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German Pages 460 Year 2005
Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und Peter Schäfer
Gütersloher Verlagshaus
Martin Buber Werkausgabe 8 Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Juliane Jacobi
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Inhalt Vorbemerkung 9 Einleitung 11 Referat über jüdische Erziehung (1917) 77 Zion und die Jugend (1918) 84 Jüdisch leben (1918) 93 Verständigungsgemeinschaft (1918) 104 Cheruth – Eine Rede über Jugend und Religion (1919) 109 Die Aufgabe (1922) 128 Über den deutschen Aufsatz (1922) 130 Universität und Volkshochschule (1924) 132 Rede über das Erzieherische (1926) 136 Volkserziehung als unsere Aufgabe (1926) 155 Philosophische und religiöse Weltanschauung (1928) 165 Verantwortung: Worte an die Jugend (1929) 169 Die Frage nach Jerusalem (1929) 171
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Inhalt
Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten. Ein Vortrag (1929) 173 Einige Leitsätze für Arbeitsgemeinschaften (1930) 183 Wie kann Gemeinschaft werden? (1930) 185 Die Jugend und der Zeitgeist. Ein Vortrag (1930) 200 Religiöse Erziehung (1931) 219 Warum gelernt werden soll (1931) 220 Wann denn? (1932) 223 Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule (1933) 228 Die Kinder (1933) 235 Entwürfe und Programme (1933) 238 Unser Bildungsziel (1933) 245 Ein jüdisches Lehrhaus (1933) 249 Aufgaben jüdischer Volkserziehung (1933) 252 Jüdische Erwachsenenbildung (1934) 256 Die Lehre und die Tat (1934) 257 Das pädagogische Problem des Zionismus. Ein Vortrag (1934) 265
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Inhalt
Bildung und Weltanschauung (1935) 279 Das Haltende – Ein Wort an die jüdische Jugend Deutschlands (1935) 287 Die Vorurteile der Jugend (1937) 288 13 Jahre Hebräische Universität (1938) 299 Nationale Erziehung (1939) 303 Ein waches Herz. Zum Gedenktag Schloschim von Jakov Sandbank (1939) 310 National and Pioneer Education (1941) 311 Die Bildung des Volkes im Lande und die hebräische Erziehung in der Diaspora (1943) 322 Advice to Frequenters of Libraries (1941) 325 Über Charaktererziehung (1947) 327 Erwachsenenbildung(1949) 341 Erwachsenenbildung (1950) 345 Über den Kontakt (1950) 359 Adult Education in Israel (1952) 360 Über die Zukunft der Universität (1953) 365 Erziehen. Zum 90. Geburtstag von Paul Geheeb (1960) 370
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Inhalt
Erwachsenenerziehung (1961) 371 Existenzielle Situation und dialogische Existenz (1966) 384 Kommentar 387 Abkürzungsverzeichnis 413 Quellen- und Literaturverzeichnis 415 Glossar 427 Stellenregister 433 Sachregister 434 Personenregister 448 Gesamtaufriß der Edition 462
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Vorbemerkung Viele Personen haben mir in den letzten fünf Jahren dabei geholfen, mich in die bisher historisch wenig erforschte Materie der Beziehung Martin Bubers zur »pädagogischen Welt« für die kritische Edition seiner Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung einzuarbeiten, und damit die Sammlung und kritische Herausgabe der weit verstreuten und über den sehr langen Zeitraum von fast fünfzig Jahren hin erschienenen Texte ermöglicht. Mein Dank gilt vor allem Frau Margot Cohn vom Martin Buber Archiv in Jerusalem für die jahrelange kompetente Hilfe seit meinem dreimonatigen Forschungsaufenthalt in Jerusalem im Frühjahr 2000. Meinem Freund Michael Nathan vom Kibbutz Bet Queshet schulde ich Dank für komplizierte Recherchen, die er übernahm, und Auskünfte, die sich auf Bubers Wirken in Israel bezogen sowie Gespräche über Bubers Beziehung zu Hermann (Menachem) Gerson. Elijahu Rosenow, Tel Aviv, und Chaim Seligmann aus dem Kibbutz Givat Brenner haben immer wieder für Auskünfte zur Verfügung gestanden. Shmuel Noah Eisenstadt und Dan Avnon verhalfen mir durch ihre Gesprächbereitschaft zu einem tieferen Verständnis der politischen und soziologischen Dimension des Buberschen Werkes. Meinen Potsdamer Mitarbeiterinnen Meike Baader, Ulrike Mietzner und Ulrike Pilarczyk danke ich für viele Gespräche über die Rolle der Religion in der deutschen Reformpädagogik und über die Mentalität junger zionistischer Menschen in den zwanziger und dreißiger Jahren in Deutschland und Israel. Ulrike Szameitat sei besonders gedankt, denn sie hat mit Umsicht, Gründlichkeit, Ausdauer und Geduld die notwendigen und aufwendigen technischen Arbeiten für diesen Band übernommen und Korrektur gelesen. Geholfen haben dabei Susanne Spahn, Sophie Klett und Sylke Hofmann. Martina Urban, Helen Przibilla und Heike Krajzewicz von der Arbeitsstelle Martin Buber Werkausgabe in Berlin haben immer wieder Auskünfte gegeben und weitergeholfen, wenn ich Fragen nicht beantworten konnte. Heike Krajzewicz danke ich vor allem auch für die kritische Lektüre der Einleitung und die Bearbeitung des Manuskripts. Bei der Manuskriptbearbeitung geholfen hat Helen Przibilla. Den Herausgebern der Martin Buber Werkausgabe danke ich für die Einladung zur Mitarbeit. Ohne die Anfrage von Paul Mendes-Flohr, ob ich die pädagogischen Schriften Martin Bubers herausgeben könne, hätte ich mich mit dem Werk Martin Bubers und den damit verbundenen Fragen zum Verhältnis von Juden und Deutschen, von deutscher Sprache
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Vorbemerkung
und Kultur und jüdischem Denken im Kontext der Erziehungsphilosophie des zwanzigsten Jahrhunderts nicht in dieser Weise auseinandergesetzt. Ihm gilt deshalb mein besonderer Dank. Berlin, im Sommer 2005
Juliane Jacobi
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Einleitung 1. Martin Buber als Erzieher und pädagogischer Autor Im Jahre 1936 lehnte Martin Buber einen Lehrstuhl für Pädagogik ab, der ihm von der Hebräischen Universität angeboten worden war. Erst 1937 nahm er den Ruf nach Jerusalem an, jetzt hatte man ihm einen Lehrstuhl für Sozialphilosophie angeboten. 1 Dieses biographische Detail allein spricht schon hinreichend gegen eine Vereinnahmung Bubers in die zunftmäßige Pädagogik, woran auch seine Aufnahme in die Klassiker der Pädagogik nichts ändern wird. 2 Allerdings hat Bubers Wirkung auf die Pädagogik im deutschsprachigen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg diese Aufnahme durchaus gerechtfertigt. Er selbst hat sich als Erzieher und Lehrer verstanden, jedoch offenbar nicht als Pädagoge. Es ist also wenig Systematisches zur Pädagogik von diesem Autor zu erwarten, selbst wenn wir den Begriff ausweiten und die Erwachsenenpädagogik mit einbeziehen. Gleichwohl gehört Buber zu den wenigen deutschsprachigen Autoren, deren pädagogische Schriften nach dem Zweiten Weltkrieg in größerem Umfang übersetzt wurden. Neben der Rezeption in Israel, die auch durch die Übersetzung seiner vor 1938 auf Deutsch publizierten Schriften ins Hebräische gefördert wurde, wurden Bubers pädagogische Schriften vor allem ins Englische übersetzt und stießen namentlich in den Vereinigten Staaten von Amerika auf eine Resonanz, die wohl wenige der deutschen »Klassiker der Pädagogik« für sich reklamieren können. Seine starke Wirkung auf das pädagogische Denken in Deutschland sowohl in der Zwischenkriegszeit als auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist jedoch erklärungsbedürftig. Und auch wenn seine Wirkung in Israel, der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Amerika schwächer war, war er dort aber keinesfalls unbedeutend. Zunächst ist auffällig, daß Buber bereits früh eine deutliche Affinität zu vielen Menschen zeigte, die sich praktisch und theoretisch der Pädagogik widmeten. 3 Daß er selbst wiederum auf viele pädagogisch tätige Men1. 2.
3.
Die hochschulpolitischen Hintergründe der Schwierigkeiten bei der Berufung, vor allem bei der Bestimmung der Fachrichtung sind halbwegs verläßlich bei G. Wehr, Martin Buber. Leben, Werk, Wirkung, Zürich 1991, S. 256 f. und S. 279 dargestellt. H. Scarbath/H. Scheuerl, Martin Buber, in: Klassiker der Pädagogik, Bd. 2, hrsg. von Hans Scheuerl, 2. überarb. Aufl., München 1991, S. 213-224. Auch die Neuausgabe hat ihn nicht aus dieser Kategorie entlassen. Den Artikel in H.-E. Tenorth (Hrsg.), Klassiker der Pädagogik, Bd. 2, München 2003, S. 112-122, schrieb Eliyahu Rosenow. Die große Zahl der Pädagoginnen und Pädagogen, mit denen er vom Beginn des Jahrhunderts an bis zu seinem Tod korrespondierte, belegt dies sehr eindrücklich.
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Einleitung
schen eine große Anziehungskraft und Wirkung ausübte, lag zum einen an den Grundgedanken seiner Philosophie, zum anderen aber auch in der ihm eigenen »Agogik«, dem ihm eigenen »Umgang mit Menschen«. Zugleich war es auch die frühe Nähe zur »Gegenkultur«4 der Jahrhundertwende, die seine Begegnung mit pädagogischen Themen fast unvermeidlich werden ließ. Lebensreform und Sozialreform nach 1900 ebenso wie die deutsche Jugendbewegung waren eng mit reformpädagogischen Ideen und Projekten verwoben, die heute unter dem Sammelbegriff Reformpädagogik zusammengefaßt werden. Als Lektor gab Buber seit 1906 Die Gesellschaft, eine Sammlung von Studien zur sozialen Psychologie heraus und kam dadurch mit namhaften Personen der ersten Welle der internationalen Reformpädagogik in Kontakt. 5 So gewann er Alfred Lichtwark (18521914) und Ellen Key (1849-1926) als Autoren, suchte Rudolf Scharrelmann (1871-1940) und Berthold Otto (1859-1933) vergeblich zu gewinnen, blieb aber mit Berthold Otto in Kontakt, da sein Sohn Rafael (1900-1990) zeitweilig dessen Hauslehrerschule in Lichterfelde bei Berlin besuchte. Der ursprüngliche Impuls für das pädagogische Interesse Bubers aber ging von seiner kulturzionistischen Orientierung aus. Die von ihm innerhalb der zionistischen Bewegung lebenslang vertretene Rückkehr zu den Wurzeln des Judentums veranlaßte ihn bereits 1902, gemeinsam mit Berthold Feiwel (1875-1937) und Chaim Weizmann (1874-1952) eine Schrift zur Gründung einer jüdischen Universität zu veröffentlichen, die zeigt, welch große Bedeutung Buber Bildung und Erziehung im Projekt der nationalen Wiedergeburt beimaß.6 Die Herausgebertätigkeit für die Zeitschrift Der Jude, mit deren Erscheinen er 1916 ein lang gehegtes zionistisches Projekt realisieren konnte, führte vor und während des Ersten Weltkrieges zu engen Kontakten mit jungen deutschsprachigen Juden aus Ost- und Mitteleuropa. Bubers Einfluß auf die jüdische, vor allem die zionistische Jugendbewegung in Deutschland, bereits vor dem Ersten Weltkrieg durch seine Reden über das Judentum 7 dokumentiert, wurde durch diese Publikation stark forciert. Zugleich entstand unter den akademisch Gebildeten in Deutschland nach dem Er-
4. 5. 6. 7.
Der Briefwechsel mit Elisabeth Rotten, von dem nur die Rottenschen Briefe erhalten sind, stellt einen der größten Corpora einer einzelnen Korrespondentin dar und umfaßt 206 Briefe und Postkarten aus dem Zeitraum 1921-1963. Arc. Ms. Var. 350/637. Bubers Briefe sind leider nicht erhalten. Vgl. M. Treml, Einleitung MBW, Bd. 1, S. 47-49. In dieser Reihe erschienen zwischen 1906 und 1912 bei Rütten & Loening 40 Hefte. M. Buber/B. Feiwel/C. Weizmann, Eine jüdische Hochschule – Das Projekt einer jüdischen Hochschule, Berlin: Jüdischer Verlag 1902. Zur Entstehung der Reden über das Judentum s. unten S. 16.
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Martin Buber als Erzieher und pädagogischer Autor
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sten Weltkrieg eine volkspädagogische Aufbruchstimmung, die durch den Umbruch des politischen Systems hervorgerufen worden war. Demokratie und Parlamentarismus forderten und ermöglichten den Aufbau von Erwachsenenbildungsinstitutionen in vorher ungeahntem Ausmaß. Bubers eigene Verankerung in der zionistischen Bewegung ermöglichte ihm eine rasche Anknüpfung an die Volksbildungsdiskurse, denn der Kulturzionismus mußte zur Erneuerung der jüdischen Tradition Bildungsformen entwickeln, die jenseits des allgemeinen Schulwesens und der Universität lagen. Gemeinsam mit dem Anglisten und zeitweiligen Lehrer an der Odenwaldschule Theodor Spira (1885-1961) und dem Darmstädter Rechtsanwalt Eduard Staedel (Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden) berief er die Heppenheimer Tagung zur Erneuerung des Bildungswesens von 1919 ein und zeigte damit sein starkes Engagement in den Bildungsdiskursen der Umbruchzeit nach 1918.8 Auf dem Programm der Heppenheimer Tagung stand die Diskussion um die Erneuerung der Volkshochschule, der Volksschule, der höheren Schule und der Universität, kurz des gesamten Bildungswesens. Paul Natorp (1854-1924) hielt ein Referat über die Einheitsschule, und die Teilnehmerliste weist einige namhafte Erziehungsreformer der Weimarer Republik auf, so den Leiter der Abteilung Volksbildung im preußischen Kultusministerium, Robert von Erdberg (1866-1929), Theodor Bäuerle (1882-1956) aus der württembergischen Bildungsadministration, Otto Erdmann (1883-1960) aus der Landerziehungsheimbewegung und Adolf Reichwein (1898-1944). Auch wenn diese Tagung keine große öffentliche Resonanz fand 9 , so war sie für Buber persönlich, wie die Vorrede zur Veröffentlichung der Reden über Erziehung von 1953 zeigt, eine wichtige Station in seiner Entwicklung als Erwachsenenbildner. 10 Die Volkshochschule und die Volksbildung blieben ein Lebensthema Bubers, und die meisten in diesem Band der Werkausgabe versammelten Texte, die sich dem Bildungsbegriff widmen, beziehen sich auf die Erwachse8. So schrieb Franz Rosenzweig in dieser Zeit als Soldat den späterhin einflußreichen Text Zeit ist’s, der grundsätzliche Überlegungen zur jüdischen Erziehung und Bildung in Deutschland enthält. 9. R. van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen. Ein Beitrag zur Geschichte der Erwachsenenbildung (Schriften zur Erwachsenenbildung 5), Stuttgart 1977, S. 44-72, hat die Tagung nach dem im Martin Buber Archiv vorhandenen Material rekonstruiert. Für die praktische Folgenlosigkeit dieser Tagung nennt sie zwei mögliche Ursachen. Zum einen hat die Reichsschulkonferenz von 1920 das Thema dann öffentlich und unter Beteiligung weiterer bildungspolitisch interessierter Kreise aufgegriffen, und zum andern verfolgte der Hohenrodter Bund als Vereinigung von Volkshochschulpädagogen einen Teil der Heppenheimer Themen weiter. 10. M. Buber, RüE, S. 7.
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Einleitung
nenbildung. Aber nicht nur theoretische Erwägungen haben Buber beschäftigt. Von der Tätigkeit am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt am Main (1922-1938) bis zur Gründung und Leitung des Beth Midrasch Lemorei Am 11 , einer Einrichtung zur Ausbildung von Erwachsenenbildnern an der Hebräischen Universität (1949-1954), hat Buber immer wieder praktisch in der Erwachsenenbildung gewirkt. Als letztes Dokument dieser Tätigkeit müssen die von Abraham Shapira aufgezeichneten Gespräche mit jungen Kibbutzerziehern in den sechziger Jahren gelten. 12 Es lassen sich in Bubers pädagogischem Denken drei Themenfelder ausmachen. Da ist zunächst seine Bedeutung für die Jugendbewegung, besonders für die zionistische Jugendbewegung nach 1916, sodann sein Engagement für die Erwachsenenbildung, das sich sowohl in seinen zionistischen volksbildnerischen Überlegungen und Aktivitäten als auch in seiner Nähe zur Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik entwikkelte, und, theoretisch am gewichtigsten, weil Bedingung für die beiden vorangehenden, seine dialogische Philosophie, wie sie in Ich und Du (1923) ihre Gestalt gefunden hat. Die dort formulierten Grundvorstellungen legt Buber auch dem erzieherischen Verhältnis zugrunde. Letztlich hat sein Schüler und Gefährte Ernst Simon (1899-1988) Bubers Stellung zur Pädagogik vollendet formuliert: »Buber ist jedoch kein Systematiker, auch keiner der Erziehlehre: ›Gott hat eine Wahrheit, die Wahrheit aber hat kein System.‹ 13 So übt Buber auch in der Systemlosigkeit die imitatio dei.« 14 Simon erklärt Bubers unsystematisches Verhältnis zur Pädagogik also mit dessen Religiosität. Die in diesem Band versammelten Schriften lassen sich nach den genannten drei Themenfeldern systematisieren. Ihre Inhalte überschneiden sich allerdings auf vielfältige Weise, weil sie eng miteinander verknüpft sind. Buber hat das pädagogische Denken in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in der Jugendbewegung, in der Erwachsenenbildung und in der Erziehungsphilosophie, namentlich in der Anthropologie, beeinflußt. Anlaß für die Entstehung der Texte dieses Bandes waren oft praktisch-politische Probleme wie Aufgaben der zionistischen Bewegung, 11. Hebr. »Hochschule für die Lehrer des Volkes«. 12. Vgl. A. Shapira, Vorbemerkung, in: M. Buber, Pfade in Utopia. Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung, 3. erheblich erweiterte Neuausgabe, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1985, S. 11-13, dort auch weitere Literatur zu diesen Gesprächen. 13. M. Buber, Falsche Propheten, in: M. Buber, Hinweise, Essays, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 167-173, hier S. 168. 14. E. Simon, Martin Buber, der Erzieher, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul A. Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 479507. Imitatio dei, lat. »Nachahmung Gottes«.
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Martin Buber als Erzieher und pädagogischer Autor
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die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus und der Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft in Palästina/Israel. Es handelt sich bei diesen Texten fast ausschließlich um Reden oder um aus Reden entstandene Aufsätze, die der Autor fast immer auf eine Anfrage hin verfaßte, eine eigene Systematik hat er dabei naturgemäß nicht verfolgt. Anhaltspunkte für die Systematisierung der Beiträge Bubers zum pädagogischen Denken im 20. Jahrhundert bieten jedoch die Gruppierungen der Texte bei den Wiederveröffentlichungen zu Bubers Lebzeiten.15 Sie spiegeln jedenfalls größere thematische Einheiten wider, denen Buber selbst die jeweiligen Aufsätze zugeordnet hat. Das Eigentümliche des Buberschen Werkes kommt darin zum Ausdruck, daß in den in diesem Band vereinigten Texten, die in den Jahren zwischen 1917 und 1966 erschienen sind, alle drei Themenfelder von Anfang an in Erscheinung treten. Sie werden moduliert, verschieden akzentuiert, es kommt auch zu Bedeutungsverschiebungen aufgrund der unterschiedlichen historischen und sozialen Entstehungsbedingungen und Situationen, für die die Texte geschrieben wurden, die Kernaussagen bleiben jedoch erhalten. Die zeitgeschichtlichen Zäsuren, innerhalb derer diese Themen variiert werden, sind das Ende der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie und des deutschen Kaiserreichs am Ausgang des Ersten Weltkrieges, die Erfahrung der Weimarer Republik, die Verfolgung der Juden unter dem Nationalsozialismus und der Aufbau eines jüdischen Gemeinwesens in Palästina und Israel. Historische Details, die für das Verständnis der Texte nicht unbedingt erforderlich sind, sind im Kommentar vermerkt. Die Einleitung verzichtet auf eine zusammenhängende biographische Skizze. Dieses Vorgehen ist nicht nur durch Bubers eigene Skepsis gegenüber Biographischem gerechtfertigt 16 , sondern auch durch die Tatsache, daß zwei große Biographien vorliegen. 17
15. Die Wiederabdrucke sind im Kommentar des vorliegenden Bandes vermerkt. Die wichtigsten deutschsprachigen Sammlungen für die hier abgedruckten Texte sind: Kampf um Israel (1933), Die Stunde und die Erkenntnis (1936), Worte an die Jugend (1939), Reden über Erziehung (1953), Der Jude und sein Judentum (1963) und Nachlese (1965). 16. M. Buber, Autobiographische Fragmente, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, S. 1. 17. H. Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit, Köln, 1961; M. Friedman, Begegnung auf schmalem Grat. Martin Buber – ein Leben, Münster 1999.
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Einleitung
2. Jugend Jugendbewegung und Zionismus
Die Jugendbewegung hat die Geschichte des pädagogischen Denkens in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt. Die für Deutschland typische enge Verzahnung zwischen Jugendbewegung und Pädagogik spiegelt sich in den Lebensläufen vieler Pädagoginnen und Pädagogen wider, die Bubers Biographie kreuzten. Insofern ist ein Teil der Pädagogik des deutschsprachigen Raumes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur in diesem Kontext zu verstehen. Es ist vor allem diese mentalitätsgeschichtliche Bedeutung der Jugendbewegung für das pädagogische Denken, die in Bubers an Jugendversammlungen gerichteten Reden aufscheint. Buber, selbst für die Jugendbewegung »zu alt«, knüpfte durch seine zionistische Tätigkeit als Publizist enge Beziehungen zu vielen Vertretern der Jugendbewegung und dies über mehrere Jugendgenerationen hinweg. Der Kulturzionismus, den Buber schon sehr früh gegen den politischen Zionismus Theodor Herzls (1860-1904) vertrat, mußte per definitionem eine starke pädagogische Komponente entwickeln. Es ging immer um die Erziehung des neuen jüdischen Menschen, dessen Identität sich aus den Wurzeln des Judentums speiste. 18 Pädagogische Ideen mit einer solchen Zielsetzung setzten sich radikal von der orthodoxen jüdischen religiösen Erziehung ab. Sie hatten den Anspruch, in einer zeitgemäßen Aneignung der Tradition religiöse Erziehung ganz neu zu gestalten. Religion bedeutet in diesem Konzept nicht mehr die gelehrte dogmatische Überlieferung, sondern erlebte religiöse Erfahrung. Für diese Ziele entfaltete Buber bereits früh eine breite Vortragstätigkeit, durch die er mit der intellektuellen zionistisch orientierten deutschsprachigen Jugend Ost- und Mitteleuropas in Kontakt kam. So sind die Reden über das Judentum als Vorträge vor der Prager Studentenvereinigung Bar Kochba zwischen 1908 und 1911 entstanden. Aus dieser Begegnung erwuchsen lebenslange Freundschaften wie beispielsweise die mit Robert Weltsch (1891-1982). Programmatisch institutionalisierte Buber selbst den Prozeß der nationalen jüdischen Neuorientierung mit der 1916 gegründeten Zeitschrift Der Jude, die von zionistischen Organisationen finanziert wurde. 19 Unter 18. Vgl. Der Neue Mensch. Obsessionen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Nicola Lepp und Martin Roth, Ostfildern-Ruid 1999. 19. Vgl. E. Lappin, Martin Buber. Zionismus und Chassidismus, in: Von Enoch zu Kafka. Festschrift für Karl E. Grözinger zum 60. Geburtstag, hrsg. von Manfred Voigts, Wiesbaden 2002, S. 183.
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Jugend
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Karikatur von Martin Buber, in: Scholem, Gerschom/Brauer, Erich, Die BlauWeisse Brille, Heft 1, 1915 (Gerschom Scholem-Archiv, Jerusalem ARC.4 1599/ 266)
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Einleitung
ihren Autoren befanden sich führende junge Männer und Frauen aus der zionistischen Jugendbewegung, wie etwa Siegfried Bernfeld (18921953), Gerhard (Gershom) Scholem (1897-1982) und Siegfried Lehmann (1892-1958). Buber unternahm erhebliche Anstrengungen, junge Autoren für das Journal zu gewinnen, das nicht nur Scholem, sondern auch Franz Rosenzweig (1896-1929) als die beste jüdische Zeitschrift der Zeit beurteilten. So berichtet Scholem in seinen Lebenserinnerungen (1982) von einer Einladung, die Buber an ihn und seinen Freund Erich Brauer als jugendliche Herausgeber von Die blauweiße Brille gerichtet hatte, nachdem sie in deren erster Nummer 1915 eine Karikatur und eine Parodie auf Buber gebracht hatten: »Er erzählte auch von der im Erscheinen begriffenen, von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Der Jude« – vor fünfundsechzig Jahren in den Ohren von Jud und Christ ein nicht wenig Stolz verratender Name.« 20 Die Nähe, die Buber zur jüdischen Jugend entwickelte, verdankt sich einem weiteren Faktum, das häufig übersehen wird: Die Erwachsenenbildung der Weimarer Republik war auf junge Erwachsene hin konzipiert, und so waren die Grenzen zwischen bestimmten Formen der Erwachsenenbildung und der Jugendbewegung fließend.21 Dieser Aspekt muß auch bei den Reden Bubers zu Jugend und Jugendbewegung berücksichtigt werden, deren Inhalte oft nur schwer von denen zur Volksbildung zu trennen sind. Die Gestalt des »Chaluz«, des heroischen Siedlers, zentrale Zielvorstellung der zionistischen Volksbildung in Bubers Schriften, ist per definitionem ein junger Mensch, wie man den entsprechenden Ausführungen Bubers entnehmen kann.22 Zwar taucht diese Leitvorstellung als Begriff häufiger in den Reden zur Erziehung und zur Volksbildung auf als
20. G. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, Frankfurt a. M. 1994, S. 77. Scholem hat 1917 den Aufsatz »Jüdische Jugendbewegung« in Der Jude veröffentlicht (1. Jg. Heft 12, S. 822-825). 21. Am sinnfälligsten ist dies sicher bei den von Eugen Rosenstock veranstalteten Arbeitslagern im Boberhaus in Löwenberg mit jungen arbeitslosen Erwachsenen 1930, aber auch Wilhelm Flitner, erster Leiter der Jenaer Volkshochschule, kam selbst aus der Jugendbewegung und übertrug deren kulturelle Formen in die Erwachsenenbildung. Diese Zielgruppe der jungen Erwachsenen erklärt sich aus den allgemeinen bildungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen, denn nur einem ganz geringen Prozentsatz von Kindern und Jugendlichen war eine weiterführende Allgemeinbildung zugänglich. Für mehr als 80 % eines Jahrgangs war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die allgemeine Schulpflicht von acht Jahren die Regel. Vgl. J. Olbrich, Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland, Opladen 2001, S. 200216. 22. Chaluz, hebr. »Pionier«. Siehe: Der Chaluz und seine Welt, in: Almanach des Schokkenverlages auf das Jahr 5697, Berlin 1936, S. 87-92; und in diesem Band die Texte: Nationale Erziehung sowie On National and Pioneer Education.
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Jugend
in denen, die sich an ein jugendliches Publikum richten, sie verdankt sich aber als Typus der Jugendbewegung. 23
»Bubermanie«
Die Reden an die Jugend sind überwiegend auf Versammlungen zionistischer oder anderer jüdischer Jugendorganisationen gehalten worden. Es ist sicher angemessen, Martin Buber als den wichtigsten Ideengeber für die deutschsprachige jüdische Jugendbewegung der Zwischenkriegszeit zu bezeichnen.24 Darin liegt ein Teil seiner Bedeutung für die Geschichte der Pädagogik. Ob die Jugendbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirklich ein genuin deutsches Phänomen war, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. 25 Die deutsche Jugendbewegung hat jedoch spezifische kulturelle Formen ausgebildet, und die deutsche jüdische Jugendbewegung unterschied sich von der mittel- und osteuropäischen, die vor allem durch den zionistischen Jugendbund Haschomer Hatzair 26 repräsentiert wurde, in Stil und Ideenwelt.27 Wie stark die zionistische Bewegung während des Ersten Weltkrieges von der Jugendbewegung bestimmt war, zeigt sich in Bubers Referat über 23. Siehe u. S. 34 f. In Deutschland gab es einen engen Zusammenhang zwischen Jugendbewegung und Siedlungsbewegung, auf den hier nur verwiesen sei. Vgl. A. Feuchter-Schawelka, Siedlungs- und Landkommunebewegung, in: Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933, hrsg. von Diethart Kerbs und Jürgen Reulecke, Wuppertal 1998, S. 227-247. 24. Vgl. M. Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München 2000, S. 59. 25. J. R. Gillis, Geschichte der Jugend 1, Weinheim/Basel 1980, bezweifelt dies aus internationaler Perspektive und auch G. Levi/J.-C. Schmitt, Geschichte der Jugend 2. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 1997, gehen von einem Konzept übergreifender Tendenzen in der Geschichte der Jugend in Europa und Nordamerika im 20. Jahrhundert aus, denen sie die deutsche Jugendbewegung zurechnet. 26. Haschomer Hatzair, hebr. »junger Wächter«. 27. Ein Vergleich der verschiedenen zionistischen Jugendorganisationen Europas in der Zwischenkriegszeit steht noch aus. Zur jüdischen Jugendbewegung in Deutschland ist nach wie vor H. Meier-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, in: Germanica Judaica. Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums ev. V. NF 21/ 28, 7, 1969, 1/2, S. 1-55, 3/4, S. 59-122, das Standardwerk, zu den Anfängen der zionistischen Jugendbewegung die Studie von J. Hackeschmidt, Von Kurt Blumenfeldt zu Norbert Elias. Die Erfindung der jüdischen Nation, Hamburg 1997. Zur deutschen Jugendbewegung ist die Literatur Legion. W. Laqueur, Die deutsche Jugendbewegung. Eine historische Studie, Köln 1983, erwähnt die zionistischen Gruppen überhaupt nicht. In den letzten Jahren ist die kulturgeschichtliche Perspektive auf die deutsche Jugendbewegung stärker ins Zentrum der Forschung gerückt. Vgl. T. Koebner/R.-P. Janz/F. Trommler (Hrsg.), »Mit uns zieht die neue Zeit«. Der Mythos Jugend, Frankfurt a. M. 1985, D. Kerbs/J. Reulecke (Hrsg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933.
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jüdische Erziehung auf dem Deutschen Zionistischen Delegiertenrat am 25. 12. 1916. Daß er junge Menschen nicht vom einsamen Schreibtisch aus ansprach, belegt nicht nur die bereits berichtete Begegnung mit Scholem, sondern auch die aktive Anteilnahme, die er an der Gründung des Jüdischen Volksheims in der Berliner Dragonerstraße durch die Gruppe um Siegfried Lehmann nahm. 28 Die Gründung des Volksheimes durch eine Gruppe sozialpädagogisch engagierter bürgerlicher Jugendlicher steht im Kontext einer allgemeinen sozialpädagogisch-volksbildnerischen Aufbruchstimmung gegen Ende des Ersten Weltkrieges in Deutschland. Das Modell für Gründungen dieser Art bildete die in England und den Vereinigten Staaten entwickelte settlement-Bewegung, deren bekannteste Einrichtung das Hull House in Chicago war, gegründet von der Sozialreformerin und späteren Friedensnobelpreisträgerin (1931) Jane Addams (1860-1935).29 Bubers Adressaten in diesem Referat sind die Führer der zionistischen Jugendbewegung. Dargestellt werden die wesentlichen pädagogischen Prinzipien der Jugendbewegung. Die Selbsterziehung als wichtigstes Prinzip der neuen Generation zionistischer Jugend und ihrer Führer und die neue Form des »lebendig Empfindens« beim Unterricht in jüdischer Geschichte entsprechen den Erziehungsvorstellungen der Jugendbewegung. Der ältere Buber warnt die Jugend vor kulturellem »Hochmut«, und mit der Abgrenzung von einem Heldenbegriff, der sich an Siegfried orientiert, unterstreicht er die Differenz zur deutschen Jugendbewegung. Die jüdischen Helden sind keine Siegfriede, sondern Helden des Geistes. Bereits hier betont er den Unterschied von nationaler und nationalistischer Erziehung, eine Unterscheidung, auf die Buber Zeit seines Lebens große Sorgfalt verwendete, wenn es ihm um das Verständnis der nationalen jüdischen Bewegung und ihrer Ziele ging. Seine Kritik richtet sich gegen ein Verständnis von zionistischer Erziehung, die der menschlichen Seite einer richtig verstandenen nationalen Erziehung entbehre. Er fordert die Führer des Jung-Jü28. Siehe zum Jüdischen Volksheim die Ausführungen im Kommentar zu dieser Rede. Die Korrespondenz mit Lehmann aus dem Gründungsjahr des Volksheimes belegt Bubers Interesse eindrücklich. Siehe Arc. Ms. Var. 350/409. Zur Beziehung zu Siegfried Lehmann, dem Gründer und langjährigen Leiter des Kinderheimes Ben Shemen in Palästina, s. u. 29. Die Popularität der Ideen unter jüdischen jungen Erwachsenen des Bürgertums dokumentiert auch der Briefwechsel zwischen Franz Kafka und seiner Verlobten Felice Bauer. Auf Kafkas Einfluß geht das Engagement Bauers in der Sozialarbeit zurück. (vgl. Fraz Kafka, Gesammelte Werke, Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, Frankfurt a. M. 1967, S. 638 ff.). Eine farbige, wenn auch sehr kritische Schilderung des Volksheimes findet sich in den Lebenserinnerungen von Gershom Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, S. 83-87, der dort auch auf den Kafka-Briefwechsel mit Felice Bauer verweist (S. 86 f.).
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dischen Wanderbundes Blau-Weiß auf, beide Aspekte, den menschlichen und den nationalen in ihrer Selbsterziehung zusammenzuführen. Am 14. September 1917 wurde der angehende Psychoanalytiker und Jugendforscher Siegfried Bernfeld, Schüler von Gustav Wyneken (18751964) und Redakteur von dessen Zeitschrift Der Anfang 31 , bei Buber brieflich vorstellig und fragte an, ob Buber auf dem Wiener Zionistischen Jugendtag, der vom 18. bis 20. Mai 1918 im Großen Saal des Wiener Musikvereins stattfinden sollte, die Eröffnungsrede halten könne. Bernfeld hatte bereits 1916 in Der Jude Artikel über das Kriegswaisenproblem veröffentlicht und kann als einer der kreativsten pädagogischen Köpfe seiner Generation gelten. 32 Von Buber als Redner erhoffte er sich eine große Wirkung auf die zersplitterte jüdische Jugendbewegung in der Hauptstadt des zerfallenden Habsburger Reiches. Die Fluchtbewegungen aus dem vom Krieg und aufkommenden Nationalismus gebeutelten Ost- und Mitteleuropa hatten Wien zu einem Sammelbecken und zur Durchgangsstation für zionistische Jugendliche und junge Erwachsene vor allem des galizischen Haschomer Hatzair gemacht. Bernfeld hatte große Pläne einer Vereinigung und einer daraus resultierenden Einflußnahme auf die zionistische Bewegung insgesamt im Sinn eines sozialistisch orientierten Zionismus. Subjektiv jedenfalls scheint Buber seine Erwartungen zunächst erfüllt zu haben, sonst wäre Bernfeld wohl nicht zwei Jahre später als Sekretär in die Redaktion von Der Jude eingetreten. 30. Die Gründung dieses zionistischen Bundes im Jahre 1912 wurde durch den Antisemitismus im Wandervogel initiiert. Vgl. zur Geschichte des Jüdischen Wanderbundes Blau-Weiß H. Meyer-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, S. 18-25; 32-46 und J. Hackeschmidt, Von Kurt Blumenfeldt zu Norbert Elias. Die Erfindung der jüdischen Nation. 31. Vgl. zur Geschichte K. Laermann, Der Skandal um den Anfang. Ein Versuch jugendlicher Gegenöffentlichkeit im Kaiserreich, in: T. Koebner/R.-P. Janz/F. Trommler (Hrsg.), »Mit uns zieht die neue Zeit«. Der Mythos Jugend, S. 360-381. 32. Die kurzlebige pädagogische Gründung »Kinderheim Baumgarten« war zionistisch ausgerichtet und gehört zu den bekanntesten Erziehungsexperimenten des 20. Jahrhunderts. 1919 verfaßte Bernfeld die Schrift Das jüdische Volk und seine Jugend, den Entwurf einer Siedlergesellschaft in Palästina, in der er Bubers Erziehungsdenken, Wynekens Jugendkulturidee und die Psychoanalyse produktiv verarbeitete. 1921/22 war er Bubers Redaktionssekretär für Der Jude. Nachdem er sich jedenfalls öffentlich vom Zionismus zurückgezogen hatte und sich ganz der Psychoanalyse widmete, verfaßte Bernfeld das theoretische Werk Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung (1924) und begründete die psychoanalytisch orientierte empirische Jugendforschung. Eine unerhörte Renaissance hatten seine pädagogischen Schriften in Deutschland durch die Studentenbewegung von 1968, während der allerdings Bernfelds Zionismus kaum zur Kenntnis genommen wurde. Weitere Literatur siehe I. Lohmann, Siegfried Bernfeld. Sisyphos oder Die Grenzen der Erziehung, in: Klassiker und Außenseiter, Pädagogische Veröffentlichungen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von K. Horn und Chr. Ritzi, Hohengehren 2002, S. 51-64.
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Objektiv gelang die Vereinigung nicht, denn die Positionen des Haschomer Hatzair und die der Jugendbewegung Österreichs, die den Konflikt zwischen osteuropäischem und westeuropäischem Judentum im Zionismus widerspiegelte, waren zu divergent. 33 Vor den Vertretern der Wiener jüdischen Jugendbewegung faßte Buber sein Verständnis des Zionismus als eine nationale, soziale und religiöse Bewegung zusammen. Der Vortrag Zion und die Jugend spiegelt auf mehreren Ebenen Bubers immense Fähigkeit wider, den Zeitgeist zu erfassen und für den Zionismus zu mobilisieren. Der sich kritisch an Friedrich Nietzsche (1844-1900) orientierende Auftakt verwirft die Vorkriegsideologie der Persönlichkeit, Macht und Kultur zugunsten der Gemeinschaftssehnsucht 34 und entspricht damit der von Herman Nohl (1879-1936) wenige Jahre später festgestellten Umorientierung in der Jugendbewegung 35 nach dem Ersten Weltkrieg. In kritischer Abgrenzung zur »deutschen« Jugendbewegung, die unter dem Einfluß von Gustav Wyneken »wähnt, Jugend sei Selbstzweck«, weist Buber der jüdischen Jugend die über sie hinausreichende historische Aufgabe zu, Zion zu verwirklichen. Schon im März 1917 hatte Buber an Franz Werfel (18901945) geschrieben: »Die Jugend ist meiner Ansicht nach wohl der eigentliche Träger jeder großen Bewegung, aber sie kann nicht der Gegenstand einer wahrhaften Bewegung sein; sie, der unsterbliche Bildner und Umbildner der menschheitlichen Programme, darf sich nicht selbst zum Programm werden. […] Jede Bewegung, der es um ihr eigenes Subjekt zu tun ist, ist dieser Art und dieses Schicksals.« 36 Die nationale Aufgabe sah er als eine Aufgabe der Jugend und beschrieb sie gleichzeitig als Menschheitsaufgabe, da nur im Leben des jüdischen Volkes die nationale, soziale und religiöse Bestimmung unlösbar ineinander verwoben seien. Die nationale Befreiung sei kein Krieg, sondern eine »Auslösung« im biblischen Sinn der Befreiung, die soziale Neuordnung keine Revolution, sondern Aufbau einer gerechten Gemeinschaft, und die religiöse Aufgabe sei Neuschöpfung. Mit dem Verweis auf den biblischen Text in Josua 10,12, in dem berichtet wird, wie die Sonne eine Stunde stillstand, damit das Volk Israel seine Landnahme vollziehen konnte, wird die Aufgabe der Jugend für den Zionismus symbolisch hoch aufgeladen. Bubers Posi33. Vgl. D. Rechter, »Bubermania«. The Jewish Youth Movement in Vienna, 1917-1919, in: Modern Judaism 16, 1996, S 25–45. 34. Vgl. dazu M. Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, 1. Teil: Auf der Suche nach der Gemeinschaft, S. 21-78, bes. S. 49-61. 35. Vgl. H. Nohl, Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie, in: Handbuch der Pädagogik 1, hrsg. von H. Nohl und L. Pallat, Langensalza 1933, S. 302-374. 36. M. Buber, B I, S. 484.
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tion wurde von den Führern der osteuropäischen Jugendbewegung in der anschließenden Diskussion als utopisch und unpolitisch heftig infrage gestellt. 37 Auch wenn der Jugendtag die Hoffnungen Siegfried Bernfelds auf eine große Vereinigung unter seiner Führung nicht erfüllte, so forderte er doch Buber zur Mitarbeit an der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Jerubaal 38 auf. Buber publizierte in ihr 1919 einen längeren Text, in dem er seine Vorstellung von jüdischer Erziehung literarisch verarbeitete. Jüdisch leben ist seinem damals 18jährigen Sohn Rafael gewidmet. In diesem fiktiven Gespräch fragt der Knabe, was es denn heißen könne, jüdisch zu leben. Der sich aus dieser Frage entwickelnde Dialog zwischen dem Knaben und einem »Führer« findet sein literarisches Vorbild in Dialogen zwischen einem chassidischen Lehrer und seinem Schüler, aber weist auch durch die Einführung der Lehrerfigur als geistiger »Führer« Anklänge auf an Nietzsches Zarathustra. Die Problematik der Führerschaft, in der Jugendbewegung ein zentrales Thema, spielte in den folgenden Jahren in Bubers pädagogischen Überlegungen immer wieder eine Rolle. 39 Die dialogische Gestaltung reflektiert gleichzeitig Bubers in diesen Jahren erreichte philosophische Position. Im zweiten Teil des Gesprächs, in dem es darum gehen soll, wie man denn jüdisch leben kann, gelingt es dem Autor immer weniger, das Thema als Zwiegespräch zu gestalten. Die quasi dramaturgischen Anweisungen wie »bleibt stehen«, »sieht dem Knaben in die Augen«, »nicht langsam, dann nochmals und entschiedener«, »halb lächelnd, halb beschämt«, »mitlächelnd, mit seinem guten Lächeln die Scham auslöschend«, »legt ihm die Hand auf die Schulter« können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Führer zu längeren theologischen Ausführungen ausholen muß, um den Knaben von seinem Weg zum »jüdisch leben« zu überzeugen. Wenn dieser wirklich den Willen dazu hat, bedeutet dies, Hebräisch zu lernen und das Studium der Geschichte des jüdischen Volkes, wie sie in der Bibel erzählt wird, aufzunehmen. Auf diesem Weg wird sich einstellen, daß er sich als Teil der jüdischen Gemeinschaft fühlen wird. Das Dilemma moderner Religiosität, die ohne Offenbarungstheologie auskommen muß, wird in diesem Gespräch besonders deutlich. Letztlich ist in dieser an den fast noch kindlich erscheinenden Jugendlichen gerichteten Anrede im Subtext das gleiche 37. Vgl. D. Rechter, »Bubermania«, S. 31. 38. Vgl. W. Hoffer, Siegfried Bernfeld and Jerubaal: An Episode in the Jewish Youth Movement, in: Leo Baeck Institute Yearbook 10, 1965, S. 150-167. 39. Siehe dazu in dieser Einleitung vor allem die S. 37-42.
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Pathos der Entscheidung zu hören, das in Zion und die Jugend zum Ausdruck kam. Auch die Rede Cheruth entstand, um den zionistischen Jugendlichen Orientierung und Rückhalt zu bieten. Expliziter als in Zion und die Jugend widmet sich Buber hier der Frage nach der Bedeutung von Religion. Er nimmt damit eine zweifache Frontstellung ein: Einerseits setzt er sich mit dem nichtzionistischen orthodoxen Judentum auseinander, andererseits mit der explizit säkularen zionistischen Bewegung. Bubers Antwort liegt in einem existentialistischen Verständnis religiöser Erfahrung in der Gemeinschaft, für das die jüdische Jugend aufgrund der jüdischen Geschichte prädestiniert ist. Ebenfalls grenzt sich die Rede Verständigungsgemeinschaft, die Buber auf der Tagung der jüdischen Jugendorganisationen Deutschlands am 5. März 1918 hielt, gegen andere jüdische Positionen in Deutschland ab. Der Verband der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands (VJJD) war ein Zusammenschluß aller Jugendvereine; er verstand sich zum Zeitpunkt von Bubers Rede dezidiert als »anti-nationaljüdisch« (antizionistisch) und nicht unbedingt als Teil der Jugendbewegung. Eher jugendpflegerisch orientiert fand er die Unterstützung vieler jüdischer Gemeinden und des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV). Seit 1912 hatte Cora Berliner (1890-1942) die Geschäftsführung des Verbandes übernommen. Ihre Dissertation enthält eine Darstellung der Jugendvereine, d. h. eine Beschreibung der jugendpflegerischen Aktivitäten, aber weniger oder fast gar keine Darstellung der Jugendbewegung. 40 Die Versammlung war einberufen worden, um wenigstens zu einer Verständigungsgemeinschaft zwischen den verschiedenen Organisationen zu kommen. Dieser Versuch scheiterte jedoch. Bubers Ansprache bezieht sich zunächst auf seine Vorrednerin Cora Berliner, die als Vertreterin des Verbandes der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands die Erklärung abgab, daß ihr »die Zugehörigkeit zur Deutschen Volksgemeinschaft ihre erste und hauptsächliche soziale Bindung bedeute und für (sie) die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft erst in zweiter Linie steht.« 41 Im Widerspruch dazu vertritt Buber die Position, daß das »Primat des Judentums«, unabhängig davon, ob man sich zum Nationaljudentum bekenne
40. C. Berliner, Die Organisation der jüdischen Jugend in Deutschland. Ein Beitrag zur Systematik der Jugendpflege und Jugendbewegung, vgl. dazu H. Meier-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, S. 17. 41. Das Zitat stammt aus dem Stenographischen Bericht über die Veranstaltung im Mitteilungsblatt des Verbandes der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands, Berlin, April/Mai 1918, Heft 2/3.
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8. Ordentlicher Delegiertentag des Verbandes der jüdischen Jugend in München 1930, auf dem Podium links am Tisch Martin Buber (Martin Buber-Archiv, Jerusalem)
oder nicht, unabdingbares Axiom sein müsse, wenn es denn zu einer »Verständigungsgemeinschaft« kommen solle. Die Rede Wie kann Gemeinschaft werden, die Buber 1930 vor demselben Verband auf dessen Delegiertentag in München hielt, macht den Wandel des Verbandes sichtbar. Zionistische Positionen waren inzwischen dort akzeptierter, wie auch den Beschlüssen dieses Jugendtages zu entnehmen ist, der sich zu einer Unterstützung des Zionismus bekannte, allerdings nicht wirklich zu einer einheitlichen Position fand. Hatte Buber bereits 1919 versucht, eine gemeinsame Plattform aller jüdischen Jugendverbände herzustellen, so ging es ihm 1930 deutlicher um eine zionistische Zielsetzung. Der Delegiertentag 1930 spiegelte die allfälligen Auflösungserscheinungen der Verbände in Deutschland auch in diesem Verein wider. Die in München gewählte Verbandsleitung erklärte in der gleichen Publikation, in der Bubers Rede erschien, den Kampf gegen den Nationalsozialismus, die Ausgestaltung der Sozialen Hilfe und die Arbeit für den überparteilichen Palästinaaufbau zu ihren Hauptaufgaben. Mit diesem Minimalkonsens suchte man offenbar einen Kompromiß zwischen zionistisch orientierten und nichtzionistisch orientierten Mitgliedern, der sich allerdings nicht als tragfähig erwies.
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Buber setzt sich in der Rede Wie kann Gemeinschaft werden kritisch von Max Webers (1864-1920) Definition von ›Vergesellschaftung‹ und ›Vergemeinschaftung‹ ab, indem er ›Vergemeinschaftung‹ nicht als Gefühlsgemeinsamkeit definiert, sondern als Lebensverband. In diesem Sinn wird die Volksgemeinschaft zur Schicksalsgemeinschaft und die Religionsgemeinschaft zur Glaubensgemeinschaft. Die jüdische Jugend in Deutschland steht vor der durch die Emanzipation in West- und zunehmend auch in Osteuropa zerstörten Gemeinschaft und dem Aufbau der neuen zionistischen Gemeinschaft durch eine kleine Gruppe von Juden in Palästina. Der Zionismus wird in dieser Situation von Buber als das einzige gegenwärtige gemeinsame Werk von Juden definiert. Im Aufbau eines jüdischen Palästina sieht er den Weg zu einer Gemeinschaft. Es geht nicht mehr um die »Verständigungsgemeinschaft«, sondern um Lebensgemeinschaft innerhalb der deutschen jüdischen Jugend. Diese Gemeinschaft kann nur in gemeinsamer Aufgabe und Arbeit entstehen. Der dreifache Wiederabdruck der Rede Wie kann Gemeinschaft werden nach 1933 weist auf das Gewicht hin, das Buber diesem Text zuschrieb. Die Vorstellung von Gemeinschaft, die in ihm zum Ausdruck kommt, versucht, eine lebensphilosophische Kritik an der deutsch-völkischen Ideologie zu entwickeln. Wie kann Gemeinschaft werden wurde neben Cheruth der wichtigste Text für die jüdische Jugendbewegung in dieser extrem schwierigen Zeit ihres ideologischen Auseinanderdriftens, man kann ihn als eine Art Kulttext für viele jüdische Jugendliche in den zwanziger Jahren bezeichnen. 42 Für die Politik der nationalen Erneuerung des jüdischen Volkes war der Begriff »Gemeinschaft« in Bubers Denken und Verständnis also zentral. Die von George Mosse identifizierten »völkischen« Positionen innerhalb der deutschen jüdischen Jugendbewegung, für die er in Buber einen Kronzeugen sieht, werden in dieser Rede gebündelt vorgetragen. Sie finden sich auch, diesmal an ein europäisches Publikum gerichtet, in der Ansprache wieder, die Buber 1932 in Amsterdam auf der »Tagung jüdischer Jugend« hielt, die unter dem Titel Israel und der Weltfriede vom 31. Juli bis zum 3. August in Antwerpen stattfand. Dennoch, und dies hebt auch Mosse hervor, muß Bubers Position gegenüber rassistischem völkischem Denken abgegrenzt werden. 43 42. Diese Beschreibung, die Menachem Dormann gibt, ist mir von anderen ehemaligen jugendbewegten Zionisten, die aus Deutschland kamen, in vielen Gesprächen bestätigt worden. Vgl. M. Dormann, Bubers Rede »Cheruth« und ihre Wirkung auf die jüdische Jugendbewegung in Deutschland, in: Martin Buber. Bilanz seines Denkens, hrsg. von Jochanan Bloch und Haim Gordon, Freiburg 1983, S. 251-256. 43. Vgl. G. L. Mosse, The Influence of the Völkische Idea on German Jewry, in: Studies of
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Um diese Abgrenzung schärfer herauszuarbeiten, soll im folgenden ein unveröffentlichter Ausschnitt aus dem Briefwechsel Bubers mit dem Jugendführer und späteren Kibbutzgründer Hermann (Menachem) Gerson (1908-1989) zwischen 1927 und 1932 dargestellt werden. 44 Gersons Entwicklung wurde von Buber maßgeblich beeinflußt. Sie führte den deutschnational eingestellten Führer des ursprünglich deutschnational orientierten jüdischen Bundes der Kameraden zur Abspaltung seiner Gruppe und zur Gründung der Werkleute, die sich nach 1929 zunehmend dem Zionismus zuwandten. 45 1928/29 fand eine Diskussion über Wilhelm Stapels (1882-1954) Schrift Antisemitismus und Antigermanismus (1928) zwischen Gerson und Buber statt. Gerson schreibt zunächst an Buber: »Ich schätze W. Stapel außerordentlich, finde in seiner Zeitschrift Deutsches Volkstum viel, was mir aus der Seele gesprochen ist: vor allem in seinem Kampf gegen die bürgerlich-liberalistische Haltung. Nun schreibt er im oben erwähnten Buch auch über die Sprache der deutsch-jüdischen Dichter und Schriftsteller, greift unter anderem die Schriftübersetzung [d. i. die Buber-Rosenzweig-Übersetzung, J. J.] scharf an. – […] Ich habe oft über die Stellung der Juden in Deutschland nachgedacht. Ich bin nie auf diese Fragestellung der Sprache ernsthaft eingegangen.«46 Er fragt an, ob er Bubers Antworten zu den Stapelschen Kritiken an der Bibelübersetzung Stapel mitteilen dürfe.47 Aus seiner Antwort an Stapel zitiert er für Buber: »daß die Front nicht heißt: hier Juden – hier Deutsche, sondern daß es eine […] Front hindurch durch die beiden Völker gibt, sagen wir: Völkische und Liberale«. 48 Buber lehnt in seinen Antworten Stapels Konzept von Volkstum als Blutsgemeinschaft ab, eine Position, die er
44.
45.
46. 47. 48.
the Leo Baeck Institute, New York 1967, S. 90-113; und zur Definition von völkischer Ideologie G. Hartung, Völkische Ideologie, in: Handbuch zur »völkischen Bewegung«, hrsg. von Uwe Puschner, Walter Schmitz und Justus H. Ulbricht, München 1996, S. 22-41. Vgl. J. Jacobi, Politische Theologie und Pädagogik: Zum Verhältnis von Religion, Politik und Erziehung in Leben und Werk Martin Bubers (1878-1965), in: Formen des Religiösen, hrsg. von Hildegard Macha, Johannes Bilstein und Christian Wulf, Weinheim 2004, S. 242-256. Vgl. F. Lotter, Hermann (Menachem) Gerson und der Bund deutsch-jüdischer Jugend »Werkleute«, in: Frankfurter Jahrbuch 1996/97 des Vereins der Freunde und Förderer des Museums Viadrina, Frankfurt a. M. 1997, S. 89-133; zu den Werkleuten siehe K. Hoba, Der Weg zum ›Neuen Menschen‹. Erziehung im Bund der ›Werkleute‹ von der Hachscharah bis zum Aufbau eines eigenen Kibbutzes in Palästina, Magisterarbeit, Potsdam 2001. Arc. Ms. Var. 350/235/112 (Gerson an B., 3. 11. 1928) Arc. Ms. Var.350/235/114 (Gerson an B., 13. 1. 1928) Arc. Ms. Var.350/235/116 (Gerson an B., 26. 1. 1929)
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vor dem Ersten Weltkrieg selbst noch vertreten hatte. Seine Idee vom jüdischen Volk sei an die Vorstellung eines geistigen Bandes gebunden. Der gerade noch bei den deutschnational orientierten Kameraden engagierte junge Gerson konnte an diesen Volksbegriff anknüpfen und im Zionismus eine neue politisch-religiöse Identität finden. 50 Eine neue Situation trat für die jüdische Jugendbewegung 1933 ein. Für die zionistisch orientierten Gruppen war es naturgemäß einfacher, auf die nationalsozialistische Verfolgung zu reagieren, denn es war sowieso ihr Ziel, nach Palästina auszuwandern und dort eine jüdische Heimstätte aufzubauen. Nun wurde die Entscheidung zur Auswanderung jedoch dringlicher und die Aufgaben wurden praktischer. Buber stellte das Vertrauen in seine Glaubwürdigkeit für die zionistischen Jugendlichen auf eine harte Probe. Er blieb zunächst in Deutschland, ja er wollte ein Bildungswerk für die jüdischen Kinder und Jugendlichen aufbauen, und er holte sogar Ernst Simon, der bereits nach Palästina eingewandert war, zurück als Hilfe beim Aufbau im Untergang 51 . Menachem Dormann (1907-1994), einer der Jugendlichen, die noch vor 1933 als Mitglied des Kibbutz Cheruth nach Palästina ausgewandert waren und der seit 1930 am Aufbau des Kibbutz Givat Brenner mitgearbeitet hatte, erklärte retrospektiv, warum viele dieser ursprünglich so sehr von Buber beeinflußten jungen Menschen ihn später in Palästina und Israel kritisierten: »Weil er in Deutschland wohnen blieb, in seinem Elfenbeinturm in Heppenheim; weil er seine ungewöhnliche Begabung der Kultur des deutschen Volkes widmete, sich berufen sah, ihm eine neue Bibel anstelle der Bibel Martin Luthers in die Hand zu geben. Mit Recht oder Unrecht sagten wir uns: Buber straft seine Lehre Lügen; das ist kein Zionismus, kein Chassidismus.« 52 Ein Teil der Ablehnung, die Buber später auch in der 49. Vgl. M. Treml, Einleitung, MBW I, S. 17. 50. Gerson war in bezug auf die Intensität der Beziehung zu Buber sicher der ihm besonders nahestehende bzw. von ihm abhängige Jugendführer. Ich habe dazu an anderer Stelle geschrieben. Er wiederum war ein sehr einflußreicher Führer. So schreibt Ernst Simon in einem Bericht über die Hechaluz-Arbeit, d. h. die Vorbereitung von Jugendlichen auf die Auswanderung nach 1933: »Bei den Werkleuten, für die, infolge ihres langen Weges zum Zionismus, ihrer westjüdischen, daher zeitlich und ökonomisch geringer bedrängten Herkunft, ihrer geringen Zahl und aristokratischen Auslese, die meisten dieser Bedenken [d. i. erschreckende Ungebildetheit in jüdischer Kultur und Religion, J.J.] nicht gelten fiel mir stattdessen vielmehr eine scholastische Fixierung an die Sätze und Prägungen des früheren Bundesführer auf. Statt zu fragen: was denken wir? wird gefragt: was hat Hermann Gerson mit diesem Satz gemeint? Frankfurt 22. August 1934« (Arc. Ms. Var. 350/730/2). 51. So der Titel von E. Simons Darstellung der Geschichte der jüdischen Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland. 52. Dormann, M., Bubers Rede »Cheruth«, S. 266.
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Kibbutzbewegung in Palästina/Israel erfuhr, ging sicher auch noch auf dieses Konto einer enttäuschten Gefolgschaft. Neben der aktiven Bildungsarbeit, die Buber in dieser Zeit auf Lernzeiten mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen betrieb 53, zeigen auch die 1938 bei Schocken veröffentlichten Worte an die Jugend, warum er es für notwendig erachtete, zunächst in Deutschland zu bleiben. Geistige Orientierung für junge jüdische Menschen war nach 1933 noch viel notwendiger geworden, denn die Identitätskrisen, die in ihnen der aggressive Antisemitismus sowie ihre völlige Ausgrenzung aus der deutschen Gesellschaft hervorriefen, waren für jüdische Jugendliche ungleich schärfer und gefährdender als die in der Weimarer Republik. Öffentliche Reden an Jugendliche auf deren Zusammenkünften waren nicht mehr möglich, nur Die Vorurteile der Jugend, vor Prager Jugendlichen gehalten, stammt aus der Zeit zwischen 1933 und 1938. Diese Rede akzentuiert noch einmal einige Gedanken, die bereits in Zion und die Jugend, gehalten 1918 auf dem Wiener Zionistischen Jugendtag, zu finden sind. Der Titel sollte provozieren, gilt doch gerade die Jugend im 20. Jahrhundert als »vorurteilslos«. War schon Zion und die Jugend gegen Gustav Wynekens einflußreichen Aufsatz Was ist Jugendkultur formuliert, in dem dieser eine autonome Jugendkultur forderte 54 , so wird in der Prager Rede die Aneignung der Tradition als Notwendigkeit ins Zentrum gestellt. Ging es in Zion und die Jugend eher um die Folgen im Zeichen des Persönlichkeitskults im Sinne von Nietzsches Philosophie, so argumentiert Buber hier sehr viel grundsätzlicher kritisch an Nietzsche orientiert. In dessen Behauptung, Gott sei tot, drückt sich nach Bubers Meinung ein völlig falsches Gottesverständnis aus. Denn von dem Gott, von dem Buber spricht, gibt es kein Bild, es gibt nur seine Stimme. Deshalb ist das Lernen, die Aneignung der jüdischen Tradition in der Schrift, das Hören der Stimme Gottes der Weg für die jüdische Jugend. Dieser Weg wird durch das Vorurteil, Gott sei tot, verstellt. 55 Bereits für den Druck in der Jüdischen Rundschau hat Buber den Text mit Zwischenüberschriften versehen, die diese zentralen Punkte bezeichnen. Es ist die letzte Rede, die Buber an die jüdische Jugend in der Galuth gerichtet hat. Sie ist in Inhalt 53. In Bildung und Weltanschauung thematisiert er die Produktivität der Bildungsarbeit mit Führern verschieden orientierter Jugendbünde. Werner T. Angress berichtet von einer Lernzeit mit Buber in dem nichtzionistischen, von Curt Bondy geleiteten Lehrgut Groß Breesen als einem Höhepunkt für die dortigen Jugendlichen. (s. W. T. Angress, Generationen zwischen Furcht und Hoffnung, Hamburg 1985, S. 61.) 54. G. Wyneken, Was ist »Jugendkultur«, in: Grundschriften der deutschen Jugendbewegung, hrsg. von Werner Kindt, Düsseldorf/Köln 1963, S. 116-128. 55. Vgl. M. Treml, Einleitung MBW I, S. 39.
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und Form nun nicht mehr vom Geist der deutschen Jugendbewegung geprägt.
Über Jugend
Buber sprach direkt zu Jugendlichen, in seinem eigenen Stil ausgedrückt: »zur Jugend«. Nur in dem Text Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten spricht er über Jugend in einer Weise, die gänzlich aus dem jüdisch-jugendbewegten Rahmen fällt. Er wendet sich hier an eine erwachsene Zuhörerschaft. Inhaltlich steht der Text in engem Zusammenhang mit dem kurzen Wort Verantwortung. Das Manuskript des Vortrages wurde, obwohl vom Autor nicht für die Veröffentlichung vorgesehen, in die Werkausgabe aufgenommen, weil sich an ihm Bubers Reaktion auf und seine Partizipation an der heftigen Debatte zum Thema Jugend, die Ende der zwanziger Jahre die Gesellschaft der Weimarer Republik erschütterte, deutlicher zeigen lassen als an dem kurzen Text Verantwortung für die Beilage des Berliner Tageblatts. Buber beschreibt die Probleme der zeitgenössischen Jugend auf der Sinnsuche unter Aspekten, die zwar wiederum an Arbeit, sozialer Lage und Gemeinschaftsbestimmungen orientiert sind, die jedoch wesentlich unspezifischer diskutiert werden als in der an die jüdische Jugend gerichteten Rede Wie kann Gemeinschaft werden. Die in der Historiographie der Jugendbewegung in der Weimarer Republik immer wieder herausgestellte Politisierung der Jugend wird von Buber als Abhängigkeit vom Zeitgeist beschrieben. Im Gegensatz zur Jugendbewegung der Zeit vor und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg sieht Buber in der Entscheidung für politische Massenbewegungen eine der häufigsten Lösungsversuche für Identitätsprobleme der Jugend am Ende der zwanziger Jahre. Die Tendenz zur Auflösung oder zum Eintritt in die Kommunistische oder Nationalsozialistische Partei gab es tatsächlich in den letzten Jahren vor 1933 generell verstärkt in den Gruppen der bündischen Jugend. Die jüdischen Bündischen waren davon in gleicher Weise betroffen. Der in den Texten zur Gemeinschaft immer wieder auftauchende Aspekt der Verantwortung und der Begegnung in der Wirklichkeit, also die Kritik an dem Dienst an einer »Idee«, wie ihn die politischen Massenbewegungen fordern, ist Teil der Argumentation. Im zweiten Teil des Vortrags wird die Forderung der persönlichen Verantwortung anhand der sexualpolitischen Themen »uneheliche Schwangerschaft« und »eheliche Treue« diskutiert. Hier setzt Buber sich namentlich mit den Positionen des amerikanischen Sozialreformers Ben B. Lindsey (1869-1943) auseinander,
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dessen Schriften zur vorehelichen Sexualität und zur »freien Liebe« gerade erschienen waren. Eine klare Absage ergeht an die Psychologie, wohl vor allem die Psychoanalyse, der Buber vorwirft, sie verhindere die Begegnung mit dem anderen Menschen in seiner Totalität, Bedingung für wirkliche Gemeinschaftsbildung. Während die frühe Jugendbewegung sich durch den Rückzug in romantische Naturschwärmerei der Wirklichkeit entzogen habe, entziehe sich die Jugend um 1930 durch die Unterwerfung unter Massenbewegungen »von so straffer Führung, daß die persönliche Verantwortung entfällt«. Der Text ist ein weiteres Dokument Bubers zur allgemeinen Identitätsproblematik der Jugend, das den kulturellen, politischen und sozialen Diskurs am Ende der zwanziger Jahre in Deutschland geprägt hat. Jugend als eigene sozial und kulturell relevante Gruppe war ein sozial neues Phänomen, das, öffentlich und politisch stark beachtet, auch Soziologen und Pädagogen beschäftigte. Karl Mannheim56 (1893-1947) schrieb den grundlegenden Aufsatz über das Generationenverhältnis, Eduard Sprangers (1882-1963) Psychologie des Jugendalters 57 prägte für Jahrzehnte das Bild »des Jugendlichen« in der deutschsprachigen Pädagogik. In der Literatur hatte die Produktion von Jugendromanen Konjunktur. 58 Bubers Rede ist ein zeittypischer Reflex auf diese Aufregung. Aber sie bleibt im Buberschen Œuvre atypisch. Auch seine Publikationspraxis unterstreicht diese Orientierung, sich direkt an Jugendliche zu wenden. Das dialogische Prinzip war keine philosophische Idee, sondern im Rahmen seiner politischen und publizistischen Tätigkeit gelebte Praxis. Wie dieses Prinzip im engeren Sinn pädagogisch entwickelt und reflektiert wurde, soll im folgenden gezeigt werden.
3. Erziehung als Dialog Religiöse Wurzeln der Erziehungsphilosophie
Es sind der Gemeinschaftsgedanke und das dialogische Prinzip, beide verstanden als in der jüdischen Religion wurzelnd, die Bubers Beitrag zur Erziehungsphilosophie des 20. Jahrhunderts ausmachen. Eine Entscheidung über die Gewichtung dieser beiden Aspekte ist schwer zu treffen 56. K. Mannheim, Das Problem der Generationen, in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 7, 1928, S. 157-185, S. 309-330. 57. E. Spranger, Psychologie des Jugendalters, Leipzig 1924. 58. Vgl. K. Rutschky, Wertherzeit. Der Poproman – Merkmale eines unerkannten Genres, in: Merkur 646, 2003, S. 106-117.
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und richtet sich offenbar nach dem Ort, von dem aus der Interpret der Buberschen Gedankengänge selbst seine Pädagogik betreibt. Die soziale und politische Komponente seines Denkens wird in der deutschsprachigen Buber-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend ausgeblendet, insofern findet der religiös-sozialistische Gehalt wenig Beachtung. 59 Für die zionistische Rezeption in Israel und wohl auch für die US-amerikanische Rezeption ist der Gedanke der Gemeinschaftserziehung dagegen zentral. Auch Ernst Simon, als Schüler, Freund und Mitarbeiter einer der legitimiertesten pädagogischen Interpreten, stellt diese Verbindung als zentral für Bubers Denken heraus. Deshalb soll zunächst seiner Interpretation gefolgt werden. Schon die beiden im eigentlichen Sinn pädagogischen Texte Die Aufgabe und Religiöse Erziehung, die Buber für die Zeitschrift Das Werdende Zeitalter jeweils als Geleitworte verfaßte, unterstreichen Simons These von der religiösen Grundlegung Buberschen pädagogischen Denkens. »Erziehen kann nur, wer in der ewigen Präsenz steht«, heißt es in dem Geleitwort zur ersten deutschsprachigen Ausgabe der Zeitschrift des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung 60 , die den programmatischen Titel Das Werdende Zeitalter trug. Und weiter heißt es: »Religiöse Erziehung als Teilgebiet muß immer problematischer werden; aber ein Ganzes ist Erziehung nur, wenn sie als Ganzes religiös ist.« 61 Diese Aussage erinnert an Schleiermachers (1768-1834) Diktum, daß Religion sich nicht lehren lasse, aber alles mit Religion, nicht aus Religion geschehen solle. 62 Im Geleitwort des Themenheftes Religiöse Erziehung von Das Werdende Zeitalter nimmt Buber diesen Gedanken wieder auf. 63 59. Auf die daraus entstandenen Mißverständnisse haben schon Scarbath/Scheuerl in Klassiker der Pädagogik, Bd. 2, S. 217 f. hingewiesen. 60. Der Weltbund für Erneuerung der Erziehung (New Education Fellowship) war eine internationale Vereinigung von Pädagogen, die 1921 in Calais gegründet wurde; zu ihren prominentesten Mitgliedern gehörten Paul Geheeb (1870-1960) und Adolphe Ferrière (1876-1960). In Deutschland wurde der Weltbund organisatorisch durch Elisabeth Rotten vertreten. 61. M. Buber, Die Aufgabe, siehe den Schluß des Textes unten in diesem Band. 62. Friedrich Schleiermacher, Über die Religion (1799), in: Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Hans-Joachim Birkner u. a., Bd. 1/2, Schriften aus der Berliner Zeit, hrsg. von Günter Meckenstock, Berlin/New York 1984, S. 248-265. Daß Buber nie auf Schleiermacher verweist, mag seiner generellen Abstinenz gegenüber konventionellen philosophischen Verfahren geschuldet sein. Eine Kenntnis der Schriften Schleiermachers ist anzunehmen, da Bubers Lehrer an der Berliner Universität, Wilhelm Dilthey (1833-1911), der zeitgenössische Sachverwalter Schleiermachers war. 63. Siehe unten. Bubers Position unterscheidet sich von den meisten in diesem Heft versammelten Ideen zur religiösen Erziehung, insofern könnte man auch hier mit Scarbath/Scheuerl von einer »Differenzierungsleistung« sprechen, die Buber im Rahmen der Reformpädagogik entwickelt hat.
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Für den von Simon vorgeschlagenen Ausgangspunkt der Interpretation des Buberschen Erziehungsdenkens sprechen auch die späteren Selbstaussagen Bubers. Ausgangspunkt seines Philosophierens sei die Anthropologie im Zeichen der subjektiven Gotteserfahrung. 64 In Ich und Du hat diese Erfahrung ihre abschließende religionsphilosophische Gestalt gefunden. Die Dualität der menschlichen Erfahrung in der Ich-Du-Beziehung und in der Ich-Es (Welt)-Beziehung ist das Thema der Buberschen Existenzphilosophie. Gott erfahre ich in der Begegnung mit dem anderen als eine andere Wirklichkeit. Diese religiöse Grundlegung ist genuin mit Bubers Zionismus verbunden, denn der Kulturzionismus schafft die jüdische Nation durch Erziehung und Bildung. Erziehung ist insofern zugleich Topik wie Utopik. Der politisch und theologisch entscheidende Aspekt der idealtypischen Figur des Chaluz, des jüdischen Siedlers in Palästina, zu dem junge zionistisch orientierte Jugendliche erzogen werden sollten, ist die Nationalbildung, die bei Buber vor der Einwanderung nach Palästina auch unter dem Begriff »Volkserziehung« firmiert und die ohne seine Ausführungen zur Gemeinschaftsbildung vom Ende der zwanziger Jahre nicht zu verstehen ist. Ziel und Weg der Erziehung ist die neue Gemeinschaft in Zion, an der der junge Mensch als Chaluz baut. Dieses Thema bestimmte die zionistischen Ansprachen an die Jugend und die Referate, Eingaben und Reden über nationale Erziehung, über Volkserziehung und über zionistische Pädagogik. In anderer Weise, ohne auf die zionistische Gestalt des »Neuen Menschen« einzugehen, beschäftigt das Thema Buber aber auch in Beiträgen im Rahmen der Volkshochschulbewegung der Weimarer Republik und der Diskussion um Gruppenidentität und das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft. Die von Herman Nohl zur Charakterisierung der Reformpädagogik und der Jugendbewegung vorgenommene Einteilung in eine Epoche vor dem Ersten Weltkrieg, die sich an der »Persönlichkeit« orientierte, und in eine Nachkriegsepoche, die sich der Erziehung zur Gemeinschaft widmete, spiegelt sich, wie bereits erwähnt, im Buberschen Werk. Buber kann als einer der herausragenden Theoretiker dieser Gemeinschaftsorientierung während der Weimarer Republik gelten, zunächst innerhalb des deutschsprachigen Judentums aber auch darüber hinaus. 65 Bubers Ideen zur Herstellung von Gemeinschaft basieren auf seinem religiösen Sozialismus, der durch den prägenden Einfluß Gustav Landauers (1870-1919) anar64. M. Buber, Antwort, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, S. 589639. 65. Vgl. Zu diesem Komplex M. Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, S. 21-78.
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chistisch gefärbt war. Seine zionistische Orientierung bedeutete, daß für das jüdische Volk ein neues Gemeinwesen aufzubauen ist, das sich auf die religiösen Wurzeln des Judentums beruft. Buber deutet diese zionistischen Ziele als über das Nationale hinausgreifenden Humanismus, weil für ihn das jüdische Volk für den modernen Menschen par excellence steht. Der in der kritischen Situation im Mai 1933 gehaltene Vortrag Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule bezeichnet die Juden in Deutschland als Menschen, die am »exponiertesten Punkt« der gegebenen Situation stehen.66 Deshalb muß das Bildungsziel der jüdischen Schule »nicht partikularistisch, sondern allgemein« formuliert werden. Der hier formulierte Gedankengang, der die »eingebrochene neue erschienene Labilität der Geschichte« beschwört, sozusagen die endgültige Form der seit 1919 immer wieder konstatierten Krise, beschreibt die radikale Infragestellung jüdischer Menschen durch den Rassismus des Nationalsozialismus als extremen Ausdruck der conditio humana im 20. Jahrhundert. Deshalb ist die Antwort aus dem Judentum heraus eine universale. Um die Erziehungsphilosophie Bubers angemessen zu verstehen, muß auf diesen politischen und religiösen Zusammenhang verwiesen werden, der sowohl die zionistische nationale Zielsetzung wie den Universalitätsanspruch der Buberschen Erziehungsphilosophie erklärt.
Der Neue Mensch
Der »Neue Mensch« ist das Thema der reformpädagogischen Bestrebungen seit ihrem Beginn. 67 In der Erziehungsphilosophie Martin Bubers bekommt die Vorstellung vom »Neuen Menschen« durch die Verankerung im Zionismus eine besondere Färbung. Erstmals taucht die Gestalt des Chaluz als zionistischer »Neuer Mensch« in dem Referat Volkserziehung als unsere Aufgabe auf, das Buber auf dem XXI. Delegiertentag der Deutschen Zionistischen Vereinigung (Zionistische Vereinigung für Deutschland)1926 hielt. Im Gegensatz zu dem Memorandum Universität und Volkshochschule, gerichtet an die Exekutive der Zionistischen Organisation von 1924, wird in diesem Referat die pädagogische Dimension der Gründung einer Universität und einer landesweiten Volkshochschule thematisiert. Ziel dieser Einrichtung ist die Erziehung des Chaluz, des 66. Siehe unten S. 228-234, v. a. S. 230. 67. Vgl. J. Oelkers, Von der Welt des Emiles zur Erziehungsdiktatur, in: N. Lepp/M. Roth (Hrsg.), Der Neue Mensch, S. 37-47.
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neuen Juden, der in Palästina die Gemeinschaft bauen wird. Erziehung bekommt eine mystisch-revolutionäre Färbung, die wie bereits erwähnt auf Gustav Landauers Einfluß zurückgeht. Noch deutlicher wird dies in den späteren Texten, in denen Buber das Projekt der Hochschule für die Lehrer des Volkes in Israel (Beth Midrasch Lemorei Am) entwickelt. Angetrieben durch die Sorge um das Versagen der Nationalerziehung in der Zeit der Masseneinwanderung unmittelbar nach der Staatsgründung, will Buber nach 1948 unter den Einwanderern junge Menschen finden, in denen der »chaluzische Funke« 68 schläft, den es für die Volksbildung zu entfachen gilt. Als Ergebnis der Chassidismusstudien, in denen Buber zu der Überzeugung gelangte, die chassidische Bewegung habe die letzte Gemeinschaftsform des Judentums hervorgebracht, entwickelte Buber die Gegenüberstellung von Chassid 69 und Chaluz. 70 Der Chassid steht als zionistisches Vorbild für die Orientierung an der jüdischen Tradition. Er ist der religiöse jüdische Mensch, der sich an der Nächsten-Fernstenliebe bewährt durch Selbstliebe, d. h. durch Naivität, Schlichtheit und Unmittelbarkeit. Der Chaluz muß erst noch entworfen werden. Er ist der jüdische Landarbeiter in den Gemeinschaftssiedlungen Palästinas, der Mensch als lebendes Experiment. 71 Zwischen dem »faschistischen Tatmenschen« und der »kommunistischen Vergottung der Idee« entwickelt Buber das Bild des sich verwirklichenden Menschen in der arbeitenden und gerechten Gemeinschaft. Das Handeln dieses Typus ist bestimmt durch die Begriffe: Bewährung, Standhalten, konkrete Situation. Zion ist nach Buber deshalb nicht nur ein territorialer Begriff, sondern ein Menschheitsexperiment. So etwa findet sich der Gedankengang in der kurzen Vorrede Die Frage nach Jerusalem zum Palästinaheft von Das Werdende Zeitalter von 1929. Jedes Erziehungskonzept, das sich auf die Avantgarde einer politischen Bewegung bezieht, trägt elitäre Züge, denn die Ansprüche an die Vertreter der Avantgarde sind hoch, und es werden immer nur wenige ihnen Genüge tun können. Deutlich wird dies besonders in der Rede Über Charaktererziehung, die Buber 1938 vor den jüdischen Lehrern in Palästina hielt. Dort wird die Frage aufgeworfen, wie »große Charaktere« zu er68. Der revolutionäre »Funke« ist eine der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystik entnommene Vorstellung, die Gustav Landauer in seiner Revolutionstheorie aufgegriffen hat. 69. Chassid, hebr. »der Fromme«, Angehöriger der chassidischen Bewegung, einer mystischen jüdischen Frömmigkeitsbewegung. 70. M. Buber, Mein Weg zum Chassidismus, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1918. 71. Vgl. dazu die Studie von E. Lappin, Martin Buber. Zionismus und Chassidismus.
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ziehen sind. Weder ein System von Maximen, wie es etwa von Immanuel Kant (1724-1804) oder Georg Kerschensteiner (1854-1932) entwickelt wurde, noch ein »System von Gewohnheiten« kann »große Charaktere« hervorbringen, sondern ausschließlich – hier findet sich ein expliziter Bezug auf den amerikansichen Pragmatisten John Dewey (1859-1952) – situative Verantwortung. Bubers eigene Begründung aber liegt, anders als die Deweys, der seine Anthropologie von der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft her entwickelt, in seiner existentialistischen Auffassung vom Menschen: Die Sehnsucht nach der persönlichen Einheit, aus der die Einheit der Menschheit geboren werden soll, soll der Erzieher in seinen Zöglingen erfassen und stärken. 72 Wenn der Mensch in sich selbst Frieden gestiftet hat, ist er fähig, Frieden in der ganzen Welt zu stiften. Handelt es sich bei Dewey um eine Art Anpassung des Individuums an die Gesellschaft, d. h. um eine soziale Lösung, so ist die andere Tradition, in der es um die Suche des Individuums nach dem Frieden mit sich selbst geht, die Mystik. Im Gegensatz zur sozialen Lösung bei Dewey und zur individualistischen in der Mystik, findet nach Bubers Auffassung dieser Prozeß in der Begegnung mit dem Anderen, im Dialog statt. Gemeinschaft bildet sich nicht durch Partizipation an gemeinsamen institutionellen Regeln oder Ritualen, sondern nur in der persönlichen Begegnung mit den Individuen. Das ist ein elitäres Konzept von Gemeinschaft und wirft für den Gemeinschaftsbildungsprozeß das soziologische Problem von Leitung und Herrschaft auf. Wer führt, wer wählt aus, wie findet die Gemeinschaft ihre neuen Mitglieder? Es ist Buber bewußt, daß sich diese Fragen in seinem Konzept der Gemeinschaft verbergen. Seine Antwort findet er darin, daß die legitime Elite der Sache dient, statt sich ihrer zwecks Herrschaftsausübung zu bedienen. Die legitime Elite wird von und in der historischen Krise geboren, kann sich aber nur durch Erziehung bewahren und fortsetzen. Insofern nehmen die Lehrer eine zentrale Rolle in der Gesellschaft ein. Damit entsteht aber bereits das nächste Problem: Der Lehrerberuf ist ja kein Beruf einer Elite, sondern ein Massenberuf. Wieder arbeitet Buber mit Typologien: Als wünschenswerte Lehrer werden der Begründer des Chassidismus, Ba’al Schem Tow (1700-1760; eig. Israel ben Elieser), der Meister, der von Person zu Person wirkt, und der zionistische Publizist Achad Ha’am (1856-1927) genannt. Solche Lehrer wünschen keinen Glauben an sich selbst, sondern erwecken »Vertrauen« und unterscheiden sich dadurch 72. Vgl. zu Buber und dem Pragmatismus Paul E. Pfuetze, Martin Buber und der amerikanische Pragmatismus, in: P. A. Schilpp/M. Friedmann (Hrsg.) Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, S. 448-479.
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vom faschistischen Führertyp in der illegitimen Elite. Dieser Führer nutzt seine Position aus, um über die Mitglieder der Gemeinschaft Herrschaft auszuüben. Diese Synthese aus Existenzialphilosophie und Zionismus, d. h. nationaler Wiedergeburt, ist die Grundlage der Erziehungsphilosophie Bubers. Für seine Rolle in der jüdischen Gemeinde zwischen 1933 und 1938 und für die Rezeption in der nichtjüdischen Pädagogik in Deutschland vor und nach 1933, vor allem aber nach 1945, hat diese Dimension seines Denkens jedoch jeweils eine andere Bedeutung gehabt.
Dialogisches Prinzip und die Aufgabe des Lehrers
Warum Buber in der jüdischen Gemeinde unter Ausblendung der zionistischen Dimension sprechen konnte, erklärt sich aus dem schon angedeuteten universalen Anspruch seiner Vorstellung von jüdischer Erziehung und Bildung gerade in der Krisensituation. Volkserziehung war für Buber auch ein Thema, zu dem er sich an anderen Orten als in den zionistischen Vereinen und jüdischen Jugendverbänden seit der Heppenheimer Tagung 1919 Zur Erneuerung der Erziehung immer wieder äußerte. Dem Thema verdankt er nach Selbstaussage wesentliche Impulse für seine Erziehungsphilosophie. In der Vorrede zur Wiederveröffentlichung der Rede über das Erzieherische schreibt er selbst: »Die erste, die Rede über das Erzieherische, ist als Darlegung der Wesenshaltung zur verstehen, von der auch meine Beiträge zur Klärung der Probleme der Erwachsenenbildung ausgegangen sind, von meinem Referat über die Volkshochschule auf der Tagung für Erneuerung des Bildungswesens, in Heppenheim a. B. 1919 […] – bis zu meiner Teilnahme am Werk des Hohenrodter Bundes.« 73 Erziehung als Erschließung ist der Grundgedanke der Buberschen Erziehungsphilosophie, ein Gedanke, den Buber wie viele andere Pädagogen, so beispielsweise Paul Geheeb, mit dem Pindar-Zitat »Werde, der du bist« ausgedrückt hat. Aber auch im Rückgriff auf die jüdische Tradition des Chassidismus kann dieser Gedanke von Buber formuliert werden, wodurch die religiöse Grundierung der Erziehung unterstrichen wird. In den chassidischen Geschichten ist es »Die Frage der Fragen«, die diesen Gedanken zum Ausdruck bringt: »Vor dem Ende sprach Rabbi Sussja: »In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: ›Warum bist du nicht Mose gewesen?‹ Man wird
73. M. Buber, W I, S. 785.
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mich fragen: ›Warum bist du nicht Sussja gewesen?‹« Möglich ist die Erschließung des Ichs nur im Dialog zwischen Lehrer und Schüler. Das je Eigene kann nur im Dialog entwickelt werden, und Erziehung bedeutet diesen Dialog. Gelegentlich spricht Buber in diesem Zusammenhang auch von »hervorziehen«.75 Im Chassidismus, genauer gesagt im chassidischen Lehrer fand Buber weitere Vorbilder für seine eigene Vorstellung von Erziehung. Für den Schüler des Ba’al Schem Tow, Rabbi Dow Baer (1704-1772), den Maggid von Mesritsch, ist die Welt eine Selbstanpassung Gottes an seinen kleinen Sohn, den Menschen, den er zart und behutsam erzieht. Dieses »pädagogische Grunderlebnis« prägt die Intensität, mit der der Rabbi auf jeden einzelnen Schüler eingeht. 76 Eine praktische Umsetzung dieser pädagogischen Vorstellung, für die Buber Pindar und Rabbi Sussja als Kronzeugen des »dialogischen Prinzips« vereinnahmt, findet sich schon in der kleinen Gelegenheitsarbeit Über den deutschen Aufsatz. 77 Das Thema des Aufsatzschreibens wurde bereits von Friedrich Nietzsche in den Vorlesungen Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten ausführlich und radikal kritisch traktiert 78 . Buber betont so wie viele seiner Mitautoren die Bedeutung der präzisen Wiedergabe von selbst Gesehenem und selbst Erlebtem und lehnt abstrakte Themenstellungen zu allgemeinen Wertfragen ab. Damit macht er, wie viele andere Autoren auch, den Erfahrungsbegriff der zeitgenössischen neuen Philosophie fruchtbar. Originell ist Buber jedoch da, wo er sich auf das Problem der Mitteilung als einziger Aufgabe des Aufsatzes bezieht. Das dialogische Prinzip als wesentlicher Grund für jedes Erziehungshandeln sucht er also pädagogisch-praktisch zu wenden. Die Rede über das Erzieherische (1925) nimmt diesen Grundgedanken auf, allerdings in einer sehr expliziten Wendung gegen den herrschenden Topos der Reformpädagogik, der im Tagungsthema des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung auftaucht: »Die Entfaltung der schöpferischen Kräfte des Kindes«. Von Scarbath/Scheuerl wird diese Rede zu den wenigen weiterführenden Differenzierungsleistungen gerechnet, »die – ähnlich wie Theodor Litts (1890-1962) Führen oder Wachsenlassen – dem 74. Vgl. M. Buber, Die Erzählungen der Chassidim, Zürich: Manesse Verlag 1949, S. 349. 75. Siehe in diesem Band den Beginn des Textes Erziehen. Zum 90. Geburtstag von Paul Geheeb. 76. Vgl. M. Buber, Die Erzählungen der Chassidim, S. 35 f. 77. Zur Entstehung dieses Textes siehe den Kommentar in diesem Band. 78. F. Nietzsche, Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. Sechs öffentliche Vorträge 1872, in: Kritische Gesamtausgabe, Abteilung 3, Bd. Nachgelassene Schriften 18701873, hrsg. von Giorgio Colli u. a., Berlin 1973, S. 133-244, hier S. 170-173.
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praktischen Elan und den theoretischen Unschärfen der damaligen pädagogischen Reformbewegung Grenzbestimmungen setzte, ohne deren Ertrag preiszugeben.«79 . Die Grundlage für diese »Differenzierungsleistung« findet sich in der philosophischen Hauptschrift Ich und Du (1923), auch wenn dies von Buber in dieser Rede nirgendwo explizit gesagt wird. Die Anthropologie, die das Menschsein aus der Begegnung versteht und diese Begegnung zugleich als den Ort der religiösen Erfahrung definiert, bildet dafür die Voraussetzung. Bubers grundsätzliche Zurückweisung der Vorstellung, die »schöpferischen Kräfte des Kindes« seien der Ausgangspunkt pädagogischen Handelns, wird zu den ablehnenden Urteilen im Publikum der Heidelberger Tagung geführt haben, von denen in der Presse berichtet wurde. Die in der Rede entwickelte Vorstellung der Rolle des Lehrers war dem Lehrerverständnis der radikalen Schulreformer eher fremd. Viele von ihnen sahen im Lehrer einen unterstützenden Begleiter des Kindes. Buber hingegen weist ihm die Aufgabe zu, die Welt dem Kinde gegenüber zu repräsentieren. Diese hohe Verantwortung für die stoffliche Seite der Erziehung und Bildung, die Buber dem Lehrer aufträgt, also nicht nur die Beziehung von Ich und Du, sondern auch die Rolle bei der Begegnung des Zöglings mit dem Es (= der Welt, den Dingen etc., dem nicht Personhaften, dem Wissen) wird sonst in der Reformpädagogik nicht vorausgesetzt. Das verbreitete Verständnis der Reformpädagogik, daß der Lehrer nur die sowieso schon vorhandenen schöpferischen Kräfte des Kindes zu wecken habe, bedeutete in der praktischen Erziehung eine der wesentlichen systematischen Schwächen dieser pädagogischen Orientierung mit großen negativen Auswirkungen. Buber begegnet diesem Verständnis in dieser Rede also außerordentlich kritisch, indem er das Verhältnis von Lehrer und Schüler, die Gestalt und Aufgabe des Lehrers sowie das Verhältnis von Unterricht und Erziehung wesentlich differenzierter umreißt. 80 Die Aufgabe des Lehrers war ein zentrales Thema der reformpädagogischen Bewegung und beschäftigte die pädagogische Fachwelt in der Weimarer Republik. Exemplarisch dafür war die Kontroverse auf dem Weimarer Pädagogentag 1926 zwischen Theodor Litt und Gertrud Bäumer (1873-1954) und die sich daran anschließende Diskussion. 81 In Die Kreatur, einer 79. H. Scarbath/H. Scheuerl, Klassiker der Pädagogik, Bd. 2, S. 220. 80. Zur kontroversen Aufnahme der Rede auf dem Kongreß selbst siehe den Kommentar in diesem Band. 81. G. Ried, Die moderne Kultur und das Bildungsgut der Deutschen Schule. Bericht über den Pädagogischen Kongreß des Deutschen Ausschusses für Erziehung und Unterricht, veranstaltet in Weimar vom 7. bis 9. Oktober 1926, Leipzig 1927, S. 1-11; S. 30-37.
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überkonfessionellen von 1926 bis 1930 von Buber gemeinsam mit Josef Wittig (1879-1949) und Victor von Weizsäcker (1886-1957) herausgegebenen Zeitschrift, publizierte Eugen Rosenstock (1896-1929) einen Briefwechsel mit einem Jugendführer zum Thema, ob der Lehrer zugleich ein Führer sein darf. 82 Buber vertritt weder die Position von Litt, der gegen jede Überforderung des Lehrers in der zeitgenössischen Pädagogik das pädagogische Handwerk in den Vordergrund stellt, noch überhöht er die Lehrerperson im Sinne der Bäumerschen Führer-Erlöser-Gestalt. In der ausführlichen Erörterung der Bedeutung von Eros und Machtwillen in der Erziehung stellt Buber kritisch fest, daß Eros die Gefahr ist, die in der neuen Erziehung liegt, Machtwillen die, die in der alten Erziehung lag. »Eros ist Wahl, Wahl aus Neigung. Erziehertum ist eben dies nicht.« 83 Im historischen Rückblick ist auch diese Unterscheidung eine weiterführende Differenzierungsleistung in bezug auf die Beziehung zwischen Erzieher und Zögling im pädagogischen Denken der Reformpädagogik. Die kritische Frage, ob die Person des Lehrers durch Bubers Postulat nicht hoffnungslos überfordert sei, wurde oft gestellt. Junge Lehrer der Kibbutzbewegung stellten sie ebenso wie die pädagogischen Gesprächspartner in den Philosophical Interrogations. Auch Scarbath und Scheuerl haben sie aufgegriffen.84 Sie stellt sich immer dann, wenn die anthropologische Grundlegung Bubers, die dialogische Situation des Menschen, als Postulat und nicht als conditio humana verstanden wird. Anders als die meisten Texte dieses Bandes wendet sich die Rede über das Erzieherische an ein nichtjüdisches, pluralistisches Publikum. Seine Aussagen wirken deshalb im Vergleich zu denen in Reden vor einem jüdischen oder zionistischen Publikum unverankert. Das liegt daran, daß Buber diesem Publikum die religiöse Rückbindung nicht vorschlagen kann. Dennoch hat diese Rede gerade deshalb eine so breite Wirkung entfalten können. Sie trifft ein allgemeines Problem der in Heidelberg versammelten Erziehungsreformer: das Bewußtsein, in einer normativen Krise neue Wege für eine verantwortliche Erziehung finden zu müssen. Das Krisenbewußtsein der frühen zwanziger Jahre spiegelt sich in ihm wider. Keine festen Erziehungsnormen, auch keine pädagogische Auto82. E. Rosenstock, Lehrer oder Führer. Zur Polychronie des Menschen, in: Die Kreatur 1, 1926/27, S: 52-68; 230-246; 409-425. 83. M. Buber, Rede über das Erzieherische, siehe unten S. 146 in diesem Band. 84. M. Buber, Kibbutzleben zwischen Nähe und Beziehung. Eine Begegnung junger Kibbutzerzieher mit Martin Buber, in: M Buber, Pfade in Utopia, S. 300-115; S. Rome/ B. Rome, Philosophical Interrogations, New York 1964, S. 64 f. und H. Scarbath/ H. Scheuerl, Martin Buber, in: Klassiker der Pädagogik, Bd. 2, S. 221.
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nomie wird propagiert, sondern heroisch formuliert der Autor: »Erst […] im kreisenden Wirbel der Freiheit ersteht die personhafte Verantwortung, die zuletzt mit ihrer Entscheidungslast keiner Kirche, keiner Gesellschaft, keiner Kultur mehr sich anlehnen kann, die einsame im Angesicht des Seienden.«85 Auch Bubers große Wirkung in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland dürfte in dieser individualistischen, ideologiekritischen Tendenz gelegen haben. Eine ganz andere Wirkung haben diese Gedankengänge für Bubers Überlegungen zum jüdischen Bildungsproblem nach 1933 und für die Konzeption des Lehrhauses oder dessen frühere Variante einer Volkshochschule in Palästina gehabt. In diesen Fällen wurden sie zur Meisterung von konkreten Krisensituationen konkreter sozialer Gruppen fruchtbar gemacht, ein Kontext, der bei der Tagung des Weltbundes 1925 fehlte. So ist denn auch die existentialistische Abgrundsfurcht der zwanziger Jahre in der historischen Situation der Verfolgung zurückgewichen, um einer konkreten sozialen Aufgabe Platz zu machen. Dies belegt eindrucksvoll ein Bericht über die Rede Die Aufgabe des Lehrenden, die Buber bei einer Lernzeit in Düsseldorf im Herbst 1937 hielt, also kurz bevor er Deutschland verließ. Da, wo ein »Lernender in Gemeinschaft mit seinem Lehrer zu einer Wirklichkeit geführt werden soll«, müsse eine Einheit entstehen zwischen dem, was gelehrt werden soll und der Tat, die daraus entstehen soll. 86 In dem wesentlich später entstanden Text Aus einer philosophischen Rechenschaft findet sich die Aussage, daß er vom Lehrer nicht erwarte, daß dieser »Anweisung dafür gebe, wie wir den Weg gehen sollen«, sondern daß man »die Richtung« 87 empfangen sollte, nicht aber die Weise, in der man dieser Richtung zustreben soll. Auch in den Texten zur Erwachsenenbildung, in denen Buber das Konzept des Volkslehrers in Israel entwickelt, wird dieses Verständnis der Beziehung als wesentlicher Bestimmung von Erziehung und Unterricht herausgearbeitet. Der Satz »Kontakt ist das Grundwort der Erziehung« aus dem Grußwort zu Paul Geheebs 80. Geburtstag und zum vierzigjährigen Bestehen der Odenwaldschule variiert diesen Gedanken noch einmal sprachlich. Für die pädagogische Arbeit des Lehrers bedeutet er: der Unterricht soll »nicht bloß Auskunftsuchen von unten und Auskunftgeben von oben, auch nicht bloß Fragen und Antworten hinüber und herüber, sondern echtes Wechselgespräch, das der Lehrer zwar leiten 85. M. Buber, Rede über das Erzieherische, siehe unten S. 153. 86. Der Text dieser Rede ist nur überliefert aus einem Brief. Siehe: F. Sommerfeldt, Aus einem Brief an die Mittlerenschaft in Frankfurt am Main, in: Werkleute, Berlin 1938, S. 1-4. 87. P. A. Schilp/M. Friedman, Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, S. 615.
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und beherrschen, in das er aber eben doch auch mit seiner eigenen Person unmittelbar und unbefangen eintreten muß« 88 , sein.
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Die Kritik an Bubers Auffassung von der Aufgabe des Lehrers, die eine Überforderung bedeute, erscheint akademisch, wenn man sich in die Lage jüdischer Lehrer in Deutschland im Frühsommer 1933 hineinversetzt. Die kritische Situation trat sehr real ein, als jüdische Lehrer nach den Gesetzen vom April 1933 gezwungenermaßen die Verantwortung dafür übernehmen mußten, was jüdische Kinder lernen sollten. 89 Es war insofern nicht erstaunlich, daß gerade Buber zu denen gehörte, die in dieser Situation sehr entschieden das Wort ergriffen. Explizit behandeln das Problem der Bildung im Kontext einer Diskussion um allgemeine Bildung (nicht Allgemeinbildung) folgende Reden und Zeitungsartikel: Bildungsziel und Bildungsmethode der jüdischen Schule, Die Kinder und Unser Bildungsziel. 90 Die drei Texte entstanden im Mai 1933. Sie dokumentieren die bildungstheoretischen Reflexionen Martin Bubers in dieser extrem schwierigen Situation, die ihre bildungspolitische Umsetzung in den zeitgleich entstandenen Vorschlägen zur Neuorganisation des jüdischen Bildungswesens fanden.91 Der zeitgeschichtlichen Notlage, in der sich jüdische Lehrer, Kinder, Eltern und Studenten aufgrund der Vertreibung aus den deutschen Schulen und Hochschulen durch die Gesetze vom April 1933 befanden, sucht Buber durch eine Neudefinition einer Bildung für alle jüdischen Kinder zu begegnen. Es muß in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß auf die eingetretene Situation niemand in der deutschen jüdischen Bevölkerung vorbereitet war. Die einzige Gruppe, von der zu erwarten war, daß ihre Situation sie eher in die Lage versetzen würde, eine Antwort auf die Bildungsfrage der Erziehung der jüdischen Kinder zu finden, waren die Zionisten. 92 So zeigt bereits der Vortrag Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten als ein früherer Versuch zur Problematik des Kanons der jüdischen
88. Über den Kontakt, Festschrift für Paul Geheeb, siehe unten S. 359. 89. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (7. April 1933) und Gesetz gegen die Überfüllung der Schulen und Hochschulen (25. April 1933). 90. Zur Entstehung dieser drei Texte, die in engem Zusammenhang stehen, siehe den Kommentar in diesem Band. 91. Entwürfe und Programme, siehe unten in diesem Band. 92. Siehe zu den Details der Textentstehung den Kommentar in diesem Band.
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Schule für deutsche jüdische Kinder, daß Buber sich mit dem nun viel dringlicher aufgetretenen Problem schon 1929 befaßt hatte. Es ist eine der bemerkenswerten Leistungen Bubers, daß er in der neu entstandenen bildungspolitischen Situation für die jüdische Minderheit in Deutschland nach dem Januar 1933 als Zionist sprach, aber nicht zu Zionisten und auch nicht mit dem Ziel, zionistische Propaganda zu betreiben. Zentrales Thema war jetzt das Problem der Verwurzelung der deutschen Juden und ihrer Kinder in der deutschen Kultur. Besonders eindrücklich ist dies als Problem in dem Text Die Kinder formuliert, den er, angeregt durch Hermann Gersons Reaktion auf den in Berlin am 21. Mai 1933 gehaltenen Vortrag Bildungsziel und Bildungsmethode der jüdischen Schule, unmittelbar anschließend für die Jüdische Rundschau verfaßte. 93 In dem genannten Vortrag knüpft Buber mit einem Verweis auf Johann Georg Hamann (1730-1788), Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Wilhelm von Humboldt (1767-1835) an die klassische deutsche Bildungstradition an. Deren Niedergang im 19. Jahrhundert sei dadurch besiegelt worden, daß das universalistische Menschenbild der deutschen Klassik zugunsten eines partikularistischen nationalen Bildungsziels degenerierte und im Zuge der allgemeinen Politisierung der Bildungsziele schließlich zum nationalsozialistischen Menschenbild geführt habe. Die jüdische Antwort liege in einer Rückbesinnung auf die eigene jüdische Identität mit ihrer universalen Vorstellung vom Menschen. Daß die jüdische Identität dieses allgemein Menschliche verkörpert, hat sich für den Redner gerade in der gegebenen Situation der drohenden Verfolgung erwiesen: »Ich glaube Ihnen nichts Neues zu sagen: der Mensch an dem exponiertesten Punkte der Situation, das sind wir.« So habe die nationalsozialistische Politik dazu geführt, daß die Vermittlung der deutschen Kultur in der jüdischen Schule mehr als fragwürdig erscheinen müsse. »Wenn einem die Kelle aus der Hand geschlagen wird, mag der Zusammenhang mit dieser Kultur bestehen bleiben, aber der Mensch vermag, nicht mehr für den Mittelpunkt einer Form dieser Kultur einzustehen«, lautet Bubers Schlußfolgerung aus der neuen Situation für die Bildungsziele der jüdischen Schule. Der Vortrag fand in der jüdischen Presse starken Widerhall: berichtet wurde in der Jüdischen Rundschau (25. 5. 1933), der C.V. Zeitung (2. 6. 1933), dem Israelitischen Gemeindeblatt (2. 6. 1933). Ein späterer Bericht von Fritz Friedländer94 (1901-1980), einem der von dem Gesetz 93. Vgl. M. Buber, B II, S. 483 (an Gerson, 29. 5. 1933). 94. F. Friedländer, Trials and Tribulation of Jewish Education in Nazi Germany, in: Leo Baeck Institute Year Book, 3, 1958, S. 187-201.
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zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums betroffenen Lehrer, gibt nicht nur ein bewegendes Bild von der Veranstaltung wieder, sondern zeigt auch, wie genau Buber mit diesem Vortrag die Problematik der deutschen jüdischen Lehrerinnen und Lehrer traf und wie notwendig seine Ausführungen als Hilfestellung zur Neuformulierung der Bildungsziele und zur Revision der Lehrpläne in jüdischen Schulen in dieser Zeit waren. Weniger erfolgreich war Buber in der Umsetzung seiner Vorstellungen auf der institutionellen Ebene. Unter den Texten, die Buber 1935 in Die Stunde und die Erkenntnis unter dem Titel Entwürfe und Programme publiziert hat, findet sich der Vorschlag zur Errichtung eines Bildungsamtes, das Buber in dieser Situation zur Neuorganisation eines jüdischen allgemeinbildenden Schulwesens in ganz Deutschland für unbedingt geboten hielt, das jedoch nicht zustande kam. Auch die Weiter- und Ausbildung von Lehrern im Rahmen einer Lehrerbildungsanstalt für jüdische Lehrer, die bis dahin an allgemeinbildenden Schulen tätig gewesen waren, konnte nicht in der von Buber gewünschten Weise verfolgt werden.95 Diese Vorschläge entstanden in den Monaten zwischen Mai 1933 und Dezember 1933. Das von Buber geplante Bildungsamt und die deutsch-jüdische Lehrerbildungsanstalt (Zwei Vorschläge) sind als Reaktion auf die nationalsozialistische Schulgesetzgebung zu sehen. Die zentralistisch autoritäre Führung des Bildungsamtes sollte gewährleisten, daß die jüdischen Kinder und Jugendlichen, die im öffentlichen Schulwesen diskriminiert und tendenziell ausgegrenzt wurden, eine neue jüdische Identität erringen konnten. Entsprechend wurden die Zielsetzungen des jüdischen Schulwesens in diesem Vorschlag formuliert. Übrig blieb von den Entwürfen und Programmen nur die Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung. Die Wirkung bzw. Wirkungslosigkeit der Entwürfe und Programme erklärt sich aus der Situation der jüdischen Gemeinden und ihrer Vertreter nach dem 30. Januar 1933. In der Reichsvertretung der jüdischen Landesverbände waren von den liberalen Positionen des CV bis zu zionistischen und orthodoxen alle Richtungen vertreten. Die liberalen Positionen waren im deutschen Judentum stark, und insofern ist es nicht verwunderlich, daß die Vorschläge eines bekannten Zionisten und religiösen Sozialisten auf erhebliche Skepsis stießen. Bubers Vorschlag eines Bildungsamtes mit ihm als Leiter mußte in dieser Gruppierung, die sich der Pluralität der Meinungen verpflichtet wußte, auf Widerstand treffen. Die Bubersche Position war zu radikal und auf eine jüdische Identität hin 95. Zu den Vorgängen im einzelnen siehe den Kommentar in diesem Band zu Entwürfe und Programme.
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orientiert, als daß die Reichsvertretung sie hätte zur gemeinsamen Schulpolitik werden lassen können. Aus der Retrospektive fragt man sich, warum Buber die Pluralität der jüdischen Gemeinde so wenig gesehen hat und zu der Fehleinschätzung kam, er könne in der Reichsvertretung von allen Gruppierungen akzeptiert werden. Buber selbst würde die Frage nicht gelten lassen: Er wollte zwar politisch handeln, aber es gehörte zu seinen politischen Grundüberzeugungen, daß er nur die Antworten zur Richtschnur seines politischen Handeln machen konnte, die er selbst zu geben vermochte. Für ihn war die Assimilation seit Jahrzehnten keine Option mehr, und insofern konnte er in der Krise des Verhältnisses der nichtjüdischen Mehrheit und der Juden in Deutschland nur in diesem zionistischen Sinne antworten. Für diese kritische Situation nach dem 30. Januar 1933 und ihre bildungsgeschichtliche Dimension bleibt festzuhalten: Es waren die pädagogischen Traditionen der Weimarer Republik, die Buber mit entwickelt hatte und die er jetzt vortrug, die ihm als Sprecher und Organisator des jüdischen Bildungswesens zwischen 1933 und 1938 Autorität verliehen, die seine Vorschläge andererseits aber auch nicht mehrheitsfähig machten. Die Haltung des CV, der von einem liberalen Humanismus ausging, war durch die politischen Gesetze und die entsprechenden Aktionen des Nationalsozialismus infrage gestellt. Die Rückbesinnung auf das eigene nationale humanitäre Erbe, das einem Konzept der gegenseitigen Anerkennung weltanschaulich unterschiedlicher Positionen verpflichtet war, mußte Buber in dieser Situation als die einzig überzeugende Antwort auf die Krise erscheinen. Damit knüpfte er an das Arsenal der Ideen der Reformpädagogik der Weimarer Republik an. Insofern mag man zwar Bubers Position aus einer liberalen Position heraus kritisieren, sollte aber für das Verständnis der zeitgeschichtlichen Situation im Auge behalten, daß dieser Liberalismus sich gerade als nicht stark genug gegenüber rassistischer Politik erwies. 96
96. Siehe im einzelnen zu dieser Phase der jüdischen Schulpolitik die Studie von Y. Weiss, Schicksalsgemeinschaft im Wandel. Jüdische Erziehung im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1938, Studie, Hamburg 1991, vor allem S. 42-45 und S. 7577. Weiss untersucht, wie die Pluralität der Juden in Deutschland sich bei der Entwicklung des jüdischen Schulwesens unter dem Nationalsozialismus erhielt und ausprägte. Weiss kommt in bezug auf die herausragende Rolle Bubers in dieser Phase der Verfolgung zu einer ähnlichen Bewertung wie ich, ohne allerdings das hier aufgeworfene Problem, daß Buber in dieser Phase dezidiert gegen eine pluralistische Leitung der Bildungsangelegenheiten votierte, zu thematisieren.
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»Den Schmerz wachhalten«
Die ethischen Konsequenzen aus der beschriebenen Definition von Erziehung bilden einen weiteren Grund dafür, daß Bubers Pädagogik im ideologiebefrachteten 20. Jahrhundert immer wieder neue Aktualität gewann. Über Charaktererziehung enthält wesentliche Aspekte der ethischen Dimension des Lehrerseins. Der Vortrag greift den Gedankengang aus Über das Erzieherische von 1926 auf, wonach die existentielle Begegnung zwischen Erzieher und Zögling die einzige Möglichkeit erzieherischen Einwirkens ist. Diese Position wird anhand der Kritik an Georg Kerschensteiner und John Dewey, zwei der einflußreichsten Reformpädagogen, entwickelt. Mit deren Positionen lasse sich kein Gegengewicht gegen den Kollektivismus und den Verlust des Selbst in der Gegenwart herstellen. Nur die existentielle Begegnung zwischen Erzieher und Zögling vermöge es »den Schmerz wach zu erhalten« darüber, daß der Einzelne keine Verantwortung für sich selbst übernehmen kann. Enthalten ist in diesem Konzept eine Kritik an normativen Vorstellungen, die davon ausgehen, auf der Grundlage allgemeingültiger Werte erziehen zu können. Auch wenn das von Buber gewählte Beispiel aus der Praxis seiner Zuhörer sich auf die nationalistische Variante des Kollektivismus, die im Zionismus entstanden war, bezieht, macht der Redner doch keinen Hehl daraus, daß er die Demokratie des Kollektivismus zeiht. Folgerichtig mußte er die pragmatistische Anthropologie Deweys einer Kritik unterziehen. Ähnlich wie der Text Bildung und Weltanschauung hatte diese Position für Erzieher in der Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren eine hohe Attraktivität: Sie stützte die Abwehr von kommunistischen und nationalistischen Positionen ohne Verpflichtung auf demokratisch liberalen Pluralismus. In der aktuellen Diskussion zur ethischen Erziehung in Gesellschaften mit pluralen Wertorientierungen hat Jan Masschelein97 unter dem Zitat »Den Schmerz wachhalten, das Verlangen erwecken« die Stärken des existentialistischen Ansatzes Bubers und Hannah Arendts (1906-1975) darin gesehen, daß sie den Einzelnen in seiner ethischen Orientierung vor kollektiven Vereinnahmungen schützen. Buber selbst hat dieser Rede einen besonderen Stellenwert in seinem pädagogischen Werk zugewiesen: Sie sei die Grundlegung für seine Tätigkeit innerhalb der Zentrale für Volksbildung der Hebräischen Universität und später der 1949 von ihm gegründeten und geleiteten »Hochschule 97. J. Masschelein, »Den Schmerz wachhalten, das Verlangen erwecken«. Einige Bemerkungen über Wissen und Gewissen, in: Alterität, Pluralität, Gerechtigkeit. Randgänge der Pädagogik, hrsg. von Jan Masschelein und Michael Wimmer, St. Augustin/Leuwen 1996, S. 187-217.
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für die Lehrer des Volkes« (Beth Midrasch Lemorei Am) gewesen. Die Hochschule hatte die Aufgabe der Heranbildung von Erwachsenenlehrern, »vornehmlich für die Massen der Neueinwanderer […] aus deren Kreisen stammt der größere Teil unserer Schüler.« 98 Buber formuliert die exientialistische Kritik an der durch Georg Kerschensteiner repräsentierten idealistischen Tradition und am Pragmatismus John Deweys. Seine eigene Verortung verdeutlicht zugleich, wie stark seine pädagogischphilosophische Reflexion sich letztlich an der Volksbildungsaufgabe entwickelte, die weder in Über das Erzieherische noch in Über Charaktererziehung explizit angesprochen wird.
4. Volksbildung Erwachsenenbildung und Volkserziehung
Die Erwachsenenbildung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verstand sich anders als die von den Universitäten seit den 1880er Jahren veranstalteten volkstümlichen Weiterbildungskurse als eine neue Form der »Laienbildung« (Wilhelm Flitner [1889-1990]) oder »Lebensbildung« (Eugen Rosenstock) und beanspruchte damit eine eigenständige Inhaltsbestimmung und Form, die unabhängig war sowohl von der allgemeinen Bildung, wie sie die Schulen vermittelten, als auch von der wissenschaftlichen Bildung, die die Universitäten lehrten. Der Dänische Theologe, Schriftsteller und Volkspädagoge Nicolai Frederik Severin Grundtvig (1783-1872) hatte mit der Volkshochschule als »Schule für das Leben« Bildungsvorstellungen und eine Bildungseinrichtung entworfen, die das Lernen junger Erwachsener im Leben des Volkes verortete.99 Dieses Konzept kam den Erwachsenenbildnern der »neuen Richtung« nach dem Ersten Weltkrieg eher entgegen als das an der englischen Form der University Extension orientierte Vorkriegsmodell der Volksbildung. Die Vertreter der Volkshochschulbewegung organisierten sich lose im Hohenrodter Bund mit der Zielsetzung, dem durch politische Gegensätze und regionale und religiöse Vielfalt differenzierten deutschen Volk in der neuen Republik durch die Erwachsenenbildung zu neuer Identität zu verhelfen.100 Martin Buber gehörte zwar dem Bund nicht unmittelbar an, stand ihm 98. M. Buber, RüE, S. 9. 99. Zur Bedeutung Grundtvigs für Bubers Konzept der Erwachsenenbildung siehe unten S. 66. 100. Vgl. J. Hennigsen, Der Hohenrodter Bund, Heidelberg 1958.
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aber nahe. Seine 1919 auf der Heppenheimer Tagung gehaltene Rede zur Volkshochschule dokumentiert, wie er die Ausgangslage nach dem verlorenen Krieg angesichts des Zusammenbruchs gesellschaftlicher Institutionen sah und welche Möglichkeiten der Bewältigung der gesellschaftlichen Erosion er in der Volksbildung erblickte. 101 Im Zentrum der Rede steht die Wiedergewinnung einer »zerbrochenen Kultur« durch die »Wahrung und Entfaltung der Volkskräfte« und durch den »Aufbau einer mit der Erziehung verknüpften neuen Integrität des Gemeinschaftslebens, die aufs innigste mit der Erziehung verbunden ist.« Hier wird eine Diagnose, die Buber für das Judentum im Zeitalter der Säkularisierung bereits vorgenommen hat, verallgemeinert. Dies ist eine argumentative Figur, die, wie wir bereits gezeigt haben, Buber häufig entwickelte und deren Legitimität sich für ihn aus dem besonders scharfen Betroffensein des Judentums durch die Loslösung aus vormodernen Bindungen ergab. Der Heppenheimer Vortrag formulierte die Grundlage für alle weiteren Ausführungen zur Volkshochschule, und zwar in so unterschiedlichen Kontexten wie Volksbildung in der zionistischen Bewegung, Erwachsenenbildung in Deutschland, jüdische Erwachsenenbildung in der Zeit des Nationalsozialismus und schließlich jüdische Erwachsenenbildung im Einwandererland Palästina sowie Erwachsenenbildung im Staat Israel. Für die deutschsprachige Pädagogik nach dem Zweiten Weltkrieg war die Rede Bildung und Weltanschauung einer der drei zentralen Texte Martin Bubers. Entstanden als Lehrhausrede 1935 hatte der Autor sie bei der Neuveröffentlichung 1953 einer hier zu berücksichtigenden Redaktion unterzogen. Er hat vor allem zeitbedingte, aber auch jüdische Bezüge entfernt. Dieser redaktionelle Eingriff zeigt, wie sehr Buber daran gelegen war, seine Überlegungen zur Bildung grundsätzlich und universal zu formulieren. Insofern scheint es gerechtfertigt, sie zu den grundlegenden Schriften der Volksbildung zu rechnen. Die Texteingriffe lassen auch die Vermutung zu, daß der 1935 in der deutschen Sprache noch selbstverständlich verwendete Begriff des Volkes für Buber im deutschsprachigen Kontext nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Völkermord an den europäischen Juden fragwürdig geworden war. Der Begriff, den er in der ursprünglichen Fassung benutzt hatte, setzte die existentielle Bedeutung des Volkes für den Einzelnen voraus. Nach der im Namen des deutschen Volkes vorgenommenen Ausrottung des jüdischen Volkes konnte er so in Deutschland nicht mehr verwendet 101. Vortrag über die Volkshochschule, Heppenheimer Tagung für die Erneuerung der Erziehung 1919, Arc. Ms. Var. 350/lamed 44.
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werden. Buber ersetzt 1953 den Begriff »Volk« durch »Ursprung« und streicht auch die Ausführungen über die Bildungskräfte des Volkes: Sprache, Schrifttum, Geschichte und Gemeinschaftsleben. Eine begriffliche Veränderung, die er in Texten zur Erwachsenenbildung in Israel nicht vornahm. Die Einrichtung zur Ausbildung von Lehrern für die Erwachsenenbildung trägt den Namen Beth Midrasch Lemorei Am (»Hochschule für die Lehrer des Volkes«). Durch die Aufgabe des Volksbegriffs sind nun die Spezifika der Bildungskräfte nicht mehr bezeichnet. Bestehen bleibt jedoch das bildungstheoretische Problem des sprachlich-kulturellen Bezugssystems und des Stoffes, mit dessen Hilfe Bildung stattfindet. Denn auch der Hinweis auf den Unterschied zwischen Realgesinnung (= Wirklichkeitsorientierung) und Fiktivgesinnung (= Ideologie) basiert auf der Annahme eines gemeinsamen homogenen Ursprungs aller Individuen, der real ist durch seine Verankerung im Volk. Bubers Schüler Shmuel N. Eisenstadt (geb. 1923) spricht in diesem Zusammenhang von »primordial relations of people and territory«. 102 Würde diese ursprüngliche Bindung an ein Volk ersetzt durch die Vorstellung eines allgemeinen menschlichen Ursprungs, was man nach der Fassung von 1953 unterstellen könnte, dann blieben Geschichte, Sprache und Schrifttum unbestimmt. Damit jedoch wären die Bildungsmittel unklar. Die Diskussion um die multiethnische Gesellschaft, die in den letzten beiden Jahrzehnten in Europa und Nordamerika entflammt ist, hat noch stärker gezeigt, als dies offenbar schon Buber dämmerte, daß der Rückbezug auf den gemeinsamen »Ursprung«, der durch Sprache, Geschichte, Schrifttum gegeben ist, einerseits prekär ist in Gesellschaften mit Gruppen aus verschiedenen kulturellen Bindungen, andererseits notwendig ist, um Bildung zu verwirklichen. Buber geht es nicht um »Toleranz«, sondern um die »Verzweigungen einer Wurzel«, wenn er von unterschiedlichen kulturellen Bindungen spricht. Es geht ihm nicht um »Minimalkonsens«, sondern um »Mutualität«, d. h. um die gegenseitige Anerkennung. Dies bezieht sich zunächst in der Entstehungszeit der Rede auf den Pluralismus der jüdischen Weltanschauungsgruppen, wird aber in der Fassung von 1953 so allgemein formuliert, daß es übertragbar auf andere Nationen oder Gesellschaften ist. Nicht nur um das »Was«, was einer bekennt, sondern auch um das »Wie« geht es. Die historische Situation des Einzelnen hat sich letztlich aus Bubers Sicht nicht grundsätzlich verändert: »Wir leben – man muß es immer wieder sagen – in einer Zeit, in 102. S. N. Eisenstadt, Martin Buber’s Approach to Sociological Analysis, in: Martin Buber (1878-1965), Internationales Symposium zum 20. Todestag, Bd. 2, hrsg. von Werner Licharz und Heinz Schmidt, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1991, S. 86-102.
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der Schlag auf Schlag die großen Träume, die großen Hoffnungen des Menschenvolks sich erfüllen: als ihre eignen Karikaturen. Was ist die Ursache all dieses massiven Scheins? Ich weiß keine andre als die Macht der Fiktivgesinnung. Diese Macht nenne ich die Ungebildetheit des Menschen dieses Zeitalters.« Erwachsenenbildung, hier ist man fast versucht, Erwachsenenbildung gegen die Absichten des Autors durch »politische Bildung« zu ersetzen, meint also die individuelle Überwindung dieser Fiktivgesinnung und insofern Bildung als Prozeß, der den Einzelnen in die Verfassung bringt, den Ideologien des Zeitalters zu widerstehen. Wenn man diesen Gesichtspunkt hervorhebt, wird verständlich, warum Martin Bubers Schriften zur Erziehung für die Erwachsenenbildung der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland eine große Anziehungskraft hatten. Sie versprachen, die »Karikaturen der Menschheitsträume« des 20. Jahrhunderts, den Nationalsozialismus und den Kommunismus, zu bannen. Bildung und Weltanschauung formuliert eine Position, die jenseits von nationalistischem Dogmatismus oder völkischer Borniertheit steht, die aber auch keinen Kulturrelativismus im Sinne von »alles ist gleichwertig« propagiert. Der Maßstab sind bei Buber jedoch nicht die »allgemeinen Menschenrechte«, wie sie heute von westlichen Kulturtheoretikern vertreten werden, sondern ist ein »jüdischer Humanismus«, der auf der judeo-christlichen Tradition beruht. In diesem Zusammenhang muß noch einmal auf das Alter der Zielgruppe in der Erwachsenenbildung hingewiesen werden, die Buber im Auge hatte. So wendete er sich beispielsweise in dem kurzen Ankündigungstext für die Neueröffnung des Lehrhauses an den »jungen (jüdischen) Menschen«. Jüdische Kinder und Jugendliche besuchten zwar in Deutschland prozentual häufiger höhere Schulen, als stark säkularisierte religiöse Minderheit war ihre Bildung in jüdischen Themen jedoch besonders unzulänglich. 103 Neben diesen sehr grundsätzlichen Erörterungen zur Theorie der Erwachsenenbildung hat Buber auch kleinere didaktische Arbeiten verfaßt. Einige Leitsätze für Arbeitsgemeinschaften verbindet Arbeitsformen der Reformpädagogik mit der Zielsetzung der Aktualisierung der jüdischen Tradition gemeinschaftlicher strenger Textarbeit. Dieser Text verdeutlicht auch, daß die Erwachsenenbildung in ihrer praktischen Form für Buber nicht nur im Freien Jüdischen Lehrhaus stattfand, sondern auch in 103. So findet sich in Franz Rosenzweigs Text Zeit ist’s (in: F. Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften 3, hrsg. von Rachel Rosenzweig u. a., Den Haag 1979, S. 461-481), auf den sich Buber in der Ankündigung der Wiedereröffnung des Lehrhauses bezieht, eine eindrückliche Beschreibung dieses Problems.
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anderen Organisationen der jüdischen Gemeinde der Weimarer Republik. Eigene Überlegungen zur jüdischen Erwachsenenbildung hat Buber in dem Text Warum gelernt werden soll formuliert, den er auf Anfrage für die Berliner Schule der jüdischen Jugend als Eingangsworte für deren Jahresprogramm schrieb. Der Text kann einerseits als Vorläufer der Lehrhausreden aus den Jahren 1933, 1934 und 1935 gelesen werden, andererseits ist er ein Beitrag zur zionistischen Diskussion um die Bedeutung von Bildung. Ausgehend von einer Beschreibung des »Lernens« unter den Bedingungen der Assimilation für eine zionistisch geprägte Lerngemeinschaft, hält Buber dem politischen Zionismus, der im jüdischen Palästina dominierte, eine Kritik aus religiöser Perspektive entgegen. Ohne die kulturelle religiöse Tradition, deren Bewahrung und Weiterentwicklung der Sinn des »Lernens« sei, sei der Aufbau Palästinas unmöglich, vom Leben in der Diaspora ganz zu schweigen. Der letzte Satz des Textes »Ob er sich sodann getraut, den Herrn der Stimme zu nennen und zu bekennen, wird seine Sache sein« interpretiert den Text über religiöse Erziehung in Das Werdende Zeitalter, den Buber im gleichen Jahr schrieb. 104 »Lernen« bedeutet in der hier entwickelten Form nicht Vermittlung religiöser Überzeugungen, sondern Vergegenwärtigung der Tradition. 105 Diese kann zur religiösen Erfahrung werden, doch liegt dies nicht mehr in der Hand des Lehrers, sondern ist ausschließlich Angelegenheit des Lernenden. Die Betonung auf der religiösen Tradition als Basis des Zionismus ist auch als eine Antwort zu verstehen auf die immer wieder erörterte Frage nach der Möglichkeit, dem »modernen Menschen«, vor allem dem aktiven Chaluz, von Gott zu sprechen.106
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Anknüpfend an die noch als Student gemeinsam mit Berthold Feiwel und Chaim Weizmann 1902 verfaßte Broschüre, die zur Gründung einer jü104. Siehe oben S. 32. 105. Der Einfluß Franz Rosenzweigs auf dieses Verständnis von Lernen wird in diesem Text Bubers besonders deutlich; vgl. dazu Nahum N. Glatzer, The Frankfort Lehrhaus, in: Leo Baeck Institute Year Book 1, 1956, deutsche Übersetzung in: Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886-1929), Bd. 1, hrsg. von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Internationaler Kongreß Kassel 1986, S. 303-326. 106. »Daneben eine starke ›Versachlichung‹. Gerade in zionistischen Kreisen setzt sich eine Art durch, die sagt: Palästina wird gebaut, auf jeden Fall, mit allen Mitteln. Wir sind nur Soldaten, mögen wir dabei kaputt gehen! – Und so versucht man in den Bünden ›Soldaten‹ zu erziehen: sachliches Können wird betont – […] Und dabei wird so wenig von dem Eigentlichen getan, so wenig Menschen geweckt, so wenig Verbindungen gestiftet.«, M. Buber, B II, S. 362-364 (Gerson an B., 10. 1. 1930).
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dischen Hochschule aufforderte , verfaßte Buber 1924 das Memorandum an die Exekutive der Zionistischen Organisation Universität und Volkshochschule. Vorausgegangen waren zwei Jahrzehnte der Bemühungen um die Gründung einer jüdischen Universität in Palästina. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges sah Buber die Gründungsaktivitäten der Zionistischen Organisation eher skeptisch, weil sie seines Erachtens dem Gedanken der Volksbildung nicht genügend Rechnung trugen. In der Denkschrift von 1924 hebt er, wie schon in der Denkschrift von 1902, die doppelte Funktion einer jüdischen Universität hervor. Als wissenschaftliche Forschungseinrichtung soll sie Akademiker ausbilden wie die traditionellen europäischen Universitäten, aber gleichzeitig hat sie eine Aufgabe beim Aufbau der Nation wie die Volkshochschule im Grundtvigschen Sinn. Die Ziele, die Buber auf der Heppenheimer Tagung zur Erneuerung des Bildungswesens von 1919 für die Volkshochschule bestimmt hatte, werden in diesem Schreiben für die zionistische Bewegung konkretisiert. Das Thema der Universitätsausbildung griff Buber erst wieder auf, als er nach 1938 selbst an der Hebräischen Universität lehrte. In diesem zweiten Text, der sich mit der Universitätsgründung und ihrer Bedeutung für den Zionismus befaßt, wird deutlich, daß er eine Einrichtung zur Forschung und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zwar für sinnvoll hielt, sein eigentliches Engagement aber der Volkshochschule galt. Stärker herausgearbeitet wird diese Perspektive von Buber in dem 1926 auf der Jahrestagung der Deutschen Zionistischen Vereinigung gehaltenen Referat Volkserziehung als unsere Aufgabe. Hier behandelt der Referent ausführlich die Bedeutung der Bildung beim Aufbau der nationalen Identität. Er vertritt die Meinung, daß sie für die Juden eine andere Bedeutung hat als für einen »Pole (n), Tscheche (n) oder Ire (n)«. Der Gedanke, der schon in Jüdisch leben, dem Dialog mit einem Knaben, entwickelt wurde, daß jüdisch leben für Juden in der Galuth etwas anderes bedeutet, wird wieder aufgegriffen. Jüdisch leben ergibt sich nicht zwanglos aus den Privatinteressen der Menschen jüdischer Herkunft. Die zionistische Bewegung braucht die aktive Bereitschaft des einzelnen Menschen, jüdisch leben zu wollen. Die zionistische Bewegung braucht den Chaluz, der in den zwanziger Jahren ergänzt wird durch den »Helfer«, den in der Galuth unterstützend tätigen Zionisten. Diese Notwendigkeit stellt den Zionismus vor die Aufgabe, die »nationale Aktion […] zu einem tradierbaren Werk« 108 zu machen. Damit ist zugleich die Bedeutung von Erziehung und Bildung für den Zionismus im 107. Siehe Anm. 6. 108. Siehe unten S. 157.
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Buberschen Sinn beschrieben. Diese Aufgabe kann die Jugendbewegung nicht übernehmen, denn diese lebt in der »begeisterten Gegenwart«. Für diese Aufgabe bedarf es einer institutionellen Absicherung durch eine zentrale Landesvolkhochschule in Palästina, in der Führer der lokalen Volkshochschulheime ausgebildet werden. Hier finden sich also bereits erste Überlegungen zu einer Einrichtung, wie Buber sie später in der Hochschule für die Lehrer des Volkes verwirklicht hat. Solange Buber in Deutschland lebte, hat er zur zionistischen Volkserziehung nach dieser Rede keine weiteren Beiträge mehr publiziert. Dem Text Das pädagogische Problem des Zionismus liegt ein unveröffentlichtes Manuskript zugrunde. Es ist kein Zufall, daß dieser Text nicht zum Druck befördert wurde, denn in der Zeit zwischen 1933 und 1938 stellte Buber an sich den Anspruch, die gesamte jüdische Gemeinschaft anzusprechen, ein Programm zu entwerfen und Antworten auf die verworrene und immer schwieriger werdende Lage für alle Juden in Deutschland nach 1933 zu finden. 109 Dieser Vortrag wendet sich jedoch an eine partikulare Gruppe innerhalb der deutschen Juden, der er sich selbst zugehörig fühlte und spiegelt das Dilemma des Autors wider, in dieser Zeit äußerster Bedrängnis der Juden an seinen kulturzionistischen Positionen festzuhalten. Buber arbeitet sich erneut an dem Konflikt ab, den er mit dem politischen Zionismus fast seit Anbeginn hatte. Dieser Konflikt innerhalb der zionistischen Bewegung zwischen politischer Aktion und kultureller Erneuerung hatte sich wegen der bedrohten Lage der deutschen und perspektivisch auch der europäischen Juden schärfer zugespitzt. Jetzt, wo es darum ging, Tausenden von jungen Menschen eine lebenswerte Perspektive zu ermöglichen, stellte sich die Frage, ob der Weg über Erziehung zur Neuschaffung der jüdischen Nation nicht unverantwortlich langwierig und unangemessen sei. Es gibt wenige Texte in diesem Band, in denen der Autor so persönlich spricht. Deutlich artikuliert er, daß er seine Verwobenheit mit der zionistischen Bewegung als einer politischen Bewegung, nicht einer Erziehungsbewegung, mehr denn je als Problem empfindet. Und so versucht Buber nachzuweisen, daß die Lösung der nationalen Frage nur in der Entwicklung eines Volkserziehungskonzepts liegen kann. Der politische Zionismus ist die »kleine« Lösung«, Buber strebt die »große« an. Die Gedanken, die er bereits im Memorandum für eine Universität und eine Volkshochschule an die Exekutive der Zionistischen Organisation von 1924 und im Referat Volkserziehung als unsere Aufgabe vor den deutschen Zionisten 1926 ent109. Siehe dazu Bubers Vorwort zu Die Stunde und die Erkenntnis. Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1953, S. 9.
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wickelt hatte, werden in diesem Vortrag aufgegriffen. Da durch die massive Bedrohung und Verfolgung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland eine neue Stufe der Diskussion erreicht ist, auf der die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern politischer Lösungen und den Kulturzionisten stattfindet, muß Buber erneut die Priorität von Bildung bei der nationalen Wiedergeburt begründen. Er hält daran fest, daß die nationale Volkshochschule als Bildungseinrichtung für die Elite der Siedler in Palästina unabdingbar ist. Es wird andere Zionisten gegeben haben, die andere Ziele für vordringlicher gehalten haben. Der mit dem Mut der Verzweiflung gesprochene letzte Satz »Wir glauben an den Sieg der Erziehung, wir erwarten den Sieg der Erziehung.« enthält ein pädagogisches Bekenntnis. Entwickelt wurde es aus dem Verständnis vom Judentum als Lerngemeinschaft, in dem die Spannung zwischen politischem Zionismus und pädagogischem Zionismus zugunsten der Erziehung aufgelöst wird. Im zeitgeschichtlichen Kontext der sich verschärfenden politischen Verfolgung der Juden in Deutschland mag diese Position vielen seiner zionistischen Mitstreiter trotzig und irreal erschienen sein. Auf besonders eindrucksvolle Weise weist sie jedoch auf den religiösen Kern in Bubers Erziehungsphilosophie hin. 1939 hielt Buber auf einer Reise durch Polen in mehreren Orten im Auftrag der Hebräischen Universität einen Vortrag, der auf Deutsch unter dem Titel Nationale Erziehung zunächst in Cerna˘ut¸i (Czernowitz) erschien. Inzwischen war er selbst nach Palästina eingewandert, und die Lage der Juden hatte sich in ganz Mittel- und Osteuropa dramatisch verschlechtert und zugespitzt. Die Rede greift den Gedankengang Das pädagogische Problem des Zionismus auf. Wenn Erziehung nicht, wie während des 19. Jahrhunderts geschehen, in nationalistische Konvention verfallen will, muß sie ihr Ziel in einer neuen nationalen Humanität finden. Erläutert wird dieses am fiktiven Fall der Erziehung eines »reinen Chinesen«, quasi einer Karikatur. »Die humane Aufgabe, die im chinesischen Geist ruht, ist ein großes Ziel, aber die Züchtung des unverfälschten Chinesen führt in die Zoologie.« 110 Die implizite Kritik an der »deutschen Erziehung« des Nationalsozialismus bildet die Folie für das von Buber entwickelte Konzept einer humanistischen Nationalerziehung der Zionisten. Dieser Text beinhaltet also eine Aktualisierung der bisherigen Gedanken über die jüdische Volkserziehung und stellt gleichzeitig den Versuch dar, den zionistischen Zuhörern in der Bukowina eine Hilfestellung in dieser schwierigen Phase der bereits vorhandenen und noch zu erwartenden Ein110. M. Buber, Nationale Erziehung, siehe unten S. 306 in diesem Band.
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schränkungen der Einwanderung zu geben. Ein junger Mensch in Mittel- und Osteuropa, der unter schwierigsten Bedingungen des mehrfachen Exils seine jüdische Identität bewahren kann, soll nun das Ziel der nationalen Erziehung sein. Der Chaluz in Palästina müsse nun von einem Chaluz in der Galuth ergänzt werden, d. h. nationale Erziehung muß auch außerhalb Palästinas stattfinden. In dem englischsprachigen Text On National and Pioneer Education, der abschnittweise mit dieser Rede identisch ist, wird die Erziehung des »pure German« als Karikatur bezeichnet. Die Anspielung auf Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), die dort gegeben wird, fehlt hier. Diese Konjekturen sind dem Ort und der Zeit geschuldet, in der die Rede gehalten wurde. Rumänien schloß, nachdem dort 1938 ein autoritäres nationalistisches Regime errichtet worden war, am 23. März ein Abkommen mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich ab. Offene Kritik an Deutschland war nicht opportun unter diesen Bedingungen. Über die angespannte Lage in Polen berichtet Buber in einem Brief an Eduard Strauß (1876-1952): »[die Reise], die anstrengend war (ich habe alles in allem, incl. Cernauti [Czernowitz] auf der Rückfahrt, 22mal gesprochen) und aufregend dazu (die Kriegspsychose, zumal im deutschen Grenzgebiet, wo ich mehrfach gesprochen habe, ein Anschauungsunterricht in den Fächern Judennot und helementarer, nicht kommandierteri Judenhaß, wie ich ihn nie zuvor empfangen habe), und von der wir beide einigermaßen krank zurückkamen.«112
Erwachsenenbildung während der nationalsozialistischen Herrschaft
Aufbau im Untergang hat Ernst Simon seinen Bericht über die Geschichte der jüdischen Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland genannt. 113 Zwar stellte sich die Situation für die jüdische Gemeinde nach dem 30. Januar 1933 und der folgenden rasanten Entwicklung antisemitischer Kampagnen und einer antisemitischen Gesetzgebung völlig neu dar, aber es gab institutionelle und konzeptionelle Vorarbeiten, auf denen gerade Buber aufbauen konnte. Ein solcher Vorläufer für Bubers Arbeit in der jüdischen Erwachsenenbildung zwischen 1933 und 1938 war das Freie Jüdische Lehrhaus in Frankfurt. Als Franz 111. Das Britische Weißbuch vom 15. Mai 1939 beschränkte die Einwanderung nach Palästina auf 75 000 Juden in den nächsten fünf Jahren. 112. M. Buber, B III, S. 24. 113. E. Simon, Aufbau im Untergang. Jüdische Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland als geistiger Widerstand, Tübingen 1959.
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Rosenzweig im Herbst 1920 die Leitung der jüdischen Volkshochschule übernahm, signalisierte er mit dem Namenswechsel in Freies Jüdisches Lehrhaus die Anknüpfung an die jüdische Tradition des Lernen und Lehrens im Beth Midrasch. 114 Es war eine besondere Form der Erwachsenenbildung, die in Frankfurt entwickelt wurde. Sie bestand in der Verbindung zweier bis dahin als gegensätzlich empfundenen Formen von Lehren und Lernen: der Verbindung von traditioneller jüdischer Gelehrsamkeit und Gegenwartsbezogenheit. Es gelang Rosenzweig, mit Buber einen der populärsten und einflußreichsten jüdischen Publizisten und Redner innerhalb des deutschsprachigen Judentums für eine regelmäßige Tätigkeit am Lehrhaus zu gewinnen. Bubers erste Veranstaltung im Januar 1922 hatte aus Vorträgen für ein breiteres Publikum und einer seminaristischen Veranstaltung bestanden. In den Vorträgen Religion als Gegenwart trug er die von ihm gerade in seinem philosophischen Hauptwerk Ich und Du entwickelten Erkenntnisse vor. Im Rahmen des Seminars besprach er mit Studenten, die einen hebräischen Text verstehen konnten, chassidische Texte. Auch wenn es bei Buber ein leichtes Zögern gab, der Anfrage Rosenzweigs zu folgen, immerhin arbeitete er zur Zeit der Planung noch an Ich und Du, so muß ihn die Sache gereizt haben. Hier konnte er seine in der Heppenheimer Rede vorgetragenen pädagogischen Vorstellungen eines lebendigen Austausches zwischen Lehrenden und Lernenden in einem jüdischen Umfeld praktisch umsetzen. Buber hat bis zum Ende des offiziellen Lehrhausprogramms 1926/ 27 am Freien Jüdischen Lehrhaus mitgearbeitet. Der junge Zionist Ernst Simon, der ihm bei der Redaktion der Zeitschrift Der Jude assistierte, gehörte auch zu den Dozenten und stand in enger Verbindung zu Franz Rosenzweig. Bubers Verbindung mit Franz Rosenzweig entwickelte sich weit über diese Zusammenarbeit hinaus in dem gemeinsamen Bibelübersetzungsprojekt, dessen erste Ergebnisse Buber (Im Anfang, Genesis) auf der vierten Nobel-Gedenksitzung 115 im siebten Lehrjahr 1925/26 in Auszügen vortrug. Das Freie Jüdische Lehrhaus hatte schnell den Rang eines Vorbildes eingenommen, dem andere Einrichtungen zur jüdischen Erwachsenenbildung in den nächsten Jahren folgten (Stuttgart 1925, Köln 1929, Mannheim 1928, Berlin 1928, Karlsruhe, München, Breslau ebenfalls Ende der zwanziger Jahre). 116 Die Ankündigung der Wiedereröffnung des Frankfurter Jüdischen Lehrhauses – nun aus naheliegenden politischen Gründen nicht mehr als 114. Vgl. N. Glatzer, The Frankfort Lehrhaus. 115. Jährlich fand im Andenken an den Frankfurter orthodoxen Rabbiner Nehemia A. Nobel (1871-1922) im Rahmen des Lehrhauses eine Nobel-Gedenksitzung statt. 116. Vgl. M. Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, S. 81-114.
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Freies bezeichnet, da die nationalsozialistische Herrschaft die Politisierung aller Begriffe zur Folge hatte – erschien zuerst im Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt mit den geplanten Lehrveranstaltungen. Mit dem Hinweis auf zwei zentrale Aufsätze von Franz Rosenzweig zum jüdischen Bildungsproblem aus den Jahren 1917 und 1920117 verweist Buber auf den engen Traditionszusammenhang mit dem Freien Jüdischen Lehrhaus. Daß seit der ersten Eröffnung dreizehn Jahre vergangen seien, wird sicher nicht zufällig benannt. Dreizehnjährig wird der jüdische Junge Bar Mitzwa, d. h. er wird in der Synagoge als Erwachsener zur Tora gerufen.118 Von den Lehrern des früheren Lehrhauses, die an der Wiedereröffnung und Leitung des Lehrhauses beteiligt waren, bat Buber Eduard Strauß, der als Chemiker bereits seit 1920 religionsgeschichtliche und biblische Kurse am Lehrhaus abgehalten hatte, um seine Mitarbeit. Ernst Simon, der bereits 1928 nach Palästina ausgewandert war, ersuchte er dringlich um Unterstützung beim Aufbau der geplanten Einrichtungen zur jüdischen Erwachsenenbildung. Simon kam 1934 für ein Jahr zurück nach Deutschland. Neu hinzu kamen Gotthold Weil (1882-1960) und Ernst Kantorowicz (1892-1942)119 . Ernst Kantorowicz war bisher nicht in der jüdischen Gemeinde Frankfurts in Erscheinung getreten, er verkörperte vielmehr das vollständig assimilierte deutsche Judentum. Der Sozialdemokrat war Professor an der Frankfurter Berufsakademie und Leiter der pädagogischen Abteilung des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt gewesen.120 Er leitete das jüdische Lehrhaus ebenso wie die Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung nach Bubers Emigration bis zu ihrer Auflösung. Kantorowicz wanderte nach seiner Haft in Buchenwald (November 1938) nach Amsterdam aus und wurde von dort nach Theresienstadt verschleppt und schließlich in Auschwitz ermordet. Ebenso gewann Buber den Hochschullehrer und Sozialpädagogen Curt Bondy (1894-1972) für die Mitarbeit an der Mittelstelle. Es war eine äußerst heterogene Gruppe, die Buber in diesen Monaten um sich sammelte. Sie einte der feste Wille, bei allem Zögern der nicht religiösen Personen der 117. Diese Aufsätze wurden auch den Teilnehmern der Herrlinger Tagung zur Verfügung gestellt; siehe R. van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 176. 118. Siehe auch in diesem Band den späteren Text 13 Jahre Hebräische Universität, dessen hebräischer Titel, unter dem er zuerst publiziert wurde, übersetzt lautet: Die Universität Jerusalem wird Bar Mitzwa. 119. In der Literatur zur Geschichte der Erwachsenenbildung immer wieder verwechselt mit dem Historiker Ernst Hartwig Kantorowicz (1895-1963). 120. Vgl. E. Weniger, Nachruf auf Ernst Kantorowicz, in: Die Sammlung 2, 1947, S. 719722.
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neu entstandenen Situation der Marginalisierung und Verdrängung aus der deutschen Gesellschaft aktiv zu begegnen.121 Als Leiter der Mittelstelle berief Buber im Mai 1934 eine Konferenz im Jüdischen Landschulheim Herrlingen bei Ulm ein. Ziel der Konferenz war die grundsätzliche Verständigung über die Formen jüdischer Erwachsenenbildung unter den Zeitbedingungen. Der Text Jüdische Erwachsenenbildung gibt Bubers dort vorgetragene Vorstellungen zur Erwachsenenbildung wieder. Den eher ›internen‹ Diskurs über die Erinnerungsgemeinschaft der Juden und ihre Zerstörung durch die Emanzipation, der auch hier den Ausgangspunkt bildet, überschreitet er in diesem kurzen programmatischen Text und behandelt das Problem der deutsch-jüdischen Beziehung, ein Thema, das er in seinen Reden, die er im zionistischen Kontext gehalten hatte, wie Aufgaben jüdischer Volkserziehung, naturgemäß nicht behandelt hatte. 122 Die Arbeit der Mittelstelle war neben den Lernzeiten an verschiedenen Orten mit eigenen Dozenten vor allem für Personen gedacht, die eine »Multiplikatorenfunktion« einnehmen sollten bei der Unterstützung der Bildungsarbeit in den lokalen Gemeinden.123 Die Teilnehmer an der Konferenz empfanden Herrlingen als die entscheidende Zusammenkunft, auf der die Weichen für die weitere Bildungsarbeit der jüdischen Gemeinde gestellt wurden. Buber entfaltete seit 1933 eine sehr intensive praktische Bildungstätigkeit, die, durch das Redeverbot 1935 zeitweilig unterbrochen124 , bis 1938 andauerte. Seine drei Lehrhausreden von 1933 bis 1935, von denen die letzte, Bildung und Weltanschauung, die in Deutschland bekannteste wurde, spiegeln die theoretischen Überlegungen, die die praktische Arbeit in dieser kritischen Situation trugen, wider. Die beiden anderen Reden setzen je einen spezifischen Akzent, an dem sich besonders deutlich Bubers Fähigkeit zeigt, auf die zeitgeschichtliche Situation aller deutschen Juden einfühlsam und zukunftsorientiert zu reagieren. Die Eröffnungsrede vom November 1933, die den programmatischen Titel Aufgaben jüdischer Volkserziehung trägt, greift den Gedankengang von 121. Vgl. Curt Bondys Brief an Erich Weniger vom 13. Dezember 1933: »Ich kann mich im Augenblick noch nicht fest entscheiden, nach Frankfurt zu kommen. Mir wird vor allem der Schritt ganz ins Judentum verdammt schwer.« (zitiert nach W. Klafki/ J.-L. Brockmann, Geisteswissenschaftliche Pädagogik und Nationalsozialismus, Weinheim/Basel 2002, S. 155). 122. Vgl. auch M. Buber, Zum Ende der deutsch-jüdischen Symbiose, in: Jüdische WeltRundschau, I/1, 10. März 1939, S. 5, wieder abgedruckt in: JuJ, S. 644-647. 123. Vgl. das Kapitel bei van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, über die Arbeit der Mittelstelle, S. 171-208. 124. Siehe unten S. 67 und Anm. 121.
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Lernzeit in Lehnitz: Erich (Pinchas) Rosenblüth, Martin Buber und Ernst Simon (v. l. n. r.) bei der Lehrerfortbildungswoche im Erholungsheim des Jüdischen Frauenbundes in Lehnitz bei Oranienburg, vom 1.-8. Juli 1934 (Martin Buber-Archiv, Jerusalem, Foto: Herbert Sonnenfeld)
Warum gelernt werden soll auf, modifiziert ihn jedoch auf eine Zuhörerschaft hin, von der sich Teile, und zwar durch äußeren Zwang, gerade erst bewußt wurden, daß sie jüdischer Herkunft sind. Es geht dem Redner um eine schlüssige und einprägsame Konzeption jüdischer Volkserziehung. Tora, Prophetie und rabbinische Lehre, Weisung, Mahnung und Verheißung sowie die erinnernde Überlieferung bezeichnen sowohl die drei Epochen der jüdischen Geschichte, als auch die drei Gattungen der Volkserziehung. Differenzierter als in dem Text für ein schon entschieden jüdisch oder gar zionistisch orientiertes Publikum, den er 1931 für die Schule der jüdischen Jugend schrieb, wird hier das Emanzipationsproblem behandelt. Während der Autor dort feststellt: »Von allem Absterben in der Judenheit der letzten 150 Jahre ist nichts so bedenklich wie das Absterben des gemeinsamen Gedächtnisses und der Leidenschaft des Überlieferns«125 , geht er hier davon aus, daß das Problem der individuellen Emanzipation einer besonderen Kommentierung bedarf: Nicht die Emanzipation an 125. M. Buber, Warum gelernt werden soll, siehe unten S. 221 in diesem Band.
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Bibellektüre und -auslegung mit Martin Buber auf der ersten Überbündischen Führerschulungswoche in Lehnitz, 24.-30. Oktober 1934 (Martin Buber-Archiv, Jerusalem, Foto: Herbert Sonnenfeld)
sich ist problematisch; problematisch ist sie dadurch geworden, daß die Juden als Einzelne, nicht als das Volk emanzipiert worden sind. Aber es gibt eine genuin nationale Tradition in der Geschichte des jüdischen Volkes, an die anzuknüpfen ist: das Königtum Gottes, von dem in der Bibel von der Staatsgründung (I Sam) über die jesajanischen Weissagungen bis zur Zerstörung des Tempels berichtet wird. Der Bund des Volkes mit Gott steht für die politische Verfassung. Jüdische Erziehung bedeutet nun Erziehung für den durch die Emanzipation zerstörten Bund Gottes mit seinem Volk. Inwiefern diese Erziehung zum Zionismus führt, wovon Buber persönlich überzeugt ist, läßt der Redner hier offen. Die Volkserziehung in der kritischen Situation des Jahres 1933 war breiter und unspezifischer angelegt, wenn auch mit deutlich religiöser Zielsetzung, ähnlich wie sie bereits in Warum gelernt werden soll für die Schule der jüdischen Jugend 1931 konzipiert war. 126 Die zweite Lehrhausrede, Die Lehre und die Tat, entstand nur ein halbes Jahr später. Sie unterscheidet sich prägnant von den vorangegange126. Um jenen Text hatte ihn Hermann Gerson gebeten (s. Kommentar), der ihn immer wieder um Hilfe bei Vermittlung religiöser Inhalte in der zionistischen Jugend angegangen war.
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nen Texten zur jüdischen Bildung, die 1933 und 1934 entstanden waren. Ihr Thema ist die traditionelle jüdische Lehre. Dies erweist sich bereits in der Textgestalt, die neben den sonst von Buber immer wieder herangezogenen biblischen Aussagen zum jüdischen Volk und zum Königtum Gottes aus der Tora und den prophetischen Schriften den jüdischen Begriff Chochma aufgreift und auslegt in Gegenüberstellung zur griechisch-antiken Tradition der Sophia. Darüber hinaus zitiert er aus dem rabbinischen Schrifttum. Schon der Titel betont den Handlungsaspekt, der in der jüdischen Lehre liegt. Die Gegenüberstellung ist in der deutlichen Absicht verfaßt, den Zuhörern zu zeigen, daß die jüdische Lehre keine »Buchgelehrsamkeit« ohne lebenspraktisch-politische Konsequenzen ist. Daß das Wort »Politik« nicht fällt, ist nicht erstaunlich, bedenkt man die Umstände, unter denen die Veranstaltungen der jüdischen Erwachsenenbildung stattfanden. Buber war soeben faktisch die Lehrbefugnis als Honorarprofessor an der Frankfurter Universität entzogen worden, im folgenden Jahr wurde er von Februar bis November 1935 mit einem Redeverbot belegt. 127 Aber auch sonst war die Gefahr der Lähmung des Judentums in Deutschland vollkommen real, denn viele aus dem Kreis derer, die führende Rollen innerhalb der jüdischen Bevölkerung eingenommen hatten, waren durch die unvorstellbaren Maßnahmen und Ereignisse der nationalsozialistischen Reichsregierung vollkommen überrascht. Diese Rede ist der eindrucksvolle Versuch, Handlungsspielräume aus der eigenen jüdischen Tradition herzuleiten und als Perspektiven für die Juden in Deutschland aufzuzeigen. Den Abschluß fanden die Lehrhausreden in der zur Eröffnung 1935 gehaltenen Rede Bildung und Weltanschauung. Auch diese Rede enthält eine zeithistorische Signatur, die in der späteren Textgestalt nicht erhalten geblieben ist. 128 Sie entstand ursprünglich als Selbstvergewisserungstext für das stark fraktionierte Judentum in Deutschland, das auch in der Zeit der Verfolgung nicht einer Meinung wurde. Buber wollte seinen jüdischen Mitmenschen zeigen, daß Bildung ein Prozeß ist, der unabhängig von politischen und weltanschaulichen Positionen stattfindet, ja, daß unterschiedliche Weltanschauungen innerhalb von Bildungsprozessen eine produktive Funktion haben, denn die Verengung der Bildungsarbeit auf eine politisch-weltanschauliche Gruppe führt innerhalb dieser Gruppe zu dem, was Buber »Fiktivgesinnung« nennt. Er vergleicht verschiedene Lernzeiten, solche mit weltanschaulich homogenen und nicht 127. Vgl. W. Schottroff, Martin Buber an der Frankfurter Universität, Frankfurt a. M. 1985. 128. Siehe oben S. 48 f. und die Textvarianten S. 279-286.
