden Person, – Ferien von der häufig sehr unbequemen Mahnung, sich als eine solche zu bewähren. Huxley spricht auch von Ferien von der, etwa abstoßenden, Umgebung. Aber der Mensch mag seine Situation, zu der seine Umgebung gehört, bewältigen, wie er will, er mag ihr standhalten, er mag sie ändern, er mag sie, wenn es not tut, mit einer andern vertauschen; nur die flüchtige Flucht aus dem Anspruch der Situation in die Situationslosigkeit ist keine rechtmäßige Sache des Menschen. Der wahre Name all der Paradiese, die man sich mit chemischen oder anderen Mitteln für ein Weilchen beschafft, ist Situationslosigkeit. Situationslos sind sie wie der Traumzustand und wie die Schizophrenie, weil sie ihrem Wesen nach ungemeinschaftlich sind. Jede Situation aber, auch die Situation dessen, der in die Einsamkeit ging, ist der Gemeinschaftlichkeit von Logos und Kosmos verhaftet. Zur Umwelt, von der nach Huxleys Ansicht von Zeit zu Zeit Seelenferien zu nehmen erwünscht und wohltätig ist, gehören auch die Menschen, mit denen wir leben. Haben wir eine hinreichende Dosis Meskalin eingenommen, dann verwandeln sich die Gegenstände unserer Umgebung zu eitel Herrlichkeit; nur die uns gerade umgebenden Menschen verwandeln sich nicht mit ihnen. Es ist daher wie gesagt folgerichtig, wenn Huxley, wie er erzählt,33 ihre Augen jetzt meidet; einander ansehen bedeutet ja das Gemeinschaftliche anerkennen. Es mag sein, daß die den Kaktus Peyotl genießenden Indianer einander 30. Ebd., S. 63: »The urge to escape from selfhood and the environment is in almost everyone almost all the time.« 31. Ebd., S. 62: »[T]he urge to escape, the longing to transcend themselves if only for a few moments, is and has always been on of the principal appetites of the soul.« 32. Ebd., S. 64: »the need for chemical vacations«. 33. Vgl. ebd., S. 36: »I realized that I was deliberately avoiding the eyes of those who were with me in the room.«

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nicht weniger als sonst anblicken; der moderne Zivilisationsmensch wendet in diesem Zustand seine Augen von den Menschen seiner Umgebung ab, weil es ihre Welt ist, die ihn sonst bindet. Ähnlich lesen wir es in vielen Berichten von Versuchspersonen über ihren Meskalinrausch. Sie erzählen, wie sie sich, »dem Ding an sich nah«, über allem schwebend fanden, der »peinlichen irdischen Welt« entrückt, und auch noch das von ihnen nachher als Halluzinationen Determinierte als »königliche Spiele« erlebten. 34 Und nur die andere Seite desselben Sachverhalts ist es, daß sie den anwesenden Mitmenschen mit einem tiefen Mißtrauen begegneten, daß sie am eigenen Leibe Organe des stärksten Kontakts, wie die inneren Handflächen und die Geschlechtssphäre, als vereist empfanden; daß das Gehör, der Sinn der geistigen Kommunikation, oft fast ausgeschaltet schien, ja daß es ihnen zuweilen nicht gelingen wollte, sich überhaupt Menschen vorzustellen. Dieses »Gefühl des völligen Isoliertseins« wird einmal in die Worte gefaßt: »Es braucht keine Frauen zu geben, auch keine Menschen.«35 Manche dieser Züge erinnern an eine verwandte Grundhaltung von Schizophrenen, nur daß wir bei diesen mitunter das Verlangen entdecken, einzelne Menschen, an denen ihnen in besonderer Weise gelegen ist, der verworfenen gemeinschaftlichen Welt zu entfremden und sie in die eigene allein zuverlässige und sinnreiche Sonderwelt zu entführen.

6 Huxley unterscheidet wie gesagt innerhalb des Rausches zwei Stufen. Auf der ersten sehe man die Dinge von innen her, wie der bildende Künstler sie sieht, zugleich vertieft-gegenständlich und von einem Innenlicht verklärt. Auf der zweiten, von der aus er fast verächtlich auf die geliebte Kunst als auf einen »Ersatz« hinabsieht, erlebe man gewissermaßen, was der Mystiker erlebt. In der Tat, auch der Künstler ist in seinen entscheidenden Momenten der gemeinschaftlichen Sicht entzogen und in seine besondere, figurvolle gehoben; nur daß er gerade in diesen Momenten durch und durch und bis hinein in seine Wahrnehmung selber vom Urhebertrieb, vom Gebot des Bildens bestimmt wird. Huxley versteht jene Art, alles in leuchtender 34. Buber bezieht sich hier auf die Meskalinexperimente des Heidelberger Arztes Kurt Beringer. Vgl. Kurt Beringer, Der Meskalinrausch: Seine Geschichte und Erscheinungsweise (Monographien aus dem Gesamtbereich der Neurologie und Psychiatrie, Heft 49), Berlin 1927, S. 168; S. 254. 35. Ebd., S. 199.

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Farbigkeit und vordringlicher Gegenständlichkeit zu sehen, nicht bloß als die »wie man sehen sollte«, sondern auch »wie die Dinge in Wirklichkeit sind«. 36 Was soll das konkret besagen? Was wir Wirklichkeit nennen, erscheint doch nur je und je in unserem persönlichen Kontakt mit den Dingen, die uns in ihrem Eigensein unanschaulich bleiben, und es gibt persönliche Kontakte, die freier, direkter als die andern sind, die Dinge in größerer Wucht, Frische und Tiefe figurieren. Zu ihnen gehören bildnerische, gehören auch toxische Zustände, aber der fundamentale Unterschied zwischen diesen und jenen ist, daß etwa der Meskalingenießer die Veränderung seines Bewußtseins willkürlich herstellt; die Berufung des Künstlers dagegen setzt ihn in sein unwillkürliches besonderes Verhältnis zum Seienden, und von da aus, wollend, was er soll, bewußt realisierend wirkt er sein Werk. Wo Willkür eingreift, wird die Kunst unrechtmäßig. Die gleiche Problematik zeigt sich auf der zweiten von Huxley geschilderten oder vielmehr angedeuteten Stufe. Er sagt, der Meskalinrausch befähige einen, »von innen her zu wissen, wovon der Visionär, das Medium, ja sogar der Mystiker reden«. 37 Lassen wir das problematische Medium beiseite und begnügen wir uns mit der Betrachtung der großen Visionen und mystischen Erfahrungen der Menschengeschichte, soweit sie unserer Betrachtung zugänglich gemacht worden sind. Ihnen allen ist eins gemeinsam: wem dergleichen widerfährt, den überfällt etwas aus einem Bereiche, in dem er nicht wohnt und nicht wohnen kann, ein »Gesicht«, eine »Hand«, ein »Wort«, ein »Geheimnis«. Er ist nicht im Einvernehmen damit, ja er wehrt sich oft genug gegen das ihn Antretende, er klammert sich an die gemeinschaftliche Welt, bis er ihr entrissen wird. Und das ist keinesfalls etwa ein sekundärer Zug, es ist die Essenz des Vorgangs selber. Der Schamane, der Yogin haben ihre Methoden, durch deren Übung sie Macht der Magie und Macht der Versenkung gewinnen oder zu gewinnen vermeinen; der Mensch, von dem wir reden, hat nichts als seinen Weg, auf dem er überfallen, auf dem er geführt wird. Was hier geschieht, ist keine »Flucht«: man wird ergriffen, man wird, bezwungen, man wird berufen. Beide, der Künstler und der Mystiker, versetzen sich nicht in die Verfassung, in der sie je und je ihre Schau schauen, sie empfangen sie. Sie nehmen sich nicht aus der Gemeinschaftlichkeit heraus sie werden herausgenommen. Und sie müssen nicht weniger als sich selber, die ganze lebende Person und ihr ganzes persönliches Leben hergeben, um dem standzuhalten, was sich ihrer bemächtigt hat. 36. Ebd., S. 34: »This is how one ought to see, how things really are.« 37. Vgl. ebd., S. 14.

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7 Die großen Lehren, von denen wir ausgegangen sind, die der kleinasiatischen Brücke und die des tiefen Morgenlandes, gleichen einander darin, daß in ihnen der Geist seinen Anspruch an die Ganzheit der persönlichen Existenz stellt und dieser Anspruch von dem Spruch der Lehre nur scheinbar zu trennen ist. Sie fordern das Leben dessen, der sie vernimmt, restlos an. Die frühen Upanischaden weisen auf das objektive Einswerden von Seelenselbst und Seinsselbst hin, das aus dem Aufhören des Bewußtseins im Tiefschlaf entstehe. Diese Einheit, so will es hier der Anspruch, soll durch die wache vollbewußte erkennende Person aus wissendem Dasein nachvollzogen werden, indem sie ihr eignes Selbst mit dem der Welt identifiziert. Die Lehre Laotses weist auf das Tao des Himmels hin, das der schwingenden kosmischen Gegensätze waltet, als auf das Urbild, das der Mensch nachahmen soll und nachzuahmen vermag, wenn er des ihm selber innewohnenden Tao, des Tao des Menschen, innegeworden ist; er soll und kann die ihm entgegentretenden Gegensätze des Daseins miteinander versöhnen und vermählen, ohne sie abzustumpfen. Auch dieser Lehre tut nicht weniger als die persönliche Existenz genug: die Existenz, die nicht eingreift, aber ausstrahlt. Beide Lehren wollen den Menschen aus der Verfangenheit ins Gemeinschaftliche zur Freiheit der überwindenden Abgeschiedenheit führen, die Lehre der Upanischaden in die Einsamkeit über die Welt hinaus, die taoistische in die Einsamkeit mitten in der Welt. Ihnen beiden steht die Lehre Heraklits gegenüber, die dem Gemeinschaftlichen folgen heißt; aber der Existentialanspruch des Geistes an die Person ist hier eher von noch stärkerem Gewicht. Gerade weil Heraklit anders als jene Inder das Sein des Seienden in all seiner Vielfalt annimmt und keine andere Harmonie kennt als die aus dessen Spannungen ersteht, und gerade weil er anders als jene Chinesen den Sinn des Seins nicht auf dem Grunde der Schiedlichkeit, sondern im Allgemeinschaftlichen findet, ist der Existentialanspruch hier ein so unmittelbarer. Heraklits zornigem Heischen ist es um die Menschen zu tun, die sein Wort hören, aber es noch nicht wahrhaft vernehmen. Nicht ihn sollen sie vernehmen, sagt er, sondern den ihnen gemeinschaftlichen Logos, der, um zwischen ihnen in die Gesprochenheit zu treten, des Mannes Heraklit sich bedient. Fremd ist ihnen der Logos durchaus nicht: sie haben ja, wie Heraklit sagt, dauernd den engsten Umgang mit ihm, mit dem Wort, indem sie es nämlich immerzu in den Mund nehmen, und doch leben sie im Zwist mit ihm, weil sie das sinnhafte Wort immerzu mißbrauchen und den Sinn in Widersinn verkehren.

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Denn, noch einmal sei’s hervorgehoben, nicht anders als von der Urstiftung der Ehe von Sinn und Rede aus kann der heraklitische Begriff des Logos verstanden werden. Drei- und viermal wird es uns in den erhaltenen Fragmenten eingehämmert: Logos ist etwas Vernehmbares, aber falsch Vernommenes, das in der rechten Weise, als Sinnwort eben, vernommen werden soll. Es scheint mir nicht richtig, daß man Logos vereinfachend mit »Sinn« übersetzt38 womit seine ursprüngliche Konkretheit preisgegeben wird, noch auch vermag ich zuzustimmen, wenn, von besonders zuständiger Seite, 39 interpretiert wird: »Nicht mir, sondern dem Logos in euch selber müßt ihr recht geben«, wo Heraklit schlichter Weise sagt: »nicht mich, sondern den Logos hören«. 40 Wohl hat jede Seele ihren Logos tief in sich, aber zu seiner Fülle gelangt der Logos nicht in uns, sondern zwischen uns; denn er bedeutet, die ewige Chance der Sprache, zwischen den Menschen wahr zu werden. Darum ist er ihnen gemeinschaftlich. Dem Menschen als Menschen eignet der stets erneute Vorgang des Eintritts des Sinns in das lebendige Wort. Heraklit fordert von der menschlichen Person, diesen Vorgang lebensmäßig so zu hüten, daß sie an der Wirklichkeit des gemeinschaftlichen Logos, an einem echten Sinndienst legitim teilhabe. Aus solchen Personen allein kann sich ein Ring schließen, der dem Logos folgt. Es sind die wahrhaft miteinander Denkenden, weil sie wahrhaft zueinander reden. Alle Menschen haben nach Heraklit wesenhaft I teil am Selbsterkennen und am einsichtigen Denken. Das ist natürlich etwas, was jede Person nur personhaft vollziehen kann; aber indem sie es vollzieht, und soweit sie es vollzieht, nimmt sie teil an der Selbsterkenntnis des Menschen, und an seinem gemeinschaftlichen Den38.

[Anm. Buber:] Walter Kranz. Vgl. etwa DK 22 B 2. In der Ausgabe von Hermann Diels hieß es: »Aber obschon das Wort allen gemein ist, leben die meisten so, als ob sie eine eigene Einsicht hätten.« (H. Diels, Heraklitos von Ephesos. Griechisch und deutsch, Berlin 1901). In der Bearbeitung von Walter Kranz dagegen: »Aber obschon der Sinn gemeinsam ist, leben die Vielen, als hätten sie eine eigene Einsicht.« (H. Diels/W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker I, Berlin 1952). 39. [Anm. Buber:] Karl Reinhardt. Gemeint ist der Berliner Altphilologe Karl Reinhardt (1886-1958). Buber bezieht sich auf Reinhardts Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie, Bonn 1916, S. 219: »Nicht mir, sondern dem Logos in euch selber müßt ihr Recht geben und eingestehen, daß alles eins ist.« Es handelt sich um das Fragment DK 22 B 50. Zu Reinhardts Heraklit-Verständnis siehe auch dessen »Heraclitea« (1942), in: K. Reinhardt, Vermächtnis der Antike. Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung, hrsg. v. C. Becker, Göttingen 1960, S. 72-97. 40. Vgl. DK 22 B 50: »Haben sie nicht mich, sondern den Sinn vernommen [griech. tou logou akousantas], so ist es weise, dem Sinne gemäß zu sagen, alles sei eins.«

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L ers. »wesenhaft« durch »elementar«

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ken. Und wieder, wie zahllos auch je und je die Leute sind, von denen Heraklit sagt, sie verstünden weder zu hören noch zu reden, 41 wieder kann keine Verirrung, keine Verkehrung des Gedankens an der Tatsache rütteln, daß solche gemeinschaftliche Hut des Sinns existentiell getan wird. Aber auch aus der heraklitischen Idee des gemeinschaftlichen Kosmos ist ein existentieller Anspruch zu erschließen. Derselbe Logos, der als sinnhaftes Wort zwischen den Menschen laut wird, ebenderselbe ist es doch, der in unserem Kosmos unwandelbar der schwingenden Gegensätze waltet. Ohne dieses blitzhafte Steuern wäre ja nach Heraklit »die schönste Weltordnung wie ein Haufen wirr hingeschütteten Zeugs«. 42 Aber auch wir selber sollen, als des Logos gewärtige und ihm botmäßige Träger seines Worts dem Kosmos seine Wirklichkeit gewähren, unsere Welt zu sein. Durch uns wird er die gestalthafte Welt des Menschen, und nun erst gebührt ihm der Name des Kosmos als einer gestalthaft offenbaren Gesamtordnung. Erst durch unseren Dienst am Logos wird die Welt zu »demselben Kosmos für alle«. So und nur so haben die Wachenden, eben insofern sie wach sind, in Wahrheit eine einzige gemeinsame Welt, an deren Einheit und Gemeinsamkeit sie in allem wirklich wachen Dasein wirken. Denn wohl sind wir auch schlafend, wie Heraklit sagt, »Werker und Mitwirker« am Weltgeschehen, passive Werker; aber nur wachend, nur wach zusammenwirkend, lassen wir die Gesamtheit dieses Geschehens als Kosmos in die Erscheinung treten. Denn dann erfahren wir miteinander, helfen einander erfahren und ergänzen einander in unserer Erfahrung, die Lebenden zusammenwirkend mit den andern Lebenden und alle Lebenden mit allen Toten. »Nicht wie Schlafende,« sagt Heraklit, »sollen wir handeln und reden.« 43 Denn im Schlaf regiert der Schein, Wirklichkeit aber gibt es nur im Wachen, und zwar eben im Maße des Zusammenwirkens. Dieses jedoch ist keineswegs als ein Vielgespann vor dem großen Wagen zu verstehn; es ist ein strenges Tauziehn um die Wette, es ist Kampf und Streit, aber insofern er sich vom Logos bestimmen läßt, ist es gemeinschaftlicher Kampf und wirkt das Gemeinsame: aus der äußersten Spannung, indem sie im Dienst des Logos geschieht, geht immer neu die Harmonie der Lyra hervor. 44 Hier wird uns der zweite existentielle 41. DK 22 B 19: »Leute, die weder zu hören noch zu reden verstehen.« 42. Vgl. DK 22 B 64: »Das Weltall aber steuert der Blitz.« Und DK 22 B 124: »Wie ein Haufen aufs Geratewohl hingeschütteter Dinge die schönste Weltordnung.« 43. DK 22 B 73. 44. Vgl. DK 22 B 51: »Sie verstehen nicht, wie es auseinander getragen mit sich selbst im Sinn [Logos] zusammengeht: gegenstrebige Vereinigung wie die des Bogens und der Lyra.«

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Anspruch Heraklits faßlich: daß die Person sich der großen Trägheit, die er eine viehische Sattheit nennt,45 entwinde und das Eigene, ohne ihm sein Eigensein zu verkürzen, so im gemeinschaftlichen Logos verwirkliche, daß damit am gemeinsamen Kosmos gewirkt werde. Dieser aber, von dem wir herkommen und der von uns herkommt, ist, in seiner Tiefe gemeint, unendlich Größeres als die Summe aller traumhaften und rauschhaften Sondersphären, in die die Menschen vor dem Anspruch des Wir flüchten.

8 Wir wissen nicht, in welchem Ausmaß Heraklit »Wir« sagte. Er hätte jedenfalls nicht bestritten, daß einer sich nicht zulänglicher zum Logos im Ursinn bekennen kam, als indem er »Wir« sagt – indem er es nicht leichtfertig und nicht dreist, sondern in Wahrheit sagt. Seither wurde im Wandel der Menschengeschlechter das echte Wir-Sagen immer wieder manifest, freilich auch immer mehr gefährdet. Was damit gesagt wurde und wird, ist jenem andern stracks entgegengesetzt, das Kierkegaard als »die Menge« und Heidegger als »das Man« bezeichnet 46 – entgegengesetzt wie die klare Gestalt dem Zerrbild. Das echte Wir in seiner objektiven Existenz ist daran zu erkennen, daß, in welchem auch seiner Teile es betrachtet wird, stets eine wesenhafte Beziehung zwischen Person und Person, zwischen Ich und Du sich als aktuell oder potentiell bestehend erweist. Denn das Wort entspringt immer nur zwischen einem Ich und einem Du, das Element aber, aus dem das Wir sein Leben hat, ist die Sprache, das gemeinschaftliche Sprechen mitten im Zueinander-sprechen anhebend. Sprache im ontologischen Sinn war von je überall gegenwärtig, wo Menschen einander in der Gegenseitigkeit des Ich und Du antraten; wo 45. Vgl. DK 22 B 29: »die Vielen freilich liegen da vollgefressen wie das Vieh.« 46. Zu Bubers Diskussion der »Menge« und des »Man« siehe auch Das Problem des Menschen (1943), W I, S. 371: »Die Heideggersche ›Erschlossenheit‹ des Daseins zu sich selbst ist also in Wahrheit seine endgültige, wenn auch in humanen Formen auftretende, Verschlossenheit gegen alle echte Verbindung mit den anderen und der Anderheit. Das wird uns noch klarer, wenn wir von dem Verhältnis der Person zu einzelnen Menschen übergehen zu ihrem Verhältnis zur anonymen Allgemeinheit, zu dem, was Heidegger das ›Man‹ nennt. Auch darin ist ihm Kierkegaard mit seinem Begriff der ›Menge‹ vorangegangen.« Vgl. auch Die Frage an den Einzelnen (1936), W I, bes. S. 237 f. Dazu Ludwig Binswanger an B., 17. Nov. 1936 (B II, S. 621): »Es ist sehr wichtig, daß Sie die Öffentlichkeit nicht nur im Sinne der Menge und des Man aufgefaßt wissen wollen.«

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einer dem andern irgend etwas in der Welt so zeigte, daß der es fortan erst wirklich wahrnahm; wo einer dem andern ein Zeichen so gab, daß der darin die bezeichnete Situation zulänglicher erkannte, als er es bisher vermocht hatte; wo einer dem andern die eigene Erfahrung so mitteilte, daß sie den Erfahrungszusammenhang des andern durchdrang und wie von innen her ergänzte, so daß er von nun an welthafter empfand als zuvor. All dies immer wieder einfließend in ein größeres Strömen wechselseitiger Kundgabe – so wurde und so ist das lebendige Wir, das echte, das, wo es sich vollendet, die Toten mit umfaßt, die einst am Gespräch teilnahmen und nun mit dem von ihnen Überlieferten weiter daran teilnehmen. Das Wir, von dem ich rede, ist keine Kollektivität, keine Gruppe, keine gegenständlich aufzeigbare Vielheit. Es verhält sich zum Wirsagen wie das Ich zum Ichsagen. Es läßt sich ebensowenig wie das Ich faktisch in der dritten Person erhalten. Aber es hat nicht die verhältnismäßige Konstanz und Kontinuität, die das Ich hat. Als potentiell liegt es aller Geschichte des Geistes und der Tat zugrunde, es aktualisiert sich unversehens je und je, und je und je desaktualisiert es sich unversehens und ist nicht mehr da. Es kann sich innerhalb einer Gruppe aktualisieren, die dann eben sich aus einem feurigen Kern und einer schlackigen Kruste zusammensetzt, und es kann außerhalb aller Kollektivität aufzüngeln und lodern. In der Luft der Debatten kann es nicht atmen, und keine Vielheit sogenannter Gleichgesinnter kann mitten in der Debatte authentisch Wir sagen; aber auch heute noch ereignet es sich, daß in vielen Zungen Redende beisammen sind, und urplötzlich west das echte Wir in ihrer Rede. Seine Erfahrungen hat der Mensch von je als ich gemacht, Erfahrungen mit anderen und mit sich; aber als Wir, immer wieder als Wir hat er aus Erfahrungen Welt gebaut und ausgebaut. Eine Schar, von Gleichaltrigen etwa, in der die von den einzelnen gemachten überwältigenden neuen Erfahrungen in begeisterten Zurufen Sprache werden und alsbald bestätigenden und ergänzenden Widerhall finden, – eine Schar und wieder eine Schar: so ist wohl ureinst dem abgründigen Sein der gemeinschaftliche Kosmos abgewonnen worden, die gestalthafte Ordnung des vom Menschen Erfahrenen und als erfahrbar Erkannten, eine Gestalt, die wächst und sich wandelt. Und so auch wird, mitten im abgründigen Sein, er, der menschliche Kosmos, bewahrt, den sein Bildner, die menschliche Sinnrede, der gemeinschaftliche Logos hütet; so wird der Kosmos im Wandel der Weltbilder bewahrt. Seine Gedanken hat der Mensch je und je als Ich gedacht und hat als Ich seine Ideen an den Sternenhimmel des Geistes versetzt, aber als Wir hat er sie je und je in das Sein selber gehoben, in jene Art des Seins eben, die ich das Zwischen oder das Zwischensein nenne. Das ist die zwischen

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den miteinander kommunizierenden Personen bestehende Seinsart, die wir weder der Psyche noch der Physis zuzuordnen vermögen. Darauf weist der siebente Platonische Brief hin, wenn er den Bestand einer Lehre andeutet, die nicht erst I als in vielfachem Beisammensein und Miteinanderleben zur Wirklichkeit des Wirkens gelangt, wie von überspringendem Feuer ein Licht entzündet wird. 47 Springendes Feuer ist ja das rechte Bild für die Dynamik zwischen den Personen im Wir. Die Flucht aus dem gemeinschaftlichen Kosmos in eine Sondersphäre, welche als das wahre Sein verstanden wird, ist auf allen ihren Stufen, vom elementaren Spruch der uralten morgenländischen Lehren bis zur Willkür moderner Intoxikationsratschläge, letztlich eine Flucht vor dem Existentialanspruch an die Person, die sich im Wir bewähren soll. Es ist eine Flucht vor der authentischen Gesprochenheit der Sprache, in deren Reiche Antwort geheischt wird, und Antwort ist Verantwortung. Der Fliehende verhält sich, als wäre die Sprache nichts als Verführung zur Lüge und zur Konvention, und in der Tat, sie kann ungeheuer zur Verführung werden, aber sie ist auch unser großes Pfand der Wahrheit. Beim typisch heutigen Menschen hat sich die Flucht vor der verantwortenden personalen Existenz absonderlich polarisiert. Da er nicht willens ist, für die Echtheit seiner Existenz einzustehen, flüchtet er entweder in die breite Kollektivität, die ihm die Verantwortung abnimmt, oder in die Haltung eines Selbst, das keinem als sich selber Rede zu stehen hat und den großen Generalablaß in der Sicherheit findet, mit dem Selbst des Seins identisch zu sein. Mag diese Haltung sich auch als eine vertiefte Betrachtung des Seienden gebärden, sie bleibt eine Flucht vor dem überspringenden Feuer. Das deutlichste Kennzeichen dieser Art von Menschen ist, daß sie nicht wirklich auf die Stimme eines anderen hören können; in all ihr Hören mischt sich, wie in all ihr Sehen, die Beobachtung. Der andere ist nicht ihr Gegenüber, dessen Anspruch an sie dem ihren an ihn gleichen Rechtes gegenübersteht; der andere ist nur noch ihr Objekt. Wer aber kein Du existentiell kennt, wird nie ein Wir zu kennen bekommen. In unserem Zeitalter, in dem der wahre Sinn jedes Wortes von Wahn 47. Buber spielt auf eine berühmte Stelle an, in der Platon dem gesprochenen Dialog den Vorzug über Schrift und Lehrsystem zu geben scheint (Platon, VII. Brief, 341d): »Denn in bestimmten sprachlichen Schul-Ausdrücken darf man sich darüber wie über andere Lerngegenstände gar nicht aussprechen, sondern aus häufiger familiärer Unterredung gerade über diesen Gegenstand sowie aus innigem Zusammenleben entspringt plötzlich jene Idee aus der Seele wie aus einem Feuerfunken das angezündete Licht und bricht sich dann selbst weiter seine Bahn.« I

VIII L ers. »erst« durch »anders«

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und Lüge umstellt ist und die Urabsicht des Menschenblicks vom Mißtrauen erstickt wird, kommt es entscheidend darauf an, die Unverfälschtheit der Sprache und der Wir-Existenz wiederzufinden. Es geht dabei nicht mehr um die kleinen Kreise, die einst in der eigentlichen Geschichte des Menschen so wichtig gewesen sind; es geht um die Durchsäuerung des Menschgeschlechts mit echter Wirheit. Der Mensch wird im Dasein nicht beharren, wenn er nicht neu lernt, in ihm als echtes Wir zu beharren. I Wir hatten den abgearteten abendländischen Geist mit seinem Ursprung zu konfrontieren und haben dafür Heraklits Hilfe angerufen. Jetzt aber scheiden wir von ihm in unserer Not. Denn was er als das Gemeinschaftliche bezeichnet, führt nicht über sich hinaus: Logos und Kosmos sind hier in sich beschlossen, nichts mehr ist ihnen transzendent. Und auch wenn Heraklit das Göttliche als namentragend und namenlos zugleich bezeugt, 48 auch da kennt er keine wahrhafte Transzendenz. Uns aber ist kein Heil zu ersehen, wenn wir nicht wieder als ein Wir in aller Wirklichkeit »im Angesicht Gottes zu stehen«49 vermögen, wie es in jener Glaubenssprache heißt, die einst von dem Israel genannten Südpfeiler der Brücke zwischen Morgen- und Abendland aus ihren Weg angetreten hat. II In unserem Zeitalter hat dieses vor dem göttlichen Angesicht stehende Wir seinen höchsten Ausdruck durch einen Dichter, durch Hölderlin erhalten. Er sagt von der gültigen Vergangenheit des Menschen als Menschen: »Seit ein Gespräch wir sind und hören können von einander.« 50 III Hölderlin sagt nicht, wir führten ein Gespräch: selber sind wirs. Wir sind ein Gespräch. 51

48. Vgl. DK 22 B 32: »Eins, das allein Weise, will nicht und will doch mit dem Namen des Zeus benannt werden.« 49. Vgl. etwa Gen 32,23, oder Hos 5,15. 50. F. Hölderlin, »Versöhnender, der du nimmergeglaubt«, Dritter Ansatz, Werke und Briefe I, S. 163. Siehe auch »Seit ein Gespräch wir sind«. Bemerkungen zu einem Vers Hölderlins, S. 83. 51. In der englischen Ausgabe [E] zitiert Buber Hölderlins Friedensfeier – »Bald sind wir aber Gesang« – und verweist auf den Vers »In Chören gegenwärtig« (vgl. Hölderlin, Werke und Briefe I, S. 166). Dies steht im Einklang mit Bubers handschriftlichen Entwurf für ein »Anthropologie-Buch«, wo der Schluß »Ein Chor« betitelt ist (siehe Kommentar, S. 173). I II III

L setzt hier Kapitel »9«. H endet hier. E ersetzt die zwei Sätze, die folgen, durch »And after that come the words, ›But we are soon song.‹ The self-contained communality of Heracleitus that overspans the opposites has here become the choral antiphony which, as we know from Hölderlin, is directed upward.«

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Das Wort, das gesprochen wird Gehen wir von dem menschlichen Leben aus, das jeder von uns lebt, und der Bedeutung des Wortes für dieses Leben, dann sind drei Seinsweisen der Sprache unterscheidbar. Nennen wir sie präsenter Bestand, potentialer Besitz und aktuelles Begebnis. Es sind darunter naturgemäß jeweils Bestand, Besitz und Begebnis einer bestimmten Sprache zu verstehen. Mit präsentem Bestand ist gemeint die Gesamtheit des in einem bestimmten Sprachbereich in einem bestimmten Zeitabschnitt Sagbaren, auf das Sagenkönnen des zu Sagenden hin betrachtet. Als Ort des Bestandes ist somit das Miteinander aller Sprecher dieses Sprachbereichs anzusehn, die über dessen Bestand je und je in ihrem sprachlichen Intendieren und Äußern verfügen, das heißt: das Miteinander der lebenden Menschen, in deren persönlichem Sprachgewirk der Bestand sich jeweils aktualisiert. Das Sehen des Bestandsortes würde aber völlig verfehlt, wenn man den Bestand als ein außerhalb dieser Menschen Vorfindliches betrachten wollte. Jeder Versuch, den präsenten Bestand einer Sprache als einen von ihren jeweiligen Sprechern abgelösten Zusammenhang zulänglich zu erfassen und zu erstellen, muß in die Irre führen. 1 Mit potentiellem Besitz ist gemeint die Gesamtheit des in einem bestimmten Sprachbereich von je Geäußerten, insofern es sich im sprachlichen Intendieren und Äußern von Menschen dieses Bereichs noch als einbeziehbar erweist. Der Besitz erstreckt sich somit rechtmäßig vom Höchsten bis zum Trivialsten. 2 Als Ort des Besitzes ist die Summe des in 1.

2.

Dies ist wohl ein kritischer Hinweis auf Martin Heideggers Vortrag »Der Weg zur Sprache« vom Januar 1959, dessen Leitformel lautete: »Die Sprache als die Sprache zur Sprache bringen.« (In: M. Heidegger Gesamtausgabe, Bd. 12: Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1963, S. 230). Ebenso im Vortrag von 1950, »Die Sprache«: »Die Sprache spricht,« schrieb Heidegger dort, und: »Die Sprache selbst ist: die Sprache und nichts außerdem.« (Ebd., S. 10). Siehe auch W. Kraft, »Martin Buber über Sprache und deutsche Sprache«, in: Hochland: Zeitschrift für alle Gebiete des Wissens und der Schönen Künste, 60. Jg., Nr. 6, Aug./Sept. 1968, S. 525: »Der präsente Bestand außerhalb dieser lebenden Menschen wird schroff abgelehnt, wahrscheinlich in Reaktion gegen Heidegger.« W. Kraft, a. a. O., S. 525, vermutet hier eine zumindest unbewußte Anspielung auf Karl Kraus: »Was Buber hier denkt, dürfte deutlich werden an der Identität von hoher und niedriger Sprache bei Karl Kraus, als Sprache schlechthin, welche, verwurzelt in dem heutigen Wortbestand, zwischen einem Gedicht und einer Glosse keinen Rangunterschied zugibt.« Daß sich Buber mit Kraus beschäftigt und zwischen 1959 und 1960 wieder verstärkt auseinandergesetzt hatte, ist durch Werner Kraft selbst belegt (vgl. Gespräche mit Martin Buber, bes. S. 71 f.; 75 f.). Karl Kraus’ Die Sprache ist erwähnt in einer für den Vortrag angelegten Bibliographie (vgl. MBA Ms.Var. 350, bet/44). Auch kannte Buber Werner Krafts Buch Karl Kraus: Beiträge zum Verständnis seines Werkes (Salzburg: Otto Müller 1956), das sich mit der Sprachkritik

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einer Sprache bis zu einem bestimmten Zeitabschnitt zu Laut und Schrift Gewordenen in all seinen Bewahrungsformen anzusehn, mit der entscheidenden Einschränkung jedoch, daß nichts dazugehört, als was noch heute und hier von einem lebendigen Sprecher in die Sphäre des lebenden Wortes gehoben, in sie heimgebracht werden kann. Auch diese scheinbar in purer Gegenständlichkeit entfaltete Seinsweise der Sprache ist, so gründlich sie auch der Philologe, der Literarhistoriker objektivierend erkennen kann, in ihrer dynamischen Tatsächlichkeit von der Aktualität des Wortes nicht abzulösen. Die dritte Seinsweise der Sprache ist sie, die Gesprochenheit, vielmehr das Gesprochenwerden, das Wort, das gesprochen wird. Jene beiden, Bestand und Besitz, setzen ein geschichtlich Erworbenes voraus; hier aber ist nichts andres vorauszusetzen als der verwirklichungsfähige Wille von Menschen zur Kommunikation. Diese stiftet sich in einem Sich-einanderZuwenden von Menschen; sie wird in der wachsenden Fruchtbarkeit dieser Grundhaltung die Gebärde, die Lautgebärde, das Wort gewinnen. Die Elemente des Sprachbestandes und die Gestalten des Sprachbesitzes dienen ihr. Der echte Autor und das echte Gespräch – beide schöpfen aus dem Bestand der Sprache, also nicht aus dem Staubecken des Besitzes, sondern aus den quellenden und strömenden Wassern. Aber der Autor hat seine schöpfende Kraft von den Dialogpartnern zu Lehen. Wo kein echtes Gespräch mehr wäre, wäre auch kein Gedicht mehr; 3 wogegen im Dunkel einer geistig unproduktiv gewordenen Welt noch immer je zwei zuverlässige Anrufer einander helfen könnten, aus dem Bestand der Sprache schöpfend einander das gemeinsame Erleiden zu sagen. Was Goethe uns an bedeutender Stelle von der Rede des Himmels an die Erde in deren Urzeit berichtet: »wie das Wort so wichtig dort war, weil es ein gesprochen Wort war«,4 muß auch innerhalb unsrer Menschenwelt gelten. Wir sind bereit, Goethe Glauben zu schenken. Aber was nun ver-

3. 4.

bei Kraus genau befaßte. Allerdings erinnert Kraft sich auch einer »abfälligen« Bemerkung Bubers über Kraus: »Er liebt ihn einfach nicht.« (Gespräche mit Buber, S. 109). Und ein halbes Jahr später schreibt Kraft über Buber: »Ich habe den Eindruck, daß er sich aller Dinge, die sich auf Kraus beziehen, nur sehr vage erinnert.« (Ebd., S. 119). Vgl. Heidegger, »Die Sprache«, S. 14: »Rein Gesprochenes ist jenes, worin die Vollendung des Sprechens, die dem Gesprochenen eignet, ihrerseits eine anfangende ist. Rein Gesprochenes ist das Gedicht.« Johann W. v. Goethe, West-Östlicher Divan, Moganni Nameh: Buch des Sängers, v. 17-18 (Hegire). Goethes Werke in 12 Bänden, Bd. 2 (Gedichte II und Versepen), hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar, Berlin/Weimar 1966, S. 9.

