Libretto - Partitur - Szene. Studien zum Musiktheater; Festschrift für Jürgen Maehder zum 70. Geburtstag 3631844999, 9783631844991

Diese Festschrift ist dem Musikwissenschaftler Jürgen Maehder anlässlich seines 70. Geburtstags gewidmet und versammelt

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Zum Geleit: Enzyklopädismus als Geisteshaltung und Lebensentwurf. Eine sehr persönliche Jürgeniade • Oswald Panagl
Les nymphes de Diane in the Study of opéra-comique • David Charlton
Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion • Herbert Schneider
Neue Perspektiven der Opernforschung: Einblicke in Leben, künstlerische Karriere und Alltag zweier Operisti des18. Jahrhunderts • Daniel Brandenburg
Niccolò Piccinni und das komische Genre. Zu den Beziehungen zwischen Opera buffa und Opéra comique • Elisabeth Schmierer
Manzoni e la musica: I promessi sposi e il melodramma • Adriana Guarnieri Corazzol
Die Milde des Herrschers: Variationen über ein Leitthema der frühen Operngeschichte • Oswald Panagl
“Mozart’s sister is blind” – “Clara has had very great success in Germany” – Two Unknown Letters from Vincent Novello to Domenico Dragonetti • Milada Jonášová
Die Funktionalität des autoimprestito vom Kastraten zur Hosenrolle: Wie Rossini die Schlussarie rondò als Kompositionsmodell gestaltete • Maria Birbili
Estetica rossiniana: la musica oltre le • Marco Beghelli
«Et vive la musique qui nous tombe du ciel». Spazio scenico e drammaturgia nell’opera dell’Ottocento • Michele Girardi
Meyerbeer at the Bay Area. Meyerbeeriana in Stanford und Berkeley • Matthias Brzoska
Modellhaftes Komponieren in Verdis Opern. Versbedingte rhythmische Muster im Frühwerk und deren Verdrängung • Peter Ross
«Voir la nuit, entendre le silence»: Hector Berlioz e le notti mediterranee • Luca Zoppelli
Die Bürden des Wettbewerbs. Adrien Barthe und sein Don Carlos • Arnold Jacobshagen
Giacomo Puccini ‹preoperistico› 1870–1885 • Gabriella Biagi Ravenni
Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat: Bohemian Nostalgia and the Remembrance of Things Past • Arthur Groos
Paralipomeni del rimario pucciniano • Virgilio Bernardoni
Giacomo Puccinis Trittico: Drei Einakter und die Krise der Oper nach Wagner • Dieter Schickling
»Ci vorrà una ripresa di popolo«. Eine Hymne auf die Hauptstadt der Siegermacht Italien: Puccinis Inno a Roma • Markus Engelhardt
Gesang – »Gesangsprechen« – »Sprechgesang«: Engelbert Humperdincks Königskinder zwischen Melodram und Oper • Ivana Rentsch
»… ich brauche ein Sujet nach der Art von Cavalleria rusticana« – Čajkovskij und das Fin de siècle • Lucinde Braun
Werther’s Genesis: Insights from Massenet’s Autograph Composing Score • Lesley Wright
Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration − Die Italien-Reise von Strauss und Hofmannsthal als Movens für die Entstehung der Oper Die Frau ohne Schatten • Olaf Enderlein
Neapolitanische (und römische) Skrupel anno 1925: Drei Briefe von Ermanno Wolf-Ferrari an Raffaello de Rensis • Johannes Streicher
Rodolfo Valentino und die Tiller Girls gehen in die Oper. Die Darstellung der »neuen Frau« und des »neuen Mannes« in Neues vom Tage von Marcellus Schiffer und Paul Hindemith • Eckhard Weber
Das goldene Kalb (1934/35), Ballett in drei Bildern und einem Nachspiel. Musik: Emil Nikolaus von Reznicek; Szenario: Viggo Cavling • Michael Wittmann
Sándor Veress, Térszili Katicza (1941–1942) • Andreas Traub
Resisting Through Music Theater at Ravensbrück: Germaine Tillion’s Le Verfügbar aux Enfers as a (Virtual) Musical Work • Marie-Hélène Benoit-Otis
«L’urgenza corale» di Ildebrando Pizzetti • Carlo Piccardi
Theater aus Musik: die Callas-Giulini-Visconti-Traviata • Sieghart Döhring
»euch ist bekannt es, / es gilt Cervantes«. Miguel de Cervantes als Bühnenfigur in Oper, Operette und Musical • Albert Gier
Die Ästhetik des Wartens – Modelle stillgestellter Zeit in Toshio Hosokawas Musiktheater Hanjo • Chikako Kitagawa
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Libretto - Partitur - Szene. Studien zum Musiktheater; Festschrift für Jürgen Maehder zum 70. Geburtstag
 3631844999, 9783631844991

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Libretto – Partitur – Szene. Studien zum Musiktheater

Perspektiven der Opernforschung Herausgegeben von Jürgen Maehder und Thomas Betzwieser

Band 27

Libretto – Partitur – Szene Studien zum Musiktheater Festschrift für Jürgen Maehder zum 70. Geburtstag Herausgegeben von Thomas Betzwieser, Richard Erkens, Arnold Jacobshagen und Peter Ross unter Mitarbeit von Viola Großbach

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Giacomo Puccini, Autograph (La fanciulla del West) – mit Erlaubnis von Peter Ross, Rüschegg Gambach Sylvano Bussotti, Autograph (Lorenzaccio) – mit Erlaubnis des Archivio Storico Ricordi, © Ricordi & C., Milano Pietro Aschieri, Bühnenbildentwurf (Turandot, Scala 1938) – mit Erlaubnis des Fondo Pietro Aschieri, Accademia Nazionale di San Luca, Roma, www.fondoaschieri.org Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Alfons und Gertrud Kassel-Stiftung (Frankfurt am Main). ISSN 0178-6121 ISBN 978-3-631-84499-1 (Print) E-ISBN 978-3-631-84989-7 (E-PDF) E-ISBN 978-3-631-84990-3 (EPUB) DOI 10.3726/b18381 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Berlin 2021 Alle Rechte vorbehalten. Peter Lang – Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com



Vorwort Der vorliegende Band zu Ehren von Jürgen Maehder konzentriert sich mit dem Musiktheater auf den wichtigsten Forschungsbereich des Jubilars. Der Oper von ihren Anfängen bis zur unmittelbaren Gegenwart ist ein Großteil seiner wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet, wobei die Librettoforschung, die musikdramaturgische Analyse und insbesondere die Studien zur Orchestertechnik hervorzuheben sind. Betrachtet man die Arbeiten mit Blick auf die einzelnen Komponisten, so offenbart sich ein internationales Panorama: Zweifellos bildet Italien mit Puccini und Leoncavallo und dem langen 19. Jahrhundert den bedeutendsten Schwerpunkt, doch reichen die Untersuchungen bis zurück zur Opera seria und auf der anderen Seite bis hin zum Musiktheater Sylvano Bussottis. In der französischen Operngeschichte stehen Meyerbeer, Berlioz, Massenet und Messiaen immer wieder im Mittelpunkt seines Interesses. Im deutschsprachigen Musiktheater ist zunächst Richard Wagner als Maehders zentraler Forschungsgegenstand auszumachen, daneben Mozart, Weber und Richard Strauss, aber auch hier waren es zeitgenössische Komponisten wie Aribert Reimann, Wolfgang Rihm oder Mauricio Kagel, welche eine intensive Beschäftigung herausforderten. Der Sprache und deren Transferprozesse galt ein fortwährendes Interesse, ebenso wie der Auseinandersetzung mit außereuropäischen Musik-​und Opernkulturen, vor allem auf der Rezeptionsebene. Nicht zuletzt die persönliche Verankerung in Taiwan hat zahlreiche Publikationen in chinesischer Sprache hervorgebracht. Zusammen mit Kii-​Ming Lo hat Jürgen Maehder grundlegende Studien in Chinesisch vorgelegt, meist werkmonographische Arbeiten zu Wagner, Puccini, Mahler oder Strauss. International ist Jürgen Maehder vielfach als Initiator und Organisator von Kongressen hervorgetreten, die geographisch von Paris, Locarno, über Berlin bis nach St. Petersburg und Taipeh reichen. Hervorzuheben sind hier zweifellos die ersten beiden Puccini-​Symposien in Torre del Lago 1983 und 1984. In seiner vielfältigen Tätigkeit als Herausgeber ist in erster Linie die von ihm 1994 mitbegründete Reihe Perspektiven der Opernforschung zu nennen, die mit der vorliegenden Festgabe 27 Bände zählt. Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten wirkte Jürgen Maehder in bedeutendem Maße als Kulturvermittler. Bis dato verfasste er nicht weniger als 130 Programmheftbeiträge für verschiedenste Opernhäuser, u.a. Wien, Berlin, München, Zürich, Paris, Mailand, Venedig, Florenz oder Rom, sowie für internationale Festivals, darunter die Bayreuther und Salzburger Festspiele, der Maggio Musicale Fiorentino oder das Puccini-​Festival in Torre del Lago. Sein genuines Interesse an der Fruchtbarmachung von Wissenschaft

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Vorwort

in der Theaterpraxis machte ihn zu einem gefragten Gesprächspartner bzw. Gastredner von zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen in europäischen Opernhäusern. Auch als Hochschullehrer förderte er die Vermittlung von wissenschaftlicher Expertise und künstlerischer Praxis, indem er die Studierenden über den Universitätsbetrieb hinaus durch Aufführungsbesuche und Konferenzteilnahmen für beide Felder begeisterte. Besonders während seiner langjährigen Lehr-​und Forschungstätigkeit in Berlin, wo er von Mai 1989 bis September 2014 an der Freien Universität wirkte, inspirierte und formte Jürgen Maehder einen lebendigen und personenstarken Studierendenkreis, der sich vor allem durch Internationalität auszeichnete. Die 32 Beiträge des vorliegenden Bandes aus dem Kreis der Freunde, Kollegen und Schüler spiegeln die fachliche und regionale Breite der Forschungen und vielfältigen Wirkungsbereiche von Jürgen Maehder wider. Insofern gilt der erste Dank der Herausgeber allen Autorinnen und Autoren für ihr Mitwirken. Ein besonderer Dank gebührt dem Kollegen Oswald Panagl für sein Geleitwort. Zu danken ist sodann Viola Großbach (Frankfurt am Main) für die umsichtige redaktionelle Betreuung des Bandes sowie Nora Eggers (Frankfurt am Main) für die letzten Korrekturgänge. Schließlich sei Dr. Ute Winkelkötter (Berlin) für die verlagsseitige Unterstützung dieser Festschrift gedankt. Im Oktober 2020 Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis Oswald Panagl Zum Geleit �������������������������������������������������������������������������������������������    13 David Charlton Les nymphes de Diane in the Study of opéra-​comique �������������������������   17 Herbert Schneider Das Finalvaudeville bei Charles-​Simon Favart –​Gestalt und Funktion ������  31 Daniel Brandenburg Neue Perspektiven der Opernforschung: Einblicke in Leben, künstlerische Karriere und Alltag zweier Operisti des 18. Jahrhunderts ����������������������������������������������������������������������������������   55 Elisabeth Schmierer Niccolò Piccinni und das komische Genre. Zu den Beziehungen zwischen Opera buffa und Opéra comique �������������������������������������������   71 Adriana Guarnieri Corazzol Manzoni e la musica: I promessi sposi e il melodramma ����������������������   79 Oswald Panagl Die Milde des Herrschers: Variationen über ein Leitthema der frühen Operngeschichte �����������������������������������������������������������������������������������   95 Milada Jonášová “Mozart’s sister is blind” –​“Clara has had very great success in Germany” –​Two Unknown Letters from Vincent Novello to Domenico Dragonetti �����������������������������������������������������������������������  111 Maria Birbili Die Funktionalität des autoimprestito vom Kastraten zur Hosenrolle:  Wie Rossini die Schlussarie rondò als Kompositionsmodell gestaltete ����  125

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Inhaltsverzeichnis

Marco Beghelli Estetica rossiniana: la musica oltre le parole �����������������������������������������  137 Michele Girardi «Et vive la musique qui nous tombe du ciel». Spazio scenico e drammaturgia nell’opera dell’Ottocento ����������������������������������������������  157 Matthias Brzoska Meyerbeer at the Bay Area. Meyerbeeriana in Stanford und Berkeley ����  179 Peter Ross Modellhaftes Komponieren in Verdis Opern. Versbedingte rhythmische Muster im Frühwerk und deren Verdrängung ���������������������������������������  193 Luca Zoppelli «Voir la nuit, entendre le silence»: Hector Berlioz e le notti mediterranee ����������������������������������������������������������������������������������������  209 Arnold Jacobshagen Die Bürden des Wettbewerbs. Adrien Barthe und sein Don Carlos �������  219 Gabriella Biagi Ravenni Giacomo Puccini ‹preoperistico› 1870–​1885 ����������������������������������������  237 Arthur Groos Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat: Bohemian Nostalgia and the Remembrance of Things Past ���������������������������������������������������������������  261 Virgilio Bernardoni Paralipomeni del rimario pucciniano ����������������������������������������������������  285 Dieter Schickling Giacomo Puccinis Trittico: Drei Einakter und die Krise der Oper nach Wagner �������������������������������������������������������������������������������  315

Inhaltsverzeichnis

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Markus Engelhardt »Ci vorrà una ripresa di popolo«. Eine Hymne auf die Hauptstadt der Siegermacht Italien: Puccinis Inno a Roma  ������������������������������������  331 Ivana Rentsch Gesang –​»Gesangsprechen« –​»Sprechgesang«: Engelbert Humperdincks Königskinder zwischen Melodram und Oper ���������������  347 Lucinde Braun »… ich brauche ein Sujet nach der Art von Cavalleria rusticana« – Čajkovskij und das Fin de siècle �����������������������������������������������������������  357 Lesley Wright Werther’s Genesis: Insights from Massenet’s Autograph Composing Score ���������������������������������������������������������������������������������  373 Olaf Enderlein Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration − Die Italien-​Reise von Strauss und Hofmannsthal als Movens für die Entstehung der Oper Die Frau ohne Schatten ������������������������������������������������������������������������  389 Johannes Streicher Neapolitanische (und römische) Skrupel anno 1925: Drei Briefe von Ermanno Wolf-​Ferrari an Raffaello de Rensis ����������������������  407 Eckhard Weber Rodolfo Valentino und die Tiller Girls gehen in die Oper. Die Darstellung der »neuen Frau« und des »neuen Mannes« in Neues vom Tage von Marcellus Schiffer und Paul Hindemith �������������������������  417 Michael Wittmann Das goldene Kalb (1934/​35), Ballett in drei Bildern und einem Nachspiel. Musik: Emil Nikolaus von Reznicek; Szenario: Viggo Cavling �����������������������������������������������������������������������  437 Andreas Traub Sándor Veress, Térszili Katicza (1941–​1942)  ����������������������������������������  453

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Inhaltsverzeichnis

Marie-​Hélène Benoit-​Otis Resisting Through Music Theater at Ravensbrück: Germaine Tillion’s Le Verfügbar aux Enfers as a (Virtual) Musical Work �������������  469 Carlo Piccardi «L’urgenza corale» di Ildebrando Pizzetti ���������������������������������������������  485 Sieghart Döhring Theater aus Musik: die Callas-​Giulini-​Visconti-​Traviata ����������������������  501 Albert Gier »euch ist bekannt es, /​es gilt Cervantes«. Miguel de Cervantes als Bühnenfigur in Oper, Operette und Musical �����������������������������������������  521 Chikako Kitagawa Die Ästhetik des Wartens –​Modelle stillgestellter Zeit in Toshio Hosokawas Musiktheater Hanjo ����������������������������������������������  535

Oswald Panagl

Zum Geleit Enzyklopädismus als Geisteshaltung und Lebensentwurf Eine sehr persönliche Jürgeniade In Wien gab es im Fin de siècle einen Privatgelehrten namens Friedrich Eckstein, der manchem Musikfreund vielleicht noch als Freund und Förderer von Anton Bruckner und Hugo Wolf in Erinnerung ist. Mit seinem Buch Alte, unnennbare Tage (1936) ist er ein wertvoller Zeitzeuge für das geisti­ge und musische Wien um die vorvergangene Jahrhundertwende geworden und geblieben. Der streitbare Karl Kraus, sein Tischnachbar im Café Imperial, soll in einem Verschnitt aus Verehrung und Ironie von einem Alptraum erzählt haben: Darin sei ein Brockhaus-​Band des Nachts heimlich aus dem Regal gestiegen, um »bei Eckstein« etwas nachzuschlagen. Als ich diese Episode vor einigen Jahren las, landeten meine Assoziationen spontan und unwillkürlich bei Jürgen Maehder. Das den beiden Persönlichkeiten eigene Etikett Polyhistor wird heutzutage nicht selten oberflächlich und kurzschlüssig zum Doktor Allwissend verflacht oder zum Ratekönig bei einem TV-​Quiz trivialisiert. Die Wortgeschichte weist freilich in eine andere Richtung. Ein Polyhistor hat vieles gesehen, durchschaut und authentisch gespeichert. Sein Wissen verliert sich nicht in Nebensächlichkeiten, es geht in die Tiefe, ist verschränkt und vernetzt. Er sucht stets den Zusammenhang und findet dabei die verbindende Klammer und den gemeinsamen Nenner. Dass Jürgen Maehder ein Polyhistor des genuinen klassischen Typs im Gefolge bedeutender Vorgänger ist, haben mir die annähernd drei Jahrzehnte unserer Bekanntschaft deutlich gemacht. Wer sein Schriftenverzeichnis und seine Biographie aufmerksam liest, sieht diese meine Erfahrung und Einschätzung alsbald bestätigt. Ich verzichte in diesem Geleitwort auf eine Würdigung des fachlichen Œuvres des Geehrten und seines beruflichen Werdegangs, da seine Weggefährten und ehemaligen Studenten dafür die längere Erfahrung und solidere Kompetenz mitbringen. Meine kleine Würdigung greift vielmehr kaleidoskopartig einige Momente und Facetten aus unseren persönlichen Begegnungen und biographische Tangenten heraus, die mir beim Nachdenken spontan ein-​und zugefallen sind. Als regelmäßiger Teilnehmer an den von Ulrich Müller und mir geleiteten Salzburger Festspiel-​Symposien hat sich mir Jürgen Maehder schon in den frühen 1990er Jahren als besondere Persönlichkeit eingeprägt:  durch sein Präsenzwissen in den Diskussionen, seine ausgefeilten, in den zahlreichen

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Oswald Panagl

Zitaten polyglotten Referate, aber auch wegen der Obsorge für die Doktoranden und Diplomanden seiner ›Berliner Kaderschmiede‹, die den Meister in wachsender Zahl als Jünger nach Salzburg begleiteten. Mir, der ich den Stundenplan der einwöchigen, in Parallelsektionen organisierten Veranstaltung zu erstellen hatte, machte Jürgen das Leben freilich nicht eben leicht. Als notorischer Spätaufsteher akzeptierte er nämlich nur nachmittägige Termine, die allerdings nicht mit den Vorträgen seiner Studierenden oder ihm wichtiger Kollegen kollidieren sollten. Meine Aufgabe nahm da mitunter Züge eines kniffligen Sudokus an. Ich durfte Jürgen zweimal als souveränen und fürsorglichen Gastgeber kennen und schätzen lernen, als er und seine Ehefrau und Fachkollegin Kii-​Ming Lo mich zu Tagungen nach Taipeh einluden: 2008 mit einem Beitrag über La rondine –​auf Chinesisch im Druck erschienen! –​zur Puccini-​ Konferenz, 2013 mit einer Expertise über die Sprache des Ring-​Dichters zum Wagner-​Symposion. Das Ehepaar führte dabei den Neuling effizient und effektiv in das fremde Milieu ein, schuf ein freund(schaft)liches Ambiente und lüftete auch manches Geheimnis der einheimischen Küche. Das führt mich im gleitenden Übergang zu einem weiteren Wesenszug des Jubilars. Wen er als Gast zu sich einlädt, den bekocht er nicht nur mit mehreren Gängen auf das Raffinierteste. Der Geladene erfährt auch alles Wissenswerte über die aufgetischte Mahlzeit, vom schmackhaften Hauptgericht quer durch den Gemüsegarten bis hin zur Herkunft, Gewinnung und günstigen Wirkung der herangezogenen Gewürze. Dazu fällt mir unmittelbar eine Situation aus dem Februar 2012 ein. Jürgen, damals Strohwitwer, wusste von meinem einwöchigen Aufenthalt in Berlin und bat mich zum Abendessen in seiner Wohnung. Während der sorgsam ausgesuchte und fein zubereitete Fisch, vom Küchenchef zwischendurch kritisch beobachtet, seiner Garzeit entgegenschmorte, erfuhr ich vieles und mancherlei aus Kunst und Leben wie auch aus dem Alltag eines ›Enzy­ klopädisten‹: über führende Antiquariate und gut sortierte Spezereiläden in der Stadt, über sehenswerte Ausstellungen und hörenswerte Aufführungen. Nebenbei gewährte mir der Musikologe auch Einblicke in seine akademische Lehre: So habe er erst tags davor in einem mehrstufigen Verfahren nachgewiesen, dass Erich Wolfgang Korngold »kein guter Komponist« sei. Ich war ob dieses radikalen Verdikts zwar erstaunt, wagte aber keinen laienhaften Widerspruch. Jürgen Maehder verfügt, darin von einem Bruder als Arzt unterstützt, auch über ein bemerkenswertes medizinisches Fachwissen, das er akribisch an der eigenen Physis erprobt, aber auch an seine Freunde geflissentlich weitergibt. Ich selber durfte in Form von ärztlichen Reisewarnungen davon profitieren, als ich im Anschluss an die genannte Wagner-​Tagung noch für eine gute Urlaubswoche nach Bali flog.

Zum Geleit

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Die Übersiedlung der ›Maehders‹ von Berlin in das bedachtsam gewählte neue Domizil, eine ›Emeritage‹ nahe dem Weichbild der Stadt Salzburg, unterhalb des bekannten Vollererhofs bei Puch gelegen, stellte die Statik des Gebäudes wie die Logistik der Spedition auf eine harte Probe. Denn Jürgens Bücherbestand kann es ohne Weiteres mit mancher Fachbibliothek aufnehmen, und sein ausgeprägter Ordnungssinn duldet keinerlei Kompromisse: Ausreißer und Nestflüchter unter den Bänden werden flugs eingefangen und an Ort und Stelle diszipliniert. Das Bild von Jürgen und Kii-​Ming an gegenüberstehenden Schreibtischen, beide auf ihren Bildschirm blickend und daneben in aufgeschlagene Bücher vertieft, hat sich mir nachhaltig eingeprägt. Der Humanist und Vertreter des klassischen Bildungskanons, dem etwa jedes volksetymologisch entstellte posthum sauer aufstößt, ist zugleich ein souveräner Herr über alle Spielarten der Technik und Technologie. Er beherrscht die hohe Kunst der Photographie ebenso wie die (Un)Tiefen der Elektronik, und das Auto bleibt unter seiner kundigen Steuerung (fast) stets mobil. Die Früchte seiner Fertigkeiten teilt Jürgen gern mit seinen Freunden  –​ und seinen Freunden mit. Promotionsfeiern der Meisterschüler beiderlei Geschlechts wandern so als Bilder schier um den Erdkreis. Rarissima wiederum von veristischen Opern, auf offiziellen Tonträgern unerreichbar, an denen ein Abendgast Interesse zeigt, kopiert Jürgen stracks in heimlicher Stille, während sich der Eingeladene noch gastrophil delektiert. Das »no sports« Winston Churchills hat Jürgen Maehder in das Repertoire seiner Lebensregeln aufgenommen und konsequent verinnerlicht. Auch dem passiven Konsum von Fußballspielen im Fernsehen bringt er nur wenig Verständnis entgegen: Odi profanum vulgus et arceo predigt bereits Horaz! Die Frage, warum man nicht allen Kickern einen eigenen Ball vergönne, damit diese sich nicht um das einzige Exemplar auf dem Feld streiten und raufen müssen, ist dem Jubilar durchaus zuzutrauen. Ich breche ab, da ich mich sonst im Anekdotischen erschöpfe und in Sentimentalitäten verliere. Mein Resümee dieser Blütenlese von Erinnerungssplittern und Momentaufnahmen, dieser Melange aus staunenswerten wie kuriosen persönlichen Erfahrungen mündet in den Satz:  »Wenn es Jürgen nicht gäbe, müsste man ihn erfinden!« Seine Freundschaft ist ein kostbares Gut: Wer es weiß, ist klug.

David Charlton

Les nymphes de Diane in the Study of opéra-​comique The following perspectives of research in opera draw on an unfamiliar area of what may be called ‘popular opera’. Because, from various points of view, it is an anomaly in Charles-​Simon Favart’s œuvre, Les nymphes de Diane (1747) raises more questions than usual about the evolution of opéra-​comique. In the following survey I hope to draw together its points of interest, not excluding questions of further study. A performance on stage could certainly be given: only then would experience bear out, or contradict, impressions made from historical sources. At the present time there is, it seems, no secondary literature on this work –​hardly an exceptional fact for this period of comic opera, neglected for so long by comparison with the later eighteenth century. Even the monograph by August Font, his doctoral thesis on Favart, makes no special mention that a complete musical source of Les nymphes de Diane (hereafter Les nymphes) was issued in 17481. To be sure, it consists only of vocal lines without accompaniment, but it offers the most complete and accessible musical picture of any Favart work stemming from his first two decades of production: normally there are grave difficulties in identifying certain vaudevilles2. We shall mention later a perhaps unique example of a manuscript source with complete music for Favart’s La chercheuse d’esprit (1741) at the Bibliothèque Municipale de Versailles; but its online presence on that collection’s website has unfortunately come to an end3. For Les nymphes one finds no manuscript trace in either of the main Parisian archives, but many others should be searched4. Les nymphes was first performed and published in Brussels, its libretto containing an excellent frontispiece designed by C. N. Cochin and engraved

1 Auguste Font, Favart, l’opéra-​comique et la comédie-​vaudeville aux XVIIe et XVIIIe siècles, Paris (Fischbacher) 1894, p. 344. 2 LES NYMPHES | DE DIANE, | OPERA COMIQUE | Du Sr. FAVART. | Représenté pour la premiere fois le premier de Juin 1747 sur le grand Théâtre de Bruxelles etc., s.l. 1748, p. 68 with Table des airs separately paginated 1–​40. This is consultable in digital facsimile on the Bibliothèque Nationale Gallica website (Gallica.bnf.fr). 3 F-​V Ms.Mus.198. 4 No trace in either F-​Po, Fonds Favart, Carton II/​II, or F-​Pn, Ms. Fr. 9325.

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David Charlton

by P. Q. Chedel5. Its forty-​page musical supplement contains eighty-​six numbered items, these vaudevilles bearing their timbres for easy co-​ordination with the libretto. Just before the closing vaudeville is actually a new composition in the form of a sectional duet, “Cruelle Sévérine”, which constitutes another unusual facet of this source: only from other evidence do we know that this duet was by Michel Corrette. In 1995 his authorship was noticed by Elisabeth Cook, who remembered the same duet in Corrette’s fourth issue of Vaudevilles et ariettes de l’Opera Comique6. Here (and not in the 1748 Table des airs for Les nymphes) we find these words above the duet’s music: “Représenté sur le grand Théâtre de Bruxelles par les Comédiens de S.A.S. Mr Le Mar[éch]al de Saxe”. The last fifty-​three bars of this piece were edited and discussed by Cook in her pioneering study7. Two further aspects of new information must be mentioned here. The first concerns the work’s premiere in Paris. Because the seemingly earliest Paris libretto reports that Les nymphes was “représenté pour la premiere fois tout en Vaudevilles sur le Théâtre de l’Opéra-​Comique de la Foire S. Laurent le 22 Septembre 1755”8, modern authorities have adopted this as the date of the Paris premiere. In fact, it was first seen in Paris on 25 September 1753, presumably at this time still being in possession of its spoken dialogue9. The second aspect concerns an important general question: the survival of popular operas en vaudevilles beyond the year 1762 when the Opéra Comique was amalgamated with the Comédie-​Italienne. As were several others, Les nymphes was indeed revived here between 1774 and 1782 with accompaniments arranged by Jean-​Baptiste Moulinghen: but only one set of his unpublished material has been so far located, and this awaits investigation10. The Brussels connection was an accident of politics. Les nymphes was originally intended to be given during the Foire Saint-​Laurent season of 5 This is visible on Gallica, but only in the copy stamped “Arsenal”, not in the copy bearing the shelf-​mark VM Coirault-​682(2). 6 Vaudevilles et ariettes de L’Opera Comique. Composés par Mr Corrette, vol. 4, Paris (Boivin et al.) s.a., p. 13sq. This source is also available on Gallica. 7 Elisabeth Cook, Duet and Ensemble in the Early Opéra-​Comique, New York et al. (Garland Publishing) 1995, p. 44. 8 Title page of LES NYMPHES | DE | DIANE, | OPERA-​COMIQUE | EN UN ACTE etc., Paris (Duchesne) 1755, p. 56, plus supplement of 7 airs and final vaudeville. 9 As Mercure’s journalist reported, giving the above date, it “n’avoit jamais été représenté à Paris” although was “un des plus jolis de l’Auteur”: Mercure de France (Nov. 1753), p. 174. 10 Manuscript score and parts in Rouen, F-​Rm Fonds 08, Th. 402. Moulinghen did similarly for Favart’s Acajou and La servante justifiée: Nicole Wild/​David Charlton, Théâtre de l’Opéra-​Comique, Paris. Répertoire 1762–​1972, Sprimont (Mardaga) 2005.

Les nymphes de Diane in the Study of opéra-comique

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1741, but was prohibited:  “L’Entrepreneur de L’Opéra Comique avoit fait même beaucoup de dépense, mais le tout inutilement, par la mauvaise humeur d’un Commis de la Police”11. It could be that the police acted after having read a copy of the libretto: manuscript librettos were normally submitted to the censor’s office at a late stage of preparation or rehearsal. This ‘entrepreneur’ was Florimond Boizard de Pontau, whose wasted expenditures on Les nymphes regrettably fell at a disastrous time for his finances. In 1741 he already owed nearly 8.500 livres to Henry Delamain, an English dancer and manager whose troupe he had hired; and by 1743, when Pontau finally retired, he owed the Paris Opéra some 33.600 livres12. Why should the police have taken this attitude? Because Les nymphes derives from one of the obscene tales (Contes) by Jean de La Fontaine, entitled Les lunettes (The Spectacles). Almost nothing of the Tale remains in the opera, of course, but a tiny overt link is made through the motif of the spectacles, which are worn in the opera by the elderly nymph Gangan (played by a man), whose task is to supervise the younger nymphs. Gangan and the spectacles are visible on the right of Cochin’s frontispiece engraving. La Fontaine’s Tale was first issued in 1674 in his Nouveaux contes, a collection particularly satirising nuns, priests and devout persons. In Les lunettes a beardless youth disguises himself within a convent and fathers a child by a nun. When the baby arrives, an intimate search of the nuns is carried out by the spectacle-​wearing Superior, so that the ‘wolf in sheep’s clothing’ is discovered13: he is condemned to be punished by being tied to a tree and flogged. While he awaits this chastisement he contrives to be released by a stranger, a miller passing by, who agrees to change places with him in the hope of proving his virility. In reconceiving other La Fontaine sources for the public stage Favart had recently created ingenious, realistic comedies in a French village setting. Both La servante justifiée (1740) and La chercheuse d’esprit (1741) avoid the predatory central male figures of their original Tales14, but offer instead the central figure of a wealthy widow who desires remarriage, partly to help her to continue running the family business15. Young love, in both comedies, triumphs over the aspirations of middle age, and only the most 11 [Claude et François Parfaict], Dictionnaire des théâtres de Paris, 2nd ed., 7 voll., Paris (Rozet) 1767, vol. 7, p. 626. 12 Cf. Emile Campardon, Les spectacles de la Foire, 2 voll., Paris (Berger-​Levrault) 1877, vol. 1, pp. 158, 229. 13 Cf. Les nymphes, Sc. 4: “Un Loup, sans doute, | Parmi nos Brebis.” 14 La servante justifiée; Comment l’esprit vient aux filles. 15 The first (1740) features Mme Bertand, a miller, and the second (1741) features Mme Madré, a farmer.

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David Charlton

general structural connection with La Fontaine remains in each case. But Les nymphes de Diane has even less to do with French rural life than it does with La Fontaine’s Les lunettes: it is in effect a pastoral set in the Forest of Diana, where the goddess’s statue is seen within a circular temple upstage, while an altar for sacrifices is placed downstage. Its pastoral setting affords further reasons why Les nymphes occupies a transitional place in this genre. Few if any previous opéra-​comique texts had sought to remove all reference to everyday French life, including satirical reference, or sought to remove all urban characters and all Italian commedia characters. Favart’s model was obviously Alexis Piron’s opéra-​comique Les jardins de l’hymen, ou La rose (1744), first called Le P[ucelage] ou La rose (1726, but prohibited by the police), and published in 1752 as La roze ou Les festes de l’hymen. Rameau was Piron’s collaborator: “Rameau’s music, now lost, included a Da Capo air, ‘Le jour ne luit qu’à peine encore’, a representation of the dawn chorus featuring the song of the nightingale; a musette; and several ‘danses légères et galantes’ ”16. Piron had imagined a true allegory, in which the whole action may be seen as a symbolic equivalent of something else. It clearly takes its inspiration from the Roman de la rose, but, whereas in that work the rose represents the beloved, in Piron’s the content is more overtly erotic, with the rose belonging to the central character Rosette clearly symbolising her virginity, and the action dramatizing the pubescent girl’s efforts to rid herself of it as quickly as possible, while her mother rushes to get her married first.17

Les nymphes de Diane, it seems, has taken Les lunettes and transformed it similarly, adding the theme of initiation, thereby making the result not just a pretty entertainment but perhaps also an argument (by implication) which questions the practice of religious confinement. When we look at the fashionable costumes in Cochin’s frontispiece the possibility of allegory increases. Favart kept his politics private, but he was not a naïve artist: he studied at the Collège Louis-​le-​Grand and was a prize-​winner in poetry at the Jeux Floraux at Toulouse18. Les nymphes invites those who know that Les lunettes concerned nuns in a convent to imagine the circumstances whereby nuns might –​as for Diana’s nymphs in the opera –​be given the chance to withdraw from their ceremonial vows, and to act with some autonomy. It need hardly be pointed out that these same issues would be treated in fiction by

16 Graham Sadler, The Rameau Compendium, Woodbridge (Boydell Press) 2014, p. 170. 17 Derek Connon, Identity and Transformation in the Plays of Alexis Piron, London (Legenda) 2007, p. 154sq. Piron’s cast-​list includes Cupid, Rosette, her mother, her cousin Silvie, Colin, l’Hymen, un vieillard. 18 Cf. Font, Favart, p. 115sqq.

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Denis Diderot in La religieuse: his novel was written in 1760 but not issued in print until 1796. Under the ancien régime, religious vows by girls could be taken at the age of sixteen, and release from them could only be granted by the state. […] When it is remembered that the legal majority for disposing of one’s own money was twenty-​five, the anomaly is seen to be absurd. Thus in the novel, Suzanne, under irresistible pressure, could legally dispose of herself, body and soul, for ever at the age of sixteen, but have no say in her money affairs.19

In Scene 2 of Les nymphes, Sévérine, the “Grande Prêtresse de Diane”, is told by her confidante Cyane that Thémire –​the central ­figure –​is in fact fifteen years old. The action of Les nymphes de Diane takes place over nineteen scenes, and may be summarised as follows: Agénor (‘Amant de Thémire’) and his valet Cliton meet by chance near Diana’s Temple: Agénor explains how a chance encounter with Thémire has inspired his love; but it is today that she is due to take her vows of chastity; she is preparing for the traditional ritual. Cliton describes his own encounters with sundry nymphs. They exit as the High Priestess Sévérine enters with Cyane, explaining the forthcoming ritual: the threatening lover is, by tradition, ceremonially rejected by the aspiring nymphe before she is initiated into the cult of Diana. Thémire appears, and rehearses the words with which she must perform this rejection. But she wants Sévérine to explain Love to her; Sévérine duly seeks to scare Thémire with talk of a horrible monster, whose dangers are difficult to explain exactly. The nymph Églé runs in to report an intruder:  the disguised Cliton, discovered by old Gangan. Sévérine orders him to be brought in and chained to the altar, which is done in pantomime to Air 37, twenty-​seven bars in 6/​4 metre. The nymphs then leave, but suddenly a Satyr appears. Cliton converses with him, claiming to be a prudish lover, and the Satyr fearlessly exchanges places with him, subsequently hiding his face from view. In a danced episode (with music taken from Rameau and Montéclair) the nymphs return for the ceremony and line up near the altar20. Sévérine’s following Da Capo solo of forty bars’ length (Air 46) urges the nymphs to resist any lover, however tempting. Accompanied by a ‘simphonie de flutes’, Agénor enters, followed by two slaves carrying a large basket of flowers which they place by the altar. Agénor takes a bouquet and presents it to Thémire; overcome with emotion she is unable to finish her speech, but still rejects Agénor, who therefore leaves. Sévérine consoles Thémire with a promise of female friendship, then urges the nymphs to exert punishment on the Satyr (a cue for his amusing protestations). As he is about to be sacrificed, Églé enters to the sound of horns: Cupid

19 Leonard Tancock, Introduction, in: Denis Diderot, The Nun, trans. L. Tancock, Harmondsworth (Penguin Books) 1974, p. 11sq. 20 Sc. 9: “Entrée de Nymphes. Une Nymphe parée danse l’Air de la Volupté de Rameau & le Tambourin de Jephté, que les autres Nymphes reprennent en Chœur, elles finissent en se rangeant sur deux lignes aux côtez de l’Autel”: Les nymphes (1748), p. 34.

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has been spotted in the forest and the nymphs must take up arms against him; Thémire and Cyane release the Satyr, who chases them offstage. From the basket of flowers a small Cupid emerges, wearing coloured wings: he gives an arrow to Thémire, who pricks herself accidentally. She abandons herself to Love; then Agénor appears and a love-​scene ensues. Offstage, Diana’s forces are defeated. Cupid brings on the captured nymphs: even Sévérine must now concede victory. A divertissement concludes the proceedings, as Cupid unites the nymphs with various lovers.

Les nymphes stands chronologically between the initial Théâtre de la Foire period and the freely cosmopolitan opéras-​comiques that stemmed from the Bouffon intermezzi in the 1750s, of which Le caprice amoureux, ou Ninette à la cour is the best-​known example from Favart’s pen. The marquis d’Argenson noted of Les nymphes that “ce sujet est noble, mythologique, tendre et favorable aux plaisirs et à la nature; mais les mœurs, contraints par la loy, crient à la licence. Le jeu de théâtre y fait tout, le spectacle y charme, et la lecture n’en est que supportable et amusante pour un moment”21. He must have seen and read the comedy following the work’s belated Paris premiere and publication. But as we shall see, this was not identical to what had been shown in Brussels. D’Argenson’s reference to immorality refers partly to the work’s undoubted use of sexual innuendo, but the author surely recalled La Fontaine’s original Tale alongside Favart’s transformation of it: he specifically mentions elsewhere this kind of double-​impression in parallel cases22. Favart’s presence in Brussels is quickly explained. In June 1745 the Opéra Comique succumbed to pressure on the government exerted by the Comédiens Français: the government closed the Opéra Comique for an initial period of three years, extended later to six years23. Immediately, Favart’s services were sought by Maréchal Maurice de Saxe, then active in the War of Austrian Succession. He led an invasion of the United Provinces and entered Brussels in January 1746. During that year Favart travelled on campaign, in charge of theatre entertainments for Saxe’s French army (sometimes however performing for the enemy side!) then from 1747 to 1748 he became initially co-​Director, then sole Director, of the Théâtre de la Monnaie. Thus

21 René-​Louis de Voyer de Paulmy, marquis d’Argenson, Notices sur les œuvres de théâtre, ed. Henri Lagrave, Geneva (Institut et Musée Voltaire) 1966, p. 583. 22 “Cependant le fond du Conte ne peut se séparer de la pièce, et les spectateurs y ont toujours devant les yeux l’image de ce qui se passoit dans le conte”, written of La servante justifiée: d’Argenson, Notices, p. 605. 23 The French players claimed that their box-​office receipts were being harmed by the Fair theatre (that is, by the success of Favart’s own opéras-​comiques). Time showed that this was not true.

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it was that Les nymphes was premiered on 1 June 174724; the libretto title-​ page describes the company as “les Comédiens de S. A. S. Monseigneur le Comte de Saxe, Maréchal Général des Camps et Armées du ROY, & Commandant général des Pays-​Bas”. This was a well-​appointed company, although the number of choral singers and orchestral players remains unknown at present. But there certainly were dancers, as there were at the Fair theatres, and we have seen in Les nymphes that ensemble scenes and dances played a role. Malou Haine concluded that “à l’époque de Favart, le Théâtre de la Monnaie acquiert une réputation de qualité et de faste dans ses spectacles”25. Favart had improved the quality of the existing company by selectively introducing some of his own star performers as substitutes for lesser talents26. Sévérine was acted by Mme Durancy, formerly Mlle d’Arimath; Thémire was acted by Marie-​ Justine Favart under the name Mlle Chantilly27. Agénor was acted by Sr Durancy28 and Cliton by the veteran actor and dentist, Louis Lécluze. Cyane’s role was taken by Mlle “Danctaire” but this must be “D’Hannetaire”, one of the Brussels artists already in place, as was Mlle Jacmont (Églé) and the ten-​year-​old Mlle Evrard, to whom the role of Cupid was given29. Let us turn to more specifically musical questions that are exposed by the availability of the printed music supplement (Table des airs, 1748)  which we can read online on Gallica. On two occasions this document shows us for the first time in opéra-​comique en vaudevilles the nature of participation of orchestral horns. Clearly the dramatic excuse for these was the topic of hunting, apt for Diana’s realm. In Scene 18 Églé unexpectedly interrupts the

24 Details here and below taken from Malou Haine, Charles-​Simon Favart à la tête du Théâtre des armées du Maréchal de Saxe à Bruxelles (janvier 1746–​décembre 1748), in: Philippe Vendrix (ed.), Grétry et l’Europe de l’Opéra-​comique, Liège (Mardaga) 1992, pp. 281–​330. 25 Haine, Charles-​Simon Favart, p. 306. This article is followed by a long inventory of Favart’s theatre costumes in Dec. 1748; but I see nothing definitely associable with Les nymphes. 26 Complete list in Pierre Baron, Louis Lécluze (1711–​1792). Acteur, auteur poissard, chirurgien-​dentiste et entrepreneur de spectacles, Paris (Champion) 2018, p. 74. 27 Marie-​Justine-​Benoîte Duronceray (1727–​1772), who married C.-​S. Favart in December 1745. 28 Durancy (Jean-​François de Fieuzac Durancy) was a provincial actor later employed at the Comédie-​Française, according to Campardon, Les spectacles de la Foire, vol. 1, p. 18, note 1. 29 Cf. biographies in Haine, Charles-​Simon Favart, pp. 288–​296. Favart’s account of “La petite Everard” [sic] is in Mémoires et correspondance littéraires, dramatiques et anecdotiques de C. S. Favart, edd. A. P. C. Favart/​H. F. Dumolard, 3 voll., Paris (L. Collin) 1808, vol. 1, p. 164.