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homogenen Gruppen und deren unterschiedliche Produktivität. Der Text ist aber nicht nur nach innen zu den Juden in Deutschland gesprochen, sondern kommentiert gleichzeitig nach außen hin die weltanschauliche Gleichschaltung und Intoleranz des nationalsozialistischen Staates. Nach 1935 verfaßte Buber keine Texte zur jüdischen Erwachsenenbildung in Deutschland mehr. Erst nach der Auswanderung nach Palästina griff er das Thema wieder auf. Das Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte spricht von »realitätsfernen Theorien«, die das pädagogische Denken in der Weimarer Erwachsenenbildung charakterisierten. 129 Diese spiegelten die Abkehr von der Gegenwart und den »Hunger nach Ganzheit« wider, der die Weimarer Kultur in hohem Maße geprägt habe. Diese Charakterisierungen treffen partiell auch auf Bubers Ideen zur Erwachsenenbildung zu; auch er versuchte, »einen Ausweg aus der segmentierten Gesellschaft« zu weisen. Der Widerspruch, in den sich eine solche Betrachtung der Erwachsenenbildung verwickelt, zeigt sich dann, wenn die Bedeutung, die die Ideen der »gestaltenden« Volksbildung für den geistigen Widerstand im Nationalsozialismus hatten, angemessen gewürdigt werden soll. Martin Buber und Franz Rosenzweig haben diese Ideen aufgenommen und mitgeformt. Ihre Rückbesinnung auf die jüdische Tradition erwies sich als tragfähige Grundlage für die Erwachsenenbildung in den Jahren, als die nationalsozialistische Herrschaft noch nicht zur planmäßigen Vernichtung jüdischer Menschen übergegangen war. Sie verhalf vielen, vor allem jungen Menschen zur Entwicklung einer Perspektive außerhalb Deutschlands und wies insofern durchaus Handlungsperspektiven auf. Nach 1933 ermächtigten diese Ideen Buber, schnell und mit großer Kompetenz und Autorität auf die Situation der kulturellen Ausgrenzung praktisch und theoretisch zu reagieren. Insofern ist die Sicht auf diese pädagogischen Traditionen der zwanziger Jahre zu differenzieren.
Universität und Erwachsenenbildung
Seit 1902 hat Buber das Verhältnis der Universität zur Erwachsenenbildung beim Aufbau der zionistischen Volksbildung beschäftigt. Am Schluß des Referates Volkserziehung als unsere Aufgabe formulierte er für jene Phase in der Geschichte des Zionismus vor der Massenein129. D. Langewiesche, Erwachsenenbildung, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 5: 1918-1945, hrsg. von Christa Berg, München 1989, S. 337-370, hier S. 348.
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Martin Buber im Kreise von Studierenden, Jerusalem, Mt. Scopus Anfang der 40er Jahre (Martin Buber-Archiv, Jerusalem)
wanderung nach 1933, Palästina brauche Forschungsinstitute, jedoch keine Universität, die diplomierte Akademiker für einen nicht vorhandenen Arbeitsmarkt produziere. Diese Kritik am Bildungsprivileg der Akademiker, das durch eine Übernahme des Modells der europäischen Universität in Palästina entstehe, kann als konsequente gedankliche Fortführung der zionistischen Forderung nach »Berufsumschichtung« 130 gelesen werden. Als akademischer Lehrer an der Hebräischen Universität sah Buber sich 1938 gezwungen, diese Position für die nun entstandene historische Situation neu zu formulieren. 13 Jahre Hebräische Universität ist ein Bekenntnis zu der bereits 1924 formulierten Überzeugung, aber die historische Notsituation zwingt ihn zu einer Anpassung. Durch die politischen Ereignisse im nationalsozialistischen Deutschland, durch den wachsenden Antisemitismus in Mittel- und Osteuropa und die daraus entstehende »geistige Not« der Diaspora sieht sich Buber genötigt, »vor den wissensdurstigen jungen Leuten der Diaspora die Tore des wissenschaftlichen Instituts, in dem sie ungestört arbeiten und inmitten ihrer 130. Zu den wesentlichen Leitgedanken der zionistischen Siedlungsideen gehörte die Vorstellung einer berufssoziologischen »Umschichtung« der jüdischen Bevölkerung von vorwiegend für den Handel oder akademisch gebildeten Menschen zu Handwerkern und Landwirten.
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Brüder sein können, weit zu öffnen.« Mag das Pathos, mit dem hier die Engel der Geschichte beschworen werden, auch für heutige Leser überzogen wirken, der Text beeindruckt, weil er die Not Bubers, an einer Einrichtung zu lehren, die nicht seinen Vorstellungen entspricht, authentisch zum Ausdruck bringt. Gleichzeitig wundert es nicht, daß die von ihm vorgetragenen Skrupel aus der Perspektive eines pragmatischeren politischen Zionismus in Palästina 1939 keine Zustimmung finden konnten.
Erwachsenenbildung in Israel
Über Charaktererziehung, 1939 vor dem jüdischen Lehrerverband Palästinas vorgetragen, wurde von Buber selbst als die Grundlegung seiner späteren erwachsenenbildnerischen Tätigkeit in Israel bezeichnet. Die Texte, die er nach 1939 unter den Titeln National Education, Volkserziehung und auch schließlich seit Ende der fünfziger Jahre Adult Education publizierte, variieren das Thema, dessen Grundlegung auf der Heppenheimer Tagung stattfand. 132 Der bereits erwähnte Aufbau der Hochschule für die Lehrer des Volkes, die von 1949 bis 1952 an der Hebräischen Universität unter Bubers Leitung eingerichtet wurde 133 , war der Versuch, die in den zwanziger Jahren programmatisch entwickelten Positionen zur zionistischen Volksbildung praktisch werden zu lassen und Lehrer speziell für die Erwachsenenbildung auszubilden. Sein ehemaliger Student Shmuel N. Eisenstadt berichtet, Buber habe auf die Frage, warum er diese vergleichsweise unakademische Tätigkeit zugunsten eines mindestens ebenso notwendigen wie auch ruhmvolleren Engagements innerhalb der Universität vorziehe, geantwortet: »Weil wir zusammen sein wollen und gemeinsam träumen wollen.«134 Die Wurzeln dieser messianisch gefärbten Vorstellung der Errichtung einer neuen Ge131. Siehe unten S. 301. 132. Vorwort zur deutschen Ausgabe Reden über Erziehung. In dem Nachruf auf Jakob Sandbank (1898-1939), dem Bildungsbeauftragten des Gewerkschaftsverbandes Histadruth, artikuliert Buber in der Wertschätzung der Arbeit Sandbanks zugleich seine eigenen Pläne für die Volksbildung in Palästina (siehe unten S. 310). Vgl. auch M. Volkmann, Neuorientierung in Palästina. Erwachsenenbildung deutschsprachiger jüdischer Einwanderer 1933-1948, (= Studien zur internationalen Erwachsenenbildung 9), Köln/Weimar/Wien 1994 S. 48 f. 133. S. auch S. 35 dieser Einleitung. 134. Ich danke an dieser Stelle Shmuel N. Eisenstadt für eine längeres Gespräch im März 2000 über seinen akademischen Lehrer, dem ich ein größeres Verständnis der Buberschen Erziehungsphilosophie und Pädagogik verdanke. Vgl. S. N. Eisenstadt, Martin Buber in the Postmodern Age: Utopia, Community, and Education in the Contem-
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meinschaft in Israel liegen in der Überzeugung, dem jüdischen Volk sei die historische Aufgabe aufgetragen, eine bessere Gesellschaft zu errichten. So wie Zion für Buber kein ausschließlich territorialer Begriff ist, ist Judentum kein ausschließlich nationaler. Denn einerseits ist die wahre Gemeinschaft das Zion der Zukunft, andererseits steht auch bei Buber: »Mit »Volk« kann hier naturgemäß nicht weniger gemeint sein als alle Mächtigkeit seines Daseins vom Ursprung am brennenden Berg […]«. 135 Und Tradierung bedeutet, immer wieder am Sinai zu stehen. Die geistesgeschichtlichen Wurzeln für den besonders durch den Freund Gustav Landauer geprägten Gemeinschaftsbegriff liegen in der deutschsprachigen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystik, dem Frühsozialismus Robert Owens (1771-1851) und Proudhons (1805-1865) und dem Anarchismus Kropotkins (1842-1921) und Tolstois (1828-1910).136 Es ist nicht nur die Verbundenheit Landauers und Bubers mit dem 1916 von einer Gruppe junger Zionisten unter der Führung von Siegfried Lehmann gegründeten Jüdischen Volksheim, bei dessen Eröffnung Landauer die Eröffnungsrede hielt und das Buber stark unterstützte, sondern auch der gesamte Komplex der Gemeinschaftserziehung, die Buber in den zwanziger Jahren sowohl im Zusammenhang der Erwachsenenbildung als auch der Jugendbewegung interessierte. Ludwig Liegle konstatiert, Buber habe dieses Verständnis von Gemeinschaft nicht pädagogisch gewendet. Dem ist zuzustimmen, weil für Buber Gemeinschaft nicht funktional für den Erziehungsprozeß ist, wie dies etwa bei Kerschensteiner und Dewey der Fall ist. Dort erzieht die Gemeinschaft selbst. Aber Bubers Konzept der Gemeinschaft, die durch die Begegnung zwischen einzelnen Individuen entsteht, kann durchaus als eigenständige pädagogische Figur interpretiert werden. Auch der Gedanke des Funken, der aus der Mystik stammt und in Landauers Revolutionstheorie eine zentrale Rolle spielt, wird bei Buber vor allem in seinen späten Texten zum Chaluz wieder aufgegriffen. Alle diese Gedanken sind noch einmal zusammengefaßt in dem Text Adult Education, in dem die Fragestellung vom Problem der Masseneinwanderung nach Israel nach der Staatsgründung her entwikkelt wird. Die Hochschule für die Ausbildung von Volkslehrern (Beth Midrasch Lemorei Am) hatte die Aufgabe, den »chaluzischen Funken«
porary Era, in: Paul Mendes-Flohr (Hrsg.), Martin Buber. A contemporary perspective, Syracuse 2002, S. 174-185, hier S. 178. 135. M. Buber, Bildung und Weltanschauung, siehe unten S. 280 in diesem Band. 136. Vgl. L. Liegle, Pfade in Utopia: Gemeinschaft bei Gustav Landauer und Martin Buber, in: Gemeinschaft und Sozialpädagogik, hrsg. von Jürgen Henseler und Jürgen Reyer, Hohengehren 2000, S. 10-121.
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Unterricht in einer Einwandererklasse (um 1950) durch eine Volkslehrerin (Martin Buber-Archiv, Jerusalem)
bei den Einwanderern zu erwecken. Die Realisierung dieser Ideen war begrenzt. Das Projekt war kurzlebig, und das später eingerichtete Martin-BuberInstitut für Erwachsenenbildung an der Hebräischen Universität übernahm eher traditionelle Aufgaben eines universitären Weiterbildungszentrums, die nicht Bubers Verständnis entsprachen. 137 In dem grundlegenden Artikel zur Erwachsenenbildung in der Educational Encyclopedia unter dem Titel Erwachsenenerziehung faßt Buber seine Vorstellungen zur Erwachsenenbildung noch einmal zusammen. Die in diesem Artikel vorgenommene breite Darstellung der historischen Wurzeln der Erwachsenenbildung in der dänischen Volksbildung des 19. Jahrhunderts, vertreten durch N. F. Severin Grundtvig, unterstreicht noch einmal die Bedeutung, die Buber der Erwachsenenbildung beim Aufbau eines national orientierten Gemeinwesens beimißt. Der Text stellt die systematische Zusammenfassung der vielfältigen Überlegungen zur Erwachsenenbildung dar. Es handelt sich um den einzigen fachpädagogischen Text, den Buber je verfaßte. Dies zeigt noch einmal deut137. Vgl. K. Yaron, Das Martin-Buber-Institut und das Seminar für Volkslehrer, in: Das jüdische Lehrhaus als Modell lebensbegleitenden Lernens, hrsg. von Evelyn Adunka und Albert Brandstätter, Wien 1999, S. 155-163.
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lich, welchen zentralen Stellenwert der Autor selbst der »Erwachsenenbildung« in seinem Werk beimaß und auch, wie stark sein Denken von der Volksbildungsbewegung der zwanziger Jahre geprägt war.
Wirkung und Kritik
Bubers Einfluß in Israel war begrenzt: Die säkulare Mehrheitsgesellschaft in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Staatsgründung konnte seinem religiösen Sozialismus nicht folgen, für die religiöse Orthodoxie war die moderne Form seiner Religiosität gänzlich indiskutabel. Am nächsten standen ihm kleine Gruppen aus den Kibbutzim, mit denen er zusammentraf und über Erziehungsfragen sprach. 138 Aber auch mit einigen ehemaligen Schülern kam es zu Spannungen: Zu Menachem (Hermann) Gerson, der ein einflußreicher Erziehungswissenschaftler in der Kibbutzbewegung wurde, bestand zwar ein lebenslanger Kontakt, unterbrochen von Phasen schmerzlicher Entfremdung, aber Gerson konnte schon bald nach seiner Einwanderung nach Palästina und der Gründung des Kibbutz Hasorea (1934) den religiösen und philosophischen Grundlagen von Bubers Pädagogik nicht mehr folgen. Er wandte sich der Psychoanalyse und der Psychologie zu. Bemerkenswert bleibt, daß er seinem Buch über die Kibbutzerziehung einen Anhang mit dem Titel hinzufügte: On Martin Buber and the Kibbutz. 139 Vermutlich sprach einiges dafür, in den USA, wo das Buch erschien, Buber zu erwähnen, denn dort wurde Buber in den sechziger Jahren durchaus rezipiert. Buber hat keine Schule gegründet, weder eine akademische noch eine pädagogisch-praktische, weder in Israel noch anderswo. Ob sein Einfluß wirklich so gering war, wie es sowohl in der israelischen (soweit mir zugänglich) als auch der deutschen pädagogischen Literatur behauptet wird, muß aus der historischen Distanz bezweifelt werden. Einige Personen, die ihm zeitweise sehr nahe gestanden haben, hielten wichtige Po138. Abraham Shapira hat eines dieser Gespräche in der Neuauflage von Pfade in Utopia dokumentiert: M. Buber, Kibbutzleben zwischen Nähe und Beziehung. Eine Begegnung junger Kibbutzerzieher mit Martin Buber, in: Pfade in Utopia, S. 300-115; A. Shapira, Meetings with Buber, in: Midstream, November 1978, S. 48-54. 139. M. Gerson, Family, Women, and Socialization in the Kibbutz, Lexington/Toronto 1978, S. 131-134. Der Autor übt dort eine moderate Selbstkritik in Hinblick auf die Beziehungen zwischen Buber und der Kibbutzbewegung. Der Anhang, der in keinem offenkundigen sachlichen Zusammenhang zum Thema des Buches steht, war ihm aber so wichtig, daß er ihn, als er das Manuskript kürzen mußte, nicht streichen wollte. (Mündliche Mitteilung seines damaligen Assistenten Michael Nathan, Kibbutz Beth Queshet).
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sitionen im israelischen Erziehungs- und Bildungswesen, entwickelten sich jedoch eigenständig weiter: Ernst Simon als Professor für Pädagogik an der Hebräischen Universität, Menachem Gerson als führender Kibbutzpädagoge, Shmuel Noah Eisenstadt (geb. 1923) als Soziologe 140 und Jugendforscher und Kalman Yaron (geb. 1925) als Beamter des Erziehungsministeriums und einflußreicher Erwachsenenbildner. 1960 wurde Buber der erste Präsident der neu gegründeten israelischen Akademie der Wissenschaften, The Israel Academy of Sciences and Humanities, für die israelische Enzyklopädie der Erziehung (Educational Encyclopedia. Thesaurus of Jewish and General Education), in deren ersten Band er den Artikel Erwachsenenerziehung schrieb, zeichnete er als Chefredakteur, und eine seiner Reden, nämlich Die Vorurteile der Jugend, gehörte lange zum fakultativen Literaturkanon der höheren Schule. Andererseits ist E. Rosenow zuzustimmen, daß Bubers Wirkung in Israel begrenzt war. Neben den schon genannten Gründen, daß er den Religiösen zu modern war und den Sozialisten zu wenig pragmatisch, war auch seine politische Position der Mehrheit der Israelis suspekt. 141
5. Erziehung als Begegnung Aus der Darstellung des pädagogischen Denkens und seiner Entstehungsbedingungen ist deutlich geworden, daß Buber neben seinen zionistischen Wurzeln und Intentionen und seiner Prägung durch die Rezeption der chassidischen Tradition, vor allem durch den religiösen Sozialismus beeinflußt, eine hohe Affinität zur Reformpädagogik hatte, die sein pädagogisches Denken und Handeln mitbestimmte. 142 Der immer wieder von ihm vorgebrachten Präferenz des pädagogischen Handelns gegenüber pädagogischen Theorien, die im dialogischen Prinzip seines Existentialis140. S. N. Eisenstadt, Martin Buber’s Approach to Sociological Analysis, S. N. Eisenstadt, Introduction, in: Martin Buber, On Intersubjectivity and Cultural Creativity, Chicago 1992, S. N. Eisenstadt, Martin Buber in the Postmodern Age. 141. E. Rosenow, Martin Buber, in: Klassiker der Pädagogik, S. 119. Texte zur politischen Position von Buber in der Frage des Zusammenlebens mit der arabischen Bevölkerung in Palästina/Israel finden sich in M. Buber, Ein Land und zwei Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage, hrsg. von Paul Mendes-Flohr, Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag 1983. 142. Das Thema Religion und Reformpädagogik ist in der erziehungshistorischen Forschung der letzten Jahrzehnte kaum beachtet worden. Erstmalig zum Gegenstand einer monographischen Darstellung wurde es in M. S. Baader, Erziehung als Erlösung. Transformationen des Religiösen in der Reformpädagogik, Weinheim/München 2005. Baader arbeitet u. a. die starken Einflüsse der neureligiösen Beschäftigung mit mystischen Traditionen in reformpädagogischen Kreisen heraus.
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mus begründet lagen, soll deshalb an dieser Stelle Rechnung getragen werden, indem Bubers Beziehungen zu zwei pädagogischen Repräsentanten der Reformbewegung, die mir zentral erscheinen, dargestellt werden: die Beziehung zu Elisabeth Rotten (1882-1964) und dem Weltbund für Erneuerung der Erziehung und die zu Paul Geheeb und der Odenwaldschule. Das weit gespannte kommunikative Netzwerk der Reformpädagogik tritt besonders deutlich in den Briefen von Elisabeth Rotten an Buber hervor. 143 Die Schweizerin war Aktivistin der internationalen Friedensbewegung nach dem Ersten Weltkrieg und die Repräsentantin des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Karl Wilker (1879-1949), dessen sozialpädagogisches Experiment »Lindenhof« unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg viel Aufmerksamkeit in der pädagogischen Öffentlichkeit gefunden hatte, gab sie Das Werdende Zeitalter heraus, das wichtigste Organ der reformpädagogischen Bewegung in der Weimarer Republik. Rotten ging es neben Persönlichem in den Briefen vor allem um die Organisation der reformpädagogischen Bewegung: Treffen von Reformpädagoginnen und -pädagogen, Übersetzungen von Schriften, Tagungen, Vorträge, Resolutionen, Zeitschriftenkonzeptionen etc. bildeten den Schwerpunkt ihrer Korrespondenz. Als Schweizerin hatte Rotten 144 erhebliche Vorteile bei internationalen Kontakten. Sie war unermüdlich damit beschäftigt, Leute zusammenzubringen, Ideen zu vervielfältigen und sich für die Reform pädagogischer Arbeit zu engagieren. In dieser Eigenschaft war sie für Buber eine wichtige Person, die ihm internationale Zugänge verschaffte (nach England, Frankreich und in die Schweiz vor allem), Foren eröffnete, ihn häufig um Beiträge für das gemeinsam mit Karl Wilker herausgegebene Blättchen bat, Bubers in Deutschland später berühmtesten pädagogischen Vortrag auf dem Heidelberger Kongreß des Weltbundes 1925, Über das Erzieherische, initiierte und 1928 ein Sonderheft über Erziehung in Palästina herausgab, für das Buber nicht nur einen Einleitungstext schrieb, sondern bei dem er auch vielfältig beratend mithalf, Autoren empfahl etc. Rottens Briefe aus der Zeit nach 1945, als sie sich besonders beim Aufbau der Internationalen Begegnungsstätte Haus Sonnenberg engagierte, zeigen die enge Verbundenheit
143. Arc. Ms. Var. 350/637. 144. D. Haubfleisch, Elisabeth Rotten (1882-1964) – eine (fast) vergessene Reformpädagogin, in: »etwas erzählen«. Die lebensgeschichtliche Dimension in der Pädagogik. Festschrift für Bruno Schonig zum 60. Geburtstag, hrsg. von Inge Hansen-Schaberg, Hohengehren 1997, S. 114-131.
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mit Buber und seinen Vorstellungen von Bildungsarbeit im Sinne von Mutualität und Anerkennung des Anderen. Als freundschaftlich-familiär kann man die Beziehung zu Paul Geheeb bezeichnen. Buber entschied sich für die Übersiedlung nach Heppenheim wohl auch aufgrund der Nähe zur Odenwaldschule. Hermann (Chaim) Müntz (1884-1956), ein russisch-polnischer Zionist, gebürtig aus Lodz, der bis 1916 an der Odenwaldschule gewirkt hatte, war bei der Wohnungssuche behilflich. 145 Buber war auf die Odenwaldschule durch seine Bekanntschaft mit einigen Mitgliedern der Cassirer-Familie aufmerksam geworden. Eva Cassirer (1885-1974), geb. Solmitz, lernte er bereits 1905 kennen, wie aus einem Brief von 1955 hervorgeht. Vermittelt war die Bekanntschaft durch Ellen Key in Berlin, die von Eva Solmitz hoch verehrt wurde 146 und die Buber für die Mitarbeit an Die Gesellschaft gewonnen hatte. Als Buber dann 1916 nach Heppenheim übergesiedelt war, entwickelte er eine enge Freundschaft mit den Mitarbeitern an der Odenwaldschule Theodor Spira und Otto Erdmann, die beide an der Heppenheimer Tagung von 1919 beteiligt waren. Buber hielt in den folgenden Jahren engen Kontakt zur Odenwaldschule, vermittelte beispielsweise einen Besuch Siegfried Lehmanns im Jahre 1927, als dieser sich auf dem Weg nach Palästina befand, um dort das Kinderdorf Ben Shemen zu gründen. Er scheint aber auch regelmäßig selbst nach Ober-Hambach hinaufgegangen zu sein. 147 So sollte er 1926 auf Wunsch von Geheeb aus der gerade mit Franz Rosenzweig fertiggestellten Übersetzung von Im Anfang (Genesis) vorlesen. Buber fragte bei Geheeb an, was die untere Altersgrenze der Schülerinnen und Schüler sein werde, denn er wolle gern aus der Josephsgeschichte lesen. Seine Sorgfalt bei der Textauswahl und im Umgang mit den Kindern zeigt, daß er die Rolle des Erziehers ernst nahm: »Sie [die Josephsgeschichte] wirkt, besonders eben in der rhythmisch getreuen Wiedergabe, so rein und rechtschaffen, daß ich wegen des 39. Kapitels [es handelt sich um Josephs Geschichte mit dem 145. K. A. Helfenbein, Martin Bubers Weg nach Heppenheim, in: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße 12, 1979, S. 222-224, und S. Helmer, Martin Buber und die Odenwaldschule, in: OSO-Hefte, NF 6, 1981, S. 5-15. 146. So schreibt Eva Cassirer, die von 1915-1934 an der Odenwaldschule tätig war, 1955 an Buber: »Lieber und verehrter Professor Buber – ob Sie wohl noch wissen, daß es 50 Jahre her ist, daß Sie mich, durch Ellen Key veranlaßt, in meinem kleinen Zimmer besuchten? – ich habe oft dankbar daran gedacht.«, Arc. Ms. Var. 350/148/190 (Cassirer an B., 10. 2. 1955). Vgl. T. Kinunnen, Eine große Mutter und ihre Töchter. Ellen Key (1849-1926) und die deutsche Frauenbewegung, in: M. S. Baader/J. Jacobi/ S. Andresen, (Hrsg.), Ellen Keys reformpädagogische Vision. »Das Jahrhundert des Kindes« und seine Wirkung, Weinheim/Basel 2000, S. 64-80. 147. Edith Geheeb-Cassirer (1885-1982) erinnert sich daran, daß er »häufig zu Festen in die OSO« kam. (S. Helmer, Martin Buber, 1981, S. 7.)
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Weib Potifars] keine Bedenken habe; doch es wäre mir lieb, Ihre Meinung darüber zu erfahren. Sollten Sie nicht dafür sein, so muß ich einige – eben recht mannigfaltige Stücke aus Genesis und Exodus zusammenstellen.«148 Geheeb setzte Buber durchaus für die Betreuung von einzelnen Schülern oder Schülerinnen ein 149 , und Buber bat Odenwaldschüler zu sich, um im Gespräch mit ihnen seine Vorstellungen von Erziehung und Bildung zu praktizieren. Die Freundschaft ist aufgrund der räumlichen Nähe kaum schriftlich dokumentiert, was ihre Bedeutung nicht schmälert. Die Berichte über persönliche Begegnungen mit Buber im Jugendalter sind in der biographischen Literatur zahlreich, in Gesprächen mit Personen, die ihn kannten, nehmen sie einen großen Stellenwert ein. Hier soll abschließend auf einen dieser Berichte besonders hingewiesen werden, weil er vom Autor anläßlich der Erinnerung an die Begegnung mit Buber im Jugendalter formuliert wurde. Gershom Scholem schreibt abschließend zu der oben berichteten Begegnung im Jahre 1916: »Buber war damals genau doppelt so alt wie ich. Er benahm sich großartig und ging auf meine Reden – […] ernsthaft und nicht ohne anzudeuten, daß er seine Stellung ändern könnte, ein.« 150 Die Praxis des Dialogs wurde von Buber als Erzieher sehr ernst genommen.
6. Rezeptionslinien Wenn Bubers Wirkung auf die jüdische Jugend in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, die tiefe Verehrung, die ihm aus radikalen reformpädagogischen Kreisen entgegengebracht wurde, seine Bedeutung für das Frankfurter Freie Jüdische Lehrhaus, seine führende Rolle für die Neuorganisation des jüdischen Bildungswesens nach 1933 nur annähernd verstanden werden sollen, dann bleibt festzuhalten, daß Buber zuallererst Zionist, Religionsphilosoph und politischer sozialistischer Denker war. Seine selbstgestellte Aufgabe, der Religiosität im Zeitalter der Säkularisierung auf die Spur zu kommen, ist nur aus dem Zeitkontext 148. Arc. Ms. Var. 320/231/4 (an Geheeb vom 26. 2. 1926). Die Problematik der Auswahl für Kinder und Jugendliche war ihm nicht fremd, so hatte er 1920 einen Beitrag in dem ersten Band der Jüdischen Jugendbücher veröffentlicht, der vom zionistischen Ausschuß für jüdische Kulturarbeit herausgegeben wurde. (Die Wanderschaft der Kinderlosen. Drei Legenden, Schriften des Ausschusses für jüdische Kulturarbeit, Jüdische Jugendbücher 1, Berlin: Jüdischer Verlag 1920, S. 5-9.) 149. S. S. Helmer, Martin Buber, 1981, S. 7. 150. G. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, S. 77, s. auch Anm. 20.
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des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Sie verbindet sich mit der Frage nach dem Sozialen, das nicht mehr durch religiöse Rückbindung und Tradition gestiftet wird. Seine Antworten erhielten ihren Eigensinn durch den Rückbezug auf das Judentum. Diese jüdische Tradition interpretierte er neu als dialogische Philosophie im Sinne einer Sozialphilosophie. 151 Auf die pädagogische Bedeutung bezogen ergab sich für diese Einführung in Bubers pädagogische Schriften daraus die Aufgabe, seine philosophische Entwicklung im Zusammenhang mit seiner politischen Philosophie zu rekonstruieren, die letztlich um die Frage kreist: Wie entsteht Gemeinschaft? Auf der Ebene der praktischen Wirksamkeit wurde nachgezeichnet, was die Philosophie für die persönliche Praxis des Lehrens, Führens, Leitens und Tradierens bedeutet hat. Bei den in diesem Band versammelten Schriften handelt es sich nicht um »große« Werke des Autors. Nicht von ungefähr sind es ganz überwiegend öffentliche Reden und Vorträge, die anschließend vom Autor in Druck gegeben worden sind. Bei einigen von ihnen könnte man durchaus von »Propagandareden« sprechen, eine Gattung, die in der Welt des Geistes nicht unbedingt angesehen ist. Der aus der religiösen Welt stammende Begriff »Ansprache« erscheint jedoch angemessener. Viele pädagogische Problemlagen, auf die Buber reagierte, haben sich erledigt. Volksbildung im Sinne von Nationalerziehung ist in den meisten westlichen Ländern ein überholtes Projekt, für die heutige Einwanderergesellschaft sind Lösungen des vorigen Jahrhunderts aus vielen Gründen nur bedingt tauglich. Der Versuch, das Konzept des Freien Jüdischen Lehrhauses für »Lebensbegleitendes Lernen« in der Erwachsenenbildung zu reklamieren, weist jedoch darauf hin, daß das Problem der Rückbesinnung auf die religiöse Tradition sich nicht völlig erledigt hat. Insofern wundert es auch nicht, daß Buber in diesem Kontext nach wie vor rezipiert wird. 152 Die Rezeptionsgeschichte in Deutschland soll im folgenden skizziert werden: Nach 1945 war Buber hier aus mehreren Gründen ein vielgelesener pädagogischer Autor. Bereits genannt wurde die ideologiekritische Potenz, die das dialogische Prinzip entfalten kann. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise die kleineren Arbeiten von Fritz Bohnsack
151. Vgl. P. R. Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog. Martin Bubers geistige Entwicklung bis hin zu »Ich und Du«, Königstein Ts. 1979, und M. Theunissen, Der Andere. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart, 2. um eine Vorrede verm. Aufl. [Nachdruck], Berlin 1981. 152. E. Adunka/A. Brandstätter (Hrsg.), Das jüdische Lehrhaus als Modell lebensbegleitenden Lernens.
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(geb. 1923) zu sehen. Die »realistische Wendung« in der deutschen Pädagogik der sechziger Jahre führte, auch wenn dies von ihrem Erfinder Heinrich Roth (1906-1983) nicht beabsichtigt war, zur Aufgabe anthropologischer Fragestellungen, vor allem solcher, die stärker philosophisch orientiert waren. Dieser Prozeß wurde durch die Rezeption der Kritischen Theorie und des Marxismus unterstützt und führte dazu, daß Bubers pädagogisches Denken von einer Mehrheit in der Generation derjenigen Erziehungswissenschaftler, die nach 1970 das Fach prägten, oft leichtfertig als eine existenzialistische Variante der geisteswissenschaftlichen Pädagogik abgetan und entsprechend dem Trend der siebziger Jahre als überholt klassifiziert wurde. Dagegen gab es jedoch auch Versuche, gegen diese Tendenz Bubers Anthropologie systematisch zu retten. 154 Hier knüpfte man am Beziehungsdenken Bubers an und definierte von hier aus innerpädagogisch-wissenschaftstheoretisch die Bedeutung Bubers, dessen Interpersonalität einerseits den Individualismus ausschließt und die andererseits in ihrem Mensch-, Gott-, Weltbezug eine normative Bindung enthält. 155 So betonen Scarbath und Scheuerl vor allem den Aspekt der Bedeutung der Lebenspraxis, die in Bubers pädagogischem Denken einen zentralen Stellenwert einnimmt, und sehen in der dialogisch-personalen Anthropologie Bubers eine Möglichkeit der Erkenntnis konkreter Sozialbezüge. Zu Recht verweisen sie jedoch auf die in der pädagogischen Rezeption nicht berücksichtigten soziologischen, sozialethischen und theologischen Bedingungsgefüge für die Anthropologie Bubers.156 Die empirische Wendung stimulierte in der deutschen Pädagogik die Erforschung der Kibbutzerziehung, die durchaus als ein Zweig der Wirkungsgeschichte von Bubers pädagogischem Denken nach 1960 bezeichnet werden kann. In diesem Zusammenhang sind sowohl sozialgeschichtliche, als auch erziehungstheoretische, sozialisationstheoretische und ideengeschichtliche Arbeiten entstanden, in denen Martin Bubers Leben
153. F. Bohnsack, Bildung und Begegnung, in: Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 7, 1961, S. 257-270; Ders., Das Problem der pädagogischen Absicht bei Martin Buber. Ein Beitrag zum Verhältnis von Methode und Begegnung in der Erziehung, in: Pädagogische Rundschau 15, 1961, S. 47-56. 154. Vgl. den sehr informativen Aufsatz von U. Grytzka, Die gegenwärtige Rezeption Martin Bubers in der Pädagogik. Eine Sammelbesprechung neuerer Arbeiten zu Bubers Denken, in: Zeitschrift für Pädagogik 27, 1981, S. 53-46. 155. Vgl. G. Böhme, Martin Bubers pädagogische Grundbegriffe, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 49, 1978, S. 11-17 (Beilage zu Das Parlament). 156. Vgl. H. Scarbath/H. Scheuerl, Martin Buber.
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und Werk gelegentlich explizit, meistens jedoch nur implizit berücksichtigt wird. 157 Die Diskussion um personale Bezüge, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft und die Problematik der Normativität ist in der Pädagogik nie vollkommen auszublenden. So gewinnt Bubers existentialistische Figur der Begegnung zwischen Lehrer und Schüler für die pädagogische Ethik wieder an Aktualität und wird im Zusammenhang mit Hannah Arendts Philosophie diskutiert. Die Rezeption von Emmanuel Levinas’ (1906-1995) Philosophie in diesen Zusammenhang könnte gleichfalls zu einer neuen Lektüre Martin Bubers führen. 158 Die Rezeption des Buberschen Werkes in der deutschsprachigen Nachkriegspädagogik war also aus zwei Gründen eingeschränkt. Unmittelbar nach dem Krieg haben von der älteren Pädagogengeneration der geisteswissenschaftlichen Richtung Wilhelm Flitner, Theodor Litt und Erich Weniger (1894-1961) mit Buber den Kontakt gesucht. 159 Das bedeutete aber nicht, daß sein Werk von ihnen in der akademischen Lehre vermittelt wurde. Sicher paßte Bubers sozialistische Orientierung nicht in das Bild eines jüdischen Denkers, das man 1945 in Deutschland problemlos würdigen konnte. In der Bundesrepublik war eine linke Position aufgrund des Kalten Krieges suspekt und wurde wohl auch deshalb nicht in Betracht gezogen. Für die DDR-Pädagogik waren Zionismus und religiöser Sozialismus Anathemata. Aber auch für die sozialistisch orientierte kritische Erziehungswissenschaft der Bundesrepublik nach 1968 war der Bubersche Sozialismus nicht zugänglich, da deren Verständnis von Sozia157. S. L. Liegle, Kollektiverziehung im Kibbutz, München 1971; L. Liegle, Tagträume, Wirklichkeit und Erinnerungsspuren einer neuen Erziehung im jüdischen Gemeinwesen Palästinas (1918-1948), in: Neue Sammlung 25, 1985, S. 60-77; W. Melzer/ G. Neubauer, Der Kibbutz als Utopie, Weinheim 1988; siehe auch L. Liegle, Pfade in Utopia; M. Fölling-Albers/W. Fölling, Kibbutz und Kollektiverziehung, Entstehung – Entwicklung – Veränderung, Opladen 2000. 158. J. Masschelein: »Den Schmerz wachhalten, das Verlangen erwecken«. Einige Bemerkungen über Wissen und Gewissen; R. M. Kühn, (Un)humanistische Denkweisen. Ansätze zur Überwindung des pädagogischen Humanismus bei Buber, Levinas, Ballauf und Schaller, Hohengehren 1999, S. 54-66. 159. W. Flitner, der Buber in den zwanziger Jahren zweimal nach Jena zu Vorträgen eingeladen hatte und der an einer Mitarbeit Bubers in Die Erziehung interessiert gewesen war, hatte sich für die Goethepreisverleihung in Hamburg 1951 engagiert (s. Arc. Ms. Var. 350/207). Während seines Aufenthalts in Deutschland zum Empfang des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1953 sprach Buber auf Einladung des Rektors Georg Heimpel an der Universität Göttingen, vermittelt war diese Einladung durch Erich Weniger, den Buber bereits aus den dreißiger Jahren aus Frankfurt kannte. Zu einer persönlichen Begegnung mit Litt ist es nicht gekommen, Litt hat aber von sich aus den Austausch 1951 gesucht. (2 Briefe, Ar. Ms.Var. 350/ Allgem. Korr. 10/1951.)
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lismus weitgehend neomarxistisch oder marxistisch geprägt war und der religiöse Sozialismus folglich nicht als eine ernstzunehmende Variante galt. 160 Wieweit ein subtiler Antisemitismus bei dieser Vernachlässigung Bubers auch noch eine Rolle gespielt hat, ist schwer zu erheben. Daneben gilt aber für die Rezeption in Deutschland ganz ähnlich wie es Rosenow für Israel konstatiert: Die religiöse Begründung der Anthropologie war für die meisten Pädagogen in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht mehr nachvollziehbar. 161 Bleibt die internationale Wirkung Bubers in der Pädagogik. Viele der in diesem Band versammelten Texte sind auch in anderen Sprachen als Deutsch und Hebräisch erschienen. Besonders häufig finden sich Übersetzungen ins Englische, aber auch ins Niederländische, Französische und Italienische wurde Buber übersetzt. Die Wirkung in der amerikanischen Pädagogik kann hier nur skizziert werden. Bezüge zur Pädagogik Deweys sind bereits dargestellt 162 , insofern ist die Rezeption innerhalb der Tradition der Progressive Education nicht überraschend. Bubers Einfluß auf den Kommunitarismus, personalisiert durch seinen Schüler Amitai Etzioni (geb. 1929), mag die pädagogische Rezeption unterstützt haben.163 Einzelne amerikanische Pädagogen haben sich vor allem darin versucht, mit Hilfe von Bubers dialogischem Prinzip didaktische Modelle zu entwickeln.164 Für den international bekanntesten Pädagogen, der sich auf Bubersche Begriffe bezieht, den brasilianischen Volkspädagogen Paulo Freire165 (1921-1997), war Buber wohl nicht viel mehr als ein Stichwortgeber. Diese Art der Aufnahme von Bubers Gedanken in der Pädagogik ist kein Zufall. Buber hat kein pädagogisches System entwickelt, und ein solches 160. Vgl. P. Röhrig, Martin Buber wiedergelesen. Ideologiekritische Betrachtungen zu seiner Pädagogik, in: Neue Sammlung 18, 1978, S. 506-518. 161. Siehe dazu E. Rosenow, Martin Buber. 162. Siehe oben S. 36. 163. Auch der Pragmatist Dewey hat eine Anthropologie entwickelt, die von Buber allerdings kritisch rezipiert wurde. Vgl. J. Dewey, Human Nature and Conduct, New York 1922, Deutsch in: J. Dewey, Psychologische Grundfragen der Erziehung, München/ Basel 1974. Siehe Bubers Diskussion der Position von Dewey in Über Charaktererziehung im vorliegenden Band. Fritz Bohnsack hat eine Verbindung im Denken Bubers und Deweys gesehen, die von Buber allerdings selbst nicht so wahrgenommen worden ist. Vgl. entsprechend die beiden letzten Briefe aus der Korrespondenz Arc. Ms. Var. 350/124b von 1962. 164. J. R. Scudder, Freedom with Authority: A Buber Model for Teaching, in: Educational Theory 18, 1968, S. 133-142; H. Gordon/J. Demarest, Buberian Learning Groups: The Quest for responsibility in Education for Peace, in: Teachers College Records 84, 1982, S. 210-215; H. S. Rosenblatt, Martin Buber’s Concept applied to Education, in: The Education Forum 35, 1971, S. 215-228. 165. Paolo Freire, Pädagogik der Unterdrückten, Reinbek b. Hamburg 1987, S. 198.
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war von Buber ja auch nicht beabsichtigt, wie er in späteren Lebensjahren nicht müde wurde zu betonen. Der Begriff des Dialogs kann jedoch, wenn er nicht existentialistisch begründet wird, für jede Form von zwischenmenschlicher Kommunikation, und auf dieser basiert jede Erziehung, aufgegriffen werden. Die pädagogischen Fragen, die Buber gestellt hat, haben sich nicht erledigt und werden immer wieder pädagogisch-theoretisch in der Erziehungsphilosophie und pädagogisch-praktisch sowohl in Reformversuchen wie individuell von einzelnen Erzieherinnen und Erziehern bearbeitet. Die Antworten, die er gegeben hat, sind im Panorama der Pädagogik des 20. Jahrhunderts durch die ihm eigene Verbindung von Leben und Werk als Erzieher überaus stimulierend gewesen, auch wenn sie oft gar nicht mehr als seine zu identifizieren sind.
Editorische Notiz
Der MBW wird in der Regel die deutsche Erstfassung oder die erste deutsche Übersetzung eines Buber-Werkes zugrunde gelegt. Im Falle der Texte, die nur in hebräischer Fassung vorliegen, sind deutsche Übersetzungen angefertigt worden und hier zum Abdruck gebracht. Lag von einem auf Hebräisch oder Englisch veröffentlichten Text eine deutsche Fassung als Manuskript im Martin Buber-Archiv der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek Jerusalem vor, so wurde diese für den Druck übernommen. Textvarianten und unmittelbare Erläuterungen zum Text werden in einem Fußnotenapparat angegeben. Zu den Personen, die in den Texten genannt werden, finden sich biographische Angaben im Personenverzeichnis.
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Referat über jüdische Erziehung Ich möchte mich mit Ihnen zunächst darüber verständigen, was Erziehung, was nationale Erziehung und was besondere jüdische – nationale Erziehung bedeutet. Unter den Definitionen der Erziehung erscheint mir als die richtigste die, die darin die Fortpflanzung der Werte erblickt. Die geistigen Werte eines Einzelnen, einer Gemeinschaft, einer sozialen oder nationalen Gruppe werden übermittelt. Die erziehende Generation empfindet die Berufung in sich, die Werte, die das Leben ihrer Gemeinschaft getragen haben, der kommenden Generation zu übergeben. Dies ist aber nicht so gemeint, als ob man einen fertigen Inhalt nehme und in die Hand eines anderen legte, als ob so die fertigen, abgeschlossenen Inhalte etwa eines Volkstums zum Beispiel von einem Geschlecht zum anderen gehen könnten. Lebendige Werte können so nicht tradiert werden, sondern die Übermittlung von einer Generation zur anderen geschieht dadurch, daß die Werte in dieser neuen Generation neu erweckt werden. Daraus ergibt sich, daß die Übermittlung keine mechanische sein kann. Die Werte bleiben dieselben und verändern sich doch immer wieder, sie nehmen in jeder Generation nach ihrem Lebensgefühl, dem besonderen Kulturstadium und den besonderen historischen Verhältnissen gemäß neue Gestalt, eine neue Struktur, neue Äußerungsformen an. So wird die wahrhafte Erziehung, sowohl die individuelle wie die soziale, zur S e l b s t e r z i e h u n g . Der Erzieher kann im Grunde nichts anderes tun, als unter dem Aspekte der ewigen Werte, die er als den Sinn des Lebens empfindet, in der Generation, die er zu erziehen hat, das Latente zu erwecken. Erziehen bedeutet also in Wahrheit nichts anderes als Selbsterziehung fördern und der überlegene, der wahrhafte Erzieher ist der, der dem Erzogenen jenes Material überliefert, das geeignet ist, seine Selbsterziehung anzuregen, zu nähren und zu beflügeln. Nationale Erziehung bedeutet die Fortpflanzung der Werte eines Volkstums, das heißt, der diesem Volkstum eigentümlichen Wertungen, Strebungen, Hoffnungen usw., aber nicht in der Weise, daß Starres und Feststehendes weitergegeben wird, sondern so, daß an jede neue Generation herangetreten wird mit der ungeheuer schweren, ungeheuer verantwortungsvollen, aber soll die Erziehung wahrhaft geschehen, unabweislichen Forderung, daß diese neue Generation aus sich heraus diese Erziehung unter Benützung des gesamten Materials des Volkstums hervorbringe, ihren besonderen Wünschen, ihrer besonderen Art zu leben gemäß.
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Diese Aufgabe erhält eine erhöhte Prägnanz und eine erhöhte Problematik im Judentum, vornehmlich im westlichen Judentum. Hier kommt etwas dazu, was in keinem anderen Volkstum besteht: die Tatsache einer wohl nicht allgemeinen aber doch sehr umfassenden historischen Lücke in der Fortpflanzung der Werte. Es gab hier eine Epoche, die eine Unterbrechung der Übergabe der geistigen Werte des Judentums von Geschlecht zu Geschlecht bedeutet. Und deshalb ist hier die Aufgabe der Erziehung eine besonders prägnante. Es gilt nämlich nicht eine bereits bestehende, ununterbrochene Kontinuität fortzusetzen, sondern es gilt eine unterbrochene Kontinuität wieder aufzunehmen. Und wenn ich vorher sagte, daß jede wahrhafte Erziehung Förderung der Selbsterziehung ist, so gilt das besonders für uns. Wir können der neuen Generation gar nicht das Alte überliefern, weil wir es nicht besitzen. Unsere Großväter besaßen es, wir nicht. Wir haben dieses Gut nicht in Händen, wir haben nur unser großes Gefühl der jüdischen Werte und das starke Bedürfnis nach Aktualisierung der jüdischen Werte. Aber stärker noch als bei jedem anderen Volke tritt aus dem angeführten Grunde an uns die Forderung heran: in Anknüpfung an die alten Formen der Wertübergabe, der Erziehung, neue zu schaffen. Für jeden, der sich klar macht, um was es geht, bedeutet dies ein ungeheures Wagnis. Wir haben seit zwanzig Jahren auf allen zionistischen Kongressen und anderen Tagungen von der Kulturarbeit geredet, aber wir gelangen erst jetzt zu dem Gefühl, welch ein ungeheures Wagnis, welch eine schwere, harte, widerstandsreiche Aufgabe sie ist. Geredet haben wir zwanzig Jahre genug und übergenug, aber wir stehen noch immer vor dem Anfang einer wahrhaften Arbeit. Diese Arbeit kann nicht anheben, ehe wir uns mit aller Strenge gegen uns selbst ihre große Schwierigkeit zum Bewußtsein bringen. Es handelt sich für uns darum, den neu aufwachsenden Geschlechtern des westlichen Judentums die Werte des jüdischen Volkstums zu überliefern, so aber, daß diese Generationen an der Hand des Materials, das wir ihnen in der rechtmäßigen, zweckentsprechenden Form zu übergeben haben, lernen, sich selbst zu erziehen. Was uns von der Jugend immer wieder zugerufen wird, ist eben dies: Helft uns, uns selbst zu erziehen. Das, woran es diesen jungen Menschen fehlt, ist jüdisches Material. Und da müssen wir es uns ganz klar machen: was für ein Material haben wir ihnen zuzuführen und in welcher Weise? Wir sind bisher an diese Arbeit noch fast gar nicht herangegangen. Wir haben zwar ein Verlagswesen und eine Presse, wir haben aber trotz alledem nicht das geeignete Material, um einen jungen Menschen, der sich im Judentum bilden will, die Mittel dazu an die Hand zu geben. Es gibt weder auf dem Gebiet der Geschichte, noch der hebräischen Sprache, noch der Literaturkunde, noch der Palästinakunde, noch
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der soziologischen Gegenwartskunde, ja nicht einmal auf dem Gebiet der nationalen Bewegung, ihrer Theorie und Geschichte Material, das wir mit gutem Gewissen von unserer so erfaßten Aufgabe aus den jungen Leuten in die Hand geben könnten. Es geht hier um ein Doppeltes: erstens um die Bearbeitung des wissenschaftlichen Materials in der Weise, daß es unsere Erziehungsaufgabe fördere, zweitens um die zweckentsprechende Darbietung geeigneten Stoffs aus der hebräischen und jüdisch-volkstümlichen Literatur. Für beides sind Vorschläge ausgearbeitet oder entworfen: mit der Ausführung muß nun endlich begonnen werden. In derselben Richtung liegt die Frage: wie lassen sich die jüdischen Werte der Jugend so übermitteln, daß in der ganzen Methode der Übermittlung die Richtung auf die Förderung der Selbsterziehung bewahrt wird? Ich möchte auf drei konkrete Beispiele eingehen. Das erste davon ist der Geschichtsunterricht. Wohl müssen wir zunächst davon absehen, in den vorhandenen deutschen Schulen unserer Auffassung des Geschichtsunterrichts Eingang zu verschaffen: wir müssen selbst Institutionen dafür begründen. Aber in einzelnen dieser Institutionen unterscheidet sich der Geschichtsunterricht in der Methode, im Geiste kaum wesentlich von dem, der gewöhnlich in unseren Mittelschulen herrscht. Es werden Daten und Fakten aneinander gereiht und es wird versucht, etwas geistige Sauce darüberzutun. Was wir uns vornehmen sollen, so schwer es ist, und so wenig geeignetes Material uns vorliegt, ist dies, den jüdischen Geschichtsunterricht so lebendig zu gestalten, daß die Jungen und Mädchen, die wir unterrichten, das Gefühl bekommen: das ist eine andere Welt als die der Schule, das ist nicht etwas, was ich einzupauken habe, sondern etwas, was ich ganz lebendig empfinde, was mich unmittelbar angeht. Es muß also versucht werden, das, wenn z. B. von der Geschichte Palästinas gesprochen wird, Palästina für die Jugend, zu der gesprochen wird, nicht ein Land auf der Landkarte ist, über dessen Klima, Fauna, Flora sie einiges erfährt, sondern ein Land, das nicht nur an ideellem Gehalt, weil es das Ziel unserer Sehnsucht ist, sondern an lebendigem Interesse alle anderen Länder überragt. Und in derselben Weise ist etwa die Lebensgeschichte der großen Männer zu behandeln. Es ist hier heute gesagt worden, wir müssen jüdische Heldengeschichte haben, wir müssen jüdische heroische Vorbilder haben und es kommt nicht darauf an, ob der David etwa so aussieht wie der Siegfried. Meiner Meinung nach kommt es sehr darauf an. Die jüdischen Werte sollen von der Jugend nicht empfunden werden als ein Wert unter den Werten, das Judentum nicht als ein Volk unter den Völkern, sondern das Einzigartige, Geprägte, Unvergleichliche des Volkstums muß sich ihr offenbaren. Der spezifische jüdische Heroismus muß ihr erscheinen; und das ist und
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bleibt ein Heroismus des Geistes. Deshalb soll man, so schwer es auch ist, einem jungen Menschen solchen Heroismus ganz fühlbar zu machen, es immer wieder versuchen, bis es gerät. Bis unsere Jugend auch ein so »anderes« Heldentum erkennt und erlebt wie etwa das Jeremijas, des Mannes, der gegen die Machthaber und ungebeugt von allem, was ihm die Machthaber antun, die Wahrheit verkündet, weil er unter dem Gesetz des Geistes steht. Die Vorbilder, die wir vor der Jugend aufzustellen haben, sind die Bilder der Helden, die Macht durch den Geist waren. Aus denselben Prinzipien ist der hebräische Unterricht zu betrachten. Gewiß ist das gesprochene Hebräisch – das Hebräisch des Familienlebens, der Küche, des Marktes, der Straße – das schönste Phänomen des jüdischen Lebens in Palästina. Worauf es aber in unserer westjüdischen Erziehung zuallererst ankommt ist etwas anderes: diejenigen jüdischen Werte, die man in der hebräischen Sprache und nur in der hebräischen Sprache überliefern kann, in der Jugend lebendig zu machen. Das heißt vor allem die Bibel. Und wenn ich vorher sagte, daß die neuen Formen, die wir zu schaffen haben, nur durch Anknüpfung an alte geschaffen werden können, so haben wir in diesem Punkte eine ganz besondere Anknüpfung an jene Methode, nach der im Osten alle Geschlechter des lebendigen Galuthjudentums erzogen wurden. Dem Unterrichte sind die großen Texte des jüdischen Schrifttums, vor allem die Bibeltexte, dann aber auch die späteren, bis auf unsere Zeit, zugrunde zu legen. Auch hier macht sich die Forderung der Selbsterziehung geltend. Man läßt die Jugend nicht irgendwelche Sätze einlernen, die sie nicht sehr angehen, sondern gibt ihr etwas, was ihr eine neue Welt erschließt und so, daß sie es sich nicht anders erschließen kann, denn es gibt keine Bibelübersetzung. Es gibt aber etwas, was stärker ist als Erkenntnis, stärker noch als die Verbindung mit den großen historischen Werken; das ist der lebendige Kontakt mit dem Volke, – mit jenem innerlichsten Leben des Volkes, darin die Werte als Traum, als Aufgabe, als Streben fortbestehen. Zweierlei ist hier vor allem wichtig: Palästina und das östliche Judentum. Mit beiden müssen wir unsere losgelöste westliche Jugend eng verknüpfen. Es genügt nicht, daß sie von unseren Kolonien wisse: sie muß mit der Jugend Palästinas in einen direkten Zusammenhang des Gebens und Nehmens, in einen steten Austausch von Erlebnissen und Erfahrungen, Wünschen und Absichten treten. Und ebenso genügt es nicht, daß unsere Jugend dieses oder jenes Werk ostjüdischen Geistes kennen lerne; sie muß an den Kämpfen und Arbeiten, an den Leiden und Ringen des ostjüdischen Volkes innig teilnehmen. Damit habe ich etwas berührt, was nicht die Jugend allein, was uns alle angeht.
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Für uns alle ist das Wichtigste wie einerseits die Schaffung einer Einheit zwischen Palästina und Diaspora, so andererseits die Schaffung einer Einheit in der Diaspora selbst durch die Herstellung eines lebendigen Kontakts zwischen östlichem und westlichem Judentum. Dieser Kontakt ist durch mancherlei Dinge erschwert, vor allem durch den westlichen und den östlichen Hochmut. Der westliche Hochmut ist im Abnehmen: wir haben hier heute schon weit weniger Zionisten, die sich dünken, durch ihre Zivilisation den anderen überlegen zu sein. Der östliche Hochmut ist im Zunehmen: die östlichen Juden meinen, weil sie eine geschlossene Kultur besitzen, eine höhere Spezies zu sein, und die westlichen Juden vernachlässigen zu dürfen. Diesen doppelten Hochmut gilt es zu überwinden. Wir müssen selbst zusammenkommen, wenn wir wollen, daß die Jugend zusammenkommt. Und zuletzt noch eins. Nationale Erziehung ohne menschliche ist eng und unfruchtbar. Diese, die menschliche Erziehung der jüdischen Jugend, ist bisher zu wenig berücksichtigt worden. Unsere nationale Erziehung war bisher allzusehr eine nationalistische. Es handelt sich darum, daß wir auf alle Interessen, auf alle menschlichen Bedürfnisse eines jungen Menschen eingehen. Anfänge dafür sind da. Ein guter Blau-Weiß-Führer 1 etwa hält es für seine Aufgabe, nicht bloß jüdische Parolen herauszugeben und jüdische Kenntnisse mitzuteilen, sondern sich mit allen Jungensinteressen, mit allen die Knabenseele bewegenden Fragen, auch den intimsten und scheinbar unbesprechbarsten, in der rechten Weise abzugeben; dadurch wird er erst in Wirklichkeit zum Führer. Solche Führer sind das, was uns am meisten nottut; nicht Führer, die der Jugend etwas aufoktroyieren wollen, die Bescheid wissen und fertige Weisheiten von sich geben, sondern Führer zur Selbsterziehung. Und das kann man wahrhaft nur dann werden, wenn man alle menschlichen Interessen eines jungen Menschen umfaßt; wenn man ihn zugleich menschlich und völkisch erzieht, so daß ihm sein menschliches und sein jüdisches Ideal zu e i n e m verschmelze: zur Vollendung des eigenen Wesens. Bisher ist auf dem Gebiet einer so aufgefaßten nationalen Erziehung fast nichts geschehen. Wir müssen der Aufgabe mit allem Ernst ins Auge blicken. Denn dieser Moment, in dem wir darüber sprechen, ist nicht ein Moment wie alle die früheren, in denen von Kultur gesprochen wurde, und unsere Beratung am heutigen Tage ist, obgleich an Umfang und Art 1.
Blau-Weiß: zionistisch orientierter jüdischer Wanderbund, s. H. Meier-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, Teil 1, S. 18-25 und J. Hackeschmidt, Von Kurt Blumenfeldt zu Norbert Elias. Die Erfindung der jüdischen Nation, Hamburg 1997.
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wesentlich bescheidener, etwas spezifisch anderes, als alle Kulturberatungen der Kongresse. Es ist ein ganz besonderer Augenblick, den wir heute durchleben, und wenn es früher nur Arbeit aufgehalten hat, wenn es nur jüdisch unerfüllte Jahrgänge hat aufwachsen lassen, wäre es heute ein ganz besonderer Schaden, wenn wir von dieser Tagung wieder nur mit Resolutionen und Kommissionen von dannen gingen. In diesem Augenblick wird von unseren Zionisten etwas ganz Bestimmtes gefordert. Nicht nur wir selbst, sondern die jüdische Umwelt, die jüdische Peripherie fordert die Tat von uns. Die Peripherie, der Kreis um den Zionismus herum, der Teil des Judentums, der innerlich nahe ist, ist ungemein gewachsen und die Lehren der neunundzwanzig Monate, die wir zuletzt erlebt haben, haben tief gewirkt. Wir sehen es vielleicht noch nicht konkret vor uns, aber der Tag ist hoffentlich nicht fern, wo wir es überraschend und überwältigend vor uns aufsteigen werden sehen können, der Tag; da die zurückkehrende Schar uns zurufen wird: Gebt uns Brot des Geistes, gebt uns Leben, gebt uns ein lebendes Ideal. Es gibt große und kleine Symptome dieser Entwicklung. Ich darf etwas Persönliches sagen. Ich habe im letzten Jahre immer wieder von unbekannten Menschen aus dem Felde Briefe bekommen, die mich mehr als irgend etwas anderes in diesen erschütternden Jahren erschüttert haben. Und aus allen spricht dieselbe Frage: Was soll mit uns werden? Es ist das Gefühl eines Preisgegebenseins und das Verlangen nach Festigung, nach Richtung, nach Halt. Und nichts anderes bedeuten jene noch undeutlichen, dennoch unverkennbaren Stimmen, die auf Tagungen wie die der neutralen Jugendvereine lautgeworden sind. Sie werden, meine Damen und Herren, mich gewiß nicht des Opportunismus zeihen. Aber wenn ich jemals das Gefühl hatte, daß es eine Forderung der Stunde ist, die vitalen Kräfte des Judentums zusammenzufassen, so habe ich es jetzt. Wenn Menschen, die sonst in ihren Äußerungen vorsichtig zu sein pflegen, sagen, daß man ohne den Zionismus nicht arbeiten kann, so brauchen wir kaum zu ergänzen, was gemeint ist: Ohne den idealen Halt, ohne den idealen Lebenskern, den der Zionismus gibt, oder richtiger, den er geben kann, geben soll. Jetzt ist der Augenblick da, der unvertagbare, unaufschiebbare, dem wir uns gewachsen zeigen müssen. Wir müssen nunmehr positiv zu schaffen beginnen. Das improvisierte Arbeiten, das Arbeiten von Fall zu Fall unter der Diktatur des Zufalls muß aufhören. Und wenn wir das tun, wenn wir Positives zu bauen beginnen, dann, und dann allein sind wir berechtigt, an die Zusammenfassung der vitalen Kräfte des Judentums zu gehen. Ich möchte Sie auf etwas hinweisen, was uns am nächsten liegt, aber noch nicht geschehen ist. Es ist so lange in der deutschen Landsmannschaft über die Frage der deutschen
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Gegenwartsarbeit gesprochen worden; aber noch kein einziges Mal ist dieses nächstliegende angeregt worden: Wie kommen wir dazu, hier in Deutschland an der Erziehungsarbeit isoliert zu arbeiten? Müssen wir diese Arbeit nicht mit den deutsch-österreichischen Zionisten zusammen leisten? Es gibt eine ganze Reihe von Aufgaben, an die wir vereint mit der österreichischen Landsmannschaft herantreten können und sollen: mit all den Kräften von hoher geistiger und moralischer Leistungsfähigkeit die sie umfaßt und die wir gar nicht entbehren können; denn wir dürfen die Jugendarbeit nicht in der Isolierung, wir müssen sie in möglichster Verknüpfung betreiben. Und darüber hinaus sollen wir immer intensiver jene große Verbindung anstreben, von der ich gesprochen habe, jene dreifache Verbindung: fürs erste den lebendigen Zusammenhang der Diaspora mit dem werdenden palästinensischen Volkstum, fürs zweite die Vereinheitlichung der Diaspora selber durch eine stete und fruchtbare Verknüpfung des westlichen mit dem östlichen Judentum, und fürs dritte endlich eine tätige, helfende, schöpferische Verbindung, eine Verbindung ohne Schwäche und ohne Kompromiß im Zeichen unseres reinen Ideals, mit jenem nahe peripherischen Judentum, welches das Judentum ist, das sich nach uns sehnt.
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Zion und die Jugend Eine Ansprache Die Jugend ist die ewige Glückschance der Menschheit, die ihr ewig von neuem dargebotene und von ihr ewig von neuem vertane Glückschance. Immer wieder tritt ein zwanzigjähriges Geschlecht auf den Plan, mit einer glühenden Sehnsucht nach dem Unbedingten, mit einer rückhaltlosen Hingabe an das Ideal, willig die verrammelte Pforte des Paradieses zu sprengen. Zwischen diesem Geschlecht und der Erfüllung steht immer wieder nur die Tat, die es tun will, auf die es sich zunächst bereiten will. Aber während es sich bereitet, ergreift das Getriebe der von der Gesellschaft dargebotenen kleinen Zwecke, ergreifen die Dämonen der eitlen Eigensucht, vornehmlich der Dämon des Mehr-gelten-wollens Besitz von diesen jungen Seelen. Wird ihnen doch von dem Verhalten der ganzen Umwelt die Wahrheit gepredigt, daß die sogenannten Tatsachen stärker seien als die Ideen, daß wir in eine Entwicklung eingestellt seien, in die wir nicht bewältigend und formend einzugreifen vermögen, und daß das Streben, dem Kultus des allmächtigen Nutzens zu entrinnen, den Widerspenstigen zu einem einsamen, verbannten, erfolglosen Eigenbrödler und Phantasten mache. Diese Lehre siegt über die Sehnsucht und die Hingabe; die reine Kraft, die sich anschickte, mit dem wahrhaften Leben auf Erden Ernst zu machen, wird unter das Joch der Lüge und des geistwidrigen Mittuns gezwungen, und die wenigen Widerspenstigen, von der Schar der Kampfgenossen verlassen, werden, wie ihnen prophezeit worden war, zu erfolglosen Eigenbrödlern. Das Getriebe ist wieder einmal gerettet, das Gesetz der Trägheit hat sich wieder einmal stärker erwiesen als der nach der Schaffung höherer Gesetzmäßigkeiten verlangende Aufschwung des entfesselten Geistes, die Glückschance der Menschheit ist wieder einmal vertan – und ein neues Geschlecht, eine neue Jugend steigt empor, zu gleichem Schicksal. Es ist nun aber Zeiten großer innerer und äußerer Krisen im Leben der Völker und der Menschheit eigentümlich, daß sie sich diesem Verhängnis nicht beugen wollen, daß sie sich gegen das Gesetz der Trägheit auflehnen und sich unterfangen, die unzerstreute Energie der Jugend zu retten und aus ihr ein Werk der Wandlung, der Erneuerung hervorgehen zu lassen. Diese Zeiten sprechen zu der Jugend mit feurigen Zungen, sie fordern von ihr, sie gebieten ihr, daß sie nicht erliege, daß sie widerstehe, daß sie sich bewahre, daß sie ihre Tat tue. Und die Jugend hört auf sie. Sie spannt sich in einer ungeheuren Anstrengung und streift Zwang und Lockung des Getriebes ab. Sie wagt das Unmögliche. Sie hält wie Josua zu Gibeon die
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Sonne am Himmel fest , auf daß das Werk vollendet werde. Sie bleibt um e i n e Stunde, um eine große Stunde länger Jugend und wirkt, was die Zeit der Wende ihr gebot. Es kann, soweit ich die Menschheitsgeschichte überschaue, dreierlei Element sein, dem solch eine gebieterische Stimme innewohnt, es kann dreierlei Tat sein, die gefordert wird. Das erste ist die Rettung eines Volkstums, die Befreiung einer Nation vom Druck einer ihr auferlegten Fremdherrschaft. Das zweite, höhere, ist der Umbau einer verrotteten Gesellschaft, die Verwirklichung gerechterer Grundsätze des Gemeinschaftslebens. Das dritte, höchste, ist die Verkündung einer Heilswahrheit an die Menschheit, so oft das Verhältnis zum Absoluten sich neu im sterblichen Wesen verkörpert hat. Diese drei Elemente – das nationale, das soziale, das religiöse –, diese drei Taten – Befreiungskampf, Revolution, Apostolat – können mancherlei Verknüpfungen untereinander eingehen; immer aber sind sie und nur sie es, deren Ruf an die Jugend aus der Wahrheit, aus tiefer Not und Notwendigkeit kommt. (Freilich gibt es auch Elemente, die die Stimme eines dieser drei, etwa der nationalen Befreiung, annehmen, den echten Ruf nachahmen und die Jugend in die Irre führen.) Wir leben in einem der Zeitalter, von denen ich gesprochen habe. Seit einer Weile schon dringt der Ruf der Zeit, der Ruf der Wende an die Ohren der Jugend. Aber sie vermag ihn nicht zu verstehen, vielleicht weil er wie aus der Ferne, seltsam gedämpft, nicht wie ein Befehl, sondern fast wie ein erstickter Hilferuf erklingt. Die Jugend ist bewegt; sie fühlt, daß von ihr gefordert wird, sie möge ihre unzerstreute Energie bewahren und ihr Werk tun; aber sie weiß noch nicht, welches Werk das ist, das sie tun soll. Ein Zeugnis dieses Zustands ist die gegenwärtige Jugendbewegung einiger Völker, etwa die deutsche. Sie irrt, weil sie wähnt, die Jugend sei Selbstzweck, und nicht erkennt, daß sie das Werkzeug einer Erfüllung sein soll; doch sie ist auch in der Wahrheit, weil sie die reine Kraft der Jugend erhalten und sie vor dem zersetzenden Einfluß des Getriebes bewahren will. Aber auch die Richtung beginnt dämmernd offenbar zu werden. Der Irrwahn des vergangenen Zeitalters mit seinen Parolen von Persönlichkeit, Machtwillen und Kultur ist zerstoben. Die Jugend hat erkannt, daß Persönlichkeit wohl eine herrliche Realität, aber keine Aufgabe ist, und daß Persönlichkeiten die sind, die so wahrhaft unter dem überwölbenden Himmel ihrer S a c h e stehen, daß er sie wie eine Glocke umschließt. Sie hat ferner erkannt, daß Macht ein unvermeidliches Mittel, aber kein Ziel ist, und daß heilig große Macht auf Erden nur die hatten, die in Demut und um der Verwirklichung ihrer S a c h e willen nach ihr 1.
Jos 10,12.
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griffen. Sie hat endlich erkannt, daß Kultur wohl die Blüte des Gemeinschaftslebens ist, aber daß sie nicht gemacht werden kann, und daß Kulturlosigkeit unendlich besser ist als die gemachte Scheinkultur, in der wir leben, – daß eine neue Kultur, eine neue Totalität der geistigen Welt nur erstehen kann, wenn es wieder wirkliche Gemeinschaft und Gemeinsamkeit, ein wirkliches Miteinanderleben und Ineinanderleben, eine lebendige Unmittelbarkeit zwischen den Menschen gibt. Aber all dies ist der Jugend nicht abgezogenes Wissen, sondern brennendes Durchdrungensein und leidenschaftliches Erfahren. Es ist nicht ein Haben, sondern ein Wollen. Das Verlangen nach einer überwölbenden Sache, nach einer Gemeinschaftssache, das Verlangen nach dem Leben und Sterben in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft ist in der Jugend unsrer Zeit erwacht. Mag dieses Verlangen auch zuzeiten irregeleitet, mag es von Gewalten, die allen Idealismus zu mißbrauchen verstehen, mißbraucht werden – endlich wird sich die Jugend doch vom Herzensgrund aus besinnen, durch den Lärm der trügerischen Stimmen hindurch wird sie endlich den Ruf der wahren Stimme vernehmen und verstehen und wird ihm folgen – für die Stunde von Gibeon. Ich glaube, daß der Augenblick dieser Besinnung es ist, den wir eben durchleben. In diese geistige Situation tritt die jüdische Jugend unsrer Zeit (und ein Teil der ostjüdischen) mit einer einzigartigen Schwere der Problematik, die ganze jüdische Jugend aber mit einer einzigartigen Fülle der Verheißung ein. Die Problematik, die ich meine, besteht darin, daß die westjüdische Jugend die Gemeinschaft, nach der sie Verlangen trägt, erst wahrhaft finden muß. Die Verheißung, die ich meine, besteht darin, daß an die jüdische Jugend ein besondrer Ruf der Zeit ergeht, daß ihr eine besondre Tat aufgegeben wird, und daß darin nicht eines bloß jener drei Elemente, die ich genannt habe, lebt, daß darin vielmehr alle drei, das nationale, das soziale und das religiöse, unlösbar verschmolzen sind. Lassen Sie mich vorerst von der Problematik sprechen. Der westjüdische Jüngling, der zum Bewußtsein seines Verhältnisses zur Gemeinschaft erwacht, findet sich zwischen zwei Gemeinschaften gestellt, gleichsam zwischen sie aufgeteilt – jeder einzelne, wiewohl der Anteil der beiden bei verschiedenen Personen sehr verschieden ist. Die eine ist die Gemeinschaft, der er durch seine Geburt entstammt, die andere die Gemeinschaft, die die Sprache geschaffen hat, die er spricht und in der er denkt, die die Kultur geschaffen hat, die ihn gebildet hat und in die er tätig hineinzuwachsen beginnt, die das Staatswesen geschaffen hat, dessen Bürger er ist und an dessen Schicksal er leidend und handelnd teilnimmt. Welche der beiden ist die Gemeinschaft, der er sich zutiefst ergeben muß, wenn er die Erfüllung finden soll?
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In sehr vielen Fällen wird er die Gemeinschaft der Kultur, der Sprache, des Staatswesens dafür halten müssen, und in der Tat sind es starke und vielfältige Bande, die ihn an diese heften. Aber eines fehlt, ein Letztes, Innerlichstes, Wesenhaftestes, das fundamentale Prinzip der wahrhaften Verbindung mit einer Volksgemeinschaft und doch nur selten in seiner Bedeutung gekannt und bewußt: das Gemeinschaftsgedächtnis. Das Gedächtnis des Menschen ist nicht auf die bewußte Erinnerung an sein persönliches Erleben beschränkt, es umschließt – um einen vielleicht verdeutlichenden naturwissenschaftlichen Begriff gleichnisweise zu gebrauchen – eine Mneme, die an sehr viel weitere Bezirke der Zeit und des Raumes rührt. Ich meine damit nichts Metaphysisches, sondern die Erfahrungstatsache, daß jeder Mensch in einem großen Teil seines Wesens das Produkt der Geschlechter ist, die ihn gezeugt haben, der Brennpunkt der Kreuzungen, die in ihm zusammenlaufen, der Körper gewordene Niederschlag des Schicksals der Väter und Mütter. Dieses sein so gewordenes Wesen findet der Mensch in seiner Selbstwahrnehmung vor. Freilich erscheint es ihm hier nicht als Erinnerung, sondern als Gegenwart. Er erfährt das Gemeinschaftsgedächtnis mehr in der Form des Seins als in der des Bewußtseins. Der soziale Charakter dieses Gedächtnisses tritt ihm nicht rein, sondern individual verhüllt entgegen. Aber wenn er sich zuinnerst besinnt, offenbart sich ihm dieses sein Sein als ein Gewordensein; das in seinem Leibe beschlossene Leben entfaltet sich ihm als das über Zeit und Raum hingestreckte Leben einer Geschlechterfolge, und in dem geheimen Rauschen seines Blutes entdeckt er das Volk. Er findet in sich die Kräfte, die dieses Volk erhoben und die es erniedrigt, die es groß und die es unselig gemacht haben, er findet aber in sich auch die schlummernde, noch immer unerlöste Urform dieses Volkstums, die es zu erlösen gilt. Und nun weiß er, worauf er sein eigentlichstes Verhältnis zur Gemeinschaft aufzubauen hat. Was immer ihn mit der andern, mit der Gemeinschaft der Sprache, der Kultur verbindet, dieses eine Entscheidende nicht: er findet die Kräfte, die einst diese Sprache, diese Kultur g e s c h a f f e n haben, in sich nicht vor. Er hat diese Geisteswelt übernommen, er mag an ihrem Ausbau mitgewirkt, auch wahrhaft produktiv mitgewirkt haben, aber die schöpferischen Urkräfte dieser Seele und dieser Geschichte, das Geheimnis dieses in tausend Wandlungen durch die Zeiten schreitenden Volksmythos trägt er nicht in sich. Er steht an dessen Ausgang, er hat am Anfang nicht gestanden. Er hat die Götter dieses Volkes kennen gelernt, nachdem sie zu Ideen geworden sind, er hat sie nicht gekannt, als sie noch Götter waren. Er mag den Geist eines Urhebers haben, er hat das Schicksal eines Epigonen. So muß denn der westjüdische Jüngling, der sich zuinnerst auf sich
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selber besinnt – und dieses Sichbesinnen ist es, das von jedem zu allererst zu fordern ist – erkennen, daß er sein eigentlichstes Verhältnis zur Gemeinschaft auf seinem Judentum, auf seinem jüdischen Volkstum aufzubauen hat. Hier hat sein Wesen, hat er am Anfang gestanden; dieses Volkes Gott hat er gekannt, als er noch als Wolkensäule am Tage, als Feuersäule in der Nacht vor dem Volkeeinherzog; hier kann er Urheber, darf er Schöpfer sein. Aber um das Verhältnis zum jüdischen Volke wahrhaft aufzubauen, genügt es nicht, sich als in ihm stehend wahrzunehmen, sich ihm bewußt anzuschließen, sich zu ihm zu bekennen. Dadurch allein kann jenes leidenschaftliche Verlangen der Jugend nach dem Leben und Sterben in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft nicht befriedigt werden. Es kann dies auch in andren Völkern nicht, am allerwenigsten aber im jüdischen Volke, das so sehr des vollen Lebenseinsatzes jedes einzelnen seiner Söhne bedarf, um wieder das zu werden, was es in seiner Wahrheit ist. Von Grund aus falsch jedoch wäre es auch, nach Art des herrschenden Nationalismus aller Völker die wesentliche Aufgabe in der D u r c h s e t z u n g des jüdischen Volkes zu erblicken. Das hieße das allgemeine Ziel, hieße erst recht das besondere von Grund aus verkennen. Weit mehr noch als bei irgendeinem andren Volke besteht beim jüdischen zu Recht, daß es nicht gilt, es durchzusetzen, sondern es zu gestalten; die in ihm schlummernde, noch immer schlummernde Urform zu erlösen. Um diese gestaltende Arbeit am Volke frei beginnen zu können, bedürfen wir einer freien Stätte, wo wir ganz aus eigner Art und Kraft, vom Fremden äußerlich und innerlich unabhängig geworden, ungehemmt und unbeirrt schaffen können; bedürfen wir der einen Stätte, wo allein dieses Volk frei und eigen war, wo allein es frei und eigen sein kann; bedürfen wir Zions. Zion ist Größeres als ein Stück Land in Vorderasien; Zion ist Größeres als ein jüdisches Gemeinwesen in diesem Lande; Zion ist Erinnerung, Mahnung, Verheißung; Zion ist das neue Heiligtum im Bilde des alten; von Zion soll wieder wie einst die L e h r e ausgehen. Es ist der Grundstein des messianischen Menschheitsbaus. Es ist die unendliche Aufgabe der jüdischen Volksseele. Ich habe von der Schwere der Problematik gesprochen, mit der die jüdische Jugend beladen ist. Ich will nun auch ein Wort von der Fülle der Verheißung sagen, mit der sie gekrönt ist. Es ist ein Zeitalter der Entscheidung, in dem wir leben. Entscheidung für die Menschheit, Entscheidung für die Völker, eine ganz besondre Entscheidung für das jüdische Volk. Das Schicksal des jüdischen Volkes entscheidet sich heute, das jüdische Volk entscheidet heute über sein Schick-
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sal. Und wie die Stimme der Menschheit aus der Zeit zu der Jugend aller Völker mit feurigen Zungen redet und sie anruft, daß sie nicht erliege, daß sie widerstehe, daß sie sich bewahre, daß sie ihre Tat tue, so ruft die Stimme des Judentums die Jugend an, daß sie widerstehe, daß sie sich bewahre, daß sie ihre besondre, ihr allein angewiesene Tat tue. Aber aus der Stimme dieses Volkes tönt die wahre Stimme der Menschheit. Denn in seinem Rufe, in der Tat, die es fordert, sind die drei Elemente des echten Gebotes, das nationale, das soziale und das religiöse, unlösbar verschmolzen. Diese Tat ist eine wahre Menschheitstat. Rettung eines Volkstums – dies ist der eine Sinn der Errichtung Zions. Diese Rettung hat nicht die Form eines Befreiungskampfes, sondern einer Auslösung in die Freiheit. Solange das Judentum unter die Völker aufgeteilt und ihrem Leben verhaftet, solange es dem Willen ihrer Staaten ausgeliefert ist, solange es nicht zumindest ein frei pulsierendes Herz hat, aus dem ein Strom freieren Lebens in alle Adern fließt, kann es nicht zu sich selber und zu seinem Werke, zu seinem wahren Anteil am Werk der Menschheit kommen. Schon hier ist der menschheitliche Charakter der uns aufgegebenen Tat erkennbar. Aber es soll ja nicht ein Gemeinwesen von Juden, sondern ein wahrhaft jüdisches Gemeinwesen errichtet werden. Ein wahrhaft jüdisches Gemeinwesen aber kann kein anderes sein als eines, in dem die Gebote Moses für den Ausgleich des Besitzes, die Aufrufe der Propheten zur sozialen Gerechtigkeit in einer die Wirtschaftsverhältnisse unsrer Zeit einbeziehenden und meisternden Form zu Wirklichkeit werden. Unser erstes Werk auf freier Erde muß sein, daß wir mit dem immanenten Gemeinschaftsideal des Judentums Ernst machen. Es darf nicht länger ein feierlicher Hallenbau aus Worten bleiben, es muß zu wohnlichen Häusern, zu gelebtem Alltag werden. Wir wollen Zion aufbauen, das ist, wir wollen ein reines, schönes und unbefangenes Zusammenleben, ein Miteinanderleben und Ineinanderleben, eine lebendige Unmittelbarkeit zwischen Menschen, zwischen jüdischen Menschen stiften. Dazu müssen wir unsre Menschen zur echten Gemeinschaftsgesinnung, zur tätigen Liebe erziehen. Wir müssen aber zugleich Formen und Institutionen einsetzen, mit deren Hilfe sich diese Gesinnung frei bekunden und bewähren kann. Es liegt uns ob, ein Neues und Festes zu schaffen, das wir vor unsrer Vergangenheit und vor unsrer Zukunft mit ungeteiltem Gewissen verantworten können. Auch wir haben keine verfallenen Schlösser und keine Basalte. Aber wir haben, was Amerika nicht hatte: die große Überlieferung der gerechtesten sozialen Gesetzgebung und die Erinnerung an die prophetischen Zornrufe über ihre Nichterfüllung. Wir tragen diese Überlieferung und diese Erinnerung nicht in unsrer Bibel allein, sondern als unaus-
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löschliche Mahnung in unseren Herzen. Wir wollen diese Zornrufe nicht noch einmal vernehmen, nicht noch einmal vor ihnen zuschanden werden. Wir wollen Ernst machen und mit unsrem Ernstmachen das der Menschheit beginnen. Und wie unsre nationale Befreiung nicht den Charakter des Krieges, sondern den Charakter der Auslösung hat, so hat unsre soziale Umgestaltung nicht den Charakter der Revolution, sondern den des Aufbaus. Das dritte und höchste Element ist das religiöse. Von ihm darf nur weniges gesagt werden, und auch wo es vor vielen öffentlich geschieht, doch nicht an eine Menge, sondern an jeden Einzelnen. Und so dürfen wir als Hoffnung und Ahnung aussprechen, daß auch an der innersten Gewalt des Judentums, daß auch an der jüdischen Religiosität in Zion Erneuerung sich vollziehen wird. Heute ist sie in unsrem Gemeinschaftsleben starr und unfruchtbar geworden; nur in Einzelnen, Einsamen glimmen die heiligen Funken. Wo anders als in Zion könnten sie zur Flamme zusammenschlagen? Wo anders könnte uns eine neue religiöse Schöpfung, ein neues Gotteswort für uns und die Menschheit, eine wahrhafte Wiedergeburt für uns und die Menschheit zuteil werden? Ackerbauern waren es, aus denen die letzte große eigentümlich jüdische religiöse Bewegung in Erez Israel, die essäische, erwuchs, Landvolk, das ein reines gemeinsames Leben suchte und Gott fand. Ackerbauern, Landvolk ist es, auf das ich meine Hoffnung setze. Auch sie, auch wir werden, das ist mein Glaube, ein reines Leben suchen und Gott finden. Dann wird Zion, wie es verheißen ist, ein Gotteshaus für alle Völker werden. Der Ruf, Zion zu erbauen, ergeht an die jüdische Jugend. Es ist die Zeit der Entscheidung. Seit langem, so erscheint es mir allen widrigen Gegeneindrücken zum Trotz, hatte das Judentum kein junges Geschlecht wie heute, mit einer so glühenden Sehnsucht nach dem Unbedingten, mit einer so rückhaltlosen Hingabe an das Ideal. Zwischen diesem Geschlecht und der Erfüllung steht nur die Tat, die es tun will, auf die es sich zunächst bereiten will. Aber noch viel lauter, noch viel brutaler als je wird dieser Jugend von dem Verhalten der ganzen Umwelt die Lehre gepredigt, daß die sogenannten Tatsachen stärker seien als die Ideen, daß wir in eine Entwicklung eingestellt seien, in die wir nicht bewältigend und formend einzugreifen vermögen, und daß das Streben, dem Kultus des allmächtigen Nutzens zu entrinnen, den Widerspenstigen zu einem einsamen, verbannten, erfolglosen Eigenbrödler und Phantasten mache. Wird diese Lehre auch jetzt und hier über die Hingabe siegen? Wird die reine Kraft, die sich anschickt, mit dem wahrhaften Leben auf Erden Ernst zu machen, wieder unter das Joch der Lüge und des geistwidrigen
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Mittuns gezwungen werden? Wird sich das Gesetz der Trägheit wieder stärker erweisen als der Aufschwung des Geistes? Wird die Glückschance des Judentums noch einmal vertan werden? Ich glaube trotz allem an den Sinn des furchtbaren Augenblicks, den wir erleben, an seinen Sinn für die Menschheit und an seinen Sinn für das Judentum. Ich glaube an die Jugend dieses Augenblicks, an die Menschheitsjugend und mit einem besondren Glauben an die jüdische Jugend. Ich glaube an die Stunde von Gibeon. Und im Aspekt dieser großen Stunde rufe ich der jüdischen Jugend zu: Widerstrebet! Widerstrebet dem Übel! Aber widerstrebet ihm mit eurem eignen Leben! Widerstrebet vor allem dieser Welt des Erfolgswahns, die sich heute anmaßt, die wirkliche Menschenwelt zu sein und doch nur ein machtgeschwollener Popanz ist. Schaut ihr auf den Grund! Lasset euch nicht betören von ihren denk- und sprachgewandten Lobhudlern, die vierundzwanzig Stunden nach jedem Erfolg schon eine schimmernd neue Ideologie feilbieten, welche unwiderleglich beweist, gerade in diesem Erfolge habe sich der Sinn der Weltgeschichte erfüllt. Wir Juden, wir vom Blute Amos’ und Jeremijas, Jesu und Spinozas und all der Erderschütterer, die erfolglos starben, wir kennen eine andre Weltgeschichte als diese, die der Erfolg niederschreibt. Seid ihrer eingedenk! Beuget nicht eure Blicke, beuget nicht eure Herzen, und über alles, beuget nicht euer Leben! Lebt frei und rein! Erhebt euch über die Laufbahn, und die Bahn wird sich euch öffnen; lasset den Erfolg fahren, und das Werk wird sich in eure Hände schmiegen. Und zum zweiten, widerstrebet dieser Welt der Lüge, die es zustandegebracht hat, sich in der heillosesten Entzweiung, der zwischen Idee und Leben, behaglich einzurichten. Scheidet euren Weg von den Wegen derer, denen das Ideal ein wirksames Auslage-Schaustück für Volksversammlungen und Parlamente, für Leitartikel und Aktualitätsphilosophien, für Manifeste und Hymnen ist. Die Rhetorik des Ideals als Ersatz des persönlichen Ernstmachens ist tausendfach schlimmer als die krasse Ideallosigkeit; nicht in dem Mangel der Botschaft, sondern in dem Schein der Botschaft, in der Botschaft als Maske stellt sich die wahre Verworfenheit des Zeitalters dar. Wenn heute schon die stillen Eigenschaften innerster Existenz, wenn sogar Güte und Menschlichkeit von eitlen und der reinen Gemeinschaft unfähigen Worttechnikern als modische Schlagworte proklamiert werden, ist es an der Zeit, sich gegen alle Rede, die nicht eine Äußerung persönlichen Lebens und persönlicher Verantwortung ist, zu wappnen und die eigne Seele vor ihr zu behüten. Das Wort muß von der ganzen Person, von einer g a n z e n Person gedeckt werden. Wie die Welt
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der Gesinnung der Welt des Erfolges, so steht die reale Gesinnung, die man l e b t , der fiktiven gegenüber, zu der man sich b e k e n n t . Das Judentum ist die Lehre der realen Gesinnung, die nicht im Himmel und nicht jenseits des Meeres ist, »sondern dir sehr nahe ist das Ding, in deinem Mund und in deinem Herzen, u m e s z u t u n «. Dem Judentum ist die Wahrheit einer Idee erst da vorhanden, wo sie die Wahrheit eines Lebens geworden ist. Bewähret euer Judentum! Machet Ernst mit dem Leben, und das Leben wird mit euch Ernst machen! Zum dritten aber widerstrebet der Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit, die heute mißtöniger als je aus den humanitären Phrasen der Nationen hervorkreischt, all der Nationen, die sich der Pflicht, die Gerechtigkeit ihrer Sache mit dem innersten Wesen nachzuprüfen, dauernd enthoben meinen, weil es i h r e Sache ist, und sich der Mahnung der Ewigkeit, das Recht zu s u c h e n , verschließen. Erkennet, daß die wahre Liebe zu einem Volke nicht die ist, die es durchsetzen, sondern die, die es gestalten will. Auch den Völkern ist wie den Menschen das göttliche Bild vor die Seele gestellt, daß sie sich danach bilden; sie aber ziehen vor, sich selbst wohlgefällig zu bespiegeln und sich in ihrem Sosein zu behaupten. Entzieht euch diesem schalen und geistverlassenen Gebaren! Ihr seid euch eurer Zugehörigkeit zum jüdischen Volke bewußt geworden, ihr seid stolz darauf, und das ist ein guter Stolz, wenn ihr damit nicht das meint, was es ist, sondern das, was es werden kann – was es durch eure Hilfe und nur durch eure Hilfe werden kann. Ja, dieses Volk ist auserwählt: zu einem Werk der Gemeinschaft – zu einem Werk, das es nur vollbringen kann, wenn ihr daran teilnehmt. Wenn euch euer Judentum ein Genügen ist, ist es in euch tot; nur wenn es euch ein Stachel ist, lebt es in euch. Glaubt nicht, wenn ihr euch Zionisten nennt, seiet ihr schon was Rechtes. Wenn Zionismus nicht unablässige Arbeit des Zionisten an sich selber und am Volke ist, ist er ein leeres Wort. Das Volk darf euch nicht eine fertige Tatsache, es muß euch eine Aufgabe, eine persönliche Lebensaufgabe bedeuten. An euch, an der Jugend wird es liegen, ob aus diesem Schutthaufen ein Gottestempel, aus diesem Feld von Totengebein eine lebende, ja eine das wahrhafte Leben lebende Menschengemeinschaft wird. Verlasset euch auch nicht auf Palästina! An euch, an der Jugend wird es liegen, ob aus Palästina die Mitte der Menschheit oder ein jüdisches Albanien wird, das Heil der Völker oder ein Spiel der Mächte. Zion wird in der Welt nicht entstehen, wenn ihr es in der Seele nicht bereitet.
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Jüdisch leben Zwei Gespräche. Meinem Sohn Rafael gewidmet I.
Der Knabe: Der Führer: Der Knabe: Der Führer:
Was bedeutet das: »Jüdisch leben?« Das hängt davon ab, warum du danach fragst. Wie soll ich das verstehen? Wenn du fragst, weil du es bloß wissen willst, so bedeutet »jüdisch leben« für dich nichts anderes, als was deine Vorfahren taten, und du kannst es aus der Geschichte erfahren. Fragst du aber, weil du etwas tun willst … Der Knabe: Ich will etwas tun. Der Führer: Was ist es, das du tun willst? Der Knabe: Ich will … ja, ich kann es nicht sagen. Der Führer: Und deshalb fragst du? Der Knabe: Ja, deshalb. Der Führer: Du denkst dir wohl, daß »jüdisch leben« eben das ist, was du tun willst und nicht sagen kannst, und du meinst, wenn ich es dir sage, so würde dir das – es tun helfen. Der Knabe (nach einer Weile): Ja. Der Führer: Hast du Freunde? Der Knabe: Ja, zwei. Der Führer: Juden oder Christen? Der Knabe: Der eine ist ein Christ. Der Führer: Und wie ist das mit deinen Freunden? Wollen sie auch etwas tun? Der Knabe: Wir sprechen selten davon. Der Führer: Aber du weißt es? Der Knabe: Ja. Der Führer: Willst du es mir nicht sagen? Der Knabe: Doch – aber es ist schwer. Der Führer: Versuch es. Der Knabe: Der eine, der Christ, will etwas … etwas Allgemeines tun. Der Führer: Etwas Allgemeines? Der Knabe: Ja. Er will … er will große Erfindungen machen … (sich überstürzend) er hat schon eine gemacht. Der Führer: Wolltest du das nicht auch einmal? Der Knabe: Ja, aber …
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Der Führer: Das eine steht immerhin wohl fest, daß dein Freund, der Christ, etwas anderes tun will als jüdisch leben. Der Knabe: Du machst dich über mich lustig. Der Führer: Gewiß nicht, du kennst mich doch. Aber auch deutsch leben ist nicht das, was er tun will. Der Knabe: Ja, da hast du recht. Der Führer: Warum will er es wohl nicht? Der Knabe: Nun, einfach weil er es nicht nötig hat. Der Führer: Wie meinst du das? Der Knabe: Er – er lebt doch eben deutsch, ganz von selbst. Der Führer: Und dein anderer Freund, wie ist es mit dem? Der Knabe schweigt. Der Führer: Will er auch etwas Allgemeines tun? Der Knabe: Ja. Der Führer: Was ist es denn? Der Knabe: Ja, er will Dichter werden. Der Führer: Ist das nicht etwas Schönes? Der Knabe: Etwas Schönes schon. Der Führer: Aber? Der Knabe: Aber … Der Führer: Aber von ihm kannst du nicht sagen, er lebe eben deutsch, ganz von selbst – nicht wahr? Der Knabe: Nein. Der Führer: Warum wohl nicht? Redet er nicht deutsch, singt er nicht deutsch, denkt er nicht deutsch? Der Knabe: Ja. Und ich auch. Der Führer: Liebt er nicht den deutschen Wald, das deutsche Feld, die deutschen Berge? Der Knabe: Wie ich. Der Führer: Und wer ist sein Lieblingsdichter? Der Knabe: Wir lesen jetzt zusammen den Don Carlos 1 zum vierten Mal. Der Führer: Nun also – Der Knabe preßt die Lippen zusammen, sieht zu Boden. Der Führer: Besinne dich! Der Knabe: Er w e i ß es eben. Der Führer: Was denn? Der Knabe: Das … das Deutsche. Der Führer: Und? 1.
F. Schiller, Don Carlos, Infant von Spanien. Ein dramatisches Gedicht.
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Der Knabe: Das ist doch nichts zum Wissen. Der Führer: Und der andre, der Christ, weiß der es nicht? Der Knabe: Der Heini? Nein, nicht so. Na ja, er redet mal auch von Vaterland und dergleichen, aber das ist bloß, weil es sich so gehört. E r braucht sich ja keine Gedanken darüber zu machen! Der Führer: Und der Jude … Wie heißt er doch? Der Knabe: Siegmund. Der Führer: Also der Siegmund, meinst du, der muß sich über das Deutsche Gedanken machen. Warum wohl? Der Knabe: Weil er es doch nicht r i c h t i g hat. Was man richtig hat, darüber braucht man doch nicht auch noch nachzudenken. Der Führer: Nun haben wir uns aber eigentlich im Kreis herum gedreht. Denn das war ja schon vor einer Weile zwischen uns ausgemacht, daß dem Siegmund etwas dazu fehlt, daß er ganz von selbst deutsch lebe. Aber was mag das wohl sein? Der Knabe: Ja, siehst du, ich kann dir das nicht so sagen. Der Führer: Vielleicht werden wir leichter herauskriegen, was es ist, wenn wir an den Heini denken, der es ja hat. Der Knabe: Das mag wohl sein. Der Führer: Was meinst du wohl – aber besinne dich recht: hat der Heini es aus sich selber oder von etwas andrem her? Der Knabe: Da brauche ich mich gar nicht zu besinnen; das ist ja klar, daß er so etwas gar nicht aus sich selber haben kann. Der Führer: Woher denn wohl? Der Knabe: Aus dem – nun eben, aus dem Deutschtum. Der Führer: Du meinst: er lebt von selbst deutsch, er hat das Deutsche richtig und braucht nicht darüber nachzudenken, weil er mit dem, was du das Deutschtum nennst, natürlich verbunden ist. Der Knabe: Ich meine es gerade so wie du sagst. Der Führer: Was ist denn das aber, was du das Deutschtum nennst? Findest du nicht, daß das etwas unbestimmt klingt? Der Knabe: Deutschtum, das ist halt das Volk. Der Führer: So kommen wir nicht weiter. Was ist denn das, das Volk? Ist das so etwas wie die Tugend oder so etwas wie ich und du? Der Knabe: (nach einigem Nachdenken): Ich denke, es ist so etwas wie ich und du, aber so angesehen, wie man die Tugend ansieht.
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Der Führer: Das will ich mir gefallen lassen. Aber wie sieht man denn die Tugend an? Der Knabe (langsam, sehr ernst): Wie etwas, das im Himmel ist … Der Führer: … und das man auf die Erde bringen will, nicht wahr? Der Knabe bejaht mit einem Blick. Der Führer: Also als Idee. Der Knabe: Als Idee. Der Führer: Das Volk, das wären demnach Menschen wie ich und du, eine Vielheit von Menschen, aber als Einheit erkannt, und zwar als Einheit in der Idee. Und diese Idee – die wir nicht weiter formulieren wollen und können, aber wir sind uns ihrer doch deutlich bewußt – das wäre eben Volkstum, hier also Deutschtum zu nennen. Der Knabe: Ja. Der Führer: So wollen wir es dabei bleiben lassen. Nun aber, diese Menschen, sind das wohl jetzt lebende Menschen, oder was für welche? Der Knabe: Jetzt lebende und andere. Der Führer: Und die anderen, sind das solche, die vor uns gelebt haben, oder solche, die nach uns leben werden? Der Knabe: Natürlich beides. Der Führer: Und weiter – um mit dem Volkstum verbunden zu sein, muß man mit dem verbunden sein, worin es sich darstellt, worin es sich freilich noch unzulänglich darstellt, wie es bei etwas, das noch im Himmel ist und das man erst auf die Erde bringen will, nicht gut anders sein kann: Mit dem Volk. Ist es nicht so? Der Knabe: Es ist gewiß so. Der Führer: Wenn der Heini also mit dem Deutschtum verbunden ist, so ist er es mit den Deutschen, die gelebt haben, jetzt leben und leben werden, als mit einer Einheit. Und er ist mit Ihnen nicht verbunden, weil er es so will – er braucht es nicht zu wollen, er braucht es nicht zu wissen, er ist mit ihnen verbunden, weil er da ist, weil er so ist, wie er ist. Der Knabe: Richtig. Der Führer: Wie ist es nun aber mit dem Siegmund? Wissen wir nun, was ihm fehlt, um ganz von selbst deutsch zu leben? Der Knabe (schnell): Ja. Der Führer: Der Heini also hat einen natürlichen Zusammenhang, eine natürliche Verbundenheit mit seinem Volkstum. Darum darf er sich auch ohne weiters erlauben, etwas »Allgemei-
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nes« tun zu wollen, denn was immer er Rechtes und Ganzes tut, er tut es in seinem Volk und für sein Volk. Er ist wie ein Baum mit starken Wurzeln und seine Früchte werden in die Hände derer fallen, die sie am innigsten zu genießen vermögen. Es kann ihm sozusagen nichts geschehen. Der Siegmund aber hat diesen natürlichen Zusammenhang mit dem deutschen Volk nicht, so große Liebe zum Deutschtum, so großes Verständnis für das Deutschtum, ja so großes Bewußtsein des Deutschtums er auch haben mag. Und darum, weil er dies nicht hat, will er nicht einfach etwas Allgemeines tun, kann es nicht wollen, sondern will immer zugleich etwas Besonderes, will zugleich »deutsch leben« – und kann es doch niemals in letzter Wahrheit erreichen. Denn deutsch leben, das heißt nichts anderes, als wahrhaft und vollkommen in deutscher Gemeinschaft, in Gemeinschaft mit den Deutschen aller Zeiten und mit dem Deutschtum über den Zeiten leben, mit den Menschen, Toten, Lebenden und Ungeborenen, und durch sie mit der ewigen Idee; das aber ist ihm verwehrt. Der Knabe: Ja, aber … Der Führer: Was ist es, das du sagen willst? Der Knabe: Wenn es für den Siegmund eigentlich ein Unding ist, deutsch leben zu wollen, ist es nicht am Ende auch ein Unding, daß ich – jüdisch leben will? Der Führer: Du meinst, weil du es ja auch nicht v o n s e l b s t tust? Der Knabe: Ja. Der Führer: Darüber wollen wir miteinander auf unserem nächsten Spaziergang reden. Willst du dich inzwischen selber nochmals recht herzhaft darauf besinnen, wie es sich damit verhält? Der Knabe: Das will ich.
II.
Der Knabe:
Ich habe viel darüber nachgedacht, wovon wir neulich sprachen. Und ich weiß nun, es ist doch kein Unding, daß ich jüdisch leben will – obwohl ich es nicht von selbst tue. Der Führer: Woher weißt du es? Der Knabe: Ich denke mir, wenn ich allein es wollte, wenn ich für mich allein es wollte, dann wäre es ein Unding; aber …
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Der Führer: Aber du willst es mit einer Gemeinschaft und für eine Gemeinschaft. Der Knabe: Du sagst es doch nicht ganz so wie ich es mir denke. Ich denke mir, ich will es wohl für mich, aber das ist ein anderes Mich als was ich sonst so nenne, ein … ein größeres … und da drin bin ich nicht allein … aber du kannst mich nicht verstehen. Der Führer: Doch, ich verstehe dich. Rede nur weiter. Der Knabe: Also da ist etwas, was nicht von selbst jüdisch lebt … weil es nicht von selbst lebt … man muß ihm von selbst leben helfen … man muß ihm leben helfen … das ist kein Unding … man k a n n helfen … Der Führer: Ist das etwas drinnen in dir, dem du helfen willst, oder draußen? Der Knabe: Drinnen und draußen. Weißt du, wie ich das dachte … wie ich das fühlte … kam es mir gar nicht so vor, als ob das Drinnen was anderes wäre als das Draußen. Einen Augenblick lang kam es mir ganz und gar nicht so vor. Der Führer: Und da, diesen Augenblick lang, Junge, lebtest du jüdisch. Der Knabe: Meinst du, weil ich … weil ich da mit dem Volke verbunden war? Der Führer: Ich meine das, und ich meine noch Größeres. Aber laß uns vorerst von dieser Verbundenheit reden. Du warst einen Augenblick lang mit dem Volkstum verbunden; nun sollst du aus diesem Augenblick dein Leben bauen. Der Knabe: Wie kann ich das? Der Führer: Du mußt das Draußen zu einem Drinnen machen, dann wirst du wissen, wie du helfen kannst, wirst wissen, was du zu tun hast, was du Besonderes zu tun hast. Der Knabe: Womit soll ich beginnen? Der Führer: Hast du noch niemand darnach gefragt? Der Knabe: Doch. Der Führer: Und was wurde dir geantwortet? Der Knabe: Ich sollte Hebräisch und jüdische Geschichte lernen. Der Führer: Genügt dir die Antwort nicht? Der Knabe: Nein. Der Führer: Und doch gibt sie dir einen Anfang an. Nur mußt du dabei stets dein Herz daran wenden, daß du das Draußen zu einem Drinnen machen willst. Der Knabe: Erkläre es mir. Der Führer: Du hast hebräisch gelernt. Was weißt du davon?
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Der Knabe: … Worte … Sätze … Verse … Geschichten … Gedichte … Der Führer: Sind sie dir alle wirklich ein Drinnen geworden? Der Knabe: Was ich davon lieb habe, ja. Der Führer: So sehr wie … welches ist dein liebstes deutsches Gedicht? Der Knabe: Wanderers Sturmlied 2 . Der Führer: So sehr wie Wanderers Sturmlied? Der Knabe hschmerzlichi: Nicht so sehr. Der Führer: Und die Sprache selbst, ist sie dir ein Drinnen geworden? Der Knabe hnach einer Pausei: Nein. Der Führer hbleibt stehen, sieht dem Knaben in die Augeni: War es dir nicht bisher beim Lernen so, als seiest du hier und die Sprache irgendwo anders, du mitten im Geschehen und die Sprache etwas seit unvordenklichen Zeiten Fertiges, das du einfach annehmen, hinnehmen mußt, mit dem du dich abfinden mußt, weil es eben die Sprache deines Stammes ist? Der Knabe: Wohl. Der Führer: Und ginge es nicht an zu versuchen, nicht jetzt und nicht morgen, aber von jetzt an und immer stärker, dich mit der Sprache so abzugeben, als machtest du sie? Der Knabe: Als machte ich sie? Der Führer: Ja – als brächtest du diese Worte, diese Sätze, diese Verse aus deinem Innersten hervor, weil es nur in ihnen sich selber wahrhaft vernehmlich werden kann; als bildetest du diese spröden Laute mit Kehle und Lippen, weil sie nur an ihnen ihre lautbildende Kraft vollkommen auswirken können; als fügtest du den Bau dieser Wortfolgen in dieser und keiner anderen, dieser strengen und keiner milderen, dieser innigen und keiner lockrern Ordnung, weil du nur in ihr das Geheimnis deines Wesens selbsttätig betrachten kannst. Als ob … nein, es ist kein Als ob. Wir beide waren dabei, als Wanderers Sturmlied gedichtet wurde, das wir so sehr lieben; wir waren beide dabei, als das Lied vom Schilfmeer3 gedichtet wurde, das wilde, urweltlich ferne Lied. Du hast an dieser Sprache gebaut und gemeisselt, zahllose Geschlechter lang, nun ruht all dessen Gedächtnis vergraben, verschüttet in deiner Seele – wenn du der Sprache als deiner Tat inne wirst, befreist du es. Dann erst kannst du wahrhaft erkennen, nach welchem Gesetz sie geworden ist, da du die2. 3.
J. W. v. Goethe, Wanderers Sturmlied. Ex 15,1-13.
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ses Gesetz unaussprechlich in deinem Blute trägst; kannst mehr als ihren »Geist«, kannst mit deiner Seele ihre Seele erfassen. Magst du es versuchen, dich als den Urheber dieser Sprache zu fühlen, während du sie »lernst«, während du sie wiedererfährst, – dich zu fühlen: jenes größere Ich, von dem du gesprochen hast, jenes Draußen und Drinnen? Der Knabe hnicht langsam, dann nochmals und entschiedeneri: Ich will es versuchen. Der Führer: Und die jüdische Geschichte? Woran denkst du im ersten Augenblick wenn du diese zwei Worte hörst? Der Knabe hhalb lächelnd, halb beschämti: Im ersten Augenblick? Voriges Jahr noch an ein Lehrbuch. Der Führer hmitlächelnd, mit seinem guten Lächeln die Scham auslöschendi: Und jetzt? Der Knabe: An Begebenheiten … an große Begebenheiten … an große Menschen … an Größe … an Leid … an Schicksal. Der Führer: An wessen Schicksal? Der Knabe: Des Volks. Der Führer: Nicht an dein Schicksal? Der Knabe: Ja … auch an meins. Der Führer: Du solltest nicht »auch« sagen müssen. Der Knabe bleibt stehen, besinnt sich. Der Führer hlegt ihm die Hand auf die Schulteri: Du müßtest die Geschichte der Juden nicht erfahren als etwas, das andern geschah, andern, wenn auch Nahverwandten, nicht als etwas, das einmal war und besiegelt ist, wenn es auch im Herzen fortlebt. Du müßtest die großen Begebenheiten ganz wirklich und unmittelbar als Begebenheiten deines Lebens erfahren, das Leid als dein Leid, die Größe als deine Größe … und das Versagen als dein Versagen. Stelle dich nur ganz ein, halte nur nichts von deinem leibhaften Leben zurück, stelle dich nur ungeteilt in diese Menschen ein, von denen du gehört und gelesen hast. Du siehst ihr Tun und ihr Lassen von hinten, du mußt es von vorn sehen lernen, von da aus, wo Tun und Lassen noch ungeschieden in einem Herzen ruhen, das sich noch nicht entschieden hat, noch nicht zu entscheiden hatte, und wo auch das Schicksal somit noch nicht begonnen hat sich aus den Hüllen zu lösen; denn das Schicksal des handelnden Menschen ist nur die äußere Gestalt, die die Unwiderruflichkeit seiner Handlung annimmt. Du bist es, der nun zu wählen haben wird, du es,
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in dessen noch traumhaftem Leben sich Tat und Geschick bereiten – und der nun, eine Stunde später, beides gewählt und entschieden hat. Aber zunächst wird es dir schwer werden, das ganz zu umfassen. Du wirst es wagen, vor dem Volk am Fuße des Sinai zu wissen: »Das bin ich«, aber du darfst dich nicht weigern es auch vor dem Volk zu wissen, das das Kalb anbetet; 4 nicht Elija 5 allein, auch die Baalspriester bist du. So wirst du durch die Geschichte des Volks, durch die Geschichte deines Lebens gehen von Scheideweg zu Scheideweg, wirst dich entscheiden und dich gehen lassen, dich bewähren und versagen, und wirst über all das in dir selber Gericht und Reinigung halten, wenn Elija in dir wahrhaft den Baalspriestern obgesiegt hat; wirst aber auch erleben, daß die göttliche Gnade den Mann nichr von oben überkommt, sondern aus der Finsternis seiner Verstrickung durch Kampf und Selbsteroberung, Gericht und Reinigung sich bereitet, und daß die Bibel nicht umsonst den Brief an Urija 6 und die Psalmen aus dem Herzen desselben Mannes hat werden lassen. Dies ist der Weg des Volkes, sein Aufstieg ist an seinen Fall gebunden, in den Tiefen seiner Erniedrigung entfacht sich die gewaltige Flamme seiner Entscheidung. Entscheidung: das ist der Augenblick der jüdischen Geschichte, in dem du lebst; durch die Jahrtausende wandernd in dem größeren Ich bist du bei dem kleinen Ich angelangt, das heute fünfzehn Jahre alt ist; und hier findest du als Aufgabe, als des Volkes und deine gegenwärtige Aufgabe wieder, was du dort als den innersten Vorgang erfahren hast: Jahwes Sieg über Baal – Kampf und Selbsteroberung, Gericht und Reinigung – Entscheidung. Der Knabe: Schwer, schwer ist das … und wunderbar. Der Führer: Du kannst mich noch nicht ganz verstehen, und doch will ich es dir in dieser Stunde sagen. Baal ist niemals ein Ganzes, Baal ist immer nur die böse Seite eines Dings, das Falsche, Widersacherische an einem Ding, das an ihm, was den Gang des Geistes hemmt. Zu Elijas Zeit war Baal die böse Seite der Natur, das an ihr, was den Menschen gierig und grausam macht; in unserer Zeit ist er die böse Seite der Ge4. 5. 6.
Gen 32. I Reg 18. II Sam 11,141.
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sellschaft, das an ihr, was den Menschen feig und verlogen macht. So ist es jetzt eine andere Entscheidung als damals, die gefordert wird, vom Volk und von dir. Der Knabe: Ja, vom Volk und von mir. Der Führer: Um aber des Sinns und des Umfangs, der Voraussetzungen und der Folgen dieser Entscheidung ganz gewahr zu werden, mußt du in lebendiger Gegenwart mit dem Volk zusammenwachsen. Du wirst das vorstellende und denkende Ich des Juden in der Sprache, das handelnde und leidende in der Geschichte entdeckt haben, du wirst in beiden deine Verbundenheit mit dem Judentum gefunden haben; aber noch hast du sie erst im Geist, und deine Verbundenheit ist vor den Augen der Forderung noch eine Einsamkeit und Abgeschlossenheit. So innerlich bereitet mußt du erst ins Volk gehen und mit ihm Gemeinschaft schließen, mußt, wie die Ordnungen der Sprache und der Geschichte, nun auch das ganze Chaos der jüdischen Gegenwart zu einem Drinnen machen. Das wird, so scheint es mir, die härteste Probe deines Lebens sein. Tausendfältige Niedrigkeit wird sich dir enthüllen: so denke du, daß der Messias unserer Sage als ein Bettler lebt; tausendfältige Entartung: so denke, daß er als ein Aussätziger lebt; tausendfältige Versklavung: so denke, daß er in Ketten lebt. Du darfst dich von dem Widersinn, der dich überfallen wird, nicht schrecken, nicht in deine Einsamkeit zurückjagen lassen. Du darfst dich nicht zu den Stillen und Reinen allein, zu den Treugebliebenen allein gesellen; du mußt dem Anblick und Anhauch des jüdischen Kriegsgewinners, des jüdischen Zeitungsmachers, des jüdischen Agenten der Gewalt standhalten; denn du weißt, daß der Aufstieg des Volkes an seinen Fall gebunden ist. Du darfst vor diesen Kalbsanbetern und Baalspriestern nicht wähnen: »Das bin ich nicht« – du mußt erkennen: »Das bin ich – das b i n ich«; du mußt ihrer Finsternis das lichte Zeichen der Erlösung, den Davidschild, das Sinnbild des Überwinders entgegenhalten; du mußt ihnen sagen: «Brüder in der Schande, ich habe eure Verstrickung geteilt, ihr aber werdet meinen Kampf und meine Selbsteroberung, mein Gericht und meine Reinigung zu teilen haben«. Ja du hast recht: man k a n n helfen … wenn man nur erst helfen w o l l e n kann. Dann aber, wenn dir dies Schwerste gelungen ist, auch noch
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diese ganze ungeheuerlich zerrissene Gegenwart zu einem Drinnen zu machen, wenn du die härteste Probe bestanden hast, wird dir nicht für einen entzückten Augenblick, sondern für die Wirklichkeit deines Lebens Drinnen und Draußen zur Einheit werden. Wer alle Kraft seiner Seele dransetzt, das Draußen mit all seiner Pein und seinem Widerspruch ins Drinnen aufzunehmen, das Drinnen mit all seinem Heil und seiner Forderung im Draußen zu verwirklichen – von dem darf gesagt werden, daß er jüdisch lebt. Denn der Kern des Judentums ist, dem Leben eines Volkes anvertraut, die Lehre der realisierbaren Einheit von Drinnen und Draußen.
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Verständigungsgemeinschaft Rede bei der Tagung der jüdischen Jugendorganisationen Deutschlands Meine Damen und Herren! Ich muß dem, was ich Ihnen zu sagen habe, etwas Persönliches vorausschicken. Ich bin zu dieser Tagung gekommen mit der Absicht und mit dem Wunsche, daß eine Verständigungsgemeinschaft zustandekomme. Ich hatte vor längerer Zeit bereits mit Herrn Dr. Apfel auf dessen Anregung Besprechungen über die Möglichkeit einer solchen Gemeinschaft. Ich hielt es für wünschenswert, daß auf einer solchen Tagung wie dieser ein gewisses Minimalprogramm, aber nicht ein Programm der Ideologie, sondern eins der gemeinsamen Aktionen vereinbart werde. Ich vermag aber diesen Standpunkt nicht länger zu vertreten, weil es sich mir heute erwiesen hat, daß man ein Aktionsprogramm dieser Art dennoch irgendwie ideologisch fundieren muß, allerdings nicht auf einer Theorie, sondern auf einem praktischen Axiom, das für uns alle, für alle Richtungen einer jüdischen Jugendbewegung die keines Beweises bedürftige Grundlage unserer Arbeit sein muß. Zu meiner schmerzlichen Enttäuschung nämlich hat Fräulein Dr. Berliner 1 – ich sage: zu meiner schmerzlichen Enttäuschung, denn ich hatte eigentlich, wie ich sie mir so in der letzten Jahren ansah, eine andere Entwicklung von ihr erwartet (Heiterkeit) – in ihrem Referat eine Grundlage formuliert, die ich nicht anerkennen kann, weil sie unter dem unerläßlichen Minimum jener axiomatischen Fundierung steht. Ich will mit aller Deutlichkeit sagen, was ich meine. Jenes Minimum der ideologischen Fundierung, jenes für uns alle, wie mir schien, selbstverständliche Axiom, ist das P r i m a t d e s J u d e n t u m s . Wir alle, wir deutschen Juden, stehen in einer tragischen Zweiteilung. Wir sind nicht einheitliche Menschen und können es nicht sein. Wir sind äußerlich und innerlich zwischen zwei Gemeinschaften aufgeteilt. Wir können nach Einheit streben, uns nach Einheit sehnen, aber wir haben sie nicht. Daher vermögen wir eine Einheit, eine Einheit unseres Seins nicht als Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit zu proklamieren. Aber das Primat des Judentums: daß das Judentum für uns über allen anderen Gemeinschaften steht und das nicht bloß in unsrer Einsicht und unsrem Gefühl, sondern in unserer tätigen Liebe, in unserem Werk, in unserm Leben – das, glaubte ich, ist uns allen selbstverständliche Voraussetzung, darüber brauchte gar nicht geredet zu werden. Ich habe mich, wie es sich zeigte, geirrt. Fräulein Dr. 1.
Cora Berliner (1890-verm. 1942), seit 1912 Geschäftsführerin des VJJD.
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Berliner hat hier gesagt, es gebe eine innere Zugehörigkeit zur deutschen Gemeinschaft, die uns über die zur jüdischen gehen könne, gehen dürfe, ja gehen solle. Eine Ideologie, in die eine solche Gesinnung einbezogen werden kann, muß ich als Grundlage einer Verständigungsgemeinschaft der jüdischen Jugend mit aller Entschiedenheit ablehnen. Ich sage das nicht als Zionist, sondern ich spreche jetzt als einer, der an das lebende Judentum glaubt, zu solchen, die an das lebende Judentum glauben; wer das tut, der kann rechtmäßigerweise nicht eine andere Gemeinschaft mehr lieben und einer anderen Gemeinschaft mehr dienen wollen als dieser, die, um zu einem vollen Leben zu gelangen, auch ihn, auch seinen eigenen Lebenseinsatz braucht. Wer anders empfindet, der – ich muß das bei aller Schätzung und Sympathie für Fräulein Berliner deutlich heraussagen – der soll zu der anderen Gemeinschaft gehen und in ihr tätig sein. Jüdische Arbeit hat, und gar in einer Zeit der Krisis, der Entscheidung, der Anspannung aller Kräfte wie die gegenwärtige, nur der zu leisten – ja, ich sage: nur der darf sie leisten, wer dieses Primat anerkennt und wer dem Judentum mit dem besten Gehalt seines Selbst dienen will über alle anderen Gemeinschaften der Welt, so große Ehren und Gaben jene auch, und so viel Schmach und Erniedrigung diese unsere Gemeinschaft uns zu spenden hat. Diese Schmach und Erniedrigung ist uns lieber und köstlicher als alle jenen Ehren und Gaben, als alle jene Laufbahnen und Laufpreise, die andere Gemeinschaften zu verschenken haben. Und das ist mir – ich will hier davon absehen, wie es in dieser Hinsicht mit den Bewegungen der »Erwachsenen« steht, ich fühle mich darin noch durchaus der Jugend zugehörig – das ist mir jenes axiomatische Minimum, auf dem eine jüdische Jugendbewegung sich gründen muß. Eine positive, gesunde, schöpferische, eine wirkliche jüdische Jugendbewegung kann es nicht anders geben als auf der Grundlage dieses Primats. Ich möchte aber nicht mißverstanden werden. Ich meine keineswegs, daß dieses Primat das nationale Judentum bedeute. Wenn ich das meinte, würde ich ja gar nicht derzeit an eine Verständigungsgemeinschaft auf dieser Grundlage in Deutschland glauben können. Ich muß vielmehr etwa einem Juden gegenüber, der wahrhaft jüdisch-religiös im Sinne der Überlieferung fühlt und lebt, der das Joch seines Himmelreiches auf sich genommen hat und allen Gegenwirkungen der Fremde zum Trotz im Namen seines Gottes zu leben sich unterfängt, unbedingt anerkennen, daß er auf dem Primat des Judentums steht. Ich erkenne es aber nun und nimmer Menschen gegenüber an, die so reden, wie zu meiner schmerzlichen Enttäuschung Fräulein Dr. Berliner hier geredet hat: es ist heute nicht mehr so wie früher, früher meinte man, man könne kein guter
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Deutscher sein, wenn man die Existenz einer nationalen jüdischen Gemeinschaft zugebe, jetzt ist es anders, man darf getrost von einer jüdischen Nationalität sprechen, aber deshalb braucht man ihr doch nicht anzugehören. Wer so redet, hebt für sich die Grundlage, auf der allein wahre jüdische Arbeit gedeihen kann, hebt für uns die Möglichkeit einer Verständigung mit ihm über eine solche Arbeit auf. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte nicht bloß vom Judentum aus zu dieser Frage Stellung nehmen, sondern auch von der Jugendbewegung, d. h. von den Voraussetzungen einer lebensfähigen Jugendbewegung überhaupt aus. Ein wesentlicher seelischer Zug ist in den gegenwärtigen Jugendbewegungen der Völker gemeinsam und muß es sein. Während der »Erwachsene« – oder sagen wir lieber, da es nicht eigentlich das Kriterium des Alters ist, nach dem hier den Gruppen zugeteilt werden muß: während der nicht mehr junge Mensch in das Zweckgetriebe des geistzersetzenden heutigen Berufslebens eingetreten ist und nun durch die Befehle der Zweckmäßigkeit auseinandergerissen wird, nun der einen Gemeinschaft vielleicht im Herzen huldigt, der andern aber mit seinem Leben dienen muß, ist es Sache des jungen Menschen, dessen, der in der Jugendbewegung steht, mit inbrünstiger Seele nach der Einheit zu streben. Jede Jugendbewegung, wie verschiedenartig auch im übrigen Ziele und Wege sein mögen, steht auf dieser Grundlage: sie will Menschen erziehen, die eins wollen, Menschen, die nach der Ganzheit verlangen, die Ideal und Leben nicht scheiden. Nun, meine Damen und Herren, auch bei uns ist eine Jugendbewegung, die diesen Namen verdient, auf keiner andern Grundlage möglich als auf dieser der Erziehung zur Einheit und Ganzheit. Die aber ist nicht möglich ohne Anerkennung des Primats des Judentums. Und weiter: jede wahre Jugendbewegung steht auf der Grundlage, daß die Menschen, die ihr angehören, die Idee nicht bloß für andere verkünden. Das ist ja im späteren Leben leider oft so, daß man eine Idee proklamiert und propagiert und sich einbildet, man diene ihr hinlänglich dadurch. Einem jungen Menschen, der mit Herz und Sinn einer Jugendbewegung angehört, ist es eigentümlich, daß er mit der Idee in seinem eigenen Leben Ernst macht und ganzen Ernst macht. Auch dies muß Sache der jüdischen Jugendbewegung wie jeder anderen sein. Da geht es also nicht an zu sagen: ja, es gibt eine jüdische Nationalität, aber ich zähle mich nicht zu ihr, es gibt ein leidendes, ringendes, an seiner Befreiung arbeitendes jüdisches Volkstum – für die anderen. Es geht nicht an zu sagen: ein Zentrum – wie sagte doch Fräulein Berliner? – ein soziales, nationales, kultu-
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relles Zentrum des jüdischen Volkes ist in Palästina im Werden, das heißt doch wohl, ein neues Herz des Judentums ist im Werden, und ich will keinen Anteil daran haben. Ja, kann es das geben, daß ein Jude wirklich fühlt: das Judentum, das seit Jahrtausenden keinen organischen Mittelpunkt hatte, bekommt ihn wieder, aber das ist nicht meine Sache? Wohlgemerkt, ich kann es verstehen, wenn Angehörige einer jüdischen Jugendrichtung von bestimmten Gesichtspunkten aus sagen: diese sogenannte jüdische Nation erkenne ich nicht an, es ist kein wirkliches lebendiges Volkstum; wenn sie sagen: dieses sogenannte Zentrum in Palästina erkenne ich nicht an, ich glaube nicht daran, daß es zustandekommt, oder ich glaube nicht, daß ein wirkliches Zentrum daraus wird, oder dergleichen. Aber zu wissen: es lebt ein jüdisches Volkstum und kämpft um seine Erlösung, und nicht zu bitten: laßt mich mitkämpfen! – zu wissen, es ist ein neues Herz des Judentums im Werden und nicht erzitternd zu fühlen: meine ganze Sehnsucht fliegt dahin – nein, das ist nicht jüdisch und das ist nicht jung. Daran also gemessen, meine Damen und Herren, gemessen am Judentum dieser Stunde mit seiner ehernen Forderung, denn es ist eine Stunde der unentrinnbaren, unerbittlichen Entscheidung für das Judentum, was wir jetzt durchleben – und gemessen an den Voraussetzungen einer wahren Jugendbewegung aus, denn Jugendbewegung kennt keine Kompromisse, keinen Mischmasch, kennt nur Entschiedenheit und Eindeutigkeit – an diesen beiden Forderungen gemessen muß ich das, was Fräulein Dr. Berliner uns heute vorgelegt hat, so fein und geistvoll es auch in manchem war, als Grundlage einer Verständigungsgemeinschaft der jüdischen Jugend ablehnen. Nicht aber will ich die Verständigungsgemeinschaft überhaupt ablehnen. (Bravo!) Ich glaube jedoch nicht, daß wir sie heute beschließen können: weil wir in diesem Augenblick nicht mehr die Grundlage zu schaffen vermögen, die uns in dem einleitenden Referat bedauerlicherweise nicht dargeboten worden ist. Und deshalb vor allem, meine Damen und Herren, trete ich mit allem Nachdruck für einen jüdischen Jugendtag ein. Ich tue es, weil ich die heutige Tagung im Sinne der Schaffung der Grundlagen einer Verständigungsgemeinschaft für gescheitert ansehe, nicht aber im Sinne der Schaffung einer Verständigung überhaupt. Es muß also immer noch der Weg gesucht werden, um eine tragfähige Basis für eine Verbindung der verschiedenen Richtungen in gemeinsamer Arbeit zu ermöglichen, eine Basis, deren Grundstein das unumstößliche Axiom des Primats des Judentums sein muß. Da sie heute und hier nicht mehr geschaffen werden kann, hege ich die Hoffnung, daß das auf einem jüdischen Jugendtage gelingen wird. Denn ich kann nicht die Meinung mei-
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nes letzten Herrn Vorredners teilen, der jüdische Jugendtag würde nur darauf hinauslaufen, daß man Beweise und Gegenbeweise gegeneinander ausspielt. So war es mit den Jugendtagen anderer Völker nicht und ich glaube, daß es auch mit unserm nicht so sein würde. Jugendtage sind nicht Turniere von Beweisen und Gegenbeweisen, sondern das ist eine hohe Stimmung des Beisammenseins, das ist Begeisterung, das ist großes Jungsein ein paar geweihte Stunden lang. Und aus solcher hohen Stimmung des Jungseins kann vielleicht eine Grundlage erwachsen, die jetzt, in dieser Stunde der Aufstellung von Programmen und Gegenprogrammen, nicht erwachsen konnte. Daher schlage ich vor, daß wir nunmehr einen Ausschuß wählen und ihm als seine erste Hauptaufgabe die Vorbereitung eines jüdischen Jugendtages anvertrauen.
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Cheruth Eine Rede über Jugend und Religion »Gottes Schrift eingegraben auf den Tafeln« – lies nicht charuth: eingegraben, sondern cheruth: Freiheit. 1 Sprüche der Väter.
Unter allen Problemen des gegenwärtigen jüdischen Lebens bedarf das Verhältnis der Jugend zur Religion wohl am meisten der Aufhellung. Aber – so möchte gefragt werden – gibt es denn ein besonderes religiöses J u g e n d problem? Was hat Jugend a l s s o l c h e überhaupt mit Religion zu schaffen? Was hat Jugend mit Religion zu schaffen? Das will sagen: die einzelnen jungen Menschen mögen je nach Anlage, Erziehung, Einfluss der Umwelt religiös oder irreligiös sein – wie aber käme der Jugend als solcher ein positives Verhältnis zur Religion zu? Ist es berechtigt, es von ihr zu fordern? Die Jugend ist die Zeit der Alloffenheit. Mit allwärts offenen Sinnen empfängt sie die Fülle und Vielfältigkeit der Welt, mit allwärts offenem Willen schenkt sie sich dem unendlichen Leben hin. Noch ist sie nicht auf eine Wahrheit eingeschworen, um derentwillen sie vor allen andersartigen Perspektiven die Augen zu schließen hätte; noch hat sie sich nicht auf eine Norm verpflichtet, vor der alle andersartigen Wünsche zu schweigen hätten. Ihr Streben nach Erkenntnis kennt keine andere Grenze, als die die eigene Erfahrung sie wahrnehmen lehrt, ihre Vitalität keine andere Verantwortung als die vor der Ganzheit des eigenen Lebens. Sie selber wird früher oder später Wissen und Wollen der einschränkenden Gewalt von Seins- und Sollens-Gesetzen unterstellen müssen und der Unendlichkeit verlustig gehen; man überlasse es ihr, ob sie sich alsdann religiösen oder anderen Theoremen, religiösen oder anderen Vorschriften ergibt. Wer der Jugend Religion auferlegt, verschließt ihr von den tausend Fenstern ihres Rundbaus alle bis auf eines, von tausend Wegen ins Weite alle bis auf einen. Diese Mahnung möchte zu Recht bestehen, wenn Religion in der Tat ihrem Wesen nach orientierend und normierend, eine Summe von Glaubenssätzen und eine Summe von Vorschriften wäre. Sie ist aber ihrem Wesen nach keins von beiden. Glaubenssätze und Vorschriften sind nur das wechselnde Ergebnis der Versuche des Menschengeistes, das Wirken des Absoluten, das sich an ihm ereignet, in einer sinnbildlichen Ordnung 1.
Mischna Traktat Awot (Väter), Kap. 6, L. Goldschmidt, Der Babylonische Talmud, Bd. 9, Berlin 1966, S. 683.
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des Wißbaren und Tubaren zu fassen. Die primäre Wirklichkeit ist das Wirken des Absoluten am Menschengeist. Der Menschengeist hält dem Übergewaltigen stand durch die Kraft seiner Schau: so widerfährt es ihm als das große Gegenüber, als das Du an sich. Er faßt das in sich Unerfaßliche durch die Schöpfung des Sinnbilds: so offenbart sich ihm in Zeichen und Spruch der wink- und wortlose Gott. Das Strömen der Allflut schöpft der Menschengeist in die Schale einer Aussage, so und nicht anders sei das Walten des Herrn beschaffen; den Blitz des Urlichts fängt er in dem Spiegel einer Anordnung auf, so und nicht anders sei dem Ewigen zu dienen. Mit beidem aber ist er nicht unwürdig, nicht ungetreu; sondern zu solcher Gestalt wirkt sich das Absolute selber in ihm aus, und nicht weiter ist er zu dieser Zeit ihm zum Werkzeug gediehen. »Denn reifen will das Göttliche in der Menschheit.« In deren großen Gezeiten entwächst es in unsichtbarem Werden altem Sinnbild, blüht es zu neuem auf; immer innerlicher, immer herznäher wird das Bild, immer tiefer senkt es sich in das Leben selber ein, und der es vor fünftausend Jahren in den Sternen schaute, erblickt es heute im Auge des Freundes. Nicht Gott ist es, der sich wandelt, die Theophanie wandelt sich, die Kundgebung des Göttlichen durch den sinnbildschaffenden Menschengeist: bis kein Sinnbild mehr zureicht und keines nottut und das Leben selbst im Wunder seines Miteinander zum Sinnbild wird – bis Gott leibhaft gegenwärtig wird, wenn ein Mensch einem Menschen die Hände reicht. So aber ist die geheimnisvolle Bindung des Geistes, daß – in diesem wesentlichsten Belang vor allen andern – in jeder Person das ganze Geschlecht und in jedem Schicksal die ganze Geschichte keimhaft enthalten ist. Jeden Menschen rührt einmal, noch so kurz, noch so dämmerhaft, das Wirken des Absoluten an; die Zeit des Lebens, in der dies an allen geschieht, nennen wir die Jugend. Jeder Mensch erlebt in dieser Zeit die Stunde, da das Unendliche sich ihm zuneigt, ob er ihm standhalten möchte: standhalten durch Kraft der Schau und durch Schöpfung des Sinnbilds, durch Hingabe und Erwiderung. Jeder Mensch ist in diesem innersten Sinn zur Religiosität bestimmt; das eben bedeutet jene Alloffenheit, die den Jugendlichen umrauscht: sein Geist ist nicht bloß für alles, er ist auch dem All offen. Aber die meisten leben an ihrer Bestimmung vorbei. Gleichviel ob sie im Seelenkreis einer angestammten Religion bleiben oder sich ihr entfremden, ob sie weiter glauben und üben, was die sinnbildliche Ordnung dieser Religion sie glauben und üben heißt, oder ihrem Geheiß die Gefolgschaft weigern: sie halten der Berührung des Absoluten nicht stand, sondern weichen ihr aus, sie fassen es nicht mit der schauenden und schaffenden Kraft, mit hingebender und erwidernder Tat, sie wenden sich von ihm weg der Bedingtheit zu. Darunter aber sind
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nicht etwa die Dinge der Welt zu verstehen, sondern die ihrer Weihe entkleideten, ihrer Heiligung entzogenen, der Verbindung mit dem Absoluten beraubten Dinge. Denn wer diesem sich darbringt – wie immer er es nennen mag – dem weihen und heiligen sich alle Dinge, in seinem Verkehr mit ihnen bekundet sich göttliche Gegenwart, und alles ist unsterblich. Wer sich aber dem Absoluten versagt, der lebt inmitten unheiliger Bedingtheiten sein Leben ab, das Getümmel umlagert ihn allezeit, und die Erfüllungen verwesen in seiner Hand. Nicht darum also geht es, der Jugend Religion aufzuerlegen, sie in eine Ordnung des Wißbaren und Tubaren einzustellen, sondern darum, in ihr ihre eigene latente Religion zu erwecken; das ist: die Bereitschaft, der Berührung des Absoluten standzuhalten. Es gilt nicht, der Jugend zu predigen, diese und keine andere sei Gottes Offenbarung, sondern ihr zu zeigen, daß kein Ding unfähig ist, ein Gefäß der Offenbarung zu werden; nicht, ihr zu verkünden, durch diese und keine andern Handlungen sei Gott zu dienen, sondern ihr zu enthüllen, daß jede Tat geweiht ist, in der die Einheit aufstrahlt; nicht, von ihr zu fordern, daß sie als einzig verpflichtend für ihr Leben anerkenne, was zu irgend einer Stunde der Vergangenheit geschehen ist, sondern ihr zu bestätigen, daß »jeder Mensch seine Stunde hat«, die Stunde, da die Pforte sich ihm auftut und das Wort ihm vernehmlich wird. Wir wollen der Jugend nicht ein Wissen um Gottes Wesen und Werke vermitteln, die wir Ehrfurcht vor dem Unwißbaren hegen; wir wollen ihr Leben nicht durch gottabgeleitete Gesetze und Vorschriften regeln, die wir das Leben für göttlicher erachten, als Gesetze und Vorschriften; wir wollen ihr helfen, an ihrer Bestimmung nicht vorüberzugehn, ihre metaphysische Selbstentdeckung nicht zu verschlafen, dem Wirken des Absoluten an ihrem Geist würdig zu erwidern. So schmälern wir der Jugend ihre Alloffenheit nicht, sondern fördern und festigen sie zutiefst darin; wir verhängen keines ihrer Fenster, sondern lassen sie, als sei sie ganz Auge geworden, den allumschließenden Rundblick tun; wir versperren keinen Weg vor ihr, sondern erleichtern ihr inne zu werden, daß alle Wege, in Wahrhaftigkeit und Weihe begangen, zur göttlichen Schwelle führen. Es möchte aber gefragt werden: »Wenn der Grundgehalt der Religion nicht in den Lebensformen und Institutionen einer durch Lehre und Kult verbundenen Gemeinschaft, sondern im Auswirken einer allen Menschen eingeborenen Innerlichkeit, somit in einem »allgemeinmenschlichen« Akt zu finden ist, inwiefern kann von einem eigentümlichen Verhältnis der j ü d i s c h e n Jugend zur Religion die Rede sein?« Oder allgemeiner
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gefaßt: »Inwiefern kann von einem eigentümlichen Verhältnis der Jugend irgend eines Volkes zur Religion die Rede sein?« Zunächst ist die Antwort auf die allgemein gefaßte Frage zu suchen, dann erst zu prüfen, ob nicht bei dem Judentum und seiner Jugend besondere, bei keinem andern Volk auffindbare Elemente hinzutreten. Ich habe auf die Abirrung hingewiesen, die alle jungen Menschen bedroht und der sehr viele verfallen: daß sie der Berührung des Absoluten nicht standhalten, sondern ihr ausweichen. Aber es gibt eine andere, schwerere Abirrung: daß sie z u m S c h e i n standhalten. Zum Schein nicht etwa bloß vor den andern, sondern vor sich selber. Das Absolute wirkt sich dann am Menschen aus, wenn er sich in seinem ganzen Wesen von ihm ergreifen, durchschüttern, verwandeln läßt, wenn er ihm mit seinem ganzen Wesen antwortet: mit dem Geist durch Fassung des Göttlichen im Sinnbild, mit der Seele durch die Liebe zum All, mit dem Willen durch Bewährung des Unbedingten im tätigen Leben. Aber es kann die wunderliche Perversion eintreten, daß einer sich in dem Wahn gefällt, er habe sich dem Absoluten ergeben, dieweil er sich ihm von Grund aus entzogen hat, indem er das Ereignis seiner Berührung zum »Erlebnis« mißbrauchte; er ist in seinem ganzen Wesen unergriffen, unverwandelt geblieben, aber er hat eine sublime Stunde genossen; er kennt die Antwort nicht, er kennt nur die »Stimmung«; er hat Gott psychologisiert. Die erste dieser Abirrungen, das Ausweichen, war besonders einer früheren Generation eigen, die einem oberflächlichen Rationalismus zuneigte; die zweite, die Scheinaufnahme, ist in der neuen Generation verbreitet, die einem nicht minder oberflächlichen Emotionalismus ergeben ist. Diese Abirrung ist die weitaus schwerere, wie ja immer die Scheinbejahung bedenklicher ist als die Verneinung. In den Ausgewichenen kann doch noch irgendwie die Religiosität eindringen, in den dem Schein Verfallenen nicht. Man kann auf eine religiöse Weise Rationalist, Freidenker, Atheist sein; man kann nicht auf eine religiöse Weise Erlebnissammler, Stimmungsprotz, Gottschwätzer sein. Wenn das Gewimmel des Marktes sich in die Nacht verlaufen hat, leuchten über dem stillgewordnen die Gestirne wie über dem Schweigen der Berge; aber in den Dunst der Redeschänke dringt kein ewiges Licht. Wie nun kann man die Jugend dieser Verirrung entreißen? Oder richtiger: wie kann die Jugend sich dieser Verirrung entreißen? Ein großer Helfer steht ihr zur Seite; das ist die lebendige Volksgemeinschaft. Nur der Abgelöste, der aus keinem tieferen Brunnen zu schöpfen hat als aus den Erfahrungen seiner privaten Existenz, wird den Anhauch des Unendlichen zum Erlebnis degradieren und auf die Musik der Sphä-
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ren mit Literatur antworten. Der wahrhaft Verbundene kann nicht fehlgreifen; nicht weil ihm die in den Volksjahrtausenden für Schau und Dienst des Absoluten geschaffenen Sinnbilder und Lebensformen fertig zur Verfügung stehen, sondern weil ihm aus der Verbindung mit dem Volkstum die bild- und formschaffende Kraft selber zuströmt. Der wahrhaft Verbundene; denn schon hier ist darauf hinzuweisen, daß Bekenntnis zum Volke noch keine Verbindung mit ihm darstellt, sondern bestenfalls den Wunsch nach einer Verbindung. Dreifach ist das Element der lebendigen Volksgemeinschaft dem Verbundenen gegenwärtig. Vor ihm als das heilige Werk des Volkstums in Schrifttum und Geschichte: die aus Wort und Tat zusammengesetzte Rolle, deren Zeichen die Chronik des Verkehrs dieses Volkes mit seinem Gott erzählen. Um ihn als die gegenwärtige Volksmasse, in der, und sei sie noch so entartet, die Gegenwart des Göttlichen, eingebettet in die trübe Tragik des Alltags aber sie mit dem Glanz des Urfeuers überstrahlend, fortlebt. In ihm als das verschwiegene Zeitengedächtnis der tiefsten Schichten seiner Seele, daraus, wenn er es nur zu erschließen vermag, ihm wahrere Kunde quillt als aus den seichten Wellen seiner privaten Erfahrungen; aber diesen tiefen Brunnen entsiegelt nur, wer sich mit dem ganzen Ernst zur Verbundenheit entschieden hat. Dreifaches Element der lebendigen Volksgemeinschaft, dreifache Kraftquelle des jugendlichen Menschen, dreifacher Halt für das Verhältnis zum Absoluten! Ich erinnere daran, daß das Wirken des Absoluten an der einzelnen Person gleichsam eine Abbreviatur seines Wirkens am Menschengeist darstellt. Wie könnte nun in der Person eine zureichende Antwort, die Konzeption eines rechtmäßigen Sinnbilds entstehen ohne innerlichen Anschluß an das, was sich bis auf sie im Menschengeist vollzogen hat? Dies aber ist jedem nur in dem absoluten, das ist dem religiös schöpferischen Leben seines Volkstums u n m i t t e l b a r gegeben. Hier verdichtet sich ihm das wortlose Gespräch der Menschheit mit Gott zu der Seelensprache, die allein er nicht bloß zu verstehen, in der er auch selber neue, noch ungesagte Sätze zu fügen vermag. Ohne sie könnte er nur stammeln oder fehlreden. Schließen sich doch sogar die Stifter neuer Religionen, so neu ihr Wort und ihr Tun erscheinen mag, in Wahrheit innig an die Schöpfung ihres Volkes in Sinnbild und Lebensgestalt, und wenn sie Wasser aus dem Felsen schlagen, so sprudelte es doch schon unsichtbar und unhörbar in ihm, ehe ihr Stab ihn traf. Alle religiöse Stiftung, alle echte persönliche Religion ist Entdeckung und Hebung eines uralten Schatzes, Enthüllung und Befreiung der unterirdisch gewachsenen Volksreligion. Ohne Verbundenheit mit seinem Volke bleibt der Mensch
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vag und verweht, wenn Gott ihn anruft; erst aus der Verbundenheit gewinnt er Umriß und Substanz, daß er dem Rufenden gegenüberzutreten wagt. Was ich vom Verhältnis des jugendlichen Menschen zum religiösen Leben seiner Volksgemeinschaft sagte, gilt mit einer ganz besonderen Prägnanz im Judentum. Und das aus zwei Gründen. Der eine ist die A u t o n o m i e der religiösen Entwicklung im Judentum, die die abendländischen Völker nicht kennen. Bei diesen hat in das natürliche Wachstum der religiösen Triebe und Gestaltungen ein geistiges Prinzip von außen beschneidend und umbildend eingegriffen, das Christentum; und trotz aller kunstreichen Bemühungen der Kirche, ihrer Lehre und ihrem Dienst die das Herz der Völker bewegenden Urkräfte, die in heidnischem Mythos und heidnischer Magie walteten, einzuverleiben, ist keine vollkommene Einheit zustandegekommen. Daher muß dort der junge Mensch, wenn er für sein persönliches Verhältnis zum Absoluten in der Verbindung mit seiner Volksgemeinschaft Nahrung und Halt gewinnen will, sich weniger an die eigentliche Religion als vielmehr an die in den treuen Gebilden volkstümlichen Lebens, in Brauch und Sage, Lied und Spruch heimlich dauernden Urkräfte wenden. Im Judentum dagegen entsprang das religiöse Werden ungeachtet aller Einflüsse immer wieder keinen anderen Gewalten, als denen der Volksseele selber, und an den Kämpfen, die es begleiteten, nahm kein fremdes Element teil. Daher steht hier dem jugendlichen Menschen ein einheitlicher Bereich gegenüber, und wenn ihm die offizielle Erscheinungsform seiner Religion die Hilfe, deren er bedarf, nicht gewährt, braucht er nicht von ihr weg sich in eine andere Sphäre des Volkslebens zu begeben, er braucht nur in ihre eigene Tiefe, zu den unterirdischen, nicht zur Herrschaft gelangten Verzweigungen jüdischer Religiosität hinabzusteigen. Noch wesentlicher aber ist, daß er in keine andere Sphäre des Volkslebens sich begeben k a n n : weil es im jüdischen Volksleben keine gibt, die mit der religiösen unverknüpft wäre. Nicht allein die spezifische Produktivität, auch die spezifische Lebenskraft des Judentums ist an sein Verhältnis zum Absoluten gebunden. Die Differenzierung der Kräfte, wie sie den meisten anderen Völkern eigentümlich ist, bleibt seinem Wesen fremd; die außerreligiösen Elemente sind entweder peripherer Art und am schöpferischen Ausdruck unbeteiligt, oder sie sind irgendwie vom Religiösen bestimmt und abhängig. Es ist bezeichnend, daß sogar der Urabfall des Volks von dem Gott der biblischen Religion eine religiöse Form annimmt: die abfallende Menge begnügt sich nicht damit, sich
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ihren freigewordenen Trieben zu überlassen, ihre führende Leidenschaft äußert sich in dem Zusammentragen der Schätze zum Guß des Götzenbilds. Nichts anderes bedeutet es, wenn ein hebräischer Dichter unserer Zeit sich nicht damit begnügt, dem alten Gott die Gefolgschaft abzusagen, sondern die Bildsäule Apollons anbetet. 2 In welcher Gestalt immer sich die religiöse Produktivität des Judentums umsetzt, sie verliert zuinnerst ihren Grundcharakter nicht. Das einzige philosophische Genie, das es der Welt geschenkt hat, Spinoza, ist zugleich der einzige unter den großen Philosophen, der in Wahrheit keinen anderen Gegenstand des Denkens kennt als Gott; und in den Ideologien jüdischer Sozialisten leben uralte messianische Träume fort. Ich weiß wohl, daß es seit der Verdichtung jüdischen Regenerationsverlangens in unseren Tagen Männer gibt, die, allem flachen Aufklärertum fern, dennoch die Übermacht des Religiösen im Judentum beklagen, die darin eine Verengerung des Volkslebens, eine Verdünnung der Volkssäfte, eine Ablenkung der Volkskraft von ihren natürlichen Aufgaben erblicken und eine Verweltlichung des Judentums fordern, und ich verkenne die Berechtigung dieses Standpunkts gegenüber dem Galuth-Vegetieren nicht, darin die religiösen Ansprüche im engsten Sinn oft genug die gesunde Vitalität des Volkes überwucherten. Aber im Grunde beruht dieser Standpunkt doch auf einer fundamentalen Verwechslung der großen religiösen Schöpferkraft des Judentums mit historischen Erscheinungsformen seiner Religion. Nur da wird die Entfaltung der Volkskräfte durch die Religion beeinträchtigt, wo diese – wie sie es allerdings in der Diaspora in steigendem Maße tat – sich auf den Ausbau des Nichtsollens, die minutiöse Scheidung von Erlaubtem und Verbotnem konzentriert und darüber ihre wahre Aufgabe vernachlässigt, welche ist und bleibt: die menschliche Antwort an das Göttliche, die Antwort des g a n z e n Menschen – mithin die Einung von Geist und Welt: die Verwirklichung des Geistes und die Verklärung der Weltlichkeit, die Heiligung der Beziehung zu allen Dingen, die Freiheit in Gott. Aber schon der Chassidismus, so sehr er noch an die Tradition des Nichtsollens gebunden war, stellt einen großen, wiewohl mißglückten Versuch der Synthese weltlicher und geistlicher Ordnung, der Verschmelzung religiösen Grundgefühls mit der Unbefangenheit und Fülle, des natürlichen Lebens dar – und in der Richtung auf diese Synthese, nicht in der auf eine Ausschaltung der Religiosität liegt die Zukunft des schöpferischen Judentums. In dem wachsenden Streben nach dieser Synthese ist die Bürgschaft enthal2.
Buber spielt hier auf den hebräischen Dichter russischer Herkunft S. Tschernichowski (1875-1943) an, der eine Hellenisierung des Judentums propagierte.
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ten, daß die Jugend, wenn sie um Seelenhilfe in die Tiefen der jüdischen Religion niedersteigt, nicht zerfallendes Gestein, sondern Wasser des wahren Lebens findet. Der Jugend des heutigen Europa hat die Intellektualisierung, die sich, seit Jahrhunderten vorbereitet, in den letzten Generationen vollzogen hat, eine bedrückende Vereinsamung gebracht. Unter Intellektualisierung verstehe ich die Hypertrophie des aus dem Zusammenhang des organischen Lebens herausgebrochenen, parasitär gewordenen Intellekts im Gegensatz zu einer organischen Geistigkeit, in der sich die Totalität des Lebens umsetzt. Diese Intellektualisierung macht einsam, denn nur von Mensch zu Mensch und so von Geist zu Geist, nicht aber von Denkapparat zu Denkapparat führt die Brücke unmittelbarer Gemeinsamkeit, heiße sie nun Liebe, Freundschaft, Kameradschaft, Genossenschaft. Sie macht einsam, nicht mit der Höheneinsamkeit der Voransteigenden, die schweigsamen Herzens der zurückgebliebenen Gefährten harren, sondern negativ einsam, mit der Abgrundeinsamkeit der Verirrten und Verlorenen. Aus der Angst und Schwermut solcher Einsamkeit sehnt sich die Jugend des heutigen Europa nach Gemeinschaft; sie sehnt sich nach ihr so unbändig, daß sie, wie wir genugsam erfahren haben, sich jedem Trugbild von Gemeinschaft hinzuopfern bereit ist. Aber bei der jüdischen Jugend ist die Intellektualisierung, infolge der Anomalie des Galuthlebens, noch weiter vorgeschritten, die Einsamkeit noch gesteigert; und bei einem großen Teil der jüdischen Jugend, vornehmlich der westjüdischen, kommt dazu, daß sie von ihrem natürlichen Volkstum abgeschnitten ist und die Illusion eines organischen Zusammenhangs mit einem andern ihr allmählich zerrinnt. Und so ist auch ihre Gemeinschaftssehnsucht gesteigert. Was diese Sehnsucht der jüdischen Jugend allein zu stillen, die Einsamkeit ihrer Intellektualisierung allein zu überwinden vermag, ist die wahrhafte Verbundenheit mit dem religiös-schöpferischen Leben ihrer Volksgemeinschaft. Ich habe schon gezeigt, wie die Jugend zum Aufbau ihres innern religiösen Lebens dieser Verbundenheit bedarf: um dem Absoluten nicht in der stimmunghaften Willkür des »erlebenden« Schwärmers, sondern in der rechtmäßigen Bereitschaft des Kämpfers und Arbeiters gegenüberzutreten, der in aller persönlichen Freiheit doch an die Volksschöpfung anknüpft und sie in seinem Leben fortsetzt. Aber die Jugend bedarf der Verbundenheit nicht minder für ihr inneres n a t i o n a l e s Leben. Sie sollte sich nicht länger der Illusion hingeben, sie könnte durch das bloße Lesen Bialikscher Gedichte und Absingen jiddischer Volkslieder den entscheidenden Anschluß gewinnen, oder es sei damit getan, wenn sie noch
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ein paar scheinreligiöse Sentimente und Lyrismen dazutut; sie sollte einsehen, daß es ein Größeres, ein Großes gilt: das ernste, kampf- und arbeitsreiche Miterleben eines gewaltigen Schöpfungsprozesses in all seinen Widersprüchen und ihrer werdenden Versöhnung, das innere Nachschaffen dieses Prozesses mit ehrfürchtiger Seele und erkennendem Geist, das Sich-Einstellen in ihn nicht mit der Innerlichkeit allein, sondern mit dem ganzen, das Gefundene bewährenden und auswirkenden Leben – das Bereiten der Erneuerung. Denn die Idee der Erneuerung darf nicht – wie es in der kurzatmigen jüdischen Bewegung unserer Tage so oft den Ideen widerfährt – zum bequemen Schlagwort ausarten, das der Mühe des Ringens, der Mühe des Lernens, der Mühe des Bauens enthebt, zum Schlagwort, darin das Gefühl schwelgt und der Geist erschlafft; sie muß das Panier sein, das auf dem Weg des Ernstmachens vorangetragen wird. Erneuerung bereitet sich, wenn der Geistesprozeß des Judentums, der ein religiös-kämpferischer, religiös-schöpferischer Prozeß ist, von einem ernstmachenden Geschlecht in Wort und Leben wiederaufgenommen wird. Wiederaufnahme verlangt etwas Ursprünglicheres als bloßen Anschluß, aber sie kann nicht ohne Anschluß geschehen. Und hier erhebt sich die Grundfrage: welcher Art soll dieser Anschluß sein? woran soll er erfolgen? Zweierlei Anschluß an die jüdische Religion wird dem werdenden Geschlecht anempfohlen, je nachdem ihr Wesen in der Lehre oder im Gesetz erblickt wird: Anschluß an die jüdische Lehre, Anschluß an das jüdische Gesetz. Ich will zunächst von der ersten dieser Richtungen sprechen. Von ihren bedeutendsten Vertretern wird die vielfältige und lebenskräftige Fülle der Religion zu einem System abstrakter Begriffe sublimiert, wobei das nährende, zeugende, unauflösbare Element der Religion, das Geheimnis ihrer Irrationalität, völlig verloren geht. Es werden da Glaubenssätze, vornehmlich der von der Einheit Gottes, und sittliche Gebote, vornehmlich das der Nächstenliebe, herausgelöst und in – zumeist der einen oder andern herrschenden philosophischen Schule angepaßten – Formulierungen zusammengefaßt, so daß dem mit der irrationalen Fülle jüdischer Religiosität Unvertrauten das Judentum als ein wunderlicher, umständlicher, historisch immerhin wohl unvermeidlicher, nunmehr aber herzhaft überflüssig gewordener Umweg zu diesen modernen Philosophemen, etwa zu der Idee Gottes als einem Postulat der praktischen Vernunft oder zum kategorischen Imperativ, erscheinen mag. Die Urheber solcher Theorien übersehen, daß die religiöse Wahrheit keine begriffliche, sondern eine vitale ist, das heißt, daß sie in der Sprach-
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form nur angedeutet, dagegen erst im Leben des religiösen bewährenden Menschen, im Leben der religiösen bewährenden Menschengemeinschaft zulänglich kundgetan wird; ja, daß das Wort der Lehre seinen religiösen Charakter verliert, sobald es aus dem Lebenszusammenhang des Stifters und seiner Nachfolge gelöst und zu einem für sich bestehenden, in sich erkennbaren und anerkennbaren, durchaus außerpersönlichen Satz umgearbeitet wird. Zur Aussage über ein Sein oder Ansage eines Sollens erstarrt, stellt sich das Wort der Lehre als eine beschwingtere aber primitivere Abart metaphysischer oder ethischer Ideologie dar; als Teiläußerung eines großen und begrifflich nicht zu bewältigenden Lebens geschaut ist es der Sphäre aller Ideologien entrückt und ihren Kriterien nicht unterworfen, ist Wahrheit sui generis, keiner andersartigen botmäßige, religiöse Wahrheit. Nicht das Wort für sich ist hier Wahrheit sondern das Leben, das gelebte und zu lebende Leben, und das Wort nur kraft des Lebens. So gehört zur Wahrheit der Gotteseinheit im Judentum – wohlverstanden, nicht etwa bloß zu ihrer Darstellung sondern zu ihrer Wahrheit – nicht das Ehjeh3 allein, sondern das ganze Leben Moses, nicht das Schma 4 allein, sondern das ganze Sterben der Märtyrer. Die Urheber jener Theorien übersehen ferner, daß die religiöse Wahrheit keine statische sondern eine dynamische ist, das heißt, daß sie keinem einzelnen geschichtlichen Zeitmoment zugehörig und mit ihm abgeschlossen ist, keinem einzelnen entnommen werden kann, daß vielmehr auch der offenbarungsstärkste Augenblick der Vergangenheit, daß jede religiös-schöpferische Epoche nur ein S t a d i u m dieser Wahrheit ist. So gehört zur Wahrheit der Gotteseinheit im Judentum ihr ganzes Werden und alle ihre Wandlungen: die Vielheit der biblischen Gottesnamen in ihrer Abstufung von naturhafter Pluralität zu geistiger Singularität gehört dazu und nicht minder die der wachsenden Erkenntnis von der Unvollkommenheit der empirischen Welt entsprechende Abspaltung der Schechina; die Himmelsscharen gehören dazu, an die die Aufforderung zur Erschaffung des Menschen ergeht, und die Sephiroth, durch die das Göttliche sich in die Schöpfung einsenkt, sie alle, die die Einheit nicht schmälern sondern nur noch vertiefen; manches Spätere gehört dazu, und ich wage zu sagen: manches Künftige. Die religiöse Wahrheit ist zum Unterschied von der philosophischen kein Satz sondern ein Weg, keine These sondern ein Prozeß. Daß Gott barmherzig sei, ist eine abgelöste Aussage; um über sie hinaus zur religiösen Wahrheit vorzudringen, dürfen wir uns nicht scheuen, die Bibel an 3. 4.