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leiht dem gesprochenen Wort diesen Vorzug? Ist ihm nicht oft unübersehbar vieles unermeßlich überlegen, das wir uns aus dem Bestand der Sprache holen, um es nur zu denken, oder das wir uns aus dem Besitz der Sprache holen, um es nur zu lesen? Ich meine, die Wichtigkeit des gesprochenen Wortes gründet in der Tatsache, daß es nicht bei seinem Sprecher bleiben will. Es greift nach einem Hörer aus, es ergreift ihn, ja es macht diesen selber zu einem, wenn auch vielleicht nur lautlosen Sprecher. Das darf aber nicht so verstanden werden, als ob das Begebnis der Sprache seinen Ort einfach in der Summierung beider Gesprächspartner oder, in der Terminologie Jakob Grimms, beider »Redegesellen« hätte; 5 als ob der Vorgang des Gesprächs durch die psychophysische Erfassung zweier individueller Einheiten in einem gegebenen Zeitablauf zulänglich zu erfassen wäre. Das Wort, das gesprochen wird, begibt sich vielmehr in der schwingenden Sphäre zwischen den Personen,6 der Sphäre, die ich das Zwischen 7 nenne und die wir niemals in den beiden Teilnehmern aufgehen lassen können. Wenn wir ein Inventarium aller innerhalb eines dialogischen Vorgangs vorfindbaren physischen und psychischen Phänomene aufzunehmen vermöchten, dann bliebe ein Etwas sui generis uneinbeziehbar draußen, eben das, welches sich nicht als die Summe des Redens zweier oder mehrerer Redenden samt allen Nebenumständen, sondern eben als ihr Gespräch uns zu verstehen gab. Wir sind freilich drauf und dran zu vergessen, daß sich nicht bloß »an« und »in« uns, sondern auch ganz real zwischen uns etwas begeben kann. Besinnen wir uns auf die allereinfachste Tatsache unseres Umgangs miteinander. Das Wort, das gesprochen wird, hier wird’s geäußert und dort vernommen; aber sein Gesprochensein hat das Zwischen zum Ort.

2. Gegen die Einsicht in den dialogischen Charakter der Sprache wird wohl darauf hingewiesen, daß Denken wesentlich ein Sprechen des Menschen mit sich selber sei. Damit wird zweifellos an eine Wirklichkeit gerührt; 5. 6.

7.

Jakob Grimm (1785-1863) Vgl. dazu F. Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache I, S. 19: »Wo ist also das Abstraktum ›Sprache‹ Wirklichkeit? In der Luft. Im Volke, zwischen den Menschen.« Zum Gedanken des »Schwingens« siehe G. Landauer, Skepsis und Mystik, S. 153: »In der neuen Poesie, die seit Goethe, Novalis und Brentano im Entstehen ist, sind […] Worte und Begriffe das Instrument, das uns zur Musik führt, – zum Rhythmus, zum Unsagbaren, das in uns einschwingt und uns mitschwingen läßt.« Zum Zusammenhang zwischen Sprache und Musik siehe auch Kraft, Karl Kraus, S. 195 f. Zum Begriff des Zwischen bei Buber siehe Einleitung, S. 15 n. 14.

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aber sie kann so nur berührt, nicht erfaßt werden. Das sogenannte Gespräch mit sich selber ist erst von der Grundtatsache des Miteinandersprechens von Menschen aus möglich, als dessen »Verinnerlichung«. Wer aber die schwere Arbeit nicht scheut, sich auf eine vergangene Stunde seines Denkens nicht ihren Ergebnissen nach, sondern ihren Begebnissen nach gründlich zu besinnen, und mit dem Anfang anfängt, mag auf eine Urschicht stoßen, die er nun durchwandern kann, ohne einem Wort zu begegnen. Man merkt jetzt: man hatte etwas in den Griff bekommen, ohne daß einem das Werdenwollen einer Begrifflichkeit spürbar geworden wäre. Deutlicher gibt sich uns in solcher Rückschau die zweite Schicht zu sehen, von eben diesem Werdenwollen durchwaltet; wir dürfen sie als die der Sprachstrebigkeit bezeichnen. Das Innesein strebt immer wieder danach, Sprache, Denksprache, begreifende Sprache zu werden. Und nun erst treten wir im Werk unseres Erinnerns in die eigentliche Sprachschicht ein. Ja, hier wird, wie lautlos auch noch, doch schon erkennbar gesprochen. Aber spricht der Denkende zu sich selbst, als Denkendem? Im Sprechen des inneren Wortes will er es nicht sich zu Gehör bringen, nicht diesem da, der es ja eben schon als der es Aussprechende kennt, sondern den Namenlosen, Unvorgestellten, Unvorstellbaren, von denen er in seinem Begriffenhaben begriffen werden will. Der Denker ist ursprunghaft einsamer als der Dichter, aber nicht zielhaft einsamer als er. Wie der Dichter ist er hingewandt, ohne sich hinzuwenden. Gewiß, es ist eine selbeigne Instanz, von der er die zuständige Prüfung seiner Begriffswelt vollziehen läßt; aber diese Welt ist nicht für jene Instanz bestimmt, nicht ihr zugedacht. Freilich sind manche modernen – und das heißt eben oft: entsokratisierten 8 – Philosophen mit der Ganzheit ihrer Geistwelt einer monologisierenden Hybris 9 verfallen, was einem Dichter kaum je 8. 9.

Anspielung auf die in Gesprächsform übermittelte Philosophie des Sokrates (um 470-399 v. d. Z.). Buber stellt ihr die »monologisierende« Philosophie gegenüber. Hybris, griech. »Selbstüberhebung« (oft gegen die Gottheit). Die »monologisierende Hybris« ist wieder eine Anspielung auf Heidegger, der in seiner Rede »Der Weg zur Sprache«, S. 254, geschrieben hatte: »Aber die Sprache ist Monolog. Dies sagt jetzt ein Zwiefaches: Die Sprache allein ist es, die eigentlich spricht. Und sie spricht einsam.« Der Verweis auf das »Existentiale«, d. h. Heideggers »Existential-Ontologie«, ist dabei geradezu polemisch. Diese Polemik wurde Buber auch von Ludwig Binswanger (1881-1966) vorgeworfen: »Nur wenn Sie von der ›monologisierenden Hybris‹ mit ihrer stärksten Androhung des Zerfalls sprechen, möchte ich […] insofern Widerspruch erheben, als Heidegger in Tat und Wahrheit in einem bisher ungeahnten dauernden Dialog mit den großen Philosophen aller Zeiten steht […].« (B III, S. 547). Buber erwiderte darauf: »Im wesentlichen scheint es sich mir darum zu handeln, daß ich das, was Sie als ›dauernden Dialog‹ bezeichnen, überhaupt nicht in concreto als Dialog verstehen kann. Dialog in dem von mir gemeinten Sinn impliziert notwendig das Unvorhersehbare, und sein Lebenselement ist die Überraschung, die überraschende Mutualität.« (B III, S. 547).

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widerfährt; aber dieser Monologismus, der zwar mit dem Existentialen, aber nicht auch mit dem Existentiellen vertraut ist, er in all seiner bannenden Kraft bedeutet eben die stärkste Androhung des Zerfalls. Jeder Versuch, den Monolog als vollgültiges Gespräch zu verstehen, weswegen nicht auszumachen wäre, ob er oder der Dialog das Ursprünglichere sei, muß daran scheitern, daß ihm die ontologische Grundvoraussetzung des Gesprächs fehlt, die Anderheit, konkreter: das Moment der Überraschung. Die menschliche Person ist sich selbst nicht in dem Sinn unvorhersehbar wie irgendeiner ihrer Partner: darum kann sie sich selbst kein echter Partner, kann sich kein realer Frager und kein realer Antworter sein; sie »weiß ja irgendwo schon« immer die Antwort zu der Frage, und zwar nicht in dem »Unbewußten« der modernen Psychologie, sondern in einem der Bezirke des bewußten Daseins, in einem Bezirk, der, obzwar im Augenblick der Frage ungegenwärtig, eben im nächsten schon aufblitzend gegenwärtig werden kann. Man hat gelegentlich in der philosophischen Erörterung der Sprache das Sprechen als »durch und ›monadisch‹ « bezeichnet. 10 Auf Wilhelm von Humboldts Gegebenheit des Du im Ich11 darf sich diese Auffassung nicht berufen; denn Humboldt wußte genau, wodurch die Tatsache des Du im Ich bedingt ist: dadurch, daß das Ich anderem Ich zum Du wird. »Woher käme sonst auch«, fährt der sich irrtümlich auf Humboldt berufende Philosoph Hönigswald in diesem Zusammenhang fort, »die grundsätzliche Möglichkeit des Mißverstehens oder Mißverstandenwerdens?« 12 Wie aber, wenn gerade diese Möglichkeit dem Sprechen wesenhaft eignet, weil die Sprache ihrem Wesen nach ein System möglicher Spannungen ist – und das Denken eben deshalb nicht ein »Sprechen mit sich selbst«,13 10. Richard Hönigswald (1875-1947), Philosophie und Sprache. Problemkritik und System, Basel 1937, S. 27: »Als Funktion jenes ›Wissens um mich selbst‹ nun ist alles Sprechen durch und durch ›monadisch‹, d. h. obwohl es Ereignis, immer und bis zu seinen letzten noch unterscheidbaren Elementen hin ›präsentiell‹ mithin als ›Setzung‹ bestimmt.« Hönigswald beruft sich hier auf den Begriff der »Monade« bei Gottfried W. Leibniz (1646-1716). 11. Vgl. W. v. Humboldt (1767-1835), Einleitung zum Kawiwerk, in: Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1907, Bd. VII/1, S. 103 f.: »Im ›Ich‹ ist von selbst aus auch das ›Du‹ gegeben; und in eigenartigem und tiefem, dabei von jeder Hyperbolie [griech. Übertreibung] freiem Sinn sind die beiden ›wahrhaft identisch‹ zu nennen.« Der Verweis auf das Kawiwerk ist auch bei Heidegger zu finden (Der Weg zur Sprache, S. 234 f.). 12. Hönigswald, S. 27. 13. Ebd.: »Denken ist Sprechen mit sich selbst, jeder Denkende sowohl erste als auch zweite Person.« Das Zitat geht auf Jakob Grimm zurück (vgl. J. Grimm, »Über den Ursprung der Sprache«, Kleinere Schriften 1, S. 277). Vgl. hierzu auch die berühmte Stelle in Platons Sophistes 263e: »Also Gedanken und Rede sind dasselbe, nur daß das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, was ohne Stimme vor sich geht, von

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weil der realen Spannung ermangelnd? Es verhält sich ja keineswegs einfach so, daß ein Gespräch, das auf ein Sichverständigen der Partner über den Sinn eines Vorgangs abzielt, die von vornherein bestehende Verständigung über den Sinn der zu verwendenden Worte zur Voraussetzung hätte, wie John Locke meinte. 14 Wenn zwei Freunde sich etwa über den Begriff des Gedankens unterreden, so mag der Begriff bei diesem und der bei jenem einander sehr sinnähnlich sein, als sinnidentisch dürfen wir sie nicht ansehn. Das ändert sich auch nicht, wenn die beiden damit beginnen, sich auf eine Definition des Begriffs zu einigen: das große Faktum der Personhaftigkeit wird auch noch in die Definition einzudringen wissen – es sei denn, daß die beiden »Redegesellen« gemeinsam den Logos an die Logistik verraten. Wird nun die Spannung zwischen den beiden Begriffsgehalten allzu groß, so entsteht ein Mißverständnis, das sich bis zur Zerstörung steigern kann; unterhalb des kritischen Punktes aber muß die Spannung keinesfalls unwirksam bleiben, sie kann fruchtbar werden, sie wird es immer da, wo aus dem Einander-Verstehen echtes Gespräch sich entfaltet. Daraus ergibt sich, daß nicht die Eindeutigkeit des Wortes, sondern seine Mehrdeutigkeit die lebendige Sprache konstituiert. Die Mehrdeutigkeit erzeugt die Problematik des Redens, und sie erzeugt deren Bewältigung im Verstehen, das keine Angleichung, sondern eine Fruchtbarkeit ist. Die Mehrdeutigkeit des Wortes, die wir seine Aura nennen dürfen, muß in irgendeinem Maße schon bestanden haben, wann immer Menschen in ihrer Vielfältigkeit zueinandertraten, sie äußernd, um ihr nicht zu erliegen. Die Gemeinschaftlichkeit des Logos, 15 als »Wort« und als »Sinn«, die den Menschen zum Menschen macht, bekundet sich von je in der je und je sich vollziehenden Vergemeinschaftung der gesprochenen Worte. Ich entsinne mich, vor 43 Jahren von einem Internationalen Institut für Philosophie in Amsterdam, 16 an dessen Spitze der Mathematiker Brouwer stand, den Plan einer Akademie erhalten zu haben, deren Aufgabe es sein sollte, »Wörter spirituellen Wertes für die Sprache abendlänuns ist der Gedanke genannt worden.« (Platon, Sämtliche Werke VII, S. 277). Über Jakob Grimm siehe auch E. Simon, Zu Jacob Grimms Sprache, Stil und Persönlichkeit (1929), in: Ders., Brücken. Gesammelte Aufsätze, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 93-134. 14. John Locke (1632-1704): »Die Menschen setzen voraus, daß ihre Wörter auch Kennzeichen der Ideen im Geiste anderer sind, mit denen sie sich unterhalten.« J. Locke, Über den menschlichen Verstand, Ausg. in zwei Bänden, 3. Buch (Von den Wörtern), Kap. 2, 4, Berlin 1962, Bd. II, S. 7. 15. Vgl. auch »Dem Gemeinschaftlichen folgen« (1956), bes. S. 118 in diesem Band. 16. Vgl. »Brief an Henri Borel über das Wesen der Sprache« (1917), S. 75 in diesem Band.

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discher Völker zu schaffen«, und das heißt, von der Mehrdeutigkeit befreite Wörter. Ich antwortete, meines Erachtens sei der Mißbrauch der großen alten Worte zu bekämpfen, nicht der Gebrauch neu angefertigter zu lehren. Denn in der Sprache wie überall ertötet die eingesetzte Gemeinsamkeit die lebendige. Wohl hat die moderne Wissenschaft ein hohes Recht, sich ein für ihre Zwecke restlos verwendbares Verständigungsmedium zu schaffen, aber sie weiß, daß daraus nie Wort, das gesprochen wird, entstehen kann.

3. Läßt sich, wie wir sahen, ein monologischer Urcharakter der Sprache aus der Selbsterfahrung des Denkenden nicht belegen, so wird man erst recht irregreifen, wenn man ihn im Bereich der Phylogenese zu entdecken sucht. Gewiß, es ist ein gebieterisch gültiges Sinnbild, wenn die biblische Erzählung Gott den Menschen die Namen der Tiere, die er ihm vorführt, ihnen frei zusprechen heißt; aber solches geschieht dem Menschen als einem bereits in der zulänglichen Kommunikation stehenden Wesen: dadurch, daß Gott den Menschen ansprach, hat er ihn – wie uns vor allem Franz Rosenzweigs »Stern der Erlösung« gelehrt hat 18 – in die Sprache gestellt. Ein präkommunikatives Stadium der Sprache ist nicht zu ersinnen. Der Mensch hat nicht vor dem Mitseienden gestanden, ehe er ihm gegenüber lebte, auf es zu lebte, und das bedeutet: ehe er mit ihm umging. Nie ist Sprache gewesen, ehe Ansprache war; Monolog konnte sie immer erst werden, nachdem der Dialog abbrach oder zerbrach. Den frühen Sprecher umgeben nicht Gegenstände, die er mit Namen belegt, noch auch stoßen ihm Begebenheiten zu, die er mit Namen abfängt: im Partnertum erst wird ihm Welt und Geschick zur Sprache. Auch noch wenn ihm in zurufloser Einsamkeit das hörerlose Wort die Kehle bedrängt, haftet diesem das von urher Mögliche, das Empfangenwerden an. Ich will das Gemeinte an einem ethnologischen Sachverhalt verdeutlichen: an jenen merkwürdigen, nur als Residuum einer früheren Sprachstufe zulänglich von unserem Denken erfaßbaren Wortgebilden, die sich in den Sprachen mancher verhältnismäßig isolierten Gesellschaften – insbesondere denen der Eskimos und der Algonkin-Indianer – erhalten haben. In diesen sogenannten polysynthetischen oder holophrastischen 17. Ebd., S. 75. 18. Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung (1921); siehe vor allem das zweite Buch des zweiten Teils, »Offenbarung oder Die allzeiterneuerte Geburt der Seele«.

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Sprachen ist die aufbauende Spracheinheit nicht das Wort, sondern das Satzwort. Das ist ein Gefüge, das in seiner voll ausgebildeten Form drei verschiedene Arten von Bestandteilen aufweist. 19 Zwei von ihnen, das sogenannte Kernelernent und die formalen Elemente, sowohl die modalen als auch die personalen, können auch selbständig auftreten. Nicht so die Elemente der dritten Art, die überwiegend als Suffixe bezeichnet werden mögen: sie erscheinen ausschließlich in dieser ihrer dienenden Funktion; sie sind es aber, die die Form des Satzwortes recht eigentlich ermöglichen. Zwar wäre es vermessen, mit einer versuchten Rekonstruktion der Genese jener eigentümlichen Form des Satzwortes den Gedanken an den Ursprung der Sprache zu verbinden; immerhin aber wird man an Hamanns kühnen Ausspruch erinnert, das erste Wort werde wohl »weder ein Nomen noch ein Verbum gewesen sein, sondern wenigstens ein ganzer Period«. 20 Wir finden als bestimmend nicht den Menschen im Angesicht der Dinge, die er zu verworten unternähme und damit erst zu ihrer vollen Dinghaftigkeit brächte. So grundwichtig dieser Akt auch ist, als bestimmend finden wir doch die Menschen miteinander, die sich über Situationen zu verständigen unternehmen. Nicht die Dinge, sondern die Situationen sind primär; und wenn Stefan Georges Spruch, kein Ding sei, wo das Wort gebricht, 21 eben für die Dinge zutreffen mag – auf die Situa19.

[Anm. Buber:] Ich folge im Nachstehenden fast durchweg der Formulierung Edward Sapirs, ohne mich seiner allgemeinen Grundanschauung anschließen zu können. Buber nimmt Bezug auf das Buch Language: An Introduction to the Study of Speech (New York, 1921) des amerikanischen Linguisten Edward Sapir (1884-1939). Sapir unterschied zwischen analytischen, synthetischen und polysynthetischen (griech. wörtl. »aus vielem zusammengesetzt«) Sprachen. Während in analytischen Sprachen (z. B. Chinesisch, Englisch, Französisch) Gedanken und Begriffskonstruktionen nur in Wortreihen oder Sätzen ausgedrückt werden können, zeichnen sich synthetische und polysynthetische (d. h. gesteigert synthetische) Sprachen durch ihre Fähigkeit aus, ganze Konzepte an ein einziges Wort zu binden (z. B. Latein, Arabisch, Finnisch). Sapir rechnet die Sprache der Eskimos und Algonkin Indianer den polysynthetischen zu (vgl. Sapir, Language, S. 134 f.). 20. Johann G. Hamann (1730-1788), Philologische Einfälle und Zweifel über eine akademische Preisschrift (1772), in: Sämtliche Werke III (Schriften über Sprache/Mysterien/Vernunft 1772-1788), S. 48. 21. Buber zitiert aus dem letzten Vers des Gedichts Das Wort: »So lernt ich traurig den verzicht: / Kein ding sei wo das wort gebricht.« S. George, »Das Wort«, zuerst in Blätter der Kunst, 11. und 12. Folge (1919), dann in: Das neue Reich (Stefan George Gesamtausgabe der Werke. Endgültige Fassung, Berlin 1928, S. 134). Heidegger analysierte das Gedicht in einem Vortrag für das Wiener Burgtheater vom 11. Mai 1958, den Buber offensichtlich gehört selbst hatte (vgl. Kraft, Gespräche mit Buber, S. 80). »Wo das Wort fehlt,« hieß es bei Heidegger, »ist kein Ding. Das verfügbare Wort erst verleiht dem Ding das Sein.« (Heidegger, Unterwegs zur Sprache, S. 208 f.). Kraft sieht in Bubers Gegenüberstellung von »Ding« und »Situation« einen weiteren –wenn auch unberechtigten – Angriff gegen Heidegger (Martin Buber über die Sprache, S. 527).

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tionen, die dem Menschen zu kennen gegeben werden, ehe er die Dinge zu kennen bekommt, ist es unanwendbar. Aus verschiedenen, verschiedenartigen Situationen, die der frühe Mensch erfährt, treten die gleichen, sozusagen gleich gebliebenen Dinge und Wesen, Vorgänge und Zustände hervor, die als solche begriffen, als solche benannt werden wollen. In der Frühe, die wir solcherweise zu erschließen versuchen, stellt sich uns die Sprache vornehmlich als die Kundgabe und Kundnahme einer aktuellen Situation zwischen zwei oder mehreren Menschen dar, die durch ein besonderes Aufeinander-angewiesen-Sein miteinander verbunden sind. Dieses Moment mag etwa in einem arbeitsteilig betriebenen Werk begründet sein, dessen Teilnehmer zeitweilig voneinander getrennt sind, aber doch nicht so sehr, daß nicht jeder noch die artikulierten Äußerungen des andern deutlich vernehmen kann. Tritt bei dem einen eine neue, unvorhergesehene, aber in ihrem Wesen nicht unbekannte Situation ein, etwa die einer drohenden Gefahr, derengleichen es bereits gegeben hat, so ruft er dem Kameraden etwas zu, das diesem verständlich sein soll, aber nicht auch den möglicherweise in der Nähe weilenden Mitgliedern eines unfreundlich gesinnten Nachbarclans. Das, wovon ich spreche, ist keineswegs mit einem »Notschrei« oder einem »Signal« zu vergleichen, wie sie uns, der erste als improvisierte, das zweite als unter gleichen Umständen unwandelbar wiederkehrende Äußerung aus dem Leben von Tieren bekannt sind; wir können es aus keinem von beiden ableiten, denn auch das undifferenzierteste Ur-Situationswort muß, eben als Wort, schon jene dem Tier fremde, jähe und entdeckerische Freiheit zum Klingen gebracht haben, in der ein Mensch sich dem andern zuwendet, um ihm Kunde von Seiendem oder Geschehendem zuzuführen. Jede genetische Untersuchung, die ihre Unbefangenheit wahrt, bestätigt uns die alte Einsicht, auf die nicht oft genug verwiesen werden kann: daß das Geheimnis der Sprachwerdung und das der Menschwerdung eins sind. Ich habe schon einmal22 darauf aufmerksam gemacht, daß die solitäre Kategorie »Mensch« aus einem Zusammenwirken von Distanz und Beziehung zu verstehen ist. Der Mensch steht, anders als alles andere lebende Wesen, der Welt distanzhaft gegenüber, und er kann je und je, anders als alles andere lebende Wesen, zu ihr in Beziehung treten. Nirgends manifestiert sich dieses gründende Doppelverhältnis so umfassend wie in der Sprache. Der Mensch, er allein, spricht, weil nur er das Andere, eben als das ihm distantiell gegenüberstehende Andere, ansprechen kann; indem er es aber anspricht, tritt er in die Beziehung ein. Das Werden der Sprache bedeutet jedoch auch eine neue Funktion der Distanz. Denn auch das 22.

[Anm. Buber:] Urdistanz und Beziehung (1951).

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früheste Sprechen hat nicht, wie ein Schrei oder ein Signal, sein Ende in sich: es setzt das Wort aus sich ins Sein, und das Wort besteht, es ist Bestand. Und der Bestand gewinnt sein Leben stets neu in der wahrhaften Beziehung, in der Gesprochenheit des Wortes. Das echte Gespräch bezeugt es, und das Gedicht bezeugt es. Denn das Gedicht ist Gesprochenheit, Gesprochenheit zum Du, wo immer ihm der Partner wese. Aber – so mag gefragt werden – wenn dem so ist, wenn es nicht als Metapher, sondern als Tatsache genommen werden soll, daß das Gedicht eine Gesprochenheit ist, dann heißt das doch wohl auch, daß nicht bloß das Gespräch, sondern auch das Gedicht auf seinen Wahrheitsgehalt betrachtet werden kann? Auf diese Frage ist nur mit Ja und Nein zugleich zu antworten. jedes authentische Gedicht ist auch wahr, aber diese Wahrheit steht außerhalb aller Relation zu einem aussagbaren Was. Gedicht nennen wir die nicht eben häufig erscheinende worthafte Gestalt, die uns eine Wahrheit zuspricht, welche auf keine andere Weise als eben auf diese, auf die Weise der Gestalt, zu Worte werden kann. Darum nimmt jede Umschreibung eines Gedichts ihm seine Wahrheit. Ich sagte: das Gedicht spricht; man darf auch sagen: der Dichter spricht, wenn man damit nur nicht den Gegenstand einer Biographie und Verfasser von allerhand Werken meint, sondern eben den lebendigen Sprecher dieses Gedichts hier. Dieser Sprecher ist als Dichter der Sprecher einer Wahrheit. Nietzsches Scherzspruch, die Dichter lögen zu viel, 23 redet an der Tiefe dieser Wahrheit vorbei, die ins Geheimnis des bezeugenden Wie versenkt ist. Mit dem dargelegten Sachverhalt hängt auch die Problematik des Interpretierens von Gedichten zusammen, sofern es etwas anderes im Sinn hat, als das Wortgebild zu adäquaterem Vernommenwerden zu bringen. Die Begrifflichkeit, der das Ziel gesetzt ist, ein erkennbares Was zur Klärung und Geltung zu bringen, lenkt vom echten Verständnis des Gedichts ab und verfehlt die von ihm getragene Wahrheit. Aber wenn wirklich beidem, dem Begrifflichen und dem Dichterischen, der Name der Wahrheit zukommt, wie ist eine Wahrheit zu fassen, die beides umfaßt? Zu einer ersten Antwort auf diese Frage nach den beiden Wahrheiten und der einen mag uns ein alter Text helfen, der zugleich auf das Urphänomen der Sprache hindeutet. Eine heilige Schrift der Inder, das Brahmana der hundert Pfade, 24 erzählt, die Götter und die Dämonen seien beide dem Selbstopfer des Urzeugers entsprungen und hätten dessen Erbschaft angetreten. Dann heißt 23. Vgl. F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra II: Von den Dichtern, KSA 4, S. 163. 24. Satapatha Brahmana, indische Textsammlung etwa 850 v. d. Z. Buber hält sich bei seiner Auswahl an die Ausgabe von Alfred Hillebrandt, Aus Brahmanas und Upanishaden. Gedanken altindischer Philosophen, Jena: Eugen Diederichs 1923 (1921).

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es wörtlich: »Die Erbschaft, das war das Wort: Wahrheit und Falschheit, zugleich Wahrheit und Falschheit. Nun sprachen diese und jene die Wahrheit, diese und jene sprachen die Falschheit. Indem sie dasselbe sprachen, waren sie einander gleich. Die Götter verwarfen nun aber die Falschheit und nahmen die Wahrheit allein an; die Dämonen verwarfen nun aber die Wahrheit und nahmen die Falschheit allein an. Da erwog jene Wahrheit, die bei den Dämonen war: ›Da, die Götter haben die Falschheit verworfen und haben die Wahrheit allein angenommen. So will ich denn hingehn.‹ Und sie kam zu den Göttern. Jene Falschheit aber, die bei den Göttern war, erwog: ›Da, die Dämonen haben die Wahrheit verworfen und die Falschheit allein angenommen. So will ich denn hingehn.‹ Und sie kam zu den Dämonen. Jetzt sprachen die Götter die ganze Wahrheit, die Dämonen sprachen die ganze Falschheit. Da die Götter einzig die Wahrheit sprachen, wurden sie schwächer und ärmer; darum, wer einzig die Wahrheit spricht, wird immer schwächer und ärmer. Aber am Ende besteht er, und am Ende bestanden die Götter. Und die Dämonen, die einzig die Falschheit sprachen, gingen auf und gediehen; darum, wer einzig die Falschheit spricht, geht auf und gedeiht. Aber am Ende vermag er nicht zu bestehn, und die Dämonen vermochten nicht zu bestehn.« 25 Es ist unserer Beachtung wert, wie hier das Schicksal des Seins durch das Sprechen des Wortes bestimmt wird, und zwar durch das Sprechen des wahren und des falschen Wortes. Aber was kann uns, wenn wir die Mythe in unsre menschliche Wirklichkeit versetzen, »wahr« und »falsch« bedeuten? Offenbar doch nicht etwas, was erst durch das Beziehen auf ein außerhalb der Sprechenden Befindliches erfaßt werden kann. Die Mythe kennt nur die Gesamtheit der einen, noch ungeteilten Sphäre. Wir dürfen also, wenn wir von der Mythe in unsere Welt abspringen, uns keiner andern Sphäre zuwenden als der jener gemäßen. »Einer spricht die Wahrheit« mag daher wohl umschrieben werden durch: »Einer sagt, was er meint.« Aber was darf »meinen« hier heißen? In unserer Welt und in unserer Sprache bedeutet dies offenbar, daß der Sprecher, wie er als der, der er ist, meint, was er meint, so auch als der, der er ist, sagt, was er meint. Das Verhältnis zwischen Meinen und Sagen verweist uns auf das Verhältnis zwischen der intendierten Einheit von Meinen und Sagen einerseits und der zwischen Meinen und Sagen und dem personhaften Dasein selber anderseits. Ein besonders starker Akzent liegt in dieser Mythe auf der Feststellung, daß – in unserer Sprache ausgedrückt – die gleichsam chemisch von 25. Ebd., S. 19 f. (= Satapatha Brahmana IX, 5, 1, 12 ff.).

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ihrem Falschheitsgehalt gereinigte Wahrheit im geschichtlichen Verlauf erfolglos ist. Alles kommt hier darauf an, die Worte »aber am Ende besteht er« richtig auszulegen. Es ist dies keine Äußerung einer optimistischen Geschichtsauffassung und auch kein eschatologischer Spruch. »Am Ende« heißt uns: in der reinen Rechnung der persönlichen Existenz. In der religiösen Sprache wird gesagt: »Wenn die Bücher aufgeschlagen werden«; 26 aber das ist nicht dort und dann, sondern hier und jetzt. Die Wahrheit, um die es solcherweise geht, ist nicht die sublime, dem Sein selber eignende »Unverborgenheit«, die Aletheia 27 der Griechen; es ist die schlichte Wahrheitskonzeption der hebräischen Bibel, deren Etymon »Treue« bedeutet, die Treue des Menschen oder die Treue Gottes. 28 Die Wahrheit des Wortes, das wahrhaft gesprochen wird, ist in ihren höchsten Formen, so im Gedicht und ungleich mehr noch so in dem botschaftsartigen Spruch, der aus der Stille über eine zerfallende Menschenwelt niedergeht, unzerlegbare Einheit. Sie ist Erscheinung ohne mitgegebene Diversität der Aspekte. In allen andern ihrer Formen aber ist dreierlei an ihr zu unterscheiden. Sie ist zum ersten getreue Wahrheit im Verhältnis zu der einst vernommenen und nun ausgesprochenen Wirklichkeit, auf die zu sie das Fenster der Sprache weit auftut, damit sie dem Hörer unmittelbarer vernehmbar werde. Sie ist zum zweiten getreue Wahrheit im Verhältnis zu dem Angesprochenen, den der Sprecher als solchen meint, gleichviel, ob er namentragend oder anonym, vertraut oder fremd sei. Und einen Menschen meinen, heißt nicht weniger als mit dem aussendbaren Seelenelement, mit der »Außenseele«, bei ihm sein und seiner Einsicht beistehen, so fundamental man auch zugleich bei sich selbst bleibt und bleiben muß. Und zum dritten ist die Wahrheit des Wortes, das wahrhaft gesprochen wird, getreue Wahrheit im Verhältnis zu 26. »Wenn die Bücher aufgeschlagen werden.« Buber bezieht sich auf die Liturgie des jüdischen Neujahrsfest (Rosch Haschanah): »Rabbi Kruspedai sagte im Namen des Rabbi Yochanan: ›Drei Bücher werden zu Rosch Haschanah aufgeschlagen, eins für die gänzlich Schlimmen, eins für die völlig Gerechten, und eins für die in der Mitte. Die völlig Gerechten werden unverzüglich eingeschrieben und ihr Leben besiegelt; die Schlimmen werden unverzüglich eingeschrieben, und besiegelt wird ihr Tod; die in der Mitte werden aufgehoben und sollen warten von Rosch Haschanah bis zu Yom Kippur [dem Versöhnungstag]. Bewähren sie sich, so werden sie eingeschrieben fürs Leben; bewähren sie sich nicht, so werden sie eingeschrieben für den Tod.‹« (Babylonischer Talmud, Rosch Haschanah 16b; übers. A. B.). 27. Aletheia, griech. »Wahrheit«, wörtl. aus a-Lethe, »Unverborgenheit«, »Unvergessen«. Buber stellt ihr bewußt die hebräische »Treue« gegenüber, um sich einmal mehr von Heideggers Hinweis auf die »Entbergung« (Der Weg zur Sprache, S. 133) zu distanzieren. 28. Emet, hebr., ursprünglich amenet aus dem Wortstamm ›amn‹ (Treue, Festigkeit, Glaube), verwandt mit hebr. emunah (Glaube).