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sacrifice of the Satyr in order to announce Cupid’s arrival nearby. Sévérine reacts decisively with an order to the nymphs to mount their steeds and ensnare Cupid in some kind of trap. On pages 24 and 25 of the Table des airs (p. 45 of the 1748 libretto) we see Air 59, “À la chasse, à la chasse” in C major, whose final four bars are given solely to the cor de chasse: Sévérine’s voice drops out completely and “Cor de chasse” is entered in the music, while in the libretto Favart writes “Le Cor de Chasse achève l’Air”. In a similar way, Scene 19 also divides music between voice and horn(s):  this follows an improvised horn call in Scene 18, just before the defeated nymphs come onstage, “enchaînées avec des Fleurs & désarmées”. In Scene 19 Cupid, young Evrard, began Air 80, Ah que la forêt de Cythère in G major, but stopped after four bars when the horn solo answered with two bars of music. Cupid’s next four bars were followed by four final bars of horn music, which are indicated in the libretto (cf. p. 61) by the words, “Le Cor achève l’air”. These inconspicuous examples are of great interest not only for the study of orchestral accompaniments in vaudeville operas but also for the study of musical notation as it affects vocal parts. Research has been aware that named horn players formed part of the Opéra Comique orchestra at least from 1744: the first horn in summer 1744 was Dilesius; an unnamed German player took the second horn part. But perhaps before that, the practice was already in place whereby certain violinists doubled on French horn:  Bertrand Porot noted an undated document stating “cors de chasse jouant du violon”30. Yet inferences of a different sort may be drawn. If any voices (two different singers being involved in Scenes 13 and 19)  were to be in dialogue with an orchestral instrument, then all matching elements must have been in agreement: the voices must have sung in the correct key, at the correct pitch. But keys and pitches in vaudeville opera were not traditionally represented with exactitude in the printed sources. Moreover, earlier opéra-​comique was certainly not accompanied by instruments all the time:  the witnesses who testified to this practice include Jacques Lacombe31, Friedrich Melchior 30 Bertrand Porot, Les chants de Momus et de la Folie: pour une histoire institutionnelle et artistique du premier opéra-​comique, Mémoire original de recherches pour l’Habilitation, Université de Paris-​Sorbonne Paris-​IV 2012, vol. 2, p. 143sq. 31 “Ce chant grossier se débite, pour l’ordinaire, sans accompagnement. Ce qui ne peut être autrement: mais si les airs sont entiers, suivis & soutenus, ils doivent avoir un accompagnement complet. […] D’ailleurs lorsque les voix ne sont point contenues ou guidées par les instrumens, il est difficile qu’elles s’accordent; souvent même elles sortent du ton, & le chant, & la mesure ne sont point alors exactement observés”: Jacques Lacombe, De l’Opéra Comique, in: Le spectacle des beaux-​ arts, Paris (Vincent) 1761, p. 187sq.

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von Grimm32, and a witness writing to Mercure de France33. Other evidence points to the use of ritornellos which gave performers the key-​note while at the same time reminding them of the melody34. Les nymphes de Diane and its horn-​parts support those brief but important indications by Lacombe and others suggesting that certain vaudevilles could sometimes be accompanied. These witnesses never specified exactly, or with examples, what kind of music or situation was habitually involved in such cases: but we see from the context of both airs using horns in the present opera that conversation is not in question. In Scene 13, Sévérine is giving an order to the whole assembled group, and in Scene 19 a victorious Cupid is making an announcement in a similar way to everyone on stage: “Je viens de prendre ma revanche | Sur les Nymphes de ce Canton. | Le Cor joue le refrain. | En tout Pays ma Chasse est franche | Et rien n’évite Cupidon: | Le Cor achève l’air.” The significance of evidence concerning musical pitch and tonality, as raised by the horn-​parts, is simply that their notated presence implies that in each case we see an accurate indication of what was intended. Today, or whenever operatic music was recorded on paper by a composer, we assume that the tonality we see on paper was followed or obeyed by the musicians, or was transposed in a systematic manner. However, this convention did not (always) apply in vaudevilles. For one thing, different printings or editions of the same vaudeville regularly change its notated key; and for another, analysis of the manuscript source of La chercheuse d’esprit (cf. note 3 above) proves that even here, the notated pitches allotted to the soloists may not have had literally accurate meaning: the tessituræ of up to two octaves seem unnecessary in relation to the kind of music sung. When we follow through in this manuscript all the vaudevilles that are given to each singer, we find 32 [Les gens de goût] “n’étaient pas moins choqués d’y entendre dialoguer en vaudevilles et en couplets sans aucun accompagnement de musique”: Friedrich Melchior von Grimm et al., Correspondance littéraire, 15 voll., Paris (Furne etc.) 1829–​ 1831, vol. 4 [15 Sept. 1764], p. 63. 33 “Les Amours de Bastien et Bastienne […] sont en particulier dans la forme proposée. La piéce entiere se chante; mais l’orchestre n’accompagne que les ariettes ou quelques airs choisis qui en tiennent lieu”: Observations d’un amateur sur la réunion de l’Opéra Comique à la Comédie Italienne, in: Mercure de France (Jan./2, 1769), pp. 163–​167: 166. 34 After Fanchette has sung two lines of Air 112 at the end of Scene 14 of Le rémouleur d’amour (1722) by Alain-​René Lesage and Jacques Philippe d’Orneval the band interrupts and “L’Orchestre joue en Ritournelle la moitié de l’air suivant [Air 24] pour annoncer l’arrivée de l’Amour”. Fanchette and Pierrot then sing four lines to Air 24, seemingly unaccompanied, after which “L’Orchestre joue la reprise de l’air précedent”, in: Alain-​René Lesage/​Jacques Philippe d’Orneval, Le Théâtre de la foire, ou l’opéra comique, vol. 5, Paris (Ganneau) 1724, p. 103.

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the following information; these ranges relate specifically to conditions at the Opéra Comique in 174135, although the names of the singers have not been preserved: First female soloist: c to a; second ditto: b to a; third ditto: e to g. First male soloist (G2 notation was used):  c to a; second ditto:  b to a; third ditto: b to b flat; fourth ditto: c to a.

On the other hand, these wide ranges are not a priori impossible, if we compare them to the tessituræ of French solo vocal parts in general during the same period, as pragmatically analysed recently by Lionel Sawkins: Premier dessus: c to b; Second dessus: b to g. Haute-​contre: c to d; Taille and Basse-​taille: c to g; Basse: F to f 36.

When we analyse all the tessituræ in the same way in Les nymphes we encounter special problems in the cases of Mlle Chantilly (Marie-​Justine Favart), Mme Durancy and perhaps Evrard: the first two have notated top cs and the child soprano had a top a. The full information for female soloists is as follows: Chantilly: b flat to c Durancy: c to c Jacmont: d to a Danctaire: c to a Evrard: c to a.

Further points of definition arise for Marie-​Justine Favart when we analyse the tessitura of her vocal part in an intermezzo specially composed for her by her own teacher, Carlo Sodi: Baiocco et Serpilla (1753)37. In this score, Favart’s range does not exceed d to b, and only four times was the top note used: she was vocally comfortable between middle d and a, which makes the notated demands of her part in Les nymphes seem very unlikely, especially since this is a vaudeville work. For Durancy (Sévérine) Corrette’s final duet provides a guide to her normal tessitura (cf. pages 36–​40 of the Table des airs). Here she sang between e and f  sharp –​much less than the above analysis of vaudevilles shows. The 35 The manuscript ends with the special Compliment (end-​of-​season farewell entertainment) for the Foire Saint-​Germain of 1741. 36 Cf. Lionel Sawkins, Some Observations on French Vocal Practice and Technique 1670–​1750, in:  Marie-​ Alexis Collin (ed.), French Renaissance Music and Beyond:  Studies in Memory of Frank Dobbins, Turnhout (Brepols) 2018, pp. 545–​557. 37 Baiocco et Serpilla | Parodie Françoise | Du Joueur | Dédiée à Madame la Marquise | De Champcenetz | Par Mr. Sody, Paris (Aux adresses ordinaires) s.a., available on Gallica.

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new evidence from Les nymphes supports the provisional conclusion that we must continue to accept that vaudevilles were sung at potentially any pitch that was convenient to a singer; the singer’s range would have been allowed for when pre-​arranged accompaniments were made and rehearsed by the musical director. In Air 59 Sévérine apparently sang in C major (cf. page 24 of the Table des airs) owing to the role played by cors de chasse, and here her notated range was only g to g. In Air 80, where Evrard apparently sang in D major to accommodate the cors de chasse, her notated range was only d to d, which indeed one might expect for the voice of a ten-​year old soloist (cf. page 34 of the Table des airs). The inclusion of Corrette’s final duet, without any attribution in the 1748 sources, opens up several questions because no single composer has been associated with Favart’s œuvre in the same way as, say, Jean-​Claude Gillier was associated with Lesage and d’Orneval’s output. Did Corrette write his duet for the abandoned 1741 premiere? The duet part for M. Rebours as the Satyr is visibly harder than that for Mme Durancy (cf. pages 36–​40 of the Table des airs). Since Rebours was active on the stage from 1736 through to 1748, we may imagine that Corrette would have known his capacities at first hand:  Corrette’s compositional activity in popular theatre covered at least the years 1732 to 174838. Association between Corrette and Favart is strengthened inasmuch as within Corrette’s volume containing the Nymphes duet (Vaudevilles et ariettes de l’Opera Comique) we also find a Tambourin “dans le Ballet des Bateliers de Saint-​Cloud”, that is, a vaudeville opera by Favart given in September 1743. Rebours and d’Arimath (i.e. later Mme Durancy) both took solo parts in this same comedy. But Corrette’s name is absent from the first edition of the libretto39. The inference would be that Corrette probably did compose his duet, Cruelle Sévérine, in 1741. Moreover there is evidence for Favart writing letters when on his travels, in search of music back in France that he needed: an undated letter from around 1746 to his mother reads, “Priez M. Boismortier de m’envoyer la musique des Fêtes publiques que l’on me demande tous les jours; je lui écrirai incessamment qu’il ne m’en veuille point”40. Equally, he could have written to Corrette in the same vein from Brussels. This article has not focused on the expressive quality of the music selected by Favart; nevertheless Les nymphes can be said to be well representative of the 1740s in borrowing a few pieces of longer music that could be used in extending comic scenes, especially those involving two or more people. As

8 Rebours’s roles: Baron, Louis Lécluze, p. 425. 3 39 Charles-​Simon Favart, Les bateliers de Saint Cloud, [Paris] (Prault Fils et al.) 1744. 40 Favart, Mémoires et correspondance, vol. 1, p. xxxviii.

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Elisabeth Cook has described, the era of rapid development in comic ensembles after 1753 was prepared for by comic ensembles using borrowed music: It was also common for a vaudeville to be divided between singers. […] characters might alternate stanza by stanza, couplet by couplet, line by line, or interrupt one another in mid-​line. Their dialogue sometimes lasted for one or two vaudevilles or might be sustained over several.41

Favart began to use instrumental music –​not just catchy dances from divertissements at the Académie Royale de Musique but also keyboard pieces, especially by Couperin. The average length of vaudevilles in Les nymphes is eighteen bars; but the duet in Scene 8 between Cliton (chained to the altar) and the Satyr (Air 40)  is thirty-​four bars long. Using Moroney’s table of identifications, we know that this extended melody was La marche des gris-​ vêtus from the Premier livre of Couperin’s fourth keyboard Ordre (1713)42. Moroney shows that this march was normally parodied in the form of drinking-​songs. In Les nymphes, thanks to Favart’s incomparable skill, the blending of the humorous stage situation with the words of its conversation, fitting so well with changing patterns in the music, attains great heights of comedy. Immediately, the audience could recall La Fontaine’s character tied to a tree when persuading the miller to release him by pretending to be a prudish lover. And the grotesque appearance of the Satyr would enhance the humour of a priapic gullibility already familiar to the onlookers. In 1755, as we noted earlier, Favart redesigned Les nymphes and eliminated the spoken dialogue. The singers were now different, except for M. Alexandre in the role of Gangan43. What we see in particular is the way Favart brought in new ensembles covering important moments in the action. When Églé rushed in at Scene 4 of the 1747 version, she explained the intrusion of a stranger in both song and speech; no-​one else sang. But now, “in delaying and expanding Églé’s explanation, Favart has not only heightened the dramatic situation but [created] an interesting quartet in which Églé competes with two excited friends and a sterner third”44. Cook’s edition of this new vaudeville (its title, or timbre, was Vuidons nos pots & la bouteille)

1 Cook, Duet and Ensemble, p. 37. 4 42 Cf. Davitt Moroney, The Parodies of François Couperin’s Harpsichord Pieces, in: Michelle Biget-​Mainfroy/​Rainer Schmusch (edd.), “L’esprit français” und die Musik Europas. Entstehung, Einfluss und Grenzen einer ästhetischen Doktrin, Hildesheim et al. (Georg Olms) 2007, pp. 608–​633: 627. 43 See note 8; and a new setting of of the final vaudeville “Je voulois vaincre l’Amour” replaced Corrette’s 1747 vaudeville, in the same key of A major. 44 Cook, Duet and Ensemble, p. 72sqq.

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shows the virtuosic rapidity with which their voices change places, and the extremely disjunct intervals that they must negotiate. As a measure of cultural change between older and newer sensibilities in popular theatre, Scene 15 is more revealing. In the 1747 version, the Satyr ran away harmlessly after having been untied by Thémire and Cyane. Now, in the 1755 version of this episode, he becomes a real threat to the virginal nymphs, stripping off his garment of intended sacrifice: “Il déchire son habit de victime, & s’approche des Nymphes en riant” (page 38). At this point a new ensemble starts, headed “Ariette. Mon p’tit cœur”. It was sung to an extremely lengthy text in the form of an action-​piece between all three characters. Unfortunately, neither the given timbre nor the sung text itself fits musical sources so far identified45. In fact, the Satyr grabs both nymphs at the same time (“les saisissant toutes deux en même tems”) in the middle of the ensemble and is only frightened away when they cry out for help –​in music –​and pretend that the High Priestess is approaching. Let us hope that, one day, a musicologist inspired by the practical and scientific work of this book’s dedicatee will be able to bring Les nymphes de Diane back to life, and other works like it.

45 For example, melodies reproduced in Pierre Capelle, La clé du caveau, Paris (Capelle & Renand) 1811. The word “Ariette” in 1755 meant a modern, Italian style of music for either solo or ensemble voices, incorporating action.

Herbert Schneider

Das Finalvaudeville bei Charles-​Simon Favart –​ Gestalt und Funktion Das Finalvaudeville ist eine der wichtigsten Abschlüsse der Opéra comique, des Singspiels und existiert sogar in Komödien. Der Abschluss eines Theaterstücks entscheidet in hohem Maße über seinen Erfolg bei den ersten Aufführungen wie beim längerfristigen Erfolg. Zu der Zeit, als das Finalvaudeville im Gebrauch war, beabsichtigten die Dramatiker, eine Distanz zum Geschehen der Hand­ lung zu schaffen und damit die theatralische Illusion zu zerstören. Indem in der Regel alle Darsteller abschließend ihre jeweiligen moralischen Überlegungen zur Handlung vortrugen, konnte ein Ruhepunkt der Reflexion und der Korres­ pondenz mit den Zuschauern hergestellt und eine Brücke zu den alltäglichen Problemen des Publikums geschaffen werden1. Die Autoren bedienten sich des Finalvaudevilles in Stücken für das Théâ­ tre de la foire, in den Opéras comiques mit Originalmusik seit den 1750er Jahren, in Singspielen, und es begegnet sogar in italienischen Stücken. Ihr Bestreben bestand darin, sehr originelle inhaltliche Lösungen zu finden. Die Aufgabe der Komponisten bestand darin, eine eingängige Melodie zu komponieren, die über alle Qualitäten verfügt, damit das Publikum sie beim Verlassen des Theaters bereits singen kann. Auch deshalb enthalten die Li­ brettodrucke meist den einstimmigen Notensatz der Melodie. In den Lexika wird das Vaudeville als Text definiert, der auf eine bekannte Melodie, ein Timbre, gesungen wird. Als Finalvaudeville, das in den Lexika und Enzyklo­ pädien erst im 20. Jahrhundert eigens erwähnt wird2, schuf man in der ganz überwiegenden Zahl originale Melodien.

1 Obwohl Diderot, Nougaret und La Harpe das Finalvaudeville streng kritisiert haben, überlebte es auf den Bühnen bis in die 1820er Jahre und wurde von Stra­ vinskij wieder aufgegriffen, Herbert Schneider, Vaudeville, in: MGG2, Sachteil, vol. 9, col. 1328sq. 2 So z.B. im Artikel Vaudeville von Daniel Heartz, in: MGG1, vol. 13, col. 1329sqq., oder im Artikel Vaudeville von Clifford Barnes, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, London (Macmillan) 1980, vol. 19, p. 567. Meist erwähnte man nur das Finalvaudeville der Entführung aus dem Serail von Mozart, »Nie werd’ ich deine Huld verkennen«. Cf. auch Herbert Schneider, Zur Entwicklung und Bedeutung des Final-​Vaudeville, in: Ursula Kramer (ed.), Lieto fine? Musik-​ theatralische Schlussgestaltung um 1800, Tübingen (Francke) 2009 (Mainzer For­ schungen zu Drama und Theater 40), pp. 85–​122. Darin werden die Etappen des

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Strophische Gesänge am Ende von Bühnenwerken erschienen zuerst in Stücken des Théâtre de la foire, es sind bis 1722 in der Mehrzahl Branles, aber auch Rondes oder Vaudevilles, aber in keinem Fall zu dieser Zeit als »vaudeville final« bezeichnet. Von den 88 in den neun Bänden des Théâtre de la foire3 publizierten Stücken enden 52 mit strophischen Gesängen die­ ser Art, wobei Timbres nur in Ausnahmefällen eingesetzt wurden und die Verwendung eines zuvor bereits gehörten Timbres vermieden wurde. Origi­ nale Kompositionen sind die Norm. Angaben der Personen, die ein Couplet zu singen haben, sind in den frühen Stücken eine Ausnahme, selbst noch in Stücken Charles-​Simon Favarts. Die captatio benevolentiae als letztes Couplet des Finalvaudevilles ist die Regel, kann aber auch fehlen. In den ersten Jahren der Verwendung des Finalvaudevilles wird das Verhalten der dramatis personae oder ihre Beziehung zueinander beschrieben. Der Inhalt als moralische Belehrung, wie man ihn aus den Finalvaudevilles in Beau­ marchais’ Les noces de Figaro oder in Mozarts Entführung aus dem Serail kennt, begegnet in der Frühzeit noch selten. Auch Komödien enden mit Finalvaudevilles, so Houdar de La Mottes sehr vielgestaltiges Divertisse­ ment in Le magnifique (1731) mit sechs Couplets mit Ratschlägen für Ehe­ männer, für verliebte Alte oder Bewerber in Liebesbeziehungen. Man soll Frauen und Mädchen nicht einsperren, denn »il [Amor] rompt les verroux et les grilles«4. Der ehrgeizige und tyrannische Liebhaber kommt nicht zum Erfolg; um eine angebetete Frau zu beeindrucken, können Geschenke mehr schaden als Geiz; der reiche Bewerber tut gut daran, seinen Reichtum nicht zu manifestieren. Der Refrain enthält eine moralische Lektion:  »Donnez, amants, mais donnez bien; | Qui donne mal, ne donne rien.« Das Thema des Geizes wird in der captatio benevolentiae aufgegriffen: »Soyez avares de critiques, | Si vous ne sortez pas contens. | Ce n’est qu’en applaudissemens |

Finalvaudevilles von Beginn bis zum Verschwinden um 1825 und seine Rezeption im Singspiel behandelt. 3 Alain-René Lesage/Jacques Philippe d’Orneval, Le Théâtre de la foire, ou l’opéra comique, 9 voll., 1721–1737, Reprint Genf (Slatkine) 1968. 4 Œuvres de Monsieur Houdar de La Motte, Paris (Prault) 1754, vol. 5, p. 155. Das Divertissement setzt sich aus einem Marsch und vier Airs zusammen (»Le ciel dans nos climats a versé ses largesses«, »Fuyez, avares sentimens«, »Qu’un empire a d’autorité« und »Dans une tour d’airain«), von denen jedes von einem Tanz und am Ende vom Finalvaudeville gefolgt ist, dessen Air »Ne gênons ni femmes ni filles« von Favart in La chercheuse d’esprit verwendet wird; cf. Théâtre de M. Favart, Paris 1763–​1772, Reprint Genf (Slatkine) 1971, vol. 6, p. 25, unter dem Titel »Air. No. 29 Donnez, amans; mais donnez bien. Vaudeville du Magnifique«. Die Timbre-​Angabe Favarts ist identisch mit dem fünften Vers der Couplets 2–​5 von Houdar de La Motte.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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Qu’il vous sied d’être magnifiques. | Applaudissez pour notre bien; | Criti­ quez, mais si peu que rien.« In den Stücken des Nouveau Théâtre Italien (1738) enden zwölf von 32 Parodien mit einem Finalvaudeville. Die Besonderheit ihrer captatio benevolentiae besteht darin, dass es nicht um Reklame für das vorausgehende Stück geht oder darum, die Gunst des Publikums einzufordern, sondern darum, an die Kritikfähigkeit des Publikums zu appellieren. Die Gegenüberstellung von früherer und heutiger Zeit in den Couplets wurde bald zum Topos, den auch Favart verwendet. In Arlequin au Parnasse ou La folie de Melpomène des Abbé Augustin Nadal (1732, Parodie von Voltaires Zaïre) charakterisie­ ren drei Personen die Situationen. In den ersten beiden Couplets werden die Opportunisten unter den Autoren, die Orientierung ihrer Stücke und auch das Publikum kritisiert. Thalie appelliert an das Publikum, die Stücke zu lesen, sie genau zu untersuchen, um sich ein Urteil zu bilden5: Le Chanteur Jadis on voyait en France Des ouvrages excellents; À présent les faux brillants, Sont reçus par préférence : Quoi ! le Public aujourd’hui N’est-​il plus semblable à lui ?

Le Chanteur Bon Sens, Morale, Justesse Jadis étaient en crédit À présent on n’applaudit Qu’à la verve qui les blesse. idem

Thalie, au public. Non, sur son premier suffrage On aurait tort de compter, On le voit se rétracter, Sitôt qu’il a lû l’Ouvrage : Et le Public d’aujourd’hui Est toujours semblable à lui.

Im Théâtre Italien sind die Finalvaudevilles mit neu, d.h. speziell für das Stück komponierter Musik eher die Ausnahme, man bedient sich bevorzugt beliebter vorhandener Timbres. Unter den Komödien von Marivaux, die nicht im Nouveau Théâtre Italien erschienen, enden fünf mit Finalvaudeville und drei davon mit captatio benevolentiae6. In der »comédie allégorique« Le triomphe de Plutus, in der die Neureichen heftig kritisiert werden, parodiert Plutus, der Gott des Reichtums, hier der Tresore, die Macht des Geldes. Die Eindringlichkeit der Parodie wird durch die Folge sehr kurzer Verse mit den immer gleichen Reimen und dem profilierten Refrain bewerkstelligt7:

Les parodies du Nouveau Théâtre Italien (1738), Reprint Genf (Slatkine) 1970, vol. 1, p. 352. Die Melodie besteht aus drei Phrasen von sechs Takten. 6 L’isle de la raison ou Les petits hommes, Le triomphe de Plutus, L’école des mères, L’épreuve, La colonie; La fausse suivante von Marivaux in Le Nouveau Théâtre Italien (1753) endet auch mit einem Finalvaudeville. 7 Pierre de Marivaux, Théâtre complet, texte préfacé et annoté par Marcel Arland, Paris (Gallimard) 1949, pp. 633 und 635. 5

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captatio benevolentiae 1. N’attendez pas qu’ici l’on vous révère, 7. Lorsqu’un auteur, instruit dans l’art de plaire, Si Plutus n’est votre dieu titulaire. Trouve des traits ignorés du vulgaire, Sans son pouvoir, On l’applaudit Tout le savoir On le chérit : Qu’on peut avoir Grand ou petit Ne peut valoir ; En font récit ; Rien ne répond à notre espoir Jamais l’ouvrage ne périt ; Le temps n’y peut rien faire. Le temps n’y peut rien faire. Mais quand on tient ce métal salutaire, Si l’on ne suit qu’une route ordinaire, Tout ce qu’on dit Le spectateur, Charme et ravit, Fin connaisseur, Tout réussit, Contre l’auteur, Chacun nous rit ; Est en rumeur ; Veut-​on charge, honneurs ou crédit, La pièce meurt malgré l’acteur ; Un jour en fait l’affaire. Un jour finit l’affaire.

Für Marivaux’ Finalvaudeville ist charakteristisch, dass die moralische Belehrung auf leichte und subtile Weise präsentiert wird. Das Finalvaudeville trägt nicht nur wesentlich zum Erfolg bei, sondern auch zum moralischen Gewicht des Stückes. Für wie bedeutend man es erachtete, geht daraus hervor, dass in den Theaterlexika des 18. Jahrhunderts am häufig­ sten Verse daraus zitiert werden, im Dictionnaire des théâtres de Paris der Frères Parfaict oftmals sogar mehrere Couplets und damit die häufigsten Zitate aus den Stücken8. Viele Finalvaudevilles gingen in die orale Tradition ein, viele davon überlebten allerdings nur für ein oder mehrere Jahrzehnte. La clef du caveau von Pierre Capelle (1810, insgesamt fünf Auflagen) gibt davon Zeugnis9.

8 Cf. Les Frères Parfaict, Dictionnaire des théâtres de Paris, Paris (Lemercier, Sail­ lant) 1756, cf. z.B.  in vol.  3, pp.  118–​119, zwei Couplets aus Marivaux’ La colonie. Es handelt sich um die Couplets 1 und 3 des Vaudevilles im Divertisse­ ment, mit dem das Stück beginnt. In vol. 1 des Dictionnaire des théâtres sind 23 Finalvaudevilles wiedergegeben (pp. 7, 73, 81–​82, 97, 112, 120, 130, 138, 188, 243–​244, 307, 309, 313, 316, 333, 336, 349, 351–​353, 360, 439, 474, 478), in fünf Fällen zwei Finalvaudevilles und dreimal die captatio benevolentiae (pp. 96, 120, 376). Antoine Jean Baptiste Abraham d’Origny, Annales du Théâtre Italien, Paris 1788, vol. 1, pp. 189–​190, druckt u.a. die Couplets 2, 3, 5 und 7 des Final­ vaudevilles aus Favarts Hippolyte et Aricie ab. 9 In seinem Repertoire für Chansonniers und Theaterautoren hat Pierre Capelle, La clé du caveau, Paris (Cotelle) 1810, insgesamt fünf Auflagen, einen großen Teil der mündlich überlieferten Timbres verschriftlicht und archiviert.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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Von den 58 Stücken der zehn Bände des Théâtre de M. Favart enden 34 Stücke mit Finalvaudeville10; die vier Parodien von Opere buffe und 21 andere Stücke enthalten keine (siehe Anhang)11. In 11 der 33 der Finalvaudevilles ver­ zichtete Favart auf die captatio benevolentiae12. Mit seinen Finalvaudevilles setzt er die Tradition fort und erfindet neue, sehr interessante Lösungen. In seiner Parodie von Rameaus Hippolyte et Aricie (1742, Wiederauf­ nahme 1757) mit einer damals üblichen neu komponierten Ariette »Dans mon cœur s’élève une rage« bedient sich Favart noch des Branle, hier mit acht Strophen, der in diesem Fall dem Finalvaudeville folgt, das wie in eini­ gen Beispielen mit einer captatio benevolentiae beginnt13. In den Couplets 2, 4 und 5 dialogisiert die Mutter mit der Tochter über die Art, welchen Umgang man mit jungen Bewerbern pflegen soll. Im dritten Couplet spielt Favart auf die Abwesenheit von Soldaten und die Präsenz von »muguets coquets« (junge Kavaliere) an. Alle diese Couplets (8a 8a 6b+ 8c 7c 4b+)14 haben keine inhaltliche Beziehung zur Thematik der Parodie. 1. Heureux qui flatte votre goût ! 6. Auteurs, Acteurs timpanisés On tâche de le suivre en tout ; Ne soyez point scandalisés Mais souvent on s’abuse. Des jeux de notre Muse. Quand on ne fait pas ce qu’on veux, Vous ne serez pas critiqués, Messieurs, on fait ce qu’on peut ; Si vos talens n’étoient marqués ; C’est une excuse. C’est une excuse. 7. Cette Piéce a beaucoup d’endroits Qui peuvent vous paroître froids, Messieurs, on s’en accuse : Mais nous avons bâti cela Sur des paroles d’Opera ; C’est une excuse.

Die Musik dieses Finalvaudevilles mit zwei Phrasen à sechs Takten, basiert auf einem einzigen, sieben Mal wiederholten rhythmischen Motiv, das die Melodie einzig prägt und zu mehreren prosodischen Eigenarten bereits im ersten Couplet 10 Cf. Théâtre de M. Favart. 11 Anstelle des Begriffs Vaudeville verwendet Favart auch »Ronde«, u.a. in Bastien et Bastienne (1753), in Annette et Lubin (1762) und L’école des amants grivois (1744). Auf Timbres werden die Finalvaudeville in Le retour de l’opéra-​comique (1759) und in der captatio benevolentiae von Thésée (1745) gesungen. 12 U.a. in »Le Turc généreux« und »Les fleurs« von Les Indes dansantes (1751), in La fête de l’Amour (1754), L’école des amours grivois (1747) und Le mariage par escalade (1756) gesungen. 13 Cf. Théâtre de M. Favart, vol. 1, pp. 46–​48. 14 8a bedeutet Achtsilber mit männlicher Kadenz, 6b+ Sechssilber mit weiblicher Kadenz.

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führt (»Mais souvent on s’abuse; c’est une excuse«). Im dritten und sechsten Vers wird die weibliche Kadenz verlängert, sie wird also wie eine männliche behandelt: Verse 1–​2 Verse 4–​5

   |   Heu-​ reux qui flat-​ te On tâ-​ che de se

Vers 3

   |  Mais sou-​ vent on

Vers 6

 |   . |  C’est une ex-​ cu-​ se

  |  vo-​ tre goût suivre en tout

 . |  s’a-​ bu-​ se

Ergänzend zur Einstellung in Liebesdingen von Lisette in den Couplets des Finalvaudevilles kommen in den Branles die Liebesabenteuer Dorines, Colet­ tes und Lises, Personen, die in dem Theaterstück nicht vorkommen. Der Re­ frain »V’là que c’est que d’aller au bois« ging als Timbre in die Oralität ein15 und steht noch unter der Nummer 627 in Capelles Clé du caveau. Der Text ist in »Vers libres« (in heterometrischen Versen), die musikalische Struktur der Melodie besteht aus drei Viertaktern, von denen der letzte wiederholt wird. Mehrere Finalvaudevilles Favarts huldigen dem König, so das von L’école des amours grivois (1744, »Vive le roi de France«, »Nous chantons le plus grand des Rois«)16 oder das von Le bal de Strasbourg (1744), ein Stück, das zur Wiedergenesung des Königs geschrieben wurde, dessen Refrain lautet: »Mes craintes cessent | Nos plaisirs naissent | Avec la santé de LOUIS«17. Les fêtes de la paix (1763) entstand anlässlich der Einweihung des Standbilds des Königs und des Friedensvertrags von Paris am Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Im ersten Couplet des Finalvaudevilles wird gesungen: »Vive la Paix, vive la Paix | Les amours seuls prendront les armes; | C’est pour nous rendre tous amis; | Vive Louis, vive Louis«18; in den folgenden zehn Couplets werden die Verse 3 und 6 als Refrain wiederholt: »Vive la paix«, »Vive Louis«. Ein politisches Thema wird auch in Le mariage par escalade (1756) anlässlich der Rückkehr des Marschalls Richelieu nach der Einnahme von Port-​Mahon 1757 behandelt19. 15 Es erscheint möglich, dass die Melodie bereits bekannt war und Favart sie ver­ wendet hat, aber einen Nachweis dafür gibt es (noch) nicht. Sicher ist dagegen, dass ihre Popularität durch Favarts Stück erheblich gewann. 16 L’école des amours grivois, in: Théâtre de M. Favart, vol. 7, pp. 38 und 40. 17 Le bal de Strasbourg, in: ibid., p. 30. 18 Les fêtes de la paix, in: Théâtre de M. Favart, vol. 9, pp. 69–​72. 19 Le mariage par escalade, in: Théâtre de M. Favart, vol. 8, p. 47, erstes Final­ vaudeville: »En Général habile | S’empare de ce lieu | Richelieu | Fiers Anglois à vostre Isle | Vous pouvez dire adieu«; p. 48, zweites Finalvaudeville: »Ah! c’est une merveille. | Port Mahon, | À ton nom, | Le cœur se réveille.«

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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In Le prix de Cythère (1742) nimmt Favart wieder die alte Diskussion über die verschiedenartigen Beziehungen zwischen Mann und Frau in ver­ schiedenen Kulturen auf und plädiert für das Vorbild der »Wilden«. In seinem Text präsentiert Favart eine ideale Gesellschaft, in der es kein Pri­ vateigentum gibt, in der alle Menschen gleich sind und in der die Natur allen gehört. Diese Gedanken sind offenbar ein Widerhall der Utopia (Paris 1517) von Thomas Morus, wodurch sich Favart für das Ideal der Utopisten einsetzt. Die Lebensweise der Wilden stellt ein wirkliches Modell dar, denn ihre Liebe benötigt weder Reichtum noch Überfluss noch opulente Vergnü­ gungen, sie lieben ohne Eitelkeit, sie verweigern sich dem »Prix de Cythère«, denn ihn zu verdienen, genügt ihnen schon. Das Divertissement wird den Angehörigen verschiedener Zivilisationen, ihren Lebensarten und ihren ethischen Werten gewidmet. In zwei Airs en Rondeau und einem Finalvaudeville werden durch eine Holländerin, einen Spanier, durch Frauen und Männer aus der Türkei, aus Frankreich und aus einem undefinierten von Wilden bewohnten Land Meinungen über die Bezie­ hungen zwischen Frauen und Männern zur Diskussion gestellt. In ihrem Air »Viens doux vainqueur« verzichtet die Eingeborene auf jeglichen materiellen Besitz zugunsten der idealen Liebe zu dem Eingeborenen Ytis; die Französin verteidigt das Vergnügen der Untreue. In dem Stück hatten die Zuschauer zuvor erfahren, dass die Beziehung zwischen Holländerin und Holländer eine materielle Angelegenheit ohne Vergnügen, ohne Zärtlichkeit, ohne Kon­ flikte und damit die eines Handels ist20. Im Finalvaudeville wird ergänzt, sie erzeugten Kinder für die Republik (»Moi vais au but, et de vingt fils | L’y être mère«)21; die Beziehung zwischen den »asiatischen« Frauen und ihren Män­ nern –​für Favart bedeutet asiatisch »türkisch«22 –​besteht aus einer »glück­ lichen Sklaverei«23. In dem Theaterstück lebt die Georgierin in einem Serail und vergleicht darin ihre Gefangenschaft mit der Fabel vom Spatzen, der in Freiheit lebt und dem Zeisig, gefangen in einem Käfig24, und bemerkt im Finalvaudeville, »Que chaque Amant a droit de me plaire«25. Der Spanier ist ein langweiliger Liebhaber; die Frau ist wegen seiner Zurückhaltung, nicht

20 »trafic«, Le prix de Cythère, nouvelle édition, Paris 1761, in: Théâtre de M. Favart, vol. 6, p. 17. 21 Ibid.,  p. 69. 22 Im Finalvaudeville repräsentiert eine Türkin die »asiatische« Liebe, ibid. 23 Ibid., p. 19, »esclavage heureux«. 24 Im Winter lebt der Spatz im Elend, deshalb »Une liberté vagabonde | Vaut beau­ coup moins […] | Qu’une douce captivité.« Ibid., p. 25. 25 Ibid.,  p. 70.

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aber wegen seines Draufgängertums verärgert, denn er lebt während zwan­ zig Jahren allein mit seiner Sehnsucht und altert unter dem Fenster seiner Angebeteten. Die Französin und der Franzose schäkern gerne miteinander, vermeiden den Kummer, die Eifersucht, die Tränen, die Sehnsucht, die Schal­ heit in der Beziehung und bevorzugen die Untreue bzw. eilen von einer zu anderen Eroberung in Liebesdingen. Sie propagieren einen Topos französi­ scher Theaterstücke der Zeit, der besagt, dass die Liebe nach der Eroberung des Partners zu Ende geht, Ehe und Liebe unvereinbar sind. Favart verfügt über die Fähigkeit, in vier Versen eines jeden Couplets die verschiedensten Gesichtspunkte zum Ausdruck zu bringen. –​ Hebé, die Jurorin des »Prix de Cythère«, verleiht dem Wilden den Preis »sans étude« (ohne Ziererei); –​ die Holländerin möchte Mutter von sechs Jungen sein; –​ der Türke ist für zwanzig Schönheiten entflammt; –​ die Georgierin möchte von einem Mann geliebt werden, ohne dabei Hass oder Verachtung zu empfinden; –​ der Spanier gelobt, in zukünftigen Liebesdingen verwegener zu werden; –​ die Französin vermehrt ihre Liebeserrungenschaften und gefällt sich darin, in allen Zirkeln von Paris Gefallen zu erregen; –​ der Franzose sucht die sanfte und vorübergehende Wollust; –​ der Wilde bleibt immer verliebt in seine Gemahlin; –​ die weibliche Wilde findet ausschließlich ihr Vergnügen in der gegenseiti­ gen Liebe. Die von der »sauvagesse« vorgetragenen Ratschläge der letzten vier Cou­ plets sind an einen Musketier gerichtet, dem sie die Treue empfiehlt, an einen Ehemann, den sie vor dem Mitbewohner im Haus warnt, weil dieser zum Geliebten seiner Frau werden könnte, an Frauen, die Männern nur um des Reichtums willen gefangen nehmen, und schließlich an Männer, sie mögen reservierten und widerspenstigen Liebhaberinnen den Hof machen. Der Re­ frain dieses Finalvaudevilles mit 13 Couplets ist identisch mit dem Titel des Stücks, »Le prix de Cythère«, ein bald für das Finalvaudeville sehr populär werdendes Verfahren, das darin besteht, dass man den Titel des Stücks voll­ kommen oder teilweise im Refrain zitiert26. Die phonetische und klangliche Einheit des Finalvaudevilles wird durch zwei Reime des Refrains bewerkstelligt. In acht Couplets beschränkt sich Favart auf die Reime (prix, -​ère), in fünf Couplets auf drei Reime. Die beiden

26 Cf. u.a. La coquette sans le savoir (1744) mit dem Refrain »sans le savoir« oder L’amour déguisé ou le jardinier supposé, in dem die Worte »déguisé« und »jardi­ nier« in den Couplets des Vaudevilles aufgegriffen werden.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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ersten Achtsilber des Couplets werden auf eine viertaktige Phrase und die Verse 3 und 4, 5 und 6 –​Acht-​und Dreisilber –​auf zwei sechstaktige Phra­ sen gesungen. In Le prix de Cythère wendet sich Favart im Prolog an das Publikum, indem er bemerkt, das Stück sei keine »bagatelle«, sondern er wolle darin Emotionen hervorrufen, die Gefallen erregen27: On n’atteint pas d’abord le Vrai ; Mais lorsque l’on tente un essai, L’unique but, Messieurs, est de vous plaire : Ce point seul mérite salaire.

In La ressource des théâtres (1760), Text und Musik des Finalvaudevilles von Favart28, stellt er frühere und heutige Zustände gegenüber, um gesell­ schaftliche Probleme und solche des künstlerischen Schaffens zu seiner Zeit aufzuwerfen. Durch die bissige Kritik an Theaterautoren, an Menschen in ver­ schiedenen Lebensumständen und verschiedener Berufe nimmt dieses Stück eine Ausnahmestellung unter den Opéras comiques ein. Damit offenbart die­ ses Finalvaudeville die Orientierung an Vorbildern mehrerer Finalvaudevilles des Théâtre Italien, in denen intellektuelle, moralische und ästhetische Urteile beim Publikum angeregt wurden. Die Aufführungen von La ressource des théâtres im Januar 1760 fand im Übrigen gerade einmal zwei Jahre vor der Vereinigung von Opéra Comique und Théâtre Italien im Jahre 1762 statt. In den zwölf Couplets des Finalvaudevilles kumuliert Favart einen wahren Katalog29 von Missständen in der zeitgenössischen Gesellschaft. Die Cou­ plets sind in zwei Teile gegliedert, jeder mit drei Zehnsilbern mit männlicher und einem Refrain mit weiblicher Reimkadenz (»C’étoit la vieille méthode« für den ersten und »Voilà les portraits à la mode« für den zweiten Teil). Nur im letzten Couplet, der captatio benevolentiae, in der eine Umkehrung statt­ findet –​früher negatives Verhalten im Theater, heute Erfolg beim Publikum durch Orientierung am Geschmack des Publikums  –​, wird der M.  Bouret genannt, sehr naheliegend eine Anspielung auf Pierre Bouret, Melomane und Generalleutnant30, der es singt, der aber nicht zu den dramatis personae des Stückes gehört.

27 Le prix de Cythère, p. 3. 28 La ressource des théâtres, in: Théâtre de M. Favart, vol. 8, p. 38: »L’Air et les Couplets du Vaudeville sont de M. FAVART.« Eine Bestandsaufnahme, welche Airs Favart oder Mme Favart komponiert haben, fehlt bis heute. 29 Das berühmteste Beispiel eines gesungenen Katalogs ist Leporellos Arie »Mada­ mina, il catalogo è questo« in Don Giovanni. 30 Von Pierre Bouret erschien u.a. 1733 das Recueil de poésies diverses und Le triomphe des Mélophilètes, idylle en musique, s.l. s.a.

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Die positiven Erscheinungen in der Vergangenheit betreffen u.a. die Moral (keine Frivolität, Bescheidenheit, Schicklichkeit), das gesellschaftliche Leben (z.B.  der Jugend angemessene Freizeitbeschäftigung), die professionelle Seriosität (der Anwälte, der Finanziers, der Ärzte, Literaten, der Sänger, der Künstler). Die negativen Erscheinungen der präsenten Epoche betreffen den allgemeinen schlechten Geschmack, das gesellschaftliche Leben (keine ange­ messene Kleidung, das Luxusleben von Bürgern, Frauen, die sich mit ihren vielen Liebhabern brüsten, Alte, die sich wie Junge gerieren, Anmaßung, Hochstapelei, Verleumdung von Mitmenschen) und die Berufe (Gerichtsme­ diziner, die nach Moschusparfum riechen, Finanziers, die sich als Herzöge ausgeben, aufgeblasene Angestellte, die ständig nach höheren Positionen streben, Ärzte, die viel vorgeben, und Sänger mit miserablen Manieren). früher

heute

1. Toujours suivre avec uniformité Le naturel et la simplicité, Ne point estimer la frivolité. C’étoit la vieille méthode.

… … J’amuse aujourd’hui les goûts enfantins. Avec des Portraits à la mode.

2. Valet modeste au service d’un Grand, Laquais insolent, portants des plumets, Marquis du bel air, soutenant son rang, Les plus grands seigneurs vêtus en valets, Marchand qui ne s’élevoit pas d’un cran Des fils d’Artisans en cabriolets. [sic]. 3. Profonds Avocats s’occupant des Loix, Légistes musqués courant les concerts, Riches Financiers vivant en Bourgeois, Financiers qui tranchent de Ducs et Pairs, Commis sans orgueil dans de hauts Et petits Commis prenant de grands airs. emplois. 4. Les Nymphes d’amour craignoient les On voit aujourd’hui ces objects charmans, brocards, … … Et pour la décence avaient des égards. Tirer vanité d’avoir des amans. 5. Livrer sa jeunesse à de doux loisirs, En sachant toujours regler ses desirs, Mais à soixante ans quitter les plaisirs.

Des adolescens cassés et tremblants, Des femmes coquettes en cheveux blancs, Et de vieux barbons qui font des galants.

6. … La Vertu brilloit sous un habit long, Et la Bourgeoisie étoit sans façon.

Je peins l’ignorance en manteau fourré, … Je peins la roture en habit doré.

7. Le faste n’étoit que pour la grandeur, Les gens à talens n’avoient point l’ardeur, De vivredans la splendeur.

… Un petit Danseur, un tireur d’archet, En Phaëton va courir les cachets.

8. En habit lugubre le Medecin, Traitoit gravement son art assassin, Une mule composoit tout son train.

Chargé de bijouts plus que de Latin, Nos petits docteurs ont le ton badin, Et vont dans un char …

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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9. Avant de rimer, trouver un sujet, … Avec intérêt remplir son projet. …

Sans ces regles-​là, toujours nous brillons, … En bel oripeau nous vous habillons, On vous met en vers à la mode.

10. Gusto naturàl e simplicità, Del vero cantar era la beltà, E se cantava con facilità, …

La nota zigar dal basso in alto, Dal tetto in tel pozzo far un salto, E far come un gatto, mirmir, miao… Questo ze cantar alla moda.

11. Les fameux Artistes dans leurs tableaux, A présent tout est pieces et morceaux, Sçavoient exprimer les traits les plus beaux, On fait la figure avec des ciseaux, Le goût conduisoit leurs sçavans pinceaux. On nous rend aussi noirs que des Corbeaux. M. BOURET. 12. Ce Théâtre où doit regner la gaité, A plus d’une fois été déserté, On n’y venoit que par oisiveté.