Ehjeh, hebr. »ich bin, der ich bin«. Ex 3,14. Schma, Dtn 6,4.
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einer ihrer furchtbarsten Stellen aufzuschlagen: wo Gott Saul, seinen Gesalbten, dem er einst in der Erwählung einen neuen Geist gab, verwirft, weil er Agag, den besiegten Amalekiterkönig, am Leben gelassen hat. 5 Wehren wir dem Schauder nicht, der uns erfaßt, aber gehen wir den Wegen dieses Schauders in der um Gott ringenden Volksseele nach, und wir stoßen auf jene wundersame Talmudstelle (Sanhedrin 105a) 6 , wo nach der Schriftdeutung der Dorsche Reschumoth 7 Gott sich an Goliats Seele erfreut und den Engeln, die ihn an David erinnern, antwortet: »An mir ist es, sie einander zu Freunden zu machen«; nun überschauen wir eine religiöse Wahrheit. – Die Reinheit der Seele ist ein ethischer Begriff; aber lassen wir es uns nicht verdrießen, im dritten Buche Mose die Abschnitte nachzulesen, wo die Reinigung durch das Blut der Schafe und Tauben und die große Reinigung durch den Sündenbock beschrieben wird; und wenn unser Herz unter dem Anhauch der urzeitlich großen aber auch urzeitlich fremden Symbole erzittert, folgen wir dem Weg der um ihre Reinheit ringenden Volksseele über Propheten und Psalmisten bis zu dem befreienden Ausruf Akibas (Mischna, Joma 8,9): »Gott ist das Tauchbad Israels!« – nun erst werden wir ganz der religiösen Wahrheit inne, die jenem Begriff entspricht. – Unserem Welt- und Lebensgefühl ist die Verknüpfung von Tugend und Lohn unerträglich geworden; aber wir dürfen dieses Gefühl nicht in die Urkunden, altjüdischer Religion hineinlesen, wo vom Bund Gottes mit den Erzvätern über Moses Segen und Fluch bis zu den Verheißungen und Drohungen der Propheten der Glaube an Lohn und Strafe die selbstverständliche Grundlage der sittlichen Forderung bildet, die er noch in der Abstraktion der maimonideischen 8 Glaubensaxiome geblieben ist; wir dürfen uns aber auch dem Anblick des Ringens nicht verschließen, in dem der heilige Wille der wahrhaften Menschen im Volke sich immer entschiedener dieser Grundlage enthob, von der hohen talmudischen Losung des Lischmah 9 bis zu jener chassidischen Geschichte, wo der Baalschem eines Vergehens halber des Lebens der kommenden Welt verlustig gehen soll und in jubelnden Dank ausbricht, weil er Gott nun ganz um seiner selbst willen dienen könne; so entfaltet sich uns die religiöse Wahrheit. 10 Wir müssen uns somit dem Anspruch, den Anschluß an die jüdische Lehre als an etwas Fertiges und Eindeutiges zu vollziehen, verweigern. Die 5. 6. 7. 8. 9. 10.
I Sam 15. Sanhedrin 105a (Goldschmidt, Bd. 9, S. 104). Dorsche Reschumoth, hebr. »die Exegeten«, die die Schrift symbolisch auslegen. Moses ben Maimon (1135-1204), jüdischer Religionsphilosoph. Lischmah, hebr. »um ihrer selbst willen«. Die Erzählungen der Chassidim, S. 133 f.
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Lehre ist uns nicht etwas Fertiges und Eindeutiges, sondern ein gewaltiger Prozeß geistiger Schöpfung, schöpferischer Antwort an das Absolute, der noch nicht abgeschlossen ist. In ihn wollen wir uns mit unserem bewußten, tätigen Leben einstellen, dem auch der schöpferische Funke nicht versagt bleiben möge. Um dies aber zu vollbringen, müssen wir diesen Prozeß wahrhaft erkennen, nicht einzelne Stadien und Ergebnisse bloß, nicht Sätze und Thesen, sondern aus ernstem Wissen, mit innerem Nachschaffen umschließend das ganze bisherige Werden. Doch nicht genug daran: wir müssen ihn wahrhaft w o l l e n , von seinen Anfängen, über all seine Höhen und Niederungen, durch all seine Widersprüche und Versöhnungen, bis zu uns geringen und gottbegeisterten Söhnen eines Geschlechts des Übergangs und, durch den Zufluß unseres besten Könnens, sei dies wie es sei, verstärkt, über uns hinaus. Die andere der beiden Richtungen, von denen ich gesprochen habe, übersetzt Thorah nicht mit Lehre, sondern mit Gesetz; den Anschluß an das jüdische Gesetz fordert sie von der jüdischen Jugend. Unter Gesetz versteht sie die Summe dessen, was nach der Überlieferung Gott dem Mose auf dem Berge Sinai vor den Ohren des versammelten Volkes Israel an alsbald schriftgebundenem und an vorerst schriftlos dauerndem Geheiß übergab. Die Tradition dieser Übergabe, verfestigt durch das Leben und Sterben einer großen Geschlechterkette, ist so machtvoll und ehrwürdig, daß etwas von ihrer Macht und Würde auf jeden übergeht, der wahrhaft in ihr steht, das ist, der mit seinem ganzen Leben ihren Geboten und Verboten nachfolgt, nicht weil er in ihnen von Eltern und Lehrern unterwiesen und eingewöhnt worden ist, sondern weil er in seiner ganzen Seele die Gewißheit trägt, daß diese sechshundertunddreizehn Gebote und Verbote der zentrale Inhalt des Gotteswortes an Israel sind. Mit vollkommenem Recht stellt Samson Raphael Hirsch eben dieses Prinzip, das sein Antipode Mendelssohn als Hauptargument für die Wahrheit des Judentums im Streit gegen Lavater verwandte, in den Mittelpunkt seiner Gesetzesbetrachtung, indem er auf den Hinweis, ganz Israel habe unmittelbar die Stimme des Herrn gehört, die Worte folgen läßt: »Diese Tatsache, die jede Täuschung ausschloß, ist’s, die alle Geschlechter hinab für alle Zeit unwandelbar die Thauróh 11 verbürgt«. Von dieser Gewißheit der Offenbarung und ihres in den 613 Mizwoth 12 und ihrem Rahmen restlos und getreu erhaltenen Inhalts ist die wahrhafte Bejahung des Gesetzes unablösbar; nur insofern sie von dieser Gewißheit getragen ist, hat sie religiö11. Askenasische Vokalisierung von Tora. 12. Mitzwot, hebr. Pl. von mitzwa »Gebot«.
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sen Wert. Wer auf ihrem Grunde das Gesetz erfüllt, ist in der Rechtmäßigkeit seines Lebens unantastbar, in der Rechtmäßigkeit seiner Wahrheit unwiderlegbar; ihm gebührt, zumal wenn er, um es erfüllen zu können, die tausendfachen Schwierigkeiten und Versuchungen der gegenwärtigen Gesellschaft opferfreudig überwindet, Achtung und Anerkennung. Geht ihm aber die Gewißheit ab, so hat seine Opferfreudigkeit, gleichviel ob sie ein Erzeugnis der Pietät oder der Gewohnheit ist, ihren religiösen Sinn und damit ihre entscheidende Weihe verloren. Die Mizwoth erfüllen, weil man nur so auf Erden im Namen Gottes leben zu können weiß oder fühlt, besitzt eine Legitimität, die ihrem Wesen nach aller Kritik von außen unzugänglich bleibt, weil sie deren Kriterien ablehnen darf; die Mizwoth ohne dieses Grundgefühl erfüllen, heißt sich und sie der Prüfung an den Kriterien eines autonomen Ethos preisgeben. Das Verhältnis zum Absoluten ist ein Verhältnis des ganzen, in Geist und Seele ungeteilten Menschen; die Handlungen, die diesem Verhältnis zum Ausdruck bestimmt sind, von dem Jasagen der ganzen Menschenseele ablösen, sie von der Übereinstimmung mit dem ganzen Menschengeist unabhängig machen, heißt sie entheiligen. Dies aber tun jene Epigonen, die heischen, daß das Gesetz nicht aus Gewißheit seines göttlichen Ursprungs, sondern aus Gehorsam gegen die Autorität des jüdischen Nationalwillens angenommen werde; die erklären, es wolle zunächst und vor allem befolgt sein, alles andere werde sich finden, das Gesetz binde den Willen, lasse aber die Persönlichkeit frei. Diese Dialektik verwerfen wir von Grund aus. Dem Menschenbild, dem wir zustreben, sind Überzeugung und Wille, die Persönlichkeit und ihre Tat eins und unteilbar, und mag sich diese Einheit auf allen anderen Gebieten nur in langen, unsäglich schweren Kämpfen gegen die ungeheuren Widerstände von Umwelt und Innenwelt durchsetzen, auf e i n e m Gebiet darf sie nicht länger säumen Wirklichkeit zu werden: auf dem der Religiosität. Denn diese ist eben der wahre Ort der Einheit, der Ort, wo der überall sonst noch geteilte, gespaltene, vom Widerspruch zerrissene Mensch in jedem Augenblick ganz und einig werden kann, in jedem Augenblick so, daß er als ein Ganzes der Ganzheit, als ein Eines der Einheit gegenüberzutreten vermag. Mit dieser obersten Einsicht ist jedem, dem jene Gewißheit, von der ich gesprochen habe, n i c h t zuteil geworden ist, ein Weg vorgezeichnet, der mit der Annahme des überlieferten Gesetzes nicht vereinbar ist. Niemand aber, der das neue religiöse Gefühl einer neuen Jugend kennt, diesen noch glühend unverdichteten Wandelstern, der nur erst das Kreisen um die eigne Achse weiß, den Lauf um die unbekannte Sonne kaum erst ahnt – niemand, der dem Geheimnis dieses Werdenden genaht ist, wird meinen, es könne darin das Element des Glaubens an eine einmali-
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ge, worthaft überlieferte, für immer verbindliche Offenbarung enthalten sein. Es will nun aber scheinen, als ob das leidenschaftliche Gemeinschaftsverlangen der jüdischen Jugend, von dem ich gesprochen habe, sie doch wieder auf den Anschluß an Lehre und Gesetz verwiese. Der Antrieb wird in ihr immer stärker, zu ihrem Volk wahrhaft zurückfinden, nicht bloß zu berichteter Vergangenheit und erträumter Zukunft, – auch zur leibhaften Gegenwart dieses Volkes, mit ihr zusammenzuwachsen, zu verschmelzen. Und da erscheint es manchem, diese Verschmelzung könne nur geschehen durch Annahme der besondern Lehrmeinungen und Lebensformen der jüdischen Volksmasse, welche die Lehrmeinungen und Lebensformen der jüdischen Tradition sind; und diese Ansicht wird ihr von Mahnern und Eiferern bestätigt, die durch den jüdischen Nationalismus unbefriedigt hindurchgeschritten sind – unbefriedigt ihrer Meinung nach, weil er nicht jüdisch genug sei, unbefriedigt in Wahrheit, weil er nicht menschlich genug war – und die nun als das letzte und lösende Wort die Hingabe an das volksgemeinsame Gesetz verkünden. Aber die nach diesem Glauben greifen, sind blind den Zeichen, die in dieser Stunde am Himmel unsres und des Weltschicksals stehen, taub dem heimlichen Flügelrauschen zwischen Himmel und Erde. Ein Großes ist die Masse und ehrfurchtgebietend ihre Treue zum Gesetz; aber ein Größeres ist das Walten des Volksgeistes, und wer ihm die ahnende Seele erschlossen hat, weiß, daß ein Neues aus ihm werden will. Auch dieses Neue wird nicht aus dem Nichts aufsteigen, auch dieses wird Bestehendes fortbilden und umbilden, auch dieses wird Entdeckung und Hebung eines uralten Schatzes, Enthüllung und Befreiung eines unterirdisch Gewachsenen sein. Darum geziemt es, das Alte mit Herz und Geist zu fassen; und es geziemt, an das Alte nicht Herz und Geist zu verlieren. Getreu wollen wir bleiben dem Sinn der großen geistigen Bewegung, die wir die jüdische Bewegung nennen und die eine Wiedergeburt und keine Romantik ist. Denn, mögen es auch die Mahner und Eiferer nicht wahr haben wollen: Romantik ist es allezeit, wenn der Geist auf seiner Suche nach Volk sich den in nationaler Vergangenheit gewordenen und aus ihr in Wort und Sitte überlieferten Gebilden beugt und ergibt; Wiedergeburt ist es allezeit, wenn der Geist die in den Gebilden eingeschlossenen Urkräfte beschwört und zu neuer Schöpfung beruft – wenn er Volk findet, indem er Volk fruchtbar macht. Unter dem Aspekt dieser Erkenntnis wollen wir der Frage, die uns beschäftigt, die Antwort finden. Aber vorerst muß ich erklären, von wem ich hier »wir« sage, mit wem ich mich in Frage und Antwort vereinige.
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Es sind die, denen diese meine Rede zugedacht ist; es sind wenige; es sind jene Glieder der jüdischen Jugend, die an dem werdenden religiösen Gefühl einer werdenden Menschheitsgeneration in aller Echtheit teilnehmen. Die meine ich, denen es nicht um Sicherung im Chaos der Gegenwart durch Einfügung in eine erprobte Ordnung des Wißbaren und Tubaren geht, sondern einzig darum, der Berührung des Absoluten in dieser zwielichtigen Stunde, einer Stunde des Todes und der Geburt, wahrhaft standzuhalten. Das abgelöste Leben ihrer eignen Person kann ihnen Umriß und Substanz zu solchem Standhalten nicht gewähren; sie müssen sich, um sie zu gewinnen, innerlich an das schließen, was sich bis auf sie im Menschengeist vollzogen hat und jedem nur in dem absoluten, das ist religiös-schöpferischen Leben seines Volkstums unmittelbar gegeben ist; sie müssen dessen Geistesprozeß in Wort und Leben wiederaufnehmen. Wohl verlangt Wiederaufnahme Ursprünglicheres als bloßen Anschluß, aber sie kann nicht ohne Anschluß geschehen. Wir fragten uns, welcher Art dieser unser Anschluß sein soll. Wir wollen unsrer Frage nun die Antwort finden. Es kann, das sahen wir, nicht ein Anschluß an die jüdische Lehre als an etwas Fertiges und Eindeutiges, nicht einer an das jüdische Gesetz als an etwas Geschlossenes und Unwandelbares sein. Es kann nichts anderes sein, als der Anschluß an die Urkräfte, die lebendigen religiösen Kräfte, die sich in dem ganzen Bestande der jüdischen Religion, in Lehre und Gesetz, wirkend kundgaben, aber in Lehre und Gesetz nicht zulänglichen Ausdruck gewannen. Gestaltlos umfluteten sie beide, glühten über beide hinaus in den Träumen der Volksseele, stürmten in deren Entladungen, standen in der stummen Inbrunst der Volksseele auf und traten vor Gottes Thron. Es sind die ewigen Kräfte, die nicht dulden, daß das Verhältnis zum Absoluten je ganz zu Geglaubtem und Gesolltem gerinne, die von der Summe von Glaubenssätzen und Vorschriften immer wieder an die Freiheit in Gott appellieren. Die Lehre mag dem Göttlichen ein Drüben zuweisen, von dem aus unsre Welt nur befehligt, belohnt und bestraft wird; die Urkräfte führen über die Trennung hinaus (ohne scheinbar die Lehre anzutasten), indem sie in der freien Tat des vollkommenen Menschen die Einheit sich gebären lassen. Das Gesetz mag die Scheidung zwischen Heiligem und Profanem proklamieren; die Urkräfte überwinden sie (ohne scheinbar das Gesetz anzutasten), indem sie in der freien Tat des vollkommenen Menschen alles Weltliche sich heiligen lassen. Ihre Aufgabe ist die menschliche Antwort an das Göttliche, die Antwort des g a n z e n Menschen – mithin die Einung von Geist und Welt: die Verwirklichung des Geistes und die Verklärung der Weltlichkeit, die Heiligung der Beziehung zu allen Dingen, die Freiheit in Gott. Gottes Schrift
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ist Freiheit auf den Tafeln: die Zeichen der Gottesfreiheit wiederzufinden, mühen sich die religiösen Kräfte je und je. Gottes Urtafeln sind zerbrochen: die Kräfte der ewigen Erneuerung mühen sich je und je, auf den zweiten Tafeln, den Tafeln der Lehre und des Gesetzes, verwischte Züge der Gottesfreiheit wiederherzustellen. Ihr ewig erneuter Versuch bedeutet das Streben, das religiöse Grundgefühl mit der Unbefangenheit und Fülle des natürlichen Lebens zu verschmelzen, wie sie auf Gottes Urtafeln verschmolzen waren. Ein neuer Versuch sagt sich an. Wir glauben an das Gelingen, glauben an das Neue, das aus dem Volksgeist werden will. Es bereiten zu helfen, soll ein ernstmachendes Geschlecht, das gewillt ist, den Geistesprozeß des Judentums in Wort und Leben wiederaufzunehmen, sich an die Urkräfte schließen. Sie sind der uralte Schatz, den es zu entdecken und zu heben, das unterirdisch Gewachsene, das es zu enthüllen und zu befreien gilt. Ihres Beistands bedürfen wir, um in dieser Stunde des Todes und der Geburt der Berührung des Absoluten standzuhalten. Die religiöse Sehnsucht der Menschheit, die in dieser Stunde erwachende, ist den Urkräften des Judentums verwandt. Aufs letzte unerträglich ist heute den sich Besinnenden die Zweiheit von Geist und Welt, der Gegensatz einer ideellen Unabhängigkeit der Seele und einer faktischen Abhängigkeit des Lebens vom entseelten Getriebe. Sie wollen nicht länger das Joch dieses von den Kirchen sanktionierten Widerspruchs tragen, wollen die Einheit von Geist und Welt fassen und verwirklichen, und durch sie die wahre Freiheit, die Freiheit in Gott. Der aufgeteilte Mensch ist notwendigerweise unfrei, nur der geeinte wird frei. Der aufgeteilte Mensch wird immer wieder nur Aufteilung wirken können, nur der geeinte wird die Einheit errichten. Der geeinte, der einende, der vollkommene Mensch, der in Gott freie ist das Ziel der Menschheits-Sehnsucht, die in dieser Stunde erwacht; und er ist der Sinn der religiösen Urkräfte des Judentums. Hier ist die Macht, die allein das Judentum, es über Entartung und Erstarrung emportragend, zu ermächtigen vermag, noch einmal sein Wort in die Geschichte der Welt zu sprechen. Aber zum Anschluß an die Urkräfte genügt es wahrlich nicht, ihre Grundtendenz zu erfassen. Dieses Erfassen ist nur der Eingang dazu, ihres We g e s inne zu werden. Es gilt, ich wiederhole es – und im Licht der gewonnenen Einsicht wird nun deutlich, was damit gemeint ist – das ernste, kampf- und arbeitsreiche Miterleben eines gewaltigen, religiöskämpferischen, religiös-schöpferischen Geistesprozesses in all seinen Widersprüchen und ihrer werdenden Versöhnung, das innre Nachschaffen dieses Prozesses mit ehrfürchtiger Seele und erkennendem Geist, und
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auf Grund des so vollzogenen Anschlusses erst die eigentliche Wiederaufnahme, das aktive Sich-Einstellen in diesen Prozeß nicht mit der Innerlichkeit allein, sondern mit dem ganzen, das Gefundene bewährenden und auswirkenden Leben. Das Miterleben des Geistesprozesses, das innere Abschreiten des Weges der Urkräfte kann aber nicht das Werk des bloßen Gefühls, es muß das Werk einer ehrfürchtigen und unbefangenen Erkenntnis sein, einer Erkenntnis, die zwar den Zugang zum Herzen der Dinge stets der Intuition zu verdanken haben wird, die aber, ehe sie ihn jeweilig findet, des Rüstzeugs einer zuverlässigen Sammlung, Sichtung und Untersuchung nicht wird entraten können. Erst die Verschmelzung des Gefundenen wird Sache des selbständig bildnerischen Gefühls sein. Ich spreche von einer ehrfürchtigen und unbefangenen Erkenntnis. Es ist ein schmerzlicher Mangel unserer Jugend, daß sie an die Dinge der jüdischen Religion zu einem Teil ohne Ehrfurcht, zu einem andern ohne Unbefangenheit herantritt. Der Ehrfurcht ermangeln nicht etwa bloß die irreligiös Gestimmten zumeist, vielmehr auch jene religiös Gestimmten, die sich an der Stimmung genug sein lassen und die großen geschichtlichen Ordnungen der Religion als überwunden oder doch als für das religiöse Gefühl nicht belangvoll behandeln. Wenn sie nicht in dessen Besitz schwelgten, sondern sich darauf besännen, ob es denn in ihnen wirklich mehr als Stimmung sei, ob es Substanz habe, würden sie erkennen, daß es ihm daran fehlt; würden fortschreitend erkennen, daß ohne Nahrung aus den Urkunden und Gestaltungen, in denen das Wirken des Absoluten an ihrem Volksgeist in vier Jahrtausenden eines geheimnisvollen Wegs Erscheinung geworden ist, ihr Gefühl leer bleiben wird, so schwungvoll es sich auch anläßt. Hinwieder verfallen die andern leicht der Befangenheit, die jene Urkunden und Gestaltungen, sofern sie die Sanktion der offiziellen Überlieferung erhalten haben, als ein ungeteiltes und unteilbares Ganze ansieht, innerhalb dessen zwischen lebendigen und abgestorbenen Kräften, zwischen sinnstarken und sinngeschwächten Symbolen gar nicht geschieden werden darf; aber ohne unbefangen sondernden Blick kann wohl hingenommen, nicht jedoch, worauf es hier entscheidend ankommt, gewählt werden. Zum Gegenstand einer ehrfürchtigen und unbefangenen Erkenntnis muß uns unser religiöses Schrifttum werden. Wer vor allem die Bibel solchermaßen liest, aus dienendem Wissen um die urhebräische Sprachseele, aber nicht als Literaturwerk, sondern als des Wirkens des Absoluten am jüdischen Volksgeist fundamentale Urkunde; die Erklärungen alter und neuer Exegese kennend, aber über sie hinweg nach dem ursprünglichen Sinn jeder Stelle schlürfend; mit den Quellenscheidungen der mo-
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dernen Wissenschaft vertraut, aber über sie hinaus zu tieferen Scheidungen und Bindungen vordringend; das mythische Element, auch das zunächst fremdartigste, unerschrocken schauend und hebend, wo es sich noch so tief, doch in seinem Wesen unverkennbar birgt, aber mythische Deutung nicht hineintragend, wo die geschichtliche zureicht; mit Verständnis für dichterische Form, aber mit Intuition für das Überdichterische, das alle Form überwächst – wer solchermaßen die Bibel liest, dem wird sie ein heimliches Gut offenbaren, ein Walten der Urkräfte, daraus sich der Kern seiner jungen Religiosität ernähren und aufbauen kann. Ein ernstes Studium des späteren und späten Schrifttums muß sich anschließen, darin neben dem sich sogleich als wahlverwandt Darbietenden auch das Spröde und scheinbar Unergiebige nicht fehlen darf. Und zum Gegenstand einer ehrfürchtigen und unbefangenen Erkenntnis muß uns auch die jüdische Volksmasse in all ihrem Glauben und Brauch werden. Es gilt ihrem inneren Leben nahezukommen, sich in die von keiner Not geminderte, von keiner zu mindernde Innigkeit und Glut dieses Lebens zu versenken, zu sehen, wie hier in verzerrter und zuweilen erniedrigter Gestalt dennoch die alte Gottesinbrunst des Judenvolkes dauert und wie immer noch, und immer noch ungestillt, das Verlangen brennt, alles Irdische zu heiligen und den Bund mit Gott an allen Dingen der Welt zu bewähren. Es gilt beides zugleich zu erkennen: daß dieses Volk der Regeneration bedürftig und daß es ihrer fähig ist, weil es neben den Elementen der Verderbnis die der Reinigung und Erlösung in seiner Seele trägt. Aus beidem aber, aus der Erforschung des Schrifttums und der Ergründung des Volkslebens, wird es einem ehrfürchtig und unbefangen erkennenden Geschlecht möglich werden, den Weg der Urkräfte abzuschreiten bis an dieses Zeitalter, in dem es selber steht. Es ist, für uns deutlicher noch als für alles Menschenvolk, ein Zeitalter des Verhängnisses und der Befreiung, des Sich-Verlaufens und der Umkehr. Für das Schicksal des Menschenvolks ist entscheidend, ob in diesem Augenblick das werdende religiöse Gefühl einer neuen Menschheitsgeneration zur Entfaltung und sodann zur Führung gelangt. Für das besondere Schicksal des Judentums ist entscheidend, ob das Geschlecht der Wende den Weg der Urkräfte wieder aufzunehmen vermag; und das bedeutet: ob es die erkannten, in ihrem Kampf und ihrem Schaffen miterlebten als kampffreudige und schaffensfähige Kräfte in der eigenen Seele wiederfindet. Beides aber, jenes Allgemeine und dieses Besondere, ist im Kern verbunden. Denn die in dieser Stunde erwachende religiöse Sehnsucht der Menschheit ist den Urkräften des Judentums verwandt. Den Weg der Urkräfte abschreitend, kommt das Geschlecht der Wende
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zu sich selber: nur so kann es zu sich kommen. Findet es die Kräfte, die es erkannte, nun in sich wieder – jetzt erst kann es in der eigenen Seele Auslese halten und den innersten Energien die Richtung zuteilen. Wenn in Wahrheit die Urkräfte in einem neuen jüdischen Geschlecht leben und aus ihm wirksam werden wollen, muß es, an sie geschlossen, ihr Werk wieder aufnehmen, muß daran gehen, in seiner Gemeinschaft ihnen die neue Werkstätte zu schaffen: auf dem Boden, wo noch Funken von der alten Esse unter Schutt und Asche fortglimmen. Es gilt eine Gemeinschaft zu schaffen, verbunden durch gemeinsames Werk und gemeinsames Opfer, die Gemeinschaft derer, die im Namen des namenlosen Gottes nach dem Zion seiner Erfüllung fahren. Das Geheimnis ihres Herzens schwillt über alle Schranke der Lehre und des Gesetzes dem noch Unsäglichen, noch Formlosen zu. Die Erkenntnis der Urkräfte hat ihnen die Macht kundgetan, die es zu neuem Leibwerden beschwören kann: die menschliche Antwort an das Göttliche, die Einung von Geist und Welt. Aus dem Verhängnis des Zeitalters führt nur e i n e Befreiung: die zur Freiheit in Gott führt. Wenn wir dies wissen, nicht begrifflich und nicht stimmunghaft, sondern mit wahrem entschloßnem Lebenswissen, haben wir, so abgelöst von der Überlieferung wir dem stumpfen Blick erscheinen, den Anschluß an den großen Weg des Judentums vollzogen, zu seiner Wiederaufnahme fähig und bereit.
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Die Aufgabe Dem herrschenden Begriff der Erziehung nach ist sie die Übermittlung der Werte einer Generation an eine folgende, solcherart, daß diese sie nicht allein hinnehme, sondern als ihre eigenen, ihr gemäßen und von ihr neu darzustellenden anerkenne. Dieser Begriff waltet, in mancherlei Verhüllungen, in den von den gegenwärtigen Gesellschaften und ihren Organen bestimmten Einrichtungen. Er geht auf ein Grundverhältnis des Menschen zu den Menschen zurück, welches man als das politische bezeichnen kann. Da sieht einer die andern Wesen um sich als Leistungszentren, die es in ihrer besonderen Befähigung zu erkennen und zu verwenden gilt; als Bündel erfahrbarer, beeinflußbarer, lenkbarer, ausnützbarer Eigenschaften. Jeder ist ihm ein Er oder eine Sie, so und so beschaffen, solche und solche Möglichkeiten in sich tragend, von denen die in ihrer Entfaltung zu fördern sind, die dem Gebrauchszweck nutzbar gemacht werden können. Aus diesem Grundverhältnis ist das öffentliche Leben der Gegenwart, in den Völkern und zwischen den Völkern, aufgeschossen; es reicht breit ins persönliche Leben hinein, nur je und je unterbrochen von kurzen Durchblicken der Liebe, Freundschaft, Kameradschaft, flüchtigen Offenbarungen des Du, nach denen der Mensch, als sei nichts geschehen, jeweils die gewohnte Übung wiederaufnimmt. Auf die Relation des Erwachsenen zum Kind und zum Jugendlichen angewandt, ergibt es das, was heute im allgemeinen Erziehung heißt. Diesem Urübel des modernen Menschen gegenüber, das sich schon anschickt, ihn und seine Welt zu vernichten, steigt in dieser Stunde der Pein, der Frage, der Auflehnung vor den wahrhaften Trägern dieser drei, vor den an ihrem Weltgewissen Gepeinigten, aus ihrem Weltglauben Fragenden, mit ihrer Weltliebe Aufgelehnten das Wort der Bannung und Heilung auf: nicht dein Es – dein Du sind die Wesen, nicht überblickbar – unendlich in ihren dennoch eigentümlich bleibenden Möglichkeiten, dir nicht zur Verwendung – dir zur Erschließung und Erlösung gegeben, jedem alle; gebrauchst du sie, verdirbst du sie und dich. Erziehung steigt auf, nicht mehr dem politischen Verhältnis dienstbar, willens das politische Menschenreich aufzuschmelzen und zu verwandeln, ohne Hast entschlossen, ohne Schwärmerei gewärtig, zu warten gerüstet und doch anfangend; – und sich besinnend auf das Geheimnis, wie einen der Sternenhimmel, der Wald und alles Unwillkürliche in unfaßbaren Momenten erzieht, steht der Mensch schon in seinem neuen Werk. Erziehung ist Erschließung. Schon aber hebt auch an, sich kundzutun,
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Die Aufgabe
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daß dies mehr bedeutet als: das jugendliche Wesen aus sich heraus werden lassen und in seinem Werden behüten. Denn in unserm Begegnen, ob wir auch so wenig eingreifen wollen wie Himmel und Wald, ist etwas gewaltig Anrührendes, unser Dusagen. Hier beginnt unsere heimliche Macht und ihre Verantwortung. Gewalt übt der Mensch auch im Unwillkürlichsten noch: alles kommt darauf an, ob er weiß, was er tut, und es unter das Gesetz seiner Aufgabe stellt. Ach, was ist eure Liebe, wenn sie nicht auch Verantwortung ist für alles, was durch ihre Macht bewirkt wird! Ob wir es vorhaben oder nicht, wir erziehen immer »zu« etwas hin; es hängt von uns ab, ob das etwas ist, was wir nicht wollen, oder etwas, was wir wollen – ohne Willkür wollen. Dieses aber kann rechtmäßiger Weise nur eins sein: eben dies, was wir selber erziehend tun, da wir dem Menschen als unserm Du gegenüberleben, ihn nicht erfahrend, sondern schauend, nicht benützend, sondern verwirklichend. Daß er so den Wesen gegenüberlebe, in ihrer wahren Gegenwart und ihnen wahrhaft gegenwärtig, Du zu ihnen sagend, das Du in ihnen erweckend, mit dem All vertraut, dem All vertraulich, daß unsere Verbundenheit mit ihm in ihm Allverbundenheit wirke: das wollen wir, wenn wir erziehend ohne Willkür wollen. Erziehen kann nur, wer in der ewigen P r ä s e n z steht; er erzieht, indem er in sie einführt. Religiöse Erziehung als Teilgebiet muß immer problematischer werden; aber ein Ganzes ist Erziehung nur, wenn sie als Ganzes religiös ist. Das Prinzip wird sichtbar, das dem der Vernichtung entgegentritt. Nur wenn der Mensch aufgeschmolzen und verwandelt wird, wird es das Menschenreich.
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Über den deutschen Aufsatz Von den beiden in Wesen und Stil durchaus verschiedenen Arten schriftlicher Äußerung – Mitteilung und Schriftwerk – hat die Schule nur die erste, deren Grundtypen der Brief und das Tagebuch sind, zu pflegen, anzuregen und auszubilden (was keineswegs etwa bedeutet, daß man Aufsätze in der Form von Briefen und Tagebuchblättern schreiben lassen sollte). Der Sphäre der werkhaften Äußerung gegenüber hat sie im Schüler das Verständnis für deren Besonderheit und Abgehobenheit, das heißt: Ehrfurcht vor dem Charisma zu erziehen. Der alte Aufsatz beruht auf der geistverlassenen Fiktion, man könne den »Inhalt« eines Werkes »mit anderen Worten« »wiedergeben«; er verwechselte das Gesetz der Mitteilung, nach dem in der Tat ein Was auf diese oder jene Weise auszudrücken ist, mit dem Gesetz der Schöpfung, das kein hinter einem Wie steckendes Was, kein Zusammen- und Auseinandertreten von Stoff und Form, sondern allein die unzerreißbare Einheit der leibhaften Idee kennt. Damit trug er dazu bei, die Ahnung der geistigen Welt, in der das eine Notwendige waltet und kein Wort für ein anderes eintreten kann, im jugendlichen Menschen zu ertöten und die unheilige Schar der Bewohner eines spukhaften Reiches zwischen objektiver und subjektiver Welt, der Schriftsteller, die »schreiben können«, d. h. nicht schreiben müssen, das gesetzlose Gewimmel zu einer Macht des Verderbens anwachsen zu lassen. Der neue Aufsatz soll die Erkenntnis der Grenze und der Pflicht ihrer Reinhaltung zur Voraussetzung haben. Er soll, wie alle Mittel eines rechtmäßigen, mehr entfaltenden als auferlegenden Unterrichts, nicht von einer willkürlichen Zwecksetzung, sondern von der natürlichen Spontaneität des jugendlichen Menschen ausgehen: er soll an dessen M i t t e i l u n g s b e d ü r f n i s anknüpfen (um die ganz seltenen Fälle, wo dieses der Vorbote des Schöpfungsbetriebs ist, braucht sich die Schule keine Sorge zu machen); und zwar an das verschiedenartige Mitteilungsbedürfnis der verschiedenen Altersstufen. Wenn man dieses vergleichend prüft, wird man vermutlich dazu kommen, drei Stufen zu unterscheiden. Der ersten dürfte die Mitteilung von Absichten wesentlich sein, der zweiten die von Wahrnehmungen, der dritten die von Gedanken. Ich möchte das eigentliche Aufsatzschreiben nicht eher als mit dem vollendeten vierzehnten oder noch besser fünfzehnten Jahr beginnen lassen; vorher sollte es nur Übungen im Abfassen knapper, beiwerkloser, »nackter« Sätze zur deutlichsten Formulierung von allerlei in der Schule besprochenen Dingen geben, also nur mitten im Unterricht und im jeweiligen Anschluß an Mündliches (wobei es ideell das Richtige wäre, diese Übungen auf sämt-
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Über den deutschen Aufsatz
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liche Unterrichtsgegenstände zu verteilen). Mit dem vollendeten vierzehnten oder fünfzehnten Jahr, d. i. mit der anhebenden Differenzierung des Mitteilungsbedürfnisses, könnte man zum »aufgegebenen« Aufsatz übergehen, und zwar unter weitgehender Freiheit in der individuellen Wahl des Themas durch die einzelnen Schüler innerhalb der allgemeinen Direktive. Auf der ersten, kürzesten Stufe hätten die Schüler von ihren Projekten mancherlei Art zu erzählen (daß die Lust und Redlichkeit der Mitteilung in ihnen durch die rechte persönliche Beziehung des Lehrers, durch die Weckung eines tiefen Vertrauens entwickelt werden muß, brauche ich wohl nicht hervorzuheben); auf der zweiten, längsten, hätten sie aufzuzeichnen, was sie gesehen und gehört haben, und zwar zunächst Gegenstände (zuverlässige Beschreibung eines begrenzten Nebeneinander), später Vorgänge (zuverlässiger Bericht eines begrenzten Nacheinander); auf der dritten, die etwa der obersten Schulklasse entsprechen würde, sollte die Mitteilung je eines in sich geschlossenen Gedankens (zu einem gemeinsamen Thema, doch müssen die Gedanken in den Schülern selbst aufsteigen und sind auch nicht etwa vor der Niederschrift – wohl aber, auf die Zulänglichkeit des Stils hin, nach ihr – gemeinsam zu besprechen) in klarer, genauer und eindeutiger Form versucht werden. Als allgemeiner Grundsatz für alle Stufen hätte zu gelten: »Schreibe nur das, was du mitteilen willst; schreibe so, daß es mitgeteilt wird.«
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Universität und Volkshochschule Brief an die Exekutive der Zionistischen Organisation in London vom 22. Januar 1924 Wie ich erfahre, ist die Frage der Errichtung einer geisteswissenschaftlichen Fakultät in Jerusalem in das Stadium der Entscheidung getreten. Da die bevorstehende Beschlußfassung eine sowohl für die Entwicklung unseres Jischuw 1 als für das gesamte jüdische Kulturleben folgenschwere ist und ich gegen den einen der zur Erörterung stehenden Pläne, den des Jerusalemer Komitees, ernste Bedenken habe, halte ich mich für verpflichtet, sie Ihnen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ich glaube dies heute nur erst in allgemeiner Form tun zu sollen, bin aber, wenn Sie es wünschen, gern bereit, meine Einwände durch ausführliche Begründung und meine Anregungen durch ein auf die methodischen und praktischen Einzelheiten eingehendes Exposé zu ergänzen. Meines Erachtens ist es, zumal bei den verhältnismäßig geringen Kräften, über die wir verfügen, durchaus unzulässig, von den hergebrachten Ordnungen des europäischen Bildungswesens statt von den tatsächlichen Bedürfnissen des Jischuw auszugehen. Ich will hier vorerst davon absehen, wie problematisch auch dem modernen abendländischen Pädagogen jene Ordnungen geworden sind und daß sie in demselben Maße, wie unsere Konzeption von Leben und Lebensbildung sich von Grund aus ändert, eine durchgreifende Umwandlung erfahren werden. Ich beschränke mich hier auf das Spezifische der Frage. Es ist falsch und verhängnisvoll, Palästina als die permanente jüdische Weltausstellung zu betrachten, wo wir unsere kulturellen Paradeeinrichtungen aufzutun haben. Wir haben die Pflicht, das Land konsequent als die Stätte einer werdenden und wachsenden Judensiedlung anzusehen und unser Wollen und Können darauf zu konzentrieren, daß dieser Siedlung jeweilig von uns diejenigen wirklichen wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse befriedigt werden, die sie aus eigener Kraft nicht zu befriedigen vermag. Damit ist gesagt, daß unsere Hochschulaktion einen doppelten Hauptzweck haben muß. Der eine ist die Schaffung der wissenschaftlichen Institute, deren das Land, sei es seiner sanitären Verhältnisse wegen, sei es zur Ausnützung seiner ökonomischen Möglichkeiten, sei es zur wissenschaftlichen Verwertung seiner archäologischen Funde, sei es aber auch um des Ausbaus seiner Sprache und der Wiederherstellung einer jüdischen Kulturkontinuität willen bedarf. Es würde so eine Reihe von Orga1.
Jischuw, hebr. »Bevölkerung«.
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nen geistiger Arbeit entstehen, die miteinander in organisativer und technischer Verbindung stünden und mit der Zeit sich zu einer neuartigen universitas zusammenschlössen. Diesen ersten Hauptzweck möchte ich seinem Charakter nach den Forschungszweck nennen, da es sich hier nicht um Verbreitung einer allgemeinen Geistesbildung, sondern um Facharbeit handelt; von den Bedürfnissen her, deren Befriedigung er meint, kann er der objektive genannt werden, denn er geht nicht von den einzelnen Menschen, sondern von den Verhältnissen des Landes, der jüdischen Wirtschaft und der jüdischen Kultur aus. Der andere Hauptzweck, den ich dagegen als den Bildungszweck und als den personalen, weil von den geistigen Bedürfnissen der Personen ausgehenden, bezeichnen will, ist ebenfalls nicht durch eine philosophische oder geisteswissenschaftliche Fakultät zu erfüllen. Denn wenn irgendwo, kann es in dem gegenwärtigen Palästina nicht auf die speziellen, im engeren Sinn akademischen Ausbildungswünsche einer wirtschaftlich und etwa auch intellektuell begünstigten »Auslese« ankommen, sondern nur darauf, daß die ganze Jugend des Jischuw, und insbesondre seine arbeitende Jugend die geistige Nahrung erhalte, die sie ihrer Wesensart und ihren Lebensbedingungen nach braucht, und in solcher Weise, daß zugleich ihre Fähigkeiten der Aufnahme und Verarbeitung entwickelt werden. Mit einem Wort: nicht eine »Fakultät« tut unserem Palästina not, sondern eine Vo l k s h o c h s c h u l e . Dies ist aber nicht etwa eine Institution, die von der »Universität« völlig abgelöst zu denken wäre. Sie hätte zwar methodisch und organisativ auf selbständiger Grundlage zu stehen, und ich möchte mich durchaus dagegen wenden, daß sie etwa im Sinn der university extension zu verstehen wäre (ich bin gern bereit, die methodische und organisative Basis der Volkshochschule, wie ich sie mir denke, in einem detaillierten Programm darzulegen). Aber eine Verbindung, ein »Bündnis« zwischen Universität und Volkshochschule ist geboten, das sich z. B. zu äußern hätte 1. in der Errichtung eines Seminars für Arbeitslehrer im Rahmen der Universität, 2. in der steten Entsendung von Wanderlehrern und Wanderstudenten aus den universitären Instituten in die einzelnen Kolonien und Kwutzot, 2 und zwar um dort zu lehren, was sie zu lehren haben, aber auch um selbst dort zu lernen, was sie nur dort lernen können, 3. in der technischen Förderung der Volkshochschule durch die Universität (durch Überlassung von Lehrmitteln usw.). Ich behalte mir, wie gesagt, ausführliche Vorschläge für die mir besonders am Herzen liegende Volkshochschule vor. Dagegen muß ich auf das für das Geistesleben des Judentums bedeutsamste der Forschungsinstitu2.
Kwutzot, hebr. Pl. von kwutza »Kollektiv«.
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te, das judaistische, um seiner Aktualität willen schon heute, wenn auch nur mit allgemeinen Worten, eingehen. Die von der Entwicklung der deutschen Judenheit im 19. Jahrhundert bestimmte sogenannte Wissenschaft des Judentums hat in verhängnisvoller Weise fehlgegriffen, als sie sich ihre Methoden von außen statt von innen vorschreiben ließ. Während sonst in der Wissenschaft die Entdekkung eines Sondergebiets, das den geläufigen Klassifikationen widerstrebt, zur Ausbildung von Sondermethoden führt, wurde hier die Frage nach der Methodik kaum ernstlich aufgeworfen, und so konnte zu der eigentlichen Kernfrage, die sich hier auftut, nicht vorgedrungen werden: wie die überlieferte innerjüdische Methodik für eine modern-wissenschaftliche Arbeit am Judentum fruchtbar gemacht werden könnte. So ist es geschehen, daß das ungeheure, von jener innerjüdischen Methodik erarbeitete Geistesmaterial, insbesondre das exegetische, die Fülle der hermeneutischen Einsichten, Hinweise, Konjekturen, von der modernen judaistischen Forschung fast unverwertet geblieben ist; es wurde, mit einzelnen rühmlichen, aber unbeachteten Ausnahmen, als etwas Unernstes, »Unwissenschaftliches« einer zumeist recht flachen Homiletik zum Gebrauch überlassen, statt daß die Gelehrten sich davon zum Innenaspekt der Texte und ihrer Sinnzusammenhänge hätten geleiten lassen. Einen Aspekt von innen, der – das ist meine feste Überzeugung – den Außenaspekt der heutigen, wesentlich auf den Arbeiten der evangelischen Theologie fußenden Bibelwissenschaft nicht bloß zu ergänzen, sondern auch vielfach zu berichtigen geeignet und berufen wäre. Dasselbe gilt in anderer Weise, aber in nicht geringerem Maße von der wissenschaftlichen Behandlung des talmudischen und nachtalmudischen Judentums. Allzulange ist verkannt worden, daß das Judentum zum Unterschied von allen okzidentalen Völkern in zweitausendjähriger Arbeit eine eigene Wissenschaftsform ausgebildet hat, von einer so mächtigen Existenz, daß sie die Kriterien und Kategorien der modernen abendländischen Wissenschaft in sich aufzunehmen vermögen wird, ohne sich an sie zu verlieren. Zu dieser Wissenschaftsform als solcher – also nicht etwa zu irgend welchen ihrer inhaltlichen Ergebnisse – müßte sich das palästinensische judaistische Institut, wenn es das legitim Neue, die organische Umwandlung bringen soll, bekennen, nicht programmatisch, wohl aber faktisch: indem es seine Arbeitsweise aus dem altjüdischen »Lernen« entwickelt, dieses erweiternd, differenzierend, verjüngend, aber ohne sein Grundwesen zu verletzen. Dieses Grundwesen besteht aus zwei, eng miteinander zusammenhängenden Elementen: dem Blick von innen und dem Ernst der geistigen W i r k l i c h k e i t – die im Gegensatz zu den Grundeinstellungen der modernen europäischen Wissenschaft
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stehen: dem Blick von außen und der »Als ob«-Fundierung. Nicht übernehmen darf die neue Anstalt den Betrieb der geläufigen »Wissenschaft des Judentums«, sie muß in Wahrheit neu beginnen, aber das uralte Werk neu beginnen. Diese Anstalt wird entweder ein in das werdende jüdische Gemeinwesen verpflanztes Assimilationsreis sein und bald verdorren; oder sie wird als das echte Gewächs des judäischen Bodens entstehen, von den Kräften der Urzeit und von den guten Kräften der »positiven Galut« 3 gespeist, aber neu an Wuchs und Farbe, und in die neue Volksgeschichte hineinblühen.
3.
Galut, hebr. »Diaspora«.
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Rede über das Erzieherische Nach einer auf der III. Internationalen Pädagogischen Konferenz in Heidelberg gesprochenen »Die Entfaltung der schöpferischen Kräfte im Kinde« – das ist der Gegenstand, über den auf dieser Tagung geredet werden soll. Zu ihrem Eingeleit vor Sie tretend, darf ich Ihnen nicht für einen Augenblick verschweigen, daß ich von den sieben Worten, in denen er ausgedrückt ist, nur die zwei letzten unfragwürdig finde. Das Kind, nicht etwa bloß das einzelne Kind, die einzelnen Kinder, sondern das Kind, ist freilich eine Wirklichkeit. Daß in dieser Stunde, während wir uns mit der »Entfaltung der schöpferischen Kräfte« abzugeben beginnen, über die ganze Fläche dieses Planeten hin neue, schon bestimmte und doch noch bestimmbare Menschen geboren werden, ist zwar eine Myriade von Wirklichkeiten, aber es ist auch Eine. Das Menschengeschlecht fängt in jeder Stunde an. Wir vergessen dies zu leicht über der massiven Tatsache des Gewesenseins, der sogenannten Weltgeschichte, der Tatsache, daß jedes Kind mit einer gegebenen, »weltgeschichtlich« entstandenen, das heißt: von der Fülle der Weltgeschlechter ererbten Anlage und in eine gegebene, »weltgeschichtlich« entstandene, das heißt: von der Fülle der Weltvorgänge hervorgebrachte Situation hinein geboren wird. Sie soll uns das andere, nicht minder wichtige Faktum nicht verdunkeln, daß trotz alledem in dieser Stunde, wie in jeder, in die Schichtung des Vorhandenen das noch Ungewesene einbricht, mit zehntausend Antlitzen, von denen keinem ein gleiches bisher erschaut worden war, mit zehntausend noch ungewordenen, werdebereiten Seelen, – Schöpfungsbegebnis wenn eins, aufgetauchte Neuung, urgewaltige Potentia. Diese, wie viel auch von ihr vertan wird, unversiegt strömende Möglichkeit ist die Wirklichkeit »Kind«. Dieses Erscheinen der Einzigkeit, dieses das mehr ist als nur Zeugung und Geburt, diese Gnade des Wieder-, des Immer-wieder-, des Noch-immer-anfangen-dürfens. Welche größere Sorge könnten wir hegen, beraten als die, wie es wohl zu geschehen vermöchte, daß diese Gnade fortab nicht wie bisher vertan werde, daß die Macht der Neuung sich zur Erneuung wahre! Die kommende Geschichte steht nicht schon vom Griffel eines Ablaufgesetzes auf eine Rolle geschrieben, die nur noch aufzurollen ist; ihre Zeichen werden von den unvorhersehbaren Entscheidungen der werdenden Geschlechter mitgeprägt. Unabmeßbar ist der Anteil jedes heute Lebenden, heute Erwachsenden, heute noch Kindhaften daran, gar unabmeßbar der unsere, wenn wir Erzieher sind. Taten der jetzt nahenden Generationen können
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das graue Gesicht der Menschenerde licht machen, können’s verfinstern. So also die Erziehung: wenn sie sich endlich erhebt und da ist, wird sie im Herzen der Täter die lichtspendende Kraft zu stärken vermögen – wie sehr, ist nicht zu ahnen, nur handelnd zu erfahren. Wirklichkeit ist das Kind, Wirklichkeit soll die Erziehung werden – aber was ist es um die »Entfaltung der schöpferischen Kräfte«? Ist d a s die Wirklichkeit der Erziehung? Muß die Erziehung eben dies werden, damit sie Wirklichkeit sei? So meinen es offenbar die Einberufer dieser Tagung, die ihr ihren Gegenstand gegeben haben. Sie meinen offenbar, deshalb habe die Erziehung bisher ihr Werk nicht getan, weil sie anderes anstrebte als eben die Entfaltung dessen was im Kinde ist, oder unter den Kräften des Kindes andere als eben die schöpferischen beachtete und begünstigte. Und sie wundern sich wohl jetzt, daß ich diese Zielsetzung fragwürdig finde, da ich doch selber vom Schatz der ewigen Möglichkeit und von der Aufgabe seiner Hebung spreche. So habe ich denn klarzustellen, daß dieser Schatz durch den Begriff der »schöpferischen Kräfte« und seine Hebung durch den Begriff der »Entfaltung« nicht zulänglich bezeichnet wird. Schöpfertum bedeutet ursprünglich nur den göttlichen Anruf an das im Nichtsein verborgene Wesen, also – wie immer das sprachgeschichtlich noch ungeklärte Verhältnis der Worte schaffen und schöpfen aufzufassen ist – wahrhaftig das Herausschöpfen von Substanz aus dem leeren Abyssus. 1 Als Johann Georg Hamann und seine Zeitgenossen diese Bezeichnung metaphorisch auf die menschliche Fähigkeit der Formgebung übertrugen, belegten sie damit eine höchste Aufgipfelung des Menschentums, das gestalterische Genie, als in dem die Ebenbildlichkeit sich wirkend beurkunde. Seither hat sich die Metapher geweitet, es gab eine (nicht ferne) Zeit, wo »schöpferisch« beinah mit »literaturfähig« zusammenfiel, und diesem tiefsten Stand des Wortes gegenüber ist es eine wirkliche Erhebung, wenn es nun hier ganz allgemein gefaßt wird, als etwas, was allen Menschen, allen Menschenkindern in irgendeinem Maße innewohne und eben nur der rechten Ausbildung bedürfe. Die Kunst ist dann nur der Bezirk, in dem sich eine allen gemeinsame Fakultät der Hervorbringung vollendet; mit den Grundkräften der Künste, dem Zeichnerischen etwa, dem Musikalischen, sind alle elementar begabt; diese Kräfte sind zu entwickeln und auf ihnen, somit auf der natürlichen Selbsttätigkeit, die Erziehung der ganzen Person aufzubauen. Die Wichtigkeit des Hinweises, von dem diese Auffassung ausgeht, darf 1.
Abyssus, griech. »Abgrund«.
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nicht verkannt werden. Er rührt an ein bedeutsames, aber noch nicht recht beachtetes Phänomen, freilich ohne daß es hier die richtige Benennung fände. Ich meine die Existenz eines selbständigen, von andern nicht ableitbaren Triebs, dessen angemessener Name mir »der Urhebertrieb« zu sein scheint. Der Mensch, das Menschenkind will Dinge machen. Das ist nicht bloße Schaulust an dem Entstehen einer Form aus einer eben noch formlos anmutenden Materie: wonach das Kind verlangt, ist der eigne Anteil an diesem Werden der Dinge; es will das Subjekt des Produktionsvorganges sein. Der Trieb, von dem ich spreche, ist auch nicht mit dem sogenannten Beschäftigungs- oder Tätigkeitstrieb zu verwechseln, den es mir übrigens gar nicht zu geben scheint (das Kind will herstellen oder zerstören, betasten oder schlagen usw., aber nie »sich betätigen«); worauf es ankommt, ist, daß durch die intensiv empfundene eigene Handlung etwas entsteht, was es vorhin, was es eben noch nicht gegeben hat. Eine hohe Äußerung dieses Triebs ist die Art, wie Kinder von geistiger Leidenschaft die Sprache hervorbringen, in Wirklichkeit nicht als etwas Übernommenes, sondern mit den stürzenden Gewalten des Erstmaligen; Lautgebild um Lautgebild drängt aus ihnen, dringt aus schwingender Kehle, von bebenden Lippen in die Luft der Welt, und der ganze kleine beseelte Leib schwingt und bebt mit, von einem Schauer der ausbrechenden Selbstheit geschüttert. Oder man sehe einem Knaben zu, der sich ein nie gesehenes, rohes Werkzeug zimmert; staunt, erschrickt er nicht über seiner Bewegung wie die ungeheuren Erfinder der Frühe? Es ist aber auch zu beobachten, wie sogar in die scheinbar »blinde« Zerstörungslust des Kindes sein Urhebertrieb hineinspielt und darüber Herr wird: zuweilen fängt es damit an, irgend etwas, z. B. ein Blatt Papier, drauf los zu zerreißen, aber bald nimmt es Interesse an der Gestalt der so zustandekommenden Fetzen, und nun dauert es nicht mehr lang, bis es, immer noch durch Zerreißen, bestimmte Gestalten hervorzubringen sucht. Es ist wichtig, den Urhebertrieb in seiner Selbständigkeit und Unableitbarkeit zu erkennen. Die heutige Psychologie neigt dazu, die Vielfältigkeit der Menschenseele auf ein einziges Urelement – »Libido«, »Machtwillen« und dergleichen mehr – zurückzuführen. Damit werden eigentlich nur bestimmte Entartungszustände verallgemeinert, in denen ein einzelner Trieb die anderen nicht bloß überwältigt, sondern durchwuchert; man geht von den – in unserer Zeit der inneren Entgemeinschaftung und Vergewaltigung zahlreichen – Fällen aus, wo eine solche Hypertrophie den Schein der Alleinigkeit erzeugt, abstrahiert die Regel aus ihnen und wendet diese nunmehr an, mit der ganzen theoretischen und praktischen Problematik derartiger Anwendungen. Diesen Seelenverarmungs-Doktrinen und -Methoden gegenüber ist immer wieder auf
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die ursprüngliche Polyphonie der menschlichen Innerlichkeit hinzuzeigen, innerhalb deren keine Stimme auf eine andere »zurückzuführen« und die Einheit nicht analytisch herauszuholen, sondern nur im gegenwärtigen Zusammenklang zu erhorchen ist. Eine der Stimmen, eine der führenden, ist der Urhebertrieb. So muß er denn auch für das Werk der Erziehung bedeutsam erscheinen. Hier ist ein Trieb, der, zu welcher Mächtigkeit auch gesteigert, nie zur Begierde wird, weil er gar nicht auf ein »Haben«, nur auf ein Tun aus ist; der unter allen nur ins Leidenschaftliche, nicht ins Süchtige erwachsen kann; der unter allen nicht zum Eingriff in den Bereich anderer Wesen verführen mag; hier die reine Gebärde, die nicht Welt sich zurafft, sondern sich ihr äußert. Sollte nicht von hier aus, indem man dieses Kostbare sich unbehindert auswickeln und auswirken läßt, die Gestaltwerdung der Menschenperson, unzählig oft geträumt und vertan, endlich gelingen? Und es fehlt ja dem jungen Versuch auch schon nicht an Erweisen. Der schönste, den ich kenne, eben kennengelernt habe, ist dieser Kinderchor des Prager Zaubermeisters Bakule, mit dem unsere Konferenz eröffnet worden ist. Wie unter seiner Führung aus verkrüppelten, scheinbar zu lebenslanger Brache verdammten Geschöpfen frei bewegte, werkfreudige Menschen sich gelöst haben, bildsam und bildnerisch, die Geschautes und Ersonnenes in vielfältigem Stoff auszuformen, aber auch die eigne, auferstandne Seele wild und herrlich auszusingen verstehen; mehr noch – wie aus dumpfen, ummauerten Einsamkeiten sich eine in Zu- und Gegenblick bekundete Werkgemeinde fügte: das scheint uns unanzweifelbar zu erweisen, welche Fruchtbarkeit nicht allein, welche in den ganzen Bestand des Menschen hin strahlende Kraft das urheberische Leben hat. Aber eben dieses Beispiel, tiefer eingesehen, zeigt uns, daß nicht der Freimachung eines Triebes, sondern den Kräften, die dem freigemachten begegnen, der entscheidende Einfluß beizumessen ist: den erzieherischen Kräften. Von ihnen, von ihrer Lauterkeit und Innigkeit, ihrer Liebesmacht und Diskretion, hängt ab, in welche Verbindungen das ausgelöste Element eingeht, und somit, was aus ihm wird. Zu zwei für den Bau wahren Menschenlebens unentbehrlichen Gestaltungen führt der sich selbst überlassene Urhebertrieb nicht, kann er nicht führen: zum Anteil an einer Sache und zum Einstand in der Gegenseitigkeit. Einzelwerk und Werksache sind durchaus zweierlei. Ein Ding machen ist ein Stolz des sterblichen Wesens, aber Bedingtsein in einer gemeinsamen Arbeit, die ungewußte Demut des Teilseins, der Teilhaftigkeit und Teilnahme ist die echte Speise irdischer Unsterblichkeit. Sowie der wir-
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kende Mensch in eine Sache eintritt, wo er Werkgemeinschaft mit anderen Menschen entdeckt und übt, folgt er nicht mehr dem Urhebertrieb allein. Werkhaftes Tun ist ein »einseitiger« Vorgang. Da ist eine Kraft in der Mitte der Person, da geht sie aus, bildet sich dem Stoff ein, da hat sich nun das Werk gegenständlich erhoben, die Bewegung ist zu Ende, sie ist in einer Richtung, vom Traum des Herzens in die Welt, verlaufen und abgelaufen. Mag der Künstler seinen Verkehr mit der geschauten, zu verleibenden Idee noch so unmittelbar als Angetretenwerden, Gefordertwerden und als Wahrnehmen, Empfangen erfahren: solang er am Werk ist, geht ihm Seele aus und nicht ein, entgegnet er der Welt, aber begegnet ihr nicht mehr. Und nicht mit dem Werk kann er der Gegenseitigkeit pflegen; Pygmalion 2 ist schon in der Sage eine ironische Figur. Ja, der Mensch als Urheber ist einsam. Ganz unverbunden steht er im hallenden Raum seiner Taten. Darüber hinaus kann ihm auch nicht helfen, wenn sein Werk von Menschen, von vielen, begeisterten, aufgenommen wird. Ob es angenommen wurde, sein Opfer angenommen vom namenlosen Empfänger, wird ihm nicht kund. Nur wenn ihn jemand an der Hand faßt, nicht als einen »Schöpfer«, sondern als eine in der Welt verlorene Mitkreatur, um ihm jenseits der Künste Gefährte, Freund, Liebender zu sein, wird er der Gegenseitigkeit inne und teilhaft. Eine auf der Ausbildung des Urhebertriebs allein begründete Erziehung würde eine neue, schmerzlichste Vereinsamung der Menschen bereiten. Vieles lernt das Kind im Herstellen von Dingen, was es nicht anders lernen kann. Indem es ein Ding macht, erfährt es dessen Möglichkeit, dessen Entstehung, dessen Bau und Zusammenhang auf eine Weise, wie es betrachtend nicht zu erfahren vermag. Aber etwas anderes lernt man so nicht, und dieses andere ist das Viatikum des Lebens. Man lernt das Objektsein der Welt von innen her, aber ihr Subjektsein, ihr Ichsagen nicht, also auch ihr Dusagen nicht. Was uns zur Erfahrung des Dusagens bringt, ist nicht mehr der Urhebertrieb, es ist der Trieb nach Verbundenheit. Der etwas Größeres ist als die Libidinisten wissen: das Verlangen, daß die Welt uns gegenwärtige Person werde, die zu uns ausgeht wie wir zu ihr, die uns erwählt und erkennt wie wir sie, die sich in uns bestätigt wie wir in ihr. Das Kind, das, halbgeschloßner Augen daliegend, mit ausgespannter Seele harrt, daß die Mutter es anspreche, – das Geheimnis seines Willens geht auf anderes als darauf, einen Menschen zu genießen 2.
In der griech. Mythologie wird Pygmalion von einem Bildhauer als Statue erschaffen. Nachdem dieser in Liebe zu ihr entbrennt, wird ihr auf seine Bitte hin von Aphrodite Leben eingehaucht (Ovid, Metamorphosen 10, 443 ff.).
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(oder zu beherrschen), aber auch als darauf, von sich aus etwas zu tun; es geht darauf, im Angesicht der einsamen Nacht, die hinterm Fenster sich breitet und einzudringen droht, die Verbundenheit zu erfahren. Aber die Freimachung von Kräften darf überhaupt nicht mehr als eine Vo r a u s s e t z u n g der Erziehung sein. Mit den »schöpferischen Kräften«, die zur »Entfaltung« zu bringen sind, ist ja letztlich nicht der Urhebertrieb allein gemeint; sie stehen für die Spontaneität des Menschen. Daß die jugendliche Spontaneität nicht unterdrückt werden soll, daß man sie hergeben lassen soll was sie herzugeben vermag, sind Erkenntnisse, die eine wirkliche Erziehung ermöglichen – ob aber auch begründen? Nehmen wir ein Beispiel aus dem engeren Bezirk des Urhebertriebs: den Zeichenunterricht. Der Lehrer der »Zwangschule« begann mit Vorschriften und gültigen Vorbildern; nun wußte man, was schlechthin schön sei, und hatte es nachzumachen, was man nur in entweder stumpfsinnigem oder verzweifeltem Gemütszustand fertigbrachte. Der Lehrer der freien Schule stellt etwa einen Ginsterzweig in einem Bauernkrug auf den Tisch und läßt das nachzeichnen; oder er stellt ihn auf den Tisch, heißt ihn anschauen, tut ihn weg und läßt nun nachzeichnen; bei von Haus aus unverbildeter Schülerschaft sieht alsbald kein Blatt einem der andern ähnlich. Nun aber beginnt erst die zarte, fast unmerkliche und doch gewichtige Einwirkung: Kritik und Anleitung. Eine, wie auch unakademische, doch feste Wertskala, ein, wie sehr auch sich individualisierendes, doch deutliches Wissen um Gut und Böse tritt den Kindern entgegen. Je unakademischer, je individualisierender diese Skala, dieses Wissen ist, um so tieflebendiger empfinden die Kinder ihr Entgegentreten. Dort machte die der Arbeit vorausgehende Deklaration des Alleinrichtigen resigniert oder rebellisch; hier aber, wo erst, nachdem er sich selbst auf den Weg des Werkes weit hinausgewagt hat, den Schüler die Erkenntnis betrifft, reißt sie sein Herz zur Ehrfurcht vor der Gestalt hin und erzieht es. Dieses so fast unmerklich Hinzutretende, dieses Leiseste, ein Fingerheben vielleicht, ein fragender Blick, ist die andere Hälfte des erzieherischen Geschehens. Die von der Freiheitstendenz bestimmte moderne Pädagogik verkennt in ihrer Theorie die Bedeutung dieser anderen Hälfte, wie die von der Autoritätsgewohnheit bestimmte alte die Bedeutung der ersten Hälfte verkannte. Das Symbol des Trichters ist im Begriff gegen das der Pumpe eingetauscht zu werden. Ich werde an die beiden Lager in der Entwicklungslehre des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts erinnert, die
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Animalkulisten, die den ganzen Keim in den Samentierchen, und die Ovulisten, die den ganzen im Ei vorfanden. Die Theorie der Entfaltung der Kräfte im Kinde gemahnt in ihren radikalsten Äußerungen an Swammerdams »Auswicklung« des »präformierten« Lebewesens. Aber das Werden des Geistes ist ebensowenig wie das des Körpers eine Auswicklung. Die Dispositionen, die man, könnte man in Wahrheit eine Seele analysieren, in der eines Neugeborenen entdecken würde, sind nichts als Fähigkeiten, Welt aufzunehmen und einzubilden. Die Welt zeugt im Individuum die Person. Die Welt also, die ganze Umwelt: Natur und Gesellschaft, »erzieht« den Menschen: sie zieht seine Kräfte herauf, läßt sie ihre, der Welt Einwürfe fassen und durchdringen. Was wir Erziehung nennen, die gewußte und gewollte, bedeutet A u s l e s e d e r w i r k e n d e n We l t durch den Menschen; bedeutet, einer Auslese der Welt, gesammelt und dargelegt im Erzieher, die entscheidende Wirkungsmacht verleihen. Herausgehegt ist das erzieherische Verhältnis aus der absichtslos strömenden All-Erziehung: als Absicht. So wird die Welt erst im Erzieher zum wahren Subjekt ihres Wirkens. Es war eine Zeit, es waren Zeiten, wo es keine spezifische Berufung des Erziehers, des Lehrers gab und keine zu geben brauchte. Da lebte ein Meister, ein Philosoph etwa oder ein Erzschmied, seine Gesellen und Lehrlinge lebten mit ihm, sie lernten, was von seinem Hand- oder Kopfwerk er sie lehrte, indem er sie daran teilnehmen ließ, aber sie lernten auch, ohne daß sie oder er sich damit befaßt hätten, lernten ohne es zu merken, das Mysterium des personhaften Lebens, sie empfingen den Geist. Wohl gibt es solches noch, in irgendeinem Maß, wo es Geist und Person gibt, aber es ist in den Bezirk der Geistigkeit, der Persönlichkeit verbannt, es ist Ausnahme, »Höhe« geworden. Die Erziehung als Absicht ist unausweichlich berufen; wir können so wenig hinter die Wirklichkeit der Schule zurück, wie wir etwa hinter die Wirklichkeit der Technik zurückkönnen; wir können aber und sollen in das Ganzwerden ihrer Wirklichkeit, in die vollkommne Durchmenschlichung ihrer Wirklichkeit hinein. Unser Weg baut sich aus Verlusten, die heimlich zu Gewinnen werden. Das Erzieherische hat das Paradies der reinen Unwillkürlichkeit verloren und dient nun wissend am Acker um das Brot des Lebens. Es hat sich gewandelt; erst in dieser Wandlung ist es offenbar worden. Doch bleibt der Meister das Vorbild des Lehrers. Denn wenn dieser, wenn der Erzieher dieses Menschheitstags tun muß, wissend tun, soll er es aber so, »als täte er nicht«. Jenes Fingerheben, jener fragende Blick, das ist sein echtes Tun. Durch ihn tritt die Auslese der wirkenden Welt an den Zögling; er verfehlt den Empfänger, wenn er sie ihm in einer Gebärde des Eingriffs erscheinen läßt. Gesammelt muß sie sich in ihm haben; und das
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Tun aus der Sammlung hat das Antlitz des Ruhens. Das Eingreifen spaltet die ihm ausgelieferte Seele in einen gehorchenden und einen sich empörenden Teil; aber das verborgene Einwirken aus der Ganzheit des Wesens hat die gänzende Kraft. Die Welt, sagte ich, wirkt als Natur und als Gesellschaft auf das Kind ein. Die Elemente erziehen es, Luft, Licht, das Leben in Pflanze und Tier; und die Verhältnisse erziehen es. Der wahre Erzieher vertritt beide; aber dasein muß er vor dem Kind wie eins der Elemente. Freimachung von Kräften kann nur eine Voraussetzung der Erziehung sein, nicht mehr. Wir dürfen es allgemeiner fassen: es kommt der Freiheit zu, den Boden herzugeben, auf dem sich das wahre Leben errichtet, aber nicht auch das Fundament. Das gilt, wie für die innere, die »sittliche« Freiheit, so für die äußere, für die des Nichtbehindertseins, Nichteingeschränktseins. Wie die obere, die Entscheidungsfreiheit der Menschenseele, vielleicht unsere höchsten Momente, aber nicht ein Quentchen unserer Substanz bedeutet, so die untere, die Freiheit der Entfaltung, unser Werdenkönnen, aber gar nicht unser Werden. Sie ist sinnvoll als die Tatsache, von der das Erziehungswerk auszugehen hat, sie wird absurd als seine grundsätzliche Aufgabe. Man ist geneigt, diese Freiheit, die man die evolutive nennen mag, als den Gegenpol von Zwang, von Unter-dem-Zwang-sein zu verstehen. Aber der Gegenpol von Zwang ist nicht Freiheit, sondern Verbundenheit. Zwang ist eine negative Wirklichkeit, und Verbundenheit ist die positive; Freiheit ist eine Möglichkeit, die wiedergewonnene Möglichkeit. Vom Schicksal, von der Natur, von den Menschen gezwungen werden: der Gegenpol ist nicht, vom Schicksal, von der Natur, von den Menschen frei, sondern mit ihm, mit ihr, mit ihnen verbunden und verbündet sein; um dies zu werden, muß man freilich erst unabhängig geworden sein, aber die Unabhängigkeit ist ein Steg und kein Wohnraum. Freiheit ist das vibrierende Zünglein, der fruchtbare Nullpunkt. Zwang in der Erziehung, das ist das Nichtverbundensein, das ist Geducktheit und Aufgelehntheit; Verbundenheit in der Erziehung, nun, das ist eben die Verbundenheit, das ist Aufgeschlossen- und Einbezogensein; Freiheit in der Erziehung, das ist Verbundenwerdenkönnen. Sie ist nicht zu entbehren und in sich nicht zu verwenden; ohne sie gerät’s nicht, aber auch durch sie nicht; sie ist der Anlauf zum Sprung, das Stimmen der Geige. Sie ist die Konfirmation jener urgewaltigen Potentia, die zu aktualisieren sie nicht einmal anheben kann. Freiheit, oder, wie ihr rechtmäßiger altdeutscher Name ist: Freihals – ich liebe ihr aufblitzendes Gesicht: es blitzt aus dem Dunkel auf und ver-
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lischt, aber es hat dein Herz gefeit. Ich bin ihr zugetan, ich bin allzeit bereit um sie mitzukämpfen. Um die Erscheinung des Blitzes, nicht länger während, als das Auge ihr standzuhalten vermag. Um das Vibrieren des Züngleins, das zu lang niedergezogen und starr war. Ich gebe meine linke Hand dem Aufrührer und meine rechte dem Ketzer: voran! Aber ich vertraue ihnen nicht. Sie verstehen zu sterben, aber das ist nicht genug. Ich liebe die Freiheit, aber ich glaube nicht an sie. Wie könnte man an sie glauben, wenn man ihr ins Gesicht geschaut hat! Es ist der Blitz der Alldeutigkeit – der Allmöglichkeit. Um die kämpfen wir, immer wieder, von jeher, siegreich und vergebens. Freihals! Es ist wohl zu verstehen, daß in einer Zeit, in der alle überlieferten Bindungen, entartend, ihre Legitimität in Frage gestellt haben, die Freiheitstendenz sich übersteigert, das Sprungbrett als Ziel und ein funktionales Gut als substantielles behandelt wird. Auch ist es eine lasse Gefühlsamkeit, weitläufig zu beklagen, daß mit der Freiheit experimentiert wird; vielleicht gehört es zu dieser Stunde ohne Kompaß, daß Leute ihr Leben als Lot auswerfen, um zu ermitteln, welchen Grad wir befahren und wohin wir zu steuern haben. Aber eben i h r Leben! Solch ein Experiment, getan, ist ein halsbrecherisches Wagnis und unanfechtbar; beredet, in geistreichen Erörterungen, Bekenntnissen und wechselseitigen Problematisierungen beredet und zerredet, ist es ein Greuel der Auflösung. Die sich einsetzen, einzeln oder als Gemeinschaft, laßt sie springen, laßt sie vorstoßen, in die schwingende Leere, wo einem Sinne und Sinn vergehen, oder über sie hinaus zu einem Bestand; aber zu Theorem und Programm dürfen sie die Freiheit nicht machen. Von einer Bindung frei werden ist ein Schicksal; das trägt man wie ein Kreuz, nicht wie eine Kokarde. Vergegenwärtigen wir uns, was es in seiner Wahrheit bedeutet, von einer Bindung frei werden: es bedeutet, daß an die Stelle einer mit vielen Geschlechtern geteilten Verantwortung die ganz persönliche tritt. Leben aus der Freiheit ist personhafte Verantwortung oder es ist eine pathetische Posse. Ich habe die Macht genannt, die allein der leeren Freiheit den Gehalt, der schwingenden oder kreisenden die Richtung verleihen kann. An sie glaube, den Ihren vertraue ich. Dieses brüchige Leben zwischen Geburt und Tod kann doch eine Erfüllung sein: wenn es eine Zwiesprache ist. Erlebend sind wir Angeredete; denkend, sagend, handelnd, hervorbringend, einwirkend vermögen wir Antwortende zu werden. Zumeist überhören wir ja die Anrede oder schwatzen in sie hinein. Wenn aber das Wort zu uns kommt und das Antwort (so hieß es ja einst) aus uns kehrt, gibt es, wie auch noch gebrochen, das menschliche Leben auf der Welt. Die Entzündung der Antwort aus
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jenem »Fünklein« der Seele, das jeweilige Entbrennen der Antwort auf die unversehens andringende Rede nennen wir die Verantwortung. Für welchen Bereich des uns zugeteilten, anvertrauten Lebens wir zu antworten vermögen, das heißt, zu welchem wir eine Beziehung haben und betätigen, die als – in all unserer Unzulänglichkeit – rechtschaffne Antwort gelten darf, für diesen üben wir Verantwortung. Wie sehr einem dabei, von der Wirklichkeit des Fünkleins aus, möglich ist, einer überlieferten Bindung, einem Gesetz, einer Weisung zu folgen, so sehr ist ihm erlaubt, seine Verantwortung anzulehnen (mehr als Anlehnung ist uns überhaupt nicht gewährt, abgenommen wird sie uns nicht); im Maß unseres »Freiwerdens« wird uns die Anlehnung verwehrt, muß unsere Verantwortung personhaft einsam werden. Von hier aus ist das Erzieherische und seine Wandlung im Zerfall der Bindungen zu verstehen. Man pflegt das Prinzip der »neuen« Erziehung als den »Eros« dem der »alten« als dem »Machtwillen« gegenüberzustellen. In Wahrheit ist der eine ebensowenig Prinzip der Erziehung wie der andre. Prinzip der Erziehung – in einem Sinn, der noch aufzuhellen sein wird – kann nur ein Grundverhältnis sein, das in ihr seine Erfüllung findet. Eros aber wie Machtwille sind Leidenschaften der Seele, denen die Stätte ihrer eigentlichen Auswirkung anderswo bereitet ist; Erziehung kann für sie nur einen Gelegenheitsbereich abgeben, und zwar einen, der seinem Wesen nach ihrer Auswirkung eine Grenze setzt, welche nicht ohne Zerstörung des Bereichs verletzt werden kann. Konstitutiv für die erzieherische Haltung vermag der eine so wenig wie der andre zu sein. Der »alte« Erzieher war, insofern er eben Erzieher war, nicht »der Mensch des Machtwillens«, sondern er war Tradent, Tradent gesicherter, erbmächtiger Werte. Wenn der Erzieher dem Zögling gegenüber die Welt vertritt, vertrat er besonders die geschichtliche, das Gewordensein. Er war der Abgesandte der Geschichte diesem Eindringling »Kind« gegenüber, er trug ihm, wie der Papst in der Legende dem Hunnenfürsten, die Magie der historischen Geistmächte entgegen, er warf die Werte in das Kind oder zog es in sie. Der hat diesen Vorgang der Begegnung zwischen dem Kosmos der Geschichte und ihrem ewigneuen Chaos, zwischen Zeus und Dionysos, 3 nie im Geist geschaut, wer ihn auf die Formel des »Antagonismus von Vätern und Söhnen« reduziert; Vater Zeus steht nicht für eine Generation, sondern für eine Welt, für die olympische, geformte, – die 3.
In der griech. Mythologie steht der Vater Zeus für die Ordnung des Himmels (Olymp), sein Sohn Dionysos für die fruchtbaren Kräfte der Erde.
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Geschichtswelt steht der Generation gegenüber, als welche die immer wieder geschichtslose Naturwelt ist. Diese Situation der alten Erziehung wird aber leicht vom Machtwillen des Individuums benützt oder mißbraucht: weil er von der Vollmacht der Geschichte geschwellt ist. Der Machtwille wird krampfhaft und gerät ins Toben, wenn die Vollmacht zu zerfallen beginnt, das heißt, wenn die magiegewaltige Gültigkeit des Erbguts schwindet. Der Augenblick rückt dann nah, wo der Lehrer nicht mehr als Abgesandter, nur noch als Einzelner dem Schüler gegenübersteht, nur eben haftendes Atom dem wirbelnden, und wie sehr auch in seinem Denken wähnend, aus der Fülle des objektiven Geistes zu handeln, in der Wirklichkeit seines Lebens doch auf sich zurückgeworfen und verwiesen, daher sehnsüchtig. Eros erscheint. Und Eros findet in der neuen Erziehungssituation Unterkunft, wie jener andere Wille in der alten; aber so wenig wie jener ist er Träger, Grund, Prinzip. Er gibt nur vor es zu sein: um nicht als Sehnsucht, als der beherbergte Fremdling erkannt zu werden. Und viele glauben ihm. Es ist Nietzsche nicht gelungen, den Machtwillen so zu verklären, wie Platon den Eros verklärt hat. Aber unsere Sorge um die Kreatur in dieser großen Sorgenstunde hat gleicherweise bei beiden nicht auf die Mythen der Philosophen, sondern auf die Tatsächlichkeit des gegenwärtigen Lebens zu achten. Ganz verklärungswidrig haben wir einzusehen, daß Eros – nämlich nicht »die Liebe«, sondern eben er, der männliche, herrliche Eros –, was immer sonst ihm zugehören mag, eins notwendig einschließt: Menschen genießen wollen. Und daß das Erzieherische, die Sonderessenz dieses Namens, die aus keinen andern zusammengesetzt ist, eben dies ausschließt. Wie übermächtig auch ein Erzieher vom Eros heimgesucht und begeistert wird – gehorcht er ihm auch noch, wenn er erzieht, dann erstickt er das Gewächs seiner Gnaden. Eins von zweien: entweder er nimmt die Tragödie der Person auf sich und bringt das tägliche Ganzopfer dar oder das Feuer fährt in sein Werk und vernichtet es. Eros ist Wahl, Wahl aus Neigung. Erziehertum ist eben dies nicht. Der in Eros Liebende kürt den Geliebten, der Erzieher, der heutige Erzieher findet den Zögling vor. Ich sehe von dieser unerotischen Situation aus die G r ö ß e des modernen Erziehers – am deutlichsten, wo er Lehrer ist. Da betritt er den Schulraum zum erstenmal, da sieht er sie in den Bänken hocken, wahllos durcheinandergewürfelt, mißratene und wohlbeschaffene Gestalten, tierische Gesichter, nichtige und edle – wahllos durcheinander: wie die Gegenwart der Schöpfung; sein Blick, der Blick des Erziehers, nimmt sie alle an und nimmt sie auf. Das ist gewiß kein Nachfahre der alten Götter, die sich ihre Lieblinge raubten; aber er dünkt mich ein Statthalter des wahren Gottes zu sein: wenn dieser »das Licht bildet und
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die Finsternis schafft«, vermag der Mensch doch, beide zu lieben – das Licht in ihm selbst, die Finsternis auf das Licht zu. Sollte er je, um der Erziehung willen, glauben, Auswahl und Gliederung üben zu müssen, dieser Erzieher, dann wird er sich von einem andern Kriterium leiten lassen als von dem der Neigung, wie rechtmäßig dieses auch in seiner eigenen Sphäre ist; er wird sich von der Werterkenntnis seines Erzieherblicks leiten lassen. Aber auch dann steht seine Auswahl noch in suspenso, unter der steten Berichtigung durch die spezifische Demut des Erziehers, für den das Da-sein und So-sein aller seiner Zöglinge doch das entscheidende Faktum ist, dem seine »hierarchische« Erkenntnis sich unterordnet. Denn in der Vielheit und Vielfältigkeit der Kinder stellt sich ihm eben die der Schöpfung dar. Eine hohe Askese bedeutet also das Erzieherische: die weltfreudige um der Verantwortung für einen uns anvertrauten Lebensbereich willen, auf den wir zu wirken und in den wir nicht einzugreifen haben, weder machtwillig noch erotisch. Der Dienst des Geistes am Leben kann sich wahrhaft nur in dem System einer zuverlässigen, von den Gesetzen der verschiedenen Verhältnisformen bestimmten Kontrapunktik von Hingabe und Zurückhaltung, Vertrautheit und Distanz vollziehen, die freilich nicht von einer Reflexion angeordnet, sondern aus dem Wesenstakt des natürlichgeistigen Menschen aufgestiegen sein muß. Jede Verhältnisform, in der sich der Dienst des Geistes am Leben verwirklicht, hat ihre eigentümliche Sachlichkeit, ihre Struktur der Masse und Grenzen, die keineswegs der Innigkeit persönlichen Erfassens und Durchdringens widerstrebt, wohl aber der Vermischung mit den Eigensphären der Person. Wird diese Struktur und ihr Widerstreben nicht geschont, dann nimmt ein seinem Anspruch nach aristokratischer, in Wirklichkeit haltloser und fiebriger Dilettantismus überhand, dem die sakralsten Namensgebungen und Gebärden nicht über seine unvermeidliche Folgeerscheinung hinweghelfen werden: über die Zersetzung. Man betrachte z. B. das Verhältnis von Arzt und Patient. Wesentlich ist, daß es eine wirkliche, von dem Angerufenen mit der Seele erfahrene Menschenbeziehung sei; aber sowie der Helfer von der Lust angewandelt wird, seinen Pflegling – in noch so subtiler Weise – zu beherrschen oder zu genießen, oder auch dessen etwaigen Wunsch, von ihm beherrscht oder genossen zu werden, anders denn als einen der Heilung bedürftigen Fehlzustand zu behandeln, tut sich die Gefahr einer Verfälschung auf, vor der alle Kurpfuscherei peripher erscheint. Der sachlich asketische Charakter des Erziehertums darf jedoch nicht dahin mißverstanden werden, als sei es von Machttrieb und Eros so abge-
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hoben, daß keine Brücke von ihnen zu ihm geschlagen werden kann. Ich habe schon darauf hingewiesen, wie Großes der Eros dem Erzieher bedeuten darf, ohne sein Werk zu versehren. Es geht hier um die Schwelle und die Wandlung an ihr; nicht die Kirche allein hat eine probende Schwelle, an der der Mensch sich wandelt oder zur Lüge wird. Aber damit er diesen stets erneuten Übertritt von Sphäre zu Sphäre vollziehen könne, muß er ihn einmal in entscheidender Weise vollzogen und die Essenz des Erzieherischen in sich aufgenommen haben. Wie geschieht das? Es gibt eine elementare Erfahrung, die den erotischen wie den kratetischen 4 Menschen zumindest in seiner Sicherung erschüttert, die aber mitunter mehr als das tut: mit umschmelzender Wucht ins Innre des Triebes stürzt. Es gibt eine Umkehr des einzelnen Triebs, die ihn durchaus nicht aufhebt, sondern sein Richtungssystem umstellt. Eine solche Umkehr kann von der elementaren Erfahrung bewirkt werden, mit der das eigentlich Erzieherische anfängt und auf der es sich gründet. Ich nenne sie die Erfahrung der Gegenseite. Ein Mensch schlägt auf einen andern ein, der still hält. Nun geschehe es urplötzlich dem Schlagenden, daß er einen Schlag, den er führt, empfängt. Denselben Schlag. Als der andere, der Stillhaltende. Einen Augenblick lang erfährt er die gemeinsame Situation von der Gegenseite aus. Die Wirklichkeit tut sich ihm an. Was wird er tun? Er übertobt die Seele oder sein Trieb kehrt um. Ein Mann liebkost eine Frau, die sich liebkosen läßt. Nun geschehe ihm, daß er die Berührung doppelseitig verspürt: noch mit seiner Handfläche und schon auch mit der Haut der Frau. Die Zwiefältigkeit der Gebärde, als einer zwischen Person und Person sich ereignenden, zuckt durch die Geborgenheit seines genießenden Herzens und rührt es auf. Wenn er sein Herz nicht betäubt, wird er – nicht etwa dem Genuß absagen: er wird lieben müssen. Damit ist keineswegs gemeint, daß der Mensch, dem solches widerfährt, fortan in jeder Begegnung solchermaßen doppelseitig empfinden sollte – das müßte seinen Trieb vielleicht zersetzen; aber die eine extreme Erfahrung macht ihm den andern für alle Zeit präsent: es hat eine Transfusion stattgefunden, von der an eine bloße Auswirkung der Subjektivität nicht mehr möglich, dem Täter nicht mehr erträglich ist. Erst die Mächtigkeit, die umfaßt, ist Führung; erst der Eros, der umfaßt, ist Liebe. Umfassung, das ist die volle Gegenwärtigung des Unterworfnen, des Begehrten, des »Partners«, nicht mit der Phantasie, sondern mit der Aktualität des Wesens. 4.
Kratetisch, von griech. kratein »herrschen«.
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Es wäre verkehrt, das was hier gemeint ist mit dem geläufigen, aber wenig sagenden Terminus der »Einfühlung« zusammenbringen zu wollen. Einfühlung bedeutet, wenn irgend etwas, mit dem eigenen Gefühl in die dynamische Struktur eines Gegenstands, einer Säule, eines Kristalls, eines Baumasts, wohl auch einer animalischen oder menschlichen Kreatur, zu schlüpfen und sie gleichsam von innen abzulaufen, die Formung und Bewegtheit des Gegenstands mit den eigenen Muskelempfindungen verstehend; sich hinweg und hinein zu »versetzen«. Sie bedeutet somit Ausschaltung der eigenen Konkretheit, Verlöschen der gelebten Situation, Aufgehen der Wirklichkeit, an der man teilhat, in purer Ästhetik. Umfassung ist das Gegenteil: Erweitung der eigenen Konkretheit, Erfüllung der gelebten Situation, vollkommne Präsenz der Wirklichkeit, an der man teilhat. Ihre Elemente sind: erstens ein irgendwie geartetes Verhältnis zweier Personen zueinander, zweitens ein von beiden gemeinsam erfahrener Vorgang, an dem jedenfalls eine der beiden tätig partizipiert, drittens das Faktum, daß diese eine Person den gemeinsamen Vorgang, ohne irgend etwas von der gefühlten Realität ihres eigenen Tätigseins einzubüßen, zugleich von der andern aus erlebt. Ein Verhältnis zweier Personen, das in geringerem oder höherem Maß von dem Element der Umfassung bestimmt ist, mögen wir ein dialogisches nennen. Ein dialogisches Verhältnis wird sich auch in der Echtheit der Gespräche kundgeben, aber es baut sich nicht etwa aus ihnen auf. Vielmehr ist nicht bloß das Miteinanderschweigen solcher zwei Personen ein Dialog, sondern auch in ihrem räumlichen Getrenntsein lebt ihre Dialogik fort, als die stete potentielle Gegenwärtigkeit der einen für die andre, als ein äußerungsloser Verkehr. Hinwieder zieht alles Gespräch seine Echtheit nur aus dem Berührtsein von dem Element der Umfassung, sei es auch nur in dessen abstraktester Erscheinung, als »Anerkennung« des So-seins des Gesprächspartners – welche real-wirksam nur dann sein kann, wenn sie einer Umfassungserfahrung, einer Erfahrung der Gegenseite entsprungen ist. Die Umkehr des Machtwillens und die des Eros bedeutet die Dialogisierung der von ihnen bestimmten Verhältnisse; eben deshalb bedeutet sie der Eingang des Triebs in die Verbundenheit mit dem Mitmenschen und in die Verantwortung für ihn als für einen zugeteilten und anvertrauten Lebensbereich. Das Element der Umfassung, mit dessen Erkenntnis diese Läuterung anhebt, ist dasselbe, welches das erzieherische Verhältnis konstituiert. Das erzieherische Verhältnis ist ein rein dialogisches.
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Ich habe auf das Kind hingewiesen, das, halbgeschlossener Augen daliegend, der Ansprache der Mutter entgegenharrt. Aber manche Kinder brauchen nicht zu harren: weil sie sich unablässig angesprochen wissen, in einer nie abreißenden Zwiesprache. Im Angesicht der einsamen Nacht, die einzudringen droht, liegen sie bewahrt und behütet, unverwundbar, im silbernen Panzerhemd des Vertrauens. Vertrauen, Vertrauen zur Welt, weil es diesen Menschen gibt – das ist das innerlichste Werk des erzieherischen Verhältnisses. Weil es diesen Menschen gibt, kann der Widersinn nicht die wahre Wahrheit sein, so hart er einen bedrängt. Weil es diesen Menschen gibt, ist gewiß in der Finsternis das Licht, im Schrecken das Heil und in der Stumpfheit der Mitlebenden die große Liebe verborgen. Weil es diesen Menschen gibt. Und so muß denn aber dieser Mensch auch wirklich da sein, vor dem Kind wirklich, nicht bloß in dessen Seele da sein. Er darf sich nicht durch ein Phantom vertreten lassen: der Tod des Phantoms wäre die Katastrophe der ursprünglichen Kinderseele. Er braucht keine der Vollkommenheiten zu besitzen, die sie ihm etwa anträumt; aber er muß wirklich da sein. Er muß, um dem Kind in Wahrheit präsent zu werden und zu bleiben, dessen Präsenz in seinen eignen Bestand aufgenommen haben, als einen der Träger seiner Weltverbundenheit, einen der Herde seiner Weltverantwortung. Freilich kann er sich nicht in einem fort mit dem Kind befassen, weder tatsächlich noch auch in Gedanken, und soll’s auch nicht. Aber hat er es wirklich aufgenommen, dann ist jene unterirdische Dialogik, jene stete potentielle Gegenwärtigkeit des einen für den andern gestiftet und dauert. Dann ist Wirklichkeit z w i s c h e n beiden, Gegenseitigkeit. Aber diese Gegenseitigkeit – das macht die Besonderheit des erzieherischen Verhältnisses aus – kann nicht eine der Umfassung sein, obgleich die wahre Beziehung des Erziehers zum Zögling auf eben dieser gegründet ist. Kein andres Verhältnis zieht so wie dieses sein innres Leben aus dem Element der Umfassung, kein anderes aber ist wie dieses darin völlig auf die Einseitigkeit hingewiesen und büßt mit ihr sein eignes Wesen ein. Wir dürfen drei Hauptgestaltungen des dialogischen Verhältnisses unterscheiden. Die eine beruht auf einer abstrakten, aber gegenseitigen Umfassungserfahrung. Das deutlichste Beispiel dafür ist eine Disputation zweier in Artung, Anschauung, Berufung grundverschiedener Menschen, in der es sich – wie durch die Handlung eines so namenlosen wie unsichtbaren Boten – in einem Nu begibt, daß jeder die mit den Insignien der Notwendigkeit und des Sinns bekleidete Legitimität des andern gewahrt. Welch eine Er-
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leuchtung! Um nichts wird die eigne Wahrheit, die eigne Überzeugungsmacht, der eigne »Standpunkt« oder vielmehr Bewegungskreis durch sie geschmälert; keine »Relativierung« geschieht, es sei denn so zu nennen, daß im Zeichen der Grenze sich uns die urschicksalhafte Wesenheit der sterblichen Erkenntnis darstellt: erkennen heißt für uns Kreaturen, unsere, jeder die seine, Relation zum Seienden wahrhaft und verantwortlich erfüllen, indem wir all seine Erscheinung getreulich, weltoffen, geistoffen mit unseren Kräften empfangen und unserem Sosein einverleiben; so entsteht und besteht lebendige Wahrheit. Wir sind inne geworden, daß es so mit dem andern ist wie es mit uns ist; und daß uns beide keine Erkenntniswahrheit, sondern allein die Seinswahrheit und das Wahrheitsein des Seienden überwaltet. Und so sind wir Anerkennende geworden. Abstrakt habe ich diese Gestaltung genannt, nicht als ob ihre Grunderfahrung der Unmittelbarkeit entbehrte, sondern weil sie sich auf den Menschen nur als geistige Person bezieht und von der vollen Wirklichkeit seines Wesens und Lebens absehen muß. Von der Umfassung dieser vollen Wirklichkeit gehen die beiden andern aus. Von diesen die erste, das erzieherische Verhältnis, hat ihren Grund in einer konkreten, aber einseitigen Umfassungserfahrung. Wenn Erziehung bedeutet, eine Auslese der Welt durch das Medium einer Person auf eine andere Person einwirken zu lassen, so ist die Person, durch die dies geschieht, vielmehr, die es durch sich geschehen macht, einer eigentümlichen Paradoxie verhaftet. Was sonst nur als Gnade, in die Falten des Lebens eingelegte, erscheint: mit dem eignen Sein auf das Sein anderer einzuwirken, ist hier Amt und Gesetz geworden. Damit aber, daß solchermaßen an die Stelle des meisterlichen Menschen der erzieherische getreten ist, hat sich die Gefahr aufgetan, daß das neue Phänomen, der erzieherische Wille, in Willkür ausarte; daß der Erzieher von sich und von seinem Begriff des Zöglings, nicht aber von dessen Wirklichkeit aus die Auslese und Einwirkung vollziehe. Man braucht nur etwa die Berichte über Pestalozzis Unterricht zu lesen, um zu merken, wie leicht sich bei den edelsten Pädagogen die Willkür in den Willen mengt. Das liegt fast immer an einem Aussetzen oder zeitweiligen Erlahmen des Umfassungsaktes, der eben für das Erzieherische nicht bloß, wie für andere Bereiche, regulativ, sondern schlechthin konstitutiv ist, so daß es aus seiner steten Wiederkehr und dem stets erneuten Zusammenhang mit ihm seine wahre Eigenkraft gewinnt. Der Mensch, dessen Beruf es ist, auf das Sein bestimmbarer Wesen einzuwirken, muß immer wieder eben dieses sein Tun (und wenn’s noch so sehr die Gestalt des Nichttuns angenommen hat) von der Gegenseite erfahren. Er muß, ohne daß die Handlung seiner Seele irgend geschwächt würde, zugleich drüben sein, an der Fläche jener an-
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deren Seele, die sie empfängt; und nicht etwa einer begrifflichen, konstruierten, sondern je und je der ganz konkreten dieses einzelnen und einzigen Wesens, das ihm gegenüber lebt, das zusammen mit ihm in der gemeinsamen Situation, des »Erziehens« und »Erzogenwerdens«, die ja eine ist, nur eben an deren andrem Ende steht. Es genügt nicht, daß er sich die Individualität dieses Kindes vorstelle; es genügt aber auch nicht, daß er es unmittelbar als eine geistige Person erfahre und sodann anerkenne; erst wenn er von drüben aus sich selber auffängt und verspürt, »wie das tut«, wie das diesem andern Menschen tut, erkennt er die reale Grenze, tauft er in der Wirklichkeit seine Willkür zum Willen, erneuert er seine paradoxe Rechtmäßigkeit. Er ist unter allen der eine, dem die Umfassung aus einem bestürzenden und erbauenden Ereignis zur Atmosphäre werden darf und soll. Aber, in wie inniger Gegenseitigkeit des Gebens und Nehmens er auch sonst mit seinem Zögling verknüpft ist, die Umfassung kann hier keine gegenseitige sein. Er erfährt das Erzogenwerden des Zöglings, aber der kann das Erziehen des Erziehers nicht erfahren. Der Erzieher steht an beiden Enden der gemeinsamen Situation, der Zögling nur an einem. In dem Augenblick, wo auch dieser sich hinüberzuwerfen und von drüben zu erleben vermöchte, würde das erzieherische Verhältnis zersprengt oder es wandelte sich zu Freundschaft. Freundschaft nennen wir die dritte Gestaltung des dialogischen Verhältnisses, auf die konkrete und gegenseitige Umfassungserfahrung gegründet. Sie ist das wahrhafte Einander-Umfassen der Menschenseelen. Der Erzieher, der die Erfahrung der Gegenseite übt und ihr standhält, erfährt in einem beides: seine Grenze an der Anderheit und seine Gnade in der Verbundenheit mit dem andern. Er verspürt von »drüben« das Annehmen und das Verwerfen des eben Herankommenden (also das eben von ihm, dem Erzieher, aus Herankommenden), freilich vielfältig nur flüchtige Stimmung oder unsichres Gefühl, aber daraus zu erschließen ist das wirkliche Bedürfen und Nichtbedürfen der Seele; wie die Tatsache, welche Speisen einem Kind wohlschmecken, welche ihm leidig sind, dem Kundigen die Einsicht, welcher Stoffe Zufuhr dem Körper nottut, zwar nicht verschafft, aber vermittelt. Indem der Erzieher so Mal um Mal gewahr wird, was dieser Mensch in diesem Augenblick braucht und was nicht, führt es ihn immer tiefer in die Erkenntnis, was der Mensch braucht, damit er werde; aber auch in die, was er, der »Erzieher«, von dem Gebrauchten zu geben vermag, was nicht, – was schon, was noch nicht. So weist ihn die Verantwortung für diesen ihm zugeteilten und anvertrauten Lebensbereich, je und je für diese lebende Seele, auf jenes unmög-
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lich Scheinende und doch uns irgendwie Gewährte, auf die Selbsterziehung hin. Selbsterziehung aber kann hier, wie überall, nicht dadurch geschehen, daß einer sich mit sich selber, sondern dadurch allein, daß er, wissend um was es geht, sich mit der Welt befaßt. Die Kräfte der Welt, die der Zögling zum Aufbau seines Wesens braucht, soll der Erzieher aus der Welt lesen und in sich ziehen. Erziehung von Menschen durch Menschen bedeutet Auslese der wirkenden Welt durch eine Person und in ihr. Der Erzieher sammelt die aufbauenden Kräfte der Welt ein. In sich selber, in seinem welterfüllten Selbst scheidet er, lehnt ab und bestätigt. Die aufbauenden Kräfte – es sind ewig die gleichen, es ist die Welt in der Verbundenheit, die Gott zugewandte. Der Erzieher erzieht sich zu ihrem Organ. Ist dies nun das »Prinzip« der Erziehung als ihre Norm und feste Maxime? Nein; nur das principium ihrer Wirklichkeit, der Anfang ihrer Wirklichkeit, – wo immer sie anfängt. Eine Norm und feste Maxime der Erziehung gibt es nicht und hat es nie gegeben. Was man so nennt, war stets nur die Norm einer Kultur, einer Gesellschaft, einer Kirche, eines Zeitalters, der, wie alle gebundne Regung und Handlung des Geistes, auch die Erziehung hörig war und die sie in ihre Sprache übertrug. Im geformten Äon gibt es in Wahrheit keine Eigengesetzlichkeit (wenn auch zuweilen einen Eigenbau) der Erziehung; nur in dem sich entformenden. Erst in ihm, im Zerfall der überlieferten Bindungen, im kreisenden Wirbel der Freiheit ersteht die personhafte Verantwortung, die zuletzt mit ihrer Entscheidungslast keiner Kirche, keiner Gesellschaft, keiner Kultur mehr sich anlehnen kann, die einsame im Angesicht des Seienden. In dem sich entformenden Äon kommt es auf die vielgelobten »Persönlichkeiten«, die seine Scheinformen zu bedienen und in deren Namen die »Zeit« zu beherrschen verstehen, in der Wahrheit des Geschehens nicht mehr an als auf die den gewesenen echten Formen nachtrauernden und sie zu restaurieren beflißnen: nur auf die, wie auch geltungsarmen, Personen, die, jede in der tätigen Stille ihres Werkbezirks, für die Fortdauer der lebenden Substanz antworten, sie verantworten. So auch im Bereich der Erziehung. Die immer wieder vorgebrachte Frage »Wohin, auf was zu soll erzogen werden?« verkennt die Situation. Auf sie wissen nur Zeiten, die eine allgemeingültige Gestalt – Christ, Gentleman, Bürger – kennen, eine Erwiderung, nicht notwendig mit Worten, aber mit dem auf die Gestalt hin ausgestreckten Zeigefinger, die deutlich über aller Köpfen in der Luft
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steht. Das Bilden dieser Gestalt in allen Individuen, aus allen Stoffen, das ist die »Bildung«. Wenn aber alle Gestalten zerbrachen, wenn keine mehr die gegenwärtige Menschheitsmaterie einzubewältigen, einzugestalten vermag, was ist da noch zu bilden? Nichts anderes mehr als das Ebenbild Gottes. Das ist das undefinierbare, nur faktische Wohin des gegenwärtigen Erziehers, der in der Verantwortung steht. Eine theoretische Erwiderung auf die Frage »Auf was zu?« kann dies nicht sein, nur, wenn überhaupt, eine getane. Mit dem Nichttun getane. Der Erzieher steht jetzt mit in der Not, die er in der Umfassung erfährt, nur ein Stück Wegs tiefer in sie hinein. Er steht mit, nur ein Stück Wegs weiter aufwärts, im Dienst, zu dem er sprachlos aufruft, in der imitatio Dei absconditi sed non ignoti. 5 Wenn alle »Richtungen« versagen, in der Finsternis über dem Abgrund ersteht die Eine wahre Richtung des Menschen, auf den schöpferischen Geist, auf den allüber den Wassern brütenden Gottesbraus zu – den, von dem wir nicht wissen, von wannen er kommt und wohin er fährt. Das ist die wahre Autonomie des Menschen, das Erzeugnis der Freiheit, die nicht mehr verrät, sondern verantwortet. Der Mensch, das Geschöpf, welches Geschaffnes gestaltet und umgestaltet, kann nicht schaffen. Aber er kann, jeder kann sich und kann andere dem Schöpferischen öffnen. Er kann den Schöpfer anrufen, daß er sein Ebenbild rette und vollende.
5.
Imitatio Dei absconditus sed non ignoti, lat. »Nachahmung des verborgenen aber nicht unbekannten Gottes«.
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Volkserziehung als unsere Aufgabe Referat gehalten auf dem XXI. Delegiertentage 1 Ich habe das Thema des von mir angemeldeten Referates genannt: »Volkserziehung als unsere Aufgabe«. Ich hätte es vielleicht präziser nennen können: »Volkserziehung als unsere Notwendigkeit«. Wobei ich mit dem Wort »unsere« meine: der Zionisten. Also die Notwendigkeit der Zionisten um der Erreichung des zionistischen Ziels willen. Volkserziehung tut unerläßlich not, damit wir unser Ziel erreichen. Wir haben uns allzu lange einem Irrtum hingegeben, von der Art jener, die man als so selbstverständliche Wahrheit behandelt, daß man ihnen gar nicht mehr ins Gesicht sieht und daher keine Gelegenheit hat zu bemerken, daß es ein Irrtum ist. Es handelt sich um einen historisch-soziologischen Irrtum ganz allgemeiner Art, den nämlich, daß eine nationale Aktion sich naturgemäß über mehrere Generationen erstrecke. Soweit wir von der Geschichte zu lernen haben, d. h. so weit wir überhaupt analogisch zu denken haben, mit dieser Einschränkung also erfahren wir, daß eine nationale Aktion, der Handlungskomplex, in dem sich eine nationale Bewegung entscheidend, gesellschaftsändernd äußert, nicht mehrgeschlechtig ist: unter Geschlecht verstehe ich, was hebräisch Dor heißt, also nicht eine Generation, sondern die Gesamtheit der irgendwann gleichzeitig lebenden Generationen. Keine nationale Aktion reichte bisher über einen solchen Dor hinaus. Es muß nachdrücklich unterschieden werden zwischen der Lebensdauer einer Aktion und der einer Bewegung. Bewegung ist freilich eine Sache mehrerer, vieler Geschlechter. Eine Bewegung wächst durch viele Generationen an, bis sie sich tätig ausspricht in der Aktion. Und sie kann über die Einzelaktion hinaus, wenn und insofern diese das Ziel der Bewegung nicht verwirklicht hat, fortbestehen, sie kann in einem späteren Geschlecht eine neue Aktion erzeugen. Das ist psychologisch leicht einzusehen. Aktion bedeutet den Ausbruch einer kollektiven Leidenschaft, die mit der ganzen Macht der persönlichen wirkt. In dem Augenblick, wo die nationale Bewegung zur Aktion wird, im Augenblick der Eruption, reißt die aufsteigende Leidenschaft der Gemeinschaft alles individuale Leidenschaftselement mit; sie durchbricht 1.
[Anm. Druckvorlage:] Die vorliegende Fassung enthält im Schlußteile Bemerkungen, die Dr. Buber nach der Erstattung des Referates in der Aussprache gemacht und bei der Durchsicht des Stenogramms eingefügt hat. Im ersten allgemeinen Teil sind Wiederholungen und Erläuterungen, die für den Hörer, nicht aber für den Leser wichtig sind, weggelassen worden. – Red.
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den Damm des Privatinteresses, der von ihr erfaßte Mensch handelt nicht etwa bloß außerhalb des ihm eignen Zusammenhangs privater Bedürfnisse, Neigungen und Widerstrebungen, sondern sogar gegen diesen Zusammenhang, bis in die äußerste Steigerung, bis ins Opfer des Lebens. Es scheint geradezu im Wesen dieser aktiven Leidenschaft zu liegen, daß sie das von ihr erfaßte Geschlecht nicht überdauert. Denn es kann wohl einen Durchbruch geben, in dem die Welle des Gemeinschaftlichen über alles hinwegströmt, was privates Leben ist. Aber das ist nicht die Atmosphäre, in der Menschen aufwachsen, ihren Beruf sich erwählen und ihm nachgehen, Ehen schließen und Kinder erzeugen, es ist nicht die Atmosphäre, in der die Menschen ihr normales Leben ableben, d. h. also, es ist nicht eine, die im natürlichen Fortgang sich von Geschlecht zu Geschlecht übermittelt. Das ist die Lehre der Geschichte. Nun könnten wir ja sagen: Wohl, es gibt eben Epochen in einer Bewegung, wo die Aktion zurücktritt, passive oder halbpassive Zeiten einer Bewegung, und damit müssen wir uns abfinden. Aber das dürfen wir nicht sagen. Zum Unterschied von anderen nationalen Bewegungen sind wir nicht in der Lage, uns die Ausspannung solcher Passivitätszeiten zu erlauben. Jene anderen sind nämlich in der Normalität fundiert. Wenn es keine Aktionen gibt, so gibt es, weil das territoriale Zusammenleben des Volkes besteht, weil seine gesellschaftlichen Vereinigungen, seine mehr oder minder geschlossene Wirtschaft, seine mehr oder minder festgefügte organisch-kulturelle Einheit fortbesteht, immer noch genug andauerndes Leben der nationalen Bewegung, wenn auch die Aktion aussetzt. So ist es bei uns nicht. Wenn wir die Aktion, die eine der ganzen Gemeinschaft zugehörige Aktion, den Aufbau Palästinas nicht haben, dann weiß ich nicht, was wir noch an einheitlicher nationaler Bewegung haben. Ich verkenne weder die Bedeutung unserer kulturellen, noch die unsrer wirtschaftlichen Institutionen, aber sie entbehren der organischen Einheit so sehr, daß aus ihnen allen sich die Volksbewegung in ihrer Vitalität, die durchaus lebendige Einheitsfunktion bedeutet, nicht zu erhalten vermag. Ganz abgesehen also davon, daß wir im L a n d unsere Positionen, wenn wir sie nicht ausbauen, verlieren, ist unsere nationale Bewegung diejenige, die in ihrer Aktion nicht aussetzen darf, ohne als Bewegung aufzuhören. In allen anderen Bewegungen besteht, mit Ausnahme der Aktionsepoche, in der der Damm des Privatinteresses durchbrochen wird, eine weitgehende Harmonie der nationalen und der privaten Interessen, auch in fremdstaatlichem Gebiet. Der Einzelne braucht nur seine Sprache zu sprechen, seine wirtschaftlichen Assoziationen zu festigen, seine natürlichen Gemeinden auszubauen, seine Geselligkeit zu pflegen; er braucht
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gar nicht auf die Tribüne, geschweige auf die Barrikaden zu gehen, er lebt sein Leben als Pole, Tscheche, Ire, sein persönliches Leben, – und eben damit dient er der nationalen Bewegung. Bei uns dagegen fordert diese vom Einzelnen eine Art zu leben, die in vielem anders ist als die, welche sich aus dem Privatinteresse ergibt. Man mag darauf antworten, es gäbe doch Interessen höherer Art, es gäbe doch das persönliche Judenleid, das Fremdheitsgefühl des jüdischen Menschen in einer nichtjüdischen und vielfältig gegenjüdischen Welt, und das von ihm immer wieder eingegebene Verlangen zu seiner Überwindung in einem eigenen und einigen Leben. Aber wir können keineswegs sicher sein, daß dieses persönliche Judenleid über die Generationen hinaus den Einzelnen immer wieder zum aktiven Zionismus, zur Teilnahme an der nationalen Aktion führen wird. Sehr zu Unrecht gilt es bei uns als Selbstverständlichkeit, daß dies immer weiter so gehen werde. Wir haben die Vorstellung, daß die beiden Typen, die wir für die nationale Aktion brauchen, der Chaluz 2 dort und der Helfer3 hier, diese beiden Grundpfeiler unsrer Aktion immer wieder fertig geliefert werden. Aber in Wahrheit besteht keinerlei Sicherheit dafür und das ist schon heute zu merken. Es ist nicht so, daß das Judenleid unter dem Einfluß unsrer Propaganda aktive Zionisten aus der Retorte hervorbringe. Wie die kollektive Leidenschaft nachläßt, wächst die Macht eines Akkomodationsprozesses, der es den Leuten ermöglicht, ihr Judenleid und ihre Reaktion darauf innerseelisch zu erledigen, in irgendwelchen ethischen und ästhetischen Formen. Es gibt verschiedene Arten von Judenschmerz, der sich gut trägt, verschiedene Judenschmerzmoden, aber nichts zwingt diesen Schmerz, sich zu aktivieren. Und wo erst einmal eine sanktionierte Flucht vor der Tat besteht, da ist bald ihre mitreißende Kraft kaum geringer, als die der aktiven Leidenschaft war. Dieser Situation gegenüber handelt es sich für uns darum, unsere nationale Aktion dadurch zu erhalten, daß wir sie zum t r a d i e r b a r e n We r k , zum überlieferbaren, überlieferten, kontinuierlichen Werk von mehreren, von vielen Geschlechtern machen; das heißt, daß wir das Außerordentliche zur Ordnung und den Durchbruch zur konstanten Dynamik machen; daß wir die Teilnahme am Geschlechterwerk der Gemeinschaft in die Atmosphäre einer neuen Normalität einziehen lassen. Die Lehren der Geschichte gelten so lange, als der Mensch oder die Menschengruppe sich nicht entschließt, die Geschichte zu korrigieren. Wagen wir das Analogielose zu tun, und wir haben ein Faktum eingesetzt, 2. 3.
Chaluz, hebr. »Pionier«. Unter Helfer versteht Buber in dieser Phase der zionistischen Bewegung die zionistischen Aktivisten in der Diaspora.
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um das nunmehr die Lehre der Geschichte sich bereichern kann. Ich glaube, daß es möglich ist, die nationale Aktion, die historisch immer das Werk eines Dor 4 ist, über mehrere Dorot hinaus lebendig zu erhalten, vielmehr immer neu wiedergeboren werden zu lassen, immer wieder hervorquellen zu lassen aus neu erwachsenden Geschlechtern. Die zwei Menschentypen, die wir brauchen, der Pionier und der Helfer, entstehen, ich wiederhole es, nicht von selbst, auch nicht aus der Vermählung von Judenleid und Propaganda. Ich darf mich auf die Erfahrungen unserer vortrefflichen, hingegebnen Sprecher und Herzensbeweger berufen: sie bekommen es Mal um Mal zu spüren, daß heute nicht mehr, wie vor zehn Jahren, der ganze Mensch ergriffen wird. Nicht etwa, als ob das Wort nicht auch heute bezwänge, aber es verwandelt nicht mehr wie einst. Die lebensändernde Funktion der Propaganda hat nachgelassen. Man wird mir wohl nicht das Wachsen unserer Geldmittel entgegenhalten wollen: allzu häufig drängt sich der Eindruck auf, daß Leute ihre Seele loskaufen. Es müßte so sein, daß das Geld nicht das erste ist, was sie geben, sondern das zweite: sie müssen zuerst sich selbst hergeben und dann erst das Geld. Unsere Propagandisten sind nicht schlechter geworden, eher besser, aber ihr Sprechen trifft nicht mehr in dem Maße, wie vor zehn Jahren, auf eine potentielle Aktion der Seele. Es war eben die Potenz des Dor, der großen Stunde der nationalen Aktion. Um die Fortdauer zu erlangen, die die Geschichte uns versagen zu müssen glaubt, bedarf es einer Macht, die eine größere und anhaltendere Gewalt der Umwandlung hat als die Propaganda, die in die ruhende Substanz der Seele dringt und sie bildnerisch erfaßt. Diese Macht ist es, die ich als Volkserziehung bezeichne. Wir müssen die heranwachsenden Geschlechter einfügen in den Dienst einer Idee, die Tradition schaffend und Tradition zeugend ist, einer Werkidee: der Idee des Werkes der ganzen Gemeinschaft, in das Geschlecht und Geschlecht hineinwächst, Teile des wachsenden, sich verzweigenden Werkes übernehmen, die auf es, auf dieses neue Geschlecht warten. Diese lebendige Werkidee, diese Tradition nationalen Bewußtseins und Werkwillens und, was besonders dazugehört, nationaler Werkbefähigung, das ist es, was wir wirksam zu machen haben und nicht durch die aufrührenden Einwirkungen der Propaganda allein, nur mit Hilfe der aufbauenden Einwirkungen der Erziehung wirksam zu machen vermögen. Werktradition muß erstehen als Erhaltung eines großen Aktionszusammenhangs, und zwar in diesen beiden sich stets erneuernden Aktionspfeilern, dem echten Pionier und dem echten Helfer, – welcher übrigens kaum weniger 4.
Dor, hebr. »Generation«, »Geschlecht«.
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eine aus der Ganzheit des Wesens leidenschaftlich hingebende Person zu sein hat als der Pionier. Eine solche Werktradition kann geschaffen werden nur durch Anknüpfung an eine Seins-Tradition, das heißt: an eine lebendige Überlieferung, die sich nicht in Inhalten und nicht in Formen allein, die sich vielmehr im Sein, im Dasein lebender jüdischer Menschen darstellt und aus ihnen wirkt. Nur solche Menschen vermögen wahrhaft in die Werktradition einzuführen; nur solche Menschen, in denen die Erkenntnis ganz ins personhafte Sein eingegangen ist, aus dem Sein sich erwahrt und an ihm sich bewährt, vermögen die große Voraussetzung des Glaubens an das tradierte Werk, die elementare Erkenntnis des Subjekts dieses Werkes zu erwecken und zu erziehen. Ich meine Erkenntnis durch das ganze Wesen, nicht durch Denkfunktionen allein, eine elementare Erkenntnis also dieser Gemeinschaft, des Judentums, als einer Gemeinschaft, die dieses Werk – den Neubau, die Neuzeugung ihres Landes – nicht etwa sich vornimmt, sondern in ihrem Wachstum hervorbringt aus diesem Augenblick ihres Schicksals mit einer Notwendigkeit, die wir freilich erst durch unsere Tat als Notwendigkeit kundtun. Denn so sind in der Wirklichkeit eines Volksschicksals Notwendigkeit und Freiheit miteinander verknüpft: alles vollzieht sich aus innerstem Werden, und doch wird dieses Werden immer neu aus der freien Entscheidung jedes neuen Geschlechts, aus der unsern, ermächtigt. Es gibt keine automatische Notwendigkeit der Entwicklung, sondern nur diese, und wir können uns ihr hingeben oder uns ihr versagen: wir können sie manifestieren oder sie verstummen lassen. Diese Anknüpfung an eine Seinstradition und an die sich durch sie übermittelnde elementarwerkhafte Erkenntnis des Judentums als einer dieses Werk in der Späte und doch Frühe ihrer Tage hervorbringenden Gemeinschaft kann sich nur verwirklichen durch Verknüpfung der Generationen in einem Lehren und Lernen. Aber das genügt noch nicht: es muß hinzugefügt werden, durch eine nicht bloß beiläufige, improvisierte und also nicht bauende, vielmehr durch eine i n s t i t u t i o n e l l e Lehrverknüpfung der Generationen. Durch Schaffung von dauernden Institutionen, in welche und durch welche Repräsentanten der Seinstradition lehren: Sinn und Richtung der lernenden Generation mitbestimmen. Die Generation einer nationalen Bewegung, die nicht in eine Überlieferung des Lehrens und Lernens eintritt, wird auch keine einzusetzen imstande sein. Die nicht Söhne zu sein verstanden, verstehen nicht Väter zu sein. Daraus ist zu verstehen, weshalb die Jugendbewegung die Aufgabe, von der ich spreche, nicht erfüllen kann. Ihre Führer sind nicht Dasein und Lehre überliefernde Menschen, die Folge ihrer Generationen nicht einge-
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schaltet in den großen Zusammenhang der Geschlechter, sie selber mehr in sich kreisend als von einem Gewesnen und Seienden zu einem Seienden und Kommenden hinströmend. Das ist auch der Grund, weshalb wir von den, oft herrlich lebendigen, Generationen der Jugendbewegung – der jüdischen ebenso wie etwa der deutschen – eine nach der anderen verschwinden sehn, als habe sie nie in begeisterter Gegenwart gelebt. Wenn sich die Aufgabe, von der ich spreche, nur in einem Zusammenhang der Lehrenden und Lernenden erfüllen kann, so darf dies aber nicht so aufgefaßt werden, als ob ihr der Unterricht, auch wenn er mehr als eine bloße Übermittlung von Kenntnissen ist, Genüge tun könnte. Wenn ein Lehrer mit Schülern, ohne mit ihnen sonst zusammenzuleben, ohne die Vielfältigkeit der Tage mit ihnen zu teilen, zu bestimmten Stunden zusammenkommt, um sie zu »unterrichten«, wird sich daraus nur ausnahmsweise eine aufbauende Wirkung ergeben: die Berührung ist zu momentan und abreißend, und sie ist zu zweckhaft. Aufgeschlossenes, aufgelockertes Seelen-Erdreich gibt es nur in den Gnaden des Vonungefähr. Ganzheit des Wesens wirkt da auf Ganzheit des Wesens ein, wo sich der Erzieher und seine Zöglinge eben nicht mit Teilen nur ihres Daseins, jener eben a l s der Lehrende, diese als die Lernenden gegenüberstehn, wo ihr Zusammensein nicht von vornherein völlig durch seinen Zweck determiniert ist, sondern wo sie in der Ganzheit eines gemeinschaftlichen Lebens, und wenn es auch nur Monate dauert, miteinander verweilen; und wo alle Absicht der Belehrung tief eingetaucht ist in das Unwillkürliche. Denn was die eigentliche, die elementare bauende Wirkung tut, ist das U n w i l l k ü r l i c h e des Menschen. Am tiefsten erzieherisch ist er nicht da, wo er zu lehren unternimmt, sondern wo er es selber nicht merkt, daß ers tut, oder erst merkt, nachdem ers getan hat. Gewaltiger, als was ihm sein Lehrwille eingibt, wirkt, wenn er nur »einfach da ist«, denn da wirkt eben, w a s e r i s t . Die intellektuelle Einwirkung, der Unterricht, ist keineswegs unwichtig, aber wichtig ist er eben dann, wenn er von einer wirklichen menschlichen Existenz als eine ihrer Äußerungen aufsteigt. Auf unsere Sache angewandt: von einer wirklichen menschlichen und jüdischen Existenz, von einem Menschen, der mit der Ganzheit seines Wesens die Seinstradition darstellt und von ihr aus die Werktradition aktualisiert. Als die Z e n t r e n der Volkserziehungsarbeit, die ich meine, denke ich mir – ich behalte den geläufigen Terminus vorläufig bei, obgleich er das, was ich im Sinne habe, nicht hinlänglich zum Ausdruck bringt – eine Art von Volkshochschulheimen, die in Palästina mit den städtischen und anderen Kursen zu einer einheitlichen Landes-Volkshochschule vereinigt sind, wogegen sie in der Diaspora, wo ihre Errichtung sich als möglich
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erweist, mehr vereinzelt bestehen müßten. Ich gehe dabei von den um die Mitte des 19. Jahrhunderts von dem großen dänischen Patrioten Grundtvig begründeten ländlichen Volkshochschulen aus, die in unserer Zeit, insbesondere in Deutschland seit 1913, ausgestaltet und umgebildet worden sind und durch unsere besondere Zielsetzung eine weitere tiefgreifende Modifikation erfahren müssen. Vorbildlich bleibt an ihnen, daß die jungen Leute (ich denke an solche etwa von 16 bis 23) jeweils etwa ein halbes Jahr lang mit den Lehrern auf dem Lande zusammenleben. Stärker als die dänische hat dann die deutsche Volkshochschulbewegung gemeinsame geistige mit gemeinsamer körperlicher Arbeit (insbesondere Gartenbau) und beide mit Spiel abwechseln lassen; wobei aber nicht außer Acht gelassen werden darf, daß auch das Mahl und die Geselligkeit in der Gemeinschaft einen starken Anteil am Gesamtwerk der Anstalt haben. Das Wesen einer solchen Institution, wenn sie ihrem Sinn gerecht wird, zeigt sich am deutlichsten, wenn das einfache Gespräch über ein Tagesgeschäft unversehens, ganz absichtsfrei, ausgreift, in die Weite und in die Tiefe hinein, und zu einer reinen, echten Belehrung, und zwar nicht zu sehr zu einem Belehren und Belehrtwerden, als vielmehr zu einem gemeinsamen Suchen und Finden der Lehre wird, den Lehrer kaum weniger überraschend als den Schüler. Aber noch größer fühlt man, was hier lebt und wird, wenn etwa an einem Abend am Waldrand, gemeinschaftliches Schweigen waltet und im Schweigen das Unaussprechliche Sein und Vertrauen. Solche Volkshochschulheime, zu Stätten eines jüdischen Menschentums geworden, meine ich als die Kerne, die institutionellen Knotenpunkte der Generationen-Verknüpfung, in der allein der Menschentypus, den wir brauchen, erzogen werden kann. Über die Fragen der Unterrichtsmethodik, über die ich in den zwölf Jahren, seit ich mich mit dem Gegenstand ernstlich befasse, viel nachgedacht habe, hoffe ich mich bald vor einem zuständigen Forum eingehend äußern zu können, ebenso über die für uns besonders wichtige Frage, in welcher Weise der »allgemeine« und der »jüdische« Unterricht miteinander zu verbinden sind. Hier, wo ich nur eine erste grundsätzliche Einführung zu geben beabsichtige, will ich nur darauf hinweisen, daß eine allzu strenge Abgrenzung der Lehrfächer dem Wesen der Institution widersprechen will, die ja keine university extension, keine Popularisierung der Universitätsbildung sich zum Ziele setzt, sondern den besondern Menschen eines besondern Werks, den sie ausbilden will, mit dem Wissen auszustatten, das er für ein Werk braucht. Sowohl in dem Was als im Wie, in der Auswahl der Gegenstände und in der der Methoden muß stets an das Konkrete angeknüpft werden, was der Ort, in dem man lebt,
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die Bedingung, unter denen man lebt, die Tätigkeit, die man erwählt hat oder erwählen will, von einem fordern. Innerhalb dessen soll die Auswahl der Lehrgegenstände, ebenso wie die Methode bestimmt sein von dem Streben, selbständige Geistestätigkeit mit lebendiger Überlieferung zu vereinen. Und ich glaube, daß sowohl in den Naturwissenschaften, wie in den Geisteswissenschaften solche Methoden gefunden werden können, ja gefunden sind. Auch zur Frage der Verbindung von »Allgemeinem« und »Jüdischem« kann ich hier nur ein Wort sagen: sie darf kein Nebeneinander, sie muß ein Ineinander bedeuten. Das ergibt sich in Palästina gleichsam von selbst, in der Diaspora muß es zur bewußten Richtschnur unserer Arbeit werden, in der sich die Werkidee methodisch darstellt. Ich habe schon gesagt, daß, was ich vorschlage, sowohl für Palästina wie für die Diaspora gilt. Es sind nicht zwei Sachen, sondern es ist eine gemeinsame Sache, und die Institution, die wir für Palästina aufzubauen haben, die palästinensische Landesvolkshochschule, und die Institutionen, die etwa in dem einen oder anderen Land der Diaspora realisiert werden können, bilden einen einzigen Zusammenhang, weil es sich eben nicht um allgemeine Erziehung handelt, sondern um Heranbildung dieses zweifachen Menschentypus, den wir für unsere nationale Aktion brauchen. Unsre palästinensische und unsre Diaspora-Volkserziehungsarbeit sind durch ihre einheitliche Aufgabe und ihre einheitliche Struktur verbunden; sie müssen stets auch verbunden bleiben, soweit es möglich ist, durch lebendigen Austausch von Menschen und von Erfahrungen. Ich betone dies immer wieder: es gilt nicht eine allgemeine Bildung, sondern es gilt diese besondere Heranbildung des Menschen, den wir brauchen. Unsere Erziehungsarbeit unterscheidet sich vielleicht von aller anderen Erziehungsarbeit der gegenwärtigen Welt dadurch, daß sie ein exakt bestimmbares Wohin, Woraufzu hat. Ich weiß nicht, ob irgendeine andere Gruppe der Welt diese Frage heute zu beantworten imstande ist: woraufhin erziehen wir? Welcher Mensch ist das Ziel unserer Erziehung? Wir aber wissen, welche Art Menschen es sind, die wir brauchen, für die Taten, die von uns getan werden wollen, zu diesen Taten fähige und bereite Menschen; wir können ihr Bild zeichnen; und wir wissen, was wir tun müssen, damit solche Menschen immer wieder entstehen. Diese besondere Erziehung für eine die Dorot umfassende gesamtnationale, einzigartige Aktion ist unsere Aufgabe, unsere Notwendigkeit. Ich sagte schon, daß die Volkshochschulheime nur als Zentren, als Kerne, als Knotenpunkte dieser unsrer Arbeit zu verstehen sind. Sie sind die Stätten der »intensiven« Volkserziehungsarbeit, der Arbeit an verhältnismäßig wenigen, die aber die eigentlichen Träger der Werktradition, der Kontinuität werden sollen. Von diesen Zentren aus soll sich aber eine stete
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Ausstrahlung in die mehr »extensive« Arbeit hineinvollziehen. In der Diaspora ist eine stete und innige Fühlung mit den jüdischen Lehrhäusern und Volkshochschulen erwünscht. Aber weit enger muß der Zusammenhang in Palästina sein. Die Landesvolkshochschule soll dort dreierlei umfassen: die ländlichen Heime, die städtischen Lehrhäuser und die Wanderkurse. Die Menschen, die an den Heimen wirken, sollen von Zeit zu Zeit in die Städte gehen und deren Vorlesungen und Übungen mit dem Geist des Zusammenlebens erfüllen. Sie sollen auch in die Wanderkurse gehen. Sie sollen eine Zeit haben, wo sie von einer Siedlung zur andern wandern und die Menschen um sich versammeln, die sich aus Zwangsgründen der Wirtschaft an der intensiven Volkshochschularbeit nicht beteiligen könnten. Schon daraus ergibt sich, daß die Arbeit in Palästina streng zentralisiert werden muß. Freilich denke ich nicht daran, daß etwas oktroyiert werden könnte. Alles muß unter aktiver Beteiligung aller Schichten, insbesondere der Arbeiterschaft stattfinden, aber ebenso einheitlich am Aufbau. Es muß eine Landesinstitution werden, die ihre Leute heranbildet, ihre Führer entsendet in die verschiedenen Arbeitsbezirke, in die ländliche, die städtische und die Wanderarbeit. Ich glaube Ihnen nicht sagen zu müssen, daß unsre Aufgabe in Palästina besonders schwer ist. Es handelt sich dort um die Bewältigung des verschiedenartigsten Menschenmaterials, zum Teil eines Menschenmaterials, das der Erziehung zu dem Menschentypus, den wir brauchen, aufs äußerste widerstrebt. Diese Aufgabe kann nur durch eine große einheitliche Organisation bewältigt werden. Zum Schluß will ich etwas erwähnen, das nicht unerwähnt bleiben darf: das Verhältnis einer palästinensischen Landesvolkshochschule zur Universität. Sie wissen, daß wir in Palästina eine Universität haben, das heißt, wir haben sie und haben sie nicht. Wir haben eine Anzahl von Forschungsinstituten, die mehr oder weniger im Aufbau begriffen sind, und deren Zusammenfassung, deren Gesamtheit man getrost im Hinblick darauf, daß sie einen Rahmen für spätere Entwicklung abgeben, eine universitas nennen kann. Aber ich wünsche durchaus, daß diese universitas von Forschungsinstituten sich nicht allzuschnell zu einer Universität im europäischen Sinne auswachsen möge. Bei allem, was in Palästina an Institutionen überhaupt, und insbesondere an kulturellen Institutionen, geschaffen werden soll, muß man immer einen Gesichtspunkt unverrückbar vor Augen behalten: wir haben jeweils nur das zu schaffen, was das wirkliche Interesse des palästinensischen Jischuw verlangt und in dem Maße, wie dies Interesse es verlangt. Man soll sich nicht danach richten, was andere Völker haben und wir also auch haben sollten, nicht ausgehen davon, daß wir dort einige schöne Veranstaltungen ausstellen müssen für
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die abendländischen Touristen, sondern wir haben zu fragen, und zwar Jahr um Jahr neu: wie weit ist es mit dem werdenden Volk in Palästina? welche Stunde seines Werdens ist diese? was wird also heute schon gebraucht? Forschungsinstitute zu seiner Erschließung, Sanierung, Erforschung braucht das Land; eine »Universität«, die alljährlich soundsoviele Leute mit fertigen Diplomen und Titeln in die Welt entsendet, in die Welt, nicht nach Palästina, denn die palästinensische Gesellschaft kann sie nicht aufnehmen, braucht das Land nicht. Was es aber über alles braucht, das ist eine Institution wirklicher Volkserziehung, nicht für einzelne Schichten mit einem Bildungsprivileg, sondern, wie der Name Volkshochschule sagt, für das ganze werdende Volk.
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Philosophische und religiöse Weltanschauung Das Wort »erkennen« wird in einem zweifachen Sinn gebraucht: 1. Nach dem üblichen Sprachgebrauch heißt »erkennen« soviel wie »ein Ding betrachten als Gegenstand«. Ihm liegt das Verhältnis von Subjekt und Objekt zugrunde. (Philosophische Weltanschauung.) 2. Einen anderen Sinn hat das Wort »erkennen« in dem biblischen Satze: »Adam e r k a n n t e sein Weib Eva.« Hier ist die Beziehung von Wesen zu Wesen gemeint, in der wirkliches E r k e n n e n v o n i c h u n d d u geschieht, nicht aber von Subjekt zu Objekt. Dieses Erkennen begründet die religiöse Weltanschauung. Der erste Akt des Erkennens, die philosophische, ist zwar eine unabwendbare Notwendigkeit und Pflicht der menschlichen Existenz. Sie gewährleistet die Denkkontinuität, durch die der Mensch seine Sonderstellung in der Natur erwirbt, sie begründet den Erfahrungs- und Denkzusammenhang der Menschheit. Aber sie erkauft durch den Verzicht auf die dauernde Ich-Du-Beziehung, sie vermag insbesondere keine Gemeinschaft zu stiften. Subjekt und Objekt sind notwendige Kunstprodukte des Denkaktes. Das lebendige Zueinander kennt diese Scheidung nicht. Der Mensch, der im Subjekt-Objekt-Verhältnis erkennt, also vor allem der philosophische Mensch, beginnt damit von seiner k o n k r e t e n S i t u a t i o n e n abzusehen. Die Philosophie ist die Anwendung dieses SubjektObjekt-Verhaltens auf den Totalitätszusammenhang des Seins. Sie ist gegründet auf den Glauben an die Allmacht des Denkens, sie totalisiert damit das Partielle, die Teilfunktion des Denkens. Kants bahnbrechende Entdeckung war es, daß wir im Subjekt-Objekt-Erkennen, also im philosophisch-wissenschaftlichen Erkennen, nur das erkennen, was in unseren Denkkategorien vorher geformt ward. Auch die Phänomenologie betrachtet nur die Denkgehalte in ihrer Determiniertheit als Denkgehalte, sie ist die Praxis zu der Kantschen Erkenntnistheorie. Echte Intuition vollzieht sich an dem Punkt der A b l ö s u n g aus der Ich-Du-Beziehung, also schon als philosophische Erkenntnis. Die großen Denksysteme sind nun deshalb aber nicht fiktiv: sie sind Bekundungen w i r k l i c h e r Denkbeziehungen zum Seienden. Aber sie können nur möglich werden durch Herstellung des Objekt-Subjekt-Verhältnisses, also durch das Eintreten in die sterbliche Erkenntnispflicht. Das Sein, insofern es sich den menschlichen Denkgehalten zuteilt, ist a u c h im Denken des Menschen, und der erkennerische Geist ist ein Funke des Pneuma, wenn auch ein abgelöster Funke – Geist in der Haltung der Selbstanschauung. Denn bei aller Pflicht zu diesem Denken
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bleibt bestehen: a l l e s wissenschaftliche und philosophische Denken zerreißt im Akt des Absehens nicht bloß die Ganzheit der konkreten Person, sondern es reißt auch Gott und Mensch auseinander. Geschichtswissenschaft z. B. wird mit Notwendigkeit getrieben als ob es kein Wirken Gottes gäbe. Wenn ernst gemacht wird mit der Anerkennung des Wirkens Gottes in der Geschichte, ist Geschichtswissenschaft nicht möglich, nämlich in der Situation dieses Ernstmachens. Es gibt ein gläubiges Wissen um das Wirken Gottes in der Geschichte, aber nicht innerhalb der Philosophie und Wissenschaft: es gibt keine Gläubigkeit, innerhalb der wissenschaftlichen Haltung. Religionsgeschichte hat es nicht mit dem Wirken Gottes, sondern mit Religion als m e n s c h l i c h e r Lebensäußerung zu tun; nicht mit der göttlichen Seite der Geschichte, sondern mit dem Material der religiösen Erfahrung. Die Legitimität der Wissenschaft ist darauf gegründet, daß sie nichts von jenseits der Wissenschaft in die wissenschaftliche Betrachtung einbezieht. Aber erlaubt und aufgegeben ist dem Wissenschaftler der Hinblick auf seine Grenze, der Ausblick auf die konkrete Situation und auf das konkrete göttliche Wirken. Wenn die Wissenschaft diesen echten Blick auf ihre Grenze hat, wenn sie also weiß, was sie tut und ihre Grenze nicht überschreitet, dann verliert sie zwar nicht die Problematik des Subjekt-Objekt-Verhältnisses, aber sie bleibt doch eingestellt in die Beziehung von Ich und Du und entgeht dem besonderen Sündenfall des Denkens unserer Zeit: der falschen Autonomie, der Verhärtung vor Gott. Jenseits dieser Grenze von Philosophie und Wissenschaft, einzig und unableitbar erhebt sich das Einmalige des mir von Gott zugereichten Welt-Konkretums: die ewige Schöpfung in jedem Augenblick. Diese religiöse Situation, die mich antritt, ist nicht vorsehbar und vorwißbar, daher in keine religiöse Weltkontinuität und in keine religiöse Weltanschauung einzufangen. Ich muß in die religiöse Situation e i n t r e t e n , muß im Angesicht des zugereichten Weltkonkretums s t a n d h a l t e n . Wenn die Philosophie, auch jede Religionsphilosophie auf die Objekt-SubjektBeziehung als das Sein gerichtet ist, auf sie reflektiert, so ist Religion nicht auf die Beziehung gerichtet, sondern auf das Du; sie ü b t die lebendige Beziehung des Ich-Du. (Das gilt auch für die Kirche: jene einmalige Offenbarung Gottes, die die Kirche gestiftet hat, indem sie die Vielheit ergriff und zum Gottesvolk umschmolz und nun nicht mehr abgelöst werden kann, ist kein Haben der Kirche. Die biologische Erneuerung der Kirche verlangt erneute Begegnung mit der Offenbarung, Erfüllung des Wortes: Bewährung). Worin unterscheiden sich nun die wissenschaftlich-philosophische und die religiöse Aussage?
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Alle wissenschaftlich-philosophische Aussage steht unter dem Satz des Widerspruchs: A ist nicht = non A. Die religiöse Aussage steht schlechthin nicht unter dem Satz des Widerspruchs. Wenn Theologen glaubten, über Gott Aussagen unter dem Satz des Widerspruchs machen zu können, so hat ihr Handeln nichts mit Religion zu tun. Auch für die negative Theologie Karl Barths gilt dies: es ist nicht erlaubt zu sagen, Gott sei das ganz Andere, ohne daß Gott auch zugleich als das ganz Nahe, Vertraute benannt wird. Die religiöse Situation ist schlechthin die Stätte der g e l e b t e n C o m p l e x i o o p p o s i t o r u m . 1 In der religiösen Situation ist es nicht erlaubt zu sagen »Gott ist transzendent und nicht immanent« oder umgekehrt; er ist beides. Alle religiöse Aussage ist ein Wagnis, das gewagt werden darf, wenn es in der lebendigen Complexio oppositorum geschieht, als Hinweis auf die Situation, in der Gott sich nur biographisch bekundet. Auch der Glaube ist nicht Glaube, daß etwas ist, nicht inhaltliche Erkenntnis, sondern faktisches Ereignis, gelebtes Leben im Zwiegespräch: im Angesprochenwerden durch Worte und Zeichen, im Antworten durch Tun und Lassen, durch Standhalten und Verantworten im gelebten Alltag. Die religiöse Aussage ist Zeugnis dieses Zwiegesprächs. Spricht der philosophisch-wissenschaftliche Mensch von dem unerkannten Geheimnis, so doch immer nur als von dem »an sich« erkennbaren Geheimnis. Der Religiöse kennt nur das Geheimnis, zu dessen Wesen die Unerforschlichkeit gehört, und zu dem nur das Standhalten und der Einsatz den Zugang erschließen. Diese unmittelbare Beziehung bedeutet personhaft das Ganzwerden der Seele. Denn nur mit ganzer Seele können wir in das Konkrete eingehen. Die Verselbständigung der verschiedenen Seelenkräfte kennzeichnet aber unsere heutige Notlage. Diese unmittelbare Beziehung zum Geheimnis bedeutet aber auch das Ganzwerden des geistigen Lebens: die verselbständigten einzelnen Geistessphären e i n e n sich, wenn es wieder echtes religiöses Gemeinschaftsleben gibt. Die Trennung der Geistessphären hat zur modernen Vielgötterei geführt. Das heillose unserer Situation liegt aber darin, daß die Religion als e i n Aspekt der geistigen Welt betrachtet wird. Jedes Martyrium ist der Religion zuträglicher als diese Freiheit, sich als eine der geistigen Sphären neben anderen auswirken zu dürfen. Noch viel weniger freilich ist Religion eine Synthese der Geistessphären. Konkret gesehen, stellen sich uns die heutigen sogenannten »Weltanschauungen« dar als Fluchtsysteme, als Versicherungen gegen die Pflicht, die Welt wirklich anzuschauen. Echte religiöse Welt-E r f a s s u n g 1.
Complexio oppositorum, lat. »Verbindung der Gegensätze«.
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aber schließt folgendes ein: 1. das Ausgehen von der jeweiligen konkreten Zuständlichkeit und Situation der Person; 2. das Eingehen in die jeweilige Weltsituation als der Sprache Gottes an mich; 3. das Schauen alles mir Zugereichten und seiner Ursprunghaftigkeit, Mitgeschaffenheit (»Wir sehen die Dinge in Gott«); 4. die verantwortende Antwort des Menschen, die liebende Heiligung der Dinge im Alltag. Z u d i e s e m Realverhältnis aber kann erzogen werden.
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Verantwortung Man kann zur Jugend nur dann noch oder wieder von der Verantwortung reden, wenn man diesen Begriff aus dem Gebiet der Sonderethik, eines frei in der Luft schwebenden »Sollens«, in das des gelebten Lebens zurückholt. Echte Verantwortung gibt es nur, wo es wirkliches Antworten gibt. Antworten worauf? Auf das, was einem widerfährt, was man zu sehen, zu hören, zu spüren, zu fühlen, zu erleben bekommt. Aber ist denn all das eine Anrede, die Antwort erheischt oder auch nur ermöglicht? Richtiger wäre zu fragen, ob man es als Anrede vernimmt; doch das ist nicht allgemein auszumachen. Wer lesen gelernt hat, beschaut diese Buchstaben hier nicht als eine etwas krause und willkürliche Zeichnung, sondern als eine Reihe von Zeichen, die ihm etwas zuspricht. Jede konkrete Sekunde mit ihrem Welt- und Schicksalsgehalt, die der Person zugeteilt wird, ist dem Aufmerkenden Sprache, feierlich1 eine noch weit weniger übersetzbare als etwa die der Musik. Ich sage: dem Aufmerkenden denn mehr als dessen bedarf es nicht, um lesen zu lernen, und der ganze Apparat unserer Zivilisation ist erforderlich, um den Menschen von diesem Aufmerken und seinen Folgen zu bewahren. Der Aufmerkende nämlich würde mit der Situation, die ihn in diesem Augenblick antritt, nicht mehr, wie er gewohnt ist, im nächsten »fertig werden«, er wäre aufgefordert, auf sie und in sie einzugehen. Und dabei würde ihm nichts helfen, was er als stets Verwendbares zu besitzen glaubte, keine Kenntnis und keine Technik, kein System und kein Programm, denn nun hätte er es mit dem Uneinreihbaren, eben mit der Konkretion selber zu tun. Diese Sprache hat kein Alphabet, jeder ihrer Laute ist eine neue Schöpfung und nur als solche zu erfassen. Es wird also dem Aufmerkenden zugemutet, daß er der geschehenden Schöpfung standhalte. Sie geschieht als Rede, und nicht als eine über die Köpfe hinbrausende, sondern als die eben an ihn gerichtete; und wenn einer einen andern fragte, ob auch er es höre, und der bejahte, hätten sie sich nur über ein Faktum und nicht über einen Inhalt verständigt. Die Laute aber, aus denen die Rede besteht – ich wiederhole es, um das vielleicht doch noch mögliche Mißverständnis zu zerstören, ich meine etwas Außerordentliches und Überlebensgroßes –, sind: die Begebenheiten des persönlichen Alltags. In ihnen werden wir angeredet, wie sie nun sind, »groß« oder »klein«, und die als groß geltenden liefern nicht größere Zeichen als die andern. 1.
Vermutlich »freilich« (J. J.).
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Verantwortung
Damit, daß wir sie wahrnehmen, ja: wahr-nehmen, ist jedoch unsere Haltung noch nicht entschieden. Immer noch können wir das Schweigen um uns schlagen – eine für einen bedeutenden Typus des Zeitalters charakteristische Entgegnung – oder in die Gewöhnung ausweichen; obschon wir beidemal eine durch keine Produktivität und durch keine Betäubung zu vergessende Wunde davontragen. Doch es kann geschehn, daß wir zu antworten uns unterfangen, stammelnd etwa, zu sichrerer Artikulation langt uns meistens die Seele nicht zu, aber es ist ein rechtschaffenes Stammeln, wie wenn zwar Sinn und Kehle einig sind in dem, was zu sagen ist, aber die Kehle darüber noch zu erschrocken, um den schon geschlichteten Sinn rein auszutönen. Die Worte unsrer Antwort sind in der, ebenfalls unübersetzbaren, Sprache des Tuns und des Lassens gesprochen, – wobei das Tun sich wie ein Lassen und daß Lassen wie ein Tun gebärden darf. Was wir so mit dem Wesen sagen, ist unser Eingehen auf die Situation, in die Situation, die uns eben jetzt angetreten hat, sie, deren Erscheinung wir nicht kannten und nicht kennen konnten, weil es ihresgleichen noch nicht gegeben hat. Wir werden nun mit ihr nicht fertig, darauf haben wir verzichten müssen, nie ist mit einer wahrgenommenen Situation fertig zu werden, aber wir bewältigen sie in die Substanz des gelebten Landes ein. So erst, dem Augenblick treu, erfahren wir ein Leben, das etwas anderes als eine Summe von Augenblicken ist. Dem Augenblick antworten wir, aber wir antworten zugleich für ihn, wir verantworten ihn. Ein neuerschaffenes Weltkonkretum ist uns in die Arme gelegt worden, uns anvertraut worden; wir verantworten es. Ein Hund hat dich angesehn, du verantwortest seinen Blick, ein Kind hat deine Hand ergriffen, du verantwortest seine Berührung, eine Menschenschar regt sich um dich, du verantwortest ihre Not.
Buber 8 (02684) / p. 171 / 12.10.6
Die Frage nach Jerusalem Aus einer auf der deutschen Konferenz für das arbeitende Palästina gesprochenen Rede Die Weltsituation unserer Zeit ist, sieht man von dem aus der Hand in den Mund lebenden Scheinparlamentarismus ab, durch die beiden Brennpunkte Moskau und Rom gekennzeichnet. Wenn jener, die Demokratie ohne Demos, d. h. ohne wirklich konstituiertes Volk, weder der Idee noch der Realität gegenüber Verantwortung übt, sehen hier ein falscher Dienst an der Idee und ein ebensolcher an der Realität wider einander. In Moskau wird die lebendige Idee durch das Prinzip ersetzt. Die lebendige Idee ist immer Bild, ein Bild dessen, was aus bestimmten Möglichkeiten bestimmter Menschen und Menschengruppen werden kann und soll; das Prinzip ist die Entbildung der Idee, an die Stelle der konkreten, volksmäßig, kulturmäßig, schicksalsmäßig bestimmten Personen und Gruppen tritt die Abstraktion »des« Menschen, »des« Bürgers, »des« Proletariers, – an die Stelle des Leibes ein Knochengerüst, an die der Wegsuche mit ihren realen Entscheidungen die vorgezeichnete Route. Moskau ist die durch den Widerstand der Realität gemilderte Herrschaft des Prinzips; und auch nachdem man diesen Widerstand in Rechnung zu stellen beschließt, ihn also sozusagen in das Prinzip selbst einbezieht, wird es zwar inhaltlich »bis auf weiteres« modifiziert, aber es hört nicht auf, seinem Anspruch und Charakter nach das bildlose Prinzip zu sein. In Rom ist die Anschauung der Wirklichkeit mit ihrer Tiefenperspektivik und ihrem immer neu auftauchenden Imprévu 1 ersetzt durch ein Bescheidwissen um einen reliefhaft auffälligen Teil der Wirklichkeit, den man mit der ganzen identifiziert, nämlich um die menschlichen Machtwünsche, Machtbegierden, Machtgenüsse und Machtsorgen. Man sieht den Staat als eine Schichtung von Machthaben und Machtwollen und meistert ihn, indem man dem Machtwollen in dem Maße, als es sich aktuelle erweist, Macht zuteilt und durch die so entstehenden sozialen Zusammenhänge die ideologisch fundierten überwindet. Die Anschauung der Wirklichkeit ist immer Ehrfurcht vor ihr, auch wenn man sie zu ändern sich berufen fühlt; der Aktualismus ist ehrfurchtslos, er will nicht wahrhaft kämpfen und bewältigen, sondern nur jeweils mit dem Gegebenen fertig werden. Die Herrschaft des Aktualismus ist in Rom durch eine dekorative und wirksame Anknüpfung an eine verschollene Tradition eher verkleidet als gemildert. 1.
Imprévue, frz. »Unvorhergesehenes«.
Buber 8 (02684) / p. 172 / 12.10.6
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Die Frage nach Jerusalem
So stehen ideologische und antiidealogische Diktatur einander gegenüber. In jeder von beiden birgt sich eine echte Kraft, in der einen die des Glaubens an die sozialistische Idee, wenn diese auch verzerrt und entstellt worden ist, in der andern die des Wissens um die Wichtigkeit des Bundes mit der konkreten Tatsächlichkeit, wenn diese auch flach und substanzlos gefaßt wird. Aber was hinauswirkt, von Moskau aus zu Anschluß, von Rom aus zu Nachahmung bewegend, sind nicht die echten Kräfte, sondern die Herrschaftsformationen, in die sie eingegangen und in denen sie untergegangen sind. Die große Frage, die immer wieder in meinem Herzen aufkommt, wenn ich, bedrückt und aufgerührt durch die massive Existenz dieser beiden unfruchtbaren Kolosse, der nahen Zukunft der Menschen nachsinne, ist: Gibt es ein Jerusalem? Gibt es zu diesen beiden ein Drittes, ein noch nicht eigentlich existentes, aber werdendes, – über jene hinaus werdendes? Zu den beiden allhin wahrnehmbaren tönernen Gesichtern ein drittes, noch verborgenes, ein von Fleisch und Blut, mit heiterer Stirn, liebenden Augen und einem Mund der singen kann, ein m e n s c h l i c h e s Antlitz? Ist das, was wir mit vorerst so knabenhaft geringen Mitteln unternommen haben und nun mit größeren fort- und auszuführen suchen, ein Einsatz in der Weltgeschichte, – der wirklichen Weltgeschichte, die nicht in den riesigen Lichtreklamelettern des Erfolgs, sondern in geheimen Zeichen auf eine noch verhüllte Tafel geschrieben wird und die einst all jene »Siege« der Historie als maskierte Niederlagen offenbaren wird? Wächst in der Epoche der Scheinrealisierungen eine echte Verwirklichung auf? Gibt es ein Jerusalem, wird es eins geben, das gewiß nicht neben Moskau und Rom, aber ihnen gegenüber zu stellen sein wird? Wird hier der Geschichte etwas »vorgelebt«? Ich glaube an »Jerusalem«. Wir dürfen daran glauben, denn in dem was heute in Palästina geschieht, begegnen einander Geist und Wirklichkeit. Was hier an genossenschaftlichem Bau entsteht, ist so, als ob die Wirklichkeit allein es gemacht hätte, aber sie hatte den Geist zur Seite. Das sozialistische Leben, das da im Werden ist, scheint ohne menschliche Zielsetzung, ganz aus der Nötigung der gegebenen Verhältnisse gewachsen zu sein; dennoch, es hätte nie solche Gestalt gewonnen, wenn nicht in den Menschen, die sich zusammenschlossen, die lebendige Idee als Bild der Gemeinschaft geträumt und nun in ihrem Zusammenschluß bildnerisch sich ausgewirkt hätte. Was sie denken, ist zuweilen vom Prinzipiell-Ideologischen angehaucht, aber der Geist, der in ihnen träumt und wirkt, ist größer als ihre Gedanken. Sie werden ihn einst erkennen – wiedererkennen.
Buber 8 (02684) / p. 173 / 12.10.6
Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten Ich möchte hier vor allem zu dem einen Problem sprechen, das für uns alle das Zentralproblem ist: das jüdische Bildungsgut in der Schule. Ich möchte vorausschicken, daß ich diese Frage nicht in der Weise des prinzipiellen Denkens ansehe. Ich halte es nicht für richtig, diese Frage und überhaupt pädagogische Fragen von Prinzipien aus zu behandeln. Es erscheint mir wichtiger, einer ganz bestimmten Wirklichkeit pädagogisch gerecht zu werden. Ich sage nun, daß diese Struktur des jüdischen – nicht Bildungswesens, sondern Bildungselements keine monistische sein kann. Denn unsere gegenwärtige Wirklichkeit ist nicht monistisch beschaffen. Sie ist nur von mehreren Faktoren her zu erfassen, sie ist keine, die man eindeutig bestimmen kann. Sie ist darin eine spezifisch jüdische, daß sie die Labilität schlechthin ist. Wenn man auf allen Gebieten der Erziehung sagen kann: Erziehung sei Fundierung des Menschen, so gilt dies besonders von unserer Aufgabe. Mit Fundierung meine ich, Fundamente herstellen. Wenn es richtig ist, daß unsere Situation die Labilität ist, dann ist Fundierung für unsere Menschen etwas besonders Wichtiges und Wesentliches. Was aber kann man in einer Zeit wie dieser illusionslos – also nicht irgendwelche allgemein gültigen Menschenbilder als wirklich annehmend, die nicht mehr wirklich bestehen – was kann man als Aufgabe des Erziehers ansetzen? Das gilt nicht nur für die jüdische Situation, sondern allgemein. Es ist da ein Wort von Dehmel, aus einer oratoriumsartigen Dichtung, eine Art Refrain: Der Mensch, der dem Schicksal gewachsen ist. Dieses Wort erschien mir einmal als Chuzpe. Oder auf deutsch gesprochen, als Hybris, weil es dem Menschen nicht zusteht, dem Schicksal gewachsen zu sein. Ich glaube aber, daß es notwendig ist, den Menschen so zu erziehen, daß er seinem Schicksal gewachsen ist. Wenn unsere Situation die Situationsunbestimmtheit schlechthin ist, dann heißt es also, daß wir für diese Situationsunbestimmtheit zu erziehen haben, nicht für eine bestimmte Situation, von der wir sagen können, so und so ist sie, sie kann vielleicht morgen etwas anders aussehen, aber der allgemeine Duktus der Dinge ist der gleiche. Bei uns ist es anders. Eine Zeitlang hatten wir es vergessen, hatten geglaubt, es ist wie bei anderen – Duktus, und dazwischen Intermezzo – jetzt haben wir aber erfahren, daß das Intermezzo für uns der Duktus ist, der immer wieder erfolgende Einbruch. Für diese so beschaffene, in der Unbestimmtheit bestehende, im Einbruch ankernde Situation haben wir Fundierung zu geben. Einen Menschen zu fundieren für das Unbestimmbare.