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seinem Sprecher, d. h. zu dessen faktischer Existenz in all ihrem verborgenen Bau. Die menschliche, dem Menschen gewährte Wahrheit von der ich rede, ist kein Pneuma 29 , das sich von oben auf die überpersonhaft gewordene Schar ergießt: sie tut sich einem eben in seiner Personhaftigkeit an. Diese konkrete Person steht mit ihrer Treue in dem ihr zugewiesenen Lebensraum für das Wort ein, das von ihr gesprochen wird.

29. Pneuma, griech. »Geist«; im N.T. Heiliger Geist.

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Philosophical Interrogations Eugen Rosenstock-Huessy: Frage an Buber Der wirkliche Abgrund zwischen dem Denken Martin Bubers und meinem eigenem liegt in unserer Auffassung von der Geschichtlichkeit des Menschen. Für mich kann das gesprochene Wort nur dann Sinn haben, wenn es von der geistigen Koexistenz dreier oder mehrerer Generationen zeugt. Sprechen heißt rückwärts leben, zurück vor die eigene Geburt, und vorwärts, hinaus über den eigenen Tod. Einen Namen bekommen bedeutet in eine Zeitsequenz mit mindestens zwei epochalen und entscheidenden Brüchen gestellt zu werden: dem Tod dessen, der mich benannt hat, und meinem eigenen Tod. Dies ist die Laufbahn eines Namens, der alle physische Zerstörung überdauern soll. Mehr-altrig [pluri-aged] ist mein Denken; ein-altrig [single-aged] ist Bubers Denken. Darin auch liegt der Unterschied zwischen dem Sozialismus (mit seinem bislang noch liberalen, das heißt ein-altrigen Gesellschaftsbild) und dem Kommunismus (mit seiner religionshaft [religion-like] mehr-altrigen Auffassung von der Reproduktion der Gesellschaftsordnung innerhalb der Gesellschaft). Buber und ich sind uns der Scheidewand zwischen unseren Denkweisen wohl bewußt. Meiner Ansicht nach vermag kein Individuum und keine individuelle Generation je Geschichte zu erfahren. Der Mensch, das Individuum, kann nicht mehr erkennen als es durch seine fünf Sinne erfährt. […] Dieser Unterschied unserer Auffassungen liegt all meiner Kritik gegen Buber zugrunde. Für mich etwa sind die Pronomina Ich und Du fiktive Abkürzungen einer mehr-altrigen, mit einem Namen benannten, »nationalisierten« und an ihr Jahrhundert gebundenen Person. Für mich sind Pronomina Auslassungen. Für Buber genügen sie. Wer mein Buch Zurück in das Wagnis der Sprache kennt, wird hinreichend Belege für meine These finden, daß Pronomina weder hier noch dort [neither here nor there] sind. 1 […] Zeit stellt für mich eine unteilbare Dreiheit dar: Zukunft, Vergangenheit und die darüberstehende Gegenwart sind gleichzeitig gegeben. […] Buber dagegen kennt das Phänomen der Zeit nur in seiner Reduktion auf eine unaussprechbare und logisch unhaltbare Gegenwart. Daher ist der Boden unserer Sprache grundverschieden. Meiner ist zumindest 1.

E. Rosenstock-Huessy, Zurück in das Wagnis der Sprache. Ein aufzufindender Papyrus, Berlin: Käthe Vogt Verlag 1957.

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dreidimensional in der Zeit; seiner ist bestenfalls eindimensional, in Wahrheit aber kein-dimensional.

Antwort an Rosenstock-Huessy In dem Hauptteil seiner Fragestellung, der von der Historizität des Menschen und der Gleichzeitigkeit der Generationen handelt, gibt Rosenstock-Huessy eine treffende Darlegung des Unterschieds zwischen dem, was ihm, und dem, was mir am Menschen das Wichtigste ist. In den letzten Absätzen, wo er von den Pronomina und von den »Dimensionen« spricht, spitzt er die Kritik zu und verliert eben damit den Boden unter seinen Füßen. Die Geschichtlichkeit des Menschen ist die Seite der Wirklichkeit, über die wir in der mit Hegel beginnenden und mit Heidegger endenden Epoche des Denkens gründlich und nachdrücklich belehrt worden sind. Ich rechne es Rosenstock-Huessy hoch an, daß er diese Lehre so lebendig konkretisiert, wie es kein anderer Denker vor ihm getan hat: in seinem Hinweis auf die gleichzeitig lebenden Generationen, – ein Hinweis, zu dem ich ihm besonders gern das Wort erteilte, als ich vor mehr als drei Jahrzehnten die Zeitschrift Die Kreatur herauszugeben begann.2 Als Hinweis auf die eine Seite, eben in ihrer Konkretheit, war und ist mir dieser Hinweis willkommen; stellt er den Anspruch, das Wichtigste und Entscheidendste am Menschen aufzuzeigen, dann werde ich genötigt, ihn für nicht weniger irreführend zu halten als jene ganze Lehre unserer Epoche – einer Epoche, die uns den Becher kredenst hat, bei dessen Ausschlürfen wir nun an die Hefen gelangt sind. Gewiß ist der Mensch ein »geschichtliches« Wesen, was freilich für die Beschreibung eines Patagoniers etwas anderes bedeutet als für die eines Chinesen oder sogar eines Amerikaners. Gewiß mischen sich in der Sprache das Erinnern und das Versprechen und beide reichen unabsehbar weit über Geburt und Tod des Sprechers hinaus. Aber eben hier, im Bereich der Sprache, ist uns zu merken gegeben, daß wir mit dieser Wahrnehmung der »Geschichtlichkeit« uns noch lange nicht genug der Wirklichkeit des Menschen genähert, ja, daß wir damit das eigentliche Faktum, das offenbare Geheimnis der Person, noch gar nicht in den Blick bekom2.

In der von Buber mit Joseph Wittig und Viktor von Weizsäcker zwischen 1926 und 1930 herausgegebenen Zeitschrift Die Kreatur veröffentlichte Rosenstock-Huessy insgesamt fünf Aufsätze, von denen sich der erste (Jg. 1, Heft 1) mit der »Polychronie des Menschen« befaßte. Rosenstock-Huessys Frage an Buber ist stark an diesen Aufsatz gelehnt.

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men haben. Am faktisch gesprochenen Wort ist ja nicht das Gesagte, sondern das Sagen das ewig neue Ereignis, und das Sagen steht in der Gegenwart, eben der personhaften Gegenwart, die sich im Gesagten zuweilen durch ein bloßes Ausrufungswort vertreten lassen muß. Wenn ich »Person« sage, weise ich auf das Unableitbare hin. Wären wir mit einem vollkommenen Geschichtswissen begabt, wir könnten dennoch nicht einer einzigen Person Grundbestand erklären. Ich darf nicht verschweigen, daß ich mit dem Wort »Grundbestand« auf das Erschaffensein dieser Person hinweise, auf die Tatsache der Tatsachen, die von der jüdischen Tradition in den Spruch gekleidet worden ist, Drei wirkten an der Entstehung jedes Menschkindes, Vater, Mutter und Gott, – dieselbe Tatsache, die mir von jedem Neugeborenen, an dessen Wiege ich trete, durch seine noch nie gewesenen Züge, Gebärden, Laute verkündigt wird. Und, Gott sei Dank dafür, auch ich bin da, als der Vater, Großvater, Urgroßvater, immer tiefer ins Geheimnis schauend, oder auch nur als ein Gast. Menschliches Dasein, auch das stumme, ist Sprache, und Sprache ist immer, absichtsvoll oder absichtslos, unmittelbar oder mittelbar, mitunter gewaltig vor- und eindringed, mitunter suchend und tastend, mitunter auf seltsamen Wegen heranrückend, Ansprache. Was dich, nicht im Gesagten, aber im Sagen anspricht, ist die unableitbare Person, das jetzt lebende neue Geschöpf. Person wird in der Ich-Du-Bezeichnung erkannt. Selbstverständlich sind auch die personalen Pronomina neither here nor there; sie stehen nur für die gar nicht anders ausdrückbare Beziehung. Rosenstock-Huessys von den Lehren der Grammatik begünstigte Meinung, sie stünden für einen Namen, oder gar einen Eigennamen, erscheint mir als ein folgenreicher Irrtum. Ob ich sage: »Eugen hat eine Soziologie verfaßt, in der von diesen und diesen Dingen die Rede ist,« oder »Du, Eugen, woran erinnertest du dich als du dies und dies in deiner Soziologie schriebst?«, das ist der vitale Unterschied. Das Pronomen »Er« steht in der Tat für ein Nomen, das Pronomen »Du« aber nur vordergründig. Und zurück zum Thema der Generationen, aber nur noch nebenbei. Aus seiner Bewertung des Eigennamens – den ich nur als ein unentbehrliches und unzulängliches Symbol der personhaften Einzigkeit ansehe – ergibt sich für Rosenstock-Huessy die sozusagen biographische Gleichstellung zweier Tode: des Todes dessen, who named me, und meines eigenen. Das ist eine alttestamentarische Betrachtungsweise, an der ich nicht festzuhalten vermag; sie ist übrigens schon von den Evangelien aufgegeben worden, wo die Namengebung kein großer biographischer Akt mehr ist und Namensänderungen nicht mehr von Gott oder dem Volk, sondern von der Person vorgenommen werden. Seither ist noch manches

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anders geworden. Ich selber aber bin dem von Herzen entgegen, daß solchermaßen neben dem eigenen Tod, an den einer denkt, rechtmäßig der erinnerte Tod des Menschen trete, der ihm seinen Namen gegeben hat (das kann zum Beispiel der Verwalter eines Waisenhauses sein); neben meinem Tod ist Platz für keinen anderen als für den des Menschen, mit dem ich das wahrste Du meines Lebens getauscht habe. Mein Denken ist nicht single-aged. Aber mein Glaube ist es. Ich glaube an die Stunden, im Leben des Einzelnen und im Leben des Menschengeschlechts, wo die Geschichtlichkeit aufbricht und die Gegenwart sich offenbart. Ich glaube an diese Stunden, weil ich sie kenne. Ich weiß von ihnen, daß sie Menschen einander aufschließen und Gemeinschaft zwischen ihnen stiften. Diesen meinen Glauben, also diese Glaubenserfahrung, dieses Glaubenswissen und diese Glaubenshoffnung, nennen Sie einen single-aged socialism und erwähnen als seinen Gegensatz einen communism, dessen approach nicht bloß pluri-aged, sondern auch religion-like sei. Denken Sie an die geschichtliche Erscheinung unserer Zeit, auf deren Banner, dem massivsten aller Zeiten, jener Terminus steht, und die häufig von sachkundigen Betrachtern als religion-like bezeichnet worden ist? Auf jeden Fall sei ein Letztes gesagt: mein innerstes Herz ist in der Tat bei denen, die in naher oder ferner Zukunft durch die ja wohl mögliche alles verkehrende Scheinrealisierung dieses religion-like Weltprogramms durch den planetaren Nacht-Zentralismus in die große Verzweiflung getrieben, mit ihrer letzten Kraft den single-aged and all-aged present, die presence zwischen den Menschen herbeirufen würde.

Karl Thieme: Frage an Martin Buber: Betrachten auch Sie die von Ihnen veröffentlichten biblischen Studien […] als das Kernstück Ihres Lebenswerkes und darin wiederum die Entdeckung des »Leitwortstils« 3 der Bibel als Ihren fruchtbarsten Beitrag zu deren Interpretation?

Antwort an Karl Thieme Wenn ich selber etwas als ein »Kernstück meines Lebenswerkes« bezeichnen soll, so kann es nichts Einzelnes sein, sondern nur die eine Grund3.

Siehe dazu M. Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuch, in ders. Werke II, S. 1131-1149.

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einsicht, die mich sowohl zum Studium der Bibel als auch zu dem des Chassidismus als aber auch zu einer selbständigen philosophischen Darlegung geführt hat: daß die Ich-Du-Beziehung zu Gott und die Ich-DuBeziehung zum Mitmenschen zutiefst aufeinander bezogen sind. Dieses Auf-einander-Bezogensein ist – wenn ich den Ausdruck beibehalten darf – das Kernstück der dialogischen Wirklichkeit, die sich mir immer mehr eröffnet hat. All mein Werk an der Bibel hat letztlich dieser Einsicht gedient, und innerhalb seiner auch der von Thieme hervorgehobene Hinweis auf die Wiederholungsformen im biblischen Schrifttum. Es sind eminent dialogische Formen: die Gottesrede der hebräischen Bibel geht darauf aus, daß der Mensch das Wort nicht bloß seinem »Was«, seinem Inhalt nach, sondern in seinem inneren Zusammenhang, seinem »Wie« nach aufnehme und verstehe. Das heißt: die Sprache ist hier kein Gewand, das man gegen ein anderes tauschen könnte, sie ist die einmalige und unersetzliche Gebärde selber. Die Wiederholung in ihrer biblischen Gestalt ist die Gebärde, mit der das Wort sich selber deutet. Auch dem Menschen sind für seinen wahren Umgang mit dem Mitmenschen die dialogischen Formen, die Einheit von Was und Wie, die Selbstdeutung des Wortes gegeben und aufgegeben.

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Auszüge aus ›Antwort‹ 1. Ich beginne mit einer Frage, die sich mit meiner Sprache befaßt.1 Es heißt, sie sei, wo sie an eine Transzendenz rühre, voller paradoxer Formeln, und das wird damit erklärt, sie müsse, da sie auf die gelebte und nicht gedachte Begegnung mit Gott hinzuweisen habe, »sich so nah wie möglich an die Bibelsprache halten.« 2 Das letztere stimmt ganz und gar nicht; wenn ich meine Sprache zu wählen gehabt hätte, würde ich am allerwenigsten eine der biblischen ähnelnde gewählt haben, denn wer von den Menschen unseres Zeitalters es gewagt hat, den Stil der Propheten in Pacht zu nehmen, hat ihn – wie am deutlichsten Nietzsches »Zarathustra« dem heutigen Leser kundtut – in eine wirkungsvolle Pathetik verwandelt. Nun, ich brauche ja glücklicherweise meine Sprache nicht zu wählen; das, was zu sagen war, hat sie gemacht wie der Baum seine Rinde macht. Das, was zu sagen gewesen ist, war, wie ich in diesen Antworten schon dargelegt habe, ein Hinweis, ein Hinzeigen auf Wirklichkeit. Wenn eines Menschen Sprache Wirklichkeit, verdunkelte Wirklichkeit zeigen, aufzeigen will, wird sie, so wie sie an die Wirklichkeit zwischen uns und Gott rührt, den paradoxen Ausdruck nicht scheuen dürfen. Der in drei Jahrtausenden geschmiedeten Logik unterwirft sich die gelebte Wirklichkeit der Begegnung nicht; wo die complexio oppositiorum waltet, verstummt der Satz vom Widerspruch. Warum, so wird gefragt, besteht Buber darauf, »daß paradoxale Ausdrücke, die auch zum Rüstzeug des Menschen gehören, Gott weniger begrenzen als ontologische Begriffe«? 3 Gott wird durch jedes Wort eingeschränkt, das ihn nicht zum Empfänger, sondern zum Gegenstand hat; nicht von Gott sondern von der Begegnung reden wir. Der Begegnung gegenüber aber behält es sich sich so, daß die »paradoxalen« Ausdrücke ihre unvergleichliche, unsubsumierbare Einmaligkeit respektieren, die durchlogisierten nicht.

1. 2. 3.

[Anm. Buber:] M. L. Diamond, Dialog und Theologie, in: Schilpp/Friedman, bes. S. 209 f. Ebd., S. 216. Ebd., S. 219.

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Antwort

2. Man hat mir mit einer gewissen Berechtigung vorgeworfen 4 , daß ich mitunter Anleihen bei der psychologischen Terminologie gemacht habe, ebenso wie bei der erkenntnistheoretischen. Ich zögere nicht zu bekennen, daß ich es aus Not getan habe. Ich wollte nur eben, ohne eine neue und das konkrete Verständnis notwendig erschwerende Terminologie herzustellen, unzweideutig zum Ausdruck bringen, daß die Begegnung zwar »von Gnaden« geschieht, daß sie sich aber nicht der menschlichen Person antut, sondern in ihr präformiert ist, daß der Mensch nicht bloß begegnungswillig, sondern auch begegnungfähig ist, – und daß nur eben das Maß seiner Bereitschaft, in die Begegnung mit dem ganzen Wesen einzutreten, sehr oft seiner latenten Willigkeit und Fähigkeit nicht gewachsen ist. Ich habe zuweilen mein eigener Interpret sein müssen; daher die borgenden Überbegriffe.

3. Hier sei ein nur scheinbar episodischer Beitrag zur Psychologie der Mißverständnisse eingeschaltet. Ich sage, wo eine Situation einen antrete, da sei es nicht an der Zeit, in einem Wörterbuch nachzuschlagen. 5 Das Bild sollte doch wohl jedem klar sein: im Angesicht der jetzt erscheinenden Situation – nehmen wir zur Verdeutlichung an: einer unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Situation – habe ich nicht zu überlegen, welchen Allgemeinbegriff diese Situation zu subsumieren und welches Prinzip somit auf sie anzuwenden sei, sondern es liegt mir ob, mich dieser »neuen« Situation zu stellen, selbstverständlich: mich mit allem, was ich bin und was ich weiß, ihr zu stellen, und sie im Maße meines Können zu bewältigen, also das ihr Angemessene zu tun, ihr zu entgegnen. Meine Verwendung des Gleichnisses eines Wörterbuchs wird nun von meinem Kritiker folgendermaßen verstanden: »Nicht zufällig betont Buber die Überwindung sprachlichen Ausdrucks, weil in einem sprachlichen Ausdruck etwas ist, das sich auf einen tatsächlich übermittelten Kraftspeicher von

4. 5.

[Anm. Buber:] N. Rotenstreich, Gründe und Grenzen von Martin Bubers dialogischem Denken, in: Schilpp/Friedman, bes. S. 91 f. Vgl. M. Buber, Zwiesprache (W I, S. 184): »Der wirkliche Glaube – wenn ich denn das Sichstellen und Vernehmen so nennen darf – fängt da an, wo das Nachschlagen aufhört, wo es einem vergeht.«

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Antwort 6

Inhalten bezieht.« Die Meinung, die mir zugeschrieben wird, ist der meinen geradezu entgegengesetzt. Einerseits liegt mir nichts so fern als »den sprachlichen Ausdruck überwinden« zu wollen; nichts hilft mir so den Menschen und sein Dasein verstehen wie die Sprache, und auch über das Menschliche hinaus vermittelt mir gerade ihre sinnlichste Konkretheit täglich neue und überraschende Einsichten. Andererseits aber ist es für mich von höchster Wichtigkeit, daß der Dialog einen Gehalt habe; nur daß dieser Gehalt um so wichtiger ist, je konkreter, je konkretisierender er ist, je mehr er dem Einmaligen, dem sich Ereignenenden, dem Gestalthaften gerecht wird und auch das Geistigste ihm einzuverleiben vermag, nicht metaphorisch sondern realiter, weil der Geist den Leib sucht und sich von der Sprache helfen läßt ihn zu finden. Diese große Konkretheit ist aber nicht dem isolierten Wort im Wörterbuch eigen, wo die Sprache uns nur ihre generelle Seite, ihre Verwendbarkeit zeigt, sondern dem Wort in seinem lebendigen Kontext, im Kontext des echten Gesprächs, des echten Gedichts, des echten Gebets, der echten Philosophie; da erst erschließt es uns das Einmalige. Darum habe ich es mit dem Nachschlagen in einem Wörterbuch verglichen, wenn einer, statt der Situation standzuhalten, ihr ins Allgemeine, ins Prinzipielle ausweicht. […]

6.

N. Rotenstreich, a. a. O., S. 114.

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Kommentar Autobiographische Fragmente

Druckvorlage: Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart: W. Kohlhammer 1960, S. 6-9; 20-21. MBB 1138. 2. Aufl. 1961; dritte, erweiterte, mit einem Nachwort von Albert Goes und editorischen Anmerkungen von Lothar Stiehm versehene Aufl., Heidelberg: Lambert Schneider 1978. Wiederabgedruckt in: Schilpp/Friedmann, S. 2-4; 1112. Englisch als »Autobiographical Fragments« in: Schilpp/Friedman (Hrsg.), The Philosophy of Martin Buber, La Salle, Ill.: Open Court 1967, S. 1-39. Wiederabgedruckt als Encounter: Autobiographical Fragments, La Salle, Ill.: Open Court 1972; 2. Aufl. als Meetings, 1973. Hebräisch als Pegischot [Begegnungen], Jerusalem: Mosad Bialik 1965. Weitere Übersetzungen ins Dänische (1966), Japanische (1967) und Holländische (1970). Die Autobiographischen Fragmente entstanden im Rahmen des von Paul Arthur Schilpp (1897-) und Maurice Friedman herausgegebenen Aufsatzbandes zu Martin Buber in der amerikanischen Reihe The Library of Living Philosophers. Den Richtlinien der Reihe entsprechend, sollten den kritischen Aufsätzen namhafter Gelehrter einige biographische Fakten Bubers vorangehen und eine »Antwort« folgen, worin Buber auf die Argumente seiner Kritiker eingehen und Mißverständnisse richtigstellen konnte. 1 Die Zusammenstellung des Bandes begann 1956. Bubers Arbeit an seinen Autobiographischen Fragmenten begann im Frühjahr 1958 während einer dreimonatigen Lehrtätigkeit in Princeton, gemeinsam mit dem Entwurf seiner »philosophischen Rechenschaft«, oder »Responsa« (Antwort, siehe S. 145 in diesem Band) und den Erwiderungen für die Philosophical Interrogations (siehe S. 139 in diesem Band). Im Juli 1958 schrieb Buber an Maurice Friedman, »Ich mache weiter Notizen für die Autobiographie.« 2 Im September desselben Jahres war er mit der Reinschrift der »Responsa« beschäftigt: »[U]nd wenn alle Responsa fertig sind, kommt die Autobiographie an die Reihe, aber nur eine sehr kurze.« 3 Insgesamt umfaßte die erste Ausgabe 17 »Fragmente« mit einem Anhang von weiteren drei Kapiteln. Einige Fragmente übernahm

1. 2. 3.

Siehe auch Kommentar, S. 185 f. in diesem Band. B. an Friedman, 11. Juli 1958, B III, S. 459. B. an Friedman, 8. Sept. 1958, B III, S. 464.

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Buber aus früheren Publikationen. Die hier abgedruckten Abschnitte entstanden zwischen 1958 und 1959.5 Geleitwort: Eisik Scheftel

Druckvorlage: David Pinski, Eisik Scheftel. Ein jüdisches Arbeiterdrama in drei Akten. Autorisierte Übertragung aus dem jüdischen Manuskript von Martin Buber, Berlin: Jüdischer Verlag 1905, S. 7-9. MBB 64. Über die Verbindung Martin Bubers mit dem 1872 in Mogilev geborenen und 1959 in Haifa verstorbenen jiddischen Schriftsteller und Dramatiker David Pinski, der auch unter dem Pseudonym D. Puls publizierte, ist wenig bekannt.6 Allerdings studierte Pinski um 1892 in Wien und zwischen 1896 und 1898 in Berlin, wo er auch den Verlag Tsaitgaist gründete. 1899 emigrierte er in die USA. Buber hatte bereits 1902 eine »autorisierte Übersetzung« eines Werkes Pinskis veröffentlicht, die Erzählung »Das Erwachen«.7 Im Namen des in Berlin ansässigen Jüdischen Verlags erbat Buber im Mai 1902 von Pinski eine »Zusammenstellung alles dessen […], was Sie bisher veröffentlicht haben«, einschließlich der noch unveröffentlichten Manuskripte, zum Zwecke der Übersetzung und Publikation. 8 Auch versprach Buber dem damals in New York lebenden Pinski, sich für die Aufführung von dessen Dramen an deutschen Theatern einzusetzen. Aus dem Briefwechsel geht hervor, daß Buber hierzu mit der Münchner Freien Bühne und dem Berliner Kleinen Theater verhandelte. Im Oktober 1902 kündigte Buber bereits die Herausgabe des Eisik Scheftel, Pinskis erstem sozial-psychologischen Drama, an, allerdings unter einer neuen Übersetzung, »da die vorliegende nicht zu gebrauchen ist«. 9 Im März 1903 war Buber mit der Übertragung des Eisik Scheftel bereits »eifrig beschäftigt« und überzeugt, daß das Stück »die Tragödie des aufstrebenden jüdischen Proletariers [sei], die Tragödie schlechthin und als solche etwas ungeheuer Neues und Unvergleichbares.« 10 Im Oktober des 4. Siehe die editorischen Anmerkungen in Begegnung (1978), S. 105-114. 5. Das Fragment »Wien« war bis spätestens August 1959 abgefaßt. Vgl. B. an Friedman, 15. Aug. 1959, B III, S. 481. 6. Zu Biographie und Werk David Pinskis siehe Leksikon fun der nayer Jiddischer Literatur, hrsg. v. Sch. Niger, Y. Schatzki, Sh. Raskin, New York 1968, Bd. 6, S. 134-146; David Pinski. Zichrono Livracha, hrsg. v. M. Zinger, Haifa 1960; David Pinski, Oisgeklibene Schriftn. Derzelungen, Drames, Esseyn, Memoarn [mit Aufsätzen zu Pinskis Werk], hrsg. v. Sch. Razschanski, Buenos Aires: Jiddischer Kultur Kongress 1961. 7. »Das Erwachen«, in: Jüdischer Almanach 5663, Berlin: Jüdischer Verlag 1902, S. 209215. 8. B. an Pinski, 13. Mai 1902 (MBA, Ms.Var. 350/585 I:1). 9. B. an Pinski, 25. Okt. 1902 (MBA, Ms.Var. 350/585 I:2). 10. B. an Pinski, 16. März 1903 (MBA, Ms.Var. 350/585 I:3).

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folgenden Jahres ging Eisik Scheftel in Druck, konnte aber erst Ende Januar 1905 erscheinen. »Ich hoffe, Sie werden mit Übersetzung und Vorwort zufrieden sein«, schrieb Buber an Pinski. »Ich habe mit aller Treue übersetzt und nichts weggelassen als die paar Stellen im 3. Akt, bevor Eisik kommt, wo verschiedene Leute die Vermutung aussprechen, er könnte sich ein Leid angetan haben. Diese Stellen schwächen den Schluß ab.« 11 Pinski hatte gegen die editorischen Änderungen offenbar nichts einzuwenden, denn die Übersetzung blieb unverändert. Zu einer Begegnung Bubers mit Pinski kam es erst sehr spät, vermutlich im März 1909.12 Zeugnisse eines weiteren Kontaktes nach 1909 sind nicht erhalten. Brief an Henri Borel über das Wesen der Sprache

Druckvorlage: Martin Buber an Henri Borel, 17. März 1917, in: Martin Buber. Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, Bd. I (1897-1918), hrsg. v. Grete Schaeder, Heidelberg: Lambert Schneider 1972, S. 482 (Nr. 347). Zuerst erschienen als Schreiben des Herrn Dr. Martin Buber in Heppenheim mit Beantwortung in Mededeelingen van het International Instituut voor Wijsbegeerte te Amsterdam (Mitteilungen des Internationalen Institutes für Philosophie in Amsterdam), Nr. 1, März 1918, Groningen: P. Noordhoff 1918, S. 28-29. MBB 208. Leicht gekürzt wiederabgedruckt als »Aus einem Schreiben an das ›Internationale Institut für Philosophie‹« (Amsterdam), in: Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 15. Englisch als »To Create New Words«, in: A Believing Humanism – My Testament, 1902-1965, New York: Simon and Schuster 1967, S. 31. Holländische Übersetzung 1966. Das Amsterdamer Internationale Institut für Philosophie wurde am 21. September 1917 eröffnet und im Dezember desselben Jahres als Stiftung notariell beglaubigt. Zu den Gründungsmitgliedern zählten der Mathematiker und Philosoph Gerrit Mannoury (1867-1956), der auch Vorsitzender des Instituts war, der Mathematiker Luitzen Egbertus Jan Brouwer (1881-1966), der als Buchhalter fungierte, der Physiker Leonard Salomon Ornstein (1880-1941) sowie der Bürgermeister von Rheden, Henri Petrus Johan Bloemers (1880-1947), der Sinologe und Schriftsteller Henri Jean François Borel (1869-1933), der Schriftsteller Jacob Israël de Haan (1881-1924), der Sekretär des Institutes werden sollte und der 11. B. an Pinski, 30. Okt. 1904 (MBA, Ms.Var. 350/585 I:4). 12. Pinski hielt sich zu dieser Zeit in Halensee auf. Ein Austausch kurzer Briefe über ein mögliches Zusammentreffen, das Buber immer wieder verschob, befindet sich im MBA (Ms.Var. 350/585:4-5; und 585 I:6-8).

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Reformer Frederik Willem van Eeden (1860-1932). Die im Dezember 1917 formulierten Satzungen der Stiftung lauteten: »§ 1: Die Stiftung hat ihren Sitz in Amsterdam. § 2: Die Stiftung bezweckt: Neubestimmung der Werte der Lebenselemente von Individuum und Gemeinschaft. § 3: Sie sucht diesen Zweck zu erreichen durch Gründung und Instandhaltung: a) einer Internationalen Akademie der Praktischen Philosophie und Soziologie; b) einer Schule zur Verbreitung der durch die Akademie zu formulierenden Begriffe und Begriffsverhältnisse; c) andere Mittel.« 14

Der Stiftung des Instituts ging jedoch eine andere Verbindung voraus. Sowohl Borel als auch Frederik van Eeden hatten im Juni 1914 an der Potsdamer Gründungstagung des im August desselben Jahres in Forte dei Marmi, nördlich von Pisa etablierten Forte-Kreises teilgenommen, gemeinsam mit Martin Buber, Gustav Landauer, Theodor Däubler, Erich Gutkind, Florens Christian Rang und dem schwedischen Psychogen Poul C. Bjerre (1876-1964).15 Wie der Kreis sich um eine friedliche Einigung der Nationen im Anbruch des Ersten Weltkriegs bemühte, so war auch das Internationale Institut ein Versuch – am Ende des Krieges – diese Einigung auf dem Wege einer »praktischen Philosophie« herbeizuführen. Allerdings waren der Gründung des Forte-Kreises bereits 1911 Meinungsverschiedenheiten der Teilnehmer vorausgegangen. So teilten weder Buber noch Landauer noch Erich Gutkind van Eedens Überzeugung, daß ein Verständnis der kommunikativen Zeichen und Bedeutungen zu einer Einheit der geistig Schaffenden oder Elite des Geistes (Koninklijken van Geest), führen könnte. Vielmehr berief sich Gutkind in seiner Kritik van Eedens gerade auf die Sprachkritik Fritz Mauthners. 16 Ende 1914 drohten innerliche Spannungen den Kreis zu sprengen, und ein Versuch Bubers und Landauers, die Mitglieder im November des Jahres abermals zueinander zu bringen, blieb ohne Erfolg. Mitte 1915 hatten Buber, Landauer und Rang sich dem Forte-Kreis nicht nur gänzlich ent13. »Stichtingsbrief van het Internationaal Instituut voor Wijsbegeerte«, in: Mededeelingen van het International Instituut voor Wijsbegeerte te Amsterdam, Nr. 1 (März 1918), S. 18 f. Es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, daß sowohl Ornstein als auch de Haan der zionistischen Bewegung angehörten. Zur Gründungsgeschichte des Instituts siehe besonders H. W. Schmitz, De Hollandse Significa. En reconstructie van de geschiedenis van 1892 tot 1926, Assen/Maastricht 1990, S. 229304. 14. »Stichtingsbrief«, in: Mededeelingen, Nr. 1 (März 1918), S. 23. 15. Vgl. Chr. Holste, Der Forte-Kreis, S. 32 f. 16. Vgl. D. van Dalen, Mystic, Geometer, and Intuitionist. The Life of L. E. J. Brouwer, Bd. 1, Oxford 1999, S. 246.