En étudiant toujours votre goût, De vous attirer nous viendrons à bout, Puissions-​nous entendre chanter partout.

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Abbildung 1:  Charles-​Simon Favart, La ressource des théâtres, Paris (s.n.) 1760, p. 38.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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Den einschlagenden Erfolg dieses Finalvaudevilles, dessen Musik Favart komponiert hat, belegt sein Eingang in die orale Überlieferung als Timbre »Portraits à la mode«, das noch während der Revolution populär war31. Durch ihren Ambitus einer Duodezime gehört die Melodie von zweimal acht Takten für Sänger-​ Schauspieler und Liebhaber zu den anspruchsvollsten Finalvaudevilles. Sie ist durch ihren obstinaten Rhythmus charakterisiert, .   | .     . Da man ihn insgesamt 200 Mal in den zwölf Couplets hört, verlangt es von den Sängern, ihren Vortrag zu variieren. Die Stücke Favarts werden bei den Wiederaufnahmen verändert. Dafür kann Le bal bourgeois in der ungedruckten Version von 1738 und im Druck von 1762 als Beispiel dienen. Das Couplet des Finalvaudevilles ist komplex, Siebensilber a b+ b+ a c+ a a c+ c+ a, wobei das erste, dritte und vierte a der Refrain »D’une certaine façon« darstellt (Struktur:  Refrain + 4 Verse, Refrain bis 3 Verse, Refrain). Die fünf Phrasen der Melodie sind regelmä­ ßig, zwei Verse ergeben immer vier Takte, aber der Textrefrain ist nicht als Refrain in der Musik vertont, sondern hat stets eine neue Melodie. Die vom Komponisten geschaffene rhythmische Varietät zeigt sich besonders an den weiblichen Kadenzen: weiblich: männlich:

  

und und

 

und





Die Thematik der sieben Couplets in der Fassung von 1762 ist ziemlich weit gefasst, das Verhalten einer jungen verliebten Frau, die Arten des Empfangs einer Frau in einem Haus, der Wohlstand in der Familie. Die Frères Parfaict geben einen Auszug aus einem Manuskript32 der Fassung des Bal de Strasbourg von 1738 wieder. Das Stück war auch beim Erscheinen ihres Dictionnaire 1756 noch nicht im Druck erschienen. Die beiden Couplets von 1738 gehörten damals nicht zum Finalvaudeville, sondern wurden zu Beginn des Balls im Haus des Orgon im Zentrum des Stücks gesungen33.

31 Cf. Constant Pierre, Les hymnes et chansons de la Révolution, Paris (Imprimerie nationale) 1902, pp. 518, 773, 798, 1004, 1255, 1896. 32 Frères Parfaict, Dictionnaire des théâtres de Paris, vol. 1, p. 362. Das Manuskript des Stücks (F-​Pn Ms. français 9249) enthält keine Airs. 33 Es handelt sich um zwei Couplets des Finalvaudevilles von 1762: »Pour attraper un riche Epoux« und »En amour un Abbé coquet«, ibid., p. 361.

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In der Ausgabe von 1762 umfasst das Finalvaudeville »D’une certaine façon«, das in die orale Tradition einging34, sieben Couplets35; das folgende Couplet von 1738 strich Favart 1762: D’une certaine façon Agnès étoit languissante Un jeune Médecin tente De lui donner guérison. Il saigne, le mal s’évade,

D’une certaine façon, Il la guérit, ce dit-​on, Agnès n’a plus le teint fade, Mais je sçais qu’elle est malade, D’une certaine façon.

Offensichtlich vermied Favart 1762 das Thema des Aderlasses der verliebten Agnès durch einen jungen Arzt. Mit der Übernahme des seit 1738 bereits populären Vaudevilles förderte Favart den Erfolg der Wiederaufnahme des Stücks. In Annette et Lubin thematisiert Favart den Konflikt zwischen zwei jun­ gen naiven Liebenden mit einem Bailli (Amtmann), der Annette heiraten möchte. Sie sind mit dem Seigneur solidarisch, der zeitweise auch von Annet­ tes Schönheit angezogen war. Im Finalvaudeville folgt auf die vier Couplets des Seigneur je eines für Lubin und Annette; in der nachfolgenden »Ronde« singt jede Person des Stücks ein Couplet, dazu Arlequin (1771, in der Aus­ gabe von 1811 auch Le Bedeau und der Glöckner), und eine Art captatio benevolentiae für Lubin und Annette beschließt in manchen Ausgaben das Werk36. Die Couplets des Vaudevilles bestehen aus vier Versen des Couplets (7a+ 7b 7b 7a+) und fünf für den Refrain (12c 5d+ 5d+ 12c 7c), die Ronde aus 9 Versen (7a+ 7b 7a+ 7b 7c+ 7d 1d 7c+ 6d). Im ersten Couplet wird zum Fest eingeladen, in den Couplets 2–​3 huldigt Favart der Treue und der 34 Capelle, La clé du caveau, n. 1040, verzeichnet unter zwei Timbres, »Air du vau­ deville du Bal bourgeois« und »D’une certaine façon«. 35 Den fünften Vers der Fassung von 1738, »Un plaisant amoureux d’elle« hat Favart 1762 im sechsten Couplet in die originellere Version »Un Plumet [jeune soldat] amoureux d’elle« ersetzt. 36 Von Annette et Lubin erschienen 1762 bei Duchesne zwei Titelauflagen: im Exem­ plar F-​Pn Yf 6996 befindet sich nur die Ronde mit den Couplets 1, 2, 3 (Variante im ersten Vers »Par une fausse apparence«) und 7, im Exemplar F-​Pn Yth 976 das Vaudeville und die Ronde, wie im Recueil général des opéra bouffons, Paris 1771 und in Théâtre de l’Opéra-​Comique ou Recueil des pièces restées à ce théâtre, Paris 1811, vol. 1, pp. 115–​181. Im Théâtre choisi de Favart (1809, vol. 1) ist lediglich die Ronde mit zwei Couplets vertreten. Gustave Legouix hat 1910 in seiner Edition von Annette de Lubin, die anlässlich der Aufführung im Théâtre de Monsieur 1910 erschien, nur die Ronde reproduziert. Kritische Ausgabe: Marie-​Justine-​Benoîte Favart/​Adolphe Benoît Blaise, Annette et Lubin: comédie en un acte en vers, mêlée d’ariettes et de vaudevilles, edd. Andreas Münzmay/​Janine Droese, Kassel et al. (Bärenreiter) 2016.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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Unschuld, in Couplet 4 wird vor einer dritten Person als potentieller Liebha­ ber im Haushalt gewarnt, in Couplet 5 werden die Frauen vor dem effekt­ haschenden Schminken und in Couplet 6 vor der affektierten Sprache gewarnt, während im Refrain die Treue als Voraussetzung des Glücks von Annette und Lubin hervorgehoben ist. Die musikalische Struktur des Vaudevilles ist variabel: das Couplet mit zweimal vier, der Refrain mit zweimal fünf Takten. Der moralisierende Grundtenor des Vaudevilles wird in der Ronde weiter­ geführt. Der Seigneur lobt das Glück des Paares, der Bailli ist eifersüchtig, Lubin und der Diener betonen, Reichtum, teure Schmuckgeschenke wögen nicht das echte Gefühl auf, Arlequin und der Glöckner bringen eine Wiege und begrüßen die Wahl Annettes von Lubin als Ehemann. Im Schlusscouplet laden Lubin und Annette alle, auch die Zuschauer des Stücks, zum Fest ein. In der Musik der Ronde ist der Verlauf des Vaudevilles umgekehrt. Auf die fünf Takte des ersten Teils folgen zweimal vier Takte, der letzte davon ist der Refrain, beide teilen darüber hinaus den gleichen Gavotte-​Rhythmus, wodurch beide Gesänge eine kunstvolle Entsprechung darstellen. Die Kehr­ seite davon sind zahlreiche Fehler der Prosodie. Die Parodie Tircis et Doristée37 entstand 1759 anlässlich der Wieder­ aufführung von Lullys Acis et Galathée. Neptune, der in der Oper Lullys den Mord von Acis durch seinen Sohn Polyphême wieder gutmacht, ist bei Favart durch einen Chirurgen ersetzt, der nicht den tödlich verwundeten »Horiphême« operiert, sondern Doristée/​Galathée ein Glas Wasser »sans pareille« (ohnegleichen) gibt, um Tircis zu retten. Favart stellt eine Einheit der fünf Couplets des Finalvaudevilles (8a+ 8a+ 9b 8c+ 8c+ 9b, Refrain 9d+ 10e 6d+ 7e) dadurch her, dass er den Liebhaber durch einen Fischer und die Frau durch einen zu angelnden Fisch ersetzt. Dem Refrain zufolge gerät jedermann in die Falle Amors: »Quoiqu’on dise, quoiqu’on fasse, | Il faut tomber dans les pièges de l’amour«. Beim Angeln bedenken die Frauen nicht, dass sie selbst auch gefangen werden (Couplet 1); die Frauen müssen sich schmücken und den Angelhaken vergolden, um Erfolg beim Fischen zu haben (2); um eine Kokette zu fangen, muss man glänzen, bei einer Sprö­ den ist Vorsicht geboten (3); Männer aller gesellschaftlichen Stellung ver­ lieben sich (4); der Dorfälteste überrascht die jungen Liebenden, schimpft furchtbar mit ihnen und versucht, die junge Frau für sich zu gewinnen. Die Sänger, Fischer, Fischerinnen, Schäferinnen und Schäfer treten nur im Final­ vaudeville auf, das damit vom Stück isoliert ist und nur den Zweck hat, banale Ratschläge zu geben und zu amüsieren. Die Form des Gesangs ist

37 In der zweiten Szene von Tircis et Doristée ist Marie Justine Favart als Kompo­ nistin von »J’ai tenté mille fois, hélas | De rompre mes chaînes cruelles« genannt, Tircis et Doristée, in: Théâtre de M. Favart, vol. 2, p. 9.

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weit origineller als der Inhalt: vier Takte für die Verse 1–​2, zwei Takte für Vers 3, Wiederholung der ersten vier Takte für die Verse 4–​5 und zwei Takte für Vers 6 und der Refrain mit zweimal vier Takten. In La soirée des boulevards (1758), einem mit nicht weniger als 18 Per­ sonen besetzten »ambigu mêlé de scènes, de chants et de danses«, der für die Wiederaufnahme 1760 um einen umfangreichen »supplément« erweitert wurde, präsentiert Favart ein buntes Bild des Lebens auf den Boulevards und in den Cafés von Paris während der 1750er Jahre –​er erwähnt selbst das Jahr 1749, als die Witwe, vier Jahre vor dem Tod ihres Mannes, ihrem Liebhaber die Hochzeit versprochen hat. Seine ironische Kritik richtet sich gegen die Bosheiten und sinnlosen Aktivitäten der Zeitgenossen. Die beiden in Szene 11 auftretenden Chansonniers lassen die Hoffnung auf die Verbes­ serung der Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen aufkommen, die durch den Einfluss der »Philosophes« erreicht werde. Sie klagen aber auch die Unverschämtheiten der »apprentifs de la finance«38, der Bänker und Spekulanten an, ein heute noch immer aktuelles Thema. Der Schlussgesang mit 14 Couplets, denen ein Duett vorausgeht, ist im Druck des Stücks als Divertissement bezeichnet. In den ersten sechs Couplets, die von drei Perso­ nen vorgetragen werden, die nicht im Stück aufgetreten sind (M. Bontour, La Victoire, La Fleur), wird der Ehrenkodex des Militärs präsentiert, sein Dienst am eigenen Land, das Vorbild der Offiziere in größter Gefahr, die Prinzen, die sich als Generäle gegenüber den einfachen Soldaten vorbildlich verhalten, der Stolz der Soldaten ohne Arroganz, der Respekt vor dem Feind und schließlich die Anwerbung junger Männer für den Militärdienst. Diese Couplets sind zweifellos der Verwicklung Frankreichs in den Siebenjähri­ gen Krieg geschuldet. In den folgenden Couplets variiert die Thematik: M. Bontour klagt seine Frau an, sie sei nach der Hochzeit zum Dragoner gegangen, sie erwidert ihm, sie habe wie er das Recht, auf Liebesabenteuer aus zu sein. Der Barbier berichtet über seinen Dienst beim Militär, wo es zu wenige Frauen gibt und man sie deshalb in der Oper rekrutieren müsse, darunter auch Vierzehnjährige. Ganz ungewöhnlich sind die Couplets der captatio benevolentiae:  Das Volk soll ins Theater kommen und den positiven Blick auf das Militär tei­ len; das Stück sei mehr Ausdruck des Engagements als ein theatralisches Meisterwerk, deshalb die Aufforderung, Nachsicht mit dem Stück zu üben; das Parterre sei mit der Einstellung des Autors einverstanden und unter­ stützt ihn. Auch musikalisch ist das Finalvaudeville militärisch geprägt: ein Eilmarsch mit hinreißendem punktierten Rhythmus und den beiden Refrainversen

38 La soirée des boulevards (1760), in: Théâtre de M. Favart, vol. 4, p. 36.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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»Reli, reli« und »Relan, tamplan, Tambour battant«39, wobei der zweite davon nicht in allen Couplets beibehalten ist. Dass diese Melodie mit kleinen Varianten noch in Capelles Clé du caveau (n. 515, unter dem Timbre »Je veux au bout d’une campagne ou Et r’li et r’lan, tambour battant«) verzeich­ net ist, beweist, welche Resonanz das Finalvaudeville hatte. Der Supplément de la soirée des boulevards (1760, Stück in neun Szenen und mit zwanzig Darstellern, davon zwei gemeinsam mit dem Stück von 1758) schließt auch mit einem Finalvaudeville mit 13 Couplets, deren Aus­ führende nicht definiert sind (die Braut ist nur als Sängerin eines Teils des zweiten Couplets genannt). Vor Beginn der gesungenen Bourrée wird zum Tanzen aufgefordert. Ein etwas stereotyper Vergleich der Hochzeiten und ihrer Menschen in Paris und in der Provinz ergibt, dass man in Paris aus rein finanziellem Interesse heiratet, ohne glücklich zu werden. Bei den dortigen aufwendigen Hochzeiten wird die Hälfte der Mitgift verbraucht. Auf dem Lande sind die Bräute aufrichtig, die Leute bescheiden und glücklich. Sehr geistvoll wird der Refrain »Qu’il n’y a pas de bonne fête | Sans lendemain« variiert. Die Ansprache an das Publikum des letzten Couplets gibt Einblick in die Realität des Besuchs der Vorstellungen, denn es wird eingeräumt, dass diese oftmals nicht gut besucht sind, wohl aber heute, und man bittet darum, bis zum Schluss der Vorstellung zu bleiben. Eine neue musikalische Lösung, welche die Mode der zweiteiligen Airs bei Wechsel des Tongeschlechts initiiert oder sie befördert hat, haben Marie-​ Justine-​ Benoîte Favart und Harny de Guerville 1753 in Les amours de Bastien et de Bastienne, Parodie von Jean-​Jacques Rousseaus Le devin du village, eingeführt. Die sechs Couplets, von denen nur das erste mit Bas­ tienne überschrieben ist, werden alternierend zwischen dem Dur-​und Moll­ teil gesungen. Inhalt ist eine vielfach ähnlich erzählte Liebesgeschichte, die keine Beziehung zum Stoff der Parodie hat. Die Schäferin Thérèse war ein­ fältig, ist aber inzwischen aufgeweckt. Sie muss im Wald ein verirrtes Schaf suchen und wird von dem aufdringlichen Coridon verfolgt. Sie verteidigt sich mit einem Stock, der zerbricht. Zuhause berichtet sie, sie habe im Wald den »esprit« gefunden. Da die Couplets für den Dur-​und den Mollteil den gleichen Bau haben (8a+ 4a+ 8b 8c+ 4c+ 8b –​Refrain 9d+ 8e)40, ist auch die Form der beiden Air-​Teile gleich (5+5, Refrain 4 Takte). Im allerletzten Vers wird wie des Öfteren in Finalvaudevilles eine Art Sprichwort vorgetra­ gen: »Dans un boccage | Sans l’savoir on trouv’ de l’esprit«.

39 In seinem Text notiert Favart hingegen »R’li, r’li, r’li, r’lan« und »R’lan, tanplan, tambour battant«. 40 Im zweiten Couplet hat Vers 4 jedoch neun Silben.

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Abbildung 2:  Marie-​Justine-​Benoîte Favart/​Harny de Guerville, Les amours de Bastien et de Bastienne, Paris (s.n.) 1759, p. 45sq.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

Abbildung 2 (Fortsetzung).

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Auch Favart und sein Komponist Adolphe Benoît Blaise haben ein Final­ vaudeville gleichen Typs in Isabelle et Gertrude (1765) eingeführt, einer »Comédie mêlée d’ariettes«, deren Konflikt zwischen fünf Personen ausge­ tragen wird. Die junge Witwe Gertrude möchte in ihrem »korrumpierten Jahrhundert«41 keusch leben und ist der Meinung, ihre Tugend und ihre Voll­ kommenheit aufzugeben, wenn sie wieder heiratet. Ihrer naiven und ergebe­ nen Tochter Isabelle, die erste Liebessehnsüchte empfindet, die die Mutter aber für das Kloster bestimmt, predigt sie, durch die Kommunikation mit Sylphen und höheren geistigen Wesen erhebe sich die Seele über sich selbst hinaus und die Tugend sei der Anfang einer »intellektuellen Beziehung mit den höheren Mächten«42. Der Liebhaber Isabelles erkennt die Phantasien Mme Gertrudes und erreicht die Hochzeit mit Isabelle. Dank seiner gesell­ schaftlichen Position und seiner intellektuellen Überlegenheit gelingt es dem Richter Dupré, Mme Gertrude zu heiraten. Mme Furet, der negative Cha­ rakter des Stücks –​sie trägt den Namen des Frettchens, mit dem man Kanin­ chen jagte –​, ist ein Lästermaul, das auch noch allen Leuten nachspioniert und sie verleumdet. Mme Gertrude zählt ihre Untugenden auf, Neid, Schein­ heiligkeit, Untätigkeit und Boshaftigkeit. Ihre Bestrafung ist Teil des lieto fine der Komödie: Ihre Tochter heiratet den jungen Mann Dorlis, der durch eine Intrige Mme Furets enterbt wurde. Vier dramatis personae singen die Couplets des Finalvaudevilles und Mme Gertrude die abschließende captatio benevolentiae, in der sie Kritik an dem »unvollkommenen« Stück befürchtet und einen bissigen Zensor mit Mme Furet vergleicht. Im ersten Couplet drückt Dupré seine Freude darüber aus, dass er sein Glück gefunden hat; Mme Gertrude bekennt, einen Irrtum begangen zu haben und dass die Liebe stärker ist als der Widerstand der Männer gegen sie. Dorlis betont, trotz aller Hindernisse sei der Mensch geboren, um zu lie­ ben. Isabelle sieht es als gerechtfertigt an, sich gegen den Willen ihrer Mutter gestellt und ihr Glück gefunden zu haben. Die Moral, die in zwei Refrain­ versen des Texts zum Ausdruck kommt, lautet: Überwindet die Intrigen, um glücklich zu werden. Wie die beiden Teile der Musik des Finalvaudevilles von Les amours de Bastien et Bastienne sind auch die von Isabelle et Gertrude gleich gebaut. *** Favarts Finalvaudevilles zeichnen sich durch eine große Vielfalt an behandel­ ten Themen und an musikalischen Lösungen aus. Favart und Mme Favart greifen in den 28 Stücken mit Finalvaudeville (siehe Anhang) allgemein

41 Isabelle et Gertrude, in: Théâtre de M. Favart, vol. 9, p. 24. 42 »d’un commerce intellectuel avec des Intelligences supérieures à notre être«, ibid., p. 35.

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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menschliche, gesellschaftliche und auch, wie z.B. im Fall von La soirée des boulevards, politische oder auch theatralische Probleme auf. In der Regel wird ein unterhaltsamer Ton gefunden, wobei die belehrende Funktion deut­ lich ist und Konfliktlösungen aufgezeigt werden. Die Refrains haben durch ihre mehrfache Wiederholung dadurch ein besonderes Gewicht, dass sie der Belehrung mehr Nachdruck verleihen oder die Heiterkeit befördern. Nur in zwei Finalvaudevilles Favarts ist der Chor der Solisten beteiligt43. Die Musik der Finalvaudevilles Favarts wird im Gegensatz etwa zu Charles-​François Pannards Stücken, der in seinen Opéras comiques Vaude­ villes verwendet, neu komponiert und in einem Stil, der es allen vortragenden Schauspiel-​Sängern ermöglicht, sie leicht vorzutragen, und dem Publikum, die Melodie sofort im Gedächtnis zu behalten und sie für Parodie-​Chansons zu verwenden. Zumindest neun dieser Vaudevilles sind in die mündliche Tra­ dition eingegangen44. Damit leistete Favart auch einen Beitrag zur typisch französischen Chansonkultur.

43 In L’amant déguisé ou Le jardinier supposé (1769), Musik von André Danican Philidor, und Les moissonneurs (1768), Musik von Egidio Duni. 44 »Avec l’amour embarquons nous« (Le Turc généreux), verzeichnet in Le chansonnier françois, s.l. 1760, vol. 3, p. 54; »D’une certaine façon, il faut agir en tendresse« (Le bal bourgeois), La clé du caveau, n. 1040; »Et r’li et r’lan, tambour battant ou Je veux au bout d’une campagne« (La soirée des boulevards), ibid., n. 515; »J’obtiens ta main, ma chère Agathe«, ibid., n. 1121; »L’autre jour le biau Colas« (Les amours grivois), ibid., n. 331; »Lubin aime sa bergère« (Annette et Lubin), ibid., n. 772; »Que le plaisir nous enchante« (La fanfare de St. Cloud), ibid., n. 680; »Toujours suivre avec uniformité« (La ressource des théâtres), ibid., n. 730; »V’là que c’est d’aller au bois« (Hippolyte et Aricie), ibid., n. 627.

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Herbert Schneider

Anhang Stücke mit Finalvaudeville im Théâtre de M. Favart Titel –​Band

Jahr

Anzahl der Couplets

captatio benevolentiae

Musik

Hippolyte et Aricie, I

1742

8, Branle

–​

Air noté

Le prix de Cythère, VI

1742

13, Refrain

–​

Air noté

Les bateliers de St. Cloud, VI 1743

10, Refrain

Applaus –​ Kasse gefüllt

Air noté

La coquette sans le savoir, VI

1744

9, Refrain

–​

nur Textstrophen

L’amour au village, VI

1745

7, Refrain

–​

Air noté

Thésée, VII

1745

10, Refrain

Nicht zu ge-​ fallen reicht nicht

Air noté

Les amours grivois, VII

1747

7, Refrain, Ronde 9, Refrain, 2, Ronde

–​ Kritik hat ihr Recht

Air noté Air noté

Les Indes dansantes, I I. Le Turc généreux III. Les fleurs

1751

1. 4 2. 12, Refrain 1. 4 2. 5

–​ –​ –​ –​

Air noté Air noté Air noté Air noté

Les amants inquiets, I

1751

6, Refrain

–​

Air noté

Fanfale, I

1752

6, V. de table

–​

Air noté

Tircis et Doristée, II

1752

5, Refrain

–​

Air noté

Raton et Rosette, II

1753

1. 5, Ronde 2. 7

–​ kurzes Amüsement

Air noté Air noté

La coquette trompée, I

1753

3

–​

Air noté

Bastien et Bastienne, V

1753

6, Ronde, Dur-​ –​ Moll

Air noté

La fête d’amour, V

1754

1. 7, Refrain 2. 5, Refrain

–​ –​

Air noté Air noté

Zéphire et Fleurette, II

1754

8

Bagatelle

nur Textstrophen

Cythère assiégée, VII

1754

7, Refrain

Nachsicht gefordert

Air fehlt

Les jeunes mariés, VII

1755

10, Refrain

jeder will urteilen

Air noté

Das Finalvaudeville bei Charles-Simon Favart – Gestalt und Funktion

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Les nymphes de Diane, VIII

1755

8, Refrain

wer zu lieben weiß, kann gefallen

Air noté

Le mariage par escalade, VIII

1756

1. 5, Refrain 2. 3, Refrain

–​ keine schlechten Couplets

Air noté Air noté

La soirée des boulevards, IV 1758 Supplement, IV 1760

14, Refrain 1. 11; 2. 10

das Parterre spielt mit bleibt bis zum Ende

Air noté Air noté

Pétrine, IV

1759

6

den Spaß nicht zu ernst nehmen

Air noté

Le retour de l’opéra-​ comique, VIII

1759

7, Refrain

Bagatelle Frucht des Ehrgeizes

Timbre

La ressource des théâtres, VIII

1760

12, Refrain

leeres Theater

Air noté

Le bal de Strasbourg, VII

1761

6, Refrain

Bestreben Air fehlt verdient Beifall cap. ben. Timbre

Le bal bourgeois, VIII

(1738) 7, Refrain 1762

–​

Annette et Lubin, VI

1762

6, Refrain 7 Ronde, Refrain

wahres Glück Air noté durch Unschuld Air noté Einladung zum Fest

L’Anglois à Bordeaux, IX

1763

11

mit dem Herz nur urteilen, die Textstrophen französische Liebe ausmalen

Les fêtes de la paix, IX

1763

12, Refrain

Zensoren, haltet euch zurück

Isabelle et Gertrude, IX

1765

5, Dur-​Moll

unvollständiges Air noté Werk, Zensor

Le jardinier supposé ou L’amant déguisé, X

1769

4, Refrain

das Herz mas-​ Air noté kiert sich nicht

Air noté

Air noté

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La rosière de Salenci, X

1769

10, Refrain

viele Werke Air noté können sich dem Gewitter nicht entziehen

Les moissonneurs, X

1772

5, zwei Verse vom Chore gesungen

glücklich wer nach Molière Erfolg hat

Air noté

Stücke mit Finalvaudeville, die nach Flora Mele, Le théâtre de Charles-​ Simon Favart. Histoire et inventaire des manuscrits, Paris (Champion) 2010, als Manuskripte existieren: L’amour naïf (1762), La belle Arsène (1773), La dragonne (1736), Les époux (s.a., zwei Finalvaudevilles), Marianne (1737, Divertissement final mit Finalvaudeville?), Le prince nocturne ou Le Normand dupé ou La pièce sans titre (s.a.), Les recrues de l’opéra-​comique (1740).

Daniel Brandenburg

Neue Perspektiven der Opernforschung: Einblicke in Leben, künstlerische Karriere und Alltag zweier Operisti des 18. Jahrhunderts Die Perspektive der Opernforschung hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen Wandel erfahren. Insbesondere im Hinblick auf die italienische Oper des 18. Jahrhunderts hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die einzelne Opernkomposition nur dann in ihrer Werkhaftigkeit erfassen lässt, wenn man sie als künstlerisches Produkt mehrerer kreativer Akteure und bestimmter institutioneller Bedingungen betrachtet1 und sich von der Vorstellung des Komponisten als alleinigem Urheber löst. Dazu gehört auch die Feststellung, dass der Werktext wandelbar war, und zwar ohne dadurch, wie es noch 1987 Georg Feder apodiktisch formulierte, per se einem »Verfallsprozess«2 zu unterliegen. Es ist nicht zuletzt das Verdienst der Sängerforschung3, die Aufmerksamkeit auf weitere musikalisch Mitwirkende jenseits des Komponisten selbst gelenkt und damit auch die Aufführungsbedingungen in den Blick genommen zu haben. In den letzten Jahren haben darüber hinaus Untersuchungen zur Mobilität der Operisti4 und der Diaspora italienischer

1 Eine Pionierleistung stellt in diesem Sinne Lorenzo Bianconis und Giorgio Pestellis leider unvollendet gebliebene Storia dell’opera italiana dar, insbesondere deren vierter, den institutionellen Bedingungen gewidmeter Band, cf. eid. (edd.), Storia dell’opera italiana, vol. 4: Il sistema produttivo e le sue competenze, Turin (EDT) 1987. 2 Georg Feder, Musikphilologie. Eine Einführung in die musikalische Textkritik, Hermeneutik und Editionstechnik, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1987, p. 156. 3 Auch diesbezüglich hat das in Anmerkung 1 genannte Projekt Lorenzo Bianconis und Giorgio Pestellis Maßstäbe gesetzt, cf. Sergio Durante, Il cantante, in: Bianconi/​Pestelli, Storia dell’opera italiana, vol. 4, pp. 347–​415. Cf. ferner auch Daniel Brandenburg/​Thomas Seedorf (edd.), »Per ben vestir la virtuosa«. Die Oper des 18. und frühen 19. Jahrhunderts im Spannungsfeld zwischen Komponisten und Sängern, Schliengen (Edition Argus) 2011 (Forum Musikwissenschaft 6). 4 Zu dem Begriff »Operista« und der Mobilität der Opernschaffenden cf. Reinhard Strohm, Europäische Pendleroper. Alternativen zu Hoftheater und Wanderbühne, in: Thomas Betzwieser/​Daniel Brandenburg (edd.), Gluck und Prag, Kassel et al. (Bärenreiter) 2016 (Gluck-​Studien 7), pp. 13–​28: 15; Daniel Brandenburg, Mobilität und Migration der italienischen Opernschaffenden um 1750, in: Wolfgang

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Daniel Brandenburg

Musiker in Europa5 entscheidend zu einer weiteren Differenzierung des Bildes beigetragen. Die meisten der neuen Ergebnisse sind allerdings von einer Perspektive bestimmt, die das vorhandene Quellenmaterial (Li­bretti, Partituren, Theaterakten) gleichsam von außen betrachtet und daraus Rückschlüsse zieht. Aussagen der damaligen Opernschaffenden selbst, die den Opernbetrieb von innen beleuchten, können nur selten zu Rate gezogen werden. Sie sind vor allem für die Berufsgruppe der Sänger und Orchestermusiker überwiegend in Archiven von Hoftheatern anzutreffen und deshalb zumeist eher administrativer Natur. Ein Beispiel dafür sind Eingabeschreiben an den jeweiligen regierenden Fürsten, die sich durch ihren eher formellen Charakter deutlich von den insgesamt seltener erhaltenen Zeugnissen eines privaten Gedankenaustauschs unter diesen Akteuren unterscheiden6. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Briefwechsel des Musikerehepaars Franz und Marianne Pirker als umfangreicher, relativ kohärenter Quellenkomplex eine besondere kulturgeschichtliche Bedeutung7. Er umfasst 250 Briefe, die in einem Zeitraum von dreizehn Jahren (1743–​1756, mit Schwerpunkt auf den Jahren 1748–​1749) verfasst wurden, darunter insbesondere Schreiben, die das Ehepaar untereinander austauschte, sowie Korrespondenzen mit dem Kastraten Giuseppe Jozzi. Darüber hinaus enthält er u.a. Briefe des Sängers Francesco Borosini und seiner Frau, des Impresario Pietro Mingotti sowie des Bologneser Agenten Raffaele Turcotti, des Bruders der Sängerin Maria Giustina Turcotti. Die besonderen Umstände, die zur Überlieferung des Bestands geführt haben, sollen im Folgenden kurz erläutert werden.

Entstehung und Überlieferung des Briefwechsels Marianne (1717–​1782) und Franz Josef Karl Pirker (1701–​1786) waren zeit ihres Lebens in der italienischen Oper tätig. Die Sängerin Marianne Pirker Gratzer/​Nils Grosch (edd.), Musik und Migration, Münster/​New York (Waxmann) 2018 (Musik und Migration 1), pp. 197–​205. 5 Cf. Reinhard Strohm, Italian Operisti North the Alps c. 1700–​1750, in: id. (ed.), The Eighteenth-​Century Diaspora of Italian Music and Musicians, Turnhout (Brepols) 2001, pp. 1–​59. Eingaben administrativer Art von Sängern und Musikern sind z.B. für das Hof6 operntheater Karl Eugens von Württemberg überliefert, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, u.a. unter A 21 Bü 620. 7 Eine vom Verfasser des Beitrags kommentierte Edition der Briefe wurde in einem vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich mitfinanzierten Projekt erarbeitet: Daniel Brandenburg (ed.), Die Operisti als kulturelles Netzwerk: Der Briefwechsel von Franz und Marianne Pirker, 2 voll., Mirijam Beier (Mitarbeit), Wien (Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) 2021 (Theatergeschichte Österreichs X/8). Im Folgenden werden die Briefe mit numerus currens nach dieser Ausgabe zitiert.

Neue Perspektiven der Opernforschung

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war bereits ein Jahr verheiratet, als sie neunzehnjährig (1736) zum ersten Mal als Mitglied der Mingotti’schen Truppe, die sich damals zur Zeit des Karnevals und der Herbstmesse in Graz aufhielt, nachweisbar ist. Ihr Mann, der Geiger und Konzertmeister dieses Ensembles, war in der zweiten Hälfte der 1720er Jahre am Wiener Kärntnertortheater verpflichtet gewesen und damit schon länger im Operngeschäft aktiv8. Zur Saison 1743/​44 ging das Ehepaar nach Italien, wo Marianne eine Scrittura am Teatro San Giovanni Grisostomo in Venedig annahm9. Im Laufe des Sommers 1746 verließen die Pirkers das Land wieder und reisten zum Herbst des Jahres nach London. Anlass war ein Engagement Mariannes als Gesangssolistin (und wahrscheinlich zugleich Franzens als Orchestergeiger) für die Opernsaison 1746/​47 bei der Opernunternehmung des Charles Sackville, Earl of Middlesex, die das King’s Theatre am Haymarket mit wechselhaftem wirtschaftlichem Erfolg bespielte10. Ende der Saison 1747/​48 spitzte sich die finanzielle Lage der Impresa zu. Nachdem der Impresario bereits in früheren Spielzeiten die Gagen nicht vollständig hatte auszahlen können11, traf es nun auch die Pirkers, die infolge des Ausbleibens des wohlverdienten Lohns hinnehmen mussten, dass ihr Vermieter bis zur Bezahlung ihrer aufgelaufenen Schulden ihren Koffer als Pfand konfiszierte. Nach einigem Zögern –​die Opernsaison endete bereits im Mai  –​reiste Marianne Ende August 1748 aus London ab12, um sich auf dem Festland (in Hamburg) wieder der Operntruppe Pietro Mingottis anzuschließen, die im Begriff stand, für die Spielzeit 1748/​49 nach Kopenhagen zu gehen. Bereits in der ersten Maihälfte 1748 hatte auch der Kastrat Giuseppe Jozzi, ein enger Freund und Korrespondenzpartner der Pirkers, London verlassen13. Mit der jeweiligen Abreise und der damit

Cf. Andrea Sommer-​Mathis, Die Anfänge des Wiener Kärntnertortheaters zwischen deutschsprachiger Stegreifkomödie und italienischer Oper, in: Divadelní Revue 2 (2015), pp. 139–​152: 147. 9 Cf. dazu das Schreiben Mariannes an Pietro Vendramin in Venedig vom 11. Mai 1743 (1): »Io mi trovo senza espressioni per dare le dovute grazie all’Eccellenza Vostra che si degnò di propormi a codesta nobile Assemblea e protegere il mio poco merito a segno di rendere appieno contento il mio sommo desiderio di produrmi la prima volta nel principale Teatro d’Italia […].« 10 Cf. Richard G. King/​Saskia Willaert, Giovanni Francesco Crosa and the First Italian Comic Operas in London, Brussels, and Amsterdam, 1748–​50, in: Journal of the Royal Musical Association 118/​2 (1993), pp. 246–​275. 11 Der Earl war unter anderem dem Kastraten Angelo Maria Monticelli die Gage für die Saison 1745/​46 schuldig geblieben, weshalb dieser ihn verklagte, siehe dazu weiter unten. 12 Die Abreise ist durch einen Brief Mariannes aus Harwich vom 24. August 1748 (9) belegt. 13 Cf. dazu als Beleg den Brief Jozzis aus Harwich vom 13. Mai 1748 (2). 8

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verbundenen räumlichen Trennung begann daraufhin ein reger Briefwechsel zwischen Franz, Marianne und Jozzi, der bis zu Franzens Aufenthalt in Hamburg Ende September 1749 andauerte. Erst kurz zuvor war es Franz schließlich gelungen, den Koffer zurückzubekommen und seine Schulden zu bezahlen. Marianne hatte sich in der Zwischenzeit am Württembergischen Hof für die Nachfolge Francesca Cuzzonis ins Gespräch gebracht, die in privater Angelegenheit nach Italien abgereist war. Nach Antritt des Dienstes gelang es der Künstlerin, auch ihrem Mann eine Anstellung zu verschaffen. Ihr Dienst am Stuttgarter Hof währte von 1750 bis 1756 und fand ein abruptes Ende: Im Zuge einer Hofintrige gegen Herzogin Friederike Sophie, deren genaue Hintergründe bis heute im Dunkeln liegen, fielen die Fürstin selbst und die Pirkers als ihre Protegés in Ungnade. Die Eheleute wurden verhaftet, in ein Staatsgefängnis gebracht, und ihr Besitz inklusive ihrer Korrespondenzen wurde konfisziert. Bei ihrer Entlassung, die erst Ende 1764 erfolgte und mit einer Ausweisung aus dem Land einherging, wurden die Briefe nicht wieder ausgehändigt, sondern verblieben in Stuttgart, wo sie heute im Hauptstaatsarchiv aufbewahrt werden14.

Inhalt und kulturhistorische Bedeutung Seine kultur-​und opernhistorische Bedeutung gewinnt der Briefwechsel aus der persönlichen Perspektive, aus der ins Operngeschäft der damaligen Zeit involvierte Künstler über sich und das Zeitgeschehen berichten. Der Schriftverkehr gewährt Einblick in wirtschaftliche15 und berufliche Aktivitäten sowie in das künstlerische Umfeld, die persönlichen Beziehungen und den sozialen Status der Pirkers. Bereichert wird dieses Bild durch den Briefwechsel mit dem Kastraten und Cembalovirtuosen Giuseppe Jozzi, der als Kollege und Freund in vertraulichem Ton weitere inhaltliche Facetten ergänzt, z.B.  was seine gesellschaftliche Stellung als Musico (Kastrat) betrifft16. Großen Einfluss auf den Inhalt der Briefe hatte ferner auch die dem beruflichen Leben der Opernkünstler immanente Mobilität. Innerhalb des professionellen Netzwerks der Operisti dienten solche Verkehrsschriften17 4 D-Shsa A202 Bü 2839 bis 2842. 1 15 Franz kaufte in London englische Luxuswaren zum profitablen Weiterverkauf durch Marianne auf dem Festland und beschäftigt sich deshalb in den Briefen u.a. auch mit Operationen des Geldtransfers. 16 Brief vom 14. September 1748 (18): »[…] oh Dio gran cosa a non aver Barba mentre se avessi questa cosa parirei più serioso, più savio, più huomo di famiglia. non riceverei alcun Titolo piccante, sarei ubbidito, e Temuto con dovere«. 17 Briefe, die zwischen Schreiber und Adressat auf dem Postweg oder über Kurier ausgetauscht wurden, im Unterschied zu solchen, die z.B. als offener Brief für eine Zeitschrift oder als literarische Form zur Veröffentlichung bestimmt waren.

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nicht nur der Anbahnung von Scritture, sondern auch dem Austausch von Informationen über künstlerische Aktivitäten (auch der Konkurrenz), Verdienstmöglichkeiten und Engagements. Die Kommunikation beruhte auf Gegenseitigkeit und auf der Hoffnung, dass sich der jeweilige Adressat für die gelieferte Neuigkeit irgendwann revanchieren würde. In Jozzis Schreiben nehmen die Umstände einer Konzertreise durch das Rheinland, die Österreichischen Niederlande und sein Aufenthalt in Paris (bzw. Versailles) breiten Raum ein18, während Marianne Pirker von den unterschiedlichen Spielorten der Mingotti-​Truppe (Hamburg, Kopenhagen), über deren lokalen Betrieb und dessen äußere Umstände berichtet. Für Franz hingegen stehen neben seinen mit seiner Frau gemeinsamen beruflichen und wirtschaftlichen Belangen vor allem die lokalen Londoner Begebenheiten im Mittelpunkt. Er erweist sich dabei als ein aufmerksamer Berichterstatter politischer Ereignisse und Chronist der Vorgänge, die die Londoner Gesellschaft allgemein und in Zusammenhang mit den Opernkünstlern bewegten. Er verknüpft sie zumeist mit Bemerkungen zu seinem beruflichen Umfeld und erlaubt auf diese Weise Einblick in seine Gedankenwelt.

London: Politik und Gesellschaft Der Friedensschluss von Aachen, der 1749 feierlich begangen wurde, beschäftigte die Operisti auf vielfältige Weise. Die damit verbundenen diplo­ matischen Großereignisse eröffneten die Aussicht auf punktuelle Verdienstmöglichkeiten und langfristig wirksame Kontakte im künstlerischen Netzwerk. London als Zentrum einer politischen Großmacht entwickelte in diesem Zusammenhang, wie die Briefe zeigen, für Musiker im Allgemeinen und Opernschaffende im Speziellen durch das dort anwesende große diplomatische Corps eine ähnliche Attraktivität wie Den Haag, Paris oder Brüssel19. Die besondere Aufmerksamkeit, die Franz Pirker in seinen brieflichen Berichten den Persönlichkeiten des diplomatischen Corps in seinem Umfeld und des diesem verbundenen Militärs widmet, belegt deren große Bedeutung für das künstlerische Netzwerk der Opernleute20. Franz machte dort u.a. die 18 Jozzi reiste anlässlich der Friedensverhandlungen nach Aachen und später auch nach Paris und Versailles. In Frankreich konnte er weder als Sänger noch als Cembalist nachhaltige Erfolge verbuchen. Seine Konzertreise wurde von einem kurzen Aufenthalt in London im Frühjahr 1749 unterbrochen, weil sich Jozzi kurzfristig Hoffnungen auf ein neues Engagement dort machte. 19 Brüssel wurde Residenz des Gouverneurs der Österreichischen Niederlande, Karl Alexander von Lothringen. 20 Die recht große Zahl der von ihm namentlich erwähnten Diplomaten unterschiedlichen Ranges (vom Gesandten über den Legationssekretär bis hin zum »Sekretär«) macht insbesondere deutlich, wie eng Opernbetrieb, Musikerkreise

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Bekanntschaft des Generals David de Montolieu, Baron de Saint Hippolyte (1669–​1761)21, einem Verwandten Friedrich Karls de Montolieu (1704–​ 1761), der die einflussreiche Position eines Oberhofmeisters und Tutors der jüngeren Brüder Herzog Carl Eugens von Württemberg bekleidete. Als »Cousin« des Barons weckte Friedrich Karl bei den Pirkers Hoffnungen, als möglicher Wegbereiter ihrer bereits damals aktuellen Stuttgarter Pläne dienen zu können22. In der Erwartung, dass der Schwager Maria Theresias, Karl Alexander von Lothringen, im Zuge des Friedensschlusses in Brüssel eine Hofhaltung einrichten würde23, ventilierten die Pirkers ferner zusammen mit ihrem Freund Jozzi die Gründung einer eigenen Opernimpresa in Brüssel. Neben der wallonischen Aristokratin Marie-​Louise-​Bernardine Gräfin Nobili24 sollte hierbei der Feldmarschall und spätere Haus-​und Hofmeister Karl Alexanders, Nikolaus Graf von Grunne, behilflich sein. Diese Pläne konnten dann allerdings nicht realisiert werden25. Gute Beziehungen zu den diplomatischen und höfischen Kreisen verschafften Franz auch die Möglichkeit, im weiteren Gefolge von Würdenträgern

und gesellschaftliches Leben in London miteinander verwoben waren und welchen hohen Stellenwert dadurch diese Persönlichkeiten für das europäische Musiker-​ und Opernnetzwerk hatten. Cf. Daniel Brandenburg, Italian Operisti as Cultural Network: Insights and Contexts of the Pirker Correspondence, in: Cristina Scuderi/​Ingeborg Zechner (edd.), Opera as Institution: Networks and Professions (1730–​1917), Wien (LIT) 2019, pp. 55–​68. 21 In einem Brief vom 28. November 1748 (78) wird er als Montoleoni erwähnt, cf. dazu weiter unten Anmerkung 57. 22 Brief vom 29. April 1749 (135). 23 Franz erwartete daraufhin, dass sich in Brüssel einer der »magnifiqsten Höffen von Europa« etablieren würde (Brief vom 16. März 1749 [117]). 24 Die Lebensdaten sind unbekannt. Ihr Mann, Nicola Graf Nobili (1706–​1784), war als kaiserlicher Staatsrat in den Österreichischen Niederlanden in der Finanzverwaltung tätig. 25 Das Projekt wird in verschiedenen Varianten Anfang 1749 in den Briefen diskutiert, darunter auch eine mit Mingotti als Partner, cf. Jozzis Brief vom 31. Januar 1749 (101): »Signora Marianna a quel che vado a dirgli. sappia dunque che quando io passai da Bruselles, mi disse Madame Nobili che tutta la città era in voglia di avere un’opera Italiana nel bellis[si]mo Teatro /​: che è giusto come San Gio: Grisostomo di venezia:/​alla venuta del Principe Carlo et gli dissi che se mi avesse fatto avere sotto scriventi, e qualche fondo dalla corte, avrei preso l’impresa a mio conto, ma siccome per me sarebbe un affare [e]‌d un’intrapresa di troppo impegno per non essere [a]costumato a queste cose, bisognerebbe che Lei parla [anche] al suo Signor Impressario /​: senza però nominargli il [pa]ese:/​e si badi bene per l’amor di Dio non nominargli Bruselles«. Feldmarschall Nikolaus Franz Joseph Hemricourt de Mozet Graf von Grunne (Grünne) (1701–​1751) wurde im März 1749 zum Hofmarschall Karl Alexanders ernannt (cf. z.B. den Brief vom 16. März 1749 [117]).