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Ich habe die Meinung, daß Erziehen die schwerste menschliche Tätigkeit ist, und daß es aber das allerschwerste ist, deutsche Juden heute zu erziehen. Aber wir müssen sehen, worauf es ankommt, wie schwer es auch sein mag. Fundierung zu schaffen für die Labilität katexochen.1 Wenn man sich das klar macht, sieht man: es kommt an auf etwas, was seinem Wesen nach nicht einbrechen kann, das unerschütterlich ist. Daß es etwas gibt, was seinem Wesen nach so sehr Fundament ist, daß es den Einbruch nicht mitmacht und den so fundierten Menschen befähigt, sich seinem so gestalteten Schicksal gewachsen zu zeigen. Und wenn man fragt: was kann das sein? – da versagt zunächst die allgemeine Humanität. Man kann ja idealistisch antworten: ja, eben der Mensch. Das reicht aber erfahrungsgemäß nicht zu. Ich will davon absehen, daß es den Menschen als pädagogisches Bild nicht mehr gibt, daß das Menschenbild des deutschen Idealismus in Verwesung übergegangen ist. Die Idee des Menschen als solchen reicht nicht zu. Das ist eine Tatsache, die wir erfahren haben müssen. Das zweite, was sich darbietet, wäre: es ist doch so, daß in der Welt, in der wir leben, Partikulargebiete aufgestellt werden. Also der völkische Mensch. Es gibt diese und diese Kollektivität, der man angehört. Das Anderssein ist eine wesentliche Kategorie, aus dieser Andersheit ergibt sich Forderung und Anspruch. Also man konnte sagen: Dafke. Wir sind auch so. Deutsche – wir sind Juden. Das wäre eine schwere Verfehlung gegen die Wirklichkeit. Wir sind nicht in der Lage irgendeines der Völker mit der nur relativen historischen Labilität, sondern wir sind in einer Situation der Labilität, die eine von der anderer Völker verschiedene ist. 2 Wir können uns nicht nur etablieren als ein Kollektiv unter anderen. Sprache – wir haben auch eine Sprache. Kultur – wir haben auch eine Kultur. Dann erliegen wir, das ist zu wenig. Dann bekommen wir die Grundlage für die schlechthin außerordentliche Situation, die unsere ist, nicht. Ich möchte es Ihnen schlagwortartig deutlich machen: Der leere Partikularismus – ich sehe den völkischen Partikularismus als leer an – genügt nicht. Er kann nicht die Substanz selbst liefern, um den jungen Menschen, die darin aufwachsen, zu Lebenswahrheit und Lebenssinn zu führen. Es genügt nicht irgendeine Sonderung unter den anderen Sonderungen, so als Gegenschlag – sondern diese unsere Sonderungstatsache 1. 2.
Katexochen, griech. »schlechthin«. Siehe die Rede »Bildungsziel und Bildungsmethode der jüdischen Schule«: »Labilität der Geschichte, das ist die große Situation, in die wir uns schon beinahe eingewöhnt haben. Unter dieser Labilität sind wir es, die am tiefsten leiden. Sie erschüttert unser ganzes Leben.« (S. 230).
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muß als solcher Art seiend von uns entdeckt und pädagogisch bewertet werden, daß für den jungen Menschen damit eine Seinsbindung gegeben ist. Dann ist dieser sein Ursprung, sein jüdischer Ursprung, was in Geschichte und Urgeschichte gesagt ist, für ihn Zugang zu seiner Lebenswahrheit, zu seinem Lebenssinn, für ihn, für diese Person persönliche Aufgabe. Das ist etwas anderes als was irgendwelche völkischen Ideen unserer Zeit leisten. Von der Edda 3 aus kann man nicht ein heutiges Leben leben. Von der Bibel aus kann man ein heutiges Leben leben, ein durchaus heutiges Leben. Nicht daß man die Bibel in die heutige Welt versetzen kann. Wir leben nicht mehr in der Welt der Bibel. Aber man kann von der Bibel aus, hinsichtlich der Lebensweisheit erziehen. Man kann aber von der Edda aus nicht erziehen. Ich glaube, daß dieser Versuch, aus der Edda – oder von irgendeiner nationalen Urkunde eines der modernen Völker aus – Lebenswahrheit begründen zu können, notwendigerweise in einer romantischen Haltung münden muß. Alles, was besonders in Deutschland in dieser Richtung versucht wird, zeichnet sich durch Unkonkretheit und romantische Allgemeinheit aus, nirgend [sic!] haben sie etwas Lebenbegründenden [sic!], etwas, was nach Leben aussieht und nach Leben schmeckt geschaffen. Es ist ein Arsenal romantischer Illusionen. Ich sehe nirgends in allen germanischer Versuchen einen konkreten Anfang, überall diese Überspannung, Übersteigerung, Überhitzung, nirgends das einfache Gerechtwerden einer Lebenswirklichkeit gegenüber, in der man zu bestehen hat mit den Mitteln dieser Weltstunde, die uns gegeben ist. Wer anderer Meinung ist, soll es die deutschen lehren. Ich glaube, daß man, wenn man erklärt, daß die Bibel – ich meine nicht bloß Bibel, sondern dies urzeitliche verbindende Jüdische, von dem aus wir leben und da sind, ohne das wir überhaupt nichts wären, nicht Staub unter den Tritten der Völker – ich meine nicht das Buch, sondern die Wirklichkeit, von der sie das Hauptzeugnis ist. Wenn man sich dies vergegenwärtigt, dann ist dies nicht nur eine Aufgabe für den Erzieher, sondern eine ungeheuere Schwierigkeit. Aber anders kann sie überhaupt nicht gelingen. Die Schwierigkeit liegt einfach darin, daß der Erzieher in einem gewissen Sinne sozusagen ein bibelgerechter Mensch sein muß, ein Mensch, für den die Bibel eben Wirklichkeit ist, der mit dieser Wirklichkeit selbst einen Lebenszusammenhang haben. Es gilt kein theoretisches Anerkennen, wenn dies nicht die Wirklichkeit ist, von der er selbst aus lebt – das ist natürlich eine schwere Problematik – davon hängt es aber ab. Ob es diese jüdische Lehrerschaft gibt, ob es eine jüdische Jugend gibt, 3.
Edda, im 13. Jahrhundert verschriftlichtes altnordisches Heldenepos.
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die sich zu Lehrern in diesem Deutschland ausbilden lassen will und die dies ist, was ich meine. Davon hängt es ab, ob eine rettende pädagogische Handlung im deutschen Judentum möglich ist. Ich habe vorhin von der allgemeinen Humanität gesprochen. Ich möchte das, wovon ich jetzt spreche, auch Humanität, Humanismus nennen, biblischen Humanismus. Aber nicht zurück – das wäre wieder romantisch – zu einer früheren Phase der Menschheitsentwicklung. Sondern gemeint ist eine wirkliche Inkorporation, eine Verleiblichung dessen, von wo aus wir existieren. Um es etwa an einem Beispiel zu sagen: es gehört dazu in irgendeinem Maße die Sprache. Ich glaube nicht, daß es in unserer Zeit eine jüdische Schule geben kann, die nicht in ihre Fundierung die hebräische Sprache aufgenommen hat. Sie genügt nicht, wenn sie meint, damit den jungen Menschen zu befähigen, wenn er als Tourist oder sonst nach Palästina geht, sich mit seinen Freunden unterhalten zu können. Das ist keine Fundierungsaufgabe, sondern eine Schulungsaufgabe. Aber in die Fundierung gehört sie durchaus hinein, als die Sprache, in der die jüdischen Werte sich ausgesprochen haben und die mit diesen Werten unlöslich zusammenhängt. Man kann die jüdische Wertwelt nicht von der Wirklichkeit der hebräischen Sprachwelt ablösen. Man kann übersetzen, gewiß, aber nur, wenn man aufzeigt, woraus und wie unzulänglich man übersetzt, wenn man immer darauf hinweist, daß dieses Etwas, dieses Irrationale bleibt, was nicht herüberzutragen ist. Das ausforschen zu helfen, ist pädagogische Aufgabe. Das was übrig bleibt, nicht eingeht in die Übersetzung, – gerade da steckt biblischer Humanismus in der Erfaßung dieser besonderen Aussprache der Werte. Gerade wie es klassischer Humanismus war, daß man die Besonderheit der griechischen Sprache erfaßt und die Aussprache der Werte in dieser einmaligen Prägung weiß. Von dieser Sonderheit aus, die man versteht als Aussprache eines Ewigen, kommt man zu einem Menschlichen, das nicht ein verwaschen Allgemeines ist. Nun müßte man, wenn man es ernst meint, für die höhere Schule ein humanistisches hebräisches Gymnasium schaffen. Da kommen wir auf vielfältige schwere Problematik der Wirklichkeit. Wir finden notwendig, was nicht realisierbar ist. Trotzdem ergibt sich nicht ein entweder – oder, alles oder nichts, sondern es geht darum, das mögliche Maximum zu realisieren an Fundierung. Ganz allgemein möchte ich sagen, wenn man mit einer solchen Fundierung auf das Urjüdische ernst macht, gibt es drei Bereiche, die pädagogisch wichtig sind: Stoffe, Formen, Werte. Jüdische Stoffe, jüdische Formen, jüdische Werte. Ich möchte sagen, daß ich die Formen über die Stoffe, und die Werte
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über die Formen stelle. Stoffe sind wichtig, gewiß. Aber ich bin nicht der Meinung, daß man den Deutschunterricht auf jüdischem Stoff aufbauen soll. Es würde nur ein Qualitätsopfer zustande kommen, das die Aufgabe verfehlt. Stoffe sind wichtig, aber nicht das Primäre. Formen sind wichtiger, unterscheiden sich vom Stoff auch dadurch, daß sie der Willkür entzogen sind. Formen sind etwas Gegossenes, Existierendes. Man kann sie nicht hereinnehmen, sondern muß darin stehen. Sie wissen ja alle, daß Form ist alles, was vom Jüdischen aus gestaltet ist, und wie wichtig Formen pädagogisch sind. Es dringt in jene tiefen Schichten der Seele ein, wo das Unbewußte, das Unwillkürliche ist, und hilft den Menschen gestalten. Noch wichtiger aber sind die Werte, und ich glaube, daß man bei der Auswahl der Stoffe, Berücksichtigung der Formen, ausgehen soll davon: wie weit haben sich darin die jüdischen Urwerte ausgesprochen. Und wir werden sehen, daß sie sich in manchem aussprechen, was wir formal und stofflich nicht als jüdisch ansprechen. Werte – das ist das, von dem aus man wertet, von dem aus Wertungen unternommen werden. Wenn wir sagen: das ist echt, jenes unecht, das ist wahr, jenes falsch, das ist gut, das ist schlecht. Das ist gegründet auf eine Wertskala, die wir nicht machen können, die ist. Nietzsche befand sich in einem verhängnisvollen Irrtum, als er glaubte, Werte selber schaffen zu können. Werte sind etwas Gewachsenes. Man kann Werte übernehmen, man kann aus einer Wertungswelt in eine andere übergehen. Aber das sind Welten, in denen man ist, die man nicht herstellen kann. Mit jüdischen Werten meine ich, was uns werten hilft, was uns Wertskalen errichten hilft, die wir im Verkehr mit der Umwelt anzuwenden haben. Es geht um energetische Werte, um Werte, die als Energien wirken, die das Leben durchdringen und sich darin auswirken. Werte – das ist nicht irgendwas, was da droben ist, wo man sich selten einmal zurückzieht, zur Anbetung – sondern Werte, die in den alltäglichen kleinen und großen Entscheidungen des Alltags sich auswirken. Das heißt also, ich meine, daß wichtiger noch als Stoffe das Jüdische ist als ein Element, das das ganze Leben durchdringt. Ich meine, daß das bei der hebräischen Sprache wirklich möglich ist, daß in allen möglichen Unterrichtsstoffen auf diese Urwerte Bezug genommen wird. Daß gewissermaßen ein Koordinatensystem da ist, auf das alle Dinge bezogen, in das alle Dinge eingeordnet werden. Ich möchte zwei Beispiele geben: den deutschen und den Geschichtsunterricht. Die Werte sind keine dünne Luftschicht, wo man nur zeitweilig atmen kann, sondern eine Lebensatmosphäre. Im Deutschunterricht ist das Stoffliche noch problematisch. Jüdische Stoffe als solche – bei gleichzeitigem Qualitätsverlust sind negativ. Ich
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glaube nicht, daß man den Kindern etwas damit gibt. Dagegen würde ich sagen, daß tatsächlich die Bejahung der jüdischen Wertwelt für die Auswahl der Autoren sehr wichtig ist. Ich glaube, daß man die deutschen Autoren, die in der Schule gelesen werden, einteilen kann in die, mit denen wir uns sozusagen begegnen, wo sich die Parallelen schneiden, und andere, mit denen wir uns nirgends begegnen, weil sie, wie ich überzeugt bin, dem Ewigen gegenüber nicht bestehen. Ein Autor, der in dem Sinne, wie ich es meine, bibelgerecht ist, ist Matthias Claudius. Ein urdeutscher Mensch, aber ein Mensch für uns. Das hält dieser unserer Wertwelt stand. Oder ein Mensch anderen Kalibers: Hebbel. Zwischendiskussion: es wird die Analyse eines jüdischen Stoffes bei Hebbel erbeten. Buber: Ich erhielt gestern von einem jungen Menschen aus Palästina eine Abhandlung gegen des Purimfest. Er ärgert sich sehr über die Esther. 4 Aber dann fängt er an, über die Person zu witzeln: Dann sagt er: Die Judith, wenn die mit dem Holofernes5 geschlafen hat, das hat sich doch wenigstens gelohnt. – Sie wissen, Judith ist diese psychoanalytische Person, wo sich alles darum dreht, daß sie mit dem Holofernes geschlafen hat. Für uns sind diese Dinge – Geburt, Zeugung und Tod – elementare Dinge. Judith bei Hebbel ist nicht jüdisch. Goethe? Goethe ist problematisch. Man kann Teile von ihm verwenden, andere nicht. Man kann sich aber aussuchen – bei Goethe kann man das. Er ist groß genug. Der Goethe als solcher ist für uns nicht akzeptabel. Ich lasse mich auf den Goethe als ganzes nicht ein. Ein Mensch ist mir unerträglich. Uhland. Auch wenn er künstlerisch besser wäre, als er ist, wäre er nur ein schlechter Partikularist. Ich halte die Edda für eine große Sache. Ich halte den Kern des Nibelungenliedes für eine sehr erhebliche Sache. Aber nicht für unsere Sache. Es ist eine andere Urwelt. Man kann natürlich allerhand lesen, aber wenn man die Grundwerte der Person aufbauen will, dazu sind gewisse große deutsche Grundwerke unbrauchbar. Ich bin der Meinung, daß die Fragmente der alten sächsischen Genesis sehr lesenwert sind. Aber es müßte auch nichts Biblisches sein. Mir ist Stifter wichtiger als Keller, auch Gott4. 5.
Esther, Heldin des Buches Esther (zwischen 300 und 160 v. Chr. entstanden), die als Jüdin von Xerxes I. zur Königin erwählt wird und die geplante Judenverfolgung des Hofbeamten Haman vereitelt. Die Witwe Judith, Heldin des Buches Judith, rettet ihr Volk, indem sie sich ins feindliche Lager zum Feldherren Holofernes begibt, diesen verführt und anschließend enthauptet. Gleichnamiges Drama von F. Hebbel, Judith, Eine Tragödie in fünf Akten.
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helf. Sie sind bibelgerechte Menschen, obwohl Stifter nicht von der Bibel redet und Gotthelf nur, wenn es sein muß. Aber die Art, wie bei Stifter ein Mensch sich mit einer Landschaft – Landschaft ist doch sozusagen nichtjüdisch – abgibt, ist bibelgerecht. Es soll nicht in eine Definition gefaßt werden, dann wäre es gar nichts Richtiges. Man kann es nur andeuten, aufzeigen: das ist es. Das andere Beispiel ist die allgemeine Geschichte, die nichtjüdische. Ich bin nicht nur dafür, daß man jeweils unsere Seite der Geschichte betont, daß man von den Kreuzzügen nicht handelt, ohne deutlich zu machen wie unsere Seite der Kreuzzüge ausgesehen hat, sondern wichtiger ist mir, daß unsere Geschichtsanschauung zur Geltung kommt. Es gibt eine biblische Geschichtsauffassung, die ausgebaut worden ist, die anders ausschaut als die der Geschichtsschreiber, von denen aus der Unterricht bestimmt ist. Ich bin dafür, daß soweit es die Umstände erlauben, daß unsere Geschichtsanschauung, die die hergebrachte Anschauung wesentlich korrigiert und zeigt, daß Gott nicht mit dem Erfolg identisch ist, eindringen sollte in den geschichtlichen Unterricht. Man hat natürlich gewisse Dinge zu absolvieren, aber unsere Schüler sollten unsere Anschauungsweise, unsere Geschichtsperspektivität in sich aufnehmen. Diese Machtkämpfe und Machtsiege, das ist nicht die Essenz der Geschichte des Menschen, des Planeten, des Kosmos. Es geht um anderes. Wichtiger als die einzelnen Inhalte ist die Atmosphäre, jene Energetik der Welt, die eindringt und den Unterricht mitbestimmt. Soviel wollte ich sagen über das Jüdische, nicht prinzipiell, sondern von einer jüdischen Aufgabe her erfaßt. Und jetzt müssen wir sprechen über die Begrenzung dieser Aufgabe. Sie begrenzt durch den bestimmten Schulungszweck. Wir haben den Menschen auszurüsten für eine Vielzahl von Möglichkeiten: daß er nach Palästina geht, daß er wo anders hin geht oder daß er vielleicht doch hier bleibt. Man soll auch nicht negativ konjunkturmäßig erziehen. Man soll überhaupt nicht konjunkturmäßig erziehen, auch nicht negativ. Wir müssen weiter hinaus denken. Nur keine Prognosen stellen. Wenn der Schulungszweck so vielfältig ist und die Vereinfachung unzuläßig ist, da ergibt sich, daß wir verschiedene Dinge einbauen müssen. Viel ernster als die rein praktische Grenze ist die pädagogische: Heimatkunde als Begrenzungserfahrung. Ich halte die Heimatkunde für etwas wesentliches, nicht nur als Stoff, sondern als Methode, die darin besteht, daß man zunächst einmal, wenn das Kind zu lernen beginnt, es bei der Hand nimmt und von seinen sinnlichen Umwelterfahrungen ausgeht, mit all den kleinen Verliebtheiten des Kindes in Bäume, Pflanzen, Tiere und Dinge – davon pädagogisch ausgeht, das erscheint mir ungeheuer wichtig.
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Mir scheint es so zu sein, daß wir hier im Abendland, das Schulwesen auf stufenartigen Perspektiven aufgebaut haben. Wir fangen mit Eigenkunde an. Wir fangen mit dem an, was ihm in Raum und Zeit eigen ist, und indem wir dem beginnen, was ihm vertraut ist, leiten wir es zurück zur Welt. Von Dingen, die sinnlich lebendig sind, von da aus erfährt es nun, daß es eine Welt gibt, in Raum und Zeit herumgelagert um dieses ihm Vertraute. Dieser Weg, der ein abendländischer, nicht ein orientalischer ist, gilt für die Volksschule und ist die erste Stufe. Die zweite würde ich Weltkunde nennen. Das Kind, nicht mehr von seiner Natürlichkeit her, sondern von einer objektiven Gesetztheit her wird beschäftigt mit einer Weltgeschichte, einem Kosmos. Die Fernen, die von unserer Fantasie nicht erfaßbaren Zusammenhänge sind das Thema. Alle Daten, die vertraut waren, werden in das Objektive eingebaut. Später gibt es noch die dritte Stufe, daß man all das fassen lernt als etwas, was der Menschengeist treibt, was man auf einer Hochschule treiben sollte: Geistkunde. Das ist dann nicht mehr rezeptiv, sondern aktiv. Ich halte dieses Ausgehen von der Nähe, der Sinnlichkeit, dem Lebensdichten für wesentlich. Im Orient ist es völlig anders. Überall wird dort ausgegangen nicht von der sinnlichen Raumnähe, sondern vom Wort. Unser Cheder6 ist eine echte orientalische Schule, genau so lernt man Koran, mit denselben Bewegungen des ganzen Körpers, demselben Tonfall, derselben Hingegebenheit des ganzen Leiblichen an das Wort. Das, worum es sich im Okzident handelt, die optische Welt, das ist auch nicht das natürliche Menschentum schlechthin, sondern eines, das durch das Griechentum, die Hegemonie des Gesichtssinnes, geformt wurde. Ich bin gegen eine Reorientalisierung der Juden. So wesentlich mir das Wort ist – ich möchte, daß man eine Welt hat, eine Nahwelt des Gefühls, der Erfahrung. Das möchte ich nicht opfern. Es wäre nicht gut für den Juden, diese Welt zu verlieren. Gewiß wäre es nicht gut für den in Europa bleibenden. Aber ich glaube, daß auch für den Juden, der in den Orient zurückkehrt, die Entweltung nicht gut wäre. Ich bin dafür, das diese unterste Stufe der Schule heimatkundlich bestimmt ist. Es läßt sich auch nicht anstelle der deutschen Heimatkunde eine palästinensische setzen. Wie steht es aber mit den Auswanderern? Ich glaube, daß der rechte heimatkundliche Unterricht auch den Auswanderern etwas gibt, was sie auf andere Weise nicht gewinnen können. Einen unverlierbaren Zusammenhang mit der Naturnähe, der Naturwirklichkeit, ein unverlierbares System der Dinglichkeit. Etwas, was auch für den Menschen in Palästina 6.
Cheder, hebr. »Zimmer«, jüdische Elementarschule.
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und in Argentinien eine Wehr gegen das Verschwommene und Verblasene ist. Etwas ist noch dazu zu bemerken: eine untragische deutsche Heimatkunde können wir nicht mehr treiben. Die Landschaft ist diese so befleckte Landschaft. Wir wollen dem Kinde das Leiden nicht lindern, sondern sinnvoll machen, seinen Sinn aufdecken. Nicht das Leiden ist das Schlimme für das Kind, sondern das sinnlos gewähnte Leiden. Und wir wollen dem Kinde natürlich Freude geben, aber die erlaubte Freude, nicht auf Kosten der Wahrheit, die Freude, die trotzdem möglich ist. Also: deutschjüdische Heimatkunde. Dagegen ist noch zu sagen von der zweiten Stufe: Da kann weder der deutsche Staat, noch die deutsche Kultur auch nur zeitweilig im Mittelpunkt stehen. Mittelpunktscharakter ist unmöglich. Es ist ein Unterschied zwischen Heimat – das ist von Gott gegeben – aber ein Mittelpunkt kann nur etwas sein, woran man aktiv teilzunehmen vermag. Ich glaube, daß in dieser Hinsicht eine gewisse Elliptik möglich ist, mit zwei Brennpunkten. Deutsche Judenheit ist eine Doppelheit der Brennpunkte, aber sie haben einen verschiedenen Charakter. Deutsch ist nur eine Tatsächlichkeit, die verschieden wert- und gefühlsbetont sein kann, aber nicht eine Ziel- und Sinngebung des Lebens. Aber die Judenheit ist ein Brennpunkt anderen Charakters. Um zusammenzufassen: Das jüdische hat eine mehrfache Funktion. Die Aufgabe des Jüdischen können wir so fassen: es tritt auf als Atmosphäre, die die ganze Schule, das ganze Schulleben – wenn es ein Internat ist, das gesamte Leben der kleinen Gemeinschaft – bestimmt einerseits, und als Sonderbereich, als ein bestimmter Zusammenhang von Unterrichtsstoffen und Unterrichtsprinzipien. Wenn die Lehrer richtige Juden sind, ist die Atmosphäre da. Dann haben wir das: das Jüdische einerseits als Grundlegung, andererseits als Schulung. Grundlegung ist das Jüdische, weil nur auf diese Weise der jüdische Mensch fundiert werden kann. Schulung ergibt sich aus der gegenwärtigen Situation, weil man den jungen Menschen mit jüdischen Dingen ausrüsten muß. Ich will nur noch an ein paar Beispielen ein wenig zeigen, worum es geht. Hebräisch als Atmosphäre: der Unterricht in Fremdsprachen sollte vom Hebräischen aus geschehen. Man sollte dem jungen Menschen den dynamischen Unterschied zwischen der hebräischen und den anderen Sprachen aufzeigen. Ein junger Mensch lernt viel durch richtiges Betreiben praktischer Übersetzung. Zum Zweiten: Geschichte. Ich möchte darauf hinweisen, daß man jüdische Geschichte im engsten Zusammenhang mit jüdischer Gegenwartskunde treiben soll, die kein Fach für sich ist. Man sollte sich von der Ge-
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schichte das Stichwort geben lassen, um von ihr aus die Gegenwart zu behandeln. Und nun Palästina: Es ist etwas Eigentümliches in Palästina, was uns alle angeht, aber nicht genügend zum Ausdruck gebracht wird. Palästina ist das einzige gemeinsame Werk der gegenwärtigen Judenheit, die einzige gemeinsame Tat, die einzige gemeinsame Arbeit. Und wenn es wahr ist, daß eine solche problematische Gemeinschaft eine solche Gemeinsamkeit vor allem finden kann durch eine gemeinsame Aktion – dann ist eben in Palästina diese einigende Kraft gegeben. Das muß sich pädagogisch auswirken. Wir haben nichts programmatisch an die Kinder heranzutragen, sondern nur aufzuzeigen, weil nur dieses Werk an die Aktionssehnsucht, an das Aktionsbedürfnis der Kinder heranreicht. Gerade der jüdische Mensch ist hier aus jeder Gemeinschaftsaktion herausgerissen, ist hier schmerzlich ausgeschlossen von jeder Kollektivität. Aber dieses Werk, das gibt dem jungen Menschen eine Entspannung, eine Kompensation. Das Allerwichtigste aber ist eben das Unwillkürliche. Es ist auch pädagogisch das Wirksamste. Wo sich nicht vorgenommen wird – jetzt wird von acht bis neun erzogen – oder sagen wir, unterrichtet, wo man also mit einer Absicht an die Kinder herangeht. Das Allerwichtigste ist die selbstverständliche Auswirkung der jüdischen Persönlichkeit des Lehrers. Nach allen Hinweisen auf das Judentum: jüdische Selbstverständlichkeit.
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Einige Leitsätze für Arbeitsgemeinschaften 1. Arbeitsgemeinschaften sollen so weit als möglich von Te x t e n ausgehen. 2. Es ist erwünscht, daß der Arbeitsgemeinschaft ein gemeinsames Lesen und Erklären des in der Arbeitsgemeinschaft zu behandelnden Textes vorangehe. 3. Das Erklären soll dabei lediglich auf das Verständnis des Wortlauts gerichtet sein. Eine tiefergreifende Sinninterpretation bleibt der Arbeitsgemeinschaft vorbehalten. 4. Biblische Texte sind zu bevorzugen. 5. Wenn die Mehrzahl der Teilnehmerinnen des Hebräischen nicht oder nicht hinreichend kundig ist, kann der biblische Text in einer zuverlässigen Übertragung gelesen werden. Als einigermaßen zuverlässige Übersetzung ist, soweit nicht bereits bei Buber-Rosenzweig vorhanden, am ehesten die Zuntzsche anzusehen. 6. Auch in dem unter 5 vorgesehenen Fall ist erwünscht, daß die des Hebräischen kundigen Teilnehmerinnen die anderen auf schwierigere Stellen des Originals aufmerksam machen und ihnen darlegen, worin die Schwierigkeit besteht. Auch ist auch lautliche, grammatische und synthetische Eigentümlichkeiten des Originals nach Möglichkeit hinzuweisen. 7. Wenn die Mehrzahl der Teilnehmerinnen des Hebräischen hinreichend kundig ist, sollte das gemeinsame Lesen vom Original ausgehen, jedoch so, daß seine Bedeutung den Unkundigen so vollständig wie möglich erschlossen wird. 8. Wo ein Heranziehen führender Meforschim 1 , insbesondere Raschis 2 , Iben Esras 3 und Rdakes 4 durch in deren Lektüre versierte Teilnehmerinnen erfolgen kann, wäre es sehr zu begrüßen. 9. Schwierigkeiten, die beim gemeinsamen Lesen unüberwindlich oder nur teilweise überwindlich erscheinen, sind aufzuzeichnen und vor Beginn der Arbeitsgemeinschaft dem Leiter mitzuteilen. Es ist überhaupt erwünscht, daß über das gemeinsame Lesen ein Protokoll geführt und vor Beginn der Arbeitsgemeinschaft dem Leiter übergeben werde. 10. Wo eine Schwierigkeit so erheblich ist, daß sie den Fortgang des 1. 2. 3. 4.
Meforschim, hebr. »Kommentatoren«. Rabbi Shelomo Jitzchak (1040-1105). Abraham ben Meir (um 1089-1164). Rabbi David Kimchi (1160-1235), auch als ReDak oder RaDak bekannt.
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Einige Leitsätze für Arbeitsgemeinschaften
gemeinsamen Lesens ungünstig beeinflußt, empfiehlt sich, rechtzeitig briefliche Auskunft vom Leiter zu erbitten. 11. Bei außerbiblischen Texten ist rechtzeitig mit dem Leiter zu vereinbaren, in welcher Weise bzw. in welcher Übersetzung das vorbereitende gemeinsame Lesen erfolgen soll. 12. In den auf die Arbeitsgemeinschaft folgenden Wochen sollten ihre einzelnen Ergebnisse gemeinsam besprochen werden. Etwa nachträglich auftauchende Schwierigkeiten, Zweifel und Probleme aller Art sind auf keinen Fall ad acta zu legen, sondern brieflich dem Leiter zu unterbreiten.
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»Wie kann Gemeinschaft werden?« Vertreter jüdischer Jugend Deutschlands, Ihr habt mich hierher berufen, um Euch etwas über Eure Fragen zu sagen, eine Antwort auf Eure Fragen zu versuchen, wie Gemeinschaft werden könnte. Ihr habt mich nicht gerufen, um Euch über dieses Thema eine schöne Predigt zu halten, und ich halte es mit Rabbi Baruch, dem Enkel des Baalschem, der einmal, als ein Gast ihn reden hörte und zu ihm sagte: »Rabbi, Ihr redet so schön,« antwortete: »Eher als daß ich schön rede, will ich stumm werden«. 1 Ihr habt mich also nicht d a z u berufen, sondern, wenn ich recht verstehe, dazu, damit Euch ein Mensch, der um Erkenntnis, um Wahrheit ringt, mitteile, welche harte und eben deshalb herrliche Wahrheit er auf diese Frage, wie Gemeinschaft werden könne, als die einzige, die schwere, aber fruchtbare Antwort zu geben hat. Ich vermute, daß Ihr mit der Frage: wie kann Gemeinschaft werden, die nicht ich mir, sondern Ihr mir gestellt habt, Sorgen Eures Verbandes habt ausdrücken wollen, Sorgen etwa dahingehend, wie es möglich sei, in einem Verband, der eine Masse darstellt, den Gemeinschaftssinn, Gemeinschaftsgeist zu pflegen, dessen Wesen die Masse zu widerstreben, der nur in einem kleinen geschlossenen Kreis gedeihen zu können scheint. Weiter aber eine ernste Sorge dieses Tages, in dem wir leben: wie man für Menschen, die in das Getriebe der heutigen Wirtschaft, in diesen ungeheuren Apparat mit ihren Kräften, mit ihrer Zeit einbezogen sind, die Luft echter Gemeinschaft zuführen könne, die in diesem Getriebe keinen Ort zu haben scheint. Aber mit dieser Frage, die aus aktuellen Sorgen Eures Verbandslebens hervorgegangen ist, habt Ihr an eine Frage der Welt gerührt, an eine Sehnsucht der Welt. Ja, die Welt selbst hat die Sehnsucht, Gemeinschaft zu werden. Und insofern die Welt in der Menschheit sich sammelt und ausspricht: die Menschheit, vielmehr das Menschengeschlecht, das sich Menschheit nennt ohne es noch zu sein, hat die Sehnsucht, Gemeinschaft zu werden. Und zwar nicht eine Sehnsucht, die diese Welt sich erträumt hat, sondern es ist eine Sehnsucht, die wesensmäßig in sie hineingelegt, schöpfungsmäßig in ihr angelegt ist. Welt und Menschengeschlecht sind schöpfungsmäßig darauf angelegt, Gemeinschaft zu werden. Wenn wir das große religiöse Wort, vielleicht das größte auf die Welt hinweisende Wort der Religion »malkut schamajim: Reich des Himmels, Reich Gottes« nicht von oben, sondern von unten, von uns her, aus unse1.
Die Erzählungen der Chassidim, S. 188.
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rem Leben fassen wollen, dann bedeutet es eben dies, daß die Welt, daß das Menschengeschlecht zu einer echten, dauernden, allumfassenden Gemeinschaft werde. So ist es der Welt und der Menschheit verheißen und so fühlt sie es in sich selbst als Anlage, als eine Verheißung der eigenen Seele. Aber zugleich erfährt sie, erfährt die Welt, erfährt die Menschheit immer wieder, Zeitalter für Zeitalter und Stunde für Stunde, daß sie nicht Gemeinschaft wird. Ja, sie erfährt es in einer grausamen Weise je und je, wie sie nicht Gemeinschaft werden k a n n , weil sie im ungeheuren Widerstreit steht, in einem einmal mehr oder weniger deutlichen, aber nie ganz aussetzenden Kampf aller gegen alle. Sie fühlt, daß sie aus sich allein die Kräfte nicht hervorbringt, die Gemeinschaft aus ihr, nicht aus irgendwelchen Stücken von ihr, sondern aus ihr ganz und gar, aus dieser Gattung Mensch Gemeinschaft kneten, bilden kann. Und verhehlen wir uns nicht die bitterste Wahrheit – es ist nicht die g a n z e Wahrheit, aber eine Wahrheit, die wir uns unerbittlich vergegenwärtigen müssen – es sieht so aus, als ob die Menschheit immer weniger Gemeinschaft werden könnte. Wenn wir unter Gemeinschaft nicht Gemeinschaftsgefühl, Gemeinschaftsstimmungen, sondern einende, lebende, wirkende, wirkliche Gemeinschaft verstehen, so sieht es so aus, als ob die Menschheit sie immer weniger kenne. Und dieses Zeitalter, in dem wir leben, ist das, in dem das Menschengeschlecht sich über diese bitterste seiner Erfahrungen, über dieses immer Weniger, über den wachsenden Widerstreit zwischen allen hinwegtäuscht durch die Gründung von allerlei Scheingemeinschaften, von allerlei Scheinbünden zwischen den Völkern, über die Völker weg, Scheinbünden, die, was immer sie an Gutem mit sich bringen, wahre Lebensgemeinschaft zu stiften nicht vermögen, die den Widerstreit, der nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Kern dieses Menschengeschlechts besteht, nicht zu überwinden imstande sind. Zu eben der Zeit, in der das Menschengeschlecht stolz ist, zum erstenmal in seiner Geschichte einen Völkerbund, mindestens dem Namen nach, begründet zu haben, weiß jeder, der Augen hat zu sehen, und einen Sinn sich zu besinnen, daß eben diesem stolzen Menschengeschlecht die Selbstvernichtung droht. Da es so ist – und ich sage es noch einmal, es ist nicht die ganze Wahrheit, aber der Teil der Wahrheit, der zu wenig erkannt wird –, liegt es uns heute zunächst ob, meine Freunde, wenn wir diese Stunde der ernsten Betrachtung, wie Gemeinschaft werden könne, widmen wollen, uns in aller Nüchternheit deutlich zu machen, was Gemeinschaft ist und was sie also nicht ist. Fürchten Sie nicht, daß ich nunmehr eine tiefgründige wissenschaftliche Erörterung beginnen werde. Wenn ich keine Predigt vorhabe, habe
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ich auch keine Vorlesung vor, sondern ich will nur so viel sagen, wie nötig ist, damit wir uns verstehen. Ein großer deutscher Soziologe, Max Weber, unterschied zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft, oder wie er es formulierte, Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung, zwischen dem Werden von Gesellschaft und dem Entstehen von Gemeinschaft, auf folgende Weise: Vergesellschaftung sei auf Interessen, also auf Interessengemeinsamkeit begründet, Vergemeinschaftung sei auf Gefühlsgemeinsamkeit begründet. Das scheint mir nicht ganz zulänglich zu sein. Ich bin überhaupt sehr bedenklich, wenn man eine objektive Wirklichkeit, sei es in der Theorie oder Praxis, auf Gefühlen zu gründen versucht; eine objektive Wirklichkeit ist eine des S e i n s , muß also auf einer Voraussetzung beruhen, die nicht bloß in den Seelen steckt, sondern die alle umschließt, die in ihr stehen. Das Gefühl reichte nicht zu, um zu begründen, was Gemeinschaft sei. Wenn sich Menschen, die mit den bestehenden Verhältnissen leidenschaftlich unzufrieden sind, die das leidenschaftliche Gefühl der Auflehnung gegen die gegenwärtige Gesellschaftsordnung haben, zusammentun zu einem revolutionären Verein, so legen sie ihre Leidenschaften, ihre Unzufriedenheits- und Auflehnungsgefühle zusammen, aber eine Gemeinschaft ist dadurch dieser Verein noch lange nicht geworden, sondern er ist schlecht und recht doch nur ein Verein. Es kann sein, daß Gemeinschaft aus ihm wird, aber dadurch, daß er die Gefühle der zusammengeschlossenen Personen zusammengelegt hat, dadurch ist zwischen diesen Personen Gemeinschaft noch lange nicht entstanden. Ich möchte nicht unterscheiden zwischen Interessen- und Gefühlsverband, sondern zwischen Interessen- und Lebensverband. Gesellschaft nennen wir einen Interessenverband, Gemeinschaft einen Lebensverband. Wenn Menschen ihre Interessen besser, erfolgreicher durchsetzen zu können meinen, dadurch, daß sie gleiche oder ähnliche Interessen zusammentun, dann entsteht ein gesellschaftlicher Verband. Wenn aber Menschen nicht weniger als ihr Leben – aber bitte ersetzen Sie Leben nicht durch etwas Gefühlsmäßiges, nicht durch etwas, das nur in irgendeiner Festtagsstunde erklingt, Leben ist Alltag, ist alle Tage, Tag um Tag, Stunde um Stunde, hohe und niedere Situationen, Ansprüche des Himmels und der Erde, alles zusammen, nichts weniger meine ich, wenn ich sage Leben, Verband des Lebens – wenn also Menschen ihr L e b e n zusammentun, miteinander leben wollen, dann, wenn dies nicht bloß Beschluß bleibt, wenn dies nicht bloß etwas ist, was doch nur vom Geist ausgegangen ist und im Geiste bleibt, sondern wenn das wirklich in das Erdreich des Lebens fällt – dann entsteht als Schicksal und Berufung zwischen den Menschen Gemeinschaft. Gemeinschaft, also ein Lebensverband, der von den
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Menschen, die ihm angehören, mit ihrem ganzen Wesen bejaht und in ihrem ganzen Wesen bewährt wird, ein Lebensverband, wesensmäßig gelebt, also nicht bloß mit einem Teil unseres Daseins, nicht bloß mit Geist oder Gefühl, mit irgendwelchen hohen Dingen in uns, sondern mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele, mit Hohem und Niederem, schlechthin mit dieser ganzen Existenz bejaht, bewährt, gelebt. Machen wir uns das an einem Beispiel deutlich, das, wenn es heute genannt wird, ein kritisches Beispiel ist, an dem Beispiel der Familie. Die Familie ist ein Beispiel ganz besonderer, besonders wichtiger Art. Ich glaube nicht, daß ein wahres Gemeinwesen anders sich zusammenbilden kann als aus kleinsten Gemeinschaftszellen. Ich glaube nicht, daß ein Gemeinwesen aus Individuen entsteht, sondern es entsteht aus Gemeinschaften. Aber ein wirkliches Gemeinwesen, eine echte große Menschengemeinschaft, die so beschaffen ist, daß zwischen beliebigen ihrer Mitglieder, die je und je irgendwo zusammenkommen, Gemeinschaft im Augenblick ihres Zusammenkommens da ist und sich entfaltet, ich sage, eine solche Gemeinschaft kann nur aus organischen Gemeinschaftsgebilden, aus wirklichen Familien werden. Ich kann an kein Gemeinwesen, das kommen soll, an keine Wiedergeburt der Gemeinschaft ohne Wiedergeburt dieser Gemeinschaftszelle, der Familie, glauben: der Familie, blutsmäßig verbundene und schicksalsmäßig im engsten Verband miteinander lebende Menschen. Diese Familie ist zweifellos in die Krise der Gemeinschaft, die wir in unserer Zeit durchmachen, so eingetreten, daß sie, vielleicht noch vor kurzem der letzte unverfälschte Rest von echtem Gemeinschaftsleben, jetzt geradezu ein Schulbeispiel für den Verfall der Gemeinschaft abgibt. Die Familie ist ihrem Wesen nach ein echter Lebensverband, aber dieser Lebensverband ist in ein Verfallsstadium eingetreten, wo er nicht mehr von allen seinen Mitgliedern wesensmäßig bejaht und bewährt wird. Es ist ein wachsender Widerspruch, eine Kluft entstanden zwischen der objektiven Verfassung dieses Lebensverbandes und der subjektiven Beziehung zwischen seinen Mitgliedern. Es gibt noch diesen Lebensverband, aber er wird in sehr vielen Familien nicht mehr wahrhaft durchlebt. Familie ist noch Schicksal, aber sie ist nicht mehr Lebenswille derer, die in dieses Schicksal miteinander verflochten sind. An diesem Beispiel können wir es uns ganz deutlich machen, wie sehr es auf Wiedergeburt, auf Erneuerung ankommt. Nicht Fortsetzung, nicht Weiterschleppen, sondern durch den Abgrund dieser Krise hindurch, in allem Ernst, unerbittlich, ohne sich etwas vorzumachen, ohne alle Illusionen hindurch zu einem neuen Leben, zu einem neuen Gemeinschaftswerden, das nicht zustandekommen kann, wenn wir uns irgendwie hinweglügen über die Fragwürdigkeit der Stunde. Und damit hängt die Frage
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nun unmittelbar zusammen: wie kann Gemeinschaft werden? Hängt das von uns ab? Kann man überhaupt Gemeinschaft herstellen, machen? Kann man letztlich Gemeinschaft in solcher Weise wollen, wie Menschen etwas vorhaben, sich einen bestimmten Zweck setzen, sich Mittel überlegen, wie man mit möglichst geringem Kraftaufwand diesen Zweck möglichst vollständig erreicht? Kann ein solches Wollen von Gemeinschaft überhaupt geraten? Ich glaube, Ihnen sagen zu müssen, daß es nicht geraten kann. Stellen Sie sich etwa vor, ein Mensch nehme sich vor, Persönlichkeit zu werden. Er wacht eines schönen Tages auf und sagt: »Das geht nicht so weiter, ich muß eine Persönlichkeit werden.« Lassen Sie nun diesen Jugendlichen sich das vornehmen und ihn vom Morgen bis zum Abend unablässig darauf sinnen, wie er eine Persönlichkeit werden könne. Ich weiß über sein späteres Leben nichts zu sagen, aber eines weiß ich mit Bestimmtheit: alles kann er werden, nur Persönlichkeit nicht. Es gibt verschiedene Wege zur Persönlichkeit, aber es gibt e i n e n Weg, einen ganz sicheren Weg, Persönlichkeit zu verfehlen, nämlich: sie so zu wollen. Leider ist es ähnlich mit Gemeinschaft. Ebensowenig wie man Persönlichkeit herstellen kann, ebenso ist es mit der Gemeinschaft; diese hohen Werte entstehen nur als Nebenprodukt. Wenn ein Mensch rechtschaffen auf Erden lebt und ein rechtschaffenes Lebenswerk sich vornimmt, wenn er in der Situation, in die er gestellt ist, denen gegenüber, mit denen ihn das Leben zusammenführt, sich bewährt, also ein rechtes Menschenleben führt, dann wird, auch wenn er das Wort Persönlichkeit nicht kennt, schon aus ihm so etwas wie eine Persönlichkeit werden. Ebenso verhält es sich mit Gemeinschaft. Wenn Menschen miteinander wirklich etwas zu tun haben, miteinander erfahren und miteinander auf diese Erfahrung lebensmäßig antworten, wenn Menschen eine lebendige Mitte haben, um die sie gereiht sind, dann entsteht Gemeinschaft zwischen ihnen. Wenn sie gar nicht »Gemeinschaft« meinen, wenn sie sich nicht einbilden, daß einer nur seinem Nebenmann zur Rechten und seinem Nebenmann zur Linken die Hand zu reichen brauche, damit ein Reigen um die ganze Welt geschlossen sei, wenn vielmehr alle, die sich miteinander verbinden, fühlen und wissen, daß in ihrer Mitte etwas ist, gleichviel ob sie es zu nennen vermögen oder ob es namenlos bleibt, dem sie durch ihr Zusammensein oder Zusammenkommen so dienen können, wie diese Mitte es von ihnen verlangt, dann entsteht Gemeinschaft. Nicht durch die Kreisziehung, sondern durch die Radienziehung entsteht Gemeinschaft. Betrachten wir nun in diesem Zusammenhang die großen historischen Gemeinschaftsformen. Denn nur zu leicht wird, namentlich in einer ge-
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hobenen gemeinsamen Stimmung, etwa der einer gelungenen Tagung, der Abstand unserer Wirklichkeit, unserer Fragwürdigkeit zu den großen historischen Gemeinschaften verkannt. Ich möchte hier nur die zwei großen geschichtlichen Gemeinschaftsformen hervorheben, die man am einfachsten Volksgemeinschaft und Religionsgemeinschaft nennt, obwohl beide Worte nicht ganz glücklich sind. Die eine dieser Formen, die Volksgemeinschaft, ist die S c h i c k s a l s g e m e i n s c h a f t schlechthin. Ich rede jetzt nur von Gemeinschaft in dem großen sozialen Sinn, daß eine Vielheit von Menschen, die nicht eine Entscheidung getroffen haben, miteinander in Gemeinschaft zu leben, sondern für die Gemeinschaft etwas Natürliches ist, in das sie hineingeboren sind oder dem sie schicksalsmäßig zugebracht worden sind. Die Schicksalsgemeinschaft in diesem Sinne ist vor allem anderen eben das Volk. Volk entsteht immer so, daß Menschen in einem bestimmten Raum schicksalsmäßig zusammenkommen, in dem an ihnen ein Zusammenschluß geschieht, den sie früher nicht kannten. Der Raum hat sie wirklich umfaßt, umschlossen, umhegt und hat aus ihnen Gemeinschaft heraufgetrieben: Dieser bestimmte Raum, diese Landschaft, dieses Tierund Pflanzenwesen, diese bestimmte Arbeitsweise, die nötig ist, um aus diesem Land ein Menschenland zu machen, die sozialen Bedingungen, die sich daraus entwickelt haben. In diesem Land haben sie dann eine gemeinsame Zeit zugebracht, erfüllte Zeit, Schicksalszeit, Geschichtszeit, volkbildende Zeit. Sie haben also gemeinsame Geschichtszeit im gemeinsamen Geschichtsraum erfahren und sie, die schon von vorneherein blutsmäßig oder blutmischungsmäßig einander irgendwie ähnlich geworden waren, sind nun einander in ihrer Art noch näher gekommen durch dieses Zusammengefügtwerden im gemeinsamen Geschichtsraum und in der gemeinschaftlichen Geschichtszeit, d. h. in der Heimat und im Schicksal des Volkes. Und dieses Gemeinsame nun, dieses Zusammengefügtsein empfinden die Menschen nicht als etwas, was sie gemacht haben, sondern als etwas, das ihnen von Kräften gestiftet worden ist, von Urkräften, von Schöpfungskräften – von lebendiger Mitte. An diesem Geheimnis der Volksentstehung hat Generation um Generation dieses Volkes unmittelbar Anteil, und wenn sie sich besinnen: was ist das, was mich mit diesen Menschen zu einer fast leiblich gegenwärtigen Verbundenheit gebracht hat? so ist es eben dieses Urgeheimnis des Volkswerden, das sie mit immer erneuter Ehrfurcht erfahren und durchleben. Eine kleinere unvollkommene Abart der Schicksalsgemeinschaft ist die Werkgemeinschaft. Als historische Beispiele davon können wir etwa nennen: die Dorfgemeinschaft als die primitive Gemeinschaft des Besitzes und der Lebensform oder etwa die Stadt des deutschen christlichen Mit-
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telalters in ihrem engen Zusammenhalt. In die Gegenwart herüber reicht die uralte Handwerkergemeinschaft, die stets ein Urgeheimnis hütet, das sie einst bildete – nun freilich zumeist nur noch in kaum kenntlicher Verdünnung. Die andere große Form der geschichtlichen Gemeinschaft ist die G l a u b e n s gemeinschaft. Sie unterscheidet sich von der Schicksalsgemeinschaft hauptsächlich dadurch, daß die lebendige Mitte, die sich dort in jenem Geheimnis der Entstehung darstellte, nun gleichsam sichtbar wird, daß man ihr einen Namen gibt, das man sie anruft, daß man an sie glaubt, daß man ihr glaubensmäßig verbunden, ihr angelobt ist. Glauben bedeutet geloben, angeloben, nicht bloß für wahr halten, daß etwas ist, sondern einem Seienden, einer lebendigen Mitte angelobt sein. Diese lebendige Mitte, mit der alle Einzelmitglieder der Gemeinschaft organisch, lebensmäßig verbunden sind, wird nun so wahrnehmbar, daß man sie ansprechen und daß man sich als von ihr angesprochen erfahren kann, daß man zu ihr in ein Gespräch treten kann, so daß nicht bloß individuell die religiösen Personen, sondern diese ganze Glaubensgemeinschaft gemeinsam angeredet wird und gemeinsam antwortet. »naasse wenischma«. 2 Diese Urverbundenheit – gewiß, es kommen immer wieder neue Menschen hinzu, aber dieses Zufließen wird immer wieder von der einen von der Urzeit her verbundenen Flut aufgenommen – diese Unwillkürlichkeit des Verbundenseins, dieses Miteinanderzusammenhängen, man weiß nicht wie, und zwar so zusammenhängen, daß man eben dadurch mit dem zusammenhängt, das in der Mitte ist, daran gleicherweise Anteil hat, an Gott – diese Urverbundenheit ist es, die die starke große Lehre der Glaubensgemeinschaft für uns in dieser Stunde ausmacht. Diese Gemeinschaften stellen also keine Unternehmungen dar, sie sind nicht etwas, wozu Menschen sich zusammengeschlossen haben, weil sie es für einen hohen Wert des Lebens hielten. Es war letzthin immer beides, also Schicksalsverbundenheit und Angelobtsein an eine Mitte, zugleich etwas, was man nicht gemacht hat und sich nicht zuschreiben kann, und Verbundenheit miteinander um ein Geheimnis, mit dem alle gleicherweise so unmittelbar verbunden sind, wie die Punkte des Kreises mit ihrer Mitte. Also nicht Bestrebung, sondern Schicksalsgeheimnis; Kreis, nicht von der Peripherie, sondern von der Mitte aus konstituiert. Nun aber, meine Freunde: in diesen großen historischen Gemeinschaften ist mit ihrem Wachstum auch die Verfremdung gewachsen. Immer 2.
Naasse wenischma, hebr. »Wir tun, was Er befiehlt«, bezieht sich auf Ex 24,7: »Alles was der Herr befohlen hat, werden wir tun und gehorchen.«
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schlechter haben sie die Probe aller großen Gemeinschaften, die Probe des Wachstums bestanden. Mit der wachsenden Zahl, mit der wachsenden Vielfältigkeit des Lebens, durch das Unterworfenwerden unter vielfältige Lebensbedingungen – und wir Juden sind hier das eindringlichste Beispiel – nimmt die Verfremdung der Gemeinschaften, das Absterben des Gemeinschaftsgehaltes immer mehr zu. Durch künstliche Gerüste versucht man dieser Verfremdung abzuhelfen, durch die zusammenhaltenden Gerüste Staat und Kirche. Aber was immer diese sehr imposanten Gerüste bewirken mögen, Gemeinschaft erneuern sie nicht. Staatsvolk und Kirchenreligion sind sehr respektable Dinge, aber der Gemeinschaftsg e h a l t ist durch sie nicht gesteigert worden. Heute gibt es in dem wirklichen Leben nur Gemeinschaftsreste. Von der Schicksalsgemeinschaft etwa den Rest der Gemeinde, soweit es noch wirkliche Gemeinden als Lebensverbände gibt. Ein Gebilde, das ich in meiner Lebenszeit nur selten kennen gelernt habe und immer noch erheblich mehr im Osten als im Westen. Gemeinden, die nicht nur soziale Unterschiede aufheben, sondern über alle sozialen Unterschiede hinweg immer wieder dokumentieren: wir sind alle im Ernst Söhne eines Vaters, also Brüder und Schwestern. Ich habe damit schon das Judentum berührt; das Judentum, das vielleicht einzig unter allen Gemeinschaften Schicksalsgemeinschaft und Glaubensgemeinschaft zugleich war, unlöslich von einander, Volk geworden durch Offenbarung, Offenbarung getragen durch ein Volkstum. Ich glaube, daß Ihr es Euch, Vertreter jüdischer Jugend von heute, gar nicht klar genug machen könnt, daß das Judentum heute sich nicht mehr eine Gemeinschaft streng im Sinne dieses Wortes, dem eines wirklichen Lebensverbandes, nennen darf, und zwar deshalb nicht, weil es die Probe nicht bestanden hat, weil sein Gemeinschaftsgehalt nicht mehr so ist, daß irgendwelche Juden irgendwann und irgendwo einander gegenüber gestellt es sind, der Lebensverband also in ihnen besteht, ob sie nun zehn – Minjan 3 – oder tausend sind. Die Formen bestehen noch fort – Minjan – zehn Menschen im Angesicht Gottes gemeinsam zu Gott sprechend und gemeinsam einander das Wort Gottes zusprechend; aber Sie fühlen, wie arm wir an wirklichem Durchleben dieser Formen geworden sind. Wir haben viel Gemeinschaftsverlangen und machen es uns leicht mit Gemeinschaftsstimmungen. Aber Gemeinschaft im Sinne des Miteinanderlebens und Miteinandersterbens kennen wir nicht mehr. Wir sehnen uns nach ihrer Erneuerung. Wenn wir seit einer gewissen Zeit, aber 3.
Minjan, hebr. »Zählung«, in relg. Kontext: Gruppe von zehn, gemäß der jüdischen Tradition, mündigen Männern.
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mit der wachsenden Härte der Situation von Jahr zu Jahr immer zögernder, von Erneuerung des Judentums sprechen, so meinen wir eben dies, Erneuerung dieser Schicksals- und Glaubensgemeinschaft in einem, Erneuerung des Judentums als eines Lebensverbandes. Diese Erneuerungsversuche müssen von uns, wenn wir uns nichts vormachen wollen, ebenso kritisch betrachtet werden, wie wir die Vergangenheit ernst und kritisch betrachtet haben. Wenn eine Gemeinschaft nicht dadurch entsteht, daß einer seinen Nebenmännern die Hände reicht und sich nun in einer glorreichen Verbundenheit zu befinden meint, so gilt das auch für die Erneuerung der Gemeinschaft. Es genügt nicht, es ist noch gar nichts geschehen, wenn Juden etwa den begeisterten Willen haben, das Judentum zu erneuern, die jüdische Gemeinschaft wieder zu aktualisieren. Damit ist in einem gewissen Sinn noch weniger als nichts geschehen, insofern, als es besser ist, daß nichts geschieht, als daß man so tue, als ob etwas geschähe. Alle diese romantischen illusionären Erneuerungsversuche taugen nichts, solange die Menschen, die es angeht, nicht mit ihrem ganzen Wesen wissen, daß nur g e m e i n s c h a f t s f ä h i g e und nur durch wirkliche Hingabe des Lebens an die Gemeinschaft miteinander Gemeinschaft erfahren können, und nur indem sie sich gemeinsam zuwenden der namenlosen oder benannten Mitte, um die diese Gemeinschaft einst sich versammelt hat oder versammelt worden ist. Wenn man dies nicht weiß und bekundet und mit dem ganzen Leben bewährt, so lasse man lieber Hand und Gefühl von der Gemeinschaft. Mit unverwandelten Menschen, mit gemeinschaftsunfähigen Menschen, mit der Mitte unkundigen Menschen wird Gemeinschaft weder gestiftet noch erneuert, und durch guten Willen entsteht nicht Gemeinschaft, sondern ein Gemeinschaftsschein. Nur durch Leben wird Leben gezeugt und geboren. Darüber, über dieses Unabänderliche, führen keine Siedlungsunternehmungen und keine religiösen Bewegungen hinweg. Keine Siedlungsgründung kann aus gemeinschaftsunfähigen gemeinschaftsfähige Menschen hervorzaubern. Keine religiöse Bewegung kann den notwendigen Urgrund aller Glaubensgemeinschaft, eben das Sichangeloben, das Angelobtsein dahin setzen, wo es nicht ist, sondern sie kann, wo es nicht ist, nur Religion anstreben und, das Fatalste von allem, Religion fingieren. Nun bin ich noch auf eine Antwort gefaßt, die mir etliche von Ihnen in diesem Augenblick schweigend geben: Das gilt alles von der heutigen Gesellschaft, wir wissen aber, daß die verfault ist, daß sie bestenfalls nur Dünger für eine kommende abgeben kann, und wir meinen eben, daß es heute keine andere Gemeinschaft gibt, als an der Durchsetzung der Forderung einer neuen Gesellschaftsordnung arbeiten. Aber, meine Freunde, ich bin verpflichtet es zu sagen, auch dies ist eine Illusion. Nicht die neue
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Gesellschaftsordnung selber meine ich: ich bin mit rückhaltloser Herzenskraft auf Seiten derer, die lebensmäßig an der Entstehung einer neuen Gesellschaftsordnung arbeiten. Aber glauben Sie nicht, daß dies genug ist, daß die Begründung dieser neuen Gesellschaftsordnung genügen wird, damit Gemeinschaft werde. Wenn die Bindungen des Zusammenlebens und Zusammenwirkens von Menschen auf der Erde gerechter werden, wird die Echtheit gemeinschaftlichen Lebens der Menschen, unmittelbarer, ganzer Beziehungen zwischen Mensch und Mensch noch keineswegs verwirklicht; Menschen, die in Gerechtigkeit miteinander leben, leben darum noch nicht in Gemeinschaft. Damit, daß die Ungerechtigkeit, das ungeheuerliche Widerspruchssystem der heutigen Produktion, der heutigen Arbeitsformen, der heutigen Gesellschaftsschichtung überwunden ist, damit ist Gemeinschaftsleben, Lebensverbundenheit zwischen den Menschen noch nicht gestiftet. Geordnete soziale Institutionen werden dann bestehen, es wird kein Verbrechen gegen die Gesellschaft begangen werden dürfen, wie heute keins gegen das Privateigentum, es wird – wie heute das Kapital – dann die Gesellschaft geschützt werden, und in diesem ungeheuer stimmenden Apparat wird nur die Gemeinschaft vielleicht keinen Platz haben, wo sie ihr Haupt hinlege. Mit unverwandelten Menschen ist Gemeinschaft nicht zu bauen und Einrichtungen verwandeln Menschen noch nicht aus gemeinschaftsunfähigen in gemeinschaftsfähige. Gemeinschaftsfähigkeit der Menschen aber kann sich ebenso bewähren in der Gesellschaft der Auflehnung, des Widerspruchs wie in der Gesellschaft, der vollkommenen Ordnung. Es gab eine unferne Zeit in Rußland, wo es Gemeinschaft gab, es war die Frühzeit der russischen Revolution; da gab es Menschen, die aus Gemeinschaftshingabe alle persönlichen Unternehmungen und Erfolge hinwarfen, rund ins Volk gingen, um Revolution zu bereiten – da gab es Gemeinschaft; diese Menschen kannten sie in der Kameradschaft, ihrer illegalen Zusammenarbeit, so wie man sie im heutigen Rußland nicht kennt. An diesem Beispiel ist deutlich zu erkennen, daß es ein Drittes gibt, außer jenen großen historischen Gemeinschaften, jenen von Urgrund her sehenden Gemeinschaften, – eine geschehende Gemeinschaft, eine Gemeinschaft als Vorgang. Dieses Dritte war und das ist immer da in der Geschichte – ich glaube in der Tat, es kann auch in der Gegenwart sein – da und dann, wenn eine Schar von Menschen, gleichviel ob sie aus einer geschichtlichen Gemeinschaft, einer einzigen Schicksals- und Glaubensgemeinschaft oder aus mehreren hervorgegangen ist, in katastrophaler und umwälzender Weise, in der Weise der schwersten Erschütterung und der ernstesten Entscheidung eine gemeinsame Situation gemeinsam erfährt und dieser gemein-
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sam erfahrenen Situation gemeinsam antwortet durch gemeinsame Haltung, durch gemeinsames Verhalten – dann wird sie eben dadurch zum Gemeinschaftsverband. Aber wohlgemerkt, nicht etwa, wenn sie die Situation gemeinsam erfährt und nun die Antwort nicht zustande bringt. Denken wir uns eine Schar, die mit dem letzten Ernst des Ergriffenseins eine gemeinsame Situation erfährt und gemeinsam antwortet, tut und läßt, – also auch mit dem Lassen tut – gemeinsam tut. Die jüdische Jugend, von der aus und für die wir fragen, kann sich nicht mit einer romantischen Erneuerung des Judentums befassen, in dem Sinne, daß sie mißkennte, daß eine solche Erneuerung nur aus einer Erneuerung des ganzen Lebens wachsen kann. Sie kann nicht vermeinen, Gemeinschaft miteinander zu stiften, wenn sie nicht jenen archimedischen Punkt entdeckt, von wo aus heute Gemeinschaft allein erneuert werden kann: eben dies, daß eine Schar, die Situation, in der sie geschichtlich steht, gemeinsam erfährt und gemeinsam beantwortet. Die Situation des Judentums, die die deutsch-jüdische Jugend in dieser Stunde angeht, ist durch drei Dinge gekennzeichnet: 1. Nachdem durch die negativen Folgen der Emanzipation der innere Zusammenhalt, die kompakte Widerstandskraft des westlichen Judentums, geschwächt worden ist, hat der immer konzentriertere Angriff von außen auf das westliche Judentum begonnen. 2. Der noch nicht emanzipierte Hauptteil des Judentums, die ostjüdischen Massen, sind in ihrem Großteil seit kurzem in einen Prozeß wachsenden Zerfalls getreten, gerade hinsichtlich ihrer jüdischen Verbundenheit, ihrer Verbundenheit mit dem Urgeheimnis des Judentums in dem Punkt, wo beim Judentum Schicksals- und Glaubensgemeinschaft unlöslich miteinander verbunden scheinen. Die jetzige Generation des russischen Judentums kennt vielfach die Verbundenheit von Schicksalsund Glaubensgemeinschaft nicht mehr. 3. In eben dieser Zeit hat zunächst eine Minderheit der Judenheit vor unseren Augen, nunmehr weitere und weitere Kräfte der Judenheit – wenigstens organisativ – umfassend, ein Werk für das Judentum und vom Judentum aus in Palästina begonnen. Ein bisher kleines, merkwürdiges, gewagtes, umkämpftes, bedrohtes, widerspruchsvolles, unvergleichliches Werk begonnen. Ich weiß nicht, inwiefern dieses Werk heute schon ein Werk der Judenheit zu nennen ist. Wenn es das schon wäre, dann wäre die Judenheit schon mehr Gemeinschaft als sie es ist. Das ist das dreifache Zeichen der Situation, in der wir heute stehen. Diese Situation des Judentums redet die deutsch-jüdische Jugend in flammenden Zeichen an, aber ich weiß nicht, ob die Jugend diese Flammenzeichen zu lesen versteht, mit dem Wesen, mit dem Leben gemeinsam zu
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lesen und gemeinsam zu beantworten vermag. Ob das geschehen kann, weiß ich nicht. Ich habe geglaubt, es Euch als Vertretern jüdischer Jugend Deutschlands, so sagen zu müssen, wie es sich mir aufdrängt: als die jetzt und hier einzige große Möglichkeit, Gemeinschaft zu stiften und zu erneuern. Wenn Sie mich aber nun unmittelbar fragen: »Was ist also zu tun?«, – nun denn, ich habe in meiner Tasche kein Rezept, und ich habe nichts, was einem Rezept ähnlich ist. Denn dieser Aufruf der Situation, den Sie alle hören sollen, ist nicht dazu angetan, in eine Formel umgegossen zu werden. Es kommt darauf an, daß Ohr und Herz sich öffne und die ganze Kraft zur Verfügung stelle, dem was uns aufruft, jeder eben da, wo er steht und wo er als konkret wirken kann. Wenn er Gemeinschaft mit innerstem Herzen heilig meint, dann kann er daran nur wirken in seinem natürlichen Umkreis, so daß er eben da Gemeinschaft verwirklicht, soviel er kann, mit allen seinen Kräften: indem er also nicht darauf ausgeht, Gemeinschaft zu erfahren, ja indem er überhaupt nicht mehr auf »Gemeinschaft« ausgeht, sondern sich als gemeinschaftsfähiger Mensch, zu anderen Menschen, für andre Menschen, mit andern Menschen wahrhaft lebend, bewährt.
Schlußwort Zu den praktischen Fragen Eurer besonderen wirtschaftlichen und sozialen Situation kann ich mich nicht zuständig äußern, ich würde hineinund nicht dazu sprechen. Unter allen Fragen, die an mich gerichtet worden sind, befassen sich einige mit einem offenbaren Mißverständnis. Dies zu klären erscheint mir das Wichtigste. Wenn ich sagte, man könne Gemeinschaft nicht herstellen wollen, ebenso wie man Persönlichkeit nicht herstellen wollen kann, so war das keine Skepsis, es war kein Widerspruch zu einem früheren »Optimismus«, den ich übrigens auch nicht hatte. Ich halte Optimismus und Pessimismus für ein eigentlich nicht erlaubtes Spiel. Der Ernst der Situation, die wir in dieser Zeit zwischen irdischer Geburt und irdischem Tod zu durchleben haben, ist viel zu schwer, als daß wir uns optimistische Träume oder pessimistische Stimmungen zulegen dürften. Es kommt darauf an, zu wissen, wie furchtbar schwer es ist – und trotzdem zu glauben, dennoch zu glauben. Das war mein Grundgefühl von meiner Jugend her. Eine Unerschrockenheit des Sehens, kein Optimismus und kein Pessimismus. Genau so stehe ich auch jetzt zur Gemeinschaft. Ich glaube an die wer-
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dende Menschheit. Ich glaube daran, daran, daß die ganze Menschheit, ja die ganze Schöpfung, eben weil sie Schöpfung ist, angelegt ist darauf, Gemeinschaft zu werden, daß diese ganze Welt ohne Abstrich Stätte der Verwirklichung Gottes werden kann. Und ich glaube auch daran, daß dieses Ziel der Schöpfung mit den Entscheidungen, die wir in diesem, in jedem Augenblick treffen, unlösbar verknüpft ist. Was uns zu wissen frommt, ist, daß es keinen noch so ungewöhnlichen Augenblick in eines jeden von uns allergewöhnlichstem Alltag gibt, wo es nicht eine solche Verknüpfung der Erlösung der Welt mit unserem – proletarisierten oder nicht proletarisierten – Alltagsleben gibt. Die »Tretmühle« ist nun einmal die heutige Welt, und eben sie also, so schwer das auch erscheint, ist der uns gegebene und aufgegebene Ort für jene Verknüpfung. Wohl ist Gemeinschaft zu wollen, aber nicht als »Gemeinschaft«, so daß man die Form der Gemeinschaft von jedem Sinngehalt abgeschält zu erlangen sucht, sondern sie ist so zu wollen, daß man den Sinn seiner eigenen Gruppe in ihrem Gemeinschaftsgehalt gemeinschaftlich erfüllt. Es gilt, innerhalb einer Gruppe die Situationen, die sie antreten, gemeinschaftlich zu bewältigen und ebendadurch Gemeinschaft zu verwirklichen, ohne sie zum Programm zu machen, ohne zu sagen: Jetzt will ich Gemeinschaft, jetzt erlebe ich Gemeinschaft. Gemeinschaft ist eben nur im Alltag, in seiner Gegebenheit, in seiner Niederträchtigkeit zu verwirklichen. Ich bin durchaus dagegen, die Zweiteilung des Lebens zu akzeptieren, die in eine Tretmühle und eine Tretmühlenfreiheit. Wenn wir die Tretmühle hinnehmen sollen als etwas, wovon man sich nur in einem Teil des Tages, in einem Teil der Woche befreien kann, aber sie im übrigen hinnehmen so wie sie ist, dann verewigen wir sie. Und dann gibt es nicht etwa eine Freizeit, die anders beschaffen ist, sondern die Freizeit wird dann von der Tretmühle durchfärbt, und es wird keinen Augenblick in der Freizeit geben, der nicht Tretmühlenhaftigkeit in sich hätte. Der soziale Kampf ist nicht genug. Ich spreche von dem Punkt an, wo der soziale Kampf sich als ungenügend erweist, um ein echtes Menschenleben, ein echtes Gemeinschaftsleben zu begründen. Der soziale Kampf ist in diesem Punkte nicht nur ungenügend, sondern sogar irreführend, da er darauf ausgeht, die Zeit der Tretmühle nur herabzusetzen, und glaubt, damit genug getan zu haben. Selbstverständlich ist um die Kürzung des Arbeitstags mit allen sachlich gebotenen Mitteln zu kämpfen. Damit ist aber noch nichts im Entscheidenden getan. Ich bin durchaus bei den um »mehr Zeit« kämpfenden Gruppen, – aber ihre Verblendung liegt darin, daß sie meinen, damit sei genug getan. Eine Tretmühle, die 7 oder 6 oder 5 Stunden dauert, kann in kürzester Zeit sowohl in bezug auf
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die negative Gesamtempfindung wie auf die ungünstige Beeinflussung der Freizeit ebenso mächtig geworden sein, wie jetzt eine längere. Dafür hat die Zeitlänge als solche keine unmittelbare Bedeutung. Dies ist eins der Lebensprobleme, die mir am schwersten am Herzen liegen, Probleme, wo ich mich nicht einfach dem oder jenem Parteiglauben anschließen kann. Diese Fragen, die jetzt von der SPD. und KPD. als utopisch verschrien sind, sind die brennendsten Fragen. Weil das Leben entzwei gerissen ist, dürfen wir deshalb diese Zweiteilung in Hölle und Höllenfreiheit sanktionieren? Diese so u n m e n s c h l i c h durchrationierte Arbeitsweise, die als Prinzip nichts anders kennt, als die Ausnützung der physischen Menschenkraft, ohne Rücksicht auf eine Menschenwürdigkeit der Arbeit. Eine soziale Bewegung, die dieses nicht einbezieht, ist von dem Weg zur Gemeinschaft abgeschnitten. Also, um was es geht, ist – und vielleicht haben wir Juden als Anteilnehmende an dem sozialen Kampf der heutigen Menschheit gerade dieses Wort in ihn zu werfen – zu erkennen, daß all die sozialen Forderungen miteinander noch unter das Lasallesche Wort von der verdammten Bedürfnislosigkeit fallen. Zu wenig fordert die soziale Bewegung der Zeit, zu wenig geht sie darauf aus, das ganze soziale Leben durchmenschlichen zu wollen. Die Rationalisierung der Wirtschaft, der Technik wird besorgt von einer menschlichen ratio. Heute rationalisiert die menschliche ratio aber im Rücken der Menschlichkeit. Ich meine also nicht, daß wir romantisch suchen sollten, hinter die Rationalisierung zurückzuspringen, sondern daß wir dieser ratio menschliche Aufgaben stellen. Ein Gemeinschaftsleben wird in die Menschheit erst dann Einzug halten, wenn diejenigen, die die ratio rationell verwalten, neue Aufgaben stellen werden, der Technik, den Erfindern neue Aufgaben stellen, die nicht weniger, sondern vielleicht mehr Produktion ermöglichen, aber eine Produktivität unter wirklicher Einbeziehung des lebendigen persönlichen Menschen. Und dieses ist möglich. Das ist von der Technik aus nicht utopisch, sondern die Technik selbst bietet Möglichkeiten, wenn man dies ernstlich meint, d. h. wenn man den Menschen, den Raum, in dem er arbeitet, die Zeit, worin sich die Arbeit abwickelt, die Abwechslung zwischen mechanischer und nichtmechanischer Arbeit, zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Arbeit, die Möglichkeit einer vererblichen Arbeitsstelle usw. ernstlich in die großen technischen Aufgaben einbezieht. Das Proletariat ist kein Verhängnis und die moderne Arbeitsmethode ist kein Verhängnis; sie wäre es erst, wenn wir zu der Falschheit der unmenschlichen ratio Ja sagen würden, wenn wir zur Zweiteilung des Lebens in eine Tretmühle und eine Tretmühlenfreiheit Ja sagen würden. Es ist noch nichts verloren, denn nirgends – im Büro nicht, im Geschäft nicht – nirgends
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muß die Hölle sein. Überall hat mans mit lebendigen Menschen zu tun. Überall kann man fordern, daß die Arbeit menschenwürdig gestaltet wird. Zu dieser objektiven Forderung aber tritt eine zweite, subjektive, persönliche: daß man da, wo man steht, solange die sozialen Forderungen und jene eben angedeutete noch nicht erkämpft sind, selber die Menschlichkeit bewahre, so gut es geht. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß manche der sozial am heftigsten Fordernden an ihrem Platz das, was sie fordern, nicht so bewähren, wie es an diesem engen, beschwerlichen, widerspruchsvollen Platz immerhin zu bewähren ist. Keine menschliche Situation ist so verrottet, so gottverlassen, daß nicht irgendwie mitten in ihr Verwirklichung geschehen könnte. Jeder Mensch hat es in seinem Elend mit anderen Menschen zu tun, und zu anderen Menschen kann man ja doch immer und überall so stehen, daß man nicht nur nimmt, sondern auch gibt, daß Unmittelbarkeit zwischen Mensch und Mensch ist, daß Kameradschaft zwischen Mensch und Mensch ist. – Einer von Euch hat gesagt, man müsse sich »im Kleinen bewähren«, er hat recht, nur daß das »Kleine« kein Kleines ist. Es gibt in Wahrheit kein Großes und kein Kleines; bewähren bedeutet einfach das Ernstnehmen dessen, was man in dieser Stunde zu verantworten hat. Es ist vom Chassidismus gesprochen worden. Er lehrt, es komme darauf an, wie ein Mensch das tut, was er eben tut. Heiligung, Weg zu Gott, das bedeutet, daß der Mensch d a s , w a s e r j e t z t u n d h i e r z u t u n h a t , rein und heilig tut. Das wesentlichste vom Menschen aus für die Verbundenheit zwischen Mensch und Gott ist immer das, womit der Mensch sich in dieser Stunde abgibt, die Augenblicksverantwortung des Menschen, die Antwort, die der Mensch jederzeit geben kann auf das, womit Gott ihn gerade anspricht. Durch das, was uns Stunde um Stunde unseres Alltags, in der Tretmühle, widerfährt, spricht Gott uns, eben uns, an, und wir können ihm antworten durch das, wie wir da, in der Tretmühle, leben, in den Möglichkeiten dieses Raumes, dieser Zeit und dieser Situation. Da können wir die Heiligung üben, da können wir zu Gott hin. Wenn da nicht, dann nirgends.
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Die Jugend und der Zeitgeist Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe selten bei einem Thema, über das ich sprechen soll, so sehr wie bei diesem das Gefühl gehabt, nicht das Ganze behandeln, sondern nur einige Hinweise auf mir besonders wichtig, besonders beachtenswert scheinende Punkte geben zu können. Gerade deshalb ist mir eine Aussprache erwünscht, damit Punkte, die ich nicht behandle, die aber der eine oder andere als wichtig ansieht, miteinbezogen werden. Noch etwas anderes möchte ich vorausschicken. Ich werde immer wieder im Laufe des Vortrags zwei Zeiten, gleichsam zwei Epochen, miteinander vergleichen, von denen jede freilich nur einige Jahre umfaßt, und dennoch scheinen mir beide den Namen von Zeiten und Epochen zu verdienen: nämlich die Zeit der sogen. Jugendbewegung, und die Zeit, in der wir jetzt leben. Wenn ich diese beiden etwas scharf gegeneinander abhebe, so bitte ich Sie, das nicht als ein künstliches Vorgehen, als eine Schematisierung anzusehen; es ist vielmehr wirklich so, daß hier in einer geschichtlich selten vorkommenden Deutlichkeit die Charaktere zweier Zeiten scharf, in begrifflich präzis formulierbarer Weise gegeneinander abgewogen sind. Es sind wirklich Charaktere, die sich in diesen beiden Zeitaltern, das eine beginnend mit dem Jahre 1914 bis 1919, dann aber hinübergezogen bis zum Jahre 1923, in die Inflationszeit, und das zweite von da an bis seither – - – ich sage, es sind wirklich geistige Charaktere, die sich in diesen beiden Zeiten uns Mitlebenden darstellen, gleichsam darin realisiert haben. Wenn wir die Stellung der Jugend in beiden Zeiten betrachten, so haben beide eine eigentümliche Problematik. Die Problematik der Jugendbewegung scheint mir darin zu bestehen, daß diese Jugendbewegung, deren Subjekt also die Jugend war, die Jugend zugleich zu ihrem Objekt hat. Die Bewegung der Jugend befaßte sich mit der Jugend; ihre Zielsetzung und ihre Wegziehung war Jugend, sie setzte nicht einen Teil der Jugend über die Jugend hinaus. Sie zog nicht einen Weg, den die Jugend nun zu gehen hat, sondern ihr Leitfaden war Jugend. Die Problematik der Jugend war dadurch gegeben, daß Jugend in der Tat doch nur eine Zeit, ein Maß, so und soviel Jahre umfassende Zeit im Leben jedes Menschen ist, daß also dadurch, daß der Jugend kein über sie hinausschießendes Ziel gegeben war, kein Zusammenhang zwischen den Geschlechtern der Jugendbewegung entstehen konnte. Es wurde nun wirklich nicht ein Ziel, das jenseits der Jugend war, überliefert von Hand zu Hand, sondern immer wieder gab es nur Jugend: Jugend in Jugend, Jugend zu Jugend, Jugend für
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Jugend! Und damit erklärt sich, wie mir scheint, zu einem großen Teil jenes eigentümliche Phänomen, daß ein Geschlecht der Jugendbewegung um das andere gleichsam versickerte, versiegte, plötzlich nicht mehr zu sehen war. Ich erinnere mich gut an diese begeisterten, schön anzusehenden und anzuhörenden jungen Leute, die immer wieder zu mir kamen und nun mir Freude machten, aber nach kurzer Zeit sozusagen nicht mehr da waren, überhaupt nicht mehr waren. Sie waren irgendwo in das bürgerliche Leben, in die bürgerliche Welt untergetaucht, waren verschlungen worden von einem Element, das nun wirklich mit dieser Jugendbewegung nichts zu tun hatte, so daß man fragte: Ja, ist denn dies eine wirkliche Bewegung, oder ist es nur eine in sich kreisende, in sich immer wieder verschwindende Erscheinung? Und als solche hat, glaube ich, vom Gesichtspunkt des systematischen Betrachters aus, der all dies begeisternd auf sich wirken läßt, als solche hat sich diese sehr schöne, sehr erfreuliche Bewegung als eine Scheinbewegung deklariert. Ganz anders ist die Problematik der Nachkriegszeit, in der wir jetzt noch leben. Die heutige Jugend, die eigentliche moderne Jugend, die Jugend dieses Augenblicks befaßt sich nicht mehr mit Jugend. Ihr ist es nicht um die Jugend zu tun, ihr kann man gewiß nicht vorwerfen, daß sie der Jugend keine über sich hinausschießenden Ziele zeigt. Sie stellt die Jugend durchaus ein in überjugendhafte Zusammenhänge, denen man zu dienen nicht aufzuhören braucht. Man hat auch aufgehört, Jugend zu sein. Alles überlieferte Zusammenhänge! Aber hier haben wir eine andere eigentümliche Problematik, nämlich die einer steten Rücksichtnahme, beinahe buchstäblich zu nennenden hinter sich schauenden Rücksichtnahme darauf, wie es mit dem Zeitgeist steht, d. h. ob das eigene Denken, Fühlen, Handeln dem Zeitgeist konform bleibt. Ich empfinde es sehr oft bei jungen Leuten, mit denen ich zusammenkomme, daß die Hörenden und Sprechenden immer wieder vergleichen, vergleichen, was sie hören und was sie selbst zu sagen im Begriffe sind: Stimmt es nun mit dem Gültigen, mit dem vom Zeitgeist aus Gültigen überein? Gehört sich das, so zu denken? Gehört es sich von irgend einer konventionellen Tradition aus, von dem heute in unserer Zeit Maßgebenden aus? Stimmt es mit dem überein, was allein heute herrschen darf, mit den großen Zeitgedanken und neuesten Zwecksätzen? Ich sage, ich sehe auch darin eine Problematik. Sie ist nicht so einfach und leicht aufzuzeichnen, wie eine andere. Aber denken wir etwa an Zeiten der Geschichte, die wir als starke, als mächtige Zeiten empfinden, als Zeiten eines großen, bedeutenden menschlichen Daseins. Und da sehen wir, daß die führenden und vertretenden Menschen solcher Zeiten ganz und gar keine Rücksicht nehmen
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auf den Zeitgeist, auf den Geist dieser Zeiten, vielleicht weil sie den Kern dieses Zeitgeistes erfaßt haben. Sie fragen gar nicht danach: Ist das nun richtig vom Zeitgeist aus? Im Gegenteil, sofern ihnen der Zeitgeist wirklich erfahrbar ist, fühlen sie sich eher als seine Gegner, sie lassen sich vom Zeitgeist nicht diktieren, die Menschen der mächtigen Zeit. Sie lassen sich von ihm nur informieren, nämlich wie die Wirklichkeit beschaffen ist, die sie zu ändern sich berufen fühlen. Zeitgeist ist für sie die Voraussetzung, die natürliche Voraussetzung ihres Handelns, aber nicht als etwas, wodurch sie gebunden werden. Im Gegenteil: das ist Material, das sie zu modifizieren, zu wandeln haben, gewissermaßen so zu werten, daß sie sagen: Wir haben andere Herrschaft zu bereiten. Dieser Konflikt zwischen den eigentlich vertretenden Menschen in mächtigen Zeiten und dem Zeitgeist, d. h. dem in einer Zeit herrschenden und je und je gleichsam als ihr Aszendent sie ansprechenden Zeitgeist ist der eigentliche Mythos jeder großen Geschichtszeit. Gleichviel, ob die Menschen, von denen ich spreche, nun auf der Fläche der sogenannten Weltgeschichte sichtbar, bestimmend sind, oder dies durchaus nicht sind, sondern nur heimlich an der verborgenen unbekannten Weltgeschichte gewirkt haben, vielleicht einmal erkannt oder nicht erkannt werden, gleichviel, ob sie die Wurzeln des Lebens bilden – sie stehen immer irgendwie in einem mehr oder weniger deutlichen, mehr oder weniger manifesten Erneuerungskampf mit ihrem Zeitgeist. Dieses also scheint mir die Problematik dieser Zeit zu sein, daß die Menschen, oder daß die Jugend dieser Zeit den Zeitgeist als bestimmend für sich empfindet, nicht als eine Voraussetzung, die es zu erkennen und zu der es eine Beziehung zu finden gilt, sondern eine bestimmende Macht, von der man abhängt, nach der man sich zu richten hat. Diese eigentümliche Problematik der Abhängigkeit vom Zeitgeist, wie wir sie ja seit 1923/24 immer deutlicher erleben, möchte ich Ihnen noch etwas erklären und vielleicht an Beispielen deutlicher zeigen. Fragen wir zunächst nach der Zielsetzung. Ich will es, um es recht deutlich zu machen, immer wieder mit dem Problem der Jugendbewegungszeit vergleichen, also Zielsetzung der Jugendbewegung und Zielsetzung dieser Zeit. Die Zielsetzung der Jugend ist eine, wenn Sie wollen, doppelte. Aber das ist im Grunde eines, beides hängt sehr eng miteinander zusammen. Das eine Ziel kann man nennen Persönlichkeit, und das andere freie Gemeinschaft, oder einfach Gemeinschaft, aber in dem Sinne von etwas, wozu sich Menschen in der Freiheit und Freiwilligkeit jetzt und hier ohne sonstige Bindungen, über alle Bindungen hinweg zusammenschließen. Ich sage, beides ist im Grunde eines, aber beides ist im Grunde charakte-
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risiert dadurch, daß es als Ziel gesetzt sich selbst aufhebt. Man braucht nur Persönlichkeit werden zu wollen, um es von Grund aus zu verstehen, und man braucht nur Gemeinschaft zwischen Menschen stiften wollen, um die wirkliche Gemeinschaft zwischen ihnen unmöglich zu machen. Das ist nun einmal so. Beides, Persönlichkeit und Gemeinschaft, sind, philosophisch gesprochen, Phänomene, chemisch gesprochen sind es Nebenprodukte, die gelegentlich bei der Fabrikation eines anderen Stoffes entstehen, die teilweise ganz wertvoll sein können. Gaskoks z. B. ist eine ganz brauchbare Sache, aber er entsteht nebenbei. Persönlichkeiten und Gemeinschaften entstehen dann, wenn man nicht darauf ausgeht, sie entstehen zu lassen. Wenn man ein rechtschaffenes Leben führt mit bestimmtem Lebensziel und Lebensaufgaben, dann entsteht ganz von selbst das, was man Persönlichkeit nennt. Selbstverständlich bekommt man seine eigene Zwecksetzung, seinen eigenen Charakter eben deshalb, weil man ihn ganz und gar nicht meinte und ganz und gar nicht darauf ausging. Diese Eigenheit, diese Eigenart fällt dabei sozusagen ab als Nebenprodukt. Ebenso ist es mit der Gemeinschaft. Wenn Menschen eine gemeinsame Arbeit haben, ein gemeinsames Werk, wenn Menschen zusammenleben und zusammen an einer Sache wirken, oder wenn Menschen sich miteinander verschwören, um irgend eine gemeinsame Tat in der Ordnung der Zeit zu vollbringen, oder meinetwegen auch nur, wenn Menschen irgendwo an einem Orte beisammen leben und wirkliche Nachbarschaft miteinander halten, wirkliche Genossenschaft miteinander halten in den Angelegenheiten ihres gemeinsamen Lebens, dann entsteht so etwas wie Gemeinschaft. Aber wenn Menschen darauf ausgehen, jetzt sich zusammentun, um diese heilige Gemeinschaft zu verwirklichen, dann entstehen allerlei merkwürdige Stimmungen, oder zahlreiche interessante Regeln von Stimmungen, die man Gemeinschaft nennt, aber diese Wirklichkeitsgemeinschaft wird von Grund aus verfehlt. In dieser Problematik, in dieser Zielsetzung steht die Jugendbewegung. Die Zielsetzung unserer Generation – wohlgemerkt, ich spreche immer von der Jugend, wenn ich von Generation spreche, ich bitte, das immer so zu verstehen – also die Zielsetzung der heutigen Jugendgeneration scheint mir die zu sein, daß sie sich ganz und gar einfügt und hingibt an ein Massenziel. Es ist nun gar nicht ein solches Ziel der freien Einsetzung für einen jungen Menschen oder für einzelne Kreise, sondern gerade die Hingabe dieser Menschen und dieser Kreise an etwas über sie Hinausgreifendes, und zwar an etwas, was ganze Massen umfaßt. Also eine Zielsetzung, die nicht von der Jugend geschaffen ist, sondern der die Jugend sich
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einordnet, eine Zielsetzung von Massen und für Massen, denen die Jugend sich dauernd einfügt. Nun, auch dies scheint mir in dem Zusammenhang, den ich schon angedeutet habe, eine besondere Problematik zu haben. Nämlich die Einfügung, die Einordnung, die Hingabe an ein Massenziel wird zumeist von der Jugend so verstanden – ich erfahre das immer wieder, wenn ich mit jungen Leuten darüber spreche – wird zumeist, nicht durchaus glücklicherweise, aber zumeist so verstanden, daß es sich darum handle, an der Durchsetzung eines Massenziels, eines Massenzielprogramms zu arbeiten. Es ist im wesentlichen eine Teilnahme an der politischen Durchsetzung eines Massenprogramms, gleichviel politisch im parlamentarischen Sinn oder politisch im revolutionären Sinn. Aber dabei wird, wie mir scheint, die entscheidende Wahrheit übersehen, daß die Verwirklichung irgend einer Idee, die Verwirklichung irgend einer Zielsetzung in ihrer Art davon abhängt, ob die Menschen, die diese Verwirklichung wollen, jetzt und hier in den Zusammenhängen ihres persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens mit dieser Verwirklichung beginnen, so gut und so schlecht es eben jetzt geht. Also schlecht und recht, unzulänglich, aber es ist eben gut, soviel jetzt und hier möglich ist. Dieses geringe Interesse, womit hier angefangen wird, ist nicht nur ein Opfer auf dem Altar der Zukunft, sondern dies ist bestimmend für den werdenden Charakter der Verwirklichung der Idee. Es gibt keine wirkliche Eingliederung in eine Massenbewegung ohne den Versuch einer Gliederung dieser Massen jetzt und hier an dem Punkt, an dem man steht, d. h. daß man an dem Punkt, an dem man steht zu den Menschen, mit denen man zusammenwirkt, mit denen man in einer Bewegung zu tun hat, in diesen, sagen wir lokalen Beziehungen eben jenes Ziel der Massen an seinem Teile und mit seinen Möglichkeiten zu verwirklichen sucht. Also sagen wir, es sind Gemeinschaftsziele. Gemeinschaft, echte, wirkliche Gemeinschaft entsteht je und je dadurch. Zu einer neuen Gesellschaftsordnung, zu einem neuen Gemeinwesen, wie man es sich denken mag, können sich niemals einzelne Menschen zusammenschließen – das gibt niemals echte Gemeinschaft in dieser Gesellschaft, in diesem Staat, oder wie man es nennen will –, sondern es müssen immer bereits bestehende kleine Gemeinschaften sein, es müssen echte Beziehungen zwischen Menschen, Beziehungen im einzelnen zu den Menschen sein, die nun zueinander in Beziehung treten, die miteinander sich zusammenschließen und sich organisch wachsend erweitern zu einer echten Gemeinschaft, zu einem echten Gemeinwesen. Ich sage also, es kann dem Menschen, der an einem Massenziel wirklich mitarbeiten will, nicht erspart werden, das, was er meint, sogleich mit seinen Kräften zu verwirklichen in den Zusammenhängen seines Lebens.
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Es kann ihm nicht erspart werden, es sei denn um den Preis, daß er von der Verwirklichung seiner Idee abgezogen wird. Die Dinge sind nicht so, daß man zunächst einmal ein großes vorläufiges Zurückhalten übt, daß man an der Verwirklichung nicht mithilft, daß man sagt, wir werden später einmal sehen, sondern jenes »dann« und »dort« ist unlösbar verknüpft mit jenem »jetzt« und »hier« jedes Menschen, der daran hingegeben ist in einer Weise, die er nicht, abzumessen nicht zu formulieren vermag. Das möchte ich zunächst von der Zielsetzung andeuten. Und nun die Wegziehung zu diesem Ziele. Die Jugendbewegung war charakterisiert in Bezug auf den Weg durch einen – man hat es oft gesagt – Aktivismus, und zwar vom Zeitgeist aus. Aktivismus ist Handeln um des Handelns willen überhaupt, um grundsätzlich ein anderes Grundsätzliches zustande zu bringen; grundsätzlich vom Zeitgeist aus, der das Antlitz sehr oft verwandelt. Jedenfalls aber ein Handeln: Wir wollen nach unten vom Zeitgeist in die Möglichkeiten hinein! Ich brauche nicht auszuführen, warum dieser Aktivismus so gescheitert ist, wie er eben scheitern mußte. Diesen Aktivismus nun, dieser Glaube an das Massenhandeln schlechthin vom Zeitgeist aus, hat ein moderner Fatalismus abgelöst, ein Glaube an das Gebundensein, an das Bestimmtsein, an das Begrenztsein alles Handelns, an das Angewiesensein auf das Gegebene. Ich möchte sagen: Jene Wirklichkeitsblindheit des leeren Aktivismus hat eine Wirklichkeitsblendung, eine Blendung durch die Wirklichkeit abgelöst. Wenn die Jugendbewegung alle Wirklichkeit überstürmen wollte, ist nun in der Ernüchterung, die ihr gefolgt ist, eine falsche Indikation des Schwerbereichs, in dem man steht, und der Wirklichkeit überhaupt, entstanden. Nun, meine Damen und Herren, ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß es kein Ziel, keine Teilnahme am Ziel, keine Teilnahme an einem Weg großer menschlicher Zusammenhänge gibt ohne Erkenntnis der Abhängigkeit, in der wir uns befinden, d. h. jenen Aktivismus, die Erkenntnis der Situation, der Tatsächlichkeit, der Gebundenheit, der großen überpersönlichen Zusammenhänge, in die wir gestellt und von denen wir abhängig sind. Aber diese Abhängigkeitserkenntnis wird heute überspannt, übersteigert. Wir glauben an das Handelnkönnen der menschlichen Person und glauben an die Abhängigkeit dieser Person von dem Gegebenen. Beides gehört zueinander. Es ist ein einseitiger Abhängigkeitswahn entstanden. Auch die jungen Menschen fühlen sich nur noch als Vollstrecker überpersönlicher Aufgaben, als Botmäßige überpersönlicher Situation. Sie sind eingefügt in ein Räderwerk, das von selber läuft,
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und um nicht Romantiker zu werden, bekennen sie sich dazu, ein Rädchen an diesem Ort und in diesem Zusammenhang zu sein. Von diesen beiden großen Wirklichkeiten, die zusammen, miteinander und aufeinander bezogen sind, wird Schicksal und Verantwortung nur das wahrhaft Erlebte. Schicksal wird erlebt mit tiefem Ernst, mit einem Ernst, der nachgerade bis zur Schwermut, nachgerade bis zur Selbstvernichtung geht – mit großem Ernst. Was aber demgegenüber selbst unbelebt bleibt, ist die Antwort der Person auf das Schicksal, die nicht weniger relativ ist als jenes Schicksal, das uns geschickt ist. Dieses uns Geschickte, uns Zugesprochene fordert eine relative Entgegnung unserer Person, die einem selbst in dieser Schickung nicht vorweg genommen ist, sondern relativ in uns und im Geheimen unseres personhaften Lebens geboren wird. Dieses Zweite wird heute viel zu wenig gekannt und gelebt. Das heißt: Man weiß um das Bedingende, man weiß um die Bedingtheit und das Bedingtsein des Menschen durch die ungeheuren kosmischen, biologischen, geschichtlichen, soziologischen Zusammenhänge, die uns bestimmen, aber man weiß nichts über, man weiß nichts um jenes geringe oder große, mir scheint große mitbedingende Geheimnis der menschlichen Entscheidung. Wie sehr auch alle Materien, die das vorbereiten, alle Materien, die zu dieser Entscheidung hinführen und durch sie bewältigt werden sollen, wie sehr auch alle diese Materien, das ganze Material der Entscheidung nicht von der Person zu befreien ist, sondern vom Kosmos, von der Geschichte, von der Gesellschaft – die Entscheidung selbst, dieser erstrahlende elektrische Funke im Weltraum ist nicht bestimmt. Er wird von uns verkannt, wenn er auch als bestimmt angesehen wird. Niemals, glaube ich, so lange es Menschen geben wird, wird ausgemacht werden können, wieviel von dieser funkhaften Entscheidung je und je abhängt. Man kann immer wieder diese Entscheidung in ein kausales Weltverstehen hereinnehmen, man kann die Entscheidung immer wieder kausalisieren, also lediglich im Zusammenhang von Ursache und Wirkung betrachten, ganz objektiv. Aber wenn in der Wirklichkeit des Lebens, die jeder Mensch kennen lernt, im Augenblick der Entscheidung selbst, wenn er da nun nicht von irgendwelchen wissenschaftlichen, philosophischen oder religiösen Dogmen ausgeht, dann erfährt er, was er in diesem Augenblick kraft seines Lebens zu erfahren vermag: die Freiheit. Ich sage, da gibt es eine Wirklichkeit, deren Maße, deren Bestinnungen, deren Werk niemand zu überschauen vermag – die andere Seite der Weltgeschichte! Und fragen wir uns ganz praktisch: Wie steht es damit, wie wirkt sich die Vernachlässigung dieses Momentes der Verantwortung, der mitbedingenden Entscheidung aus?
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Ich stelle es mir vor im Bilde eines Parallelogrammes der Kraft. Nehmen wir an, es ist ungeheuer vereinfacht. Ich will es nur der vollkommenen Deutlichkeit wegen in diesem Bilde zeigen. Nennen wir das, was wir als Schicksal bezeichnen, die eine Kraftkomponente, und die andere Komponente sei unser Wille. Nun nehmen wir zuerst den Menschen A, der durchaus schicksalsabergläubisch, schicksalswahngläubisch ist, der sich sagt, es ist ja doch nichts anderes möglich, es muß das geschehen, was eben schon geschrieben steht im Schicksalsbuch. In diesem Menschen wird sich eben der geschichtliche Ablauf so und so vollziehen: Ich bin nur eingefügt, also ich habe das und das zu tun. Seine Kraftkomponente wird sich natürlich möglichst nahe an die Schicksalskomponente halten. Wir brauchen die Resultante nur zu ziehen, um zu sehen, wie der Unterschied zwischen dem, was sich dabei ergibt, ist, gegen einen anderen Menschen, der da sagt: Ja nun, all diese ungeheuren Begebenheiten, all diese Last von Unfreiheit, die wir zu tragen haben, mit der Belastung des Schicksalhaften und dem Stehen, wie es steht – es kommt mir zu, es zu erkennen, von da aus habe ich zu handeln, das ist Materie, die ich zu verwenden habe. Aber ich habe mich nicht darum zu kümmern, sondern ich habe jetzt das zu wollen, was ich von meinem Sinn, von meiner Sinnhaftigkeit aus will, wollen muß, d. h. – ich bitte, mich nicht mißzuverstehen – wollen muß nicht von meiner Schicksalsbestimmtheit heraus, sondern von innen heraus, von Geburt heraus. Und nun ziehen Sie die Linie. Da wird es sich ergeben, daß diese Linie, diese Resultante, eine ganz andere ist als die vorherige. Dieser Mensch, der das Schicksal nicht ignoriert, aber sich nicht nach ihm gerichtet hat, biegt die Entscheidung von der Schicksalslinie ab. Hier hört schon die Mathematik auf, wir dürfen sie gleichsam nicht fesseln. Und nun: Worin liegt die Verschiedenheit der Problematik begründet? Ich glaube, wir müssen für ein paar Augenblicke in noch tiefere Schichten hinabsteigen, nämlich in die Schichten, wo nach dem Sinn des Lebens überhaupt gefragt wird. Diese Kreise führen bis in das 18. Jahrhundert zurück, das noch vielfach nachwirkt bis an die Schwelle der Zeit hin, von der wir reden. Da haben wir inbezug auf den Sinn des Lebens ein Dogma, vielleicht religiös oder wissenschaftlich-philosophisch. Der Sinn des Lebens steht fest, der Sinn des Lebens ist primär. Der Mensch kann das wissen, entweder dadurch, daß er in dieser veralteten Tradition steht, die es ihm sagt, was der Sinn des Lebens ist, oder daß er seine Vernunft anwendet und erkennt, was der Sinn des Lebens ist. Jedenfalls: der Mensch kann wissen, was der Sinn des Lebens ist. Den größten Zweifel an diese Wißbarkeit spricht der deutsche philosophische Idealismus aus, der etwa mit Kant beginnt und mit Nietzsche endigt. Dieser Idealismus sagt:
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Es ist nicht möglich, es ist ganz offenbar nicht möglich, zu wissen, was der Sinn des Lebens ist. Über die Erfahrung hinaus können wir an Sinnhaftigkeit nur das erkennen, was wir selbst an die Sinnhaftigkeit in die Erscheinung hineingelegt haben. Wir holen aus der Wirklichkeit das heraus, was wir durch die Form unserer Anschauung, oder was wir durch die Kategorie unseres Verstandes, unseres Wollens hineingedacht, hineingeschaut haben. Ich kann Ihnen keinen Abriß der Geschichte des deutschen Idealismus geben, aber es führt eine gerade Linie bis auf Nietzsche. Er sagt: »Es gibt keinen Sinn des Lebens als den, den der Mensch dem Leben verleiht.«1 Wir haben hier die radikalste ultimativste Äußerung des Idealismus. Alles wird nun in den Menschen aus dem Geist des Menschen hereingenommen. Der Mensch verleiht dem Leben einen Sinn, und damit wird auch die Bedeutung, den der Sinn des Lebens für den wirklich lebenden Menschen hat, klar. Denn die Tatsache, daß das Leben einen Sinn hat, dürfte dem wirklich lebenden Menschen damit völlig aufgehen. Die Bedeutung, der Wert eines Sinnes des Lebens für den Menschen, der sich zu diesem Sinn des Lebens bekennt, ist doch schlechthin die, daß dieser Sinn des Lebens existiert nicht von meiner Gnade, sondern er ist in die Welt, die diesen Sinn hat, in das Leben, das diesen Sinn hat, hineingeboren worden. Und nun gilt es, diesen Sinn wahrzunehmen als etwas, was da ist, als etwas nicht von meiner Macht stammend. In dem Augenblick, wo ich mir zuspreche, diesen Sinn dem Leben verliehen zu haben, mir, dem Menschen, verliert der Sinn diese Bedeutung. Die Bürgschaft, die er dem Menschen gab, daß er in diese sinnhafte Welt eingestellt ist, hört auf, und diese Sinnverleihung nun wird ein ästhetisches Geschäft des Menschen, an dem er Gefallen haben kann, das aber für die Beziehungen zu einer lebendigen Person und dem von ihr zu lebenden Leben und dem von ihr zu sterbenden Tod nicht das geringste bedeutet. Dieser Idealismus ist es, der sich letztlich in der deutschen Jugendbewegung dargestellt hat. Und was nun auf sie folgt, ist ein Scheinradikalismus, d. h. jener Zweifel am Sinn führt zu der natürlichen Konsequenz jenes ästhetischen Spieles mit der Sinnverleihung. Dieses Spiel hält nicht vor, der Glaube an den Sinn erstickt. Das ist die eigentliche Situation, in der wir leben, der wachsende Zweifel am Sinn des Lebens, der in seiner schärfsten Form viele von den Selbstmorden junger Menschen, die wir heute erleben, letztlich erklärt. Die pri1.
Das Zitat könnte sich auf F. Nietzsche »Aus dem Nachlaß der Achtziger Jahre« beziehen: »Es gibt keinen hTatbestand an sichi, sondern ein Sinn muß immer erst hineingelegt werden, damit es einen Tatbestand geben kann.« (Friedrich Nietzsche, Werke, Bd. 3, hrsg. von K. Schechta, München 1969, S. 487).
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vaten Begleitumstände beruhen, wenn wir recht horchen, recht hinschauen, immer wieder auf demselben Zweifel, auf dem Grund der furchtbaren Erscheinungen. Und doch gibt es eine gelindere Flucht als die Flucht in den Tod. Das ist die Flucht in die Masse. Verstehen Sie mich recht: Nicht die Hingabe an die Masse wäre der Sinn der Realisierung des Massenzieles von jetzt und hier aus, sondern die Flucht vor der Überzeugung, über die eigene Verantwortung, nicht hinauszugelangen, die Flucht aus dem sinnlos gewordenen persönlichen Leben, das sich selbst nicht mehr erträgt, in die tragende, forttragende Masse, in der man gleichsam wirklich untergeht. Und nun, meine Verehrten, wenn ich das so ausdrücken darf, ich weiß nicht, welche Menschen das heute sind, die man mit diesem »Was« zu bezeichnen pflegt. Aber ich habe das Gefühl, daß das ein »Was« gibt, was gemeint ist. Wir älteren und jungen Menschen, die wir erkennen und spüren, an dem Punkt zu stehen, den ich zu zeichnen versucht habe, wir können uns mit alledem nicht begnügen, nein, vielmehr wir können mit alledem nicht leben. Wir können damit nicht leben und wir wollen damit nicht leben. Freilich, wir können nicht zu der Auffassung derer zurückkehren, die sagen: Ja, wir können nicht dies und dieses, – oder zu jener Auffassung: Ja nun, es ist eben der Mensch, der diesen Sinn verleiht. All das taugt uns nicht, das frommt uns nicht, das hilft uns nicht. Aber wir können glauben an einen seienden Sinn des Lebens, den wir nicht besitzen, den wir nicht besitzen können, den wir aber je und je an unserem personenhaften Leben erfahren dadurch, daß wir eben dieses Leben in seinen wechselnden Situationen aushalten, austragen, bestehen, daß wir einer Situation nach der anderen standhalten, in sie eingehen, sie bewältigen. Also: ein nicht wißbarer Sinn, aber ein erfahrbarer Sinn, erfahrbar in den großen Zusammenhängen des Lebens, wenn es so gelebt wird, erfahrbar in unserem eigenen Erleben, in der Begegnung des Erredeten mit dem Ansprechenden. So verstanden finden wir freilich im Dunkel den Sinn des Lebens wieder und damit irgendwie den Zusammenhang des gelebten Lebens bis an die letzte Stunde. Wir bauen diesen Zusammenhang aus Augenblicken auf, aus gelebten Augenblicken, aus den Situationen, denen wir standhalten. Aber diese Augenblicke sind etwas anderes als das, was der heutige Mensch zumeist den Augenblick nennt, etwas anderes als jenen genannten flüchtigen Ablauf, wo von dem einen zum anderen Ablauf keine Brükke führt, als jene kleinen und großen Zwecksätze, die aus sich selbst nicht wissen, was gemeint ist, wenn wir Situation sagen. Diesen letzten Ernst, diesen offenbarenden Ernst des Lebens, der jedem von uns in der Sprache seines persönlichen Lebens zugesprochen wird,
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sinnen und erfahren wir, indem jeder von seinem Weg aus, mit seinem Tun und Lassen, mit seinen Entscheidungen darauf erwidert, da erst wirklich empfängt. Also: Sinn wird uns spürbar in dem wirklichen Kontakt des Eigenen mit dem Anderen, in der wirklichen Spannung zwischen Schicksal und Verantwortung. Denn Antwort und Verantwortung ist eins, im Kontakt des Eigenen mit dem Anderen, das uns je und je bewegt. Also bedeutet Gewißheit Besitz, aber auch die große Demut, je und je die ganze Begrenztheit zu erfahren von dem Handeln; Gewißheit, daß es Wahrheit gibt, und zugleich die Überzeugung, daß jeder von uns anderes nichts anderes haben kann als einen personenhaften Zugang, als ein personenhaftes Verhältnis zur Wahrheit, das niemals mit einem Stücklein der seienden Wahrheit identisch werden kann, das niemals sich in einen Besitz, in ein Haben der Wahrheit verwandeln kann. Wahrheit! Ich habe vielleicht niemals so die Problematik dieser Zeit, von der ich spreche, gespürt, als wenn ich junge Menschen miteinander in dieser Zeit reden hörte, und zwar über irgend welche religiöse, philosophische oder soziale Gegenstände, und wenn ich dann hörte, wie der eine irgend etwas sagte, offenbar ernsthaft sagte, offenbar als das Ergebnis seines Denkens mitteilte und wartet nun, ob auf dem Gesicht des anderen sich etwas regen würde, wenn er antwortet, und auch in seiner Stimme irgendwie mitklingt eine Frage: Warum, warum sagt er das? Es war früher selbstverständlich, daß in dem schönen Kontakt zwischen jungen Menschen, in dem schönen geistigen Kontakt, den man Gedankenaustausch nennt, wenn einer etwas äußerte, der andere sich fragte: Ist das so? Ist das wahr? Verhält sich das wirklich so, was er sagt? Heute mischt sich in die Objektivität des Hörenden etwas anderes, aber in fragwürdigem Sinne. Heute fragt er: Warum sagt er das? Das kann zweierlei Bedeutung haben. 1. Aus welcher soziologischen Bedingtheit sagt er das? Um es ganz kraß auszudrücken: Von welchem Klasseninteresse aus? 2. Aus welcher psychologischen Bedingtheit sagt er das? Um es ganz kraß auszudrücken: Von welchem psychischen Komplex aus? Für unsere Zwecksetzung scheint mir die erste Frage nach der soziologischen Bedingtheit besonders wichtig. Also, man fragt: Warum sagt er das? Das heißt: Von welchen gesellschaftlichen Bindungen bestimmt sagt er das? Was aber der Sprechende als Wahrheit meint, doch nicht als Ausdruck eines Verhältnisses zu irgend welchen gesellschaftlichen Mächten, sondern als Wahrheitsäußerung. Demgegenüber erscheint es mir wichtig, daß die heutige Jugend erkennt, daß alle soziologische Bedingtheit, deren Vorhandensein nicht zu bezweifeln ist, daß alle soziologische Bedingtheit für das Denken und Sprechen einer menschlichen Wahrheit der Ausgangspunkt ist. Wahrheitsuchend enthebt sich der Mensch seiner Grup-
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pe, der er nicht entwachsen kann, ohne ihr zu entwachsen; er enthebt sich ihr, in dem er die Wahrheit sucht. Ich sagte, es gibt keinen absoluten Wahrheitsbesitz, aber ebensowenig besteht eine völlige Realisierung der Wahrheit. Der Mensch macht die Wahrheit nicht, aber er kann ein rechtschaffenes, rechtmäßiges, personenhaftes Verhältnis zur Wahrheit gewinnen. Es ist, wie mir scheint, sehr wichtig und von unserer Zeit schwer verkannt, daß die wahrheitsuchenden, die wahrheitgewinnenden Menschen verschiedener Gruppen einander real begegnen können. Nehmen Sie mal innerhalb der verschiedenen politischen oder sonstigen Gruppen eine natürliche, aber leider schwer vorzunehmende Scheidung, weil wir nicht in Herz und Nieren schauen können, vor. Das heißt eine Scheidung zwischen den Menschen, die das, wozu sie sich bekennen, wirklich meinen, für die die Gesinnung, die sie bekennen, Real-Gesinnung ist, etwas, was sie in ihrem persönlichen Leben, so gut und so schlecht sie es können, zu verwirklichen suchen, und den anderen Menschen, die dieselbe Gesinnung als Fiktivgesinnung haben, als etwas, an dessen Durchsetzung man beteiligt ist, für dessen Durchsetzung man kämpft, unter Umständen sehr opfermutig kämpft, aber doch nicht so, daß man bereit wäre, im entscheidenden Augenblick die Substanz des eigenen Lebens, die allen Menschen bekannt ist, das eigene Leben herzugeben, die das Leben hinwerfen können, aber nicht wirklich hergeben für ihre Gesinnung. Nun aber besteht jenes rechtmäßige Verhältnis des Menschen zur Wahrheit darin, oder es beruht darin, daß er den Willen hat, diese Wahrheit zu bewältigen. Es gibt kein einziges Verhältnis eines Menschen zur Wahrheit, es gibt keinen einzigen Zugang zu der Wahrheit, die der Mensch nicht besitzen kann, zu der er aber in Beziehung treten kann, es gibt kein einziges Verhältnis des Menschen zur Wahrheit, insofern er nicht diese Wahrheit, so gut er kann, bewältigt. Sprechen wir nun von den Gruppen. Ich sagte schon, die Wahrheitgewinnenden verschiedener Gruppen begegnen einander. Ich möchte das verdeutlichen. Die realgesinnten Menschen verschiedener Gruppen haben miteinander zu tun. Die realgesinnten Menschen, sagen wir einer sozialistischen und einer konservativen Gruppe, die verschiedene Zielsetzungen haben, haben kraft ihres realen Verhältnisses zur Wahrheit miteinander zu tun. Sie haben eine nicht vorbedingte Formulierung, aber unverkennbare gemeinsame Front durch alle Parteien hindurch. Sie haben einen gemeinsamen Kampf, den jede in ihrer eigenen Weise kämpft, für die reale Gesinnung gegen die fiktive Gesinnung. Ich sage, die Wahrheitgewinnenden verschiedener Gruppen begegnen einander in der Wirklichkeit des Geschehens. Aber auch bei den einzelnen Gruppen steht
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es so, daß ihr wahres Leben nicht, wie man gewöhnlich heute meint, in ihren Interessen begründet ist, so wichtig diese auch für den Lebensaufbau der Gruppe sind, sondern begründet ist dieses wahre Leben in etwas, was über diese Interessen hinausgeht. Dieses wahre Leben der einzelnen Gruppe ist nicht begründet in dem Bedingenden der Gruppe, sondern in dem Wahrheitskampf ihrer gruppenechten Vertreter, in dem Kampf ihrer echten Vertreter um die Wahrheit. Und innerhalb dieses Wahrheitskampfes der echten Vertreter der Gruppe, gerade in jenen Ewigkeitsmomenten, in denen die Person sich, wie ich schon sagte, ihrer Gruppenbedingtheit enthebt und als Person um die Erkenntnis der einen Wahrheit ringt, eben damit begründen sie, die Vertreter, immer von neuem das wahre Leben der Gruppe. Da es so ist, sagte ich, ist es wesentlich für die Jugend, gerade eben für die Echtheit ihres Gruppenzusammenseins, zu erkennen, daß die soziologische Bedingtheit der Ausgangspunkt ist. Und indem ein Mensch im Gegensatz zu dem, was ich angedeutet habe, wie es sich meistens verhält, mit seinem Gesprächspartner gegen den Angriff der personenhaften Unbedingtheit, des nicht realisierbaren Verhältnisses zur Wahrheit ankämpft, bereitet er, so glaube ich, die Herrschaft der einen Wahrheit über die Menschheit vor. Nur andeuten kann ich in diesem Zusammenhang, wie es sich mit dem anderen verhält, mit der Bedingtheit von dem psychischen Komplex. Ich kann hier Ihnen nicht sagen, warum die theoretische Grundlage dieser Anschauung mir fragwürdig erscheint. Aber wie immer es sich damit verhält, soviel scheint mir auch in diesem Zusammenhang zu zu sagen sein, daß es sich um eine analytische Betrachtung handelt. Wenn ein Mensch einen andern ansieht daraufhin, von welchen psychologischen Hemmungen aus, von welchen psychologischen Bedingtheiten aus er das denkt, meint, äußert, was er äußert – - ich sage, dies ist eine analytische Betrachtung von Mensch zu Mensch. Ich sagte schon, Gemeinschaft entsteht durch Gemeinschaft. Das heißt also: Wer ein Gemeinschaftsziel hat, der kann nur dadurch in Wahrheit am besten zustandekommend arbeiten, daß er jetzt und hier mit der Verwirklichung von Gemeinschaft beginnt. Diese Entstehung von Gemeinschaftssubstanz, aus der sich jede große Gemeinschaft aufbauen soll, wird zersetzt, wird verhindert dadurch, daß der Mensch dem andern Menschen analythisch gegenübersteht und ihn nicht als Totalität wahrnimmt. Denn echte Beziehungen gibt es ohne die Totalität nicht. Dasselbe gilt auch für die Beziehungen zum andern. Wer den andern als Komplexgespenst sieht statt als lebenden ganzen Menschen, der verliert die echten Beziehungen zu sich und zu anderen. Wirkliches Denken, organisches
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Denken ist Zusammenschluß der vielfältigen menschlichen, lokalen Motive, seelischen Zusammenhänge. Zusammenschluß also Überwindung aller pathologischen, autonomen, aller soziologischen Motive. Wer also denkt, wer die Äußerung des andern Menschen anerkennt, daß der die Wahrheit meint und äußert, wer ein rechtmäßiges Wahrheitsverhältnis lebt und anerkennt, der fördert das Neuwerden der Totalität und der Beziehungen zur Totalität in einer Zeit, die daran furchtbar arm geworden ist. Und nun, meine Verehrten, möchte ich Ihnen noch wenigstens einen Ausblick in den eigentlichen Lebensbereich von da aus geben. Ich meine das Verhältnis der Jugend zur Situation, zu einer gesellschaftlichen Situation, zu einer Situation, die das mit allen Menschen teilt, und zur personenhaften Verantwortung in dieser Situation, ihr gegenüber. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Eines, das heute sehr viel besprochen wird und über das man eigentlich an einem Abend allein sich unterhalten müßte, ist das der Liebe zum Manne und in der Ehe. Sie wissen, die Jugendbewegung hatte, ich möchte sagen ein Pathos der Übereiltheit, das mit den alten Bindungen aufräumen wollte. Es war alles problematisiert, und zwar hochproblematisiert, so daß man den ganzen Tag nichts anderes tat, als problematische Gespräche über die Problematik zu führen. Man wurde die Bindungen los, jetzt stand man in der Freiheit. Was für eine herrliche großartige Sache in der Freiheit besteht, ja, darüber kam man im wesentlichen nicht hinaus, sofern dies nicht die Situation ergab. Ich muß gestehen, daß ich die Leute, die ich sonst sehr gerne mochte, nicht immer belehrt habe. Man war von der Problematisierung so angefüllt, daß man in der wirklichen Situation fast ratlos dastand. Es war sonderbar, daß es solche Wirklichkeiten gab, die von niemand bewältigt werden konnten. Aber davon hing es meistens ab. Auf diese Zeit folgte jene überlegene, freundliche, liebenswürdige Behandlung der Probleme, wie sie unserer Zeit heilig ist, und wie sie etwa, um ein bekanntes Beispiel zu geben, durch die Bücher des Schriftstellers Herrn Lindsey charakterisiert ist. 2 Nehmen wir ein Beispiel, um es ganz deutlich zu machen, um was es sich handelt. Ich nehme ein Beispiel von Lindsey selbst. Es kommt, sagt er, ein junges Mädchen zu mir, das Unglück gehabt hat. Es soll ein uneheliches Kind zur Welt bringen. Fatale Sache. Da sage ich: Liebes Kind, machen Sie doch keine Sachen. Da drüben ist eine Ehefrau, die kein Kind hat. Sie möchte gern ein Kind nehmen. Wir werden dann dieser Frau ihr
2.
B. Lindsey, The Revolt of Modern Youth (1925) und Compassionate Marriage (1927).
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Kind bringen, die wird es als ihr Kind deklarieren und aufziehen, und damit ist beiden Teilen geholfen. Es ist alles in Ordnung. Das ist ein ganz triviales, aber charakteristisches Beispiel für die liebenswürdige Überlegungsmanier des Herrn Lindsey und dieser Weltanschauung überhaupt, mit diesen Dingen fertig zu werden. Das uneheliche Kind ist auch ein Exempel für den Wandel der Anschauungen. Früher war es eine höchst bedenkliche Sache. Dann war es eine mehr oder weniger finanzielle Sache des Vaters, und jetzt ist es eine etwas unbequeme Sache geworden, womit man eben fertig wird. Dazu sind eben liebenswürdige und überlegene Leute da, um das zustande zu bringen mit außerehelich Geborenen. Man gibt das Kind da oder dorthin. Es handelt sich um eine vernünftige Technik, dann wird sich alles finden. Aber man wird damit fertig. Es ist das typische Beispiel für jene Zeitkrankheit, mit Situationen nur fertig zu werden, aber sie nicht wirklich zu bewältigen. Ich weiß nicht, ob in diesem Falle das Schicksal besonders schwer war oder nur halb schwer. Aber statt nun dieses Schicksal, das dem Mädchen geschickt worden ist, von ihm austragen zu lassen und zuzusehen, was aus ihm wird unter dem Anfall dieses Schicksals – das Schicksal möchte doch erst aus uns heraus das bilden, was wir sein sollen –, statt dessen geht man davon aus, wie es am bequemsten ist. Es ist bequem – es ist natürlich sinnlos –, aber es ist bequem, das Schicksal immer wieder so abzuschleifen, daß nichts Menschenknetendes mehr an der Schicksalsmacht, nichts Menschenformendes mehr an der Schicksalsmacht übrig bleibt. Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel, nehmen Sie die schwierige Ehe. Die Ehe war ehedem ein Sakrament, und es war verständlich, daß sie, wenn es auch Schwierigkeiten gab, als solche bewahrt wurde. Die Ehe wurde, je personenhafter der Mensch wurde, schwieriger. In der persönlichen Problematik unserer Zeit besonders schwierig. Und in der Jugendbewegung, die nun das Pathos dieser Problematik ist, ist es überhaupt nichts mit der Ehe. Man baut neue Beziehungen zwischen den Menschen, Beziehungen, die nicht Institutionen waren, aber mit denen man weiter kommen wollte. Ich brauche darüber nicht zu reden. Aber jetzt ist es so. Gewiß gibt es eine Ehe. Gibt es aber eine schwierige Ehe, dann löst man sie. Wozu denn eigentlich neue Beziehungen? Wozu soll man diese großen Probleme machen? Eine schwierige Ehe wird getrennt. Zu was ist denn die Institution der Scheidung da? Die Frage, ob die Schwierigkeiten dieser Ehe den beiden Menschen bedeuten soll, daß sie hier etwas zustande bringen sollen, daß ihnen mit diesen Schwierigkeiten etwas aufgegeben ist, daß sie sie bewältigen sollen, worauf sie erst zu ihrer eigentlichen Menschheit erwachen können, diese Frage taucht gar nicht auf. Das alles
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wird leicht und bequem abgelenkt, man wird fertig mit diesen Situationen, bis man mit dem Leben fertig ist. Aber, meine Verehrten, daran versündigt sich dieses Geschlecht an einer ganz einfachen, auch sehr trivialen Grundfrage, nämlich der, daß das menschliche Leben – darin unterscheidet sich der Mensch von den andern Kreaturen – genau so viel wert ist, wie es. Jedes Leben eines Menschen ist genau so viel wert, wie er dafür bezahlt. Wenn er am Schlusse, am letzten Tage wirklich fassen könnte, was er an Lebenswerten heimträgt in die Ewigkeit, dann hätte er genau soviel in der Hand, wie er dafür hergegeben hat an Schwierigkeiten, an Kämpfen, an Widersprüchen, an Leiden, an der Not des Lebens. Aber wer aus der Not des Lebens entflieht und immer wieder entfliehen will, dessen Leben nur aus Episoden besteht, der diese Kämpfe, diese Schwierigkeiten nicht bewältigen will, der kennt den Preis und kennt den Wert des Lebens nicht. Es ist ein Leben aus Episoden, es schließt sich nicht zu einer Einheit des Lebens zusammen. Nun, das gleiche etwa gilt für die Frage des Berufes. Die Jugendbewegung setzt sich über den Beruf einfach hinweg. Ach, Beruf ist etwas ganz Unwichtiges, man will eben leben. Für den falschen Realismus, der unsere Zeit kennzeichnet, ist der Beruf eine leidige Tatsache, eine ekliche Sache, um die man nicht herum kann. Man muß eben eine bestimmte Arbeit leisten. Vielleicht ist sie befriedigend dadurch, daß man sie in irgend einem großen Zusammenhang hat, aber in der Forderung der Arbeit, in dem tatsächlichen Tag für Tag leisten ist sie leidig und ärgerlich. Man kann damit nur dadurch fertig werden, daß man sich sein Leben gründlich zweiteilt. Man hat so und soviele Arbeitsstunden im Tag, und die bringt man, ich will nicht sagen in der Hölle, aber im Fegefeuer zu. Dann gibt es ein ganz rein technisiertes Leben ohne eigentlichen Anteil der Person, ohne Unmittelbarkeit zu den Menschen, ohne eigentliche Beziehungen zu den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, mit denen man lebt in diesem Betriebe. Nachdem man 8, 10 oder 12 Stunden – auch 6 Stunden sind lange genug – in diesem Fegefeuer zugebracht hat, dann kommt hernach das eigentliche Leben, dann hat man das, was man Erholung nennt. Wie bringt man das zu? Wie vollbringt man das andere? Genau so, wie man des erste zugebracht hat. Diese Zeit der Erholung ist genauso durchtränkt von dieser Mechanisierung, von diesem Charakter der Arbeit. Man meint, es ist eine Zweiteilung, aber im Grund genommen ist es eine einzige Sphäre und die Ausstrahlung dieser Sphäre in das übrige Leben. Aber soll bei diesem Charakter der Arbeit wirklich auch eine Erholung bereitet werden können? Sollen die Menschen wirklich von jetzt ab, für alle Zeiten, sollen die Menschen der kommenden Zeiten so leben: So und soviele Stunden Fegefeuer, und das andere, wie es eben beschaffen
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ist? Soll diese Zerspaltung des Lebens grundsätzlich festgehalten, festgelegt werden? Oder gibt es vielleicht doch etwas anderes? Gibt es zur Technik, um es mit einem Worte zu bezeichnen, gibt es zur Technik wirklich kein anderes Verhältnis, als entweder das der Ignorierung, das es früher einmal gab, oder der schlichten Akzeption in Bausch und Bogen, was man jetzt hat? Oder gibt es am Ende die Möglichkeit einer Durchsetzung der Technik? Ist vielleicht die Technik samt und sonders nur das Material eines ungeheuren riesenhaften, freilich unheimlich riesenhaften Materials, das wir dennoch mit unserer Menschlichkeit zu durchmenschlichen vermögen, wenn wir uns erst das Ziel setzen, nicht zurück zu einer primitiven Form, sondern zu diesem allem nunmehr den Menschen so einzustellen, daß er in diesen Zusammenhängen menschenwürdig, in menschlichen Verhältnissen, weit über die Person hinausgreifenden Zusammensetzungen menschlich zu leben vermag? Ich sage, diese Frage nach der Arbeitsweise, nach der Arbeitsform des Menschen von den höchst differenzierten Berufen bis zum ungeschulten Proletarier, gleichviel, es ist immer dieselbe Frage: Kann sie durchmenschlicht werden? Das heißt: Können wir unter diesen Voraussetzungen die besonderen technischen Aufgaben, etwa den Erfindern, so stellen, daß der Mensch in diesen Zusammenhängen als Mensch verwendet wird? Es gibt noch Arbeitsfreudigkeit, zweifellos, bei der ein Zusammenhang des Menschen mit der Arbeit da ist. Es gibt auch eine falsche Arbeitsfreudigkeit, nämlich die Befriedigung an einer Arbeit, die ihren Rhythmus so auferlegt, daß der freie Entschluß der Person entfällt, vor welchem freien Entschluß diese Person sich eben fürchtet, dem sie eben entfliehen will. Ich sage, diese Verelendung der Menschenseele ist wohl die tiefste Not der Zeit, diese falsche Arbeitsfreude. Es gilt also, die große Aufgabe, die Schicksalsaufgabe unserer Zeit zu erkennen, in diesen ungeheuren Betrieb, in den wir alle eingestellt sind, Unmittelbarkeit des persönlichen Lebens und des Lebens zu den Menschen einzuführen. Und das ist möglich. Das heißt, es ist nicht so, daß irgend ein heute lebender Mensch nun zeigen kann: So und so soll es gemacht werden. Es gibt kein Rezept. Aber es ist möglich, wenn diese neue Aufgabe unter den Menschen sichtbar wird als die oberste, als die nämlich, der alle diese technischen Einzelaufgaben untergeordnet sind und von der sie sich ableiten. Dann wird es möglich sein. Ich sage nicht, daß nun das Leben des Menschen erlöst wird. Ich sage nun nicht, daß das Leben des Menschen statt der biblischen Mühsal eitel Freude und Behagen wird. Aber es wird eine menschenwürdige Mühsal werden, wie eines Menschen würdig. Heute ist es das nicht. Und zum Letzten, meine Verehrten, das große Problem der Gemein-
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schaft. Ich will nur ganz kurz andeuten, was ich meine. Sie wissen, die Jugendbewegung überstürmte alle gegebenen Institutionen, sie wollte einfach Gemeinschaft stiften, Gemeinschaft gründen. Es kam gar nicht darauf an, was eigentlich vorgefunden ist, sondern man schließt den Kreis, man reicht sich die Hände – und die Gemeinschaft ist da. Man siedelt irgendwo draußen, und es gibt Gemeinschaft. Aber in Wirklichkeit geht es nicht so zu. Und das Scheitern all dieser zum Teil entzückenden Versuche – soviel ich weiß, sind nur ein paar religiöse Versuche vor diesem Schicksal bewahrt worden – hat dazu geführt, daß jetzt die Situationen hergenommen werden. An Gemeinschaft, die werden soll, wird überhaupt nicht geglaubt. Der Staat ist so, wie er ist, die Parteien sind so, wie sie sind. Man kann natürlich die Grundlagen der Gesellschaftsordnung ändern. Aber in dem Augenblick, wo die Menschen die Gesellschaftsordnung ändern wollen, wird sich dann auch das Gemeinschaftsleben ändern? Wird es dann auch relative, große, unmittelbare Gemeinschaftsbeziehungen von Mensch zu Mensch geben? Und wie soll das kommen? Dann wird man als Utopiker nicht mehr ernst genommen. In Wirklichkeit scheint es mir aber so zu sein, daß unsere Situation in diesen großen universellen Zusammenhängen uns erhebt, jeden von uns, da, wo man statt ein Körnchen Gemeinschaft zu sehen, ein Stück Gemeinschaft dazubaut. Kein Stück echter Gemeinschaft ist umsonst gebaut. Jedes Stück ist ein wirkliches Stück des kommenden Menschheitsbaues, so klein, so unscheinbar es auch ist. Damit meine ich nicht, daß man aus der Gesellschaft herausgehen soll, sondern daß man die Zusammenhänge, in die man gestellt ist, also die unmittelbaren Beziehungen von Mensch zu Mensch, so recht, so echt zu verwirklichen sucht, als man eben in diesen Zusammenhängen kann. Und wenn man dies tut, hat man – davon bin ich mehr als von irgend etwas überzeugt – genug getan, genug getan in einem letzten Sinne. Und von da aus, glaube ich, hat man auch die Frage nach der Politik und den Parteien zu beantworten. Überall ist Ort für Verwirklichung. Es gibt keine Partei, in der der Mensch nicht für diese reale Gesinnung, gegen die fiktive Gesinnung, für die Wahrheit, gegen die Lüge kämpfen könnte. Es gibt keine Partei, wo man verurteilt wäre, Sklave eines Parteiprogramms, eines Parteizwecks zu sein, und nicht Wahrheit und Gemeinschaftlichkeit verwirklichen könnte. Eben da, wo man steht, mit den Genossen, mit den Gefährten, auf die man angewiesen ist, kann und soll man politische Wirklichkeit treiben. Aber nicht in der Abstraktion, jenseits des wirklichen Menschenlebens, sondern in der Substanz des wirklichen Menschenlebens, konkret, Mensch mit Mensch lebend, Mensch mit Mensch beratend, Mensch mit Mensch beschließend. Also Gemein-
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schaftlichkeit in den Zusammenhängen verwirklichend, in denen man sie je und je verwirklichen kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist die Frage der schwer gewordenen Freiheit, der Freiheit der Alleinverantwortung, zu der eigentlich der so personenhaft gewordene Mensch gelangt ist. Der Mensch ist so personenhaft geworden, daß er irgendwie funktionslos, gesetzlos werden müßte, wenn er in dieser Freiheit allein stehen bliebe. Vor dieser Freiheit, vor dieser strengen Alleinverantwortung des ganz personenhaft gewordenen Menschen flieht der Mensch unseres Zeitalters, flieht der Mensch der Jugendbewegung. Nach dieser Scheinflucht in die Natur zurück, in die naturhafte Gemeinschaft zurück, flieht der Mensch dieser Zeit, in der wir jetzt stehen, in das Getriebe hinein, in die Masse hinein. Er will nur noch Teil einer Gemeinschaft werden, er will willensbereites Glied einer Gesamtheit sein, einer Gesamtheit von so straffer Fügung, daß die personenhafte Verantwortung entfällt. Das ist nicht mehr Freiheit des Willens, die hier gemeint ist, sondern Befreiung vom Willen. Diese beiden Fluchtversuche sind, wie mir scheint, Verirrungen, aber Verirrungen, bei denen der heutige Mensch noch unbewußt sucht nach einer neuen, echten Bindung von dieser krankhaften Freiheit aus, nach einer echten Bindung, nach einer echten Struktur des Lebens, nach neuen, echten Gesetzen. Wer dieses Wissen nicht mehr flieht – und das ist, glaube ich, die einzig rechtmäßige Parole, die man heute der Jugend geben darf –, hält diese Freiheit, diese Freiheit in Verantwortung aus. In dieser furchtbaren Situation, in dieser freien Arbeit des personenhaften, freien Menschen, aber verlangend nach neuen Gesetzen, erwartend, ja sie bereitend, hält er in dieser seiner Freiheit durch die wandelnden Situationen des persönlichen Lebens, die ihn antreten und anfordern, hindurch aus in Verantwortung.
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Religiöse Erziehung Wenn Glaube nicht eine bloße Überzeugung oder Gewißheit bedeutet, daß Etwas ist, sondern ein Sich-an-Etwas-binden, einen Einsatz der eignen Person, ein maßlos verbindliches Wagnis, dann gibt es keine Erziehung zum Glauben. Aber es gibt eine Erziehung zu dieser Einsicht, was Glaube ist und was nicht. Man kann niemand zum wirklichen Glauben führen, aber man kann einem das Gesicht des wirklichen Glaubens zeigen, es ihm so deutlich zeigen, daß er den Glauben hinfort nicht mit dessen kunstfertiger Äffin, der »religiösen« Gefühlsamkeit, zu verwechseln vermag. Und man kann ihn lehren, w o m i t man glaubt, wenn man wirklich glaubt: mit dem gelebten Augenblick und immer wieder mit dem gelebten Augenblick. Aber wenn irgendeine, dann beginnt diese Erziehung im Bereich der tiefsten Selbstbesinnung: da wo man sich selber befragt, sich entscheidet und sich erprobt.
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Warum gelernt werden soll Aus dem »Arbeitsplan« der Berliner Schule der jüdischen Jugend, 1932 Ich werde gefragt, warum denn von unseren jungen Menschen zu fordern sei, daß sie »lernen«, das heißt: sich jüdische Geschichtswerte aneignen. Darauf ist mancherlei zu entgegnen, aber, soweit ich sehe, nur eines, das wesentlich ist. Es sei hier damit genug, auf dieses eine hinzuweisen. Wir Juden sind eine Erinnerungsgemeinschaft. Zusammengehalten und erhalten sind wir worden durch das gemeinsame Erinnern. Das will nicht besagen, wir lebten von irgendeiner Vergangenheit aus, sei es auch die höchste; nur, daß sich von Geschlecht zu Geschlecht ein Gedächtnis hintrug, das an Umfang wuchs – immer neues Schicksal, immer neue Bewegung des Gemüts schrieb sich darein –, an Stärke wechselte, und das sich o r g a n i s c h auswirkte: nicht als ein bloßes seelisches Motiv, sondern als eine die Existenz selber tragende, nährende, belebende Macht. Ich meine sogar sagen zu dürfen, daß dieses Gedächtnis sich biologisch auswirkte: die jüdische Substanz ist es, die sich aus dieser Kraft erneut hat. Man muß sich, um dies nicht mißzuverstehen, zweierlei vergegenwärtigen. Erstens handelt es sich nicht um das allen Völkern zugehörige Geschichtsbewußtsein. Dieses ist in das Geistesleben jeder Nation als eine seiner Äußerungen eingefügt, wohingegen das Geistesleben des Judentums in sein Gedächtnis eingefügt ist. Das allgemeine Geschichtsbewußtsein ist eine Spiegelung der Geschichte, etwas Bildhaftes, das in labilen Zeiten an Umriß und Farbe erstarken und die Generation begeistern kann, in gesicherteren verblassen mag, ohne daß der Vitalität damit Abbruch geschähe, ja, das in solchen Zeiten mitunter als »romantisch« und unzeitgemäß bekämpft wird. Durch die eigentümliche Potenz unseres jüdischen Kollektivgedächtnisses hingegen entsteht überhaupt erst unsere eigentümliche Geschichte, deren erfaßbarer Kern nämlich nicht als eine Kette objektiver Vorgänge, sondern als eine Kette von Wesenshaltungen den Vorgängen gegenüber zu verstehen ist, von Wesenshaltungen, die eine Frucht jenes Gedächtnisses sind. Zweitens – und das ergibt sich schon aus dem Gesagten – geht es nicht um eine sentimentalische Rückschau oder gar Rücksucht, sondern einfach um den faktischen Zusammenhang der Geschlechter. Die Söhne, die Enkel erinnern sich leibhaft daran, was den Vätern, den Ahnen widerfuhr. Natürlich erwacht und entfaltet sich solch ein Erinnern nicht in einem mystischen »von selber«; es gehört eine weckende, erschließende
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Gewalt dazu. Diese Gewalt ist d i e L e i d e n s c h a f t d e s Ü b e r l i e f e r n s , die jeden Sohn bei uns überkam, sowie er Vater wurde. Woran er »erinnert« worden war, daran – erweitert um das Erlebnis seiner Lebenszeit – mußte nun er erinnern. Kein noch so hoffnungsloser Am-haarez, 1 der nicht seine Kinder zu lehren wußte, was geschehen war. Der Seder 2 ist das deutlichste Zeichen dafür: wer ein Haus gründete, wußte den Seder zu geben, und zwar mit Leidenschaft. Von allem Absterben in der Judenheit der letzten 150 Jahre ist nichts so bedenklich wie das Absterben des gemeinsamen Gedächtnisses und der Leidenschaft des Überlieferns. Was an moralischem oder formenhaftem Ersatz für diese vitalen Kräfte versucht worden ist, hat sich als unzulänglich erwiesen und wird sich immer mehr als das erweisen. Das Abwegigste aber war, daß man vermeinte, auf jene entschlossen verzichten zu können, ja zu sollen. Man wollte, zumal in Palästina, »unbelastet« von vorn beginnen: weshalb sich an die Erinnerungsgemeinschaft klammern, wenn man Volk sein konnte wie alle Völker? Aber man kann es nicht. Der Magnetismus Palästinas selber, seine opferzeugende Mächtigkeit besteht aus lauter organischer Erinnerung. Und der Jischuw wird schon an den gegenwärtig erwachsenden, geschweige an den künftigen Generationen erfahren, daß er keine neue Kontinuität stiften kann, wenn nicht in neuer Gestaltung das uralte Gedächtnisband sich erneut. Nun aber gar die Diaspora! Ohne Reaktivierung des Geschlechterzusammenhangs, ohne Reaktualisierung der organischen Verbundenheit mit »Israel«, ohne Entphraseologisierung, Wieder-echt-machung des Wortes »W i r alle sind aus Ägypten gezogen«* ist sie der Auflösung preisgegeben.3 Wodurch aber vermöchte dergleichen erwirkt zu werden? Was die Väter nicht mehr überliefern, müssen die Söhne sich holen, wo es zu holen ist: sie müssen es »lernen«. Ehedem brauchte man bei uns eigentlich nichts anderes zu lernen als die »mündliche Tora«: was sonst zu wissen not tat, wurde ohne viel Lernerei überliefert und erinnert. Heute ist dieses einst Selbstverständliche das lebenswichtige Lehrprogramm: die Sprache, die »Schrift«, die Geschichte. Die Leidenschaft des Überlieferns ist nur durch eine neue Leidenschaft des Lernens zu ersetzen, die der Väter nur 1. 2.
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Am-ha-arez, hebr. »das Volk des Landes«, hier im Sinne von »ein im Gesetz Unbewanderter«. Seder, hebr. »Ordnung«, der erste Abend des einwöchigen Pessachfestes, das in der jüdischen Familie mit einem Erinnerungsmahl an den Auszug aus Ägypten und der Lesung der Pessach-Haggada eröffnet wird. Der jüngste Sohn stellt am Beginn des Mahles dem Vater die Frage: »Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?« daraufhin wird der Auszug aus Ägypten mit den Einsatzworten: »Wir waren Sklaven unter Pharao in Ägypten« erzählt. Im Manuskript (Arc.Ms.Var.350 Gimel 69): »Wir haben am Sinai gestanden«.
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durch die der Söhne. Unbändig müssen die arbeiten, sich den Zugang zum Urgut und damit der Gemeinschaft den Erinnerungszusammenhang wiederzugewinnen. Wenige oder viele, sie werden ein Anfang sein. Bei uns ist immer nur das ein Anfang geworden, was nichts anderes sein wollte als Fortführung, Anknüpfung, Wiederbringung. All unsere Geschichtserinnerung knüpft an ein Urgedächtnis und an ein Frühgedächtnis an. Die Wasser des Urgedächtnisses haben sich in einem großen Becken gesammelt; das ist die hebräische Sprache. Die Wasser des Frühgedächtnisses sind in einem großen Brunnen aufgestiegen; das ist die Bibel. Hier haben wir den unverschütteten Zugang. Die hebräische Bibel ist die reichste Erinnerungswahrerin, die freigebigste Erinnerungsspenderin der Menschheit; wenn irgendwer, wird sie uns lehren, uns wieder zu erinnern. Aber, so wird mir gesagt, die Bibel ist doch ein r e l i g i ö s e s Werk, und die Erinnerung, die sie bewahrt und uns darreicht, ist eine, in der die Begebenheiten als Rede »Gottes« zu den Menschen dieses Israel und die Handlungen als Antwort dieser Menschen zu »Gott« erinnert und überliefert sind. Wie soll, wie kann einer sie aufnehmen, der keine »religiöse Erfahrung« hat, für den »Gott« also eine Vokabel ist? Er wird, wenn er die Bibel wirklich kennen lernt, erfahren, nein, er wird sich dann erinnern, daß es Menschen gegeben hat, seine Menschen, die die Ereignisse »gehört« haben, als die Worte einer »Stimme«, als eine Ansprache, als einen Anspruch, und die davor standen als solche, die zu antworten, zu verantworten hatten; daß es ihn selber gegeben hat, der die Wirklichkeit der Geschichte eben so empfing und darauf erwidern durfte. Und wenn er sich wirklich daran erinnert, wird er vielleicht merken, daß die geschehende Wirklichkeit auch jetzt zu »hören« ist als ein Anspruch. Ob er sich sodann getraut, den Herrn der Stimme zu nennen und zu bekennen, wird seine Sache sein.
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Wann denn? Vom 31. Juli bis zum 3. August fand in Antwerpen eine Tagung jüdischer Jugend statt, deren Gegenstand »Israel und der Weltfriede« war. Das Nachfolgende ist, um ein paar Eingangssätze gekürzt, ein an diese Tagung gerichtetes »message«. Wir leben in einem Zeitalter der Entwertung des Wortes. Der sprachbegabte Geist hat allzu hemmungslos seine Sprache den jeweils mächtigen Strömungen zur Verfügung gestellt. Statt das Wort in der Stille der Verantwortung aus dem Gedanken wachsen zu lassen, hat er es mit einer beinah mechanisierten Kunstfertigkeit für den Bedarf hergestellt. Diesen »Verrat« 1 haben nicht die »clercs« allein zu büßen, deren Rede nun auf mißtrauische Ohren trifft; schlimmer ist, daß ihre Hörerschaft, daß vor allem die ganze heute junge Generation das edelste Glück junger Menschen entbehren muß: dem Geist vertrauen zu dürfen. Es ist zu verstehen, daß viele von ihnen nunmehr in den Gebilden des Geistes nur noch »Ideologien« erblicken, prunkvolle Mäntelchen sehr simpler Gruppeninteressen; daß sie an eine Wahrheit, die über den Parteien, über den Machthabern und Machtbegierigen steht, nicht mehr glauben wollten. Sie sagen uns, einander und sich selbst, sie seien es müde, mit erhabenen Illusionen gefüttert zu werden; man müsse auf die »natürliche« Grundlage, auf die unverstellten Instinkte zurückgreifen; auf der schlichten Selbstbehauptung sei, wie das Leben der Person, so das jedes Volkes zu errichten. Wie immer es die andern halten: wir, meine Freunde, dürfen diesen Weg nicht gehen. Sind wir wirklich Juden, das heißt Träger einer Überlieferung und eines Auftrags, so wissen wir, was uns überliefert ist: daß es eine Wahrheit gibt, die das Siegel Gottes ist, und wissen, was uns aufgetragen ist: diese eine Wahrheit sich in unserem vielfältigen Leben ausprägen zu lassen. Haben können wir sie freilich nicht, denn sie ist Gottes allein; siegeln können wir mit ihr nicht. Aber wir können das vielfältige Wachs sein, in dem sie sich ausformt; jeder ein anderes Wachs, von anderer Farbe und Art, aber alle aufnahmsfähig für die Ausgestaltung der Wahrheit, – denn alle sind wir, »im Ebenbild geschaffen«, darauf angelegt, Bilder des göttlichen Wesens zu werden. Gewiß, wir besitzen die Wahrheit nicht; aber deshalb sind wir weder auf eitle Ideologien noch 1.
[Anm. Druckvorlage:] Vgl. das Buch von Julien Benda »La trahison des clercs«, »Der Verrat der Geistigen«.
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auf bloße Instinkte angewiesen, denn jedem von uns ist die Möglichkeit eröffnet, in ein echtes Realverhältnis zur Wahrheit zu treten. Zu einem solchen Verhältnis genügt jedoch das Denken nicht, das ja nur ein Teil unseres Wesens ist; auch das Gefühl genügt dazu nicht; nur mit dem ungeteilten, restlosen L e b e n , das von uns gelebt wird, erlangen wir es. Der Geist kann von seinem letzten Sündenfall, von der Entheiligung des Wortes, nur erlöst werden, wenn das Wort gedeckt und verantwortet wird durch das ganze gelebte Leben. Der Verrat der Geistigen kann nicht dadurch gesühnt werden, daß der Geist sich auf sich selber zurückzieht, sondern nur dadurch, daß er den falschen Wirklichkeitsdienst durch den wahren ersetzt und gutmacht. Er soll nicht den Mächten des Tages und dem, was sie Wirklichkeit nennen, dienen, nicht dem kurzlebigen Schein; er soll der echten großen Wirklichkeit dienen, in der die Wahrheit Gottes verwirklicht werden will; er soll dienen. Der Menschengeist, der über den Situationen schweben will, wird, mag er noch so herrlich sein, der Lebendigkeit nicht teilhaftig werden; nur wenn er, ohne seinen oberen Ursprung zu verleugnen, vielmehr gerade um ihn zu bewähren, in die Situationen eingeht, wird er fruchtbar sein, wird er Leben zeugen und leben. Bleibet dem Geist treu, meine Freunde, aber bleibet ihm treu in der Wirklichkeit! Unsre erste Frage muß sein: Was ist die Wahrheit, was ist Gottes Gebot an uns? Aber unsre zweite muß sein: Wie erfüllen wir es da, wo wir stehen? Wir werden es nicht erfüllen, gar nicht, wenn wir unsere Welt und unser Leben teilen in einen Bezirk, in dem das Gebot Gottes herrscht, und in einen anderen, der nicht von ihm, sondern von den Gesetzen der Wirtschaft, der Politik, der »schlichten Selbstbehauptung« der Gruppe bestimmt ist. Dieser Dualismus ist noch weit bedenklicher als jener Naturalismus, von dem ich vorher sprach. Es ist ein Herausbrechen aus der Verbundenheit des Daseins mit seinem Sinn, wenn man sich die Ohren stopft, um die Stimme von oben nicht zu hören; wer aber die Stimme hört und zugleich das Gebiet abgrenzt, außerhalb dessen sie keine Geltung beanspruchen dürfe, der stellt sich nicht wie jener abseits, sondern unmittelbar g e g e n Gott. Der Atheist kennt Gott nicht; aber der Anhänger einer Ethik, die da endet, wo die Politik anfängt, vermißt sich, dem Gott, den er zu kennen vorgibt, vorzuschreiben, wie weit seine Macht zu reichen habe. Die Polytheisten teilen die Welt und das Leben unter viele Gewalten auf, für sie hat Deutschland einen Gott und Frankreich einen andern, es gibt einen Gott der Geschäfte und einen Gott des Staats, jeder dieser Bezirke hat sein eigenes Gesetzbuch und untersteht keinem höheren Gericht; die Zivilisation des Abendlandes b e k e n n t s i c h zu Einem Gott und l e b t in der Vielgötterei; wir Juden sind tau-
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sendfältig in diese Zivilisation verflochten, – aber wenn wir ihren Dualismus von Bekenntnis und Leben mitmachen, haben wir unser Daseinsrecht verloren. Als ein Volk aus der Völkermenge wären wir naturgemäß längst tot; nur weil wir es gewagt hatten, mit der Einheit Gottes, mit der Alleinherrschaft Gottes Ernst zu machen, sind wir paradoxerweise noch da. Geben wir Gott auf, so wird er uns aufgeben; und wir geben ihn auf, wenn wir uns zu ihm in der Synagoge bekennen und ihn im Versammlungslokal verleugnen, wenn wir in unserem persönlichen Leben sein Gebot walten lassen und das Leben der Gruppe, der wir angehören, andern Normen unterwerfen. Was für den Einzelnen Unrecht ist, kann nicht für die Gemeinschaft echt sein; denn sonst wäre Gott, der Gott vom Sinai, nur noch ein Herr der Einzelnen und nicht mehr der Herr der Völker. Sind wir wirklich Juden, so glauben wir, daß Gott den Menschen seinen Willen für ihr Leben kundtut und daß es von der Erfüllung seines Willens abhängt, ob das Leben Sinn hat oder nicht. Und wenn wir nach unserem innersten Wissen sagen sollten, was Gottes Gebot an die Menschheit ist, so werden wir nicht einen Augenblick zweifeln, daß es F r i e d e heißt. Aber viele unter uns meinen, das gelte erst für eine bessere Zukunft; heute müsse man den Krieg aller gegen alle mitmachen, um nicht unterzugehen. Gerade wenn wir diesen Krieg mitmachen, werden wir untergehen; denn es gibt für uns nur den einen Untergang: daß Gott uns seiner Hand entgleiten lasse. Ich höre oft Leute in unserer Mitte erklären: »Auch wir wollen, daß der Geist des Judentums sich erfülle, auch wir tragen Verlangen danach, daß die Lehre von Zion ausgehen, und wir wissen, daß sie dazu nicht Wort allein, sondern gelebtes Leben sein muß; wir wollen, daß das Wort Gottes auf Zion zur Wirklichkeit werde. Aber damit das geschehe, muß es doch erst wieder ein Zion auf der Welt geben; erst also wollen wir Zion erbauen, wir wollen es, – mit allen Mitteln!« Sollte es jedoch nicht am Ende Zions Eigentümlichkeit sein, daß es eben nicht »mit allen Mitteln«, sondern nur »bemischpat« (Jesaja 1,27), nur »mit Gerechtigkeit« erbaut werden k a n n ? Sollte Gott sich nicht weigern, sein Heiligtum aus den Händen des Teufels entgegenzunehmen? Wenn einer sich vornimmt, sechs Jahre zu stehlen und zu rauben, um im siebenten aus dem so gewonnenen Gut einen Tempel zu erbauen, und wenn es ihm gelingt, werden es dann wirklich Tempelwände sein, die er baut, und nicht vielmehr eine Räuberhöhle (Jeremia 7,11) oder ein Räuberpalast, auf dessen Tor er den Namen Gottes einzugraben wagt? Gewiß, Gott baut sich nicht selber sein Haus, er will, daß wir Menschen es mit Menschenhänden und mit Menschenkraft bauen, denn mit diesem Haus ist ja gemeint, daß endlich damit begonnen werde, Gottes Wort auf Erden zu leben! Aber bildet ihr
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euch ein, daß Gott nicht stark genug sei, uns dieses Haus, wenn wir es mit seinen Mitteln, bemischpat, begründet haben werden, auch mit seinen Mitteln vollenden zu lassen? Wenn ihr euch das einbildet, dann redet nicht mehr von Judentum, jüdischem Geist und jüdischer Lehre! Denn Judentum ist die Lehre, daß es in Wahrheit nur Eine Macht gibt, die zwar zuweilen duldet, daß die Scheinmächte der Welt etwas im Widerspruch gegen sie zustande bringen, aber nicht, daß es bestehe; was jedoch in ihrem Dienste geschaffen wird, so daß nicht bloß das Ziel, sondern auch der Weg vom Geist des Rechten bestimmt ist, das mag eine Zeit schwer zu kämpfen haben, mag schwer bedroht erscheinen, schwach den starken Scheinmächten gegenüber, aber es wird bleiben. Ich möchte das Wichtigste auch denen vergegenwärtigen, die die religiöse Sprache nicht verstehen können oder wollen und daher der Meinung sind, ich spräche von der »Theologie«. Ich spreche von der W i r k l i c h k e i t d e r G e s c h i c h t e . In der Wirklichkeit der Geschichte geht es nicht so zu, daß man sich ein gerechtes Ziel setzt, einen Weg dazu wählt, wie ihn etwa die Gunst der Stunde darbietet, und auf diesem Weg das gesetzte Ziel auch erreicht. Damit das erreichte Ziel dem gesetzten gleiche, muß diesem der Weg in seinem Wesen gleichen. Ein falscher, das heißt: zielwidriger Weg führt zu einem falschen Ziel. Was durch Lüge zustande gebracht wird, kann die Maske der Wahrheit, was durch Gewalt zustande gebracht wird, die Maske der Gerechtigkeit vorbinden und eine Weile mag die Täuschung gelingen; aber bald wird erkannt, daß die Lüge in ihrem Wesen Lüge und die Gewalt in ihrem Wesen Gewalt geblieben ist, und sie werden das geschichtliche Los alles Falschen erfahren. Ich höre manchmal sagen, eine Generation müsse sich opfern, sie müsse »die Sünde auf sich nehmen«, damit die kommenden Geschlechter frei werden, Gerechtigkeit zu üben. Aber es ist ein törichter Selbstbetrug, man könne selber ein wüstes Leben führen und seine Kinder zu guten und glücklichen Menschen erziehen: sie werden zumeist Heuchler oder Friedlose. Die Geschichte hat uns viel zu lehren; aber man muß verstehen, sich von ihr belehren zu lassen. Die Augenblickserfolge, auf die man hinzuschauen pflegt, sind nur die Kulissen der Weltgeschichte; die echten Siege, die in der Verborgenheit erfochten werden, sehen für den Vordergrundsblick mitunter wie Niederlagen aus. Die echten Siege geschehen langsam und unmerklich, aber sie wirken weithin. Vor den Kulissen nimmt sich unser Glauben, daß Gott der Herr der Geschichte ist, zuzeiten lächerlich aus; aber es gibt eine Heimlichkeit der Geschichte, die unsern Glauben bestätigt. Wer Frieden stiftet, so haben unsere Weisen gelehrt, ist ein Werkgenos-
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se Gottes. Aber man stiftet Frieden nicht mit versöhnlichen Worten an die andern und nicht mit menschheitsfreundlichen Projekten; man stiftet ihn, man hilft, den Weltfrieden zu verwirklichen, indem man selber den Frieden da verwirklicht, wo man dazu berufen und aufgerufen ist: in der Aktivität der eigenen Gemeinschaft, da, wo sie selber ihr Verhältnis zu einer anderen Gemeinschaft aktiv mitzubestimmen vermag. Die Friedensbotschaft der Prophetie an Israel gilt nicht erst für messianische Zeiten; sie gilt für den Tag, wo das Volk neu berufen wird, an der Gestaltung des Schicksals seiner Urheimat teilzunehmen; – sie gilt für heute. »Wenn nicht jetzt, wann denn?« Die Erfüllung im Dann ist an die Erfüllung im Jetzt mit geheimnisvollen Stricken gebunden.