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fremdet, sondern auch geradezu feindschaftlich gegenübergestellt. Die geistige Wiederanknüpfung an den gescheiterten Forte-Kreis war für Buber somit nicht unbedingt naheliegend. Dennoch erhielten zwischen Dezember 1916 und März 1917 sowohl Landauer als auch Buber – neben anderen europäischen Intellektuellen, zu denen auch Walter Rathenau gehörte,– einen von Bloemers, Borel, Brouwer und van Eeden unterzeichneten Aufruf. In diesem Aufruf, der als Einladung zur Mitwirkung galt, wurden die Aufgaben der geplanten Akademie dargelegt: »1. Wörter spirituellen Wertes für die Sprache abendländischer Völker zu schaffen, und in dieser Weise in das gegenseitige Verständnis der abendländischen Individuen Begriffe spirituellen Wertes einzuführen (also eine »déclaration des valeurs spirituelles de la vie humaine«). 2. Diejenigen Elemente der heutigen Rechtsordnung und des von derselben geschützten Produktionsverfahrens aufzufinden und zu bekämpfen, welche am meisten spirituelle Tendenzen niederhalten oder betäuben, und infolgedessen betreffs der notwendigen Einschränkung der Einflußsphäre von Rechtsordnung und Technik Forderungen zu erheben. 3. In den wichtigeren Sprachen diejenigen Wörter, welche für in letzter Instanz im Streben nach körperlicher Sicherheit und materiellem Komfort wurzelnde Begriffe spirituelle Werte suggerieren, zu brandmarken, und infolgedessen die Ziele der Demokratie in der Richtung eines Weltstaates mit ausschließlich administrativem Charakter abzuklären.« 18

Den Gründern des Internationalen Institutes war es vor allem um eine Rechtsordnung getan, die die »spirituellen Lebenstendenzen« der Menschen anerkennen, und die Wertvorstellungen des »großen Haufen«, das heißt der Menge, auf nicht nur materiellen Gütern errichten sollte. Die Reinigung der Sprache von aus materiellen Bedürfnissen und Wünschen geborenen Begriffen, auch wenn diese dem »naiven Haufen« als spirituell erschienen, bedeutete für die Gründungsmitglieder einen gangbaren Weg zur Reinigung des sozialen Bewußtseins und Schaffung einer neuen, internationalen Gemeinschaft. Durch die Mitarbeit führender Intellektueller aus den bedeutendsten Ländern erhoffte man sich eine rasche Verbreitung der von der Akademie geschaffenen praktischen Philosophie und Sprache. »Wenn […] ein Kreis von klar empfindenden und selbständig und scharf denkenden Menschen sich in Gemeinschaft an dieselbe Aufgabe machen würde, so würden ihre in gegenseitigem Verständnis ausgebildeten Einsichten dabei von selbst eine zum Eintritt in das gegenseiti17. Vgl. Landauer an Poul Bjerre und die übrigen Mitglieder des Forte-Kreises, 22. Aug. 1915, in: LGB I, S. 71 f. 18. »Voorbereidend Manifest«, in: Mededeelingen, Nr. 1 (März 1918), S. 8 f.

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ge Verständnis der allgemeinen Masse geeignete sprachliche Begleitung gewonnen haben.«19 Der geistige Hintergrund des Manifests spiegelte wesentliche Grundgedanken wieder, die Brouwer bereits 1905 in seinem Buch Leven, Kunst en mystiek niedergelegt und 1916 in seiner Auseinandersetzung mit de Haans rechtskundigen »Significa« und mit van Eedens Denken entwickelt hatte. So schrieb Brouwer in De Nieuwe Amsterdammer vom 3. Feb. 1917: »Die Unterdrückung der Mitmenschen durch Privateigentum und Handel wäre nicht möglich ohne die Existenz von Machtworten wie etwa ›Unternehmer‹, ›Zinssatz‹, oder ›Gewinn‹. Und die Betäubung des Gewissens zur Fortsetzung des sozialen Unrechts wäre unmöglich durch Machtworte wie ›Glück‹, ›Religion‹, ›Kunst‹, ›Zivilisation‹, ›Genie‹, ›Pflicht‹, oder ›Verläßlichkeit‹. Diese Mittel zur Verteidigung des Unrechts, unter denen das Wort »Vaterland« eines der mächtigsten ist, können nur durch ein Ende der gegenwärtigen Anarchie der Wortschöpfung zerstört werden. Und daher ergibt sich eine vorrangige soziale Aufgabe, die uns das Gewissen auferlegt: Ein Institut für Sprachreflexion zu schaffen, das zunächst die Wörter der Macht und des Unrechts in ausführlich analytischen Manifesten brandmarken und schließlich sich selbst mit der Schaffung von Wörtern für das Bewußtwerden eines gemeinsamen intuitiven Sinnes von Gerechtigkeit befassen muß, sobald die Herausbildung eines solchen Sinnes der Gerechtigkeit es ermöglicht.« 20

Sprachphilosophisch kamen die Anregungen der Akademie vor allem von der durch die englische Philosophin Victoria Lady Welby (1837-1912) am Ende des 19. Jahrhunderts begründeten Signifika-Theorie. Daß Bedeutung nicht den Dingen und Fakten anhaftet, sondern ihnen erst verliehen müsse, war Welbys Ausgangspunkt. In ihren Büchern What is Meaning? (1904) und Significs and Language (1911) versuchte sie ein pragmatisches Sprachverständnis darzulegen, worin zum einen die Bedeutung der Sprache vom kulturellen Kontext und zum anderen der Kontext selbst von der Sprache abhängig gemacht wurde. Damit nahm sie nicht nur die moderne Theorie der Sprechakte vorweg, sondern legte auch die Grundfesten einer sozialen Reform durch Reform der Sprache: »Getreu und geduldig sollen wir also auf soziales Einverständnis und soziale Effizienz der Sprache hinarbeiten, woraus sich auch die Lösung der sozialen Probleme und der Fortschritt einer idealen Menschheit ergeben werden.« 21 Dieser soziale und sozialreformerische Aspekt der Sprache, 19. Ebd., S. 9. 20. Brouwer, »Anti-Nationale Literatuur«, in: De nieuwe Amsterdammer, 3. Feb. 1917, S. 110. Zitiert in van Dalen, Mystic, Geometer and Intuitionist, S. 249. 21. Victoria Lady Welby, The Social Value of Expression, in: dies., Significs and Langua-

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der unmittelbar mit der Sprachsoziologie Ferdinand Tönnies’ (18551936) zusammenhing, 22 stand hinter dem Programm der Akademie und verband besonders Brouwer, Mannoury und van Eeden. Brouwer und van Eeden waren im September 1915 erstmals einander begegnet, als ein von van Eeden und Borel einberufenes Komitee über die Möglichkeit einer philosophischen Akademie diskutierte, und Brouwer anschließend den Vorsitz erhielt. 23 Als Sitz der Akademie wählte man Oud Leusden, einen Ort südlich von Amersfoort. Doch im Jänner 1916 entstand Unzufriedenheit über Brouwers Führungsstil und Vorstellung eines asketischen Lebens. Es kam zum Bruch des ursprünglichen Komitees, und während Brouwer, Borel, Mannoury und van Eeden den Geist des Forte-Kreises wiederzubeleben suchten, ging eine andere Gruppe unter der Führung des Tee-Magnaten J. D. Reiman (1876-1957) daran, die International School of Philosophy in Amersfoort zu gründen, zu deren Gästen später auch Buber zählen sollte. 24 Der nun geschrumpfte Kreis um Brouwer machte ein Werben um neue Mitglieder besonders notwendig. Für Buber jedoch war die Vorstellung einer Akademie zur Sprachzeugung unhaltbar. An Landauer schrieb er im April 1917: »Den ›Akademie‹-Aufruf von Eeden und Borel, den Sie neulich erwähnten, habe ich auch erhalten und zunächst durch einen Brief beantwortet, dessen Abschrift ich Ihnen anbei sende […]; eine Erwiderung ist mir darauf nicht zugegangen. Wie töricht sind doch all die ›spirituellen‹ Projekte sonst belangreicher Menschen diesem Augenblick gegenüber – und nicht bloß ihm gegenüber!«25

22.

23. 24. 25.

ge. The Articulate Form of Our Expressive and Interpretative Sources, Philadelphia 1908, S. CCLXIV; zitiert bei K. Horstmann, »Victoria Welby, a Moralistic Pragmatist!«, in: E. Heijerman und H. W. Schmitz (Hrsg.), Significs, Mathematics and Semiotics. The Signific Movement in the Netherlands, Proceedings of the International Conference, Bonn 19.-21. Nov. 1986, Münster 1991, S. 81 (Materialien zur Geschichte der Sprachwissenschaft und der Semiotik, Bd. 5). Tatsächlich beriefen sich, wie H. W. Schmitz in seinem Buch De Hollandse Significa (S. 220) gezeigt hat, Brouwer und Mannoury auf Tönnies’ Philosophische Terminologie in psychologisch-soziologischer Ansicht (Leipzig 1906) und den dort angeregten Plan einer internationalen Akademie. Einen ähnlichen Versuch hatte 1900 bereits Lady Welby gemacht, und zwar unmittelbar nach der Lektüre der zuerst in der Zeitschrift Mind (1899/1900) erschienenen englischen Fassung des Tönnies-Aufsatzes (vgl. H. W. Schmitz, »Tönnies’ Zeichentheorie zwischen Signifik und Wiener Kreis«, in: L. Clausen und V. Borries (Hrsg.), Tönnies heute. Zur Aktualität von Ferdinand Tönnies, Kiel 1985, S. 73-93, bes. S. 85 f. Schmitz weist auch auf den Einfluß Tönnies’ auf den späteren Wiener Kreis hin). Vgl. van Dalen, Mystic, Geometer and Intuitionist, S. 258 f. Vgl. ebd., S. 260. B. an Landauer, 11. April 1917, B I, S. 490.

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Landauer fand Bubers Schreiben »sehr gut« und wollte selbst mit einem Schreiben antworten. 26 Buber sandte seinen Brief an Borel, da er mit diesem bereits verkehrt hatte. Eine Antwort von Borel jedoch kam nicht. Stattdessen druckten die Mededeelingen eine von Brouwer im Auftrag der Akademie verfaßte Erwiderung: 27 »Laren (Nord-Holland), 4. Feb. 1918 Hochgeehrter Herr, Der Verwaltungsrat des »Internationalen Instituts für Philosophie« beauftragt mich, Ihren an unser Mitglied, Herrn Borel gerichteten Brief vom 17/3/1917, in dem Sie gegen unser Manifest einen prinzipiellen Einwand erheben, zu beantworten. Infolgedessen möchte ich Sie bitten, folgendes gefl. in Erwägung zu ziehen: Das abendländische Wort besitzt zwar in mehreren Fällen neben seinem materiellen einen seelischen Wert, aber letzterer ist immer dem ersteren untergeordnet, und während ersterer eine sichere und dauerhaft orientierende Wirkung auf die Aktivität der Gemeinschaft erworben hat, in dem Sinne daß es die einzelnen Individuen dazu bringt, im Erstreben körperlicher Sicherheit und materiellen Komforts einander möglichst wenig zu hindern und womöglich zu unterstützen, entbehrt letzterer jeden Einfluß auf die Rechtsverhältnisse (es sei denn insofern er daselbst zur Erschleichung von Unrecht mißbraucht wird); demzufolge sind seine Wirkungen schwach, vorübergehend und lokalisiert. Wörter, welche ausschließlich seelische Werte besitzen und dazu geeignet sind, die Gemeinschaft auf das Ein- und Ausatmen des Weltgeistes und das Innehalten von tao hin zu orientieren, gibt es in den abendländischen Sprachen nicht; wenn solche existierten, würde übrigens ihre Wirkung lahmgelegt werden durch den wechselseitigen leiblichen Haß der zu dicht bei einander lebenden Menschen, welcher im gegenseitigen Mißtrauen gegen die Reinheit ihrer Geburt wurzelt, und das Erstreben materiellen Komforts durch die einzelnen Individuen nur unerheblich, das Ein- und Ausatmen des Weltgeistes aber in hohem Maße hindert. Der Eintritt des ersten Wortes ausschließlich seelischen Wertes in das allgemeine menschliche Verständnis wird als Phänomen mit der Einsicht in die Unduldbarkeit dieses leiblichen Hasses untrennbar verbunden sein, und somit sofort eine gesetzliche Regelung der menschlichen Fortpflanzung veranlassen. Nur dann aber wird zu diesem Eintritt eine Möglichkeit geschaffen sein, wenn das »Mysterium des Werdens« des betreffenden Wortes sich nicht im einzelnen Individuum, sondern im gegenseitigen Verständnis einer Gemeinschaft von klar

26. Vgl. Landauer an B., 16. April 1917, B I, S. 490 und LGB II, S. 178. Siehe auch Schmitz, De Hollandse Significa, S. 382, Note 140. 27. Mededeelingen, Nr. 1 (März 1918), S. 29 f.

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empfindenden und scharf denkenden, übrigens materiell einander nicht zu nahe stehenden Menschen vollzogen hat. Mit vorzüglicher Hochachtung, L. E. J. Brouwer«

Eine Gegenantwort Bubers ist leider nicht erhalten. Feststeht, daß Buber sich dem Programm der Akademie nicht anschloß. Dagegen stechen unter den im August 1918 ernannten Mitgliedern die Namen Gustav Landauer, Fritz Mauthner und Rabindranath Tagore (1861-1941) hervor. 28 Das Internationale Institut für Philosophie bestand nur etwa vier Jahre und unter steten Zwistigkeiten, bis es am 23. Februar 1922 endgültig aufgelöst wurde. Seine engsten Mitglieder jedoch, Brouwer, van Eeden, Mannoury und der Linguist Jacques van Ginneken (1872-1945), setzten ihre Tätigkeit mit der Gründung des Signifischen Kreises noch im selben Jahr fort. 29 Ein Wörterbuch der hebräischen Philosophie

Druckvorlage: Frankfurter Zeitung, Literaturblatt, 62. Jg., Nr. 8 (24. Februar 1929). MBB 407. Hebräisch: auszugsweise in: Moznaim, Jg. 1, Heft 4 (24. Adar II 1929), S. 10-11. MBB 409. Der Thesaurus der philosophischen Begriffe erschien in vier Bänden in dem von Klatzkin mitbegründeten Berliner Verlagshaus Eschkol: Die ersten beiden Bände 1928, der dritte 1930, der vierte 1933. Jakob Klatzkin (1882-1948) studierte bei Hermann Cohen, war von 1909 bis 1911 Herausgeber von Theodor Herzls Zeitschrift Die Welt und später Direktor des jüdischen National Fonds. Als Philosoph und Übersetzer wurde Klatzkin zu einem führenden hebräischen Essayisten und Pionier hebräischer Philosophie und Philosophiegeschichte. Seine hebräischen Essays erschienen 1914 unter dem Titel Techumim (Grenzen) sowie eine englische Ausgabe 1943 (In Praise of Wisdom, New York: L. B. Fischer). Seine Gedanken zum Zionismus legte er in Probleme des modernen Judentums nieder, das 1921 im Jüdischen Verlag als Krisis und Entscheidung im Judentum wiederaufgelegt wurde. Mit Nahum Goldmann initiierte er das Projekt der Encyclopaedia Judaica, von der zehn deutsche und fünf hebräische Bände zwischen 1920 und 1933 erschienen. 1933 flüchtete

28. Vgl. van Dalen, Mystic, Geometer and Intuitionist, S. 270. 29. Vgl. ebd., S. 369 f.

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Klatzkin in die Schweiz, 1941 kam er nach Amerika. Er starb 1948 in der Schweiz. Klatzkins Haltung zum Hebräischen ist mit der Radikalität des hebräischen Linguisten Eliezer ben-Jehuda (1858-1923) vergleichbar. Wie BenJehuda, der 1881 nach Jerusalem übersiedelte, um dort den ersten modernhebräischen Haushalt einzurichten, glaubte auch Klatzkin, daß eine nationale Wiedergeburt ohne Wiedereinführung des Hebräischen unmöglich wäre. Für ihn galt es, nicht nur das äußere und innere Exil abzustreifen, sondern auch das Sprachenexil zu überwinden: »Vermochte denn der Galuthnationalismus uns auch aus dem Sprachenexil zu erlösen? den Fluch und die Schmach sklavischer Anhänglichkeit an die sprachliche und literarische Fremdherrschaft abzuwenden? hat in der Diaspora die Rückkehr zum Judentum eine Rückkehr zu seiner nationalen Sprache gezeigt?« 30 Klatzkin beurteilte diese Fragen negativ und übte Kritik an der jüdischen Renaissance-Bewegung der Jahrhundertwende, die sich zwar innerhalb des jüdischen Empfindens, doch außerhalb der jüdischen Sprache bewegte. So konnte er auch den »mit großem Aufwand fremdsprachlicher Formkraft modernisierte[n] Chassidismus« nicht als »Neubelebung verschütteten Judentums« ansehen, womit er sich implizit besonders gegen Buber wandte. Diesem Chassidismus kam nach Klatzkin das Verdienst zu, »ein geschmackvoll frisiertes, stilisiertes Judentum salonfähig gemacht zu haben« schrieb Klatzkin. Letztlich aber hielt er ihn (den Chassidismus) nur für ein »Surrogat«, einen »ideologischen Ersatz für das entjudete Leben«.31 Das Schaffen einer hebräischen Literatur und Philosophie hingegen betrachtete Klatzkin als einen Durchbruch zur nationalen und geistigen Freiheit des Judentums: »Es ist psychologisch lehrreich und für die zukünftige Entwicklung unserer Kultur symptomatisch, daß die hebräische Renaissancekultur das Ghetto jüdischer Lehrinhalte sprengte und das Tor für fremde Kulturwerte in einem Gefühl nationaler Sicherheit weit öffnete; während die fremdsprachlich jüdische – auch, oder erst recht, die nationalistische – Literatur das Judentum ängstlich in allerlei Interpretationen eines jüdischen Geistes einengt und inhaltlich abgrenzt.« 32

Damit gelangte Klatzkin – gerade als Philosoph – nicht zu einem Inhaltssondern einem Formkriterium dessen, was als »jüdisch« zu bezeichnen war: »Das nationale Matrikel aller Werte ist die Form.« 33 Und für Klatzkin war diese Form die hebräische Sprache, die jedoch mit dem Inhalt in 30. 31. 32. 33.

Klatzkin, Krisis und Entscheidung, S. 141. Vgl. ebd., S. 138. Ebd., S. 208. Ebd., S. 31.

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Wechselwirkung stand. »[D]as Denken erweitert das Reich der Sprache und findet seine eigenen Wege des Ausdrucks,« heißt es in einem von Klatzkins Aphorismen. 34 »Doch wo das Denken ermüdet, da gewinnt die Sprache an Macht. Und dann beginnt die Sprache, das Denken einzuengen, in vorgefaßte Begriffe zu zwängen, es auf seine eigenen sprachlichen Grenzen einzuschränken. Dieser Zustand dauert an, so lange bis das Denken, von einem neuen Antrieb erfaßt, weiter in das Reich der Sprache vordringt und neue Territorien erobert. Und so geht es weiter in einem Kreis.« 35 So lehnte Klatzkin die Form der Sprache als Selbstzweck oder Ästhetizismus ab. Im Gegenteil, es war der formale »Sprachfehler«, das »stotternde« Sprechen und Schreiben, das den Inhalt der Sprache zutage förderte und den Denker als Denker auszeichnete. Das noch junge Modernhebräische war für Klatzkin der Inbegriff solchen inhaltstragenden Stammelns schlechthin. 36 Auch Buber war sich der Bedeutung des Hebräischen für die Erneuerung des Judentums bewußt. Bereits 1902 erwähnte er die »Auferstehung der hebräischen Sprache« als ein Zeichen nationaler Wiedergeburt. 37 In einem Vortrag von 1909 nannte er die Sprache die »Bewußtseinsform« eines Volkes, wobei er, wie Klatzkin, den Wert der Form hervorhob: »Die Inhalte wechseln, die Formen dauern.« 38 Mehr als irgendeine Anschauung oder Überzeugung stellte die Sprache für Buber die »Einheitsform des Volkslebens« dar: »Denn wenn wir unsere Sprache wieder haben, haben wir unsere Einheit wieder.« 39 Damit setzte sich Buber zwar für die »Förderung der hebräischen Produktivität« ein, behielt aber zugleich eine vermittelnde Position zwischen den ideologischen Hebraisten und Jiddischisten der zionistischen Bewegung und den Befürwortern einer Sprachenvielfalt bei, zu denen auch Herzl gehört hatte. 40

34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.

Klatzkin, In Praise of Wisdom, S. 83. Ebd., S. 83. Vgl. ebd., S. 258 f. Buber, Ein geistiges Zentrum, in: ders., Die jüdische Bewegung, Bd. 1 (1920), S. 89. Buber, Die hebräische Sprache, in: JuJ, S. 708. Ebd., S. 710. Zu Herzls Modell des »Sprachenföderalismus« siehe den Abschnitt »Sprache« in seinem Judenstaat, in: Th. Herzl, Gesammelte zionistische Werke in fünf Bänden, Bd. 1 (Zionistische Schriften), Tel Aviv 1934, S. 94 f.

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November. Für Ludwig Strauß

Druckvorlage: Nachlese. Heidelberg: Lambert Schneider, 1965. S. 247. Erstdruck: Mitteilungsblatt, 12. Jg., Heft 44 (5. Nov. 1948), S. 5. MBB 797. Englische Übersetzung: A Believing Humanism, S. 220. Das bis in die Anfangsjahre des Ersten Weltkriegs zurückreichende Freundschaftsverhältnis Martin Bubers zu dem Dichter und Germanisten Ludwig Strauß (1892-1953) – der auch unter dem Namen Franz Quentin publizierte – war eng, und durch die Heirat Strauß’ mit Bubers Tochter Eva im Juni 1925 auch familiär gefestigt. 41 Strauß, der 1934 mit seiner Familie nach Palästina ausgewandert war, lebte abwechselnd in Jerusalem, im Kibbutz Hasorea und, zwischen 1939 und 1948, als Lehrer im Kinderdorf Ben Shemen, das während des Unabhängigkeitskrieges (November 1947 – Januar 1949) zeitweise nach Kfar Witkin verlegt werden mußte. 42 Von 1949 bis zu seinem frühen Ableben im August 1953 wohnte Strauß wieder in Jerusalem. Das Strauß gewidmete Gedicht »November« erschien zuerst als Faksimile der handschriftlichen Version im Mitteilungsblatt, der deutschsprachigen Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Gesellschaft der Einwanderer Mitteleuropas). Im Mittelpunkt dieser Ausgabe stand der zehnte Gedenktag an die Kristallnacht, deren Geschehnisse auch den Hintergrund des Gedichts darstellen. Auf derselben Seite erschienen ein Aufsatz Kurt Loewensteins, »10. November 1938 – 10. November 1948. Tag des Gedenkens« und eine Auswahl historischer Dokumente. Strauß erwähnt das Gedicht in einem Brief an Buber vom 26. November 1948: »Habe herzlichen Dank für die Widmung des Gedichts, das mir mehr als nah ist, Zeugnis unserer gemeinsamen Not.« 43 »Seit ein Gespräch wir sind«: Bemerkungen zu einem Vers Hölderlins

Druckvorlage: Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965. S. 71-72. Zuerst erschienen in: Hölderlin Jahrbuch, begr. v. Friedrich Beißner und Paul Kluckhohn, Band 11 (1958-60), Tübingen 1960, S. 210-211. MBB 1150. Manuskript [MS] und Typoskript [TS] im MBA, Ms. Var 350/ 129b. Englische Übersetzung: A Believing Humanism, S. 85-86.

41. Siehe Einleitung, S. 44 f. in diesem Band. 42. Siehe T. Rübner, »Ludwig Strauß – Gestalt und Werk. Biographische Skizzen«, in: Ludwig Strauß 1892 – 1992, S. 8. Vgl. auch den Brief Strauß’ an B., 16. Juni 1948, BBS, S. 246 f. 43. BBS, S. 255 f.

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Der handschriftliche Text wurde Ludwig Strauß zu seinem sechzigsten Geburtstag (18. Oktober 1952) in Jerusalem, wo Strauß von 1949 bis zu seinem Tod in 1953 lebte, übergeben.44 Ein Gruß von Ernst Simon (18991988) erschien am 24. Oktober 1952 im Mitteilungsblatt. 45 Daß Buber einen Vers aus Hölderlins »Versöhnender« zu diesem Anlaß wählte, überrascht nicht. Strauß hatte sich früh mit dem Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) eingehend befaßt. Bereits 1916 hielt er einen Vortrag über Hölderlin vor dem Aachener Jüdischen Jugendverein. 46 Eine Dissertation von 1927 für die Frankfurter Universität trug den Titel Hölderlins Anteil an Schellings frühem Systemprogramm; 47 eine Habilitationsschrift aus dem Frühjahr 1929 für die Technische Hochschule in Aachen handelte über Das Problem der Gemeinschaft in Hölderlins »Hyperion«. 48 1927 veröffentlichte Strauß eine Vorarbeit zu seiner zeitlebens unvollendeten Hölderlin-Biographie, in der von Martin Buber mitherausgegebenen Zeitschrift Die Kreatur. 49 Auch sah Strauß eine offensichtliche Affinität zwischen Buber und Hölderlin: »[M]ir häufen sich nun in ganz überraschender Weise die Züge, die übereinstimmend bei Hölderlin (mythisch) und in einigen Deiner Bücher, lieber Martin, (begrifflich) erschienen – so daß ich beim Nennen hölderlinscher Vorstellungen unwillkürlich Wendungen aus diesen Büchern brauchte.« 50 Worauf Buber erwiderte: »Was Du mir über Hölderlin schreibst und in Aussicht stellst, ist mir von hohem Interesse.« 51 Geleitwort zu Ludwig Strauß: Wintersaat. Ein Buch aus Sätzen

Druckvorlage: Ludwig Strauß, Wintersaat. Ein Buch aus Sätzen, Zürich: Manesse 1953, S. 5-6. Bereits 1915 trug sich Ludwig Strauß mit dem Gedanken, einen Zyklus von Aphorismen unter dem Titel »Der Wille zur reinen Form« zu ver44. Das Original konnte nicht aufgefunden werden. 45. E. Simon, »›Ein Lied aus tausend Stimmen‹. Ludwig Strauß zum 60. Geburtstag«, in: Mitteilungsblatt, Nr. 42 (24. Okt. 1952), S. 5. 46. Vgl. Strauß, GW II (Schriften zur Dichtung), S. 423 (Kommentar zu »Natur und Gemeinschaft«). 47. In: Strauß, GW II, S. 95-149. 48. Erschienen 1933 als Band 15 in der Reihe Von deutscher Poeterey, Leipzig, hrsg. v. H. A. Korff, H. Naumann, F. Neumann und K. Vietor, in: GW II (Schriften zur Dichtung), S. 170-252. 49. »Natur und Gemeinschaft. Stücke einer Hölderlin-Biographie«, in: Die Kreatur, hrsg. v. M. Buber, V. v. Weizsäcker und J. Wittig, Heft 4 (Jg. 1927/28), in: Strauß, GW II, S. 150-164. 50. Strauß an B., 4. Mai 1926, BBS, S. 101 f. 51. B. an Strauß, 11. Mai 1926, BBS, S. 102.

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öffentlichen und bat Buber, ihm eine »Möglichkeit der Veröffentlichung« zu empfehlen.52 Buber war von dem ihm übersandten Manuskript nicht ganz überzeugt: »Die Aphorismen haben eine gute Art; doch finde ich, was in ihnen steht, im Gedicht selbst schon und zulänglich angesprochen, und es verhält sich wohl so, daß zu Ihren Gedanken von der Form diese Ihre Gedichtform notwendig gehört, und daß die Gedanken ohne sie nicht etwa bloß dastehen, sondern weniger gestalthaft, und also gleichsam weniger da sind.« 53

Strauß hingegen sah in seinen Aphorismen nur eine »vorläufige Andeutung einer neuen Äußerung« einer unabhängig vom Gedicht existierenden »Ethik der reinen Form«: »Für später denke ich an eine ausführliche philosophische Arbeit.« 54 Zu einer Ausführung dieser Arbeit kam es nicht, und Strauß veröffentlichte eine erste Auswahl von »Sätzen« erst in 1934, wenige Monate vor seiner Übersiedlung nach Palästina. 55 Eine größere Sammlung von Aphorismen erschien durch Bubers Vermittlung in der Neuen Schweizer Rundschau in den Jahren 1948/49. »Die Aphorismen von Ludwig Strauß haben bei der Elite unserer Leserschaft einen außerordentlichen Eindruck gemacht,« schrieb der Herausgeber der Zeitschrift, Walther Meier, der auch Lektor beim Schweizer Verlag Manesse war. 56 An ihn schickte Strauß das Wintersaat-Manuskript, das durch Intervention Bubers57 bei Manesse kurz vor Strauß’ Tod zur Veröffentlichung gelangte. Authentische Zweisprachigkeit. Geleitwort zu Ludwig Strauß: Dichtungen und Schriften.

Druckvorlage: Geleitwort zu Ludwig Strauß, Dichtungen und Schriften, hrsg. von Werner Kraft, München: Kösel Verlag 1963, S. 9-14. (MBB 930). Auch in: Mitteilungsblatt 31, No. 14/15 (5. April 1963), S. 3 und Neue deutsche Hefte 92 (März/April 1963), S. 5-9 (MBB 1222). Auszugsweise in: Nachrichten aus dem Kösel Verlag, 17. Folge, Frühjahr 1963, S. 2-3. Wiederabgedruckt in: Nachlese, S. 64-70 (MBB 1270). Das handschriftliche Manuskript ist datiert mit »Ende 1962« (Arc. Ms. Var. 350/ 52. 53. 54. 55.

Siehe Strauß an B., 8. Juni 1915, BBS, S. 28. B. an Strauß, 24. Juli 1915, BBS, S. 29. Strauß an B., 16. Aug. 1915, BBS, S. 30 f. In: Der Morgen. Monatsschrift der deutschen Juden, Jg. 10, Heft 6/7 (Sept./Okt. 1934). 56. Siehe B. an Strauß, ohne Datum, BBS, S. 250. 57. Siehe Strauß an B., 5. Feb. 1952, BBS, S. 273. Auch B. an Strauß, 26. Juni 1953: »Manesse will dein Buch schon im August herausbringen […], damit es früh im September auf den Markt kommt.« (BBS, S. 274)

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148b). Englisch als »Authentic Bilingualism«, in: A Believing Humanism, S. 80-84. Die Zweisprachigkeit, worin der von Walter Benjamin angedeutete jüdisch-deutsche »Zweigeist« zum Ausdruck kam, 58 hatte Ludwig Strauß mit Buber gemein. Sowohl Strauß als auch Buber begannen unmittelbar nach ihrer Ankunft in Palästina hebräisch zu schreiben (und zu publizieren), während sie gleichzeitig die literarische Produktion in deutscher Sprache schier übergangslos fortsetzten. Von seinem ersten Versuch des hebräischen Dichtens im Spätsommer 1934 schreibt Ludwig Strauß: »Immer wieder in diesen ersten beiden Monaten drängten einzelne Bilder und Begegnungen zum Gedicht. Aber sie fanden keine Melodie, keinen Vers […]; es war bei innerlich gestammelten Worten geblieben und bei dem Vorgefühl einer Melodie, die sich aber nicht hatte greifen lassen. Da kam eine unerwartete Hilfe von der hebräischen Sprache her.« 59

In diesem helfenden, ergänzenden Eingriff der einen Sprache auf die andere sah Buber die Authentizität der Zweisprachigkeit, die sich in Strauß’ früherer übersetzerischer Begegnung mit dem Jiddischen bereits angezeigt hatte. Wie für Buber selbst, der in seiner Franz Rosenzweig zugedachten Rede »Zum Abschluß« anläßlich der Fertigstellung seiner Schriftverdeutschung das »akustische Verständnis der Bibel« zum Prinzip des Übersetzens erklärte, 60 war auch für Strauß »die Wiedergabe der rhythmischen und melodischen Ganzheit des Gedichts vor der Wiedergabe mancher Einzelheiten wichtig.« 61 Umgekehrt war es das Hebräische, das in der neuen existentiellen Umgebung die fehlende Melodie der jetzt »alten« Sprache ersetzte, so wie in den Worten des Gedichts »An die Bucht«, »die nicht zum Liede werden wollten«: »[A]ls ich müde wurde und vom Versuch der deutschen Gestaltung des Motivs abließ, begann der unwillkürliche Versuch, das was ich deutsch hatte sagen wollen, hebräisch zu sagen. Und siehe, die Worte, die sich nun einstellten, hatten Melodie und Rhythmus, sogar Reim; die Melodie trug mich weiter, durch beide Strophen meines ersten hebräischen Gedichts hindurch […].« 62

58. Zum Begriff des »Zweigeistes« siehe insbesondere Rübner, »Ludwig Strauß – Dichter in zwei Sprachen«, in: Ludwig Strauß 1892 – 1992, S. 99. 59. Strauß, Fahrt und Erfahrung, S. 98. 60. Buber, Zum Abschluß, W II, S. 1176. 61. Strauß, Jüdische Volkslieder, Vorwort, S. 12. 62. Strauß, Fahrt und Erfahrung, S. 98.

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Erst bei der wörtlichen Rückübersetzung aus dem Hebräischen entstand, zu Strauß’ eigenem Erstaunen, das deutsche Gedicht »An die Bucht«. 63 AN DIE BUCHT Du legst Sand Rein wie Feuer Um das blaue, Sich schmiegende Meer, Wie ein Liebender die Hand legt Um eine Brust. Nichts als Schauen will ich – Aber mit der sanften Sichel deiner Schönheit Schneidest du Durch mein Herz, Und meine Sinne wie Ähren Fallen.

Obwohl Strauß früh begonnen hatte, hebräische Gedichte zu verfassen, erschien eine erste Sammlung seiner hebräischen Gedichte nicht vor 1951.64 Die Werkausgabe von 1963 mit einem Nachwort besorgte Strauß’ langjähriger Freund, der Dichter, Schriftsteller und Literaturkritiker Werner Kraft (1896-1991), der auch zum Kreis Martin Bubers gehörte. Daß Buber an der Ausgabe jedoch maßgeblich beteiligt war, zeigen Krafts Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1961-1963.65 Insbesondere waren es Bubers »kritische Einwände«,66 die Krafts Nachwort durch mehrmalige Revisionen gehen ließen. Im August 1961 notiert Kraft: »Buber hat mein Nachwort zu Ludwig Strauß nicht mit Sympathie gelesen.«67 Etwas später hatte Kraft das Nachwort bereits viermal umgeschrieben.68 Andererseits aber nahm Buber auch Krafts Einwände am Geleitwort »zum größten Teil« an. 69

63. Vgl. ebd., S. 99. Das Gedicht erschien in: Land Israel. Gedichte, Berlin: Schocken 1935. Strauß, GW 3.1, S. 334. 64. Schaot wa-Dor. Schirim [Stunde und Epoche. Gedichte], Jerusalem 1951. 65. Siehe W. Kraft, Gespräche mit Martin Buber, München 1966. 66. Vgl. ebd., S. 91. 67. Ebd., S. 92 (6. 8. 1961). 68. Ebd., S. 94 (19. 8. 1961). 69. Ebd., S. 110 (18. 12. 1962).