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an besonderen Ereignissen teilzunehmen. Im Mai des Jahres 1749 berichtet der Geiger in einem Brief an seine Frau ausführlich über das Feuerwerk, das in London anlässlich des Friedens von Aachen am 8.  Mai  1749 (s.n.) abgebrannt wurde, erzählt von einer pyrotechnischen Panne mit den für das Ereignis gezimmerten Holzbauten und betont die große Anziehungskraft, die dieses Fest auf das Publikum und insbesondere auf die in London zahlreich anwesenden Diplomaten ausübte26: Du kanst dir die curiositè daraus einbilden, das London zuvor wie Crema in der Fasten, zu Zeit des Feüerwerks aber, gleichwie wenn dorten der Jahrmarkt und Opera gehalten wird, zu vergleichen war, denn es sind Leüte 100 Meil[en] Wegs hergekommen, und alle Wirts-​und Publique Hauser wimlten von Gästen. Die Architectur, der Anblick so vieler 1000 Personen, so vieler darzu errichteten Bühnen für die Zuseher, so viele troupen waren alles herrliche Dinge. Das Feüerwerk in sich selbst hatte sehr schöne Stücke, und Theile, allein die Execution antwortete nicht mit der Länge der zugebrachten Zeit, der Erwartung der Dinge, die da komm[en] solten, und den aufgewandten Unkösten mehr denn 10000 lb zeh[en] tausend Pund [sic] St[e]‌rl[ing] weil es nicht in guter Ordnung noch Simetrie ausgeführet worden, wozu noch das Unglück gekommen, daß ein Pavilon von dem sehr schön und wohl gebauten Friedenstempl in Brand gerath[en], welches mehr denn eine Stunde gebraucht um es zu lösch[en], damit nicht das ganze Gebäude in Flammen gekommen, welches alles vollends in Verwirrung gebracht, daß kein rechtes Ende, sonder alles nur Stückweise und zwar das beste, so auf die lezte gesparet worden, zum Vorschein gekommen, aus Forcht, daß etwa das Feüer nicht alles zuvor ergreiffe.27

Aufgrund des großen Zulaufs an Würdenträgern prognostiziert er, dass die für den 13. Juni des Jahres in Den Haag geplanten Friedensfeierlichkeiten (auch dort gekrönt von einem Feuerwerk) für den Kastraten Giuseppe Jozzi, der sich auf Konzertreise befand, berufliche Chancen eröffnen würden28, da dort ebenfalls mit der Anwesenheit zahlreicher regierender Fürsten zu rechnen sei. Solchen Berichten stehen aber auch andere gegenüber, die mehr Franzens Interesse an Londoner Skandalen geschuldet sind. So unterrichtet er Jozzi in

26 Auffällig ist dabei, dass er mit keinem Wort die von Georg Friedrich Händel für diesen Anlass komponierte Festmusik erwähnt. 27 Brief vom 9. Mai 1749 (139). 28 Brief vom 9. Mai 1749 (139): »[…] es heisset imer in Holland, gehet der Mingotti hin, so trift er leichtlich den Jozzi dort an, denn wird das dortige Feüerwerk nach seinem Concert in erklecklicher Zeit, so macht er im Haag vieleicht ein Concert.« Die Zwischenfälle anlässlich des Londoner und des Pariser Friedensfeuerwerks sind auch durch Horace Walpole belegt, der sich in einem Brief an Horace Mann vom 3. Mai 1749 ausführlich zu beiden äußert. Cf. Wilmarth Sheldon Lewis (ed.), Horace Walpole Correspondence, vol. 20, New Haven/​CT (Yale University Press) 1960, pp. 46–​54.

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einem ungefähr einen Monat später verfassten Brief29 über die sogenannte »Sailorʼs revenge«:  Ein Seemann, der von einer Prostituierten mutmaßlich bestohlen worden war30, initiierte zusammen mit Berufskollegen gewaltsame Ausschreitungen in mehreren Bordellen, die nicht nur die Gazetten bewegten. Der sogenannte »Bottle Hoax«31 hingegen, den Franz in einem Brief vom 31. Januar 1749 erwähnt, hatte ganz andere Folgen32: Mondags war hier das kleine theater im Heimarkt gestürmet, indem ein Kerl unbenant versproch[en] auf einem Rohr alle Musiqs nachzumach[en], in eine ordinaire Bottelien in Angesicht der Zuseher zu kriech[en], und drinen zu sing[en], todte befreünde in einer apparte Loge den so es verlangt sehen zu lass[en], und mit ihnen zu sprech[en] pp wie nun das Haus voll war, ist er mit dem Geld davon, darauf haben sie alles zerschlag[en], und auf den Heimarkt herausgetrag[en] und verbrent.

Die Zerstörung des Little Theatre am Haymarket durch aufgebrachte Zuschauer hatte direkte Auswirkungen auf den Opernbetrieb, da er eine von dem Tänzer Antonio Campioni für das Haus geplante Opernunternehmung auf diese Weise zunichtemachte33.

9 Brief vom 15. Juli 1749 (193). 2 30 Cf. Robert B. Shoemaker, The London Mob. Violence and Disorder in Eighteenth-​ Century England, London (Hambledon) 2007, p. 125. Im Brief vom 15. Juli 1749 heißt es dazu: »Qui è una Ribellione di Marinari /​: Matelots:/​contro le Putane, perché \sabato passato/​una in un Bordello nel Strand [h]‌a robbat[o] ad un Sailor, o Marinaro \la sua/​borsa di 15 Guinee e perché no[n] l[a] poteva riavere è venuto con 150 suoi compagni ed [h]anno spoliato tutta la casa, rotte tutte le fenestre, brucciato 8 letti /​: quanti fot[ute]rii saranno fatti in quelli:/​e Domenica facevano l’istesso con un’altra casa simile, minacciando che lo faranno in tutta Londra, onde una paura maledetta fra queste Donne; gran parte s’[h]anno ritirato in campagnia, e tutte [h]anno salvate loro meglior robba in case vicine, e tutte loro Boteghe serrate pp ma si va metter argine, e ci [sono] 9 nella prigione di Niughet.« 31 Cf. dazu auch Richard Ryan/​François Joseph Talma, Dramatic Table Talk, vol. 3, London (J. Knight & H. Lacey) 1830, pp. 69–​74. 32 Brief vom 31. Januar 1749 (102). 33 Jozzi fasste in einem undatierten Brief, der aber zwischen dem 4. und 7. Februar  1749 geschrieben wurde (104), folgendermaßen zusammen:  »[…] qui si doveva far un’opera al piccolo Teatro, e perciò partii più furios[a]‌m[en]te avanti che il b.. f.. [Nicola] reginelli mi prevenisse, e subbito che fui giunto ritrovai la disgrazia che soffrì il detto Teatro ciò è, siccome un certo vagabondo fece mettere sopra le carte che avrebbe fatto vedere un huomo dentro ad una botteglia, il mondo corse tutto, e quando ebbe preso tutto il Danaro se ne fuggì; il Popolo vedendosi c[oglionato] fracassò le banche, scene ed altro, e per questo l’opera andiede a monte, quantunque il danno non è stato come si decantò.« Der Kastrat Nicola Reginelli, ob seiner schlacksigen Figur »anima lunga« genannt, war Jozzis größter Konkurrent in London. Jozzis Briefe sind mit Kraftausdrücken gespickt, die er allerdings zumeist nicht ausschreibt (siehe »il b… f… reginelli«). Antonio

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Als aufmerksamer Leser der Londoner Presse34 und insbesondere des London Magazine35 erweist sich Franz, indem er ausführlich über die Hochzeit der Tänzerin Eva Maria Veigel und des Schauspielers David Garrick berichtet, ein Ereignis, das Aufsehen erregte. Grund dafür war offensichtlich, wie die Ausführungen des Musikers erkennen lassen, ein für die damalige Zeit durch die Berufe gegebener Standesunterschied: Der »berühmte Schauspieler« heiratete »die Violetta«, löste damit ungläubiges Erstaunen aus und wurde auch noch zusammen mit seiner Frau, gekrönten Häuptern gleich, im London Magazine abgebildet36: »Hier war in Zeittung[en] das die Violette den Garrick famosen Comœdiant[en] geheürathtet, aber Niemand glaubt es, es ist vieleicht nur eine Satyre.« Und weiter37: »Sentite, e stupite[:]‌Nelli Magazini di Londra /​: un Libretto che vien fuora ogni Mese:/​ci è in Frontispizio il ritratto del Garrik e della Violetta, come si suol fare a teste coronate, o gran Prencipi.«

Oper in London und die Finanzen Franz hielt engen Kontakt zu den Londoner Opernleuten und beobachtete die Entwicklungen, da die Lösung seiner eigenen wirtschaftlichen Misere nicht unwesentlich davon abhing, welchen Gang die finanzielle Lage des Operndirektors Charles Sackville nahm. Mögliche Indikatoren für deren weitere Perspektiven galt es für ihn deshalb im Auge zu behalten. Darüber hinaus nutzte er seine Bekanntschaften der mit der Oper verbundenen Künstler-​und Adelskreise, um hin und wieder durch kleine Engagements bei (Privat-​oder Benefiz-​)Konzerten etwas verdienen zu können. Mit seinen Ausführungen liefert er nicht selten auch bisher der Forschung unbekannte Hintergrunddetails zum damaligen Londoner Opernbetrieb, etwa in Zusammenhang mit der Verpflichtung des Impresario Francesco Crosa. Die Nachricht der Ankunft der von Crosa geleiteten Truppe in London im Jahr 1748, mit der die Londoner Opernleitung einen programmatischen Umschwung weg von der Opera seria und hin zur Opera buffa einleiten

Campioni und seine Frau, die Tänzerin Ancilla Campioni, gehörten zu den schillerndsten Gestalten der Londoner Musiktheaterszene, insbesondere weil letztere sehr enge persönliche Kontakte zu einflussreichen Diplomaten pflegte. 34 Briefe vom 10. und 13. Juni 1749 (156, 164). 35 »Magazini di Londra«, Brief vom 5. August 1749 (202), cf. London Magazine (1749), p. 288. 36 Brief vom 13. Juni 1749 (164). 37 Brief vom 5. August 1749 (202). Die Porträts finden sich im Juni-​Heft (1749) des Magazins.

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wollte, findet sich auch in Franzens Briefen wieder38. Während die Buffo-​ Sänger Pietro Pertici und Filippo Laschi39 ohne viel Umschweife und als den Briefadressaten bekannte Größen zur Sprache kommen, weckt der »Castrat« der Truppe, der junge Gaetano Guadagni40, bei Franz sogleich eine gewisse Neugier. In einem Brief an Marianne vom 3. Oktober 1748 (38) berichtet er, dass dem neuen Kastraten gute sängerische Qualitäten attestiert würden, was in einem weiteren Schreiben vom November d. J.41 durch die Nachricht bestätigt wird, dass er dem Publikum gefalle, obwohl seine Gestik ungenügend sei42. Franz hält darüber hinaus fest, dass die Opera buffa bei dem bürgerlichen Publikum gut angekommen sei, während der Londoner Adel ihr ablehnend gegenüberstehe43: »Aber mit der Opera gehet es leyder sehr schlecht. Die Noblesse hat sehr wieder sie: Mittelleüte sind sehr zufried[en].« Er selbst sieht die neue Ausrichtung der Oper ebenfalls kritisch und befürchtet einen Niedergang44:  »[…] ma dal resto credo che questi Buffi saranno felici qua, e che questo sarà l’anno dell’ultima rovina della musica virtuosa.«

38 Briefe vom 24. und 28. September 1748 (27, 32). Die Sängerinnen der Crosa-​ Truppe wurden am 28. September 1748 erwartet, cf. Brief von diesem Datum (32): »Oggi dicono, ch’arriveranno le nuove virtuose, e il mio P[adro]ne di casa ha avuto già relazione, che siano raccaglie, perché cercono casa 3 per 4 schilinge per settimana.« Zu den Geschicken der Crosa-​Unternehmung in London cf. King/​ Willaert, Giovanni Francesco Crosa and the First Italian Comic Operas. 39 Brief vom 1. Oktober 1748 (36): »La nuova compagnia è finalmente arrivata 1 un soprano bello, giovane 17 anni Lodesano, ho scordato il nome, ma lei non lo connosce, o lo saprà un’altra volta. Laschi, e la sua moglie, che si dice che farà da 1ma donna, o la Frasi, e questi coll’Impressario in 10 persone stanno appresso scola in casa. appresso il Capitanio stanno Berticci e la sua moglie.« Zu Filippo Laschi und Francesco Pertici cf. Gianni Cicali, Attori e ruoli nell’opera buffa italiana del Settecento, Florenz (Le Lettere) 2005, pp. 39–​106 und Daniel Brandenburg, Laschi, Filippo, in: MGG2, Personenteil, vol. 10, col. 1231sq. 40 Für Gaetano Guadagni war die Zeit bei der Crosa-​Truppe von entscheidender Bedeutung für seinen weiteren künstlerischen Werdegang, insbesondere hinsichtlich seiner Rolle als Interpret von Christoph Willibald Glucks Orfeo. Cf. dazu Patricia Howard, Guadagni as an Actor, in: The Musical Times 151/​1910 (2010), pp. 9–​21. 41 Brief vom 19. November 1748 (75): »Der Castrat gefällt auch zimlich, die Ballet \ist nur eines/​nicht extra. Es ist ihnen aber auch brav gepfiffen word[en].« 42 Brief vom 17. Dezember 1748 (86): »Der Castrat Gaetanino macht den Orazio, sein portement de bras ist elend, er gefällt dennoch zimlich, wobey aber die Protection der [Giulia] Frasi vieles contribuiret, welche in der Gallerie, und unter den laquais ihr faction und pouvoir hören läßt.« 43 Brief vom 28. November 1748 (78). 44 Brief vom 1. Oktober 1748 (36).

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Obwohl bei den Aufführungen auch immer wieder einmal guter Zulauf des Publikums zu vermelden war45, reichte der wirtschaftliche Erfolg nicht aus, Crosa vor dem Bankrott zu bewahren, weshalb die finanziellen Probleme früherer Jahre der Londoner Oper sich fortsetzten. Schulden46 mussten durch immer neue Geldspritzen des Earl of Middlesex aufgefangen werden, um den Spielbetrieb kurzfristig aufrecht zu erhalten47. Eine Einigung auf eine monatliche Subvention von 300 Pfund (50 Pfund pro Abend) erwies sich als nicht hinreichend, denn bereits im März 1749 forderte Crosa höhere finanzielle Mittel48. Diesem Ansinnen wollte der Earl of Middlesex aber offensichtlich nicht entsprechen. Um dieser schwierigen Lage zu entgehen, so kann man Franzens Briefen entnehmen, versuchte der Earl die Verantwortung für das Tagesgeschäft der Unternehmung auf neue Personenkonstellationen zu übertragen. Der Theatermaler Antonio Joli sowie die Dichter Francesco Vanneschi und John Lockman49 sollten nach Wunsch des Earl mit Crosa eine Geschäftspartnerschaft eingehen und den Betrieb fortführen. Schließlich übernahmen nur Vanneschi und Lockman die Geschäfte, da sich Joli nicht auf diese Herausforderung einlassen wollte50 und es vorzog, nach Spanien zu gehen. Immer wieder kommen in den Briefen Franzens schwierige Lebensbedingungen in London, seine finanziell prekäre Lage, die auch seine Frau in Mitleidenschaft zog, sowie Strategien und Vorgehensweisen gegenüber seinem Hauptschuldner, dem Operndirektor Charles Sackville Earl of Middlesex, zur Sprache. Trickreich wusste sich der Earl angesichts klammer Kasse seinen Gläubigern zu entziehen: Franz Pirker schreibt von langen Stunden des Wartens auf den Impresario51, von seinen Hoffnungen, durch Eingaben beim

5 Cf. z.B. die Briefe vom 24. Dezember 1748 und 11. Februar 1749 (88, 106). 4 46 Brief vom 28. November 1748 (78). 47 Brief vom 21. Januar 1749 (99). 48 Brief vom 21. März 1749 (118). 49 Brief vom 1. November 1748 (65): »Piacenza hat mir heüte gesagt, daß Joli, Vaneschi, und Lakman mit dem Crossa in Compagnie getrett[en], ist halt alleweil der Milord.« 50 Brief vom 12. November 1748 (72). 51 Eifriges Bemühen um eine Lösung und immer neue Rückschläge ziehen sich wie ein roter Faden durch die Briefe, cf. z.B. Brief vom 8. November 1748 (70): »[…] ich will \den Milord/​aber auch im Park, und aller Ort[en] verfolgen.«, Brief vom 10. Dezember 1748 (83): »Der Mylord wird schwerlich vor Weyhnacht[en] was zahl[en], so sagt mir Vaneschi /​: von ihm ein C[om]pl[i]‌m[en]t:/​und Lackmann.«, Brief vom 9. Mai 1749 (139): »Nun kan ich dir nichts anders berichten, als daß ich nach des Milords ZuruckKunft von Kiow gleich zu ihn gegangen, allein er liesse sich excusir[en] daß er heüte unmöglich Zeit hätte, welches mir nicht wenig Grillen verursachet […], allein eine Stunde od[er] ein paar darauf begegnet er mir auf der Gassen, und gienge mir selbst zu, machte mit der grösten Höfligkeit seine

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Prince und der Princess of Wales des Schuldners habhaft zu werden, und von Kollegen, die vom Betteln und Warten entmutigt auf ihre Weise versuchten, London für neue Engagements wieder zu verlassen. Der Kastrat Angelo Maria Monticelli zog gegen den Earl erfolgreich vor Gericht52, sein Kollege Nicola Reginelli konnte eine Auszahlung seiner Gage in Raten erwirken53, während der Tenor Francesco Borosini sich schon längere Zeit zuvor bei den Pirkers Geld für die Rückreise geliehen hatte54. Alle diese Künstler hatten das grundsätzliche Problem, dass –​selbst bei Auszahlung der Gage gemäß Vertrag  –​Ratenzahlung während des Engagements normal war und der Lebensunterhalt deshalb durch Schulden vorfinanziert werden musste55. In London konnte das insbesondere durch die hohen Lebenshaltungskosten, die in den Briefen immer wieder erwähnt werden, schwierig sein56. Blieben Raten aus, konnten Schulden nicht abgelöst werden, weshalb dann auch kein Geld für die teure Reise aufs Festland zu neuen Scritture vorhanden war. Franz bestritt seinen Lebensunterhalt mit gelegentlichen Auftritten bei Privatkonzerten der Londoner Gesellschaft (etwa bei der Musikmäzenin

Excuses, und bestelte mich auf künftigen Mondag, weil er diese Wochen we[g]en der Crosisch[en] affaire, und des Feüerwerks halber unmöglich [Z]eit hat, denn es ist ganz Engeland hierüber närrisch word[en]. […] Hieraus kanst du sehen wie ich mit dem Milord stehe, und künftig[en] Mondag will ich hören, ob er sich auf wöchentl[iche] Vertröstung[en] nach sein[em] vorig[en] Stylo, wie der Wochen Mark[t] in Graz, einrichte?« oder auch Brief vom 11. April 1749 (128): »Der Milord \macht/​mich wieder laufen, warten, aufschieb[en], von Pontio zum Pilato pp Das ist alles was ich dir hierüber schreib[en] kan.« 52 Brief vom 1. Oktober 1748 (36), Franz an Giuseppe Jozzi: »Milord ha perduto la lite contro Monticelli con condanna alla spese della lite. furono da sentire bellissime cose e li defensori del Monticelli s’[h]‌anno portato bravamente col dire robba pontiliosa e satirica. Oggi l’era questa cosa sopra le carte pubbliche.« 53 Brief vom 22. September 1748 (23): »Vedo pocca speranza di essere liberato così presto. questi sono guaj davero. Il Reginelli ha fatto col Milord di aver qualche rata a conto del suo Biglietto ogni mese. Se l’abbia ben fatto così, non lo so dire.« 54 Mit Brief vom 31. Mai 1748 (3) entschuldigt sich Rosa Borosini im Namen ihres Mannes dafür, dass sie die Schulden noch nicht beglichen haben: »Lei non puol chredere l’affanno, e la passione che habbiamo provato; e che proviamo il mio caro marito, et io per non haver potutto, e per non poter subitto instantemente compire al nostro debitto[,]‌debitto il maggiore che mai habbiamo havuto.« 55 Cf. Michael Walter, Oper. Geschichte einer Institution, Stuttgart/​Kassel (Metzler/​ Bärenreiter) 2016, pp. 20–​22. 56 Zu den Lebenshaltungskosten in London bzw. England im 18. Jahrhundert cf. John Burnett, A History of the Cost of Living, Harmondsworth (Penguin) 1969, pp. 128–​188: 128–​148. Manche Reisende berichteten, dass die Lebenshaltungskosten doppelt so hoch seien wie in Frankreich, cf. Richard B. Schwartz, Daily Life in Dr. Johnson’s London, Madison/​WI (University of Wisconsin Press) 1983, p. 45.

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Lady Margaret Brown57), punktuellen Engagements bei öffentlichen Konzerten, durch Verpfändung von Habseligkeiten und mit kleineren geliehenen Geldbeträgen. Letztere erbat er sich sowohl bei Londoner Bekannten als auch brieflich bei seiner Frau und Giuseppe Jozzi. Nicht immer waren seine Bemühungen erfolgreich: Eine zunächst in Aussicht gestellte Mitwirkung bei einem Oratorium Georg Friedrich Händels58 fand z.B. schließlich nicht statt. Der Musiker dachte deshalb auch wiederholt darüber nach, sich seiner prekären Lage durch Flucht zu entziehen59, hatte aber genügend Beispiele von misslungenen Versuchen vor Augen:  Die Tänzerin La Tedeschina, die sich bis heute nicht mit bürgerlichem Namen identifizieren lässt, hatte trotz zahlungskräftiger Liebhaber schließlich 600 Pfund Schulden, derer sie sich nur noch durch den Plan einer heimlichen Abreise zu entledigen hoffte60: Vi do una nuova, che la Tedeschina già fuggita lasciando per 600 L[i]‌r[e] di debbiti accompagnata dal maggior scarcavalo61, che c’è Inghilterra, ma il sbirro li sopra­ giunse l’altro mostra a lui la pistola, ma il sbiro dice, tirate bene, perché la mia preda già non lascio, e poi tocca a voi, mostrandoli unʼaltra pistola, così il Gentiluomo l’abbandonò.

Der Schilderung zufolge scheiterte sie an den bailiffs, den offiziellen Vollzugsbeamten, die sie im Namen der Gläubiger am Verlassen des Landes hinderten. Franz wählte deshalb schließlich doch einen legalen Weg und verkaufte den Schuldschein des Earl an einen Dritten. Die Summe Geldes, die er dafür

57 Brief vom 28. November 1748 (78): »Vorgestern kamme unverhoft des Comte Saint Germain sein bedienter in mein Haus, aber di parte della Milady Brown, und lude mich zu einem Concert ein. Sye und er nemlich Brown war[en] gar höflich macht[en] mich siz[en]. Es war der Venet[ianische] R[e]‌s[i]d[en]t[,] Portug[iesischer] Gesandte 3 Milords, 2 Dames, der Graf Schönborn. Saint Germain spielte wie ein Engel[,] Montoleoni, und ich und Cervetto accompagnirt[en] ihm sonst war niemand von der Musiqs.« Zu Lady Margaret Brown cf. Hans Joachim Marx, Händel und seine Zeitgenossen, Laaber (Laaber) 2008, p. 231sq. Bei dem erwähnten »Saint Germain« handelt es sich um den bekannten Grafen und Abenteurer zwielichtiger Herkunft, während »Graf Schönborn« zwar als Vertreter der bekannten musikaffinen Adelsfamilie gleichen Namens zu gelten hat, der sich aber nicht näher identifizieren lässt. Beteiligt waren ferner Giacobbe Basevi Cervetto (ca. 1682–​1783), Cellist, und der bereits erwähnte David de Montolieu, Baron de Saint Hippolyte (1669–​1761). 58 Brief vom 3. Dezember 1748 (80). 59 Briefe vom 8. April 1749 (126): »[…] und ohne deiner Hilfe wird es schwerlich, wo nicht gar unmöglich seyn weg zu kommen ausser ich gehe durch, und lasse alles im Stich.« 60 Brief vom 8. Juli 1749 (189). 61 Tunichtgut.

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bekam, reichte zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten und für die Rückreise aufs Festland.

Privater Alltag in London Franz Pirkers finanzielle Lage wirkte sich auch auf seinen Londoner Alltag aus: Von August 1748 bis September 1749 wohnte er in vier unterschiedlichen Quartieren, die sich alle in der näheren Umgebung des Haymarket und seiner Theater befanden. Bis zu seiner Abreise war sein Leben von Hunger und gesundheitlichen Problemen geprägt. Um seine brieflichen Bitten um Geld zu rechtfertigen, sah er sich immer wieder gezwungen, Ausgaben vorzurechnen und seinen Zustand in düsteren Farben zu schildern. So erfahren wir beispielsweise, dass die wöchentliche Miete für sein zweites Quartier 5 Shillings betrug62. Dieser Betrag muss in London durchaus üblich gewesen sein, da Franz selbst 3 oder 4 Shillings, die die Solistinnen der Crosa-​Truppe für ihre Unterkunft zahlen wollten, für zu wenig erachtete63. Zu den weiteren Kosten gibt der Geiger für eine tägliche Schale Brei aus Zucker und Brot monatlich 16 Shillings und für Kerzen 18 Shillings an64. Darüber hinaus war er gelegentlich auch in Adelshäusern zu Gast, die freien Mittags-​und Abendtisch hielten, so etwa im Hause des Earl of Abingdon65. Auch Solidarität unter Kollegen half hin und wieder, dem Hunger zu entgehen: Am Weihnachtstag 1748 war Franz mittellos und froh, bei der Sängerin Margherita Giacomazzi verköstigt worden zu sein66. Einladungen ihres Mannes zum Essen im Hause des Komponisten Domenico Paradis waren Marianne hingegen nicht genehm, weil dort die »Schiavona« (die Sängerin Angelika Seitz,

62 Brief vom 4. Februar 1749 (103): »Auf unser quartier zu kommen, so hat La Brosse das nechste Haus bestanden, solches magnifique gebaut, und meublirt, und uns 2 Zimer[,]‌so aneinander stossen, also daß einer zum \andern/​gehen kan, und jeder seinen Ausgang[,] so schön aus staffirt, und so comod, daß jeder Cavalier damit zu frieden seyn könte, um 5 Sch[illing] wochentlich offerirt, daß ich mir in ganz London um solches Geld solche Zimmer auch in den abgelegnsten Pläzen nicht zu haben getraute.« 63 Brief vom 30. September 1748 (33), cf. auch Anmerkung 38. 64 Das entspricht etwa 6 Pence am Tag, wobei 2 kg Brot in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in London im Schnitt 4 bis 5 Pence kostete, cf. Burnett, A History of the Cost of Living, p. 135. Im Brief vom 27. Juni 1749 (179) heißt es: »[…] solamente dico che fin’adesso doppo la di lei partenza ho speso per zuccaro e pane [per la] solita collazione 16 soldi, e faccio l’istesso, solamente adesso una chichera e mezza e con lei 2 e mezza. candelle 18 soldi, ma tengo attualmente una libra e mezza di provisione.« 65 Brief vom 24. Juni 1749 (176). 66 Brief vom 7. Januar 1749 (93).

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den Pirkers aus Wien bekannt) wohnte67, deren lockeren Lebenswandel sie als Gefahr für die eheliche Treue ihres Gatten ansah68. Dass die schwierige Lage Franz auch physische und psychische Gesundheitsprobleme verursacht hat, liegt nahe. Im Herbst 1748 schreibt er immer wieder von seiner Gemütskrankheit, die er auf seine Armut zurückführte69. Aufgrund des medizinischen Wissensstands und der unzulänglichen Heilmethoden wurde in der Frühen Neuzeit jede Infektionskrankheit als potentiell lebensbedrohlich angesehen70, weshalb die Symptome heftiger Erkrankungen sogleich Todesangst auslösen konnten. Aderlässe und verschiedene Pulver, die ihm ein Apotheker verordnete71, waren dann das Gebot der Stunde. 7 Brief vom 1. Oktober 1748 (36). 6 68 Brief vom 11. Oktober 1748 (49): »[…] allein ich kenne dich und habe jezt nicht wenig unruhe daß die Hur die Schiavona dort ist, alßo von dießen aug[en]blik an rath ich dir nicht mehr zu ihr zu gehen, dann du weist daß sie eine canaglie ist, beantworte mir dießes capitel«. 69 Brief vom 22. Oktober 1748 (58). 70 Brief vom 7. Oktober 1748 (43): »Mir war schon etliche Däge her nicht recht wohl, und nachdem ich durch Briefschreiben \selben Abend/​meinen Kopf sehr erhizet, muste ich bey einem grossen Kohlfeüer, welches ich heüer noch nicht gehabt, soupiren, und die innerliche Hize machte mich dürsten und etwas mehr trinken, da mir Reg[inelli] und der Hausherr auch zugesezt, und so wurde mir mein Geblut so entzündet, daß ich schon 4 Nächte nichts schlaffe, greüliche Kopfschmerzen, und keinen Appetit zum essen habe, keine Wart, und zu mein[em] Trost melancholie, Einsamkeit, Chagrin und Kumer. Heüte ist der Dag, da man mir will Aderlass[en][,]‌ dessentwegen schreibe ich dieses diesen Morgen vorhinein \und das nöthigste/​. Der Brandenburger aber ist noch nicht gekommen. Indessen ist es noch febris intermittens, aber sehr geneigt zum hizigen, weil ich fast gar keine Kälte. Wenn du dich nicht erschrecklich bey Gott an mir versündigen willst, so giebe mir keine Schuld daß ich nichts ausrichte, dann dieser Vorwurf bringt mich ums Leben.« Zu Krankheit und deren medizinischer Behandlung cf. Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800, Frankfurt am Main/​Berlin (Propyläen) 1992, pp. 452–​470. 71 Hilfe erhielt er nicht von einem Arzt, sondern nach Londoner Usus von einem Apotheker namens Brandenburg, der ihn mit Heilmitteln versorgte und ihn ferner bei Bedarf zur Ader ließ. In Thomas Mortimers The Universal Director or the Nobleman and Gentleman’s True Guide to the Masters and Professors of the Liberal and Polite Arts and Sciences, and of the Mechanic Arts, Manufactures, and Trades Established in London and Westminster and Their Environs (3 voll., vol. 2, London 1763, p. 18) wird ein »Brandenburgh –​Pall Mall, Chemist« gelistet, vermutlich dieselbe Person. Zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung in London cf. auch Schwartz, Dr. Johnson’s London, p. 134. Franz weist in der zweiten Hälfte des Oktober 1748 mehrfach darauf hin, dass er eine tödliche Krankheit überstanden habe (Briefe vom 18. und 22. Oktober 1748 [54, 58]) und lässt dann am 22. d. M. durchblicken, dass es eine Geschlechtskrankheit gewesen sei (Brief n. 58): »Du weist, daß ich von einer tödlich[en] Krankheit, die ich dir nicht einmahl recht wissen lassen, aufstehe,

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Zahlreiche weitere private Details des Briefwechsels zeigen das Berufsleben der Pirkers als Teil einer nicht selten schwierigen Lebenswirklichkeit, die für den heutigen Betrachter ansonsten zumeist nicht näher fassbar ist. Sie betreffen die Organisation des Familienlebens72, Probleme Mariannes als ohne Ehemann reisende Künstlerin73, Modalitäten des Reisens74 und vieles andere mehr. Sie erklären die Gründe ihrer Mobilität, die über den beruflichen Rahmen hinausgehen oder in der Verknüpfung von Beruflichem und Privatem liegen, und unterstützen damit das Erklärungsmodell »Pendleroper«, das unlängst Reinhard Strohm für die Organisation des Opernbetriebs im 18. Jahrhundert vorgeschlagen hat75. Der Briefwechsel ermöglicht ferner auch, das Kunstwerk Oper nicht nur als Ergebnis künstlerischer Inspiration, sondern auch als Produkt einer professionellen Praxis76 und einer sozialen Realität näher kennenzulernen. Er zeigt den Einfluss der gesellschaftlichen Elite auf das berufliche und private Leben der Opernleute, der sich auch in Akten der Willkür niederschlagen konnte. Persönliche Gewogenheit aristokratischer Persönlichkeiten verschaffte Franz und Marianne Pirker 1750 die lang ersehnte Anstellung am Württembergischen Hof, die enge Verbundenheit mit der Entourage der Herzogin Friederike Sophie bewirkte aber auch schließlich ihren Absturz und damit das Ende einer ehrbaren Laufbahn. welche meist darum entstand[en,] daß mein feindseliges \Glücke/​mir alle Wege abgeschnitten dich zu vergnügen.« 72 Dies gilt z.B. für die Unterbringung der Kinder: Die jüngste, in Italien geborene Tochter Maria Viktoria war in einer karitativen Einrichtung in Bologna untergebracht (Brief der Ordensschwester Caterina Pilati vom 23. Juni 1750 [233]), während die beiden älteren bei den Großeltern in Stuttgart lebten. 73 Sie reiste deshalb zunächst in Begleitung eines Dieners. Ungeachtet dessen war sie jedoch bei Vertragsabschlüssen frei und nicht auf die Anwesenheit ihres Mannes angewiesen. 74 Brief vom 1. bis 5. November 1748 (67) befasst sich mit den Umständen der Seereise des Mingotti-​Ensembles nach Kopenhagen: »[…] ich finde aber gar kein Vergnüg[en] zu waßer zu gehen, dann man sagt mir hier wunderliche sach[en] von den meer vor, bey jeziger Zeit; allein es ist unmöglich zu land zu gehen weg[en] derer Spesen, dann sind 5: Fraue[n]‌, 4: Menscher, 11 Männer, und 10 Kerl[en], des pompea[tischen] Kind, und ei[n] habduzent Hund, | stelle dir alßo die confiosion vor.« »Menscher« und »Kerle« bezeichnen weibliches und männliches Dienstpersonal, während sich die »Frauen« und »Männer« als künstlerische Mitglieder der Truppe identifizieren lassen, also Sängerpersonal, Kapellmeister und Arrangeur (u.a. Chr. W. Gluck) sowie eventuell einen Konzertmeister. 75 Cf. Strohm, Europäische Pendleroper, pp. 13–​28. 76 Cf. Daniel Brandenburg, Italian »operisti«, Repertoire and the »aria da baule«: Insights from the Pirker Correspondence, in: Gesa zur Nieden/​Berthold Over (edd.), Operatic Pasticcios in 18th Century, Bielefeld (transcript) 2021 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften 45), pp. 271–283.

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Niccolò Piccinni und das komische Genre. Zu den Beziehungen zwischen Opera buffa und Opéra comique Niccolò Piccinni hat neben Christoph Willibald Gluck in entscheidender Weise zur Entwicklung und Reform der Tragédie lyrique beigetragen, indem er das französische ernste Genre mit dem italienischen synthetisierte1. In Italien galt er jedoch als einer der berühmtesten und wichtigsten Komponisten der Opera buffa der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und so stellt sich mithin die Frage, ob er auch Einfluss auf die heitere Gattung der Oper in Frankreich hatte. Eine Antwort ist insofern schwierig, als nur eine von vier Opéras comiques Piccinnis erhalten blieb, Le faux Lord, die am 6.12.1783 durch die Comédiens Italiens ordinaires du Roi in Versailles aufgeführt wurde. Jedoch kann man sich aus anderen Perspektiven dem Problem nähern: erstens durch einen Vergleich der ernsten und buffonesken Gattungen in beiden Traditionen, zweitens durch die französische Adaption einer Opera buffa von Piccinni, La schiava, drittens durch den Vergleich von Le faux Lord mit Piccinnis italienischen Opere buffe und viertens durch einen Blick auf Piccinnis Situation in Frankreich. 1. Um die Problematik in den Blick zu bekommen, sei zunächst auf den Bezug zwischen Piccinnis ernsten italienischen und französischen Opern eingegangen. Das ernste Genre ist durch eine kontinuierliche Entwicklung der Formen und des Stils seiner Arien seit den Opere serie der 1750er Jahre bis zu den Tragédies lyriques der 1780er Jahre bestimmt2. Die wichtigste Neuerung in der Opera seria bestand in der Ersetzung der Da capo-​Form durch zwei-​und dreiteilige Formen zwischen 1770 und 1774, die mehr Freiheit ließen, um auch musikalisch auf die dramatische Situation einzugehen. Dies war ein Schritt zur Dramatisierung des italienischen Genres und somit auch zur Synthese mit dem dramatisch bestimmten französischen, und Piccinni hat diese Form der Arien in seine französischen Opern integriert, jedoch auch differenziert. Einerseits hat er seit Atys (1780) oft kurze Arien komponiert, um sich denjenigen der französischen Oper zu nähern, ohne allerdings

1 Cf. hierzu Elisabeth Schmierer, Die Tragédies lyriques Niccolò Piccinnis. Zur Synthese französischer und italienischer Oper im späten 18. Jahrhundert, Laaber (Laaber) 1999. 2 Ibid., pp. 45–​108.

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längere italianisierende Arien zu vernachlässigen. Andererseits hat er einen melodischen Stil entwickelt, der differenzierter war als derjenige seiner italienischen Arien, um detaillierter auf den Arientext und die dramatische Situation einzugehen. Die kontinuierliche Entwicklung seiner Arienkomposition hat ihn von Parodieverfahren abgehalten, er hat deshalb kaum italienische Arien in umtextierter Form in seine französischen Opern übernommen. In den Rezitativen hat er eine Synthese zwischen dem Rezitativ Jean-​Baptiste Lullys, dessen Opern auch noch im 18. Jahrhundert gegeben wurden, und dem Recitativo accompagnato seit seiner ersten Tragédie lyrique Roland (1778) angestrebt3. Er hat jedoch den italienischen Stil im Sinne der dramatischen Tendenzen der Tragédie lyrique eingesetzt und die Synthese von italienischer Musiksprache und französischer Dramatik in seinen französischen Opern weiterverfolgt und zu einem Höhepunkt in Didon (1783) geführt, die noch im 19. Jahrhundert gespielt wurde. Bezüglich der Opera buffa und der Opéra comique ist die Situation eine vollkommen andere. Denn schwierig ist, eine Entwicklung bei Piccinni zu verfolgen, da seine Opéras comiques Lucette, Le mensonge officieux und Le dormeur éveillé verloren sind und allein Le faux Lord erhalten blieb4; eine einzige Oper als stellvertretend für eine Gattung Opéra comique bei Piccinni zu nehmen, ist zumindest problematisch. Hinzu kommt, dass das italienische Idiom in der Opéra comique in Frankreich viel früher als in der Tragédie lyrique Eingang gefunden hatte, mithin Piccinni hier nicht als Neuerer gelten kann. In der Folge der Querelle des Bouffons wurde es bereits nach der Jahrhundertmitte aufgenommen, insbesondere in Stücken des in Paris tätigen Italieners Egidio Duni sowie der französischen Komponisten François-​André Danican Philidor und André-​Ernest-​Modeste Grétry, um nur zwei wichtige Vertreter zu nennen. Auch italienische Opere buffe wurden adaptiert; eine dieser Adaptionen ist La schiava von Piccinni. 2. La schiava riconosciuta ou Gli stravaganti wurde 1764 in Parma uraufgeführt5. Die Oper wurde 1765 in Dresden gegeben mit wenig Änderungen und in London am Haymarket Theater 1767 in einer Version mit einer

3 Ibid., pp. 111–​119. 4 Die beiden Arien, die von Le dormeur éveillé erhalten sind (Recueil d’airs et de pièces instrumentales de divers compositeurs, F-​Pn Vm7 2417 [1–​2]), stammen wahrscheinlich nicht von Piccinni, da die melodische Faktur für seinen Stil untypisch ist. 5 Auf dem Manuskript I-​Nc 30.3.28/​29, das der Fassung anderer Quellen von La schiava entspricht (beispielsweise F-Pn D.12.676 [1– 2]), findet sich eine Aufschrift, dass die Oper im Jahr 1757 aufgeführt wurde. Dieses Datum betrifft jedoch La schiava sirica (Neapel 1757).

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anderen Ouvertüre und nur fünf Nummern aus der italienischen Version. Die französische Version von 1773 ist eine veränderte Adaption der italienischen Schiava von 17646. Sie enthält einige zusätzliche Arien, die sich weder in der italienischen noch in der englischen Fassung finden; wahrscheinlich handelt es sich um Parodien von Arien anderer Opere buffe von Piccinni7. Da Piccinni zur Zeit der Aufführung 1773 noch nicht in Frankreich war, hatte er wahrscheinlich zur Umarbeitung der Schiava nichts beigetragen. Der Bearbeiter, der seinen Namen nicht preisgab8, hatte viele Änderungen im Text angebracht, da er das italienische Libretto für schlecht befand: »L’original Italien étoit comme presque tous les drames de ce Théâtre, un décousu de scènes mal dessinées et dialoguées à l’avenant.«9 Er machte sich über die Unwahrscheinlichkeiten (invraisemblances) lustig, indem er eine satirische Zusammenfassung der Handlung gab: Une jeune fille tient un Café, pour parler décemment, et loge sans façon le premier venu. Son amant dans sa tendre fureur court après elle l’épée à la main; surpris il s’excuse, disant qu’il poursuivoit un chat. Un Capitaine qui se dit l’égal d’Hercule, qui a défait lui seul les Maures, les Turcs et les Arabes, débarque tout exprès pour venir débiter des platises, et a peur des Ours dans un pays où il n’y en a point. Son esclave plus courageuse, sort de nuit d’une ville qu’elle ne connoît pas, pour courir des bois qu’elle n’a jamais vu. L’amant de la Cafetière devenu perfide, cherche sa belle Esclave, dont il s’amuse à tracer le nom sur les arbres, et ce nom paroît tout éclatant au milieu des ombres; il la trouve enfin endormie par ses soucis: elle s’éveille, et lui parle: loin d’être enchanté trouver l’objet qu’il cherche, il en a peur, et le prend pour une ombre des Champs Elysées, quoiqu’ils se soient quittés il y a un quart d’heure en très-​bonne santé. Enfin après bien des contradictions, et mille autres facéties de cette espèce, le dénouement arrive à l’ordinaire par une lettre aussi peu vraisemblable que tout le reste, dans un jardin fort éclairé, où ils se retrouvent subitement tous quatre, et où ils se marient, comme s’ils n’avoient ni déraisonné ni couru toute la nuit. C’est tout ce fatras qu’on nommoit Les Extravagants. Il faut avouer que jamais titre n’a mieux été rempli.10

6 Die Partituren F-​Pn D. 12.616 (2) und D. 12.633 enthalten weder Rezitative noch Dialoge; die zusätzlichen Arien in der englischen Version finden sich in der französischen nicht. 7 Um dies zu beweisen, sind umfangreiche Forschungen über die Opere buffe von Piccinni notwendig, die für diesen Artikel nicht durchzuführen waren. 8 Auf der ersten Seite des Librettos steht: »J’en ai fait de meilleurs; mais pour d’aussi méchans, | Je me garderai bien de me nommer aux gens«. 9 Vorwort des französischen Librettos L’esclave, ou Le marin généreux, intèrmede en un acte (F-​Pn ThB 3056). 10 Ibid.