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Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule Meine Damen und Herren, Obwohl soeben gesagt worden ist, daß es keine Aussprache geben soll, möchte ich doch das, was ich Ihnen zu sagen habe, angesehen wissen als die Einleitung zu einer Aussprache, ganz gleich ob diese Aussprache heute oder an weiteren Abenden stattfindet. Ich habe z. T. zu Anfang meiner Darlegungen von allgemeinen Dingen zu sprechen, bitte auch Sie zu beachten von Anfang an, daß diese allgemeinen Dinge kein Selbstzweck sind, daß es mir nicht darum tun ist, Ihnen eine erbauliche oder gehobene Stimmung zu verschaffen, daran ist es nicht. Es geht mir auch nicht um Ideen, wenn Ideen verstanden werden im unbestimmbaren Sinn als etwas, zudem man aufschaut, von dem man sich begeistern läßt, als das dies in das gelebte Leben umgesetzt werden soll. Mir geht es um diese Umsetzung, es geht mir um neue Grundlagen für dieses Handeln, um jüdische Belebung. Eines neuen Handelns bedürfen wir. Die Situation ist neu, unerhört, unvorhersehbar, fordert uns an in einer Weise, für die wir uns nicht vorbereiten konnten. Wir sind überstürzt worden und müssen jetzt die Antwort finden. Unsere Antwort auf diese Situation lautet nicht nur mit Worten, sondern, so Gott will, mit Taten. Die Antwort auf diese Situation liegt nur auf dem Gebiet, das uns vereinigt und worauf nur eine einheitliche Antwort der Gesamtheit möglich ist. Wir können auf diese Situation keine politische Antwort geben, denn wir sind nur Objekte unserer Situation. Die wirtschaftliche Stunde ist neu. Wir konnten nicht, so sehr man es immer wieder versuchen muß, eine einheitliche Antwort auf wirtschaftlichem Gebiete vorbereiten. Auf kulturellem Gebiet ist eine Antwort möglich und notwendig. Ich will zu Ihnen sprechen von der Situation in dieser Geschichtsstunde, in die wir eingetan sind. Ich könnte nicht so zu Ihnen sprechen, nicht so handeln, wenn wir dieser Situation verhaftet wären, wir müssen von der Situation ausgehen in unserem Denken und Handeln, nicht über sie hinweg, nur von ihr aus, aber mit dem was wir nun von ihr aus ersinnen, fassen, mit dem sind wir ihr nicht verhaftet. Uns bewahrt eine über sie hinausgehende ewige Bestimmung. So möchte ich Sie bitten, es zu verstehen, wenn ich heute von dem jüdischen Z i e l spreche und nicht von den Bildungszielen. Wir haben nämlich nur e i n Bildungsziel, wie ich zeigen möchte. Vor allem möchte ich Sie bitten, sich zu vergegenwärtigen, daß es also bei unserer Antwort auf die Situation auf dem einen Gebiet, auf dem uns eine Antwort gestattet ist, um unseren Bildungsstoff geht. Es geht nicht darum, der Not des Unterrichts, der schulhaften Erziehung unserer Kinder, abzuhelfen durch Gründung von Schulen, durch Ausgestaltung
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von Schulen. Das sind andere Dinge. Es kann nicht genug klargemacht werden, daß es uns bei dieser Not um etwas Größeres geht. Es gilt in dieser Stunde ein Geschlecht zu erziehen, das ihr gewachsen ist. Alle diese Not, die wir sehr deutlich sehen müssen, fordert von uns dies, daß wir wissen, es geht um die Erziehung eines jüdischen Geschlechtes, das dieser Situation standhalten kann. Ich will jetzt von unserem Bildungsziel sprechen. Wir brauchen es uns nicht erst zu ersinnen, w i r ha ben es. Was um uns, an uns geschieht zu entdecken, das Bildungsziel werden wir haben. Um bei diesem Wort Bildungsziel zu verweilen. Ich nehme das Wort ernst nach dem Vorbild jener großen deutschen epochemachenden Geister wie Hamann, Herder, Wilhelm von Humboldt. Es gilt Menschen zu bilden. Man bildet Menschen nach einem Vorbild, man bildet sie auf ein Bild zu, was man sich vorstellt, so soll der Mensch sein, diesen Menschen meine ich. Ich erziehe diese geistigen jugendlichen Menschen, die mir anvertraut sind, auf dieses Bild zu, um dieses Bild in all seiner Vielfältigkeit zu verwirklichen. Es gibt Individualbilder dieser Art, jeder Erzieher hat sein Bild, nach dem er bilden will. Ein Bildungsziel beruht darauf, daß es in den entscheidenden Zeiten der Welt gezeichnet ist, in jenen Zeiten, die wir Zeiten großer Kultur nennen, allgemein gültige Bilder für ein ganzes Zeitalter. Um nicht einfach von der Gesellschaft ausgedachte Phantasien handelt es sich, sondern um Bilder, die diesem Zeitalter geschenkt sind, von einer Glaubenserfahrung dieser Völkergemeinschaft aus, die die Kultur dieses großen Zeitalters trägt. – Das letzte Bild vor unserer Epoche ist das Bild, das etwa vor 100 Jahren zu Grabe getragen wurde, das von Rousseau ausgehend, dann in Deutschland seine entscheidende Formung empfing, das Bild des weltoffenen Menschen, der die Welt aufnimmt ohne eine Abweisung, der sich dieser ganzen Welt zuzuneigen vermag, der Weltbürger. Dieses Bild des weltoffenen Menschen zerfällt mit jener Hochzeit der deutschen Hochkultur. Das Bild ist allgemein gültig, aber die Bildung kann nicht allgemein sein, sondern besonders. Sie ist so und nicht anders. Diese sogenannte ›allgemeine Bildung‹ war ohne Bild, es gab kein allgemein gültiges Bild mehr. Die Zeit der Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts gab noch Reste von Bildern, aber kein wirklich allgemeines Bild mehr, eine allgemeine Schau. Wir leben in einer Zeit, wo von allerlei Seiten, im wesentlichen politisch bestimmt, Versuche zur Aufrichtung einen neuen Bildes gemacht werden. Ich sage Versuche zum Unterschied von früheren Zeiten. Es muß versucht werden, jene Bildlosigkeit durch neue Bilder zu ersetzen. Ich will nur von Deutschland reden. Mit einem Wort, das Bild des deutsch-völkischen Menschen. Das ist die Situation. Der Versuch der
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Aufrichtung eines allgemein gültigen Menschen ist die Situation, auf die wir reichsdeutschen Juden und Erzieher eine Antwort zu geben haben, wenn wir es vermögen. – Wie soll nun diese Antwort beschaffen sein? Es wäre sinnlos, sich zu den Rettern der allgemeinen Bildung aufwerfen zu wollen, uns etwa als die Gralshüter zu erklären in jüdischer verbrämter Gestalt. Wir würden nur auf dieses verblaßte Tun den allerblaßesten Schatten werfen. – Unsere Antwort muß eine a kt ive sein, eine nicht nachzuahmende, eine aus unserer Tiefe, unserer jüdischen Wirklichkeit kommende Erwiderung. Nicht reaktiv soll unsere Antwort sein, weil unsere Wirklichkeit mit keinem Begriff erfaßt werden kann. Wir sind Israel, dieses nicht subsummierbare Volk, weil wir ein Glaubensvolk sind, eine Einheit von Glauben und Volk, das es nur einmal auf der Welt gibt. Wir brauchen unser Bildungsziel nur zu entdecken, nicht reaktiv, sondern aktiv, ein aus unserer Wesenheit stammendes Ziel. Nicht partikularistisch, sondern allgemein müssen wir unser Bildungsziel formulieren, für den Menschen, der an dem exponiertesten Punkt der Situation steht. Ich glaube Ihnen nichts Neues zu sagen: der Mensch an dem exponiertesten Punkte der Situation, das sind wir. Wir haben diese neue Situation so heftig zu spüren bekommen. Diese geschichtliche Situation, in der wir stehen, das ist die eingebrochene neue erschienene Labilität der Geschichte. – Erinnern Sie sich noch wie es vor dem Weltkriege aussah. Man wurde zwar auch von allerlei Wechselfällen des Schicksals überrascht, aber im allgemeinen gab es eine zuverlässige Stetigkeit der Geschichte. Man konnte sich auf die Geschichte verlassen. Ein Tag sah nicht wesentlich anders aus, als der andere. Man konnte Pläne machen in die Geschichte hinein. Die Labilität der Geschichte haben wir aber immer stärker zu spüren bekommen, sie hat uns den Atem verschlagen. Keine Vorbereitung gilt mehr, heutige Zustände sind von den morgigen überholt und umgestoßen. Labilität der Geschichte, das ist die große Situation, in die wir uns schon beinahe eingewöhnt haben. Unter dieser Labilität sind wir es, die am tiefsten leiden. Sie erschüttert unser ganzen Leben. Wie sollen wir nur in dieser Situation ein Geschlecht erziehen, das sich in diesem Dasein zurechtzufinden vermag? Diese Bewältigung der Labilität kann nur geschehen von etwas aus, was schlechthin seinem Wesen nach nicht labil ist, von etwas Unerschütterlichem aus. Wir können diesem ewigen Erschüttern der Erde, diesem stets neuen nicht vorhersehbarem Erschüttern nur standhalten von etwas nicht zu Erschütterndem aus. Dieses nicht Wankende, das gibt es. Damit stehe und falle ich, steht und fällt das, was ich Ihnen vorzulegen beabsichtige. – Wir sind da, also gibt es für uns, die wir noch da sind und uns
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durchaus nicht anschicken, nicht mehr da zu sein, nur jenes unerschütterliche Nichtwanken, was uns fähig machen wird, standzuhalten, das sind die Urkräfte unseres jüdischen Daseins. Die heranwachsenden Geschlechter der reichsdeutschen Judenheit sind der Gegenstand eines Entwurzelungsunternehmens. Es gab eine Verwurzeltheit mit der deutschen Kultur schlechthin, ein Zusammenhang von einer Größe und Tiefe von der nicht zu zweifeln ist. Aber die Verwurzeltheit mit dieser Kultur ist ja nun nicht bloß erschüttert, sondern schlechthin negiert worden. Fragen Sie die Eltern, die hier sind, fragen Sie Ihre Kinder, ob sie noch diese Selbstverständlichkeit der Existenz, diese Unbefangenheit haben zur Umwelt. Wenn Sie es nicht im Wachzustand der Kinder wahrnehmen, werden Sie es in ihren Träumen belauschen, was ausgebrochen ist. Diese Kinder bedürfen der Verwurzelung. Kinder dürfen nicht wurzellos aufwachsen, oder sie gehen zu Grunde. Wir müssen dafür sorgen, daß unsere Kinder die unbefangene, ich will nicht sagen Daseinsfreude, aber doch jene Daseinsbejahung haben, ohne die das Kind nicht leben kann. Wir Erwachsenen bringen es fertig, dieses Leben anzuzweifeln und doch da zu sein. Der einzige Weg, unsere Kinder wieder zu einer unbedingten Daseinsbejahung, zu einer natürlichen Unabhängigkeit von den Wechselfällen, die Tag um Tag um sie herum geschehen, zurückzuführen, der einzige Weg ist der zu den Urkräften hin, geführt von denen, die dazu berufen sind, das jüdische Dasein zu gestalten. Dies allein und nichts Anderes, diese Erziehung von den Urkräften her, wirkliche jüdische Erziehung. Dies allein wird in den Kindern das Aufkommen eines Übels verhindern, was das Allerschlimmste ist, was Kindern droht, der Haß. Es gibt keine andere Rettung vor den jetzt unsere Geschlechter bedrohenden Gefühlen, als die unbedingte jüdische Erziehung. Nur wenn diese Kinder auf sich selbst, auf ihr eigenes Wesen gestellt werden, in dem Sinn, daß das Wesen das Unerschütterliche ist, das von allen Wechselfällen der Geschichte nicht umzubringende Grundwesen des Judentums. Allein eine solche Erziehung vermag den Kindern eine positive, eine getragene, eine unbefangene Existenz zu geben, was auch immer geschieht. Denn Kinder brauchen den Glauben an den Sinn des Lebens, Kinder müssen vertrauen können, daß das Leben einen Sinn hat. Wenn ein kleines Kind nachts aufschreckt und weiß, daß die Mutter nebenan ist, dann ist das ein kurzes Zweifeln an dem Sinn, der Zuverlässigkeit des Lebens. Wir können ihnen den Sinn nur geben von jenen Urkräften aus, so daß ihnen letztlich nichts passieren kann. Denn das, was geschieht, geschieht ja doch nur außen, wenn die Seele intakt ist, auf sich selbst steht, auf der jüdischen Glaubenswirklichkeit, dann kann ihnen nichts passieren. Das bedeuten die Urkräfte an den Kindern.
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Ich leite jetzt über zu der Anwendung der Methoden. Die Urkräfte wirken in der Erziehung 1) normativ, d. h. diese Urkräfte bedeuten eine Gestaltung des Lebens, von woher soll dieses kindliche Leben bestimmt, gestaltet werden, von woher soll ihnen das Gebot kommen, das ist recht und jenes ist unrichtig, so ist zu leben und nicht so, das ist die Wahrheit, und das ist die Lüge, von woher sonst, wenn nicht von den Urkräften des jüdischen Lebens? Zum 2) die sichernde Funktion dieser Kräfte, d. h. wie ich die Gestalt dem Kinde gebe, so gebe ich auch den Halt, jene Heimatlichkeit des Kindes, jene Zuverlässigkeit, die nicht trügt, was auch immer versagte, wenn man sich verließ auf einen Schulfreund und er versagte, und wenn man sich verließ auf einen Lehrer und er versagte, und wenn man sich verließ auf diese schöne deutsche Heimat, wenn alles dies das Kind nicht zu fassen vermag, dann gibt es diese umfangende Sicherheit Israel, die nicht versagte, die große mütterliche Sicherheit. Nun weiß das Kind, das in der Nacht aufschreckt, es ist da, das kann mich nicht täuschen, das bleibt mir. Von daher möchte ich noch einmal aussprechen: Was ist unser Bildungsziel. Der jüdische Mensch, an dem sich die Spannungen der Gegenwart, die innere Krisis von außen und von innen, stärker als an irgend einer anderen Menschengruppe, zu zersprengen drohten, dieser jüdische Mensch besinnt sich auf die Urkräfte seines geschichtlichen Wesens und baut sich in den wechselnden Geschlechtern neu auf, zu dem Menschen, der in der Labilität des heutigen Geschehens, der exponierteste Punkt der Gegenwart ist. Wie stellen sich diese, unsere Bildungsziele im Unterricht dar? Es sind 3 Dinge und letztlich eins. Das Bildungsziel im jüdischen Unterricht stellt sich 1) dar in der zentralen Bedeutung des Unterrichts, im genauen Sinn des gesprochenen Wortes, dem biblischen Wort und zwar als lebendiges Wort gefaßt, nicht als Buchwort, als Wort einer vergangenen Epoche, wie man Bücher liest und sich über die Kultur einer anderen Zeit belehren lässt, ich meine das biblische lebendige Wort in seiner ganzen Gesprochenheit, das tönend spricht zu den Lernenden und für die, die es hören, gesprochen ist. Diese schwarzen Buchstaben auf weißem Grunde müssen tönend einwirken auf die kindlichen Seelen, wie das Wort, das vom Berge Sinai her erscholl, immer wieder anders, noch tiefer und echter müssen sie das aufnehmen, was zu ihnen gesprochen wird. Das ist die Aufgabe, die unsere Lehrer lösen sollen. Ich meine nun nicht, daß diese jüdischen Urkräfte allein etwa nur im Bibel- und hebräischen Unterricht einzuwirken hätten. Das meine ich nicht. Ich meine, daß diese jüdischen Urkräfte einwirken sollen auf die Gestaltung des Unterrichts überhaupt, entweder direkt, daß der Unterricht in unserer Sprache mitbestimmt wird, aus der lebendigen
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Gesprochenheit des Wortes auf andere Bezirke übergeleitet, daß jene geschichtliche Konzeption sich auswirken soll, nicht bloß in dem Geschichtsunterricht, im Deutsch- oder Sprachunterricht, sondern im Unterricht überhaupt. Ich verkenne nicht, wie Schweres ich damit ausspreche. Ich meine nicht nur in der jüdischen Schule. Wir werden dem Staat zu geben haben, was des Staates ist, obwohl wir noch nicht einmal wissen, was des Staates ist, sondern uns erst mitgeteilt werden wird, was des Staates ist. Sehr große Anforderungen werden an das Taktgefühl des Lehrers gestellt. Sie müssen von ihrer wissenden Seele aus wägen in jedem Augenblick und das Wort prüfen, während es gesprochen wird und so gerecht werden der ganzen Situation. Es ist sehr schwer. Diese Einwirkung muß auch für allgemeine Fächer gelten, wie Geschichte, Sprachen und Literatur. Außerdem gibt es eine Einwirkung auf jeden Unterricht, sogar auf Mathematikunterricht u. dgl. mehr. Deshalb wird eine recht jüdische Lehrerperson, ein Lehrer nach dem Herzen Israel in allem, wenn er es sich auch gar nicht vornimmt, etwas jüdisches zu tun, was er sagt, es jüdisch sagen. Auf das Wie des Unterrichts kommt es an und nicht nur beim Unterricht, auch hei Spiel und Sport und allem ungewollten Beisammensein kann der Erzieher seinen Einfluß ausüben. Es kommt nicht bloß darauf an, daß unsere Lehrer charaktervolle Menschen sind, das müssen sie sowieso sein, es kommt vielmehr darauf an, daß sie jüdisch-charaktervolle Menschen, vom Judentum getriebene Menschen sind. Daraus ergibt sich eine Grundbedingung in dieser außerordentlichen Situation. Jüdische Schulen streben wir an, die in 3fachem Sinn verstanden werden. Die erste Art ist die formal-jüdische Schule, Schule in der jüdische Kinder sind. Die zweite Form sind die inhaltlich jüdischen Schulen, eine Schule wie die erste, in die gewisse jüdische Fächer eingebaut sind. Schulen, in die jüdische Fächer hinzugekommen sind, scheint auch eine jüdische Schule zu sein. Als dritte Form sollen wir fordern die wesensjüdische Schule, die ihrem Wesen nach jüdisch ist, nicht nur der Zugehörigkeit nach und biblischer Fächer nach, sondern ihrem Wesen nach. Viele von Ihnen werden mich fragen, muß denn unsere Schule in ihrem Mittelpunkt die deutsche Kultur haben, um nicht den Anschluß an Deutschland zu verlieren. Ich nehme diese Frage ernst. Eine Schule kann nur dann eine bestimmte Kultur als Mittelpunkt haben, wenn den Schülern dieser Schule und selbstverständlich auch den Lehrern dieser Schule ein aktiver Anteil am Leben dieser Kultur gewährt wird. Man gehört dieser Kultur zwar an, ob sie will oder nicht, aber man kann nicht in den Mittelpunkt einer lebenden Anstalt diese Kultur stellen als das Bestimmende, wenn man nicht an dieser Kultur, an den Lehren und ihren Werken Anteil hat, wenn man nicht zugelassen ist. Wenn einem die Kelle aus
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der Hand geschlagen wird, mag der Zusammenhang mit dieser Kultur bestehen bleiben, aber der Mensch vermag, nicht mehr für den Mittelpunkt einer Form dieser Kultur einzustehen. Das ist kein theologischer Satz, den ich ausspreche, und ich fürchte, wer sich ihm weigert, wird die Wirklichkeit dieses Satzes erfahrungsmäßig erkennen müssen. In dem Unterricht in deutscher Geschichte und im Deutschunterricht sehe ich in beiden nicht ein Zugeständnis, sondern eine echte und wichtige Aufgabe unserer Schule, denn wir nehmen wirklich teil an der Wirklichkeit und der geschichtlichen Wirklichkeit des Volkes mit dem wir leben, mit dem wir durch die Geschichte verflochten sind. Große und würdige Aufgaben sind es, die von uns verlangt werden, wenn man die Sprache und das Schrifttum eines Volkes, hier des deutschen, recht unterrichtet. Wenn man aus dieser Geschichte und aus diesem Schrifttum mit rechtschaffendem Bemühen die höchsten Werte, aus tiefster Einsicht erwählt, die höchsten Werte dem Geiste übermittelt, dann wird man erfahren, dies gehört zu dem Höchsten, was der Mensch erfahren kann. Daß dort im Höchsten die Parallelen sich anschicken, einander zu schneiden. Daß wir zwar in den Niederungen dem Deutschtum nicht begegnen können, wohl aber auf den Höhen. Wenn wir unsere eigene Höhe kennen und bejahen und von da aus unsere Kinder bilden und ihnen auch die Höhen des deutschen Volkstums vermitteln, so werden sie dabei erfahren, daß über diesen Höhen der wahre lebendige Geist weht, daß da die Einheit regiert und nicht was darunter ist. Nun ein letztes: der Religionsunterricht. Wir brauchen jüdische Fächer. Religionsunterricht scheint mir ein widerspruchsvoller Begriff zu sein, da man Religion nicht unterrichten kann, aus Religion heraus kann man leben, man kann erziehen, man kann den 1
1.
Hier bricht der Text des Typoskripts ab.
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Die Kinder Die Kinder erleben was geschieht und schweigen, aber nachts stöhnen sie aus dem Traum, erwachen, starren ins Dunkel: die Welt ist unzuverlässig geworden. Man hatte einen Freund, der Freund war selbstverständlich wie das Sonnenlicht, nun plötzlich sieht er einen fremd an, die Mundwinkel spotten: Hast du dir etwa gar eingebildet, ich machte mir wirklich was aus dir? Man hatte einen Lehrer, unter allen den einen; man wußte: es gibt diesen Menschen, also ist alles in Ordnung; nun hat er keine Stimme mehr, wenn er zu einem spricht; auf dem Hof ist der Raum zu ihm hin nicht mehr offen. Die gute Landschaft selber, in der man wanderte und spielte, ist unheimlich geworden. Was ist geschehn? Man weiß ja so allerlei, aber man versteht dennoch nicht, wie das zusammenhängt. Um an der Seele dauern und wachsen zu können, braucht das Kind das Stetige, das Verläßliche. Da muß etwas sein, das nicht versagt. Das Haus genügt nicht, die Welt gehört dazu. Was ist mit der Welt geschehn? Aus dem vertrauten Lächeln ist eine Fratze geworden. Das Kind ängstigt sich, aber es kann seine Verängstigung keinem sagen, auch der Mutter nicht. Das ist nicht etwas was sich sagen läßt. Es kann auch keinen fragen. Niemand weiß ja Bescheid, warum alles so ist wie es ist. Das Kind empört sich, aber für diese Empörung gibt es keinen Ausbruch, sie schlägt in die Tiefe zurück. Das ist eine Leidenschaft, die nicht auflodern darf; sie schwelt und verderbt. Die Seele mündet nicht mehr in die Welt, sie verstockt sich. So wird man schlecht. Eltern, Erzieher, was ist gegen das Schlechtwerden, gegen das »Ressentiment«, zu tun? Ich weiß nichts andres als dies: ein Unerschütterliches in der Welt des Kindes sichtbar zu machen. Etwas, was nicht versagen kann, weil es den Wechselfällen der geschehenden Geschichte, ihrer Labilität, nicht unterworfen ist, nicht von der Stunde ist, sondern von urher. Etwas, das unser ist, unentreißbar unser. Wir müssen dem Kind in seiner Welt, als ein Vertrautes, Vertrauliches, ewigen Vertrauens Wertes, Israel erfahrbar machen. Das heißt nicht: einem völkischen Menschenbild reaktiv ein andersvölkisches gegenüberstellen. Es heißt nicht: sagen, wir seien »auch« ein Volk,
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wir hätten auch unsere Art, auch unsern Wert. Wir sind nicht ein andres Exemplar der Gattung Nation, wir sind das einzige Exemplar unserer Gattung. Wir sind Israel. Heruntergekommen, preisgegeben, sind wir uneinreihbar geblieben. Alle Gewalten der Erde haben den Zugriff auf uns, die Kategorien der Begrifflichkeit haben ihn nicht. Ich sage das nicht in selbstsicherm Stolz, ich sage es mit Furcht und Zittern. Zu »Israel« gehört geschichtlich dieses Schicksal, so in das Schicksal der Völker verflochten und so aus ihm entlassen zu sein, – so aus ihm geworfen zu werden und so ihm eingetan zu bleiben. Aber zu Israel gehört auch die Gnade, je in solcher Not den Urbund zu erneuern, durch den es entstanden ist. Den Kindern ist Israel nicht als ein Ersatz aufzuschließen, sondern als die wahre Einzigkeit, aus der wir leben und die wir vergessen haben. Wieder einmal läßt uns die Not unsern Namen wiederfinden. Nicht als ein Ding des Berühmens: »sowas haben wir auch«, nicht als eins der Zeichen auf den Fahnenwimpeln der Erde, vielmehr als die Bezeichnung eines Bundes, mit Bundesrecht und Bundespflicht. Israel bedeutet: um einer Verbundenheit willen, in der unser Sein begründet ist, Gemeinschaft üben. Die Gemeinschaft zwischen Wesen und Wesen, zwischen Mensch und Mensch, auf die hin die Schöpfung erschaffen ist, lebensmäßig üben. Und das bedeutet heute: Unmittelbarkeit hüten in einer immer mittelbarer werdenden Menschenwelt. Der Selbstgerechtigkeit der Kollektivitäten gegenüber das Geheimnis der Beziehung wahren, ohne das ein Volk dem Eisestod verfallen muß. Aber haben wir uns nicht selber auf den Weg begeben, eine selbstgerechte Kollektivität zu werden? Dürfen wir noch der Gnade gewärtig sein, den Urbund zu erneuen? Steht es uns noch zu, jene Einzigkeit zu vertreten? Vermögen wir noch den Kindern das Unerschütterliche sichtbar zu machen? Sind wir noch Israel? An uns ist es, diese Frage zu beantworten. Nicht durch pathetische Erklärungen, die nichts beweisen, aber durch unsre Wesenshaltung im Gang des Alltags, mitten in seinen bestürzenden Anomalien. Es gilt viel, daß wir wahrhaft inne seien unsrer Grundwerte, unsrer Sprache und unsrer Geschichte; das muß uns allen nicht bloß ins Bewußtsein, sondern ins Blut eingehn. Aber mehr noch gilt, daß wir als Israel leben: Gemeinschaft üben und Unmittelbarkeit wahren. Nach außen ist das tausendfältig erschwert oder unterbunden. Dennoch, nichts darf uns davon abbringen, unbefangen, grollfrei, in ungebrochner persönlicher Ganzheit zu den Menschen des deutschen Volkstums zu stehen, wo immer wir ihnen so begegnen, daß man einander zu sehen, einander zu erkennen vermag. Auch heute, gerade heute, so grausam sie uns erschwert ist, tut menschliche Aufgeschlossenheit not.
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Innerhalb der Judenheit, sollte man meinen, seien alle Riegel gesprengt. Aber, wenn ich von all den kleinen Gemeinden absehe, die in der Notzeit zu großen Familien zusammen- und emporgewachsen sind: ich nehme mehr Organisationsgetriebe, ja Organisationsleerlauf wahr als personhaftes Draufloshandeln, mehr »Fürsorge« als brüderliches Sorgen, mehr Routine als Initiative, mehr Erledigung als Hingabe. »Wer weiß«, sagte der Berdyczewer Rabbi von den unbarmherzigen Sodomitern, »vielleicht hatten auch sie eine Gemeindebüchse, darein die Wohlhabenden ihr Almosen taten, um den Armen nicht ins Auge zu schauen!« 1 Die Büchsen heißen heute Fonds. Niemand meine sich durch seinen Beitrag loskaufen zu können! Wer hier nicht Unmittelbarkeit bewährt, verleugnet Israel. Ist auf einen Umschwung, auf einen Durchbruch zu hoffen? Ich frage euch, die ihr dies lest. Lehrt eure Kinder jüdische Gehalte, sucht ihnen das Leben jüdisch zu formen, – aber daran ist’s nicht genug. Ihr müßt mit euch selber beginnen. Israel ist mehr als Form und Gehalt, es will in unsrer ganzen persönlichen, mitmenschlichen, gemeinschaftlichen Wirklichkeit verwirklicht werden. Es liegt an uns, den Kindern die Welt wieder zuverlässig zu machen. An uns, ob wir ihnen, uns zusprechen dürfen: »Getrost, die Mutter ist da«.
1.
Die Erzählungen der Chassidim, S. 360 f.
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Entwürfe und Programme Zwei Vorschläge 1 (Mai 1933) 1. Das Bildungsamt der deutschen Juden hat die Aufgabe, alle Bestrebungen und Bemühungen nach Schaffung einer echten jüdischen Erziehung für unsere in Deutschland heranwachsenden Generationen zu verbinden, zu stärken und in ihrer Fruchtbarkeit zu steigern. Es wird dabei auf die Vielfältigkeit einerseits der örtlichen und regionalen, anderseits der gruppenmäßigen Bedingungen, sowie auf das mancherorts bereits Geleistete oder Begonnene ernstlich eingehen, aber zugleich alledem gegenüber die fundamentale Wahrheit zur Geltung bringen, daß in einer so außerordentlichen und so labilen Lage ein großes Gemeinschaftswerk nur in einheitlichem Geiste und unter einheitlicher Führung gelingen kann. Wo bereits gebaut worden ist, wird das Bildungsamt raten, wie das Vorhandene weiter auszubauen ist; wo erst die Grundlagen errichtet sind, wird es dafür Sorge tragen, daß die Arbeit in einer dem Gesamtgedanken entsprechenden Weise fortgerate; und wo noch nichts da ist, wird es anregen, Grundrisse liefern, fordern und fördern. Das Bildungsamt soll in einer Stunde, wo die Not gebietet, Schulen für jüdische Kinder zu schaffen, das zentrale Postulat durchsetzen, daß dieses Schulwerk nicht nur ein formaljüdisches, sondern ein wesensjüdisches sei, d. h. daß es nicht bloß einem äußeren Notstand abhelfe, sondern auch einen großen inneren Mangel der deutschen Judenheit ausfülle, indem es unserer Jugend den unerschütterlichen Halt gewährt, mit der Ewigkeit des Judentums verbunden zu sein. Die Urkraft der hebräischen Sprache, das klassische Schrifttum Israels, Macht und Leid jüdischer Geschichte, die hohen Werte eines einzigartigen Glaubensvolkes müssen in die lebendige Substanz der neuen Geschlechter eingehn. Aber auch der Unterricht in den außerjüdischen Fächern soll, soweit das innerlich und äußerlich angeht, von elementar jüdischem Geiste bestimmt sein. Die Tätigkeit des Amtes wird grundsätzlich alle Stufen der Erziehung, 1.
[Anm. Buber:] Diese Vorschläge sind den Vertretungsorganen der deutschen Judenheit unterbreitet worden. An Stelle des in dem ersten vorgeschlagenen Amtes ist ein »Erziehungsausschuß« ins Leben gerufen worden. Über das Schicksal des zweiten Vorschlags, der auf einen alten Plan von mir zurückgriff, orientieren die auf S. 132 ff. folgenden Briefe an den geschäftsführenden Vorsitzenden der Reichsvertretung der Juden in Deutschland.
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des Unterrichts und der Jugendbildung vom Kindergarten bis zu Hochschulkursen zu umfassen haben. Dabei wird es sowohl von den Verhältnissen her als auch um unseres besonderen Bildungsziels willen notwendig sein, neue Schultypen – eine neue Art Volksschule, eine neue Art Berufsschule usw. – hinzustellen, die das uns gesetzlich Gewährte unseren inneren Bedürfnissen gemäß ausgestalten. Es wird sich dabei stets darum handeln, eine Menschenart heranzuziehen, die durch eigne hochqualifizierte Arbeit, durch vorzügliche Leistungen in Handwerk, Gewerbe, Landwirtschaft, Handel auch unter den schwersten Bedingungen den Daseinskampf zu bestehen vermag (für eine ohne Rücksicht auf Stand und Besitz zu befördernde Auslese wird daneben der Zugang zur akademischen Bildung auf die sich als möglich ergebende Art zu erschließen sein), und diese Menschen sollen jüdisch gesinnt, von jüdischen Gehalten erfüllt, vom Willen zu einem großen Judentum und zur eignen aktiven Teilnahme daran beseelt sein. Im Zusammenhang mit diesen seinen Zwecken wird das Bildungsamt die rechtlichen Voraussetzungen seiner Tätigkeit dauernd erforschen und bearbeiten und es wird jeweils diejenigen Verhandlungen mit Reichs- und Landesbehörden führen, die das Werk erfordert.
2. Die deutschjüdische Lehrerbildungsanstalt hat die Aufgabe, die Lehrer, die an den jüdischen Schulen in Deutschland wirken sollen, in den für ihre Tätigkeit wesentlichen Fächern der Judentumskunde auszubilden und ihnen dabei den Geist, von dem die jüdische Schule bestimmt sein muß, konkret zu übermitteln. Sie ist daher eine unerläßliche Voraussetzung für ein planvolles jüdisches Schulwerk. Unter Judentumskunde ist die Kenntnis des Judentums in allen seinen Erscheinungsformen, und zwar in steter unmittelbarer Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart, zu verstehen. Es ist daher nichts Historisches in seiner bloßen Gewesenheit zu lehren, sondern durchaus auch in seiner Bedeutung für das jetzt Geschehende, Gültige und Notwendige. Anderseits soll die soziale, wirtschaftliche, politische, kulturelle, religiöse Gegenwart des Judentums so den Zöglingen zugänglich gemacht werden, daß darin die großen Kräfte unserer Geschichte als in allen Wandlungen dauernd, als trotz allem auch heute noch waltend und tragend offenbar werden. Es geht nicht um ein Aggregat von Kenntnisse, sondern um ein n o r m a t i v e s Wissen. Dieses Wissen soll lehren, die gegenwärtige Situation zu begreifen und zu bewältigen.
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Der Problematik der Lage gemäß wird die Lehrerbildungsanstalt zunächst eine vorbereitende Phase durchzumachen haben, die von Oktober 1933 bis März 1934 dauert. In dieser Phase wird in einer Folge von etwa vier- bis sechswöchigen »Schnellkursen« möglichst vielen der Lehrer, die uns bereits (an Entlassenen usw.) zur Verfügung stehen, das Wichtigste von dem zu geben sein, was ihnen, von dem Bildungsziel unserer Schule aus betrachtet, noch fehlt. Es wird dabei davon ausgegangen, daß alle Lehrer an unseren Schulen, gleichviel welches ihr Unterrichtsfach ist, ein gewisses Maß von »Jüdischkeit«, von jüdischem Geist und jüdischem Wissen besitzen müssen. Aus dieser vorbereitenden Phase soll die Anstalt im April 1934 in ihren endgültigen Zustand treten, in dem sie die jungen Leute, die Lehrer an den jüdischen Schulen werden wollen, unabhängig von ihrer sonstigen Ausbildung in einem zentralen, etwa einjährigen Lehrgang zusammenfaßt. In ihrem Minimalstand sollen an der Anstalt gelehrt werden: 1) Bibelund Religionskunde, 2) Volkskunde und Geschichte, 3) Gegenwartskunde (vornehmlich soziologische) des Judentums. Diese Fächer sollen von je einem Hauptdozenten verwaltet werden, um dessen Vorlesungen und Seminar sich Kurse anderer Vortragenden gruppieren. Daneben sollen möglichst systematisch hebräische Sprachkurse erteilt werden. Es wird geplant, die Anstalt sich aus diesem ihrem Minimalstand allmählich zu einem Institut für Judentumskunde in drei Abteilungen – 1) Religionskunde, 2) Kulturkunde, 3) Gesellschaftskunde – entwickeln zu lassen.
Zwei Briefe an Dr. Otto Hirsch 1. Heppenheim, 5. Dezember 1933 Sehr verehrter Herr Dr. Hirsch – Bei unserem gestrigen Gespräch sagte ich Ihnen zu, Ihnen eine kurze briefliche Darlegung zu senden, wie ich mir die von mir angeregte Lehrerbildungsanstalt – die ich am liebsten »Schule für Judentumskunde« genannt sehen möchte – denke. Die Anstalt soll dazu dienen, die an jüdischen Schulen in Deutschland unterrichtenden und fernerhin unterrichten sollenden Lehrer, soweit ihre
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Kenntnis des geschichtlichen und gegenwärtigen Judentums unzureichend ist, darin auszubilden. Ich gehe dabei von der Voraussetzung aus, daß jeder an einer jüdischen Schule wirkende Lehrer mit den großen Gegenständen des Judentums vertraut sein muß, auch wenn sein Unterrichtsfach mit diesem keine oder nur geringfügige Berührung hat. Denn es kommt an unseren Schulen mehr als an irgendwelchen anderen und in unserer Zeit mehr als in vorangegangenen auf den auch außerhalb der spezifischen Unterrichtsobliegenheiten erfolgenden Kontakt zwischen Lehrern und Schülern an. Es kommt darauf an, wie der Lehrer dem Schüler auf eine gelegentliche Frage nach jüdischen Dingen antwortet, wie er, wo ein Anlaß es erwünscht erscheinen läßt, den Schüler spontan auf jüdische Zusammenhänge hinweist. Es kommt darüber hinaus auf die in einem echten Wissen um das Judentum wurzelnde jüdische Persönlichkeit des Lehrers an, die sich als solche auswirkt, die im Schüler ein positives Verhältnis zum Judentum erweckt und pflegt. Um solche jüdische Lehrerpersönlichkeiten auszubilden, genügt es freilich nicht, ihnen judaistische Kenntnisse zu vermitteln; dies muß vielmehr so geschehen, daß die Elemente jüdischen Wissens sich zu einem großen organischen Geisteszusammenhang verbinden, und ferner, daß die Ausbildung sich in einer Atmosphäre lebendiger jüdischer Gesinnung, jüdischer Existenz und jüdischer Zielsetzung vollziehe. Von einer solchen Atmosphäre muß die »Schule für Judentumskunde« erfüllt sein, um ihr Werk zu tun. Dabei ist es durchaus nicht notwendig, ja nicht einmal zweckentsprechend, daß an der Anstalt eine bestimmte Richtung, eine bestimmte Auffassung des Judentums herrsche; gerade die Verschiedenheit der Auffassungen kann, wenn sie nur auf dem gleichen festen Grunde des Glaubens an unsere Wesenheit und unsere Bestimmung ruhen, einen lebenswichtigen Eindruck von der einheitlich-vielfältigen Totalität des Judentums erzeugen. Unter normalen Umständen wäre zu verlangen, daß die auszubildenden Lehrer etwa zwei Jahre an der Anstalt verbringen. Die gegenwärtigen Umstände gebieten eine Kürzung des Zeitraums auf ein Jahr, bis eine verhältnismäßige Normalisierung eingetreten ist. Den Unterricht an der Schule denke ich mir in 5 Hauptabteilungen aufgebaut: Sprachkunde, Bibelkunde, Gemeinschaftskunde, Geschichte und Glaubenskunde. Die Sprachkunde umfaßt einerseits Grammatik, anderseits Typologie und Entwicklungsgeschichte der hebräischen Sprache (ein Kurs für Anfänger soll außerhalb des regulären Stundenplans stattfinden). Die Bibelkunde soll auf ein selbständiges Verständnis des Textes nach seiner Form und nach seinem Gehalt hin gelehrt werden, wobei die jüdischen Exegeten mit ihrer das Gegebene ernstnehmenden Methode in-
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tensiv heranzuziehen sind. Die Gemeinschaftskunde setzt sich aus einer Soziologie der jüdischen Gemeinschaftsformen, einer Darstellung der sozialen Normen und des sozialen Lebens im Judentum und einer analytischen Behandlung der gegenwärtigen jüdischen Gemeinschaftsprobleme zusammen. Geschichte soll nicht so getrieben werden, daß in das eine Jahr die Gesamtmaterie gepreßt würde, sondern daß in diesem Zeitabschnitt sich den Lernenden ein wesentliches und fruchtbares Verhältnis zu Charakter und Sinn jüdischer Geschichte, zu ihren führenden Gestalten und ihren entscheidenden Vorgängen und Entwicklungen eröffnet. In der Glaubenskunde schließlich soll unsere Religion als ein geschichtliches und gegenwärtiges Leben, als eine Wirklichkeit, an der die Person und die Gemeinschaft teil hat, als ein all unser Dasein tragendes Sein behandelt werden. In allen Abteilungen soll nichts Geschichtliches als nur-geschichtlich und nicht Gegenwärtiges als nur-gegenwärtig gelehrt werden. Die Unterrichtsweise muß auf innigster Verschmelzung von Geschichte und Gegenwart, auf stetem Bezogensein der einen auf die andere sich gründen. In jeder Abteilung müssen die Vorlesungen durch seminaristische Übungen unterstützt und ergänzt werden, wie überhaupt die aktive Teilnahme des Hörers an der Erarbeitung des Wissens für ihn nach Möglichkeit aufgerufen und gefördert werden soll. Es erscheint mir wünschenswert, daß außer dem Unterricht in den genannten Gegenständen Kurse in allgemeiner Erziehungskunde (Individual- und Sozialpädagogik) an der Anstalt gehalten werden, selbstverständlich unter besonderer Berücksichtigung der jüdischen Situation und der jüdischen Aufgaben. Im ganzen denke ich an 25 reguläre Wochenstunden, die sämtlich obligatorisch sein müssen; nur die pädagogischen Kurse dürften eventuell als fakultative gelten. Als Sitz der Schule habe ich, wie Sie wissen, und aus Gründen, die, Sie kennen, Mannheim in Betracht gezogen. Für ein zielgemäßes Zustandekommen der Anstalt und ihre gedeihliche Entwicklung halte ich es für höchst wichtig, daß in allen Kreisen, aus denen sich die Schülerschaft rekrutieren soll, die fundierte Überzeugung herrscht, daß die Absolventen vorzugsweise für die zu besetzenden Stellen herangezogen werden. Meiner Ansicht nach muß die Schule, damit sie ihre Aufgabe erfüllen könne, nicht als privates Unternehmen, sondern als eine Sache und ein Werk der deutschen Judenheit entstehen. Ihre Frage danach, ob ich bereit wäre, die Leitung einer solchen Anstalt zu übernehmen, kann ich heute nicht mehr, wie ich es zu der Zeit, als ich
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sie zuerst anregte, tun konnte, mit einem einfachen Ja beantworten. Objektiv und subjektiv hat sich mancherlei gewandelt. Doch darf ich Ihnen dies zusichern, daß ich auch heute noch, wenn die konkrete Frage in Zusammenhang mit einer gesicherten Realisierung meines Plans an mich heranträte, aufs ernsteste prüfen würde, ob es mir möglich ist, mich zur Verfügung zu stellen. Herzlich grüßend Ihr gez. Buber
2. Heppenheim, 1. März 1934 Sehr verehrter Herr Doktor – Im Gang der von mir in den letzten Wochen geführten Briefwechsel und Besprechungen hat es sich leider erwiesen, daß die »Schule für Judentumskunde« in der geplanten und von der Reichsvertretung bestätigten Weise gegenwärtig mit Aussicht auf wirklichen Erfolg nicht errichtet werden kann. Unter wirklichem Erfolg verstehe ich hier eine auch extensiv befriedigende Teilnahme von Lehramtskandidaten, wogegen ich eine – zweifellos zu erwartende – zahlreiche Beteiligung außerordentlicher Hörer als einen solchen nicht zu buchen vermöchte. Was aber die ersteren betrifft, hat es sich gezeigt, daß der Südwesten fast gar kein in Betracht kommendes Schülermaterial liefern würde, daß somit weitaus überwiegend an ferner abliegende Teile Deutschlands zu denken wäre. Um jedoch einen namhaften Besuch von dort zu ermöglichen, müßten zwei Voraussetzungen erfüllt werden können: erstens müßte zugesichert werden, daß die Absolventen der neuen Anstalt vorzugsweise an den jüdischen Schulen angestellt würden, und zweitens müßte ein Stipendienfonds geschaffen werden, der zum mindesten 15 ordentlichen Hörern einen Jahreszuschuß von mindestens je 1000 Mark verbürgte. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt und anscheinend zur Zeit nicht erfüllbar. Ich muß mich daher zu meinem großen Bedauern entschließen, gegenwärtig von der Errichtung der geplanten Anstalt abzusehen. Dagegen halte ich es auch in diesem Augenblick für möglich, im Zusammenhang eines anderen, Ihnen gegenüber bereits vor einiger Zeit erörterten Plans, für dessen Verwirklichung ich mir die Hilfe der Reichsvertretung erbitten möchte, einiges für die spezifische Ausbildung der für unsere Schulen in Betracht kommenden, aber mit den jüdischen Gegen-
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ständen nicht hinreichend vertrauten Lehrpersonen im Sinn meines vorigen Schreibens zu tun. Ich denke daran, für das jüdische Erwachsenenbildungswesen im Reich eine Grundlage von einer einheitlichen und folgerichtigen volkserzieherischen Konzeption aus zu schaffen. Ihren organisativen Ausdruck soll sie in einer Zentrale finden, die die Aufgabe hat 2 , die auf diesem Gebiet bestehenden Anstalten und Einrichtungen – Volkshochschulen, Lehrhäuser, »Schulen der Jugend«, Kurse verschiedener Art – zusammenzufassen, einen steten Austausch von Erfahrungen und Anregungen herbeizuführen, selber Anregungen, Hinweise, Material aller Art überallhin zu liefern, nach Möglichkeit auch Dozenten zu vermitteln, ferner für Ausgestaltung der noch unvollständigen oder sonst ungenügenden und für Begründung von neuen Anstalten an den ihrer bedürftigen Orten Sorge zu tragen, schließlich ein Mitteilungsblatt und sonstige zweckdienliche Publikationen herauszugeben. In diesem Zusammenhang ist auch der Gedanke, der mit der »Schule für Judentumskunde« erfüllt werden sollte, weiter zu verfolgen. Demgemäß sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben der Zentrale – als deren Sitz ich mir Frankfurt am Main (in Verknüpfung mit dem dortigen Lehrhaus) denke – die Veranstaltung von judaistischen Lehrer-Nachschulungskursen an, und zwar in doppelter Weise: 1) in den bedeutendsten Gemeinden, sei es in selbständiger Form, sei es angelehnt an das jeweilige Programm einer volksbildnerischen Anstalt, 2) als Ferienkurse an hierfür geeigneten Orten. Beides würde die Zentrale programmatisch und personhaft vorzubereiten und zu leiten haben. Die Verwirklichung des Planes würde dem ursprünglichen gegenüber Mehrkosten keinesfalls verursachen. Die Arbeit der Zentrale könnte, wenn die nötigen Beschlüsse unverzüglich gefaßt werden, Anfang April beginnen. Herzlich grüßend Ihr Ihnen ergebener gez. Buber
2.
[Anm. Buber:] Über den hier skizzierten Aufgabenkreis hinaus hat die »Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung bei der Reichsvertretung der Juden in Deutschland« unter meiner Leitung besonders die Institution von »Lernzeiten« für im Volksbildungswesen tätige Personen (Rabbiner, Lehrer, Leiter von Jugendbünden usw.) in allen Teilen Deutschlands ausgebaut. (Anm. 1936.)
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Unser Bildungsziel Ich habe – bisher ohne Erfolg – vorgeschlagen, zu einer bei aller Mannigfaltigkeit einheitlich bestimmten Ordnung des jüdischen Bildungswesens in Deutschland ein Bildungsamt der deutschen Juden zu errichten. Damit meine ich keine Notstandsbaracke, sondern ein standfestes Haus, wenn’s auch die Not ist, die drängt es zu bauen. So meine ich ja auch mit der jüdischen Schule selbst, auf deren Erstehen ich hoffe, nicht ein Asyl für Kinder, die in der allgemeinen nicht verweilen dürfen oder nicht gedeihen können, sondern ein echtes Heim, auf Urgrund gesetzt, unserm Wesen gerecht und zu dauern bestimmt. Das heißt: ich stelle in dieser Stunde und in sie die Frage nach unserem B i l d u n g s z i e l . Unterrichtsnot treibt uns an, aber die Schau des Bildungsziels muß uns leiten, wollen wir uns nicht im Kreis drehen, sondern einen Weg abschreiten. Von der Situation aus müssen wir handeln, aber nicht ihr verhaftet. Freilich, wenn wir uns jetzt erst ein Ziel zurechtzumachen hätten, stünde es übel um uns. Ein wahres Ziel im Leben der Gemeinschaft wird nicht aufgesteckt wie eine Stange beim Rennen: es war schon da und wird nun wahrgenommen. Wir h a b e n ein Bildungsziel. Wir brauchen es nur wahrzunehmen. Bildung kommt von bilden und bilden von Bild. »Bilden« heißt ein geschautes Bild im irdischen Stoff verwirklichen, so daß es in die Welt der Dinge tritt. Menschen bilden heißt ein geschautes Menschenbild in lebenden Personen verwirklichen. Der Erzieher ist dann ein Menschenbildner, wenn er an den ihm anvertrauten bildsamen Wesen, ihre Personhaftigkeit achtend, ja fördernd, eben dies vollbringt. Er kann es aber nur dann vollbringen, wenn das Bild, dem er dienen will, nicht seiner individuellen Phantasie entstammt: wenn es ein a l l g e m e i n g ü l t i g e s ist. Ein »allgemein«, richtiger: für die Allgemeinheit eines Zeitalters gültiges Bild nenne ich eines, das einem Volk oder mehreren Völkern in diesem Zeitalter »vorschwebt« als das des rechten Menschen. Begrifflich braucht es keineswegs formuliert zu werden. Es steht gleichsam über aller Köpfen in der Luft, man schaut zu ihm auf: so ist der rechte Mensch beschaffen, so will ich, so wollen wir sein. Je wurzelechter eine Kultur, um so sichtbarer ist ihr Bild: der Polites 1 des klassischen Athen, der Christenmensch des abendländischen Mittelalters. 1.
Polites, griech. »(Mit-)bürger«.
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Eins der letzten Bilder im modernen Europa war, in der Welt Rousseaus entstanden, aber in der Lessings und Herders zur vollkommenen Gestalt geklärt, der weltoffene Mensch, der »Weltbürger«, der die Gegenstände und Werte einer ganzen Menschheit aufnimmt und in seine eigentümliche, organische, volksbedingte Form verarbeitet. Aus dem Zerfall dieses Bildes – denn auch Bilder zerfallen – ist das hervorgegangen, was wir »allgemeine Bildung« nennen; eine Bildung ohne Bild, eine Unbildung. Nicht länger organisch eingeformt, liegen hier die Gegenstände und Werte der Menschheit in einem scheinbar systematisch gegliederten, tatsächlich aber verworrenen, weil nicht mehr in lebendige Gestalt gebundnen Haufen beisammen. Das Zerfallsprodukt »allgemeine Bildung« beherrscht ein Jahrhundert ungeheurer Stofferweiterung, ungeheurer technischer Bezwingung, aber niedergehenden Geistes und niedergehenden Bildnertums. Unsere Zeit, die am Ende dieses Jahrhunderts steht, ist durch Versuche gekennzeichnet, ein neues Menschenbild zu erzeugen, vom bewußten Willen her also den Mangel des unwillkürlichen Wachstums zu füllen. Einer dieser Versuche ist der, den »völkischen Menschen« zu schaffen. Die deutschen Juden leben heute im Angesicht solch eines Versuchs, der sie, weil er auf eine blutmäßige Reinkultur des deutschen völkischen Menschen gerichtet ist, ablehnen und ausschließen muß. Das vom bewußten deutschen Volkswillen unserer Tage gesetzte Bildungsziel kann seinem Wesen nach nicht das ihre werden. Haben sie ein eigenes? Oder sind sie ziellos, richtungslos dem Wirbel preisgegeben? Sinnlos und nichtig wäre das Unterfangen, dem völkischen Bild gegenüber uns als Hüter der »allgemeinen Bildung«, etwa einer durch etliche jüdische Inhalte verbrämten, zu behaupten, in einem Raum bewußter Bild-Erzeugung das bildlose Zerfallsprodukt als unser Monopol bewahren zu wollen. Aber es steht uns auch nicht an, auf die Aktivität, die uns umgibt, reaktiv: mit einem jüdischen völkischen Bild zu antworten. Es steht uns nicht an, weil wir durch keinen völkischen Begriff zu umreißen sind, – einst als Glaubensgemeinschaft volkgeworden, als Glaubensvolk seither dauernd, so daß unsere »nationale« Bindung an Natur und Geschichte von unserer »religiösen« Bindung an die Manifestation, die unsere Volkswerdung und unsere Volksbürgschaft ist, nicht abgetrennt werden kann. Zu dem Bild Israels gehört unwegdenkbar die Hand, die von drüben her die Tafeln uns reicht, unwegdenkbar die sichtbare Majestas unseres unsichtbaren Königs. Jenes steht uns aber auch deshalb nicht an, weil wir zwar dem Blute
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nach, wenn auch nicht »rein«, so doch wesentlich selbständig, aber geistseelisch hundertfältig vermischt sind, eingemengt in das Leben, die Sprachen, die Strukturen, die Geschicke der Völker, – eine Tatsache das nicht der flüchtigen Oberfläche, sondern der geschichtlichen Tiefe unserer Existenz, in besonderer Steigerung bei den deutschen Juden, deren Begegnung mit dem deutschen Volk eine elementar ernste, schicksalhafte, fruchtbare und tragische gewesen ist. Es wäre leichtfertige Willkür, sich über dieses großartig und unheimlich Faktische hinwegzusetzen. Auch die von hier nach Palästina gehen, um in hebräischer Gemeinschaft hebräisch zu leben, tragen in ihrer Beschaffenheit deutsches Seelengut mit hinüber. Unser Bildungsziel kann keins der völkischen sein. Aber es wäre auch vergeblich, uns vorzunehmen, jenes allgemeingültige jüdische Menschenbild zu erneuen, das unseren abendländischen Ahnengeschlechtern bis zur Emanzipation vorgeleuchtet hat: das Bild des zugleich wahrhaft frommen und wahrhaft gelehrten Mannes, der, in Israel naiv beheimatet, der »Weisung« in all ihrer Kasuistik kundig ist und zugleich ihrer Verwirklichung in Gottes- und Menschenliebe unbefangen-gelassen obliegt. Wohl hat dieses Bild sich noch in unsere Zeit hin in manchen nachgeborenen kindlich mächtigen Personen dargestellt; aber ein Bildungsziel läßt sich daraus nicht mehr holen: an jener unangefochtenen Naivität hing alles, und sie ist nicht wiederherzustellen. Dennoch sage ich, daß wir ein Bildungsziel haben und es nur wahrzunehmen, es nur zu entdecken brauchen. Diese Entdeckung kann nicht romantisch, sondern nur realistisch vollzogen werden, also vom heutigen Menschen und seiner Lage aus. Wir nehmen unser Bildungsziel wahr, wenn wir die gegenwärtige Weltsituation und uns in ihr wahrnehmen. Die Situation kann etwa dahin ausgesprochen werden, daß die Geschichte der Erdbevölkerung wieder »labil« geworden ist, und anscheinend labiler als je. Die »festen Verhältnisse«, die vor zwei Jahrzehnten noch den einigermaßen gleichbleibenden Hintergrund all der wechselnden Ereignisse, Entwicklungen, Konflikte und Krisen abgaben, sind allsamt mit ins Gleiten geraten. Die »Sicherheit der Voraussetzungen«, das Werk der von der französischen Revolution emporgetragenen bürgerlichen Gesellschaft, ist entschwunden. Der Mensch ist e x p o n i e r t . Die exponierteste Menschensippe aber sind die J u d e n . Die bürgerliche Gesellschaft hatte ihnen um den Preis einer Selbstentäußerung, die zu Triumphen des individuellen Geistes, aber auch zu schweren typologischen Entartungen geführt hat, eine Sekurität verliehen, die sich nun als eitel erweist. Am Juden entladen sich die Spannungen der Gegenwart,
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die äußeren und inneren, am stärksten, sie drohen ihn zu zersprengen. Die Labilität geht ihm an den Kern des Wesens. Hier wird der Kampf des Menschen exemplarisch ausgefochten. Was wird daraus werden? Hier, wenn irgendwo, entdecken wir unser Bildungsziel, das Bild, das wir verwirklichen sollen. Es ist der der Situation an dem exponiertesten Punkt g e w a c h s e n e Mensch. Es ist der ü b e r w i n d e n d e Jude. Überwinden aber können wir nur von einem Unüberwindlichen her, das der Labilität nicht untertan ist, das von ihr nicht erfaßt werden kann, das ihr unbedingt überlegen bleibt. Einzig von den Urkräften seines jüdischen Daseins, von der Urverbundenheit »Israels« her, untereinander und mit dem Ursprung, untereinander, w e i l mit dem Ursprung, wird der Jude auf bebendem Boden standhalten und sein bebendes Herz zur Ruhe bringen. Daß der jetzt heranwachsende Jude sich auf den Urbestand seines geschichtlichen Wesens besinne und sich aus ihm neu aufbaue zu dem Menschen, der die Problematik der Gegenwart am exponiertesten Punkte bewältige, das ist das Ziel unseres Bildens, ihr jüdischen Erzieher auf deutscher Erde! Wir wollen ungespaltene, unbefangene, unabhängige Geschlechter erziehen. Wodurch sonst sollten sie es werden als durch die Wiedererwekkung der Urkräfte in ihnen, durch die Wiederknüpfung der Urverbundenheit? Als dadurch, daß die Urkräfte ihnen normativ wurden und ihrem Leben eine selbständige Ordnung spenden, daß die Urverbundenheit ihnen fundamental wird und ihrem Leben einen unerschütterlichen Halt schenkt, eine Gewißheit, die nicht zerstört werden kann? Wir wollen ein neues Israel erziehen, das »mit Gottheit und mit Menschheit streitet und überwindet«. Man frage nicht, für welches Land wir erziehen wollen. Für Palästina, wem es das Land sein darf. Für irgendeine Fremde, wem sie das Land sein muß. Für Deutschland, wem es das Land sein kann. Es ist e i n Bild, e i n Ziel, e i n e Erziehung.
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Ein jüdisches Lehrhaus Unter dem Protektorat der Israelitischen Gemeinde Frankfurt wird demnächst ein Lehrhaus eröffnet, das zugleich das Vermächtnis des einst von Franz Rosenzweig begründeten » F r e i e n J ü d i s c h e n L e h r h a u s e s « 1 getreu übernehmen und den besonderen Anforderungen der gegenwärtigen Stunde gerecht werden soll. »Das jüdische Bildungsproblem auf allen Stufen und in allen Formen«, schrieb R o s e n z w e i g 1917, »ist die jüdische Lebensfrage des Augenblicks.« 2 Und 1920 fügte er hinzu: »Die Not fordert die Tat, so gebieterisch wie je. Und es genügt nicht, den Samen auszustreuen, der vielleicht erst in ferner Zukunft aufgeht und Frucht bringt. Heute drängt die Not, heute muß das Heilmittel gefunden werden.«3 Seit damals sind 13, seit dem Tode Rosenzweigs fast vier Jahre vergangen. Aber seine Worte sind heute erst, von der Situation an, in der wir stehen, zu ihrer vollen Bedeutung erwachsen. Heute erst wissen wir vom Grunde aus, was Augenblick und was Lebensfrage, was Not und was Forderung der Tat ist. Den Worten ist ein neuer ungeheurer Stoff zugefallen, der ihren Sinn verstärkt und noch vertieft. Es ist jetzt ein anderer, andersartiger Augenblick als damals, ja, man möchte sagen, daß es erst jetzt den A u g e n b l i c k in der ganzen, strengen Bedeutung des Wortes gibt, den nicht verweilenden, den eine unverzügliche, unaufschiebbare Antwort heischenden. D i e s e Not, diese Härte ihrer gebieterisch fordernden Stimme haben wir damals nicht vorgeahnt. Aber die Lebensfrage unseres Augenblicks ist immer noch, und noch schärfer deutlich als damals, das jüdische Bildungsproblem; die Tat, die von der Not gefordert wird, ist immer noch, und noch unabweislicher drängend als damals, die aktive, baumeisterliche Lösung dieses Problems: überall, wo noch eine deutschjüdische Gemeinde zu wirken vermag, Errichtung volksbildnerischer, volkserzieherischer Anstalten, an jedem Ort nach den vorhandenen Kräften, aber auch wirklich nach den g a n z e n vorhandenen Kräften.
1.
2. 3.
Vgl. N. Glatzer, The Frankfort Lehrhaus, in: Leo Baeck Institute Year Book 1, London 1956, S. 105-122/deutsche Übersetzung in: Der Philosoph Franz Rosenzweig (18861929), Internationaler Kongreß Kassel 1986, Bd. 1: Die Herausforderung jüdischen Lernens, S. 303-326. F. Rosenzweig, Zeit ist’s (1917), in: Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften 3, S. 480. F. Rosenzweig, Bildung und kein Ende (1920), in: Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften 3, S. 491. Diese Schrift war als programmatische Vorbereitung für das Freie Jüdische Lehrhaus gedacht.
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Ein jüdisches Lehrhaus
Dieser Pflicht uns bewußt, eröffnen wir in Frankfurt das altneue L e h r h a u s . Der Situation und den von ihr bestimmten Bedürfnissen Rechnung tragend, müssen wir in unseren Lehrplan mehr und anders einbeziehen als einst. Es kommt nun darauf an, wie wir dieses Mehr und dieses Andre leisten können, ohne den dem »Freien jüdischen Lehrhaus« eigentümlichen Geist, und die ihm eigentümliche Methodik zu verleugnen. Der dem Lehrhaus eigentümliche Geist, das ist die Zentralität des Judentums, das in alle Welt- und Lebensbezirke ausstrahlt und so auf allen Gebieten des Lernens Stoffauswahl und Stoffbehandlung diktiert. Die dem Lehrhaus eigentümliche Methodik, das ist der intensive Verkehr zwischen Lehrern und Schülern, die tiefe Gemeinsamkeit der Arbeit, die den Lehrer zum Schüler macht, indem sie ihm das Lauschen auf die Seelen der Teilnehmer beibringt, und den Schüler zum Lehrer, indem sie ihn zur tätigen Teilnahme erzieht. An beiden darf das Lehrhaus in seinem veränderten und verbreiterten neuen Aufbau keine Einbuße erleiden. Das »Andere« darf uns nicht an Jüdischkeit und das »Mehr« uns nicht an Gemeinschaftlichkeit ärmer machen. Das Lehrhaus muß den jungen jüdischen Menschen von heute a u s r ü s t e n helfen, der Situation standzuhalten. Aber es muß ihn auch ausrüsten, ihr als J u d e standzuhalten. Mehr als je brauchen wir heute einen »Mittel- und Keimpunkt für das jüdische Leben des jüdischen Menschen«,4 wie Rosenzweig die von ihm entworfene Bildungsanstalt bezeichnet hat. Das Lehrhaus muß trotz seiner Übernahme der ihm von der Stunde auferlegten ausrüstenden Funktion, vielmehr um ihrer rechten Haltung willen ein solcher Mittelpunkt werden und zwar dadurch, l. daß die Judentumskunde, d. h. das Wissen um das geschichtliche und gegenwärtige jüdische Sein, den größten und zentralen Raum in seinem Arbeitsprogramm einnimmt, 2. daß der Geist, der seine Leiter und Lehrer erfüllt, echt jüdischer Geist ist, 3. daß die Lehre auch in den allgemeinen Disziplinen auf die Sorgen und Anliegen der gegenwärtigen Judenheit achtet, 4. daß nicht bloß Wissen und Können gefördert, sondern auch jüdischer Gemeinschaftssinn praktisch gepflegt, jüdische Gemeinschaft in werktäglicher und in festlicher Gestalt geübt wird. Auch hier geht es um die Befriedigung von Bedürfnissen, wenn auch von solchen, die vielfach nicht ins Bewußtsein treten, sondern nur als elementare Sehnsucht nach einem konkreten, umfangenden, zeitdeutenden, tröstenden, haltverleihenden Judentum bestehen. 4.
Ebd., S. 501.
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Ich habe der an mich ergangenen Aufforderung Folge leistend, die Leitung des Lehrhauses übernommen; die Herren Prof. Dr. jur. Ernst Kantorowicz, Dr. Eduard Strauß und Prof. Dr. Gotthold Weil haben mir ihre Mitwirkung dabei zugesagt. Das Lehrjahr soll aus 3 Trimester-Lehrgängen bestellen. Der erste Lehrgang beginnt Anfang Januar; doch soll ihm ein vierwöchiger EröffnungsLehrgang vorausgehen, der vom 19. November bis zum 16. Dezember dauert. Er wird naturgemäß nicht das Bild eines regulären Lehrgangs im kleinen geben können, da in ihm alle jene Kurse ausgeschaltet sein müssen, die ihrem Wesen nach eine längere Zeitdauer beanspruchen; aber er wird einen Einblick gewähren in das, was wir meinen und wollen. Die f e i e r l i c h e E r ö f f n u n g des Lehrhauses findet statt S o n n t a g , d e n 1 9 . N o v e m b e r um 5 Uhr nachmittags im großen Saal der Frankfurt-Loge, Eschersheimer Landstr. 27. Ich werde über das Thema, » W i e i s t Vo l k s e r z i e h u n g m ö g l i c h ? « sprechen. Meinem Vortrag werden sich einige Ansprachen von Freunden des Lehrhauses anschließen. Anmeldungen, Anfragen und Lehrplan-Bestellungen sind an das Sekretariat des Jüdischen Lehrhauses (vorläufig Fahrgasse Nr. 146, Israelitische Gemeinde) zu richten.
Buber 8 (02684) / p. 252 / 12.10.6
Aufgaben jüdischer Volkserziehung Aus der ersten Frankfurter Lehrhausrede Zur Wiedereröffnung des Jüdischen Lehrhauses am 19. November 1933 Ein rechtes Lehrhaus ist ein Stück Volkserziehung, doch nur ein Stück. Zu wahrhafter Volkserziehung gehören Lehre und Leben zusammen; nicht bloß die Absicht der Erziehung, die sich in der Lehre kundgibt, sondern wesentlich und notwendig das Unabsichtliche, das Unwillkürliche. Das Haus erzieht, wenn es wahrhaft Haus ist, eben dadurch, daß es ein wahrhaftes Haus ist, die Gemeinde erzieht eben dadurch, daß sie wahrhaft Gemeinde ist; sie erziehen, ohne es zu wollen, durch das Dasein, durch das Sosein. Aber die Lehre hat bei uns, und so wird es bleiben solange es Judentum gibt, die Führung. Sie hat das Ziel anzugeben, auf das hin erzogen werden soll. Sprechen wir von Vo l k s e r z i e h u n g , so meinen wir das Wort in seinem ernstesten, tiefsten Sinn. Der Begriff »Volk« hat im Deutschen seinen Wandel von der ursprünglichen Bedeutung »Heereshaufen«, »Menschenmenge« zu der, die wir heute meinen, wenn wir in allem Ernst »Volk« sagen, wesentlich unter dem Einfluß des biblischen, des deutschbiblischen Gebrauchs der Worte »Volk Israel«, »Volk Gottes« erfahren. Und das hat seinen großen Sinn. In der Zeit jenes Bedeutungswandels stellte sich durch das, was unsere Bibel vom Volk Israel erzählt, dem deutschen Menschen das Bild einer Urgemeinschaft dar, die von Gott gesammelt, von Gott geführt, von Gott zum Volk verbunden ist. Das entsprechende hebräische Wort »^am« bedeutet nicht den Haufen, sondern eine Vielheit von Menschen, die sich zur Gemeinschaft gesellt und diese Gemeinschaft unter einen »Bund« stellt. Der Bund zwischen Gott und Volk, der am Anfang der Volkswerdung Israels steht, ist ein Königsbund, den Gott mit dem Volke schließt, indem er es sich zu seinem Königsbereich, das Volk sich ihn zu seinem König nimmt; und ein Vaterbund: Gott sagt, er habe sich dieses Volks als seines »erstgeborenen« Sohns angenommen, es sich erwählt, und das Volk sagt gemeinsam, es habe in ihm seinen Vater erkannt. Zum Bund gehört die Verbundenheit der Gefolgen dieses Königs, der Kinder dieses Vaters, die Urverbundenheit der Menschen untereinander. Darum ist der Bund unablösbar von der Blutseinheit der Stämme, die im Zeichen der ihnen werdenden Offenbarung zueinandertreten, und deren Verbundenheit ihrerseits von der ihnen gewordenen Offenbarung eine Stärke und Festigkeit erhält, die sie aus eigener Macht nicht hätte erzeugen können. Der an Israels Anfang stehende Bund, der ein Volk heranholt und nun
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erst wahrhaft als Volk in die Dauer setzt, ist seinem Wesen nach Volkserziehung. Er sendet das Volk als Gottesvolk in die Geschichte aus; die Thora, die Weisung, die er ihm spendet, ist eine volkserzieherische. Die erste Phase jüdischer Volkserziehung ist die w e i s e n d e . Sie gilt gleicherweise der Wahrung des Bundes mit Gott und der Wahrung der Verbundenheit dieses Volkes. Denn der Gottesbund erfordert zu seiner Erfüllung nicht Einzelne, nicht eine Mehrheit gläubiger Personen, sondern eben ein Volk, ein wahrhaft verbundenes, wahrhaft einiges Volk. Von dieser Urforderung aus ist das zweite Stadium der Volkserziehung zu verstehen, die prophetische, die m a h n e n d e . Der Künder der Mahnung sagt es den auf die »Sicherheit« des Bundes und des Heiligtums Pochenden an, daß der Bund mit Gott nicht besteht ohne die Verbundenheit aller Glieder des Volkes untereinander und deren Bewährung durch die in allen Lebensaugenblicken sich kundtuende Urbrüderlichkeit. Das soziale Unrecht zerstört die Verbundenheit des Volkes und damit den Bund; daß es dies tut, das ist der Ruf der Propheten, und sie meinen dieses Eine, wovon immer sie je im geschichtlichen Augenblick zu reden haben. Dieses Unrecht – das hat unsere Überlieferung in unverkennbarer Weise bewahrt – ist es dann auch, was den Bestand eines selbständigen Gemeinwesens zersprengt hat. Im Exil des Volkes entsteht nun die dritte Gestalt der Volkserziehung, die ü b e r l i e f e r n d e , oder, um es anschaulicher zu sagen, die erinnernde. Sie erinnert das über die Weiten der Erde hingestreute Volk an den Bund und begründet so immer neu seine Verbundenheit. Trotz der Zersprengtheit, trotz der sprachlichen und kulturellen Vielfältigkeit, trotz der weiter zersprengenden Einflüsse der Geschichte erneuert sich und erhält sich die Verbundenheit in den Zeiten durch das lebende Gedächtnis des Bundes. Es ist mit Recht gesagt worden, daß unser Glaube in unserer Geschichte besteht. Indem wir uns an den Bund erinnern, nicht wie an einen Glaubensartikel, sondern in wirklicher Erinnerung, sind wir verbunden. Über dem Exil stand das Wort Rabbi Akibas, der in der Notzeit vortritt und spricht: »Unser Vater, unser König, wir haben vor dir gesündigt«. Die wandernden Scharen erkennen einander immer neu wieder: Gefährten, weil Gefolgen eines Königs, Geschwister, weil Kinder eines Vaters. Die Selbstverständlichkeit des in der Gemeinsamkeit solchen Erinnerns einigen Volksdaseins ist, wohl zum ersten Mal in der jüdischen Geschichte, durch die Emanzipation unterbrochen worden. Es wäre ein Mißverständnis, darum die Emanzipation an sich für problematisch zu halten; problematisch ist sie dadurch geworden, daß wir als Einzelne, nicht als das Volk emanzipiert worden sind. Daher geschah es, daß die nun gelösten Einzelnen in die Unverbundenheit getreten sind. Indem wir uns dazu
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hergaben, das Band zwischen uns zerreißen zu lassen, ist das Band der Zeiten gerissen. Wir stehen nicht mehr im Bund, wir wissen kaum noch um ihn. Es gilt die Erziehung f ü r i h n . Unter allen Verbindungen mit den Völkern, die das Judentum in dieser Problematik eingegangen ist, hat trotz allem keine eine so tiefe Fruchtbarkeit gehabt wie die deutsch-jüdische. Das Zusammenleben von Deutschtum und Judentum hat in unseren Tagen seine Krise erfahren. Von ihr aus ist in Deutschland die gegenwärtige Aufgabe jüdischer Volkserziehung zu fassen. Es gilt heute nicht Ablösung vom Deutschtum, zu dem wir ein inneres Verhältnis haben, das durch kein Verhalten der Deutschen zu uns abgeändert werden kann – diese Feststellung hat aber nichts zu tun mit den heute hie und da in der deutschen Judenheit laut werdenden Liebeserklärungen und Treueschwüren ins Leere –, sondern Verdichtung des Judentums, Neuknüpfung der Urverbundenheit in der Hoffnung auf den Bund. Es gilt aus der Not eine g r o ß e Tugend zu machen. Die jetzt geforderte Phase jüdischer Volkserziehung ist die e r n e u e r n d e , erneuernd im wahren und schweren Sinn des Wortes, nicht in dem blasphemischen, in dem das hohe Wort in diesen Tagen in einem Winkel des deutschen Judentums mißbraucht wird. Man kann nicht auf Erneuerung des Bundes ohne Erneuerung der Verbundenheit sinnen – wir sind Gottes nur, wenn wir ein Vo l k Gottes sind. Gewiß, wir sind gering, aber wir dürfen uns kein geringes Ziel stecken – nur ein großes Ziel kann uns wieder groß machen. Drei Elemente verbinden sich in der Volkserziehung, wie sie heute, in einer vielleicht wieder frühen Epoche jüdischer Geschichte erfordert ist. Das erste ist die Erziehung zur Erinnerungsgemeinschaft. Es liegt uns zu allererst ob, jene Kraft des lebendigen Gedächtnisses wieder einzusetzen in die jüdischen Menschen, und besonders in die Aufwachsenden unter ihnen. Wenn wir jetzt das Band der Zeiten, das da und da zerrissen ist, wieder neu zu knüpfen suchen, müssen wir zu allererst diese Kraft, die uns einst eine Selbstverständlichkeit des Lebens war, wieder einsetzen als etwas unmittelbar Wirkendes, von dem aus der Mensch lebt. Dies Leben aber ist gemeint als ein heutiges, gegenwärtiges, ohne romantische Illusion, ohne irgendeinem Element dieser schweren Stunde auszuweichen. Das von der Stunde verlangte Miteinander kann sich nur einstellen, wenn wir einander wahrhaft als Brüder gegenübertreten, wenn wir, wo wir miteinander zu schaffen haben, uns wahrhaft verbinden. Nicht aus dem guten Willen und nicht aus irgendeiner Ideologie entsteht Verbundenheit; dadurch allein, daß der Mensch dem Menschen hilft, ihn unterweist und sich von ihm unterweisen läßt, daß man Gemeinschaft stiftet von Mensch zu Mensch, wo immer sie sich stiften läßt, durch die Unmittelbarkeit des
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Miteinanderlebens allein ist neue jüdische Gemeinschaft zu begründen. Das ist es, wozu wir zum zweiten erziehen wollen. Das dritte ist die Werkgemeinschaft. Das bedeutet, daß wir, wo immer uns das unvorhersehbare Geschick dieser Zeit hinstellt, gemeinsam, jeder an seiner Stelle, aber jeder nach rechts und links die Hand reichend zu neuer Verbundenheit, an einer einigen jüdischen Zukunft arbeiten. Die Not hat uns mit Händen gepackt und allen, bei denen es nötig war, die Gesichter auf das Judentum zu gedreht. Nun kommt es darauf an, ob wir mit so gewendetem Gesicht den Weg zum Judentum in Wahrheit gehen. Die Not hatte in unsrer Geschichte immer eine erweckende Kraft. Das ist nicht das Schlimmste, daß zu Anfang eine Not und ein Zwang stehen. Es kommt darauf an, daß wir eine Freiheit und einen Segen daraus machen.
Buber 8 (02684) / p. 256 / 12.10.6
Jüdische Erwachsenenbildung Den Begriff einer »jüdischen Erwachsenenbildung« mochte man noch vor kurzem so verstehen, daß es da »Bildungselemente«, »Bildungsgut« den Erwachsenden und Erwachsenen zu übermitteln gelte, etwa den der Hochschul-»Bildung« nicht teilhaftig Gewordenen einen Abglanz davon zu spenden oder auch die in Gegenständen des Judentums nicht eben Bewanderten in eine Allgemeinkenntnis dieser Gemeinschaft einzuführen. Es ist offenkundig, daß wir etwas anderes meinten, als wir unserer Neugründung diesen Namen gaben. Hier geht es nicht mehr um eine Ausstattung mit Wissen, sondern um eine Rüstung zum Sein. Menschen, jüdische Menschen sind zu bilden, Menschen, die nicht bloß »aushalten«, sondern eine Substanz am Leben erhalten, die nicht bloß Haltung, sondern Halt haben und also auch andern Halt verleihen, Menschen, die so existieren, daß der Funke nicht erlischt. Weil unsere Sorge dem Funken gilt, arbeiten wir für »Bildung«. Was durch die Bildung der Personen erstrebt wird, ist die Bildung der standhaltenden, der überwindenden, der den Funken hütenden Gemeinschaft. Von dieser Zielsetzung aus bestimmt sich das Was und das Wie dieser Erwachsenden- und Erwachsenen-Bildung, ihr Stoff und ihre Methode. Sie darf nicht intellektual sein, denn es obliegt ihr, die Totalität des Menschen zu erfassen. Aber sie kann sich nicht auf Instinkte, auf »Vitalität« gründen, denn es ist der Geist, dem sie dient. Als dem lebendigen, lebenumfassenden Geist will sie ihm dienen, will einen ganzen leibhaften Menschen zu seinem Dienst erziehen. Diese Bildung darf auch nicht individualistisch sein, denn sie hat den Einzelnen in den unmittelbaren Zusammenhang mit seinen Genossen zu stellen und auch im kleinsten Kreis Gemeinschaft aufkeimen zu lassen. Aber sie kann nicht eine Kollektivität meinen, die ihren Bestand nur in dem Verschweißtsein ihrer Glieder, nicht in deren echter Beziehung zu einander hat. Um wirkliche Personen ist es ihr zu tun, denen eben als solchen zu erfahren gegeben ist, was es heißt, füreinander und dadurch für die Gemeinschaft da zu sein. Und schließlich darf diese Bildung nicht jene universalisierende sein, die die Sonderkräfte von Art und Überlieferung mißachtet und die geschichtlichen Prägungen zu verwischen sich unterfängt. Aber sie kann nicht in der ethnischen Vielfältigkeit ein Letztes und Selbstherrliches sehen, denn sie kennt die Einheit der naturhaft schaffenden und geschichtlich prägenden Macht und die Einheit des Werks, zu dem die eine Macht die Mannigfaltigkeit der Aufgabe befiehlt. Jüdische Erwachsenenbildung ist Eingestaltung der wesenhaften Elemente von Umwelt und Innenwelt in die Eigentümlichkeit der jüdischen Aufgabe an der Welt.
Buber 8 (02684) / p. 257 / 12.10.6
Die Lehre und die Tat. Frankfurter Lehrhausrede 1 Die Fortpflanzung der Werte Es gibt in allen Völkern zwei Arten und Linien der Fortpflanzung nebeneinander, – neben der biologischen, ungebrochen wie sie, die Linie der »Fortpflanzung der Werte« (Pannwitz). Wie von Eltern zu Kindern sich das organische Leben erhält und die Dauer der Gemeinschaft verbürgt, so stetig ist die Übergabe und Übernahme, die Neuzeugung und Neugeburt des Geistes. Von lehrendem zu lernendem Geschlecht, dieses immer wieder zu jenem erwachsend, von Lehrersmund zu Schülersohr, aber darin eben doch von ganzer Person zu ganzer Person wie in der leiblichen Fortpflanzung, erneuert sich das Leben volkhaften Geistes. Im J u d e n t u m kommt ein Eigentümliches hinzu. Die Völker wissen um die Fortpflanzung der Werte, die sich in ihnen vollzieht, nur zuweilen, nur mit einem Teil ihres Daseins; ja, die Erhaltung der Werte erscheint ihnen nur als ein ehrenhafter und erfreulicher Überfluß, nicht als etwas, was zum Wesensbestand der Nation unerläßlich gehört. Und in einer gewissen Weise haben sie recht damit. Denn in ihrer eindeutigen, wie selbstverständlichen leiblichen Existenz tragen sie eine Bürgschaft relativer Dauer, eine Bürgschaft, die vom Bereich des Geistes her kaum verstärkt zu werden braucht. Anders ist es im Judentum, und nicht etwa bloß im Judentum der Diaspora, dem geistig »umzäunten«, sondern im alten Israel schon, seit die Lehre sich ihm eingetan hat. Da hat die Fortpflanzung der Werte selber einen organischen Charakter angenommen, sie ist in das natürliche Leben des Volks eingedrungen. Gewiß, sie verbürgt nicht wie die biologische die Dauer der Gemeinschaft schlechthin, sondern nur ihre Dauer als Israel; aber können wir die Stimme übertönen, die uns sagt, daß wir, käme unser Israelsein zu einem Ende, auch nicht als eins der Völker fortzuleben vermöchten? Wir unter allen haben einst in einem das Leben und die Lehre empfangen, sind in der gleichen Stunde Volk und Gemeinde geworden, seither sind Übergabe des Lebens und Übergabe der Lehre aneinander gebunden. Die geistige Fortpflanzung hat für uns den ganzen vitalen Ernst der leiblichen. »Wer seinen Gefährten die Überlieferung
1.
[Anm. Druckvorlage:] Die dritte der Lehrhausreden, gesprochen zur Eröffnung des Frühjahrs-Lehrgangs 1934.
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Die Lehre und die Tat 2
lehrt«, heißt es in der Toßefta , »dem wird es angerechnet, als hätte er ihn gebildet und gewirkt und zur Welt gebracht. Wie gesagt ist (Jer. 15,19): ›Bringst du das Echte hervor, des Gemeinen entledigt, wie mein Mund sollst du werden‹«. In dem angeführten biblischen Wort ruft Gott den Propheten, der ihn eben um Rache an seinen Feinden angegangen hatte, zur Umkehr, zur inneren Überwindung des Hasses und Widerwillens, auf; vollziehe er sie, dann werde er eine göttliche Tätigkeit rein erfüllen dürfen. Und auch das »Bilden« und »Wirken« des Kindes im Mutterleib (Jer. 1,5; Ps. 139,15) ist göttliche Tätigkeit. Ihr, verknüpft mit der menschlichen, mütterlichen des Gebärens, wird die Wirkung des Lehrers auf den Schüler, des rechten Lehrers auf den rechten Schüler nicht etwa bloß verglichen, sondern real gleichgestellt. Wie die innere Wandlung des Künders eine wahre Wiedergeburt bedeutet, so läßt der Erzieher, der aus dem Wesen des Zöglings schlackenfrei das edle Erz hervorbringt, ihn zum zweiten Mal ins Dasein, in das höhere, treten. Der Geist zeugt und gebiert, der Geist wird gezeugt und geboren, der Geist leibt. Das geistige Leben ist im Judentum – trotz aller Entartungen auch jetzt noch – nicht ein Überbau, eine unverbindliche Verklärung, ein Gegenstand verpflichtungslosen Stolzes, sondern es ist die bindende und in Pflicht nehmende Macht, die aber erst durch das von ihr Gebundene, auf sie Verpflichtete ihre irdische, leibliche Wirklichkeit gewinnt. Auch die Dauer der Gemeinschaft in der Zeit kann nur durch b e i d e s z u s a m m e n verbürgt werden, so tief ist hier der Geist dem natürlichen Leben verschworen, das ihn zu verwirklichen bestimmt ist. Nehmen wir aber jenes Bild des Hervorbringens ernst, dann wissen wir, daß in der Fortpflanzung der Werte wie in der biologischen nicht Übergabe eines Gleichbleibenden, sondern Übermittlung eines eben darin Neuwerdenden geschieht. Überlieferung läßt nicht Inhalte und Formen fertig und fest von Geschlecht zu Geschlecht wandern; in dem Empfangenden lassen sich die Werte nieder, indem sie sich leiblich eingestalten: indem sie die neue Gestalt heranholen und antun, die der Berufung dieses neuen Geschlechts entspricht. Wie das Kind nicht die Summe der Eltern, sondern ein nie Gewesenes und Unvorhersehbares ist, so kann ein Geschlecht die Lehre nur so wirklich empfangen, daß es sie e r n e u t . Man nimmt nicht, wenn man nicht auch gibt. In der lebendigen Tradition läßt sich zwischen Bewahrung und Hervorbringung keine Grenze ziehn. Das Werk der Eingestaltung wird nicht aus der Absicht getan, und der ist treu und redlich, der ein nie gehörtes Wort als ein ihm zugekommenes aus2.
Tosefta, aram., von tosefet »Zusatz«, Sammlung tannaitischer Traditionen außerhalb der Mischna.
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Die Lehre und die Tat
spricht, denn so, nicht als ein »schöpferisches«, lebt es in ihm. Jeder meint nur weiterzutreiben, was ihn getrieben hat, und kann doch Urheber neuer Bewegung sein. Daß dem im Judentum so ist, das stammt aus der Intensität, mit der sich hier immer wieder die Begegnung der Generationen ereignet hat, so daß sie jeweils von Grund zu Grund aufeinanderwirkten und miteinander das Gewandelte als ein Gleichgebliebnes hervorbrachten. In dieser jeweiligen Begegnung eines zu seinem Wuchs gediehenen und eines wachsenden Geschlechts geht es letztlich nicht um ein ablösbares Etwas, das übergeben wird. Das Entscheidende ist, daß immer wieder eine Generation lehrend, weckend, bildend auf die andere mit der Mächtigkeit des existenziellen Einsatzes zutritt und nun der heilige Funke überspringt, das Unsagbare, dem alles Sagbare nur zum Werkzeug dient. Dies in seiner Gesamtheit, über der gesamten Zeit unsrer Geschichte schwingend als über einem Weg, ist es, was ich unsre S e i n s - Tr a d i t i o n nenne. Inhaltliche und formhafte Tradition sind ihr eingeordnet und erhalten von ihr ihre Geltungskraft. Das Tradierte ist das ganze lebendige jüdische Menschentum, das Tradierende ist der ganze lebendige jüdische Mensch. In ihm, in seinem Dasein, konzentriert sich die Überlieferung, sie wird von ihm gelebt, und er ist es, was auf das neue Geschlecht zutritt und auf es, das Altneue hervorbringend, einwirkt. In diesen Menschen ist Israel, sie sind es; durch sie, nicht durch das, was sie reden, sondern durch die Ganzheit ihrer Existenz erneuert sich Israel.
Tat und Lehre Damit ist schon gesagt, daß die Lehre bei uns untrennbar an die Ta t gebunden ist. Hier, wenn irgendwo, geht es nicht an zu lehren und zu lernen ohne zu leben. Die Lehre darf nicht als eine Sammlung von Wißbarkeiten behandelt werden, sie will nicht so behandelt werden. Sie besteht in dem verantwortenden L e b e n der Person oder sie besteht nicht. Die Lehre meint nicht sich selbst, will nicht sich selbst, sie meint und will die Tat, worunter natürlich kein »Aktivismus« zu verstehen ist, sondern das Leben in der Erfüllung, das Leben, das nach dem wechselnden Vermögen seiner Stunden die Lehre eingestaltet. Unter allen Völkern gibt es wohl keins, in dem wie in diesem die Weisheit ohne das unmittelbare Tatwissen keinen Sinn und keinen Bestand hat. Am deutlichsten wird das, wenn man den biblischen Chochma-Begriff 3 dem griechischen 3.
Chochma, hebr. »Weisheit«.
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Die Lehre und die Tat 4
der Sophia gegenüberstellt. Diese ist auf ein für sich seiendes Erkennen, auf einen geschlossenen Bereich des Denkens bezogen; der Chochma ist er fremd, ja, diese Abgrenzung einer selbständigen, eigengesetzlichen geistigen Sphäre bedeutet für sie die Verkennung des Sinns, die Verletzung des Zusammenhangs, die Abschnürung der Idee von der Wirklichkeit. Ihr ist höchstes Gebot die Einheit von Lehre und Leben, mit der allein erst wahrhaft wir die allumfassende Einheit Gottes anerkennen und bekennen. Gegen ihn als den Geber und Sinngeber des Daseins vergeht sich nach unserm Glauben die Lehre, die an sich selbst Gefallen, an sich selbst Genüge findet; die Bauten, noch so monumentale, über dem Leben erhebt, ohne in der Fragwürdigkeit der gelebten Stunde den äußern und innern Widerständen ein Stück Verwirklichung, wie gering auch, abzuringen. Dies nämlich, nicht eine dem Menschen unerreichbare Vollständigkeit und Vollkommenheit, aber die Bereitschaft, das Soviel-ich-vermag dieses Augenblicks ist nach unserm Glauben von jenem »Mit all deinem Herzen« erheischt, dies allein fordert der Wille des gebietenden Herrn. Darum wird an die Weisung (V.M. 5,1), 5 die Gesetze und Rechtsgeheiße zu »lernen«, die Aufgabe gefügt, sie zu »tun«: sie geistig zu besitzen gewinnt seinen Wert erst, wenn und insofern es als herrschender Tatantrieb in der Wirklichkeit steht. Ein talmudisches Wort (Jewamot 109) bemerkt dazu: »Wer immer sagt, bei ihm gelte nichts als die Lehre, … bei dem gilt auch die Lehre nicht.« 6 Den Geist kann man rechtmäßig nicht h a b e n , man kann ihn rechtmäßig nur l e b e n . Die große Gefahr des Menschen, als des Geschöpfs, das den Geist zu verselbständigen befähigt ist, ist die Duldung, ja Sanktionierung einer zweigeschossigen Existenz: oben, andächtig verehrt, die Stätte des Geistes, unten die Räume des Getriebes, mit dem leidlich guten Gewissen ausgestattet, das man den Stunden der Erholung in den obern Gemächern verdankt. Die Lehre verläßt sich nicht darauf, daß der sie kenne sie auch üben werde. Der sokratische Mensch meint, alle Tugend sei Einsicht, und das Wissen um das Rechte genüge um es zu tun. Nicht so der mosaische Mensch. Er hat die tiefe Erfahrung inne, daß keine Erkenntnis zureicht; daß die Unwillkürlichkeit des Menschen in ihren Tiefen von der Lehre ergriffen werde, daß seine elementare Ganzheit sich, wie der Ton dem Töpfer, dem Geist ergeben muß, damit Verwirklichung geschehe. Die Abwehr des Dualismus findet hier ihre äußerste Gewalt. »Wer an4. 5. 6.
Sophia, griech. »Weisheit«. Dtn 5,1. Jebamoth 109 (Goldschmidt, Bd. 4, S. 709).
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ders lernt als um zu tun«, sagt der Midrasch, »für den wäre es angemessener, er würde nicht erschaffen worden sein.« Es ist schlimm, die Lehre ohne die Tat zu haben, am schlimmsten, wenn es die Lehre der Tat ist. Das Leben im abgelösten Geist ist vom Übel, am meisten aber, wenn es der Geist der Ethik ist. Wiederholt wird schon in den »Vätersprüchen« wie später immer wieder bis in die abschließende chassidische Formulierung, der einfältig Handelnde dem erfüllungsarmen Gelehrten vorgezogen. »Wessen Taten mehrere sind als seine Weisheit, dessen Weisheit besteht; aber wessen Weisheit mehr ist als seine Taten, dessen Weisheit besteht nicht.« 7 Und weiter im Gleichnis: »Wessen Weisheit mehr ist als seine Taten, wem gleicht der? Dem Baum, der viel Zweige und wenige Wurzeln hat. Der Wind kommt und reißt ihn aus und kehrt ihn auf sein Angesicht hin. Wessen Taten aber mehr sind als seine Weisheit, wem gleicht der? Dem Baum, der wenige Zweige und viele Wurzeln hat. Mögen auch alle Winde der Welt kommen und rein blasen, sie rühren ihn nicht von seinem Ort.« Nicht der Umfang des geistigen Besitzes also gilt, nicht die Gründlichkeit der Kenntnis und nicht die Schärfe des Gedankens, sondern, daß man, was man weiß, so wisse und was man meint, so meine, daß es sich unmittelbar ins gelebte Leben umsetzt und in die Welt wirkt. Aber, ich wiederhole es, die unbedingte Werthaftigkeit der Tat im Judentum bedeutet keinen »Aktivismus«. Nichts ist ihm ferner als die Verherrlichung selbstsicherer Sittlichkeit. Doch er weiß auch, daß die e c h t e Autonomie eins ist mit der wahren Theonomie: Gott will, daß der Mensch das göttliche Gesetz aus dem Eigenmenschlichen und mit dem Eigenmenschlichen erfülle. Das Gesetz wird nicht auf ihn geworfen, es ruht in seinem innersten Grund und soll, auf den Ruf, erwachen. Dem Wort, das von Sinai niederbraust, widerhallt das Wort, das »in deinem Mund und in deinem Herzen« ist. Freilich entzieht sich der Mensch immer wieder diesem Zweiklang des Einen, er verleugnet seinen Herzensgrund und versagt sich dem Ruf. Aber es ist die Vollendung verheißen, da (Jer. 31) die Weisung als offenbare Schrift auf allen lebenden Menschenherzen erscheint und im Zusammentönen von Himmel und Erde das Wort sich selber erfüllt. Der Weg dahin, der Weg des menschlichen Beitrags zur Erfüllung, wird im Judentum dann und immer wieder dann begangen, wenn die Generationen einander begegnen und die zu ihrem Wuchs gedeihende der wachsenden die Lehre so überliefert, daß sie sie in ihr neu aus innerster Spontaneität erweckt.
7.
Mischna, Awot III, xxii, (Goldschmidt, Bd. 9, S. 674).
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Die Lehre und die Tat
Die Problematik der Stunde Wir leben in einer Zeit, in der die Tat sich über die Lehre erhoben hat. Das heutige Geschlecht der Völker vermeint immer rückhaltloser, ohne die Lehre, mit einem Tun, das es eben für das rechte hält, auskommen zu können. Ich habe schon vor nahezu sieben Jahren, in meiner Gedenkrede auf unseren Lehrer Achad-Haam, darauf hingewiesen (»Kampf um Israel«, S. 153 f.), »daß nicht bloß, was ja auch früher zuweilen geschah, die offizielle Politik der Staaten, sondern auch die inneren Bewegungen und Gruppierungen des Völkerlebens sich vielfach vom Geiste lossagen, ja in ihrer Unabhängigkeit von ihm die Bürgschaft des Erfolgs erblicken. Und sie haben«, fügte ich hinzu, »nicht ganz unrecht. Führung ohne Lehre hat Erfolg: man erreicht etwas. Nur daß dieses Etwas, das man so erreicht, etwas ganz anderes und zuweilen geradezu eine Karikatur dessen ist, was man eigentlich im Grunde seiner Seele, da wo die Wahrheit geahnt wird, erreichen wollte. Und was dann? Solange das Ziel reines Ziel war, herrschten Sehnsucht und Hoffnung; aber wenn im Erreichen das Ziel sich verkehrt hat – was dann?« 8 Die Warnung, die ich damit an das Judentum richtete, ist, wie kaum anders zu erwarten war, fast ungehört verhallt. Wiewohl wir weniger als irgendeine Gemeinschaft ohne Lehre auszukommen vermögen, hat sich bei uns seither eine weitgehende Gesamtassimilation an die Verirrung der Völker vollzogen. Ich bin nicht berufen davon zu reden, was den a n d e r n aus ihrer Absage an den Geist erwachsen mag. Aber das weiß ich, daß u n s , die wir die Lehre ohne Tat verneinen, die Tat ohne Lehre vernichten müßte. Jüdisches Lehrhaus, jüdische Lehrhaus-Bewegung – das bedeutet den Kampf gegen alle, die wähnen, jenseits der Lehre Juden sein und jüdisch leben zu können; die wähnen, man könne, indem man die Fortpflanzung der Werte abschneidet, irgend etwas dem Judentum Heilsames unternehmen. Man kann ein jüdisches Gemeinschaftsleben in Palästina nicht unter Abbruch der Kontinuität des Judentums – worunter, noch einmal sei es gesagt, nicht Erhaltung des Gleichen, sondern ewige Neuzeugung und Neugeburt des einen Geistes, seine stetige Eingestaltung zu verstehen ist – aufbauen. Man täusche sich nicht: begnügen wir uns einmal mit der Dauer der biologischen Substanz und mit einer aus ihr sprießenden »Kultur«, dann werden wir auch diese nicht zu behaupten vermögen, denn was uns auf Erden an Leib und Seele erhalten kann, sind nicht Land und Sprache 8.
Rede bei der Achad-Haam-Gedenkfeier in Basel auf dem 15. Zionistenkongreß 1927, Erstdruck auf Deutsch MBB 345, wieder abgedruckt in JuJ, S. 762-770, hier S. 764.
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für sich, sondern sie in ihrer Verbundenheit mit heiligem Ursprung und heiliger Bestimmung. Und hinwieder kann die Diaspora in dieser Krisis der Menschheit, darein wir am exponiertesten Punkt einbezogen sind, ihren lebendigen Zusammenhang, der so lange den Zerreißungsakten der Geschichte Trotz geboten hat, nicht bewahren, ohne daß die Lehre erneuert eine Mächtigkeit gewinnt, die alle zerscheidenden Kräfte überwindet. Denn alles nur Soziale, alles nur Nationale, alles nur Religionhafte, also des Feueratems der Lehre Ermangelnde ist mit in die abgründige Problematik der Stunde eingebannt und langt daher nicht zu, um dem Zerfall zu steuern; die Lehre allein, in verjüngter Echtheit erstehend, vermag uns von den Bedingtheiten zu befreien und uns an das Unbedingte zu binden, so daß wir, begeistet und begeistert, miteinander alle uns wieder im Ringe des ewigen Bundes stehend erfahren und, von dem Walten in der Geschichtst i e f e ermächtigt, den Mächten der Geschichtsf l ä c h e standhalten. Der Midrasch (Ber. r. LXV) erzählt im Anschluß an die Worte des Erzvaters Isaak: »Die Stimme ist die Stimme Jakobs, aber die Hände sind die Hände Esaus«, es seien einst Abgesandte der Völker zu einem griechischen Weisen gekommen und hätten ihn gefragt, wie sie die Juden unterkriegen möchten. Er habe ihnen Bescheid gegeben: »Geht und zieht an ihren Versammlungshäusern und an ihren Lehrhäusern vorbei … Solange die Stimme Jakobs aus den Versammlungshäusern dringt, sinds nicht die Hände Esaus, in deren Macht sie gegeben sind. Ist dem aber nicht so, dann sinds die Hände Esaus, dann überkommt ihr sie.« 9 Die Lehre nicht ohne die Tat, aber die Tat auch nicht ohne die Lehre! Unsere Überlieferung hat auch diese Gefahr in ebenso großer Weise wie jene andere erkannt. Es wird erzählt (Kidduschin 40), 10 in einer Versammlung der Weisen sei einst die Frage erörtert worden, was größer sei, die Tat oder die Lehre. Und einer von ihnen, der unsre Grundanschauung auszusprechen schien, sagte, die Tat sei das Größere. Aber Rabbi Akiba sprach: Die Lehre ist größer. »Und alle stimmten ein: Die Lehre ist größer, denn die Lehre führt zur Tat.« Das hört sich an, als sei da ein Widerspruch zu jenen Sätzen von der entscheidenden Bedeutung des Tuns. Aber eben, wenn man diese ganz zu eigen gewinnt, erfährt man, daß es auf die Lehre ankommt, daß die Lehre das Eingangstor des Lebens ist. Gewiß, der Einfältige kann, wenn er in der Verbundenheit mit dem Göttlichen steht, ohne zu lernen das wahre Leben leben; aber eben deshalb, 9.
Midrasch, Ber.r.LXV,20, siehe Midrash Rabbah, Genesis, Bd. 2, hrsg. von H. Freedman und M. Simon, London 1983, S. 96. 10. Talmud, Kidduschin 105b (Goldschmidt, Bd. 6, S. 643).
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Die Lehre und die Tat
weil die Lehre, die ja gar nichts anderes als eben diese Verbundenheit meint, in ihm zum ungewußten Seinsgrunde geworden ist. Um die rechte Tat auch recht zu tun, müssen wir sie von der Verbundenheit mit dem aus tun, der sie uns gebietet. Aus der Verbundenheit müssen wir anheben; und die Lehre ist es, die in uns unsre Verbundenheit rege und wirkend macht. Und wieder erweisen sich Kontinuität und Spontaneität, Übergabe und Hervorbringung verknüpft. Die Lehre selber ist Weg. Sie ist in keinem Buch, in keiner Satzung, in keiner Formung umfaßt. Nichts, was gewesen ist, reicht zu, sie darzustellen; damit sie lebendig sei und Leben wirke, muß immer wieder die Begegnung der Generationen geschehen, in der die Lehre die Gestalt menschlicher Verbundenheit annimmt und gerade dadurch unsere gemeinsame Verbundenheit mit unserem Vater in uns rege und wirkend macht. Im Funken, der vom Lehrenden zum Lernenden überspringt, erneut sich funkenhaft das Feuer, das den Berg der Offenbarung »bis an das Herz des Himmels« hob.
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Das pädagogische Problem des Zionismus Wenn ich über das pädagogische Problem das Zionismus zu reden habe, und es ist heute das erste Mal, daß ich über dieses Thema, über etwas Allgemeines reden soll, kann ich das nicht so, daß ich lediglich das Problem aufzeichne, daß ich darlege um was es geht. Ich selbst, in meinem Leben, in meinem Zusammenleben mit meinen Freunden, in meinem Zusammenleben mit einer bauenden, versuchenden, durch Gelingen und Mißlingen irgendwohingehenden Generation, ich bin mit dem Problem ich möchte sagen biographisch so stark verwachsen, daß ich mich nicht distanzieren kann, daß ich nicht das Problem wie einen Gegenstand für sich in die Hand nehmen kann. Ich würde auch dem Problem selbst unrecht tun, wenn ich es täte. Es ist ein Problem, daß man nicht absolut lösen kann. Es ist ein Problem, daß man nur verständlich machen kann in der Geschichte dieser Jahrzehnte, in denen es immer wieder an die zionistische Bewegung und in der zionistischen Bewegung hervorgetreten ist, d. h. es ist zur Ergänzung dieser Darlegung notwendig, das was ich Rechenschaft nenne, man könnte sagen eine sachlich begrenzte autobiographische Mitteilung hinsichtlich dieses Problems. Es ist in einer Reihe von Zitaten aus verschiedenen Zeiten, die eine bestimmte sinnreiche Folge bilden, und zu denen je und je etwas Erklärendes zu sagen ist, was in das Innere des Problems und seiner Entwicklung führt. Was aber mit dem Problem gemeint ist, welcher Ernst und welche Tiefe damit gemeint ist, das können wir uns doch wohl nur klarmachen, wenn wir uns nach dem pädagogischen Problem des Zionismus fragen, wenn wir zuvor uns vergegenwärtigen, was das pädagogische Prinzip in unserer Zeit bedeutet, in welcher Weise es sich abhebt gegen andere Prinzipien, was sein Bereich, was seine eigene Sphäre, und seine eigene Methode ist. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich das pädagogische Prinzip abgrenzen gegen zwei andere Prinzipien, gegen das soziologische und gegen das politische. Ich meine mit dem pädagogischen Prinzip, nicht einen Bereich der Pädagogik, und mit dem politischen Prinzip nicht einen Bereich der Politik, sondern in jedem dieser Bereiche gibt es einen Raum, in dem die Prinzipien gegeneinander ringen. Und es scheint mir, daß es heute entscheidend davon abhängt, welches dieser Prinzipien die Hegemonie gewinnen wird, wenn auch nicht im öffentlichen Leben, sondern in der Verborgenheit, wo die eigentlichen Wandlungen sich vollziehen, um erst später an die Oberfläche, an die Öffentlichkeit zu treten. Das pädagogische Prinzip beruht auf dem Glauben an eine Änderung der Person und der Gemeinschaft, auf die der Mensch, der erziehende
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Mensch einwirken, die der erziehende Mensch fördern kann, den Glauben, daß also der Mensch, die menschliche Person, die menschliche Gemeinschaft, sich ändert, und daß dieser Änderung Ziele gesetzt, Vorbilder gesteckt werden können, die dann nicht willkürlich sind, wenn sie aus dem Wesen dieser menschlichen Person, aus dem Wesen dieser Gemeinschaft geholt sind, wenn also dieser Person nicht geboten wird, anders wohin zu gehen als wohin die innre Stimme, ihr Dasein sie ruft, wenn nicht ihr etwas auferlegt wird, was nicht ihrer Bestimmung, ihrer Berufung, ihrer ureigensten Existenz zugehört, sodaß ihr nichts anderes zugemutet wird, als das was sie ist, im Grunde, im Urwesen ist, daß in diesem Sinn also nicht mit dem Verstand oder sonst irgendwelchen geistigen Funktionen des erzieherischen Menschen Absichten hineingetragen werden, sondern daß der Blick des Erziehers aus den Tiefen dieses menschlichen Wesens seine Berufung herausschaut und daraus das Ziel der Erziehung bildet. Ich sage, dieser Glaube an die direkte und rechtmäßige menschliche Einwirkung hat nun auf dem Wege seiner [???] 1 -wirkung mit sehr vielen schweren, hindernden, hemmenden Dingen zu tun. Es ist auch nicht so, daß wir es hier mit einer Idee zu tun hätten, die in dem Bereiche des Geistes sich rein auswirken kann, denkerisch oder künstlerisch etwa, sondern wir haben es hier damit zu tun, daß je und je diese Person, die erzogen werden soll, ja nicht bloß dieses Urwesen sich, das der Erzieher in ihm schaut, und aus ihm holen, aus ihm entfalten will, sondern auf alle andern Beimischungen, die dann unwillkürlich auf das Urwesen selbst wirken, in einer verzerrten entarteten Weise. Diese Substanz, so wie sie ist, diese gemischte Substanz, an der der Erzieher wirklich je und je die Arbeit hat, dieses ungeheure Widerstreben des Nichtwollens der zu erziehenden Menschen, sondern ihr Sosein, der Gemischtheit und Widerspenstigkeit ihrer Ethik, das ist es was je und je die Probleme und darüber hinaus die Tragik der erzieherischen Arbeit schafft. Aber etwas anderes muß noch hinzugefügt werden. Es genügt nicht der Glaube an die direkte menschliche Einwirkung, sondern dieser Glaube muß auch ernsthaft, muß auch ernstmachen damit, daß diese Einwirkung nichts anders ist, als eine Erschließung des Menschen, des menschlichen Wesens, des Wesens dieser Gemeinschaft, also der Glaube an die direkte erzieherische Einwirkung schließt sich zusammen mit jenem Glauben, auf den ich schon hingedeutet habe, daß diese Einwirkung eine Aufschließung des Menschen ist, eine Erschließung des Menschen bedeutet, und daß so die erzieherische Arbeit zu leisten ist, nicht etwa 1.
In der Druckvorlage nicht lesbare Stellen werden im Folgenden mit [???] gekennzeichnet.
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herantragend, sondern schauend und herausholen, freilich durchaus von einem starken Wissen um das, was herausgeholt werden soll. Hier in diesem starken Wissen am das Herausholen, um die Scheidung liegt die eigentliche innere Einwirkung des Erziehers. Damit er aber das tun kann, muß er etwas tun, was die Praxis des pädagogischen Prinzips bedeutet. Er muß auf diesen andern Menschen auf seine eigene Weise eingehen. Er muß sich um diesen Menschen, an dem er zu wirken hat, selber kümmern, und da müssen wir deutlich sehen, wie dieses Prinzip sich scheidet von dem soziologischen und von dem politischen. Das soziologische Prinzip weiß auch von einer Änderung der menschlichen Gemeinschaft, und es geht auch auf eine Änderung aus. Kein echter sozial Wissender und sozialwollender Mensch meint etwas anderes als eine Änderung der menschlichen Gemeinschaft. Aber was er nicht weiß, oder nicht will oder nicht glauben kann, ist die Möglichkeit der direkten Einwirkung der soziologischen Prinzipien. Die Verhältnisse müssen sich ändern, und die Verhältnisse, die veränderten Verhältnisse werden so auf den Menschen, die menschliche Gemeinschaft einwirken, daß von da aus sich die Änderung vollzieht. Es ist klar, daß von hier, von da aus es weder den Versuch einer direkten Einwirkung, noch das Eingehen auf den andern Menschen geben kann. […] 2 Es ist klar, daß die Methode daran gesundet und gegeneinanderstehen soll. Wenn man die Verhältnisse und deren Wirkung meint, soweit man sie meint, oder man sie meint, kann man nicht auf diesen andern Menschen eingehen, als auf ein großes Wissen um das Innere, das, was ich als das Eigentliche geschaut habe, herauszuholen versuche. Eine andere Abgrenzung ist die gegen das Politische; wenn der Mensch für das soziologische Prinzip ein Erzeugnis ist, ist er für das politische Prinzip ein Mittel. Wenn das soziologische Prinzip mit dem pädagogischen Prinzip sich darin trifft, daß es eine Änderung sein wird, ein Sichwandeln meint und darauf abzielt, wenn auch auf verschiedene Wege direkte oder indirekte Einwirkung, so meint das Politische eben das nicht. Dem politischen Prinzip geht es nicht um ein Ändern der Menschen, weder direkt noch indirekt, gleichviel wie das einzelne politische Ziel sich formuliert, etwa irgendeine Verschiebung der jeweiligen Machtschichtung zwischen Völkern oder zwischen Gruppen oder zwischen einzelnen Personen. Immer ist die Methode die, daß der Mensch so wie er ist, wie er vorgefunden wird, verwandt wird. Es braucht nicht in einer niedrigen Weise zu geschehen, es kann in einer sehr noblen Weise geschehen, aber 2.
Im Typoskript durch »…« gekennzeichnete Stellen sind Auslassungen. Es ist anzunehmen, daß das Typoskript nach Stenogramm erstellt ist. Im Folgenden werden diese Stellen mit […] wiedergegeben.
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das politische Prinzip kann gar nicht anders, anstelle dieses Menschen, mit dem es jetzt zu tun hat, dessen besondere Leistungsfähigkeit für das politische Ziel […] zu setzen. Den Menschen, zu dem er sich wandeln soll, das kann er seiner Eigenart und Aufgabe nach nicht, und noch weniger als vom soziologischen Prinzip kann vom politischen Prinzip aus der handelnde Mensch, auf den er jetzt wirkt, eingehen, noch weniger kann er ihn als Person meinen, und in die ernstliche Tiefe redlicher Gegenseitigkeit zu ihm treten. Weshalb ich das ausgeführt habe, weshalb ich diese Abgrenzung so scharf vollzogen habe, das ist weil der Erziehung von beiden Prinzipien, von beiden entgegenstehenden Prinzipien Gefahren drohen. Die Erziehung kann sozialisiert werden, d. h. es wird das Erziehungsziel nicht von dem Eingehen auf die Person, von dem Schauen auf die Person auf das Eigentümliche hin gefaßt, sondern von der Kollektivierung, im Sinne bestimmter Verhältnisse, Strukturen, unter Änderung dieser Strukturen. Es wird also über alle Differenzen, über die eigentliche Aufgabe des Erziehers hinweg immer nur im Verhältnis zur Person […] mit welchen Gruppen es man auch immer zu tun hat, wird über das hinweg eine Zielsetzung auf Methodik, bestimmend die Kollektivierung als solche das Nichtpersönliche, das Nichtpersonhafte, und notwendiger Weise geht damit immer zusammen eine Vernachlässigung der Eigentümlichkeit der Gemeinschaft selbst. Und eine noch bedenklichere Gefahr für die Erziehung ist das, was ich die Politisierung nennen möchte, daß die Erziehung, sowie die verändernde Einwirkung des Menschen auf den Menschen nur verwandt wird als politisches Mittel zur Zielsetzung, die nicht von dem pädagogischen Prinzip kommt, sondern ihm zudiktiert sind. Was ist nun gemeint, wenn wir den Begriff der Erziehung nun vermengen oder erweitern zum Begriff der Volkserziehung. Was heißt Volkserziehung? Wenn der Zionismus, und das ist es, was ich meine, wenn der Zionismus auf Erziehung ausgeht, so ist dies unzweifelhaft als Volkserziehung, als Erziehung eines Volkes gemeint. Wie verhält sich diese Volkserziehung zu den Gefahren, von denen ich soeben gesprochen habe. Wenn das pädagogische Prinzip dies bedeutet, daß man aus dem Wesen eines Menschen oder einer Gemeinschaft das schaut, was diesem Wesen ureigentümlich ist, was in ihm angelegt ist und bewertet wird, dann bedeutet Volkserziehung eben dies, daß man dem Volk abschaut, wozu es berufen ist, daß man also in die geschichtliche Tiefe des Volkes in die Urtiefe des Volkes schaut und ihr abfragt, wohin der diesem Volk durch sein Wesen gewiesene Weg führt, und alle Abwege und ihre Wege der Geschichte dieses Volkes von da aus als solche erkennt, als solche, die auch jetzt wieder da sind, in ihren gegenwärtigen Formen und die nun als das zusammengefaßt in der Schau
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des erzieherisch wollenden Menschen in eines gefaßt und auf dieser Basis der Umweg und ihr Weg gleich seinem eine geschichtliche […] in dem man all dies weiß und mitnimmt, in das was man tut, einander tun will und mit all dieser Erfahrung und Enttäuschung der Jahrtausende nichts vergißt, nichts vergessen kann, dann nun wieder an dem Punkte zu stehen weiß, wo dieses Volk aufgerufen werden soll und werden muß, sich auf das besinnt, was ihm aufgegeben ist, auf das, was es seinem Urwesen nach ist und noch nicht geworden ist. Auf die Bestimmung, vor der es immer und immer wieder geflohen ist, und der es sich doch nicht länger entziehen darf. Dies ist das pädagogische Problem des Zionismus. Dies darf nicht länger hinausgezogen werden. Es ist daran sich zu entscheiden und zwar so, daß diese Urwirklichkeit des jüdischen Volkes nun ganz hereingenommen wird, ist die Aufgabe des Tages, nämlich in die ändernde, umwandelnde Erziehungsaufgabe des Tages, des Daseins. Ich sage: Erziehung gilt immer der Person. Es kann gar nicht anders sein, Erziehung geschieht immer von Person zu Person, und wenn auch ein […] Er erzieht nur, soweit er es je und je mit der Person als Person zu tun bekommt […] Aber diese Erziehung von Person zu Person ist dann Verwirklichung wenn sie von jenem Urwesen bestimmt ist, wenn sie sich dann von dieser Schau, von diesem Lauschen auf den Ursprung, auf das eigentliche Sehen je und je sagen läßt, was in dem Augenblick der Erziehungswirkung zu tun und was zu lassen ist, was das Eigentliche ist, was aus diesem sehr schwierig werdenden Sinn herausgeholt werden soll und was nicht, wie dieses herausgeholt werden soll, von seiner Verzerrung befreit, aus seiner Entartung erlöst werden soll, keine vom Erzieher selbst gesetzte Absicht […] willkürliche oder falsche Anwendung fremder Grundsätze. Nur diese rechtschaffene Schau in die Tiefe der jüdischen Substanz kann hier helfen, wegweisend, helfend wirken. Ich sage das pädagogische Prinzip ist diese Volkserziehung. Aber wir müssen einen Augenblick innehalten und uns klarmachen, ja wird denn dies auch allgemein von unsern Menschen, die über Zionismus denken und reden und zionistisch wirken, anerkannt. Ist es sozusagen, gehört es zu den allgemeinen von den Zionisten anerkannten Grundbeständen des Zionismus, daß er in seinem Innern eine pädagogische Aufgabe, die Aufgabe der Änderung, der Wandlung, der Gesundung eines Volkes, ich glaube man kann Rosenzweig zitieren, der in einem Brief, den ich dieser Tage gelesen habe, von Klein- und Großjuden 3 spricht. Ich möchte von Klein-Zionisten und Groß-Zionisten sprechen. Der 3.
F. Rosenzweig an J. Prager nach dem Tod von Alfred Nobel, in: F. Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften 1, Briefe und Tagebücher, 2. Bd. 19181929, S. 747.
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Zionismus, der nichts weiter will, als das Schicksal des jüdischen Volkes oder gewisser Teile des jüdischen Volkes dadurch bessern, daß er etwa dieses Schicksal sichert, daß er das Volk in sein Land zurückverpflanzt, daß er dort in diesem Lande ihm einen gewissen kleinen oder großen Grad der sozialen und politischen Selbstbestimmung erringt. Diesen Zionismus nenne ich Klein-Zionismus. In demselben Sinne heißt es einmal bei Jesaja, daß Gott sagt, es sei zu wenig, sein Knecht zu sein, in dem Sinne, daß man die Stämme Jakobs zurückbringe. Der Wille zum Dasein ist zu wenig bei der Person und bei der Gemeinschaft. Der Wille zur Befestigung des Daseins, um des Daseins willen, der Wille zur Selbstbehauptung ist zu wenig. Ihn haben wir Menschen mit aller Kreatur gemeinsam. Aber daraus, aus diesem Willen zum Dasein ist der Mensch in seiner Problematik in seinem Ideal gewachsen. Es gehört ein anderes dazu zu diesem Willen zum Dasein, der Wille zum Werk. Der Mensch, der sich Zionist nennt, der Zionist ist, kann ihm das Recht nicht absprechen. Der Zionist, der lediglich von der Tatsache das jüdischen Willens zum Dasein ausgeht, der diesen jüdischen Willen zum Dasein als seinen Willen zum Dasein betrachtet, von da aus zur zionistischen Forderung gelangt, der ist im Recht. Aber er hat nicht das Recht. Er hat Teil an der Wahrheit aber die teilhafte Wahrheit ist oft schlimmer als keine. Die teilhafte Wahrheit, die sich für die ganze hält, die keinen Mangel empfindet, der Wille zum Dasein, der glaubt es sei an ihm genug, der nicht weiß, daß nirgends in der menschlichen Geschichte etwas Großes, Ganzes aus dem Willen zum Dasein ohne den Willen zum Werden entstanden ist. Wille zum Werden bedeutet aber für das jüdische Volk das Hinblicken auf eine entscheidende Wandlung auf ein Anderswerden aber nicht Anderswerden im Sinne einer Neuerung gegen das, was wir von urher haben als unsere Sache und unser Wesen nennen sondern gerade die Mahnung, Realisierung dieses Urwesens selbst. Hier also scheiden sich die Geister. Die einen kennen eine Erhaltung des jüdischen Volkes, die anderen kennen keine Erhaltung des Volkes. Anderes wünschen, anderes begehren denn als Erneuerung, eine Erhaltung, die nur Erhaltung ist, ist ihnen nicht bloß zu wenig, sondern ist das Falsche, denn sie verletzt das Recht der Erneuerung, sie tut der Erneuerung Abbruch, mit ihrer Genügsamkeit, mit ihrer Bedürfnislosigkeit. Aber sich zur Erneuerung zu bringen, ist auch noch nicht genug. Es kommt nämlich, daß Zionisten, die durchaus die Erneuerung des jüdischen Volkes begehren, lediglich die Produktivierung wollen, auch nicht bloß Palästina zur Selbstbestimmung führen, […] sondern wir wollen eine Wandlung des Volkslebens aus einem Parasiten zu einem wirklichen produktiven Leben, oder wie wir es sonst nennen wollen. […] Aber auch dieses ist zu wenig. Die Erneuerung, die Generation von deren Aufgabe
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und Werk ich spreche, diese Erneuerung bedeutet mehr als Produktivierung eines Volkes. Sie würde bedeuten Vermenung 4 des Urgehaltes dieses Volkes. Dieser Urgehalt dieses Volkstums ist aber solcher Art, daß er sich nicht […] kann in dem Werk einzelner Personen. Dieses Volk in irgendwelchen geistigen Schöpfungen auch nicht einmal in Sitten, religiösen Leben der Personen, sondern das Eigentümliche ist hier, daß der Urgehalt durchaus auf die Gemeinschaft angewandt ist, daß dieser Urgehalt sich nicht ändert, und nicht ändern wird, als in der Gemeinschaft und durch die Gemeinschaft verwickeln kann, daß es also nicht weniger bedarf, als einer ganz echten vollständig in sich zusammenhängenden von wirklicher Beziehung zwischen Mensch und Mensch, echter unmittelbarer Beziehung erfüllten Gemeinschaft. Erst eine so wahre Gemeinschaft kann der Boden sein, auf dem sich der Urgehalt dieses Volkstums, das darauf angelegt ist, zu verwirklichen vermöchte. Also die einen wollen einen jüdischen Staat, ein jüdisches Gemeinwesen als solches. Die andern, von denen ich spreche, wollen nicht weniger, sondern mehr. Sie wollen, daß dieses jüdische Gemeinwesen trage und umhege eine echte, wahre menschliche Gemeinschaft, in der sich die Urbestimmung Israels erfüllt. Die nämlich an der Gemeinschaft zu bauen, Gemeinschaft als sich selbst aus dem eigenen Leben zu bilden, sich herzugeben, damit Menschengemeinschaft wird, nicht in einem Verzicht, sondern in einer Selbsterfüllung, Selbsterfüllung im Bau echter Gemeinschaft. Dies ist der Zionismus, daß der Zionismus doch nicht umhin kann, zu meinen, auch wenn er ein klein-zionistisches Programm und nicht ein groß-zionistisches Programm vertritt, er kann nicht umhin an diesen Zionismus anzuknüpfen. Dieser Zionismus war nur ein politischer Begriff, sondern es war etwa eine normative Macht. Man kann nicht Zionismus wirklich meinen, ohne zu erfahren, daß eine normative Macht da ist, ein Gesetz, ein Gebot, daß den Mensch, die Menschgruppe auf einen Weg, auf den harten prüfungsreichen Weg zu einem Ziel 5 . Diese Menschengruppe ist in ihre Geschichte hin-eingeschickt. Man kann nicht im Ernst Zionismus meinen, und sich mit der Erhaltung oder mit der Produktivierung des jüdischen Volkes, sondern Zionismus ist für den Menschen, der es mit wissenden Lippen ausspricht, den Namen unerbittlicher Forderung, dringender, großer gebieterischer Forderung. Diesen Weg und keinen andern. Die Wahl des Rechts, die Entscheidung, ernst zu machen mit der uralten, also wissenden, einen Weg zu gehen, zu einem Ziel, nicht ein jüdisches Volk, ein Volk, wie es als Volk ging, sondern das erfüllte, in seinem Wesen er4. 5.
Vermutlich: »Verneinung« (J.J.). Vermutlich »führt« zu ergänzen (J.J.).
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füllte jüdische Volk, nicht irgendein Volk, daß nun gerade sich jüdisch nennt, daß etwas mitbekommen hat auf seinen Weg, etwas Bindendes, etwas Forderndes, das geschehen soll, das geschehen wird, das immer wieder erfüllen soll. Dieses sich so leicht der [???] überlassende Volk, rüttelt und es aufreißt, wenn es nicht anders geht zu seinem Werk und zu seiner Wirklichkeit. Dies ist die eine Scheidung innerhalb der Zielsetzung. Aber dazu muß noch etwas anderes gesagt werden, denn noch kann es mißverstanden werden. Auch innerhalb der richtigen Zielsetzung ist noch eine Scheidung unvermeidlich. Denn es gibt Menschen, es gibt Gruppen im Zionismus, vor denen ich allerlei Respekt habe, die auf die Zielsetzung ausgehen, aber die sagen, wie soll sich das denn sonst vollziehen, als daß man eben eine starke jüdische Siedlung in Palästina begründet und sich nun auf das verläßt, was nun herausbrechen will; es ist das soziologische Prinzip, das hier waltet. Ändern wir die Verhältnisse, und der Mensch wird sich von den geänderten Verhältnissen aus ändern. Bringen wir die Juden in ihr Land, gebt ihnen soviel Selbstbestimmung, wie wir ihnen geben können, so werden sie schon zeigen, was in ihnen steckt. Wir sagen nichts geht daraus hervor, hinsichtlich dessen was werden wird, nichts verbürgt uns, daß das, was aus einem so sich selbst überlassenden Menschen, dem jüdischen Volke in Palästina dies ist, wozu es berufen ist, nichts verbürgt uns, daß dieses Volk nicht gerade so wie irgendeines der Völker sich auswachsen würde. Wir überlassen das Volk sich selbst und wollen sehen, was dann herauskommt. Wir dürfen und können nicht experimentieren, sondern es ist uns abverlangt, der Einsatz unserer Person, unserer Kraft. Immerhin wir haben nichts anderes als unsern Einsatz, und es ist uns abverlangt dieser Einsatz, um zu sondern, zwischen dem, was Bestimmung ist, und dem was sie nicht ist, um darauf hinzuzeigen, wirklich wie mit einem ausgestreckten Zeigefinger, auf die Urwahrheit, die nun Wahrheit werden soll, und zu wehren und zu rühren und zu geißeln, wenn es nottut, und zu scheiden zwischen dem Echten und dem Falschen. Also hier scheiden sich letztlich die Geister. Ein Sichverlassen auf Volkskraft und Volksselbständigkeit das gleicht auf der andern Seite der dringenden direkten erzieherischen Absicht. So stellt sich das Problem des Zionismus mir dar. Dieses Grundproblem hat nun in der Geschichte des Zionismus eine fortschreitende Entwicklung, wirkliche Herauswicklung erfahren. In 3 Phasen nacheinander und in drei großen Phasen der Geschichte des modernen Zionismus treten die drei Grundforderungen, die drei Erscheinungsformen dieses pädagogischen Problems nacheinander auf, und zwar so, daß nicht die später Auftretende die frühere etwa verdrängt, son-
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dern immer vollständiger erscheint die erzieherische Aufgabe. Die erste Erscheinung des pädagogischen Grundproblems gehört der Vorkriegszeit an, der Zeit als zwar in Palästina allerlei einzelne Siedlungen gegründet wurden, aber das Entscheidende noch nicht erkannt war, daß es auf den Einzelnen selbst arbeitenden Menschen ankommt. Das Zionismus nicht der Mensch sein kann, der andere für sich arbeiten läßt, sondern nur der selbst Hand anlegt, also der Mensch, den ich heute den Chaluz 6 nenne. Damals in der ersten Zeit herrschte trotz aller Kolonisationsarbeit im wesentlichen ein gewisses Distanzverhältnis zu Palästina. Der entscheidende Typus war nicht der Chaluz, sondern der geistige Zionist. In der ersten Epoche ist der Mensch, der später nur noch Helfer war, der eigentlich herrschende Typus. Und die Frage, die pädagogische Frage ist, wie erzieht man den Zionisten, wie macht man aus ihm einen Juden, einen zionistischen Juden. Der Gegensatz, auf den ich schon hingewiesen habe, die Scheidung, von der ich gesprochen habe, als eine Scheidung zwischen Propaganda und Erziehung. Der propagandistische Mensch sagt nun aus. Man verbreitet den zionistischen Gedanken, man macht den Leuten die Begründung des Zionismus klar, so gewinnt man sie. Der pädagogische Mensch sagt, so gewinnt man ihre Kraft, so gewinnt man das Sein des Menschen nicht. Man gewinnt den Menschen wahrhaft nur dann, wenn man ihn verwandelt. Der Zionist kann nicht der Mensch sein, der sich zum Zionismus bekennt, im übrigen wie irgendein anderer lebt. Der Zionist kann nur der Mensch sein, der von dieser Wandlung des Judentums dergestalt lebt, die sich ihm aufgetan hat, so daß sein eigenes Leben sich wandelt, sein eigenes Leben daraus echte Gestalt gewinnt. […] Man muß den Menschen nationalisieren, man muß ihm etwa die hebräische Sprache beibringen. Man muß ihm Kenntnis der jüdischen Geschichte beibringen usw. Und selbstverständlich sagt der pädagogische Mensch, aber das ist nicht genug. Damit fängt es erst an. Und wenn man dieses partikuliert, tut man seiner Ganzheit Abbruch. Es genügt auch nicht, diesen Menschen zu nationalisieren, sondern man muß ihm den realistischen [???], dieser oder jener jüdischen Form zu wahren, sondern sein ganzes Leben von da aus sich umbilden zu lassen, sein ganzes Leben zu einer Einheit zu machen, von dieser uralten und nun doch neuen Aufgabe, die ihm gesetzt ist. Also Erziehung zum Zionismus heißt in Wahrheit Erziehung zu einem Menschen und zwar zu einem jüdischen Menschen. Erziehung zu einem jüdischen Menschen meint zu einem echten Menschen, in dem sich das Urjudentum rechtmäßig entwickelt. Dies allein sehen wir als
6.
Chaluz, hebr. »Pionier«.
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die Basis einer Ausbildung eines jüdischen Palästina an, in dem Juden leben, das Werke trägt. Auf der zweiten Stufe tritt ein Entscheidendes Neues hinzu. Die Konzipierung des Chaluz, also das Ernstmachende, das Personhafte, Ernstmachende mit der Arbeit drüben. Der Gegensatz macht sich hier naturgemäß nicht mehr so scharf geltend, wie dort. Der Impuls des Chaluz ist so groß, als daß man sich nur mit Halbheiten begnügen wollte. Und trotzdem muß auch hier, wenn7 auch hier Zurückhaltung befürchten muß, auch hier der pädagogische Mensch ein Zuwenig sagen, das ihm schwer fällt, das ihm schwer wird, weil er sieht die Arbeit, weil er sieht, daß dieser Mensch sozusagen keine Zeit hat, und dennoch weiß er, es ist, in dem was man heute, was man damals schon Hachscharah 8 nannte, so wie sie gefaßt ist, mit der Erwerbung von wesentlichen Kenntnissen und Fähigkeiten für die Arbeit im Lande, nicht genug. Man kann den Chaluz nicht gleichstellen irgendeinem Kolonisationspionier irgendeines Volkes, denn hier geht es nicht darum, eine Gemeinschaft von Menschen zu schaffen, die irgendwie werden soll, sondern hier geht es ja gerade darum, den Zusammenhang mit den Urkräften wieder zu gewinnen, ein Zurück, ein Zusammenleben, das sich nicht genügt, politisch zusammenzuleben, daß etwa in biographischen Lücken oder in biographischen Gedanken festzuhalten ist, sondern der es in sich selbst als einen Antrieb fühlt, daß das nun nicht länger als eine Sache des Geistes, der Verehrung, der Bewunderung der Pietät, der Andacht bleibe, sondern es eine Sache des Lebens, des lebendig verwirklichenden Lebens werde, das keine Kluft mehr duldet, zwischen dem wirklichen Werden und dem was von drüben her in Erinnerung ist; man trägt es in sich; aber man will die Distanz nicht mehr als solche schauen. Man will diese Zeit des Heiligen und Profanen nicht mehr, des Anbetens und dann etwas ganz anderes tut. Und auch das schwere harte Leben des Chaluz tut nicht genug, wenn dieser Mensch sich nicht mit dieser opferbereiten Kraft einstellt in den Zusammenhang, der erneuert werden soll. Und dieser Zusammenhang, der kann einem werdenden Menschen nur dann in sein Leben eingestellt werden, in sein innerstes Leben gegenwärtig gemacht werden, wenn dieser Mensch aufgenommen wird in den Zusammenhang von Lebenden zu Lebenden, in den Zusammenhang der lebendigen Lehre. Es muß eine Verbindung, ein Bund zwischen Arbeit und Lehre kommen, damit dieser Wahrheit ihr Recht wird. Auf dieser zweiten Stufe wollten wir auf der 7. 8.
Vermutlich muß ein »er« eingefügt werden. Hachscharah, hebr. »Vorbereitung«, Ausbildung der auswanderungswilligen Pioniere (Chaluzim) für ihre spätere Tätigkeit in Palästina als Siedler.
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ersten die Ausbildung der Basis einer jüdischen Gemeinschaft in Palästina die Ausbildung zur richtigen Aktion zur Schulung dieser Gemeinschaft. Und nun die dritte Stufe, die eigentliche Nachkriegszeit. Das ist die Zeit, in der sich so etwas wie ein Gemeinwesen in Palästina, ein jüdisches Gemeinwesen zu konstituieren begonnen hat. Während die erste Stufe der Erziehung des Zionisten, die zweite der des Chaluz gilt, gilt die dritte Stufe der Erziehung des palästinensischen Bürgers. Diese Aufgabe krankt als eine sehr schwere ernste Problematik, denn es gibt ein Bürgerbewußtsein in Palästina, das nicht das wirkliche Bewußtsein eines jüdischen Bürgers, des jüdischen Landes ist, d. h. das, wozu dieses Gemeinwesen bestimmt ist, das, um dessentwillen es da ist, die Wirklichkeit, die sich in ihm ausprägt, die in ihm Gestalt gewinnen will, die bestimmt dieses Bewußtsein, und dieses Bewußtsein ist ein allgemein Nationales, und vielfach ein allgemein nationales Bewußtsein, ohne daß das Eigene, das Einmalige, das Israelhafte dieses unseres Lebens als Kraft als fremde Macht in das Leben eingeht. Und so wie auf der ersten Stufe der Erziehung die Propaganda gegenüber stand, aber doch ganz anders, steht auch hier dieser unserer pädagogischen Forderung der Erziehung des palästinensischen Menschen zum wahren jüdischen Bürger, zum Bürger einer jüdischen, einer wahrhaft Judentum erfüllenden Gemeinschaft entgegen oder gegenüber, nun seltsamer Weise pädagogische Arbeit. Es ist etwa bloß nicht nur das politische Prinzip, […] wo die Hegemonie des politischen Prinzips, […] dagegen unsere erzieherischen Forderungen geltendzumachen, sondern es ist eine und zwar wieder sehr respektable politische Arbeit, das gegenwärtige palästinensische Schulwesen, die gegenwärtigen Institutionen Palästinas, das gegenwärtige Hochschulwesen Palästinas. Es ist, wenn man es für sich ansieht, ein bewunderungswürdiges Werk. Es ist erstaunlich, was da alles zustandegekommen ist. Aber wenn man fragt, wieviel von der besonderen Aufgabe des jüdischen Volkes ist hier erzieherisch zum Ausdruck gekommen, wie ist das Bild, wie ist das Ziel, zu dem sie erziehen beschaffen, dann müssen wir sagen, es hat seine wirkliche Ausprägung noch nicht gefunden. Ich habe den größten Respekt vor der Jerusalemer Universität, aber das Werk, die Institution, deren es bedürfte, damit dieser jüdische Mensch erzogen wird, und zwar damit nicht gerade der, der die Möglichkeit hat, zu studieren, damit die ganze Jugend des Landes herangezogen wird, erzogen wird zu ihrer eigentlichen Aufgabe. Ich sehe dann die Institution, die sich von da aus unserem Willen auftut, die wir wollen. Und diese Erfüllung ist keine Universität, sondern eine Volkshochschule, und zwar nicht in diesem extremen Sinn, […] sondern als eine das ganze Land umfassende und überall auf starke personhafte Erziehungsarbeit von Mensch zu Mensch gestellte große volkspolitische
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Institution. Eine Institution, die das ganze Schulwesen des Landes umfaßt, und von europäischen, zum Teil sehr problematischen Errungenschaften ausgeht, die man nur auch haben muß, sondern die davon ausgeht, was das Land braucht, welche Menschen das Land braucht, wie dieser Mensch sein muß, um dieses Werk in dieser Stunde, unter so schweren Bedingungen zu leisten, und so zu leisten, daß in diesem Werk sich etwas von jenem Urwesen seines Volkstums verwirklicht, und immer von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzt, also ein normatives Erziehungsprogramm, etwas was man schon nachzuschlagen und herauszulesen vermöchte, sondern etwas aus der Tiefe der Erfahrung, das herausgeholt und fruchtbar gemacht wird, für diese Zeit und für diese Aufgabe. Erziehung bedeutet dann zuerst, Erziehung zum Zusammenhang, zum Leben im Zusammenhang, […] zu einer Weiterführung des Urlebens, […] dieser Aufgabe gemäß Erziehung zur Gemeinschaft. Es kann nämlich nicht Gemeinschaft angestrebt werden, anders als daß man schon jetzt und hier in der Art, wie man sie anstrebt, in der Art, wie man sie vorbereitet, schon Gemeinschaft, soweit es jetzt hier möglich ist. Der Mensch in Palästina, der in Wahrheit will, daß einst eine echte Gemeinschaft aus dieser Judenheit entsteht, der muß in seinem Leben mit den Menschen, mit denen er zu tun hat, und er muß zu diesem Leben und zu der Gemeinschaft erzogen werden, in dem Sinne, daß er die Interessen des Kollektivs über die Seinen stellt, in dem Sinne, daß er in seinem tatsächlichen Leben immer wieder die unmittelbaren des gemeinsamen Lebens, weil dann die unmittelbaren, die echten die ganzen Beziehungen zu den Menschen sich entfalten. Nur so kann Gemeinschaft, kann jüdische Gemeinschaft werden. Und es besteht in Palästina in dem Jischuw neben Gegenständen öfterer Bewunderung, besteht sehr viel Problematik, Fragliches, Herausbrechendes, von dem man nicht weiß, was werden soll, daraus werden wird, wo so wenig Bindung da ist. Und schließlich das dritte, die Erziehung zum Landesbewußtsein, d. h. Erziehung dazu, daß man dieses Land wirklich meint, wirklich will, daß man an diesem Land an der Entwicklung an der Errichtung dieses Landes wirkliches Lebensinteresse hat, nicht bloß weil es jüdisch und nicht bloß insofern es jüdisch ist, sondern Liebe zu diesem Lande, so wie es ist, Wille zu diesem Lande wie es ist, ein Wollen zu dem Lande, zu diesem bestehenden Lande, so wie es ist, aus dem wir gewachsen sind, und in dem wir uns erneuern wollen. Sie sehen in diesen drei hat sich ein Weg vollzogen. Wir sind von dem prinzipiell ausgegangen, von prinzipieller Einsicht ist die Wichtigkeit des pädagogischen Prinzips, den andern gegenüber. Wir erwähnten schon, daß das Schicksal der Völker davon abhängt, ob das pädagogische oder das politische Prinzip das Entscheidende wird. Wir
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sind dann auf der zweiten Stufe allmählich zu einer konkreten Fassung gekommen. Es ging uns nicht mehr um den Typus, es ging uns um den einzelnen Menschen, um das lebenswirkliche Dasein, mit dem wir zu tun hatten. So der Übergang von dem Zentraltypus des Zionisten zu dem des Chaluz. Und schließlich auf der dritten Stufe, da genügte auch das Konkrete noch nicht, sondern da soll alles praktisch werden. Da geht es darum zu erkennen, welche Einrichtungen notwendig, welche Einrichtungen die rechten und die falschen sind. Was innerhalb der bestehenden Einrichtungen das rechte und was das falsche ist. Und dies ist unter aller Arbeit, die dem pädagogischen Menschen von Anfang an oblag, das Allerschwerste. Es wehrt sich vielleicht dagegen, er gibt nun die bekannte Erscheinung des Volkslebens, daß das, was einmal organisiert ist, sich behauptet, wie irgendein Individuum sich behauptet. Es ist so, daß der Wille zum Dasein sich immer wieder stärkt. Ich sagte schon, das Wirken des erzieherischen Menschen hat immer mit Problematik, etwa mit Tragik zu tun. Es muß der erzieherische Mensch immer wieder die Erfahrung des harten Stoffes des widerspenstigen, des widerstrebenden Stoffes machen, die Erfahrung der Wahrheit, die Erfahrung der Selbstsucht, des nicht anders Werdenwollens. Und er wird immer wieder Stunden erleben, in denen er verzichtet oder verzweifelt. Aber es erscheint mir beweislos, ich habe keine Belege dafür, dennoch mit einem starken herzlichen Gefühl, scheint es mir, daß in der Menschheit und im Judentum das eigentliche Sich 9 diesem immer wieder erfolglosen Menschen gehört. Es sieht ja wirklich nicht so aus in der Welt, in der wir heute leben, als ob das pädagogische Prinzip die Hegemonie erringen könnte. Es sieht so aus, als ob es niedergedrückt werde, daß es verpolitisiert werde, daß es verwandelt, wie es alles verwandelt. Aber wer den Weg der verborgenen Geschichte abgeschritten hat und immer neu abschreitet, der weiß, daß nicht die sogenannten Siege gelten, nicht die sogenannten Erfolge die wahren Siege sind, sondern daß das Eigentliche sich unterirdisch vollzieht, im Dunklen, im Geheimnis des Seins. Wer das weiß, der findet immer wieder nach den Stunden des Verzichts und der Verzweiflung einen Trost, den sich die menschliche Person selber nicht zu geben vermöchte, den sie sich nur geben lassen kann, von wo er ihr gegeben wird, von der Wahrheit selber. So ist es auch mit unserer zionistischen Sache. Wir pädagogisch fordernden Menschen, wir seit 33 und mehr Jahren das pädagogische Prinzip gegenüber den anderen vertretenden und verfechtenden Menschen, wir stehen kritisch zu vielem was geschieht. Aber diese unsere kritische Haltung ist eine Haltung der Hoffnung. Es ist eine hoffende Kri9.
Vermutlich: »der eigentliche Sieg« (J.J.).
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tik, es ist eine Kritik, die den anderen, der doch Ich selbst ist, der doch nicht mein Bruder, der doch eigentlich selbst ist, der den andern so hart anfaßt, weil man weiß, es ist noch möglich, es ist noch nicht zu spät, wir müssen uns merken, was uns obliegt. Wir können ja noch tun, wir haben noch die Kraft. Wir müssen nur merken, wozu wir gebraucht werden. Wir müssen nur merken, worauf es ankommt, was mit uns gemeint ist, und daß wenn jetzt die Stunde da ist, daß dieses unser Land verwirklicht werden soll und kann. Und diesen Einsatz zur Verwirklichung meinen und wollen wir, wenn wir von Erziehung sprechen. Wir glauben an den Sieg der Erziehung, wir erwarten den Sieg der Erziehung.
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Bildung und Weltanschauung Frankfurter Lehrhausrede Wir, die wir an der sogenannten Erwachsenenbildung arbeiten, begegnen immer wieder einem Widerstand der Weltanschauungsgruppen gegen das »Allgemeine«, das da getrieben wird. Sie erklären: erstens, daß die Auswahl des für ihre Angehörigen Wissenswerten von keiner anderen Instanz aus rechtmäßig zu treffen sei als von der sie bestimmenden Tendenz aus, da nur hier entschieden werden könne, was einer zu wissen brauche, um zur Durchsetzung dieser Tendenz beizutragen; und zweitens, daß überhaupt jede Gruppe ihre gesamte Erziehungstätigkeit im eigenen Haus zu besorgen habe, denn nur hier, unter Gleichgesinnten, sei jene Straffheit und Schwungkraft möglich, auf die es ankomme, mit Andersdenkenden komme man vernünftigerweise nur zusammen, um sich mit ihnen »auseinanderzusetzen«, nicht um miteinander etwas zu lernen, was angeblich gemeinsam gelten soll, also weltanschauungsleer oder doch weltanschauungsarm sein müsse. Das wird zwar im wesentlichen hinsichtlich der Jugendlichen erklärt, aber im Grunde sind alle noch so alten Leute mitgemeint, sofern sie eben noch Jugend in sich haben, also noch bildsam sind – und in dieser Zeit hat ja mancher der vordem ganz fertig, ganz unabänderlich schien, eine zweite, eine Krisen-Jugend gewonnen, ist aufgerührt, aufgelockert worden, wieder weiche Tonerde. Vorweg sei gesagt, daß mir diese Haltung der Weltanschauungsgruppen recht verständlich ist. Die direkte Aktion beherrscht die Stunde, und man hat keine Zeit zu verlieren.* Nach dem Weltkrieg sind zu viele gescheite Gespräche geführt worden, die heute unverbindlich anmuten. Es ist zu begreifen, daß die Meinung aufgekommen ist, eine unpolitische Bildung schwäche die Stoßkraft und der allgemeine Geist lenke vom Ziel ab, das eben immer ein besonderes und als solches den anderen Zielen entgegengesetztes sei. Stimmen tut das freilich nur vordergründig, nur wenn man die Dinge wie auf einer Leinwand geschehen sieht; es stimmt nicht mehr, wenn man sich in die dritte Dimension begibt und erfährt, was »dahinter steckt«. Mit einem der geläufigen Bildungsbegriffe ist dabei jedoch nichts anzufangen, die reichen nicht zu. Der wirklich zeitwahre, zeitgerechte Bildungsbegriff muß auf der Einsicht begründet sein, daß es, um irgendwo hinzugelangen, nicht genügt, auf etwas zu z u gehen, sondern daß man *
In RüE ist der folgende Satz gestrichen.
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auch von etwas a u s gehen muß. Und nun verhält es sich so, daß das »Auf was zu« von uns selbst, von unserer zweckbestimmenden »Weltanschauung« gesetzt werden kann, nicht aber das »Von wo aus«. Dieses zu setzen, zu machen kommt uns nicht zu; was wir mit solchem Anspruch zurechtmachen, erweist sich bald als trügliches Gemächt. Wovon einer tatsächlich ausgehen kann – nicht bloß sich einreden, daß ers tue, sondern wirklich seinen Ausgang davon nehmen –, das muß etwas anderes sein als ein Standpunkt oder meinetwegen Standort, es muß ein rechter Stand und Urstand sein: eine Urwirklichkeit, die mich auf den Weg zu meinem Ziel nicht entläßt, sondern, wiewohl ich selber es mir erwählt habe, mich leitet, damit ich es nicht im Gehen verwechsle und so verfehle; die mir beisteht. Eine, die mich hervorgebracht hat und die mich, wenn ich mich ihr anvertraue, zu tragen, zu hüten, mich zu bilden bereit ist. Zu ihr, zu meinem »Volk« (in einem größeren Sinn als dem, um den die Gruppen etwa noch streiten)*, zu seinen bildnerischen Kräften will die Bildungsarbeit den – verlorenen oder geminderten – vollen Zugang wieder eröffnen, oder seinen Kräften den Zugang zu mir.** Mit »Volk« kann hier naturgemäß nicht weniger gemeint sein als alle Mächtigkeit seines Daseins vom Ursprung am brennenden Berg 1 bis zu dieser seismischen Stunde, mit »Kräften« nicht weniger als sie alle, mit denen seine Sprache und sein Schrifttum, seine Geschichte und auch noch die brüchige Vielfältigkeit seines gegenwärtigen Lebens geladen sind. Das Verkehrteste begeht freilich jener, der diese wirkungsstarke, zu wirken verlangende Wirklichkeit durch eine Abstraktion ersetzt und aus dem großen Urstand also wieder einen formulierbaren Standpunkt zurechtmacht; wozu noch bemerkt werden mag, daß die allerschlimmste solcher Abstraktionen die theologische ist, eben weil sie am höchsten greift: gewiß sind wir »Gottes Volk«, aber Gottes können wir nur sein, wenn und insofern wir faktisch Volk sind, vollständiges Volk, mit aller Volksleiblichkeit ausgestattet, die not ist, um a l s Vo l k jenen »Anfangsteil Seiner Ernte« wirklich werden zu lassen. Wer die Gehäuse der menschenbildnerischen Kräfte, wer unsre Sprache und unser Schrifttum, unsre Geschichte und unser Volksleben nicht kennt und nicht kennen lernt, lasse ab von unserer Sache, wo er nur irregehen und irreführen kann! Ueber die Kräfte können wir nicht verfügen, wir können nur zu ihnen 1.
Offenbarung der Gesetzestafeln, die an Moses auf dem Berg Sinai erging (Exodus 19).
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In RüE wird von »Zu meinem ›Volk‹« bis »streiten« ersetzt durch »zu meinem Ursprung«. In RüE ist der gesamte folgende Absatz gestrichen.