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Jakob Hegner zu seinem siebzigsten Geburtstag

Druckvorlage: Für Jakob Hegner, in: Josef Rast und Heinrich Wild (Hrsg.), Jakob Hegner – Briefe zu seinem siebzigsten Geburtstag, Olten: Eigenverlag J. Rast und H. Wild 1952, S. 32-33. MBB 900. Jakob Hegner (1882-1962) gehörte zu den schillerndsten deutschen Verlegern des zwanzigsten Jahrhunderts. Geboren in Wien als Sohn einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie, ging er 1899 nach Leipzig, studierte dort Philosophie und Geschichte und versuchte sich selbst als Schriftsteller. 70 Um 1900 war er Redakteur der bei Hermann Seemann verlegten Frauen-Revue, ab 1902 arbeitete er für die ebenfalls bei Seemann herausgegebene belletristisch-literaturkritische Wochenschrift Das Neue Magazin. Aus dieser Arbeit ging 1903 der von Seemann finanzierte »MagazinVerlag Jacques Hegner Berlin und Leipzig« hervor, der jedoch nur bis 1904 bestand. Anschließend arbeitete Hegner als Übersetzer, bevor er 1910 die von dem Prager Schriftsteller Paul Adler (1876-1946) gegründeten Neuen Blätter übernahm. 1912 folgte er dem Ruf nach Hellerau, einem Vorort von Dresden, der zugleich Sitz des vom Meistertischler und »Holz-Goethe« Karl Schmidt (1873-1948) gegründeten »Werkbundes« war. 71 Dort schuf Hegner den »Verlag der Neuen Blätter Hellerau und Berlin« (später »Hellerauer Verlag Hellerau bei Dresden«, ab 1917 »Hellerauer Verlag Jakob Hegner«). Seine Übersetzung von Paul Claudels Verkündigung (1913) machte Hegner und seinen Verlag über Nacht berühmt. Zwischen 1915 und 1916 entstand im Hellerauer Verlag eine Kierkegaard-Ausgabe sowie die Vierteljahresschrift Summa, herausgegeben von Franz Blei (1871-1942). 1930 ging der Hellerauer Verlag an Brandstetter in Leipzig über. 1934 konvertierte Hegner, der aus jüdischem Elternhaus kam, zum Katholizismus. 72 1936 ging der Verlag an Heinrich Wild über, der ihn bis 1943 führte. Hegner selbst flüchtete 1936 nach Wien und 1938 nach London. 1946 nahm Hegner die Ver-

70. Vgl. P. de Mendelssohn, Glanz und Elend des Buches. Erinnerungen an Jakob Hegner (Vortrag, gehalten auf der 77. Jahresversammlung der Gesellschaft der Bibliophilen in Kassel am 20. Juni 1976), Typoskript, S. 6 f. Die biographischen Angaben zu Hegner stützen sich auf diesen Vortrag und auf Josef Rast, [Beitrag], in: Jakob Hegner. Briefe zu seinem siebzigsten Geburtstag, S. 70-81. Siehe auch R. Grosche, »Entdecker und Mittler«, in: Rückschau und Ausblick: Jakob Hegner zum achtzigsten Geburtstag, hrsg. v. H. M. Jürgensmeyer, Köln/Olten 1962, S. 10-28. 71. Zur Geschichte der Siedlung Hellerau siehe H.-J. Sarfert, Hellerau. Die Gartenstadt und Künstlerkolonie, Dresden 1993. 72. Vgl. H. Wild, [Beitrag], in: Jakob Hegner. Briefe zu seinem siebzigsten Geburtstag, S. 131.

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lagstätigkeit in Deutschland wieder auf. 1949 gründete er den HegnerVerlag in Olten. 73 Hegners Zusammenarbeit mit Martin Buber begann um 1912 mit dem Verein Hellerauer Schauspiele, an deren Gründung Buber beteiligt war. 74 Im zweiten Jahrgang (1912) der bei Hegner in Hellerau herausgegebenen Neuen Blätter erschienen zwei kurze Texte Bubers, »Gespräch von der Richtung« (Heft 1, S. 5-20) und »Das Wandbild« (Heft 5/6, S. 59-65); im dritten Jahrgang (1913) war ein ganzes Heft Buber gewidmet (Heft 1/2 [Buberheft]). Bei Hegner erschien auch Bubers Aufsatz »Das Raumproblem der Bühne« (1913) als Vorabdruck im Programmheft zu Claudels Verkündigung. 75 1927 druckte Hegner das ursprünglich für Rütten & Loening geplante Buch Des Rabbi Israel Ben-Elieser, genannt Baal-Schem-Tow, das ist Meister vom guten Namen. Unterweisung im Umgang mit Gott. 1950 lud Hegner Buber ein, die bisher bei Schocken und Lambert Schneider erschienen Bände der Schriftübersetzung neu herauszugeben und die Ausgabe zu vervollständigen. 76 Zwischen 1953 und 1962 erschien eine neubearbeitete Ausgabe der von Buber und Rosenzweig übersetzten Schrift in vier Bänden. Die von Buber übersetzten Preisungen (Psalmen) erschienen 1958 als Zusatzband. Zugleich kamen bei Hegner Bubers Aufsatzsammlung An der Wende (1952) sowie die Bücher Bilder von Gut und Böse (1952) und Sehertum (1955) heraus. Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens

Druckvorlage: Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens. Rede, gehalten anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 27. September 1953 in der Paulskirche zu Frankfurt a. M., Sonderdruck, Heidelberg: Lambert Schneider 1953. Wiederabgedruckt in: Nachlese, S. 219-230. Auch in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, 9. Jg., Nr. 79 (2. Okt. 1953); Mitteilungsblatt. Wochenzeitung der Irgun Olej Merkas Europa, Nr. 44 (30. Okt. 1953), S. 4 (auszugsweise); Neue Schweizer Rundschau, 21. Jg., Heft 7 (Nov. 1953), S. 389-395; Jüdischer Reiseführer: Das jüdische Leben in Deutschland. Paneuropäische Edition, Stuttgart 1953/54 (5714), S. 111-116; Rundbrief der Gilde Soziale Arbeit, 7. Jg., Nr. 3 (Dez. 1953); Friedenspreis des deutschen Buchhandels, Börsenverein des deutschen 73. J. Rast, [Beitrag], in: Jakob Hegner. Briefe zu seinem siebzigsten Geburtstag, S. 78. 74. Vgl. H. Kohn, Martin Buber, S. 71. 75. Vgl. MBB 129. Claudels Verkündigung: Ein geistliches Stück in vier Ereignissen und einem Vorspiel erschien in Hegners Übersetzung als Heft 3/4 der Neuen Blätter (2. Folge, 1912). 76. Vgl. Schaeder, Hebräischer Humanismus, S. 283.

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Buchhandels, Frankfurt a. M. 1963, S. 67-74. Als »Die Macht des Gesprächs«, in: Wissen und Gewissen, 25. Juni 1954. Hebräisch als »Ha-Sicha Ha-amitit we-Efscharujot ha-Schalom«, in: Davar, Jg. 29, 4. Dez. 1953. Englische Übersetzung: Genuine Dialogue and the Possibilities of Peace, in: A Believing Humanism, S. 195-202. Der jährlich verliehene Friedenspreis des deutschen Buchhandels wurde 1950 durch den deutschen Dramatiker und Verleger Hans Schwarz (1890-1967) begründet. 77 Martin Buber war der vierte Preisträger nach dem Berliner Verleger Max Tau (1897-1976),78 dem evangelischen Theologen Albert Schweitzer (1875-1965) und dem katholischen Theologen Romano Guardini (1885-1968). Unter den später Ausgezeichneten befinden sich der Schweizer Historiker Carl Jakob Burckhardt (1891-1974), der Schriftsteller Hermann Hesse (1877-1962) und der Philosoph Karl Jaspers (1883-1969). Der Preis war mit DM 10,000 dotiert, wovon Buber den Großteil für die jüdisch-arabische Zusammenarbeit stiftete.79 Anwesend bei der Verleihung in der Frankfurter Paulskirche waren unter anderem der damalige Bundespräsident Theodor Heuss 80 , der Bundesjustizminister Thomas Dehler (1897-1967), der hessische Ministerpräsident Georg August Zinn (1901-1976), der Vorsitzende der Internationalen Verlegerunion, Sir Stanley Unwin (1884-1968), und der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb (1902-1956), der Buber auch »im Namen der Stadt« begrüßte. 81 In der durch den Börsenvereinsvorsitzenden Arthur Georgi (1902-1970) überreichten Urkunde hieß es: 77. F. Wittig, »Über den Friedenspreis«, in: Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Reden und Würdigungen 1951-1960, Frankfurt a. M. 1961, S. 7 f. 78. Tau besuchte Buber später in Jerusalem und faßte die Begegnung so zusammen: »Wer das Glück hat, diesem großen Weisen mit dem einzigartigen Prophetengesicht zu danken, der ist sicher, daß seine Schüler nicht nur Fortsetzer seiner Lehre, sondern auch Propheten für das Gute und die große Versöhnung werden müssen. […] Die Lehre Martin Bubers ist ein Neubeginn.« (»Israel das Tor der Zukunft. Eindrücke von einer Reise«, in: Mitteilungsblatt, Nr. 20/21, 18. Mai 1953, S. 11). 79. Vgl. B III, S. 347, Anm. 3 und den Brief Georgis an B. (17. Juni 1953), ebd., S. 346 f. Ebenso verfuhr Buber mit dem Preisgeld des Hansischen Goethe-Preises (Vgl. Sch. Ben-Chorin: Zwiesprache mit Martin Buber, S. 119 f.). 80. Mit Theodor Heuss (1884-1963) verband Buber auch später noch eine Freundschaft und ein loser Briefwechsel (Vgl. B III, S. 447; 570 f.). So war es Buber, der Anfang Mai 1960, als Heuss auf Besuch in Israel war, um an der Hebräischen Universität einen Vortrag über die »Selbstgestaltung der Demokratie« zu halten, die offizielle Begrüßungsrede hielt, worin er Heuss einen Mann des »lebendigen Gedankens und des lebendigen Wortes« nannte. Vgl. Deutschlands Weg nach Israel. Eine Dokumentation mit einem Geleitwort von Konrad Adenauer, hrsg. v. R. Vogel, Stuttgart 1967, S. 151 f. 81. »›Licht des Friedens‹. Verleihung des Friedenspreises an Martin Buber in der Frankfurter Paulskirche«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 225, 28. Sept. 1953, S. 6.

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»Martin Buber, dem wahrhaftigen Menschen, dem Bekenner und Gestalter einer alles Leben durchdringenden Humanität, dem Deuter der Bestimmung seines Volkes in der Zeit, dem dialogischen Denker, dem Theologen und Erzieher, überreicht der Börsenverein deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände in ehrfürchtiger Würdigung seines Lebens und Werkes den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.« 82

Die Festrede, »Martin Buber, der Beistand«, hielt der evangelische Pfarrer, Dichter und Essayist Albrecht Goes (1908-2000), mit dem Buber seither in sehr inniger Freundschaft stand. 83 Als danach der »patriarchalische, würdevolle und doch so bescheiden wirkende […] Philosoph das Rednerpult betrat«, wie die Frankfurter Allgemeine schrieb, »war man sich bewußt, einer der wenigen großen Individualitäten, die unsere Zeit noch besitzt, sich gegenüber zu befinden.«84 In einer am Vortag erschienenen Würdigung erklärte dieselbe Zeitung, daß man Martin Buber zwar nicht mit so »solitären Genies« wie Kafka, Simone Weil oder Chagall vergleichen könnte, noch mit einem so »eindrucksvollen Charakter« wie Leo Baeck, aber dennoch kaum zögern würde, »ihn als die repräsentativste Erscheinung seines Volkes, als den fruchtbarsten und wirkungsreichsten, dabei auch formgewandtesten und geistvollsten Vertreter des Judentums in unserer Zeit anzusprechen.« 85 Der durchwegs positiven Aufnahme Martin Bubers im Deutschland der fünfziger Jahre stand eine oft sehr kritische Haltung vor allem in Israel und den Vereinigten Staaten gegenüber. »Die Tatsache, daß Buber den Goethe-Preis in Hamburg annahm und ebenso den Friedenspreis des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche, wurde ihm hier in Israel sehr verübelt«, erinnert sich Schalom Ben-Chorin. 86 Bereits

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Hierzu muß erwähnt werden, daß sowohl Dehler als auch Kolb 1928 Gründungsmitglieder des Reichsbanners »Schwarz-Gold-Rot« gewesen waren, Dehler auch ein Mitglied des antifaschistischen Bundes »Der Reichsadler«. Beide waren kurzfristig von der Gestapo inhaftiert, Dehler 1938 und Kolb 1944. Kolb setzte sich später besonders für den Wiederaufbau der Paulskirche ein. Ebd. und Feuilleton, S. 8. Goes, der als evangelischer Seelsorger in der deutschen Wehrmacht diente, hatte sich bereits im August 1934 mit Gewissensfragen an Buber gewandt (vgl. B II, S. 547 f.). Zu einer Aussprache kam es damals zwar nicht (vgl. ebd., S. 549), doch nahm Buber den Kontakt im Juni 1953, kurz vor seiner Europareise, wieder auf (vgl. B III, S. 345; zur Freundschaft Bubers mit Goes siehe auch Men of Dialogue: Martin Buber and Albrecht Goes, hrsg. v. E. W. Rollins und H. Zohn, New York 1969). Die Rede Goes’ ist wiederabgedruckt in: Friedenspreis des deutschen Buchhandels, S. 59-66. »Licht des Friedens«, S. 8. »Der Schatz unterm eigenen Herd. Die Botschaft Martin Bubers«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 224, 26. Sept. 1953, Feuilleton. Ben-Chorin, Zwiesprache mit Martin Buber, S. 123.

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wenige Tage nach dem Bekanntwerden von Bubers Annahme des Hamburger Goethe-Preises veröffentlichte die Tel Aviver Tageszeitung Ha’aretz einen vernichtenden Kommentar, der Buber vorwiegend finanzieller Interessen bezichtigte, und seinen bevorstehenden Deutschlandbesuch mit der Auskundschaftung eines künftigen Absatzmarktes seiner Bücher verglich: »[W]enn dies der Gedankengang der Intellektuellen vom Format Professor Martin Bubers ist«, schrieb der Kommentator, »wohin um Gottes willen wird uns das führen?« 87 Kurzfristig entspann sich eine Debatte zwischen Rabbi Benjamin (Pseudonym für Jehoschua Radler-Feldman [1880-1957]), einem Mitbegründer der Vereinigung »Brit Schalom«, der für Buber eintrat, Gershom Scholem, der eine vermittelnde Position einnahm, und dem Kommentator der Zeitung, der sich weiterhin heftig gegen Bubers mögliche Reise nach Deutschland aussprach. 88 Am 31. Dezember schließlich veröffentlichte Ha’aretz eine Erklärung Martin Bubers auf ihrer Titelseite. 89 Daraufhin schrieb auch der damalige Vizepräsident der Hebräischen Universität, David Werner Senator (1896-1953), an Buber, daß er dessen Äußerungen wohl als »verständlich und würdig« empfand, sich aber selbst gegen die Annahme des Preises entschieden hätte, »und zwar aus psychologischen Gründen, da die Wunde eben doch noch zu frisch ist.« 90 Allerdings gab Senator zu, daß es sich bei dieser Entscheidung um einen »Grenzfall« handle, der nun noch eine andere Dimension angenommen hatte: »Nachdem ich aber im Haaretz, sozusagen der liberalsten Zeitung, die wir im Lande haben, all den Unflat gelesen habe, der da veröffentlicht wurde, muß ich sagen, daß Sie offenbar doch den richtigen Instinkt gehabt haben, nämlich, daß der Kampf gegen den bornierten und aggressiven Nationalismus dieser Zeit gerade durch solche provokative Akte geführt werden muß und daß vielleicht jede sentimental-psychologische Rücksicht schweigen muß, um den Kampf in aller Schärfe zu führen.« 91

Die starke Reaktion um Bubers Handlung muß allerdings auch aus dem zeitgeschichtlichen Zusammenhang erklärt werden. Denn zwischen Dezember 1951 und Januar 1952 erreichte die Debatte um die Annahme 87. »Die Stadt Hamburg zollt Buber Respekt«, in: Ha’aretz, Jg. 34, 20. Dez. 1951, S. 5. 88. R. Benjamin, »Der Goethe-Preis für Buber« (Leserbrief), in: Ha’aretz, Jg. 34, 26. Dez. 1951; G. Scholem, »Bekenntnis in einer schmerzvollen Angelegenheit« (Leserbrief), in: Ha’aretz, Jg. 34, 30. Dez. 1951; »Buber und R. Benjamin im Lichtschein Hamburgs« (Kommentar der Zeitung), in: Ha’aretz, Jg. 34, 31. Dez. 1951. 89. »Martin Buber erklärt die Gründe seiner Annahme des Goethe-Preises von der Universität Hamburg«, in: Ha’aretz, Jg. 34, 31. Dez. 1951. 90. Senator an B., 19. Jan. 1952, B III, S. 308. 91. Ebd., S. 309.

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deutscher Reparationszahlungen ihren Höhepunkt in der Knesseth, dem israelischen Parlament. Einer der ausgesprochensten Gegner des »Blutgeldes« (die Verhandlungssumme betrug 1,5 Milliarden Dollar) war der Rabbiner Mordechai Nurock (1879-1962) von der Orthodoxen Mizrachi Partei, der Martin Buber auch persönlich kritisierte. 92 Die führende Mapai Partei unter Premierminister David Ben-Gurion (1886-1973) sprach sich für Reparationszahlungen aus, denn man sei »verpflichtet, das geraubte Eigentum Deutschland abzunehmen.«93 Am 5. Januar 1952 kam es zu Demonstrationen in Tel Aviv gegen die Verhandlungen mit Deutschland, bei denen auch ehemalige Kommandanten der Ghetto-Aufstände teilnahmen.94 Der spätere Premierminister Menachem Begin (1913-1992; im Amt 1977-1983), damals Vorsteher der Oppositionspartei Cheruth, rief zu Demonstrationen in Jerusalem auf, zu denen es am 7. Januar kam. Bei den Zusammenstößen rund um das Gebäude der Knesseth wurden 80 Polizisten und 40 Zivilisten verletzt; 70 Demonstranten wurden unter Einschreiten des Militärs und Einsatz von Tränengas verhaftet. Bei den Verhandlungen selbst kam es zu einem Austausch von Beleidigungen zwischen Begin und dem amtierenden Premierminister Ben-Gurion. Die Neuesten Nachrichten schrieben: »Die Atmosphäre in der Knesseth war untragbar geworden. Die Schwaden von Tränengas und Rauch, die immer wieder den Saal durchzogen, erschwerten das Atmen und trieben den Anwesenden Tränen in die Augen. Immer wieder brachen Stürme von Zwischenrufen und gegenseitigen Beleidigungen der Abgeordneten aus, die die Reden und den Gang der Sitzung störten.« 95

Am 9. Januar wurde schließlich der Koalitionsvorschlag einer Reparationsforderung und direkten Verhandlungen mit Deutschland mit 61 zu 50 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) angenommen.96 Auch in den U.S.A. gab es kritische Stimmen zu Bubers DeutschlandBesuch. Der konservative Jewish Spectator in New York veröffentlichte einen beißenden Kommentar seiner Herausgeberin Trude Weiss-Rosmarin, die Buber als »Kriecher zum Kreuz« im Sinne Heinrich Heines stem92. Vgl. Neueste Nachrichten – Jedioth Chadaschoth, 1. Jan. 1952. Zu Nurock siehe auch Friedman, Later Years, S. 121 f. 93. Aussage des Außenministers Moshe Sharett (1894-1965) in: Neueste Nachrichten, 6. Jan. 1952. Zur Debatte der Reparationszahlungen siehe auch F. Shinnar, Bericht eines Beauftragten. Die deutsch-israelischen Beziehungen 1951-1966, Tübingen 1967, bes. S. 31-35, und I. Deutschkron, Israel und die Deutschen. Das besondere Verhältnis, Köln 1983, bes. S. 36-65. 94. Ebd. Bei den Kommandanten handelte es sich um Ziviah Lubetkin, Chika Grossmann, Adolf Bergmann und Jitzchak Grünbaum. 95. Ebd., 8. Jan. 1952. 96. Ebd., 10. Jan. 1952.

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pelte. Die »typisch markige Rede« Bubers verurteilte Weiss-Rosmarin als nichtssagend, das Auftreten in der Paulskirche und die Annahme des Preises als entweder »Gefühllosigkeit« oder »Dummheit«: »Es ist schmerzlich, doch notwendig zu fragen ob Buber gefühllos ist oder dumm, oder beides.«98 Scharfe Kritik kam auch von Hans Klee, dem Herausgeber des Israelitischen Wochenblattes in Zürich. Im Gegensatz zum Goethe-Preis, den Klee zu billigen wußte, da es sich bei dem Preiskomitee um eine »kleine gewählte Zahl von Personen« handelte, »jeder Einzelne der Öffentlichkeit bekannt, politisch und moralisch einwandfrei«, verurteilte er den Frankfurter Friedens-Preis grundsätzlich: »Den wenigen untadeligen Männern in Hamburg stand hier eine Tausende Mitglieder zählende Organisation gegenüber, ein Kollektiv, dem nach allen Regeln der Statistik Mörder, Kameraden von Mördern, Freunde und Verwandte von Mördern angehören müssen […] Von einer solchen Seite durfte ein Jude einen Preis nicht annehmen.«99 »Fast ärger« aber noch empfand Klee die Rede Martin Bubers, vor allem deren »inhaltsloses Ausweichen« im entscheidenden Punkte der Schuld und Mitschuld. »Buber hat schwer Unrecht getan, in diesem Zusammenhang von sich das Wort zu brauchen, er spreche als ›Erzjude‹.«100 Letztlich schließt Klee, der »politisch redende und handelnde« Buber habe einen »tiefen Riß« geschaffen in einer »Kernfrage unserer heutigen jüdischen Existenz.« 101 Gegen diese Kritik verteidigte sich Buber in seinem Aufsatz »Zur Klärung«, der zuerst im Mitteilungsblatt erschien. 102 Als »nationaler Humanist,« schrieb Buber dort, sei es ihm geboten, »überall da, wo er durch eine an ihn herantretende Generation aufgerufen ist, seine Gesinnung, die Kämpfer für eine neue Humanität zu ermutigen und zu stärken, so gut er es vermag.« 103

197. T. Weiss-Rosmarin, »Martin Buber in St. Paul’s Church«, in: The Jewish Spectator, Nov. 1953, S. 7. 198. Ebd., S. 20. 199. »Ewige Feindschaft? Hans Klee und Martin Buber über das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen«, in: Freiburger Rundbrief: Beiträge zur Förderung der Freundschaft zwischen dem Alten und dem Neuen Gottesvolk im Geiste beider Testamente, VII. Folge (1954/55), Nr. 25/28, Sept. 1954, S. 46. 100. Ebd., S. 46. 101. Ebd. 102. Mitteilungsblatt, Jg. 22, Nr. 23, 4. Juni 1954, S. 6. 103. Ebd., S. 6. Vgl. auch Freiburger Rundbrief, VII. Folge (1954/55), Nr. 25/28, Sept. 1954, S. 47.

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Dem Gemeinschaftlichen folgen

Druckvorlage: Die Neue Rundschau, Jg. 67, Heft 4, 1956, S. 582-600 (MBB 1029). Wiederabgedruckt in W I, S. 454-474 [= W] und Logos. Zwei Reden (1962) [= L], S. 31-72. Hebräisch: »Ra’ui leilech achar haMeschutaf« (Dem Gemeinschaftlichen folgen), in: Pnei Adam: Bechinot be-Antropologia filosofit, Jerusalem: Mosad Bialik, 1962, S. 152-174 [= H]. English: »What is common to all?«, in: The Knowledge of Man – Selected Essays (1965) [= E]. Ein Auszug des Kapitels über Aldous Huxley erschien hebräisch als »Ha-Adam ha-boreach« (Der Mensch auf der Flucht), in: Molad, Jg. 14, Nr. 100/102 (1956), S. 551-552. Der Aufsatz war ursprünglich als Kapitel einer größeren Arbeit zur philosophischen Anthropologie geplant, wie Buber im November 1955 Maurice Friedman mitteilte: »Ich schreibe ein neues Kapitel des Anthropologie-Buches, über Träume und Wachsein und so weiter. Ich gedenke im nächsten Frühjahr in Europa einen Vortrag über das Thema zu halten.«104 Im Dezember desselben Jahres war der Text fertiggestellt, zugleich aber der Plan des »Anthropologie-Buches« unsicher: »Ich habe gerade einen Essay vollendet (ob er ein Kapitel der Anthropologie wird, weiß ich noch nicht), und es war für mich sehr wichtig, ihn zu schreiben. Das Thema ist ›Dem Gemeinschaftlichen folgen‹ oder einfach ›Wir‹ und er geht aus von einem Fragment des Heraklit. Ich gedenke ihn im April an der Sorbonne und im Mai an der Londoner Universität als Vortrag zu halten.«105

Zu den Vorträgen kam es tatsächlich im Zuge der Europareise von 1956, und zwar in Paris, München, Berlin, Tübingen und London. 106 Das »Anthropologie-Buch« aber blieb ungeschrieben. Im MBA (Ms.Var.350/bet 44) befinden sich zwei handschriftliche Entwürfe zur thematischen Gestaltung des Buches unter dem Titel »Ich und Wir: Kosmos«, die einen Eindruck vom geplanten Werk vermitteln. Aus ihnen wird auch der Zu-

104. B III, S. 399. 105. B. an Friedman, 10. Dez. 1956, B III, S. 400. Im März 1956 arbeitete Buber aber noch an den Korrekturen (vgl. B. an Friedman, 2. März 1956, B III, S. 408). 106. Siehe Kohn, S. 463 (Nachwort). Doch sprach Buber nicht nur zum Thema Gemeinschaft. Das Journal des Communautés (Jg. 6, Nr. 149, 11. Mai 1956, S. 10) berichtet von einem Vortrag »Le hassidisme et l’Occident« im Descartes Amphitheater, wie auch von einem Empfang bei Jacob Tsur, Botschafter Israels in Paris, an dem unter anderen François Mauriac von der Académie française, Vladimir Jankelevitch von der Sorbonne und der Schriftsteller Edmond Fleg teilnahmen. Über Bubers Vortrag in München siehe die Kritik von W. Grötzinger »Die Flucht vor der Antwort«, in: Süddeutsche Zeitung, Jg. 12, 5. Juli 1956, S. 3.

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sammenhang zwischen Anthropologie, Dialogik und Sprache bei Buber deutlich: a. Ergänzung der Umwelt [zum Kosmos] b. Kaspar Hauser c. Verlockendes Chaos [Das coexistente Chaos] [d. Im Anfang: Logos oder Mensch] e. Wir/Ich-Du [e. Das wahre Tor] [f. Wir in der Bibel] g. Die Toten [g. Mit den Toten] h. Entartung und Heilung des Wir i. Kosmos und Überfluss [i. Entstehung der »Welt«] k. Keine Psychisierung! [k. Gegen die Psychisierung] l. »Individueller Schöpfungsakt« [l. Gegen Jungs individuellen Schöpfungsmythus] [m. Nicht ein historischer Gesichtspunkt] n. Wahr und richtig [o. Die höchste Askese] p. Ekstase und Flucht [p. Zahlenwelt-Erfahrung] [q. Gestalt und …] [r. Aufhebung der Kontinuität] [s. Analogie des Künstlers] t. Kosmos ist Tradition u. Der abgeartete abendländische Geist [u. der abendländische Geist] v. Flucht vor der Sprache w. Sprache und »vulgus« [w. profanum vulgus] x. Personen und [das] Wir [y. Existentialanspruch des Geistes] z. [»Ich habe mich gesucht«] Ich und Wir aa. Als Wir beharren [aa. Bis hierher – unsere Aufgabe] bb. [Schluss:] Ein Chor [?] cc. Die lautlose Sprache

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Im Ausgangspunkt des Projektes stand der Wir-Begriff, den Buber in den späten Dreißiger Jahren aus seiner Ich-Du Philosophie zu entwickeln begann, der sich aber schon im Entwurf eines fünfbändigen Werkes zur Religionsphilosophie (dessen erster Band Ich und Du sein hätte sollen) angekündigt hatte. 107 »Das Entsprechende zum wesenhaften Du auf der Stufe des Selbstseins im Verhältnis zu einer Schar von Menschen nenne ich das wesenhafte Wir«, heißt es in einem Abschnitt des Problem des Menschen (W I, S. 373), der auf einen Vortrag von 1938 zurückgeht. 108 Eine »ontologische Unmittelbarkeit«, die die »entscheidende Voraussetzung des Ich-Du-Verhältnisses ist,« waltet auch hier: »Das Wir schließt das Du potentiell ein. Nur Menschen, die fähig sind, zueinander wahrhaft Du zu sagen, können miteinander wahrhaft Wir sagen.« 109 Im Problem des Menschen erscheint der Wir-Begriff spezifisch als eine Kritik der Philosophie Martin Heideggers, in der dem »Man« – das für Buber grundsätzlich treffend beschrieben ist – »nichts Positives« gegenübergestellt wird: »[…] die anonyme Allgemeinheit wird als solche verworfen, aber es gibt auch nichts, was sie ablöste.« 110 Die kritische Auseinandersetzung mit der Heideggerschen Existentialphilosophie ist auch im vorliegenden Aufsatz ersichtlich. Dabei ist es kein Zufall, daß Buber seine Gedanken an Heraklit festmachte, mit dem auch Heidegger sich tiefgehend beschäftigt hatte. 111 In einem Brief von 1951 erklärte Buber seine Distanz zu Heidegger gerade im Hinblick auf Heraklit. Es dürfe nicht geschehen, schrieb Buber dort an Maurice Friedman, »daß Sie mein Denken dem Heideggerschen annähern, zu dem ich mehr in Gegensatz stehe als je, obwohl ich mich, wie in den Tagen meiner Jugend, ja mehr noch, dem Heraklit nahe fühle, den Heidegger wie seinen Vater behandelt (ich halte Heideggers Heraklit-Interpretation für absolut falsch).« 112 »Dem Gemeinschaftlichen folgen« muß also auch als eine Gegeninterpretation der Heraklit-Arbeiten Heideggers verstanden werden, 107. Vgl. B. an Rosenzweig, 14. Sept. 1922, B II, S. 129. »Die Bände II – V sollen handeln: II Urformen, III Gotteskunde und Gottesgesetz, IV Die Person und die Gemeinde, V Die Kraft und das Reich. III handelt also nur von ER, IV größtenteils von Wir.« 108. Vgl. Buber, »Die Verwirklichung des Menschen: Zur Anthropologie Martin Heideggers« (Aus einer Jerusalemer Vorlesung über die Beziehungen zwischen der Sozialphilosophie und der philosophischen Anthropologie), in: Philosophia. Philosophorum Nostri Temporis Vox universa, hrsg. v. A. Liebert, Jg. 3, Hefte 1-4 (Belgrad, 1938), bes. S. 291; 301; 308. 109. Ebd., S. 374. 110. Ebd., S. 372. 111. Siehe vor allem die Rede von 1951, »Logos« (Heraklit, Fragment 50), in: Heidegger, Vorträge und Aufsätze, 1954, S. 207-229. Zu Bubers Heraklit-Interpretation siehe auch Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog, S. 160 f. 112. B. an Friedman, 11. Aug. 1951, B III, S. 291.

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ebenso wie Buber sich vier Jahre früher gegen Heideggers Hölderlin-Interpretation ausgesprochen hatte. 113 Ein anderer Kritikpunkt, der in diesem Aufsatz wiederkehrt, ist die Begrifflichkeit der Psychologie. Auch hier hatte Buber Vorarbeiten geleistet. In einem Vortrag für den Psychologischen Klub Zürich, »Von der Verseelung der Welt« (1923), warnte Buber sowohl vor einem ichbezogenen »Psychologismus« als auch einem weltbezogenem »Kosmologismus«. Seele und Geist, schrieb Buber dort, seien »gleichsam Beziehungsflächen«, nicht aus »dem isolierten Einzelnen zu verstehen, nicht ichhaft zu verstehen, nur aus der Beziehung zwischen Ich und welthaftem oder nicht welthaftem Sein.« 114 Als Drittes, »Vereinigendes« sah Buber den »Ontologismus«, doch dieses Dritte, heißt es einschränkend, »das uns befreien kann von beiden, es ist noch nicht einmal in der Form eines Bildentwurfs faßbar.« 115 Die Psychologie erprobt sich an diesem Dritten, an der »pneumatischen Wirklichkeit«, und überwindet sich an ihrer eigenen Grenze: »Die Grenze der Psychologie ist da, wie diese gesetzte (angenommene) Abgezogenheit sich an der Wirklichkeit aufhebt, wo sie an die Wirklichkeit gerät, an die Beziehung.« 116 An dieser Grenze, an der »Umkehr« des Psychologischen in das »Unpsychologische« entsteht schließlich der Ort der Gemeinschaft: »Durch Selbstaufhebung der angeschlossenen Individuationsebene kann die Psychologie zur echten Gemeinschaftsauffassung und – Tat führen. Echte Gemeinschaft«, fährt Buber fort, »beginnt in einer Zeit wie dieser mit der Entdeckung des metapsychischen Charakters der Wirklichkeit und beruht auf dem Glauben an diese Wirklichkeit.« 117 In seiner Kritik an der Psychologie wandte sich Buber vor allem gegen Carl Gustav Jung, der möglicherweise bei dem Vortrag von 1923 anwesend war. 118 Buber wiederholte seine Kritik am Wirklichkeitsverständnis der Psychologie in den an der School of Psychiatry in Washington geführten Gesprächen vom Frühjahr 1957, die unter dem Titel »What Can Philosophical Anthropology Contribute to Psychiatry?« 119 liefen: »Die mei113. Vgl. Seit ein Gespräch wir sind, S. 83 in dieser Ausgabe. Auch Gottesfinsternis, W I, bes. S. 555-561. 114. Buber, »Von der Verseelung der Welt«, in: Nachlese, S. 150 f. Die gedruckte Form des Vortrags stellt nur den Entwurf dar. Buber schlug als Alternative den Titel »Psychologie und Ontologie« vor. Siehe B. an Trüb, 18. Okt. 1923, B II, S. 172. 115. Von der Verseelung der Welt, S. 148. 116. Ebd., S. 156. 117. Ebd., S. 156 f. 118. Vgl. J. Buber Agassi (Hrsg.), Martin Buber on Psychology and Psychotherapy. Essays, Letters, and Dialogue, Syracuse 1999, S. ix. 119. Vgl. ebd., S. xii.