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Gemäß der Forderungen nach einer einfachen, wahrscheinlichen und dichten Handlung im französischen Drama11, hat der Bearbeiter die zweiaktige italienische Oper auf einen Akt reduziert. Er eliminierte alle Details, die er an der italienischen Version kritisiert hatte, zum Beispiel die Verfolgung der Caffetière mit dem Schwert und vor allem die Flucht der Sklavin in den Wald. So wurde die Handlung wahrscheinlicher und einfacher, aber auch spannungsloser. Die Lösung  –​Lélio bekam die Sklavin, während der Seemann die Caffetière heiratete –​ war keine Sensation, da es zuvor keine wirkliche Verstrickung gab. Gemäß der französischen heiteren Gattung wurden die Rezitative durch gesprochene Dialoge ersetzt. Das große Finale des ersten Akts wurde durch die Verkürzung auf einen Akt weggelassen. Die Arien von Piccinni jedoch wurden ohne Änderungen übernommen, selbst dann, wenn die Musik sich der Deklamation des Textes nicht anpasste. Seine Musik schien das wesentliche zu sein, die Deklamation nebensächlich; jedenfalls passten musikalische und Sprachakzente nicht allzu gut zusammen. Wie man aus der Partitur ersehen kann12, wurde die Musik zuerst notiert und anschließend der Text hinzugefügt, denn oft war nicht genug Platz für den Text vorhanden, der in einer sehr gedrängten Weise unterlegt ist. Man ersieht hieraus, dass eine Änderung des Librettos für eine französische Adaption möglich war, nicht jedoch eine Änderung der Musik der Arien. Zwar kann man sich fragen, weshalb der Text nicht so geformt wurde, dass er besser auf die metrische Struktur der Musik passte. Wie man jedoch in den Anmerkungen zu einer Sammlung von Arien der Finte gemelle von Piccinni lesen kann, die 1778 aufgeführt wurde, störte eine mangelhafte Deklamation kaum: On a mis sous la musique, avec les paroles italiennes la traduction française, pour aider aux personnes qui ne savent pas l’italien à chanter les airs qui leur plairont. On ne s’est nullement attaché dans cette traduction à l’élégance, que ces airs, presque tous d’action rendaient inutile et presque impossible. On n’a eu d’autre prétention que de rendre l’esprit de la musique et surtout celui de la scene pour mettre les spectateurs mieux au fait de la situation.13

Die Arien der Partitur der französischen Fassung der Schiava, L’esclave, wurden als »Ariettes« bezeichnet, um zu bekunden, dass es sich um italienische 11 Cf. Rudolf Angermüller, Reformideen von Du Roullet und Beaumarchais als Opernlibrettisten (1976), in: Klaus Hortschansky (ed.), Christoph Willibald Gluck und die Opernreform, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1989 (Wege der Forschung 613), pp. 286–​324. 12 Cf. die Partitur mit der Signatur F-​Pn Vm5 64 und 63. 13 Airs détachés de Finte gemelle, opéra bouffon, représenté pour la première fois sur le théatre de l’opéra par les bouffons italiens, le jeudi 11 juin 1778, avec la traduction française parodiée sous la musique, Paris [1778], p. 2.

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Arien handelte14. Deren Faktur entspricht gemäß der Entstehungszeit der Schiava der Arienkomposition der Opera buffa der 1760er Jahre, die aber in den 1770er Jahren noch üblich war (wohingegen sich die Arienkomposition in der Opera seria änderte). Die Mehrzahl steht in zweiteiliger Form, deren zweiter Teil eine variierte Wiederholung des ersten ist. Eine der bedeutendsten Arien, die sich auch in der englischen Fassung findet, ist diejenige des Kapitäns Piratino (Asdrubale) »Moi Capitaine de vaisseau« (italienisch »Il capitano Asdrubale«), die dreiteilig ist und deren dritter Teil eine variierte Wiederholung des ersten ist. Der dritte Teil beginnt bereits in Variation, eine sehr seltene Gestaltung in den Arien Piccinnis, da die Reprisen üblicherweise mit dem nicht variierten Thema des ersten Teils beginnen (nur die Reprisen der zweiteiligen Form beginnen mit einem variierten Thema). Der Text passt vom Deklamatorischen nicht gut auf die Musik, die nicht akzentuierten Silben sind auf die betonten Zählzeiten gesetzt: »Moi, capitaine de vaisseau, Alexandre Piratino«. In einer Arie des Lélio hingegen (»On peut dire, qu’à Cythere«) wurde die Übersetzung aufgrund der Musik modifiziert; es handelt sich um eine Registerarie, in der die Eigenschaften der Frauen in den verschiedenen Ländern aufgezählt werden. 3. Betrachtet man Le faux Lord, der zehn Jahre später, 1783, aufgeführt wurde15, vor dem Hintergrund von L’esclave, kann man einen Fortschritt feststellen, der jedoch keineswegs einer Entwicklung der späten 1770er und frühen 1780er Jahre, sondern demjenigen der Opere buffe Piccinnis im Lauf der 1760er Jahre entspricht, indem die Arien länger und anspruchsvoller wurden, die Anzahl der seriösen Arien zunahm und die typischen Buffo-​ Arien im Parlando-​Stil zunehmend verschwanden. Die Handlung des Faux Lord, dessen Libretto Giuseppe Piccinni verfasste, ist ein typisches Thema sowohl heiterer als auch ernster italienischer Opern; so ist eine für die 1780er Jahre häufige Vermischung angedeutet, wenngleich die Tendenz zum Seriösen schon in Piccinnis La buona figliuola (1760) und allgemein in Carlo Goldonis Libretti angelegt ist: Léandre und Irène lieben sich, ihre Heirat wird jedoch von Anselme, dem Vater Irènes, verhindert, einem reichen und geizigen Alten, der einzig und allein darauf trachtet, sein Geld und seine Tochter zu bewahren, der er verboten hatte, das Haus zu verlassen. Das Treffen der Verliebten und ihre Heirat werden des ungeachtet durch Lafleur, dem listigen Diener von Léandre, arrangiert, dem es gelingt, mit seinem Herrn verkleidet in das Haus einzudringen. Der Stoff erinnert an

14 Ariette war generell die Bezeichnung von Arien in italienischem Idiom in französischen Opern; sie standen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (z.B. bei Jean-​Philippe Rameau) meist in den Divertissements. 15 Cf. dazu Partitur und Libretto (F-Pn Vm5 303 und ThB 2846).

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denjenigen von Le barbier de Séville von Beaumarchais, der bereits ein Jahr vor Le faux Lord in der Vertonung von Giovanni Paisiello in St. Petersburg uraufgeführt wurde. Die Oper hat eine große Anzahl verschiedener Arientypen, die seit Piccinnis La buona figliuola konstitutiv waren, aber im Faux Lord einen moderneren Zuschnitt bekamen. Wie schon in der Buona figliuola handelt es sich um arie serie, arie semiserie und arie buffe. Die Mehrzahl der Arien des Faux Lord gehören zum Typus der Semiseria-​Arie, z.B. die Arie der Dienerin Finette »Je suis bonne, honnête et sage«, mit der sie sich selbst in einem einfachen und graziösen Stil charakterisiert. Dazu gehören auch die Arien des Anselme, die zwischen buffoneskem und seriösem Stil angesiedelt sind wie beispielsweise die Arie »Un homme est un chat perfide«, mit der er versucht, Finette und seine Tochter davon abzuhalten, sich den Männern zu nähern. Seine zweite Arie, die sehr lang und in der avancierten zweisätzigen Form gehalten ist (Allegro Moderato:  »Vieux barbons qui passez la vie«, Allegro: »Ah loin de moi votre chimere«), ist gleichermaßen eine Synthese zwischen buffoneskem und seriösem Stil:  Der Text ist buffonesk, denn er spricht von seinem Geld, das anbetenswerter sei als die Frauen; die musikalische Gestaltung geht jedoch über eine einfache buffoneske Arie hinaus. Reine Buffo-​Arien sind sehr selten. Die Arie von Lafleur »Achetez à ma boutique«, der sich als Händler vor dem Haus von Anselme ausgibt und seine Waren aufzählt, die er verkaufen will, ist als eine dem buffonesken Genre angehörende Registerarie im Parlando-​Stil ein eher seltenes Beispiel. Arie serie hat vor allem Irène, beispielsweise »O nuit, Déesse du mistere« oder Rezitativ und Arie am Beginn des zweiten Akts »Je l’ai revue | Mon coeur enfin respire«, die viele Koloraturen hat und typisch für den Seria-​Stil ist. Die Arien von Léandre tendieren ebenfalls zum seriösen Stil (z.B. »Cette maison est si charmante«), so dass die beiden Protagonisten vor den anderen Personen als ›hohes Paar‹ hervorgehoben werden. Neben diesen italienischen Arientypen hat die Oper sehr kurze Arien, die jedoch eher ariose Partien sind, als dass sie auf das französische kurze Air zurückgehen. Sie sind nicht kontemplativ angelegt, sondern nehmen eine Funktion innerhalb der Handlung ein. Dazu gehört beispielsweise die erste Arie des Léandre »Dis-​lui bien, quand tu la verras«, die einen Befehl an Lafleur gibt und durch ein kurzes Rezitativ in der Mitte unterbrochen wird: Lafleur entfernt sich und Léandre fragt sich, wohin er wohl gehe. Einen ähnlichen Zweck haben kurze Arien wie Lafleurs »Dès que la nuit sombre«, in der er Finette den Zeitpunkt für ein Treffen zwischen Léandre und Irène zuflüstert und sich selbst ständig unterbricht, um seine Waren anzubieten. Piccinni hat also die Merkmale seiner Opere buffe in seiner Opéra comique Le faux Lord adaptiert und wie in der Opéra comique üblich die Rezitative gegen gesprochene Dialoge ersetzt. Jedoch fehlt ein wesentliches Merkmal

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der Opera buffa der Zeit, nämlich die groß angelegten Finali. Das Finale des ersten Akts ist relativ kurz, und das Finale des zweiten hat kontemplativen Charakter und enthält keine Aktion, denn die Lösung des Konflikts, die in der Opera buffa meist in das letzte Finale verlegt wird, hat bereits zuvor stattgefunden. Vor dem Finale steht ein sehr langes Ensemble »Il faut faire connaissance«, in das die Handlung integriert ist wie auch in der Einleitung des ersten Akts. Diese Einleitung ist bezüglich des Textes und der musikalischen Faktur ein für die Opera buffa typisches Ensemble: Lafleur zieht seinen Herren dicht vor das Haus seiner Geliebten, aber Léandre hat zu viel Angst, dass er von Irènes Vater gesehen wird. Dieses Aktions-​Duo besteht aus kurzen Phrasen, die den einzelnen Worten des Textes folgen: »Avançons –​je n’ose –​ arrête –​courage –​allons –​suivez moi«. Die zweiteilige Form Andante sostenuto –​ Allegro presto ist seit den 1760er Jahre üblich, aber die musikalische Faktur gleicht sehr dem Trio des zweiten Akts von Piccinnis Oper Didon, die mit vielen Wort-​und Teilwiederholungen länger ist. Aus den vorangehenden Ausführungen geht hervor, dass die Bedeutung von Piccinnis Opéras comiques hinter derjenigen seiner Tragédies lyriques zurücksteht. Gegenüber der Faktur seiner in Paris 1778/​1779 aufgeführten berühmten Opere buffe, die zum Teil aus den 1760er Jahren stammen –​La buona figliuola, La buona figliuola maritata, Il vago disprezzato, Le finte gemelle, La sposa collerica –,​sind keine großen Fortschritte zu verzeichnen. Die Neuerungen hingegen, die die Opera buffa in Italien bestimmten, nämlich die großen Finali, finden sich in Le faux Lord nicht. 4. Le faux Lord ist dennoch eine gelungene Opéra comique, die Erfolg hatte. Warum Piccinni jedoch nicht viel mehr Opern in diesem Genre für Paris komponiert bzw. arrangiert hat, die Opéra comique mehr oder weniger ›Nebensache‹ blieb, mag verschiedene Gründe haben. Zum einen hatte der italienische Stil –​ wie bereits schon erwähnt –​ in die Gattung Eingang gefunden, so dass diesbezüglich keine Neuerungen möglich waren. Zum anderen wurde die Opéra comique bereits von einem französischen Komponisten ›bedient‹, der in dem Genre großen Erfolg zu verbuchen hatte, nämlich Grétry, der zudem mit der Rettungsoper einen neuen Typus innerhalb der Gattung schuf. Das Pariser Opernpublikum erwartete außerdem von Piccinni das hohe Genre, mithin die Tragédie lyrique: Die Argumente in der Querelle des Gluckistes et Piccinnistes waren darauf ausgerichtet, das ernste Genre durch eine Synthese von französischem Drama und italienischer Musik zu reformieren –​eine Synthese, die in der Opéra comique schon seit Jahrzenten stattgefunden hatte. Der Sachverhalt deckt einen generellen Widerspruch auf, der bereits in der Querelle des Bouffons aufscheint, jedoch bislang nicht ausreichend in der Musikwissenschaft reflektiert wurde. Die Diskussionen um die Priorität

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Elisabeth Schmierer

der französischen und italienischen Oper im Paris der Jahrhundertmitte wurden auf der Grundlage verschiedener Gattungen geführt: Als Paradigma der italienischen Musik diente die Opera buffa, als dasjenige der französischen die Tragédie lyrique. Die ernste französische Gattung wurde somit gegen die heitere italienische ausgespielt, die aber auch schon in Italien in dieser Zeit die ernste zunehmend ausstach. In Paris lag es an der Tatsache, dass nur Opere buffe und keine Opere serie aufgeführt wurden, so dass kein Vergleich der ernsten Genres möglich war. Da die Opera buffa als Paradigma diente, wurde ein Komponist wie Piccinni nach Paris gerufen, der damals der berühmteste des Genres in Italien war. Erwartet wurde von ihm jedoch nicht das heitere Genre, das in den 1770er Jahren nicht mehr im Zentrum der Debatte um die Priorität der Stile stand, sondern eine Erneuerung der ernsten Gattung, der Tragédie lyrique. Somit musste die Opéra comique im Schaffen Piccinnis zweitrangig bleiben.

Adriana Guarnieri Corazzol

Manzoni e la musica: I promessi sposi e il melodramma L’argomento proposto porta in campo due direzioni di ricerca parallele: per un verso il rapporto con la musica di un grande scrittore italiano dell’Ottocento e la presenza della musica –​largamente intesa –​nel suo notissimo romanzo; per altro verso le circostanze storiche e le caratteristiche letterarie di tre libretti per musica ricavati da quel libro vivente l’autore:  un esame che comporterà alcune considerazioni in merito alle questioni relative alle riduzioni da romanzo a libretto. Con riferimento al titolo si impone però un’avvertenza: il termine ‹melodramma›, che possiede due accezioni (quella letteraria e quella storico-​musicale) verrà usato in entrambi i significati a seconda del contesto:  sia come vicenda a forti tinte (il genere mélo, derivato dal mélodrame francese, parallelo al romanzo cosiddetto gotico), sia nell’accezione tecnica che indica un genere operistico specifico dell’Ottocento italiano, precisato all’epoca nei libretti in alternanza con altre denominazioni quali ‹dramma serio›, ‹tragedia lirica›, ‹opera›, ‹dramma lirico› e così via1. Il termine ha assunto poi, in ambito storico-​musicologico, il significato più esteso, ancora in uso, di ‹opera lirica italiana dell’Ottocento›. Questo contributo si occuperà specificamente di tre melodrammi ricavati dai Promessi sposi di Alessandro Manzoni: quello di Amilcare Ponchielli del 1856, composto su un libretto anonimo; quello di Errico Petrella del 1869, su un libretto di Antonio Ghislanzoni; quello di Ponchielli del 1872, composto sulla base del libretto precedente riformulato da Emilio Praga. La questione terminologica ci porta innanzitutto a considerare la natura del romanzo storico di Manzoni (ambientato nel XVII secolo) in relazione alla cultura francese dell’autore, maturata nell’orbita dell’Illuminismo lombardo di Pietro e Alessandro Verri (fratelli maggiori del padre naturale di Manzoni) e di Cesare Beccaria (nonno di Manzoni per parte di madre), vicini agli idéologues francesi2. Non sappiamo se Manzoni avesse assistito a 1 Per un quadro indicativo della terminologia librettistica italiana negli anni considerati cf. per tutti Antonio Rostagno, Nuove geometrie e tipologie operistiche nell’epoca della Scapigliatura, in: Johannes Streicher/​Sonia Teramo/​Roberta Travaglini (edd.), Scapigliatura & fin de siècle. Libretti d’opera italiani dall’Unità al primo Novecento. Scritti per Mario Morini, Roma (ISMEZ) 2007, pp. 209–​244. 2 Sull’orientamento dei fratelli Verri e di Beccaria e sulla loro rivista «Il Caffè» cf. per tutti Carlo Capra, La felicità per tutti. Figure e temi dell’Illuminismo lombardo, Canterano (Aracne) 2017.

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dei mélodrames nei suoi primi anni parigini (1805–​1810), ma aveva sicuramente una grande familiarità con il romanzo europeo3. Considerati dal punto di vista della pura trama i Promessi sposi narrano indubbiamente, accanto a eventi storici quali un’epidemia di peste e una rivolta popolare, una vicenda di amore contrastato pervasa da peripezie da romanzo ‹gotico› quali un omicidio e un rapimento. Quest’ultimo ha come luogo d’approdo un castello tenebroso alla Walpole, mentre lo schema narrativo di riferimento è quello della ‹fanciulla perseguitata› tipico di tanti romanzi intrisi di elementi mélo. Se d’altra parte, senza tener conto dell’enorme e articolato apparato storico di riferimento, consideriamo il puro scheletro dei Promessi sposi riferendoci esclusivamente ai due protagonisti, possiamo pensare anche allo schema della fiaba: la separazione di due innamorati per mano di un cattivo, il racconto delle loro infinite peripezie individuali e il lieto fine (la celebrazione del ricongiungimento finale nel Lazzaretto). Tutto questo si prestava ottimamente, nell’Ottocento, alla scarnificazione librettistica: a un’opera in cui la musica avesse un ruolo preminente e l’azione andasse pertanto semplificata e ridotta. Il romanzo manzoniano era ovviamente molto altro ancora; ma l’autore, offrendolo agli amici nella prima edizione (1827: la cosiddetta Ventisettana) e poi giù giù fino alla fine, lo definiva una «cantafavola»4:  un termine scherzosamente riduttivo che andava però in quella direzione. Nel miglior dizionario etimologico italiano disponibile troviamo appunto, al lemma ‹cantafavola›, il significato storico di «racconto lungo e inverosimile»5; Manzoni lo impiegava dunque quasi a nascondere l’imponente elaborazione storica, speculativa e linguistica del romanzo. Nella successiva edizione (1840: la cosiddetta Quarantana, profondamente riveduta sul piano della lingua) faceva inoltre inserire dall’incisore specializzato Francesco Gonin –​rovinandosi finanziariamente –​400 vignette controllate personalmente: a creare un prodotto finale ‹popolare›, illustrato, distribuito su 108 dispense successive e caratterizzato da un notevole realismo scenico-​visivo6.

3 Per notizie sugli anni parigini di Manzoni e sulle sue (sterminate) conoscenze letterarie, storiche e filosofiche cf. per tutti il classico Luigi Tonelli, Manzoni, Milano (Corbaccio) 1928, e il più recente Gino Tellini, Manzoni, Roma (Salerno) 2007. 4 Sull’argomento cf. Tellini, Manzoni, p. 341, nota 54 (lettera di Manzoni a Monti del 15 giugno 1827), e p. 179, nota 44 (lettera a Della Valle del 1871). 5 Salvatore Battaglia, Grande dizionario della lingua italiana, Torino (UTET) 1967, vol. 2 (BALL–​CERR), p. 649, col. 2sq. 6 Per una discussione sull’argomento ricca di testimonianze storiche e critiche ed esemplificata da riproduzioni delle vignette cf. in modo particolare Salvatore Silvano Nigro, La funesta docilità, Palermo (Sellerio) 2018.

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Quale sia stato l’interesse di Manzoni per la musica risulta piuttosto accennato che ampiamente documentato negli studi di settore; ma possiamo ricorrere per dettagli, oltreché agli indizi contenuti in quelli, al primo volume delle Memorie di Stefano Stampa (figlio della seconda moglie dello scrittore), uscito nel 1885, e possiamo preliminarmente fare riferimento all’ambiente culturale di formazione dello scrittore, in modo particolare quello già menzionato dell’Illuminismo lombardo coltivato nella cerchia familiare. Il Discorso sull’indole del piacere e del dolore (un trattato di estetica di Pietro Verri pubblicato nel 1781) è stato recentemente analizzato in prospettiva musicale da Paolo Gozza; il suo studio ha messo in evidenza un’idea della musica intesa come arte in sé, come lingua della sensibilità pura in quanto interiorità e, sul piano degli effetti, come fuga dal dolore per chi ascolta, bisogno di sollecitare i moti dell’animo per chi compone7. Questa prospettiva trova riscontro nelle testimonianze fornite da Stefano Stampa, pubblicate inizialmente nella stampa periodica come lettere aperte e raccolte successivamente in due volumi. Nella premessa l’autore dichiarava ventiquattro anni di «convivenza intima» con il patrigno e annunciava l’«esatta verità» ristabilita nel libro8; seguiva, nella lettera d’esordio, una prima contestazione di un’affermazione di Cantù a proposito di Manzoni («Non intendeva la musica e non se ne dilettava») significativamente decisa: Non era certo un intelligente di musica nel senso tecnico della parola, né l’amava al punto di rompere le sue abitudini e di scomodarsi per andare in teatro a sentirla. Ma l’amava molto e gli abbelliva tutto quel che faceva. Quando al dopo pranzo non c’era nessuno o quando per un caso insolito nessuno fosse venuto alla sera a trovarlo, se qualcuno della famiglia si fosse posto al piano ed avesse sonato fino all’ora di coricarsi, era certo di non annoiarlo. Egli continuava a leggere, a leggere, ed affermava di trovar più bello tutto ciò che leggeva.9

Seguiva il paragrafo relativo all’episodio dell’ascolto di musiche di Mendelssohn che si può leggere nel risvolto di copertina di un volume totalmente dedicato al nostro tema10; la testimonianza procedeva poi con una seconda esemplificazione:

7 Cf. Paolo Gozza, Pietro Verri storico delle arti, Roma (Edizioni di Storia e Letteratura) 2017, capp. VIII e IX. 8 Stefano Stampa, Alessandro Manzoni. La sua famiglia, i suoi amici. Appunti e memorie, 2 voll., Napoli/​Milano/​Pisa (Ulrico Hoepli) 1885, vol.  1, p.  III (Al lettore). Ogni lettera ospitava puntuali contestazioni di singole affermazioni contenute soprattutto nella biografia manzoniana di Cesare Cantù e riprese dalla stampa. 9 Ibid., p. 9sq. 10 Cf. Licia Sirch, Pentagrammi manzoniani. Amilcare Ponchielli e «I promessi sposi», Milano (Centro Nazionale Studi Manzoniani) 2015.

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Adriana Guarnieri Corazzol Ma quanto potere avesse su di lui la musica in generale, è provato indiscutibilmente da questo particolare che, per quel che vedo, è ancora completamente sconosciuto. Il Cinque maggio fu fatto a suon di piano!... Tenne quasi tutto il giorno, o, per dir meglio, due giorni la sua prima moglie al piano perché suonasse; suonasse qualunque cosa; ripetesse anche lo stesso motivo, purché suonasse continuamente. La santa donna suonò finché poté, e da quei suoni uscirono quelle strofe!...11

In una lettera successiva troviamo un’ulteriore testimonianza, ma più diretta e più sottile. A proposito dei romanzi moderni Manzoni una sera avrebbe detto: «Io non volli nei miei lavori battere la grancassa, perché mi pareva che se ne potesse fare a meno». A una timida obiezione della seconda moglie («in certi punti la grancassa produce un grand’effetto») lo scrittore avrebbe risposto, «in modo impercettibilmente dispettoso»:  «Non ti nego questo; dico soltanto che non volli farne uso»12. In merito all’affermazione del figliastro sullo «scomodarsi per andare in teatro» possiamo però suggerire una spiegazione. Manzoni da giovane frequentava il Teatro alla Scala di Milano almeno abbastanza da giocarvi anche d’azzardo (secondo varie testimonianze Vincenzo Monti l’avrebbe convinto a smettere)13; nella maturità invece frequentava i teatri raramente. Il fatto può essere messo in relazione con la malattia nervosa che lo tormentava (soffriva di attacchi di panico, un evidente portato dell’episodio verificatosi a Parigi nel 1810); donde l’angoscia di trovarsi in un luogo ampio e intensamente affollato14. Lo scrittore ascoltava perciò con grande piacere esecuzioni casalinghe di musica (che erano del resto, all’epoca, il modo abituale e più diffuso di ascoltar musica, e non solo musica originale da camera)15. D’altra parte, se Manzoni si fosse recato spesso a teatro nella maturità avrebbe forse indossato la veste del ‹giudice› piuttosto che quella del ‹complice›, stando alla posizione da lui espressa nella Lettre à Monsieur Chauvet: la necessità di un giudizio distaccato, formulato a mente fredda (del tutto opposto, per esempio, all’atteggiamento sperimentato e descritto tante volte da Stendhal: uno spettatore sempre coinvolto, e trascinato in modo particolare dall’opera italiana).

11 Stampa, Alessandro Manzoni, vol. 1, Lettera I (31 maggio 1883), pp. 1–​14: 10. 12 Ibid., Lettera VIII, pp. 56–​71: 57–​58. Sottolineatura originale. 13 Come sappiamo, il gioco d’azzardo era un importante (se non il principale) cespite di proventi dei teatri d’opera italiani nel Settecento e fino almeno alla metà dell’Ottocento. 14 Sull’argomento cf. per tutti G.[iovanni] Titta Rosa, Aria di casa Manzoni, nuova edizione accresciuta con 26 illustrazioni, Milano (Ceschina) 1955, p. 124. 15 Gli spartiti delle opere costituivano nell’Ottocento per gli editori musicali uno dei proventi più sicuri, se non il principale.

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Una volta menzionata l’ode Il cinque maggio diventa inevitabile toccare un secondo argomento indagato dagli studiosi, quello del rapporto tra la poesia di Manzoni e la lingua dei libretti di quel periodo. La lingua e il ritmo delle sue liriche e delle sue tragedie sono quelli dei libretti musicati da Bellini, Donizetti, il primo Verdi e altri. Sull’argomento sono state condotte indagini che hanno mostrato la contiguità di quei ritmi di settenari (Il cinque maggio)16 e decasillabi (Marzo 1821), oppure di endecasillabi per il testo, senari doppi per il coro del III atto e settenari per il coro del IV atto dell’Adelchi, cioè le combinazioni metriche che popolavano i libretti di Romani, Cammarano e tutti gli altri librettisti, i quali impiegavano ovviamente il taglio tragico in atti e scene quali contenitori di un’articolazione adatta alla solita forma17. C’era dunque all’epoca un’assoluta contiguità tra la produzione poetica, quella tragica di parola e quella librettistica. C’era anche, per altro verso, un contatto diretto tra i soggetti del teatro di parola e quelli del teatro per musica: un fenomeno di interscambio delle vicende e delle figure che è stato ugualmente oggetto di studio. A proposito della Lucia di Lammermoor di Cammarano e Donizetti è stata mostrata, per esempio, la somiglianza di espressioni e situazioni legate alla figura di Ermengarda nel suo percorso di delirio e morte, e per il procedere drammatico dell’opera è stata richiamata  –​con ascendente Scott, ovviamente  –​la figura di Gertrude nei Promessi sposi18. Sempre in merito a quella fitta circolazione di ritmi, vocaboli e soggetti sono state illustrate le occorrenze dell’Adelchi e la presenza del «metro Cinque maggio» nel libretto del Pirata di Felice Romani per Bellini (1827)19, mentre uno studioso ha ricordato che Stendhal, nella Vie de Rossini, individuava nel libretto di Bianca e Faliero di Romani (1819) la vicenda del Conte di Carmagnola (1816)20. In definitiva da questi studi la notorietà e l’influsso del Manzoni poeta e tragico sui melodrammi del tempo risulta

16 Ode composta nel 1821, ma pubblicata solo nel 1845 (per motivi di censura), che circolava manoscritta. 17 Sull’argomento cf. per tutti Antonio Rostagno, Temete, signor, la melodia. Metri e ritmi fra Verdi e la Scapigliatura, in: Mariasilvia Tatti (ed.), Dal libro al libretto. La letteratura per musica dal ’700 al ’900, Roma (Bulzoni) 2005, pp. 165–​189. Per un panorama della versificazione librettistica italiana nel primo Ottocento cf. Paolo Fabbri, Metro e canto nell’opera italiana, Torino (EDT) 2007, cap. X, pp. 119–​141. 18 Cf. Elena Sala Di Felice, «Lucia di Lammermoor» tra Scott e Manzoni, in: Alessandro Grilli (ed.), L’opera prima dell’opera. Fonti, libretti, intertestualità, Pisa (Edizioni Plus –​Pisa University Press) 2006, pp. 59–​71. 19 Cf. Gilberto Lonardi, Ermengarda e il pirata, Bologna (il Mulino) 1991. 20 Cf. Stefano Verdino, «Non trovo l’argomento»: inventio e dispositio in Felice Romani, in: Tatti, Dal libro al libretto, pp. 91–​113 [cf. nota 17].

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notevolissima, e di riflesso lo studio di questi ultimi fa emergere il carattere ‹operistico› e ‹cantabile› delle tragedie e delle liriche di Manzoni. Passando a considerare il romanzo con riferimento a quanto già osservato, per quanto riguarda il testo conviene partire dalla prima redazione, intitolata Fermo e Lucia: stesa, come sappiamo, tra il 24 aprile del 1821 e il 17 settembre del 1823. Si trattava di una stesura preliminare, non ancora affinata né tòrta dal problema della lingua:  una scrittura relativamente di getto (800 pagine in due anni e mezzo di lavoro), quindi ‹spontanea› (per quanto è possibile darne questa definizione, in presenza di uno scrittore sempre altamente vigile), dove la tela di ‹romanzo gotico› emerge più chiaramente rispetto all’esito successivo:  nei temi (la fanciulla perseguitata, il castello-​prigione), nelle forti tinte della violenza fisica o psicologica culminanti nella Storia della colonna infame, che funge già da Appendice; se pure, ovviamente, la dialettica tra fantasia e storia vi risultava comunque già definitivamente acquisita21. Questa fonte più ‹cruda› si presta perciò più facilmente all’individuazione degli elementi melodrammatici della vicenda, facilitata anche da una sonorità più immediata della lingua. Ci troviamo così di fronte a un’‹Ur-​Lucia› più carnale (più scenica)22, a una componente di romanzo nero più accentuata (i capitoli che trattano la relazione tra Egidio e Geltrude, poi cassati), mentre il ‹modello Almaviva› di Da Ponte e Mozart che sta alla base del personaggio di don Rodrigo23 risulta più sfumato. Di conseguenza anche il cattolicesimo dell’autore –​conquistato, conclamato –​ appare più ‹ingenuo›24. Fermo e Lucia (come poi I promessi sposi) si presenta in apertura tutto visivo:  l’occhio dello scrittore, che diventa quello del lettore, scorre dal paesaggio all’‹entrata› di don Abbondio quasi condotto da una macchina 21 Sull’argomento cf. per tutti Renato Giovannoli, L’Innominato vampiro. Riflessi ‹gotici› nei «Promessi sposi» alla luce del «Dracula» di Stoker, in:  Giovanni Manetti (ed.), Leggere «I promessi sposi». Analisi semiotiche di Eco Nencioni Corti Segre Agosti Raimondi e altri, Milano (Bompiani) 1989, pp. 263–​291. 22 Sull’argomento cf. Marco Viscardi, Leçons de ténèbres. Manzoni e la ragnatela del male, in: Paolo Amalfitano (ed.), Il piacere del male. Le rappresentazioni letterarie di un’antinomia morale 1500–​2000, Pisa (Pacini) 2017, vol. 2, pp. 81–​101. 23 Sull’argomento cf. per tutti Carlo Ossola, Manzoni e Mozart, in: Pier Vincenzo Mengaldo (ed.), Omaggio a Gianfranco Folena, Padova (Editoriale Programma) 1993, vol. 2, pp. 1719–​1738, e prima ancora Giovanni Macchia, Tra Don Giovanni e Don Rodrigo, Milano (Adelphi) 1989. 24 A proposito della fede cattolica conclamata ricordiamo che Lamartine, nelle Harmonies poétiques et religieuses, dedicava a Manzoni nel 1829 il suo Hymne au Christ (Alphonse de Lamartine, Méditations poétiques. Nouvelles méditations poétiques suivies de poésies diverses, ed. Marius François-​Guillard, Paris [Gallimard] 1981, pp. 279–​290).

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da presa, e questo scenario mobile approda al Trio iniziale don Abbondio/​ Bravi. A  un tale livello metaforico-​teatrale l’analisi potrebbe ovviamente continuare lungo tutto il libro25, ma altrettanto proficuo risulta seguire fin dall’inizio i suoni e le musiche del Fermo e Lucia con l’aiuto di citazioni: «presso quegli argini uno può quasi sentire il doppio e diverso romore dell’acqua… [questa] scorre sotto gli archi con uno strepito per così dire fluviale»; «[i Bravi] presero la strada cantando una canzonaccia che non voglio trascrivere»26, e così via. In generale si può anche osservare che il tono delle voci, nei dialoghi che seguono, è sempre accuratamente descritto; un caso per tutti: «come il lettore avrà veduto nel caldo crescente delle sue risposte»27. Non mancano i momenti di linguaggio tecnico comune («andò in coro a cantare terza e sesta»), mentre un frastuono continuo caratterizza il banchetto di don Rodrigo nello stesso quinto capitolo, che si è aperto con i «due colpi del martello sulla porta» di fra Cristoforo («sentiva un romore crescente di forchette e di coltelli; un sordo fragore di piatti di stagno posti l’uno sull’altro, e sopra tutti un frastuono di voci discordi che tutte volevano coprire le altre») e si chiude con una similitudine musicale di ambientazione popolare: «Chi ha mai intesa e goduta l’armonia che fa in una fiera di campagna una troppa di cantambanchi, quando […] ognuno accorda il suo strumento, facendolo stridere più forte che può»28. L’attenzione per la realtà sonora quotidiana risulta del resto sempre alta, in funzione espressiva: nel capitolo successivo, per esempio, si fa notare il gioco di timpani e legni che annuncia l’arrivo di padre Cristoforo a casa di Agnese: «Tutt’ad un tratto, un calpestio affrettato di sandali, un romore di tonaca sbattuta, somigliante a quello che produce in una vela allentata il soffio ripetuto del vento»29. E nel capitolo dell’imbroglio sentiamo dapprima le voci di tutto un paese che si saluta per la notte; avvertiamo poi lo stropiccío dei piedi dei cugini («al fruscìo dei quattro piedi, che era il segnale convenuto […] i due sposi apparvero in mezzo come all’alzare di un sipario»); infine,

25 Sull’argomento (ma riferito ai Promessi sposi) cf. Daniela Brogi, Un romanzo per gli occhi. Manzoni, Caravaggio e la fabbrica del realismo, Roma (Carocci) 2018. 26 Alessandro Manzoni, Fermo e Lucia, ed. Salvatore Silvano Nigro, Milano (Mondadori) 2002, vol. 1, cap. I, pp. 23 e 31. 27 Ibid., cap. II, p. 93. Per acute osservazioni sulla parola scenica nei dialoghi dei futuri Promessi sposi cf. Ezio Raimondi, La dissimulazione romanzesca, Bologna (il Mulino) 1990; per una prospettiva più generale cf. anche Sonia Arienta, Urli, mormorii, silenzi. Sociologia della voce nel teatro e nel romanzo dell’Ottocento, Roma (Carocci) 2015. 28 Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 1, cap. V, pp. 97, 95 e 110 per le tre citazioni che precedono. 29 Ibid., cap. VI, p. 130.

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culminante, arriva il passo formidabile della campana, breve e definitivo come una clausola di grancassa: «[il sagrista] aperse, entrò, andò difilato al campanile, prese la corda della più grossa campana e tirò a martello»30. Se si trattasse di musica parleremmo di un lungo crescendo che si conclude con un fortissimo; allo stesso modo per il successivo capitolo (quello della fuga e separazione) diventa inevitabile a proposito dell’addio di Lucia parlare di un’aria, introdotta dagli opportuni accordi preparatorî: «seduta com’era sul fondo della barca, poggiò il gomito sulla sponda, chinò su quello la fronte come per dormire; e pianse segretamente. ‹Addio, monti posati sugli abissi dell’acque ed elevati al cielo›»31. Sul piano del cantabile, quest’‹aria› arriverà ovviamente a perfezione nel capolavoro definitivo32; ma proprio su questo finale del Tomo I di Fermo e Lucia si può aggiungere un’ultima osservazione relativamente al grado di teatralità raggiunto qui dall’autore (e ‹smussato› nel capolavoro). Il primo Tomo si apre e si chiude sul lago, quasi a evocare un sipario alzato e poi calato; nelle stesure ufficiali successive la numerazione dei capitoli diventerà invece continua e l’effetto scenico di ‹atti› (tomi) in sequenza verrà dunque sacrificato, forse proprio perché troppo teatrale. Nella stessa direzione Fermo e Lucia manifesta un carattere ‹drammatico› più palpabile rispetto ai Promessi sposi: il vantaggio di una lettura ad alta voce (un uso all’epoca assolutamente diffuso). Per quanto riguarda infine i tomi successivi, e relativamente ad altri aspetti del racconto, sarà sufficiente qui un’unica significativa citazione tratta dalla storia di Geltrude:  «Talvolta la pompa degli addobbi, lo splendore delle feste, la musica che non esprime alcuna idea, e ne fa nascere a migliaia»33. È una considerazione che ci rimanda al pensiero estetico musicale espresso da Pietro Verri nel trattato già menzionato: l’affermazione della musica come arte asemantica. Siamo così arrivati a toccare i Promessi sposi, a proposito dei quali ci limiteremo a considerare le circostanze e i caratteri dei tre libretti annunciati:  quello anonimo (ricavato dalla Quarantana) musicato da Ponchielli

30 Ibid., cap. VII, pp. 144, 150, 152. Ai suoni della peste nei Promessi sposi, dominati dai campanelli dei monatti, una studiosa ha dedicato un paragrafo del suo ponderoso studio sui Promessi sposi e l’opera: Alice Di Stefano, Manzoni e il melodramma. Rivoluzione manzoniana, restaurazione melodrammatica, Roma (Vecchiarelli) 2005, pp. 119–​124. 31 Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 1, cap. VIII, p. 165. Ricordiamo che Lucia è il perno dell’intera vicenda (in tutte le versioni), in quanto funge da collegamento tra tutti i protagonisti (anche quando non è fisicamente presente). 32 Per un ampio commento a quelle pagine cf. Giovanni Nencioni, La lingua dei «Promessi sposi», Bologna (il Mulino) 2012, cap. VI (L’addio ai monti). 33 Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 2, cap. IV, p. 165.

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per il melodramma I promessi sposi, andato in scena a Cremona nel 1856; lo stesso libretto, ristrutturato e largamente ritoccato da Praga, sempre per Ponchielli, per il melodramma omonimo rappresentato a Milano nel 1872; infine il libretto approntato da Ghislanzoni (sulla base della Ventisettana) per il melodramma di Petrella, andato in scena a Lecco nel 186934. L’argomento porta in campo, come si diceva, il problema della riduzione di un romanzo a libretto:  un’operazione ancora largamente diffusa nel secondo Ottocento anche se tendenzialmente in calo (verrà via via superata negli anni a venire dagli adattamenti da pièces teatrali). Sul piano della lingua per quei tre libretti non esisteva problema: si trattava di costruire combinazioni di determinati metri per i recitativi e i pezzi lirici, sulla base di una tipologia di versi  –​comuni, come abbiamo visto, alla poesia dell’epoca  –​da applicare all’articolazione per numeri progressivi strutturati con i criteri di una «solita forma» sempre più incline nel tempo alla scansione più fluida della «grande opera» della Transizione (riproposta italiana del grand-​opéra)35. All’interno dei quattro atti il libretto doveva fornire situazioni vocali date, rette dall’orchestra; ogni atto era introdotto da uno scenario che poteva articolarsi in sottoscenari plurimi, seguendo le tradizionali consuetudini di alternanza (aperto/​chiuso, notte/​giorno e così via). Continuava comunque a essere necessario individuare, in un romanzo, picchi drammatici in sequenza tali da restituire la vicenda complessiva pur sacrificandone larghe parti. L’operazione era sostanzialmente analoga a quella che sarebbe stata nel Novecento una sceneggiatura cinematografica ricavata da un testo in prosa; può essere pertanto utile richiamare qui brevemente I promessi sposi di Mario Camerini: una pellicola del 1941 sottoposta negli anni Cinquanta e Sessanta a severe critiche, ma comunque valutata dagli specialisti il miglior prodotto cinematografico ricavato dal romanzo manzoniano36. Il film, reso

34 Per considerazioni e un elenco di opere ricavate dal romanzo si veda, tra gli altri, Emanuele Senici, Landscape and Gender in Italian Opera. The Alpin Virgin from Bellini to Puccini, Cambridge (Cambridge University Press) 2005, pp. 181–​194 e 327–​330. 35 Per una visione storica complessiva cf. soprattutto Jürgen Maehder, Szenische Imagination und Stoffwahl in der italienischen Oper des Fin de Siècle, in: id./​Jürg Stenzl (edd.), Zwischen Opera buffa und Melodramma. Italienische Oper im 18. und 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main (Peter Lang) 1994 (Perspektiven der Opernforschung 1), pp. 187–​248. 36 I promessi sposi, Lux Film, regìa di Mario Camerini, 1941. Sceneggiatura: Mario Camerini, Ivo Perilli, Gabriele Baldini. Revisione: Emilio Cecchi, Riccardo Bacchelli. Musica di Ildebrando Pizzetti. Sul dibattito menzionato cf. Nigro, La funesta docilità, pp. 100–​104 e 127–​163.

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notevole tra l’altro dalla colonna sonora di Ildebrando Pizzetti (allora sessantenne), presentava un ampio ventaglio di personaggi e situazioni: Personaggi: Renzo, Lucia, Il Cardinale, Don Abbondio, Don Rodrigo, Padre Cristoforo, L’Innominato, La Signora, Azzeccagarbugli, Perpetua, Agnese, Il conte Attilio, Il Griso, Ferrer, Fusella. Articolazione degli episodi:  Lago (don Abbondio, bravi), palazzo (don Rodrigo e cugino, padre Cristoforo). Tentativo di rapimento, tentato matrimonio, confusione (campana). Partenza (padre Cristoforo, Agnese, Lucia, Renzo). Renzo a Milano (rivolta del pane, palazzo del Vicario, Podestà, arresto di Renzo, fuga di Renzo). Monastero (Lucia e Signora), rapimento di Lucia (Innominato e Lucia, voto). Innominato e Federico Borromeo, Borromeo e don Abbondio. Popolazione in fuga, scoppio della peste, monatti e madre con bambina. Renzo a Milano (grande corteo, Renzo ‹untore›); don Rodrigo ammalato. Renzo al Lazzaretto; Renzo, padre Cristoforo, don Rodrigo. Corteo dei guariti, Renzo trova Lucia; fine del voto (padre Cristoforo, Renzo, Lucia).

Tornando al primo libretto, quello anonimo del 1856, consideriamo ugualmente in apertura l’elenco dei personaggi, in quanto indicativo dei momenti del romanzo privilegiati in vista della loro realizzazione musicale:  nell’ordine Don Rodrigo, Lucia, Renzo, Un Eremita, La Signora, L’Innominato, Griso, Tonio; Gervaso e Un vecchio servo di Don Rodrigo (che non parlano); Coro (Contadini e Contadine, Bravi)37. Per quanto riguarda l’azione scenico-​ musicale può essere sufficientemente indicativa la successione delle Parti (= Atti) e delle scene, con i corrispondenti scenari: Parte I, Scene I-​VI:  Luogo campestre […]; Scena VII:  Salotto nel Palazzo di Don Rodrigo; Parte II, Scena I: Due camere d’una stessa osteria –​nell’una sta Renzo con Tonio e Gervaso, nell’altra Griso coi Bravi di Don Rodrigo […]; Scena II: Luogo campestre come nella Parte Prima –​Quasi Notte. Parte III, Scene I-​II: Sala d’armi nel castello dell’Innominato […]; Scene III-​VII: Giardino di un convento. In fondo cancello che mette sulla via. Da un lato il monastero […]. Scene VIII-​XI: Sala d’armi nel castello dell’Innominato, come nella Parte terza, Scena I […]. Parte IV, Scene I e II: Salotto nel palazzo di Don Rodrigo come nella Parte Prima; Scene III-​VII: Vicinanze di Milano. Vedesi da un lato una modesta abitazione. In fondo parte del lazzaretto.