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hinleiten. Es sind diese besonderen, ursprünglichen, individuierten Kräfte, und sind doch nicht ethnisch, so wenig wie sie religionhaft sind, sondern beides in einem und mehr und andres. Aber mit der Einsicht in die Besonderheit der Bildungskräfte ist nichts über den Bildungsstoff ausgesagt. Der Bereich, dem dieser zu entnehmen ist, ist schlechthin kein besonderer, er umfaßt grundsätzlich alles; was ihm aber jeweils entnommen wird, das bestimmen keine allgemeinen Prinzipien, das Bestimmende ist hier unsre jeweilige Situation. Sie allein liefert das Kriterium der Auswahl: wessen der Mensch, der diese Situation da bestehen soll, unser wachsendes Geschlecht, an Bildungsstoff bedarf, um sie zu bestehn, das und nichts andres ist der Bildungsstoff unsrer Stunde. Hier verbindet und vermischt sich eigentümlich Allgemeines und Besonderes. Der Bildung, die hier erörtert wird, ist es um die »Welt« zu tun, deren vielfältige Aspekte die »Weltanschauungen« sind. Es gibt ja eben doch nicht bloß die verschiedenen Auffassungen eines Volkstums, in deren Zeichen und um deren Wahrheit die Volksgruppen miteinander ringen, – es gibt doch auch das wirkliche Volkstum selber, das sie alle meinen und keine umfaßt: es geht in sie alle ein, spiegelt und bricht sich in jeder – und ist keiner hörig. Die Bildungsarbeit weist auf die reale Einheit hin, die sich hinter der Vieldeutigkeit der Aspekte birgt. Sie maßt sich nicht an, die Weltanschauungen durch Welt zu ersetzen, sie kann jene nicht verdrängen und darf es nicht wollen; sie weiß, daß man eine Welt nicht »haben« kann, wie man eine Weltanschauung hat; aber sie weiß auch, daß für den Aufbau der Person und somit auch für den Aufbau der aus Personen und ihren Beziehungen wachsenden großen Gemeinschaft alles davon abhängt, wie weit man faktisch mit der Welt zu tun bekommt, die die Weltanschauungen ausdeuten. Aber kann man denn zu einer Welt hinführen? Keiner vermag doch den Bestand eines Volkstums anders zu zeigen, als wie er sich eben ihm darstellt, also notwendigerweise wieder einen Aspekt! Ist es denn möglich, weltanschauungsfrei zu lehren, – und wäre es, wenns möglich wäre, erwünscht? Nein, es ist nicht möglich, und nein, es wäre nicht erwünscht. Aber es kommt, beim Lehrenden wie beim Lernenden, darauf an, ob seine Weltanschauung sein lebensmäßiges Verhältnis zu der »angeschauten« Welt fördert oder ihm diese verstellt. Die Tatsachen sind; es kommt darauf an, ob ich sie so treu zu erfassen strebe, als ich vermag. Meine Weltanschauung kann mir darin helfen; wenn sie nämlich meine Liebe zu dieser Welt meines Volkstums so wach und stark hält, daß ich nicht müde werde wahrzunehmen, was wahrzunehmen ist. Ein Text etwa meines Schrifttums ist da; er ist unzählige Male und auf unzählige Weise inter-
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pretiert worden; ich weiß, daß keine Interpretation, und nun auch meine nicht, den Ursprungssinn des Textes deckt; ich weiß, daß mein Interpretieren, wie jedes, bedingt ist durch mein Sein; aber wenn ich auf das, was dasteht, auf Wort und Gefüge, auf Laut und rhythmischen Bau, auf offenbare und heimliche Zusammenhänge so treulich achte als ich vermag, ist es nicht umsonst getan, – ich finde etwas, ich habe etwas gefunden. Und wenn ich, was ich gefunden habe, aufzeige, führe ich – den, der sich führen läßt – zur Wirklichkeit des Textes hin; ich setze ihn, den ich lehre, den wirkenden Kräften des Textes aus, deren Wirken ich erfahren habe. Und ebenso ist etwa eine geschichtliche Erscheinung da; gewiß, schon ihr erster Chronist mag sie, zumindest durch die Auswahl des Mitgeteilten, »weltanschaulich« gefärbt haben; aber was tut das? Von meiner Weltanschauung befeuert, diese Erscheinung zu erkennen, mühe ich mich redlich um die Durchdringung des Materials, um die Schau des verborgenen »Dahinter«; irgendwo, ich weiß nicht wo, mag diese meine wahrnehmende Unbefangenheit von meiner bearbeitenden weltanschaulichen Befangenheit durchsetzt werden – vergeblich war sie nicht, denn in das Ergebnis, das ich heimtrage, ist Wirklichkeit chemisch eingemengt, unauslösbar freilich, aber vorhanden und wirksam; vergeblich war meine Treue nicht, wenn ich nur darauf ausging, zu erfahren, was irgend ich erfahren kann. Die Tatsachen sind und die Treue ist; die Treue ist wie alles Menschliche bedingt und wie alles Menschliche maßgeblich. Es ist uns nicht gewährt, die Wahrheit zu besitzen; aber wer an sie glaubt und ihr dient, baut an ihrem Reich. Der ideologische Anteil an dem, was jeder Einzelne Wahrheit nennt, ist unausschmelzbar; aber was er vermag, das ist, im eigenen Geist Einhalt zu gebieten der Politisierung der Wahrheit, der Utilitarisierung der Wahrheit, der ungläubigen Gleichsetzung von Wahrheit und Verwendbarkeit. Die Relativierung waltet in mir wie der Tod in mir waltet; aber ihr kann ich, anders als ihm, immer wieder die Schranke setzen: Bis hierher und nicht weiter! Die Bildung, die hier erörtert wird, stellt die geteilten Weltanschauungsgruppen vor das Angesicht des Ganzen. Da aber dieses Ganze nicht ein abgesondertes Objekt, sondern das sie gemeinsam tragende Leben ist, können sie nicht in getrennten Scharen dastehen und betrachten, – sie müssen in dieser erfahrenen Gemeinsamkeit auch miteinander zu tun bekommen, ja erst im gelebten Miteinander bekommen sie recht eigentlich die Gewalt des Ganzen zu spüren. Die moderne Gruppe will »sich durchsetzen«, sie will das Ganze werden. Aber das Ganze wird nicht gemacht, es wächst. Wer sich ihm auferlegt, verliert es, indem er es zu gewinnen scheint; wer sich ihm hingibt, wächst mit ihm. Nur in g e w a c h s e n e r Ganzheit ist die elementare
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(d. h. die freie) Produktivität eines Volkstums verbürgt, nur im Blick auf sie ist sie möglich. Die Bildungsarbeit vereinigt die teilnehmenden Gruppen, im Zugang zu den bildnerischen Kräften und im gemeinsamen Dienst um die Tatsachen, zu einem Modell der großen Gemeinschaft: als welche nicht Zusammenschluß der Gleichgesinnten ist, sondern echtes Miteinanderleben der Gleichgearteten oder Artverschmolzenen, aber Verschiedengesinnten, der Bund der Bünde. Gemeinschaft ist Bewältigung der A n d e r h e i t in der gelebten Einheit. Es gilt nicht »Toleranz« zu üben, sondern Vergegenwärtigung der Wurzelgemeinsamkeit und der Verzweigungen; es gilt den Stamm so zu erfahren und zu erleben (hier steht das oft fragwürdige Wort zu recht), daß man auch erlebt, wo und wie die andern Äste abspringen und hinschießen, so wirklich wie der eigne. Es gilt nicht eine formelhafte Scheinverständigung auf einer Minimalbasis, sondern Wissen um das Wahrheitsverhältnis von drüben, um des andern Realverhältnis zur Wahrheit; nicht »Neutralität«, sondern Solidarität, lebendiges Füreinandereinstehn, und Mutualität, lebendige Wechselwirkung. Nicht Verwischung der Grenzen zwischen den Bünden, Kreisen und Parteien, sondern gemeinschaftliche Erkenntnis der gemeinsamen Wirklichkeit und gemeinschaftliche Erprobung der gemeinsamen Verantwortung.* Innerhalb der Lernzeiten 2 dieser unsern »Erwachsenenbildung« hat es eine gegeben, die die Führer einiger Jugendbünde einer einzigen Weltanschauungsgruppe vereinigte (andre Gruppen haben sich inzwischen zu ähnlichen Unternehmungen gemeldet), und eine, zu der mehrere verschiedene Gruppen ihre Jugendführer, entsandt hatten. Jene war eine Idylle, hell und warm, ungehemmt, in der ersten Stunde schon fast zu ihrer vollen Gestalt gediehen. Die andre war ein Drama, hart und ereignisreich. Man kostete, was das für ein Ding ist, die Anderheit des Andern, man hatte etwas auszutragen, man trug es aus, man geriet sich in die Haare, man geriet sich in die Arme. Am dritten Tag stands kritisch, man hatte es ja »schon immer gewußt, daß so was nicht geht«, am Abend geschah nichts und etwas, und am vierten Morgen wiesen der Sport und das Singen einen neuen Schwung des Mitsammen auf. Der erste dieser beiden Lernzeittypen gehört durchaus dazu, ich möchte ihn nicht missen; aber der zweite erst liefert das eigentliche Werk. Vitale Dissoziierung ist die Krankheit der Völker in unserer Zeit, die 2.
Lernzeiten: Veranstaltungen der Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung.
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In RüE ist der folgende Absatz gestrichen.
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durch eine zusammenpressende Aktion nur scheinbar zu heilen ist. Gesteigert ist dieses Übel im Judentum, das eines einheitlichen organischen Baus entbehrt. Hier kann zunächst nichts andres helfen als ein rechtschaffenes Miteinanderzutunbekommen der Menschen verschiedner Gesinnungskreise in gemeinsamer Erschließung des gemeinsamen Grundes. Darauf geht die Pädagogik unserer Bildungsarbeit aus. Aber sie setzt die verschiedenen Weltanschauungsgruppen nicht bloß in unmittelbare Beziehung zu einander, sie gibt auch jeder einzelnen das, was diese für ihre eigene Weltanschauung braucht und sich selbst nicht gehen kann. Jeder Weltanschauung heftet sich, sowie sie aus dem Bereich des Denkens und Planens in den Bereich des Menschenlebens tritt, eine eigentümliche Problematik an, die eine ganz neue, vorher nicht gestellte und nicht stellbare Wahrheitsfrage einschließt. Es ist die Problematik dessen, was ich als die dialektische Innenlinie bezeichnen möchte. Solange die Weltanschauung in den Höhen des reinen Gedankens und des unbedingten Willens schwebt, nimmt sie sich glatt und fugenlos aus; sowie sie die Erde unseres Lebens betritt, erhält sie einen Riß – einen wenig beachteten, aber äußerst wichtigen Riß mittendurch. Wir befinden uns nun im Raum des konkreten, persönlichen Lebens; jede Gruppe hat ja (was sie gern vergißt) ihre Konkretheit, die konkrete Probe, die über die Zukunft entscheidet, im Leben der Personen, die ihr angehören. Hier, in diesem Raum, scheidet und entscheidet es sich innerhalb der Weltanschauung. Von einer doppelten Frage aus vollzieht sich die Scheidung: Worauf steht deine Weltanschauung? Und: Was fängst du mit deiner Weltanschauung an? Worauf sie stehe – das heißt: auf welcher Weise und welcher Dichtigkeit der persönlichen Erfahrung, des lebensmäßigen Wissens um die Dinge und um die eigne Person. Einer Weltanschauungsgruppe angeschlossen sein kann eine echte Wahl bedeuten oder einen täppischen Zugriff wie im Blindekuhspiel.* Heute forciert man nur allzu oft den Anschluß, man läßt ihn sich schon in oder gar vor der Pubertätszeit vollziehen, in einem Lebensalter also, das zumeist der echten Wahl noch nicht gewachsen ist und das (und mit ihm das Leben) man verdirbt, wenn man ihm die Wahl aufnötigt. Man erkläre die Pubertät zum Naturschutzpark, oder unsre Menschen werden verdorben. *
In RüE ist der folgende Absatz gestrichen.
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Je nach dem Grund, worauf eine Weltanschauung ruht, je nachdem, was für Wurzeln sie hat, Luftwurzeln oder Erdwurzeln, entscheidet es sich, was ihr an nährender Wirklichkeit zufließt, entscheidet sich ihr Wirklichkeitsgehalt – und von dem aus die Zuverlässigkeit ihres Wirkens. Und zum zweiten: was man damit anfange – das heißt: ob einer seine Weltanschauung nur verficht und »durchsetzt« oder sie auch lebt und bewährt, so gut er eben je und je kann (so gut er kann; es gibt ein großartiges Entweder-Oder, das im Kern nichts anderes ist als Flucht, Ausflucht). Die Wahrheit einer Weltanschauung wird nicht in den Wolken erwiesen, sondern im gelebten Leben: wahr ist, was bewährt wird. Im einheitlichen Marschtakt einer Gruppe verliert sich heute die Unterscheidung, wessen Schritt den Gang seiner richtungerfüllten Existenz selber und wessen Schritt nur eine beredte Gebärde bedeutet. Und doch ist diese Unterscheidung, die quer durch jede Gruppe führt, gewichtiger noch als die zwischen Schar und Schar. Denn nur die mit ihrer Lebenssubstanz Verwirklichenden werden neue lebensfähige Wirklichkeit stiften. Mag von der Stoßkraft des Trupps der Erfolg abhängen, von der Echtheit der Einzelnen hängt ab, als was sich in der Tiefe der Zukunft dieser Erfolg kundtun wird: als echter Sieg oder als übertünchte Niederlage*. Die Bildungsarbeit hat auf die Angehörigen der Weltanschauungen einen doppelten Einfluß: einen fundierenden und einen postulativen. Sie hilft zum ersten jedem seine Weltanschauung im Erdreich seiner Welt verwurzeln, indem sie ihm diese weit und dicht erfahrbar macht, ihm den Zugang zu ihr eröffnet, ihn ihren wirkenden Kräften aussetzt. Und sie erzieht zum zweiten in jedem sein Weltanschauungsgewissen, das ihn immer neu auf die Bewährung hin prüft und das den Unverbindlichkeiten der Durchsetzung die Verbindlichkeit, den Ernst der tausend kleinen Verwirklichungen entgegenstellt. Gewiß ist es wichtig, was einer bekennt; aber noch wichtiger ist es, w i e er es bekennt. Dieses Wie ist kein ästhetisches und nicht einmal ein ethisches; es geht um Realität im genauesten Sinn, um die ganze Realität, im Verhältnis zu der das Ästhetische und das Ethische nur Abstraktionen sind. Wohnt eine Weltanschauung im Kopf oder im ganzen Menschen bis in die Fingerspitzen? Lebt sie in den Stunden der Proklamation oder noch in den stillen Privatzeiten seines Lebens? Verwendet er sie oder gibt er sich ihr her? Das ist die Scheidung zwischen Realgesinnung und Fiktivgesinnung, zwischen der Gesinnung, die verwirklicht wird, bis sie ganz in die Wirklichkeit eingegangen ist, und der Gesinnung, die flott *
In RüE ist »übertünchte Niederlage« durch »dessen Vortäuschung« ersetzt.
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Bildung und Weltanschauung
durchgesetzt und durchgesetzt wird, bis nichts von ihr übriggeblieben ist. Es gilt die lebensmäßige Verantwortung der Person für das Haben einer Weltanschauung; die kann mir meine Gruppe nicht abnehmen, sie darf es nicht. Man rede nicht von »Individualismus«! Wohl geht es um Personen, aber nicht um der Personen willen; es geht um sie um der Zukunft willen. Ob im Bereich irgendeiner Weltanschauung die Menschen der Realgesinnung oder die Menschen der Fiktivgesinnung bestimmend sind, ob die zu treffenden Entscheidungen von der existenziellen Verantwortung aus getroffen werden oder nicht, was sich an der inneren Front begibt, die quer durch jede Weltanschauung sich zwischen Wahrheit und Lüge hinzieht, davon hängt noch mehr ab als davon, ob diese Weltanschauung »siegt« oder nicht; denn davon hängt ab, ob der geschichtlich verzeichnete Sieg dies und nicht etwa die Katastrophe ist. Wie weit die künftige Gemeinschaft dem Wunschbild entsprechen wird, hängt von der Wesenshaltung der gegenwärtigen Personen – nicht der führenden allein, sondern jedes Einzelnen – wesentlich ab. Das Ziel steht nicht fest und wartet; wer einen Weg einschlägt, der nicht schon in seiner Art die Art des Zieles darstellt, wird es verfehlen, so starr er es im Auge behielt; das Ziel, das er erreicht, wird nicht anders aussehen als der Weg, auf dem er es erreichte. Wir leben – man muß es immer wieder sagen – in einer Zeit, in der Schlag auf Schlag die großen Träume, die großen Hoffnungen des Menschenvolks sich erfüllen: als ihre eignen Karikaturen. 3 Was ist die Ursache all dieses massiven Scheins? Ich weiß keine andre als die Macht der Fiktivgesinnung. Diese Macht nenne ich die Ungebildetheit des Menschen dieses Zeitalters. Gegen sie steht die zeitwahre, zeitgerechte Bildung, die den Menschen hinführt zum gelebten Zusammenhang mit seiner Welt und ihn von da aufsteigen läßt zu Treue, zu Erprobung, zu Bewährung, zu Verantwortung, zu Entscheidung. Die Bildungsarbeit, die ich meine, ist Führung zu Wirklichkeit und Verwirklichung. Der Mensch ist zu bilden, der zwischen Schein und Wirklichkeit, zwischen Scheinverwirklichung und echter Verwirklichung zu scheiden weiß, der den Schein verwirft und die Wirklichkeit erwählt und ergreift, gleichviel welche Weltanschauung er erwähle. Diese Bildungsarbeit erzieht die Angehörigen aller Weltanschauungen zur Echtheit und zur Wahrheit, sie erzieht jeden dazu, mit seiner Weltanschauung Ernst zu machen von der Echtheit des Grundes aus und auf die Wahrheit des Zieles zu.
3.
Gemeint sind Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus.
Buber 8 (02684) / p. 287 / 12.10.6
Das Haltende Ein Wort an die jüdische Jugend Deutschlands »Worauf kommt es für uns heute an?« fragt einer. Und einer antwortet: »Auf Haltung«. Aber was ist damit gesagt? Kann man eine Haltung annehmen, ohne sie eben dadurch zu verfehlen? Ist eine angenommene, nicht von selber gewordene, Haltung nicht unwirklich? Verrät sie ihre Unwirklichkeit nicht durch ihre augenscheinliche Gewolltheit, ihre – Gezwungenheit? Haltung muß von selber geworden sein, um wirklich zu sein. Aber wie wird Haltung? Unter welchen Umständen wird sie? Wann hat ein Mensch Haltung, ohne sie angenommen zu haben? Haltung hat, wer Halt hat. Wer auf einem so unerschütterlichen Grunde steht, daß dessen Unerschütterlichkeit sich ihm bis in Herz und Rükkenmark mitteilt und all seinen Gliedern, Organen, bewegenden Kräften den einigen Zusammenhalt verleiht, der braucht in den Wechselfällen, die sein Gleichgewicht bedrohen, sich nicht erst auf Haltung zu besinnen: sie ergibt sich, sie stellt sich ein, sie ist da. Aber kann man sich denn einen Halt geben? Gilt nicht für ihn erst recht, was für eine Haltung gilt? Muß nicht ein Halt, den ich selbst hergestellt habe, trügen? Wie könnte das mir die Urgewißheit des Nicht-erschüttert-werden-könnens einflößen, was von mir gemacht worden ist? In der Tat, man kann sich nicht selber halten. Aber man kann sich halten lassen. Wenn da nämlich ein Haltendes ist, das einen halten will. Man kann sich den Halt nicht geben, aber man kann ihn sich geben lassen. Wenn da nämlich ein unerschütterlicher Grund ist, der nur wartet, daß ich mich auf ihn stelle. Es ist nur not, daß ich mich auf ihn stelle, daß ich mich von ihm halten lasse, – das nimmt er mir nicht ab. Der Grund ist da. Das Haltende ist da. Ist es das »Judentum«? – Ein Tum unter Tümern? Das ist noch zu wenig. Es kann nur jenes Urjudentum sein, das eben in Wahrheit kein Tum ist, sondern Israel. Nein, noch nicht tragend genug! Es können nur die »Mächte« (Genesis 20,13) sein, die Israel aus den Tümern hervorholten und in sein Geschick schickten. Ihnen vertraut euch an! Sie halten, wer sich von ihnen halten läßt.
Buber 8 (02684) / p. 288 / 12.10.6
Die Vorurteile der Jugend Ansprache an die jüdische Jugend, gehalten in Prag am 13. Jänner 19371 Als ich vor 28 Jahren zum ersten Mal in Prag 2 sprach, hatte ich einen Eindruck, der auf mich stark eingewirkt und das, was ich damals und später hier sagte, stark beeinflußt hat. Es war der Eindruck, daß es hier Jugend gibt, wirklich junge Menschen. Das war für mich damals wichtig und ist es geblieben. Es ist für mich wichtig, Jugend zu finden, weil die Tatsache, daß es Jugend gibt, einem immer wieder zeigt, daß es A n f a n g gibt. Das stärkt meine Hoffnung, daß die Last, die wir zu schleppen haben, nicht eine ist, die uns zu Boden drücken muß, meine Gewißheit, daß all die Widersprüche und Gegensätze der gegenwärtigen Welt, in die wir gespannt sind, uns nicht unüberwindlich erscheinen dürfen. Es gibt ein Beginnen. Man fängt an; es gibt eine Chance, eine neue Chance, weil eben Menschen beginnen. In der Tatsache, daß jetzt von neuem Menschen aufwachsen und in die Gesellschaft, in die Geschichte eintreten, liegt genug, um nicht zu verzweifeln. Die Jugend verwirklicht ja zumeist nicht, was man erhoffte. Aber etwas bleibt. Es gibt immer wieder Menschen, die das Wesentliche ihrer Jugend bewahren, die ihr treu bleiben, die, vom bürgerlichen Leben aufgenommen, doch etwas davon lebensmäßig zu realisieren suchen, was sie, als sie jung waren, stürmisch ersehnt und verkündigt haben. Diese Menschen, die treu bleiben, die nicht mit der Jugend auch deren Sinn und deren Ideal verlieren, sind die Bürgschaft für den Zusammenhang eines Menschentums und für dessen Zusammenschluß zu etwas, was verdienen könnte, Menschheit zu heißen. Es ist demnach nicht so, daß ich zur Jugend einfach das Verhältnis der Zuversicht hätte und daher mit der Jugend, wie sie ist, jeweils zufrieden wäre. Weil ich immer wieder mit jungen Leuten gelebt habe und eine Generation nach der andern, soweit sie zu mir kommen wollte, annahm und mich mit ihr abgab, stehe ich immer wieder kritisch zur Jugend und sage ihr, was meiner Wahrnehmung nach ihr fehlt, was an ihr nicht stimmt, und zwar eben von jener Hoffnung, von jener Chance des Begin-
1. 2.
[Anm. Druckvorlage:] Hier ist im Druck eingefügt »von Martin Buber«, »Martin Buber« in handschriftlichem Faksimile. Buber hielt seine erste Rede »Die Juden und das Judentum« 1909 in Prag auf Einladung der Studentenvereinigung Bar Kochba. Siehe Drei Reden über das Judentum, 1911 (MBB 112), wieder abgedruckt in der JuJ, S. 9-18.
Buber 8 (02684) / p. 289 / 12.10.6
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nens aus gesehen. Meine Kritik an der Jugend ist eine um der ewigen Jugend willen. Darum möchte ich euch etwas deutlich machen, was die jungen Menschen von heute anscheinend noch nirgends gemerkt haben, daß nämlich d i e J u g e n d v o n h e u t e v o l l e r Vo r u r t e i l e i s t . Wißt ihr, was das ist: Vorurteile?* Die Jugend pflegt sie als etwas den Alten Eigentümliches zu behandeln, wogegen sie selbst vermeint, unbefangen, unbeschwert von Vorurteilen zu sein. Aber so verhält es sich nicht. Vorurteile sind Urteile, die man bildet, ehe man die Erfahrung gemacht hat, auf die allein das Urteil sich gründen könnte. Man sollte also fast annehmen, die Alten könnten keine Vorurteile haben, da sie doch genügend Erfahrung besitzen. Aber es ist leider so, daß die von den Menschen auf Grund der Erfahrungen ihres Lebens gebildeten Urteile sich zumeist verkrusten und die Menschen hindern, neue, aufrüttelnde Erfahrungen zu machen und daraus neue rechtschaffene Urteile zu schöpfen. Wie verhält es sich aber mit der Jugend? Eigentlich wehrt sich die Jugend trotz ihres Erfahrungsdurstes gegen das »Machen von Erfahrungen«. Sie fängt mit einer leidenschaftlichen Stellungnahme an, sie entscheidet sich aus Leidenschaft, sie erwählt, ergreift etwas und hält es nun fest, nicht wie etwas Verkrustetes, sondern wie eine glühende Materie, die man nicht starr werden lassen will. Aber gerade weil sie glühend bleiben soll, sträubt man sich, die Urteile, mit denen man gleichsam begann, mit neuen andersartigen Erfahrungen zu vergleichen. Man will keine Erfahrungen machen, die dem leidenschaftlich Ergriffenen widersprechen, die es in Frage stellen könnten. Man will nur noch das erfahren, was einem die »Stellungnahme« bestätigt. Vorurteile sind nicht schlechthin vom Übel. Es gibt welche, die den Menschen stark machen und zugleich aufgeschlossen lassen, so daß er zwar weiß, wie er zur Welt steht, aber nicht von ihr abgeriegelt ist. Es gibt aber auch Vorurteile, die den Menschen von der Welt absperren: Da darf nichts mehr herein, dieser Mensch ist schon »besetzt«. Im Gang des Lebens ist mir eins immer klarer geworden: es kommt für den Menschen vor allem darauf an, d a ß e r s e i n e A u f g e s c h l o s s e n h e i t n i c h t v e r l i e r e . Die rechte Aufgeschlossenheit ist das kostbarste menschliche Gut. Ich sage: die rechte Aufgeschlossenheit. Man kann einen Standort haben und leidenschaftlich auf ihm beharren, aber man muß dabei der ganzen Welt offen bleiben und sehen, was es zu sehen gibt, und erfahren, *
Der gesamte erste Abschnitt ist in JR gestrichen. In JR sind Zwischenüberschriften eingefügt, an dieser Stelle »Ja und Nein«.
Buber 8 (02684) / p. 290 / 12.10.6
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was man erfahren kann, und alle Erfahrung einbeziehen in die Ausarbeitung dessen, wofür man sich entschieden hat, so daß dieses eine stete Wandlung erfährt und doch das bleibt, was es ist, nur in immer tieferer, immer wirklichkeitsgerechterer Einsicht. Beides zusammen tut not, der feste Standort und daß er einen nicht wie ein Fußeisen gefangen halte. Frei muß man da stehen, wo man steht, und der Welt unbefangen inne werden.* Wie ein Vorurteil je nachdem gut oder schlimm sein kann, mögt ihr euch zuerst an dem Beispiel des Vorurteils deutlich machen, das die Jugend gewöhnlich und besonders in unserer Zeit gegen die Geschichte hegt. Die Jugend stellt sich gern vor, daß heute mit ihr die Welt anfange: »Was die Alten gemacht haben, ist ja doch nur Patzerei; wir werden alles anders machen«. Darin steckt etwas Schönes und Fruchtbares; damit die Jugend etwas zustande bringe, muß sie sich etwas zutrauen. Aber dasselbe Vorurteil wird hinderlich und gefährlich für die Generation, wenn sie sich von ihm her der Einwirkung dessen, was bis auf sie geschehen ist und sie selber hervorgebracht hat, verschließt; wenn der lebendige Strom der Überlieferung keinen Eingang mehr zu ihrer Seele findet. Dann wird sie von den ewigen Werten, die sie in dieser Zeit und in ihrer eigenen Art darstellen und verwirklichen sollte, abgedrängt; ihr Verwirklichungsdrang hat mit der Urwirklichkeit des Seins selber keine Verbundenheit mehr. Gewiß, jedes neue Geschlecht ist ein neuer Ring in der großen Kette, und jeder neue Ring muß in der Leidenschaft seines Neu-Daseins durchglüht werden, um den andern als ein neues Glied angereiht werden zu können. Aber beides gehört eben zusammen: die Leidenschaft des Neubeginns und das Sich-einfügen-können. Man muß zutiefst wissen: Die Geschlechter, die mich hervorgebracht haben, trage ich in mir, und was ich an Neuem tue, das erhält erst von da her seinen eigentlichen Sinn.* Die Vorurteile, von denen ich zu euch reden will, sind der heutigen Jugend überhaupt gemeinsam. Dennoch hat jedes einzelne davon in unserem Volke sein besonderes Gewicht und seine besondere Bedenklichkeit. Alles ist bei uns ja doch anders, beladener, folgenreicher, gefährlicher, und zwar deshalb, weil wir das labilste aller Völker sind. Eben deshalb trifft mich das in unserer gegenwärtigen Jugend so häufige Vorurteil gegen den G e i s t am schwersten, wie gut ich auch seine Entstehung begreife. Es ist wohl zu verstehen, daß viele sich heute dagegen wehren, an den Geist zu glauben, ihm zu vertrauen. Denn das Men* *
In JR ist die Überschrift »Geschichte« eingefügt. In JR ist die Überschrift »Geist« eingefügt.
Buber 8 (02684) / p. 291 / 12.10.6
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schengeschlecht hat mit dem Geist im letzten Vierteljahrhundert im allgemeinen keine guten Erfahrungen gemacht. Er hat in Zeiten, wo es galt, daß er sein Wort in die Geschichte hineinspreche, daß er denen, die Geschichte machten oder zu machen schienen, die Wahrheit über ihr Tun und Unterlassen sage, nicht bloß geschwiegen, sondern auch falsch geredet. Er hat sich vielfach zum Werkzeug hergegeben, wo er berufen gewesen wäre, aus sich selber rügend und richtend zu wirken. Zugleich aber hat er sich immer wieder über der Welt im Raum der in sich kreisenden Ideen einen großartig unverbindlichen Bereich eingerichtet. Wo der Geist dies getan hat, hat er das verloren gegeben, was ihn, vor allem in den Krisenzeiten, recht eigentlich erst legitimiert, nämlich, daß er jederzeit bereit ist, sich der Wirklichkeit auszusetzen, sich an ihr auszuwirken und auszuweisen. Bedeutet diese Schuld des Geistes an unserer Zeit aber, daß er abdanken solle? Seine Lage erinnert mich an die alte Geschichte von dem König und dem bösen Geist. 3 Es geschah eines Tags, daß der König von seinem Thron in die Wildnis versetzt wurde, auf dem Thron aber saß sein Dämon, der die Gewandung, das Gesicht, das Gebaren des Königs hatte, so daß niemand daran zweifelte, daß dies der König sei. Aber ein Teufel kann, welche Gestalt er auch annehme, nicht aufhören, ein Teufel zu sein, und den Untertanen wurde es immer beschwerlicher und peinvoller, anzusehen, was ihr König anstellte. Da empörten sie sich gegen ihn und wollten ihm nicht mehr gehorchen. Keinen von ihnen aber kam in den Sinn, daß einer, der solches tut, ja gar nicht der König sein könne, und daß man hinausgehen müßte, den wahren König zu suchen, – der indessen in der Wildnis nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege. Es ist freilich nicht leicht, in einer solchen Situation auf den richtigen Gedanken zu kommen. So aber eben verhält es sich mit dem Geist. Was dem Geist vorgeworfen wird, hat ein Scheingeist getan, der wie der wahre aussah und viele zu blenden vermochte. Die praktische Folgerung, die daraus zu ziehen ist, ist nicht, dem Geist abzusagen, sondern sich von dem falschen König dem wahren zuzuwenden, und, wenn er nicht anderswo zu finden ist, in die Wildnis hinauszuziehen, um ihn zu suchen. So steht es um das Vorurteil gegen den Geist. Mögen aber andere auch zuweilen ohne den Geist auszukommen suchen und dabei nicht Gefahr laufen das Leben einzubüssen, – wenn wir Juden uns dessen unterfingen, würden wir uns selbst verlieren. Hören wir auf, an die Mächtigkeit des 3.
[Anm. Druckvorlage:] Ich gebe hier die Geschichte von Salomo und Aschmodai nicht in ihrer bekannten aggadischen Fassung wieder, sondern wie sie mir in meiner Kindheit von meiner Grossmutter erzählt worden ist.
Buber 8 (02684) / p. 292 / 12.10.6
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Geistes zu glauben und für sie einzustehen, dann heben wir unser eigenes Daseinsrecht und unseren eigenen Daseinsgrund auf. Wir haben keine Bestimmung und keine Zukunft mehr.* Nah dem Vorurteil gegen den Geist ist das gegen die Wa h r h e i t . Das hängt mit einer Lehre zusammen, die im letzten Vierteljahrhundert immer mehr um sich gegriffen hat, der Lehre von der Relativität der Wahrheit. In ihrer praktisch wirksam gewordenen Form besagt diese Lehre, daß es eine wirkliche Wahrheit für den Menschen nicht gebe, sondern für jeden ein Etwas, was er für wahr hält, was aber durch und durch von dem gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem er aufwuchs, und von der seelischen Beschaffenheit, die ihm eigen ist, bestimmt sei. Der Mensch stehe eben in einer Vielfältigkeit äußerer und innerer Bedingtheiten, und diese vielfältige Bedingtheit stelle sich auch darin dar, was er für wahr halte und als wahr bezeichne. Diese Lehre ist richtig und falsch zugleich. Gewiß wäre es verkehrt, den Menschen als ein Gefäß anzusehen, das eine hineingeschüttete allgemeine Wahrheit aufzunehmen vermag. Gewiß kann jeder nur von seinem Sosein aus erkennen, denken und sich äußern, gewiß hängen wir darin von der sozialen Schicht, in der wir stecken, und von den psychischen Schichten, die in uns stecken, mannigfach ab. Aber das Merkwürdigste an uns Menschen ist doch dies, daß es in unserm Leben vulkanische Stunden gibt, in denen es drunter und drüber geht und ein Durchbruch geschieht: das Übermaß der Bedingtheit ist uns unerträglich geworden, wir brechen aus und greifen mit beiden Händen ins Dunkel, nach einer durch all dies nicht bedingten, nach einer unbedingten Wahrheit. Wir werben, wir ringen um sie. Gewiß bekommen wir auch dann die Wahrheit nicht zu fassen, gewiß werden wir die Bedingtheit, die unser Schicksal ist, nicht los, und doch ist etwas anders geworden, doch dringt ein Unbedingtes in unsere Bedingtheit ein, durchdringt sie. Etwas uns vordem Undenkbares ist denkbar und sagbar geworden, und dieses Etwas gehört in die Reihe jener unvorsehbaren Dinge, die die Welt erneuern. Dieses Ausbrechen der menschlichen Person in die Begegnung mit der Wahrheit ist das, was jeweils Entscheidung bringt und den Weg wendet. Es ist die Geburt der Seele im Menschen und im Menschentum, immer neu. Unsere Zeit und mit ihr auch ihre Jugend hat sich dieser Grundtatsache unseres Lebens entfremdet. Aus dem Zweifel an dem Berühren-können der Wahrheit gerät die Zeit und ihre Jugend mit ihr immer mehr dahin, den relativierten Begriff der Wahrheit nun auch noch zu verzwecken, so nämlich, daß man nur noch darauf aus ist, etwas als »wahr« zur Geltung *
In JR ist die Überschrift »Wahrheit« eingefügt.
Buber 8 (02684) / p. 293 / 12.10.6
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zu bringen, was der eigenen »Sache« dient, selber aber gar nicht mehr darauf sinnt, Wahrheit zu suchen, ja eine solche Suche wohl gar als unsinnig verwirft. Man begnügt sich schließlich damit, den alten Aberglauben der Menschen, daß es Wahrheit gebe, auszunützen. Aber wie verhält es sich wirklich? Gibt es für uns eine Wahrheit, können wir eine besitzen? Können wir sie uns aneignen? Gewiß gibt es keine, die man nehmen und in die Tasche stecken kann. Aber es gibt ein redliches, rückhaltloses Verhalten der menschlichen Person zur Wahrheit, es gibt ein rechtmäßiges Verhältnis zu ihr, daß der Mensch mit seinem ganzen Leben bewahrt und bewährt. Es gibt dies, daß der Mensch um die Wahrheit dienen kann, sieben Jahre und noch einmal sieben Jahre, und er kriegt sie auch darnach nicht, aber sein Verhältnis zu ihr ist immer echter, immer wahrer, immer mehr selber Wahrheit geworden. Dieses Verhältnis zur Wahrheit entsteht aber eben dadurch, daß der Mensch seine Bedingtheiten durchbricht, nicht um sie abzustreifen – das wird er nie vermögen –, aber um etwas von der Unbedingtheit zu erspüren, etwas von ihr einzuatmen. Dieses Etwas ist es, das hinfort das Verhältnis dieses Menschen zur Wahrheit belebt. Menschliche Wahrheit wird, indem man mit seinem ganzen Leben sein Verhältnis zur Wahrheit zu verwirklichen sucht; und Mitteilung der menschlichen Wahrheit wird, wenn man sich in seiner Mitteilung selber einsetzt und mit seinem Selbst für sie einsteht.* Damit habe ich ein weiteres Grundwichtiges berührt: das Leben in der persönlichen Verantwortung. Aber gerade gegen diese, gegen die Ve r a n t w o r t u n g richtet sich ein anderes Vorurteil der Jugend. Auch dieses Vorurteil wirft etwas Richtiges mit etwas Falschem zusammen, die gerechte Kritik an einem Individualismus, der den einzelnen Menschen als Sinn und Ziel des Ganzen ansah, und den verhängnisvoll ungerechten Widerspruch gegen die Einsicht, daß wirkliche Gemeinschaft zwischen Menschen nur aus der Verwirklichung ihrer Verantwortung für einander entstehen kann, und daß insbesondre eine Gemeinschaftskrisis wie die gegenwärtige nur so, wenn überhaupt, überwunden werden kann, daß der Einzelne sein Verhältnis zur Situation in allem Ernst als persönliche Verantwortung trägt und austrägt. Vor diesem Standhalten-sollen flüchtet der Mensch dieser Zeit und leider auch der junge Mensch in die Zugehörigkeit zu einem »Kollektiv«, für das er sich nicht öfter als einmal zu entscheiden braucht, und das ihn hinfort aller Verantwortungssorgen enthebt. Nun vermeint er unbekümmert an der Durchsetzung eines allgemeinen Zwecks mitwirken zu dürfen, ohne jeweils sich selbst ernstlich *
In JR ist die Überschrift »Verantwortung« eingefügt.
Buber 8 (02684) / p. 294 / 12.10.6
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befragen zu müssen, ob dieses und jenes Mittel des Zwecks würdig und ihm angemessen ist, ja ob der durch solche Mittel entheiligte und sodann erreichte Zweck überhaupt noch Wesentliches mit dem gemein hat, auf dessen Erreichung man ausgegangen war. Ich will mit diesem Hinweis nicht sagen, daß unsere Jugend nicht in Kollektivitäten, in Gruppen und für sie zu wirken hätte. Im Gegenteil. Die Zugehörigkeit zu der Gruppe muß ja nicht eine Flucht vor dem immer neuen und immer anderen Verantworten-müssen sein, sondern sie kann die Stätte der eigentlichen und schwersten Verantwortung und deren stete Erprobung sein, und wenn sie es ist, kann sich der verantwortende Mensch wohl nirgends so tief und so ganz wie hier bewähren. Es gilt dann eben für den einzelnen Menschen, auch für den einzelnen jungen Menschen, zugleich seiner Gruppe mit aller leidenschaftlichen und leidenschaftlich tätigen, leidenschaftlich kämpferischen Liebe anzugehören, und aber auch im Inneren der Gruppe, von keines Losungswortes Gewalt eingeschüchtert, für das Rechte einzutreten, für die würdigen und angemessenen Mittel also gegen die unwürdigen und unangemessenen, für die echte Verwirklichung gegen die leere Durchsetzung, und sich wie in dem äußern Kampf für den gerechten Anspruch der Gruppe, so auch in dem innern Kampf gegen ungerechte Auslegungen und Anwendungen einzusetzen, mit der ganzen verantwortlichen Person.* Aber nicht bloß von der Kollektivität aus droht dem Einzelmenschen eine Entpersönlichung. Auch der nächste Bereich der Person, der Wirklichkeitsgehalt ihrer persönlichen Beziehungen, ist in Frage gestellt. Ich meine das überall in der Lebensgestaltung der Jugend sichtbar werdende Vorurteil gegen die U n m i t t e l b a r k e i t . Wieder hat es mit einem begründeten Protest angefangen, mit dem gegen die Überschätzung der individuellen Gefühlssphäre, gegen die Sentimentalisierung des Lebens in ihren modernen Formen. Mit dieser aber hat man zugleich etwas unendlich Wertvolles aufgegeben, die rückhaltlose persönliche Unmittelbarkeit zwischen Mensch und Mensch; eine Versachlichung ist in den zwischenmenschlichen Raum getreten, die auch zwischen Gleichgesinnten oft ein eigentümliches Mißtrauen, ein scheinüberlegenes Abschätzen und Aburteilen, eine Ferne in der Nähe bewirkt. Nur noch selten schließt sich der eine dem anderen unbefangen auf; man hält sich zurück, man beobachtet, man rechnet und rechtet. Der andere ist nicht mehr eine persönliche Welt wie ich, die ich von meiner eigenen aus mir vergegenwärtige und in der Vergegenwärtigung bejahe, er ist eine Summe von Eigenschaften, die mir mehr oder weniger verwendbar, ein Bün*
In JR ist die Überschrift »Unmittelbarkeit« eingefügt.
Buber 8 (02684) / p. 295 / 12.10.6
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del von Kräften, die mir mehr oder weniger aktivierbar erscheinen. Und daran ändert sich im letzten Grunde nichts, wenn der Zweck, von dem aus diese Brauchbarkeit festgestellt wird, kein individueller, sondern ein allgemeiner ist. Ja, man muß, wenn es um einen Gemeinschaftszweck geht, darauf hinweisen, daß durch solch eine Zweckbetrachtung des Gefährten der Fruchtboden der Gemeinschaft, das Geheimnis ihres organischen Lebens, zersetzt wird. Es kann nur dann gedeihen, wenn es sich überall, also zwischen je einem und je einem Gliede der Schar, ungehemmt entfalten darf. Wenn vollends auch das innerste Gut, die persönliche Liebe selbst, in den Betrieb gezogen und ihm unterworfen wird, muß auch das Innerste absterben.* Alle Vorurteile, auf die ich aufmerksam gemacht habe, hängen in der einen oder anderen Weise mit einem letzten oder vielmehr vorletzten Vorurteil zusammen, mit dem gegen den G l a u b e n . Auch dieses hat seine Begründung und teilweise Rechtfertigung: in der Tatsache, daß die religiösen Ordnungen und Anstalten, die die objektiven Darstellungen der Glaubenswirklichkeit sein sollten, so oft und vielfältig dem echten Glauben und seiner Wahrheit zuwider gehandelt und sich dem Glaubenden entgegengestellt, sich gegen sein schlichtes Dasein für das jeweils in der Welt Mächtige und Gültige eingesetzt haben. Dieses vordergründige Fehlgeschehen hat in seinen Wirkungen auf die Seele der in der Krisis heranwachsenden Geschlechter den Glauben mitbetroffen, es hat ihn entwertet. Wieder wird mit dem Falschen das Rechte verlassen. Der wirkliche Glaube meint nicht, daß man in fertigen Formeln bekenne, was man für wahr halte. Er meint vielmehr, daß man dem unbedingten Geheimnis, das uns in unserem Leben überall antritt und sich in keine Formel fassen läßt, aufgeschlossen bleibt, und daß man von den Wurzeln seines Wesens aus allzeit bereit ist, mit diesem Geheimnis wirklich wie ein Wesen mit einem anderen Wesen zu leben. Der wirkliche Glaube bedeutet eigentlich, daß man das Leben mit dem Geheimnis aushält. Ich kann nicht erwarten, daß ihr das, was ich euch jetzt sage, jetzt schon versteht. Aber ihr könnt es im Gedächtnis bewahren für die Stunde, wo Erfahrungen eures eigenen Lebens euch daran erinnern und sich von hier aus deuten lassen werden. Denn die Gestalten, in denen uns das Geheimnis antritt, sind eben die Erfahrungen unseres eigenen persönlichen Lebens. In diesen immer neuen, unvorhersehbaren, überraschenden, überstürzenden, überwältigenden Erscheinungen das Leben mit dem Geheimnis auszuhalten, ihm standzuhalten, ist zuweilen sehr schwer. Aber es gibt auch eine Hilfe, es gibt auch Helfer dabei. Das ist die leben*
In JR ist die Überschrift »Glaube« eingefügt.
Buber 8 (02684) / p. 296 / 12.10.6
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dige Überlieferung der Menschen, die wahrhaft mit dem Geheimnis gelebt haben, und vor allem der Menschen unserer Art und unserer Botschaft. Sie helfen uns durch die reine Kraft, mit der sie das Geheimnis erfuhren, ihm gegenübertraten und sich ihm angelobten. Denn Glauben heißt recht eigentlich Sichangeloben. Ich weiß wohl, all dies Gewesene kommt in einer erstarrten, versteiften Form durch den Religionsapparat zu uns. Aber es kann aufgelockert werden. Dann führt wieder ein Zugang zu jenem aus Gelebtem lebendig Überlieferten, bis hin zum Leben unserer Bibel, ja unmittelbar zu ihr. Auch wir können noch aus den schwarzen Lettern hervor die Stimme hören.* Aber dies führt uns auf die Frage nach dem letzten und äußersten Vorurteil hin, das sich hinter dem gegen den Glauben birgt, dem Vorurteil gegen G o t t . Es wird erzählt, daß unter Kaiser Tiberius ein unweit von Epirus kreuzendes Schiff von einer der Inseln her einen klagenden Ruf vernahm, der dem Steuermann befahl, einer andern Küste zu melden, der große Pan 4 sei gestorben. In allen Zeiten des Menschengeschlechts gab es Göttertode zu melden. Aber erst in unserer hat ein Philosoph melden zu sollen vermeint, Gott sei tot. 5 Wenn man von einem Gott sagt, daß er tot sei, meint man, ob man es weiß oder nicht, die Wahrheit, daß die Gottesbilder vergehen, daß also eben jetzt ein Bild, das bislang als Gottesbild gesehen und angebetet wurde, nicht mehr so gesehen, nicht mehr angebetet werden kann. Was man Götter nennt, das ist ja nichts anderes als Gottesbilder und muß das Schicksal der Gottesbilder erleiden. Aber Nietzsche wollte offenbar etwas anderes sagen, und dieses andere ist in einer unsere Zeit kennzeichnenden Weise furchtbar falsch. Denn es heißt ein Bild, eines jener entstehenden und vergehenden Gottesbilder, mit dem wirklichen Gott verwechseln, an dessen Wirklichkeit die Menschen mit keinem dieser Bilder, so redlich sie sich auch jeweils bemühen, ihre besondere Anbetung einzugestalten, rühren können. Der Bildersturm der Stürmer und Stürzer der Gottesbilder muß je und je geschehen. Es ist die Seele des Menschen, die sich dagegen auflehnt, daß ein Bild, welches als Bild, als Bildnis nicht mehr geglaubt werden kann, erhöht und Anbetung heischend über den Häuptern stehe. Immer wieder unternehmen es die Menschen, aus ihrer Sehnsucht nach der Gottheit ein größeres, wahreres, 4. 5. *
Pan: griechischer Hirtengott, die Erzählung, die Buber hier referiert, findet sich bei Plutarch, De def.orac. 17. Vgl. F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, in: Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von G. Colli/M. Montinari, Abtl. 6, Bd. 1. In JR ist die Überschrift »Gott« eingefügt.
Buber 8 (02684) / p. 297 / 12.10.6
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gerechteres Bild aufzurichten, zu immer neuer Herrlichkeit und zu immer neuem Ungenügen. Jenes Gebot: »Du sollst dir kein Bild machen« bedeutet ja zugleich: »Du kannst dir keins machen«, und das bezieht sich selbstverständlich nicht bloß auf gemeißelte und gemalte Bilder, sondern auf all unsere Einbildung, auf all unser Vorstellungsvermögen. Der Mensch muß aber immer wieder Bilder machen, und er muß sie, wenn er erkennt, daß er keins machen kann, immer wieder zerstören. Die Bilder stürzen, aber die Stimme verstummt nicht. »Stimme in Reden hört ihr, aber keine Gestalt seht ihr, – Stimme allein« (V.M. 4,12). 6 Die Stimme spricht in den Zeichen all dessen, was geschieht, in allem Weltgeschehen zu den Menschen aller Geschlechter, fordert sie an, ruft sie zu ihrer Verantwortung auf. Ich habe zu Anfang darauf hingewiesen, daß es für den Menschen vor allem darauf ankommt, daß er seine Aufgeschlossenheit nicht verliere. Aufgeschlossen sein aber heißt eben dies: sich gegen die Stimme nicht verschließen, man nenne sie, wie man will. Es geht nicht darum, wie man sie nennt, es geht darum, daß man sie höre.* Wie aber wäre es möglich, all die unrechtmäßigen, eben am Hören hindernden Vorurteile zu überwinden? Wir haben gesehen, daß in jedem der Protest gegen etwas Entstelltes, Verzerrtes, Entartetes in den Aufruhr gegen das Ursprüngliche und Wahre übergeht und so das Rechtmäßige mit dem Unrechtmäßigen sich verquickt. Zu scheiden also ist zwischen diesem und jenem, die Linie ist zu ziehen, die das Falsche vom Echten trennt, und das Echte ist in seiner Wirklichkeit aufzusuchen und zu erkennen, um das Leben davon aufbauen zu lassen. Ich habe bisher vom Judentum nicht ausdrücklich gesprochen, aber ich habe in allem allgemein Gefaßten, was ich sagte, das Judentum besonders gemeint und auf es besonders hingezeigt. Auch in s e i n e r Tatsächlichkeit sind Falsches und Echtes verquickt. Aber in seiner Echtheit finden wir alles Echte, Ursprüngliche und Reine, das wir zur Überwindung der unrechtmäßigen Vorurteile brauchen, in einer großen Einheit vor: die Sinnhaftigkeit der Geschichte, die Mächtigkeit des Geistes, die Bewährbarkeit der Wahrheit, die Entscheidungskraft der persönlichen Verantwortung, die Unmittelbarkeit von Mensch zu Mensch und endlich den Glauben als Angelobung des ganzen Lebens an den Herrn der einen Stimme, der in all seinen Erscheinungen wiedererkannt werden will. All dies ist Urbotschaft des Judentums; und Aufgeschlossenheit jüdischer 6.
Das Bibelzitat aus Dtn 4,12 wird im Wiederabdruck in JuJ von Buber neu übersetzt.: »Ihr hört erschallen von Rede, doch ihr seht keine Gestalt, Schall allein.« (S. 720).
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In JR ist die Überschrift »Judentum« eingefügt.
Buber 8 (02684) / p. 298 / 12.10.6
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Die Vorurteile der Jugend
Menschen, einer jüdischen Jugend wäre es, sie sich aus ihren Urgründen zu erschließen. Um die große helfende Gewalt zu finden, die euch beistehen wird, die unrechtmäßigen Vorurteile zu überwinden, müßt ihr damit beginnen, diese Vorurteile abzustreifen, wo sie euch hindern, das echte ewige Judentum in seinem Wirklichkeitsgehalt zu erfahren. Das Ziel ist, diese Erfahrung in den Stoff unseres gegenwärtigen Lebens, eures Lebens, einzugestalten. Ziel ist das Leben und die Verwirklichung darin, aber um zu erfahren, muß man lernen. Wir müssen uns lernend verbinden mit dem, woher wir kommen. Das erreicht man aber noch nicht, wenn man sich mit dem Judentum begrifflich befaßt, und auch darin nicht, wenn man seine Geschichte studiert, so grundwichtig sie ist. Es gilt, zu dem unverfälschten Wort selber vorzudringen, vor allem also zu der großen Urkunde unseres Glaubens und unserer Angelobung in ihrer Urschrift. Das lebendige Wort muß man hören in der Sprache, in der es einst gesprochen und gehört worden ist. Tönend muß es euch wieder werden, dröhnend an euer Ohr, lebendig über die Zeiten hin sprechend zu euch. Es will von euch gehört werden. Lernt es hören!
Buber 8 (02684) / p. 299 / 12.10.6
13 Jahre Hebräische Universität Jerusalem Zur Zeit der Gründung der Hebräischen Universität wandte ich mich in Briefen an die führenden Funktionäre und warnte sie davor, eine Universität von der Art der Studienhäuser in den westlichen Ländern einzurichten, wie ich zuvor in meiner Jugend auch schon davor warnte, als man hierüber mit dem verstorbenen Berthold Feiwel und mit Dr. Ch. Weizmann, lange soll er leben, sprach. 1 Die von mir in diesem Zusammenhang angeführten Argumente lauteten: a) Uns ist verboten, die in westlichen Institutionen üblichen Formen unverändert in unser hebräisches Kulturgebäude hinein zu übernehmen. Wir sind zwar in der europäischen Zivilisation groß geworden und in ihr ausgebildet worden, doch können wir kaum noch an ihre schöpferische und fruchtbare Kraft glauben und die Zeichen des Zerfalls zeichnen sich vor unseren Augen immer deutlicher ab. Unser Projekt der Rückkehr ins Land unserer Väter ist mit unseren Zweifeln an die Lebenskraft und Lebenswahrheit des Westens gebunden. Es ist unsere Pflicht, im Rahmen dieses Projekts so viele besondere, unseren Einsichten angemessene, Institutionen als möglich zu schaffen. Dies ist eine schwere Aufgabe, denn suchten wir uns Institutionen aus den Ländern des Ostens als Vorbild zu nehmen, wäre dies ein künstliches und unnützes Unterfangen. Wir sind nicht mehr einfach Söhne des Morgenlandes und kraft unseres Willens können wir auch nicht wieder einfach Söhne des Morgenlandes werden. Wir müssen so sehr als möglich in der Geschichte unseres eigenen Geistes unserer Tradition gemäße, pädagogische Formen suchen, die zu verändern und den Forderungen unseres Lebens in dieser Generation entsprechend zu entwickeln, uns aufgetragen ist. b) In allen von uns in Israel zu errichtenden Institutionen müssen wir die realen Bedürfnisse Israels und des Yeshuvs zu Grunde legen. Als Zentrum der Diaspora ist es wohl unsere Aufgabe, nicht allein geistiges Zentrum, sondern organisches Zentrum allen Lebens, nicht im Sinne von Gehirn, sondern von Rückgrat, zu sein. Doch kann dieses Zentrum seine organi1.
Vgl. M. Buber/B. Feiwel/Ch. Weizmann, Eine jüdische Hochschule – Das Projekt einer jüdischen Hochschule, Berlin, Jüdischer Verlag 1902 (MBB 35, 36) und »Universität und Volkshochschule« (1924) in diesem Band, S. 132-135.
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sche Aufgabe nur erfüllen, wenn es sich zum lebensnotwendigen, durch die besonderen Lebensbedingungen seines Ortes konditionierten Glied entwickelt. Es steht in unserer Kraft, der Diaspora großen Segen zu bringen, allein, wenn wir hier eine ihrem Ort gemäße Sache gründen werden. Nicht ein Gebäude, das an jedem anderen Orte in den Ländern der Diaspora hätte gebaut werden können – sondern ein Gebäude, das an diesen Ort und allein an diesen Ort gehört. Nicht eine Ausstellung, zu der Gäste aus allen Ecken der Diaspora kommen und durch die sie angesichts der sich ihrem Geiste darbietenden Entdeckung in Erstaunen versetzt werden, sondern ein öffentliches Gebäude, in dem die Öffentlichkeit in Israel das vorfindet, was dieses seinen Lebensbedürfnissen und seiner Entwicklung nach benötigt. Wir müssen den realen Bedürfnissen des Yeshuvs Aufmerksamkeit schenken und nicht den der öffentlichen Meinung nach notwendigen Bedürfnissen. Die öffentliche Meinung zeugt nicht immer von den wirklichen Bedürfnissen. Die Darlegung der Notwendigkeit vor den Augen der Öffentlichkeit – dies ist eine der Aufgaben wahrer geistiger Anführer. Wir bedürfen einer »universitas«, nicht eines Wissen aller Art umfassenden Colleges, welches Jahr für Jahr Klassen von mit Zertifikaten versehenen Studienabgängern aller Art hervorbringt; Intellektuelle, die zu unterhalten nicht in der Kraft einer Öffentlichkeit steht, die um ihre Existenz kämpft. Was wir benötigen ist: a) alle für die Wirtschaft Israels, für die sozialen Bedürfnisse der Öffentlichkeit, für die Gesundheitsbedürfnisse des Volkes usw. notwendigen Forschungsinstitute – zur Fundierung unserer Stellung; b) jene das Fundament einer wahren hebräische Kultur bildenden Lehrstühle und Seminare; c) ein großes Institut zur Volkserziehung, das jenen Menschentyp lehrt, der gebraucht wird, um dies gewaltige, in menschlicher wie in jüdischer Hinsicht beispiellose Projekt in die Tat umzusetzen – d i e Ve r w i r k l i c h u n g g e s e l l s c h a f t l i c h e r Gerechtigkeit. Dies sind meine Argumente, meine kritischen Forderungen zur Stunde, als die Universität gegründet werden sollte. Bis heute beanspruchen diese Argumente Gültigkeit. Auch heute noch sehe ich dies für richtig und notwendig an. Und dennoch habe ich mir auferlegt, für das Wohl dieser meinen Vorstellungen nicht entsprechenden Universität einzustehen. Immer mehr war ich bereit, den von den meinigen abweichenden und diesen selbst in manchem widersprechenden Forderungen zuzustimmen. Immer habe ich hervorgehoben, daß wir mit all unserer Kraft zum Bestehen und zur Verbesserung der Universität beitragen müssen. All jene, denen unsere Angelegenheiten am Herzen liegen, müssen die Sorge für die Univer-
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sität zu ihrer persönlichen Sorge machen, für sie tätig sein wie ein Mensch für seine eigenen privaten Angelegenheiten tätig ist. Wie bin ich zu dieser Position gekommen und wie begründe ich sie? Es gibt zwei Arten von Tätigkeiten im öffentlichen wie im privaten Leben. Die von der Ideenkraft ausgehende Tätigkeit, der Gestalten formende Geist, das Denken, verbindet sich mit dem Willen. Der Mensch ist tätig, um Lebenswahrheit in Lebensrealität umzuwandeln. Aufgrund von Hindernissen lernt der Mensch den ihm immanenten Widerspruch kennen und wird sich der jegliche Verwirklichung in der Welt zu einem schmerzhaften Unterfangen machenden Zweifel bewußt. Trotz all dem verändert sich etwas, geschieht, langsamer als er dachte, in abgeminderter Reinheit, jedoch spürt der Mensch darüberhinaus mehr und mehr, daß ihm nicht gegeben ist, ein Leben von dieser Art der Tätigkeit zu leben – ihm wird immer klarer, daß ihm eine andere Art der Tätigkeit aufgegeben ist, die er manchmal ablehnt, bis er schließlich gezwungen ist, sich eben mit dieser anderen Sache zu beschäftigen und Pläne zu schmieden, um sie mit Wissen und Willen auszuführen – hier ist von sich aus der Not heraus ergebender Tätigkeit zu sprechen. Die Nöte darf man nicht von vornherein als Stufen eines Planes betrachten; es besteht keinerlei logischer Zusammenhang zwischen ihnen. Sie überkommen uns und leiten uns an, zwingen uns, ihnen eine Antwort zu geben, zu reagieren, all unsere Kräfte zusammenzunehmen, um sie zu überwinden. Die Nöte sind gewaltige Boten, gewaltige und furchtbare Engel; sie nötigen uns zum Krieg. Es steht nicht im Vermögen des Menschen, einen Engel zu wählen. Das Christentum wählte Serafim und Cherubim von vielerlei Farben, aber in Wirklichkeit sind sie verbrennendes Feuer und den Cherubim dreht sich das Messer noch immer in der Hand um. Die Welt hat einen Zeitpunkt erreicht, an welchem sich die furchtbaren Engel erneut zeigen und wir spüren sie mehr als alle anderen Völker. Wir dürfen sie nicht aus den Augen lassen. Die Not beeinflußte auch meine Meinung bezüglich der Frage der Universität. Die Herrschaft jener starken Hand, die mein Freund Franz Rosenzweig, sein Andenken sei gesegnet, als »heiligen Zwang« bezeichnet hätte, die Bedingungen und die Ereignisse nötigten mich immer mehr, vor den wissensdurstigen jungen Leuten der Diaspora die Tore des wissenschaftlichen Instituts, in dem sie ungestört arbeiten und inmitten ihrer Brüder sein können, weit zu öffnen.
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So wie wir gerade eben den Wert des Landes Israel für die Einwanderung der Juden erkannt haben, wurden wir uns nun der Bedeutung der Universität für die Linderung der geistigen Not der Diaspora bewußt. Wir wissen nicht, wohin die Studenten all dies führen wird und vielleicht werden sie mit Beendigung ihrer Studien keinen Halt im Lande finden; doch müssen wir das tun, was uns aufgegeben ist, und dort, wo unser Können aufhört, erhebt sich die Hoffnung auf das Kommende, NichtVoraussehbare, der Glaube an das Maß des Erbarmens jener gewaltigen Engel, die uns ihre Gnade nicht vorenthalten werden, halten wir ihnen im Krieg stand.
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Nationale Erziehung Aus dem Vortrag Martin Bubers in Cerna˘ut¸i Es gibt zwei Grundauffassungen der Erziehung und ihrer Aufgaben. Für die erste bedeutet Erziehung: aus dem Kinde das h e r a u s z u h o l e n , was in ihm steckt. Es wird nichts an es herangetragen, sondern es werden nur die Störungen überwunden, die seine freie Entfaltung hemmen. Für die zweite Auffassung bedeutet Erziehung: Das Kind f o r m e n , es zu einer Gestalt heranbilden, die der Erzieher zuvor im Geiste schauen muß, um seiner Arbeit am Zögling die stete Richtung auf diese Gestalt hin zu geben. In diesem Falle verläßt sich also der Erzieher nicht auf die Veranlagung des Kindes, sondern er bemüht sich, das Kind nach dem vorausbestimmten Vorbilde zu entwickeln. Das Vorbild für die erste Auffassung ist der G ä r t n e r, der zwar den Boden düngt und bewässert, das junge Pflänzchen stützt und wucherndes Unkraut wegjätet, aber, wenn er dies getan hat und das Wetter ihm günstig ist, auf die Entwicklung vertraut, die sich schon im Keime ankündigt. Das Vorbild für die zweite Auffassung ist der B i l d h a u e r. Das Bild entsteht in der Seele des Künstlers, der es dann auf den Stoff überträgt. Freilich gibt es auch gottbegnadete Künstler, z. B. Michelangelo, die schon am unbehauenen Marmorblock die Eignung wahrnehmen, diese oder jene Gestalt anzunehmen. Die Bearbeitung wird von innen, von der Seele aus geleitet. Dort bedeutet Erziehung die P f l e g e einer werdenden Seele, hier die B e e i n f l u s s u n g einer Seele, daß aus ihr das werde, was der den Einfluß ausübende Erzieher als das Richtige empfindet. Dort neigt man dazu, den Menschen als gut anzusehen, aber die menschliche Person als vorherbestimmt, durch Disposition, von Geburt mitgebracht, hier wird der Mensch als problematisch, die menschliche Figur als bildsam angenommen. Die erste Art der Erziehung erfordert tiefe Demut, aber größere Passivität; die zweite starke Initiative, aber schwerere Verantwortung. In jeder Zeit echter starker Kultur gibt es ein Bild, das die Grundlage des Gemeinschaftslebens und das Ziel der Erziehung ist. Dieses Bild entstammt nicht dem Willen oder der Vorstellung einzelner, das tiefste Leben eines Zeitalters spricht sich in ihm aus. Diese Vorbilder sind so wenig erdacht, so sehr mit der Wirklichkeit der Epoche verwachsen, daß die gesamte gesellschaftliche Umgebung den Erziehern zu helfen scheint, ihr Ziel zu erreichen. In echten Kulturzentren entsteht eine Synthese der
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zweiten bildnerischen Art der Erziehung mit der ersteren und sie wirken zusammen. Von Kindheit an entsteht das elementare Verlangen, dem allgemein giltigen Bilde ähnlich zu werden. Mit dem Zerfall der europäischen Kulturtradition und Produktivität in der Zeit nach der französischen Revolution hört auch die Entstehung dieser Idealbilder auf. Mit diesem Aufhören der Entstehung neuer Bilder bekommt die gärtnerische Erziehung die Oberhand. Es folgt eine Epoche ohne starke kulturelle Selbständigkeit, aber mit reichem Kulturbesitz, wie es unsere Epoche ist. Die Bildungsarbeit ist nicht mehr von einem Idealbild bestimmt, das Ziel der Erziehung ist nun der s o g e n a n n t e g e b i l d e t e M e n s c h , der die sogenannte allgemeine Bildung besitzt. Was gehört zu dieser allgemeinen Bildung und was gehört nicht dazu? In der Epoche des idealen Typus war die Auswahl innerhalb des Bildungsstoffes vom jeweils herrschenden Bilde bestimmt. Man wählte das aus, was zur menschlichen Verwirklichung dieses Bildes taugte. Nun aber entscheidet über die Auswahl eine h u m a n i s t i s c h e Ko n v e n t i o n , die sich auf alte Kulturtraditionen gründet, eine r e a l i s t i s c h e Ko n v e n t i o n , die sich auf neue technische Aufgaben stützt und eine M i s c h u n g b e i d e r, die aufrichtiger Ratlosigkeit entsprungen und aus dem Willen entstanden ist, der Wahl zwischen jenen beiden zu entgehen. Auch der soziale Gedanke hat hier kein neues, einheitliches Bildungsziel zu setzen vermocht. Das ist darauf zurückzuführen, daß die moderne Klassengesellschaft nur das Wohin und nicht das Woher des Menschen kennt. Jede wirkliche Bildung muß auch mit dem Ursprung, mit der Geschichte, mit der Überlieferung verbunden sein. Man darf hoffen, daß mit der fortschreitenden Wandlung des sozialen Gedankens die abendländische Erziehung eine neue Richtung empfangen wird. Unabhängig von all dem sind jedoch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutsame Tendenzen zur Schaffung neuer Idealbilder als Ziel der Erziehung aufgetaucht. Diese Bilder gehen aber nicht mehr aus dem Wachstum einer Kultur hervor, den ihr gemäßen menschlichen Typus darzustellen, sondern sie gehen hervor aus der geschichtlichen Situation einer Gemeinschaft. Ich spreche von den Bewegungen der nationalen Befreiung. Die Völker, die im Laufe der Geschichte ihre Freiheit verloren und dazu auch die innere Freiheit eingebüßt hatten, erhoben sich in Bewegungen, in denen sich das Streben nach nationaler Wiedergeburt mit dem Kampf und die Befreiung vereinigte. Die geistigen Führer der Bewegungen erkannten die Notwendigkeit, einen menschlichen Typus zu erziehen, der, bis das Werk vollendet, bis die befreite Nation konstituiert ist, als Träger
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des Kampfes befähigt ist. Das Idealbild dieser Epoche ist es, einen Menschen zu schaffen, der der nationalen Aufgabe gewachsen ist, der den Kampf um die nationale Erneuerung führen soll. Es ist ein Bild, das nicht aus der Kultur, sondern aus einer Situation, aus einem Willen entstanden ist. Daß das menschliche Bild, das verwirklicht werden soll, kein willkürliches, sondern ein rechtmäßiges ist, das erkennen wir daran, daß das Volk in seiner Tatsächlichkeit nicht als Selbstzweck angesehen wird. Die nationale Erziehung steht hier unter einer übernationalen Norm. Unter den nationalen Bewegungen Europas gibt es eine – der polnische Messianismus –, die für uns merkwürdig ist. Ihr Führer, M i c k i e w i c z , verweist nachdrücklich auf die Nähe dieser Bewegung zum Judentum und den Propheten Israels. Nirgends in der Geschichte finden wir die Wahrheit, die in den Propheten Israels ausgesprochen ist, daß ein Volk nicht um seiner selbst willen da ist, sondern um die ihm eigentümliche Segenswirkung an dem Brudervolk zu vollbringen. Ein nationaler Egoismus mag Erfolge zu bringen scheinen, zuletzt führt er zur Katastrophe. Dieses prophetische Gesetz haben die geistigen Führer der nationalen Bewegungen sich zu eigen gemacht und zum Grundgesetz nationaler Erziehung erhaben. Es muß besonders beachtet werden, daß die nationale Bewegung einen Menschentypus zu erziehen bestrebt ist, der eine bestimmte geschichtliche Situation bewältigen soll. Es ist der Typus der Generation, die eine einmalige geschichtliche Tat, die nationale Befreiung, vollbringen soll. Der erstere Kulturtypus hatte einen Sinn, so lange die Kultur, die er vertrat, in Blüte war. Hier aber, beim Situationstypus, dauert Sinn und Richtung nur so lange, bis die Tat vollbracht ist. Die n a t i o n a l e E r z i e h u n g ist eine echte bildnerische Erziehung, so lange sie ein echtes Menschenbild vor sich sieht, eben den Träger der Befreiung. Über den historischen Vollzug der Befreiung hinaus hat sie kein echtes Menschenbild mehr vor sich, ist sie demnach keine echte bildnerische Erziehung mehr. Die Erziehung muß sich daher, wenn sie nicht in die nationalistische Konvention verfallen will, neue, weitere Aufgaben stellen. Diese Aufgaben können die Erzieher nicht erdenken. Jetzt erst entscheidet sich das eigentliche Schicksal des Volkes: Produktion oder Konvention. Nicht die nationale Befreiung ist das Maßgebende, sondern das N a c h h e r. Folgt ein offener Gedanke, oder erstickter, unfruchtbarer kollektiver Egoismus? Die sogenannte allgemeine Bildung kann kein wahres Ziel der Erziehung darstellen. Die gärtnerische Erziehung bringt kein ganzes Werk zustande. Das Ziel muß in der Erreichung einer neuen nationalen Humanität liegen. Wenn dagegen die nationale Erziehung anstatt eine übernationale Aufgabe für die Nation zu entdecken, nur noch die Nation
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als solche im Auge hat, wenn sie nichts mehr will, als zum Beispiel einen reinen Chinesen herstellen, dann verfällt sie einer neuen Konvention, der nationalistischen, die vielleicht die unfruchtbarste und schädlichste aller Konventionen ist. Der chinesische Weise ist ein echtes Idealbild, aber der reine Chinese als solcher ist eine Karikatur. Die humane Aufgabe, die im chinesischen Geist ruht, ist ein großes Ziel, aber die Züchtung des unverfälschten Chinesen führt in die Zoologie. Die nationalistische Konvention setzt an Stelle der mütterlichen Kräfte des Ursprungs einen abstrakten Zwang, an Stelle des fruchtbaren Verkehrs mit der Welt einen krampfhaften Egoismus, an Stelle des freien Sohnes eines freien Volkes die abgestempelte menschliche Fabriksware. Das ist in Wahrheit der Tod der nationalen Erziehung. Das j ü d i s c h e Vo l k unterscheidet sich von allen anderen dadurch, daß die seinem nationalen Leben gesetzten übernationalen Aufgaben nicht erst in einer späteren Epoche seiner Geschichte, in der Befreiungsbewegung zum Ausdruck gekommen sind, sondern schon in seiner frühestens Zeit schon am Anfang seines geschichtlichen Weges. Botschaft und Gebot der sozialen Gerechtigkeit sind von diesem geschichtlichen Wege schon in frühester Zeit nicht zu trennen. Die ersten Abschnitte unserer Bücher (Richter) bestehen in der Weissagung der Propheten: Israel müsse, wenn es in der Epoche seiner Selbständigkeit die Gebote der sozialen Gerechtigkeit nicht erfülle, ins Exil gehen und dort lernen, was Unrecht und was Gerechtigkeit ist. Kehrt es dann in sein Land zurück und beginnt dort das Königtum der Gerechtigkeit Gottes in seinem Gemeinschaftsleben und in den Beziehungen zur ganzen Umwelt zu verwirklichen, dann wird vom Berge Zion der Völkerfrieden und die Entstehung einer wahren Menschheit ausgehen. Dies hat die Schaffung des jüdischen Menschentypus in unserm Zeitalter wesentlich beeinflußt. Dieser neue Mensch ist nicht, wie in den andern nationalen Bewegungen, einer der eine begrenzte Tat der Befreiung zu vollbringen hat. Es geht bei uns nicht darum, ein fremdes Joch abzuschütteln, sondern darum, das ganze Volksleben von Innen und von Außen umzuwandeln. Auch das zentrale Werk des Aufbaues der palästinensischen Gemeinschaft war auf viele Generationen verteilt. Das Menschenbild, das hier der nationalen Erziehung vorschwebt, ist nicht das eines Menschen, der an einer bestimmten historisch determinierten Tat, sondern das eines Menschen, der an einem neuen verwandelten Leben teilnimmt. Das Ziel ist hier mehr und anders als Befreiung. Es ist eine Regeneration des Wesens selbst, es ist eine innere Genesung und Erneuerung, es ist eine Rettung aus der Entartung des Lebens und der Seele, es ist eine Umkehr von einer brüchigen und widerspruchsvollen zu einer gan-
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zen und einheitlichen Lebensweise, es ist eine Läuterung eine Erlösung. Es ist nicht rein national zu erfassen, sondern von der Idee einer nationalen Humanität. Daß die Nation dauern soll, ist nur die notwendige Voraussetzung. Nicht um der Dauer willen soll sie dauern, sondern um das zu werden, wozu sie berufen ist, um das ganze jüdische Menschentum zu verwirklichen. Darum ist jeder Versuch einer Umbiegung der nationalen Erziehung ins Nationalistische, jeder Versuch, das Volk nicht als Element einer neuen Menschheit, sondern als Selbstzweck zu sehen und an Stelle des Bildes eines zugleich selbständigen und aufgeschlossenen Menschen, das Bild eines selbstsüchtigen und zugeknöpften Menschen zu setzen; jeder solcher Versuch ist hier bei uns noch verhängnisvoller, als in irgend einer andern nationalen Bewegung. Nationalistische Erziehung ist der Weg zur Entartung des Judentums unter jüdischer Flagge. Sie verleugnet unser Wesen und unsere Aufgabe. Mehr als irgendwo sonst, ist bei uns nationalistische Erziehung anti-national. Die deutlichste Erscheinung des neuen jüdischen Menschentypus und das deutlichste Ziel der nationalen Erziehung ist der C h a l u z . Hier sehen wir, wie die übernationale Aufgabe in persönlichen Lebenswunsch, in aufbauende Lebensmacht umgewandelt wurde. Man kann den echten Chaluz nur verstehen, wenn man in ihm die vitalste Verschmelzung des Nationalen und Sozialen erkennt. Schon, daß er an der Wiedergeburt nicht anders, als durch eigene Arbeit teilnehmen will, nicht als ein Andere-arbeiten-Lassender, und ihre Arbeit-Dirigierender, zeigt die Wirkung des sozialen Elementes. Sein Willensziel ist die arbeitende Gemeinschaft in Palästina, die S y n t h e s e v o n Vo l k , L a n d u n d A r b e i t . Was in ihm waltet, das ist das urjüdische Verlangen nach der Verwirklichung der sozialen Wahrheit im Leben der Menschen unter einander, ist nicht als Ergebnis einer biologisch-etnologisch-historischen Entwicklung allein zu verstehen, es ist das Produkt einer Urentscheidung für einen Gott der Gerechtigkeit und gegen einen Gott der triebhaften Selbstsucht, für einen Gott des Lebens, wie es sein soll und gegen einen Gott des Lebens von dem man sagt: »So ist das Leben, aber das ist kein Leben«, für einen Gott, der das Volk in das Land führt, um es für ein messianisches Wirken an der Welt vorzubereiten und gegen einen Gott, der dasitzt und zuflüstert: besitze und geniesse! für einen wahren Gott, und gegen einen falschen Gott. Inzwischen ist über das Judentum eine s c h w e r e G l a u b e n s k r i s e gekommen. Der Chaluz ist zumeist vielfach entartet, der Religionsordnung entfremdet; er lehnt sich gegen sie auf. Er hat den sozialen Verwirklichungswillen übernommen, ohne die religiöse Bindung. Er lehnt sie ab. Das bedeutet, daß der neue Menschentypus an einem für die na-
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tionale Bewegung grundwichtigen Punkt traditionslos ist. Das Verhältnis zur Überlieferung ist ein Lebensproblem aller nationalen Bewegungen und jeder nationalen Erziehung. Das kostbarste Gut der nationalen Bewegung besteht darin, daß der ganze Wert des Volksgeistes, von seinen Ursprüngen an in das Bewußtsein der heranwachsenden Generation gehoben und in bewußte Lebensgestaltung umgesetzt wird. Es ist wie die gestauten Fluten, die sich aus einem mächtigen Becken in tausende Rohre über düstere Felder ergießen. Es ist daher eine Schicksalsfrage für die nationale Bewegung, ob und inwieferne sie sich zur Tradition bekennt. Es gibt drei Arten des Bekenntnisses: 1. P o s i t i v ; man schöpft aus dem Ursprung der Seele der Nation und die Überlieferung wird hoch und heilig gehalten. 2. N e g a t i v ; man wehrt die Einwirkung uralter Botschaften als nicht mehr glaubhaft, als unbrauchbar und nicht mehr zeitgemäß ab. 3. F i k t i v. In diesem Falle ist die nationale Bewegung nationalistisch. Das Wirken der nationalen Überlieferung wird hoch gepriesen. Sie wird mit der Miene des Sammlers und Besitzers vorgezeigt. Man rühmt sich mit der Tradition, aber man glaubt ihr nicht. Das Verhältnis unserer nationalen Bewegung und Erziehung zur Überlieferung ist leider vielfach aus der zweiten und dritten Art gemischt. Durch guten Willen läßt sich hier freilich keine grundlegende Änderung herbeiführen. Die ändernde Macht muß aus dem Leben selbst kommen. Schon beginnt im Chaluz in der Struktur des Daseins ein Mangel spürbar zu werden. Irgendwo im Leben der Woche ist ein toter Punkt. Irgendwo in der Fügung des Baues ist ein Loch. Man weiß noch nicht, was das ist, geschweige denn, daß man es beim Namen nennt. Man schweigt darüber, aber man leidet. Ich habe den Eindruck, daß im nächsten Jahrzehnt das Leid wachsen und ins Bewußtsein dringen wird, bis es das Schweigen durchbricht. In dieser schwersten Stunde unserer Geschichte steht unsere nationale Erziehung vor der überaus schweren Aufgabe, einen zweiten Menschentypus zu schaffen, durch den der erste ergänzt wird. Ich möchte diesen zweiten Typus als den C h a l u z d e r G a l u t h 1 bezeichnen. Der Teil unserer Jugend, der wandern muß und in Palästina keinen Einlass findet, der als einzelner oder in kleineren Gruppen in ferne judenarme Länder verschlagen wird, um sich in härtester Arbeit ein neues Leben zu zimmern, dieser Teil unserer Jugend muß nicht nur mit Kenntnissen und Fertigkeiten ausgestattet sein, sondern er muß auch an Geist und Seele
1.
Galut, hebr. »Exil, Diaspora«.
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ausgerüstet sein, um sein neues Leben als Jude aufzubauen, in Treue und nie abreißendem tätigem Zusammenhang mit Israel und Erez 2 Israel. Wie soll uns diese ungeheuere Aufgabe gelingen, wenn wir unsere Jugend nicht in lebendige Verbindung bringen mit den Lehren, die wir in jenen Stunden empfangen haben, in denen Israel auf den Weg ins Heilige Land gesendet wurde? Heute wandern wir nicht in dichten Scharen und wir werden nicht durch’s Meer geführt. Zerstreut, verlassen, verloren, irren wir durch die Welt. Aber vielleicht wird es doch an uns, an dem Gehör unserer Herzen liegen, ob sich uns Zerstreuten gemeinsam das Gewitter dieser Stunde, mit all seinem Donnern, als die Stimme des wiedergefundenen Gottes offenbart …
2.
Erez, hebr. »Land«.
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Ein waches Herz Zum Gedenktag Schloschim 1 von Jakov Sandbank Was mich auf ganz besondere Art und Weise mit Sandbank verband, war sein waches Herz für den Gedanken der Volkserziehung. Er wußte durch eigene Erfahrung, was Erziehung bedeutet; er anerkannte ihre Kraft und ihre Grenzen; und er sah, daß für ein Volk wie unserem, in dem sich einige Grundzüge der Degeneration offenbaren und das vor eine so schwierige Aufgabe gestellt ist, wie sie in diesem Land vor uns liegt, – für ein solches Volk ist der Kraft der Erziehung eine zusätzliche Bedeutung beizumessen, die das Leben ohne Unterlaß beeinflußt und durch keine anderen Grenzen eingeschränkt wird, sondern nur von jenen, die sich von Zeit zu Zeit vor den Augen des wagenden Erziehers ausbreiten, aufgrund seiner Erfahrung. Sandbank wußte auch, daß die Erziehung der kommenden und heranwachsenden Geschlechter noch nicht die Volkserziehung begleitet und daß in der Vereinigung in einer ernsten Lage wie der unsrigen auch die Erwachsenenbildung eine zentrale Sache ist, um genau zu sein: die Erziehung der Geschlechter, die in unmittelbarer Zukunft unser Schicksal entscheiden werden. Weil Sandbank dies aus eigener Erfahrung wußte, stimmte er in seiner Jugend mit Begeisterung meinem Programm zur Errichtung einer Landesvolkshochschule zu, d. h. einem einheitlichem Bau, der im Land verstreute Lehrhäuser umfaßt, in dem jeweils zusammen gelebt und gearbeitet, gelehrt und gelernt wird. Dieses Programm wurde bis jetzt nicht verwirklicht; aber Sandbank lebte und arbeitete für die Verwirklichung eben dieser Idee, der Idee der Volkserziehung, und mit großer Hingabe tat er, was er in seiner Funktion tun konnte, auf seinem Einflußgebiet. Wer diese Arbeit ernsthaft fortsetzen möchte, wird nolens volens auf seine Erfahrungen zurückgreifen müssen. Aber für ihn selbst gibt es keinen Ersatz: es gibt keinen Ersatz für seine unvergleichliche Energie und noch weniger für seine Hingabe und darüber hinaus keinen Ersatz für seine Fähigkeit trotz allem zu glauben.
1.
Von schloschim, hebr. »dreißig«, hier: der 30. Tag nach dem Todestag.
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National and Pioneer Education
I.
The ideal concepts of personality emulated in education, such as are known to us in the history of civilization from the »Polites« of Classical Greece to the »Gentleman« of the greatest period in English history (i. e. the 16th and 17th centuries), are not at all the product of the will and imagination of individuals – not even of geniuses. To the educators they may serve as a goal to be attained, but their individuality is not so essential as the fact that they are rooted in the realities of their generation. The educators may attain their goal rather with the aid of social environment and even of the natural surroundings of air, light and the like. Furthermore, the memory of the past and life in the present exert such great influence that from their very childhood individuals develop a deep yearning to emulate the accepted prototypes. The result is that the educators need not impose anything on their charges, but supply them with the proper educational material and correct exercises, and the personal development of the latter will of itself proceed in the right direction. With the decline of traditional European culture after the French Revolution, those ideal conceptions of personality ceased to exist, since they expressed a certain manner and form of a given civilization. From then on, the work of enlightenment has not been determined by an ideal prototype. Its educational aim has been to develop the »enlightened« person – and such a person is one who possesses what its known as »general culture.« But what does this imply? In the era of ideal types, the selection of educational material, and especially of the subjects of instructions, was determined by the ideal personality accepted at the time, aiming toward the realization of that personality. But now the determining factor in the selection is either a humanistic assumption based on ancient cultural traditions, or a realistic assumption derived from modern technological practices. The result is a combination of the two which reflects a confusion and the desire to avoid taking a stand altogether. Even the socialist ideology in its various metamorphoses has not been able to work out a new and unified cultural goal. The reason for this is not that our modern class society does not permit such a unified goal, but primarily because the socialist teachings have been directed toward devising a program and prescribing an end. It has not had any ties with pri-
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meval forces; it has known whither man should go, but not whence he comes. True culture, however, is intimately connected with a beginning, with fundamentals, traditions and history. There are only slight indications that socialist thought may change in that direction. Although its public life does not reveal such indications, one may hope that with the general progress of socialist thought western education will assume this new turn. It is true that in the first half of the 19th century important attempts were made to create new ideal concepts as goals in education. However, those concepts did not grow out of a cultural pattern that creates for itself an appropriate type, but developed out of the historical conditions of a given society and the will to overcome those conditions. I have reference to the movements of national liberation. Those movements emanated essentially from the French Revolution which not only proclaimed the »rights of man« (i. e., the political rights to freedom which are common to all individuals), but also aroused directly or indirectly an awareness of the »rights of the nation« (i. e., the rights for independent existence which is common to all peoples). The nations who had lost their freedom in the course of history and who had often forfeited also their inner freedom or spiritual independence, have created movements which embraced the yearning for national revival together with the struggle for national liberation. The spiritual leaders of such movements have recognized the need for developing a human type that is willing and prepared to carry out the work of the national struggle to the finish, until the nation is liberated. The person qualified for this task of national rejuvenation, is the ideal type of this new era. This type, however, did not arise out of a culture, but from a given situation and determination. That is how Fichte conceived national education in Germany, or Mitzkiewitch in Poland, and Mazzini in Italy. The human type that may develop through such an education is not the result of some arbitrary evil design, but is a matter of law which is predetermined by a spiritually-historical act. The people is conceived only as a practical medium and not as an end in itself. It has an inner task which surpasses its own reality, for it has to become that to which it has been predetermined not only for itself but for the whole world. This relation of the people to the world sets the norm for national education, which thus becomes supernational in character. It is a significant fact that the national movement in Europe which was more than any other impregnated with a super-national character – Polish Messianism as taught by Mitzkiewitch – emphasized most strongly its similarity to the Jewish people and its prophecy. The reason for this is that in the entire spiritual history of mankind, no one has expressed this
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truth as did the Jewish prophets, namely, that a people does not exist for itself alone. In the course of its history, a people has to perform a definite task which will bring good to other peoples, and its fate is determined by the kind of task it may choose. National individuality as such is doomed to destruction, even though it may score apparent victories. The spiritual leaders of the great national movements have accepted this prophetic law and made it the basis of national education. But, it should be pointed out that this ideal type is not one that represents a given civilization, but one that has to overcome a particular historical situation. It is the type representing a generation or many generations whose task it is to carry out the single historical act of national liberation. The type which is represent-active of a civilization is independent of isolated historical events, whereas the type, which is conditioned by a given situation, exists only for the performance of a task and loses its raison d’etre after it has overcome the situation which brought it into being, i. e. after national independence has been attained. True national education, then, is patterned after a true human type, that is, one that carries out the act of national liberation. After this historical liberation is accomplished, there is no longer a true human type, and hence no true education. Therefore, if education is to retain its true aim and not fall into the trap of chauvinism, it has to assume a new and broader task. This greater task cannot grow out of the educators’ own imagination, but it can be derived from the super-national norm which is now becoming ripe and is ready to seek pedagogical expression. The fate of the people is decided not during the act of its liberation but thereafter. It is a decision for creation, or destruction – for a great human idea which may apply to the whole world, or a congealed and barren individualism. The so-called general enlightenment which resulted from the dissolution of the true ideal types or European civilization, does not constitute a true aim of education, since this general, non-national enlightenment is devoid of a living humanism. On the other hand, the great national movements have the quality of creating a new (national) humanism, and education can develop this quality if it will accept the super-national norm which lies dormant in the national movement itself. Something remarkable may thus be accomplished: the ideal type which seems to have disappeared, arises again in an new form, namely, as the liberated man of a national humanism. It is my personal conviction that the success of this transformation will determine the rejuvenation of socialist thought, which I discussed above. Socialism will be transformed and renewed if it
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will draw its strength from the primary sources of tradition, from those sources which are also the springs of the national movements. On the other hand, if national education does not strive to realize the super-national task but emphasizes the nation as an end in itself (as for example, the idea of a pure Germany) then it will fall, as I said, into the trap of chauvinism which is perhaps the most barren of all concepts. The hero of German national liberation is a truly ideal type, but the »pure« German who has been created artificially, is a caricature. Education could find a great aim in the humanist idea that dwells in the German spirit; but the attempt to raise an absolute German leads to zoology. The nationalistic tendency has substituted an abstract principle for the true primary forces. Instead of a fruitful contact with the world, it has preached a perverted collective individualism, and instead of a liberated member of a free nation it has sought to produce a mass of human beings as alike as if they had come off a conveyor belt and all stamped with the same national stencil. That which pretended to be the greatest victory of national education has turned out to be its deadly poison.
II. The Jewish people may be distinguished from other nations in that its super-national task did not come after the liberation movement, as in the case of other nations, but preceded it in the early stages of its national life. It is most likely true, as tradition has it, that this happened at the very beginning of Jewish historical development. From the evidence of its earliest writings we learn that the commandment of social righteousness was inseparable from its historical role. One can trace this influence in the earliest prophecies which announced that if Israel would not fulfill the command of social justice during the period of its national independence, it would be compelled to go into exile and learn there what was just and what was evil. And when it would return later to its land and start realizing there the kingdom of the God of righteousness in its social life and in relation to its neighbors, then universal peace would come forth from the mountain of Zion and give birth to a true humanity. This unique legacy of the Jewish people has exerted a basic influence on the national movement in creating a new human type. It was inevitable that this type should be dedicated exclusively to national liberation, for the national task has been the main cause in creating that type. This task was conceived and proclaimed by all the spiritual leaders of the movement, from Moses Hess to A. D. Gordon, and even a political leader like
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Herzl could not refrain from referring to it. In all their writings we find an emphasis on this universal, ethical, social and eternal function of the people. This task was also lying dormant as a fundamental creative force in life itself and helped to mould the new Jewish type. This new man in Jewish life is not, like in other national movements, a person who has the limited function of national liberation. His problem was not only casting off a foreign yoke, but reshaping the life of the whole nation from within as well as from without. His principal undertaking, the rebuilding of Palestine, too, is a matter for many generations, and is to be accomplished not through isolated deeds. The human type which is here the model of national education is not of a person who participates in an limited performance of historical moment, but of one who is part of a new, changing life. The aim is here greater than mere liberation. It is revival of the essence of a people by an inner rejuvenation and resuscitation; it is a saving of the body and soul from stagnation and a return from a shattered life which is full of contradictions to a life that is wholesome and unified. It is a form of redemption. Whatever our conception of this aim, it appears to be not only national but issuing from the idea of a national humanism. It is a categorical assumption that the nation has to survive, but the reason for its survival is not mere existence, but the fulfillment of its mission in realizing the universal human and Jewish essence. All the truly creative forces of the Jewish people have always been tied with this national and super-national task. Any attempt, therefore, to give national education an nationalistic turn, regarding the people not as one of the elements of a new humanity, but as an end in itself, and conceiving of man not as independent and free to all human experiences but as individualistic and self-sufficient – any such attempt is liable to bring greater disaster in Jewish life than in any other national movement. National education is the road to the fulfillment of Judaism – nationalistic education will lead to an empty Judaism under an Jewish flag. The latter is a denial of our essence and our task. Nationalistic education is, in our case, more anti-national than in any other case.
III. The brightest expression of the new Jewish-human type and the most illuminating goal of national education, is the Halutz. In this case one can see how the super-national task has become (in most cases subconsciously) a driving power and a constructive necessity of life itself. The
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true Halutz may be recognized only in so far as he unites the living national and social principles in one. The very fact that he insists on taking part in the revival of his people in its homeland through physical labor engaged in personally, indicates his awareness of the social principles involved. This personal will is closely tied up with his objective will to create in Palestine a workers’ society, i. e., the synthesis of nation, land and labor. This will to realize the inner truth did not originate in the mind of the Halutz, nor in the Western world and not even in contemporary Western socialism. His motivating force was, with or without his knowledge or consent, the ancient Jewish yearning for the realization of social truths in the collective life of men. The new type is created in the evolution of the ancient characteristics of the people. What we call Israel is not to be conceived as merely the result of a biological-historical evolution, but of a primeval compulsory force that chooses the God of justice as against the God of individualistic desires. It is a choice between the God of life as it should be and the God of life »as is«. The decision is between the true God and Baal. In no other case was the destiny of a people tied up so closely at the very beginning of its development with the imperative command to realize an ancient calling, as happened in the case of the Jews. In the history of our Diaspora, Hassidism was the greatest experiment to realize the ancient command of establishing a just society as a fulfillment of the divine will. This experiment failed for several reasons, but primarily because it did not strive after national independence, i. e., its interest in Palestine was only incidental without striving for national liberation. This defect was responsible for the political corruption which was the stumbling block of the Hassidic movement. After the failure of this attempt to build a great religious society, there ensued a period of rationalistic interpretations, until finally the national movement absorbed the ancient social principles and brought to the fore the concept of a new human type as the goal of national education. This new type was to realize the national idea combined with the yearning for a just life. In the meantime, however, Judaism has suffered a great religious crisis, perhaps the most dangerous one of all in the present generation of mankind. The Halutz, in the vast majority, is far removed from the religious drama of Judaism – a drama which, indeed, has lost its force in large measure. He has inherited the will for social realization in a secular form without a spark of conventional religion in it. The result is that the new human type has no connection with Jewish tradition in his most important and
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most conscious point of contact with the national movement. I say advisedly, in his conscious contact and not in his essence, for, as we have seen, the forces of tradition exert their influence on the essence and being of the Halutz even without his knowledge. But in so far as he divorces himself consciously from the fundamental traditions, he works in a way, against those forces. The relationship to tradition is a vital problem of every national movement and national education. The greatest treasure of a national movement and education consists in that the great values of the national spirit from its very origin enter into the consciousness of the succeeding generations and become a conscious motive of life. There are three categories in the relation of national movements to traditions. The first is a positive one. The primary forces are allowed to mould present life according to the needs of the time. The second category is a negative one. The influence of the ancient spirit is rejected as something that is useless because it is no longer applicable to contemporary life. The third category I shall call the illusory relation. The deeds and values of national tradition are preserved with highest praise and piety and they become a source of pride and honor. They are exhibited as a collection of antiques, like royal garments in a museum which are no longer fit for a living prince. One takes pride in tradition but one does not believe in it. It is taught in the schools but not as a living subject. The relation of our national movement and its national education to tradition is in the main a combination of the second and third categories. I do not mean to say that the proper thing for the Halutz to do is to accept tradition in its entirety, or any part of it, without discrimination. Such ready acceptance would be due only to an external effort of the will and its fate would be the same as the fate of all things of its kind, namely, barreness. It is particularly hopeless to attempt, as many colonies in Palestine have done, to introduce in life religious ceremonies without religious content. Such ceremonies in themselves are worth nothing. Ceremonies have something in them which is their essence and life, and if that is not there, they are empty and dead corpses. One cannot revive them after they had been discarded, by merely charging them with a new spark. That spark is a false one. Nor can one give them a new function after they had been lying idle for some time. The secret of their function was in their primary force. After they have been emptied, they can no longer be filled with a content to »suit the spirit of the time«; they will eject it. Neither can they be revived, after they have been regarded as dead, by instilling them with a spirit which is different from
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theirs. They may appear alive like dolls, but they will have no real life. All this is diletantism without reverence, force, or blessing. Shovuot is indeed a festival of nature. It is the holiday of the farmer who discovers from time to time the miracle of the earth giving him so many times more than he has put into it. But it is not enough to celebrate this holiday with natural symbols alone. It is necessary to know and to give expression to the fact that nature itself, the earth that gives forth this bounty, is but a symbol, and that only by a communion with the mysterious can man attain true life which is in essence eternal revelation. No matter how much one may revere the Sabbath, it will remain constricted of the rejoicing in this social day of rest is not imbued by a feeling of the cosmic mystery of work and rest that is reflected in it. It is that mystery which finds expression in the childish image that the creator of heaven and earth has ceased work in the seventh day in order to rest as the »servant boy« does. This image is in any event more sublime than the highest philosophical concept of the Sabbath. But what can be done if a given generation, like our own, feels estranged to the spirit of our tradition? We have to give this generation a true national education, that is, we have to bring to its attention the primary words created by our people so that they should penetrate the heart. We have to reject the verdict of our time that those primary words have only the meaning of a history of literature, culture, religion, and the like, and that our concern should be only to study those words as the most important literary creation of our people, as a source of its ancient culture or the origin of its religious mission. Also, we have to discard the notion of our time that the world of faith to which those words testify is only a product of our consciousness and not a reality which makes life worth living. We have to arouse in the growing generation the desire for a true inner liberation; to free it from the prejudice that it knows the nature of the world and of man and that there is nothing it can learn from those primary words to guide its life. This generation has to be shaken out of its complacency in claiming that it is fully equipped, knows what it knows, and is what it is, and that nothing can happen to it which may change it fundamentally or may reshape its world. This generation has to be prepared so that it will accept the unusual things that tear down established concepts. It has to open its ears and heart to receive the voice of mystery speaking out of those primary words, not in order to repeat the teachings verbally or only to observe the rules, but to adopt the compelling force of those ancient words and apply them to its own time an action.
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IV. What type shall we foster in Palestine? Which is the desirable type for building the country and for the future of the Yishuv? In an article on »Character Training and the Methods of Instruction 1 « Dr. A. Dushkin writes in answer to this question, that we have to create a synthesis of the five classical types of Diaspora Judaism which are still extant in our time, namely, the scholar (Talmid Hacham), the Hassid, the Enlightened man (Maskil), the Zionist and the Halutz. But I do not believe that such a synthesis should be the task of our education. A synthesis of types does not occur in world history, and when one does appear from time to time, it is only of two types which have come into definite contact in history through conflict or common action. However, it is impossible to compose such a synthesis by a program of work. Besides, I do not believe that the function of such an eclectic education applies to an era such as ours which is full of great problems, complicated situations and stormy conflicts. The function of education suitable to our time must be centered around that which is most necessary here and now. Furthermore, even the creation of a single classical type cannot be our true function. Classical types are not created in history by pedagogical will, no matter how strong and noble that will may be. Such types arise, as I have said, as the human expression of an independent civilization, like the Christian Knight in the Middle Ages; or as the human response to demands of an historical situation, like the Naradoveletz2 at the beginning of the Russian Revolution. In the history of our Diaspora, the only example of the first type is the scholar, and of the second type is the Halutz. Of an independent culture we have left only, ruins, and we have only stones for a building which have been saved from those ruins or hewed out anew. It seems to me that the time has not come yet for the period of a great revival that might create a new human type who will be representative of a culture. On the other hand, we now have a definite historical situation which has brought forth a true type in the form of the Halutz, who is new almost in a biological sense. To be sure, a new type cannot be created by pedagogical means, but when one appears in history it is possible to develop him for his calling. This does not mean that we should enthuse young people to choose this calling if they are not fit for it psycho-phy1. 2.
[Anm. Druckvorlage:] In a volume, Hebrew High School Education in Palestine, Jerusalem 1939, pp. 84-115. Naradoveletz: Repräsentant der russischen agrarsozialistischen Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
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siologically. What it does mean is that those young people who show the inner capacity and inclination for it should be encouraged to devote their love and efforts in that direction. More than that, the educators have two other functions to perform on behalf of this historical type which has come into being only recently and is, therefore, still plastic. On the one hand, they can help to expand it by subjecting it to the influences beyond the physiological range, and on other hand, they can intensify it by developing its latent forces and eliminating the flaws which are inherent not in its being but in its peculiar surrounding conditions.* I shall only indicate here what all this means to us. In the first place, the Halutzim are settled entirely, or at least in their vast majority, in rural life, and only to a small extent in the life of the city. The Palestian village is a new world in itself, whereas the city here is partly a mixture of America and the Levant. Besides, the whole urban social structure has no individual form of life which is strong and free and which may correspond to the Halutz type and complement it. Education cannot create an urban Halutz. That part of youth who are compelled or who want to remain in the city, cannot be turned into Halutzim. Nevertheless, education may strive to implant in urban youth something of the Halutz innocence, a feeling of pioneer activity and pioneer collectivism, as contrasted with socialist sophistication. In the second place, there are the things which I have discussed already and will only summarize them here. The Halutz type lacks certain things which do not necessarily have to remain foreign to him. To begin with, he needs a healthy organic relationship to tradition, not to any particular part of tradition, but to all the forces that originated in the days when our spirit was at its height and we had great missions in life. Those forces will play their role in our present life if we do not exclude them intentionally, but absorb that which is appropriate for the revival of the spirit in accordance with its own needs. Then there is a lack, in most cases, of a true liberation from the antiquated notions about religion. There is nothing more enslaving than dogmatic atheism which belittles the irrational and fails to distinguish between living faith and obsolete religious precepts. This atheism does not heed the words of Hamlet that there are more things in heaven and earth than is assumed by Horatio’s scientific wisdom, for it is not impossible that those things should exist even though they do not appear on the visible plane. *
Im deutschsprachigen Manuskript, das dem Teil 4 entspricht, erweitert um »… und ihn so gleichsam mit dem Wort des griechischen Dichters anrufen: Werde was du bist.«
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Finally, there is a great lack of reverence for the mysteries of nature, of human life and the spirit. There is a highly exaggerated analytical approach here, which does not suffer anything that is whole and cannot be taken apart. There exists an irresistible tendency to regard everything as trivial whether it is the cosmos, ideas or spiritual conflicts. It should be the privilege and duty of the educator to counteract all of these defects and erroneous tendencies. He should not do it by setting up a new dogmatism against the old one, but primarily by presenting to his students our great spiritual inheritance, from the scriptures to the sayings of Hassidism. He should do it in an manner that will convey to them not only the language, style and historical continuity, but will enable them do absorb something of that message that concerns them here, even in this very generation. The educator should lead his students through the paths of science until he reaches the boundary beyond which human knowledge cannot pass. He may go from problem to solution and from solution to an new problem, and so forth, until he arrives at the great question beyond which there is no answer except a silent prayer of the soul. Finally, wherever he touches upon the interpretation of life itself, he should indicate through the miracle of reality that the true life of man is a mystery that cannot be unravelled.
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Die Bildung des Volkes im Lande und die hebräische Erziehung in der Diaspora Ich bezweifle, daß die Vorträge dieses Symposions richtig betitelt wurden. »Kultur« kann man nicht »verbreiten«. Man kann Kenntnisse verbreiten, sowohl theoretische als auch praktische, doch nicht Kultur. Kultur kann man pflegen; es ist möglich, ihren Zuwachs zu unterstützen; es ist möglich, für ihre Entwicklung erforderliche Materialien zu liefern u. a., doch verbreiten kann man sie nicht. Dies ist keine Wortklauberei. Kultur ist nicht etwas, das uns, den »Kultivierten«, zur Verfügung steht, deren Berufung es ist, dies unter den Nicht-Kultivierten, den weniger Kultivierten, zu verbreiten. Kultur ist recht eigentlich eine vitale Kraft, eine formende, wachsende und tätige Kraft, eine von ihr aufgenommene Materialien verarbeitende und diesen Gestalt verleihende Kraft – Gestalt persönlichen Lebens und Gestalt gesellschaftlichen Lebens. Es handelt sich nicht um eine vorgefertigte Sache, wobei wir, die Kultur »verbreiten« wollen, mehr von der formenden Kraft besitzen als jene, unter denen wir sie verbreiten wollen. Wir verfügen wohl über mehr allgemeine Kenntnisse, wir verfügen über einen größeren Begriffsschatz, wir sind in der Lage, Begriffe zu erfinden, Kategorien anzuwenden, Sätze zu formulieren; doch bedeutet dies nicht notwendig, daß wir über mehr vitale kulturelle Kraft verfügen als jene, denen wir von unserem Luxus zukommen lassen wollen. Was wir tun können, was wir tun dürfen und müssen, ist, ihnen zu helfen, mit ihrer kulturellen Kraft angemessen umzugehen und sie zu entwickeln, wir können und müssen ihnen helfen, die Verbindung zwischen dieser ihrer Kraft und der Welt – der Welt der Natur und der Welt des Geistes – zu entwickeln und zu optimieren. Wir können und müssen diese Kraft nähren. Es liegt in unserer Hand, sie aufzumuntern und zu korrigieren, in ihrer Richtung zu bestärken oder vor irrigen Richtungen zu warnen (beides ist nur mit dem allerernsthaftesten Verantwortungsgefühl zu tun). Wir haben die Möglichkeit, diese Kraft zur Selbsterkenntnis, zur Erkenntnis ihres Wesens, ihres Zieles und ihres Weges anzuregen. Doch all dies sind wir solange nicht in der Lage auszuführen, als wir uns von vornherein unseren Schülern gegenüber kulturell überlegen fühlen, als wir in der Vorstellung leben, hier bei uns herrsche Überfluß und dort bei ihnen Mangel. Es ist notwendig, daß wir uns das Leben, das wir zu beeinflussen wagen, daß wir uns dieses Leben ehrfürchtig in dessen Kraft und Originalität vorstellen, es ist notwendig, daß wir sozusagen uns in dieses Leben hineinbegeben und uns ihm zu Diensten stellen.
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Hiermit eng verbunden ist die Frage der Methode. Die von uns hier erörterte Erwachsenenbildung unterscheidet sich in der Art ihrer Methode von jedem anderen Unterricht. Betrachten wir zum Beispiel die drei grundlegenden Schultypen, so zeigt sich, daß die Volksschule das Ziel hat, den Schülern Instrumente zur Aufnahme von Kenntnissen und den Ausgangspunkt für die erforderliche Orientation zu vermitteln, und die Mittelschule darauf aus ist, den Schülern die Kenntnisse selbst vermitteln, während sich die Oberschule mit spezieller Ausbildung befaßt, d. h. mit Ausbildung in Wissen und Methode von geistig genannten Berufen und Tätigkeiten. Demzufolge formiert sich der ordnungsgemäß ausgerichtete Unterricht in der Volksschule um das Fach Heimatkunde, die Orientation in der Umgebung, und der Unterricht in der Mittelschule um das Fach Weltkunde, die Orientation in der Ferne, während sich der Unterricht in der Oberschule um das geistige Wissen formiert, d. h. nicht mehr um Orientiation, sondern um geistige Initiative. All dies dient der Berufsausbildung von Menschen. Die Erwachsenenbildung hat eine andersgeartete Aufgabe. Sie wendet sich im allgemeinen an schon in einem Beruf tätige, einer dauerhaften Beschäftigung nachgehende, mit einer gewissen Arbeit beschäftigte Menschen. Ihr Hauptanliegen muß sein, diese Berufstätigkeit, diese Arbeit vor Isolation zu schützen, den Lernenden Tore zu öffnen, die von dort, von ihrem Lebens- und Arbeitsgebiet, zum mächtigen Sein der Welt und des Menschen, zum Kosmos, zur Geschichte, zur Sphäre des Denkens, zu den Geheimnissen der Kunst führen. Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Menschen für ihren Lebensweg zu rüsten. Wir haben dafür zu sorgen, daß sie ihren Weg mit weitem, den Menschen gemeinem Horizont gehen – und es sei uns gestattet, ein Wort hinzuzufügen und zu sagen: mit dem den israelischen Menschen gemeinen, weiten Horizont. Wir haben in ihnen die Fähigkeit zu wecken, diesen Horizont zu sehen, doch eben in jedem von ihnen die Fähigkeit, ihn aus der Perspektive seines eigenen Weges heraus zu sehen. Wir haben von Zeit zu Zeit von ihnen auszugehen, von dem, was sie wünschen, von dem, was sie empfinden, daß es ihnen fehlt, und das zu erlangen sie bestrebt sind. Doch damit allein ist es nicht getan. Wir haben in ihnen das Gefühl für jenen von ihnen noch nicht verspürten Mangel zu wecken. Wir haben in den über dieses Gefühl noch nicht ausreichend verfügenden Menschen das tiefe Bedürfnis nach Geistesleben zu erregen. Allerdings müssen wir bei unserer Arbeit von dem in ihrem Inneren Lebendigen ausgehen, von ihrem und nicht von unserem Leben. Wir haben in jedem Gefühl etwas von ihrem Leben und ihrer Welt zu erkennen, etwas von uns noch nicht Gekanntes, das wir noch nicht haben kennen können, das unserer Erkenntnis allein zu dieser Stunde und auf diesem Weg gegeben ist.
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Wir haben aus dem Inneren der Schüler Fragen hervorzubringen, sie anzuleiten, uns zu fragen; doch wir haben uns auch mit Fragen an sie zu wenden, d. h. nicht mit sokratischen Fragen, sondern mit wirklichen Fragen, Fragen eines ihm noch unbekannten aufnahmebereiten Menschen. Wir sitzen nicht oben auf einem Katheder, und sie sitzen nicht unten auf Schulbänken. Sowohl wir als auch sie haben zu lehren, sowohl sie als auch wir haben zu lernen. Sie haben von uns das Allgemeine, wir von ihnen das Besondere zu lernen. Wir haben mit ihnen wirkliche und konkrete Gespräche zu führen. Ist eine gemeinsame Unterrichtsstunde ein Erfolg, so verlassen sie die Lernenden um etwas verändert, aber auch wir verlassen sie um etwas verändert. Das Gütezeichen der ihrer Aufgabe gerechtwerdenden Erwachsenenbildung ist Wechselseitigkeit. Die Erwachsenenbildung ist ein Kind unserer Zeit. Wir alle, die zum Lehren und die zum Lernen Bestimmten, befinden uns in einer gemeinsamen großen geistigen Krise, einer Krise unserer Menschheit und einer Krise unseres Judentums. Die Gesetzestafeln sind zerbrochen, der Glaube an den Geist ist zusammengebrochen, wir wissen nicht mehr, worauf wir das von uns Menschheit und Judentum genannte morgen gründen werden. Dies, daß sich Lernende wie Lehrende gemeinsam in der Krise befinden, ist sehr viel wichtiger als die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede an Kenntnissen und Methoden. Es mag sein, daß sich der von uns sogenannte »Lehrer« im Dunkel der Krise beim Versuch, sich voranzutasten, um aus der Verlegenheit herauszukommen, etwas mehr als seine Freunde hinter ihm hervorgetan hat, doch wenn er seinem hinter ihm kommenden »Schüler« nicht die Hand reicht, steht er selbst in Gefahr, die Orientierung zu verlieren. Denn nur die Bindung an das, was hinter mir ist, verspricht mir die Bindung an das, was vor mir ist. Ich spüre die warme Hand meines Freundes, so wie er meine Hand spürt, und wir helfen einander, das Licht zu erreichen.
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Advice to Frequenters of Libraries After you have come to the library ten times to look up things in books, come once in order really to read a book. Choose one that you do not actually »need« – one that you would not have opened in order to look up some information connected with your work. No, this must be a real book: not a mere congeries of reflections, descriptions, emotional outpourings, and the like, but a unit conceived and shaped as a totality, something that deals in a unified way with a single theme and at the same time expresses a man in a unified fashion. When you have such a book before you, sit down and read it – really read it. Be sure not to look for anything in particular, but rather enter without any preconceived notions into the realm the book opens before you. Let it astonish you. Do not let yourself be irritated if its manner differs from what you are accustomed to, or even from what you consider correct, if only two factors come out to meet you – the theme and the man who saw it. There is something else, as well, that honest reading requires: you must take your time. You must not race through the pages. Allow pauses – breathing spaces: pauses for reflection, for deliberating on what you have read, for looking at the author, for savoring your pleasure in reading, for re-concentrating your thoughts. Pauses are as important in our relations with books as in our relations with human beings; pauses are the touchstone of all relationships, the test of the genuineness of both parties; if the relationship is a true one, it will only be enhanced by pauses. Thirdly, do not read with your intellect alone or with your esthetic sense alone, but with both and with your whole soul besides. After you have visited the library ten times to read books, go once in order to look at them. I am not thinking of what is called bibliophilism – interest in rare works or unusual editions. One either is or is not interested in that sort of thing; I do not object to it, but neither do I specially commend it. What I mean is the kind of observation that Aristotle defines as the beginning of philosophy, and that I should even call the beginning of the soul life, namely, the sense of wonder. More than any other product of the human race, books should arouse our sense of wonder. But we have become so accustomed to their presence that we no longer marvel at them. Books are the outward crystallization, the extreme objectification, of the spirit. The soul has crystallized in language, language in writing. But are not books a further stage of crystallization, an even more farreaching objectification? The man who wrote the book you now hold in your hand cast his bread upon the waters – so that it might ultimately
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come to you. If you admit it to your acquaintance, the objectification will melt, and you will find yourself in the presence of a great soul. Marvel of marvels! Now you walk past the shelves and do not cease to wonder that there is in the world such a thing as transmission and reception – preservation of the spirit. After you have visited the library ten times to look at books, go once to look at the readers. Look round the reading room not in order to observe them, but to know in your heart now, by various paths and yet by the same road, they aspire to what you yourself aspire: that is to say, how they strive to effect contact with the spirit, the spirit that has been transmitted and received – that has been preserved. Some do this in a childish way and clumsily, others cleverly and skilfully, and still others in a high and noble fashion. But all of them are united with one another and with you by a common desire to live in touch with the spirit. It is vital that you should feel and feel again the common thirst of the flesh for the spirit, feel how this thirst links the lower planes with the higher. Really look at the readers, see them all together as men and each one as a person: see the features, gestures, and postures of each. Thus you will learn something you will probably not be able to learn as well anywhere else: Books are great, but man is greater. I know men whose relationship to books is perfect, but who have no direct contact with other men. As readers of books they believe that they are received into the glorious society of the immortals, and they imagine that they hold converse with them. That’s a delusion. He who does not truly concern himself with mortals is not permitted to come into the presence of the immortals. If you cannot turn wholeheartedly to your neighbor in the reading room when he asks you to interpret a passage from Plato, you will realize, sooner or later, that your own contact with Plato was a contact with a ghost. The eternal spirit reveals itself to you when you are isolated with books, but it retires if you do not testify it in your communication with other men.
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Über Charaktererziehung1 1 Erziehung, die diesen Namen verdient, ist wesentlich Charaktererziehung. Denn der echte Erzieher hat nicht bloß einzelne Funktionen seines Zöglings im Auge, wie der, der ihm lediglich bestimmte Kenntnisse oder Fertigkeiten beizubringen beabsichtigt, sondern es ist ihm jedesmal um den ganzen Menschen zu tun, und zwar um den ganzen Menschen sowohl seiner gegenwärtigen Tatsächlichkeit nach, in der er vor dir lebt, als auch seiner Möglichkeit nach, als was aus ihm werden kann. So aber, als ein Ganzes in Wirklichkeit und Potenz, kann man einen Menschen nur entweder als Persönlichkeit fassen, d. h. als diese einmalige geistleibliche Gestalt mitsamt den in ihr ruhenden Kräften, oder als Charakter, d. h. als den Zusammenhang zwischen der Wesenseinheit dieses Einzelnen und der Folge seiner Handlungen und Haltungen. Zwischen diesen beiden Arten, den Zögling in seiner Ganzheit zu fassen, besteht ein grundsätzlicher Unterschied. Persönlichkeit ist etwas, was im wesentlichen außerhalb der Einwirkung des Erziehers wächst, Charakter etwas, an dessen Ausbildung mitzuwirken die größte Aufgabe des Erziehers ist; Persönlichkeit ist eine Vollendung, aber nur Charakter ist eine Aufgabe; eine Persönlichkeit darf man pflegen und fördern, zu einem Charakter kann und soll man erziehen. Freilich – dies möchte ich schon hier vorausschicken – es empfiehlt sich, den Anteil, der dem Erzieher an der Entstehung eines Charakters bestenfalls gewährt ist, nicht zu überschätzen. Mehr als auf irgendeinem anderen pädagogischen Gebiet ist es auf diesem wichtig, sich gleich zu Anfang der Erörterung, noch ehe man untersucht, was ein Charakter ist, und überlegt, wie man zu ihm erzieht, die der bewußten Einwirkung gezogenen Grenzen grundsätzlich zu vergegenwärtigen. Wenn ich Algebra zu unterrichten habe, kann ich darauf rechnen, daß es mir gelingen wird, meinen Schülern eine Kenntnis davon zu verschaffen, was Gleichungen zweiten Grades mit zwei Unbekannten sind; auch der die langsamste Fassungsgabe hat, wird sie so gut verstehen, daß er nachts, wenn er nicht schlafen kann, sich damit unterhalten wird, Gleichungen aufzulösen, und auch der das trägste Gedächtnis hat, wird noch im hohen Alter nicht vergessen, wie man mit x und y spielen kann. Wenn 1.
[Anm. Druckvorlage:] Hauptvortrag der Landeskonferenz der jüdischen Lehrer Palästinas in Tel-Aviv (Mai 1939).
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es mir dagegen um Charaktererziehung zu tun ist, wird alles problematisch. Ich versuche es, meinen Schülern zu erklären, daß Neid schändlich ist, und schon spüre ich den heimlichen Widerstand derer, die weniger besitzen als ihre Kameraden; ich versuche zu erklären, daß es unanständig ist, den Schwächeren zu schlagen, und schon sehe ich ein unterdrücktes Lächeln in den Mundwinkeln der Stärkeren; ich versuche zu erklären, daß Lüge das Leben zerstört, und etwas Furchtbares geschieht: der schlimmste Gewohnheitslügner in meiner Klasse schreibt einen glänzenden Aufsatz über die zerstörende Macht der Lüge. Ich habe den fatalen Fehler begangen, Ethos zu unterrichten, und was ich sagte, wird als gangbare Kenntnismünze aufgenommen, nichts davon verwandelt sich in Substanz, die den Charakter aufbaut. Aber die Problematik liegt noch tiefer. In allem Unterricht kann ich meine Absicht, die Schüler etwas zu lehren, zu noch so deutlichem Ausdruck bringen, das tut meiner Wirkung keinen Abbruch, die Schüler wollen ja zumeist doch etwas lernen, wenn auch nicht allzuviel, und ein stilles Einvernehmen zwischen uns wird möglich. Wenn aber die Schüler merken, daß ich ihren Charakter erziehen will, lehnen sich gerade manche von denen auf, die am ehesten in sich das Zeug zu einem echten selbständigen Charakter haben; sie wollen sich nicht erziehen lassen, genauer: sie wollen nicht, daß man sie erziehen wolle. Auch diejenigen, denen die Frage um Gut und Böse ernstlich zu schaffen macht, empören sich – gerade weil sie immer wieder erfahren wie schwer es ist den Weg zu finden –, dagegen, daß man ihnen als etwas längst Feststehendes diktiere, was gut und was böse ist. Heißt das nun, daß man seine Absicht der Charaktererziehung verschweigen, daß man verstohlen und listig zu Werke gehen solle? Nein; ich sagte ja eben, daß die Problematik tiefer liegt. Es genügt nicht, daß man die Charaktererziehung nicht in eine Unterrichtsstunde preßt; man darf sie auch nicht in klug hergerichteten Pausen verstecken. Erziehung verträgt keine Politik. Auch wenn der Schüler die verheimlichte Absicht nicht merkt, wirkt sie auf das Tun des Lehrers zurück und entzieht ihm die Unmittelbarkeit, die seine Kraft ist. Auf die Ganzheit des Zöglings wirkt nur die Ganzheit des Erziehers wahrhaft ein, seine ganze unwillkürliche Existenz. Der Erzieher braucht kein sittliches Genie zu sein, um Charaktere zu erziehen; aber er muß ein ganzer lebendiger Mensch sein, der sich seinen Mitmenschen unmittelbar mitteilt: seine Lebendigkeit strahlt auf sie aus und beeinflußt sie gerade dann am stärksten und reinsten, wenn er gar nicht daran denkt, sie beeinflußen zu wollen. Das griechische Wort Charakter bedeutet Einprägung. Die besondere Verbindung zwischen Sein und Erscheinen des Menschen, der besondere Zusammenhang zwischen seiner Wesenseinheit und der Folge seiner
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Handlungen und Haltungen wird seiner noch plastischen Substanz eingeprägt. Wer prägt sie ein? Alles prägt: die Natur und die soziale Umwelt, das Haus und die Straße, die Sprache und die Sitte, die Welt der Geschichte und die Welt der täglichen Nachrichten aus Gerücht, Radio und Zeitung, die Musik und die Technik, das Spiel und der Traum, alles miteinander, – manches, indem es Übereinstimmung, Nachahmung, Sehnsucht, Streben erweckt, anderes, indem es Fragen, Zweifel, Abneigung, Widerstand erzeugt; gerade durch das Ineinandergreifen der verschiedenartigen, einander entgegengesetzten Wirkungen wird der Charakter geprägt. Und mitten drin in dieser prägenden Unendlichkeit steht der Erzieher, nur ein Element unter unzähligen, aber von ihnen allen unterschieden durch den Willen, an der Prägung des Charakters teilzunehmen, und durch das Bewußtsein, eine bestimmte Auswahl des Seins, die Auswahl des »Richtigen«, dessen, was sein soll, dem werdenden Menschen gegenüber zu vertreten. In diesem Willen und in diesem Bewußtsein ist seine Berufung als Erzieher grundlegend ausgedrückt. Zweierlei erwächst daraus für den echten Erzieher: zum ersten die Demut, das Gefühl, nur ein Element inmitten der Fülle des Lebens, nur eine einzelne Existenz inmitten all der unermeßlichen auf den Zögling einwirkenden Wirklichkeit zu sein, zum zweiten aber die Selbstbesinnung, das Gefühl, darin die einzige auf den ganzen Menschen einwirken wollende Existenz zu sein, und damit das Gefühl der Verantwortung für die Auswahl des Seins, die er dem Zögling gegenüber vertritt. Und noch ein Drittes ergibt sich aus alledem: die Erkenntnis, daß es hier, im Bereich der Charaktererziehung, der Ganzheitserziehung, nur einen Zugang zum Zögling gibt, dessen Vertrauen. Vertrauen bedeutet die für den Jugendlichen, den die unzuverlässige Welt erschreckt und enttäuscht, befreiende Einsicht, daß es eine menschliche Wahrheit, die Wahrheit menschlicher Existenz gibt. In der Sphäre des Vertrauens tritt an die Stelle jenes Widerstandes gegen das Erzogenwerden ein eigentümlicher Vorgang: der Zögling nimmt den Erzieher als Person an. Er fühlt, daß er diesem Menschen vertrauen darf; daß dieser Mensch nicht ein Geschäft an ihm betreibt, sondern an seinem Leben teilnimmt; daß dieser Mensch ihn bestätigt, ehe er ihn beeinflussen will. Und so lernt er fragen. Der Lehrer, an den zum ersten Mal ein Knabe herantritt, mit etwas trotziger Miene, aber mit bebenden Händen, sichtlich aufgeschlossen und von einer kühnen Hoffnung befeuert, und ihn fragt, was wohl in einer bestimmten Situation das Rechte wäre, z. B. ob man, wenn man erfährt, daß ein Freund ein Geheimnis, das man ihm anvertraut hatte, verriet, ihn zur Rede stellen oder sich damit begnügen solle, ihm fortan kein Geheimnis mehr anzuvertrauen, der Lehrer, dem das widerfährt,
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merkt, daß er nun den ersten bewußten Schritt auf dem Weg der Charaktererziehung zu machen hat: er hat zu antworten, unter Verantwortung zu antworten, eine Antwort zu geben, die wahrscheinlich über die Alternative der Frage hinausführt, indem sie eine dritte Möglichkeit eröffnet, welche die richtige ist. Diktieren, was im allgemeinen gut und was böse ist, das ist seines Amtes nicht, aber antworten, auf eine konkrete Frage antworten, antworten, was in einer bestimmten Situation richtig und was falsch ist, das ist seines Amtes. Geschehen kann das, wie gesagt, nur in der Atmosphäre des Vertrauens. Vertrauen aber erwirbt man selbstverständlich nicht, indem man sich bemüht es zu erwerben, sondern indem man an dem Leben der Menschen, mit denen man umgeht, hier also: am Leben der Zöglinge, unmittelbar und unbefangen teilnimmt und die Verantwortung, die sich daraus ergibt, auf sich nimmt. Pädagogisch fruchtbar ist nicht die pädagogische Absicht, sondern die pädagogische Begegnung. Eine an den Widersprüchen in der Welt, in der menschlichen Gesellschaft, in ihrem eigenen leiblichen Dasein leidende Seele tritt mir mit einer Frage entgegen; indem ich ihr nach meinem Wissen und Gewissen zu antworten versuche, helfe ich ihr zum Charakter zu werden, der die Widersprüche handelnd überwindet. Steht der Lehrer so zu seinem Schüler, an seinem Leben teilnehmend und verantwortungsbewußt, dann kann alles, was sich zwischen ihnen ereignet, einen Weg zur Charaktererziehung erschließen, ohne Absichtlichkeit und ohne Politik: Unterricht und Sport, ein Gespräch über Streitigkeiten in der Klasse und ein Gespräch über die Probleme eines Weltkriegs. Nur darf der Lehrer die der Erziehung gezogenen Grenzen nicht vergessen. Er darf auch da, wo Vertrauen herrscht, nicht erwarten, daß damit schlechthin Übereinstimmung herrsche. Vertrauen bedeutet Durchbruch aus der Verschlossenheit, Sprengung der Klammer, die um ein unruhiges Herz gelegt ist, aber es bedeutet keine unbedingte Zustimmung. Der Lehrer darf nie vergessen, daß auch Konflikte erziehen, wenn sie nur in reiner Luft ausgetragen werden. Ein Konflikt mit dem Zögling ist die höchste Probe des Erziehers. Er muß die eigene Einsicht unverkümmert gebrauchen, er darf die Schwertspitze seiner Erkenntnis nicht abstumpfen, und doch muß er auch schon einen Wundbalsam für das Herz bereithalten, das von ihr getroffen wird. Er darf nicht einen Augenblick lang einen dialektischen Scheinkampf statt des wirklichen Kampfes um die Wahrheit führen, aber wenn er siegt, hat er dem Besiegten zu helfen, die Niederlage zu ertragen, und wenn er über die eigenwillige Seele nicht siegt, die ihm gegenübersteht (man siegt nicht so leicht über Seelen!), hat er das Wort der Liebe zu finden, das allein über eine so schwierige Situation wie diese hinwegführen kann.
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2 Ich habe bisher nur auf jene persönliche Problematik der Charaktererziehung hingewiesen, die in der Beziehung zwischen Erzieher und Zögling ihren Ort hat; den Charakter selbst, zu dem erzogen werden soll, habe ich vorläufig vorwegnehmend als einen einfachen Begriff von feststehendem Inhalt behandelt. Das ist er aber keineswegs. Um zur sachlichen Problematik der Charaktererziehung vorzudringen, müssen wir den Begriff des Charakters selbst kritisch untersuchen. In seiner bekannten Abhandlung über Charakterbegriff und Charaktererziehung unterscheidet Kerschensteiner2 zwischen dem »Charakter im allgemeinsten Sinne«, worunter er »eine sich im Handeln auswirkende, gleichbleibende Stellungnahme des Menschen zur menschlichen Umwelt« versteht, und dem eigentlichen »sittlichen Charakter«, den er als »eine besondere Stellungnahme« definiert, »eine Stellungnahme, die den unbedingt geltenden Werten einen Vorzug vor allen anderen Werten im Handeln gibt«. Nehmen wir das Unterscheidungsprinzip, dem ein Wahrheitsgehalt ja nicht abzusprechen ist, vorerst uneingeschränkt an, so eröffnet sich uns eine so ernste Problematik aller Charaktererziehung in unserem Zeitalter, daß die Möglichkeit dieser Erziehung überhaupt in Frage gestellt erscheint. Mit »den unbedingt geltenden Werten« kann natürlich nicht eine subjektive Geltung für die handelnde Person gemeint sein. Für Don Juan ist die Verführung möglichst vieler Frauen der unbedingt geltende subjektive Wert und für den Diktator die maximale Macht-Akkumulation. Die »unbedingte Geltung« kann sich nur auf ein Sein universaler Werte und Normen beziehen, das die handelnde Person erkennt und anerkennt. Aber gerade das Vorhandensein solcher universalen Werte und Normen von unbedingter Geltung zu bestreiten ist die hervorstechende Tendenz unseres Zeitalters. Diese Tendenz richtet sich nicht etwa bloß, wie zuweilen angenommen wird, gegen die religiöse Sanktion von Normen, sondern gegen deren universales Wesen und unbedingte Geltung überhaupt, gegen ihren Anspruch, dem Menschen wesensgemäß übergeordnet zu sein und dem ganzen Menschengeschlecht zu gebieten. Werte und Normen dürfen hier nur noch Lebensausdruck einer Gruppe sein, die ihr eignes Bedürfnis in die Sprache der objektiven Forderung übersetzt, bis zuletzt die Gruppe als solche, eine Nation etwa, zum absoluten Wert, ja zum einzigen erhöht wird und die Aufspaltung der Gruppen so durchs ganze Sein geht, daß eine gemeinsame Wertsphäre des Menschen2.
G. Kerschensteiner, Charakterbegriff und Charaktererziehung, München 1912.
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geschlechts nicht mehr auferstehen kann und ein Befehl an den Menschen nicht mehr vernommen wird. Mit dem Wachstum dieser Tendenz schrumpft der Boden für das Werden dessen, was Kerschensteiner unter dem sittlichen Charakter versteht, immer mehr zusammen. Wie kann unter diesen Voraussetzungen die Aufgabe einer Charaktererziehung erfüllt werden? Es sind in der Zeit des arabischen Terrors in Palästina 3 und anläßlich einzelner jüdischer Gegenunternehmungen gewiß viele Gespräche zwischen Lehrer und Schülern über die Frage geführt worden, ob es ein Moratorium des Dekalogs geben könne, d. h. ob der Mord eine gute Tat werde, wenn man ihn im Interesse der eigenen Gesellschaft begehe. Von einem solchen Gespräch ist mir erzählt worden. Der Lehrer fragte: »Wenn es im Dekalog heißt: ›Sage nicht gegen deinen Genossen als Lügenzeuge aus!‹, sollen wir das mit der Einschränkung verstehen: ›Vorausgesetzt daß es dir keinen Nutzen bringt‹ ?« Daraufhin ein Schüler: »Es handelt sich ja aber nicht um meinen Nutzen, sondern um den meines Volkes!« Der Lehrer: »Und was meinst du, wenn wir die Einschränkung so formulieren: ›Vorausgesetzt daß es deiner Familie keinen Nutzen bringt‹ ?« Der Schüler: »Die Familie, das ist eben doch noch so etwas wie ich selbst, das Volk aber, das ist etwas ganz anderes, da verschwindet das Ich!« Der Lehrer: »Wenn du also z. B. denkst: ›Wir wollen siegen!‹, fühlst du dann dabei gar nicht; ›Ich will siegen!‹ ?« Der Schüler: »Aber das Volk, das ist doch unendlich mehr als die heute, gleichzeitig mit mir Lebenden! Das sind doch alle gewesenen und kommenden Geschlechter!« In diesem Augenblick empfand der Lehrer, daß man nun wirklich aus dem Kreis der Stunde treten und das geschichtliche Schicksal anrufen müsse, Er sagte: »Ja, alle gewesenen Geschlechter! Aber wovon haben denn all die Geschlechter des Exils gelebt und wodurch haben sie alles überlebt? War es nicht dies, daß der Ruf ›Tue es nicht!‹ nie aus ihren Ohren und ihren Herzen wich?« Der Schüler wurde sehr blaß. Eine Weile schwieg er, aber wie einer, den das Wort zu ersticken droht; dann brach er aus: »Und was haben wir auf diesem Weg erlangt? Das da!« Und er klopfte auf die Zeitung vor ihm, die den Bericht über das britische Weißbuch enthielt. Und nochmals brach er aus: »Gelebt? Überlebt? War denn das ein Leben? Wir wollen leben!« Ich habe vorhin gesagt, der Erzieher erprobe sich in dem Konflikt mit dem Zögling, er müsse ihn auf sich nehmen, und, wie auch die Sache sich wende, über ihn hinaus den Weg ins Leben finden, und zwar (so ist hinzuzufügen) in ein Leben, in dem das Vertrauen unerschüttert, ja eher auf 3.
Der Vortrag wurde 1938 gehalten. Zwischen 1936 und 1938 war es zu schweren arabischen Anschlägen auf jüdische Siedlungen gekommen, auf die Buber hier anspielt.
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geheimnisvolle Weise gesteigert fortbesteht. An dem Beispiel, das ich eben angeführt habe, zeigt sich aber die ungeheure Schwere dieser Forderung, ja es scheint ihr eine zuweilen unüberschreitbare Grenze gezogen zu sein. Hier tut sich ja nicht mehr bloß ein Konflikt zwischen zwei Generationen auf, sondern der zwischen einer einige Jahrtausende alten Welt, die daran geglaubt hat, daß es eine dem Menschen übergeordnete Wahrheit gibt, und einem Zeitalter, das eben daran nicht mehr glaubt, nicht mehr glauben will oder nicht mehr glauben kann. Fragen wir nun aber: »Wie ist in dieser Situation Charaktererziehung möglich?«, so ist etwas Negatives sogleich offenbar: es hat gar keinen Sinn, mit Argumenten irgendwelcher Art beweisen zu wollen, daß es die geleugnete Unbedingtheit der Normen dennoch gibt. Das hieße ja annehmen, die Leugnung entstamme der Reflexion, gegen die man Gründe, d. h. Material zu erneuter Reflexion, vorbringen könne; sie entstammt aber der Beschaffenheit eines herrschenden Menschentypus des Zeitalters. Wohl dürfen wir in dieser Beschaffenheit eine Erkrankung des Menschengeschlechts erblicken; aber wir dürfen uns nicht vortäuschen, die Krankheit sei durch Sprüche zu heilen, die besagen, es sei all das nicht so, wie der Kranke es sich vorstelle. Es ist ein müßiges Beginnen, einer Menschheit, die ewigkeitsblind geworden ist, zuzurufen: »Seht da, die ewigen Werte!« Überall sind heute Scharen um Scharen von Menschen in die Hörigkeit von Kollektiven verfallen, von denen jedes für die ihm Hörigen die höchste Instanz ist; es gibt keine den Kollektiven übergeordnete, universale Souveränität mehr in der Idee, im Glauben, im Geist; die Bewertungen, Verfügungen, Entscheidungen des Kollektivs sind inappellabel. Das gilt nicht etwa bloß für totalitäre Staaten, sondern auch für Parteien und parteiähnliche Gruppengebilde in den sogenannten Demokratien. Menschen, die sich so an den kollektiven Moloch verloren haben, kann man aus dieser Verlorenheit nicht durch einen, noch so beredten, Hinweis auf das Absolute ziehen, dessen Königtum der Moloch usurpiert. Man muß damit beginnen, sie auf den Bezirk hinzuweisen, in dem sie selber von Zeit zu Zeit, in Stunden, wo einer ganz allein mit sich ist, die Erkrankung in jähen Schmerzen verspüren: auf das Verhältnis des Einzelnen zu seinem eigenen Selbst. Um in eine persönliche Beziehung zum Absoluten eintreten zu können, muß man erst wieder eine Person sein; man muß das reale persönliche Selbst aus dem feurigen Rachen des alle Selbstheit verschlingenden Kollektivums retten. Das Verlangen danach birgt sich in dem Schmerz des Einzelnen an dem verstörten Verhältnis zu seinem eigenen Selbst; er betäubt den Schmerz mit einem feinen Gift immer neu und hält so auch das Verlangen nieder. Den Schmerz wachzuhalten, das Verlangen zu erwecken ist
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die erste Aufgabe eines jeden, den die Verdunklung der Ewigkeit leiden macht; es ist auch die erste Aufgabe des echten Erziehers in dieser Stunde. Zu einer »Stellungnahme, die den unbedingt geltenden Werten einen Vorzug vor allen anderen Werten im Handeln gibt«, ist der Mensch, für den es keine unbedingt geltenden Werte in diesem, im universalen Sinne gibt, nicht zu erziehen. Aber er ist dazu zu erziehen, überhaupt erst wieder zu einer wirklichen Stellungnahme gelangen zu wollen. Damit jedoch ist der von Kerschensteiner formulierte Begriff des sittlichen Charakters, der bekanntlich auf Kant zurückgeht, als für die spezifisch heutige Aufgabe der Charaktererziehung unbrauchbar erkannt. Ein anderer ist zu suchen, wenn diese Aufgabe genauer bestimmt werden soll. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß wir heute auf den Trümmern des Hochbaus stehen, dessen Söller Kant errichtet hat. Es ist uns heute Lebenden nicht gegeben, bereits den Plan eines neuen Baus zu entwerfen. Aber vielleicht können wir ohne Plan, nur mit dem Aufdämmern eines Bildes in unsres Geistes Auge, die ersten Steine des Fundaments zu legen beginnen.
3 Nach Kerschensteiners endgültiger Definition ist der Charakter »im Grunde nichts anderes als freiwilliger Gehorsam gegen die Maximen, die sich durch Erfahrung, Belehrung und Selbstbetrachtung im Individuum gebildet haben, sei es, daß sie übernommen und dann vollständig zu eigen gemacht wurden, sei es, daß sie aus eigener Gesetzgebung im Bewußtsein entstanden sind.« Dieser freiwillige Gehorsam sei »aber nur eine Form der Selbstbeherrschung«. Zunächst müßten Liebe zu anderen oder Furcht vor anderen im Menschen »die Gewohnheit erzeugt haben, sich selbst zu überwinden«; dann müßte sich allmählich »der äußere Gehorsam in inneren Gehorsam umwandeln«. Der Begriff der Gewohnheit ist dann besonders von John Dewey 4 in seinem Buch »Human Nature and Conduct« ausgebaut worden. Charakter ist nach ihm »the interpenetration of habits«. Ohne »the continued operation of all habits in every act« gäbe es keinen einheitlichen Charakter, sondern nur »a juxtaposition of disconnected reactions to separated situations«. Aus diesem Begriff des Charakters als einer Organisation der Selbst4.
J. Dewey, Human Nature and Conduct, New York 1922 (Deutsch in: Psychologische Grundfragen der Erziehung, München/Basel 1974).
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beherrschung durch Maximensammlung oder als eines Systems von ineinandergreifenden Gewohnheiten läßt sich die Ohnmacht der modernen Pädagogik der Erkrankung des Menschen gegenüber wohl verstehen. Aber auch unabhängig von der besonderen Problematik des Zeitalters kann er keine zulängliche Grundlage für den Aufbau einer echten Charaktererziehung abgeben. Nicht als ob der Erzieher der Verwendung von nützlichen Maximen oder der Förderung von guten Gewohnheiten entraten könnte. Aber in den vielleicht nur seltenen Augenblicken, wo ihm das Gefühl des gesegneten Werkes beschieden ist, das Gefühl, das ihn mit dem Entdecker, dem Erfinder, dem Künstler, verbindet: an der Offenbarung des Verborgenen teilzunehmen, in diesen Augenblicken findet er sich in einer ganz anderen Sphäre als in der der Maximen und Gewohnheiten. Seine eigentliche Zielsetzung, den eigentlichen Begriff des Charakters, um den es ihm zu tun ist, kann er – mag das Ziel von ihm auch nicht oft erreicht werden – nur dieser höchsten Stufe seines Wirkens entnehmen. Ein junger Lehrer betritt zum erstenmal selbständig, nicht mehr als ein seine Befähigung ausweisender Seminarist, eine Schulklasse. Sie liegt vor seinem Blick wie ein Bild der Menschenwelt, so vielfältig, so widerspruchsvoll und so unzugänglich. Er spürt: »Die Jungen da habe ich mir nicht ausgesucht, ich bin hierher gestellt und muß sie annehmen wie sie sind, – und doch nicht wie sie jetzt, in diesem Augenblick sind, nein, wie sie wirklich sind, wie sie werden können. Aber wie kann ich merken, was in ihnen steckt, und was kann ich dazu tun, daß es Gestalt annehme?« Und die Jungen machen es ihm nicht leicht, sie lärmen, sie treiben Unfug, sie starren ihn mit dreister Neugier an. Schon ist er versucht, diesem Störenden da Einhalt zu gebieten, Ordnungsmaximen anzugeben, Gewohnheiten eines anständigen Benehmens zu erzwingen, nein zu sagen, nein zu all dem, was sich von da unten gegen ihn erhebt, – von unten anzufangen. Und wenn man von unten anfängt, kommt man vielleicht nie nach oben, sondern alles kommt nach unten. Aber da trifft sein Blick auf ein Gesicht, das ihm auffällt, es ist weder schön noch besonders intelligent, aber es ist ein wirkliches Gesicht, vielmehr, das Chaos zur Entstehung des Kosmos eines wirklichen Gesichts, und er liest eine Frage darauf, die etwas anderes als die allgemeine Neugier ist. »Wer bist du? weißt du etwas, was mich angeht? bringst du mir etwas? was bringst du?« – so etwa ist die Frage zu lesen. Und er, der junge Lehrer, redet das Gesicht an. Er sagt gar nichts Gewichtiges und Bedeutsames, er stellt eine gewöhnliche Anfangsfrage: »Was habt ihr zuletzt in der Heimatskunde besprochen? Das Tote Meer? Nun, was ist das, das Tote Meer?« Aber es war doch offenbar etwas nicht ganz Gewöhnliches drin in der
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Frage, denn die Antwort, die er bekommt, ist nicht die übliche Schülerantwort, sondern der Junge erzählt. Er war vor ein paar Monaten einige Stunden am Toten Meer, und davon erzählt er. »Und das alles kam mir so vor«, sagt er noch, »als sei es einen Tag vor der übrigen Welt geschaffen worden.« Es ist unverkennbar, daß er sich jetzt eben zum erstenmal entschlossen hat, darüber zu reden. Dabei hat sich sein Gesicht verändert; es ist gar nicht mehr so chaotisch wie vorher. Und die Klasse ist still geworden. Alle hören zu. Auch die Klasse ist nun kein Chaos mehr. Etwas ist geschehen. Der junge Lehrer hat von oben angefangen. Gewiß kann die Aufgabe des Erziehers, der sich seine Zöglinge nicht aussuchen kann, sondern dem die Welt, so wie sie ist, in der Gestalt einer Schulklasse Jahr um Jahr schicksalhaft auf seinen Lebensweg geschickt wird (und gerade in diesem Schicksal liegt ja der Sinn seines Werkes!), – gewiß kann seine Aufgabe nicht darin bestehen, große Charaktere auszubilden. Er muß Zucht und Ordnung herstellen, muß ein Gesetz aufrichten, und er kann nur erstreben und erhoffen, daß Zucht und Ordnung allmählich immer innerlicher, immer autonomer werden, und daß zuletzt das Gesetz ins Herz der Schüler geschrieben stehe. Aber sein eigentliches Ziel, das, wenn er es recht erkannt hat und recht im Auge hält, all seine Arbeit beeinflussen muß, ist der große Charakter. Der große Charakter ist weder als ein System von Maximen noch als ein System von Gewohnheiten zu erfassen. Es ist ihm eigentümlich, mit seiner ganzen Substanz zu handeln. Das heißt, es ist ihm eigentümlich, auf jede Situation, die ihn als handelnden Menschen anfordert, ihrer Einmaligkeit gemäß zu reagieren. Freilich gibt es zwischen Situationen allerhand Ähnlichkeiten, man kann Typen von Situationen konstruieren, man kann jeweils ermitteln, in welche Abteilung die Situation dieses Augenblicks gehört, und aus dem Schatz der ausgebildeten Maximen und Gewohnheiten das Passende holen, die passende Maxime ausmünzen, die passende Gewohnheit in Gang bringen. Aber das Untypische der Situation dieses Augenblicks bleibt dann unbeachtet und unerwidert. Das kommt mir vor, wie wenn man bei neugeborenen Kindern sogleich nach dem Geschlecht auch den Typus feststellen und jedes mit denen des gleichen Typus in einer Massenwiege zusammenlegen wollte, über der kein Eigenname mehr, nur noch die Bezeichnung des Typus stünde. Jede lebendige Situation hat, wie ein Neugeborenes, trotz aller Ähnlichkeiten ein neues Gesicht, nie dagewesen, nie wiederkehrend. Sie verlangt eine Äußerung von dir, die nicht schon bereitliegen kann. Sie verlangt nichts was gewesen ist. Sie verlangt Gegenwart, Verantwortung, dich. Einen großen Charakter nenne ich den, der durch seine Handlungen und Haltungen den Anspruch der Situation aus einer tiefen Bereitschaft zur Verantwor-
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tung seines ganzen Lebens erfüllt, und so, daß sich in der Gesamtheit seiner Handlungen und Haltungen doch auch die Einheit seines Wesens, seines verantwortungswilligen Wesens bekundet. Weil sein Wesen eine Einheit, die Einheit eines Verantwortungswillens ist, schließt sich auch sein aktives Leben zur Einheit zusammen. Und man darf vielleicht sagen, daß sich ihm auch aus den beantwortenden und verantwortenden Situationen eine Einheit, die unumschreibbare Einheit eines sittlichen Schicksals erbaut. Mit alledem kann keineswegs gemeint sein, daß der große Charakter jenseits der Normen stehe. Einem verantwortenden Menschen bleiben die Normen nicht fremd. Aber das Gebot der echten Norm wird nie zur Maxime und ihre Erfüllung nie zur Gewohnheit. Was ein werdender großer Charakter an Gebot in sich aufnimmt, wirkt in ihm weder als Bestandteil seines Bewußtseins noch als Aufbaustoff seiner Übung, sondern in einer Grundschicht seiner Substanz, wo es verwahrt bleibt, bis es sich ihm konkret offenbart; und was es ihm zu sagen hat, offenbart sich jeweils durch eine Situation, die von ihm eine Erfüllung fordert, von der er vielleicht bisher keine Vorstellung hatte. Auch die universalste Norm gibt sich zuweilen erst im Allerbesondersten zu erkennen. Ich weiß von einem Mann, dem der Blitzstrahl des »Stiehl nicht!« zu einer Stunde ins Herz fuhr, da ihn etwas ganz anderes angewandelt hatte, als der Wunsch, ein Besitztum zu entwenden, und ihm so ins Herz fuhr, daß er nicht bloß unterließ etwas zu tun, sondern etwas geradezu Entgegengesetztes mit der ganzen Kraft seiner Leidenschaft tat. Gut und Böse sind ja einander nicht wie Rechts und Links entgegengesetzt, sondern das Böse tritt uns als ein Wirbel an, das Gute als eine Richtung, und auch im Verbot ist eine Richtung, ein ja, ein Gebot verborgen, das sich in solchen Stunden auftut. In solchen Stunden redet es einen aus dem Spruch wirklich in der zweiten Person an, und das Du darin ist niemand Andrer in der Welt als man selbst. Maximen sind nur der dritten Person, des Jeder und Niemand, mächtig. Man kann sagen, daß es gerade die Unbedingtheit der Anrede ist, die das Gebot von der Maxime unterscheidet. Von dieser Seite aus vermögen wir das Dilemma der Charaktererziehung in einem Zeitalter, das für die unbedingte Anrede taub geworden ist, zweifellos nicht zu überwinden. Aber die Einsicht in die Struktur des großen Charakters selbst kann es uns überwinden helfen. Freilich mag gefragt werden, ob denn der Erzieher »von oben anfangen«, ob er in seiner Zielsetzung von der Hoffnung auf den großen Charakter, der stets Ausnahme bleibt, ausgehen dürfe, da er doch in seinen Methoden der Charaktererziehung auf die andern, die vielen, Rücksicht nehmen müsse. Meine Antwort ist, der Erzieher würde es nicht dürfen,
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wenn sich daraus eine Methodik ergäbe, die auf jene nicht anwendbar ist. Aber es verhält sich vielmehr so, daß gerade durch die Einsicht in die Struktur des großen Charakters der Erzieher auf den Weg gelangt, auf dem allein er heute, wie ich schon angedeutet habe, auch auf die dem kollektiven Moloch Verfallenen einzuwirken beginnen kann, indem er sie auf den Bezirk hinweist, in dem sie selber leiden: auf das Verhältnis zum eigenen Selbst. Dem Bereich dieses Verhältnisses muß er die Werte entnehmen, die er seinen Zöglingen glaubhaft und begehrenswert machen kann. Dazu zeigt ihm die Einsicht in die Struktur des großen Charakters den Weg. Ein Teil der Jugend beginnt heute zu spüren, daß in der Absorption durch das Kollektiv etwas Allerwichtigstes und Unersetzliches verloren geht, die personhafte Verantwortung für Leben und Welt. Diese Jugend weiß zwar noch nicht, daß ihre blinde Hingabe an das Kollektiv, an eine Partei etwa, nicht eine echte Tat des persönlichen Daseins gewesen ist, daß sie vielmehr der Scheu entstammte, in dieser Zeit der Verwirrung auf sich selbst gestellt zu sein, auf ein Selbst, das nicht mehr von ewigen Werten die Richtung empfängt, – daß diese Hingabe also von dem unbewußten Begehren genährt war, von einer Instanz, an die man glaubt oder glauben will, die Verantwortung abgenommen zu bekommen; daß diese Hingabe eine Flucht war. Ich sage: die Jugend, von der ich spreche, weiß das noch nicht. Aber sie beginnt zu merken, daß wer, was er tut und läßt, nicht mehr mit seinem ganzen Wesen entscheidet und mit seinem ganzen Wesen verantwortet, an der Seele unfruchtbar wird. Eine unfruchtbare Seele aber, das ist bald keine Seele mehr. Hier kann und soll der Erzieher ansetzen. Er kann dazu helfen, daß das Gefühl des Mangels zur Klarheit des Bewußtseins und zur Kraft des Wunsches erwachse. Er kann den Mut wecken, das Leben wieder auf die eigenen Schultern zu nehmen. Er kann vor seinen Schülern das Bild des großen Charakters erstehen lassen, der dem Leben und der Welt keine Antwort schuldig bleibt, sondern alles Wesenhafte, das ihm begegnet, in seine Verantwortung aufnimmt. Er darf dieses Bild zeigen, ohne fürchten zu müssen, daß alle die unter seinen Schülern, die vor allem der Zucht und Ordnung bedürfen, in ein Streben nach einer richtungslosen Freiheit geraten: im Gegenteil, er kann sie eben damit lehren, auch Zucht und Ordnung als den Auftrag des Wegs zu eigener Verantwortung zu erkennen. Er kann zeigen, daß auch der große Charakter nicht fertig geboren wird, – daß seine Wesenseinheit erst reifen muß, ehe sie sich in der Folge seiner Handlungen und Haltungen äußert. Aber auf die Einheit selbst, die Einheit der Person und die Einheit des gelebten Lebens, soll er wieder und wieder hinweisen. Der verwirrenden Widerspruchsfülle des modernen
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Seins können nicht die Kollektive steuern, von denen keines den Geschmack der echten Einheit kennt, und die, sich selbst überlassen, damit enden würden, daß sie, wie die in die Schachtel gesperrten Skorpione der witzigen Fabel, einander auffressen. Dieser Widerspruchsfülle kann nur die Wiedergeburt der persönlichen Einheit, Einheit des Wesens, Einheit des Lebens, Einheit des Wirkens, Einheit von Wesen, Leben und Wirken miteinander, überwindend entgegentreten. Das ist keine statische Einheit des Einförmigen, sondern die große dynamische Einheit des Vielfältigen, in der sich die Vielfalt zur Einheit des Charakters gestaltet. Heute sind die großen Charaktere noch »Volksfeinde«, sie, die ihre Gesellschaft lieben, aber eben deshalb nicht bloß darauf aus sind sie zu erhalten, sondern sie zu erhöhen; morgen werden sie die Bauleute einer neuen Einheit der Menschenwelt sein. Die Sehnsucht nach der persönlichen Einheit, aus der die Einheit einer Menschheit geboren werden soll, soll der Erzieher in seinen Zöglingen erfassen und stärken. Glaube an diese Einheit und Wille zu ihr, das ist keine »Rückkehr« zum Individualismus, sondern ein Schritt über die ganze Zweiheit von Individualismus und Kollektivismus hinaus. Die große ganze Beziehung von Mensch zu Mensch kann nur zwischen einheitlichen, verantwortenden Personen sein, darum ist sie im totalen Kollektivum seltener als in irgendeiner historisch früheren Staatsform, in der autoritären Partei seltener als in irgend einer früheren Form freier Vereinigung. Die echte Charaktererziehung ist die echte Erziehung zur Gemeinschaft. In einer so erzogenen Generation wird sich auch das Verlangen entzünden, die ewigen Werte wieder zu schauen, die Sprache der ewigen Norm wieder zu hören. Wer die innere Einheit kennt, deren Innerstes Geheimnis ist, lernt das Geheimnis in all seinen Formen verehren. Heute sind Generationen – in einer wohl verständlichen Reaktion gegen die frühere Herrschaft eines falschen, fiktiven Geheimnisses – von dem Drang besessen, alles Leben zu entgeheimnissen. Das fiktive Geheimnis wird dabei verschwinden, das echte wird auferstehen. Einer Generation aber, die das Geheimnis unter all seinen Formen verehrt, wird sich auch die Ewigkeit nicht länger entziehen. Ihr Licht erscheint nur verdunkelt, weil das Auge am Star erkrankt ist. Freilich, es scheidet sich heut, in der Stunde des Aufruhrs, zwischen dem Ewigen und dem, das das Ewige äffte; was in die Urstrahlung hineingefunkelt, in den Urklang hineingesummt hatte, wird, da es vor der Unheimlichkeit des neuen Wirrwarrs versagte und die fragende Seele seine Nichtigkeit entdeckte, erloschen, verstummt sein; nichts bleibt, als was über dem Problemungetüm des heutigen Abgrunds, wie über den Abgründen von je, sich erhebt, der Flügelschlag des Geistes und das schaffende Wort. Aber wer aus der Einheit sehen und hören
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kann, wird auch wieder schauen und vernehmen, was sich ewig schauen und vernehmen läßt. Der Erzieher, der dazu hilft, den Menschen wieder zur eigenen Einheit zu bringen, hilft dazu, ihn wieder vor das Angesicht Gottes zu stellen.