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sten psychologischen Schulen, besonders die Jungs, nehmen an, daß es eine nicht-phänomonologische, sondern psychische Wirklichkeit gibt. Das bedeutet die Aufstellung einer mystischen Hypothese als Grundlage der Wirklichkeit.« 120 Schon in der für die Vortragsreise nach Amerika 1952 verfaßten Sammlung Gottesfinsternis (Deutsch 1953) widmete Buber ein ganzes Kapitel 121 einer ausführlichen Kritik Heideggers und Jungs, die von Jung noch im selben Jahr erwidert wurde. 122 Es war nun genau die Überwindung der »Verseelung« – einschließlich der Ekstatik – einerseits und des Individualontologismus andererseits, die Buber in den Mittelpunkt seiner Heraklit-Interpretation stellte. Das verbindende Dritte ist hier die aus dem »gemeinschaftlichen Logos« abgeleitete und in die philosophische Anthropologie verlegte Sprachwirklichkeit. In diesem Zusammenhang muß auf die Verbindung Martin Bubers mit dem Schweizer Arzt und Psychiater Ludwig Binswanger (1881-1966) hingewiesen werden, der im Anschluß an Wilhelm Dilthey, Edmund Husserl (1859-1938) und Heidegger, und später unter dem Einfluß Bubers und Ferdinand Ebners, eine Psychotherapie der »Daseinsanalyse« entwickelte. Buber hatte Binswanger bereits 1933 ein Exemplar seiner Zwiesprache (1932) zukommen lassen,123 Binswanger wiederum schickte Buber seinen Aufsatz »Freuds Auffassung des Menschen im Lichte der Anthropologie«. 124 Was Buber und Binswanger verband, war ein gemeinsames Interesse an der Stellung der philosophischen Anthropologie – zu welcher Buber später sein dialogisches Denken zählte – zur Psychologie. Mehr noch, Binswanger sah in Buber »auch einen Bundesgenossen nicht nur gegen Kierkegaard, sondern auch gegen Heidegger«. 125 Im Juni 1946 wurde Buber auf die Anzeige »eines Buches anthropologischen Inhalts« von Binswanger aufmerksam, nämlich Grundformen und Erkenntnis

120. Buber, »Das Unbewußte. Notizen zu einem Seminar in der School of Psychiatry in Washington«, Zweites Gespräch (30. März 1957), in: Nachlese, S. 164. 121. »Religion und modernes Denken«, W I, S. 550-574. Der Vortrag erschien zuerst im Merkur, Jg. 6, Nr. 2 (1952). Siehe auch B. an Friedman, 17. Sept. 1952, B III, S. 294. 122. C. G. Jung, »Religion und Psychologie«, in: Merkur, Jg. 6, Nr. 5, S. 467-473. Zum Verhältnis Buber/Jung siehe A. Sborowitz, Beziehung und Bestimmung. Die Lehren von Martin Buber und C. G. Jung in ihrem Verhältnis zueinander, Darmstadt 1955; H. Trüb, Heilung aus der Begegnung. Eine Auseinandersetzung mit der Psychologie C. G. Jungs, hrsg. v. E. Michel und A. Sborowitz, Stuttgart 1952. 123. Vgl. Binswanger an B., 7. Feb. 1933, B II, S. 462. 124. In: Nederlands tijdschrift voor de psychologie en haar grensgebieden, Jg. 6, Nr. 5/6 (1936). Vgl. B. an Binswanger, 23. Okt. 1936, B II, S. 613. 125. Binswanger an B., 17. Nov. 1936, B II, S. 621.

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menschlichen Daseins (Zürich: Max Niehans Verlag 1942). Es ist kein Zufall, daß die oben vorgelegten Entwürfe zu Bubers »AnthropologieBuch« eine gewisse Ähnlichkeit mit dem thematischen Aufbau von Binswangers Grundformen aufweisen. Immerhin ersuchte Buber Binswanger nicht nur um Literaturangaben für sein geplantes Buch »über das Problem der Chaotisierung des Weltbildes bei verschiedenen abnormen Zuständen«, sondern auch um »methodologischen Rat«. 127 Für Binswanger wie für Buber bildete die »Wirheit« einen Leitbegriff des Daseinsverständnisses. Für beide ist auch des Phänomen des Traumes und Träumens von entscheidender Bedeutung. Aus einem Brief an den aus der Jung’schen Schule stammenden Psychoanalytiker und -therapeuten Hans Trüb (1889-1949) geht hervor, daß Buber dem Studium der Traum- und Rauschzustände eine zentrale Stellung in seiner Spätphilosophie einräumte: »Ich bin in letzter Zeit noch näher an die Probleme, die mich beschäftigen herangekommen. Es handelt sich […] um das Verhältnis zwischen der uns geläufigen ›kosmischen‹ Sinnenwelt und der ›chaotischen‹ Welt, die im Traum, im Rausch, in der Psychose erfahren wird. Wohlgemerkt, es handelt sich nicht um eine Frage des Erlebens, sondern um eine – ebenso gewichtige wie unheimliche – des Seins selber. Alles Psychologische kann hier also nur Hilfe sein, aber eine unentbehrliche. Ich brauche sie zu diesem zweiten und anscheinend letzten Teil meiner Philosophie weit mehr als ich sie zum ersten brauchte.«128

Das »Anthropologie-Buch« war also im Ansatz her auch ein PsychologieBuch. Im selben Schreiben erwähnt Buber, daß er sich »mit Binswanger in Verbindung gesetzt und einige Auskunft sowie eine Abhandlung von ihm erhalten« habe. Im August 1951 schließlich teilte Buber Maurice Friedman mit, daß er nun »einige interessante Stellen« in Binswangers »Grundformen und Erkenntnis menschlichen Denkens [sic]« wiedergelesen hätte. 129 Wahrscheinlich ist wohl auch, daß Buber Binswangers Aufsätze »Traum und Existenz«130 und »Heraklits Auffassung des Menschen«131 kannte, die sich beide ausführlich mit Heraklits Traumfragmen126. 127. 128. 129. 130.

B. an Binswanger, 4. Juni 1946, B III, S. 103. Vgl. ebd., S. 104. B. an Trüb, 4. Aug. 1946, B III, S. 113. B. an Friedman, 11. Aug. 1951, B III, S. 293. Zuerst erschienen in: Neue Schweizer Rundschau (1930); wiederabgedruckt in: L. Binswanger, Ausgewählte Werke, Bd. 3 (Vorträge und Aufsätze), hrsg. v. M. Herzog, Heidelberg 1994, S. 95-119. 131. Zuerst in: Die Antike, Jg. 11, Nr. 1 (1935); wiederabgedruckt in: L. Binswanger, Ausgewählte Vorträge und Aufsätze, Bd. 1 (Zur phänomenologischen Anthropologie), Bern 1947, S. 98-131. Binswangers Aufsatz zeigt allerdings starke Einflüsse von Heidegger und Karl Jaspers.

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ten befaßten, obgleich Binswanger der Ansicht war, daß Bubers Aufsatz (»Dem Gemeinschaftlichen folgen«) »viel tiefer« ginge als der seine.132 Parallelen gibt es auch zu Binswangers Vortrag von 1946, »Über Sprache und Denken«, der sich wieder auf den »koinós Kosmos im Sinne Heraklits« beruft. 133 Als sprachphilosophischer Text hängt »Dem Gemeinschaftlichen folgen« mit Bubers Beitrag für die Bayerische Sprachtagung, »Das Wort, das gesprochen wird«, eng zusammen (siehe S. 125 in diesem Band). Die beiden Aufsätze erscheinen 1962 in einem Band unter dem Titel »Logos«. Das Wort, das gesprochen wird

Druckvorlage: Worte und Wirklichkeit. Sechste Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke, hrsg. von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München: R. Oldenburg 1960, S. 15-31. Wiederabgedruckt in Logos. Zwei Reden (1962), S. 7-29. Englisch: »The Word that is Spoken«, in: The Knowledge of Man, hrsg. von Maurice Friedman (1965), S. 109120. Der Vortrag hätte ursprünglich bereits 1959 bei der im Januar stattfindenden Tagung zum Thema »Die Sprache« in München (19. bis 23. Januar) und Berlin (26. bis 30. Januar) gehalten werden sollen, doch schob Buber seine Reisepläne unmittelbar nach dem Tod seiner Frau am 11. August 1958 in Venedig auf. 134 Stattdessen verlas der Vorsitzende der Sprachtagung und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Emil Preetorius (1883-1973), einen Brief Martin Bubers, in dem es hieß »Ich werde nicht nur im Geiste, sondern auch im Gemüt dort sein, wo die Sprache in einer Stunde des drohenden Grundverlustes versuchen will, durch Selbsterklärung ihren Grund wiederzufinden.«135 Die Vortragenden der Sprachtagung von 1959 waren Romano Guardini (Die religiöse Sprache), Carl Friedrich von Weizsäcker (Sprache als Information), Friedrich Georg Jünger (Wort und Zeichen), Thrasybulos Georgiades (Sprache als Rhythmus), Martin Heidegger (Der Weg zur Sprache) 132. Binswanger an B., 8. Mai 1952, B III, S. 546. 133. Zuerst in: Studia Philosophica 6 (1946); wiederabgedruckt in: Ausgewählte Werke, Bd. 3, S. 275-290. 134. Vgl. B. an E. und S. Wasmuth, 13. Aug. 1958, B III, S. 463 und B. an Friedman, 8. Sept. 1958, B III, S. 463. 135. E. Preetorius, Eröffnung der Vortragsreihe Die Sprache, Fünfte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke, hrsg. v. der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München 1959, S. 12.

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und Walter F. Otto, dessen Vortrag »Sprache als Mythos« posthum verlesen wurde. Buber selbst war an der Planung der Sprachtagung von 1956 an beteiligt und traf vom 29. bis 30. Mai 1957 bei einer vom Generalsekretär der Bayerischen Akademie Clemens Graf Podewils veranstalteten Arbeitsbesprechung in Altreuthe bei Bregenz mit Carl Friedrich von Weizsäcker und Martin Heidegger zusammen. Der Titel seiner geplanten Rede lautete damals noch »Die Eigentlichkeit der Sprache [des Wortes] (dargelegt an Beispielen des Alten Testaments)«. 136 Erwogen wurde in den Vorbereitungen, auch Karl Rahner, Friedrich Gogarten, Karl Jaspers und Ernst Jünger einzuladen. Allerdings schien Buber die Befürchtung Podewils zu teilen, daß »die Tagung mit Gogarten und den Katholiken zu sehr ins Religionsphilosophische geraten [könnte].« 137 Überhaupt war es Anliegen der Organisatoren, der Tagung eine thematische Einheit zu verleihen. Zu einer zweiten Vorbesprechung mit Theodor Georgiades, Romano Guardini, Martin Heidegger und Clemens Podewils kam es am 1. März 1958. Buber, der sich zu diesem Zeitpunkt in den Vereinigten Staaten aufhielt, konnte selbst nicht teilnehmen, regte aber die der Tagung folgende »Aussprache im kleinen Kreis« an. 138 Am 24. Juni 1958 fand in München eine dritte Vorbesprechung statt, an der Buber, Georgiades, Heidegger, Guardini, Weizsäcker sowie Emil Preetorius, Podewils und der Vorsitzende der Berliner Akademie teilnahmen. Bubers Vortrag war da bereits »Das Wort, das gesprochen wird« betitelt. In einer vermutlich aus den Gesprächen zusammengefaßten Kurzbeschreibung hieß es: »Gemeint ist Sprache als das jetzt Gesprochene in dem Sinne, daß einer mit dem anderen spricht; das ist der actus der Sprache. Sprache also insofern, als sie wirklich gesprochen wird. Actus ist ein Vorgang, an dem die teilnehmenden Menschen aktiv beteiligt sind. Statt ›Aktualität‹ wäre ebenso zu sagen: Gesprochenheit. Damit soll ausgesagt sein, daß dem Zerfall der Sprache eben als Heilsmoment die wirkliche Gesprochenheit [gegenübersteht].« 139

Mögliche thematische Überschneidungen schien es nur mit Heidegger und Guardini zu geben. Heideggers Vortrag hatte noch den Arbeitstitel »Die Herkunft des Wortes«. Die beigefügte Beschreibung lautete: »Das Wort – erfahren als die Sage des Seins. Die Herkunft: auf das Wesen des Men136. Vgl. B III, S. 626; Friedman, Later Years, S. 116 f.; Niederschrift der Besprechung vom 29./30. 5. in Altreuthe, MBA, Ms.Var. 350/588b. 137. Podewils an B., 28. Juni 1957, MBA, Ms.Var. 350/588b:39. 138. Podewils an B., 11. März 1958, MBA, Ms.Var. 350/588b:44. 139. Niederschrift über die Vorbesprechung zu der Vortragsreihe »Die Sprache« am 24. Juni 58, 16.00 Uhr, München 22, Prinz Carl-Palais, Königinstrasse 1. MBA, Ms.Var. 350/588b.

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schen Zukommen. Der Mensch ist – vgl. Heraklit Frg. 50 – der vom Sein als dem Logos Angesprochene; er spricht nur als dieser im Entsprechen, nämlich dem Anspruch. Das Thema läßt sich in einem Leitgedanken umschreiben: Das Wesen der Sprache: die Sprache des Wesens. Auf beiden Seiten des Doppelpunktes sagen die gebrauchten Namen anderes. In ›Wesen der Sprache‹ heißt Wesen: Washeit, essentia; heißt Sprache: die sprechende Verlautbarung – das Aussprechen und sein Gesprochenes. In ›Sprache des Wesens‹ heißt Wesen: Wesen, verbal gedacht, Sein: als die Fülle von Anwesen; heißt Sprache: Sage – Erblicken lassen. Das Wesen der Sprache ist die Sage des Seins. Wir sprechen nur als die im Seinsverhältnis Stehenden. Der Mensch ist nur als der Inständige in diesem Verhältnis.« 140

Romano Guardinis Vortrag (»Das religiöse Wort«) erforderte eine noch genauere Abstimmung mit Buber. Der Gang einer aufschlußreichen Diskussion ist im Protokoll erhalten: »Das Thema ist abhängig davon, wieweit Herr Buber das Religiöse in seinen Vortrag hineinnimmt. Es konkretisiert sich in der Frage: Ist es denkbar, daß Gott redet, und ist es denkbar, daß der Mensch antwortet. Hat das Wort, das herkommt und das Wort, das hingeht, einen spezifischen Charakter? Herr Buber tut dar, wie sich ihm die Frage stellt: Wie nämlich kann von Gott und seinem Wort universal gesprochen werden, d. h. also auch zu Menschen, die für beides keine Wirklichkeit bereit haben? Wie kann ein solches Thema so behandelt werden, daß ein ungläubiger Hörer die Wirklichkeit daran empfängt? Guardini: Damit solches geschehe, müsse das Wort des Vortrags übergehen in das Wort der Verkündigung. Buber: Er meinte gerade ein ›uneingegrenztes‹, ein nicht aus dem Bereich des Religiösen kommendes Wort, das mit der Wirklichkeit des Nicht-Glaubenden zusammentreffen, in sie einbrechen kann. Herr Guardini stellt die Frage, ob nicht jedes Wort, das in seiner Eigentlichkeit gesprochen wird, religiös sei. Herr Buber bejaht dies, hat aber auch Bedenken gegen alle Theorien, die die Sprache für etwas spezifisch von Gott Gegebenes halten. Das hieße, das Menschsein nicht als ernst genug erachten.« 141

Eine vierte Zusammenkunft, an der Heidegger, Georgiades und Weizsäcker teilnahmen, ereignete sich noch im Oktober 1958. Buber, der seine Teilnahme an der Tagung bereits abgesagt und ein Verlesen seines Vortrags abgelehnt hatte, blieb nur brieflich am Geschehen beteiligt und 140. Ebd. 141. Ebd.

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hoffte wenigstens auf einen »Austausch der Manuskript-Skizzen«, wozu es aber erst nach der erfolgten Tagung kam. 142 Auf Drängen von Preetorius erklärte Buber sich bereit, einige »Bemerkungen« zum Begleitband der Tagung zu verfassen, die jedoch nicht erschienen sind. Zu diesem Zweck erhielt er schließlich im März 1959 die Manuskripte sämtlicher Vorträge, einschließlich der Rede Heideggers, die dieser nur nach handschriftlichen Aufzeichnungen gehalten hatte. 143 Vorgesehen war ursprünglich auch die Aufnahme Bubers eigenen, wenngleich bis dahin noch unfertigen Vortrags in die Herbstausgabe des Bandes Die Sprache. 144 Im Juni 1959 kam Buber nach München, um eine Fortsetzung der Sprachtagung im Sommer 1960 anzuregen. Im Juli stand fest, daß es eine »kleine Tagung« geben würde, und zwar mit den Vorträgen Bubers und Carl Jakob Burckhardts zum Thema »Sprache und Geschichtsschreibung«. 145 Im Februar 1960 lud Podewils erneut zu einer Vorbesprechung nach Altreuthe, wobei von den Anwesenden (Buber konnte die Einladung nicht wahrnehmen) der Titel »Wort und Wirklichkeit« gewählt wurde. 146 Die von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste veranstaltete Vortragsreihe »Wort und Wirklichkeit« wurde schließlich vom 11. bis 15. Juli 1960 in der Aula der Universität München abgehalten. Die Vortragenden waren Werner Heisenberg (Sprache und Wirklichkeit in der modernen Physik), Carl Jakob Burckhardt (Das Wort im politischen Geschehen), Wolfgang Schadewaldt (Das Wort der Dichtung) und Wladimir Weidlé (Das Kunstwerk: Sprache und Gestalt). Bubers Vortrag, »Das Wort, das gesprochen wird«, galt zugleich als Eröffnungsvortrag der Sprachtagung. 147 Neben den Vorträgen gab es auch eine »Aussprache mit den Rednern der Tagung«. 148 Das öffentliche Interesse an der Sprachtagung war beträchtlich. Schon die Veranstaltung vom Januar 1959 war in der Süddeutschen Zeitung Tag um Tag im Feuilleton-Teil rezensiert worden, insbesondere die Rede Martin Heideggers, die den Abschluß und Höhepunkt der damaligen 142. 143. 144. 145.

Vgl. Podewils an B., 22. Okt. 1958, MBA, Ms.Var. 350/588b:56. Podewils an B., 13. März 1959, MBA, Ms.Var. 350/588b:60. Ebd. Podewils an B., 16. Juli 1959, MBA, Ms.Var. 350/588b:64. Doch auch ein Vortrag Wladimir Weidlés war bereits im Gespräch. 146. Vortragszyklus »Wort und Wirklichkeit« (Protokoll, 28. März 1960), MBA, Ms.Var. 350/588b:70. 147. Vgl. E. Preetorius, Eröffnung der Vortragsreihe Wort und Wirklichkeit. Sechste Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke, hrsg. v. der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München 1960, S. 13. 148. Die Eröffnungsveranstaltung fand am 15. Juli statt. Ein mit Bubers Notizen versehenes Programm der Tagung befindet sich im Besitz des MBA (Ms.Var. 350, bet/44).

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Tagung bildete. Es war Heideggers Rede von 1959, die auch einen gewissen Anknüpfungspunkt zu Bubers Einführungsvortrag darzustellen schien. Der Öffentlichkeit entging durchaus nicht, daß in Bubers Kritik am »hybriden Monologisieren« eine »Polemik gegen Heidegger herauszuhören« war, eine Verwerfung des »Sprach-Idealismus«, der die Sprachtagung vom Vorjahr dominiert hatte. 150 Nachdem die Vortragenden von 1959 »den Kopf manchmal allzu tief in den Sand der ursprünglichen Dinge gesteckt hatten,« begrüßte die Süddeutsche Zeitung den »großen, bewundernswerten, jüdischen Realismus« Martin Bubers.151 Noch entging der Öffentlichkeit eine gewisse Ähnlichkeit im Auftreten beider Persönlichkeiten: Während Buber in Deutschland gerne mit einer »alttestamentarischen Prophetengestalt« verglichen wurde, 152 schrieb die Süddeutsche Zeitung über Heidegger, er wirkte »eher wie ein Priester, dessen Blick lange im ›Geheimnis‹ verweilt hat und der nun ›kündet‹ – freilich wie ein alemannischer Priester, wie eine Mischung aus Dichter und Bauer, Prophet und Philosoph.« 153 Inhaltlich gesehen ist die Rede »Das Wort, das gesprochen wird« Bubers systematischster Versuch einer Darstellung seiner Sprachphilosophie. Daß dies auch eine ernste Auseinandersetzung mit der sprachphilosophischen Literatur bedeutete, geht aus den bibliographischen Aufzeichnungen, die Buber für seinen Vortrag angelegt hatte, klar hervor. 154 Gemessen am Umfang der dort zusammengestellten Literatur scheint Buber wohl eine größere Arbeit beabsichtigt zu haben, auch wenn es dafür keine anderen Belege gibt. Unter den Aufzeichnungen in der betreffenden Kladde gibt es keinen Hinweis auf Heidegger. Dennoch legen die wiederholten Anspie149. »Die Sprache – von Heidegger zur Sprache gebracht. Zum Abschluß der Vortragsreihe bei der Akademie der Schönen Künste«, in: Süddeutsche Zeitung, 15. Jg., Nr. 22, 26. Jan. 1959, Feuilleton, S. 9. 150. »Die fruchtbare Mehrdeutigkeit des Wortes. Martin Buber spricht vor der Akademie der Schönen Künste«, in: Süddeutsche Zeitung, 16. Jg., Nr. 167, 13. Juli 1960, Feuilleton, S. 13. 151. Ebd., S. 13. 152. »Münchner Gespräch über die Sprache«, in: Neue Zürcher Zeitung, 22. Juli 1960. Ähnlich hieß es in der Süddeutschen Zeitung vom 13. Juli 1960 (»Die fruchtbare Mehrdeutigkeit des Wortes«), S. 13: »Nicht nur der volle Bart, sondern auch die glühende Ernsthaftigkeit und die langsame, fast schleppende Bestimmtheit seines Redens erzwingen den Gedanken, so wie dieser Mann müssen die Propheten des Alten Testaments ausgesehen haben.« 153. »Die Sprache – von Heidegger zur Sprache gebracht«, S. 9. Eine Mischung aus Gelehrtem, Dichter und Propheten, »der zwar nichts weissagt, ihm aber den Quell seines Daseins verrät,« schrieb der Münchner Merkur vom 13. Juli 1960 über Martin Buber in einem durchaus kritischen Bericht über dessen Vortrag und setzte hinzu: »[…] dergleichen erlebt man auch bei Heidegger und hier in extremer Zuspitzung.« 154. MBA, Ms.Var. 359, bet/44.

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lungen auf Heidegger in Bubers Rede nahe, daß Buber Heideggers Vortrag von 1959 vor der Abfassung seiner eigenen Rede nicht nur zweifellos kannte, sondern auch zum Anlaß einer bewußten Entgegnung nahm. Trotz der inhaltlichen Ähnlichkeiten mit dem Denken des russischen Literaturwissenschaftlers und Sprachphilosophen Michail M. Bachtin (1895-1975), die in der neueren Literatur mit Recht hervorgehoben werden, 155 läßt sich eine direkte Bezugnahme aus den handschriftlichen Aufzeichnungen Bubers nicht verifizieren. Philosophical Interrogations

Deutscher Erstdruck. Druckvorlage für die Antworten Martin Bubers: Handschriftliches Manuskript und Typoskript. MBA, Ms. Var. 350/84b. Für die Frage Eugen Rosenstock-Huessys: Übersetzung aus dem Amerikanischen von Asher Biemann. Für die Frage Karl Thiemes: Typoskript, MBA, Ms.Var. 350/85b. Die Gespräche sind abgedruckt in: Philosophical Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl [et al.]. Edited, with an Introduction by Sydney and Beatrice Rome, New York/Evanston, Ill.: Holt, Rinehart and Winston 1964, S. 33-35 (Buber antwortet Rosenstock-Huessy), S. 99-100 (Buber antwortet Karl Thieme), S. 31-33 (Frage Rosenstock-Huessys), S. 98 (Frage Thiemes). Die philosophischen Gespräche mit Martin Buber wurden im Frühjahr 1957 von dem amerikanischen Religionsphilosophen und Übersetzer Martin Bubers, Maurice Friedman (geb. 1921), initiiert und sollten ursprünglich in der von Paul Weiss herausgegebenen Zeitschrift Review of Metaphysics als Symposium herauskommen.156 Etwa fünfzig Gelehrte aus Europa, Israel und den Vereinigten Staaten wurden im Sommer 1957 von Friedman eingeladen, Fragen an Martin Buber einzusenden. Bis November des Jahres waren 25 »hinreichend genaue« Fragen eingegangen. Absagen kamen wiederum von Paul Tillich, Hans Kohn, Karl Jaspers, Rudolf Bultmann, Jacques Maritain, Karl Heim, Erich Fromm und anderen. In der von Friedman redigierten Endfassung stellten 33 Gesprächspartner Fragen zu den Themen Dialog, Erkenntnistheorie, Erziehung, Sozialphilosophie, Religionsphilosophie, Bibel und biblisches Judentum und Theodizee. Im Sommer 1958 begann Buber an seinen Antworten zu arbeiten. Im September hatte er den Großteil des ersten 155. S. Kepnes, The Text as Thou, bes. S. 62-71. N. Perlina, »Mikhail Bakhtin and Martin Buber: Problems of Dialogic Imagination«, in: Studies in Twentieth Century Literature, Bd. 9, Heft 1 (Herbst 1984). 156. Vgl. Friedman an B., 3. Nov. 1957 (MBA, Ms.Var. 350/85ab) und B. an Friedman, 11. Juli 1958, B III, S. 459.

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Abschnitts (Dialog) fertiggestellt: »Ich habe für die Review of Metaphysics die Antworten I A, D, E, F und G geschrieben und habe Abschnitt III angefangen. Ich lege die Antwort an Rosenstock-Huessy bei, die Sie besonders interessieren dürfte.« 157 Zur gleichen Zeit arbeitete Buber an seiner »Philosophischen Rechenschaft« für den in der Library of Living Philosophers erscheinenden Band The Philosophy of Martin Buber und an den als Einleitung zu demselben Band gedachten »Autobiographischen Fragmenten«. Zu einer Veröffentlichung des Symposiums in der Review of Metaphysics kam es nicht. Bubers Hinweis auf die Zeitschrift Die Kreatur in seiner Auseinandersetzung mit Eugen Rosenstock-Huessy bedarf einer Erklärung. Rosenstock-Huessy war an der Entstehungsgeschichte der Zeitschrift und der Gewinnung des katholischen Geistlichen Joseph Wittig für die Mitherausgeberschaft maßgeblich beteiligt. 158 Bereits im ersten Heft veröffentlichte Rosenstock-Huessy einen Aufsatz »Zur Polychronie des Menschen«, wo er die Begriffe der »Einaltrigkeit« und »Mehraltrigkeit« verwendete. 159 Im Frühjahr 1927 folgte ein Aufsatz zur »Polychronie des Volkes«. 160 Mit Recht bezog sich Buber in seiner Erwiderung an Rosenstock-Huessy auf den Inhalt dieser beiden Aufsätze. Drei weitere Aufsätze Rosenstock-Huessys erschienen in den folgenden Jahrgängen der Kreatur: Kirche und Arbeit (2. Jg. [1928], S. 158-180), Die Gefangenschaft des Volkes (3. Jg. [1929/30], S. 61-68) und Die rückwärts gelebte Zeit: Unsere Erfahrungen von 1918-1928 (3. Jg. [1929/30], S. 101-117). Dennoch nahm Rosenstock-Huessy später eine zunehmend kritische Haltung gegenüber Buber ein. Sein 1954 erschienener Aufsatz »Dich und Mich« war ein Versuch, seine eigene Sprachlehre mit aller Entschiedenheit gegen die »Häresie« und »gnostische Irrlehre« der dialogischen Philosophie Bubers abzugrenzen. 161 Im Unterschied zu Rosenzweigs jü157. B. an Friedman, 22. Sept. 1958, B III, S. 465. 158. Vgl. Wittig an B., 28. Juli 1925, B II, S. 231 f. und 26. Febr. 1926, B II, S. 247. Über die anfänglichen Bedenken, ob ein von der Kirche Ausgeschlossener als katholischer Herausgeber fungieren könne, siehe Weizsäcker an B., 31. Mai 1926, B II, S. 258 f. und B. an Weizsäcker, B II, S. 259 f. 159. E. Rosenstock [-Huessy], »Lehrer oder Führer: Zur Polychronie des Menschen«, in: Die Kreatur. Eine Zeitschrift, hrsg. v. M. Buber, V. v. Weizsäcker und J. Wittig. 1. Jg., Nr. 1 (1926), S. 52-68. 160. In: Die Kreatur, 1. Jg., Nr. 4 (1927), S. 409-425, in: Rosenstock-Huessys gesammelten Aufsätzen Die Sprache des Menschengeschlechts (1964) steht statt »Polychronie« »Poliphonie«. So lautet der Titel des Aufsatzes dort »Zur Poliphonie des Volkes« (vgl. ebd., S. 156), während der Untertitel im Aufsatz »Lehrer oder Führer« fehlt, jedoch: »Der Mensch ist polychron« (ebd., S. 168). 161. Rosenstock-Huessy, »Dich und Mich. Lehre oder Mode?«, zuerst in: Neues Abendland, 9. Jg. (1954), Heft 11; auch in: ders., Das Geheimnis der Universität. Wider

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dischem Sprachdenken, erblickte Rosenstock-Huessy in Buber die heidnische, »eleusinisch-griechische« Ausformung der Sprache, in der das »Ich« dem »Du« voransteht, ohne die Subjekt-Objekt-Spaltung zu überschreiten. 162 Letztlich bezichtigte Rosenstock-Huessy Buber in einem Aufsatz von 1962 einer dogmatischen, Es-orientierten und im Es gefangenen Sprachauffassung. 163 Bubers Bekanntschaft mit dem deutschen Historiker Karl Thieme (1902-1963) ging auf die Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Thieme, der 1933 wegen Kritik am Nationalsozialistischen Regime seine Lehrstelle an der Pädagogischen Akademie in Elbing verlor, konvertierte zum Katholizismus und begann sich später intensiv mit der Bibel zu beschäftigen. Seine freundschaftliche Auseinandersetzungen mit Buber erschienen teilweise im Freiburger Rundbrief: Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und neuen Gottesvolk – im Geiste der beiden Testamente (Dezember 1949). Auszüge aus ›Antwort‹

Druckvorlage: Antwort, in: Paul A. Schilpp und Maurice Friedman (Hrsg.), Martin Buber (Philosophen des 20. Jahrhunderts), Stuttgart: Kohlhammer 1965, Abschnitt III/4 (S. 595-596) und IV/1 und 2 (S. 599-600). Hier abgedruckt in der Reihenfolge: 1 (= IV/1), 2 (= IV/2) und 3 (= III/4). MBB 1220. Englische Ausgabe: Paul A. Schilpp und Maurice Friedman (Hrsg.), The Philosophy of Martin Buber (Library of Living Philosophers, Band 12), La Salle, Ill.: Open Court 1967). MBB 1308. Auszugsweise abgedruckt als »Aus einer philosophischen Rechenschaft«, in: Neue Rundschau, Jg. 72, Nr. 3 (1961), S. 527-537, (MBB 1164) und in W I (S. 1111-1122). Bereits Mitte der Fünfziger Jahre erwog der Herausgeber der 1939 begründeten Library of Living Philosophers, Paul A. Schilpp, Bubers Philosophie einen Band in seiner Reihe zu widmen. 164 Schilpp, der 1913 von Deutschland nach Amerika eingewandert war, arbeitete zunächst als Geistlicher der methodistischen Kirche, bevor er sich 1923 der Philosophie zuwandte. Zwischen 1936 und 1965, den Jahren seiner Herausden Verfall von Zeitsinn und Sprachkraft. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1950 bis 1957, hrsg. v. G. Müller, Stuttgart 1958, S. 149-159. 162. Vgl. ebd., S. 150 und ders., Ja und Nein. Autobiographische Fragmente, S. 72. 163. Ders., Der Widersinn der Sinne, in: ders., Die Sprache des Menschengeschlechts I, S. 102 f. 164. Vgl. P. A. Schilpp und M. Golden Schilpp, Reminiscing: Autobiographical Notes, Carbondale, Ill., 1996, S. 153.