Il libretto era frutto del lavoro di alcuni amici letterati del musicista38. 37 I Promessi Sposi | melodramma in quattro parti | posto in musica | dal Maestro | Amilcare Ponchielli | da rappresentarsi | per la prima volta | nel Teatro della Concordia | in Cremona | l’Autunno 1856, Coi tipi dell’erede Manini, Cremona 1856, p. 3 [libretto]. Si può leggere anche, riprodotto, in: Sirch, Pentagrammi manzoniani, pp. 141–​189. 38 Ponchielli, appena uscito dal conservatorio, era ancora uno sconosciuto e doveva quindi farsi carico del libretto. Cf. Tuo affezionatissimo Amilcare Ponchielli.

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Scendendo nel dettaglio del testo per qualche considerazione più puntuale possiamo soffermarci sulla Parte II, che mette in scena la «notte degli imbrogli»39. Lo spettatore vedeva in apertura d’atto una «scena divisa» («Due camere d’una stessa osteria»: Renzo Tonio Gervaso da un lato, don Rodrigo il Griso i Bravi dall’altro): una soluzione librettisticamente interessante, poiché permetteva alla musica di contrapporre e sommare le due ‹congiure› (il tentato matrimonio di sorpresa e il rapimento di Lucia), fornendo inoltre ai protagonisti arie in un contesto concertato (solisti e Bravi). La doppia congiura falliva nella quinta scena, conclusa dalla campana a martello e poi dalla separazione e partenza dei due promessi sotto la protezione dell’Eremita (qui per padre Cristoforo), che svolgeva in quel melodramma un ruolo di tutto rilievo:  non solo aiutava i due fidanzati, non solo liberava Lucia dal voto, ma –​in assenza di Federico Borromeo –​convertiva anche L’Innominato. Don Rodrigo aveva peraltro il ruolo principale di tenore innamorato: di cattivo portato a pentirsi delle proprie azioni nella prima scena della Parte IV. Dovendo condensare l’intera vicenda questo libretto realizza in sostanza il sacrificio di molti personaggi, stante anche la proibizione di legge: non vi compaiono né don Abbondio, né Perpetua, né il Cardinale40 e anche la figura di Agnese viene cassata, venendo così incontro anche a esigenze di carattere economico: è l’opera di un esordiente, costretto per prudenza al risparmio di solisti e cori. Le cose cambiano però con i successivi Promessi sposi di Ponchielli, che ha iniziato a farsi conoscere e può avvalersi, per il melodramma del 1872, della revisione librettistica –​decisiva –​di Emilio Praga. L’editore di riferimento è inizialmente Lucca; in seguito al grande successo della prima rappresentazione (al Teatro Dal Verme di Milano) subentrerà l’editore Ricordi. Nel frattempo anche il quadro letterario e operistico si è modificato. Dopo il decennio, più battagliero, della prima Scapigliatura

Lettere 1856–​1885, edd. Francesco Cesari/​Stefania Franceschini/​Raffaella Barbierato, Padova (Il Poligrafo) 2010, pp. 106–107, nota 50. Per una storia dettagliata di questo libretto con precisazione dei vari collaboratori cf. soprattutto Stefania Franceschini, La produzione operistica di Amilcare Ponchielli e l’influenza della Scapigliatura milanese (con estratti di alcune lettere finora inedite), in: Streicher/​ Teramo/Travaglini, Scapigliatura & fin de siècle, pp. 169–​208 [cf. nota 1]. 39 Per un commento a quella «notte» sul piano letterario cf. soprattutto Cesare Segre, Semiotica del buio, in: Manetti, Leggere «I promessi sposi», pp. 51–​63 [cf. nota 21], in cui si sottolineava tra l’altro l’importanza dell’elemento visivo: luce/​ buio, interno/​esterno e così via. 40 Per questo dettaglio e anche per un’analisi circostanziata dei due libretti cf. Walter Zidarič, L’univers dramatique d’Amilcare Ponchielli, Paris (Harmattan) 2010, cap. II: «I promessi sposi» («Les fiancés») I et II, pp. 97–​138.

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(1858–​1868), che ha visto anche Praga tra i protagonisti di quell’avanguardia inter artes, caratterizzata da una decisa apertura dell’Italia alle letterature e alla musica europee, fa la sua comparsa la cosiddetta grande opera, dotata di un’orchestra nutrita, di cori ampliati, di un maggior numero di solisti e spesso incline, nei soggetti e nel gusto, alla Décadence41. L’intervento di Praga, che nel decennio della contestazione ha pubblicato anche alcuni versi poco benevoli nei confronti di Manzoni42 ma attraversa ormai una fase di ripensamento, si rivela prezioso; il poeta, pur rinunciando a firmare il libretto, si applica al lavoro con evidente cura e totale adesione ai ‹caratteri› (personaggi) della Quarantana. Per un confronto col precedente consideriamo la tavola dei personaggi e per un approccio più ravvicinato lo schema della Parte III: Don Rodrigo L’Innominato Il Cardinale Federico La Signora di Monza Fra Cristoforo Agnese, madre di Lucia Renzo Griso, Bravo di Don Rodrigo Nibbio, Bravo dell’Innominato Tonio Gervasio Vecchio Servo di Don Rodrigo

Baritono Basso Basso Mezzo Soprano Basso Soprano Soprano Tenore Basso ………… Tenore ………… …………

Cori –​ Comparse –​ Cavalieri –​ Contadini Contadine –​Bravi –​Seguito del Cardinale –​Popolo43 Parte III Scena prima. Giardino di un convento. In fondo, cancello che mette sulla via. Da un lato, il monastero. Dall’altro, l’abitazione privata della Signora di Monza.

41 Per un quadro complessivo delle tematiche cf. Jürgen Maehder, «Oh gioia! M’uccide!» –​Décadence und Grand Opéra in Arrigo Boitos und Amilcare Ponchiellis «La Gioconda», Programmheft für das Nationaltheater Mannheim, 1992, pp. 7–​ 23. 42 Sull’argomento e anche, specificamente, sulla storia di questa revisione, richiesta da Ponchielli nel 1869, cf. Mauro Novelli, Lo spettro del «vegliardo». Praga e Manzoni, in: Sirch, Pentagrammi manzoniani, pp. 113–​132. 43 I PROMESSI SPOSI | MELODRAMMA IN QUATTRO PARTI | MUSICA DI | AMILCARE PONCHIELLI [libretto], Milano (Ricordi) s.a., pagina non numerata.

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Scena II. Lucia, e detta, quindi Bravi dal cancello. Scena III. Sala gotica nel Castello dell’Innominato. […]. Lucia di dentro, indi in scena, trascinata da Nibbio, affannata ed atterrita. Scena IV. Agnese e detta. Scena V. Bravi entrando, e detti. Scena VI. Cardinale, Innominato, Fra Cristoforo, seguito del Cardinale, Contadini e Contadine.44

L’Eremita ridiventa fra Cristoforo, Don Rodrigo è un baritono (il registro classico del rivale), compaiono il Cardinale Borromeo, Agnese, il Nibbio; la presenza del coro è visibilmente più articolata e decisive modifiche alla Parte III assegnano un ruolo drammatico e vocale importante alla Signora di Monza nelle prime due scene. Scenari e didascalie d’azione sono accurati e diffusi; la lingua del libretto (la versificazione, il lessico) fa un salto di qualità, raggiungendo picchi di grazia notevoli: «Dica il duolo dell’anima mia | Quanta parte qui resti di me» (Lucia al momento della partenza: Parte II, Scena 8); «E già tremendo un vincolo | Mi lega a un uom fatale» (Signora di Monza, Parte III, Scena 1; con evidente rimando al Manzoni poeta); «O mia Lucia, o mio unico amore | Ch’io ti ritrovi per fuggire insieme.» (Renzo solo, nel Lazzaretto: Parte IV, Scena 7)45. Relativamente alla vicenda compositiva e poi scenica di questi ulteriori Promessi sposi di Ponchielli disponiamo anche dell’epistolario dell’operista, che si rivela particolarmente brillante nel periodo che precede l’andata in scena al Dal Verme. Preparazione dei cantanti e consigli di arte scenica, con conseguenti preoccupazioni e arrabbiature dell’operista, gli vengono infatti affidati, in mancanza di un librettista titolare:  «Voglio cambiato tenore e basso per lo meno» scrive dopo le prime prove; «Maledetta la carriera del maestro compositore [...] pianterò qua tutto», e il mese successivo: «se potrò andar in scena sarà ritengo un portento [...] io non faccio che divorar

4 I PROMESSI SPOSI [libretto, Emilio Praga, 1872], pp. 18–​22. 4 45 Nel 1873, alla morte di Manzoni, Praga pubblicherà in rivista la lirica Manzoni (raccolta più tardi nel volume Trasparenze), che conterrà un esplicito omaggio ai Promessi sposi nei versi «Sospeso al labbro della madre pia | che mi leggea gli Sposi | le prime perle dell’Arte ch’è or mia | in fondo al cor deposi.» (Emilio Praga, Manzoni, in: id., Opere, ed. Gabriele Catalano, Napoli [Casa Editrice Fulvio Rossi] 21970, pp. 603–​605).

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bile»46. Finirà per ottenere la sostituzione del tenore e l’opera, come già accennato, riscuoterà un grande successo, in un quadro storico che si è fatto nel frattempo decisamente complesso. All’altezza di questo 1872 il melodramma si trova a uno snodo importante: entra nell’occhio del ciclone wagneriano/​antiwagneriano (la prima rappresentazione di un lavoro di Wagner in Italia, il Lohengrin, ha avuto luogo a Bologna il 1° novembre 1871). Verdi, che ha da poco congedato l’Aida e si prepara a un lungo periodo di riflessione, ha assistito alla replica dello spettacolo bolognese. La cosiddetta battaglia wagneriana, strettamente associata a prese di posizione antiverdiane, si avvia decisamente: si preparano anni di accese discussioni, dibattiti, controversie47. Il terzo e ultimo libretto in esame (del 1869) va considerato anche in questo quadro di opposti e appassionati schieramenti. Il librettista è Antonio Ghislanzoni: redattore all’epoca della «Gazzetta musicale di Milano» e autore di un noto romanzo d’ambiente, Gli artisti di teatro, Ghislanzoni ha ugualmente alle spalle posizioni scapigliate, ma legate al gruppo del «Gazzettino rosa»48. Anche nel caso di questi Promessi sposi l’editore interessato è Lucca. Il librettista (di mestiere, in questo caso) ha steso un testo, basato sulla Ventisettana, dove manifesta ai lettori in una nota di apertura la propria volontà di mantenersi assolutamente fedele al romanzo e formula quindi le debite scuse conseguenti per aver abolito la figura di Federico Borromeo per ragioni teatrali49. Nel libretto il primo quadro del primo atto rimanda così in nota, esplicitamente, al primo capitolo dei Promessi sposi, il quadro unico del terzo atto si dichiara figlio del capitolo XXIV del romanzo e il primo quadro del quarto atto rimanda, sempre in nota, al capitolo XXXIII. L’elenco dei personaggi risulta pertanto decisamente nutrito: 46 Ponchielli, Tuo affezionatissimo Amilcare Ponchielli, lettere nn.  84, 87, 88, pp. 191–​200 passim [cf. nota 38]. 47 Un vasto quadro complessivo delle questioni in gioco è stato fornito per tutti da Carlo Piccardi nel saggio Opera e pubblico agli albori della società di massa, in: Lorenza Guiot/​Jürgen Maehder (edd.), Letteratura, musica e teatro al tempo di Ruggero Leoncavallo (atti del II convegno internazionale di studi su Ruggero Leoncavallo), Milano (Casa Musicale Sonzogno di Piero Ostali) 1995, pp. 215–​ 267. 48 Per una conoscenza dettagliata delle posizioni di Ghislanzoni e della sua attività di giornalista e librettista è senz’altro utile il nutrito epistolario: Il demone nello scrittoio. Lettere di Antonio Ghislanzoni 1853–​1893, edd. Gian Luca Baio e Giorgio Rota, Oggiono (Cattaneo) 2001 (sull’opera in questione le lettere nn. 6 e 9, rispettivamente pp. 23–​25 e 27). 49 Cf. I Promessi Sposi | melodramma in quattro atti | di | Antonio Ghislanzoni | musica del m.° cavaliere | Errico Petrella | da rappresentarsi | nel teatro di Lecco | L’Autunno 1869, Coi tipi di Francesco Lucca, Milano 1869 [libretto], pp. 1 e 3.

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Don Rodrigo Il Conte Attilio Renzo Lucia Agnese Don Abbondio Perpetua Il Padre Cristoforo Griso Tiradritto Tonio Gervaso Il Dottore Azzeccagarbugli Il Card. Federico Borromeo L’Innominato Bravi –​ Contadini –​ Contadine –​ Signori –​ Monatti –​  Popolo

In questo caso abbiamo Atti anziché Parti e un numero elevato di «quadri» (cambiamenti di scena): si trattava in sostanza di un melodramma allestito con larghezza. Il compositore era Errico Petrella:  un operista erede della scuola napoletana, autore in gioventù di un gran numero di opere comiche50. E in effetti questi Promessi sposi (a differenza dei due precedenti) portano in primo piano, in chiave comica, le figure di don Abbondio e di Perpetua. La ricchezza di mezzi è evidente fin dal ragguardevole numero di solisti e dalla specificazione articolata dei cori, tra cui compaiono, per la prima volta per noi, i Monatti. Il compositore aveva invitato pubblicamente alla prima rappresentazione Manzoni, e lo scrittore aveva risposto gentilmente (parlando ancora una volta di «cantafavola»); ma sappiamo che il poeta non si era recato allo spettacolo:  nessuna cronaca ne indica la presenza. Per quanto riguarda il testo di Ghislanzoni, ci limitiamo ad aggiungere che si tratta di un libretto accurato e di grande mestiere, dove spiccano di fatto le parti dei personaggi ‹nuovi›:  don Abbondio, che alla vista dei Bravi canta «Chi saran… quei due… figuri | Dio!… che facce da galera!… | Se mi salvo questa sera | Un miracolo sarà»51, con vocabolario esplicito di opera buffa52, e Perpetua, dialogando con il coro, ruba la scena nel quadro II del secondo atto con un’arietta scanzonata. A differenza dei due libretti già esaminati, l’impianto

50 Per i dettagli di questa collaborazione cf. Sebastian Werr, Antonio Ghislanzoni ed Errico Petrella, in: Streicher/​Teramo/​Travaglini, Scapigliatura & fin de siècle, pp. 169–​208 [cf. nota 1]. 51 I promessi sposi […] 1869 [libretto], p. 6. 52 In uno dei Capricci letterari del librettista l’opera veniva indicata appunto come «melodramma semiserio»: cf. Sirch, Pentagrammi manzoniani, p. 251.

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complessivo risulta dunque qui tragicomico53. Se questo sia un possibile elemento di fedeltà al romanzo è argomento da lasciare agli specialisti; che in questo libretto, a differenza dei precedenti, la Monaca di Monza sia assente risulta d’altra parte un fatto decisivo.

53 In quegli stessi anni Ghislanzoni pubblicava anche un libretto satirico sul far libretti: Antonio Ghislanzoni, L’arte di far libretti /​Wie macht man eine italienische Oper?, Bern (Institut für Musikwissenschaft) 2006 (testo italiano e tedesco a fronte).

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Die Milde des Herrschers: Variationen über ein Leitthema der frühen Operngeschichte I. Vom Ursprung eines politischen Fahnenwortes Unter Etymologie versteht man aus sprachwissenschaftlicher Sicht die methodisch erschlossene originäre Form und Grundbedeutung eines bezeugten Wortes. Für das Adjektiv clemens »mild, gütig« und seine substantivische Ableitung clementia »ruhiges, sanftes Denken, gnädiges Wesen, Milde, menschliche Güte« ergibt der Blick in die sprachvergleichenden und historischen Wörterbücher zum Lateinischen den folgenden Befund, der zugleich erkennen lässt, dass eine einhellig angenommene, in allen Punkten überzeugende Lehrmeinung noch aussteht. Mit Rücksicht auf die Leser dieses Beitrags sehe ich von allzu fachspezifischen Termini und Notationen bewusst ab. Das ›klassische‹ etymologische Wörterbuch von Walde-​Hofmann1 geht von einem Partizipium *kleyomenos »angelehnt, geneigt« aus, welches zu cliens »Schützling, Klient, Höriger (eigentlich der Anlehnung gefunden hat)«, clino »lehnen« gestellt wird. Zur Bedeutungsentwicklung vergleicht dieses Standardwerk die beiden lateinischen Adjektiva proclivis »abschüssig, vorwärts geneigt« sowie propitius »geneigt, gewogen (eigentlich vorwärtsfallend)«. Als Parallele in der Lautung und Wortbildung wird auf lat. vehemēns »heftig, stürmisch« und für die Entwicklung der Lautgruppe -​menos auf lat. alumnus »Zögling, Pflegesohn« bzw. columna »Säule« (eigentlich die ›Gewälzte‹ oder alternativ die ›Ragende‹) mit Synkope von e in der Mittelsilbe verwiesen. Das neueste etymologische Wörterbuch von Michiel de Vaan2 bevorzugt hingegen eine Ableitung auf -​went mit dem lautlichen Ergebnis eines Stammes *clīment-​, welches sich nach dem Muster vēment-​»stürmisch, gewalttätig« (bei Cicero ein Pendant für vehemēns) analogisch zu clēment-​entwickelt habe. Dieses gängigste lateinische Vokabel für die Eigenschaft »mild« (clēmens) hat im Griechischen nach Wortwurzel und Bildungsweise keine formale etymologische Entsprechung. Die beiden wichtigsten Ausdrücke für solche

1 Alois Walde/​Johann Baptist Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, 6. unveränd. Auflage, Heidelberg (Winter) 2008, vol. 1, p. 231sqq. 2 Michiel de Vaan, Etymological Dictionary of Latin and the Other Italic Languages, Leiden/​Boston (Brill) 2008, p. 119sqq.

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Wesensart in dieser Sprache lauten: prãos bzw. prāýs sowie epieikḗs, deren Herkunft noch auf eine allgemein akzeptierte Lösung wartet. Ein Vergleich zwischen den Substantiven für diese ethisch-​charakterliche Disposition wird für das nachklassische Latein durch einen Vergleich von Stellen aus dem Neuen Testament mit der jeweiligen Wiedergabe in der lateinischen Vulgata, also der Hieronymus-​Übersetzung, möglich und liest sich aufschlussreich. Während üblicherweise die griechischen Bildungen prāýtēs bzw. epieíkeia, also die jeweiligen Substantive zu den vorhin genannten Eigenschaftswörtern, durch die Pendants mansuetudo »Freundlichkeit« (Epheserbrief 4,2 und 1. Timotheusbrief 6,11) bzw. modestia »maßvolles Verhalten« (2. Korintherbrief 10,1) wiedergegeben werden, findet sich eine Wortübertragung clēmentia im gleichsam politischen Kontext (Apostelgeschichte 24,4) eines rhetorischen Appells an den Statthalter Felix: parakalõ akoûsaí se hēmõn syntómōs têi sêi epieikeíāi. –​oro breviter audias nos pro tua clementia. –​»Bitte ich dich, du wolltest uns kürzlich hören nach deiner Gelindigkeit« (Martin Luther).

II. Wortgeschichte, Gebrauchswert und Bedeutungsspektrum Fahnenwörter3 haben seit der glücklichen Begriffsprägung von Otto Ladendorf, vor allem aber durch die Wiederentdeckung und Aufnahme in die politische Fachsprache eine wichtige terminologische Aufgabe übernommen. Sie bezeichnen Ausdrücke, meist einzelne Vokabel, aber auch Wortverbindungen oder Phrasen, die einigen Verwendungsbedingungen entsprechen müssen. Im Idealfall handelt es sich um Neubildungen oder politisch gefärbte Anleihen aus dem bestehenden Wortschatz, die von einer ›Partei‹, also einem Interessenverband oder einer ideologischen Fraktion, semantisch definiert und pragmatisch aufgegriffen werden. Wie eine Fahne, das ist das sogenannte tertium comparationis, wird ein solcher Neologismus oder seine rezente weltanschauliche Lesart gleichsam gehisst, emblematisch der Öffentlichkeit präsentiert und quasi als sprachliches Identitätszeichen eingesetzt. Die bildliche Analogie reicht insofern noch weiter, als auch Fahnenwörter mit der Zeit ihre leuchtenden Signalfarben verlieren, sich verschleißen und unansehnlich werden. Sobald sie ihrer semiotischen Aufgabe nicht mehr genügen, das heißt an Attraktivität und Unverwechselbarkeit verlieren, verschwinden sie entweder völlig aus dem Sprachgebrauch oder kehren ohne typisch politische Konnotationen in das Vokabular der Standardsprache zurück. Eine besondere Rolle spielt in der Karriere von Fahnenwörtern auch 3 Cf. Oswald Panagl, Fahnenwörter, Leitvokabeln, Kampfbegriffe. Versuch einer terminologischen Klärung, in: id. (ed.), Fahnenwörter der Politik. Kontinuitäten und Brüche, Wien/​Köln/​Graz (Böhlau) 1998, pp. 13–​21.

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das Verhalten der jeweils gegnerischen Partei(en). Das andere Lager reagiert auf die Herausforderung zumeist zweifach: konstruktiv, indem es mit einem eigenen Schlagwort, einer alternativen Neubildung kontert und die Herausforderung annimmt; destruktiv, wenn die Gegner die Parole der Konkurrenz angreifen, semantische Defizite sowie den Gegensatz zwischen Anspruch und Realität aufzeigen, die Behauptung somit als Worthülse entlarven. Für solche zerzausten, ideologisch angefeindeten Devisen hat sich mittlerweile der Terminus Stigmawort eingebürgert. Das lateinische Adjektiv clemens kann in der Bedeutung »sanft, mild« auf Personen, Charaktere und Handlungen angewendet werden. Das nach produktiven Bildungsregeln geformte Substantiv clementia bezeichnete demnach zunächst die Milde und Sanftmut als abstrakte Eigenschaft, bald aber auch konkret den Akt der Nachsicht, den Vorgang einer Schonung, die im Einzelfall ausgeübte Gnade. Ein rezenter lexikologischer Artikel gibt über die Wortgeschichte, die semantischen Schattierungen und das verbale Umfeld dieses Ausdrucks umfassend Aufschluss4. So ist das Nomen, das zuerst als Synonym von facilitas »Leutseligkeit« bei Terenz auftritt, lange Zeit auf menschliches Verhalten beschränkt, erst in der sogenannten Silbernen Latinität kann clementia caeli das »milde Klima« bezeichnen. Gegen Versuche, auch diesen Wertbegriff letztlich auf ein griechisches Vorbild zurückzuführen, treten die meisten Forscher für einen genuin lateinischen Ursprung ein: die Tugend, einen besiegten Feind zu schonen, gehöre als fester Bestandteil zur römischen Adelsethik, sei ein –​ideales oder rational kalkuliertes –​Moment der frühen Außenpolitik. In der lexikalischen Struktur des Wortfeldes grenzt clementia an die verwandten oder wenigstens affinen Substantive beneficium »Wohltat«, benevolentia »Wohlwollen«, civilitas »Höflichkeit«, humanitas »Freundlichkeit, Anstand«, indulgentia »Nachsicht«, lenitas »Sanftmut«, liberalitas »Großzügigkeit«, mansuetudo »Langmut«, misericordia »Mitleid«, moderatio »Maßhalten, taktvolles Benehmen«, pietas »Familiensinn, Gnade« und venia »Gefälligkeit, Vergebung«. Am Rande und mit besonderen Bedeutungsnuancen sind noch placabilitas »Versöhnlichkeit« sowie probitas »Rechtschaffenheit« zu verbuchen. Zu den Antonymen, also Kontrastbegriffen, die clementia virtuell oder real in Texten gegenüberstehen, zählen crudelitas »Grausamkeit«, feritas »Rohheit, Brutalität«, saevitia »Wut, Härte«, severitas »Strenge« und superbia »Frevelmut, Arroganz«. Diese Vielzahl an kommensurablen Nomina bzw. semantischen Negativfolien begegnet in

4

Reinhold Klotz, Handwörterbuch der lateinischen Sprache (Nachdr. d.  Ausg. Braunschweig 1874), 2 voll., Graz (ADEVA) 1963, vol. 1, p. 906sqq.; Hermann Menge, Lateinische Synonymik, 6. durchges. Aufl. von O. Schönberger, Heidelberg (Winter) 1977, p. 183sqq.

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einem weiten Kanon lateinischer Schriftsteller, wobei neben Seneca besonders Cicero in seinen politischen Reden und seinem Briefcorpus eine wichtige Quelle darstellt. Dazu kommt das Buch Noctes Atticae des Aulus Gellius aus dem 3. nachchristlichen Jahrhundert, welcher uns mit immenser Gelehrsamkeit und in archaisierendem Stil über die Diktion und den Wortschatz in teilweise nicht überlieferten altlateinischen Sprachdenkmälern authentisch informiert. Die Benützung des alten Prestigevokabels als Instrument parteipolitischer Propaganda, damit also sein Gebrauch als Fahnenwort, datiert wohl schon in das Jahr 63 v. Chr., erlebt aber seinen Höhepunkt in den Jahren des Bürgerkriegs (49–​46) und nach dem endgültigen Sieg Caesars (45 v. Chr.). Von seinem Anhang vehement gefördert, vom Imperator selbst zumindest geduldet, wird die clementia Caesaris in den vierziger Jahren zum vielleicht brisantesten Schlagwort der öffentlichen Sprache. Das Neue, wohl auch Prekäre an dieser Parole ist, dass sie ein gegenüber äußeren Feinden traditionelles und anerkanntes Verhalten nunmehr auf die Ebene der Innenpolitik überträgt und gegen römische Bürger anwendet. Von dieser problematischen Gleichstellung mit auswärtigen hostes einmal abgesehen, scheiden und schieden sich an der ethischen Grundlage dieser Devise immer wieder die Geister. Ist Milde und Nachsicht ein Wesenszug Caesars, wie Cicero in einem Brief feststellt (Epistulae ad familiares 6,6,8: mitis clemensque natura »sanftes und mildes Wesen«), oder handelt es sich nach einer anderen, vielleicht situativ bedingten Meinung dieses Autors eher um ein Moment strategischen Kalküls (Epistulae ad Atticum 8,16,2: huius insidiosa clementia delectantur »Sie erfreuen sich (an) seiner hinterhältigen Milde«)? Vielleicht liegt die Wahrheit insofern in der Mitte, als Caesar sein großzügiges Naturell, seinen nicht nachtragenden Charakter im Hinblick auf das Ziel der concordia in den Dienst einer wohlüberlegten Amnestiepolitik gestellt hat. Theodor Mommsen hat in einer bekannten Formulierung gerade diese rationale Überlegung als Motiv des Handelns hervorgekehrt:  »weder ritterliche Hochherzigkeit […] noch Gefühlsmilde einer weichen Natur, sondern es war die richtige staatsmännische Erwägung, dass überwundene Parteien rascher […] innerhalb des Staates sich absorbieren, als wenn man sie durch Ächtung auszurotten […] versucht.«5 Wie auch immer es sei, die clementia Caesaris ist zu Lebzeiten des Feldherrn und Politikers ein Fahnenwort seines ›Lagers‹ geblieben (auch mit der Verkehrung zum Stigmawort, s.o.), wie uns etwa die drei späten Reden Ciceros vor Caesar (Pro Marcello, Pro Ligario, Pro rege Deiotaro) beweisen: quam

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Theodor Mommsen, Römische Geschichte, 6. Auflage, 6 voll., München (Deutscher Taschenbuch Verlag) 2001, vol. 5, p. 420.

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multi qui cum a te ignosci nemini vellent, impedirent clementiam tuam […] –​ »Wie viele wollten deine Milde verhindern, indem sie dafür eintraten, dass niemandem von dir verziehen wird« (Pro Ligario, 15); quam ob rem hoc nos primum metu, Caesar, per fidem et constantiam et clementiam tuam libera  –​»Deshalb befreie uns zuerst von der Furcht mittels deiner Zuverlässigkeit, Standhaftigkeit und Milde« (Pro rege Deiotaro, 8). Dass Caesar selbst in seinem Sprachgebrauch das Fahnenwort zunehmend meidet und es in innenpolitischen Belangen durch lenitas, aber auch durch misericordia et liberalitas »Empathie und Großzügigkeit« ersetzt, fügt sich trefflich in das Profil seiner Persönlichkeit. In Münzen aus dem Jahr 48 v. Chr. erscheint die clementia Caesaris personifiziert, und sie erhält sogar die architektonische Auszeichnung eines eigenen Tempels.

III.  Clementia als römische Herrschertugend Ein lateinisches Prestigewort im Zeitraffer und aus modernem Blickwinkel Ausdrücke einer fremden Sprache lassen sich bisweilen eher umschreiben als übersetzen, will man ihre semantischen Nuancen und Begleitgefühle, also gleichsam ihren ›Sitz im Leben‹ einfangen, demnach Merkmale, die bei simpler und platter Wiedergabe nicht selten auf der Strecke bleiben. Bei Milde stellt sich in unseren Tagen spontan wohl zuerst die Assoziation von magenschonendem Kaffee oder freundlichem Wetter ein als der Gedanke an eine wünschenswerte menschliche Eigenschaft. Als Bezeichnung eines Wesenszuges scheint dieses deutsche Äquivalent von lateinisch clementia in den Bildungswortschatz abgedriftet zu sein. Auch das Synonym Sanftmut ist unserem aktiven Sprachregister weitgehend entglitten: Es ist eher in einer Erzählung von Adalbert Stifter anzutreffen als in heutiger Konversation. Und selbst das schlichte Pendant Güte verfehlt die Prägnanz und verbale Schlagkraft des lateinischen Vokabels, das einst, wie im vorangehenden Kapitel bereits behandelt und belegt, als Wesenszug eines C. Iulius Caesar die Brisanz eines politischen Fahnenworts angenommen hat. In den späten Jahren der römischen Republik fassten die Parteigänger des Staatsmannes charakterliche Qualitäten ihrer Leitfigur und Lichtgestalt auf diesem Nenner zusammen: Sie sollten in und nach den Wirren des Bürgerkriegs Beruhigung verkünden und Versöhnung garantieren, also Vergebung alter Schuld, Großzügigkeit und Frieden mit dem politischen Gegner. Ein Jahrhundert später hat der Philosoph und Schriftsteller Seneca in seinem Traktat De clementia diese Tugend wortreich definiert und einem Wertekanon für Nero, seinen Schützling auf dem Kaiserthron, nachdrücklich einverleibt. Damit war die literarische Gattung des Herrscherspiegels geschaffen, den dieser Adressat

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in seinen späten Regierungsjahren allerdings sträflich ignoriert und sich vielmehr an das radikale Gegenkonzept der crudelitas gehalten hat. Auch in der kurzen Amtszeit von Kaiser Titus war clementia als Attribut eines Souveräns so willkommen wie ungewöhnlich und bedeutete nach den politischen Turbulenzen des Drei-​bzw. Vierkaiserjahres 68–​69 die unverhoffte Oase in einer aufgeheizten Periode des öffentlichen Klimas. Dabei war Titus aus einem Saulus – er hatte im Jahre 70 als ›Kronprinz‹ Jerusalem erobert und die Stadt übel zugerichtet –​erst als Mitregent seines Vaters Vespasian zu jenem Paulus als Inbegriff abgeklärten Wohlverhaltens geworden, das ihn nachgerade als leuchtendes Musterbild in die europäische Geschichte des Kaisertums und das Bühnengenre der Herrscheroper hineinwirken ließ. Manche seiner Tugenden mögen dabei klischeehaft wirken und sich erst in der Überlieferung um einen harten Kern der Tatsachen gelegt haben: Fakten und Fiktion gehen ja immer wieder eine seltsame Allianz ein. Doch hat bereits der lateinische Autor Sueton6 kaum ein halbes Jahrhundert nach der Lebenszeit des Kaisers in dessen Vita den Grundstein zu einem Katalog vorbildlicher Qualitäten gesetzt. Und dieser Schriftsteller, mochte er auch den erwarteten Topoi der literarischen Biographie verpflichtet sein, hatte jedenfalls authentische Quellen zur Verfügung, die er ebenso mündlicher Tradition der Epoche wie seinem berufsbedingten Einblick als Kanzleichef am Hofe von Kaiser Hadrian verdankte. So ist das uneigennützige und philanthropische Verhalten von Titus bei Katastrophen –​dem verhängnisvollen Vesuvausbruch des Jahres 79 n. Chr., einem mehrtägigen Brand der Hauptstadt oder einer schweren Seuche –​ verbürgt. Doch nicht bloß in der Reaktion auf Ungemach bewies der Herrscher menschliche Größe, wie der Biograph zu berichten weiß: »Bei den anderen Bitten der Leute aber hielt er äußerst entschlossen daran fest, keinen ohne eine Spur von Hoffnung fortzuschicken«. Ja, als selbst seine nähere Umgebung zu bedenken gab, dass er mehr verspreche, als er gewähren könne, sagte er, »aus dem Gespräch mit dem Kaiser dürfe niemand verstimmt weggehen.« Seine Leutseligkeit umfasste sogar den Zeitvertreib und die Annehmlichkeiten des täglichen Lebens. So hielt er sich angeblich bei der Veranstaltung von Gladiatorenspielen an den Geschmack des Publikums und soll weiters dem Volk die kaiserlichen Thermen geöffnet haben, um dann mit einfachen Leuten gemeinsam zu baden. So kommt denn auch sein Herold Sueton zum abschließenden Befund: »Bei all seinen Bemühungen kam ihm der Tod zuvor, ein größeres Unglück für die Menschen als für ihn selbst.«

6 Hans Martinet (ed.), Sueton, Vespasian, Titus, Domitian: lateinisch/​deutsch, trans. Hans Martinet, Stuttgart (Reclam) 1991. Daraus sind die folgenden Zitate und die Übersetzung entnommen.

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Waren sein kurzes Leben  –​er starb mit 42 Jahren  –​und die knappe Spanne seiner Herrscherzeit vielleicht auch eine Ursache für den legendären Nachruhm? Titus konnte somit gar manche Hoffnungen wecken und Erwartungen hegen, ohne diese einlösen zu müssen. Auch für Fehler, Defizite und Enttäuschungen blieb auf diesem schmalen Grat kaum Zeit. Dem Kaiser zugeschriebene programmatische Leitsätze aber haben mehr als 1600 Jahre überdauert und  –​mutatis mutandis  –​noch im Libretto von Pietro Metastasio und dem Text des Caterino Mazzolà zu Wolfgang Amadé Mozarts Opera seria La clemenza di Tito ihren Platz gefunden:  »Als ihm einmal bei Tisch einfiel, dass er während des ganzen Tages noch niemandem einen Wunsch erfüllt habe, tat er jenen denkwürdigen und zu Recht gelobten Ausspruch: ›Freunde, ich habe einen Tag verloren!‹«. L. Annaeus Seneca, knapp vor der Zeitenwende im spanischen Córdoba geboren, zählt zu den vielseitigsten und produktivsten lateinischen Schriftstellern überhaupt, also nicht bloß der nachklassischen Periode. In seinem Lebenswerk finden sich Tragödien über große mythische Stoffe im Gefolge der griechischen Dramatiker, die man sich freilich eher als ›Lesedramen‹ vorstellen mag. Dazu kommen philosophische Briefe, Traktate über ethische und humane Fragen (Die Kürze des Lebens, Die Ausgeglichenheit der Seele, Trostschriften) und sogar eine Satire über den Tod des römischen Kaisers Claudius (Apocolocynthosis, d.h. »Verkürbissung«). Zum Typus der moralphilosophischen Abhandlungen zählt auch der Text De clementia /​ Über die Güte, in dem der Ausdruck und der Begriff der Milde monographisch erörtert, erklärt und zum Leitprinzip des menschlichen Handelns erhoben wird. Die Widmung an Kaiser Nero lässt sich auch als ein Stück politischer Geschichte lesen, in dem autobiographische Momente durchschimmern. Seneca war in mehreren Lebensphasen als Gerichtsredner und während seiner Laufbahn als politischer Beamter persönlich gefährdet. Er war mehrmals am kaiserlichen Hof in Ungnade gefallen und musste um sein Leben bangen (Todesurteil durch Caligula, Verbannung durch Claudius), ehe er in der Jugend des neuen Regenten Nero für ein knappes Jahrzehnt gleichsam, als sein ›Lehrer und Meister‹, als sein geistiger und moralischer Erzieher, in die Nähe dieses Monarchen rückte. Doch alsbald nahmen bei Nero die Züge von Grausamkeit, Unbeherrschtheit, Rachsucht und Größenwahn überhand. Seneca kam dann dem erwartbaren Meuchelmord zuvor und verübte im Jahre 65 n. Chr. Suizid. Die Schrift De clementia in zwei Büchern aus dem Jahr 55 n. Chr. verfasste Seneca in den ›Lehrjahren‹ Neros als ein Verhaltensbrevier, als Vorläufer der sehr viel später, also besonders im 18.  Jahrhundert geläufigen Gattung des Fürstenspiegels. In den Proömien, d.h. programmatischen Einleitungskapiteln als Vorspann zu den folgenden Erläuterungen, Anwendungsmustern und daraus angeleiteten Maßregeln, setzt sich der Autor

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grundsätzlich, definitorisch wie interpretierend, mit dem geistigen Konzept und semantischen Hof von clementia auseinander. Schon im ersten Kapitel heißt es da:  »Ich habe mir vorgenommen, Caesar Nero, über die Güte zu schreiben, um sozusagen die Rolle eines Spiegels zu spielen und dir zu zeigen, dass du zu der höchsten aller Freuden gelangen wirst« (1,1,1)7. Aber der Autor setzt clementia auch zum Wegweiser und zur Maxime für sein eigenes Leben ein:  »Jeder, auch wenn ihm anderes fehlt, ist doch im Namen des Menschseins in meiner Gunst. Strenge halte ich verborgen, Güte hingegen bereit« (1,1,4). Die begriffliche Klarstellung des Wesens und der Haltung von clementia erfolgt im nächsten Kapitel (1,2,1). Dabei wird dieses Prinzip besonders als prägende Eigenschaft von politisch verantwortungsvollen Personen hervorgekehrt: »Niemandem von allen steht aber die Güte besser an als dem König oder dem führenden Mann. So erst nämlich sind große Kräfte Schmuck und Ruhm, wenn sie eine heilsame Macht besitzen« (1,2,3). In der Einleitung zum zweiten Buch des Traktats bietet Seneca eine begriffliche Bestimmung von clementia an. Ihr semantischer Gegensatz ist Grausamkeit (crudelitas), nicht aber Strenge (severitas), die durchaus auch als Tugend gelten darf (2,4,1). Nur scheinbar ist jedoch das Mitleid (misericordia) eine wünschenswerte Charaktereigenschaft und Geisteshaltung, da es nur am Rande der clementia angesiedelt ist und Gefahr läuft, zur rührseligen Schwäche zu verkommen. In einem Kernsatz fasst es der Autor zusammen: »Mitleid sieht nicht den Sachzusammenhang, sondern das Los an: die Güte schließt sich an die Vernunft an« (2,4,4). Der Autor greift auch auf das beliebte literarische Verfahren der Synkrisis, also des Vergleichs zwischen zwei (oder mehreren) Personen, zurück, wobei Nero dabei sogar seinen berühmten Vorfahren und Stammesvater Augustus übertrifft, der erst spät nach der Überwindung grausamer Phasen in seiner politischen Karriere zur behandelten Herrschertugend gefunden habe. Von Nero hingegen heißt es:  »Du hast den Staat unblutig gemacht und das, dessen du dich mit großem Sinn gerühmt hast, nämlich auf dem ganzen Erdkreis keinen Tropfen menschlichen Blutes vergossen zu haben, ist umso großartiger und bewundernswerter, weil keinem jemals schneller das Schwert anvertraut worden ist« (1,11,3). Eine zugleich lapidare und dringliche Definition des Leitbegriffs als staatsmännische Tugend findet sich bereits im elften Kapitel des ersten Buches: »Güte macht also nicht nur stattlicher, sondern auch sicherer und ist zugleich ein Schmuck der Reiche und ihre sicherste Rettung« (1,11,4).

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Annaeus Seneca, De clementia: lat. u. dt = Über die Güte, ed. und trans. Karl Büchner, Stuttgart (Reclam) 1970.

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Dieser Gedanke wird zu Ende des wohl unvollendeten Werkes wieder aufgegriffen, dabei erhärtet und vertieft:  »Gnade ist Erlass verdienter Strafe. Güte leistet zunächst dies: sie verkündet, dass die, welche sie entlässt, nichts anderes hätten erleiden dürfen. Sie ist also abgerundeter als Gnade und stattlicher« (2,7,3). Und jenseits der vielleicht ›diskutablen‹ verbalen Begriffsbestimmung besteht jedenfalls Einvernehmen über das Wesen dieser Geisteshaltung: »Ums Wort geht, wie ich denke, der Streit, über die Sache besteht Einigkeit. Der Weise wird vieles erlassen, viel von zu wenig gesunder, aber heilsamer Anlage wird er bewahren« (2,7,4). Ich schließe diesen Abschnitt meines Aufsatzes mit ein paar Wesenszügen des Werkes. Der Traktat zählt zweifelsfrei zur Textsorte der Lehrschriften. Über die gängigen Merkmale dieser Gattung hinaus trägt die Abhandlung allerdings auch (ge)wichtige politische Qualitäten und bewegt sich vor allem in Bezirken des menschlichen (Zusammen-)Lebens. Gleichwohl ist sie kein Leitfaden und Ratgeber für kasuistische Fragen und Probleme des Alltags, sondern wendet sich an Adressaten mit der Fähigkeit zu eigenständiger kritischer Reflexion. Nach der Analyse des Buchs von Karl Büchner8 lassen sich leitmotivisch »der Gedanke des Schonens und Bewahrens, die Gottesähnlichkeit des hohen Amtes, die Verknüpfung von Nutzen und Ruhm« ausmachen. Clementia ist ferner »kein Rechtsprinzip, sondern die menschlichste Tugend«. Für den Kaiser aber »ist clementia […] nötig, weil er sich selber schont, wenn er seine Glieder schont«. Und Büchner schließt mit dem Resümee: »So ist die clementia nicht weit von der humanitas entfernt, die menschliches Leben leicht und glücklich machen könnte. Güte und Menschlichkeit können wir ebenfalls nebeneinanderstellen.«

IV. Herrscherlob und Fürstenspiegel Die Geburtsstunde der Oper um 1600 verhieß programmatisch eine Wiederkehr des altgriechischen Dramas. Mehr noch, das neu geschaffene Bühnengenre sollte jene Elemente des antiken Theaters nunmehr einbringen, von deren einstiger Existenz man zwar aus verschiedenen Zeugnissen wusste, die aber in ihrer ehemaligen authentischen Gestalt unwiderruflich verloren waren:  Musik, Gesang und Tanz. Auch im Gegenstandsbereich blieb man der Antike und ihren Mythen verbunden, ja erweiterte dabei sogar deren Horizont. Die römische Geschichte im strengen Sinn des Wortes liefert Handlung und Ambiente einiger Opern von Wolfgang Amadé Mozart:  Mitridate, re di Ponto; Lucio Silla; La clemenza di Tito. Die späte Frucht der Opera

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Cf. Seneca, De clementia, pp. 101–​116.

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seria, La clemenza di Tito aus dem Jahre 1791, lässt sich nach dem historischen Datum sehr exakt bestimmen. Denn die kurz bemessene reale Regierungszeit des Kaisers Titus fiel auf die Jahre 79 bis 81 n. Chr. Um bereits Gesagtes knapp zu resümieren: Seine sprichwörtliche Güte und Menschlichkeit, die ihn einen Tag ohne Wohltat als verloren ansehen ließ, wirkt aus heutiger Betrachtung eher problematisch, wenn nicht defizitär. Verliert ein Individuum, das jeden eigenen Anspruch hintanstellt und aus Prinzip altruistisch handelt, nicht auch sein Charisma und Merkmale der Menschlichkeit? Erstarrt ein solches ideal gedachtes Wesen nicht unweigerlich zum Popanz?