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Erwachsenenbildung Die große und beispielslose Aufgabe, die unserer Generation zugefallen ist, nämlich die Masse der nach Israel Einwandernden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich und kulturell einzuordnen, und ebenso die Notwendigkeit, die geistige Form des jüdischen Volkes in seiner Heimat zu bilden, verlangen eine vielseitige Tätigkeit auf dem Gebiete der Volkserziehung, die hauptsächlich von der Abteilung für Erwachsenenbildung bei der Hebräischen Universität übernommen werden muß. Eine der vordringlichsten Aufgaben, sowohl unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung wie der Zeit, ist die Ausbildung von »Lehrer-Instruktoren«, die geeignet und bereit sind, zu den Menschen hinzugehen und den Erwachsenen, wo immer sie sich auch befinden mögen – in Stadt oder Land, in Einwanderungs- oder Ausbildungslagern – die jüdische und allgemeine Bildung zu vermitteln, die zur Formung von Persönlichkeiten notwendig ist, auf deren Schultern man den Aufbau des Landes dann getrost legen kann. Abgesehen von einigen Wenigen, herrscht gegenwärtig im Lande ein großer Mangel an solchen Lehrer-Instruktoren; man kann unmöglich die immer stärker werdende Nachfrage nach solchen Lehrern aus dem Lehrkörper der Universität und der hebräischen Schulen befriedigen. Die Aufgabe der Erwachsenenbildung ist nämlich grundsätzlich verschieden von dem Unterrichten der Kinder in den Schulen oder der Studenten an der Universität. Als erste Vorbedingung muß ein Seminar für »Erwachsenen-Lehrer« eingerichtet werden, an dem junge Menschen die entsprechende Ausbildung für ihre Aufgabe erhalten. Ein solches Seminar muß in den Rahmen der Hebräischen Universität einbezogen werden. Die Wahl der Unterrichtsmethoden, die Lehrpläne und die Auswahl der Lehrer sollte Fachleuten der Universität anvertraut werden, während die Verwaltung dieser Institution der Leitung der Abteilung für Erwachsenenbildung überlassen bliebe, der die Vertreter der Regierung und der Jewish Agency angehören werden. Das Seminar für Erwachsenen-Lehrer soll jährlich drei Arten von Kursen abhalten: a) Eine Reihe von Kursen von 5-monatiger Dauer für diejenigen, die dieses wichtige Amt des Lehrer-Iustruktors für Erwachsene ausüben wollen. Diese Kurse sollen zweimal jährlich mit verschiedenen Lehrplänen abgehalten werden. Es ist vorgesehen, daß die Teilnehmer beide Kurse absolvieren sollen; aber im Anfang soll es wegen der dringenden Nach-
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frage nach Instruktoren den Studenten, die sich im Verlauf des ersten Kurses ausgezeichnet haben, möglich sein, ihre praktische Arbeit schon nach Beendigung nur eines Kurses zu beginnen, das heißt nach 5-monatlicher Vorbereitung. Zu diesen Kursen sollen junge Menschen mit entsprechenden Fähigkeiten zugelassen werden, die die Mittelschule besucht haben oder auch solche, die eine besondere pädagogische Begabung besitzen. Die Fähigkeiten der Anwärter sollen durch besondere AufnahmeTests festgestellt werden, die sich nicht nur auf die Prüfung ihrer Kenntnisse allein beschränken sollen. Für jeden Kurszyklus sollen 40 Teilnehmer zugelassen werden; im Bedarfsfall können zwei parallele Kurse eingerichtet werden. Nach Beendigung eines jeden Zyklus sollen Examina abgehalten und Diplome in zwei Abstufungen entsprechend der Länge des Studiums ausgestellt werden. Die Behörden, die an der Durchführung dieses Planes mitarbeiten, sollen die Absolventen dieser Seminare bevorzugen, wann es immer notwendig sein sollte, Lehrer-Instruktoren für Erwachsenenbildung anzustellen. b) Zyklen von zweimonatiger Dauer für solche Menschen, die sich bereits in der Kulturarbeit mit Erwachsenen betätigt haben (junge Menschen, die aus den Kolonien delegiert wurden, Instruktionsoffiziere und junge Volksschullehrer) und die hierdurch eine intensivere Ausbildung für ihre Tätigkeit erhalten sollen. c) Arbeitsgemeinschaften von zwei bis vier Wochen Dauer für junge Menschen aus allen Kreisen unter Einschluß von sorgfältig ausgewählten Neueinwanderern, unter der aktiven Mitwirkung von Absolventen des Seminars und den fortgeschrittenen Studenten. Diese Arbeitsgemeinschaften sollen gleichsam ein lebendes Beispiel der Zwecke des Seminars für weitere Kreise bilden. Das Seminar bezweckt es nicht, seine Teilnehmer mit einer Fülle von Informationen zu versehen, sondern vielmehr sie zu selbstständigem Denken zu erziehen auf der Grundlage des Stoffes, den sie sich im Studium bereits erarbeitet haben, und der Erfahrungen, die das Leben im Lande ihnen bringen wird, sodaß sie diese beiden Quellen zu einem organischen Wissen vereinigen können. Es ist nicht das letzte Ziel, Menschen mit vielem Wissen herauszubilden, sondern Männer und Frauen, die von jüdischem Geist erfüllt sind – Menschen, die ein tiefes Verständnis für die verschiedenen Aspekte unserer Wiedergeburt haben – Menschen, die eng unserem Lande und seiner Natur, unserer Kultur und unserer Gesellschaft sowie dem Werk des Aufbaues unseres Volkes und unseres Landes verbunden sind. Der Hauptteil des Lehrplanes soll der Klarstellung der Grundbegriffe des sozialen, ökonomischen und politischen Wissens dienen, einschließ-
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lich der Verfassung und der Prinzipien des Rechtes. Die Lehrer sind angehalten, den Studenten einen allgemeinen Begriff der Dinge unter besonderer Berücksichtigung der gegenwärtigen Situation zu geben. Gleichzeitig mit diesem Kurs soll ein Kurs gegeben werden, der folgende Themen des jüdischen Wissens behandelt: a) Darstellung des jüdischen Volkes in der Gegenwart und des zeitgenössischen Judentums; b) Darstellung von Erez Israel, seinen Verhältnissen und historischen, anthropo-geographischen und geo-politischen Beziehungen. Was weiter die Naturwissenschaften betrifft, so sollen ausgewählte Kapitel der Physik (insbesondere die physikalischen Fortschritte unserer Zeit), der Kosmologie und Biologie behandelt werden. Auch hier soll das Ziel nicht so sehr die Vermittlung von Wissen sein, als vielmehr die Klarstellung der Grundlagen der Wissenschaft, der besonderen Gedankenrichtung innerhalb der Naturwissenschaften, und den Grundlagen und wechselseitigen Beziehungen von Theorie und Praxis. Dies alles wird den Weg aus Licht bringen, den der menschliche Geist bei der Eroberung der Natur gegangen ist, und die sozialen und geistigen Krisen, die durch die Mechanisierung des Lebens hervorgerufen sind, Krisen, die wir überwinden müssen, aber nicht durch irgendeine Art des Rückschrittes. Zusätzlich zu diesen Kursen soll folgendes durchgeführt werden: a) gemeinsame Lektüre und Erklärung hebräischer Texte, sowohl der klassischen Literatur – insbesondere der Bibel – als auch der modernen hebräischen und der Weltliteratur in Übersetzung. b) Lichtbildvorführungen von Kunstwerken in guten Reproduktionen und ihre Erklärung unter dem Gesichtspunkt von Inhalt, Form, Stil, sozialem und kulturellem Hintergrund; ferner der Vortrag von ausgewählten Musikstücken, mit besonderem Hinweis auf die Grundlagen und die Entwicklung der europäischen Musik. Die Absicht hierbei ist, die Studenten in die Welt der Kunst einzuführen und ihre Rolle im menschlichen Leben klarzustellen. c) Unterricht in Kunst- und Handfertigkeit. d) Gemeinschaftliches Singen. Alle diese Fächer, die 20 bis 30 Wochenstunden ausmachen (abgesehen von Lektüre, Vorführungen u. s. w.), haben die aktive, mündliche Beteiligung der Studenten zur Grundlage. Auf diese Weise erhalten sie eine praktische Übung in den Methoden und den didaktischen Prinzipien ihres zukünftigen Berufes. Die Studenten sollen täglich nach Beendigung des Unterrichtes unter geeigneter Leitung zusammenkommen, um das Tagespensum zu wiederholen.
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Einmal wöchentlich sollen Aussprachen veranstaltet werden, in denen in freier Diskussion Themen behandelt werden, die von den Studenten selbst vorgeschlagen werden und sich aus dem behandelten Material oder den Problemen des Tages ergeben. Diese Zusammenkünfte verfolgen den Zweck, nicht nur Probleme und Begriffe klarzustellen, sondern die Studenten zu üben, Diskussionen über verschiedene Themen zu leiten und an ihnen in geeigneter Weise teilzunehmen. Der Lehrkörper soll aus ständigen und zeitweiligen Lehrern gebildet werden, sowohl Akademikern wie Nicht-Akademikern. Das jährliche Budget wird annähernd 15.000 Pfund betragen, abgesehen von den Stipendien für bedürftige Studenten, die von den zentralen Organisationen und den lokalen Behörden aufgebracht werden müssen.
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Erwachsenenbildung 1. In den Jahren 1811 und 1817 hielt der große Philosoph Bernhard Bolzano in Prag sieben Reden über Volksaufklärung. Als die wesentliche Aufgabe auf diesem Gebiete bezeichnete er es, »gemeinnützige Wahrheiten« verbreiten. Es sollte, so interpretierte er diese Zielsetzung, eine Jugend herangebildet werden, die »durch fleißige Übung zu einer solchen Fertigkeit im richtigen Denken gebracht worden ist, dass sie die Ungereimtheit der Vorurteile, welche in ihrer Gegend herrschen, selbst einsieht und nicht von jedem Betrüger, der ihr etwas vorgaukeln will, sich hintergehen lässt, sondern vernünftig prüft, ob das auch wahr und glaubwürdig sei, was man ihr vorsagt.« Hier ist im ersten Anfang der Geschichte der Volksbildung bereits in aller Klarheit ausgesprochen, um was es geht. Das Menschenmaterial ist Jugend, schulentwachsene Jugend. In der Schule ist sie mit zahlreichen und mannigfaltigen Kenntnissen ausgestattet worden. Nun aber soll sie lernen, was sie dort zu lernen noch nicht reif genug war und wozu auch dort, der ganzen Art und Ordnung der Schulen nach, noch nicht der rechte Ort war: die dort erworbenen Kenntnisse und die neuen Erfahrung, die jetzt Tag um Tag ihr zuträgt, im selbständigem und »richtigem« Denken zu verarbeiten und sich so eigene, wohlbegründete Urteile zu bilden über die Wirklichkeit des persönlichen und des öffentlichen Lebens, in die sie einzutreten im Begriff ist. Diese durch eigene Denkarbeit errungenen Urteile stellt Bolzano sowohl den »Vorurteilen« gegenüber, die sich in der umgebenen Gesellschaft ausgebildet haben und sozusagen von selber auf das heranwachsende Geschlecht einwirken, als auch jenen Truggespinsten, die interessierte Personen und Kreise der Jugend auf dem Wege der Suggestion glaubhaft zu machen sich bestreben. Deutlich stehen hier die beiden Prinzipien, die um die Seele des jungen Menschen ringen, das Prinzip der Propaganda oder Auferlegung von Tendenzen von außen her und das Prinzip der Erziehung oder innere Entfaltung einander gegenüber. Entfaltung des selbsttätigen Geistes ist die Hauptaufgabe der Volksbildung. Daß dies nicht individualistisch zu verstehen ist, hat bald nach Bolzano der eigentliche Schöpfer der Volksbildungsbewegung, der Däne Sven Grundtvig (1783-1872) vollends deutlich gemacht. Nicht um seiner selbst willen soll der Geist im reifenden Menschen zur Selbständigkeit gebracht werden, sondern um seiner Verwirklichung in der Volksgemein-
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schaft willen. Denn eine Volksgemeinschaft kann nur dann zu einer eigenen sozialen und kulturellen Gestalt gelangen, wenn ein aus selbständig betrachtenden und selbstständig denkenden Menschen bestehendes Volk sich in ihrer Formung zusammenschließt. Grundtvig war der Sohn einer kleinen Nation in der Zeit ihrer entscheidenden Krisis. Diese bereitete sich in einem geistigen Kampf gegen eine eher an Macht weit überlegen, Preußen, um den Besitz einer dänischen Grenzprovinz, Schleswig, vor. Der Kampf ging 1864 in einen Krieg über, den Dänemark verlor. Grundtvig erkannte von Anfang an, dass es zuinnerst ein Kampf um die Seelen der Grenzbevölkerung war, und dass in der äußeren Schwäche sich eine innere ausdrückte. In der äußeren militärischen Krisis war eine innere, eine geistige angebrochen. Ihr trat G.[rundtvig] mit seinem Werk der Volksbildung entgegen. Die Dänen waren ein Agrarvolk, zum größten Teil kleine und mittlere Bauern. Aber die Führung lag in den Händen einer kleinen Oberklasse und diese machte eine nationalistische, wirklichkeitsfremde Politik. Sie machte sie, weil sie kein echtes Gesellschafts- und Kulturideal besaß. Mit der Niederlage war es mit dieser Führung zu Ende. Das Regime musste durch eine Bauerndemokratie abgelöst werden. Damit diese aber die Krisis überwinden und eine lebensfähige Gesellschaft und Kultur schaffen konnte, bedurfte es eines geistig reifen Bauernstandes, den es noch nicht gab. Grundtvig erkannte dies und fand den Weg dazu: die Volkshochschule, die eine Bauernhochschule war. Sie war als die Schule der Bauerndemokratie gedacht und ist es geworden. »Eine Freischule für Erwachsene« nannte er sie, und sie sollte der Pflege des »besonderen Lebensstils des dänischen Volkes« dienen, der eben ein Bauernstil war. G.[rundtvig] verstand, dass man einen solchen Lebensstil nicht herstellen kann: er muss in der historisch gewachsenen Volkssubstanz entdeckt und im Einvernehmen mit der gegenwärtigen Wirklichkeit entwickelt werden. G.[rundtvig] wusste, dass es keine stilschaffende, lebensformschaffende Gesellschaft ohne Anknüpfung an die Tradition, aber auch keine ohne Erneuerung der Tradition von den Forderungen der neuen Wirklichkeit aus gibt. Die Tradition betrachtete er auf eine eigenartige Weise: er nahm zwar die christlichen Lehren und Normen in den Kern der Volkserziehung auf, aber zugleich mit ihnen auch die Pflege der uralten, im Volke schlummernder Bildkräfte, die einst in der nordgermanischen Mythologie den mächtigsten Ausdruck gefunden hatten. Dabei war G.[rundtvig] jedoch kein Romantiker: er wusste um die Faktoren, die in der modernen Gesellschaft wirken; um was es ihm zu tun war, war, ein starkes Kristallisationszentrum zu schaffen, um das sich das Neue ansetzten sollte.
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Aus der doppelten Aufgabe ergaben sich zu einem guten Teil Lehrprogramm und Methode. Wesentlich war das gemeinsame Lesen und Erklären großer klassischer Texte, insbesondere solcher der altdänischer Literatur, ebenso wie biblische Texte (doch gab es in der G.[rundtvig]schen VHS [Volkshochschule] keinen Religionsunterricht). Aber nicht minder wichtig war die gemeinsame Betrachtung der modernen dänischen Lebenswirklichkeit. Auch sie bestand gleichsam aus Texten, die untereinander gelesen wurden; aber hier konnte in weit höherem Masse jeder Schüler selber an der Interpretation aktiv teilnehmen. Grundtvig sah ganz allgemein als die Lebenssubstanz des Unterrichts das lebendige Gespräch an; aber hier, bei der gemeinsamen Betrachtung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, konnte auch jeder der Schüler aus seinen besonderen Erfahrungen einen Beitrag zu dem die Wirklichkeit beschreibenden und erklärendem Gespräch leisten. »Stellen wir uns nur«, sagt Grundtvig, »eine Gemeinschaft von Jungmannen aus allen Gegenden des Reiches, aufgewachsen in den verschiedenartigsten Kreisen und unterrichtet in mancherlei Gewerben vor, so finden sich sicherlich so viel leidlich helle Köpfe und lebensvolle Naturen zusammen, dass man sie nur in lebendige Wechselwirkung zu setzen braucht, damit sie sich gegenseitig viel bisher noch Unerkanntes über das Vaterland lehren.« So wird das Gespräch zwischen dem Lehrer und den Schülern, das sich im wesentlichen in Fragen der Schüler über das, was sie nicht zur Genüge verstanden haben, und das, was sie noch mehr wissen möchten, und den Antworten des Lehrer bewegten, erfährt durch das vom Lehrer geleitete Gespräch der Schüler miteinander, das im wesentlichen aus Berichten und Erzählungen aus dem eigenen Leben besteht. In beiden Formen zusammen baut sich in Grundtvigs Schulprogramm das von ihm ausgebildete Prinzip aus, das ich als das dialogische Prinzip in der Erziehung bezeichne. Aus dem Gesagten wird auch deutlich, welches Verhältnis zur Wissenschaft die VHS [Volkshochschule] nach G.[rundtvig]s Anschauung haben musste. Was hier gelehrt wird, muss auf der modernen Forschung, auf den differenziertesten Methoden der Erkenntnis basieren, aber einer bloßen Popularisierung des akademischen Unterrichts darf die Volksbildungsarbeit nicht anheim fallen. Sie hat, ihrer besonderen Aufgabe gemäß, wie ihre eigene Pädagogik, so auch ihre eigene Didaktik. »Eine solche Anstalt«, sagt Grundtvig, »muss von der Wissenschaft emporgetragen werden und in lebendiger Verbindung mit ihr stehen, um nicht ihr feindselig oder rückschrittlich zu werden; aber sie muss selbständig sein, um nicht zu ihrem bloßen Schwanz oder leeren Schatten zu entarten; denn sie soll eine wirklich geistige Macht bedeuten, durch die das Leben und der Augenblick ihre unverlierbare und von den Gelehrten leicht verkannten
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Gerechtsame behaupten«. Das Leben und der Augenblick, und das heißt: der Dienst an der gegebenen historischen Situation dieses bestimmten Volkes, die Bewältigung seiner in dieser Stunde aufgebrochenen inneren Problematik, die Überwindung der gegenwärtigen Krisis, dies ist es, was das Ziel der VHS [Volkshochschule] und damit auch ihr Programm und ihre Lehrweise bestimmt. Aber nicht bloß sie, auch die Struktur der VHS [Volkshochschule] ergibt sich daraus. Denn wo es sich um Vermittlung von Kenntnissen allein handelt, da darf man sich mit Vorträgen und Übungen begnügen, an denen die Schüler außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitszeit teilnehmen; wo hingegen wie hier der ganze Mensch erfasst und beeinflusst werden soll, müssen die Schüler für eine Reihe von Monaten oder sogar für Jahre aus ihrem gewohnten Lebensbetrieb herausgehoben und zu einer Lerngemeinschaft, zu einer geistigen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen werden. Dieser Art waren die dänischen VHSn [Volkshochschulen], wie sie von G.[rundtvig] geplant und begonnen, aber erst von seinen Schülern voll realisiert wurden. Auf dieser festen Grundlage war, das moderne dänische Bauerntum, ist die dänische Demokratie gebaut worden. Im zweiten Weltkrieg sind in Dänemark die VHSn [Volkshochschulen] der Hort des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gewesen. Als 2 Jahrzehnte vor diesem Kriege Grundtvig starb, schrieb der norwegische Dichter Björnson in einem Gedicht: »Sein Tag war von allen der größte im Nord.«
2. Der bedeutendste Schüler Grundtvigs war Kristen Kold; wenn wir in Grundtvig den Schöpfer der Volksbildungsbewegung zu sehen haben, so dürfen wir Kold den eigentlichen Begründer der dänischen Volkshochschule nenne. Zu ihm kam einmal ein junger Bauer und klagte ihm, er lausche zwar gern seinen Vorträgen, vergesse aber manchmal ihren Inhalt. Darauf antwortete Kold: »Quäle dich nicht damit. Würden wir totes Wissen erörtern, so wäre das eine andere Sache. Denk nun an deine Arbeit auf dem Feld. Wenn wir Abzugsröhren legen, müssen wir Merkzeichen setzen, damit wir sie wieder finden. Wenn wir aber Korn sähen, brauchen wir die Stelle nicht zu bezeichnen, denn das Korn wird zu seiner Zeit aufgehn. So darfst du gewiss sein, dass was du mit Vergnügen gehört hast wieder aufsteigen wird, wenn du es brauchst.« In diesem Gleichnis Kolds hat die Verschiedenheit der Richtungen, in die sich die Idee der Volksbildung verzweigte, einen schönen Ausdruck
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gefunden. Es sind dies im Wesentlichen zwei grundverschiedene Richtungen, um die es sich handelt. Die eine will dem Gedächtnis des heranwachsenden Menschen eine möglichst große Anzahl von Kenntnissen auf allen Gebieten des Wissens einprägen; die andere will diesen Menschen so erziehen, dass sein Wissen, die jeweilige Gesamtheit seiner Kenntnisse zu einem organischen Bestandteil seines Lebens wird: wenn dies geschehen ist, wird ohne besondere Anstrengungen das Wissen, auf welchem Wege auch er es jeweils erwirbt, in ihm Frucht tragen, wie das gesäte Korn. Damit es aber geschehen könne, muss die Volksbildung es in allem und jedem nicht auf die Versorgung des Gehirns, sondern auf die Entfaltung des ganzen Menschen absehen; er soll denken lernen, aber nicht mit dem Intellekt allein, sondern mit seinem ganzen geistig-leiblichen Wesen, mit allem Gliedern und allen Sinnen. Sein Denken soll nicht eine besondere, vom übrigen Sein getrennte Abteilung seines Wesens sein: seine Augen, seine Ohren, seine Fingerspitzen sollen daran teilnehmen. Die Richtung der Volksbildungsbewegung, die die echte Erbin Grundtvigs ist, hat sich zum Ziel gesetzt, zu einem neuer Organik des Geistes zu erziehen. Daran schließt sich aber eine andere Frage, die von den beiden Richtungen grundverschieden beantwortet wird: Ist die VHS [Volkshochschule] eine Fortsetzung der Volks- und Mittelschule oder ist sie nach Lehrprogramm und –Methode eine Institution eigener Aufgabe und eigenen Gesetzes? Die popularisierende Richtung sieht hier nun ergänzende Kurse, die jene erwünschten allgemeinen Kenntnisse liefern sollen, die die Schule nicht hat liefern können, und spricht im Zusammenhang damit auch gern von einem Ersatz für die Universität. Das ist nebenbei gesagt ein wunderliches Missverständnis, denn die historische Aufgabe der Universität hat nicht darin bestanden, die Studenten mit zusätzlichen Kenntnissen zu versorgen, sondern sie zu einer methodischen Gedankenarbeit auf bestimmten Gebieten zu befähigen, sei es als Basierung intellektueller Berufe, sei es als Vorbereitung eigener Forschung. Aber wie die Universität ihrem Wesen nach etwas anderes ist als eine Fortsetzung der Mittelschule, so auch die VHS [Volkshochschule]. Zur Methodik soll und kann sie nicht heranbilden; sie soll den jungen Menschen heranbilden zur Erfüllung einer Lebensaufgabe an seiner Gemeinschaft in ihrer gegebenen historischen Situation. Das liegt freilich auch der Universität ob, wenn sie dem Leben treu bleiben und seinen Forderungen gerecht werden will; aber die Universität kann dies nur sozusagen zwischen den Zeilen vollbringen, für die VHS [Volkshochschule] ist es der zentrale Gesichtspunkt, der alles bestimmen muss, sowohl Programm wie Lehrweise. Wir dürfen sagen, für die Universität sei es erwünscht, dass ihr Unterricht auch erzieherischen Charakter trage, die Aufgabe der VHS [Volkshochschule] hin-
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gegen sei Erziehung durch Unterricht, und zwar eine spezifische Erziehung; Erziehung zu einem guten Staatsbürger, und zwar im Verfolg der Worte Bolzanos, die ich am Anfang meiner Einführungen zitierte, zu einem selbst denkenden guten Staatsbürger. Aber kann man denn durch Unterricht erziehen? Unterricht will das Denken der Schüler beeinflussen, Erziehung ihr Wesen und Leben. Genügt es, wie Sokrates meinte, die Erkenntnis des Richtigen in ihnen zu erwecken, damit das richtige in ihrem Wesen und Leben verwirklicht werde? Aber auch Sokrates selber hat seine entscheidende Wirkung nicht durch das von ihm Gelehrte, sondern durch sein Lehren durch seine […] Person ausgeübt. Nicht der Unterricht erzieht, aber der Unterrichtende. Der gute Lehrer erzieht mit seiner Ruhe und mit seinem Schweigen, in den Lehrstunden und in den Pausen, im beiläufigen Gespräch, durch sein bloßes Dasein, er muss nur ein wirklich existenter Mensch sein und er muss bei seinen Schülern wirklich gegenwärtig sein; er erzieht durch Kontakt. Die VHS [Volkshochschule] ist auf der Intensivierung des Kontakts zwischen Lehrer und Schüler aufgebaut, auf dem dialogischen Prinzip; Dialog von Fragen und Antworten, beidseitigen Fragen und beidseitigen Antworten, Dialog in gemeinsamer Betrachtung einer Wirklichkeit, Natur oder Kunst, oder gemeinsamer Ergründung eines Lebensproblems, Dialog des echten Beisammenseins, wo die Pausen des Gespräches nicht weniger dialogisch sein können als die Rede. Kann man denn aber Erwachsene erziehen? Erziehung ist Wandlung durch Entfaltung, durch Entfaltung des Realen und Erwünschten. Der heranwachsende Mensch hat seine innere Form und Ordnung noch nicht erlangt, das Verhältnis zwischen Latenz und Aktualität hat sich noch nicht befestigt, er ist, wenn auch die verschiedenen Menschen in verschiedenem Masse, bildsam und bereit, Ordnung zu empfangen, und es kommt nur eben darauf an, ihm nichts aufzuerlegen, wodurch sein inneres Wachstum erstickt würde, sondern eben dieses Wachstum zu pflegen, es durch Auswahl und Begünstigung des Realen zu fördern. Der erwachsene Mensch ist im wesentlichen determiniert; er hat seine Meinung und seine Lebensweisen, wenn diese Ordnung auch zumeist nur die seiner Partei und diese Lebensweise zumeist nur die seiner Gesellschaftsgruppe ist; das Latente ist gleichsam abgewandt, er will sich davon nicht mehr überraschen lassen; und ganz gewiss will er nicht mehr erzogen werden. Lernen will er noch, er fühlt, dass er es braucht, aber an Erzogenwerden hat er genug. Hier ist die Kernfrage der Volksbildung. Soll die Richtung, die auf die Verbreitung von Kenntnissen allein ausgeht, recht behalten? Das Erwachsenwerden ist ein schweres Problem des Lebens und man schenkt ihm zu wenig Aufmerksamkeit, trotz all der pädagogischen Erör-
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terung. Das Annehmen von Form und Ordnung ist im allgemeinen ein vorschnelles, das Abwenden des Aktualisierten gegen das Latente setzt im allgemeinen einem wesentlichen Prozess des seelischen Werdens ein Ende vor der Zeit. Die Selbstsicherheit des heranwachsenden Menschen ist im allgemeinen ungenügend fundiert und sie führt zu einer nur scheinbaren Bewältigung der Situationen, vor die das Leben ihn stellt, wobei er sich aber jeweils dem Wahne hingibt, er bewältige sie wirklich. So entsteht und erweitert sich immer mehr ein Riss, der mitten durch die Existenz führt, in ein immer heilloseren Widerspruch zwischen Sein und Schein. Dieser Grundtatsache im Leben des modernen Menschen gegenüber muss der Erwachsenen-Erzieher seine erste Aufgabe darin sehen, die falsche Sicherheit zu erschüttern und die vorzeitig gewonnene Form und Ordnung mit der noch nicht wahrhaft geformten, noch nicht wahrhaft geordneten Wirklichkeit von Welt und Mensch zu konfrontieren. Er muss die Seele aufrühren, damit sie ihre wahre Selbsttätigkeit erlange und als eine selbständige der Gemeinschaft zu dienen lerne. Daraus ergeben sich zwei allgemeine Aufgaben des Unterrichts. Die erste ist die Klärung der Begriffe, vornehmlich auf den Gebieten der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Staates. Vom Lesen der Zeitung am Morgen bis zum Besuch der Versammlung am Abend wird der junge Mensch von einer Fülle der Begriffe überschwemmt, die er annimmt und selber verwendet, ohne sich Rechenschaft abzulegen, welcher konkrete Inhalt darin erfasst ist. Prüfung und Klärung ist hier unerlässliche Voraussetzung der Erkenntnis. Die zweite Aufgabe ist die Aufzeigung des Weges des Menschengeistes und des Punktes, den unsere Zeit mit ihrer Produktion und ihrer Problematik innerhalb dieses Weges einnimmt. Es geht darum, den jungen Menschen von der gewohnten isolierten Betrachtung der Gegenwart zu befreien und ihn zu lehren, sich zugleich als Erben und als Bildner zu verstehen, als Bildner einer Neugestaltung des Erbes. Beide Aufgaben aber sind einer umfassenden untergeordnet: die Schüler zu einer unbefangenen Betrachtung der gesellschaftlichen und kulturellen Denkkultur, in der sie stehen und ihrer geschichtlichen und gegenwärtigen Zusammenhänge, und damit zu einem echten Dienst an ihr zu befähigen. Die in ihrem vollen Ernst verstandene Erwachsenenbildung ist stets auf eine bestimmte historische Situation eines bestimmten Volkes bezogen. Und zwar ist sie in solcher Weise darauf bezogen, dass sie in ihrer inneren Bedeutung, im Hinblick auf die von ihr gestellte erzieherische Aufgabe erfasst wird und so Lehrplan und Lehrweise bestimmt.
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Welches ist die innere Bedeutung unserer gegenwärtigen historischen Situation und welches die erzieherische Aufgabe, die sie stellt? Es ist eine präzedenzlose Situation und eine präzedenzlose Aufgabe. Was wir Diaspora nennen, darf man als ein Netz von Kolonien ohne Mutterland verstehen und was wir Zionismus nennen, als den Versuch der Kolonien sich durch Wiederherstellung der ursprünglichen Heimat ein selbständiges und fruchtbares Mutterland zu schaffen. An die Stelle der zentrifugalen Besiedlung, die die Weltannalen der Kolonisation füllt, ist hier eine zentripetale getreten. Dass dieses paradoxe Vorhaben in dem Masse gelang, wie es gelang, verdanken wir einer einzigartigen Typenwandlung, der – geschichtlich fast unbegreiflichen – Entstehung eines neuen Menschentypus in unserem Volke, der in Jahr um Jahr heranwachsenden Geschlechtern einen starken Kristallisationskern aufzubauen vermocht hat. Sinngemäss hätte sich in steter organischer Entwicklung, Schicht um Schicht, Leben und Werden von Pioniergeschlechtern angesetzt, in immer neuer Herausbildung chaluzischer Eliten aus der Diaspora, bis das entscheidende Zentrum vollendet war. Aber die historischen Wellen der Unterdrückung und Vernichtung, derengleiche keine frühere Epoche gekannt hatte, sie haben alle organischen Pläne über den Haufen geworfen, insbesondere als die vom ihrem Drängen bestimmte politische Wendung die Einwanderung von Massen ermöglichte. An die Stelle des Plantempos ist das Zwangstempo getreten, dem alles Planen sich anzupassen genötigt ist; an die Stelle der an dieses Land unter allen und dieses Werk unter allen hingegebenen Pioniereliten sind Menschenklumpen getreten, innerhalb derer gewiss nicht wenig echte Pioniertypen im Keim vorhanden sind, aber in welcher Proportion und in welcher Macht, sich gegen die anderen, nur eben Eingewanderten zu behaupten und auf sie einzuwirken? Damit aber stehen wir erst an der Schwelle des schwersten Problems. Was ich die Kolonien genannt habe, war sehr verschieden an Art, an Sprache, an Lebensweise. Der organische Plan zielte darauf ab, dass die Pioniere sich zu einer neuen Einheit, eben der Einheit eines Kristallisationskerns zusammenschließen, die ihren Differenzen überlegen ist und auch die künftige Entwicklung der Einheit verbirgt. Mit der Hinwegschwemmung des organischen Plans durch die »historischen« Wellen ist auch die Einheitsfunktion problematisch geworden. Und wir können nicht, wie es die USA gekonnt haben, warten, bis wir zu einem Schmelztiegel werden, der im Lauf von ein paar Generationen die bedenklichen Unterschiede ausgleicht; wir sind nunmehr, nachdem alles so gekommen ist wie es gekommen ist, darauf angewiesen, in kürzester Zeit eine wirkliche Volkseinheit zu werden, mit einer einheitlichen Wirtschaft, Gesellschaft und
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Kultur. Mit äußeren Mitteln ist diese Einheit nicht zu schaffen; welcher innere, welcher geistige Faktor wird es vermögen? Es gibt keine anderen als die Erziehung der Erwachsenen. Gewiss, man kann einen seiner Art nach nichtchaluzischen Menschen nicht zum Chaluz erziehen, zumal in dieser Spätzeit des Zionismus, wo das chaluzische Element an Impetus und magnetischer Kraft eingebüsst hat. Aber man kann und muss innerhalb der Massenalija, in jeder einzelnen Community, die Menschen finden, in denen der chaluzische Funke schlummert, ihn wecken und entfalten: man muss sie erziehen, sie fördern, sie zu einer Elite zusammenschließen, die im Lande selbst das im Kleinen wirkt, was einst die große chaluzische Elite im Grossen an der Diaspora gewirkt hat, die anzieht und nach sich zieht; man muss sie zu einer erzieherischen Elite zusammenschließen. Diese Avantgarden werden auch untereinander den Kontakt und die Antriebe zu gemeinsamer Arbeit finden. Wenn wir diesen Erziehungsweg, diesen Weg der Erziehung von Erziehern, als notwendig vor uns sehen, dürfen wir uns aber auch der Einsicht nicht verschließen, dass der chaluzische Funke sich heute nicht mehr mit denselben Mitteln wie einst entfalten lässt, ja dass die ganze seelische Atmosphäre des aus der Diaspora kommenden jüdischen Menschen sich seither entscheidend gewandelt hat. Seine Seele ist vielfach von einer Verzweiflung am Menschen, an der menschlichen Gemeinschaft und an der Echtheit der geistigen Werte des Menschengeschlechts erfüllt, die von dieser und jener politischen Gesinnung, von der Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Kollektiv nur verdeckt wird und die zu überwinden auch die Tatsache eines jüdischen Staates nicht stark genug ist. Ja, die nationale Idee als solche ist, trotz all ihrer Erfolge, nicht stark genug [da-]zu. Denn es hat sich inzwischen in der Welt gezeigt, dass die Gesamtheit der nationalen Ideen in ihrem Widerstreit, der im Zeichen der nationalen Existenz geführte Kampf aller gegen alle die Existenz des Menschen ad absurdum führt. Es ist jedoch andererseits zu beachten, dass auch in der heroischen Epoche des Chaluziut der Antrieb kein rein nationaler war. Wir leben in Tagen, in denen man es mitten in einer unseligen, zerrissenen, verwirrten, hoffnungslosen Menschenwelt fertig bringt, zu sagen und zu meinen, wir lebten in den Tagen des Messias, nur weil die Sammlung der »Exile« oder zumindest ihre Bündelung zu einem gewissen, freilich überraschend großen Teil gelungen ist. So hat man denn vergessen, welch eine ungeheure Funktion in der chaluzischen Bewegung die echte messianische Idee, wenn auch in einer säkularisierten Form, erfüllt hat: Die Idee der Bereitung einer gewandelten, einer in Gerechtigkeit lebenden Menschenwelt
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durch die soziale Tat des Restes Israels, der Chaluziut. Da waltete eine gewaltige Verbindung universaler Werte mit nationalen und ewiger mit politischen. Was ist von ihr heute geblieben, da das Streben nach sozialer Gerechtigkeit in der Phrasiologie der Parteien zu ertrinken droht? Und was bleibt von der messianischen Hoffnung Israels für die Verwirklichung der Herrschaft Gottes auf Erden? Es gibt für Israel keine Zukunft als Israel ohne eine Wiederverbindung mit den ewigen Werten; aber es kann ohne sie auch keine wahre Einheit Israels in seinem Land geben. Nur in ihrem Zeichen kann ein wirklicher Zusammenschluss der »Exile« geschehen. Die Erziehung der Erwachsenen aus der Massen-Alija muss von der Absicht der Wiederverbindung mit den ewigen Werten bestimmt sein. Dies aber kann selbstverständlich nicht anders ausgeführt werden als in der konkretesten Verschmelzung mit der jüdischen und hebräischen Wirklichkeit des Volkes und des Landes. Die ewigen Werte können uns nur als unsere eigenen […] Werte wieder gegenwärtig und vertraut werden. Die menschliche Wahrheit und die jüdische Wirklichkeit müssen wieder eins werden. Das bedeutet für den Unterricht unter anderem, dass die hebräische Sprache nicht bloß ihrer selbst wegen, sondern auch als die Trägerin unseres Anteils an den ewigen Werten gelehrt werden muss; die Bibel nicht bloß als unser höchsten Kulturbesitz, sondern auch als unser Zugang zu den ewigen Werten; die jüdische Geschichte nicht bloß der Weg der Nation durch die Zeiten, sondern auch als der große Erweis dafür, dass wir die ewigen Werte der Gerechtigkeit und des Friedens nicht deshalb verkündet haben, weil wir schwach waren, sondern weil wir treu waren; und sogar die Kenntnis des Landes nicht ohne Zusammenhang mit seiner Verheißung für die Menschheit. Mit aller Wirklichkeit des Lebens sollen die Zöglinge bekannt gemacht werden, aber im Hinblick auf die Wahrheit des Geistes und ihren Weg auf Erden. Natürlich kann niemand die ewigen Werte lehren, der nicht an sie glaubt. Für die präzedenzlose Aufgabe sind die Menschen aufgerufen, die undogmatisch, aber ganz konkret noch an den lebendigen Geist glauben oder wieder an ihn glauben gelernt haben; die während die Verfinsterung der geistigen Sonne noch dauert, wissen und sagen, dass sie nicht erloschen ist. Sie haben aus ihrem Wissen zu lehren, aber, was mehr ist, sie haben auch mit ihrem Dasein zu erziehen. Sie haben zu tun, was in dieser kritischen Stunde das Wichtigste ist. In unserem Lande ist in dieser Zeit wahrscheinlich mehr als in irgendeinem anderen für die Erwachsenenbildung getan worden. Von sehr vielen Organisationen aus, allgemeinen und lokalen, parteilichen und überparteilichen, sind Jahr um Jahr in
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unübersehbarer Zahl Vorträge, Kurse, Seminare sehr verschiedener Art veranstaltet worden. Das Zentrum für Erwachsenenbildung der Universität, dem ich angehöre, hat einen hohen Anteil an diesem Werk. Unter dessen Initiative ist die Tendenz, zu großen organischen Zusammenhängen, sowohl von Seiten des Lehrsystems als auch von Seiten der Lehrordnung in der Gestalt fester, dauernder und maßgebender Institutionen, immer mehr gewachsen. Aber erst jetzt hat diese Tendenz unter dem Einfluss des mächtigen objektiven Bedürfnisses, das mit der Pflicht zur geistigen Aufnahme der Massenalija entstanden ist, volle Aktualität gewonnen. Aus ihr ist auch das von mir geleitete Lehrhaus für Volkshochschullehrer hervorgegangen. Es ist vielleicht das einzige Institut seiner Art in der Welt, wie das Bedürfnis, das es ins Leben gerufen hat, einzigartig ist. Wir haben in unserem Land viele gute Lehrer, Volkschul-, Mittelschulund Hochschullehrer hohen Ranges, die denen keines anderen Landes nachstehen. Aber wir haben noch keine Volkshochschullehrer oder, um einen von Lassalle geprägten Ausdruck zu gebrauchen, keine Volkslehrer. Nicht wenige unserer Lehrer, darunter eine erhebliche Zahl guter Lehrer, befassen sich auch mit der Abhaltung von Vorlesungen und Kursen, außerhalb der Schulen, zum Teil mit bemerkenswertem Erfolg. Aber all diese erfreuliche Tätigkeit steht im Zeichen des »auch«. Es ist, von den Lehrern aus gesehen, eine Beschäftigung und kein Beruf, wie es, von den Lernenden aus gesehen, eine Vervollkommnung und nicht eine Lebenserziehung ist. Das durch die Massenalija erweckte Bedürfnis hat uns gezeigt, dass wir Volkslehrer brauchen, Menschen, die sich der Erwachsenenbildung, insbesondere unter den neuen Olim 1 , aber auch sonst überall, als ihrem Berufe widmen wollen. Ich meine Menschen, die verstanden haben, dass es sich hier nicht um einen Beruf zweiter Ordnung handelt, nicht um einen Beruf, den man wählt, weil man einen höheren, höhere Anforderungen stellenden, nicht erlangen kann, sondern um einen Beruf erster Ordnung, der nicht geringere und in einer gewissen Beziehung noch höhere Anforderungen stellt als irgendein anderer, der ganze Menschen verlangt. Und wie sie, müssen es Volk und Staat verstehen lernen, sowohl die öffentliche Meinung wie alle nationalen Institutionen; man muss allgemein erkennen, dass dies ein Beruf von zentraler Bedeutung ist und dass er zu einem höchst ehrenvollen ausgestaltet werden muss. Das Werk unserer Erwachsenenbildung ist in eine neue Phase getreten, die von der neuen Situation bestimmt ist, und zwar, wie sich zeigen wird, 1.
Olim, hebr. »Einwanderer nach Israel«.
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nicht bloß im Gebiet der Arbeit unter der neuen Olim, in den Olim-Häusern, in den Olim-Lagern, und Olim-Siedlungen, sondern auch auf allen anderen Gebieten. Am Anfang dieser neuen Phase muss die spezifische Ausbildung spezifischer Lehrer stehen. Diese Aufgabe ist in der Begründung des neuen Lehrhauses, des …, zum Ausdruck gekommen. In diesem Lehrhaus, das in Jerusalem im Rahmen der Universität, aber im Zusammenwirken mit Regierung und Agency 2 errichtet worden ist, soll eine kleine Schar von Schülern sehr verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft, und innerhalb gewisser Grenzen auch verschiedener Vorbildung von den besten für die vorgesehenen Fächer vorhandenen Lehrern der Universität und außerhalb ihrer unterrichtet werden. Ich betone: eine kleine Schar; denn es handelt sich, wie ich bereits deutlich gemacht habe, nicht um Unterricht allein, sondern um Erziehung für eine besonders hohe Aufgabe, und Erziehung einer Schar ist wahrhaft nur dann möglich, wenn der Lehrer alle Einzelnen kennt, sich ihnen als Einzelnen zuwendet, mit ihnen als Einzelnen in Kontakt steht. »Kontakt« ist das Grundwort der Erziehung; Kontakt bedeutet, dass hier der Lehrer den Schüler nicht von Gehirn zu Gehirnen, von entwickeltem Gehirn zu unfertigen Gehirnen, sondern von Wesen zu Wesen, von gereiften zu werdenden Wesen gegenübersteht, wirklich gegenüber, das heißt nicht in einer Richtung von oben nach unten, von Lehrstuhl auf Lernbänke hin wirkend, sondern in echter Wechselwirkung, im Austausch von Erfahrungen, Erfahrungen eines erfüllten Lebens mit denen unerfüllter, die aber deshalb nicht weniger wichtig sind, nicht bloß Auskunftsuchen von unten und Auskunftgeben von oben, auch nicht bloß Fragen und Antworten hinüber und herüber, sondern echtes Wechselgespräch, das der Lehrer zwar leiten und beherrschen, in das er aber eben doch auch mit seiner eigenen Person unmittelbar und unbefangen eintreten muss. Dieses Gespräch aber soll sich ins schweigende Miteinanderdasein fortsetzen, ja hier wohl erst eigentlich kulminieren. Das ist es, was ich als ich von Grundtvig sprach, als das dialogische Prinzip in der Erziehung genannt habe. Unser Lehrhaus muss von ihm getragen sein, wenn es seine Aufgabe erfüllen soll. Die Lehrer müssen fragen, und zwar nicht bloß Examensfragen, durch die festgestellt werden soll, was die Schüler wissen; aber auch nicht bloß sokratische Fragen, die den Schüler dazu bringen sollen zu erkennen, dass er des wahren Wissens ermangelt, Fragen, denen freilich ein weit hoher pädagogisch Wert zukommt; die Lehrer müssen auch 2.
Jewish Agency, 1929 gegründete Organisation des Zionistischen Weltkongresses und Repräsentanten des nichtzionistischen Judentums zur Unterstützung der Besiedlung Palästinas.
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ganz echte Fragen stellen, durch deren Beantwortung sie eine Kenntnis erlangen, die ihnen selber noch fehlt, die Kenntnis der Erfahrungen und Meinungen ihrer Schüler. Und sie müssen die Fragen, die an sie gestellt werden, nicht bloß durch sachliche Information erwidern, so wichtig diese auch ist, sondern auch aus der Tiefe ihrer persönlichen Erfahrung. Sie müssen erzählen lassen und selber erzählen, Gesehenes schildern lassen und selber Gesehenes schildern. Ist dies die unerlässliche allgemeine Form der Erwachsenenbildung, so muss die immer wiederkehrende erste Absicht des Lehrens, insbesondere im Gebiet der Geisteswissenschaften und innerhalb seiner insbesondere im Gebiet der Gesellschaftswissenschaften, die Klärung der Begriffe sein. Hier tritt die sokratische Methode, die das Sein des Menschen durch Verbesserung seines Erkennens vervollkommnen will, in ihre Rechte. Als der Herrscher eines der chinesischen Staaten Konfuzius einzuladen beabsichtigte, die Leitung des Staates zu übernehmen, wurde K.[onfuzius] von einem seiner Schüler gefragt, welche Reformen er vornehmen würde. Er antwortete:« Die Richtigstellung der Begriffe«. Als sich der Schüler darüber abweisend äußerte, erklärte K.[onfuzius]: »Wenn die Begriffe nicht richtig sind, stimmen die Worte nicht; wenn die Worte nicht stimmen, kommen die Werke nicht zustande«. In der Tat wird an diesem Punkte, dem Punkte der Klarheit u. Unklarheit der Begriffe, der Stand des Seins, unzweifelhaft in hohem Masse von dem Stand des Bewusstseins bestimmt. Das macht sich heutzutage insbesondre in der Geläufigkeit geltend, mit der Begriffe verwendet werden, ohne dass der sie Verwendende sich irgend Rechenschaft ablegt, welchen konkreten Inhalt er im Sinne hat; er hält sich an den in seiner Gruppe herrschenden Wortgebrauch. Daraus entsteht im öffentlichen Leben endlose Verwirrung, gegenseitiges Missverstehen, aber auch das übliche Aneinanderanschwätzen, das Gemeinschaft zerrüttet. Die Schüler, die Volkslehrer werden sollen, müssen zunächst selber zur Selbstverantwortung für Begriff und Wort erzogen werden. Er muss immer wieder gleichsam eine Zollschranke aufgerichtet werden, an der die verwendeten Begriffe ihre Zuverlässigkeit zu erweisen haben. Im Mittelpunkt des Lehrplans muss die Wirklichkeit, unsere Wirklichkeit in dieser geschichtlichen Stunde stehen, unsere soziale, kulturelle, politische Wirklichkeit, sowohl in ihren geschichtlichen Voraussetzungen als in ihrer Tatsächlichkeit. Die Schüler müssen an dieser Wirklichkeit zuinnerst interessiert werden, sie müssen mit ihrer eigenen Existenz an sie gebunden werden; V.E [Volkserziehung] bedeutet immer, und ganz besonders hier, eine bindende Erziehung. Aber nicht Illusionen um die Wirklichkeit selber hat die echte bindende Kraft. Die Schüler müssen be-
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fähigt werden, unsere Wirklichkeit zu sehen und zu verstehen. Die Auswahl des zu Unterrichtenden muss dadurch bestimmt sein: es ist nichts zu lehren, was nicht unmittelbar oder in Beziehung zu unserer Wirklichkeit steht, und alles ist so zu lehren, dass die Folgerungen für unsere Wirklichkeit, ihren Bestand und ihre Aufgaben sich im Denken der Schüler, die ja zum selbständigen Denken zu erziehen sind, gleichsam von selber ergeben. Aber andererseits ist auch in den Lehrfächern, die jüdische Geschichte und Gegenwart, hebräische Sprache und Literatur, Kenntnis von Volk und Land zum unmittelbaren Gegenstand haben, die isolierende Betrachtung zu vermeiden. Unser unvergleichliches und unersetzliches nationales Palladium ist unsere prophetische Universalität; ein Nationalismus, der uns abgrenzte und isolierte, wäre eine partikularistische Assimilation. Aber nicht das allein. Wir können die Menschen der Massenalija nur dann wahrhaft an die Wiedergeburt des Volkes binden, wenn wir sie mit dessen elementarer Überlieferung verbinden, die sich ewig wandelt und erneuert; und das können wir nur, wenn wir diese Überlieferung in die große Überlieferung des Menschengeistes, in das Ringen des Geistes um die ewigen Werte einstellen. Ein lebendiges Judentum kann nur noch so gelehrt werden, dass es denen, die den Glauben an den Sinn von Welt und Leben verloren haben, ihnen wiedergibt.
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Über den Kontakt Aus Jerusalemer pädagogischen Radio-Reden Kann man durch Unterricht erziehen? Unterricht will das Denken der Schüler beeinflussen, Erziehung ihr Wesen und Leben. Genügt es, wie Sokrates meinte, die Erkenntnisse des Richtigen in ihnen zu erwecken, damit das Richtige in ihrem Wesen und Leben verwirklicht werde? Aber auch Sokrates selber hat seine entscheidende Wirkung nicht durch das von ihm Gelehrte, sondern durch sein Lehren ausgeübt. Nicht der Unterricht erzieht, aber der Unterrichtende. Der gute Lehrer erzieht mit seiner Rede und mit seinem Schweigen, in den Lehrstunden und in den Pausen, im beiläufigen Gespräch, durch sein bloßes Dasein, er muß nur ein wirklich existenter Mensch sein und er muß bei seinen Schülern wirklich gegenwärtig sein; er erzieht durch Kontakt. Kontakt ist das Grundwort der Erziehung. Es bedeutet, daß der Lehrer den Schülern nicht von Gehirn zu Gehirnen, von entwickeltem Gehirn zu unfertigen, sondern von Wesen zu Wesen, von gereiften zu werdenden Wesen gegenüberstehen soll, wirklich gegenüber, das heißt nicht in einer Richtung von oben nach unten, von Lehrstuhl auf Lehrbänke hin wirkend, sondern in echter Wechselwirkung, im Austausch von Erfahrungen, Erfahrungen eines erfüllten Lebens mit denen unerfüllter, die aber nicht weniger wichtig sind, nicht bloß Auskunftsuchen von unten und Auskunftgeben von oben, auch nicht bloß Fragen und Antworten hinüber und herüber, sondern echtes Wechselgespräch, das der Lehrer zwar leiten und beherrschen, in das er aber eben doch auch mit seiner eigenen Person unmittelbar und unbefangen eintreten muß. Dieses Gespräch aber soll sich ins schweigende Miteinanderdasein hinein fortsetzen, ja hier wohl erst eigentlich kulminieren. Das ist es, was ich das dialogische Prinzip in der Erziehung nenne.
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Adult Education in Israel Many of the new immigrants in Israel have not had even a proper elementary schooling. We do not mean by this illiterate persons, who constitute a negligible proportion of the immigrants in Israel and whose education poses quite different problems. We mean those immigrants who have a working knowledge of reading and writing in the language of their countries of origin, but not in the language of Israel, that is, not in Hebrew. It is hardly necessary to emphasize how great are the problems and difficulties which confront the teacher in Israel who must educate hundreds of thousands of adult immigrants so that they may become mature enough to participate fully in the life of a democratic state. The question naturally arises: from where do we obtain the teachers for this task? In most countries adult education is handicapped by a shortage of suitable staff and is dependent on the good will of school and university teachers who are able and ready to assist in its works. But the graduates of teachers’ training seminaries are usually able to deal well only with children, while the universities and other institutions of higher learning as a rule turn out teachers who are specialists in certain subjects. None of them therefore are suitably prepared for the task of adult education in Israel, which calls for special qualities as well as for special training adapted to the particular needs of the new immigrants. The young generation coming now is quite different from those that came before, and it must be integrated with the different traditions, customs, ideas, and relationships to which it is coming. This being the case, it was clear that facilities would have to be provided for the training of teachers for the express purpose of adult education in Israel, and in 1949 the Adult Education Centre of the Hebrew University decided that what was required was a special school of high academic level. The Ministry of Education and the Jewish Agency supplied a limited budget for the purpose whereupon it was resolved to set up a School for Adult Education Teachers (Beth Midrash Le-Morei Am) to serve as a pilot institution. The School for Adult Education Teachers was founded in the autumn of 1949 on the initiative of the then Minister of Education, Zalman Shazar, and myself, representing the Hebrew University’s Adult Education Centre. The aim of the School is to provide a thorough training for teachers of adults, especially of new immigrants who enter this country without a knowledge of its language, geography and history, and the con-
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ditions that prevail in it, and without having had at least a proper elementary schooling. The School admits as students preferably those who have completed high school, after it has satisfied itself with regard to the suitability of their characters for the tasks which they will have to undertake. The School also admits new immigrants, particularly those who can be described as intellectuals, if they have already acquired a sound knowledge of the Hebrew language. Experience has proved that these students become excellent teachers of other immigrants, provided they have attained the requisite educational standard and have the qualities of character necessary for the task. The students in the two courses already held as well as those enrolled for the third course now beginning are a very heterogeneous group from every point of view. Their ages range fom seventeen to fifty, the average age thus being twenty-six. Some of them have not even completed high school, while others are University graduates who have had many years of teaching experience abroad. Some do not, or did not, know anything about Judaism, while others are deeply rooted in Jewish religious culture. Sixty-seven students in the two courses already held passed the final examinations and received the Government’s diploma entitling them to teach. All of them are today working successfully as teachers of new immigrants in camps, in new settlements, or in Ulpanim. (The Ulpanim are intensive study courses of five months’ duration established by the Government and the Jewish Agency with the aim of furthering a knowledge of the Hebrew language among immigrants of the professional classes.) The duration of the course had to be limited to one year only to enable the school to turn out teachers as quickly as possible to meet the needs of the rapidly increasing number of immigrants. Students, however, must put in at least fourteen hours of work daily in order to attain the required standard. A condition of their admission to the School in fact is acceptance of the obligation to do so. In the course of my life, I have not seen such intensity of nothing but learning from morning until midnight. The lessons, averaging six hours daily, are not given in the form of lectures but of seminars. As far as possible all the students take an active part in these seminars, after having thoroughly prepared themselves beforehand by means of oral and written exercises. This method has the advantage of allowing for individual attention to the student, since a class does not ordinarily comprise more than thirty students. In view of the shortage of accommodations in Jerusalem, and since a large number of the students are immigrants themselves, a hostel has been set up in connection with the School. In it are accommodated the
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majority of the students as well as the Principal of the School. This circumstance of students and teachers living under the same roof and engaged in a common task has done much to overcome the difficulties presented by the heterogeneous character of the student body. The Principal guides and assists the students in their home work. He is always available for advice, and he has ample opportunity to give each student the individual attention he requires. The majority of the teachers are professors and lecturers of the Hebrew University. The others are persons who have already done successful work as adult education teachers on behalf of the Hebrew University’s Adult Education Centre. Not every University teacher, however able, can cope with the difficulties inherent in the work of the School. The teacher in this School must be able to teach his material in an extremely short period and therefore in a very intensive form, and he must be able to teach it to a body of students who are not only not homogeneous but in some cases lack the academic background for this type of training or are unaccustomed to the fundamental and intensive methods employed. During the first course, however, we already managed to establish a solid and smoothly-functioning staff of about fifteen teachers. That they proved as successful as they did was due not only to the fact that they were outstanding in their professions, but also because each of them was conscious of the responsibility that devolved on him for helping to accomplish the aims of the School. The teacher not only has to teach the students history, geography, literature, mathematics, philosophy, and the classics, but to help them with all the situations that may occur. The teacher must be ready to give them whatever assistance is necessary, to advise them, and even to console them because they have suffered so much. Our aim goes considerably beyond that of imparting knowledge. We are not directly and especially interested in knowledge. We are interested in man. Man must have knowledge, too, but if knowledge becomes the center of the person, it is just the opposite of what we want. We want the wholeness of a person because only whole persons can influence others as we want to influence others. This particular conjunction of situation and person is Adult Education as I understand it. It is not instruction first of all but education of character, and character is not above situation but is attached to the cruel, hard demand of this hour. With regard to the third year now starting, the Ministry of Education has requested that the number of students be doubled. In order to meet this request we have had to establish two separate classes, each having the same curriculum. (The Ministry has granted a total of IL. 12,000 for this
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purpose.) The Ministry has made available loans amounting to a maximum of IL. 200 per person for the benefit of those students who have no means with which to maintain themselves during the course, particularly for new immigrants who come to the School direct from the immigrants’ or transit camps. The Jewish Agency, too, has granted such loans for the third year. The amount of IL. 200 is sufficient to cover the cost of board and lodging in the hostel and to provide the student with a monthly allowance of IL. 4 for other expenses. The loan is repayable without interest in small monthly installments starting at the end of the course. The success which has attended the two trial courses held so far (1949/ 1950 and 1950/1951) leads us to believe that we have gained sufficient experience to justify the establishment of a permanent school for Adult Education Teachers, or even two Schools which, being larger than the existing pilot institution, would be commensurate with the requirements. The existing institution would, of course, carry on with its pilot work on a small scale as hitherto. At present (Autumn 1951) approximately eight hundred teachers are working among 250,000 new immigrants in the immigrants’ and transit camps and in the new settlements. These eight hundred exclude the school teachers who, of course, attend only to the needs of the children. Of the eight hundred (who include sixty-seven graduates of our school) approximately eight-five per cent have had no training whatsoever for their tasks. They were appointed in view of the extreme shortage of teachers, at a time when anyone who appeared to have some qualifications for the work was engaged without even having to submit to an examination, provided he had at least a mediocre knowledge of the Hebrew language and of this country and its conditions. It was fully realized at the time that the pupils of such teachers were bound to acquire a faulty knowledge of the language, if they were able to acquire a basic knowledge at all. Under these circumstances, it is urgently necessary that the unqualified and untrained teachers be replaced by other thoroughly trained teachers, such as the graduates of our School, and that the total number of adult education teachers among the new immigrants be raised to eighteen hundred within the shortest possible time. In order to meet these demands, we have proposed the following! A minimum plan, providing for the establishment of another large training school at a point near Jerusalem which would also be easily accessible from Tel Aviv, the second largest cultural center in Israel. This school would train approximately two hundred teachers a year, who would be additional to the fifty graduates a year leaving the existing pilot institu-
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tion in Jerusalem. A maximum plan providing for the establishment, in addition to the minimum plan, of a large training school for another two hundred teachers on Mount Carmel, near Haifa. These plans have been worked out by the Adult Education Centre of the Hebrew University which is also supported by the Ministry of Education. Our students must be carefully selected, and we cannot recruit them only from the well-to-do sections of the population. Aid is needed particularly for new immigrants, whose admission to the School we wish to encourage for reasons already mentioned. In the future, as in the past, financial assistance to our students will be given, for psychological reasons, in the form of loans rather than of outright grants. We must bear in mind, however, that the repayment of these loans will take at least three years. The total amount necessary for these loans must therefore be incorporated in the three-year plan. There is little doubt that movements of mass immigration and population displacement can seriously affect the stability of a country. The plan we have outlined here, because of its essentially humanistic and democratic basis, may help to avert this danger, we believe, by counterbalancing the forces likely to undermine stability. Removed by its very nature from party propaganda, the plan goes much deeper in its aims than the solution of petty, day-to-day problems. It is concerned with problems of a fundamental nature, and its result should do much to foster mutual respect and understanding among the citizens of the country. Because we consider our plan of such vital importance generally, we hope that countries struggling with problems similar to our own may benefit by our experience. So far our publications on the School have been in Hebrew and English only, but we shall be ready to make information available in any language required. In this connection, our regular quarterly reports on our training activities and actual educational work in the camps should be of assistance to those interested. Finally, we shall be happy to welcome Israel educators who wish to study our work. We could accommodate them in our hostel, where they would have opportunities to observe the training system at first hand. We would also arrange for them to stay in the camps so that they might become acquainted with the work done by our graduates.
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Über die Zukunft der Universität In diesen Tagen warf unser teurer Gast aus den Vereinigten Staaten, Prof. Mordechai Kaplan, in engem Kreise die Frage auf, ob diese Universität ein Verbindungsglied zwischen Eretz Israel und der Diaspora sein und auf diese Weise zum Zentrum des Judentums werden kann. Damit ist nicht jenes, unseren Anforderungen durchaus genügende Wirken einiger unserer von Zeit zu Zeit ins Ausland reisender Lehrbeauftragter gemeint, steht dies doch im allgemeinen nicht im Zeichen des Judentums und stellt darüber hinaus keine gemeinschaftliche, sondern allein eine Handlung Einzelner dar. Es wird deutlich, daß uns die Frage bezüglich der Beziehung der Universität nach außen zur äußerst wichtigen Frage nach dem inneren Aufbau der Universität führt. In ihrem gegenwärtigen Zustand stellt unsere Universität eine mit zwei prinzipiell voneinander verschiedenen Aufgaben betraute administrative Einheit dar: der systematischen Ausbildung in sogenannten freien Berufen und der mit dieser Ausbildung verbundenen Forschung einerseits und der Verleihung sogenannter Allgemeinbildung andererseits. Der erstgenannten Aufgabe entsprechend ist die Universität naturgemäß in Fakultäten unterteilt. Deren gemeinsame Bereiche können jedoch keine wirkliche Verbindung untereinander herstellen und stellten bisher auch keine Einheit von erkennbarer Bedeutung untereinander her. Die zweite Aufgabe ergibt sich aus dem lobenswerten Bestreben, neu eingeschriebenen Studenten das zu geben, was die Gymnasien ihnen nicht in genügendem Maße geben konnten, d. h. – allgemeine Kenntnisse auf den Gebieten des Geisteslebens; doch auch hier arbeiten die Fachbereiche nicht miteinander, sondern nebeneinander her. Unsere Universität wirkt nach außen als starke Einheit, doch fehlt ihr wirkliche innere Einheit. Dieser Sachverhalt gilt nicht nur für unsere Universität, sondern derzeit beinahe für alle Universitäten der Welt. Im Laufe der letzten fünfzig Jahre hat sich die Lage deutlich verschlechtert. Vor 55 Jahren, als ich an der Universität Leipzig studierte, galt es in meinen Augen als eine Art natürlicher Ergänzung, der Arbeit im psychologischen Labor Wundts eine Stunde Biologie voranzustellen und dazu einen Kurs in psychiatrischer Klinik zu belegen. Es erstaunte mich demnach auch in keiner Weise, in der Abschlußprüfung in Philosophie über Versuche abgefragt zu werden, die an Eiern eines unter dem Namen Seeigel bekannten Meerestieres durchgeführt wurden. Von dieser interdisziplinären Arbeitsweise ist heute kaum noch etwas übriggeblieben. Die heutige Universität ist nicht
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mehr wirklich universitas literarum, da zwischen den Wissenschaften keine organische Verbindung besteht. Dies stellt nur einen Aspekt eines umfassenderen Phänomens dar: die heutige Universität ist nicht mehr wirklich universitas magistrorum et scolarium, 1 fehlt doch jenes gemeinschaftliche Leben und Streben unter Lehrern und Studenten, welches den Universitäten früher so prächtigen Aufschwung gab. Auch die ein umfassendes Menschenbild verleihende Allgemeinbildung gerät immer mehr zu einer Ansammlung von Kenntnissen in unzusammenhängenden Wissensgebieten. Zwar sucht das gegenwärtige Denken nach einer neuen, notwendige Grenzen respektierenden und zugleich Verbindungen schaffenden Synthese; doch findet diese Suche im Universitätsleben noch keinen Ausdruck. Unsere Situation weist jedoch einen weiteren besonderen Zug auf. Unsere Universität ist weniger als die Universitäten in anderen kultivierten Ländern in der Lage, bei der Herausbildung einer einheitlichen Volkskultur mitzuwirken, ermangeln wir doch noch immer solch einer Volkskultur. Noch haben wir es nicht geschafft, unsere große kulturelle Tradition in eine neue Volkskultur umzuwandeln. Zwar haben wir in letzter Zeit bedeutende kulturelle Leistungen erbracht, doch haben wir damit noch keine kulturelle, das ganze Volksleben durchdringende und dieses bestimmende Einheit erreicht; wohl rückte man die Gebeine zusammen, »Gebein zu Gebein« und ließ »Odem (…) von den vier Winden« herzukommen, so daß sie »lebendig wurden und sich auf ihre Füße stellten, ein überaus großes Heer« (Hesekiel 37,7-10), doch weht der belebende Geist immer noch aus den vier Himmelsrichtungen. Es fehlt der transzendente, von oben kommende, Einheit bildende Geist. Unsere Bildungsinstitutionen haben an diesem Zustand teil, und unvermeidlich kommt er auch in ihnen zum Ausdruck. Doch gerade hierin liegt die Antwort auf die oben gestellte Frage. Es wird uns nur dann möglich sein, auf die Diaspora und vor allem auf die kommenden Generationen entscheidenden Einfluß auszuüben, wenn wir in der Lage sind, diesen zu geben, was sie bewußt oder unbewußt vor allem in dieser Generation in der Tiefe ihres Seins benötigen; dies ist nur möglich, wenn sich ihnen Inhalt und Sinn jenes Seins zeigt, um dessentwillen, d. h. um dessen Erfüllung und Verwirklichung willen, dem jüdischen Menschen das Leben als Jude lohnenswerter und angemessener ist als jede andere Lebensform. Die traditionellen Lebensformen als solche tragen nicht mehr die Kraft in sich, um vor den anti-religiösen Tendenzen unserer Zeit zu bestehen. Für eine gewisse Zeit konnte die zionistische 1.
Universitas magistrorum et scolarium, lat. »Einheit der Lehrer und der Schüler«.
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Idee hier als Stütze dienen, solange sie die Hoffnung auf die Errichtung einer zentralen jüdischen Gesellschaft nährte, die auf die Verwirklichung und in erster Linie auf die Entdeckung solch eines Lebenssinns hinarbeitete. Doch ging die Staatsgründung nicht mit der Verwirklichung dieses nun im Gegenteil immer schwächer werdenden Bestrebens einher. Dieser Umstand führte in den besten Kreisen der Diaspora-Jugend zu tiefer Enttäuschung, wenngleich sich diese Enttäuschung noch nicht gänzlich im allgemeinen Bewußtsein niedergeschlagen hat. Diese Jugend findet in der Parole »Das Volk lebt, um zu leben, und dies ist genug!« keine spirituelle Befriedigung. Dies ist ihnen nicht genug! Sie wollen, jeder von ihnen will den dem Leben als Teil dieser Volksgemeinschaft inhärenten Wert sinnlich erfahren. Die Hinwendung vieler Jugendlicher in der Diaspora zu anderen Ideen liegt in der Vorstellung begründet, die von ihnen als jungen Menschen angestrebte höchste Spiritualität des menschlichen Seins komme dort und nicht hier zur Verwirklichung. Die in den westlichen Ländern lebende jüdische Jugend – gemeint ist die Elite dieser Jugend – wandert nicht nach Eretz Israel ein, weil wir ihr allein die Teilnahme an einem großen Projekt anbieten, ohne jedoch hiermit den Glauben an das Ziel dieses Projekts zu verbinden, ein Ziel, das jenseits des Volkslebens als solchem liegt, den Glauben an den sich hier und jetzt realisierenden Geist, an konkrete Arbeit für ein konkretes Zion zur konkreten Erneuerung der Menschenwelt. Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: im Judentum ist eine tiefe geistige Krise ausgebrochen. Die von unserem Staat formulierten Parolen reichen nicht aus, sich dieser entgegenzustellen. Diese Krise und der in den Lebenszusammenhängen in unserem Land zum Ausdruck kommende Mangel an kultureller Einheit sind letztendlich eng miteinander verbunden. Eine wohl von respektablen Leuten in den Anfängen des Yeshuvs vertretene, doch nichtsdestoweniger falsche Ideologie lehrte weite Kreise unserer Öffentlichkeit, man brauche nichts anderes tun, als alle Energie auf den Neuanfang zu verwenden. Alles andere – die ersehnte Kultur einbegriffen – werde sich dann von selbst ergeben. Doch ging wahre Kultur niemals einer Parthenogenese gleich aus dem Leben allein hervor. Vielmehr entstand sie immer aus dem Zusammenwirken von Geist und Leben. Ein Volk, das nicht an die Realität des über dem Wasser des Lebens schwebenden, die in diesem schlummernden Keime befruchtenden und zum Wachsen bringenden Geistes glaubt, mag wohl Tausende von Jahren überleben, doch wird ihm keine dieser Bezeichnung würdige Kultur zueigen werden. Wir ermangeln jenes Punktes der Vereinigung im Entwicklungsprozeß der Kultur, jener Erwartung, daß der Geist von oben komme und sich konkretisiere – und in diesem Mangel liegt doch letztendlich der
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Grund für die geistige Krise in der Diaspora, in diesem Mangel an Lebensinhalt und -sinn, für dessen Verwirklichung sich lohnt, das Leben eines Juden zu leben. Wir spüren diesen Mangel nicht in der Schärfe, in der ihn die Jugendlichen in der Diaspora spüren, da wir gemeinsam an einem gewaltigen Projekt wirken, welches unsere Herzen mit vager, trotz allem in uns aufschimmernder Hoffnung erfüllt, während die Judenheit in der Diaspora sich nicht an die Konkretheit eines Projekts halten kann. Es stellt sich nun die Frage, was all dies mit unserer Universität zu tun hat? Erlauben Sie mir, Ihnen meine Ausführungen zu zwei, der Gründung der Universität vorausgegangenen Anlässen in Erinnerung zu rufen. Im Oktober 1901 gab ich in einer in Wien gehaltenen und damals veröffentlichten Rede der Forderung nach der Begründung einer Universität Ausdruck. 2 Weizmann trug diese Forderung ein Vierteljahr später dem Fünften Zionistischen Kongreß vor, und im Jahr darauf wurde sie in dem bekannten von Weizmann, Feivel und mir unterschriebenen Pamphlet formuliert. Dort schrieb ich folgendes: »Eine jüdische Universität stellt eine Notwendigkeit dar: a) als Hauptinstrument zur Ausbildung einer Generation, die ein neu belebtes, jüdisches Denken hervorbringt; b) als Vorbereitung der Zukunft einer Wissenschaft des Judentums; c) als Zentrum der Bestrebungen, dem Geiste unseres Volkes Aufschwung zu geben.« Wenngleich in noch undeutlicher Form wurde damit die zukünftige Universität als institutionelles Zentrum im Entwicklungsprozeß einer neuen jüdischen Kultur konzipiert. Im Januar des Jahres 1924 wiederum, als ich der Bitte der Zionistischen Exekutive nachkommend in einem Memorandum beschrieb, wie die nun vor ihrer Gründung stehende Universität meiner Ansicht nach Stufe um Stufe aufzubauen sei, formulierte ich genauer und aufgrund einer nun gereiften Anschauung, worin meiner Ansicht nach die Hauptaufgabe der Hebräischen Universität bestehe. 3 Hierbei stützte ich mich auf die der Historie des Menschengeschlechts zu entnehmende Einsicht, der zufolge ein großes kulturelles Unterfangen niemals ein neues Geschöpf hervorbringt, sondern immer an das Ursprüngliche und Wesentliche der geistigen, durch die vorhergehenden Generationen überlieferten Kräfte und Fundamente anknüpft. Die gegenwärtige Generation belebt diese neu und verarbeitet sie ihren Vorstellungen und den Anforderungen der nun herrschenden historischen Situation gemäß. Als ich im Verlaufe dieses Memorandums auf die Abteilung für jüdische Wissenschaften der Universität zu sprechen kam, wies ich 2. 3.
Eine jüdische Hochschule (1902), vgl. M. Buber/B. Feiwel/Ch. Weizmann, Eine jüdische Hochschule – Das Projekt einer jüdischen Hochschule, Berlin: Jüdischer Verlag 1902 (MBB 35, 36). Universität und Volkshochschule (1924), S. 132-135.
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auf die Bedeutung der außergewöhnlichen, über viele Generationen hinweg im Volk Israel praktizierten Lehrmethode hin. Diese, so führte ich aus, zeichnet sich durch zwei eng mit einander verbundene Grundfesten aus, welche das Fundament unseres neuen intellektuellen Gebäudes bilden sollten: innere Anschauung und die dem Bewußtsein von der Wirklichkeit des Geistes zugemessene Bedeutung. Diese Grundfesten stehen in gewissem Widerspruch zu den Ausrichtungen moderner europäischer Wissenschaft, d. h. dem von außen auf das Wissenschaftsobjekt gerichteten Blick und der zur Fundierung von Thesen angewandten ›als ob‹-Methode. Die wesentliche Aufgabe, so schrieb ich, bestehe darin, diese traditionellen Kräfte und Elemente für die gegenwärtigen Aufgaben und unter den gegenwärtigen Bedingungen zu nutzen, indem sie aktualisiert und den neuen Aufgaben und Bedingungen angepaßt werden. Mit anderen Worten: Die wesentliche Aufgabe besteht darin, dem Judentum in den Kategorien der ewigen Wirklichkeit zu einem neuen historischen Selbstbewußtsein zu verhelfen. Dieser Ansicht bin ich bis zu diesem Tage treu geblieben. Während meiner fünfzehnjährigen Amtszeit an dieser Universität habe ich große Genugtuung erfahren angesichts der Tatsache, daß einige bedeutende Lehrbeauftragte unserer Universität – manche sind von uns gegangen, andere weilen zu unserer Freude unter uns – in diesem Geiste geforscht und gelehrt haben. Als Yehuda Leib Magnes, sein Andenken sei gesegnet, noch am Leben war, durften wir Jahr für Jahr seinen offenen Hinweisen auf diese ewige Wirklichkeit folgen. Doch stellte all dies allein die Arbeit und Lehre Einzelner dar. Um die Universität zum Zentrum des Judentums werden zu lassen, ist es zuallererst notwendig, daß sich aus und in ihr ein Kreis von demselben Ziel verschriebenen Vertretern aller Fakultäten bildet; dieser Kreis soll den Kern für die erhoffte Entwicklung darstellen, um welchen sich dann ein Kreis von Schülern sammeln kann. Darüber hinaus ist es wünschenswert, daß im Bereich der Geisteswissenschaften in den Mauern der Universität oder in enger Verbindung mit dieser, Institutionen eingerichtet werden, die jeweils der Erforschung eines der Gebiete gewidmet sind, die dem Judentum, seiner inneren Anschauung und der Ausrichtung seiner geistigen Wirklichkeit gemäß wesentlich sind.
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Erziehen Zum 90. Geburtstag von Paul Geheeb Ich neige dazu, innerhalb des Erziehungsbegriffs die Bedeutung des Hervorziehens für die entscheidende zu halten. Danach kommt es – im Gegensatz zu dem so beliebten merklichen und unmerklichen Auferlegen der vorgefassten Meinung und Haltung einer Partei u. dgl., die man etwa als »Propaganda« bezeichnet – darauf an, aus dem Kind oder Jugendlichen etwas Latentes hervorzuholen und auszubilden. Aber was ist das, was man hervorholen soll? Man pflegt auf solch eine Frage mit ein paar allgemein-ethischen Kategorien zu antworten. Sie reichen nicht zu. Es ist eine unerlaubte Vereinfachung, anzunehmen, daß in allen Kindern das gleiche Allgemein-Gute steckt. Wir sind, trotz allen gemeinsamen Anlagen, letztlich allesamt Unica, und das Gute, das in jedem Kinde steckt, ist etwas unreduzierbar Persönliches. Wie grausam auch vom Mutterleibe bis zur Schule, und über sie hinaus, Schädigungen aller Art sich auswirken, das Urfaktum der positiven Bestimmung der Person ist mir gewiß. Man verfehlt und verfehlt sie, aber sie fehlt niemals. Was ist es aber dann, was hier mit Erziehen, mit Emporziehen gemeint ist? Kein Inhalt eines Ausspruchs, aber die sprechende Stimme; keine Belehrung, aber Blick, Bewegung, Da-sein des Lehrenden: wenn sie vom erzieherischen Auftrag eingegeben sind. Beziehung erzieht, vorausgesetzt, daß sie eine echte erzieherische Beziehung ist. Vor nahezu vierzig Jahren habe ich an Wilhelm Paul Geheeb eben dies wahrgenommen.
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Erwachsenenerziehung Ziele der Erwachsenenerziehung 1 Der Begriff »Erwachsenenerziehung« (früher: Erwachsenenbildung) bezieht sich in der Regel auf die Gesamtheit erzieherischer Tätigkeiten, deren Ziel die Verbreitung vielfältiger und nützlicher Informationen unter Erwachsenen ist; gemeint sind regelmäßig ausgeführte Tätigkeiten, vor allem in Form von Vorlesungen und Unterricht (ausschließlich beruflicher und akademischer Lehrtätigkeit). Dabei wird davon ausgegangen, daß die genannten Informationen mehr oder weniger zusammenhängen oder miteinander verbunden werden sollen. Wer sie erworben hat, erreicht ein höheres Maß an »Kultiviertheit«, und von nun an darf er mehr als vorher als gebildeter Mensch gelten. Diese Auffassung vom gebildeten Menschen hält aber keiner strengen Prüfung stand. Denn die Gesamtheit von Informationen allein verdient die Bezeichnung »Bildung« nicht, es sei denn, daß diese Informationen zu einer organischen geistigen Einheit zusammengefügt werden; und diese Einheit entsteht nicht mittels Aufnahme irgendwelcher Materialien schlechthin. Eine gute höhere Schule kann zur Konsolidierung dieser Einheit nicht unerheblich beitragen; auch das Elternhaus kann manche ihrer Grundlagen stärken. Das öffentliche Leben dagegen, in welches die Jugend frühzeitig eintritt, wirkt eher destruktiv als konstruktiv. Meistens findet man dort diese organische geistige Einheit nicht; weshalb die Erkenntnis wächst, daß das Wesentliche der notwendigen Tätigkeit nicht in der Perfektion des Vorhandenen liegt, sondern in einer rekonstruktiven kritischen Tätigkeit, die Erziehung genannt werden soll. Wenn man den Begriff Erwachsenenerziehung betrachtet, ergeben sich Zweifel. Denn laut der üblichen Auffassung gilt ein Mensch, der den Reifezustand erreicht hat, als erwachsen: er ist ein abgeschlossenes Wesen, das keinesfalls weiter zu entwickeln und je nach Bedarf fördernd oder hemmend zu beeinflussen ist. Es ist tatsächlich wahr, daß mit Abschluß der Jugendzeit in der Regel die Plastizität des Menschen stark abnimmt. Aber meistens gilt diese Abnahme nicht der Änderungsfähigkeit, sondern der Beeinflussungsbereitschaft. Der Erwachsene besetzt seinen Platz im öffentlichen Leben oder ist im Begriff, einen zu besetzen, und sieht keinen Grund mehr, sich weiter erziehen zu lassen. Oft merkt er vermutlich, daß ihm unter gewissen Umständen diese oder jene Information fehlt, dar1.
Buber benutzt hier den Begriff Erwachsenenerziehung in Abgrenzung zu dem eingeführten Begriff Erwachsenenbildung, s. u. S. 375 »Extensive Erziehung«.
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unter auch Informationen, die er sich eher durch Anhören von Unterricht als durch Lektüre erwerben könnte; dies bedeutet für ihn aber nicht, daß damit erzieherische Ziele verbunden sind. Solange (wegen der passiven Ablehnung durch die Erwachsenen) die Erwachsenenerziehung sich auf das Erteilen von Informationen und Ergänzungen beschränkt, kann sie lediglich gelegentlich und beiläufig erzieherischen Einfluß nehmen. Sie kann diese Ablehnung nicht überwinden, wenn sie nicht ihr eigenes Wesen verkündet. Denn im Grunde ruft sie zur wahren Selbständigkeit auf, wo immer diese mangelhaft ist oder trotz Volljährigkeit sogar fehlt. Gemeint ist Erziehung zur Selbständigkeit sowohl in Bezug auf die Wirklichkeitsanschauung wie auf die aktive Einstellung zur Wirklichkeit. Auch die Durchführung dieser Erziehung soll wesentlich durch diese ihre Aufgabe bestimmt werden; sie soll dem zu Erziehenden Lehre und Hilfe beim Selbsterziehen geben. In der Regel weigert sich der Erwachsene, einem fremden Einfluß zu erliegen, der ihn dazu bewegen will, ein anderer Mensch zu werden, als er jetzt ist. Aber oft wird er bereit sein zuzugeben, daß er das sein soll, was er ist, jedoch auf vollständigere Weise, mit mehr Echtheit und Treue. Er wird bereit sein zu erkennen, daß er dies durch Selbsterziehung erreichen könnte und daß er dabei Hilfe benötigt. Aber oft ist es äußerst schwierig, ihn zu dieser Erkenntnis zu bringen; man muß dazu seine Selbstsicherheit erschüttern, die ihn glauben macht, alles bei ihm sei bereits in Ordnung. In diesem Bereich sollte der Erwachsenenerzieher grundlegende Dinge von Sokrates lernen, dem Vater der Erwachsenenerziehung im Abendland. Damit ist nicht gemeint, daß die Erwachsenenerziehung heutzutage nur die Selbstsicherheit der zu Erziehenden, sondern auch die Meinungssicherheit erschüttern soll, wie dies Sokrates gemacht hätte; denn die heute gängige erzieherische Position ist von der seinen wesentlich verschieden. Trotzdem besitzen wir noch sein Erbe. Es ist allerdings heutzutage unmöglich, von angeblicher Unwissenheit her zu lehren, wie Sokrates es machte, und den Lernenden auf diese Weise zum Erkennen seines Nichtwissens zu bringen; denn der Glaube an jene begriffliche Klarheit, die zum Auffassen der Wahrheit und dadurch zur vollständigen, auch moralischen Perfektion führen könnte, ist uns schon lange verloren gegangen. In unseren Gesprächen mit den Lernenden äußern wir unsere Meinungen als solche und enthalten ihnen gelegentlich auch unsere Gewißheit diesbezüglich nicht vor. Dementsprechend bezweifeln wir auch ihre Informationen nicht. Wir sehen unsere erzieherische Aufgabe nicht darin, daß wir die Lernenden überzeugen müssen, weg von dem zu kommen, was sie, hin zu dem, was wir für die Wahrheit halten – obwohl wir uns keinesfalls
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enthalten, ihnen unsere Wahrheit mitzuteilen. Wir dürfen ihnen das Erreichen der lauteren Wahrheit nicht versprechen, andererseits ist es uns auch nicht erlaubt, sie ihnen zu vorzuenthalten. Wir fühlen uns berufen, die Unterscheidung zwischen authentischen und nicht-authentischen Meinungen zu lehren und dieser Unterscheidung auf etliche Weisen zur Realisierung zu verhelfen: durch sich immer erneuernde Selbstselektierung, Selbstkritik und Selbsterziehung. Authentische Meinungen sind diejenigen, die entstehen, wenn der Mensch der ganzen Wirklichkeit gegenüber offen steht und sein eigentliches Leben diesen Meinungen entspricht. Die solide Meinung eines Menschen darf unter zwei Bedingungen als authentisch angesehen werden: (1) Wenn er ein hohes Maß an unvoreingenommenem Betrachten angewendet hat, um zu dieser Meinung zu gelangen, und diese darüber hinaus im notwendigen Maß durch zuverlässige Erfahrungen Anderer vervollständigt hat; (2) Wenn er nach bestem Können danach strebt, im Kontext seines eigenen Lebens und mittels dieses Lebens das zu verwirklichen, was er für richtig und verwirklichungswürdig hält; und, wenn er sich einer Gruppe anschließend, die beabsichtigt, diese Meinung zu verwirklichen, er die ursprüngliche Absicht und den ursprünglichen Inhalt dieser Meinung verteidigt gegen alle ihre taktischen Entstellungen.
Ihr Anfang (Konfuzius und Sokrates)
Erwachsenenerziehung ist eine spätere kulturelle Erscheinung als die Kinder- und Jugenderziehung. In vielen der sogenannten primitiven Gesellschaften werden die Jungen nach der Pubertät aus dem Bereich der Frauen ausgeschlossen, ausgebildet zum Ablegen des Initiationsritus, der sie zu vollwertigen Mitglieder des Stammes macht, und es werden ihnen die geheimen Traditionen ihres Stammes beigebracht. Von nun an gibt es eigentlich keine Erziehung mehr. Der Junge lernt ein gewisses Handwerk, indem er sich der Zunft der Fischer, der Schiffbauern oder der Schmiede anschließt; und wer Zauberkünstler werden möchte, arbeitet im Dienst eines Zauberkünstlers und lernt sein Fach von ihm. Nach dem Initiationsritus gibt es aber keine allgemeine Bildung mehr. Allgemeine Bildung taucht erst in der Entwicklungsphase auf, die als individualistische Kultur bezeichnet werden kann. Gemeint ist eine Kultur, welche den Wert der individuellen Spontaneität des Geistes kennt, den Beitrag des Einzelmenschen zum öffentlichen Leben anerkennt und
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deshalb diesen Beitrag kultiviert. Auf dieser Kultivierung beruht die antike Erwachsenenerziehung. Das Prinzip der Spontaneitätskultivierung ist großenteils bereits bei den beiden bedeutenden historischen Figuren der Erwachsenenerziehung anzutreffen: Konfuzius (6.-5. Jahrhundert vor Christus) und Sokrates (5.-4. Jahrhundert vor Christus). Die enormen Unterschiede zwischen der bereits zur Zeit des Konfuzius hauptsächlich statischen Kultur Chinas und der extrem dynamischen Kultur Athens spiegeln sich in der unterschiedlichen Art, Tätigkeit und Lehrweise der beiden Männer wider. Konfuzius, der sich zum Ziel setzte, seinen Schülern die großen Traditionsgüter zu vermitteln (die Gedichte, die Riten und die alte Geschichte), pflegte seine Schüler in einem stetigen, soliden Kreis um sich herum zu sammeln, während Sokrates, der sich weigerte, eine feste Lehre zu unterrichten, gelegentlich seine Erziehungsgesprächspartner aus dem großen Publikum auswählte oder sie sich an ihn mit ihren Fragen wenden ließ. Trotzdem teilen beide die Grundlage der Erwachsenenerziehung: die Kultivierung der geistigen Spontaneität, die ihre Tätigkeit bestimmte. Der Mensch, den Konfuzius »den Wisser« nennt (also derjenige, der mit Informationen und Meinungen ausgerüstet ist), erreicht den Grad des Liebenden, des Forschers und des Untersuchers nicht. Zur richtigen Einstellung zum Wissen gehört daher, das, was man tatsächlich weiß, für Wissen zu halten, und das als Unwissen zu erachten, was man nicht oder noch nicht tatsächlich weiß. Auf diese Erkenntnis gründet Konfuzius seine Beziehung zu den Schülern. Über einen, der immer wieder sagt, »wie gehe ich daran?«, erklärt er: »Wer sich nicht zu lernen beeilt, ihm mache ich nicht auf; und wer sich nicht bemüht, das Gesagte zu verstehen, dem helfe ich nicht«. Selbständigkeit, selbständige Betrachtung, Selbstüberprüfung – diese sind also notwendige Voraussetzungen; aber auch wenn sie vorhanden sind, hängt alles von der Hilfe des Lehrers ab. Laut Konfuzius’ expliziter Meinung, kann man lernen ohne zu denken, es ist aber gefährlich, zu denken ohne zu lernen. Der platonische Sokrates schrieb dem Lehrer die Rolle der Hebamme zu. Das, was man vorzugsweise wissen muß, findet sich potentiell in jedem Menschen, es muß nur befreit werden innerhalb des Menschen, damit es aus ihm heraus ans Licht kommt. Dazu ist die Tätigkeit des Lehrers nötig. Besonders wichtig in diesem Prozeß ist die Unterscheidung, welche Sokrates als »das Höchste dieser Kunst« bezeichnet, d. h., ob die Seele des Lernenden mit einer lebendigen Vorstellung schwanger geht oder nur ein Fantasie-Geschöpf in sich trägt. Aber diese ironische Parabel berücksichtigt nicht die wichtige Tatsache, daß der Lehrer den (von ihm angeregten)
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Anteil der Schüler an dieser Unterscheidung zwischen wahrer und scheinbarer Schwangerschaft gelten läßt. Es ergibt sich daraus, daß die Hauptsache das Treffen zweier Menschen ist: der Lehrer, der seine Schüler in Selbstkritik und Selbstverbesserung unterweist, und der Schüler, der dies auf seine eigene Art und Weise tut, wie es kein anderer es an seiner Stelle hätte tun können.
Institutionalisierung der Erwachsenenerziehung
Zwischen jenem Anfang bei den Chinesen und Griechen und dem Neuanfang in unserer Zeit hatte die Erwachsenenerziehung meistens nur einen provisorischen Charakter. Eine wichtige Ausnahme ist die Tätigkeit religiöser Gruppen, vor allem in ihrer Entstehungszeit und in Epochen der Wende und überall, wo dieser Tätigkeit eine institutionelle Form gegeben wurde. Zwar fordert hier die Erziehung oft strenge Hingabe und pedantische Aufnahme der Lehrmaterialien, aber in der Regel vergißt sie ihre uralten wesentlichen Grundlagen nicht, d. h. den grundsätzlichen Wert des Individuums in dieser Hinsicht und die Forderung nach Realisierung der Lehre in allen Gebieten des Lebens, einschließlich des innersten Glaubens der Seele. In ihrer säkularisierten und allgemeinen Form hat die Erziehung diese institutionellen Formen erst im 19. Jahrhundert angenommen – und dann in zwei sehr verschiedenen Formen: extensive und intensive Erziehung. Die Entstehung der ersten ist von sozialgeschichtlichen Faktoren abzuleiten, die der zweiten – von geschichtlichen Faktoren gewisser Nationen. Diese Begriffe entsprechen den Bereichen nicht vollständig; trotzdem kann man sie in der Regel hier anwenden.
Extensive Erziehung
Erwachsenenerziehung (und hier richtiger: Erwachsenenbildung), deren Ursprung in der Sozialgeschichte liegt, erscheint ihrerseits in zwei verschiedenen Ausprägungen, aber beide sind einem einzigen Faktor entsprungen – nämlich der Entwicklung der wesensgleichen und in ihrem Streben gleichgesinnten Massen in den Tagen der Französischen Revolution und ihren Ausläufern. Einerseits spaltet sich nach und nach die Welt des Proletariats von der des Bürgertums ab. Etliche intellektuelle Vertreter des letzteren, vor allem nationalistisch wie auch sozial-humanistisch geprägte, erkannten die der
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Nationalkultur drohende Gefahr der parallelen Existenz »zweier Nationen« (D’Israeli 2 , nach Heine in seinem Schauspiel »Ratcliff«). Und noch vor deren Entstehung wurden Kurse und populäre Lehranstalten gegründet, um den Arbeitern die Bildung der Oberschicht zu vermitteln. Obschon diese Erziehungstradition bereits als überholt gelten konnte, beabsichtigte man in diesen Kursen noch, den Schülern die Gesamtheit der vorhandenen Wissensbestände beizubringen, d. h., man strebte nicht nach der organischen Einheit des Wissens, die Bildung heißt. Ein erzieherisches Projekt im genannten Sinne kann allerdings überall dort zufällig gelingen, wo sich in die Begründung der erzieherischen Tätigkeit keine konservativ-politischen Neuerungen mischen, wenn es die Hauptabsicht dieser Einrichtung war, eine Arbeitsgemeinschaft zu haben, »in welcher Lehrende und Lernende gleichwertige Mitglieder sind« (aus einem Schreiben des Working Men’s College, London 1854). Andererseits wuchs nach und nach unter der rasch proletarisierten Masse der eigene Wille, diejenigen Informationen zu erwerben, die ihr zur Aktivierung des Klassenbewußtseins notwendig erschienen. Die Hauptsache hier war, die ganze politische und gesellschaftliche Arbeit auf eine breite, solide Weltanschauung zu gründen und letztere auf umfangreichem Wissen basieren zu lassen – von Physik und Biologie bis hin zur Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie. Oft benutzten die Vertreter dieses Strebens Bacons Ausspruch, »Wer Wissen erwirbt, der erwirbt auch Macht«. In diesem Zusammenhang besagen diese Worte, daß eine von »Wissenden« zusammengesetzte Gruppe mehr Macht hat als andere Gruppen. Gemeint ist keine Bündelung von Informationen schlechthin, sondern eine neue Anschauungseinheit, als Ersatz für die traditionelle Bildungseinheit, von der man in hohem Maß enttäuscht war. Aber die hier erwähnte Macht kann nur Gegentendenzen im Staatsund Gesellschaftsbereich bekämpfen, wie auch neue politische und gesellschaftliche Gestalten formen. Sie ist keine Macht, die die Bestrebungen des Menschen im eigenen Leben erfüllen kann. Solche Erfüllungsmacht kann nur durch die Geistestätigkeit der Einzelnen erreicht werden, durch die Entwicklung ihres eigenen Erkennens und Denkens und durch die Verarbeitung ihrer Erfahrungen und Informationen zu einem lebendigen Selbstbewußtsein und einer lebendigen selbständigen Fähigkeit. Manche innerhalb der sozialistischen Bewegung erkannten dies sowohl theoretisch wie praktisch-pädagogisch mit großer Klarheit und versuchten, dies so weit wie möglich zu verwirklichen. 2.
Benjamin D’Israeli (1804-1881): brit. Schriftsteller und Politiker. Buber bezieht sich hier wahrscheinlich auf D’Israelis 1845 erschienenen Roman Sybil or The Two Nations und Heinrich Heines Drama William Ratcliff (1822).
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Intensive Erziehung
Erwachsenenerziehung dieser Art, die aus Faktoren der Geschichte bestimmter europäischer Nationen entstand, begann erst in einer späteren Phase unserer Epoche. Die extensive Richtung entsprang einer Gesellschaftsrevolution, die sich auf Länder und Kontinente verbreitete; wohingegen der Ursprung der intensiven Richtung im Prozess des Aufwachens der Nationen liegt, die begeistert nach nationaler Selbstbestimmung und Selbständigkeit strebten. Es dauerte aber nicht lange, bis es zu manchen Gegensätzen und Kontroversen unter den verschiedenen Nationen kam. Erwachsenenerziehung gehörte zu den Themen, die als Diskussionsgegenstand den Streit der Nationen beförderte. Das einflußreichste und fruchtbarste Projekt ist die dänische Volkshochschule (Folkehøjskole), gegründet von Severin Grundtvig (17831872) und seinen Schülern. Der Hauptansatz hier entsprang der inneren und äußeren historischen Lage des dänischen Volkes: Von außen wirkte der Streit zwischen der dänischen und der deutschen Kultur in den an Preußen grenzenden dänischen Regionen, und von Innen – die dringende Not, eine gesunde Bauernschaft auszubilden. Die dänischen Bauern waren geistig noch nicht weit genug entwickelt, um die ihnen zukommende Führung in die eigenen Hände zu nehmen und eine starke Agrardemokratie in einem Land zu schaffen, das von einem eher nationalistisch als völkisch 3 gesinnten Bürgertum beherrscht war. Grundtvig strebte nach einer von den Quellen der nationalen und religiösen Tradition genährten Bauernkultur, und als Träger dieser Kultur sah er Leute vor, die ausgebildet waren, einen unabhängigen Verstand zu gebrauchen sowie Selbstverantwortung zu tragen. Deshalb darf seiner Meinung nach die Volksbildung kein »Rest oder Schatten der Gelehrtenbildung schlechthin« sein. Sie soll »eine eigentliche geistige Kraft« werden; und gleichzeitig »werden Leben und Gegenwart ihre unabdingbaren Forderungen stellen«. Die Hauptaufgabe der Volksbildung ist »die Erklärung des tatsächlich geführten Lebens«. Daraus folgte, daß für Grundtvig und seine Schüler die Essenz der Unterweisung die »verbale Adressierung« an die Schüler war, die Worte, die in ihnen die selbständige Bewegung des Geistes anregten. Daher verband sich die Unterweisung stets mehr mit dem Alltagsleben. Darüber hinaus wurde die Erziehungsarbeit in der Form des mehrmonatigen Zusammenlebens von Lehrern und 3.
Ob man im Deutschen diese jeweiligen Begriffe, die einen politischen konservativen, auf den Staat bezogenen Nationalismus im Gegensatz zu einem eher romantisch auf das Volk bezogenen Nationalismus meinen, für die gemeinten Gruppierungen benutzen kann, ist umstritten. Siehe dazu den Kommentar.
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Schülern praktiziert. Dieses Zusammenleben konnte die in diesem Bereich so wichtigen Vertrauensbeziehungen schaffen und den Einfluß des Erziehenden auf das Wesen der zu Erziehenden aufrechterhalten. Die hauptsächliche Bedeutung dieser pädagogischen Lehre liegt darin, daß sie durch die spezifisch historische Krise eines Volkes bestimmt war und daß sie Menschen und Menschenkreise ausbilden wollte, die fähig sein sollten, dieser (oder einer ähnlichen) Krisensituation zu trotzen und sie zu überwinden. In der heutzutage herrschenden Gesellschaftsordnung hat Erwachsenenerziehung im Sinne Grundtvigs, die auf einem verhältnismäßig langen Zusammenleben von Lehrern und Schülern beruht, keine Gültigkeit mehr. Nur unter sehr besonderen individuellen und kollektiven Umständen kann sich wohl eine Gemeinschaft erwachsener Schüler einige Monate lang von wirtschaftlicher Tätigkeit zurückziehen. Überall da, wo die dazu notwendigen Bedingungen gegeben sind, ist es allerdings die Pflicht der Menschen und der maßgeblichen Organe, eine solche Institution zu gründen und zu entwickeln. Auch in einer solchen Institution gibt es Regeln und Gesetze, und sie hat einen bestimmten Zeitplan. Aber am einflußreichsten auf das auf Leben ist das, was sich am Rande der Erziehungstätigkeit ereignet, ohne besondere Aufmerksamkeit. Falsch ist ja die Meinung, die Geber-Rolle des Lehrers sei der einzig entscheidende Faktor. Es ist auch eine Atmosphäre nötig, die nicht ausschließlich vom Lehrer abhängt; Notwendig ist auch eine Gruppe offener Seelen, die sowohl zur geistigen Aufnahme wie zur lebendigen individuellen Teilnahme am gemeinsamen Projekt gewillt ist. Am Lehrer liegt es, das Entstehen dieser Atmosphäre zu fördern, schaffen kann er sie aber nicht, weshalb eine solche Institution nicht blühen kann, wenn nicht alle Teilnehmer ihre Bedeutung für das Leben empfinden. Da es so ist, soll jeder (vor allem in einem sich in historischer Krise befindenden Volk), der die Absicht der Tätigkeit kennt, sich bemühen, die Erwachsenenerziehung zu intensivieren, d. h., das erzieherische Element in einem größeren Umfang in sie einzuführen.
Zum Methodenproblem der Erwachsenenerziehung
1. Informationen und Wissen. – Die Frage, was die Erwachsenenerziehung lehren soll, ist nicht wie bei anderen Lehranstalten mit einer Themen- oder Lehrberufsliste zu beantworten. Der Erwachsene will die seines Erachtens nützlichen oder angenehmen Informationen nicht aus Büchern, sondern in einer Lehranstalt erwerben – und diese werden ihm
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direkt und mit der nötigen Erklärung mitgeteilt, damit er alles gut versteht. Er strebt danach, sich in verschiedenen Lebens-, Welt- und Geistesbereichen, die für ihn aus irgendeinem Grund wichtig sind, besser auszukennen. In der Regel sucht er faktische Informationen, und man darf sie ihm auch nicht vorenthalten, aber vor der Mitteilung der Information muß man ihn dazu bringen, sie erfahren zu wollen. Und wenn nötig, wird er dafür sogar auf einen Teil der gewünschten Informationen verzichten, um eine gezielte Orientierung in seinem Geistes- und praktischen Leben zu erwerben. Es ist nie die Hauptaufgabe der Erziehung, Informationsmaterial mitzuteilen. Am wenigsten ist es die Hauptaufgabe der Erwachsenenerziehung, welche vor allem unterweisen muss, wie echtes Wissen zu erreichen ist. Der Erwachsenenerzieher wird also gelegentlich mitteilen, was er mitteilen muß. Er soll es aber so tun, daß die Schüler drei Dinge gleichzeitig lernen: erstens, sich gründlich und unvoreingenommen Einsicht in und Erfahrung mit der umgebenden Wirklichkeit anzueignen, denn ohne Einsicht und Erfahrung kann es keine wahre Auffassung irgendeiner – kosmischen, historischen oder anderen – Wirklichkeit geben; zweitens, daß sie von nun an lernen, die Materialien, auf die sie direkt oder indirekt treffen, möglichst zu bearbeiten, damit sich das wesentlich Wichtige daran offenbart und aktiviert wird; und schließlich daß sie lernen, stets weiter nach der Zusammenführung des Wissens zu einer persönlichen, lebendigen Einheit zu streben. 2. Das Seminar. – Erwachsenenerziehungsanstalt soll nicht verwechselt werden mit dem Zwischengebilde, das manchmal Seminar genannt wird und das ihr als Ersatz dient. Im Seminar verbringen die Schüler einige Wochen und lernen von festen oder zeitweiligen Lehrern. Es wird in der Regel davon abgelenkt, daß der Begriff »Seminar«, der der akademischen Arbeitsweise entlehnt ist, ein zur Übung, zur geistigen Tätigkeit bestimmtes Tun bezeichnet. An der Hochschule ist das Wesen dieser Tätigkeit die Einübung der wissenschaftlichen Methode. Aber an Seminaren im Bereich der Erwachsenenerziehung soll hauptsächlich folgendes eingeübt werden: eigenes Denken; selbständige Auffassung von Problemen und deren Lösungsweisen, besonders die Erörterung von Problemen, die das Leben selbst schafft; Wahrnehmung von Tatsachen, deren Vergleichung und Erörterung. Diese Tätigkeiten sollen mit der regen Unterweisung und Unterstützung des Lehrers ausgeführt werden und sich in die erzieherische Absicht fügen – nämlich die geistige Selbständigkeit des Menschen anzuregen und zu entwickeln, ihn in der Kunst der Selbsterziehung auszubilden. So werden durch die Erziehung Menschen ausgebildet, die ihrem Volk in seiner
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historischen Lage einen wichtigen Dienst leisten, der Selbstkritik am Volk einschließt wie auch das Messen seiner Politik nach einem objektiven, nicht nur nationalen Kriterium. Aus dieser Erkenntnis heraus soll man Schlüsse ziehen, die die Struktur des Seminars betreffen: Einschränkung der Materialien; möglichst große Vereinheitlichung der Lehrprogramme; Verzicht auf Vorlesungen, die nicht mit Gespräch einhergehen; Bevorzugung von Lehrern mit pädagogischer Ausbildung vor Spezialisten für einen kleinen Teil einer Wissenschaft; Einschränkung der Lehrerzahl, um einen wirklichen persönlichen Kontakt mit ihnen zu gewährleisten; Einschränkung der Schülerzahl, um es den Lehrern einfacher zu machen, die Individuen als solche wahrzunehmen und sie dementsprechend zu behandeln. 3. Dialog. – Im Zentrum der intensiven Erwachsenenerziehung steht das Gespräch. In eine Volksbildung, die auf der intensiven Lehrmethode basieren will, muß das Element des Dialogs eingeführt werden. Um das Wesen eines erzieherischen Dialogs klar zu verstehen, muß man erkennen, was nicht zu diesem Wesen gehört. Vor allem: das Gespräch ist keine Auseinandersetzung. Auseinandersetzung wird ganz leicht zu einem Streit zweier Meinungen, der nicht unterscheiden läßt, wie sich darin die innere Sicherheit und die dialektische Kunst verteilen. Im Streit fehlt daher oft die Anerkennung der Authentizität der Gegenmeinung, auch wenn sie zweifelsohne authentisch ist. Diese Anerkennung ist die Voraussetzung eines wahren Gespräches, in welchem sich Mensch an Mensch wendet und in diesem Wenden ihn in seiner Existenz bestätigt. Im Gespräch zwischen Erziehendem und zu Erziehendem darf der erstere den letzteren nicht kraft seiner Dialektik unterwerfen. Er darf aber so handeln, daß letzterer sich nicht mehr mit einer nicht-authentischen Meinung begnügt. Dies wird dem Lehrer am besten gelingen, wenn er soweit wie möglich den Schülern seine eigene Meinung in ihrem Ganzen und in ihrer Entwicklung darstellt – von ihrem Wachsen aus der Wurzel bis hin zum Reifen ihrer Früchte. Mit anderen Worten: wenn er ihnen zeigt, welchen Teil die selbständige Erfahrung, das selbständige Denken und die selbständige Untersuchung an der Entstehung dieser authentischen Meinung haben. Damit ist bereits gesagt, daß noch weniger als jeder andere Erzieher der Erwachsenenerzieher zu seinen Schülern von oben herabreden darf, von einer angeblich soliden Überlegenheit aus. Fragt er sie etwas (und Fragen ist immer wichtig), so beabsichtigt er nicht, sie zu prüfen. Er fragt nicht nach etwas, das nur auswendig zu lernen ist, sondern beachtet Dinge, die gefühlt und erörtert werden müssen. Er fragt nicht wie jemand, der die richtige Antwort hat, auch nicht, wie zu seiner Zeit Sokrates, um eine
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Antwort zu erhalten, die sich letztendlich als unbegründet erweisen würde und die nur dem weiteren Fragen und Forschen dient. Wenn der Erwachsenenerzieher heutzutage seine Schüler befragt und sie zum Antworten ermuntert, so ist er nicht nur auf Überraschungen gefaßt, sondern er soll sie vielmehr sogar wünschen. Der moderne Erwachsenenerzieher, der begrifflich formulierte Fragen stellt, erwartet nicht nur Antworten, sondern darüber hinaus die direkte und indirekte Äußerung persönlicher Erfahrungen, die letztendlich der heutigen Krise des Menschen entspringen – des Menschen, der sich nur auf sich selbst stützt, und sich doch auf sich selbst nicht stützen kann. Diese Äußerungen können Schüler ausdrücklich oder andeutungsweise machen, auch wenn es scheinbar um eine völlig unpersönliche Sache geht. Die Schüler, die diesen Beitrag leisten, haben ihre Erfahrungen noch nicht durch selbständiges Denken bearbeitet, und im Grunde will ja der Lehrer sie dazu bringen. Aber was der eine sagt, regt auch seinen Freund an, sich an Erfahrungen zu erinnern, an denen er anscheinend nur vorbeigegangen war, ohne sie zu beachten. Das Gesagte wird auf diese Weise ein aktiver Faktor des Lehrens und des erzieherischen Einflusses. Dazu müssen die Schüler überzeugt sein, daß ihr Lehrer sie als Individuen betrachtet. Aber darüber hinaus ist auch eine Atmosphäre von Unbescholtenheit unter den Schülern und eine Freundschaft nötig, die die natürliche Schüchternheit, autobiographische Details zu berichten, zu überwinden hilft. Das wichtigste aber ist, daß der Lehrer weiß, daß er immer ein lernender Mensch ist und daß er auch in diesem Sinne als ein immer lernender Mensch lehren soll. Das wahre Gespräch ist auch an Orten der extensiven Erwachsenenerziehung möglich, wie beim Abendunterricht. Es ist überall dort möglich, wo die Initiatoren und Organisatoren den Wert der Intensivierung anerkennen und danach ernsthaft streben. Heute sehnen sich die Menschen insgeheim mehr und mehr danach, miteinander wirklich zu sprechen, direkt, ohne Phrasen. Die meisten haben den Weg dazu vergessen und müssen von neuem lernen, ihn zu gehen. 4. Das Problem der Popularisierung. – Es neigen viele zu der Meinung, der Lehrer solle seinen Schülern auf einfache (»populäre«) Weise die Forschungsergebnisse mitteilen soll, und setzen dieses sogar mit Erwachsenenerziehung im allgemeinen gleich. Diese Meinung ist grundsätzlich falsch und entspringt zum großen Teil der Tatsache, daß das Projekt der Erwachsenenerziehung vielerorts, vor allem aber in England, an Universitäten in der Form der »University Extension« entstand. Viele akademische Lehrer sind zu dem Irrtum gelangt,
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daß Forschungsergebnisse fruchtbar verbreitet werden könnten, ohne ihren Zuhörern Einsicht in den Weg zu geben, auf welchem diese Ergebnisse entstanden sind, und in die mit ihnen notwendigerweise verbundene Problematik. Es können zwar den Zuhörern einzelne Fakten präsentiert werden, etwa in Physik oder Geschichte. Das ist aber nicht das Ziel, nach welchem ein sich seiner besonderen Aufgabe bewußter Erwachsenenerzieher strebt. Dieser will doch vor seinen Schülern die Zugangstore zu den großen Natur- und Geistesphänomenen gerade öffnen, und dies kann nicht geschehen, solange die umfangreiche, methodische akademische Arbeit dem erwachsenen Schüler vorenthalten wird. Der Lehrer selbst muß die Forschungsergebnisse seines Faches und dessen Geschichte vollständig beherrschen, er muß aber auch wissen, daß es nicht seine Aufgabe ist, sie zu dozieren. Jeder Zweig der Wissenschaft hat seine eigenen Voraussetzungen, die gelegentlich überprüft werden müssen, und nur durch das Festhalten an ihnen ist er eine »echte Wissenschaft«. Aber diese Selbstkritik der Wissenschaft bleibt bei der Popularisierung aus. Deshalb haftet an der Wissenschaft, die man zu popularisieren versucht, der Charakter strenger Absolutheit, der ihr wesensfremd ist, was die Beziehung des Lernenden zur Wirklichkeit ungünstig beeinflussen kann. Der Lehrer kann diese Gefahr einschränken, indem er seine Schüler in die Dynamik seines Faches einführt. In diesem Bereich kann man vor allem von der Methode einiger Schüler Grundtvigs lernen, Mathematik und exakte Naturwissenschaften zum Teil historisch zu unterrichten. So stellten sie die Lernenden vor die Probleme der jeweiligen Epoche und versuchten, die Lösungen quasi mit ihnen zusammen zu finden. Auf diese Weise werden die Lernenden ferngehalten von den Verallgemeinerungen und Abstrahierungen wissenschaftlicher Feststellungen und erwerben aktives Wissen über die innere Bewegung der Wissenschaft. Gleichzeitig nehmen sie die erhabene kritische Position des Geistes gegenüber seinem Projekt ein, eine Position, in welcher er seine Vitalität noch mehr zeigt als in dem Projekt selbst. Außerdem soll man den Schülern die heutige Forschung im Detail, in der Größe ihres Kampfes zeigen. Dies heißt: ihnen zeigen, wie die Forscher das Ziel suchen und finden, suchen und verfehlen und wieder suchen. Damit der Schüler dazu erzogen wird, an der geistigen Tätigkeit seiner Gesellschaft einen mehr oder weniger großen Anteil zu nehmen, muß er Ehrfurcht erlangen vor dem kritischen Mut des Geistes in dieser Stunde, vor dessen Gewagtheit wie auch Zurückhaltung. Und auch dies: Zwar muß der Lehrer in seine Unterweisung möglichst häufig seine Meinung zur Forschungsdynamik einfügen. Aber zu Anfang
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seiner Arbeit muss stets die Beziehung zu einer bestimmten Wirklichkeit so oft wie möglich hervortreten. Was immer diese Wirklichkeit sei – ein Ereignis, eine Landschaft oder eine Schrift – es muss immer die Beziehung dazu gründlich erklärt werden, auf eine quasi vorprofessionelle Weise, bevor die wissenschaftliche Unterweisung beginnt. Und auch nachher müssen die Schüler immer wieder angeregt werden, sich die ihnen bekannte Wirklichkeit, die sie noch nicht genug kennen, vorzustellen und zu lernen, sie weiter zu verstehen. Noch mehr als bei den anderen Punkten hebt sich hier als das Ziel der Erwachsenenerziehung die verantwortliche und selbständige Beziehung des Menschen zu seiner Lebenswirklichkeit hervor. 5. Begriffserklärung. – Es muß an die Notwendigkeit der Begriffserklärung gedacht werden, die sich am deutlichsten beim Lehren der Geisteswissenschaften bemerkbar macht, möglicherweise aber auch im Gespräch über aktuelle Angelegenheiten entsteht. Konfuzius und Sokrates berücksichtigen diese Erklärungstätigkeit sehr. Konfuzius nannte sie »Begriffsverbesserung«, und Sokrates forderte von seiner philosophischen Erkenntnis, die allgemeinen Begriffe zu erklären. In der heutigen Zeit, in der die Routine der Zeitungsschlagzeilen und Propagandareden herrscht, gebrauchen die Leute die erhabensten und feinsten Begriffe mit immer größerer Leichtfertigkeit. Man vergisst immer stärker, daß das im Abbild Gottes Geschaffene keine Worte anhäufen soll, mit denen keine eigenen Vorstellungen verbunden sind, ohne je einmal zu versuchen, deren Grundinhalt zu verstehen. In diesem Punkt soll die Erziehung, besonders die Erwachsenenerziehung, sich einsetzen und wirken. Sie muß immer wieder eine Art von Zäunen errichten, innerhalb derer sich der eigene persönliche Inhalt der allgemeinen Begriffe manifestiert, die die Schüler benutzen. Hier müssen die Lehrer immer neu vom Vagen ins Klare dringen, von der Routine in das eigene Denken, vom Schein in die Wahrheiten, und damit – vom Toten oder Scheintoten in das Lebendige.
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Existentielle Situation und dialogische Existenz I Wir können die Situation nicht vorhersehen, vor der unsere Schüler einst stehen werden, und wir können diese daher auch nicht auf sie vorbereiten, aber wir können und sollen unsere Schüler lehren, was eine Situation für den reifen und mutigen Menschen bedeutet, mit anderen Worten: wir können und sollen sie das rechte Verhältnis zwischen Idee und Situationen lehren, nämlich daß die Idee ihre jeweilige Wirklichkeit von den Situationen empfängt, in denen sie sich zu bewähren hat. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen der Situation, in die sie geraten sind, weniger als in irgendeiner früheren ins Auge zu blicken wagen. Daher die erschreckende Führungslosigkeit in unseren Tagen. Die Väter haben der heute herrschenden Generation Prinzipien beigebracht, aber nicht die Fähigkeit der Seele, die prinzipientreue Praxis von den Situationen bestimmen zu lassen. Das muß anders werden, wenn die kommenden Generationen sich zutrauen sollen, die Rettung des Menschengeschlechts zu unternehmen. Es muß anders werden, das heißt: die Erziehung muß anders werden, und das wieder heißt vor allem: die Erzieher müssen anders werden. Wir müssen mit der Erziehung der Erzieher beginnen. Genauer: die leitenden Menschen der Lehrerseminare müssen aufs sorgfältigste ausgewählt werden, es müssen Menschen sein, die den Zusammenhang von Idee und Situation gedanklich und praktisch kennen, und aus ihrer Gemeinschaft muß einer der höchsten Stände des Landes gebildet werden.
II Ich weiß von sehr wenigen Menschen in der Geschichte, zu denen ich in einer solchen Beziehung von Vertrautheit und Ehrfurcht zugleich stehe wie zu Sokrates. Wenn es sich aber um die »sokratischen Fragen« als erzieherische Methode handelt, stehe ich gegen sie. Ich stimme zwar– mit einigen Einschränkungen – der Äußerung von Konfuzius zu, man müsse, um menschliche Realitäten klären zu können, Begriffe und Bezeichnungen klären; aber ich bin der Meinung, daß solch eine Klärung mit einer Kritik an der Funktion der Begriffe und Bezeichnungen verbunden sein soll. Konfuzius hat die Bedeutung der Bezeichnungen im Vergleich mit
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den Eigennamen, Sokrates hat im Vergleich mit den konkreten Einzelerfahrungen die Bedeutung der Allgemeinbegriffe für das Leben des Menschen überschätzt. Allgemeinbegriffe sind die wichtigsten Stöcke und Stützen; aber Sokrates behandelt sie, wie wenn sie wichtiger als Beine wären – das sind sie nicht. Stärker jedoch als dieses grundsätzliche ist mein Bedenken gegen eine pädagogische Verwendung der sokratischen Methode. Sokrates führt seinen Dialog durch, indem er Fragen stellt und die empfangene Beantwortung als unhaltbar erweist; es sind keine wirklichen Fragen, es sind Züge in einem sublimen dialektischen Spiel, das einen Zweck hat, den Zweck, ein Nichtwissen zu offenbaren. Wenn aber der Lehrer, den ich meine (von seinen pflichtgemäß examinatorischen Fragestellungen sehe ich ab) in einen Dialog mit seinem Schüler eintritt und in diesem Zusammenhang an ihn Fragen richtet, so fragt er, wie der schlichte, nicht dialektisch disponierte Mensch fragt: weil er etwas erfahren will, das nämlich, was dieser Junge da vor ihm, und gerade er, von dem Gegenstände des Gesprächs zu berichten weiß: eine kleine individuelle Erfahrung, eine vielleicht kaum begrifflich erfaßbare Erfahrungsnuance, nichts weiter, und das ist genug. Bedürfnis nach Mitteilung von Eigenem und Fähigkeit dazu will der Lehrer im Schüler erwecken, und auf diesem Weg ihn zu größerer Klarheit der Existenz bringen. Aber er lernt auch selber, indem er so lehrt: er lernt, immer neu, das in Erfahrungen sich vollziehende Werden der menschlichen Kreatur konkret kennen, er lernt, was kein Mensch je zu Ende lernt, das Besondere, das Individuelle, das Einmalige. Nein, gewiß keine full partnership; aber doch eine eigentümliche Art von Gegenseitigkeit, doch ein wirklicher Dialog. 1
1.
[Anm. Druckvorlage:] Vorstehende Aufzeichnungen stellte uns Martin Buber am 13. 1. 1965 – fünf Monate vor seinem Tode – für eine Veröffentlichung in den »Blättern des Weltbundes für die Erneuerung der Erziehung« zur Verfügung; sie erscheinen hier erstmalig in deutscher Sprache.
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Kommentar Referat über jüdische Erziehung
Druckvorlage: Jüdische Rundschau 22, Nr. 1 vom 5. 1. 1917, S. 4-6. MBB 190. Rede auf dem Deutschen Zionistischen Delegiertentag am 25. 12. 1916. Auf dieser Tagung hielten Kurt Blumenfeld (1884-1963) und Salman Schocken (1877-1959) die Hauptreferate. Von Schocken wurde ein umfänglicher Katalog kulturpolitischer Aktivitäten vorgeschlagen, u. a. ein jüdisches Dienstjahr für junge Zionisten (bezugnehmend auf einen Vorschlag von Robert Weltsch (1891-1982) in der vorangegangenen Nummer der Jüdischen Rundschau) und in Anlehnung an den Dürerbund die Erstellung eines literarischen (zionistischen) Ratgebers. Max Brod, der die Rede gelesen hatte, stimmte Bubers Überzeugung zu, daß der Zionismus »etwas prinzipiell Neues« wolle, stimmte allerdings nicht zu, daß dieses Neue nur durch die Rückkehr zum Hebräischen zu haben sei. 1 Gerhard Scholem (1897-1982) war unter den Zuhörern und schrieb an Buber: »Ich habe Ihnen auf dem Delegiertentage unter dem Zwange einer grenzenlosen Verwirrung, in die mich Ihre Worte gesetzt haben, ein Versprechen gegeben, das ich nicht erfüllen kann«2 , nämlich das Aufsatzmanuskript über die jüdische Jugendbewegung, das unter dem Titel Jüdische Jugendbewegung in Der Jude 1, Heft 12, 1917, S. 822-825 erschien, zu ändern. Bubers didaktische Vorstellungen zum jüdischen Geschichtsunterricht sind von den zeitgenössischen reformpädagogischen Vorstellungen über Unterricht geprägt, in dem die Schüler sich die Geschichte aktiv aneignen. Zion und die Jugend
Druckvorlage: Der Jude 3, Heft 3, Juni 1918, hrsg. von Martin Buber, S. 99-106. BB 188, MBB 212. Erstdruck: Jüdische Jugend, Flugschrift 1, Gesamtausschuß der National-jüdischen Jugend Deutschlands, Berlin 1918. BB 178, MBB 202. Aufgenommen in: Die jüdische Bewegung – Gesammelte Aufsätze, Teil 2, 1916-1920, Berlin: Jüdischer Verlag 1920.
1. 2.
M. Buber, B I, S. 458 f. (Brod an B. 10. 1. 1917). M. Buber, B I, S. 465 (Scholem an B. 28. 1. 1917).
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Kommentar
MBB 233. 1928 übersetzt ins Hebräische: MBB 384. Wieder abgedruckt in: WadJ, S. 12-21. BB 448, MBB 574; in: JuJ, S. 700-710. MBB 1216. Referat auf dem Wiener Zionistischen Jugendtag (18.-20. Mai 1918) im Großen Saal des Wiener Musikvereins. Buber hielt die gleiche Rede noch einmal auf dem vom 6.-8. Oktober 1918 stattfindenden Nationaljüdischen Jugendtag in Berlin, der auf die Initiative des Jüdischen Volksheims von Siegfried Lehmann3 (1892-1958) zurückging und der ebenfalls zur Sammlung und Stützung der zionistisch orientierten Jugendbewegung einberufen worden war. Weitere Redner in Berlin waren Moses Calvary (1876-1944) über Erziehungsfragen und Victor Chaim Arlosoroff (1899-1933) – neben Werner Senator (1896-1953) und Siegfried Lehmann – über das Hebräische. 4 Diese beiden ersten großen zionistischen Jugendtage nach dem Ersten Weltkrieg in Wien und Berlin gaben der Auswanderungsbewegung nach Palästina unter der jüdischen Jugend Auftrieb. Jüdisch leben
Druckvorlage: Jerubaal 1, Heft 1/2, 1918, S. 1-8, 45-49. BB 180, MBB 204. Die Zeitschrift Jerubaal wurde von Siegfried Bernfeld (1892-1953) herausgegeben und erschien nur im Jahr 1919 in vier Ausgaben. Zu ihren Autoren zählten Chaim Arlosoroff, Hugo Bergmann (1883-1975), Eugen Hoeflich (1891-1965) (später M. Y. Ben Gavriel), Ernst Eliyahu Rappaport (1889-1952), Shlomo Adler-Rudel (1894-1975), Gerhard Scholem, Monczi (Moshe) Spitzer (1900-1982), Ludwig Strauss (18921953), Fritz Saxl (1890-1948)(später am Warburg Institut in London tätig), Robert Weltsch u. a. W. Hoffer5 hat die Zeitschrift mit einer gewissen Berechtigung als »missing link« zwischen der Jugendbewegung und dem Zionismus bezeichnet. Der Name Jerubaal bezieht sich auf Jdc 6,32, wo Gideon Jerubaal genannt wird, weil er den Altar des Baal im Haus seines Vater zerstört hat (»hadere der Baal mit ihm«; Buber-RosenzweigÜbersetzung). Gideon ruft anschließend die jungen Männer zur Gefolg3.
4. 5.
Siegfried Lehmann gründete als Medizinstudent in Berlin in Anlehnung an die angloamerikanische sozialreformerische settlement-Bewegung das Jüdische Volksheim in der Dragonerstraße. Später gründete er ein Waisenhaus in Kowno (Kaunas/Litauen) und wanderte schließlich 1928 nach Palästina aus, um dort das Kinderdorf Ben Shemen zu gründen, das er bis zu seinem Tod leitete. Vgl. H. Meier-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, S. 40. W. Hoffer, Siegfried Bernfeld and Jerubaal: An Episode in the Jewish Youth Movement, S. 150-167.
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schaft auf. Ein (Quelle) Harod, Jdc 7,1, wo sich die Gefolgschaft Gideons sammelte, wird der Kibbutz genannt, in dem Eliyahu Rappaport zunächst lebte. Der jüdische Freund des am Dialog beteiligten Kindes heißt »Sigmund«, ein bei deutschsprachigen Juden im Habsburger Reich in der Generation Martin Bubers besonders beliebter Vorname, der auf Kaiser Sigismund verweist. 6 Die drei von Buber vorgetragenen biblischen Geschichten haben jeweils den Abfall des Volkes oder seines Königs von Gott und die Umkehr zu Gott zum Thema. Das Volk wird ungeduldig auf der Wüstenwanderung und errichtet sich ein goldenes Kalb als Idol (Ex 32). David verlangt es nach der Frau seines Gefolgsmannes Urija, und er schickt diesen dafür in den Tod (II Sam 11 und 12). Der Prophet Elija tritt auf dem Karmel gegen die Baalspriester an, die von der Königin Isebeel gestützt werden, um die Alleinherrschaft Gottes zu demonstrieren (I Reg 18). Verständigungsgemeinschaft
Druckvorlage: Mitteilungen des Verbandes der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands, Heft 2/3, Berlin, April/Mai 1918, S. 79-82. BB 183, MBB 206. Bericht von Karl Glaser in: Jerubaal 1, Heft 1, April 1918 und Julius Beyers in Heft 4, Juli 1918. Rede gehalten bei der Tagung der jüdischen Jugendorganisationen Deutschlands in Berlin am 5. 3. 1918, zu der der Verband der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands (VJJD) eingeladen hatte. Der Verband vereinigte Organisationen der Jugendpflege, weniger der Jugendbewegung. Cheruth – Eine Rede über Jugend und Religion
Druckvorlage: Wien: Verlag R. Löwith 1919. BB 190, MBB 214. 1951 übersetzt ins Italienische: BB 677, MBB 870; 1959 ins Hebräische: MBB 1135; 1967 ins Englische: MBB 1298; 1976 ins Niederländische: MBB 1402. Wieder abgedruckt in: RüdJ, S. 201-235. BB 262, MBB 284; in: WadJ S. 22-47. BB 448, MBB 574; in: JuJ, S. 122-143. MBB 1216. Auszüge in: Jugend und Religion – Aus einer Ansprache, in: Leipziger Blätter 3, Heft 9 vom 20. 4. 1919. MBB 220. Wieder abgedruckt in Einklang 3, Juli 1956, S. 26-28. MBB 1034. Letzte einer Serie von Reden über die jüdische Religion. Das Umfeld 6.
Kaiser Sigismund I (Regierungszeit 1410-1437) bestätigte die von Papst Martin V. auf dem Konstanzer Konzil ausgestellten Schutzbriefe und erfreute sich des Rufes eines Schützers der jüdischen Gemeinden.
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der Entstehung dieser Reden waren die Zionistischen Jugendtage (Mai 1918 in Wien, Oktober 1918 in Berlin), wo Buber die Rede Zion und die Jugend hielt. (siehe S. 84-92 in diesem Band) Die Rede wurde in der zionistischen Jugendbewegung viel gelesen, 1926 gründete eine Gruppe junger Menschen in Lüdge bei Hameln nach ihrer Verlesung den Kibbutz Cherut. Mitglieder dieser Gruppe gehörten bald zu den Gründern des Kibbutz Givat Brenner in Palästina. 7 Der Hinweis: »Ich weiß wohl, daß es seit der Verdichtung jüdischen Regenerationsverlangens in unseren Tagen Männer gibt, die allem flachen Aufklärertum fern, dennoch die Übermacht des Religiösen im Judentum beklagen […] und eine Verweltlichung des Judentums fordern […]« (siehe S. 115 in diesem Band) bezieht sich auf Positionen innerhalb der jüdischen Jugendbewegung, wie sie beispielsweise von dem Blau-WeißFührer Walter Moses (1892-1955) auf dem Nationaljüdischen Jugendtag in Berlin im Oktober 1918 vertreten wurden, der die zionistische Jugend aufforderte, allen geistigen jüdischen Ballast abzuwerfen. Die Aufgabe
Druckvorlage: Das Werdende Zeitalter 1, Heft 1, April 1922. BB 251, MBB 271 (Typoskript Arc.Var. Ms. 350/beth 5a ohne Abweichungen von der Druckvorlage). Wieder abgedruckt in: Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider Verlag 1965, S. 90-92. Das Werdende Zeitalter war die von Elisabeth Rotten (1882-1964) und Karl Wilker (1885-1980) herausgegebene Zeitschrift des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung. Rotten stand seit 1921 in engem Briefkontakt mit Buber. Sie hatten sich 1919 auf einer Friedensdemonstration in Berlin kennengelernt. Der umfangreiche Briefwechsel bietet vor allem einen Einblick in Rottens Tätigkeit als unermüdliche Organisatorin und Propagandistin reformpädagogischer Aktivitäten, Verlautbarungen etc. (Arc. Ms. Var. 350.637, 206 Briefe von Rotten an Buber). Durch ihre Schweizer Staatsangehörigkeit konnte Rotten ungehinderter als deutsche Staatsangehörige europäische und internationale Kontakte knüpfen und pflegen. Für Buber stellte sie in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren insofern eine wichtige Kontaktperson zur internationalen pädagogischen Reformbewegung dar. Die Planung der Zeitschrift wurde von ihr mit Buber vielfach beraten. Der kurze Text Die Aufgabe ist als Eröffnungsbeitrag vor diesem Hinter7.
M. Dormann, Martin Bubers Rede »Cherut« und ihre Wirkung auf die jüdische Jugendbewegung in Deutschland.
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grund entstanden. Er gehört in die Gattung der in diesem Band häufiger vertretenen Geleitworte, um die Buber in der pädagogischen Publizistik gebeten wurde. Einige von ihnen sind in Nachlese aufgenommen. Über den deutschen Aufsatz
Druckvorlage: Wilhelm Schneider, Meister des Stils über Sprach- und Stillehre. Beiträge zeitgenössischer Dichter und Schriftsteller zur Erneuerung des Aufsatzunterrichts, Leipzig 1922. BB 258, MBB 279. Wieder abgedruckt in: Nachlese, S. 95-97 unter dem Titel Stil und Unterricht. Die im Schulreformklima nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Sammlung zur Erneuerung des Aufsatzunterrichts enthält Stellungnahmen von einigen der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren des Zeitalters, so von Thomas Mann (1875-1955), Heinrich Mann (1871-1950), Alfred Döblin (1878-1957), Fritz Mauthner (1849-1923), Arnold Zweig (1878-1968) und Stefan Zweig (1881-1941). Der Titel der Sammlung knüpft an an den eines aufsehenerregenden Buches aus der Schulreformdebatte vor dem Ersten Weltkrieg: Adolf Jensens und Wilhelm Lamszus, Unser Schulaufsatz – ein verkappter Schundliterat, Hamburg 1910. Universität und Volkshochschule
Druckvorlage: KuI, S. 303-308. MBB 459. Im Juli 1924 nahm Buber an einer Sitzung des Komitees zur Gründung der Hebräischen Universität teil, auf der die Errichtung einer Volkshochschule beschlossen werden sollte. Zur Vorbereitung verfaßte er, nachdem ihn Robert Weltsch dazu aufgefordert hatte, dieses Memorandum. Auf der Sitzung wurde ein Antrag verabschiedet, in dem Buber ersucht wurde, im Frühjahr 1925 eine Studienreise nach Palästina zu unternehmen, um vor Ort die Chancen für die Errichtung der Volkshochschule zu erkunden und mit den »dort interessierten Gruppen und Personen nähere Fühlung zu nehmen.« Dieser Antrag ist im Archiv gemeinsam mit drei Seiten des Manuskripts des Referats Volkserziehung als unsere Aufgabe abgelegt (Arc. Var. Ms. 350/khaf 5, 2). R. van de Sandt weist darauf hin, daß dieser Antrag in der Jüdischen Rundschau 29, Nr. 64 vom 12. 8. 1924 ohne Verfasserangabe abgedruckt ist. 8 Zu der Reise Bubers nach Palästina kam es erst 1927 (s. der Kommentar zu Volkserziehung als unsere Aufgabe). 8.
R. van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 112.
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Rede über das Erzieherische
Druckvorlage: Die Kreatur 1, hrsg. von Martin Buber, Victor von Weizsäcker und Josef Wittig, Heft 1, 1926, S. 31-51. MBB 319. Wieder abgedruckt unter dem Titel Das Erzieherische in: Dialogisches Leben – Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich 1947, S. 57-289; in: RüE, S. 11-49; in: WI, S. 787-808. Übersetzungen ins Ungarische 1926: MBB 324; ins Hebräische 1949: MBB 823; ins Englische 1956: MBB 1026; ins Italienische 1959: MBB 1121; ins Französische 1959: MBB 1122; ins Japanische 1970: MBB 1347; ins Niederländische 1970: MBB 1349. Ausschnitte unter dem Titel Rede über das Erzieherische in: Die Erziehung. Pädagogen und Philosophen über die Erziehung und ihre Probleme, hrsg. von W. Flitner, Wiesbaden 1953, S. 496-505. Das Manuskript ebenso wie das während der Rede hergestellte Stenogramm beginnen im Gegensatz zur Druckfassung mit einer captatio benevolentia: »In doppelter Hinsicht hat mich das Thema, das sich die Konferenz gestellt hat, gerührt, zunächst deshalb, weil in diesem Thema unausgesprochen die Anerkennung eines wichtigen Satzes liegt, nämlich, daß es einen menschlichen Urhebertrieb gibt.« (Arc. Ms. Var. 350/khaf 5a) Sonst finden sich keine wesentlichen Textabweichungen. Die Rede wurde in der Öffentlichkeit viel beachtet, neben Rezensionen in der Tagespresse wurde auch die erste Veröffentlichung im ersten Heft von Die Kreatur 1926 in zahlreichen pädagogischen Zeitschriften rezensiert. (Elternhaus und Schule, Januar 1927; Sächs. Schulzeitung, Dezember 1927; Blätter des jüdischen Frauenbundes, Januar 1927; W. Flitner, Die Erziehung, 1927, S. 735, Ernst Michel, Der Kunstwart, Juni 1927) Buber hielt diese Rede auf der III. Internationalen Pädagogischen Konferenz des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung – The New Education Fellowship, zu der sich rund 400 bis 500 Teilnehmer aus 20 Nationen in Heidelberg einfanden. »Die Entfaltung der schöpferischen Kräfte im Kinde« war das Thema. Die Frankfurter Zeitung vom 26. 8. 1925 berichtete: »[…] so zeigte sich immer wieder, daß die scharfe Herausarbeitung der Erziehungsgedanken eigentlich von deutscher Seite gebracht wurde. In dieser Beziehung bezeichnend war die Wirkung, die Martin Bubers religiös ausgerichtete Ausführungen über ›Erziehung und Freiheit‹ auf den Kongreß machte.« Der Berichterstatter teilt den Eindruck mit, von vielen seien Bubers Ausführungen aufgrund ihrer eigenwilligen Form nicht verstanden und deshalb abgelehnt worden. Auf einen kleinen Kreis aber wirkten sie umso tiefer. Zwischen Machtanspruch in der alten Erziehung und dem Eros in der neuen fordere Buber das Eintreten in den Dialog zwischen Erzieher und Kind. Der Lehrer muß »hinabsteigen in
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die Seele des Kindes«, »vom Standpunkt des anderen aus« erleben, dann »wandelt sich der Mensch«. In der Rezension in den Blättern des jüdischen Frauenbundes wird berichtet, daß um diesen Vortrag heiße Kämpfe entbrannt seien. In der Wiederauflage 1953, in der diese Rede gemeinsam mit Bildung und Weltanschauung und Über Charaktererziehung abgedruckt ist, stellt Buber die drei Reden in drei verschiedene biographische Kontexte: erstens den »erwachsenenbildnerischen« der Heppenheimer Tagung von 1919 und der Weimarer Republik mit der Zusammenarbeit mit dem Hohenrodter Bund (Rede über das Erzieherische, siehe S. 136-154 in diesem Band), zweitens den der vollkommen neuen Situation nach 1933 und der damit verbundenen Erfahrungen in der Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung und ihrer Lernwochen (Bildung und Weltanschauung, siehe S. 279-286 in diesem Band) und drittens den nach der Einwanderung nach Palästina, wo es um den Aufbau einer Volksbildung ging (Über Charaktererziehung, siehe S. 327-340 in diesem Band). Volkserziehung als unsere Aufgabe
Druckvorlage: Jüdische Rundschau 31, Nr. 70/71 vom 8. 9. 1926, S. 505506. BB 299, MBB 331; hebr. Übersetzung in: Dawar vom 13. 4. 1927. Wieder abgedruckt in: KuI, S. 309-326 und JuJ, S. 674-684. Im Archiv befinden sich drei handschriftliche Blätter unter gemeinsamer Signatur mit einem Antragsentwurf an die Exekutive von Bubers Hand (Arc. Ms. Var. 350/khaf 5,2). Rede vor der Deutschen Zionistischen Vereinigung in Erfurt im August 1926, die Buber anläßlich seiner Palästinareise 1927 im Kulturausschuß des Jerusalemer Arbeiterrates noch einmal hielt. Die von der Jüdischen Rundschau gebrachte Fassung, die hier als Vorlage dient, hat Buber nach dem Stenogramm überarbeitet. Wie aus der Rede selbst hervorgeht, hatte Buber das Referat angemeldet. Im Zusammenhang seiner Eingabe des Memorandums an das Kuratorium der Hebräischen Universität (Universität und Volkshochschule, siehe S. 132-135 in diesem Band) stellt diese Ansprache offensichtlich den Versuch dar, auf dem Delegiertentag seine vorangegangenen Bemühungen bei der Exekutive vom Jahr 1924 weiter zu verfolgen. Die Übersetzung dieser Rede in Dawar 1927 ist verbunden mit einem Bericht über Bubers Aufenthalt in Palästina im April/Mai 1927 im Auftrag der Exekutive der Zionistischen Organisation (siehe der Kommentar in diesem Band zu Universität und Volkshochschule).
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Philosophische und religiöse Weltanschauung
Druckvorlage: Kulturelle Beiträge. Literarische Rundschau der »RheinMainischen Volkszeitung«, Nr. 15, Juni 1928. MBB 371. Der Text erscheint innerhalb eines Berichts von Ernst Michel (1898-1964). Wieder abgedruckt in: Tagungsberichte des Hohenrodter Bundes, 2. Bd., 6. Hohenrodter Woche, Stuttgart 1929, S. 29-32. BB 348, MBB 398; in: Nachlese, S. 128-135. MBB 1270. Buber hielt diese Rede auf der 6. Hohenrodter Woche 1928. Der Hohenrodter Bund war eine lose Verbindung von Volksbildnern aus unterschiedlichen »weltanschaulichen Lagern«, die sich erstmals 1923 getroffen hatten. Inwiefern die Heppenheimer Initiative von 1919 in die Gründung des Bundes eingeflossen ist, läßt sich nicht genau rekonstruieren. Jedenfalls sind einige der Heppenheimer Teilnehmer Gründungsmitglieder des Bundes, vornehmlich sind hier Robert von Erdberg (1866-1929) und Ernst Michel zu nennen. Buber war nicht Mitglied des Bundes, stand aber zu einigen Mitgliedern in regelmäßiger Verbindung – zu Ernst Michel, Theodor Spira (1885-1961), später auch Eugen Rosenstock (1888-1973), Theodor Bäuerle (1882-1956) und Romano Guardini (1885-1968). Der Kreis traf sich kontinuierlich zu »Arbeitswochen.«9 Verantwortung: Worte an die Jugend
Druckvorlage: Berliner Tageblatt, 5. Beiblatt vom 1. 1. 1929. BB 353, MBB 403. Unter dem Titel Verantwortung: Worte an die Jugend erschien zum Jahreswechsel 1928/29 im Beiblatt des Berliner Tageblatts eine Sammlung von kurzen Texten. Adolf von Hatzfeld (1892-1957) schrieb über »Sexuelle Verantwortlichkeit«, Friedrich Siegmund-Schultze (1885-1969) über »Politische Verantwortung«, Paul Tillich (1886-1965) über »Religiöse Verantwortung« und Leo Weismantel (1888-1964) über »Familie und Autorität«. Bubers Text ist im Layout zentral verortet und trägt den Titel Verantwortung. Im Jahr 1928 hatte der spektakuläre Steglitzer Schülermordprozeß in Berlin die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Nicht nur das Mordgeschehen an sich, sondern das in dem Prozeß zutage getretene neue Sexualverhalten von Jugendlichen aus der Mittelschicht zeigte einer 9.
Vgl. zum Hohenrother Bund J. Hennigsen, Der Hohenrodter Bund. Zur Erwachsenenbildung in der Weimarer Zeit. Zu Bubers Rede und seiner Beziehung zu den Hohenrodtern vgl. R. van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 122-136.
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aufgeschreckten Erwachsenenwelt, daß es jedenfalls im großstädtischen Milieu eine Jugendkultur gab, die sich in ihren ethischen Orientierungen von der der bündischen Jugend erheblich unterschied und die, so jedenfalls legt es die Berichterstattung in der zeitgenössischen Presse nahe, als moralisch desorientiert wahrgenommen wurde. 10 Die zum Jahreswechsel von namhaften Autoren verfaßten Worte an die Jugend in einer liberalen Tageszeitung drücken den heute rührend anmutenden Versuch der Erwachsenenwelt aus, auf diese Entdeckung zu reagieren. Der Text steht in einem inneren Zusammenhang mit der Rede Die Jugend und der Zeitgeist von 1930 (siehe S. 200-218 in diesem Band). Die Frage nach Jerusalem
Druckvorlage: Das Werdende Zeitalter 7, Heft 2, Februar 1929, S. 65-66. BB 345, MBB 395. Auszug aus einer Ansprache, die Buber unter dem Titel Warum muß der Aufbau Palästinas ein sozialistischer sein auf der Konferenz der Liga für das arbeitende Palästina in Deutschland hielt, die am 29. und 30. 12. 1928 in Berlin stattfand. MBB 404. Dieser Text wurde in Das Werdende Zeitalter als Einleitungstext für ein Palästinaheft abgedruckt, zu dem namhafte zionistische Reformpädagogen, die bereits in Palästina arbeiteten, u. a. Siegfried Lehmann, der das Waisenhaus Ben Shemen leitete, Ernst Simon (1899-1988) und Moses Calvary, beitrugen. 11 Die Liga für das arbeitende Palästina wurde 1928 von ehemaligen Mitgliedern des JJWB neu gegründet 12 Wie es zu der Einladung für das Referat kam, ist nicht zu rekonstruieren. Bubers anarchistische Kritik am Kommunismus (»Moskau«) und am Faschismus (»Rom«), die ihre Hoffnung auf einen Sozialismus mit »menschlichem Antlitz« setzt, trägt deutlich die Spuren des Einflusses Gustav Landauers (1870-119). Buber hatte die Arbeiten an der Edition der Briefe Landauers gerade abgeschlossen, so daß die Einleitung in die Edition in dieser Rede ihren Widerhall fand. 13 10. Vgl. Th. Lange, Der »Steglitzer Schülermordprozeß« 1928, in: T. Koebner/R.-P. Janz/ F. Trommler (Hrsg.), »Mit uns zieht die neue Zeit.« Der Mythos Jugend, S. 412-437. 11. Einige der Texte dieses Heftes sind veröffentlicht in L. Liegle/F.-K. Konrad (Hrsg.), Reformpädagogik in Palästina, Frankfurt a. M. 1989. 12. Vgl. H. Meier-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, S. 87, der die Gruppe als wenig Buber-beeinflußt kennzeichnet. 13. Gustav Landauer – Sein Lebensgang in Briefen, hrsg. von Martin Buber in Zusammenarbeit mit Ina Britschtgi-Schimmer, 2 Bde. Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1929. Zum Verhältnis Bubers zu Landauer vgl. L. Liegle, Pfade in Utopia: Gemeinschaft bei Gustav Landauer und Martin Buber, S. 102-121.
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Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten. Ein Vortrag (1929)
Erstdruck nach dem Typoskript Arc. Ms. Var. 350/lamed 72. Gehalten am 3. 4. 1929 in Stuttgart. Vor welchem Publikum die Rede gehalten wurde, ist nicht mehr zu ermitteln. Die Thematik legt jedoch die Vermutung nahe, daß es sich um eine zionistische Zuhörerschaft gehandelt hat, da der Text eine Auseinandersetzung mit germanisch-völkischen Bildungszielen aus jüdischer Perspektive darstellt. Unter dem Stichwort »biblischer Humanismus« wird der Kanon des Deutschunterrichts durchmustert und eine Perspektive auf die Geschichte entwickelt. Die Edda und das Nibelungenlied hält Buber für unpassend in der jüdischen Schule. Von christlichen Autoren bearbeitete jüdische Stoffe, wie beispielsweise Friedrich Hebbels (18131863) Drama Judith hält er ebenfalls für ungeeignet in der jüdischen Schule. Dagegen werden Matthias Claudius (1740-1815) ebenso wie Adalbert Stifter (1805-1868) und Jeremias Gotthelf (1797-1854) als bibelgerecht bezeichnet. Da Buber hier die Ansicht vertritt, daß aller Sprachunterricht vom Hebräischen ausgehen müsse, ist anzunehmen, daß er auf einer zionistischen Veranstaltung sprach. Die Rede behandelt ein Thema, das für die Bildung jüdischer Kinder und Jugendlicher in Deutschland nach dem Januar 1933 dringlich wurde und muß als ein wichtiges Dokument für Bubers Überlegungen zur Bildung jüdischer Kinder in einer deutschen Umwelt vor 1933 gelten. (vgl. Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule, S. 228-234 in diesem Band). Einige Leitsätze für Arbeitsgemeinschaften
Druckvorlage: Blätter des Jüdischen Frauenbundes für Frauenarbeit und Frauenbewegung. Offizielles Organ des Jüdischen Frauenbundes von Deutschland, Februar 1930, S. 5. Buber formulierte diese Leitsätze auf Anfrage einiger Ortsgruppen des Frauenbundes, mit denen er bereits Arbeitsgemeinschaften veranstaltet hatte und die ihn gebeten hatten, durch solche Leitsätze eine intensivere Vorbereitung der Teilnehmerinnen zu ermöglichen. »Arbeitsgemeinschaft« ist einer der zentralen Begriffe der reformpädagogischen Bewegung in Deutschland. Ursprünglich von Georg Kerschensteiner (1854-1932) erfunden, wurde er in den zwanziger Jahren sowohl in der Schulpädagogik als auch in der Erwachsenenbildung mit pädagogischer Bedeutung aufgeladen. Die Reichsschulkonferenz von
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1920 erklärte die Arbeitsgemeinschaft zum leitenden didaktischen Prinzip der neuen Schule. In der Erwachsenenbildung bezeichnete Arbeitsgemeinschaft nicht nur eine didaktische Form des Unterrichts, sondern enthielt die politisch und weltanschaulich bedeutsame Vorstellung von Gemeinschaft, die auch in Bubers Reflexionen eine zentrale Rolle spielte. »Arbeit« als Bestandteil des Wortes transportiert darüber hinaus noch eine Bedeutung, die auf »sozialistische« auch im Zionismus propagierte zentrale Werte hinweist. Wie kann Gemeinschaft werden?
Druckvorlage: Der Jugendbund 16, 1930, hrsg. vom Verband der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands, S. 3-7. MBB 429. Referat, das Buber auf dem 8. Ordentlichen Delegiertentag des Verbandes der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands in München hielt. 14 Wieder abgedruckt in: KuI, S. 252-280; in: WadJ, S. 48-64. BB 448; in: JuJ, S. 258-275. Der Delegiertentag spiegelt nicht zuletzt durch die Wahl Bubers als Hauptvortragenden wider, wie der ursprünglich dem Centralverein nahestehende Verband von Vereinen mit jugendpflegerischer Zielsetzung, von dem sich immer wieder jugendbewegte Gruppen abspalteten (so 1923 der JJWB), um eine jüdische Richtung kämpfte. Bubers Ansprache, die klar für eine zionistische Orientierung der im Verband organisierten Jugend plädierte, konnte die Zerreißprobe zwischen zionistischen und nichtzionistischen Vereinen, d. h. also den Kampf um »Neutralität« nicht verhindern. Der Verein war in den folgenden Jahren faktisch führerlos und spiegelt damit das allgemeine Dilemma der Jugendgruppen am Ende der Weimarer Republik wider, die sich politisch immer stärker fraktionierten. Die Jugend und der Zeitgeist. Ein Vortrag
Erstdruck nach Typoskrip Arc. Ms. Var. 350/lamed 69, 1930. Wo und vor wem dieser Vortrag gehalten wurde, war nicht mehr festzustellen.
14. Vgl. zur wechselvollen Geschichte des Verbandes, H. Meier-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, S. 16 f., S. 59 u. S. 89.
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Religiöse Erziehung
Druckvorlage: Das Werdende Zeitalter 10, Heft 1, Januar 1931, S. 1. BB 381 a, MBB 440. Wieder abgedruckt in: Nachlese, S. 123. MBB 1270. Warum gelernt werden soll
Druckvorlage: Arbeitsplan Januar bis März 1932, Berlin, Schule der jüdischen Jugend 1931. BB 382 a, MBB 442. Das handschriftliche Manuskript findet sich im Archiv unter der Signatur Arc. Ms. Var. 350/gimel 69. Wieder abgedruckt in: KuI, S. 136-140 und in: JuJ, S. 745-747. Hermann Gerson (1908-1989), Führer der zionistischen Werkleute, bat Buber am 29. 11. 193115 , einen halben Druckbogen für das Jahresprogramm der Schule zu schreiben: »Die Bedeutung des jüdischen Lernens in unserer Situation«. Nachdem Buber zurückgeschrieben hatte, daß er eigentlich in der Rede Cheruth (siehe S. 109-127 in diesem Band) alles zur Bedeutung der Religion für den Zionismus gesagt habe, notierte Gerson am 3. 12. 31 zehn Fragen, die Buber aber nur indirekt beantwortete. Die Schule der jüdischen Jugend wurde 1928/29 durch den zionistischen Rabbiner Joachim Prinz (1902-1988)16 gegründet. Sie arbeitete nach ähnlichen Prinzipien der Arbeitsgemeinschaften, wie sie im Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt von Franz Rosenzweig (1896-1929) entwickelt worden waren. Zu ihren Lehrern gehörten neben Ludwig Tietz (1897-1933) auch Georg Lubinski (1902-1972) und Moritz Spitzer. 17 Wann denn?
Druckvorlage: Jüdische Rundschau 37, Nr. 71 vom 6. 9. 1932, S. 343. MBB 455. Wieder abgedruckt in: KuI, S. 343-347 und in: WadJ, S. 68-74. BB 448, MBB 574. Buber entwickelt in dieser »Botschaft« an die jüdische Jugend im Rahmen der Tagung »Israel und der Weltfriede«, die vom 31. Juli bis zum 3. August in Antwerpen stattfand, eine entschieden pazifistische Interpretation aus der prophetischen Tradition des Judentums heraus. 15. M. Buber, B II, (Briefe Gerson an B., 29. 1. 1931 und 3. 12. 1931, an Gerson, 2. 12. 1931) S. 418-420. 16. Joachim Prinz, von 1921-1926 Rabbiner-Ausbildung am Jüdischen Theologischen Seminar in Breslau. Als ehemaliges Blau-Weiß-Mitglied war er 1929 maßgeblich an der Gründung der Schule der jüdischen Jugend in Berlin beteiligt. 17. Siehe E. Simon, Aufbau im Untergang S. 13 f.
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Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule
Erstdruck. Druckvorlage: Typoskript MBA Arc. Ms. Var. 350/lamed 72 vom 21. Mai 1933. Gehalten wurde der Vortrag in der 1. Knabenschule der jüdischen Gemeinde in Berlin (Schule Kaiserstraße) vor der Wissenschaftlichen Vereinigung jüdischer Lehrer und Lehrerinnen. Einige kürzere Passagen sind identisch mit dem Text des Artikels Unser Bildungsziel vom Juli 1933. Die Kinder
Druckvorlage: Jüdische Rundschau 38, Nr. 43/44 vom 30. 5. 1933, S. 227. BB 397 b, MBB 473. Der Text geht auf eine Anregung Hermann Gersons nach dem Vortrag Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule (siehe S. 228234 in diesem Band) zurück. »Vorgestern schrieb ich – mit unter dem Eindruck dessen, was Sie mir zu meinem Vortrag sagten – für die Rundschau den Aufsatz »Die Kinder«, den Sie inzwischen wohl schon gelesen haben«.18 Im Vortrag Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule findet sich die Passage: »Fragen Sie die Eltern, die hier sind, fragen Sie Ihre Kinder, ob sie noch diese Selbstverständlichkeit der Existenz, diese Unbefangenheit haben zur Umwelt. Wenn Sie es nicht im Wachzustand der Kinder wahrnehmen, werden Sie es in ihren Träumen belauschen, was ausgebrochen ist. Diese Kinder bedürfen der Verwurzelung. Kinder dürfen nicht wurzellos aufwachsen, oder sie gehen zu Grunde. Wir müssen dafür sorgen, daß unsere Kinder die unbefangene, ich will nicht sagen Daseinsfreude, aber doch jene Daseinsbejahung haben, ohne die das Kind nicht leben kann.« (oben S. 231) Die Besorgnis über die Folgen der durch die nationalsozialistische Machtübernahme plötzlich verschärften sozialen Ausgrenzung der jüdischen Kinder und Jugendlichen spiegelte sich in den großen jüdischen Zeitungen wider, die die Frage aufwarfen, »Was sagen wir unseren Kinder?«. Das Israelitische Familienblatt hatte bereits vor 1933 eine eigene Beilage zu den Themen Bildung und Schule, Die Jüdische Rundschau richtete 1933 eine solche ein, die C.V. Zeitung 1934.
18. M. Buber, B II, Nr. 431, S. 483.
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Entwürfe und Programme
Druckvorlage: StudE, S. 128-141. MBB 538. Zur Textfassung: Unter dieser Überschrift hat Buber 1936 vier Texte zusammengestellt, die seine Anstrengungen für eine bildungspolitische Neuorientierung der deutschen Juden zwischen dem Frühjahr 1933 und dem Frühjahr 1934 dokumentieren. Es handelt sich um den Entwurf für ein jüdisches Bildungsamt und für eine jüdische Lehrerbildungsanstalt (beide vom Mai 1933) sowie um zwei Briefe an Otto Hirsch (18851941) als Vertreter der Reichsvertretung der deutschen Juden vom 5. 12. 1933 und 1. 3. 1934. Die Erklärung zum Programm des wiedereröffneten Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt vom November 1933 wird in StudE hinzugefügt. Hier werden nur die beiden Entwürfe und die Briefe wiedergegeben, da die Erklärung zur Eröffnung des Frankfurter Lehrhauses in der Fassung der Erstveröffentlichung (Ein jüdisches Lehrhaus, siehe S. 249-251 in diesem Band) zum Abdruck gebracht wird. Die Briefe an Hirsch sind wieder abgedruckt in JuJ, S. 611-613 und 614 f. Letzterer befindet sich als Entwurf, der unter dem 23. 2. 1934 an Leo Baeck (1873-1956) gerichtet ist, im Martin Buber-Archiv. Wieder abgedruckt in Briefe II, S. 507 ff. und S. 527 ff. Zur Textentstehung: Bereits im März 1933 schrieb Robert Weltsch, der Herausgeber der Jüdischen Rundschau, an Buber: »[…] Die meisten unserer Freunde, ganz zu schweigen von den übrigen Juden, haben sich nicht auf die neue Lage umgestellt und z. B. auch nicht begriffen, daß wahrscheinlich ein vollständiger Aufbau eines eigenen Bildungs- und Schulsystems notwendig sein wird.« 19 Kurz darauf schrieb Buber an Hermann Gerson, daß er bereit wäre, die verantwortliche Leitung des jüdischen Bildungswesens in Deutschland zu übernehmen. Bubers Bedingung ist eine strenge Zentralisierung in der Führung. 20 Im Mai 1933 entstand Bubers Entwurf für den Aufbau eines jüdischen Schulwesens und die Einrichtung eines Bildungsamtes, den er der Reichsvertretung zukommen ließ. Ein Brief an Leo Baeck vom 22. 6. 1933 unterstreicht Bubers Ansicht, daß er sich zu diesem Zeitpunkt ein solches Bildungsamt nur »unter der Führung eines Einzelnen […] vorzustellen«21 vermochte. Aus dem Brief an Hermann Gerson vom 6. 12. 1933 geht hervor, daß
19. M. Buber, B II, Brief Nr. 418 (Weltsch an B., 22. 3. 1933), S. 472. 20. M. Buber, B II, Brief Nr. 419 (an Gerson, 24. 3. 1933), S. 473. 21. M. Buber, B II, Brief Nr. 441 (an Baeck, 22. 6. 1933), S. 491.