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geberschaft der Library of Living Philosophers, lehrte Schilpp an der Northwestern University. Dorthin lud er Buber 1956 im Namen des Philosophischen Institutes zu einem öffentlichen Vortrag im Auditorium des Technischen Institutes ein. Bei dieser Gelegenheit erklärte sich Buber bereit, in Schilpps Reihe aufgenommen zu werden. 165 Nach Ernst Cassirer, Albert Einstein, Karl Jaspers und Rudolf Carnap war Buber der fünfte deutschsprachige Philosoph, der so dem amerikanischen Publikum vorgestellt wurde. Aus Gründen der Thematik lud Schilpp Maurice Friedman zur redaktionellen Mitarbeit sowie Fritz Kaufmann (18911958) und den orthodoxen Rabbiner Marvin Fox, vormals einer seiner Assistenten, zur Beratung ein. 166 Der Band hätte ursprünglich zu Bubers 80. Geburtstag (1958) erscheinen sollen, kam in seiner englischen Version jedoch erst 1967 heraus. In der deutschen Ausgabe von 1963 erschienen Aufsätze von 29 Gelehrten internationaler Herkunft, während die amerikanische noch durch einen Aufsatz zur Ästhetik Martin Bubers erweitert wurde. 167 Beiden Ausgaben gingen Bubers Autobiographische Fragmente voran, die er Anfang 1958 zu schreiben begann.168 Im April 1958 hatte Buber offensichtlich den Großteil der für den Band geschriebenen Aufsätze gelesen.169 Im September desselben Jahres war Buber in der Lage, die während seiner Lehrtätigkeit in Princeton (Frühjahr 1958)170 entworfenen »sieben Abschnitte der Responsa für den Band der Living Philosophers […] ins Reine [zu] arbeite[n].« 171 Doch erst im Februar 1963 waren die Korrekturbögen der Responsa fertig. 172 In seinen Erinnerungen schreibt Schilpp: »[Buber] nahm die Aufgabe seiner ›Antwort‹ sehr ernst. Von diesem Standpunkt aus gesehen, war sein Band einer der besten in der Serie.« 173 Aus diesen Antworten Bubers an seine Kritiker habe ich drei ausgewählt, die sich mit seiner Sprachphilosophie befassen und habe diese so geordnet, daß sie eine zusammenhängende Erörterung dieses Themenkomplexes bilden. 165. Vgl. ebd., S. 155. 166. Vgl. Friedman, The Later Years, S. 246 f. Auch Fritz Kaufmann an B., 19. Dez. 1956, B III, S. 423 f. 167. L. Z. Hammer, »The Relevance of Buber’s Thought to Aesthetics«, in: Schilpp/Friedman, The Philosophy of Martin Buber, S. 609-628. 168. Vgl. Friedman, The Later Years, S. 251. 169. B. an Walter Kaufmann, 28. April 1958, B III, S. 457. 170. Buber hielt im Sommersemester 1958 ein Seminar über »Key Religious Concepts of the Great Civilizations« ab, das von Dozenten und post-Graduates besucht wurde (vgl. Robert Weltsch, Nachwort, in: Kohn, Martin Buber, S. 464). 171. Vgl. B. an Friedman, 8. Sept. 1958, B III, S. 464. 172. Vgl. B. an Friedman, 19. Feb. 1963, B III, S. 578. 173. Schilpp, Reminiscing, S. 155.

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Abkürzungsverzeichnis

B I-III

BB BBS

Bloch/Gordon DK

JuJ

KSA

LBIYB LGB

Licharz/Schmidt

MBA MBB

Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, Band 1-3, hrsg. mit einer Einl. von Grete Schaeder, Heidelberg: Lambert Schneider 197275. Band I: 1897-1918 (1972), Band II: 1918-1939 (1973), Band III: 1938-1965 (1975). A Bibliography of Martin Buber’s Works, 1895-1957, zusammengestellt von Moshe Catanne, Jerusalem: Mosad Bialik 1961. Briefwechsel Martin Buber – Ludwig Strauß 1913-1953, hrsg. von Tuvia Rübner und Dafna Mach, Frankfurt a. M.: Luchterhand 1990. Martin Buber. Bilanz seines Denkens, hrsg. von Jochanan Bloch und Haim Gordon, Freiburg 1983. Die Fragmente der Vorsokratiker, hrsg. von Hermann Diels/Walter Kranz, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1952. (Fragmente werden nach Fragmentnummer der Diels/Kranz-Zählung angeführt). Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, mit einer Einl. von Robert Weltsch, Gerlingen: Lambert Schneider 1993. Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, und Berlin/New York: Walter de Gruyter 1967-77 und 1988. Leo Baeck Institute Year Book Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen, hrsg. von Martin Buber unter Mitwirkung von Ina Britschgi-Schimmer, Band 1 und 2, Frankfurt a. M. 1929. Martin Buber (1878-1965). Internationales Symposium zum 20. Todestag, Bd. 1: Dialogik und Dialektik, Band 2: Erkennen zum Tun des Gerechten, hrsg. von Werner Licharz und Heinz Schmidt, Frankfurt a. M.: Haag und Heerchen Verlag 1989. (Arnoldshainer Texte, Bd. 57). Martin Buber-Archiv, Jüdische National- und Universitätsbibliothek Jerusalem. Martin Buber: Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität, und München/New York: K. G. Saur 1980.

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188

Abkürzungsverzeichnis

MBW

Martin Buber Werkausgabe, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2001-. Schilpp/Friedman: Martin Buber, hrsg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart: W. Kohlhammer 1963. W I-III Werke, Band 1-3, München: Kösel, und Heidelberg: Lambert Schneider 1962-64. Band 1: Schriften zur Philosophie (1962), Band 2: Schriften zur Bibel (1964), Band 3: Schriften zum Chassidismus (1963).

Hebräische Bibel Gen Ex Lev Num Dtn Jos Jdc I Sam II Sam I Reg II Reg Jes Jer Ez Hos Joel Am Ob Jon Mi Nah Hab Zeph Hag Sach Mal Ps Hi Prov Rut

Genesis Exodus Leviticus Numeri Deuteronomium Josua Judicum (Richter) 1. Samuel 2. Samuel 1. Regum 2. Regum Jesaja Jeremia Ezechiel Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zephanja Haggaj Sacharja Maleachi Psalm(en) Hiob Proverbia (Sprüche) Ruth

Buber / p. 189 / 29.8.2003

Abkürzungsverzeichnis

Cant Qoh Thr Est Dan Esr Neh I Chr II Chr

Canticum Canticorum (Hohelied) Qohelet (Prediger) Threni (Klagelieder) Esther Daniel Esra Nehemia 1. Chronik 2. Chronik

189

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographien 2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3 Verwendete Werke Martin Bubers 2.4 Verwendete Literatur

1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber-Archiv der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek Jerusalem sind folgende folgende veröffentlichte und unveröffentlichte Manuskripte verwendet worden: Arc. Ms. Var. 350/44bet

Das Wort, das gesprochen wird, handschriftliche Aufzeichnungen, Entwürfe. In derselben Kladde: Dem Gemeinschaftlichen folgen, handschriftliche Aufzeichnungen, Entwürfe, Bibliographien. Arc. Ms. Var. 350/44bet, b1 Bayerische Akademie der schönen Künste: Tagung über Sprache, Programme mit M. Bubers Notizen, Kritiken. Arc. Ms. Var. 350/84bet Philosophical Interrogations, Arc. Ms. Var. 350/85bet Philosophical Interrogations, handschriftliche Aufzeichnungen, M. Bubers Antworten. Arc. Ms. Var. 350/85bet a Philosophical Interrogations, Korrespondenz und Fragen. Arc. Ms. Var. 350/119bet Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens, handschriftliche Aufzeichnungen, Entwürfe, Kritiken. Arc. Ms. Var. 350/129bet Seit ein Gespräch wir sind, handschriftliche Aufzeichnungen, Entwürfe. Arc. Ms. Var. 350/148bet Authentische Zweisprachigkeit, handschriftliche Aufzeichnungen, Entwürfe. Arc. Ms. Var. 350/481 Briefe M. Bubers an Fritz Mauthner: 481I:1 (24. 4. 1906), 481I:2 (8. 5. 1906), 481I:3 (7. 5. 1906), 481I:4 (28. 5. 1906), 481I:5 (6. 7. 1906), 481I:6 (26. 7. 1906), 481I:7 (13. 8. 1906), 481I:8 (16. 10. 1906), 481I:9 (2. 10. 1906), 481I:10 (18. 10. 1906), 481I:11 (Verlagsvertrag, 13. 10. 1906), 481I:12 (8. 3. 1907), 48I:18 (6. 6. 1907), 481I:24

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Quellenverzeichnis

Arc. Ms. Var. 350/539

Arc. Ms. Var. 350/585

Arc. Ms. Var. 350/588

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Literaturverzeichnis

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Glossar*1 Alètheia: griech. Wahrheit, wörtl. Entbergung; von Buber der hebr. emet gegenübergestellt. Bar Kochba: Name des Anführers eines messianisch Aufstandes gegen die römische Besatzung in Palästina um 130; 1893 vom Verein jüdischer Hochschüler in Prag und vom Zionismus im allgemeinen als Zeichen der nationalen Wiedergeburt übernommen. Chassid, Chassidim: hebr. Frommer, Anhänger des Chassidismus; siehe Chassidismus. Chassidismus: durch Rabbi Israel ben Eliezer, Ba’al Schem Tov (ca. 1700–1760) gegr. jüngste volkstümliche mystische Bewegung des Judentums; von Osteuropa ausgehend, verbreitete sie sich in der Diaspora ebenso wie später im Staat Israel; sie zerfällt in unterschiedliche Gruppen, die einem bestimmten Zaddik und seiner Tradition folgen, siehe Chassid. Diaspora: griech. Zerstreuung; seit der Antike wertneutrale Bezeichnung für das Judentum außerhalb Palästina/Israels. Emet: hebr. Wahrheit, wörtl. Treuigkeit; von Buber der griech Alètheia gegenübergestellt. Emuna: hebr. Vertrauen, Treue, Glaube; von Buber der (paulinisch-)christlichen Pistis gegenübergestellt. Gnosis: griech. Erkenntnis; mystisch-philosophische Weltanschauung der neuplatonischen Schule bes. des ersten Jh. v. d. Z., die sich durch starke Leibfeindlichkeit auszeichnete; beeinflußte die spätere Entwicklung der christl. und jüd. Mystik. Haskala: hebr. Erkenntnis, Vernunftdenken; Bezeichnung der jüd. Aufklärung in Mittel- und Osteuropa seit der Mitte des 18. Jhs. Jom Kippur: hebr. Versöhnungstag, Bußtag. Kabbala: hebr. Tradition; Bezeichnung der jüd Mystik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die sich durch theurgischen Praktiken sowie Spekulationen über das innere Wesen Gottes auszeichnet. Midrasch, Midraschim: hebr. Auslegung, Deutung, Studium; im rabbinischen Judentum Auslegung durch vorwiegend narrative Erklärungtechniken. Pistis: griech. Glaube, Vertrauen; von Buber der jüd. emuna gegenübergestellt. Pneuma: griech. Atem, Geist; im NT Heiliger Geist. Rabbi (Rabbiner): hebr. wörtl. (mein) Lehrer, Meister; seit der talmudischen Zeit Titel eines anerkannten Rechtsgelehrten und Kundigen im jüdischen Schrifttum; im westlichen Judentum der Neuzeit Angestellter der Gemeinde, der im 19. Jh.

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Sofern der Begriff in den Schriften Bubers vorkommt, wird dessen Schreibweise übernommen. Alle anderen im Glossar angeführten hebräischen Begriffe folgen der für die MBW festgelegten Umschrift.

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Glossar

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einem christlichen Geistlichen in seiner Funktion als Prediger und Seelsorger gleichkommt. Rosch Haschana: hebr. Beginn des Jahres, jüd. Neujahrsfest und Beginn des liturgischen Zyklus. Talmud: hebr. Lernung, Studium; Bezeichnung der als rabbinische Auslegung der Bibel kodifizierten Kommentare; nach Ort der Abfassung Unterscheidung zwischen einem babylonischen und palästinischen Talmud. Tora: hebr. wörtl. Lehre, Weisung; die in den fünf Büchern Mosis zusammengefaßte Religions- und Geschichtslehre des Judentums. Upanishaden: um 500 v. d. Z. in Indien entstandene relig. Schriften. Veden: älteste Texte des Hinduismus, entstanden zwischen 1500 und 400 v. d. Z. Zionismus: im weiteren Sinn die relig., hist. und polit. Verbundenheit mit dem Land Israel; als polit. Bewegung 1897 von Theodor Herzl gegründet, um ein rechtlich gesichertes Territorium für das jüd. Volk, nach Möglichkeit in Palästina, zu erwerben.

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Sachregister aletheia 67 Amsterdamer Internationales Institut für Philosophie 151, 153, 156 Anaximander 110 Anthropologie 65, 123, 172, 174, 176-177 –, philosophische 172, 176 Aphorismus/Aphorismen 159, 161-162 Aphorismus 87 Apokalypse 50 Askese 43, 55, 173 Assimilation 40, 44 Ästhetik 21, 26, 32, 34, 186 Ästhetisierung 113 Ästhetizismus 19, 159 Atheismus 33 Atman 109 Aufklärung 37, 59 Auschwitz 95 Bar Kochba, Prag –, Vom Judentum 44 Begegnung 9, 18, 25, 34, 38, 48, 57, 67-68, 110, 145-146, 151, 163, 167, 176 Begriff(e) 14-15, 18, 23-25, 29, 31, 46, 95, 100, 111-113, 118, 120, 127, 129-130, 145, 152, 159 –, Begriff der Zeit 22 –, Erlebnisbegriff 22, 33, 43 –, Gesetzes- 62 Beziehung 83, 120, 133, 141, 143 Bibel 136, 142-143, 163, 173, 183, 185 Bibelübersetzung 27, 60-63, 166 Brahman 109 Brit Schalom 169 Buber, Martin –, An der Wende 166 –, Antwort 185 –, Authentische Zweisprachigkeit 89, 162 –, Begegnung. Autobiographische Fragmente 17-20, 69, 149, 150, 186 –, Bilder von Gut und Böse 166 –, Brief an Henri Borel 75 –, Brief an Henri Borel über das Wesen der Sprache 151 –, Daniel 10, 12-13, 15, 22, 45-46 –, Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens 95, 166

–, Das Problem des Menschen 15, 65, 120, 174 –, Das Raumproblem der Bühne 166 –, Das Wort, das gesprochen wird 11, 14, 66, 125, 178-179 –, Dem Gemeinschaftlichen folgen 65, 103, 172, 174, 178 –, Der große Maggid und seine Nachfolge 9, 45 –, Der heilige Weg 15 –, Des Rabbi Israel Ben-Elieser, genannt Baal-Schem-Tow 166 –, Die Eroberung Palästinas 45 –, Die Legende des Baal Schem 62 –, Ein Wörterbuch der hebräischen Philosophie 77 –, Ekstatische Konfessionen 22-23, 43 –, Elemente des Zwischenmenschlichen 15 –, Ereignisse und Begegnungen 12, 45 –, Erzählungen der Chassidim 69 –, Geleitwort zu Eisik Sheftel 73 –, Geltung und Grenze des politischen Prinzips 95 –, Geschichten des Rabbi Nachman 10, 27, 38, 41-43, 46 –, Gog und Magog 18 –, Gottesfinsternis 175-176 –, I and Thou 12, 55, 57 –, Ich und Du 10-15, 44, 54-55, 57-58, 174 –, Jakob Hegner zu seinem siebzigsten Geburtstag 93, 165 –, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuch 142 –, Logos. Zwei Reden 172, 178 –, Mein Weg zum Chassidismus 18 –, Nachlese 13-14, 16-17, 19-20, 151, 160, 162, 166, 175-176 –, November 81, 160 –, Philosophical Interrogations 139 –, Reden und Gleichnisse des TschuangTse 105-106 –, Sehertum 166 –, Seit ein Gespräch wir sind 83, 123, 160, 175 –, Zur Wiener Literatur 21, 27 –, Zwiesprache 14, 146, 176 Buddhismus 33

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Sachregister Chandos Brief 24, 26, 28-29 Chassidismus 16, 18, 41, 43, 143, 158 Christentum 50-51, 53 Corpus Chassidicum 18 Denken –, dialogisches 9, 48, 176 Der Brenner 55, 57 Der Jude 40, 42, 44 Dialektik 95-96 Dialog 14-15, 48, 122, 128-129, 131, 145, 147, 174, 183-184 Dialogik 173 Dialogizität des Wortes 14 Dialogphilosophie 184 Diaspora 158 Dichter 12, 15-16, 19, 23, 27, 29, 31, 37, 44-45, 47-49, 63, 73, 84, 89, 92, 106, 123, 128, 134, 160-161, 163-164, 168, 182 Dichtung 10, 12, 14, 23, 29, 43, 62, 83, 89, 181 Die Gesellschaft 15, 19, 27, 38-39, 57 Die Kreatur 50, 140, 161, 184 Die Welt 10, 157 Du 9, 14-15, 51, 55-58, 120, 122, 129, 134, 141, 161, 164, 173-174, 185 Dualität 11 Dusagen 110 Eeden, Frederick van –, Van Eeden-Kolonie 49 Einheit 9, 22-23, 26, 33, 43, 61, 65, 87, 92, 105, 109, 117, 119, 135-136, 143, 152, 159, 179 Einheitsbegriff 22 Einsamkeit 25-26, 65 Ekstase 22-23, 173 Ekstatik 176 Ekstatiker 22, 43 Ekstatische, das 22 Empiriokritizismus 34, 42 –, Wiener 38 Empirismus, logischer 35 emuna 67 Ephesier 103 Erfahrung 36, 44, 48, 58, 60, 70, 91-92, 109, 113, 116, 119, 121, 163, 173 Erkenntnis 15, 23, 31-32, 34, 36, 42, 57-58, 65, 73, 176-177 Erkenntnismonismus 38 Erkenntnistheorie 183 Erleben 22-23, 35, 42-43, 177 Erlebnis 22-25, 33, 42-43

213 Erlösung 54 Erneuerung 19, 33, 50, 53, 60-61, 98, 100, 159 –, der Sprache 61 Erster Weltkrieg 13, 19, 40, 49-50, 58, 152, 160 Erziehung 183 Es 185 Ethik 13, 32, 162 Etymologie 63 Evangelist Johannes 49 Exilliteratur 68 Existentialphilosophie 174 Existenzphilosophie 112 Expressionismus 12 Fiktion 20 Form, die 12, 14, 24, 51, 59-60, 62-63, 73, 92, 132, 136, 155, 158-159, 161-162, 175 –, die aphoristische 87 –, die dialogische 143 Forte-Kreis 49-50, 152-153, 155 Frankfurter Universität 13 Friedenspreis des deutschen Buchhandels 166-168, 171 Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin 44 Fülle 18, 109, 180 Galizien 16-18 Galuthnationalismus 158 Gebild 63 Gedicht(e) 10, 12-15, 20-22, 46, 61, 63, 83, 89, 91, 125-126, 132, 134, 136, 147, 160, 162-164 Gegenwart 12, 18, 25, 52, 66 Geheimnis der Sprache 68 Gemeinschaft 15, 47, 49, 65, 68, 75, 90, 142, 152-153, 156, 161, 172, 175 Gemeinschaftliche, das 104, 107, 111-112, 114, 117, 123 Gemeinschaftlichkeit 104, 110, 112, 114, 116 Geschichte 10, 33, 44, 47, 49-50, 62, 64, 67, 90, 98, 105, 107, 118, 121, 123, 139, 155, 165 Geschichtlichkeit/Historizität 139-140, 142 Gesetz 19, 72 Gespräch(e) 11-13, 15, 23, 26, 46, 48, 50, 67, 83-85, 95, 97, 99-100, 121, 123, 125130, 134, 147, 166-167, 183 Gesprochenheit 11, 14, 60, 62, 66-67, 72, 117, 122, 126, 134, 179

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214 Gesprochensein 127 Gesprochenwerden, das 11, 31, 47-48, 83 Gestalt 14, 45, 92, 108, 120-121, 134, 143, 160, 173, 178, 181 Gleichnis(se) 16, 103, 146 Gnosis 79 Goethe-Preis 95, 97, 167-169, 171 Gott 9-10, 33, 47-48, 52, 54, 56, 58, 84, 100, 131, 141, 143, 145, 180 Gottes Gegenwart 11 Gottesrede 143 Göttliche, das 15, 18 Grammatik 33, 45-46, 51-52, 54, 57, 60 Grimms Wörterbuch 77 Grundwort 11 Habsburgmonarchie 16 Hebräisch 16, 18, 61, 63-65 Hebräische Universität 13, 167, 169 Hebraisierung 63 Heppenheim 75, 151 Hermeneutik 62, 68 Hölderlin, Friedrich –, Hyperion 46 Humanismus 21-22, 35, 58, 62, 68 Humanität 168, 171 Ich 9, 11-12, 14-15, 18, 20, 22-23, 28, 32, 34-35, 40-41, 44-45, 49, 51-52, 55-58, 64, 81, 110-111, 120-121, 129, 151, 172175, 177-178, 184-185 Ich und Du 120, 139 Ich-Du 112 Ich-Du Philosophie 174 Ich-Du-Bezeichnung 141 Ich-Du-Beziehung 143 Ich-Entfremdung 22 Ich-Es 112 Ichsagen 121 Idealismus 56, 58 Identität 18, 37, 39, 109, 125 Identitätslehre 110 Institut für Religionswissenschaft 13 International School of Philosophy 155 Internationales Institut für Philosophie 14 Jahrhundertwende/Fin de Siècle 16-17, 1921, 24, 28, 34-37, 41, 58-59, 158 Jiddisch 10, 16-18, 59-60, 63, 73-74, 89-90 Johannesevangelium 56 Judentum 16, 18, 31, 39-40, 44, 48, 50, 53, 77, 157-158, 168, 183 Jung-Wien 10

Sachregister Kabbala 41, 79 Kaspar Hauser 173 Katholizismus 165, 185 Klatzkin, Jakob –, Ein Wörterbuch der hebräischen Philosophie 157 Kosmos 66 Kreatur/Geschöpf 25, 48, 96, 141 Krieg 33, 46, 58, 64, 96, 98-99 Kritik der Sprache siehe Sprachkritik 15 Kritizismus, empirischer 19 Kultur 18-19, 21, 27, 55, 58, 60, 89 Kunst 19-20, 37, 58, 73, 116, 154 Landauer, Gustav –, Skepsis und Mystik 16, 29, 41-42, 46, 127 Laotse –, Tao Te King 106 Lebensphilosophie 22 Lehre 11, 49, 69, 104-107, 109-110, 117, 122, 167, 184 –, jüdische 9 –, vom Tao 105 Leitwort/Leitwörter 63 Lemberg 16-17 Liberalismus 37 Literatur 11-12, 19, 24, 30, 34-35, 37, 60, 63, 79, 126, 150, 158, 182-183 –, hebräische 18, 69, 158 –, Wiener 10 Logik 32, 36, 46, 54 Logos 71, 75, 104, 107, 110-112, 114, 117121, 123, 130, 173, 176, 178, 180 Lord Chandos 25-26 Lyrik 91 Magie 22, 24, 26, 116 Maieutik, sokratische 43 Mauthner, Fritz –, Anti-Mauthner-Kampagne 40 –, Kritik der Sprache 28-34, 38-39, 41, 127 –, Der letzte Tod des Gautama Buddha 33 Mededeelingen 75, 151-153, 156 Mehrsprachigkeit 59, 68 Meister Eckhart 29-30, 33, 79 Menschheit 30, 33, 51, 61, 96-97, 101, 154 Menschlichkeit 18, 68 Midrasch(im) 69 Mitmensch 72, 100, 110, 115, 143, 154 Mitteilungsblatt 160

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Sachregister Monismus 35 Musik 12, 16, 24, 29, 42 Mysterium/Geheimnis 15, 22, 47, 62, 68, 75, 116, 133-134, 140-141, 156, 182 Mystik 12, 15-16, 30, 32-33, 38, 41-43, 58, 79, 174 –, Erlebnismystik 43 –, Lebensmystik 43 Mystizismus 21 Mythe 135 Mythos 43-44, 46, 179 Nacherleben 22 Naturalismus 19 –, Berliner 20, 59 –, Wiener 20 Naturwissenschaft 36 Neo-Positivismus 35 Neue Rundschau 65 Neuromantik 10 Nihilismus 43 Nietzsche, Friedrich –, Fröhliche Wissenschaft 21 –, Geburt der Tragödie 29 –, Zarathustra 12, 21, 134, 145 Offenbarung 25, 47, 54-55, 62 Okzident/Abendland 33, 47, 63, 103, 109110, 123 Ontologie 48, 56 Opfer 13-14 Orient/Morgenland 47, 110-111, 117, 123 Ost und West 39, 59-60 Ostjuden 40, 59 Ostjudentum 59 Palästina 44, 63-64, 89, 160, 162-163 Parmenides 36 Patmos-Bund 49-50 Paul, Jean 69 –, Levana 69 Paulskirche 166-168, 171 Philologie 12 Philosophical Interrogations 149, 183 Philosophie der Sprache siehe Sprachphilosophie 9 Philosophie, dialogische 9 Pinski, David –, Eisik Scheftel 10, 59-60, 150-151 Poesie 10, 23, 26, 29, 63, 127 Positivismus 34, 38 Prager Polytechnikum 34 principuum individuationis 33

Prinzip, dialogisches 9, 55, 57 Psychoanalyse 66 Rede, die 10, 16, 18-19, 23, 38, 43, 47-48, 54, 59, 63, 66-68, 98-99, 118, 121-122, 141, 163, 166, 168, 171, 174, 179, 181182 Reden, das 11, 24, 43, 48 Reform der Sprache 154 Relation 14, 42, 56 Religion 31, 47, 154 Religionsphilosophie 174, 183 –, jüdische 13 Religionswissenschaft 13 Renaissance (-Bewegung) –, Hebräische 59 –, Jüdische 59, 158 Reparationszahlungen 170 Rhythmus 16, 29, 63, 127, 163, 178 Romantik 45 Rosenzweig, Franz –, Stern der Erlösung 53-54, 131 Schiller, Friedrich von –, Die Horen 17, 69 Schöpfung 47-49, 54, 56 Schöpfungsmythus 173 Schriftdeutung 69 Schweigen, das 13, 26, 30, 43 Seinsphilosophie 56 Siedlungskolonie Walden 49 Sinnbild 42, 47, 93, 103, 131 Skeptizismus 16, 33 Sokrates 128 Sozialismus, utopischer 49 Sozialphilosophie 174, 183 Soziologisches Institut, Hebräische Universität 65 Soziologie 49, 65-66, 141, 152 Sprachdenken 44, 47, 49, 51, 53, 55-58, 60, 67, 185 Sprachkrise 24, 68 Sprachkritik 14, 16, 24, 26, 28-34, 36, 3841, 43, 46, 58, 125, 152 Sprachphilosophie 9, 11, 13-15, 24, 28, 30, 33, 41, 46-47, 49-53, 58, 66-67, 182 Sprachsoziologie 155 Sprechen, das 26, 31-32, 41-43, 51-53, 56, 61-63, 127, 129, 134-135, 139, 159 Sündenfall 48 Syllogismus 78 Symbiose, deutsch-jüdische 89

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216 tao 117, 156 Theorie des Übersetzens 60 Tod 21-22, 25, 41, 63, 96, 106, 136, 139140, 142, 161-162, 178 Tradition 20, 24, 33, 47, 106, 141, 173 Transzendentalphilosophie 36, 58 Transzendenz 145 Treue 67, 87, 112, 136, 151 Überlieferung, mündliche 62, 105 Übersetzung 10, 12, 29, 58-59, 61-64, 150151, 160, 165-167, 183 Unendlichkeit 22 Universität Frankfurt am Main 13 Upanischaden 107-110, 117 Urgrammatik 52 Urgrund des Seins 113 Ursprache 52 Ursprung 47-48, 53, 56, 62 –, der Sprache 47-48, 132 Ursprungslosigkeit 48 Urwort 56 Veden, die 33 Vergänglichkeit 21-22 Verwandlung 52 Vielheit 23 Wahrheit 9, 14, 20, 24, 29, 45, 66-68, 87, 96, 105, 109, 112, 114, 119-120, 122, 128, 134-137, 140 Wandel/Wandlung 52 Welt 15, 18, 20-23, 27, 29-30, 32-36, 38, 42, 46-48, 52, 54, 57, 61, 66, 71-72, 79, 97, 101, 103-104, 106-109, 112-117, 119, 121, 126, 128, 131, 133, 135, 173, 175, 177 Wiedergeburt siehe Erneuerung 50, 158

Sachregister Wiederkehr 21 Wien 10, 16-21, 24, 29-30, 34-38, 71-72, 150, 165 Wiener Burgtheater 19-20, 72 Wiener Kreis 26, 35-37, 155 Wiener Literatur 27 Wiener Rundschau 21 Wir 172-174 Wir-Existenz 123 Wirheit 123, 177 Wirklichkeit 14-15, 19-20, 30-32, 35, 48, 68, 73, 95-96, 98, 103, 105, 107, 110, 113, 116, 118-119, 122-123, 127, 135136, 140, 145, 175-176, 178, 180-181 –, die dialogische 143 Wirsagen 120-121 Wissenschaft 23-24, 31, 37, 58, 77-78, 131 Wort 9-11, 13-15, 17, 23-26, 29-31, 33-34, 38, 41-43, 45, 47-48, 55-59, 61-63, 6668, 70-72, 74-75, 81, 83, 87, 90-93, 99100, 104, 112, 116-120, 122, 125-128, 130-137, 140-141, 143, 145, 147, 154, 156, 163, 171, 178-182 –, das gesprochene 139 Wörter 153-154, 156 Wortgebild 134 Wortschöpfung 75, 154 Yin und Yang 106 Zeus 123 Zionismus 157 Zweisprachigkeit 58, 63, 89, 91, 163 Zweiter Weltkrieg 98, 185 Zwischen, das 15, 23, 30, 44, 53, 57, 65, 72, 121, 127 Zwischenmensch 15 Zwischenmenschliche, das 15

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Personenregister Adler, Paul (1876-1946): östr. Schriftsteller und Sachbuchautor; 1912-20 in Hellerau; Freund Jakob Hegners. 165 Adler, Victor (1852-1918): östr. Arzt und sozialdemokratischer Politiker. 37 Agnon, Shmuel Josef, eig. Czaczkes (1888-1970): hebr. Dichter und Schriftsteller galizischer Herkunft; 1907-13 in Palästina, 1913-24 in Berlin; ab 1924 in Palästina; plante die Herausgabe eines Corpus Chassidicum mit Martin Buber; 1966 gemeinsam mit Nelly Sachs Nobelpreis für Literatur. 18 Altenberg, Peter, eig. Richard Engländer (1859-1919): östr. Schriftsteller; wird der Literatengruppe »Jung Wien« zugerechnet; mit Buber befreundet. 10 Anaximander (um 612-545 v. d. Z.): griech. Philosoph der vorsokratischen Periode; Nachfolger der milesischen Schule. 110 Andreas-salomé, Lou (1861-1937): dt.-russ. Schriftstellerin und Psychoanalytikerin; verfaßte 1910 den Band Die Erotik für Bubers Reihe Die Gesellschaft; ab 1912 Schülerin Sigmund Freuds. 15 Bachtin, Michail (1895-1975): russ. Literaturtheoretiker und Philosoph; von Buber beeinflußt. 183 Bacon, Francis (1561-1626): engl. Philosoph und Vertreter der empirischen Schule. 25 Baeck, Leo (1873-1959): dt. Rabbiner und Religionsphilosoph; Ausbildung in Berlin und Breslau; zwischen 1897 und 1933 rabbinische Tätigkeit in Oppeln, Düsseldorf und Berlin; 1933 Präsident d. Reichsvertretung dt. Juden; 1943 Internierung in Theresienstadt; nach 1945 Lehrtätigkeit in London und Cincinnati. 168 Bahr, Hermann (1863-1934): östr. Schriftsteller, Essayist und Kulturkritiker des Fin de Siècle; wird der Literatengruppe »Jung Wien« zugerechnet. 10, 12, 19-20, 3435 Barth, Karl (1886-1968): Schweizer Theologe und religiöser Sozialist; 1921 Prof. für reformierte Theologie in Göttingen, 1925-29 Prof. für Dogmatik und Neues Testament in Münster. 49 Begin, Menachem (1913-1992): isr. Staatsmann russ. Herkunft; in seiner Jugend Mitglied der Haschomer Hatzair Bewegung, 1932 Leiter der Betar Gruppe in Polen; 1942 Emigration nach Palästina; Organisator der Oppositionspartei Cherut; 1977-83 isr. Premierminister. 170 Ben-Chorin, Schalom, eig. Fritz Rosenthal (1913-1999): Religionsphilosoph und Schriftsteller; ab 1935 in Palästina; Schüler Bubers an der Hebräischen Universität Jerusalem. 168 Ben-gurion, David (1886-1973): isr. Staatsmann poln. Herkunft; seit 1906 in Palästina; führend in der Arbeiterpartei Mapai; stark beeinflußt von der Philosophie Baruch Spinozas; 1948-53 und 1955-63 Premierminister und Verteidigungsminister. 170

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Bendavid, Lazarus (1762-1832): dt. Philosoph und Reformer; 1806-1825 Direktor der Freischule in Berlin. 69 Benjamin, Walter (1892-1940): dt. Philosoph und Literaturkritiker; mit Florens Christian Rang und Gershom Scholem befreundet; stand Buber zunehmend kritisch gegenüber; beging nach gescheiterter Flucht Selbstmord an der span. Grenze, um der möglichen Auslieferung an die Nazis zu entgehen. 163, 169 Ben-jehuda, Eliezer, eig. Perlman (1858-1923): hebr. Linguist russ. Herkunft und Pionier der modernen hebräischen Sprache; 1881 Emigration nach Palästina, wo er den ersten modern hebr. Haushalt gründete. 158 Bergman[n], Shmuel Hugo (1883-1975): östr. Philosoph und Zionist unter dem Einfluß der Franz Brentano Schule; Mitglied des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; eng befreundet mit Martin Buber; Übersetzer bedeutender philosophischer Werke (u. a. Immanuel Kant) ins Hebräische; 1920 Emigration nach Palästina; Mitbegründer des Brith Schalom; von 1935-38 Rektor der Hebräischen Universität Jerusalem. 13, 64 Berkeley, George (1685-1753): irischer Philosoph und anglikanischer Bischof von Cloyne; bekannt durch seine erkenntnistheoretischen Schriften. 33 Bialik, Chaim Nachman (1873-1934): hebr. Dichter und Schriftsteller russ. Herkunft; ab 1921 in Berlin; 1924 Emigration nach Palästina. 63 Binswanger, Ludwig (1881-1966): Schweizer Arzt und Psychiater; Begründer der »Daseinsanalyse«, beeinflußt von Wilhelm Dilthey, Edmund Husserl und Martin Heidegger; mit Martin Buber befreundet. 65, 120, 128, 176-178 Bismarck, Otto v. (1815-1898): dt. Staatsmann, ab 1962 Ministerpräsident und Außenminister; Idealfigur nationaldeutscher Gruppen um die Jahrhundertwende. 34 Bjerre, Poul (1876-1964): schwed. Psychologe; Mitglied des Potsdamer Forte-Kreises. 152-153 Blei, Franz (1871-1942): östr. Novelist und Lustspielautor, Herausgeber der Summa-Schriften und Übersetzer; 1938 Emigration nach Frankreich, 1941 nach New York. 165 Bloemers, Henri Petrus Johan (1880-1947): Gründungsmitglied des Internationalen Instituts für Philosophie. 75, 151, 153 Borchardt, Rudolf (1877-1945): dt. Lyriker, Essayist und Übersetzer; korrespondierte mit Buber seit 1907. 10 Borel, Henri Jean François (1869-1933): niederl. Sinologe, Journalist und Schriftsteller; Beamter für chinesische Angelegenheiten in Niederländisch-Indien; Mitglied des Forte-Kreises. 49, 75, 151-153, 155-156 Brod, Max (1884-1968): östr. Schriftsteller, Literaturhistoriker und Philosoph; Biograph Franz Kafkas; Mitglied des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; 1939 Emigration nach Palästina; Dramaturg der Gruppe Habima in Tel Aviv. 28 Brouwer, Luitzen Egbertus Jan (1881-1966): holl. Mathematiker und Philosoph. 75, 130, 151-157