V. Die Figuren in Mozarts Oper La clemenza di Tito: Facetten einer ›Psychogrammatik‹ Im Personeninventar und Handlungsduktus einer Oper vom Typus der Clemenza di Tito fließen mehrere Vorgaben und Voraussetzungen zusammen, begegnen einander traditionelle und innovative Elemente, fügen sich heterogene Motive und Elemente zu einer neuen Einheit. Zumal in einer Krönungsoper darf die positive, ja vorbildliche Herrschergestalt nicht fehlen (Tito), an deren Seite ein Vertrauter (Publio) für geregelte Abläufe sorgt. Als Protagonisten, als Mann und Frau zumeist in eine erotische Beziehung gebracht, fungieren in der Clemenza Sesto und Vitellia, beide mit einem komplizierten Gefühlshaushalt konzipiert, in welchem Pflicht und Neigung, Verstand und Gefühl, Eros und Ethos in permanentem Widerstreit stehen und Friktionen erzeugen. Die Aufgabe der ›Secondari‹ erfüllen in unserem Stück Annio und Servilia, ein junges Liebespaar, mit sich und miteinander im emotionalen Einklang, gleichwohl phasenweise vom Spiel der Mächtigen irritiert, dazu den Hauptfiguren verwandtschaftlich oder wenigstens in Freundschaft verbunden, demnach von den dramatischen Ereignissen ›in Mitleidenschaft gezogen‹. Zu den Rollen treten in angemessener Mischung und komplementärer Verteilung die Affekte, in einem Kanon zusammengefasst, mit Tonarten assoziiert, als Vorrat verfügbar, aber dabei der kreativen Variation zugänglich. Mitunter sind sie bestimmten Charakteren gleichsam leibeigen zugeordnet, manchmal aber auch besonderen Lebenssituationen angemessen. Dass es nämlich stehende Merkmale ebenso gibt wie wechselnde Befindlichkeiten, war bereits den Schöpfern dieser Verhaltensskala deutlich bewusst: Liebe kann in Hass umschlagen oder als ›Hassliebe‹ bestehen, Vertrauen mag von Zweifeln durchsetzt werden, Eifersucht löst oft Rachegefühle aus, und Freude grenzt bisweilen an Trauer oder Schmerz. Dazu kommen noch als weitere Variablen die jeweiligen spezifischen Gewichte sowie die Belastbarkeit oder Labilität der betroffenen Persönlichkeit: Alles in allem ein Balanceakt zwischen Stimmungen, Seelenkräften und äußeren Zumutungen.

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Doch nun zu den Individuen im Handlungsbogen von La clemenza di Tito. Die Titelfigur erscheint im wörtlichen (also nicht literarisch gebrochenen) Sinn schier als ein ›Mann ohne Eigenschaften‹, also eher als eine personifizierte Ansammlung von Tugenden denn als greifbares Wesen. Immerhin gibt es aber das große Accompagnato-​Rezitativ kurz vor dem Ende des Stücks, in dem der Herrscher auf dem Gipfel der Enttäuschungen affektive Wirkung und Ansätze von Verzweiflung zeigt: »Welch ein Tag ist dies heute? Eh ich noch einen Verbrecher traf, kommt schon der zweite. Und wann find endlich ich, große Götter, ein wahrhaft treues Herz? Alles verschwört sich, so scheint mir, um wider Willen mich zu zwingen, doch ein Tyrann zu sein.« Aus dem Fleisch gewordenen Fürstenspiegel wird da für Augenblicke ein anfechtbarer und verletzlicher Mensch zum Anfassen! Sesto ist ein ›gemischter Charakter‹, zerrieben im Zwiespalt von Freundestreue und Liebeswahn. Das Zaudern, vom Objekt seiner Begierde als Schwäche ausgelegt, ist in Wahrheit Ausdruck des unlösbaren inneren Konflikts. Dass er sich am Ende selbst nicht vergeben kann, zeugt für sein menschliches Format. Eine widersprüchliche Person ist Vitellia als frühe Vorbotin des Typus femme fatale:  Ihr übersteigerter Ehrgeiz und die Enttäuschung ihrer Hoffnungen lassen sie Maß und Ziel vergessen und jegliche Hemmschwelle überschreiten. Sie ist zu vielem imstande und zu allem fähig –​außer vielleicht zu wirklicher Liebe: Denn Sesto benützt sie als Werkzeug, und zu Tito fühlt sie sich als Herrscher, nicht als Mann hingezogen. So muss sie denn schließlich zum Geständnis gedrängt werden, ohne innerlich dazu bereit zu sein. Doch Mozart, der für Leidenschaft Verständnis aufbringt, gibt auch diese Gestalt nicht preis. Er verleiht ihrer Musik nicht bloß Sirenentöne, sondern gönnt ihr in ihrem Rondo auch seelischen Tiefgang. Servilia als ihr lichtes Gegenbild ist keineswegs servil, sondern ein liebevolles Sonnenkind mit dem Herzen auf dem rechten Fleck und mit gesundem Sinn für die Wirklichkeit. Annio ist ihr durchaus ebenbürtig, hat sie also verdient. Der zwischendurch oktroyierte und akzeptierte Verzicht auf die Geliebte mutet uns beinahe als masochistischer Zug an, ist aber aus der männlichen Perspektive und dem unbedingten Obrigkeitsdenken der Epoche zu verstehen. Dabei kommt noch ein fein beobachteter Unterschied der Geschlechter zum Vorschein: Pamina und Tamino lassen grüßen. Publio ist als Präfekt der Prätorianergarde um einen Deut mehr als der übliche ›Confidente‹. Zwar repräsentiert er in den meisten Episoden das Prinzip von Law and Order, zeigt aber im Terzett des zweiten Aktes auch Spuren von persönlichem Mitgefühl für die Protagonisten –​freilich, wie es seiner Rolle zusteht, nur beiseite und ›für sich‹ gesungen. Und wie steht es aber mit Tito? Die Hauptperson hat sich als Vertreter der Herrschertugend bewährt und endet im Schlussjubel als einsamer Mensch.

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Wenn sich unterdrückte Wünsche und öffentliche Erwartung schneiden, kommt das Individuum zu kurz. Das Wegkreuz führt zum Kreuzweg. Wie aber kann der Titelheld mit all diesen unsäglichen Enttäuschungen fertig werden? Im Ganzen ergibt sich also ein dramaturgisches Szenar, in dem die individuellen Personen aus der Konvention hervortreten und die Figuren vor den Figurinen dominieren. Mozarts Urteil über seinen Librettisten –​»ridotta a vera opera dal signor Mazzolà« –​hält also Stich.

VI. Herrscherbahnen und Gefühlsoasen In der obersten Etage wird die Luft dünn! In diesem Ausspruch ist Erfahrung gespeichert und wird zur Parole verdichtet. Programmatik und Pragmatik ziehen am selben Strang und in die gleiche Richtung. Was sich wie eine zeitgeistige Sentenz ausnimmt, hat in wechselndem Wortlaut, in verschiedenen Sprachen und unterschiedlichen Epochen landläufige Geltung und beinahe normative Kraft. Die Epoche, der Kulturkreis und der Lebensraum, in denen Mozarts Opernsujet angesiedelt ist, hat dem idealen Kaiser einen Kanon an Tugenden zugemutet und zugestanden, in dem jener Sinnbezirk, den das deutsche Wort Liebe abdeckt, nur selektiv und bruchstückhaft vorgesehen ist:  als pietas, die ein charismatisches Verhältnis zwischen dem Regenten und seinen Untertanen stiftet, als caritas, welche ein altruistisches Verständnis für berechtigte Anliegen und uneigennütziges Verhalten bezeichnet, als libido oder cupiditas, die sexuelles Begehren auf den Punkt bringen und in der voluptas, der Sinneslust, Erfüllung finden, daher dem Triebleben des Mannes als Geschlechtswesen zugestanden werden. Von emotional gesteuerter Leidenschaft und zärtlicher Liebe, wie sie amor semantisch beschreibt, ist da kaum die Rede: Spontaneität und subjektive Gefühle sind im Vorrat der stehenden Eigenschaften und leibeigenen Merkmale eines Kaisers nicht vorgesehen. Wenn dieser  –​im ursprünglichen wie metaphorischen Sinn  –​ in seinen Herrscherspiegel blickt, dominiert die Pflicht vor der Neigung, der bisweilen gegenläufige Erwartungsdruck seiner Umgebung  –​also der verschiedenen Gruppen, Klassen und Stände –​beschneidet den Spielraum individuellen Handelns, und der Begriff Aufgabe entfaltet einen bedenk­ lichen Doppelsinn: Unter der Toga und Tunica spannt sich ein enges Pflichten­ korsett. In Caterino Mazzolàs Libretto zu La clemenza di Tito ist von drei Verbindungen des Herrschers zu Frauen die Rede. Die erste war eine veritable, historisch bezeugte Affäre des Kaisers mit Berenice, einer Prinzessin aus Judäa, die Titus noch als Feldherr und Zerstörer Jerusalems eingegangen war und später in Rom fortsetzte. Die literarische Version machte daraus eine leidenschaftliche Liebe, die der Regent aus politischer Räson dramatisch und traumatisch beendet: Im rezitativischen Dialog öffnet er dabei sogar für

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einen Moment sein Inneres (»Che terribil momento! Io non credei … | Basta; ho vinto; partì.«, I/4). Die Wahl der jungen Servilia zur Gattin ist dagegen von nüchternem Kalkül geleitet: Rom will es so, der Kaiser folgt dem Auftrag. Dass die Erwählte die Schwester des Freundes Sesto ist, schafft gleichsam einen persönlichen Mehrwert, stiftet neue Familienbande und erleichtert zudem die Werbung. Erotische Motive bleiben ausgespart, wie schon daraus erhellt, dass der Herrscher die freundliche, aber bestimmte Abweisung des Antrags gelassen, um nicht zu sagen erleichtert, zur Kenntnis nimmt. Er gewinnt aus der Ehrlichkeit Servilias sogar eine neue Facette für seinen Lebensentwurf und das herrscherliche Credo. Die Entscheidung für Vitellia, die dramaturgische Turbulenzen auslöst, ist ebenso ein Akt staatsmännischer Raffinesse. Wenn der Titelheld die Tochter seines mittelbaren Vorgängers heiratet, kann er dadurch alten Groll befrieden, Unruheherde löschen, frühere Seilschaften an sich binden. Dass die schließlich Auserkorene selbst Kaiserin werden will, darf vor diesem Horizont vorausgesetzt werden. Man mag in der Person des Publio eine dem Genre verpflichtete Nebenfigur sehen. Doch diese Gestalt erfüllt auch eine Funktion und ergänzt rollentypisch und ›psychogrammatisch‹ das skizzierte Herrscherbild. Dieser ›Vertraute‹ wirkt gleichsam als ausgelagertes Pflichtbewusstsein und wandelndes Dossier des Kaisers. Als treuer Diener seines Herrn betätigt er zugleich den Schalthebel zur Öffentlichkeit, der auch in seinem Namen aufgehoben ist:  Publius erinnert an verwandtes publicus und hängt etymologisch auch mit populus »Volk« zusammen.

VII. Und das Ende? Schnittstellen und Reibeflächen Tugenden und Leidenschaften, Triebkräfte und Hemmungen, die den Seelenhaushalt der handelnden Personen dieser Oper ausmachen, entfalten sich im freien Spiel, geraten aneinander, stoßen an Grenzen und überwinden Barrieren; sie machen Unvereinbares deutlich und fügen sich am Ende zu einem Kompromiss, dem der moderne Röntgenblick eher schlechte Prognosen stellt oder eine gründliche Therapie verordnet. Die Kluft zwischen einer vorgegebenen Lösung und der empirisch erhärteten Erwartung ist allerdings ein typisch gegenwärtiges Dilemma. Wer ein Stück auf der Bühne erlebt, denkt unwillkürlich über den Tellerrand der aktuellen ästhetischen Erfahrung hinaus. Eine Krönungsoper –​eine Haupt-​und Staatsaktion also, dazu ein Herrscherspiegel –​verlangt einen positiven, ja triumphalen Ausgang mit Verweischarakter und prognostischer Kraft für die Gegenwart. So fordert es ›das Gesetz der Seria‹, und so wird es auch in diesem Plot eingelöst. Annio und

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Servilia werden ein Paar, Sesto reinigt sein Gewissen, Vitellia übernimmt die Verantwortung für den glimpflich überstandenen Anschlag, und Tito genügt seinem Stereotyp: Alles verstehen heißt alles verzeihen! Immerhin verfeinert er die Schablone mit einigen subjektiven Nuancen. So, wenn er dem reumütigen Freund den Treuebruch nachsieht: »In diesen bittren Worten | Erkenn ich echte Reue, | Sie gilt mir mehr als Treue, | Die nie gefährdet war.« (»Il vero pentimento | Di cui tu sei capace | Val più d’una verace | Costante fedeltà.«, II/17). Aber auch sein finales Bekenntnis darf sich auf historische Realität berufen: »O nehmet mir, ihr Götter, | O nehmet mir mein Leben, | Wenn ich es Rom nicht widme | In jedem Augenblick.« (»Troncate, eterni Dei, | Troncate i giorni miei | Quel dì che il ben di Roma | Mia cura non sarà.«). Das Schlussensemble endlich bewahrt und bewährt alle gebührenden Versatzstücke eines überkommenen Genres: »Eterni Dei, vegliate | Sui sacri giorni suoi: | A Roma in lui serbate | La sua felicità.« Sicher ist es ein Kennzeichen geschichtsbewusster moderner Reflexion, wenn wir die allgemeinen Segenswünsche für den Herrscher mit dessen frühem Tod korrelieren und diesen auf die gleichfalls nur zweijährige Regierungszeit des Widmungsträgers Leopold II. beziehen. Dasselbe mag auch für den Befund gelten, dass uns dieses fine gar nicht recht lieto erscheinen will, dass hinter dem verordneten Jubel ungelöste Probleme, emotionale Widerhaken und personelle Unvereinbarkeiten transparent werden. Ist es nur eine typisch heutige Sicht, dass wir bei dramaturgischen Lösungen auf rationale Plausibilität Wert legen und psychologische Stimmigkeit erwarten? Dieser Anspruch macht es den Regisseuren wie dem Publikum unserer Tage auch so schwer, mit dem vorgesehenen Ausgang von Così fan tutte klarzukommen. Statt der absolvierten Schule der Liebenden sieht man auf der Bühne nicht selten ein ›gemischtes Doppel‹, eine Paarung im Sinne der evidenten Wahlverwandtschaft zwischen den jungen Leuten. Am Beispiel der Clemenza ist es wohl ebenfalls ein Fehler, das Geschehen auf Wahrscheinlichkeit zu überprüfen oder gar die Handlung weiterzudenken. Wie kann Sesto sein Gewissen auf Dauer beruhigen, da er ja selbst am Ende von lebenslanger Trauer redet? Welches Schicksal ist Vitellia vorherzusagen, wenn doch ihre Schuld selbst eine Vernunftehe ausschließt? Und wie kann der Titelheld mit all diesen unsäglichen Enttäuschungen fertig werden? Sind seine Geduld und Humanität über alle Anfechtungen erhaben? Wird er innerlich weiter verkarsten? (»Der Kaiser muss versteinen« singt der Falke in Strauss-​Hofmannsthals Die Frau ohne Schatten!) Wird er gar noch zu Lebzeiten ein Standbild seiner selbst, »die Statue auf [seiner] eigenen Gruft«, um Worte aus Ariadne auf Naxos zu zitieren? Der nach heutigem Empfinden recht unfrohe Ausgang der Oper ist von zahlreichen Widersprüchen geprägt. Dass das Werk dramaturgisch in Ratlosigkeit entlässt, war noch vor mehr als einem halben Jahrhundert Anlass für Unbehagen, ja Widerwillen gegen dieses Werk, das man allenfalls als

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pietätvolle Pflichtübung zu Ehren seines Schöpfers gelegentlich und wenig erfolgreich aus dem Archiv hervorholte: gleichsam mit der Entschuldigung, dass die gewählte Gattung damals bereits überholt war und Mozart überdies unter Zeitdruck, dazu nicht eben enthusiastisch daran gearbeitet habe. Dass gerade die Kanten und Reibungsflächen des Stückes, dass dieses Unbehagen am Unzeitgemäßen und das Kippen eines Genres ein unerhörtes Reservoir an szenischen Lesarten und ästhetischen Reizen anbietet, hat die musikalische Bühne nunmehr zum Glück erkannt und zuletzt reichlich genützt.

Milada Jonášová

“Mozart’s sister is blind” –​“Clara has had very great success in Germany” –​Two Unknown Letters from Vincent Novello to  Domenico Dragonetti As part of my long-​ term research project The Significance of Prague’s Copyist Workshops as a Center for the Dissemination of Mozart’s Operas in Europe1, I  had the opportunity to undertake two short-​term research stays in London in 2016 and 2019, with the main purpose of exploring the holdings of the British Library. I concentrated on the extensive musical collection of the famous double bass player Domenico Dragonetti, containing a number of contemporary transcriptions of Mozart’s operas and operas by Italian composers of his time. The Venetian Dragonetti (1763–​1846)2, who started his career as a double bass player in the theatre orchestras of his native city and its famous Capella della Basilica di San Marco, was already a renowned artist when he moved to London in 1794. There he became the principal bass in the orchestra of the Haymarket King’s Theatre which in 1792 became the only opera house in London to have the prerogative of staging Italian operas3. He also played in the orchestra of the Philharmonic Society of London, performing as a solo artist at their concerts as well. In later years he undertook successful concert tours to Europe, becoming an artistic authority not only in London but also on the continent. Joseph Haydn, with whom he became friends during the latter’s visits to London, invited him to Vienna in 17994, where Dragonetti also met 1 This long-​term project was supported both by my workplace –​the Department of Musical History, Institute of Ethnology, Czech Academy of Sciences (until 2018) and the Institute of Art History, Czech Academy of Sciences (since 2019) –​ and by the Deutscher Akademischer Austauschdienst (2008, 2011, 2017), and the Czech Science Foundation. 2 Rodolfo Baroncini, Domenico Carlo Maria Dragonetti, in: Dizionario biografico degli Italiani, vol. 41, 1992 (http://​www.treccani.it/​enciclopedia/​domenico-​carlo-​ maria-​dragonetti_​%28Dizionario-​Biografico%29/​, 1.9.2020); Nanna Koch, Domenico Dragonetti, in: MGG2, Personenteil, vol. 5, Kassel (Bärenreiter) 2001, col. 1385sqq.; Fiona M. Palmer, Domenico Dragonetti, in: Grove Dictionary of Music and Musicians, 2nd edition, vol. 7, London (Macmillan) 2001, p. 553sq. 3 Edmund Waters, A Statement of Matters Relative to the King’s Theatre, in: The Quarterly Musical Magazine and Review 1 (1818), p. 250. 4 Carl Ferdinand Pohl, Joseph Haydn, vol. 3, Leipzig 1927, p. 152.

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Beethoven5. He lived and worked in Vienna from 1808 to 1813, with an interruption for a stay in Venice in 1809. In December 1813 he took part in the first performance of Beethoven’s composition Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91 in a grandiose celebration of Wellington’s victory over Napoleon. Later he was invited to work with Rossini, Mendelssohn, Liszt, Paganini, and others. His artistic fame brought him considerable financial rewards which –​not being married –​he invested mainly in collecting. Apart from collections of musical instruments, paintings, and antiques, he also owned a music collection, containing some 400 opera scores, ranging from the early 18th century to autograph scores by Rossini and his contemporaries. In the course of time, he handed over a large part of his musical collection to his long-​standing London friend with Italian roots, Vincent Novello, in order to get it arranged and classified. After considerable efforts to collocate the collection in a reasonable way, Novello later handed it over to the British Museum6. Since the British Library holdings also contain Dragonetti’s extensive correspondence with musicians and figures from the music world in Italy, England, Spain, France, and other countries, I also investigated this collection of letters and found in it two letters by Dragonetti’s friend Vincent Novello, so far unknown to research. Vincent Novello (1781–​1861)7 is a well-​known figure in Mozart research, mainly thanks to a very unusual project of his. This is the documentary record consisting of parallel written reports by Vincent and his wife Mary, who as enthusiastic admirers of Mozart’s work set out for the continent in 1829 with the aim of following the composer’s traces in Salzburg and Vienna and documenting them as objectively as possible. The result of their work, one of the most unique sources in music history, was first published in part by Novello’s eldest daughter Mary Cowden Clarke (1809–​1898)8. The complete text of the notes taken by the Novellos was not published until 19559. 5 Alexander Wheelock Thayer, Ludwig van Beethovens Leben, vol. 2, Leipzig 1910, p. 76sq. 6 See Rodney Slatford, Domenico Dragonetti, in: Proceedings of the Royal Musical Association 97 (1970–​1971), pp. 21–​28. 7 Fiona M.  Palmer, Vincent Novello, in:  MGG2, Personenteil, vol.  12, Kassel (Bärenreiter) 2004, col. 1224sqq. 8 Mary Cowden Clarke, Life and Labours of Vincent Novello, in: The Musical Times and Singing Class Circular 10/​227 (1 January 1862), pp. 169–​172, and 10/​228 (1 February 1862), pp. 187–​190, 195; as an independent book Mary Cowden Clarke, The Life and Labours of Vincent Novello, by His Daughter, London (Novello) 1864. 9 A Mozart Pilgrimage. Being the Travel Diaries of Vincent & Mary Novello in the Year 1829, transcribed and compiled by Nerina Medici di Marignano, ed.

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The Novellos wanted to travel to Mozart’s birthplace Salzburg to obtain the personal testimony of the composer’s widow Constanze Nissen-​Mozart and his sister Maria Anna von Berchtold zu Sonnenburg, who they knew had been seriously ill for some time. This strongly motivated journey is characterised by a number of unusual features that are worth commenting on. The first is that in the course of their journey and during their meeting with the two ladies, Vincent and his wife Mary recorded their impressions independently, in order that the resulting material should be as objective as possible for future use. The Novellos had prepared their questions for the two ladies in advance in writing, so that today’s readers know their exact wording. The very first question was: “Whether the original scores of ‘Don Giovanni’ or any of his other operas have been preserved, and, if so, whether any of them can now be purchased?”10 This was followed by: “The same question as to his Masses, sinfonias and other works.”11 Other questions included, for example: “What is become of his own Piano Forte?”12 and: “How many portraits, busts, engravings, etc., have been made of him and which does Mme. von Nissen consider the best likeness of him?”13 And so on. Readers are presented with two parallel versions of the recorded answers to the questions, which do not always display a high degree of concordance. Besides, in the case of Mozart’s widow some of her unmistakable reactions to the questions in the form of her “body language” are sometimes recorded in the reports. In view of Novello’s insufficient knowledge of German (whereby his interviews in Salzburg and elsewhere had to take place mainly in Italian or French), the superior German of his wife Mary Sabilla (1787–​ 1854), a gifted woman of German-​Irish descent, played a considerable role in the whole project. As the daughter of Simon Hehl she had family roots in Germany, before she married Novello in 1808. It can only be said with great admiration that this project of the Novellos in 1829 displayed features of supreme professionalism, which could hardly be greater in the case of a project of ‘asking questions’ carried out today by trained sociologists. The Novellos’ ‘Mozart research project’ was an extremely unusual undertaking, for which no adequate parallel can be found in the history

Rosemary Hughes, London (Novello) 1955; Eine Wallfahrt zu Mozart. Die Reisetagebücher von Vincent und Mary Novello aus dem Jahre 1829, edd. Nerina Medici di Marignano/​Rosemary Hughes, trans. Ernst Roth, Bonn (Boosey & Hawkes) 1955. 10 A Mozart Pilgrimage. Being the Travel Diaries of Vincent & Mary Novello in the Year 1829, p. 75. 11 Ibid., p. 76. 12 Ibid. 13 Ibid., p. 78.

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of European music. In order to fully understand the project, it is helpful to know more about the Novellos’ personal life and the contemporary London musical scene. This applies in particular to the ethnic, religious, and personal background of Vincent Novello. He was born in London to the Piedmontese pastry cook Giuseppe Novello (1744–​1808), who had arrived in London in 1771, and his wife Joan Wins, an Englishwoman from Norfolk. From an early age he displayed an exceptional musical talent, including perfect pitch, so that it soon became obvious that he would earn his living by some musical activity. In England, however, as a Catholic he could make a living by singing only in a few embassy chapels. He soon learned to play the organ, and as an adult he earned his living mainly as an organist. In 1797 or 1798, at the age of 16, Vincent Novello was appointed organist of the Portuguese chapel. Under his direction it became one of the most fashionable chapels in London, where Catholics and Protestants alike came to hear the masses of Haydn and Mozart. Novello’s Portuguese chapel appointment also led him into publishing:  his first venture, in 1811, was A Collection of Sacred Music as Performed at the Royal Portuguese Chapel in London, soon followed by other collections of Catholic church music.14

He also had a talent for organisation, and in addition to playing the organ he as editor and publisher served “the expanding market for the study and performance of music in public and private contexts.”15 In 1813, he was involved as one of the founders and directors of the Philharmonic Society of London, which set itself the task of ensuring the presence of a high-​quality symphony orchestra in the English metropolis. A request from the Cambridge University Senate that he should examine and report on the great collection of manuscript music bequeathed to the university by Viscount Fitzwilliam in  1816  led to another editorial enterprise, the five-​volume collection of Italian church music, mainly of the 17th century, which appeared as The Fitzwilliam Music (1825–​27).16

When, sometime early in 1829, Novello learnt  –​probably from his older colleague, the organist and former pupil of Mozart, Thomas Attwood (1765–​1838) –​that “Mozart’s sister is blind, old (being nearly 80) and in

14 Nicholas Temperley, assisted by Philip Olleson, London, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, 2nd edition, vol. 15, London (Macmillan) 2001, p. 99. 15 Rosemary Hughes, revised by Fiona M.  Palmer, Vincent Novello, in:  The New Grove Dictionary of Music and Musicians, 2nd edition, vol. 18, London (Macmillan) 2001, p. 214. 16 Ibid., p. 215.

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distress”17, he resolved to set out without delay for Salzburg. He decided to organise a collection of money among friends who “respect the memory of her illustrious Brother”, and to hand over the sum raised to Maria Anna (who had once performed as a pianist in London together with her brother) “in her own hands”18. When Novello wrote a letter in French in Salzburg to Mozart’s sister dated 14 July 1829, saying he would like to visit her the same day, he also mentioned his desire to write a book about Mozart in English based on Nissen’s monograph, which had only recently been published (in 1828). Needless to say, this plan of the enterprising London musician did not come to fruition. At all events, as we know from other documents, the Novellos did hand over the sum of £63 to Mozart’s sister19. The discovery of a letter written by Novello in London on 11 June 1829, addressed as part of this campaign to collect money for Mozart’s sister to the wealthiest Italian musician living in London, Domenico Dragonetti, confirms and clarifies Novellos’s noble initiative and the first steps taken in carrying out the project. The basic stimulus for all these activities was undoubtedly a supreme admiration for Mozart’s oeuvre, which remained a dominant feature throughout Novello’s life. It was because of this admiration that Novello, while still a young organist, had devoted no little energy to importing Mozart’s music into England. Undoubtedly, he was strengthened in this project by the example of a younger friend of his, who –​as is stated in the newly-​published letter –​contributed £10 to the collection for the seriously ill Nannerl, the same amount as Novello himself. This friend was Johann Andreas Stumpff (1769–​1845)20, known today as being “the greatest collector of Mozart autograph scores before Stefan Zweig”21. This manufacturer of pianos and harps, originally from Germany, lived in London since 1790, and was linked with Novello by a long-​standing friendship, strengthened by their supreme admiration for the work of Mozart. Being better off financially, Stumpff could even afford to purchase autograph scores of a whole series of Mozart’s works from the heirs of the publisher André in 1811. Expressed briefly: “In 1811 or 1814 […] twenty-​two significant autographs,

17 Letter from Vincent Novello to Domenico Dragonetti (London, 11 June 1829), in: GB-Lbl Add. Mss. 17838, f. 243r. 18 Ibid. 19 Anja Morgenstern, Constanze Nissens Beziehungen nach London. Unbekannte Mozartiana in den “Stumpff papers” der British Library, in: Mozart-​Jahrbuch 2014, Kassel (Bärenreiter) 2015, p. 177. 20 Pamela J. Willetts, Johann Andreas Stumpff, 1769–​1846, in: The Musical Times 118/​1607 (January 1977), pp. 29, 31. 21 Alec Hyatt King, A Mozart Legacy. Aspects of the British Library Collections, London (The British Library) 1984, p. 35sq.

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including the original manuscripts of the last ten quartets and other chamber and keyboard works, were sold to Johann Andreas Stumpff in London (these eventually became part of the British Museum, now the British Library).”22 He also visited Mozart’s sister, his widow, and her second husband Georg Nikolaus Nissen in person in Salzburg already in September 182423. In the newly-​published letter it is stated that the Novellos will go to Germany at the end of June. It was evidently on 24 June 1829 that they set out from London on their journey to Salzburg, which they completed in just under three weeks, using the most varied types of contemporary means of travel. As they recorded in their notes, on dry land they had available during their lengthy journey across Europe various types of horse-​drawn vehicles, ranging from the usual covered in post coaches for 4–​6 people (“carriage”, “diligence”) to more agreeable lighter vehicles for two people (“coach”, “cabriolet”, “chaise”, “Eilwagen”). The section of the journey from Cologne to Mainz was far more comfortable, thanks to a new technical advance that had only been in existence for two years: a voyage along the Rhine by steamboat (“the Dampfschiff”). However, the physical exertion of the trip as a whole must have been considerable, a fact which eventually led to the journey being substantially shortened. Although Novello wrote to his friend Dragonetti in London that he and his wife intended “to visit Saltzburg, Vienna, Prague, Dresden, Berlin and Leipsic”, in the end they did not go further than Vienna. In his letter to Dragonetti, Novello formulated the main idea behind his journey quite clearly: “My object in visiting Germany is to obtain authentic documents and other materials for my intended Life of Haydn, Mozart and Beethoven.” He undoubtedly included Beethoven’s name in the passage about his planned publication because he knew of Dragonetti’s high esteem towards him. Of course, he also knew that his wife did not completely share this opinion. With the second letter from Novello to Dragonetti that we are publishing, we move on to a period ten years later. Novello wrote the letter from Vienna on 19 March 1838, and it mainly contains information about the artistic successes of his daughter, the singer Clara Anastasia (1818–​1908), at the courts in Weimar, Berlin, and Dresden, and also at concerts in Leipzig, Dresden, and Berlin, “all which have been extremely well attended and her reception everywhere has been of the most gratifying and flattering nature”.

22 Cliff Eisen, Sources for Mozart’s Life and Works, in: The Mozart Compendium. A Guide to Mozart’s Life and Music, ed. H. C. Robbins Landon, London (Thames and Hudson) 1990, reprinted with corrections 1991, p. 171sq. 23 Morgenstern, Constanze Nissens Beziehungen nach London, pp. 173–​204.

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Clara was highly praised by Gaspare Spontini, who, as Novello wrote, “was very kind to Clara at Berlin, he wrote her a very complimentary letter to say how much delighted he was with her singing, and sent her his own Portrait on a gold Medal”. Novello also informed Dragonetti about his travelling plans, saying that they would stay another month or six weeks in Vienna before going to Munich, and that they planned “to cross the mountains into Italy”. He wanted to visit Venice, where “my first care & greatest pleasure will be to try & find out the house where my dear Drago was born”. They then intended to travel to Milan, visiting Madame Pasta at the Lake of Como on their way24, and, if possible, to visit Florence, Rome, and Naples. Novello finished his letter with a cordial greeting in Italian: “Addio mio carissimo Dragonetti; pensate qualche volte [sic] al tuo [sic] fido amico, chi [sic] vi ama di tutto il suo cuore Vincenzo Novello.” (“Farewell, my dearest Dragonetti; think sometimes of your faithful friend, who loves you with all his heart, Vincenzo Novello.”) Prague also had the opportunity to appreciate the art of Clara Novello as a singer, as shown by this review in the newspaper Moravia on 8 November 1838: Salon. (Aus Prag).  –​Miß Klara Novello hat hier vielen Beifall geerntet. Es ist bewundernswerth, wie die angehende Künstlerin mit edler Ruhe die schwierigsten Rouladen, die kecksten Kehlensprünge und italienische Weisen mit großer Reinheit und Geläufigkeit herabrollt, und wie das schwere, deutsche Gerassel maiestätisch und hehr den sanften, italischen [sic] Aeoltönen weicht. Die silberreine Intonation, das biegsame Portamento, ihre ungezwungene Methode, das Wohllautende ihrer Stimme, die über 2 Oktaven Ausdehnung hat und bis ins hohe C reicht, alle diese Eigenschaften in so schöner Vereinigung forderten zur Bewunderung auf, jedoch ist noch mehr Energie des Vortrags und kernige Entwickelung der Stimme sehr zu wünschen. Klara Novello ist im Werden, und berechtigt zu den schönsten Hoffnungen.25

24 Feuilleton, in:  Süddeutsche Blätter für Leben, Wissenschaft und Kunst 2/​56 (15 May 1838): “Miß Clara Novello, die wohl die erste Sängerin werden wird, welche England je hervorgebracht hat, wird in Italien die große Pasta-​Schule besuchen.” (“Miss Clara Novello, who will probably be the first female singer that England has ever produced, is going to visit the great Pasta School in Italy.”) 25 Moravia. Ein Blatt zur Unterhaltung, zur Kunde des Vaterlandes, des gesellschaftlichen und industriellen Fortschrittes 73 (8 November 1838), p. 292. “Salon. (From Prague). Miss Clara Novello received much applause here. It is admirable how this budding artist so calmly rolls down through the most difficult sparkling runs, sauciest intervals, and Italian melodies with great purity and facility, and how the powerful German rattling majestically and sublimely gives way to the soft Italian Aeolian tones. The silver-​clear intonation, the flexible portamento, her unforced method, her melodious voice, which has a range of over two octaves and reaches high C –​all these qualities so beautifully combined call for our admiration.

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Afterword. If the Czech editor of these two so far unknown letters by Vincent Novello is unable to conceal her liking for this excellent and devoted musician, perhaps she may be allowed to mention that one of Novello’s activities to which he himself probably did not attach any great importance, turned out many years later to be extremely beneficial to a Czech composer. As is well known, the music publishing house founded by Novello in 1811 was inherited by his son Joseph Alfred Novello (1810–​1890), who considerably extended its activities. After undergoing a lot of changes, this music publishing house still exists today. It played an important role in the life of Antonín Dvořák. The London Philharmonic Society, which Novello had once been a founding member of, invited Dvořák to London to conduct a performance of his cantata Stabat Mater, and the score and vocal parts of this and other works by Dvořák were then published by Novello’s London publishing house. Translation of Peter Stephens

Appendix Letter from Vincent Novello to Domenico Dragonetti, London, 11 June 1829 The British Library, Add. Mss. 17838, ff. 243r–​244v [f. 1r = 243r] June 11.t 1829 66 Grt. [Great] Queen Street D.r Sir /​. I am going to Germany at the end of this month, and having heard that Mozart’s sister is blind, old (being nearly 80)  and “in distress”, it is my intention to make a little private collection amongst my friends who respect the memory of her illustrious Brother, and to place what sum I can collect, in her own hands.

Nevertheless, even more energy in delivery and powerful development of the voice is to be desired. Clara Novello is still maturing, and is entitled to have the greatest expectations.”

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I shall put down £ 10 myself; my friend Mr. Stumpff has subscribed £ 10 also. − Whatever sum you may feel inclined to add to the little collection, I shall have much pleasure in receiving, & will give you an account, at my return, of the manner in which it has been bestowed. Believe me D.r Sir very truly yours Vincenzo Novello. P.S As a matter of delicacy towards the [f. 1v] Lady I should wish that her present situation should not be made known to the public at large. –​You will therefore, D.r Sir, have the goodness to consider the present communication as quite confidential. My object in visiting Germany is to obtain authentic documents & other materials for my intended “Lives of Haydn, Mozart & Beethoven”. I propose to visit Saltzburg, Vienna, Prague, Dresden, Berlin & Leipsic; and if I can execute any little commission for you at those places, I shall be most happy to do so. [f. 2r] blank page [f. 2v] Signor Dragonetti Leicester Square

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Example: Letter from Vincent Novello to Domenico Dragonetti, Vienna, 19 March 1838. Reproduced by permission of the British Library Board.

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Example (continued).

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The British Library, Add. Mss. 17838, ff. 245r–​246v [f. 1r = 245r] Vienna, Mar 19/​38 Hotel Stadt Frankfurt My dear Dragonetti I hope that you have received the messages of my kindest remembrances which I have sent to you in the Letters that have been written home since we left England; but as I thought you might be pleased if I were also to write you a little Letter myself, I now do myself the pleasure of addressing you these few Lines, just to say how we have been going on. Clara has had very great success in Germany; she has already sung at the Court of Weimar, the Court of Berlin, & the Court of Dresden: she has given a Concert at Leipsic, another at Dresden, and two at Berlin, all which have been extremely well attended, & her reception every where has been of the most gratifying & flattering nature. [f. 1v] We have been only a few days in Vienna, but shall probably remain a month or 6 weeks, after which we shall go to Munich & stop there until the fine weather renders it safe to cross the mountains into Italy. We propose to go to Venice, where my first care & greatest pleasure will be to try & find out the house where my dear Drago was born; we shall then proceed to Milano & afterwards to visit Madama Pasta at the Lago di Como. In our further intended journey to Firenze, Roma & Napoli, we must be guided according to circumstances. Spontini was very kind to Clara at Berlin, he wrote her a very complimentary letter to say how much delighted he was with her singing, and sent her his own Portrait on a gold Medal. The Philharmonic Society there also voted her, unanimously, a member, and sent her a diploma. [f. 2r] She has been rather hoarse once or twice, but upon the whole, has been very well, and so also has been Emma & their dear Mama. They all join in sending their love to you. My own health has not been very good, but I must endeavor to hope that I shall be better when I get to the climate of Italy. You will always be able to know our movements & journeys, from the letters which are sent home to Dean Street; and if in the meantime you would write me a few lines, I need not say how delighted I should be at receiving them. If you give your Letter to Alfred, he will know how to forward it to me.

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Addio mio carissimo Dragonetti; pensate qualche volte [sic] al tuo [sic] fido amico, chi [sic] vi ama di tutto il suo cuore Vincenzo Novello. [f. 2v] Signor Dragonetti Pagliano’s Hotel Leicester Square London.

Maria Birbili

Die Funktionalität des autoimprestito vom Kastraten zur Hosenrolle: Wie Rossini die Schlussarie rondò als Kompositionsmodell gestaltete Das Phänomen der selbstreflexiven Opernparodie entwickelte sich besonders in der Opera buffa ca. in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Durch das Zerrbild der Opera seria, wie dargestellt in der Opera buffa, wurden die Voraussetzungen geschaffen, um die Selbstparodie der Oper als literarisches Genre zu realisieren. Die vielgestaltigen Aufgaben eines Librettisten der Opera buffa im Settecento, die von der Gestaltung einer theatralisch der Realität der Aufführungsbedingungen entsprechenden Spielvorlage über die Notwendigkeit zur Innovation im Bereich des Lexikalischen und der Versifikation reichten, wurden von Librettisten und Komponisten reflexiv in Parodien gesetzt. Parodien, die über die Realitäten des zeitgenössischen Theaterlebens genaue Auskunft geben. Dass die meta-​melodrammi ein faszinierendes Genre reflexiver literarisch-​ musikalischer Produktion darstellen, haben in den letzten Jahrzehnten Giancarlo Folena1, Paolo Gallarati2 und Jürgen Maehder3 dargelegt. Genre-​Parodie wurde auch von Rossini, vor allem in seinen Opere buffe La pietra del paragone (Mailand 1812, Teatro alla Scala), Il signor Bruschino (Venedig 1813, Teatro San Moisè), Il turco in Italia (Mailand 1814, Teatro alla Scala) und Il barbiere di Siviglia (Rom 1816, Teatro Argentina) unternommen. In La pietra del paragone kommentieren der Dichter Pacuvio und der Journalist Macrobio die Aktion selbstreflexiv. In Il turco in Italia

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Giancarlo Folena, Carlo Goldoni, Firenze (Mursia) 1979. Paolo Gallarati, L’Europa del melodramma. Da Calzabigi a Rossini, Torino (Edizioni del’Orso) 1999. Jürgen Maehder, »A queste piccolezze il pubblico non bada!« –​Librettisten und Komponisten als Zielscheibe der Opernparodie, in: Ulrich Müller (ed.), Die lustige Person auf der Bühne, Kongreßbericht Salzburg 1993, Anif/​Salzburg (Müller-​ Speiser) 1994, pp. 235–​252, sowie id., Die Opera buffa als Meta-​Theater. Zur Selbstreflexion der Gattung in Giovanni Simone Mayrs Farsa »Che originali!«, in: Franz Hauk/​Iris Winkler (edd.), Werk und Leben Johann Simon Mayrs im Spiegel der Zeit. Beiträge des internationalen musikwissenschaftlichen Johann-​ Simon-​Mayr-​Symposiums 1.–​3. Dezember 1995 in Ingolstadt, München/​Salzburg (Katzbichler) 1998, pp. 174–​189.

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nimmt ein Librettist an der Aktion teil, die er nicht nur mitgestaltet, sondern darüber sogar metatheatralisch ein Opernlibretto über die Geschehnisse in der Oper verfasst4. Gaetano Rossis Farsa Che originali!, die mit der Musik Giovanni Simone Mayrs im Sommer 1800 am venezianischen Teatro San Luca uraufgeführt wurde, bildete das Vorbild, auf dem das Libretto Gaetano Gasbarris für Rossinis erste zweiaktige Opera buffa, L’equivoco stravagante (Bologna 1811, Teatro del Corso) beruht. Gaetano Rossis Libretto für Che originali! basiert auf der französischen Komödie La musicomanie (Paris 1779, Théâtre de l’Ambigu-​ Comique) von Nicolas-​ Médard Audinot. Aufführungen dieser Farsa Mayrs außerhalb Venedigs  –​etwa die Aufführungen in Wien und Dresden 1803 –​fanden daher gelegentlich unter dem Titel La musicomania statt. Dank einer Vielzahl linguistischer Ebenen, vom poetischen Text nach Metastasio zur alltäglichen, leicht ordinären Sprache während Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Figuren, waren Rossi und Mayr in der Lage, textliche Komik auf multiplen Ebenen und eine ästhetisch vielschichtige Musiksprache zu realisieren, die in der Pluralität der Stilebenen nicht nur einen sozialen, sondern auch einen ästhetischen Kommentar zum Genre der italienischen Oper abgibt5. In Mayrs Che originali! öffnet sich der Vorhang über der sala des Barone Febeo, eines »musicomaniaco« und frühen Verehrers des »Don Heydn«, der mit zwei Töchtern gesegnet ist. Donna Aristea ist »metastasiasta«. Sie kommuniziert mit ihrem –​bedauerlicherweise unmusikalischen –​Geliebten Don Carolino vorzugsweise mittels Metastasio-​Zitaten. Die zweite Tochter wird als »ipocondriaca« bezeichnet. Mayrs Che originali! erlebte eine große Verbreitung mit zahlreichen Partiturabschriften über ganz Europa; Partituren, die Rossini ohne Zweifel gekannt haben muss, als er sich für seine erste Opera buffa, L’equivoco stravagante, inspirieren ließ. Donna Aristeas Züge wurden direkt in der Figur der Ernestina im I. Akt von Gaetano Gasbarris und Rossinis L’equivoco stravagante übernommen, da Ernestina Literatin und Dichterin ist, bis sich das Gerücht verbreitet, dass die Möchtegern-​Librettistin angeblich ein Kastrat (also ein Mann) sei. Dies führt zur wütenden Reaktion ihres basso buffo-​Verehrers, der sie ursprünglich heiraten wollte. So äußert sich Aristea in Mayrs Che originali! (I/​4 und 5):

4 Zur Genreparodie in der Opera buffa Rossinis cf. Maria Birbili, Self-​Reflective Dramaturgy in Rossini’s Comic Operas, in: Mùsica em perspectiva 7/​2 (November 2013), pp. 104–​112, sowie ead., Die italienischen Opern Gioachino Rossinis. Eine Rehabilitierung, s.l. (2022), in Vorbereitung. 5 Cf. Maehder, Die Opera buffa als Meta-​Theater.