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Buber sich am 4. 12. 1933 mit Otto Hirsch in Heidelberg getroffen hatte und auf dessen Veranlassung dann am 5. 12. 1933 den Brief (als memorandum) geschickt hatte. Am 14. 12. 1933 bat Leo Baeck dann im Namen der Reichsvertretung der deutschen Juden Buber, in Mannheim die geplante Schule für Judentumskunde zu gründen. Die Rahmenbedingungen sahen 40 000 RM als Finanzierung für ein Jahr, jedoch keine weiteren Verpflichtungen seitens der RV vor, die Synagogengemeinde Mannheim stellte durch Rabbiner Dr. Max Grünewald(1899-1992) sechs Räume zur Verfügung. Aus diesem Plan, der sich in der von Buber geplanten Weise nicht realisieren ließ, da es nicht genügend Interessenten unter den Lehrern gab, entstand im Laufe des Frühjahres 1934 das Konzept für die Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung, die in den folgenden Jahren Tagungen (Lernzeiten) für die drei zentralen Gruppen von Lehrern in der jüdischen Bildung organisierte, für die Lehrer in jüdischen Schulen, für die Bildungsarbeiter in den Jugendbünden und für die Lehrer in den Gemeinden. Die Mittelstelle spricht von der »Bildung der Bildner«. Bubers Hauptaktivität in diesen Lernzeiten bestand in der Durchführung von Bibelkursen. Unser Bildungsziel
Druckvorlage: Jüdische Rundschau 38, Nr. 54 vom 7. 7. 1933, S. 309. BB 399 a, MBB 480. Wieder abgedruckt in: StudE, S. 88-94 und in: JuJ, S. 597-601. Die Textfassung in StudE und JuJ enthält eine Fußnote: »Über die Aufgaben, die Organisation und den Lehrplan einer solchen ›wesensjüdischen‹ Schule habe ich in den drei Jahren wiederholt zu Lehrerkreisen gesprochen. Diese Reden sind hier nicht mit aufgenommen, weil sie im wesentlichen speziell pädagogische Fragen behandelt haben.« Buber bezieht sich damit auf den Vortrag Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule. Unser Bildungsziel ist die überarbeitete Fassung des Vortrags Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule. Der Text erschien zwar im Organ der Zionisten, Buber argumentiert jedoch deutlich so, daß es bei dem Bildungsziel für die Juden in Deutschland unter nationalsozialistischer Verfolgung nicht um partikulare zionistische Interessen gehen könne. Die Publikation rief in der nichtzionistischen jüdischen Presse, namentlich im Hamburger Israelitischen Familienblatt eine Diskussion hervor, an der sich orthodoxe Stimmen sowie nichtreligiöse Skeptiker beteiligten. Es erschienen am 3. 8. 1933 und am 7. 9. 1933 zwei Kritiken,
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die Bubers Vorstellung, ein allgemeingültiges Bildungsziel aus der gegenwärtigen jüdischen Situation ableiten zu können, nicht teilten. 22 Bereits im ersten Satz nimmt Buber Bezug auf seinen eigenen Vorschlag, eine »einheitliche Ordnung mittels eines ›Bildungsamtes‹ der deutschen Juden« zu errichten (siehe Entwürfe und Programme, S. 238244). Daß der Versuch Bubers, ein gemeinsames Bildungsziel für die bedrohte jüdische Gemeinschaft in Deutschland zu formulieren und die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, gescheitert war, läßt sich aus der Ablehnung seines Planes für ein Bildungsamt durch die Reichsvertretung ablesen: Bubers zionistische Orientierung ebenso wie seine Nähe zum Bund Entschiedener Schulreformer (wobei wahrscheinlich seine Nähe zum Weltbund für Erneuerung der Erziehung hier zu einer Verwechselung durch Vertreter in der Reichsvertretung geführt hat, denn Buber war nicht Mitglied im sozialistischen Bund Entschiedener Schulreformer) sollen zunächst als Argumente gegen seinen Plan genannt worden sein. 23 Es kam dann nur zur Verwirklichung des zweiten Vorschlags zur Einrichtung einer jüdischen Erwachsenenbildungsstelle, der nachmaligen Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung, in der Buber seine Bildungstätigkeit bis zur Einwanderung nach Palästina ausübte. 24 Ein jüdisches Lehrhaus
Druckvorlage: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt 12, Heft 3, November 1933, S. 95. BB 399 a, MBB 472. Wieder abgedruckt in: StudE unter Entwürfe und Programme, S. 140-143, hier gesondert nach dem Erstdruck aufgenommen. Ankündigung der Wiedereröffnung des Frankfurter Lehrhauses. Der Text ist ohne die konkreten Ankündigungen der Lehrveranstaltungen, die hier auch nicht aufgenommen sind, noch einmal in der Textsammlung Entwürfe und Programme in StudE abgedruckt. Aufgaben jüdischer Volkserziehung
Druckvorlage: StudE, S. 182-185. MBB 538. Wieder abgedruckt in: JuJ, S. 602-605. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus der Rede zur Wiederöffnung des Frankfurter Lehrhauses gehalten am 19. November 1933. 22. Hamburger Israelitisches Familienblatt am 3. 8. 1933 und am 7. 9. 1933. 23. M. Buber, B II, Nr. 438, S. 489 (an Gerson 15. 6. 1933). 24. Zur Geschichte siehe E. Simon, Aufbau im Untergang, S. 30-75 und R. van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 171-210.
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Jüdische Erwachsenenbildung
Druckvorlage: Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung, Rundbrief 1, Juni 1934, S. 1. MBB 502. Wieder abgedruckt in: StudE S. 111-112. R. van de Sandt nimmt an, daß der Text dem Grundsatzreferat entnommen ist, das Buber auf der von ihm einberufenen Tagung der Mittelstelle im Mai 1934 in Herrlingen gehalten hatte. 25 Die Lehre und die Tat
Druckvorlage: Jüdische Rundschau 34, Nr. 40 vom 18. 5. 1934, S. 5 f. BB 410 a, MBB 504. Wieder abgedruckt in: StudE, S. 61-73; in: Israelitisches Familienblatt 38, Nr. 32 vom 6. 8. 1936. BB 433 c und in: JuJ, S. 663-670. Das pädagogische Problem des Zionismus. Ein Vortrag.
Erstdruck. Druckvorlage: Typoskript im Arc. Ms. Var. 350/waw 4 ohne Datierung, ohne Titel. Im Israelitischen Familienblatt vom 27. 12. 1934 findet sich ein Bericht über einen Vortrag mit dem Titel Das pädagogische Problem des Zionismus, mit dem Buber den Vortragszyklus der Frankfurter Zionistischen Vereinigung eröffnete. Dem Typoskript liegt offenbar ein Stenogramm der mündlichen Rede zugrunde, das nicht redigiert worden ist. Die Textfassung ist an den Stellen, wo der Sinn unverständlich ist, nach dem Typoskript wiedergegeben. Die Anmerkungen schlagen eine Lesart der Herausgeberin vor. Trotz der schlechten Textüberlieferung ist der Text in die Werkausgabe aufgenommen worden, da er einen seltenen, Buber sagt im ersten Satz der Rede, den ersten Versuch seinerseits beinhaltet, sein Verständnis von Zionismus, so wie er ihn seit den Zeiten der »Demokratischen Fraktion« begriff, als ein pädagogisches Problem zu fassen. Das ist zwar faktisch nicht richtig, denn bereits im Referat Volkserziehung als unsere Aufgabe von 1926 versteht er das Problem der Erziehung als Herstellung eines nationalen Überlieferungszusammenhangs. Er formuliert es dort allerdings als ein Problem von Lehren und Lernen und denkt an das Leben in Palästina und nicht an die Erziehung von Chaluzim unter Bedingungen der Galut. Im Vorwort zu StudE erklärt Buber ausdrücklich, daß er die Reden dieses Zeitabschnittes (1933-1935), die die »zionistische Bewegung und Arbeit, den palästinensischen Menschen und die palästinensische Gesellschaft 25. R. van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 177.
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zum Gegenstand hatten«, eben auch die Rede Das pädagogische Problem des Zionismus nicht in die Textsammlung aufgenommen habe, da sie in einen anderen Zusammenhang gehörten. Bildung und Weltanschauung
Druckvorlage: Der Morgen 10, Nr. 11, Februar 1935, S. 481-488. BB 419, MBB 522. Wieder abgedruckt in: Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung bei der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, Frankfurt a. M./Ginsheim, April 1937, S. 1-4. BB 440 a*, MBB 561; StudE, S. 113127; überarbeitete Fassung in: RüE 1953, S. 51-64. BB 723; WI, S. 809816; übersetzt ins Hebräische: MBB 851; ins Englische: MBB 1045; ins Japanische: MBB 1347. Die Fassung von 1935 ist hier zugrunde gelegt. Ob man van de Sandt folgen kann, daß die Überarbeitungen durch Buber für die erste Druckfassung, die nach 1945 in Deutschland erschien (1953) und die auch in die Ausgabe WI Eingang gefunden hat, keine wirklichen Veränderungen bedeuten, ist aus historischer Perspektive zu bezweifeln. Die jeweiligen Veränderungen werden als Textvarianten im Apparat aufgeführt. 26 Die Streichungen in RüE beziehen sich vor allem auf Passagen, die für die innerjüdische Diskussion nach 1933 geschrieben waren. Das Haltende – Ein Wort an die jüdische Jugend Deutschlands
Druckvorlage: Jugend-Rundschau vom 12. Februar 1935, Beilage zur Jüdischen Rundschau, 40, Heft 13 vom 12. 2. 1935. BB 420 a, MBB 524. Wieder abgedruckt in: StudE, S. 49 f. und in: JuJ, S. 598 f. Mit dem Begriff »Haltung« greift Buber einen zentralen Begriff aus der Semantik der bündischen Jugend auf und wendet sich mit dem Hinweis, daß »Haltung« nicht selbst erworben werden könne, kritisch gegen diesen Begriff. 27 Die Vorurteile der Jugend
Druckvorlage: Zionistisches Distriktionskomité, Prag, 13. Januar 1937. BB 440, MBB 560. Wieder abgedruckt in: Jüdische Rundschau vom 26. März 26. Zur Textgeschichte siehe R. van de Sandt, Martin Bubers bildnerische Tätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen, S. 271, dort auch eine ausführliche Interpretation (S. 271-289). 27. Siehe zum Begriff Haltung in der bündischen Jugend S. Autsch, Erinnerung – Biographie – Fotografie: Formen der Ästhetisierung einer jugendbewegten Generation im 20. Jahrhundert, Potsdam 2000.
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1937, S. 7-8 in leicht gekürzter und veränderter Fassung; in: WadJ, S. 74-86. Handschriftliches Manuskript und Stenogramm der Rede in Arc. Ms. Var. 350/khaf 5c mit den Überarbeitungen. Gleichzeitig erschien 1937 eine tschechische und hebräische Übersetzung. Wieder abgedruckt in: JuJ, S. 711-722. Zu Anmerkung 2 [Anm. Buber]: siehe M. J. Bin Gorion, Die Sagen der Juden, Frankfurt a. M. 1962, S. 638-644, wo eine andere Fassung der Überlieferungen der Erzählung von Salomon und Asmodäus, dem Dämonenherrscher, wiedergegeben ist. 13 Jahre Hebräische Universität
Druckvorlage: Übersetzung aus Dawar 10. April 38, auch unter dem Titel: Bar Mitzwa der Hebräischen Universität, in: Haaretz, 8. April 1938 und HaOlam 26, Nr. 32/33, 14. April 1938. MBB 592, Übersetzung von Karin Neuburger. Nationale Erziehung
Druckvorlage: Sonderdruck, Verlag Morgenblatt, Cerna˘ut¸i. (Czernowitz) 1939. Der Text erschien fortlaufend am 15., 16. und 18. April 1939 in: Das Morgenblatt Cerna˘ut¸i. BB 462, MBB 599. Zugrunde liegt ein Vortrag, den Buber am 12. April 1939 auf Einladung der Bukowiner zionistischen Landesexekutive und des Vereins der Freunde der Hebräischen Universität Polens gehalten hat. Buber hielt auf seiner Reise nach Polen gemeinsam mit seiner Frau im März/April 1939 im Auftrag der Hebräischen Universität u. a. Vorträge in Warschau, Lodz, Krakau und Lemberg. Von Lemberg aus machte er einen Abstecher nach Czernowitz, das zu dieser Zeit zu Rumänien gehörte. Den Vortrag hielt er auch mehrfach in Polen (auf Polnisch). 28 Ein Typoskript des Textes ist vorhanden (Arc.Var. Ms. 350/lamed 137), eine englische Übersetzung, On National Education, ist ebenfalls als Typoskript vorhanden. Ein Teil (ab »Von dieser schwersten Stunde« bis zum Schluß) liegt im Archiv als Manuskript, gemeinsam mit einem Teil aus National and Pioneer Education über die Menschen, die im Lande erzogen werden sollen (Arc. Ms. Var.350/khaf 5,2-2). Buber hat sich mehrfach explizit zum Messianismus von Adam Mickiewicz (1798-1855) geäußert. 29 28. K. Krzykalski, Martin Bubers Reise nach Polen am Vorabend des II. Weltkrieges (März-April 1939) im Spiegel der polnischsprachigen jüdischen Presse, in: Judaica 51, 1995, S. 67-82. 29. Vgl. St. Schreiber, Martin Buber über Adam Mickiewicz und die Sendung Israel, in:
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Ein waches Herz. Zum Gedenktag Schloschim von Jakov Sandbank.
Druckvorlage: deutsche Übersetzung eines Nachrufes in: Hapoel Ha-Zair vom 7. Juli 1939 Zum 30. Tag nach dem Tod Jakob Sandbanks (1898-1939) verfaßte Buber diesen Nachruf. Jakob Sandbank war Bildungsbeauftragter des Histadruth. Geboren 1898 in Deutschland, war er in den zwanziger Jahren Redakteur von Hapoel Ha-Zair in Deutschland und wanderte 1926 nach Palästina aus. National and Pioneer Education
Druckvorlage: Jewish Frontier, 1941, S. 39-43. MBB 639. Erheblich erweiterte Fassung der Rede Nationale Erziehung. Teil 4 liegt mit überwiegend unwesentlichen Abweichungen als deutschsprachiges Manuskript im Archiv vor (Arc.Var. Ms. 350/beth 5, 2-1). Die Bildung des Volkes im Lande und die hebräische Erziehung in der Diaspora
Druckvorlage: Hebräische Universität Jerusalem 1944, S. 48-50. MBB 701, Übersetzung aus dem Hebräischen von Karin Neuburger. Wieder abgedruckt in Baajot im Siwan 1944, S. 119-121. Vortrag gehalten auf dem Symposion »Verbreitung der Kultur unter dem Volk«, das durch die Hebräische Universität in Zusammenarbeit mit dem Erziehungsdepartment der israelischen Knesset und der Organisation der jüdischen Lehrer in Palästina am 8. und 9. September 1943 veranstaltet wurde. Advice to Frequenters of Libraries
Druckvorlage: Books for Your Vacation. Branch Library Book News, The New York Public Library 21, 15. Mai 1944. BB 527, MBB 688. Der Text von Buber wurde von der New York Public Library für deren regelmäßig erscheinendes Bulletin erbeten.
Von Enoch bis Kafka. Festschrift für Karl E. Grözinger zum 60. Geburtstag, S. 118130.
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Über Charaktererziehung
Druckvorlage: Dialogisches Leben. Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich: Verlag Müller 1947, S. 293-314. BB 585, MBB 761. Wieder abgedruckt in: RüE, S. 65-90 BB 723 und in WI, S. 817-832. Der ursprüngliche Text der Rede war auf Hebräisch. MBB 620 a; übersetzt ins Englische 1947: MBB 760; ins Japanische 1970: MBB 1347. Buber hielt die Rede auf einer Tagung der jüdischen Lehrer Palästinas in Tel Aviv 1939. Der Begriff »Charakter«, den Georg Kerschensteiner in die reformpädagogische Begrifflichkeit eingeführt hatte, blieb in der pädagogischen Diskussion um Anthropologie und Ethik in den dreißiger Jahren virulent. Herman Nohl (1879-1960) veröffentlichte unter dem Titel Charakter und Schicksal 1938 eine pädagogische Anthropologie. Erwachsenenbildung
Druckvorlage: Festschrift der Nueva Comunidad Israelita 5700-5710, hrsg. von Hanns Harf, Buenos Aires 1949, S. 77-80. BB 623 a, MBB 812. Programmatischer Text, der sich mit der Errichtung des Beth Midrasch Lemorei Am (Hochschule für die Lehrer des Volkes) befaßt. Erwachsenenbildung
Druckvorlage: deutsches Manuskript Arc. Ms. Var. 350/khaf 5 zain oder het (nicht lesbar). Das Manuskript enthält vier Teile, deren Bezifferung jedoch gestrichen ist. Der Text ist 1950 auf Hebräisch publiziert worden. Von dem vierteiligen Text ist der vierte Teil, »A New Venture in Adult Education«, gesondert auf Englisch erschienen in: The Hebrew University Jerusalem, 19251950, Jerusalem: The Hebrew University 1950, S. 11-119. MBB 838. Wieder abgedruckt in: Adult Education, hrsg. vom Martin Buber Center for Adult Education, The Hebrew University, Jerusalem 1972. MBB 1358 Die Seiten 10-11 (S. 355-357) in der jetzigen Textfassung sind auf Hebräisch unter dem Titel LeHachsharot Morei Am (Zur Ausbildung von Lehrern des Volkes), in: Urim 7, 3/4, Ijjar 1950, S. 169-173 erschienen. MBB 853. Über den Kontakt in der Festschrift für Paul Geheeb (18701970) enthält zwei deutsche Textstücke aus dem vierten Teil dieses Textes. MBB 842. Dieser Text kann neben dem sehr viel systematischer gefaßten Artikel
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für den ersten Band der Erziehungsenzyklopädie Erwachsenenbildung als das abschließende Wort Bubers zu seinen jahrzehntelangen Bemühungen um die Erwachsenenbildung angesehen werden. Über den Kontakt
Druckvorlage: Die Idee einer Schule im Spiegel der Zeit – Festschrift für Paul Geheeb zum 80. Geburtstag und zum vierzigjährigen Bestehen der Odenwaldschule, hrsg. von Eva Cassirer u. a., Heidelberg 1950, S. 90-91. BB 651, MBB 842. Es handelt sich um zwei Abschnitte aus dem deutschsprachigen Manuskript von Erwachsenenbildung, S. 345-358. In der Druckvorlage lautet der Untertitel: »Aus den Jerusalemer Radioreden«. Die »Jerusalemer Radioreden« ließen sich nicht mehr nachweisen. Adult Education in Israel
Druckvorlage: The Torch 11, Spring 1952, S. 7-10, S. 59. BB 700, MBB 896. Wieder abgedruckt in: The Torah Magazine der National Federation of Jewish Men’s Club of the United Synagogue of America, June 1952. Bericht über das Beth Midrasch Lemorei Am (Hochschule für die Lehrer des Volkes) und die Einrichtung seiner Kurse. Über die Zukunft der Hebräischen Universität
Druckvorlage: Übersetzung aus dem Hebräischen, Ha’aretz 15. 4. 1953, MBB 946 und Englisch in: The Reconstructionist 19, Heft 10 vom 26. 6. 1953, S. 29-32. MBB 924. Die Übersetzung besorgte Karin Neuburger. Der Text erschien gleichzeitig auf Hebräisch und in der englischen Übersetzung von David Sidorsky unter dem Titel »The Cultural Role of the Hebrew University«. Es handelt sich um die Rede, die Buber anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität hielt. Erziehen. Zum 90. Geburtstag von Paul Geheeb
Druckvorlage: Erziehung zur Humanität. Paul Geheeb zum 90. Geburtstag, hrsg. von Mitarbeitern der Odenwaldschule, Red. Eva Cassirer, Heidelberg 1960, S. 10. MBB 1142. Wieder abgedruckt in: Nachlese, S. 88. Im Nachlaß befindet sich eine Aufzeichnung vom Winter 1921/2 »Erziehung ist Erschließung« in zweifacher Ausfertigung, Arc. Ms. Var. 350/
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khaf 118, die Buber dem Geburtstagsgruß zugrunde gelegt hat. Der letzte Satz des Textes »Vor nahezu 45 Jahren habe ich am Wirken Paul Geheebs eben dies wahrgenommen« fehlt dort sowie in der Fassung in Nachlese. Erwachsenenerziehung
Druckvorlage: Deutsche Übersetzung des auf Hebräisch erschienenen Artikels in: Educational Encyclopedia. Thesaurus of Jewish and General Education, Vol. One: Principle of Education, ed. by Martin Buber et al., Jerusalem 1961, S. 502-511. MBB 1186. Die Übersetzung besorgte Ran HaCohen. Die Textgeschichte für diesen Artikel Bubers ist unklar und kann nicht rekonstruiert werden: Die Bibliographie von R. Buber und M. Cohn verweist unter MBB 1012 noch auf einen kürzeren Text Bubers zur selben Thematik. Dieser kann vielleicht als eine Art Vorfassung zu einem Spezialaspekt (»extensive Erziehung«) betrachtet werden. Er erschien bereits 1955 auf Hebräisch in der Enzyklopädie der Erziehung. Thesaurus der Erkenntnisse über Erziehung für das Volk Israel und die Völker (übersetzter Titel der hebräischen Enzyklopädie). Sein Titel lautet übersetzt: Grundlagen der Erwachsenenbildung. Die Buber-Cohn-Bibliographie nennt unter MBB 1132 außerdem noch einmal den Titel Die Enzyklopädie der Erziehung. Thesaurus der Erkenntnisse über Erziehung für das Volk Israel und die Völker, Bd. 1, 1959 – doch dies wohl nur, weil Buber nun Chefredakteur der Enzyklopädie war. Die terminologische Unterscheidung von Erwachsenenbildung und Erwachsenenerziehung wird im Hebräischen durch die Worte »Chinnukh« und »Haskala« ausgedrückt. Während »Chinnukh« vom Stamm Ynh (Chet Nun Kaf) die Bedeutung von »initiieren, einweihen, üben, belehren« hat, geht »Haskala« auf den Stamm lkV (Sin Khaf Lamed) mit der Bedeutung von »Einsicht haben« zurück. Buber arbeitet im ersten Teil die enge und von ihm häufig benannte Verbindung der Erwachsenenbildung mit den sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts heraus: Arbeiterbewegung und nationale Bewegungen. Nicolai Frederik Severin Grundtvigs (1783-1872) Volkshochschule als volksnationale Einrichtung wird als Vorbild für eine Erwachsenenbildung eines Volkes im nationalen Erneuerungsprozeß (als Folge einer »historische Krise«) dargestellt. Die Verbindung des Lernens mit den Zielen der nationalen Erneuerung gilt allerdings nur unter besonderen Bedingungen in modernen Gesellschaften, in denen der Lernprozeß hochgradig individualisiert ist. Der Ausnahmefall, den Buber bei diesen Ausführungen of-
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fenbar im Auge hat, ist das Beth Midrasch Lemorei Am (Hochschule für die Lehrer des Volkes). Weshalb die Feststellung, daß eine spezielle Erwachsenenbildung für die Arbeiter die Einheit der Nation sprengen könne, da dadurch zwei nebeneinander bestehende Nationalkulturen entstehen könnten (im Abschnitt »Extensive Erziehung«), durch die Erwähnung von Benjamin D’Israeli (1804-1881) (der zwar einen Roman mit dem Titel Sybil or The Two Nations schrieb) und Heinrich Heines (1797-1856) Trauerspiel Ratcliff ergänzt wird, bleibt unverständlich. Versuche, Volks- oder Arbeiterbildung mit dem Ziel der Vermittlung bürgerlicher Bildungsinhalte zu verbinden, sieht Buber jedoch auch als unproduktiv an. Daß Buber sich hier auf das Bacon-Zitat beruft, um in Abgrenzung zur Position von Wilhelm Liebknecht, der 1872 auf dem Stiftungsfest des Dresdner Bildungsvereins eine Rede mit dem Titel Wissen ist Macht – Macht ist Wissen hielt, eine Kritik an liberalen Volksbildungskonzepten zu formulieren, kann nur vermutet werden. Existentielle Situation und dialogische Existenz
Druckvorlage: Blätter des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung. Organ der deutschsprachigen Sektion 2, Heft 1, Januar 1966, S. 5-6. MBB 1289. Die Bibliographie von R. Buber und M. Cohn vermerkt: »Written by Buber in January 1965 for this publication.« Die Kritik an der sokratischen Methode wie auch der konfuzianischen Forderung nach Klärung von Begriffen und Bezeichnungen wird auch in der Langfassung von Erwachsenenbildung behandelt. Es handelt sich um die deutsche Fassung von zwei Abschnitten aus Philosophical Interrogations, ed., with an introd. by Sydney and Beatrice Rome, 1. ed., New York: Holt, Rinehart and Winston 1964, 2. ed., New York and Evanston: Harpers Torchbook 1970, S. 61-68. MBB 760. Die Fragesteller in diesem Gespräch waren Robert Assagioli, Heinz-Joachim Heydorn und Robert Hutchins. Wieder abgedruckt in: Jewish Heritage 1, 1957, 1, S. 16-18.55. MBB 1057 und unter gleichem Titel hrsg. von M. Friedmann, New York, Horizon Press, 1958. MBB 1085. Das Manuskript der deutschen Fassung befindet sich im Martin Buber-Archiv unter Arc. Ms. Var. 350/ 85 bet. Die in dieser Druckvorlage wiedergegebene Auswahl ist dort ausgezeichnet. Buber war Ehrenpräsident des Weltbundes. Dem Beitrag vorangestellt ist ein mit »W.K.« (Werner Kosse) gezeichneter Nachruf. Der Autor nährt die bis heute in Deutschland verbreitete irrige Meinung: »seine
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größte Lesergemeinde hatte und behielt Buber in Deutschland; und er blieb in Israel, wo das politische Engagement mehr im Vordergrund steht als geistige Neubesinnung und -gestaltung, weniger bekannt als außerhalb dieser selbst gewählten Heimat. Gegenüber dem deutschen Volk bewahrte er stets eine versöhnende Haltung […]« (S. 4). Weitere Beiträge des Heftes sind der Interpretation von Bubers Werk gewidmet.
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Abkürzungsverzeichnis BI-III
BB
JR
JuJ
KuI MBA MBB
MBW RüE RüdJ StudE WI-III
WadJ
Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bde., hrsg. und eingel. von Grete Schraeder in Beratung mit Ernst Simon und unter Mitwirkung von Rafael Buber, Margot Cohn und Gabriel Stern, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1972-75. Bd. I: 1897-1918 (1972), Bd. II: 1918-1938 (1973), Bd. III: 1938-1965 (1975). A Bibliography of Martin Bubers’s Works, 1895-1957, zusammengestellt von Moshe Catanne, Jerusalem: Bialik Institut 1961. Jüdische Rundschau. Allgemeine Jüdische Zeitung. Organ der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, hrsg. von Heinrich Loewe, Berlin: Verlag Jüdische Rundschau, 1902-1938. Martin Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, mit einer Einl. von Robert Welsch, Köln: J. Melzer Verlag 1963. Martin Buber, Kampf um Israel. Reden und Schriften 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933. Martin Buber-Archiv, Jüdische National- und Universitätsbibliothek Jerusalem. Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität und München/New York et al.: K. G. Saur 1980. Martin Buber Werkausgabe. Martin Buber, Reden über Erziehung, 1. Auflage, Heidelberg: Lambert Schneider Verlag 1953. Martin Buber, Reden über das Judentum, Gesamtausgabe, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1923. Martin Buber, Die Stunde und die Erkenntnis, Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936. Martin Buber, Werke, 3 Bde., München: Kösel Verlag und Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1962-1964. Erster Band: Schriften zur Philosophie. (1962), Zweiter Band: Schriften zur Bibel. (1964), Dritter Band: Schriften zum Chassidismus. (1963) Martin Buber, Worte an die Jugend, Berlin: Schocken Verlag 1938.
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Hebräische Bibel Gen Ex Lev Num Dtn Jos Jdc I Sam II Sam I Reg II Reg Jes Jer Ez Hos Joel Am Ob Jon Mi Nah Hab Zeph Hag Sach Mal Ps Hi Prov Rut Cant Qoh Thr Est Dan Esr Neh I Chr II Chr
Genesis Exodus Leviticus Numeri Deuteronomium Josua Judicum (Richter) 1. Samuel 2. Samuel 1. Regum 2. Regum Jesaja Jeremia Ezechiel Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zephanja Haggaj Sacharja Maleachi Psalm(en) Hiob Proverbia (Sprüche) Ruth Canticum Canticorum (Hohelied) Qohelet (Prediger) Threni (Klagelieder) Esther Daniel Esra Nehemia 1. Chronik 2. Chronik
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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographien 2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3 Verwendete Werke Martin Bubers 2.4 Verwendete Literatur zu Buber und zum deutschen Judentum 2.5 Weitere Literatur
1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber-Archiv der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek Jerusalem sind folgende unveröffentlichte Manuskripte verwendet worden: Arc. M. Var. 350/124b
Arc. M. Var. 350/207 Arc. Ms. Var. 350/148/190 Arc. Ms. Var. 350/231,4
Arc. Ms. Var. 350/235/112 Arc. Ms. Var. 350/235/114 Arc. Ms. Var. 350/235/116 Arc. Ms. Var. 350/409 Arc. Ms. Var. 350/637 Arc. Ms. Var. 350/730/2
Briefwechsel mit Fritz Bohnsack, insgesamt 4 Briefe von F. Bohnsack an M. Buber, 1 Brief von M. Buber an F. Bohnsack Briefwechsel mit Wilhelm Flitner, insgesamt 10 Briefe (1923-1957) Brief von Eva Cassirer an M. Buber (10. 2. 1955) Brief von M. Buber an Paul Geheeb (26. 2. 1926), Kopie aus dem Archiv der Ecole d’Humanité, Goldern, Schweiz Brief von Hermann Gerson an M. Buber (03. 11. 1928) Brief von Hermann Gerson an M. Buber (13. 1. 1928) Brief von Hermann Gerson an M. Buber (26. 1. 1929) Korrespondenz mit Siegfried Lehmann, 10 Briefe (1915-1918); 16 Briefe (1937-1958) insg. 206 Briefe und Postkarten von Elisabeth Rotten an M. Buber (1921-1963) Bericht von Ernst Simon für Fritz Saalberg über die Hechaluz Arbeit
Arc. Ms. Var. 350 / Allgemeine Korrespondenz 10/1951 2 Briefe von Theodor Litt an M. Buber Arc. Ms. Var. 350/bet 5, 2-1 Teil IV der deutschsprachigen Fassung von National and Pioneer Education, Manuskript Arc. Ms. Var. 350/bet 5a Die Aufgabe, Typoskript Arc. Ms. Var. 350/bet 85 Philosophical Interrogations, Bubers Antworten, Manuskript
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Arc. Ms. Var. 350/gimel 69 Warum gelernt werden soll, Manuskript Arc. Ms. Var. 350/khaf 118 Erziehung ist Erschließung, Manuskript Arc. Ms. Var. 350/khaf 5 het oder zain? Deutschsprachige Fassung von Adult Education, Manuskript Arc. Ms. Var. 350/khaf 5,2-1 Handschriftliche Aufzeichnungen, Teile des Referats Volkserziehung als unsere Aufgabe und Antrag an das Komitee zur Gründung der Hebräischen Universität, M. Buber mit einer Studienreise nach Palästina zu beauftragen Arc. Ms. Var. 350/khaf 5,2-2 Teile von Nationale Erziehung, Teil IV von National and Pioneer Education, deutschsprachiges Manuskript Arc. Ms. Var. 350/khaf 5a Rede über das Erzieherische, Manuskript und Stenogramm der Rede Arc. Ms. Var. 350/khaf 5c Die Vorurteile der Jugend, Manuskript und Stenogramm Arc. Ms. Var. 350/lamed 137 Nationale Erziehung (deutsch), On National Education (englische Übersetzung), Typoskripte Arc. Ms. Var. 350/lamed 44 Vortrag über die Volkshochschule, Heppenheimer Tagung für die Erneuerung der Erziehung 1919. Arc. Ms. Var. 350/lamed 72 Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten. Ein Vortrag. (3. 4. 1928), Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule. Vortrag. (21. 5. 1933), Typoskripte Arc. Ms. Var. 350/waw 4 Das pädagogische Problem des Zionismus. Ein Vortrag. (ohne Datierung), Typoskript
2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographien Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität und München/New York et al.: K. G. Saur 1980. A Bibliography of Martin Buber’s Works, 1895-1957, zusammengestellt von Moshe Catanne, Jerusalem: Bialik Institut 1961.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers Adult Education in Israel, in: The Torch 11, 1952, S. 7-10, S. 59. Advice to Frequenters of Libraries, in: Books for Your Vacation. Branch Library Book News. The New York Public Library 21, Heft 15, 1944. Aufgaben jüdischer Volkserziehung, in: StudE, S. 182-185. Die Aufgabe, in: Das Werdende Zeitalter 1, Heft 1, April 1922. Die Bildung des Volkes im Lande und die hebräische Erziehung in der Diaspora, in: Hebräische Universität Jerusalem, 1944. Übersetzung aus dem Hebräischen von Karin Neuburger, S. 48-50. Bildung und Weltanschauung, in: Der Morgen 10, Nr. 11, Februar 1935, S. 481-488. Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten. Ein Vortrag (1929), Arc. Ms. Var. 350/lamed 72, Martin Buber-Archiv. Unser Bildungsziel, in: Jüdische Rundschau 38, vom 7. 7. 1933, S. 309. Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule (1933), Arc. Ms. Var. 350/ lamed 72, Martin Buber-Archiv. Über Charaktererziehung, in: Dialogisches Leben. Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich: Verlag Müller 1947, S. 293-314. Cheruth – Eine Rede über Jugend und Religion, Wien: Verlag R. Löwith 1919. 13 Jahre Hebräische Universität, in: Dawar, 10. 4. 1938. Über den deutschen Aufsatz, in: Meister des Stils über Sprach- und Stillehre. Beiträge zeitgenössischer Dichter und Schriftsteller zur Erneuerung des Aufsatzunterrichts, hrsg. von Wilhelm Schneider, Leipzig 1922. Einige Leitsätze für Arbeitsgemeinschaften, in: Blätter des Jüdischen Frauenbundes für Frauenarbeit und Frauenbewegung, Februar 1930, S. 5. Entwürfe und Programme, in: StudE, S. 128-141. Erwachsenenbildung (1949), Festschrift der Nueva Comunidad Israelita 5700-5710, hrsg. von Hanns Harf, Buenos Aires 1949, S. 77-80. Erwachsenenbildung (1950), Arc. Ms. Var. 350/khaf 5 zain oder het (nicht lesbar). Erwachsenenerziehung, in: Educational Encyclopedia. Thesaurus of Jewish and General Education, Vol. One: Principle of Education, ed. by Martin Buber, et al., Jerusalem 1961, S. 502-511. Übersetzung von Ran HaCohen. Erziehen. Zum 90. Geburtstag von Paul Geheeb, in: Erziehung zur Humanität. Paul Geheeb zum 90. Geburtstag, hrsg. von Mitarbeitern der Odenwaldschule, Red. Eva Cassirer u. a., Heidelberg 1960, S. 10. Existentielle Situation und dialogische Existenz, in: Blätter des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung. Organ der deutschsprachigen Sektion 2, Heft 1, Januar 1966, S. 5-6. Die Frage nach Jerusalem, in: Das Werdende Zeitalter 8, Februar 1929, S. 65-66. Wie kann Gemeinschaft werden, in: Der Jugendbund 16, 1930, S. 3-7. Das Haltende – Ein Wort an die jüdische Jugend Deutschlands, in: Jugend-Rundschau. Beilage zur Jüdischen Rundschau 40 vom 12. 2. 1935.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Jüdisch leben, in: Jerubaal 1, Heft 1/2, 1918, S. 45-49. Jüdische Erwachsenenbildung, in: Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung, Rundbrief 1, Juni 1934, S. 1. Ein jüdisches Lehrhaus, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt 12, November 1933, S. 95. Die Jugend und der Zeitgeist. Ein Vortrag, Arc. Ms. Var. 350/lamed 69, Martin BuberArchiv. Die Kinder, in: Jüdische Rundschau 38, vom 30. 5. 1933, S. 227. Über den Kontakt, in: Die Idee einer Schule im Spiegel der Zeit – Festschrift für Paul Geheeb zum 80. Geburtstag und zum vierzigjährigen Bestehen der Odenwaldschule, hrsg. von Eva Cassirer u. a., Heidelberg 1950, S. 90-91. Die Lehre und die Tat, in: Jüdische Rundschau 34, vom 18. 5. 1934, S. 5 f. National and Pioneer Education, in: Jewish Frotier, 1941, S. 39-43. Nationale Erziehung, Sonderdruck, Cerna˘ut¸i (Czernowitz): Verlag Morgenblatt 1939, S. 347. Das pädagogische Problem des Zionismus. Ein Vortrag (1934), Typoskript, Arc. Ms. Var. 350/waw 4 ohne Datierung, Martin Buber-Archiv. Philosophische und religiöse Weltanschauung, in: Kulturelle Beiträge. Literarische Rundschau der »Rhein-Mainischen Volkszeitung«, Nr. 15, Juni 1928. Rede über das Erzieherische, in: Die Kreatur 1, Heft 1, 1926, S. 31-51. Referat über jüdische Erziehung, in: Jüdische Rundschau 22, vom 5. 1. 1917, S. 4-6. Religiöse Erziehung, in: Das Werdende Zeitalter 10, Heft 1, Januar 1931. Universität und Volkshochschule (1924), in: KI, S. 303-308. Verantwortung: Worte an die Jugend, in: Berliner Tageblatt, 5. Beiblatt vom 1. 1. 1929. Verständigungsgemeinschaft, in: Mitteilungen des Verbandes der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands, Heft 2/3, Berlin April/Mai 1918, S. 79-82. Volkserziehung als unsere Aufgabe, in: Jüdische Rundschau 31, Heft 70/71 vom 8. 9. 1926, S. 505-506. Die Vorurteile der Jugend, in: Zionistisches Distriktionskommité, Prag, 13. 1. 1937. Ein waches Herz. Zum Gedenktag Schloschim von Jakov Sandbank, in: Hapoel HaZair, 7. Juli 1939. Wann denn?, in: Jüdische Rundschau 37, vom 6. 9. 1932, S. 343. Warum gelernt werden soll?, Arbeitsplan Januar bis März 1932. Berlin, Schule der jüdischen Jugend 1931. Zion und die Jugend, in: Der Jude 3, 1918, S. 99-106. Über die Zukunft der Hebräischen Universität, The Cultural role of the Hebrew University, in: The Reconstructionist 19, 1953, S. 29-32. Übersetzung aus dem Hebräischen von Karin Neuburger.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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2.3 Verwendete Werke Martin Bubers Antwort, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul A. Schilpp und Maurice Friedmann, Stuttgart: Kohlhammer Verlag 1963, S. 589639. Autobiographische Fragmente, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul A. Schilpp und Maurice Friedmann, Stuttgart: Kohlhammer Verlag 1963, S. 1-34. Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, hrsg. von Grete Schaeder, 3 Bde., Heidelberg: Lambert Schneider Verlag 1972-1975. Der Chaluz und seine Welt, in: Almanach des Schocken Verlages auf das Jahr 5697, Berlin 1936. Das Ende der deutsch-jüdischen Symbiose, Jüdische Welt-Rundschau, I/1, 10. März 1939, S. 5, wieder abgedruckt in: JuJ, S. 644-647. Die Erzählungen der Chassidim, Zürich: Manesse Verlag 1949. Falsche Propheten, in: Martin Buber, Hinweise, Gesammelte Essays, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 167-173 Dem Gemeinschaftlichen folgen, in: Die Neue Rundschau 67, 1956, S. 582-600. Gustav Landauer – Sein Lebensgang in Briefen, hrsg. von Martin Buber und Ina Britschtgi-Schimmer, 2 Bde., Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1929. Die Jüdische Bewegung – Gesammelte Aufsätze, Teil 2, 1916-1920, Berlin: Jüdischer Verlag 1920. Buber, Martin/Feiwel, Berthold/Weizmann, Chaim, Eine jüdische Hochschule – Das Projekt einer jüdischen Hochschule, Berlin: Jüdischer Verlag 1902. Kibbutzleben zwischen Nähe und Beziehung. Eine Begegnung junger Kibbutzerzieher mit Martin Buber, in: Martin Buber, Pfade in Utopia. Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung, 3. erheblich erweiterte Neuauflage, Heidelberg: Lambert Schneider 1985, S. 300-315. Ein Land und zwei Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage, hrsg. von Paul MendesFlohr, Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag 1983. Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider Verlag1965. On Intersubjectivity and Cultural Creativity, ed. by S. N. Eisenstadt, Chicago and London: The University of Chicago Press 1992. Pfade in Utopia. Über Gemeinschaf und deren Verwirklichung, 3. erheblich erweiterte Neuausgabe, Heidelberg: Lambert Schneider Verlag 1985. Die Wanderschaft der Kinderlosen. Drei Legenden, Schriften des Ausschusses für jüdische Kulturarbeit, Jüdische Jugendbücher 1, Berlin: Jüdischer Verlag 1920. Mein Weg zum Chassidismus, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1918.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Glossar* 1 Alijah: hebr. wörtl. Aufstieg, hier: Einwanderung nach Palästina und später Israel. Am-ha-arez: hebr. wörtl. das Landvolk, übertragen: ungelehrte Personen. Aschmodai: Name eines Dämons im apokryphen Buch Tobit. Bar Mitzwa: hebr. Sohn des Gebots; Bezeichnung für den jüd. Jungen bei Vollendung des 13. Lebensjahres, an dem er rel. mündig wird; zugleich Name der zu diesem Anlaß stattfindenden synagogalen Feier. Berliner Schule der jüdischen Jugend: 1928/29 durch den zionistischen Rabbiner Joachim Prinz (1902-1988) als zionistische Volksbildungseinrichtung gegründet. Beth Midrasch: wörtl. Lernhaus; eine Einrichtung für das Studium und die Auslegung von Tora und Talmud. Beth Midrasch Lemorei Am: wörtliche Übersetzung: Hochschule für die Lehrer des Volkes; von Buber eingerichtete und geleitete Abteilung der Hebräischen Universität zur Ausbildung von Pädagogen für die Erwachsenenbildung (1949-1953). Blau-Weiß: 1912/13 nach dem Vorbild der Wandervogel-Bewegung gegr. zionistische Jugendorganisation; ab Anfang der 1920er Jahre landwirtschaftl. Projekte in Palästina, die jedoch scheiterten; bestand bis 1927. Bündische Jugend: Bezeichnung für Gruppen der deutschen Jugendbewegung nach dem Ersten Weltkrieg. Bund Entschiedener Schulreformer: Sozialistisch orientierte Vereinigung von Lehrern und Erziehern, gegründet 1919. Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV): gegr. 1883, säkular orientierter Verband zur Vertretung der staatsbürgerlichen Rechte der deutschen Juden. Chaluz, Chaluzim: hebr. Pionier; zionistischer Begriff für die ersten Einwanderer, die in Palästina ein jüdisches Gemeinwesen gründen wollten. Chaluziut: hebr. Pioniertum. Chassid, Chassidim: hebr. Frommer; Anhänger des Chassidismus, siehe Chassidismus. Chassidismus: durch Rabbi Israel ben Eliezer, gen. Ba’al Schem Tov (ca. 1700-1760) gegr. jüngste volkstümliche mystische Bewegung des Judentums; von Osteuropa ausgehend, verbreitete sie sich in der Diaspora ebenso wie später im Staat Israel; sie zerfällt in unterschiedliche Gruppen, die einem bestimmten Rebbe und seiner Tradition folgen, siehe Chassid. Cheder: hebr. Zimmer; Bezeichnung für rel. Elementarschule bes. für Knaben. Cherubim: eines der biblischen Engelsgeschlechter. Chochma: hebr. Weisheit.
*
Sofern der Begriff in den Schriften Bubers vorkommt, wird dessen Schreibweise übernommen. Alle anderen im Glossar angeführten hebräischen Begriffe folgen der für die MBW festgelegten Umschrift.
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Glossar
Demokratische Fraktion: gegr. 1901, erste innerzionistische Opposition, die nicht nur eine politische Lösung, sondern auch eine geistige Erneuerung des Judentums forderte; auch als kulturzionistisch bezeichnet; Mitglieder waren u. a. Martin Buber, Berthold Feiwel, Ephraim Moses Lilien, Leo Motzkin und Chaim Weizmann, siehe Zionismus. Deutsche Demokratische Partei: 1818 gegr. linksliberale Partei der Weimarer Republik; 1930 gründete die Mehrheit gemeinsam mit dem Jungdeutschen Orden die Deutsche Staatspartei, die sich 1933 auflöste. deutschnational: Sammelbegriff für rechte nationalkonservative Gruppierungen und Parteien; im 19. Jahrhundert zunächst Bezeichnung für die Anhänger der deutschnationalen Bewegung, auch Alldeutsche genannt. Diaspora: griech. Zerstreuung; seit der Antike Bezeichnung für das Judentum außerhalb Palästinas und Israels. Dorsche reschumoth: hebr. Torakommentatoren. Dürerbund: 1902 durch den Herausgeber der Zeitschrift Der Kunstwart, Ferdinand Avenarius (1856-1923), gegründeter Kulturbund. Edda: germanische Sagensammlung, entstanden zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert, verschriftlicht im 13. Jahrhundert. Frankfurter Zionistische Vereinigung: Ortsgruppe der Zionistischen Vereinigung. Freies Deutsches Hochstift: 1859 in Frankfurt a. M. gegründetes Institut zur Pflege von Wissenschaft und Kunst; ab 1863 stellte die Goetheforschung einen Schwerpunkt dar; 1897 Einrichtung eines Goethe-Museums. Freies Jüdisches Lehrhaus: 1920 von Franz Rosenzweig in Frankfurt a. M. gegründete Bildungseinrichtung, 1926/27 wurde der reguläre Lehrbetrieb aufgegeben. Im November 1933 unter dem Namen Jüdisches Lehrhaus wieder eröffnet; bestand bis 1938. Galut, Golus: hebr. bzw. jidd. Exil; existentiell-tragischer Ausdruck für die mit ganzem Schmerz empfundene Zerstreuung der Juden unter den Völkern, siehe Diaspora. Gemara: hebr. Vollendung; Bezeichnung der rabbin. Erörterung der Mischna, mit der zusammen sie den Talmud bildet, siehe Mischna, Talmud. Hachschara: hebr. Vorbereitung, Berufsausbildung; meist in Landheimen durchgeführte Vorbereitung von Jugendlichen auf ihre Auswanderung nach Palästina und landwirtschaftliche Arbeit im Kibbutz. Haggada: (aram. Aggada) hebr. wörtl. Erzählung; Teil der rabb. Literatur, der, im Gegensatz zur Halacha, das nicht-gesetzliche Material tradiert; in Form von Legenden, Sagen, Gleichnissen und Predigten in fast allen Schriften der rabb. Literatur, bes. im Talmud und den Midraschim enthalten. Halacha, halachisch: hebr. Gang; Bezeichnung des jüd. Religionsgesetzes, wie es die Rabbinen aus der Überlieferung entwickelt haben; die H. regelt das jüd. Leben in allen Einzelheiten. Hapoel Hatzair: hebr. der junge Arbeiter; in Palästina 1905 unter der Führung von
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Glossar
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A. D. Gordon gegr. Partei eines nichtmarxistischen Sozialismus, aus der die ersten Kollektivsiedlungen hervorgingen, siehe Kibbutz. Haschomer Hatzair: hebr. der junge Wächter; zionistischer sozialistisch orientierter osteuropäischer Pfadfinderbund, dessen deutsche Gruppierung 1931 gegründet wurde. Hechaluz: 1917 gegründete zionistische Organisation, die die Einwanderung nach Palästina in den Auswanderungsländern organisierte, deutscher Zweig 1922 gegründet; organisierte zwischen 1933 und 1938 (Auflösung) maßgeblich die Jugendauswanderung. Histadruth: zionistischer Gewerkschaftsverband, gegr. 1920; heute in Israel allg. Gewerkschaftsbund. Hohenrodter Bund: Vereinigung von in der Erwachsenenbildung tätigen Pädagogen aus verschiedenen weltanschaulichen und politischen Gruppierungen; gegr. 1923. imitatio dei: lat. Nachahmung Gottes; Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott. Israel Academy of Sciences and Humanities: 1961 von der Knesset per Gesetz als nationale israelische Akademie der Wissenschaften bestätigt, deren Gründung Martin Buber im Dezember 1959 proklamierte und deren erster Präsident er 1960 wurde; geteilt in eine naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftliche, einschließlich sozialwissenschaftliche Abteilung. Jewish Agency: 1929 vom Zionistischen Weltkongreß und Repräsentanten des nichtzionistischen Judentums zur Unterstützung der Besiedelung Palästinas gegründete Organisation. Jischuw: hebr. Bevölkerung; Gesamtheit der jüd. Bewohner Palästinas vor der Staatsgründung Israels. Jüdischer Frauenbund von Deutschland: 1904 auf Initiative von Bertha Pappenheim (1859-1936) gegründeter Verband für die Rechte jüdischer Frauen. Jüdisches Volksheim: Einrichtung im Berliner Scheunenviertel; in Anlehnung an die angloamerikanischen settlement houses 1916 von Siegfried Lehmann und einer Gruppe gleichgesinnter junger bürgerlicher Juden und Jüdinnen gegründet, die eine Verbindung von Volksbildung und Sozialpädagogik suchten. Jung-Jüdischer Wanderbund (JJWB): 1923 gegründeter Jugendbund. Kabbala: hebr. Tradition; Bezeichnung der jüd. Mystik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die sich durch theurgische Praktiken sowie Spekulationen über das innere Wesen Gottes und die Schöpfung der Welt auszeichnet; Buchstabendeutungen, -permutationen und Zahlenkombinationen stellen ihre wichtigsten hermeneutischen Techniken dar, die aus jedem Zeichen den verborgenen Sinn freilegen sollen; ihre Anhänger werden Kabbalisten genannt. Kameraden, deutsch-jüdischer Wanderbund: nach dem ersten Weltkrieg als Sammelbecken für nichtzionistisch orientierte jüdische Jugendliche gegründet; 1932 Selbstauflösung. Keren Hajessod: hebr. Grundfonds; zion. National- und Aufbaufonds, gegr. 1920
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Glossar
zur Finanzierung der jüd. Besiedelung Palästinas durch Selbstbesteuerung des jüd. Volks, siehe Zionismus. Kibbutz, Kibbutzim: landwirtschaftliche Kollektivsiedlungen, die, einem sozialistischen Ideal folgend, einen großen Beitrag zum Aufbau Palästinas bzw. Israels leisteten. Kibbutz Givat Brenner: 1929 von deutschen und italienischen Chaluzim gegründeter Kibbutz. Kibbutz Hasorea: 1934 von Mitgliedern der Werkleute gegründeter Kibbutz. Kinderdorf Ben Shemen: 1927 von Siegfried Lehmann in Palästina gegründetes Kinderdorf. Knesset: hebr. Versammlung; isr. Parlament. Kulturzionismus: s. Demokratische Fraktion. Kwutza, Kwutzot: hebr. Gruppe, Kollektiv; in der zionistischen Bewegung meist Zusammenschluß von Gleichgesinnten zwecks gemeinschaftlicher Ansiedlung in Palästina/Israel, z. B. in einem Kibbutz. Landerziehungsheim: Internatsschulen der reformpädagogischen Bewegung, in denen Leben und Lernen in enger Verbindung gestaltet werden sollten. Liga für das arbeitende Palästina: 1928 von ehemaligen Mitgliedern des Jung-Jüdischen Wanderbundes gegründete libertär-sozialistische Organisation. Lindenhof: von Karl Wilker im Fürsorgeerziehungsheim Berlin-Lichtenberg 1917 entwickeltes sozialpädagogisches Reformprojekt, das 1920 am Widerstand der Verwaltung und an internen Differenzen scheiterte. Maskil, Maskilim: hebr. gebildet; Vertreter der Haskala, der jüdischen Aufklärung. Meforschim: hebr. Kommentatoren. Messias: hebr. Gesalbter; endzeitlicher Heilsbringer, den Christen in Jesus bereits erschienen, von den Juden für die Zukunft erwartet. Midrasch: hebr. Auslegung, Studium; im rabb. Judentum Auslegung der Bibel, die Erkenntnisgewinn vor Kontexttreue stellt. Minjan: hebr. Zählung; Bezeichnung für zehn rel. mündige Männer, die die notwendige Mindestzahl zur Konstituierung einer Gemeinschaft von Betern darstellt. Mischna: hebr. Wiederholung; ursprüngl. mündl. Lehre; die erste autoritative Sammlung religionsgesetzlicher Auslegung der Bibel; redigiert um 200 n. Chr.; wird in der Gemara kommentiert, mit der zusammen sie den Talmud bildet, siehe Gemara und Talmud. Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung: 1934 durch die Reichsvertretung gegründete Einrichtung unter der Leitung Martin Bubers. Mitzwa, Mitzwot: hebr. Gebot; Bezeichnung der religionsgesetzlichen Vorschrift, aber auch der verdienstvollen Handlung. Naradoveletz: Repräsentant der russ. agrarsozialistischen Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. Neoorthodoxie: von Samson Raphael Hirsch Mitte des 19. Jhs. gegründete Richtung
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im Judentum, die, als Reaktion auf die Reformbewegung, eine Rückkehr zu einem gesetzestreuen Judentum vertrat. New Education Fellowship: siehe Weltbund für Erneuerung der Erziehung. Odenwaldschule: 1910 von Paul Geheeb gegründetes Landerziehungsheim. Olim: hebr. die Einwanderer nach Eretz Israel. Organisation der jüdischen Lehrer in Palästina: zionistischer Lehrerverband in Palästina. Pan: griech. Hirtengott. Pessach: im Frühlingsmonat Nissan (März/April) gefeiertes Fest zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten; erstes der drei Wallfahrtsfeste. Pessach-Haggada: Erzählung vom Auszug aus Ägypten, die zu Beginn von Pessach, am Sederabend, gelesen wird. Rabbi, Rabbinen: wörtl. mein Lehrer, mein Meister; seit talmud. Zeit der Titel des ordinierten jüd. Rechtsgelehrten, der die Tora verbindlich auslegen kann und Auskunft in rel. Fragen erteilt. Rabbiner: im westl. Judentum Angestellter einer Gemeinde, der seit dem 19. Jh. einem christl. Geistlichen in seiner Funktion als Prediger und Seelsorger nahe kommt. Als religionsgesetzlicher Richter entscheidet er die vorgebrachten Fälle nach der Halacha. Reformpädagogik: (amerik. Progressive Education; franz. Nouvelle Education; engl. Radical Education) um 1900 entstandene internationale pädagogische Richtung; emphatischer Kindheitsbegriff, Kritik an der Lernschule, Neudefinition der Lehrerrolle gehören u. a. zu den zentralen Inhalten. Reichsvertretung der deutschen Juden: 1933 gegründeter Zusammenschluß der großen jüdischen Organisationen; 1935 Umbenennung in Reichsvertretung der Juden in Deutschland; seit 1936 als Zwangsvereinigung Reichsvereinigung der Juden in Deutschland; 1943 aufgelöst. Reichsvertretung der jüdischen Landesverbände: Vorläufer der späteren Reichsvertretung der deutschen Juden, s. o. Schavuoth: Wochenfest; im jüd. Kalender 50 Tage nach Pessach; Erstlingsfest und Fest der Vergegenwärtigung der Sinai-Offenbarung. Schechina: hebr. Einwohnung Gottes; von den Kabbalisten als letzte der zehn Sefiroth (Attribute Gottes) bestimmt; seine weibliche Eigenschaft, die seine Anwesenheit in Israel und der Welt bedeutet; mitunter geradezu personifiziert, u. a. weilt sie selbst im Exil. Schmah Israel: hebr. Höre Israel; jüd. Glaubensbekenntnis; den Text des Schmah bilden folgende Verse: Dtn 6,4-9; 11,13-21 und Num 15,37-41. Seder: Feier zu Beginn des Pessachfestes. Sefiroth: nach der kabbalistischen Lehre die zehn Attribute bzw. Potenzen Gottes, die stufenförmig im sog. Lebensbaum angeordnet sind. Serafim: eines der biblischen Engelsgeschlechter. Sophia: griech. Weisheit.
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Glossar
Synagoge: Bezeichnung für den Versammlungsort der Gemeinde, kein heiliger Ort, in ihm wird an Wochen- und Festtagen gebetet und gesungen. Talmud: hebr. Lehre, Studium; Bezeichnung von Mischna und Gemara als den rabb. Auslegungen der Bibel; begriffen als Aufzeichnung der mündlichen Tora, siehe Mischna, Gemara. Tempel: im Reformjudt. ab Anfang des 19. Jhs. in Abgrenzung zur jüd. Orthodoxie und im Rückbezug zum antiken Judt. eingeführte Bezeichnung für die Synagoge. Tora: hebr. Lehre; in der Bibel eine einzelne rel. Vorschrift; von der Tradition im engeren Sinn zur Bezeichnung des Pentateuch (schriftliche Tora), im weiteren Sinn zu der der jüd. Lehre insgesamt gebraucht; Moses von Gott am Sinai offenbart. Tosefta: von hebr. tosefet Zusatz; Sammlung von tannaitischen Traditionen außerhalb der Mischna; wie Mischna geordnet. Ulpan: hebr. Lehrstätte; intensiver Hebräischkurs für Neueinwanderer nach Israel. Verband der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands (VJJD): Vereinigung jüdischer Jugendvereine, vornehmlich Vereine der Jugendhilfe; stand dem CV nahe; gegründet 1911. Verein der Freunde der Hebräischen Universität Polens: Organisation zur Unterstützung der Jerusalemer Hebräischen Universität. Verein Jüdischer Hochschüler Bar Kochba: 1893 gegründete, in Anlehnung an den nationalen Aufstand im 2. Jh. n. Chr. benannte zionistische Studentenvereinigung in Prag. Weltbund für Erneuerung der Erziehung: (engl: New Education Fellowship) internationale Vereinigung von Pädagogen, die 1921 in Calais gegründet wurde; zu ihren prominentesten Mitgliedern gehörten Paul Geheeb (1870-1960) und Adolphe Ferrière (1879-1960); in Deutschland organisatorisch durch Elisabeth Rotten (1882-1964) vertreten. Werkleute: jüd. Jugendbund, der sich unter der Führung Hermann Gersons 1932 von den Kameraden abspaltete. Wissenschaftliche Vereinigung jüdischer Lehrer und Lehrerinnen: Verband jüdischer Gymnasiallehrer. Working Men’s College: 1854 in London gegründetes College, das Facharbeitern eine Erziehung in den liberal arts bot; eng verbunden mit der englischen Genossenschaftsbewegung. World Jewish Congress: 1936 in New York gegründeter Verband zur Verteidigung jüdischer Interessen. Zionismus: nationaljüdische Bewegung des 19. Jahrhunderts, deren Anhänger sich vor allem in Osteuropa fanden, seit 1897 Theodor Herzl die Zionistische Organisation gründete, die aus dem Zionistischen Kongreß und der zwischen den Kongressen amtierenden Zionistischen Exekutive besteht, vertraten die Zionisten mehrheitlich die Zielsetzung der Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina. Zionistische Vereinigung für Deutschland: nationale Vereinigung der 1897 gegründeten internationalen Zionistischen Exekutive.
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Stellenregister 1. Bibelstellen Hebräische Bibel (Altes Testament) Gen 20,13 287 32 101
Jes 1,27
225
Jer 1,5 7,11 15,19 31
258 225 258 261
Ez 37,7-10
366
Ps 139,15
258
Ex 3,14 15,1-13 24,7 32
118 99 191 389
Dtn 4,12 5,1-2 6,4
297 260 118
Jos 10,12
22, 85
2. Rabbinische Literatur Mischna Joma 8,9 119
Jdc 6,32 7,1
388 389
Avot (Pirke Avot) 3,22 261 6 109
I Sam 15
119
II Sam 11 11,141 12
389 101 389
I Reg 18
101, 389
Babylonischer Talmud Jeb 109 260 Qid 105b 263 Sanh 105a 119 Midrasch GenR 65,20 263
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Sachregister Absolute, das 85, 109-114, 116, 120-121, 123-125, 333 Adam 165 Agogik 12 Ägypten 221 Aktion 155-158, 162, 182, 275, 279, 284, 318-319 –, nationale 52, 155, 157-158, 162 Albanien 92 Alijah, Massen- 353-355, 358 Alloffenheit 109-111 Am-ha-arez 221 Amerika 11, 89, 320 –, Nord- 19, 49 Anthropologie 14, 33, 36, 39, 46, 73, 75, 407 Antisemitismus 21, 29, 63, 75 Antwerpen 26, 223 Aphrodite 140 Apollo(n) 115 Arbeitsgemeinschaft 183-184, 342, 348, 376, 396-398 Argentinien 181 Assimilation 45, 51, 358 Atheismus 320 Atheist 224 Athen 245, 374 Aufklärung 311, 313 Ausbildung 14, 44, 49, 65, 137, 140, 240241, 243, 274-275, 323, 327, 341-342, 356, 360, 362-365, 368, 407 –, Berufs- 323 Auswanderer 180 Auswanderung 28, 62 Avantgarde 35, 353 Baal 101, 316 Bar Kochba 16 Bar Mitzwa 57 Basel 262 Bauernschaft 377 Befreiung 113, 122, 126-127, 304-306, 313, 315, 318, 320 –, nationale 22, 85, 90, 304, 312-316 Befreiungskampf 85, 89 Begegnung 12, 16, 20, 30-31, 33, 36, 39, 46, 65, 68, 71, 74, 145, 148, 209, 259, 264 Benda, Julien, La trahison des clercs (Der Verrat der Geistigen) 223
Berlin 12, 43, 56, 70, 220, 388-390, 394395, 398-399 Berliner Schule der jüdischen Jugend 51 Bernfeld, Siegfried –, Das jüdische Volk und seine Jugend 21 –, Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung 21 Beth Midrasch Lemorei Am 14, 35, 47, 49, 65, 360, 407-408, 410 Bewegung 22, 90, 105, 122, 155-157, 159, 180, 200-201, 204, 220, 259, 262, 304, 312, 319, 353, 364, 370, 377, 382 –, Befreiungs- 306, 314 –, chassidische 35, 316 –, Erziehungs- 53 –, jüdische 20, 90, 117, 122 –, Kibbutz- 29, 40, 67 –, Lehrhaus- 262 –, Massen- 30-31 –, nationale 20, 22, 79, 155-157, 305308, 312-317, 409 –, politische 35, 53 –, Reform- 39, 69, 390 –, reformpädagogische 39, 69, 396 –, religiöse 22, 90, 193 –, settlement- 20, 388 –, soziale 22, 198, 409 –, sozialistische 376 –, Volks- 156 –, Volkshochschul- 161 –, zionistische 12-14, 19, 21, 24, 48, 5253, 265, 403 Bewußtsein 40, 87, 97, 158, 236, 250, 275, 308, 329, 334, 337-338, 357, 367, 369 –, Geschichts- 220 Beziehung 16, 20, 28, 33, 36, 39-41, 58, 67, 69-70, 165-167, 202, 204, 208, 211-215, 217, 236, 256, 271, 281, 284, 294, 306, 312, 314, 317, 320, 325-326, 331, 333, 339, 343, 355, 358, 360, 365, 370, 374, 382-384, 392, 394 Bibel 23, 28, 60, 80, 89, 101, 118, 125-126, 175, 179, 222, 252, 296, 343, 354 –, -kunde 240-241 –, -übersetzung 80, 183 –, -übersetzungsprojekt 56 –, -unterricht 232 Bibliothek 325-326
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Sachregister Bildung 12-13, 33, 37, 39, 42, 47-52, 54, 61, 71, 154, 229, 245, 256, 279, 281-282, 286, 304, 311-315, 317, 319-320, 322, 360, 362, 371, 373, 376, 393, 396, 399, 401 –, -sstoff 228, 281, 304 –, akademische 239 –, allgemeine 42, 162, 229-230, 246, 304-305, 341, 365-366 –, Grundschul- 360-361 –, Hochschul- 256 –, jüdische 42, 61, 173, 341, 401 –, Jugend- 239 –, nationale 311-318 –, nationalistische 315 –, Un- 246 –, Universitäts- 161 Bildungsamt 44, 238-239, 245, 400, 402 Bildungsarbeit 29, 58, 61, 70, 280-281, 283-286, 304, 364 Bildungsgut 256 Bildungsmethoden 228 Bildungsminister 360 Bildungsministerium 360, 362, 364 Bildungsproblem, jüdisches 41, 57, 249 Bildungstradition 43 Bildungswesen 13, 37, 52, 173 –, europäisches 132 –, israelisches 68 –, jüdisches 42, 45, 71, 245, 400 Bildungsziel 43-44, 228-230, 232, 239-240, 245-248, 304, 396, 401-402 Bildungszweck 133 Bin Gorion, Micha Josef, Die Sagen der Juden 405 Blau-Weiß 21, 81, 390, 398 Brüderlichkeit, Ur- 253 Buber, Martin –, 13 Jahre Hebräische Universität 57, 63, 405 –, Adult Education 64-65 –, Adult Education in Israel 408 –, Advice to Frequenters of Libraries 406 –, Aufgaben jüdischer Volkserziehung 58, 402 –, Aus einer philosophischen Rechenschaft 41 –, Bibelübersetzung 27, 183 –, Bildung und Weltanschauung 29, 46, 48, 50, 58, 61, 65, 393, 404 –, Bildungsziel und Bildungsmethoden der jüdischen Schule 34, 42-43, 396, 399, 401
435 –, Cherut 389 –, Das Haltende 404 –, Das pädagogische Problem des Zionismus 53-54, 403-404 –, Der Jude und sein Judentum 15, 58, 288, 297, 388-389, 393, 397-398, 400405 –, Dialogisches Leben 392, 407 –, Die Aufgabe 32, 390 –, Die Aufgabe des Lehrenden 41 –, Die Bildung des Volkes im Lande und die hebräische Erziehung in der Diaspora 406 –, Die Bildungsnot des Volkes und die Volksnot der Gebildeten 30, 42, 396 –, Die Erzählungen der Chassidim 38, 185, 237 –, Die Frage nach Jerusalem 35, 395 –, Die Jugend und der Zeitgeist 395, 397 –, Die Kinder 42-43, 399 –, Die Lehre und die Tat 60, 403 –, Die Stunde und die Erkenntnis 15, 44, 53, 400-404 –, Die Vorurteile der Jugend 29, 68, 404 –, Ein jüdisches Lehrhaus 400, 402 –, Ein waches Herz 406 –, Eine jüdische Hochschule 368 –, Einige Leitsätze für Arbeitsgemeinschaften 50, 396 –, Entwürfe und Programme 42, 44, 400, 402 –, Erwachsenenbildung 41, 407-408, 410 –, Erwachsenenerziehung 68, 409 –, Erziehen. Zum 90. Geburtstag von Paul Geheeb 408 –, Existentielle Situation und dialogische Existenz 410 –, Falsche Propheten 14 –, Ich und Du 14, 33, 39, 56 –, Im Anfang (Genesis) 56, 70 –, Jüdisch leben 23, 52, 388 –, Jüdische Erwachsenenbildung 58, 403 –, Kampf um Israel 15, 262, 391, 393, 397-398 –, Lehrhausreden 51, 58, 61 –, Mein Weg zum Chassidismus 35 –, Nachlese 15, 390-391, 394, 398, 408409 –, National and Pioneer Education 405406 –, National Education 64 –, Nationale Erziehung 18, 54, 405-406
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436 –, On National and Pioneer Education 18, 55 –, Pfade in Utopia 14, 40, 67 –, Philosophical Interrogations 40 –, Philosophische und religiöse Weltanschauung 394 –, Rede über das Erzieherische 37-38, 40-41, 392 –, Reden über das Judentum 12, 16, 389 –, Reden über Erziehung 13, 15, 47, 64, 392, 404, 407 –, Referat über jüdische Erziehung 20, 387 –, Religion als Gegenwart 56 –, Religiöse Erziehung 32, 398 –, Über Charaktererziehung 35, 46-47, 64, 75, 393, 407 –, Über das Erzieherische 46-47, 69, 393 –, Über den deutschen Aufsatz 38, 391 –, Über den Kontakt 407-408 –, Über die Zukunft der Hebräischen Universität 408 –, Universität und Volkshochschule 34, 52, 368, 391, 393 –, Unser Bildungsziel 42, 399, 401 –, Verantwortung 30 –, Verständigungsgemeinschaft 24, 389 –, Volkserziehung 64 –, Volkserziehung als unsere Aufgabe 34, 52-53, 62, 391, 393, 403 –, Wann denn? 398 –, Warum gelernt werden soll 51, 59-60, 398 –, Wie kann Gemeinschaft werden? 2526, 30, 397 –, Worte an die Jugend 15, 29, 388-389, 394-395, 397-398, 405 –, Zion und die Jugend 22, 24, 29, 387, 390 –, Zum Ende der deutsch jüdischen Symbiose 58 Bund 13, 47, 60, 393-394, 402 –, jüdischer 27 –, Jüdischer Wander- 21, 81 –, zionistischer 21 Bürgertum 20, 375, 377 Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 24, 397 Cerna˘ut¸i 54-55, 303, 405 Chaluz, Chaluzim 18, 33-35, 51-52, 55, 65, 157, 273-275, 277, 307-308, 315-317, 319-320, 352-353, 403
Sachregister chaluzisch 35, 65, 353 Chaluziut 353 Charakter 87, 89-90, 181, 319, 327-332, 334-339, 349, 375, 382, 407 –, National- 312 Chassid 35, 319 chassidisch 23, 37, 56, 119, 261 Chassidismus 28, 36-38, 115, 199, 316, 321 Cheder 180 Cherubim 301 Cheruth 24, 26, 28, 389, 398 China 374 Chinesen 54, 306, 375 Chochma 61, 259 Christ, Christen 93-95, 153, 245 Christentum 114, 301 Dänemark 346, 348 Das Werdende Zeitalter 32, 35, 51, 69, 390, 395, 398 David 389 Dekalog 332 Demokratie 333 –, Agrar- 377 –, Bauern- 346 Denken, das 16, 26, 32, 37, 40, 67, 75, 115, 146, 165-166, 173, 201, 210, 212, 224, 228, 260, 301, 323, 342, 345, 349-350, 358-359, 366, 368, 379-381, 383 –, pädagogisches 11, 14-16, 32, 62, 68, 73 Der Jude 12, 16, 18, 21, 56, 387 Deutschland 11-13, 16, 19-21, 24-29, 3132, 34, 37, 41-48, 50, 53, 55, 57-58, 61, 63, 69, 72, 74, 83, 175-176, 185, 196, 224, 229, 233, 238-240, 243-245, 248, 254, 287, 312, 314, 395-396, 400-402, 404, 406, 410 Deutschtum 95-97, 234, 254 Deutschunterricht 396 Dewey, John –, Human Nature and Conduct 75, 334 –, Psychologische Grundlagen der Erziehung 75 Dialektik 380 Dialog 23, 31, 36, 38, 52, 71, 76, 149, 350, 380, 385, 389, 392 Dialogik 149-150 Diaspora 51, 63, 81, 83, 115, 135, 157, 160, 162-163, 221, 257, 263, 299, 301-302, 308, 316, 319, 322, 352-353, 365-366, 368
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Sachregister Dichter 115 –, deutsch-jüdische 27 –, griechischer 320 –, hebräischer 115 –, norwegischer 348 Dichtung 173 Die Gesellschaft 12 Die Kreatur 39-40, 392 Diktator 331 Diktatur 172 Dionysos 145 D’Israeli, Benjamin, Sybil or The Two Nations 376, 410 Edda 175, 178 Einheit 36, 41, 81, 96, 103-104, 106, 111, 114, 117-118, 121, 123-124, 139, 156, 215, 230, 234, 256, 260, 273, 281, 283, 297, 337-339, 352, 354, 365-367, 371, 376, 379 Einwanderer 35, 66, 355, 360-361, 363 –, Neu- 47, 342, 360-361, 363-364 Einwanderung 33, 55, 67, 352, 364, 393, 402 –, Massen- 35, 63, 65 Elite 36, 54, 352-353, 367 Eltern 42, 231, 235, 257-258, 371, 399 Emanzipation 26, 58-59, 253 Emotionalismus 112 England 20, 69, 381 Entfaltung 38, 48, 136-137, 141-143, 303, 345, 349-350, 392 Entscheidung 88, 90, 101-102, 105, 107, 271, 307 Erfahren, das 86 Erfahrung 15, 24, 33, 51, 80, 87, 109, 140, 148-149, 152, 158, 162, 180, 186, 208, 269, 276-277, 284, 289-291, 295, 298, 310, 334, 342, 345, 347, 356-357, 359, 361, 363-364, 373, 376, 379-381, 385 –, Glaubens- 229 –, religiöse 16, 39, 166, 222 Erinnern, das 220, 253 Erinnerung 87-89, 221-222, 253, 274, 311, 368 Erinnerungsgemeinschaft 220-221, 254 Erkenntnistheorie 165 Erleben, das 87 Erlösung 102, 107, 126, 128, 197, 307, 315 Erneuerung 13, 37, 52, 84, 90, 117, 124, 188, 192, 195, 254, 270, 306, 346 –, kulturelle 53 –, nationale 26, 305, 409
437 Eros 40, 145-149, 392 Erschließung 37-38, 266, 284, 408 Erwachsenen, die 18, 20-21, 29, 47, 57, 128, 231, 256, 341-342, 346, 350-351, 353-354, 360, 371-372, 378 Erwachsenenbildung 14, 18, 37, 47-50, 5558, 62, 64-66, 72, 256, 279, 283, 310, 323-324, 341-342, 345, 351, 354-355, 357, 360, 362-364, 371, 375, 396, 407410 –, jüdische 28, 48, 51, 55-58, 61-62, 256 Erwachsenenbildungsinstitutionen 13 Erwachsenenbildungswesen, jüdisches 244 Erwachsenenerziehung 371-375, 377-381, 383, 409 Erwachsenenpädagogik 11 Erziehen, das 152, 174, 370 Erzieher, der 11, 36, 40, 46, 70-71, 76-77, 136, 142-143, 145-148, 150-154, 160, 173, 175, 229-230, 233, 235, 245, 258, 266-269, 303, 305, 310, 327-332, 334340, 351, 384, 392 –, Erwachsenen- 372, 379-382 –, jüdische 248 –, Kibbutz- 14 Erziehung 12, 16, 18, 31-34, 36-40, 42, 46, 48, 50, 52-54, 60, 68-69, 71, 76-78, 81, 109, 128-129, 137, 139-143, 145-147, 151, 153, 158, 162-163, 173, 219, 228, 231-232, 238, 248, 252, 254, 266, 268269, 273, 275-276, 303-305, 308, 310, 327-328, 330-331, 339, 345, 347, 350, 353-354, 356-357, 359, 371-373, 375, 379, 383-384, 392, 403, 408 –, Charakter- 327-335, 337, 339, 362 –, deutsche 54 –, extensive 375, 409-410 –, hebräische 322 –, intensive 377 –, jüdische 13, 16, 23, 37, 60, 77, 80, 231, 238 –, Jugend- 373 –, Kibbutz- 67, 73 –, Kinder- 373 –, Lebens- 355 –, nationale 20, 33, 55, 77, 81, 303, 305308 –, nationalistische 20, 307 –, religiöse 16, 32, 51, 129, 219 –, zionistische 20 Erziehungsarbeit 83, 162, 275, 377 Erziehungsaufgabe 79, 269
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438 Erziehungsdenken 21, 33 Erziehungsfragen 388 Erziehungsgedanke 392 Erziehungshandeln 38 Erziehungskunde 242 Erziehungsphilosophie 14, 31, 34, 37, 54, 64, 76 Erziehungsprogramm 276 Erziehungstätigkeit 279 Erziehungswissenschaft 74 Erziehungsziel 268, 311 Erzogene, der 77 Ethik 74, 224, 261, 266, 407 Europa 19, 49, 116, 180, 246, 305, 312 –, Mittel- 12, 16, 21, 54-55, 63 –, Ost- 12, 16, 21, 26, 54-55, 63 Eva 165 Ewige, das 176, 339 Ewige, der 110 Ewigkeit 92, 215, 238, 334, 339 Exegese 125 Exil 55, 253, 306, 308, 332, 353-354 Fach, Fächer 55, 73, 233-234, 240, 323, 343, 356, 382 –, außerjüdische 238 –, biblische 233 –, der Judentumskunde 239 –, jüdische 233 Fakultät 133, 137, 365, 369 –, geisteswissenschaftliche 132-133 –, philosophische 133 Familie 188, 237, 332, 394 –, jüdische 221 Faschismus 286, 395 Feiwel, Berthold, Eine jüdische Hochschule 368 Fiktivgesinnung 49-50, 61, 285-286 Flitner, Wilhelm, Die Erziehung 392 Frankfurt am Main 14, 28, 41, 55-58, 61, 74, 244, 250-251, 398, 400 Frankfurter Jüdisches Lehrhaus 56, 249252, 257, 279 Frankreich 224 Freies Jüdisches Lehrhaus 14, 50, 55-57, 71-72, 249-250, 398 Freiheit 41, 89, 109, 115-116, 123-124, 127, 143-144, 153-154, 159, 167, 202, 206, 213, 218, 255, 304, 312, 338, 392 Frieden 36, 225-226, 314, 354 –, Völker- 306 Führer 20, 23, 27-29, 37, 40, 53, 81, 159, 163, 304-305, 312-314
Sachregister Führerschaft 23 Fürsorge 237 Galuth 29, 52, 55, 80, 115-116, 135, 308, 403 Gebet 321 Gebot, Gebote 89, 117, 120, 224-225, 232, 260, 271, 297, 306, 314, 316, 337 Gedächtnis 59, 87, 99, 220-221, 253-254, 295, 327, 349 –, Gemeinschafts- 87 –, jüdisches Kollektiv- 220 –, Ur- 222 Gegenkultur 12 Gegenwart 46, 53, 62, 102-103, 113, 122-123, 128-129, 160, 182, 191, 194, 232, 239, 242, 247-248, 336, 351, 358, 377 –, göttliche 111 –, jüdische 102 Gegenwartsarbeit 83 Gegenwartskunde –, jüdische 181 –, soziologische 79, 240 Gehorsam 334 Gemeinschaft 22, 24, 26, 33, 35-36, 41, 65, 72, 77, 86-89, 91-92, 97-98, 102, 104106, 111, 116, 127, 144, 155-159, 161, 172, 181-182, 185-196, 198, 202-204, 212, 217-218, 222, 225, 227, 236, 238, 242, 245, 252, 254, 256-258, 262, 265268, 270, 274-275, 281, 283, 286, 293, 295, 304, 306-307, 339, 347, 349, 351, 353, 357, 378, 384, 397 –, -skunde 241-242 –, Glaubens- 191-195, 246 –, hebräische 247 –, jüdische 15, 23-24, 53, 193, 250, 255, 275-276, 402 –, Lern- 51, 54 –, Religions- 190 –, Ur- 252 –, Völker- 229 –, Volks- 87, 112-114, 116, 190, 346, 367 –, Werk- 140, 255 –, zionistische 26 Gemeinschaftsbildung 31, 33 Gemeinschaftserziehung 32, 65 Gemeinschaftsgedanke 31 Gemeinschaftsgesinnung 89 Gemeinschaftsleben 48-49, 85-86, 90, 167, 262, 303, 306
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Sachregister Gemeinschaftssinn 250 Gemeinwesen 34, 66, 88-89, 188, 204, 253, 275 –, jüdisches 15, 135, 271, 275 Generation 20-21, 73, 77-78, 112, 116, 123, 126, 128, 136, 145, 155, 157-161, 190, 195, 203, 220-221, 223, 226, 238, 259, 261, 264-265, 270, 288, 290, 299, 305-306, 308, 311, 313, 315-318, 321, 333, 339, 341, 352, 360, 366, 368-369, 384 Generationenverhältnis 31 Genesis 178, 263 Genie 311, 328 –, gestalterisches 137 Gerechtigkeit 92, 194, 225-226, 300, 306307, 314, 353-354 –, soziale 89, 306, 314 Geschichte 16, 19-21, 23, 28, 34, 49, 55, 57, 60, 62, 64, 70, 78-79, 87, 93, 100-102, 110, 113, 119, 124, 136, 145-146, 155158, 166, 172, 174-175, 179, 181, 186, 194, 201, 206, 208, 220-222, 226, 230231, 233-236, 239-242, 246-247, 253, 255, 259, 263, 265, 268, 270-272, 277, 280, 288, 290-291, 297-299, 304-306, 308, 311-313, 316, 318-319, 323, 329, 345, 360, 362, 374, 377, 382, 384, 387, 396-397, 402 –, deutsche 234 –, englische 311 –, jüdische 24, 59, 98, 101, 181, 238, 242, 253-254, 273, 354, 358 –, Menschheits- 85 –, Religions- 166 –, Sozial- 375 –, Ur- 175 –, Welt- 91, 136, 172, 180, 202, 206, 226, 319 –, Zivilisations- 311 Geschichtsunterricht, jüdischer 387 Gesellschaft 29-30, 36, 41, 49, 58, 62, 65, 70, 74, 84-85, 102, 121, 128, 142-143, 153, 164, 187, 193, 204, 206, 217, 229, 288, 312, 316, 326, 330, 332, 339, 342, 345-346, 351-352, 367, 373, 377, 382 –, -skunde 240 –, bürgerliche 247 –, Klassen- 304, 311 –, moderne 409 –, palästinensische 403 Gesetz, Gesetze 80, 84, 91, 99-100, 109, 111, 117, 120-124, 127, 129-130, 145,
439 151, 218, 224, 260-261, 271, 305, 336, 349, 378 Gesetzestafeln 280, 324 Gesetzgebung 89, 334 Gesinnung 89, 92, 105, 211, 217, 285 –, jüdische 241 –, politische 353 Gespräch 149, 191, 240, 279, 324, 330, 332, 347, 350, 356, 359, 372, 380-381, 383, 385 Gewissen 79, 89, 330 Gibeon 84, 86, 91 Glaube 36, 90, 119, 121-122, 126, 159, 165, 167, 172, 191, 205, 208, 219, 226, 230231, 241, 253, 260, 265-266, 295-298, 302, 318, 320, 324, 333, 339, 358, 367, 372, 375 Glaubensgemeinschaft 26 Glaubenskrise 307 Goethe, Johann Wolfgang von, Wanderers Sturmlied 99 Goliath 119 Gott, Götter 14, 29, 33, 38, 51, 60-61, 73, 87-88, 90, 105, 109-115, 117-121, 123124, 126-127, 146, 154, 166-168, 179, 181, 185, 191-192, 197, 199, 222-228, 252-254, 258, 260-261, 270, 280, 296, 306-307, 309, 314, 316, 340, 354, 383, 389 Gottesbild 296 Gottesbund 252-254 Gotteserfahrung 33 Gottesnamen 118, 225 Gotteswort 90, 120 Gottheit 248, 296 Göttliche, das 110, 112-113, 115, 118, 123, 127, 263 Griechen 375 Griechenland 311 Griechentum 180 Gruppenidentität 33 Gymnasium 365 –, hebräisches 176 –, humanistisches 176 Hachschara 274 Haifa 364 Haltung 175, 250, 277, 327, 329, 336-338, 370, 404, 411 Hamlet 320 Haschomer Hatzair 19, 21 Hebräisch 23, 75, 80, 98, 181, 183, 360, 364, 387-389, 392, 396, 404, 406-409
Buber 8 (02684) / p. 440 / 12.10.6
440 Hebräische Universität 11, 14, 46, 52, 54, 63-64, 66, 68, 275, 299, 341, 360, 362, 364, 368, 391, 393, 405-406, 408 Heidelberg 39-40, 69, 136, 392, 401 Heiliges Land 309 Heiligtum 88, 225, 253 Heiligung 111, 115, 123, 168, 199 Heilswahrheit 85 Heimat 181, 190, 232, 316, 341, 352, 411 –, Ur- 227 Heimatkunde 179, 181, 323, 335 –, deutsch-jüdische 181 –, deutsche 180 –, palästinensische 180 Heine, Heinrich, William Ratcliff 376, 410 Heppenheim 13, 37, 48, 52, 56, 64, 70, 240, 243, 393-394 Herrschaft 85, 171-172, 202, 212, 354 Hochschule 14, 35, 42, 46, 49, 52-53, 6465, 180, 239, 379, 407 –, Bauern- 346 Homiletik 134 Humanismus 34, 45, 176, 313, 315 –, biblischer 176, 396 –, jüdischer 50 –, klassischer 176 Ich-Du-Beziehung 39, 165-166 Idealismus 86, 207-208 –, deutscher 174, 207-208 Identität 16, 47 –, jüdische 43-44, 55 –, nationale 52 –, politisch-religiöse 28 Ideologie 49, 91, 104-105, 115, 118, 223, 254, 367 –, deutsch-völkische 26 –, sozialistische 311 –, völkische 27 Individualismus 73, 286, 293, 313-314, 339 Individuum 36, 74, 277, 311-312, 334, 375 Institut 63, 355 –, Forschungs- 63, 163-164, 300 –, für Judentumskunde 240 –, judaistisches 134 –, Martin-Buber- 66 –, zur Volkserziehung 300 Internat 181 Israel 11, 15, 26, 28-29, 32, 35, 41, 48-49, 64, 67-68, 75, 90, 299-300, 302, 309, 341, 343, 354-355, 360, 363-365, 367, 369, 398, 409, 411
Sachregister Israelitische Gemeinde Frankfurt 249, 251 Italien 312 Jahwe 101 Jensen, Adolf/Lamszu, Wilhelm, Unser Schulaufsatz – ein verkappter Schundliterat 391 Jerusalem 132, 171-172, 356, 359, 361, 363 Jewish Agency 341, 356, 360-361, 363 Jischuw/Yeshuw 132-133, 163, 221, 276, 299-300, 319, 367 Juden 12, 15, 26-27, 34-35, 45, 52-55, 58, 60-62, 89, 91, 93, 100, 102, 105, 174, 180-181, 192-193, 198, 220, 223-225, 247, 262-263, 269, 272-273, 288, 291, 302, 316, 368, 389, 400-401 –, deutsche 43, 53, 58, 104, 134, 174, 230, 238, 245-247, 400-402 –, europäische 48, 53 –, westliche 81 Judenheit 59, 181-182, 237, 250, 276, 368 –, deutsche 181, 231, 238, 242, 254 Judentum 12, 16, 24, 33-35, 48, 54, 56, 58, 61, 65, 72, 78-83, 88-92, 102-107, 112, 114-115, 117-118, 120, 124, 126-127, 133-134, 159, 182, 192-193, 195, 220, 225-226, 231, 233, 238-242, 250, 252, 254-259, 261-262, 273, 275, 277, 284, 287-288, 297-298, 305, 307, 315-316, 319, 324, 343, 358, 361, 365, 367, 369, 390, 398 –, deutsches 44, 57, 176, 254 –, Galuth- 80 –, National- 24 –, nichtzionistisches 24 –, orthodoxes 24 –, osteuropäisches 22 –, russisches 195 –, Ur- 273, 287 –, westeuropäisches 22 Judentumskunde 239-241, 243-244, 250, 401 Jüdische Rundschau 29, 43, 387, 391, 393, 398-401, 403-404 Jüdischer Frauenbund von Deutschland 396 Jüdisches Lehrhaus 400 Jüdisches Volksheim 20 Jugend 16, 18-20, 22, 29-31, 33, 78-81, 8486, 88-89, 91-92, 105, 107, 109-112, 116, 121, 125, 133, 169, 195-196, 200-204, 210, 212-213, 218, 238, 244, 275, 279,
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Sachregister 288-290, 292-294, 299, 308-310, 338, 345, 367, 371, 387, 389, 395, 397 –, bündische 30, 395, 404 –, deutsche 26 –, jüdische 22, 24, 26, 29-30, 59-60, 71, 86, 88, 90-91, 111, 116, 120, 122-123, 175, 185, 192, 195-196, 220, 287-288, 298, 367, 387-388, 398, 404 –, zionistische 16, 20, 60, 390 Jugendarbeit 83 Jugendbewegung 14, 16, 18-20, 22-24, 3031, 33, 53, 65, 85, 106-107, 159, 200203, 205, 213-215, 217-218, 387-389 –, deutsche 12, 19-20, 22, 26, 30, 160, 208 –, jüdische 12, 19, 21, 26, 28, 104-106, 160, 387, 390 –, osteuropäische 23 –, zionistische 12, 14, 18-20, 390 Jugendbund 29, 244, 283, 401 –, zionistischer 19 Jugendführer 27-28, 40, 283 Jugendliche 18, 20, 23, 28-31, 33, 71, 110, 128, 189, 279, 329, 367-368, 370, 394 –, jüdische 26, 28-29, 44, 50, 396 –, zionistische 21, 24, 28 Jugendorganisation –, jüdische 19, 104, 389 –, zionistische 19 Jugendverband, jüdischer 25, 37 Jugendverein 24, 82 Kerschensteiner, Georg, Charakterbegriff und Charaktererziehung 331 Kibbutz 28, 67, 389-390 Kind, Kinder 18, 38-39, 43, 70-71, 128, 136-138, 140-143, 145, 147, 150, 152, 170, 178-182, 213-214, 226, 228, 231232, 234-237, 245, 252-253, 257-258, 303, 324, 336, 341, 360, 363, 370, 389, 392-393, 399 –, jüdische 28, 42, 44, 50, 233, 238, 396, 399 Kindergarten 239 Kindheit 291, 304, 311 Kirche 41, 124, 148, 153, 166, 192 Kollektivismus 320, 339 Kommunismus 50, 286, 395 Konferenz 392, 395 –, für das arbeitende Palästina 171 –, III. internationale Pädagogische 136, 392
441 –, Landeskonferenz der jüdischen Lehrer Palästinas 327 –, Reichsschul- 396 Kongresse 82 –, zionistische 78, 262, 368 Koran 180 Kosmos 179-180, 321, 323, 335 KPD 198 Kraft, Kräfte 82-85, 87-88, 90, 137, 139143, 145, 151, 153, 157, 172, 182, 185186, 190, 196, 204, 207, 220, 232, 239, 249, 254-255, 263, 272-275, 278, 280283, 285, 287, 295-296, 299-301, 306, 310, 312, 314-318, 320, 322, 327-328, 337-338, 353, 357, 366, 368-369 –, Bildungs- 49 –, erzieherische 139 –, geistige 377 –, schöpferische 38-39, 136-137, 141, 299, 392 –, Ur- 87, 231-232, 238, 248, 274 –, Volks- 48 Kreuzzüge 179 Krieg 21-22, 48, 74, 90, 225, 301-302, 346, 348 –, Welt- 11-13, 15, 19-20, 22, 28, 30, 3233, 41, 47-48, 52, 69, 230, 279, 330, 348, 388, 391 Krise, Krisis 34, 36, 40, 45, 84, 105, 232, 254, 263, 279, 293, 316, 324, 343, 346, 348, 367-368, 378, 381, 409 Kult, Kultus 84, 90, 111 Kultur 22, 28, 41, 43, 48, 62, 81, 85-87, 153, 174, 229, 231-233, 245, 262, 303305, 312, 318-319, 322, 342, 346, 353, 367, 373-374, 377, 406 –, -besitz 304, 354 –, -kunde 240 –, allgemeine 311 –, Bauern- 377 –, deutsche 43, 181, 229, 231, 233, 377 –, europäische 311 –, hebräische 300 –, jüdische 133, 361, 368 –, Jugend- 29, 395 –, National- 376, 410 –, Volks- 366 Kulturarbeit 78, 342 Kulturzionismus 13, 16, 33 Kulturzionist, Kulturzionisten 54 kulturzionistisch 12 Kunst, Künste 137, 140, 323, 343, 350, 374, 379-380
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442 Künstler 303, 335 Kwutza, Kwutzot 133 Landerziehungsheimbewegung 13 Landesvolkhochschule 53 Leben 22, 47, 51, 73, 76-77, 80, 82, 84, 8692, 103, 105-106, 109-111, 113-121, 123-126, 128, 132, 139-140, 142-147, 150-151, 156-157, 160, 167, 169, 172, 174-175, 177, 181, 186-189, 191-195, 197-198, 200-204, 206-209, 211-212, 215-216, 218, 223-226, 228, 230-232, 237-238, 242, 245, 247-248, 252, 254, 256-259, 261, 263-265, 270, 273-276, 280, 282, 284-285, 288-289, 291-295, 297-299, 301, 303, 306-308, 310-312, 314-318, 320-323, 325, 328-330, 332, 337-339, 342-343, 345, 347, 349-350, 352, 354-357, 359-361, 366-367, 369, 371, 373, 375-379, 385, 403 –, jüdisches 80, 250, 315 –, kindliches 232 –, tätiges 112 Lebensbildung 47, 132 Lebensfrage 249 Lebensgemeinschaft 26 Lebensgestaltung 308 Lebensreform 12 Lehrbuch 100 Lehre 28, 74, 82, 84, 88, 90, 92, 103, 111, 114, 117-120, 122-123, 127, 156-159, 161, 225, 233, 252, 257-264, 274, 292, 309, 318, 350, 359, 369, 372, 374-375, 378 –, christliche 346 –, Entwicklungs- 141 –, jüdische 61, 226 –, rabbinische 59 –, sozialistische 311 Lehrer 11, 13-14, 23, 32, 35-42, 44, 47, 49, 51, 53, 57, 63-64, 74, 120, 131, 133, 141142, 146, 160-161, 181-182, 232-233, 235, 239-241, 244, 250, 258, 262, 324, 327-330, 332, 335, 341-344, 347, 350, 355-356, 359-364, 366, 374, 377-383, 385, 392, 398, 401, 407-408, 410 –, chassidischer 38 –, Hochschul- 57, 355, 360, 362 –, jüdische 35, 42, 44, 175, 233, 399, 406-407 –, Mittelschul- 355 –, Volks- 41, 65, 355, 357 –, Volkshochschul- 355
Sachregister –, Volksschul- 355 Lehrerbildungsanstalt 44, 240 –, deutsch-jüdische 44, 239 Lehrerfahrung 361 Lehrerseminar 360, 384 Lehrhaus 41, 50, 56-57, 244, 249-252, 262263, 310, 355-356, 400, 402 Leipzig 365 Lernen, das 29, 47, 51, 56, 72, 99, 117, 134, 159, 221, 249-250, 324, 403, 409 Lernzeit 29, 41, 58, 61, 244, 283, 401 Levante 320 Liebe 92, 97, 112, 116, 128-129, 140, 146, 148, 150, 276, 281, 294-295, 330, 334 –, freie 31 –, Gottes- 247 –, Menschen- 247 –, Selbst- 35 –, tätige 89, 104 Lindsey, Ben B. –, Compassionate Marriage 213 –, The Revolt of Modern Youth 213 Literatur 31, 113, 233, 318, 362 –, altdänische 347 –, biographische 71 –, hebräische 79, 343, 358 –, jüdisch-volkstümliche 79 –, klassische 343 –, pädagogische 67 –, Welt- 343 Literaturkunde 78 Litt, Theodor, Führen oder Wachsenlassen 38 London 132, 376 Mahnung 59, 88, 90, 92, 109, 253, 270 Mannheim 242, 401 Maskil, Maskilim 319 Material, jüdisches 78 Meforschim 183 Mensch, neuer 16, 33-34 Menschenbild 43, 121, 173-174, 235, 245247, 305-306, 366 Menschengeist 109, 113, 121, 123, 180, 224, 351, 358 Menschenrechte 312 Menschheit 36, 84-85, 88-92, 110, 113, 123-124, 126, 165, 185-186, 197-198, 212, 214, 222, 225, 246, 248, 263, 277, 288, 306-307, 312, 316, 324, 333, 339, 354
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Sachregister Messianismus 305, 312, 405 Messias, messianisch 64, 88, 102, 115, 227, 307, 353-354 Metaphysische, das 87 Methode 79-80, 232, 410 –, der Übermittlung 79 –, Unterrichts- 341 Methodik 134, 250, 268, 338, 349 –, Unterrichts- 161 Midrasch 261, 263 Minjan 192 Mischna 258, 261 Mittelalter 191, 245, 319 Mittelschulen 79, 323, 342, 349 Mittelstelle 57-58, 401, 403 –, für jüdische Erwachsenenbildung 44, 57, 244, 283, 393, 401-404 Mitzwa, Mitzwot 120-121 Moskau 171-172, 395 Musik 112, 329, 343 Mutter 231, 235, 237 Mutualität 49, 70, 283 Mystik 35-36, 65 Mythologie –, griechische 140, 145 –, nordgermanische 346 Mythos, Mythen 146, 202 Nation 49, 52, 85, 92, 107, 220, 236, 257, 304-305, 307-308, 312, 314-316, 331, 346, 354, 375-377, 392, 410 –, jüdische 33, 53 Nationalerziehung 35, 54, 72 Nationalismus 21, 88, 358, 377 –, jüdischer 122 Nationalsozialismus 15, 25, 34, 45, 48, 50, 54, 62, 286, 348 Neuorientierung –, bildungspolitische 400 –, jüdische 16 –, nationale 16 Neuschöpfung 22 Nibelungenlied 178 Nietzsche, Friedrich –, Also sprach Zarathustra 23, 296 –, Aus dem Nachlaß der Achtziger Jahre 208 Nohl, Hermann, Charakter und Schicksal 407 Norm, Normen 225, 242, 305, 312-313, 331, 333, 337, 339, 346 –, Erziehungs- 40
443 Odenwaldschule 13, 41, 69-70 Offenbarung 111, 120, 122, 128, 166, 252, 264, 280, 318, 335 Okzident 180, 224 Olim 355-356 Organisation 24, 51, 69, 237, 389, 401, 406 –, zionistische 16, 34, 52-53, 132, 393 Orient 180, 299 Orientierung 12, 24, 29, 31, 34-35, 39, 46, 74, 402 Ovid, Metamorphosen 140 Pädagoge, Pädagogen 11, 16, 31-32, 37, 75, 132, 151, 311, 313, 320-321, 364 Pädagogik 11, 14, 16, 19, 31-32, 37, 40, 46, 48, 64, 67-68, 73-76, 141, 265, 284, 335, 347 –, amerikanische 75 –, deutsche 73 –, Individual- 242 –, Sozial- 242 –, zionistische 33 Pädagogin, Pädagoginnen 11, 16 Palästina 15, 20-21, 26, 28-29, 33, 35, 41, 48, 51-52, 54-55, 57, 62-64, 67-70, 7981, 92, 107, 132-133, 156, 160, 162-163, 171-172, 176, 178-180, 182, 195, 221, 247-248, 262, 270, 272-276, 307-308, 315-317, 319, 332, 356, 388, 390-391, 393, 395, 402-403, 406-407 Palästinakunde 78 Pan 296 Papst 145, 389 Persönlichkeit 85, 121, 142, 153, 182, 189, 196, 202-203, 241, 311, 327, 341 Pessach 221 –, -Haggada 221 Pharao 221 Philosophen 115, 142, 146, 296, 345 Philosophie 12, 29, 38, 72, 74, 91, 165-166, 325, 362, 365 –, dialogische 14, 72 –, politische 72 –, Religions- 166 –, Sozial- 72 Plutarch, De def. orac. 296 Polen 54-55, 312, 405 Polytheismus 224 Polytheisten 224 Prag 16, 29, 139, 288, 345, 404 Preußen 346, 377 Prinzip 20, 31 –, der neuen Erziehung 145
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444 –, dialogisches 31, 37-38, 68, 72, 75, 347, 350, 356, 359 –, didaktisches 343, 397 –, pädagogisches 20, 265, 267-269, 276277 –, politisches 265, 267-268, 275-276 –, soziologisches 265, 267-268, 272 Proletariat 198, 375 Prophet, Propheten 89, 119, 253, 258, 305306, 313 Prophetie 59, 227 Prophezeiung 312, 314 Psychoanalyse 21, 31, 67 Psychologie 12, 31, 67, 138 Pubertät 284, 373 Purim 178 Pygmalion 140 Rationalismus 112 Realgesinnung 49, 285-286 Reformpädagoge 46, 69, 395 Reformpädagogik 12, 32-33, 38-40, 45, 50, 68-69 Reichsvertretung 44-45, 400-402 Reichsvertretung der Juden in Deutschland 238, 243-244, 404 Religion 16, 24, 28, 32, 68, 109-111, 113115, 117, 119, 123, 125, 166-167, 185, 192-193, 234, 242, 316, 318, 320 –, -skunde 240 –, jüdische 31, 389 Religionsgemeinschaft 26 Religiosität 14, 23, 67, 71, 90, 110, 112, 114-115, 117, 121, 126 Revolution 22, 85, 90, 194, 377 –, Französische 247, 304, 311-312, 375 –, Russische 319 Rezeption 11, 32, 37, 68, 73-75 Ritus, Riten 374 –, Initiations- 373 Rom 171-172, 395 Rosenzweig, Franz –, Bibelübersetzung 183 –, Bildung und kein Ende 249 –, Zeit ist’s 13, 50, 249 Rußland 194 Sabbath 318 Schavuoth 318 Schicksalsgemeinschaft 26 Schiller, Friedrich, Don Carlos 94 Schleswig 346
Sachregister Schöpfer 88, 140, 154, 318, 345, 348 Schöpfertum 137 Schöpfung 90, 110, 113, 117-118, 120, 122, 130, 136, 146-147, 166, 169, 197, 236, 271 Scholem, Gershom, Von Berlin nach Jerusalem 18, 20, 71 Schule 13, 43-44, 47, 50, 59-60, 67-68, 79, 130, 141-142, 173, 176, 178, 180-181, 220, 228-229, 233, 238, 240-244, 317, 341, 345-346, 349, 355, 360-364, 370, 392, 397-399, 401, 408 –, Berufs- 239 –, deutsche 42, 79 –, Frei- 346 –, freie 141 –, hebräische 341 –, jüdische 34, 43-44, 174, 176, 228, 233, 239-241, 245, 396, 401 –, Ober- 323, 361 Schüler 14, 21, 23, 32, 38-39, 47, 49, 67, 70-71, 74-75, 130-131, 141, 146, 160161, 179, 233, 241-242, 250, 258, 321324, 327-328, 330, 332, 336, 338, 347348, 350-351, 356-357, 359, 361-364, 366, 369, 374-385 Schulwesen 13, 44-45, 180, 275 Seder 221 Seele 27, 87, 91-92, 99, 103, 112-113, 117, 119-122, 124, 126-127, 136, 138-140, 142-143, 145, 147-148, 150-152, 158, 167, 177, 186-188, 216, 231-233, 235, 250, 262, 290, 292, 295-296, 303, 306, 308, 315, 321, 325-326, 330, 338-339, 345-346, 351, 353, 374-375, 378, 384, 393 Sein, das 87, 104, 118, 151, 159, 161, 165166, 187, 236, 242, 250, 256, 259, 277, 282, 290, 328-329, 331, 339, 348-349, 351, 357, 366-367 Selbstanschauung 165 Selbstbestimmung 270, 272, 377 Selbstentdeckung, metaphysische 111 Selbsterziehung 20, 77-81, 153, 372-373, 379 Selbstwahrnehmung 87 Seminar 56, 240, 300, 341-342, 355, 361, 379, 398 Serafim 301 Simon, Ernst, Aufbau im Untergang 28, 55, 398, 402 Sinai 65, 101, 120, 221, 225, 232, 261, 280 Singen, das 283, 343
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Sachregister Sinn des Lebens 77, 174-175, 207-209, 225, 231, 358, 367 Sinnbild 110, 112-113 Solidarität 283 Sophia 61, 260 Sorgen, das 237 Sozialismus 74, 313, 316, 395 –, religiöser 33, 67-68, 74-75 Sozialisten 68 –, jüdische 115 –, religiöse 44 Sozialreform 12 Soziologie 242 SPD 198 Spiel, Spiele 233, 329, 385 Sport 233, 283, 330 Sprache 27, 49, 86-87, 99, 102, 132, 138, 153, 156, 168-170, 174, 176-177, 181, 209, 221, 223, 232-234, 236, 247, 262, 280, 298, 321, 325, 329, 331, 339, 360, 363-364 –, deutsche 48, 385 –, Fremd- 181 –, griechische 176 –, hebräische 78, 80, 176, 181, 222, 238, 240-241, 273, 354, 358, 361, 363 –, religiöse 226 Sprachunterricht 396 Spranger, Eduard, Psychologie des Jugendalters 31 Stapel, Wilhelm, Antisemitismus und Antigermanismus 27 Student, Studenten 42, 51, 56, 64, 133, 302, 341-344, 349, 365-366 Studium 23, 342 Subjekt 22, 138, 140, 142, 165-166, 200, 311, 317, 360 Sünde 166, 226 Sündenfall 224 Synagoge 57, 225 Tagung 223, 387, 389, 393, 398, 401, 403, 407 –, der Jugendvereine 82 –, jüdischer Jugend 223 Talmud 109, 119, 263 Tel Aviv 327, 363, 407 Tempel 60, 225 Terror, arabischer 332 Theologie 226 –, evangelische 134 –, negative 167 –, Offenbarungs- 23
445 Theophanie 110 Toleranz 283 Tora (Thauróh, Thorah) 57, 59, 61, 120, 221, 253 Tosefta 258 Totes Meer 335-336 Tradition 16, 29, 36, 47, 50-51, 61, 68, 72, 75, 115, 120, 122, 158-159, 171, 201, 207, 258-259, 299, 308, 312, 314, 317318, 320, 346, 360, 366, 373, 377 –, chassidische 68 –, jüdische 13, 29, 35, 37, 50, 56, 61-62, 72, 192, 316 –, Kultur- 304, 311 –, nationale 60, 317 –, pädagogische 45, 62 –, prophetische 398 –, religiöse 51, 72 Treue 254, 282, 286, 309, 372 Trieb 138-140, 148-149 –, Urheber- 138-141 Überlieferung 16, 59, 89, 105, 120, 125, 127, 159, 162, 223, 253, 257-259, 263, 290, 296, 304, 308, 358 Übersetzung 11, 27, 69-70, 75, 176, 181, 184, 343, 392-393, 405-406, 408-409 Ulpan, Ulpanim 361 Umgestaltung 90 Umkehr 258 Universität 13, 34, 47, 52-53, 61-64, 74, 132-133, 163, 275, 299-302, 341, 349, 355-356, 360-361, 365-366, 368-369, 381 –, europäische 63 –, jüdische 12, 52, 368 Unmittelbarkeit 86, 89, 151, 236-237, 254, 294, 297, 328 Unterricht 20, 39, 41, 80, 130, 151, 160, 179-181, 228, 232-234, 238-239, 241242, 323, 328, 330, 343, 347, 349-351, 354, 356, 359, 361, 371-372, 387, 397 –, -sfach 240-241 –, -sstoff 177, 181 –, -sstunde 324, 328 –, Abend- 381 –, Deutsch- 177, 233-234 –, Geschichts- 79, 177, 233 –, Geschichts-, jüdischer 79 –, hebräischer 80, 232 –, jüdischer 161 –, Mathematik- 233 –, Religions- 234, 241-242, 347
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446 –, Sprach- 233, 241 –, Zeichen- 141 Ursprung 49, 65, 175, 224, 248, 263, 269, 280, 304, 306, 308, 375, 377 –, jüdischer 175 USA 67, 352, 365 Vater 252-253, 264, 299, 372, 384, 388 Verantwortung 30, 36, 39, 41-42, 46, 91, 129, 144-145, 147, 149, 152-154, 169, 206, 209-210, 213, 218, 223, 283, 286, 293, 297, 303, 329-330, 336, 338, 362, 394 Verband der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands 24, 389, 397 Verbot 337 –, Rede- 58, 61 Verbundenheit 96, 98, 102, 140-141, 143, 149, 152-153, 190-191, 193, 195, 199, 221, 224, 236, 252-255, 263-264, 290 –, Un- 253 –, Ur- 248, 252, 254 Verheißung 59, 86, 88, 186, 354 Verständigungsgemeinschaft 25-26, 104105, 107 Vertrauen 36, 131, 150, 161, 235, 329-330, 332 Verwirklichung 85, 197, 199, 204-205, 212, 217, 260, 269, 278, 285-286, 293, 298, 300-301, 304, 307, 310, 345, 354, 366, 368 Volk 22, 35, 47-49, 53, 60, 64-65, 78-80, 87-89, 92, 95-97, 100-103, 112-115, 119, 122, 126, 156, 164, 173, 190, 192, 194, 221, 223, 225, 227, 230, 234-236, 245, 252-253, 257, 268-272, 274, 280, 290, 300, 305-307, 310, 312-313, 315-316, 318-320, 322, 332, 342, 346, 348, 351352, 354-355, 358, 367-369, 377-379, 389, 406-410 –, Bruder- 305 –, dänisches 346, 377 –, deutsches 28, 47-48, 234, 247, 411 –, Gottes- 166, 252-254, 280 –, jüdisches 22-23, 26, 28, 34, 48, 60-61, 65, 88, 92, 107, 126, 269-272, 275, 306, 312, 314, 341, 343 –, ostjüdisches 80 Volk Israel 22, 119-120, 221-223, 227, 230, 232-233, 235-238, 246-248, 252, 257, 259, 271, 287, 305-306, 309, 314, 316, 354 Völker 27, 79, 84-85, 88-90, 92, 106, 108,
Sachregister 114, 128, 134, 163, 174-175, 186, 220221, 225, 236, 245, 247, 254, 257, 259, 262-263, 267, 272, 276, 283, 290, 301, 304, 312-313, 409 Volksaufklärung 345 Volksbildung 13, 18, 35, 46-48, 52, 62, 64, 66, 72, 345-346, 348, 350, 377, 380, 393, 410 –, -sarbeit 347 –, -sbewegung 67, 345, 348-349 –, zionistische 51, 62, 64 Volksbildungsaufgabe 47 Volksbildungswesen 244 Volkserziehung 33, 37, 47, 59-60, 155, 158, 164, 251-254, 268-269, 310, 341, 346, 357 –, -sarbeit 160, 162 –, jüdische 54, 59, 252-254 –, zionistische 53 Volksgeist 124-125, 308 Volksgemeinschaft 24, 26 Volksheim 20, 388 Volkshochschulbewegung 33, 47 Volkshochschule 13, 18, 34, 37, 41, 47-48, 52-54, 56, 132-133, 160-161, 163-164, 244, 275, 346-350, 377, 391, 409 –, Landes- 162-163, 310 Volkshochschulheime 53, 160-162 Volkskunde 240 Volksmythos 87 volkspädagogisch 13 Volksreligion 113 Volksschule 13, 180, 239, 323, 349 Volksseele 114, 119, 123 –, jüdische 88 Volkstum 27, 77-79, 83, 85, 87-89, 96, 98, 106, 113, 116, 123, 271, 276, 281, 283 –, deutsches 27, 234, 236 Volkswerdung 252 Vorbild 23, 35, 38, 56, 79-80, 141-142, 229, 266, 299, 303, 409 Vorlesung 38, 240, 242, 355, 361, 371, 380 Wahrheit 77, 80, 84-85, 88, 92, 97, 109, 113, 115, 117-120, 122, 127, 135, 142, 144-145, 150-151, 153, 155, 157, 181, 185-186, 199, 204, 210-212, 217, 223224, 226, 232, 238, 255, 262, 270, 272274, 276-277, 281-283, 285-287, 291293, 295-297, 305-307, 329-330, 333, 345, 354, 372, 383
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Sachregister Weisung 59, 145, 253, 260-261 Weizmann, Chaim, Eine jüdische Hochschule 368 Weltanschauung 61, 165-167, 214, 279281, 284-286, 376 –, philosophische 165 –, religiöse 165 Weltbund für Erneuerung der Erziehung 32, 38, 69, 390, 392, 402, 410 –, Blätter des 385, 410 Weltfrieden 223, 227, 398 Weltkunde 180, 323 Werkleute 27-28, 398 Werte 46, 77-78, 80, 128, 141, 147, 176177, 234-236, 238, 246, 257-258, 262, 290, 317, 331, 333-334, 338-339, 353354, 358, 397 –, ewige 77, 354 –, Grund- 236 –, jüdische 78-80, 176-178, 220 –, nationale 354 –, universale 331, 354 –, Ur- 177 Wiedergeburt 90, 122, 188, 258, 307, 339, 342, 358 –, nationale 12, 37, 54, 304, 312 Wirklichkeit 30, 33, 41, 81, 89, 103, 110, 121, 134, 136-138, 142-143, 145-151, 153, 171-176, 187, 190, 202, 205-206, 208, 211, 213, 217, 222, 224-226, 230, 234, 237, 242, 258, 260, 272, 275, 280, 282-283, 285-286, 291, 296-297, 303, 327, 329, 345-347, 350-351, 354, 357, 369, 372-373, 379, 382-384 Wirkung 11-12, 21, 40, 44, 67-68, 71, 75, 160, 258, 267, 295, 328-329, 350, 359 Wirkungsgeschichte 73
447 Wissenschaft 126, 134, 166, 321, 343, 347, 366, 368, 380, 382 –, Bibel- 134 –, des Judentums 134-135, 368 –, Geistes- 162, 357, 369 –, Geschichts- 166 –, Gesellschafts- 357 –, jüdische 368 –, Natur- 162, 343 Working Men’s College 376 Wyneken, Gustav, Was ist Jugendkultur 29 Zeitgeist 22, 30, 200-202, 205 Zeus 145 Zion 22, 33, 35, 65, 84, 88-90, 92, 127, 225, 306, 314, 367 Zionismus 16, 21-22, 25-28, 33-34, 37, 46, 51-52, 60, 62, 64, 74, 82, 92, 157, 265, 268-272, 352-353, 387-388, 397-398, 403 –, pädagogischer 54 –, politischer 51, 53-54 Zionist, Zionisten 26, 42-44, 52-54, 56, 65, 70-71, 81-83, 92, 105, 155, 157, 269-270, 273, 275, 277, 319, 387, 401 Zionistische Exekutive 368 Zionistischer Weltkongreß 356 Zivilisation 81, 169, 224, 299, 311, 313, 319 Zögling, Zöglinge 36, 39-40, 46, 142, 145147, 150-153, 160, 239, 258, 303, 327332, 336, 338-339, 354 Zukunft 38, 65, 89, 115, 122, 172, 204, 225, 249, 255, 284-286, 310, 354, 364365, 368 Zunz, Leopold, Bibelübersetzung 183 Zwang 59, 84, 143, 255, 306, 387
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Personenregister Achad Ha’am (Ascher Ginzberg) (1856-1927): hebr. Schriftsteller und zionistischer Theoretiker; Begründer des Kulturzionismus, der nicht wie Herzl den »Judenstaat«, sondern Palästina als geistiges Zentrum des Judentums anstrebte. 36, 262 Addams, Jane (1860-1935): amerik. Sozialreformerin; gründete 1889 das Nachbarschaftsheim Hull House in Chicago; Pazifistin, Friedensnobelpreis 1931. 20 Adler-Rudel, Shlomo (1894-1975): 1919-1930 führender Repräsentant im jüd. Wohlfahrtswesen; 1936 Emigration nach England; 1945 Auswanderung nach Israel; ab 1958 Direktor des Leo Baeck Instituts in Jerusalem. 388 Agag (11./10. Jh. v. Chr.): König der Amalekiter. 119 Akiba (Akiva) ben Joseph, Rabbi (um 50-136 n. Chr.): bes. bedeutungsvoll für die Ausbildung der halachischen Tradition; unterstützte den Bar Kochba-Aufstand gegen Rom (132-135); erlitt ca. 136 den Märtyrertod. 119, 253, 263 Amos (8. Jh. v. Chr.): bibl. Prophet. 91 Apfel, Alfred (1882-1941): Rechtsanwalt und Notar in Berlin; 1909-1922 Präs. des VJJD; ab 1926 Vors. der Zionistischen Vereinigung Berlin. 104 Arendt, Hannah (1906-1975): existenzialistische Philosophin und Politikwissenschaftlerin; 1933 Emigration in die USA; verfaßte u. a. Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (amerik. 1951, dt. 1955). 46, 74 Aristoteles (384-322 v. Chr.): griech. Philosoph; Schüler Platons und Lehrer Alexandros’ III. von Makedonien (Alexander der Große). 325 Arlosoroff, Victor Chaim (1899-1933): ukr. Schriftsteller und Zionist; 1905-1924 in Deutschland; Führer des Hapoel Hatzair; 1930 Leiter der pol. Abteilung der Jewish Agency; 1933 ermordet. 388 Aschmodai 291 Assagioli, Robert (1888-1974): Schüler und Wegbereiter Freuds in Italien; Mitglied der Züricher Freud-Gesellschaft. 410 Avenarius, Ferdinand (1856-1923): dt. Schriftsteller; Herausgeber der Zeitschrift Der Kunstwart und Gründer des Dürerbundes. 428 Ba’al Schem Tow, d. h. Meister des guten Namens, eig. Israel ben Elieser (17001760): Begründer der chassidischen Bewegung. 36, 38, 119, 185 Bacon, Francis (1561-1626): engl. Philosoph, Schriftsteller und Politiker. 376, 410 Baeck, Leo (1873-1956): führender dt. Rabbiner des liberalen Judentums; 1933 Präs. der Reichsvertretung der deutschen Juden; 1943 deportiert nach Theresienstadt; lebte ab 1945 in London. 400-401 Bakule, Franticˇek (1877-1957): tschech. Musikpädagoge; berühmt für seine Arbeit mit behinderten Kindern im mehrstimmigen Chorgesang. 139 Barth, Karl (1886-1968): schweiz. prot. Theologe; Begründer der dialektischen Theologie. 167 Baruch von Mesbizˇ, Rabbi (1756-1811/12): Enkel des Ba’al Schem. 185 Bauer, Felice (1887-1960): Verlobte Franz Kafkas. 20
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Bäuerle, Theodor (1882-1956): Mitglied des Hohenrodter Bundes; 1947-1951 württembergischer Kulturminister. 13, 394 Bäumer, Gertrud (1873-1954): Führerin der dt. Frauenbewegung; Reichstagsabgeordnete der DDP (ab 1929 der DStP); Ministerialrätin in der Schulabteilung des Reichsinnenministeriums; 1933 ihrer Ämter enthoben; Romanautorin. 39 Ben Gavri’el, Ya’akov: siehe Hoeflich, Eugen. Benda, Julien (1867-1956): franz. Schriftsteller, Journalist, Novellist und Philosoph; Hauptwerk La Trahison des clercs (1927); Führer der Anti-Romantischen Bewegung in der franz. Kritik gegen Henri Bergson. 223 Berdyczewer Rabbi, Lewi Jitzchak, (1740-1809): chassidischer Rabbi. 237 Bergmann, Shmuel Hugo (1883-1975): östr. Philosoph und Zionist; seit 1920 erster Direktor der Jüdischen Nationalbibliothek; ab1933 Prof. für moderne Philosophie an der Hebräischen Univ. Jerusalem; 1935-1938 deren erster Rektor. 388 Berliner, Cora (1890-1942): dt. Sozialwissenschaftlerin; Vorsitzende des VJJD; Regierungsrätin im Reichswirtschaftsministerium; 1942 deportiert. 24, 104-107 Bernfeld, Siegfried (1892-1953): östr. Schriftsteller, Pädagoge; Freudschüler; kam aus der Jugendbewegung im Umkreis von Gustav Wyneken; Begründer des jüd. Kinderheims Baumgarten in Wien 1918/19; Herausgeber der Zeitschrift Jerubaal; 1920 Sekretär bei Buber für die Redaktion von Der Jude; ab 1940 in den USA; zuletzt Prof. für Psychologie in San Francisco. 18, 21, 23, 388 Bialik, Chaim Nachman (1873-1934): russ.-jüd. Schriftsteller, Schöpfer moderner hebräischer Lyrik und Prosa; gehörte zum Kreis um Achad Ha’am in Odessa; 1921 Übersiedlung nach Dtl.; ab 1924 lebte er bis zu seinem Tod in Tel Aviv. 116 Bjørnson, Bjornstjerne (1832-1910): norweg. Dichter; 1903 Nobelpreis für Literatur; kämpfte für die Unabhängigkeit Norwegens. 348 Blumenfeld, Kurt (1884-1963): führender Zionist; 1924-1933 Präs. der Zionistischen Vereinigung für Deutschland; 1936 Präs. des Keren Hajessod in Jerusalem. 387 Bohnsack, Fritz (geb. 1923): Prof. für Schulpädagogik in Essen. 72-73, 75 Bolzano, Bernhard (1781-1848): böhm. Philosoph, Logiker, Mathematiker, Religionswissenschaftler und utopischer Sozialist; Priester und Prof. für philos. Religionslehre in Prag; einflußreich für die Entwicklung der Existenzphilosophie. 345, 350 Bondy, Curt Werner (1894-1972): Psychologe und Sozialpädagoge; Mitarbeit an der Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung; 1936-1938 Leiter des Lehrgutes Groß Breesen; nach Inhaftierung im KZ Buchenwald 1938 Emigration in die USA; 1940-1950 Univ. Richmond, VA; danach bis 1959 Prof. für Psychologie in Hamburg. 29, 57-58 Brauer, Erich (Lebensdaten nicht zu ermitteln), Mitbegründer der Zeitschrift Der Anfang. 18 Brod, Max (1884-1968): östr. Schriftsteller, Freund Hugo Bergmanns, Franz Kafkas
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und der Brüder Weltsch; Mitglied des Vereins Jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; 1939 Emigration nach Palästina; Dramaturg der Habima in Tel Aviv. 387 Buber, Rafael (1900-1990): Sohn von Martin und Paula Buber. 12, 23, 93 Calvary, Moses (1876-1944): 1910-1914 Lehrer in Palästina; ab 1921 am hebr. Gymnasium in Ponercz/Litauen; 1922 Auswand. nach Palästina (Arbeit in Jugenddörfern Schefejah, Ahawah, Ben Shemen); Pädagoge, Schriftsteller und Aktivist in der zionistischen Bewegung. 388, 395 Cassirer, geb. Schmitz, Eva (1885-1974): Jugendfreundin und Schwägerin von Edith Geheeb-Cassirer; seit 1920 mehrere längere Aufenthalte als Lehrerin in der Odenwaldschule. 70, 408 Claudius, Matthias (1740-1815): dt. Lyriker und Volksschriftsteller. 178, 396 David (11./10. Jh. v. Chr.): zweiter König Israels. 119 Dehmel, Richard (1863-1920): dt. Dichter des Jugendstil. 173 Dewey, John (1859-1952): amerik. Philosoph aus der Gruppe der Pragmatisten; Prof. an der University of Chicago (1894-1904) und der Columbia University (bis 1930); Schriften zur Pädagogik, Anthropologie und Erkenntnistheorie. 36, 4647, 65, 75, 334 Dilthey, Wilhelm (1833-1911): dt. Philosoph; seit 1882 Prof. an der Berliner Univ.; Lehrer Bubers. 32 D’Israeli, Benjamin (1804-1881): brit. Schriftsteller und Politiker aus jüdisch-sefardischer Familie, Premierminister unter Königin Victoria (1868 und 18741880). 376, 410 Döblin, Alfred (1878-1957): dt. Schriftsteller und Arzt; 1933 Emigration nach Frankreich, 1940 in die USA. 391 Dormann, Menachem (1907-1994): Mitbegründer des 1926 gegründeten Kibbutz Cheruth, nach der Auswanderung nach Palästina Mitbegründer des Kibbutz Givat Brenner. 26, 28 Dow Baer, Rabbi, der Maggid von Mesritsch (1704-1772): Schüler des Ba’al Schem Tow; gen. der Große Maggid. 38 Dushkin, Alexander Mordechai (1890-1976): isr. Pädagoge US-amerikanischer Herkunft. 319 Eisenstadt, Shmuel Noah (geb. 1923): Prof. für Soziologie an der Hebräischen Univ. in Jerusalem, seit 1990 emeritiert. 49, 64, 68 Elija (9. Jh. v. Chr.): bibl. Prophet. 101, 389 Erdberg, Robert von (1866–1929): 1896 Leiter der Abt. Volksbildung der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen; ab 1919 im preußischen Kultusministerium; Mitbegründer des Hohenrodter Bundes. 13, 394 Erdmann, Otto (1883-1960): dt. Pädagoge; Mitarbeiter an der Odenwaldschule. 13, 70 Esau (bibl.): Sohn Isaaks und Zwillingsbruder Jakobs. 263
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Esther (5. Jh. v. Chr.): Frau des persischen Königs Ahasverus (Xerxes I.), entstammte dem Stamm Benjamin. 178 Etzioni, Amitai (Werner Falk) (geb. 1929): emigrierte 1939 nach Palästina; Prof. an der George Washington University; führender Vertreter des kommunitarischen Liberalismus; Schüler Bubers. 75 Feiwel, Berthold (1875-1937): östr. Schriftsteller; zionistischer Aktivist; gründete mit Buber u. a. den Jüdischen Verlag Berlin; entwarf mit Buber und Weizmann den Plan zur Gründung einer Hebr. Bibliothek und einer Univ.; ab 1933 in Palästina; Herausgeber des Jüdischen Almanachs und Übersetzer der Lieder des Ghetto v. Morris Rosenfeld. 12, 51, 299, 368 Ferrière, Dr. Adolphe (1879-1960): schweiz. Pädagoge; arbeitete im Landerziehungsheim von Ilsenburg; Theoretiker der neuen Erziehung; Mitbegründer des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung. 32 Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814): 1794-1799 Philosophieprof. in Jena; 1807/08 Reden an die deutsche Nation; erster Rektor der 1810 gegründeten Berliner Univ. 55, 312 Flitner, Wilhelm August (1889-1990): Erziehungswissenschaftler; 1919-1926 Studienrat und Leiter der VHS Jena; 1926-1957 Prof. der Pädagogik in Kiel und Hamburg (ab 1929). 18, 47, 74, 392 Freire, Paulo (1921-1997): brasil. Begründer der »Pädagogik der Unterdrückten«; entwickelte eine sehr erfolgreiche Alphabetisierungsmethode. 75 Friedländer, Fritz (1901-1980): Studienrat und Mitarbeiter an der CV-Zeitung Der Morgen (1919-1938); 1933-1938 Lehrer an jüd. Schulen in Berlin. 43 Geheeb, Paul (1870-1960): Pädagoge; ab 1902 bei Hermann Lietz im Landerziehungsheim Haubinda; 1906 gemeinsam mit Gustav Wyneken Gründung der Freien Schulgemeinde Wickersdorf; 1910 gründet er mit seiner Frau Edith GeheebCassierer die Odenwaldschule (1910-1934); 1934 Emigration in die Schweiz; Gründung der Ecole d’Humanité (nahe Genf). 32, 37, 41, 69-71, 370, 407-409 Geheeb-Cassirer, Edith (1885-1982): Frau von Paul Geheeb, mit dem zusammen sie zunächst die Odenwaldschule leitete, nach der Emigration aus Deutschland 1934 in der Schweiz die Ecole d’Humanité. 70 Gerson, Hermann (Menachem) (1908-1989): Jugendführer; Gründer der Werkleute, einem zionistischen Bund; 1933/34 Auswanderung nach Palästina; Gründung des Kibbutz Hasorea; führender Erziehungswissenschaftler der Kibbutzbewegung. 27-28, 43, 51, 60, 67-68, 398-400, 402 Glatzer, Nahum (1903-1990): Historiker, Schüler Bubers an der Universität Frankfurt, 1933 Emigration; 1950-1973 Prof. an der Brandeis University, USA. 51, 56, 249 Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832): Dichter, Humanist und Universalgelehrter der dt. Klassik. 178 Gordon, Aharon David (1856-1922): Religionsphilosoph und Sozialist; 1904 Emi-
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gration nach Palästina; führende Persönlichkeit der Kibbutzbewegung und des Hapoel Hatzair; zahlreiche Schriften über die »Religion der Arbeit«. 314 Gotthelf, Jeremias (1797-1854): schweiz. Pfarrer und Schriftsteller. 179, 396 Grundtvig, Nicolai Frederik Severin (1783-1872): dän. Theologe, Schriftsteller, Pädagoge, der durch die Entwicklung der Volkshochschulidee international bekannt wurde. 47, 52, 66, 161, 345-349, 356, 377-378, 382, 409 Grünewald, Max (1899-1992): 1925-1938 Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Mannheim; Mitglied der Reichsvertretung der Juden in Deutschland; 1945 Mitgründer und Vorsitzender des Leo Baeck Instituts New York. 401 Guardini, Romano (1885-1968): dt. kath. Theologe und Religionsphilosoph. 394 Haman (5. Jh. v. Chr.): Hofbeamter unter Holofernes (Xerxes I.). 178 Hamann, Johann Georg (1730-1788): dt. Schriftsteller und Philosoph; studierte in Königsberg u. a. Theologie; durch seine Auseinandersetzung mit der Bibel hatte Hamann auf einer Londonreise 1757/58 ein Erweckungserlebnis und kämpfte von nun an leidenschaftlich gegen die zeitgenössische Aufklärungsphilosophie. 43, 137, 229 Hatzfeld, Adolf von (1892-1957): dt. neoromantischer Schriftsteller. 394 Hebbel, Friedrich (1813-1863): dt. Dramatiker, Lyriker, Erzähler. 178, 396 Heine, Heinrich (1797-1856): dt. Dichter und Publizist des Vormärz. 376, 410 Herder, Johann Gottfried (1744-1803): Theologe und Philosoph; seine Sprachund Völkerphilosophie beeinflußte die romantische Bewegung. 43, 229, 246 Herzl, Theodor (1860-1904): östr. Journalist; gilt seit der Schrift Der Judenstaat als Initiator des pol. Zionismus; erster Präs. der zionistischen Weltorganisation. 16, 315 Hess, Moses (1812-1875): Schriftsteller und Journalist; in seinem Buch Rom und Jerusalem. Die Nationalitätenfrage (1862) fordert er die Errichtung eines jüd. Nationalstaats in Palästina. 314 Heydorn, Hans-Joachim (1916-1974): Erziehungswissenschaftler an der Univ. Frankfurt a. M. 410 Hirsch, Otto (1885-1941): Jurist in der württembergischen Verwaltung; seit 1933 Vorsitzender der Reichsvertretung der deutschen Juden; ermordet im Konzentrationslager Mauthausen. 240, 243, 400-401 Hirsch, Samson Raphael (1898-1888): ab 1851 Rabbiner in Frankfurt a. M.; Begründer der deutschen Neoorthodoxie. 120 Hoeflich, Eugen, später Moshe Ya’akov Ben Gavri’el (1891-1965): isr. Schriftsteller östr. Herkunft. 388 Hoffer, Wilhelm (Willi) (1897-1967): Psychoanalytiker, nach dem Ersten Weltkrieg enger Mitarbeiter von Siegfried Bernfeld; Präs. der British Psychoanalytical Society und Herausgeber des International Journal of Psychoanalysis. 388 Holofernes (6. Jh. v. Chr.): babylonischer Feldherr unter Nebukadnezar II. 178 Humboldt, Wilhelm von (1767-1835): preußischer Politiker und Philosoph; Gründer der Berliner Univ. 43, 229
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Hutchins, Robert Maynard (1899-1977): Erziehungswissenschaftler; Präs. der University of Chicago; besonders einflußreich in der US-amerik. Erwachsenenbildung. 410 Ibn Esra, Abraham ben Meir oder Abraham Judaeus, Avenezra, Avenare, arab.: Ibraham abu Ishak ibn al-ajid ibn Ezra, abgekürzt RABa’, (um 1089-1164): jüd. Exeget, Philosoph, Astrologe, Astronom, Dramatiker und Dichter; seine Kommentare finden sich in allen rabbinischen Bibelausgaben. 183 Isaak (bibl.): einer der Patriarchen; Sohn Abrahams. 263 Jakob, auch Israel (bibl.): einer der Patriarchen; Sohn Isaaks. 263, 270 Jeremija, (7./6. Jh. v. Chr.): bibl. Prophet. 80, 91 Jesaja (8. Jh. v. Chr.): bibl. Prophet. 270 Jesus von Nazareth (um 0-30 n. Chr.): zentrale Gründergestalt des Christentums. 91 Josua (um 1200 v. Chr.): bibl. Führer des Volkes Israel nach Kanaan. 84 Judith (6. Jh. v. Chr.): bibl. Heldin im Kampf gegen die Babylonier. 178 Kafka, Franz (1983-1924): östr. Schriftsteller, dem Prager Kreis um Max Brod, Felix Weltsch und Franz Werfel nahe. 20 Kant, Immanuel (1724-1804): dt. Philosoph; Begründer der dt. idealistischen Philosophie. 36, 165, 207, 334 Kantorowicz, Ernst (1892-1944): Prof. für Staatsbürgerkunde und Sozialwissenschaften am Staatlichen Berufspädagogischen Institut in Frankfurt a. M., 1933 entlassen; 1944 in Auschwitz ermordet. 57 Kantorowicz, Ernst Hartwig (1895-1963): amerik. Historiker deutscher Herkunft. 57, 251 Kaplan, Mordechai (1881-1983): Gründer des Reconstructionist movement; ab 1909 Prof. am Jewish Theological Seminary New York. 365 Keller, Gottfried (1819-1890): schweiz. Dichter und Lyriker. 178 Kerschensteiner, Georg (1854-1932): dt. Pädagoge, der praktisch als Schulpolitiker und theoretisch als Autor und akademischer Lehrer die großen Reformen, die seit den 1890er Jahren im deutschen Schulwesen stattfanden, prägte. 36, 46-47, 65, 331-332, 334, 396, 407 Key, Ellen (1849-1926): schwed. Reformpädagogin und Frauenrechtlerin; durch ihr Werk Das Jahrhundert des Kindes (1900, dt. 1905) einflußreich für die deutsche reformpädagogische Bewegung. 12, 70 Kimchi, Rabbi David (RaDaK) (1160-1235): jüd. Philologe und Bibelexeget; lebte in Narbonne in Südfrankreich; verfaßte neben seinen Kommentaren zur Bibel auch Schriften zur hebräischen Grammatik; verteidigte Moses ben Maimon und dessen Schrift Führer der Verwirrten gegen Anfechtungen. 183 Kold, Christian (1816-1870): dän. Theologe und Lehrer; bedeutendster Mitarbeiter des dän. Begründers der Volkshochschule N.F.S. Grundtvig; einflußreich für die Entwickl. des dän. Bildungswesens nach 1864. 348 Konfuzius (551-479 v. Chr.): chin. Philosoph. 357, 373-374, 383-384
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Kropotkin, Pjotr Alexejewitsch (1842-1921): russ. anarchistischer Theoretiker und Revolutionär. 65 Landauer, Gustav (1870-1919): dt. Schriftsteller und Anarchist; seit 1900 mit Buber befreundet; 1918 in der Münchener Revolution aktiv; als Mitglied der Regierung der bayrischen Räterepublik 1919 durch Soldaten der Reichswehr ermordet. 33, 35, 65, 395 Lassalle, Ferdinand (1825-1864): Politiker und Publizist; radikaler Demokrat und Sozialist; Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, dessen erster Präs. er war. 198, 355 Lavater, Johann Caspar (1741-1801): schweiz. prot. Theologe, der zwischen Pietismus und Aufklärung vermittelte. 120 Lehmann, Siegfried (1892-1958): gründete als Medizinstudent in Berlin in Anlehnung an die angloamerik. sozialreformerische Settlement-Bewegung das Jüdische Volksheim; leitete später ein Waisenhaus in Kaunas (Litauen); 1928 nach Palästina ausgewandert, um dort das Kinderdorf Ben Shemen zu gründen. 18, 20, 65, 70, 388, 395 Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781): dt. Dramatiker und Literaturtheoretiker der Aufklärung; befreundet u. a. mit Moses Mendelssohn und Friedrich Nikolai; 1779 erschien sein bekanntestes Drama Nathan der Weise. 246 Levinas, Emmanuel (1906-1995): franz. Philosoph. 74 Lichtwark, Alfred (1852-1914): Direktor der Hamburger Kunsthalle; Begründer des Deutschen Kunsterziehertages. 12 Liebknecht, Wilhelm (1826-1900), dt. Journalist und sozialdemokratischer Politiker. 410 Lietz, Hermann (1868-1918): Reformpädagoge; gründete die ersten Landerziehungsheime (Ilsenburg 1898, Haubinda 1901, Biberstein 1904). 439, 448 Lindsey, Ben B. (1869-1943): Jurist und Sozialreformer; nach dem Ersten Weltkrieg führender Politiker der Progressive Party, der außer zur Strafrechts- und Strafvollzugsreform in den zwanziger Jahren durch Schriften zur Geburtenkontrolle, zum Frauenwahlrecht und »freier Liebe« bekannt wurde. 30, 213-214 Litt, Theodor (1890-1962): dt. Philosoph und Pädagoge; seit 1920 Prof. in Leipzig, ab 1947 an der Univ. Bonn. 38-40, 74 Lubinski, Georg (Giora Kotan) (1902-1974): Sozialarbeiter; 1933-1938 Direktor der Abt. Berufsausbildung der Reichsvertretung der deutschen Juden in Berlin; 1938 Emigration nach Palästina; führender Sozialpolitiker in Palästina/Israel. 398 Luther, Martin (1483-1546): Mönch, Theologe; dt. Reformator der Kirche. 28 Magnes, Yehuda Leib (1877-1848): amerik. Rabbiner; Kanzler und Präs. der Hebräischen Univ. Jerusalem. 369 Maimon, Moses b., auch Maimonides oder RaMbaM (1135-1204): jüd.-seph. Religionsphilosoph, Bibelkommentator und Arzt; der in Cordoba geborene Moses b. Maimon ist einer der bedeutendsten jüdischen Gelehrten des MA; zu seinen wich-
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tigsten Schriften gehören das religionsphilosoph. Werk Führer der Verwirrten und das Kompendium zum jüdischen Religionsgesetz Mishne Torah; in Teilen des osteuropäischen Judt. waren seine Werke umstritten, da er versuchte, die aristotelische Philosophie mit der jüdischen Offenbarungsreligion in Einklang zu bringen. 119 Mann, Heinrich (1871-1950): dt. Schriftsteller und pol. Publizist; emigrierte 1933 zunächst nach Frankreich, dann in die USA. 391 Mann, Thomas (1875-1955): dt. Schriftsteller; Nobelpreisträger 1929; emigrierte 1933 zunächst in die Schweiz, dann in die USA. 391 Mannheim, Karl, i. e. Károly Mannheim (1893-1947): brit.-dt. Soziologe und Pädagoge östr.-ung. Herkunft. 31 Martin V. (1368-1431): Papst, mit seiner Erhebung 1417 auf dem Konzil von Konstanz endete das seit 1378 andauernde Abendländische Schisma. 389 Mauthner, Fritz (1849-1923): Philosoph und Schriftsteller; verfaßte in der Reihe Die Gesellschaft den Band Die Sprache. 391 Mazzini, Giuseppe (1805-1872): ital. Freiheitskämpfer; Führer des Risorgimento. 312 Mendelssohn, Moses (1729-1786): Philosoph und Bibelübersetzter; zentrale Gestalt und Begründer der Berliner Haskala, der jüdischen Aufklärung. 120 Michel, Ernst (1889-1964): Religionsphilosoph, Sozialpsychologe und Psychotherapeut; Mitglied im Hohenrodter Bund; nach 1945 Professur in Frankfurt a. M. 392, 394 Michelangelo Buonarotti (1475-1564): ital. Bildhauer der Renaissance. 303 Mickiewicz, Adam (1798-1855): poln. Nationaldichter. 305, 312, 405 Moses (13. Jh. v. Chr.): bibl. Führer des jüd. Volkes; empfing die Zehn Gebote und die Tora auf dem Berg Sinai. 37, 89, 118-120, 280 Moses, Walter (1892-1955): Mitbegründer des jüd. Wanderbundes Blau-Weiß; seit 1919 Mitglied und Präs. der Zionistischen Vereinigung für Deutschland. 390 Müntz, Hermann (Chaim) (1884-1956): russ.-poln. Zionist; gebürtig aus Lodz; 1914-1916 an der Odenwaldschule. 70 Natorp, Paul (1854-1924): Philosoph und Pädagoge; ab 1885 Prof. an der Univ. Marburg; gehört zu den Gründern der Marburger Schule. 13 Nietzsche, Friedrich (1844-1900): dt. Philosoph. 22, 29, 38, 146, 177, 207-208, 296 Nobel, Nehemia A. (1871-1922): Rabbiner der Frankfurter orthodoxen Gemeinde. 56 Nohl, Herman (1879-1936): Reformpädagoge; gründete 1919 mit Heinrich Weinel und Reinhard Buchwald die Jenaer Volkshochschule; 1920 Prof. für Pädagogik in Göttingen. 22, 33, 407 Otto, Berthold (1859-1933): Pädagoge; gründete 1902 in Berlin seine Hauslehrerschule. 12 Ovid (43 v.-18 n. Chr.): röm. Dichter. 140
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Owen, Robert (1771-1851): brit. Unternehmer und Sozialreformer. 65 Pappenheim, Bertha (1859-1936): Sozialreformerin und Gründungsmitglied des Jüdischen Frauenbundes von Deutschland. 429 Pannwitz, Rudolf (1881-1969): Schriftsteller und Kulturphilosoph; schrieb den Band Die Erziehung für Die Gesellschaft. 257 Pestalozzi, Johann Heinrich (1746-1827): schweiz. Pädagoge. 151 Pindar (um 522-445 v. Chr.): griech. Dichter 37-38 Platon (um 427-348 v. Chr.): griech. Philosoph; Schüler des Sokrates und Lehrer des Aristoteles. 146, 326 Plutarch (um 45-um 125): griech. Schriftsteller. 296 Prager, Joseph (1885-nicht zu ermitteln): dt. Arzt; 1913-1922 Arzt in Kassel; 1922-1926 ordentlicher Hörer am Breslauer Rabbinerseminar; ab 1932 Nervenarzt in Haifa. 269 Prinz, Joachim (1902-1988): Lehrer am Theologischen Seminar in Berlin; emigrierte 1937 in die USA; ab 1946 Mitglied und später Vizepräs. und Vorsitzender des WJC. 398 Proudhon, Pierre Joseph (1805-1865): franz. Frühsozialist und Schriftsteller. 65 Rappaport, Ernst Eliyahu (1889-1952): östr. Dichter und Zionist; Freund Bubers. 388-389 Raschi (Akronym für Rabbi Schelomo Jitzchaki) (1040-1105): der bedeutendste jüd. Bibel- und Talmudexeget, dessen Kommentare sich in allen rabbinischen Bibel- und Talmudausgaben finden. 183 Reichwein, Adolf (1898-1944): Reformpädagoge und Politiker; organisierte bis 1929 die Erwachsenenbildung in Thüringen; ab 1928 Prof. für Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule in Halle a. d. Saale; als Mitglied des Widerstandes gegen Adolf Hitler 1944 hingerichtet. 13 Rosenstock, Eugen, nach der Emigration Rosenstock-Huessy (1888-1973): dt. Rechtshistoriker, Sprachwissenschaftler, Kulturphilosoph und Soziologe; ab 1921/ 22 Direktor der Akademie der Arbeit der Frankfurter Univ.; bis 1933 Ordinarius in Breslau; stellvertretender Direktor des Weltbundes für Erwachsenenbildung; emigriert 1935 in die USA; Prof. am Dartmouth College in Hannover, NH. 18, 40, 47, 394 Rosenzweig, Franz (1896-1929): dt. Philosoph; übersetzte mit Buber die Bibel; 1919 Leiter der jüdischen Volkshochschule (ab 1920 Freies Jüdisches Lehrhaus); anders als Buber vertrat er eine Rückbesinnung auf das traditionelle Judentum und stand dem Zionismus kritisch gegenüber. 13, 18, 27, 50-51, 56-57, 62, 70, 249-250, 269, 301, 398 Roth, Heinrich (1906-1983): dt. Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher. 73 Rotten, Dr. Elisabeth (1882-1964): Reformpädagogin; Mitbegründerin zahlreicher Gremien und Foren (u. a. Zeitschriftenherausgabe) zur Reform der Erziehung; 1934 Emigration in die Schweiz; nach 1945 Mitbegründerin des Internationalen
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Pestalozzi-Kinderdorfes in Trogen; ab 1947 Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Berlin. 12, 32, 69, 390 Rousseau, Jean-Jacques (1712-1778): schweiz.-franz. Philosoph und Schriftsteller; ab 1742 in Paris; Mitarbeiter der Encyclopédie; Autor von Émile und Der Gesellschaftsvertrag (bd. 1762), die als Klassiker der erziehungstheoretischen bzw. gesellschaftspolitischen Literatur der Aufklärung gelten. 229, 246 Salomo (10. Jh. v. Chr.): israelitischer König; Sohn Davids. 291, 405 Sandbank, Jakov (1898-1939): in den zwanziger Jahren Redakteur von Hapoel Hatzair in Deutschland; 1926 Auswanderung nach Palästina; Bildungsbeauftragter der Histadruth. 64, 310, 406 Saul (11./10. Jh. v. Chr.): erster König Israels. 119 Saxl, Fritz (1890-1948): Kunsthistoriker; Direktor der Warburg-Bibliothek und Prof. in Hamburg; ab 1933 in London Direktor des Warburg-Instituts. 388 Scharrelmann, Heinrich (1871-1940): Lehrer; Repräsentant der päd. Reformbewegung. 12 Schiller, Friedrich (1759-1805): dt. Dichter und Dramatiker. 94 Schleiermacher, Friedrich (1768-1834): dt. prot. Theologe und Philosoph; Mitglied des frühromantischen Kreises um Friedrich Schlegel. 32 Schocken, Salman (1877-1959): Wirtschaftsführer und Zionist; Inhaber des Schokken Verlages (gegr. 1931); Schatzmeister und Vorsitzender des Executive Council der Hebräischen Univ. Jerusalem. 387 Scholem, Gershom, geb. als Gerhard Scholem (1897-1982): lehrte ab 1925 an der Hebräischen Univ. Jerusalem jüd. Studien und Kabbala; ab 1941 Prof.; 1968-1974 Präs. der Israelischen Akademie der Wissenschaften und Geisteswissenschaften. 18, 20, 71, 387-388 Senator, Werner (1896-1953): zunächst in der Berliner Sozialfürsorge tätig; 1924 in Berlin und Paris im American Joint Distribution Committee; 1949-1953 geschäftsführender Vizepräs. der Hebräischen Univ. Jerusalem. 388 Shazar, Shneur Zalman (1889-1974): zionistischer Politiker; erster Erziehungsminister (1949) und dritter Präs. des Staates Israel (1963-1973). 360 Siegmund-Schultze, Friedrich (1885-1969): dt. prot. Theologe und Sozialpädagoge; christlicher Pazifist; 1933 Emigration in die Schweiz; 1946 Prof. für Sozialethik und Sozialpädagogik an den Univ. Münster und Dortmund. 394 Sigismund I. (1368-1437): Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Regierungszeit 1410-1437. 389 Simon, Ernst Akiba (1899-1988): Historiker, Pädagoge und Religionsphilosoph; 1928 Emigration nach Palästina; ab 1939 Dozent für Geschichte und Philosophie der Pädagogik an der Hebräischen Univ. von Jerusalem. 14, 28, 32-33, 55-57, 68, 395, 398, 402 Sokrates (ca. 470-399 v. Chr.): griech. Philosoph. 350, 356-357, 359, 372-374, 380, 383-384 Spinoza, Baruch de (1632-1677): niederl. Philosoph; wegen seiner Schriften wurde
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1656 gegen ihn durch die seph.-jüd. Gemeinde Amsterdams der Bann ausgesprochen. 91, 115 Spira, Theodor (1885-1961): dt. Literaturwissenschaftler und Politiker; Lehrer an der Odenwaldschule Paul Geheebs; religiöser Sozialist; 1925 Prof. für Anglistik an der Univ. Königsberg, 1945 an der Univ. Frankfurt a. M. 13, 70, 394 Spitzer, Moritz, auch Moshe, Maurice (1900-1982): Indologe; 1932-1934 Sekretär Bubers; anschließend Lektor im Schocken Verlag; 1939 Emigration nach Palästina. 388, 398 Spranger, Eduard (1882-1963): Philosoph und Pädagoge; Prof. in Leipzig, Berlin und Tübingen. 31 Staedel, Eduard (Lebensdaten nicht zu ermitteln): Darmstädter Rechtsanwalt, der mit Buber den Aufruf zur Heppenheimer Tagung 1919 unterzeichnete. 13 Stapel, Wilhelm (1882-1954): völkischer Publizist; 1917-1920 Leiter des Hamburger Volksheims. 27 Stifter, Adalbert (1805-1868): östr. Schriftsteller. 178-179, 396 Strauss, Eduard (1876-1952): Chemiker und Religionswissenschaftler; 1922-1933 Dozent am Freien Jüdischen Lehrhaus. 55, 57, 251 Strauss, Ludwig (1892-1953): dt. Dichter und Germanist; verheiratet mit Bubers Tochter Eva; 1935 Emigration nach Palästina. 388 Sussja von Hanipol, Rabbi (gest 1809): chassidischer Meister; Schüler des Dov Baer von Mesritsch. 37-38 Swammerdam, Jan (1637-1680): niederl. Naturforscher. 142 Tiberius Claudius Nero (42 v. Chr.-37 n. Chr.): römischer Kaiser. 296 Tietz, Dr. med. Ludwig (1897-1933): Lungenfacharzt; Führer der Deutsch-jüdischen Jugendgemeinschaft; Vorsitzender des Reichsausschusses jüdischer Jugendverbände; stellvertr. Vorsitzender des CV; 1933 Generalsekretär für Hilfe und Aufbau; später Reichsvertretung der deutschen Juden; nahm sich 1933 das Leben. 398 Tillich, Paul (1886-1965): prot. Theologe und Religionsphilosoph; Vertreter des »religiösen Sozialismus«; einflußreich für die Erwachsenenbildung in der Weimarer Zeit; 1933 emigriert; Professur für Philosophische Theologie am Union Theological Seminary in New York, an der Harvard Univ. und an der Divinity School der Univ. von Chicago. 394 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch (1828-1910): russ. Schriftsteller, Sozialreformer und Pädagoge. 65 Tschernichowski, Saul (1875-1943): russ.-jüd. Dichter und Arzt, der seine Werke hauptsächlich in Hebräisch verfaßte, dabei aber das klassische Versmaß hellenistischer Dichtung anwandte; nach Erstem Weltkrieg Übersiedlung nach Dtl.; ab 1931 in Palästina. 115 Uhland, Ludwig (1787-1862): dt. Dichter. 178 Urija, (11. Jh. v. Chr.): Gefolgsmann des König David. 101, 389
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Weber, Max (1864-1920): Soziologe, Sozialpolitiker und Nationalökonom; Prof. in Berlin, Wien und München. 26, 187 Weil, Gotthold (Eliakim) (1882-1960): Philologe und Orientalist; 1918-1931 Direktor der orientalischen Abteilung der Preußischen Staatsbibliothek; danach Prof. an der Univ. Frankfurt a. M.; 1935 Emigration nach Palästina; dort 19351946 Direktor der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek. 57, 251 Weismantel, Leo (1888-1964): Pädagoge und Schriftsteller. 394 Weizmann, Chaim (1874-1952): 1901 Prof. an der Univ. Genf und 1904 an der Univ. Manchester; 1901 Mitarbeit an der Gründung der Demokratischen Fraktion in der Zionistischen Organisation; 1920-1931 und 1935-1946 Präs. der Zionistischen Weltorganisation; 1949 erster Präs. des Staates Israel. 12, 51, 299, 368 Weizsäcker, Victor von (1886-1957): dt. Mediziner; ab 1930 Prof. für Neurologie an der Univ. Heidelberg; Mitbegründer der Psychosomatik; 1926-1929 mit Martin Buber und Joseph Wittig Herausgeber der Zeitschrift Die Kreatur. 40, 392 Weltsch, Felix (1884-1964): 1910-1939 Bibliothekar an der Prager Deutschen Univ.; führender Zionist im deutschsprachigen Prager Judentum; 1939 Emigration nach Palästina; ab 1940 Bibliothekar an der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem. 438, 441 Weltsch, Robert (1891-1982): zionistischer Publizist aus Prag; 1918-1938 Chefredakteur der Wochenzeitung Jüdische Rundschau; 1939 Emigration nach Palästina, 1945 nach London; ab 1955 Leiter des Londoner Leo Baeck Instituts. 16, 387-388, 391, 400 Weniger, Erich (1894-1961): dt. Pädagoge; 1930 zunächst Prof. an der Pädagogischen Hochschule in Altona, dann Frankfurt a. M., ab 1949 an der Univ. Göttingen. 58, 74 Werfel, Franz (1890-1945): östr. Schriftsteller. 22 Wilker, Karl (1885-1980): Pädagoge und Arzt; Direktor des Lindenhofes BerlinLichtenberg (Fürsorgeanstalt) und verschiedener anderer sozialpädagogischer Projekte; 1933 Emigration. 69, 390 Wittig, Joseph (1879-1949): dt. Kirchengeschichtler und Schriftsteller; 1926 exkommuniziert und emeritiert; 1926-1929 mit Buber und Viktor von Weizsäcker Herausgeber der Zeitschrift Die Kreatur; 1948 wieder in die Kirche aufgenommen. 40, 392 Wundt, Wilhelm (1832-1920): Physiologe und Psychologe; seit 1875 an der Univ. Leipzig, wo er 1879 das erste Institut für experimentelle Psychologie gründete. 365 Wyneken, Gustav Adolph (1875-1964): Reformpädagoge; 1900-1906 Mitarbeiter bei Hermann Lietz in Haubinda; 1906 gründete er mit Paul Geheeb die Freie Schulgemeinde Wickersdorf; ab 1920 freier Schriftsteller; entwickelte die Idee von besonderen geistigen Selbstbildungskräften des Jugendalters als Keimzelle einer neuen Gesamtkultur. 21-22, 29 Xerxes I. (Ahasverus) (reg. 485-465 v. Chr.): persischer König. 178
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Yaron, Kalman (geb. 1925): 1965-1990 Direktor des Martin Buber-Instituts an der Hebräischen Univ. Jerusalem. 66, 68 Zunz, Leopold (1794-1886): einer der Begründer der Wissenschaft des Judentums; gründete 1819 gemeinsam mit Eduard Gans und anderen den Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden; 1839 erschien seine Bibelübers., die eine der verbreitetesten im dt. Judt. war. 183 Zweig, Arnold (1878-1968): dt. Schriftsteller; 1933 Emigration nach Palästina; 1948 Rückkehr nach Berlin; 1950-1953 Präs. der Akademie der Künste in der Deutschen Demokratischen Republik. 391 Zweig, Stefan (1881-1941): östr. Schriftsteller und Dichter; emigrierte 1934 nach England, 1940 nach Brasilien. 391