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Brunner, Constantin, eig. Leo Wertheimer (1862-1937): dt. Journalist, Privatgelehrter und Philosoph. 40-41 Buber, Adele (gest. 1911): Großmutter Martin Bubers. 17-18, 69-70 Buber, Carl (1848-1935): Vater Martin Bubers. Fabrikant in Wien, später Galizien. 70 Buber (-Winkler), Paula, Pseud. Georg Munk (1877-1958): dt. Schriftstellerin und Philozionistin; Gattin Martin Bubers. 178 Buber, Salomon (1827-1906): Großvater Martin Bubers; Großgrundbesitzer in Galizien und Repräsentant der Austro-Ungarischen Bank und der Galizischen Sparkasse; Präsident der Lemberger Handelskammer; jüd. Gelehrter und wiss. Herausgeber und Bearbeiter von Midraschim. 17-18, 69-71 Buddha, eig. Sidharta Gautama (um 560-480 v. d. Z.): ind. Adeliger; Stifter des Buddhismus. 33 Bühler, Karl (1879-1963): dt. Sprachphilosoph und Psychologe. 66 Bultmann, Rudolf (1884-1976): dt. prot. Theologe; unter dem Einfluß der dialektischen Theologie und Existenzphilosophie; strebte nach einer Entmythologisierung des Neuen Testaments. 183 Burckhard, Max Eugen (1854-1912): 1889-98 Direktor des Wiener Burgtheaters; brachte die naturalistischen Dramen Henrik Ibsens und Gerhart Hauptmanns nach Wien. 19 Burckhardt, Carl Jakob (1891-1974): Schweizer Historiker, Schriftsteller und Diplomat; befreundet mit Hugo v. Hofmannsthal; 1944-49 Präsident des Internationalen Roten Kreuzes. 167, 181 Carnap, Rudolf (1891-1970): dt. Philosoph und Mitbegründer des Wiener Kreises. 186 Cassirer, Ernst (1874-1945): dt. Philosoph und Geistesgeschichtler; Schüler Hermann Cohens in Marburg; 1933 Emigration nach England, 1941 in die USA. 66, 186 Chagall, Marc (1887-1985): franz. Künstler russ. Herkunft; berühmt durch seine symbolistischen und phantastisch-folkloristischen Arbeiten mit jüdischen Themen. 168 Claudel, Paul (1868-1955): franz. Schriftsteller, Dramatiker und Diplomat; bedeutender Repräsentant des »Renouveau catholique français«; 1913 Zusammenarbeit mit Jakob Hegner und Buber in Hellerau. 165-166 Cohen, Hermann (1842-1918): dt. Philosoph des Neokantianismus, Mitbegründer der Marburger Schule; ab 1912 Lehrtätigkeit an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. 157 Comte, Auguste (1798-1857): franz. Philosoph und Begründer des Positivismus. 34 Däubler, Theodor (1876-1934): östr. Dichter und Essayist des Expressionismus; Mitglied des Forte-Kreises. 152

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Dehler, Thomas (1897-1967): dt. Politiker und Jurist; 1949-53 Bundesjustizminister. 167 Dehmel, Richard (1863-1920): dt. Schriftsteller des Jugendstil; 1897 Mitbegründer der Zeitschrift Pan. 29 Dilthey, Wilhelm (1833-1911): dt. Philosoph, Geistes- und Literaturgeschichtler; Begründer der verstehenden Geschichtswissenschaft; Lehrer Martin Bubers an der Universität Berlin. 22-23, 62, 176 Ebner, Ferdinand (1882-1931): östr. Volksschullehrer, kath. Denker und Sprachphilosoph. 9, 55-58, 60, 66, 176 Meister eckhart (um 1260-1328): dt. Theologe und Mystiker; sein Werk wurde um die Jahrhundertwende von Repräsentanten der wilhelminischen Gegenkultur, etwa Gustav Landauer, wiederentdeckt. 29-30, 33, 79 Eeden, Frederik Willem van (1860-1932): niederl. Dichter, Arzt und Lebensreformer; 1887 Gründer der ersten Klinik für Psychotherapie in Holland; 1899 Gründer der Siedlungskolonie »Walden«; Mitglied des Forte-Kreises. 49, 75, 152-155, 157 Ehrenberg, Hans (1883-1958): dt. Philosoph und prot. Geistlicher; Cousin Franz Rosenzweigs; ab 1910 Privatdozent für Philosophie in Heidelberg; ab 1925 Pfarrer in Bochum-Altstadt; 1938 KZ Sachsenhausen; 1939 Emigration nach England; 1947 Rückkehr nach Deutschland. 49, 57 Ehrenberg, Rudolf (1884-1969): dt. Physiologe; Cousin Hans Ehrenbergs. 49, 5354, 57, 60-61 Einstein, Albert (1879-1955): dt. Mathematiker und Physiker; Begründer der Relativitätstheorie; Lehrtätigkeit an den Universitäten Zürich, Prag und Berlin; 1921 Nobelpreis; 1933 Emigration in die USA. 186 Feuerbach, Ludwig (1804-1872): dt. Philosoph der Junghegelianischen Schule. 37 Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814): dt. Philosoph des Idealismus. 69 Ficker, Ludwig v. (1880-1967): Herausgeber der Innsbrucker Zeitschrift Der Brenner. 55, 57 Fleg, Edmond (1874-1963): franz. Philosoph, Schriftsteller und sozialistischer Zionist; Verfasser einer Geschichte des Antisemitismus. 172 Fox, Marvin (geb. 1922): amerik. Rabbiner und Philosoph. 186 Freud, Sigmund (1856-1940): östr. Mediziner und Kulturphilosoph; Begründer der Psychoanalyse; 1938 Emigration nach England. 65, 176 Friedman, Maurice (geb. 1921): amerik. Kultur- und Religionswissenschaftler; Übersetzer der Werke Martin Bubers ins Amerikanische und Buber-Biograph. 52, 149-150, 170, 172, 174, 176-179, 183-186 Fromm, Erich (1900-1980): dt. Psychologe und Sozialphilosoph; 1934 Emigration in die USA. 183 George, Stefan (1868-1933): dt. Dichter von besonderem Einfluß auf seine Generation; seit 1907 Mittelpunkt eines Jüngerkreises, der sich als das »Geheime Deutschland« verstand. 29, 132

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Georgi, Arthur (1902-1970): dt. Verleger in Berlin; amtierender Sekretär des Friedenspreises des dt. Buchhandels. 167 Georgiades, Thrasybulos (1907-1977): dt. Philosoph und Musikwissenschaftler griech. Herkunft. 178-180 Ginneken, Jacques van (1872-1945): niederl. Linguist und Mitbegründer des Signifischen Kreises. 157 Glatzer, Nahum Norbert (1903-1990): Historiker, Schüler Martin Bubers an der Universität Frankfurt; 1933 Emigration nach Palästina, 1935 in die USA. 17 Goes, Albrecht (1908-2000): dt. prot. Pfarrer, Dichter und Essayist; mit Buber befreundet. 149, 168 Goethe, Johann Wolfgang v. (1749-1832): Dichter, Humanist und Universalgelehrter der dt. Klassik. 10, 45, 97, 126-127 Gogarten, Friedrich (1887-1967): dt. prot. Theologe; wichtiger Vertreter der dialektischen Theologie. 57, 179 Goldmann, Nahum (1895-1982): dt. Zionist russ. Herkunft; 1915-33 in Berlin, dann Emigration in die USA; bis 1968 Präsident des Jüdischen Weltkongresses; Mitherausgeber der Encyclopaedia Judaica. 157 Grimm, Jacob (1785-1863): dt. Sprachhistoriker und Herausgeber eines Wörterbuchs der dt. Sprache (mit Wilhelm Grimm [1786-1859]). 51, 127, 129-130 Guardini, Romano (1885-1968): dt. kath. Theologe und Religionsphilosoph ital. Herkunft; von großem Einfluß auf die kath. Jugendbewegung; Vertreter einer dialogischen Philosophie; mit Buber seit 1922 bekannt. 167, 178-180 Gutkind, Erich (1877-1965): dt. Schriftsteller und Sozialphilosoph; Mitglied des Forte-Kreises; 1919 Leiter des jüd. Volksheims in Berlin; 1933 Emigration nach England, 1934 in die USA. 49-50, 152 Haan, Jacob Israël de (1881-1924): holl. Schriftsteller, Rechts- und Sprachphilosoph; ab 1903 Zionist; enger Vertrauter Frederik Van Eedens und Luitzen Brouwers; Mitwirkender am Amsterdamer Institut für Philosophie; 1919 Emigration nach Palästina. 151, 154 Halevi, Jehuda (1086-1140): span. Dichter und Philosoph; berühmt durch seine philosophische Apologie des Judentums (Das Buch Kuzari); vom Zionismus ob seiner protozionistischen Hymnen wiederentdeckt. 61 Hamann, Johann Georg (1730-1788): dt. Philosoph und Sprachdenker der Aufklärung. 33, 47-49, 51, 54-55, 60, 66, 132 Hauptmann, Gerhart (1862-1946): dt. naturalistischer Dramatiker und Erzähler; 1912 Nobelpreis für Literatur. 19 Hauschner, Auguste (1852-1924): östr. Schriftstellerin aus dem Prager Kreis; Cousine Fritz Mauthners und Mäzenatin Gustav Landauers. 39-40 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831): dt. Philosoph des Idealismus. 140 Hegner, Jakob (1882-1962): dt. Verleger, Dichter und Übersetzer östr. Herkunft. 67, 93, 165-166 Heidegger, Martin (1889-1976): dt. Philosoph, der Existenzphilosophie zugerech-

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net; 1928 Nachfolger Edmund Husserls in Freiburg. 36, 66-67, 83, 112, 120, 125-126, 128-129, 132, 140, 174, 176-183 Heim, Karl (1874-1958): dt. prot. Theologe. 183 Heine, Heinrich (1797-1856): dt. Schriftsteller und Verfasser philosophischer Aufsätze; wichtiger Vertreter der revolutionären Demokratie; 1830 freiwilliges Exil in Paris; zwischen 1843 und 1844 kurzfristige Zusammenarbeit mit Karl Marx. 170 Heisenberg, Werner (1901-1976): dt. Physiker und Philosoph; berühmt durch seine Forschungen in der Elementarphysik. 181 Heraklit von Ephesos (um 500 v. d. Z.): griech. Philosoph. 65, 103-107, 110-112, 117-120, 123, 172, 174, 176-178,180 Herder, Johann Gottfried (1744-1803): dt. Philosoph der Aufklärung und Vorbereiter der dt. Klassik. 47, 69 Herzl, Theodor (1860-1904): östr. Schriftsteller, Dramatiker und Journalist; Begründer des modernen politischen Zionismus. 157, 159 Hesse, Hermann (1877-1962): dt. Schriftsteller, seit 1926 in der Schweiz; 1946 Nobelpreis für Literatur. 167 Heuss, Theodor (1884-1963): dt. Publizist, Historiker und Staatsmann; 1949-59 Bundespräsident. 167 Hofmannsthal, Hugo v. (1874-1929): östr. Dichter, Dramatiker und Essayist; wird der Literatengruppe »Jung Wien« zugerechnet; mit Buber seit 1897 in Verbindung. 10, 15, 18-29, 34-35, 38-39, 41, 45 Hölderlin, Friedrich (1770-1843): dt. Dichter, Übersetzer und Verfasser philosophischer Aufsätze; um die Jahrhundertwende wiederentdeckt durch Wilhelm Dilthey und Norbert v. Hellingrath. 12, 45-46, 48, 51, 69, 83-84, 123, 160-161, 175 Hönigswald, Richard (1875-1947): östr. Philosoph und Sprachphilosoph, beeinflußt u. a. von Ernst Mach. 129 Humboldt, Wilhelm von (1767-1835): dt. Philologe und Staatsmann. 66, 69, 129 Hume, David (1711-1776): schott. Philosoph und Aufklärer; wichtiger Repräsentant des neuzeitlichen Skeptizismus. 33 Husserl, Edmund (1859-1938): dt. Philosoph und Begründer der modernen Phänomenologie. 176 Huxley, Aldous (1894-1963): engl. Schriftsteller und Philosoph; berühmt durch seine Experimente mit Rauschzuständen. 65, 113-116, 172 Ibsen, Henrik (1828-1906): norw. Dramatiker des Naturalismus. 19 Israeli, Isaak (um 855-955): Arzt und Philosoph; Verfasser metaphysischer Werke in arabischer Sprache. 77 Jacobi, Friedrich Heinrich (1743-1819): dt. Philosoph und Sprachphilosoph. 33, 69 Jankelevitch, Vladimir (1903-1985): franz. Philosoph; 1951-1978 Professor für Moralphilosophie an der Sorbonne. 172 Jaspers, Karl (1883-1969): Schweizer Arzt und Philosoph; wichtiger Vertreter der Existenzphilosophie; befreundet mit Hannah Arendt. 167, 177, 179, 183, 186

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Jean paul, eig. Johann Paul Richter (1763-1825): dt. Schriftsteller der Romantik. 69 Jerusalem, Wilhelm (1854-1923): östr. Philosoph und Pädagoge an der Univ. Wien; 1894-1902 Dozent an der Jüdisch Theologischen Lehranstalt in Wien. 35, 37, 72 Jodl, Friedrich (1849-1914): dt. Philosoph; seit 1896 an der Univ. Wien; Herausgeber der Werke Ludwig Feuerbachs; Martin Bubers Doktorvater. 37-38, 72 Joseph ii (1741-1790): 1765-1790 Kaiser der Habsburgmonarchie; Initiator aufklärerischer Reformen. 19 Jung, Carl Gustav (1875-1961): Schweizer Psychologe und Psychiater; Schüler, dann Kritiker Sigmund Freuds. 66, 173, 175-177 Jünger, Ernst (1895-1998): dt. Erzähler, philosophischer Essayist und Reiseschriftsteller. 179 Jünger, Friedrich Georg (1898-1977): Bruder Ernst Jüngers; Lyriker, Essayist, Romancier. 178 Kafka, Franz (1883-1924): östr. Dichter, dem Prager Kreis um Max Brod, Felix Weltsch und Franz Werfel nahe. 28, 168 Kandinsky, Wassily (1866-1944): russ. Avantgardist, Theosoph und wichtiger Repräsentant des minimalistischen Konstruktivismus; peripheres Mitglied des ForteKreises. 49 Kant, Immanuel (1724-1804): dt. Philosoph; Erneuerer der Metaphysik durch Verbindung skeptischer und idealistischer Denktraditionen; Begründer der klassischen dt. Philosophie. 34, 53, 77 Kaufmann, Fritz (1891-1958): Philosoph, Student Edmund Husserls in Freiburg; 1934 Emigration in die USA. 186 Kaufmann, Riwka (1896-1953); dt. Bildhauerin und Künstlerin; erste Frau von Ludwig Strauß. 44 Kierkegaard, Søren (1813-1855): dän. Philosoph; Vorläufer der modernen Existenzphilosophie und der prot. Theologie nach dem Ersten Weltkrieg. 120, 176 Klatzkin, Jakob (1882-1948): Philosoph, hebr. Essayist und Zionist; Übersetzer der Werke Spinozas ins Hebräische; Herausgeber des ersten hebräischen Wörterbuchs philosophischer Begriffe; Initiator der Encyclopaedia Judaica. 77-78, 157-159 Klee, Hans (?): Herausgeber des Israelitischen Wochenblattes, Zürich. 171 Kohn, Hans (1891-1971): östr. Historiker des Nationalismus; Philosoph, Zionist und erster Biograph Bubers; Mitglied des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; 1934 Emigration in die USA. 9-10, 46, 166, 172, 183, 186 Kolb, Walter (1902-1956): dt. Politiker; ab 1946 Frankfurter Bürgermeister. 167 Kraft, Werner (1896-1991): dt. Dichter und Literaturwissenschaftler; 1933 Emigration nach Schweden und Frankreich, 1934 nach Palästina; Freund und regelmäßiger Gesprächspartner des späteren Martin Buber. 125-126, 164 Kranz, Walter (1884-1960): dt. Altphilologe. 118 Kraus, Karl (1874-1936): östr. Schriftsteller, Dramatiker, Essasyist und Herausgeber

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der Zeitschrift Die Fackel, die das Sprachbild der Wiener Moderne wesentlich beeinflußte. 30-31, 55, 66, 125 Krochmal, Nachman (1785-1840): hebr. Historiker und Philosoph unter dem Einfluß G. W. F. Hegels; Vorläufer der Wissenschaft des Judentums. 77 Lagerlöf, Selma (1859-1940): schwed. Schriftstellerin. 53 Landauer, Gustav (1870-1919): dt. Schriftsteller und antimarxistischer Anarchist; bedeutender Repräsentant der wilhelminischen Gegenkultur; ab Herbst 1918 in der Münchener Revolution aktiv; Volksbeauftragter für Volksaufklärung in der Bayerischen Räterepublik; enger Vertrauter Fritz Mauthners und Bearbeiter von dessen Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3 Bde. (1901-1902); seit 1899 eng befreundet mit Martin Buber; 1919 Ermordung durch Soldaten der Reichswehr. 15-16, 19, 28-30, 32, 34, 38, 40-43, 46, 49, 127, 152-153, 155-157 Laotse, auch Lao Tsu (4. od. 3. Jh. v. d. Z.): chin. Philosoph; Stifter des Taoismus. 106, 117 Leibniz, Gottfried W. (1646-1716): dt. Philosoph und Mathematiker. 129 Lewinsky, Josef (1835-1907): Burgschauspieler von 1858-1907. 20 Locke, John (1632-1704): engl. Philosoph, beeinflußt von Francis Bacon; wichtiger Wegbereiter der Aufklärung und des politischen Liberalismus. 33, 130 Lorenzetti, Ambrogio (1285-1348): ital. Maler der Frührenaissance. 97 Ludwig, Otto, eigentl. Cohn (1881-1948): Schriftsteller, Übersetzer und Verfasser wichtiger Biographien über Goethe, Napoleon und Bismarck. 34 Luther, Martin (1483-1546): dt. Theologe und Bibelübersetzer; 1517 Publikation der »95 Thesen« als Kritik der Kirche Roms; Urheber des Reformationszeitalters und der prot. Konfession. 60 Mach, Ernst (1838-1916): östr. Physiker, Physiologe und Philosoph; 1895-1901 Prof. an der Univ. Wien, wo ihn auch Buber hörte; Vertreter des Empiriokritizismus und Ahnherr der Relativitätstheorie; übte großen Einfluß auf das literarische Wien der Jahrhundertwende und auf den dort entstehenden Wiener Kreis aus. 33-35, 37, 44, 72 Malinowski, Bronislaw (1884-1942): poln. Kultur- und Sprachphilosoph. 66 Mannoury, Gerrit (1867-1956): holl. Mathematiker; Mitbegründer des Amsterdamer Instituts für Philosophie. 151, 155, 157 Maria theresia (1717-1780): 1740-1780 Kaiserin des Habsburgreiches. 16, 19 Maritain, Jacques (1882-1973): franz. kath. Philosoph; Vertreter des Neo-Thomismus. 183 Massignon, Louis (1883-1962): franz. Orientalist; Forscher islamischer Mystik. 79 Mauriac, François (1885-1970): franz. Journalist und Schriftsteller. 172 Mauthner, Fritz (1849-1923): östr. Schriftsteller, Kritiker, und Philosoph; berühmt durch seine sprachphilosophischen Schriften; eng befreundet mit Gustav Landauer; seit 1905 bekannt mit Martin Buber. 16, 18-19, 24, 28-41, 43, 47, 50, 58, 66, 127, 152, 157

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Meier, Walther (?): Hrsg. d. Neuen Schweizer Rundschau und Leiter des Manesse Verlags. 162 Mitterwurzer, Friedrich (1844-1897): Schauspieler; zwischen 1871 und 1897 am Wiener Burgtheater. 23 Müllner, Laurenz (1848-1911): östr. kath. Theologe und Phil.; wechselte 1896 von der Theologischen Fakultät der Univ. Wien zur Philosophischen; Zweitbegutachter der Dissertation Martin Bubers. 38 Musil, Robert (1880-1942): östr. Schriftsteller. 34 Neske, Günther (1913-1997): dt. Verleger; 1951 Gründer des Günther Neske Verlags Pfullingen; Hauptherausgeber der Schriften Martin Heideggers. 67 Nietzsche, Friedrich (1844-1900): dt. Philosoph; übte starken Einfluß auf die Lebensphilosophie und den Ästhetizismus der Jahrhundertwende aus. 12, 21, 29, 33-34, 42, 46, 134, 145 Nurock, Mordechai (1879-1962): Orthodoxer Rabbiner und isr. Politiker russ. Herkunft; aktiv in der religiös-zionistischen Bewegung in Riga und Minsk; 1948 Emigration nach Israel, Mitglied der Knesset für die orthodoxe Mizrachi Partei; 1952 Präsidentschaftskandidat. 170 Ockham, Wilhelm v., siehe William von ockham. Ornstein, Leonard Salomon (1880-1941): theoret. Physiker an der Univ. Utrecht. 151-152 Otto, Walter F. (1874-1958): dt. Altphilologe. 179 Perez, Jitzchak Leib (1852-1915): Jiddischer und hebr. Schriftsteller. 10, 63 Picht, Werner (1887-1960): dt. Schriftsteller, Heereshistoriker und George-Forscher. 49 Pinski, David, Pseud. D. Puls (1872-1959): jiddischer Dramatiker und Erzähler, dessen Werke u. a. Martin Buber übersetzte. 10, 59, 73, 150-151 Platon (um 428-348 v. d. Z.): griech. Philosoph; Begründer der abendländischen Metaphysik. 122, 129 Plutarch von Chaironeia (ca. 45-ca. 120 u. Z.): griech. Moralphilosoph; wird der athen. Schule des Neuplatonismus zugerechnet. 103 Podewils, Clemens Graf v. (1905-1978): dt. Journalist und Schriftsteller. 179, 181 Preetorius, Emil (1883-1973): Präsident der Bayerischen Akademie der schönen Künste. 178-179, 181 Radler-feldman, Jehoschua, Pseud. Rabbi Benjamin (1880-1957): hebr. Publizist und Schriftsteller; seit 1907 in Palästina; Mitbegründer des Brith Schalom und der Ichud-Bewegung; Redakteur der Zeitschrift Ner. 169 Rabbi Benjamin (Pseud.) siehe Radler-Feldman, Jehoschua Rahner, Karl (1904-1984): dt. kath. Theologe. 179 Rang, Florens Christian (1864-1924): dt. prot. Geistlicher und Schriftsteller; Mitglied des Forte-Kreises; mit Buber befreundet. 13, 49-50, 152 Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo Jitzchaki (1040-1105): bedeutendster Talmud- und Bibelexeget; lebte und wirkte in Troyes, Nordfrankreich. 71

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Rathenau, Walter (1867-1922): dt. Schriftsteller, Industrieller und Politiker; Außenminister in der Weimarer Republik (1918-22); von Rechtsradikalen auf offener Straße ermordet. 49, 153 Reinhardt, Karl (1886-1958): dt. Altphilologe. 118 Rilke, Rainer Marie (1875-1926): östr. Dichter. 91 Rogers, Carl Ransom (1902-1987): amerik. Psychologe; führte 1957 ein Gespräch mit Buber über Psychotherapie. 66 Rosenfeld, Morris (1862-1923): jidd. Dichter im revolutionären Stil; 1886 Emigration in die USA. 73 Rosenstock-huessy, Eugen (1888-1973): dt. Sprachphilosoph, Rechtshistoriker und Soziologe; Calvinist jüd. Herkunft; Gründer der »Akademie der Arbeit« in Frankfurt; Privatdozent der Rechtswissenschaft an der Universität Leipzig, wo er 1913 Franz Rosenzweig begegnet; 1916 Briefwechsel mit Rosenzweig über Judentum und Christentum; 1923-34 Prof. in Breslau, dann Emigration in die USA. 9, 49-54, 57, 60, 66, 139-141, 183-185 Rosenzweig, Franz (1886-1929): dt. Philosoph, jüd. Denker, Übersetzer und Pionier jüd. Erwachsenenbildung; von 1925-1929 Zusammenarbeit mit Martin Buber an einer Bibelübersetzung. 9-10, 13, 27, 49-51, 53-54, 57, 60-63, 131, 163, 166, 174, 184 Sapir, Edward (1884-1939): amerik. Linguist. 132 Schach, Fabius (1868-1930): dt. Zionist russ. Herkunft; Mitbegründer der zionist. Bewegung in Deutschland und Redakteur zahlreicher zionist. Zeitschriften. 59 Schadewaldt, Wolfgang (1900-1974): dt. Altphilologe. 181 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775-1854): dt. Theologe und Philosoph; Vertreter des »Deutschen Idealismus«. 46, 77, 161 Schiller, Friedrich v. (1759-1805): Dichter der dt. Klassik. 17, 29, 69 Schilpp, Paul Arthur (1897-): amerik. Philosoph deutscher Herkunft; Herausgeber der Reihe Library of Living Philosophers. 149, 185-186 Schmelke von Nikolsburg (gest. 1778): Zaddik; Schüler des »großen Maggid« Dov Bär von Mesritsch (gest. 1772). 69 Schmidt, Karl (1873-1948): Meistertischler und Mitbegründer des Werkbundes in Hellerau. 165 Schneider, Lambert (1900-1970): dt. Verleger in Berlin; Anreger der Buber-Rosenzweig Übersetzung der Bibel; 1931-38 Leiter des Schocken Verlags; Hauptherausgeber der Schriften Bubers nach dem Zweiten Weltkrieg. 60, 64 Schnitzler, Arthur (1862-1931): östr. Dramatiker und Erzähler, berühmt durch seine psychologische Erzählweise; wird der Literatengruppe »Jung Wien« zugerechnet. 10, 19 Scholem, Gershom (Gerhard) (1897-1982): dt. Religionswissenschaftler, Historiker und Philosoph; Pionier der mod. Kabbalah-Forschung; seit 1923 in Palästina; 1933 Prof. für jüd. Mystik an der Hebräischen Universität; seit seiner Jugend mit

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Buber befreundet, später jedoch kritisch gegenüber dessen Auffassung des Chassidismus. 169 Schopenhauer, Arthur (1788-1860): dt. Philosoph; beeinflußte Richard Wagner und Friedrich Nietzsche. 21, 42 Schwarz, Hans (1890-1967): dt. Dramatiker und Verleger; Anreger des dt. Friedenspreises. 167 Schweitzer, Albert (1875-1965): dt. Arzt, Philosoph und prot. Theologe; 1913 Gründung des Tropenkrankenhauses in Lambarene; 1952 Friedensnobelpreis. 167 Seemann, Hermann (1863-1952): dt. Dichter und Verleger. 165 Senator, David Werner (1896-1953): Leiter div. sozialer Hilfsorganisationen; 193045 Mitglied der Exekutive der Jewish Agency; 1949-53 Vizepräsident der Hebräischen Universität. Bemüht um die Integration deutscher Juden in das Leben Palästinas. 169 Simon, Ernst Akiba (1899-1988): dt. Pädagoge und Philosoph; befreundet mit Martin Buber und Franz Rosenzweig; 1923-28 Redakteur der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude; 1928 Emigration nach Palästina; Mitglied des Brith Schalom; Mitarbeit an Bubers Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung, 1950-67 Prof. für Pädagogik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 13, 64, 151, 161 Smith, Ronald Gregor (1913-1968): schott. Theologe und erster Übersetzer von Ich und Du ins Englische (Edinburgh 1937). 12 Sokrates (um 470-399 v. d. Z.): griech. Philosoph, berühmt durch seine philosophischen Gespräche und seinen Märtyrertod. 128 Spinoza, Baruch, auch Benedikt de (1632-1677): niederl. Philosoph und Vorkämpfer der Aufklärung; wegen seiner Lehren aus der jüd. Gemeinde Amsterdam verbannt. 34, 78 Stirner, Max, eig. Caspar Schmidt (1806-1856): dt. Philosoph. 34 Stöhr, Adolf (1855-1921): östr. Philosoph; Prof. an der Univ. Wien in der Nachfolge von Ernst Mach und Ludwig Boltzmann. 35-37, 58, 72 Strauss, Ludwig, Pseud. Franz Quentin (1892-1953): dt. Dichter, Germanist und Übersetzer; Schwiegersohn Martin Bubers; 1935 Emigration nach Palästina, wo er Verfasser hebräischer Gedichte wurde. 44-46, 48, 63-64, 81, 83-84, 87, 89-92, 160-164 Tau, Max (1897-1976): dt. Verleger, Emigration nach Oslo; 1951 dt. Friedenspreis. 167 Thieme, Karl (1902-1963): dt. Historiker und prot., dann kath. Theologe; seit 1935 in der Schweiz; aktiv in der christlich-jüdischen Verständigungsarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg. 142-143, 183, 185 Thoreau, Henry David (1817-1862): amerik. Schriftsteller, Philosoph und Naturforscher, Vertreter des Transzendentalismus. 49 Tillich, Paul (1886-1965): dt. prot. Theologe; 1933 Emigration in die USA. 183

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Tönnies, Ferdinand (1855-1936): Begründer der einzelwiss. Soziologie; Autor von Gemeinschaft und Gesellschaft (1887). 155 Trietsch, Davis (1870-1935): dt. Zionist, Opponent Theodor Herzl. 59 Trüb, Hans (1889-1949): Schweizer Psychoanalytiker und -therapeut aus der Schule C. G. Jungs; Begründer der »Psychosynthese« unter dem Einfluß Martin Bubers. 175-177 Tschernichowski, Saul (1875-1943): hebr. Schriftsteller und radikaler Säkularist. 10 Tsur, Jakob (1906-1990): isr. Diplomat und Zionist russ. Herkunft; 1921 Emigration nach Palästina; 1953-1959 Botschafter in Paris. 172 Unwin, Stanley (1884-1968): brit. Verleger; Vorsitzender d. internationalen Verlegerunion. 167 Weidlé, Wladimir (1895-1979): franz. Kunsthistoriker und Philosoph. 181 Weil, Simone (1909-1943): franz. Philosophin, Pazifistin und Sozialistin; ab 1935 enge Auseinandersetzung mit dem Christentum; 1942 Emigration in die USA, doch im selben Jahr Rückkehr nach England. 168 Weiniger, Otto (1880-1903): östr. Philosoph und Psychosoph; unter dem Einfluß Ernst Machs; berühmt für sein umstrittenes Werk Geschlecht und Charakter (1902). 38 Weismantel, Leo (1888-1964): dt. Schriftsteller und Gründer des Patmosverlages. 49 Weiss, Paul (1901-): amerik. Philosoph und Herausgeber d. Zeitschrift Review of Metaphysics. 183 Weiss-rosmarin, Trude (1908-1989): geb. in Frankfurt; 1931 Emigration in die USA; 1932-1939 Leiterin der School of the Jewish Woman in New York; ab 1942 Herausgeberin der Zeitschrift The Jewish Spectator, New York. 170-171 Weizsäcker, Carl Friedrich v. (1912-): dt. Physiker und Philosoph. 178 Weizsäcker, Viktor v. (1886-1957): dt. Neurologe; lehrte an den Universitäten Heidelberg und Breslau; Mitbegründer der Psychosomatik und anthropologischen Medizin; 1926-29 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Kreatur mit Martin Buber und Joseph Wittig. 50, 140, 161, 179-180, 184 Welby, Victoria Lady (1837-1912): engl. Philosophin und Begründerin der Signifika Theorie; übte starken Einfluß aus auf Charles Pierce, Henri Bergson, Ferdinand Tönnies und die Gründer des Amsterdamer Internationalen Instituts für Philosophie. 154-155 William von ockham (um 1285-1349): engl. Philosoph der empirischen Schule und Vorläufer der modernen Wissenschaftstheorie. 33 Winz, Leo (1876-1952): Berliner Journalist; Herausgeber der jüd. Zeitschrift Ost und West; 1928-35 Herausgeber des Gemeindeblatts der Jüdischen Gemeinde zu Berlin; 1935 Emigration nach Palästina. 39, 59 Wittgenstein, Ludwig (1889-1951): östr. Philosoph und Sprachphilosoph; 19121913 Studium bei Bertrand Russell und G. E. Moore in Cambridge; zwischen

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1914 und 1928 verschiedene Tätigkeiten in Österreich; zwischen 1929 und 1951 in Cambridge; ab 1937 Nachfolger G. E. Moores. 30-31, 37, 55, 57 Wittig, Joseph (1879-1949): dt. kath. Kirchengeschichtler und Schriftsteller; 1903 zum kath. Priester geweiht; 1926 exkommuniziert; 1926-29 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Kreatur mit Martin Buber und Viktor v. Weizsäcker; 1948 wieder in die Kirche aufgenommen. 50, 140, 184 Woislavsky, Zwi (1889-1957): hebr. Schriftsteller und Übersetzer; 1934 Emigration nach Palästina. 64 Zinn, Georg August (1901-1976): dt. Politiker und Verfassungsrechtler; 1946-49 und 1950-62 hess. Justizminister; 1950-69 hess. Ministerpräsident. 167 Zlocisti, Theodor (1874-1943): dt. Mediziner und Zionist; Biograph des protozionistischen Schriftstellers Moses Hess und Herausgeber von dessen Werken; Mitarbeiter der Zeitschrift Ost und West. 59