Die Funktionalität des autoimprestito vom Kastraten zur Hosenrolle 127 Aristea […] La povera Aristea! (Depone il Libro) che bella cosa È l’aver letto tanto E l’aver ritenuto A memoria si belle, Espressive, amorose cosarelle! Che tu sia benedetto, Caro il mio Metastasio! [...] O, così mi piacete! E sempre più, Contin, mi piacerete. Parlatemi pur sempre, O con versi, o con arie Del mio diletto Metastasio, e allora, Vedrai, mio ben, quanto il mio cor t’adora.

Und so äußert sich Ernestina in Rossinis L’equivoco stravagante (I/​5): Ernestina Miei letterati, figli di Mercurio Voi che siete il collegio D’ogni maravigliosa maraviglia, Puntellate, vi prego, La mia filosofia convalescente, Leggete voi per me. Da questi autori Raccogliete i rimedj per curarla, Pensate voi come ricuperarla. Ariosto, il Lasca, il Rosa, ed altri libri Morali, che compongono La biblioteca mia, Tentano in van tormi l’ippocondria.

Das Quartett Nr.  6 zwischen Vater, Tochter und ihren zwei Verehrern in L’equivoco stravagante enthält einen bekannten Scherz aus Molières Les précieuses ridicules (Paris 1659, Comédie Française), indem Ernestina einen äußerst pedantischen Ausdruck verwendet, um einen Stuhl zu bezeichnen, wenn sie ihren Verehrer dazu einlädt, Platz zu nehmen: Molière (Les précieuses ridicules): Cathos Ma chère, il faudroit faire donner des sièges. Magdelon Holà! Almanzor! Almanzor Madame. Magdelon Vite, voiturez-​nous ici les commodités de la conversation.6

6

Molière, Les précieuses ridicules [Paris, Comédie Française, 1659], Paris (édition intégrale Garnier frères) 1682, I/​9, p. 16.

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Gasbarri/​Rossini (L’equivoco stravagante): Ernestina Le machine corporee In linea curva adattino Sù due commodità. Buralicchio Come? Ernestina Due sedie Secondo il basso volgo. […]7

Darüber hinaus gewährt Ernestina sowohl ihrem Tutor (und heimlichen Verehrer) Ermanno als auch ihrem Bräutigam Buralicchio ihre Gunst, was die Verehrer zu unanständigen Gesten veranlasst, womit das Libretto von Gasbarri die erste Opera buffa Rossinis auf eine ungewöhnlich explizite heitere Ebene hebt: Ernestina Tu avrai il mio spirito = tu la materia. (ad Ermanno a Buralicchio) Buralicchio E che materia!

Die Protagonistin Ernestina interessiert sich für die Poesie und die Philosophie, möchte sich aber auch verlieben und eine romantisch-​literarische Liebe wie in den Büchern erleben. Entzückt, wenn der basso buffo Buralicchio um ihre Hand bittet, entdeckt sie zunächst während des Duetts Nr. 9 mit dem Tenor, ihrem Lehrer Ermanno, dass sie auch ihn attraktiv findet. Als nächstes verbreitet der Diener Frontino, der Ermanno als Bräutigam für Ernestina bevorzugt und ihre Verlobung mit dem basso buffo Buralicchio torpedieren will, das Gerücht, dass Ernestina nicht nur librettistische Ambitionen als Poetin hegt, sondern auch, dass sie sogar keine echte Frau, sondern ein Kastrat sei. Darauf reagiert der Bräutigam im Duett Nr. 13, das in zwei verschiedenen Versionen existiert8, erwartungsgemäß mit Wut und Spott und löst seine Verlobung mit Ernestina. Buralicchio (legge la lettera) […] Il vostro caro figlio Ernesto Che da donna vestito Finor si bene avete custodito. Come? che sento? parla… […]

7 L’equivoco stravagante,  I/​7. 8 Cf. dazu die kritische Edition der Oper, edd. Marco Beghelli/​Stefano Piana, Pesaro (Fondazione Rossini) 2015.

Die Funktionalität des autoimprestito vom Kastraten zur Hosenrolle 129 Frontino Il mio padrone Sapete che in Apruzzo nacque. Buralicchio Il sò. Frontino Ove il fiero costume Regnava anticamente Di mutilare teneri bambini Per farli poi (oh desiderio strano!) Da contralto cantar, o da soprano. […] Gamberotto9, uom miserabile Com’era allora, Ernesto sottopose A quella operazione; Ma poi pensier cangiò, Nè più al teatro il figlio destinò. Buralicchio Pezzo di birbantaccio! Volea darmi per moglie un Castrataccio! Segui pur. Frontino In appreso il fè soldato. Poi, ricco essendo, il fece Dal Corpo disertar, e sotto il nome D’Ernestina, qual donna Lasciò questi i calzon, prese la gonna.

Im darauf folgenden Quintett Nr.  15 wird Ernestina als vermeintlicher Deserteur von der Garde verhaftet. Nach einer rezitativischen Scena di carcere bzw. einer Liebesszene zwischen Ernestina und Ermanno im Gefängnis entdeckt auf einmal Ernestina ein neues, leidenschaftliches Interesse für das Ehre verheißende, heldenhafte Soldatenleben. Sie verkleidet sich nach ihrer Befreiung durch Ermanno prompt als Mann und trägt eine extrem virtuose Schlussarie rondò10 en travesti in Soldatenmaskerade11 mit dem Männerchor

9 Gamberotto ist der –​ebenfalls pedantisch veranlagte –​Vater Ernestinas. Der Name bedeutet »große Garnele«. 10 Als aria rondò ist in dieser Zeit in Italien nicht etwa eine Rondo-​Arie in französischer Form zu bezeichnen, sondern eine große Schlussarie in solita forma, wie Rossinis L’equivoco stravagante, La pietra del paragone, L’italiana in Algeri, La Cenerentola und La donna del lago exemplifizieren. 11 Dazu vergleiche den Präzedenzfall La donna soldato (Venedig, 1792) von Caterino Mazzolà und Giuseppe Gazzaniga, eine hoch erfolgreiche und bis ins 19. Jahrhundert hinein häufig aufgeführte Opera buffa, die Rossini zweifellos gekannt haben muss.

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Maria Birbili

vor (»Se per te lieta ritorno«), während der sie die Garde, die sie zuvor verhaftet hatte, jetzt stolz zum Kampf führt. Diese Schlussarie rondò ist überhaupt das erste Stück, das Rossini für eine Mezzosopranistin en travesti komponierte und bildet einen Vorläufer sowohl der Schlussarie rondò en travesti Clarices im II. Akt von Rossinis Opera buffa La pietra del paragone (»Se per voi le care io torno«) wie auch der martialischen Schlussarie rondò Isabellas (»Pensa alla patria«) vor dem Finale II von L’italiana in Algeri (Venedig 1813, Teatro San Benedetto). Die Cabaletta der Schlussarie rondò Isabellas (»Qual piacer! Fra pochi istanti«) weist motivische Verwandtschaft zur Cabaletta der Schlussarie rondò Ernestinas (»Vicina al termine –​delle sue pene«) auf. Symptomatisch wurden alle drei Partien (Ernestina, Clarice und Isabella) für die vor allem in Norditalien sehr beliebte Mezzosopranistin Marietta Marcolini komponiert. Sehr interessant erscheint vor allem, dass Gasbarri und Rossini in L’equivoco stravagante sich nicht nur über die aussterbende Tradition der Kastraten unanständig lustig machten, sondern dass zur selben Zeit Rossini die ihm lieb gewordene heldenhafte Partie der Mezzosopranistin en travesti erfand –​wie sie Ciro, Sigismondo, Tancredi, Falliero, Malcom, Arsace und Calbo verkörpern –​, welche die Tradition des Kastraten ersetzte. Die Partien des Ciro (Ciro in Babilonia, Ferrara 1812, Teatro Comunale) und des Sigismondo (Sigismondo, Venedig 1814, Teatro La Fenice) komponierte Rossini ebenfalls für Marietta Marcolini12. Das Phänomen des autoimprestito galt trotz eines resistenten schlechten Rufs bekanntlich nicht ausschließlich für Rossini. Die sogenannte transformative Imitation war während des 18.  Jahrhunderts als gängige Kompositionspraxis durchaus verbreitet. Dies galt für Johann Sebastian Bach, Antonio Vivaldi und vor allem für Georg Friedrich Händel, der sich –​wie bekannt –​häufig bei den Kollegen bediente. In der vorliegenden Diskussion wird eine Kontextualisierung des autoimprestito Rossinis vorgenommen mit der Intention, die Funktionalität des Einsatzes von zuvor verwendetem Material darzulegen, denn es handelte sich mit Sicherheit nicht bloß um einen zeitsparenden Usus Rossinis13.

12 Zur problematischen, häufig wechselnden Besetzung der Partie des Tancredi cf. Philip Gossett, The »candore virginale« of »Tancredi«, in: The Musical Times 112/​1538 (April 1971), pp. 326–​329, sowie id., The Tragic Finale of Rossini’s »Tancredi«, in: Bollettino del Centro Rossiniano di Studi 16 (1976), pp. 5–​79. 13 Für eine tiefergehende Diskussion und zur Kontextualisierung des autoimprestito Rossinis cf. Marco Spada, »Elisabetta, regina d’Inghilterra« di Gioachino Rossini: fonti letterarie e autoimprestito musicale, in: Nuova Rivista Musicale Italiana 24 (1990), pp. 147–​182, und Birbili, Die italienischen Opern Rossinis. Eine Rehabilitierung.

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Vor dem Vaudeville-​Finale von Rossinis L’equivoco stravagante wird von der Protagonistin Ernestina (in der Uraufführung mit der erfolgreichen Mezzosopranistin Marietta Marcolini besetzt) eine Schlussarie rondò14 (»Se per te lieta ritorno«) vorgetragen. Nach der Einigung mit ihrem Verehrer, der sie aus dem Kerker befreit, entdeckt plötzlich die Protagonistin Ernestina, die bisher Poetin werden wollte und stets einen Hang zur Übertreibung hatte, im Tempo di mezzo ihrer Schlussarie ein neues, leidenschaftliches Interesse, welches sie zu einer militärischen Laufbahn in der Armee anregt (»Stimoli anch’io di gloria | Sento nel petto mio!«). Daraufhin verkleidet sie sich prompt als Soldat und trägt eine (wie nie zuvor bei Rossini) hochvirtuose, heroische Cabaletta en travesti in Soldatenmaskerade mit dem Männerchor der Soldaten vor, von den Hörnern, Posaunen, Paukenrollen und der banda sul palco inklusive catuba15 auf der Bühne begleitet, während sie die Garde, die sie zuvor verhaftet hatte, jetzt stolz zum Kampf führt (II/​13): Coro Che caro giovine = piena di spirito Oh come l’agita = marziale ardor!

Diese Schlussarie rondò Ernestinas (in E-​Dur) ist überhaupt das erste Stück, das Rossini für eine Mezzosopranistin en travesti komponierte. Charakteristisch für die martialische Cabaletta der aria en travesti –​ bei der Marcolini laut der Rezensionen häufig auf einem Pferd reitend auftrat und in der die Hoffnung auf eine bessere Zukunft durch das eigene heroische Agieren der Protagonistin zum Ausdruck gebracht wird  –​ist die Versstruktur, die aus Zäsurversen, quinari doppi (sdrucciolo + piano) besteht (»Vicina al termine = delle sue pene«). Eigentümlich ist ebenfalls der erhabene Legato-​Vortrag der Singstimme in Mittellage über einer rhythmischen 4/​4-​Pizzicato-​Begleitung der Violinen für die ersten vier Verse der Cabaletta, gefolgt vom virtuosen Gesang der Mezzosopranstimme, mit Triolen, Staccati, Gruppetti, Skalen und für Ernestina auch mit Trillern versehen16, während die zweite 14 Über die italienische Schlussarie rondò cf. Anmerkung 10. Für eine ausführliche Besprechung der nicht für Marietta Marcolini komponierten Schlussarien rondò Rossinis (wie z.B. in Il turco in Italia, La Cenerentola, Adelaide di Borgogna, Bianca e Falliero, La donna del lago, Matilde di Shabran, Maometto II [zweite Fassung] usw.), die einen ganz anderen Kompositionsstil vor allem im Vokalstil aber auch im Orchester aufweisen, cf. Birbili, Die italienischen Opern Rossinis. Eine Rehabilitierung. 15 Mit catuba ist im zeitgenössischen Italien die Kombination von triangoli e grancassa mit einer Provenienz aus der Janitscharenmusik gemeint. 16 Zu den technischen Fähigkeiten Marcolinis und zu den von ihr bevorzugten abbellimenti cf. Rodolfo Celletti, La vocalità, in: Storia dell’opera, vol. 3, Torino (Einaudi) 1977.

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Cabaletta-​Strophe mit noch mehr Virtuosität variiert vorgetragen wird. In dieser Hinsicht bildet die martialische Schlussarie rondò en travesti Ernestinas einen Vorläufer der heroischen Schlussarie rondò Isabellas in E-​Dur aus L’italiana in Algeri (II/​11), die auf einem beinahe identischen Text beruht, wenngleich die Versstruktur der Cabaletta Isabellas nicht aus drei quinari doppi, sondern aus drei ottonari piani plus einem ottonario tronco besteht. Die Cabalette der Schlussarien rondò Ernestinas und Isabellas, beide in E-​ Dur, weisen auch motivische Verwandtschaft in der Singstimmenführung und in der 4/​4-​Pizzicato-​Begleitung der Violinen auf. Nicht zufällig wurden beide Schlussarien rondò von Rossini für Marietta Marcolini komponiert: Ernestina (Vicina al termine = delle sue pene Di gioja l’impeto = più non sostiene Quest’alma tenera = piena d’ardor.) Isabella Qual piacer! Per pochi istanti Rivedrem le patrie arene. (Nel periglio di mio bene Coraggiosa amor mi fa).

Die Schlussarie rondò en travesti in E-​Dur der Protagonistin Clarice vor dem Vaudeville-​Finale II von Rossinis nächster Opera buffa, La pietra del paragone (II/​15), »Se per voi le care io torno« (vs. »Se per te lieta ritorno« für Ernestina in L’equivoco stravagante) ist ein autoimprestito der Schlussarie rondò Ernestinas. Die Cabaletta in E-​Dur der Schlussarie rondò Clarices (»Sotto l’intrepida  –​viril sembianza«) bildet ebenfalls ein autoimprestito der heroischen Cabaletta Ernestinas en travesti (»Vicina al termine = delle sue pene«), wenn die selbstbewusste Protagonistin Clarice in Soldatenmaskerade mit dem Männerchor auftritt, um ihren zynischen Liebhaber zu testen bzw. zu verunsichern. Selbstverständlich wurde auch die Partie Clarices, genau wie Ernestina und Isabella, von Rossini für die vor allem in Norditalien äußerst beliebte Mezzosopranistin Marcolini komponiert. Möglicherweise wurde sogar von ihr selbst vorgeschlagen, dass Rossini in La pietra del paragone die heroische Schlussarie rondò en travesti Ernestinas für Clarice neu arrangierte. Ernestina (Vicina al termine = delle sue pene Di gioja l’impeto = più non sostiene Quest’alma tenera = piena d’ardor.) Clarice (Sotto l’intrepida –​viril sembianza Sento a risorgere –​la mia speranza: Fra i dolci palpiti –​s’infiamma il cor.)

Die Funktionalität des autoimprestito vom Kastraten zur Hosenrolle 133

Besonders interessant erscheint in diesem spezifischen Fall des Einsatzes von autoimprestito, dass Rossini sich von einer besonders fähigen Opernsängerin dazu inspirieren ließ, einen neuen Arien-​Typus für Mezzosopran zu erschaffen, der alsbald zu einem neuen Fach in Rossinis Œuvre werden sollte, indem er die äußerst beliebt gewordene heldenhafte Partie der Mezzosopranistin en travesti erfand, welche die Tradition der Kastraten ersetzte. Es erscheint dabei nicht als Zufall, dass der Librettist Gasbarri und Rossini sich in der Genreparodie L’equivoco stravagante über die bald aussterbende Tradition der Kastraten geradezu brutal lustig machten. Wenn das neue Arrangement des autoimprestito zwischen Ernestina und Clarice bloß darin bestand, neuen Libretto-​Text schreiben zu lassen und teilweise ein neues Recitativo accompagnato zu komponieren, wurden als nächstes mit Tancredi (1813) und Sigismondo (1814) von Rossini Maßstäbe gesetzt, die später mit Falliero (1819), Malcolm (1819), Calbo (1820) und Arsace (1823) zu einem außerordentlichen musikalischen Rang heranreiften. Es ist interessant, darauf aufmerksam zu machen, dass dieses neue Fach der Mezzosopranistin en travesti durch Rossinis Begegnung mit einer befähigten Diva und durch ein bloßes autoimprestito der Übernahme einer spezifischen Arie von einer Opera buffa in eine andere zustande kam. Als nächstes soll ein komplexer, sich über Jahre ausdehnender Fall des Einsatzes von autoimprestito besprochen werden. Die Cabaletta des rondò von Arsace in Aureliano in Palmira (Mailand 1813, Teatro alla Scala), »Non lasciarmi in tal momento«, in E-​Dur, komponiert für den Star-​Kastraten Giovanni Battista Velluti, wurde in die Cabaletta der Rosina in Il barbiere di Siviglia übernommen. Die Cabaletta Arsaces in Aureliano in Palmira wird von den Hörnern in Parallelterzen exponiert. Der Einsatz der Kas­ tratenstimme wird von einem rhythmischen Motiv in den Streichern begleitet, welches bei der Übernahme dieser Sektion der Cabaletta Arsaces in die Cavatina Rosinas in Il barbiere di Siviglia fehlt. Die einleitende Melodie-​ Linie der Cabaletta Arsaces (»Non lasciarmi in tal momento, | Bel pensier di gloria e amore!«) verläuft auf den ersten Blick ähnlich wie Rosinas »Io sono docile, | Son rispettosa | Sono obbediente, | Dolce, amorosa«, inklusive des Einsatzes der Soloflöte. Gleichwohl hebt sich die Gestalt der Singstimmenführung zwischen Arsace und Rosina sehr stark ab:  Wenn Arsace in verliebtem, regelmäßigem Legato singt, trägt Rosina ihre Triolen in verspieltem Staccato vor und geht nach zwei Versen in anderes musikalisches Material über (»Mi lascio reggere, | Mi fo guidar. | Ma…«), welches innerhalb ihrer Cabaletta einen dramaturgischen coup de théâtre bildet, indem Rosina vom gehorsamen Mädchen zur befähigten Frau, die um ihre Emanzipation vom Vormund kämpft, wechselt. Demgegenüber beharrt Arsace innerhalb seiner Cabaletta stets auf dem einleitenden Motiv (»Non lasciarmi in tal momento, | Bel pensier di gloria e amore!«), das etliche Male wiederholt wird. Denn

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das Hauptinteresse in der Cabaletta Arsaces besteht darin, den virtuosen Fähigkeiten der Kastratenstimme mit gewaltigen Intervallsprüngen, die zwei Oktaven umfassen, gerecht zu werden, während die Cabaletta Rosinas an erster Stelle der Dramaturgie des suspense in einer mit slapstick versehenen Opera buffa dient. Es könnte sogar angenommen werden, dass Rossini, indem er ein Zitat des aussterbenden Kastraten-​Gesangs ausgerechnet an dieser Stelle (»Io sono docile, | Son rispettosa | Sono obbediente, | Dolce, amorosa.«) in den Mund Rosinas legte, eine selbstreflexive Gattungsparodie und Sozialkritik vornahm, um auf die Unterdrückung der Frauen in der Tradition der Commedia dell’arte aufmerksam zu machen. Es darf nicht vergessen werden, dass Rossini in der Szene des Gesangsunterrichts im II. Akt von Il barbiere di Siviglia den pedantischen Vormund Bartolo bei seinem Wunsch zeigt, eine altmodische Liebesarie im Tempo di menuetto aus dem frühen 18.  Jahrhundert vorzutragen (»Quando mi sei vicina | Amabile Rosina«; II/​3), um Rosina gegen ihren Willen den Hof zu machen. Das oben besprochene Material aus der Cabaletta Rosinas wurde noch vor Verwendung in Il barbiere di Siviglia bereits in die hochvirtuose Cavatina mit Chor Nr. 2 von Elisabetta (»Quanto è grato all’alma mia«; I/​2) in Elisabetta, regina d’Inghilterra (Neapel 1815, Teatro San Carlo) aufgenommen, genauer: in ihre Cabaletta »Questo cor ben lo comprende«. Die Cabaletta Elisabettas wurde einen Ton höher, nach F-​Dur transponiert, unter Beibehaltung der Hörner in Parallelterzen, aber mit Beifügung auch der virtuosen Solo-​Klarinette, welche die Cabaletta eröffnet. Die Cabaletta Elisabettas enthält (sogar für Rossini-​Verhältnisse) eine gewaltig gestiegene Virtuosität17 im Vergleich zu der ursprünglichen Cabaletta des Kastraten Arsace (komponiert für Velluti) in Aureliano in Palmira, indem die Gesangslinie Arsaces/​ Vellutis für Isabella Colbran um zusätzliche Gruppetti und Skalen bereichert wurde. Darüber hinaus dient diese Cavatina Elisabettas dazu, ähnlich wie die ursprüngliche Arie des Kastraten Arsace, die verliebte Königin bei einem erhabenen Auftritt zu zeigen. Diese Cabaletta für Elisabetta ist auch in langsamerem Tempo als die Cabaletta Rosinas vorzutragen. Der zweite Vers der Cabaletta Elisabettas (»Rivedrò qual caro oggetto | Che d’amor mi fa brillar.«) ist sehnsüchtig mit Trillern und Vorhalten versehen, während das nächste Vokal-​Material in Sechzehnteln offenbar die virtuose, abschließende Sektion der Cabaletta Rosinas inspiriert haben muss. Gleichwohl erscheinen sowohl die cadenze als auch die musikdramatische Essenz und der Stil des Vortrags wie des Schauspiels in diesen beiden Cabalette für Elisabetta und für Rosina Lichtjahre voneinander entfernt.

17 Cf. dazu auch Spada, »Elisabetta, regina d’Inghilterra« di Gioachino Rossini.

Die Funktionalität des autoimprestito vom Kastraten zur Hosenrolle 135

Ninettas Cavatina Nr. 2 in E-​Dur in La gazza ladra (Mailand 1819, Teatro alla Scala) stellt wiederum eine Umarbeitung sowohl des Primo tempo der Cavatina Rosinas (»Una voce poco fà«) als auch ihrer Cabaletta (»Io sono docile«) dar. In diesem Fall ist die Orchesterbegleitung beibehalten worden, während die Singstimmenmelodie des Soprans eine Quinte höher (von E zu H) liegt und eine Spiegelung bzw. Umkehrung erfahren hat, indem die Singstimmenmelodie Ninettas sich jedes Mal nach oben bewegt, wenn die ursprüngliche Singstimmenführung Rosinas nach unten ging und umgekehrt. Dieses Prinzip gilt sowohl für das Arrangement des Primo tempo der Arie als auch in der Cabaletta Ninettas gegenüber der ursprünglichen Arie Rosinas, während die abschließende, in Sechzehnteln geführte Sektion der Cabaletta Ninettas eindeutig auf der virtuosen, finalen Sektion der Cabaletta der Königin Elisabetta beruht, die noch vor der Cabaletta Rosinas entstanden war. Interessanterweise bleibt Rossini während dieser Materialabwandlung stets darauf bedacht, die Arie Ninettas durch ganz einheitliche Singstimmenführung und durch einen leichteren Orchestersatz für den leichten Sopran, den Ninetta darstellt, zu gestalten. Auch dadurch lässt sich Ninettas Cavatina von der stets agilen, mit Komik und sogar mit einem coup de théâtre versehenen, verspielten Cavatina Rosinas stark abheben. Daher erklingt die Umgestaltung der Cavatina der frechen, unartigen Rosina in Kombination mit der Schlusssektion der Cabaletta der Königin Elizabeth I. erstaunlicherweise keineswegs fehl am Platz aus dem Mund des unschuldigen Mädchens vom Lande, der innocence persécutée Ninetta. Darüber hinaus ist die Cavatina Ninettas in ihrer Instrumentation von den Hörnern bestimmt, die eine ländliche, pastorale Couleur erzeugen. Wenn man nach diesen Ausführungen noch das Phänomen der von Rossini für bestimmte Sänger oder sogar von den Sängern selbst komponierten und hinzugefügten Varianten und cadenze einbezieht, wird deutlich, warum die auf Virtuosität basierende italienische Oper des frühen Ottocento gegen die Idee der Werkhaftigkeit18 zu kämpfen hat. Gleichwohl lässt sich nach

18 Zur häufig konstatierten fehlenden Werkhaftigkeit in der italienischen Oper des Ottocento cf. (als Auswahl in chronologischer Anordnung): Carl Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden (Athenaion) 1980 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 6); Philip Gossett, History and Works That Have No History: Reviving Rossini’s Neapolitan Operas, in: Katherine Bergeron/​Philip Bohlman (edd.), Disciplining Music, Chicago/IL (University of Chicago Press) 1992, pp. 95–​115; Sieghart Döhring, Rossini nel giudizio del mondo tedesco, in: Paolo Fabbri (ed.), Gioachino Rossini 1792–​1992. Il testo e la scena. Convegno internazionale di studi Pesaro, 25–​28 giugno 1992, Pesaro (Fondazione Rossini) 1994, pp. 93–​104; Philip Gossett, Divas and Scholars: Performing Italian Opera, Chicago/​ IL (University of Chicago Press) 2006; Daniel Brandenburg/​Thomas Seedorf (edd.), »Per ben vestir la virtuosa«. Die Oper des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts

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Maria Birbili

diesen Ausführungen eindeutig feststellen, dass die Umwandlung des Materials bei den oben besprochenen autoimprestiti sowohl gesangstechnischen als auch dramaturgischen Aspekten diente, indem Rossini auf seiner Suche nach einer neuen musikalischen Sprache die Gestalt der italienischen Oper von Aufführung zu Aufführung mit großer Prägnanz umfunktionierte.

im Spannungsfeld zwischen Komponisten und Sängern, Schliengen (Argus) 2011, sowie Birbili, Die italienischen Opern Rossinis. Eine Rehabilitierung.

Marco Beghelli

Estetica rossiniana: la musica oltre le parole Mit Rossini ist die eigentliche Geschichte der Oper zu Ende. (Richard Wagner, Oper und Drama)

Fra le tante mitologie cresciute attorno alla figura artistica di Gioachino Rossini, c’è la presunta indifferenza nei confronti delle parole messe in musica: Dato il «vulcano della sua mente» melodica, gli bastava di aver dei versi da musicare perché le note gli scaturissero agevolmente dal cervello e dalla penna, e ben poco si curava di rifinire, di limare, di correggere, di modificare il testo offertogli. Restìo all’eccessivo lavoro, pigro, accettava i libretti che gli venivano presentati senza guardar troppo per il sottile. Non vogliamo con ciò affermare che... fosse pronto a musicare la lista del bucato (come gli facevan dire i suoi avversari e calunniatori!), ma certo il poeta non aveva troppo da ‹soffrire› lavorando con lui. Né egli ebbe preferenze per questo o quel poeta melodrammatico.1

Gli studi sulla storia del sistema produttivo (sebbene di regola il librettista non fosse scelto dal compositore ma dal teatro, in più occasioni Rossini impone le sue preferenze), i carteggi e le testimonianze superstiti (da cui si evince il ruolo attivo di Rossini nella scelta dei soggetti da musicare) nonché l’analisi filologica delle partiture rossiniane (nelle quali si osservano tante modifiche intenzionali del testo poetico originario quante e più se ne ravvisano fra gli autori coevi) hanno ormai scalzato tali pregiudizi. Nondimeno, la boutade della «lista del bucato» messa bonariamente in bocca al Maestro percorre l’intero Novecento, vale a dire il secolo in cui nessuno più ascoltava Rossini ma tutti ne parlavano, attribuendogli ogni sorta di bizzarria. E che l’affermazione giri incontrollata ancor oggi, magari nella forma aggiornata a «lista della spesa»2, è sintomatico della percezione diffusa sull’estetica del nostro compositore che ancora perdura. L’origine di tale idea deve però essere ben più antica, trovando in Richard Wagner il suo ‹padre nobile›, quando in Oper und Drama (1851)

Ulderico Rolandi, Librettistica rossiniana, in: Musica, vol. 1, Firenze (Sansoni) 1942, pp. 40–​71: 40sq. 2 Ad esempio, in Elvio Giudici, L’opera in CD e video. Guida all’ascolto di tutte le opere liriche, Milano (Il saggiatore) 2007, p. 2167 («Si può musicare anche la lista della spesa, sosteneva Rossini»). 1

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Marco Beghelli

rimproverava a Rossini d’aver ridotto l’opera a un puro e semplice flusso melodico, cioè a un discorso fatto di sole note (senza parole, oppure a scapito della parola): Die in Mozart’s Hauptwerke von uns angetroffene, so überraschend glückliche Beziehung zwischen Dichter und Komponisten, sehen wir aber im ferneren Verlaufe der Entwickelung der Oper gänzlich wieder verschwinden, bis, wie wir sahen, Rossini sie gänzlich aufhob, und die absolute Melodie zum einzig berechtigten Faktor der Oper machte, dem alles übrige Interesse, und vor Allem die Betheiligung des Dichters, sich vollkommen unterzuordnen hatte.3

L’accusa potrebbe invero ribaltarsi in un riconoscimento estetico della ‹specificità melodica› per l’opera in musica all’italiana, riconoscimento leggibile in filigrana tra le riflessioni di Nietzsche, quando nella Gaia scienza (1882) restringe ulteriormente tale specificità alla linea del canto: Ein wenig Frechheit mehr bei Rossini und er hätte durchweg la-​la-​la-​la singen lassen –​und es wäre Vernunft dabei gewesen! Es soll den Personen der Oper eben nicht ‹aufs Wort› geglaubt werden, sondern auf den Ton!4

Non un’accusa a Rossini, dunque, ma la presa di coscienza ed esaltazione di una peculiarità stilistica tanto evidente, quanto accettata a fatica come tale dall’estetica novecentesca. Ci vorrà infatti Dahlhaus per proclamare a chiare lettere: In un’opera, in un melodramma, è la musica il fattore primario che costituisce l’opera d’arte (opus), e la costituisce in quanto dramma. […] Il dramma musicale ‹vero e proprio› lo si coglie negli affetti e nei conflitti scenicamente e musicalmente rappresentati, espressi in arie, duetti e concertati.5

Richard Wagner, Oper und Drama, vol. 1: Die Oper und das Wesen der Musik, Leipzig (J. J. Weber) 1852, p. 134. («La correlazione sorprendentemente così felice fra poeta e compositore che abbiamo incontrato nei capolavori di Mozart, la vediamo però totalmente riscomparire nel successivo sviluppo dell’opera fino a che, come abbiamo detto, Rossini l’abolì del tutto e fece della melodia assoluta l’unico fattore legittimo dell’opera, a cui ogni altro interesse e soprattutto il contributo del poeta doveva interamente subordinarsi.») 4 Friedrich Wilhelm Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Chemnitz (Ernst Schmeitz­ ner) 1882, p. 101 («Un poco più di sfacciataggine in Rossini, e avrebbe fatto cantare dal principio alla fine la-​la-​la-​la. Né tutto questo sarebbe stato senza ragione. Il fatto gli è che ai personaggi dell’opera non si deve credere ‹sulla parola› ma ‹sul canto›.» [2. Buch, n. 80: Kunst und Natur]). Carl Dahlhaus, Drammaturgia dell’opera italiana, in: Lorenzo Bianconi/​Giorgio 5 Pestelli (edd.), Storia dell’opera italiana, vol. 6: Teorie e tecniche, immagini e fantasmi, Torino (EDT) 1988, pp. 77–​162: 77. 3

Estetica rossiniana: la musica oltre le parole

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Si tratta allora non di «melodia assoluta», come pretendeva Wagner, ma –​ con le parole di Verdi –​di «musica teatrale» nell’accezione funzionalmente più completa6. E in quanto musica teatrale, la componente canora diviene l’elemento comunicativo primario, ben al di sopra (o al di là) della parola, che pur ingloba; perché, come dirà Fedele d’Amico, «il personaggio, nell’opera lirica, è la sua voce»: L’opera italiana, dai suoi inizi almeno fino al primo Puccini, è quella che assegna al canto non tanto una parte preponderante, come si è soliti dire, quanto una parte autonoma. In qualunque opera di qualunque tempo e paese, è vero, il canto esercita una funzione fondamentale, pena l’inesistenza dell’opera in quanto tale; giacché la presenza fisica del personaggio davanti a noi, questa conditio sine qua non del teatro in genere, nell’opera è garantita soltanto [soprattutto?] dalla sua voce: il personaggio, nell’opera lirica, è la sua voce. Tuttavia questo personaggio-​voce non gode, in tutte le tradizioni, dello stesso grado di autorialità e responsabilità. Gl’italiani, nell’inventare con l’opera il canto solistico di ampio respiro, obbedirono a una sollecitazione immanente alla loro stessa invenzione: la voce umana si caricava di una responsabilità nuovissima, quella di dar presenza fisica, attuale, a un personaggio drammatico, di farlo sorgere materialmente davanti a noi, in carne ed ossa. E questa sollecitazione, da cui nacque il favoloso sviluppo della tecnica vocale, rimase in primissimo piano in tutta la storia dell’opera italiana, probabilmente col favore di una lingua particolarmente adatta a mantenerla desta; fino a che la crisi del canto, arrivata a maturazione nei primi decenni del nostro secolo [il XX] (e per ragioni nient’affatto musicali), rimise tutto in questione.7

(Coniugando Fedele d’Amico a Carmelo Bene8: il personaggio è la sua voce, e il testo la sua eco.) Del resto, che l’opera in musica non potesse per sua natura far troppo affidamento alla parola, causa una congenita difficoltà di comprensione dei testi cantati, fu chiaro sin dalle origini. Già in occasione dell’Orfeo monteverdiano (1607), Francesco Gonzaga informava il fratello che «la favola s’è fatta stampare accioché ciascuno degli spettatori ne possa avere una da leggere mentre che si canterà»9. All’altro capo della parabola storica, terminata

6 Lettera di Giuseppe Verdi ad Antonio Somma, da Busseto, 20 novembre 1857, in: Simonetta Ricciardi (ed.), Carteggio Verdi-​Somma, Parma (Istituto nazionale di Studi verdiani) 2003, p. 240. 7 Fedele d’Amico, Barilli o la caducità del miracolo, in: Galleria 13/​3–​5 (1963), ora in: id., Un ragazzino all’Augusteo. Scritti musicali, ed. Franco Serpa, Torino (Einaudi) 1991, pp. 92–​110: 101sq. 8 «Nella scrittura vocale, poesia è la voce. Il testo è la sua eco» (Carmelo Bene, Il monologo, in: id., La voce di Narciso, [ed.] Sergio Colomba, Milano [Il Saggiatore] 1982, pp. 20–​36: 35). 9 Lettera di Francesco Gonzaga al fratello Ferdinando, da Mantova, 23 febbraio 1607, in: Antonino Bertolotti, Musici alla corte dei Gonzaga in Mantova dal

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la sua esperienza come librettista per La carriera d’un libertino stravinskia­ na (1951), Wystan Hugh Auden ammetterà che chi ascolta un’opera sente delle sillabe, non delle parole10, quasi facendo sue le idee di Luigi Illica e Joseph Méry: La forma di un libretto la fa la musica, soltanto la musica e niente altro che la musica! Essa sola, Puccini, è la forma! Un libretto non è che la traccia. E dice bene Méry quando sentenzia: «I versi nelle opere in musica sono fatti solo per la comodità dei sordi». Per questo io nel libretto continuerò a dar valore solo al modo di tratteggiare i caratteri e al taglio delle scene e alla verosimiglianza del dialogo, nella sua naturalezza, delle passioni e delle situazioni.11

A metà via, Stendhal esprime ripetutamente nella Vita di Rossini (1824) la sua sfiducia verso il testo verbale di un’opera: «Remarquez que je parle toujours de la musique et jamais des paroles, que je ne connais pas. Je refais toujours, pour mon compte, les paroles d’un opéra. Je prends la situation du poëte, et ne lui demande qu’un seul mot, un seul, pour me nommer le sentiment»12. La musica basterebbe dunque a sé stessa, come credeva anche la gentildonna veneziana nel cui palco Stendhal era solito trovare ospitalità: per afferrare la situazione inscenata, la signora si accontentava dei due versi

secolo XV al XVIII. Notizie e documenti raccolti negli archivi mantovani, Milano (Ricordi) [1890], p. 86. 10 Wystan Hugh Auden, Notes on Music and Opera, in: id., The Dyer’s Hand and Other Essays, London (Faber and Faber) 1963, pp. 465–​474: 473 («The verses of Ah non credea in La sonnambula, though of little interest to read, do exactly what they should: suggest to Bellini one of the most beautiful melodies ever written and then leave him completely free to write it. The verses which the librettist writes are not addressed to the public but are really a private letter to the composer. They have their moment of glory, the moment in which they suggest to him a certain melody; once that is over, they are as expendable as infantry to a Chinese general: they must efface themselves and cease to care what happens to them. There have been several composers – Campion, Hugo Wolf, Benjamin Britten, for example – whose musical imagination has been stimulated by poetry of a high order. The question remains, however, whether the listener hears the sung words as words in a poem, or, as I am inclined to believe, only as sung syllables»). 11 Lettera di Luigi Illica a Giacomo Puccini, ricopiata da Illica per Giulio Ricordi, ottobre 1907, in: Eugenio Gara (ed.), Carteggi pucciniani, Milano (Ricordi) 1958, p. 357sqq.: 358 (lettera n. 528). 12 Stendhal [Henri Beyle], Vie de Rossini, Paris (Boulland) 1824, p. 90 («Notate che parlo sempre della musica, mai delle parole, che non conosco. Io rifaccio sempre, a conto mio, le parole di un’opera; riprendo la situazione del poeta e gli domando una sola frase, che dia il nome al sentimento di volta in volta espresso» [cap. 3: L’italiana in Algeri]).

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iniziali di un aria, di un duetto13 (invece di leggere l’intero libretto, notoriamente pleonastico, pieno di parole superflue): «Una voce poco fa | Qui nel cor mi risuonò», «Non più mesta accanto al fuoco | Starò sola a gorgheggiar», «Cielo! in qual estasi | Rapir mi sento», e nulla più. Nelle rare esternazioni di carattere estetico, Rossini affermò con forza al suo biografo Zanolini (1836) che «la musica non è un’arte imitatrice, ma tutta ideale»14, cioè incapace di esprimere concetti, al contrario della letteratura e delle arti visive. All’atto pratico, la produzione rossiniana presenta tuttavia passi in cui il compositore gioca proprio con le capacità espressive della musica, fino a contraddire talvolta il significato delle parole intonate, del resto malamente percepibili («Al librettista […] disse: ‹Amico, fa’ quel che ti pare, perché non ho più bisogno di te›»15). E ci riesce facendo leva proprio sulle strutture musicali: strutture apparentemente astratte (altezze, durate, ritmi, timbri), eppure capaci in particolari situazioni di esprimere esse stesse significati16. La donna del lago: Scozia, secolo XVI. Elena (soprano) ama Malcolm (contralto), il giovane col quale ha trascorso in riva al lago gli anni dell’adolescenza, ma che ora è partigiano del clan nemico; il padre di Elena (basso) vorrebbe però che la figlia s’unisse con Rodrigo (tenore), uomo del proprio clan: ci sono già tutti gli elementi per dar vita al dramma. La pièce prevede nondimeno un ulteriore personaggio che viene a contrastare lo schema classico ‹a tre›: nientemeno che re Giacomo, presentatosi ad Elena in incognito, sotto il nome di Uberto. 13 Cf. ibid., p. 90sq. («Madame B***, à Venise, redoutant encore l’effet désagréable du libretto, ne l’admettait pas dans sa loge, même à la première représentation. On lui faisait un sommaire de l’action en quarante lignes; et ensuite, par nos 1, 2, 3, 4, etc., on lui donnait en quatre ou cinq mots le sujet de chaque air, duetto ou morceau d’ensemble; par exemple, jalousie de ser Taddeo, amour passionné de Lindor, coquetterie d’Isabelle à l’égard du bey; et ce petit extrait était suivi du premier vers de l’air ou du duetto. Je vis que tout le monde trouvait cette idée fort commode. C’est ainsi qu’on devrait imprimer des libretti pour les amateurs» [cap. 3: L’italiana in Algeri]). 14 Testimonianza raccolta in Antonio Zanolini, Una passeggiata in compagnia di Rossini, in: L’ape italiana rediviva. Annali di scienze, lettere ed arti 1 (1836), pp. 14–​18: 14. 15 Wagner, Oper und Drama, p.  65 («Dem Operntextdichter, der zuvor unter den eigensinnig befangenen Anordnungen des dramatischen Komponisten Blut geschwitzt hatte, sagte er: ‹Freund, mach, was du Lust hast, denn dich brauche ich gar nicht mehr›»). 16 Le considerazioni che seguono sono maturate 30 anni fa, nei tanti dialoghi cresciuti in seno al Corso di Filologia musicale applicata, tenuto da Alberto Zedda all’Accademia d’arte lirica e corale di Osimo (cf. Marco Beghelli, ‹Angewandte Musikphilologie› an der Akademie in Osimo. Eine wertvolle Eingebung von Alberto Zedda, in: La Gazzetta. Zeitschrift der Deutschen Rossini Gesellschaft 28 [2018], pp. 61–​ 70). Se ne ritrovano tracce nel volume dello stesso Zedda, Divagazioni rossiniane, Milano (Ricordi) 2012; trad. ted. Rossini-​Streifzüge, Mailand (Ricordi) 2014.

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Ebbene, se gli incontri vocali di Elena con Malcolm sono all’insegna della tenera amicizia, quello con Giacomo/​Uberto viene vissuto fra l’imbarazzo e l’affanno interiore: «Cielo! in qual estasi | Rapir mi sento», canta la donna conturbata al cospetto dell’affascinante sconosciuto, ripetendo parole e musica di un’appassionata cabaletta già intonata da lui:

Esempio 1:  Gioachino Rossini, La donna del lago, n. 2: «Coro e Duetto», batt. 295–​298.

«Con il canto», ha scritto Marco Emanuele, i personaggi «si costruiscono nella loro identità, innanzitutto un’identità sessuata. È il canto che li plasma, insieme alla voce orchestrale»17. La melodia vocale che plasma Elena e Uberto è ipereccitata; e l’accompagnamento orchestrale getta ulteriore benzina sul fuoco. L’ascoltatore percepirà così il senso di voluttà che, nella lettura di Rossini, l’eroina prova per la prima e forse unica volta in vita sua, emotivamente frastornata da quella situazione inattesa, preda di un’eccitazione erotica suscitata in lei da un uomo ignoto, un’eccitazione che mai aveva vissuto a contatto col fidanzatino di sempre (il brano che intreccerà poco dopo con lui sarà di fatto un ‹duettino›, vale a dire un affettuoso duetto limitato alla sezione lenta: Rossini impedisce così proditoriamente a Elena di provare anche insieme a Malcolm i palpiti dell’eccitazione cabalettistica, concedendole solo teneri sentimenti sublimati in una dolce melodia cantabile, intonata in coppia). Conformati all’insegnamento della nobildonna veneziana frequentata da Stendhal, in teatro ci accontentiamo anche noi di percepire i primi due versi di quella trascinante cabaletta, più che sufficienti a delineare la situazione

17 Marco Emanuele, Voci, corpi, desideri. La costruzione dell’identità nel melodramma, Alessandria (Edizioni dell’Orso) 2006, p. 3.

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drammatica. Ciò nondimeno, cosa dicono i versi successivi, quelli che i personaggi pure intonano ma che nessuno comprende? Prima canta lui: Uberto (Cielo! in qual’estasi Rapir mi sento D’inesprimibile Dolce contento!

(la nobildonna veneziana aveva ben ragione a dire che ci sono sempre parole di troppo in un libretto, e anche a leggerle tutte –​come accade oggi grazie ai testi proiettati sull’arco scenico dei teatri –​non se ne ricava molto di più). Poi risponde lei, sulla stessa musica: Elena (Cielo! in qual’estasi Rapir mi sento, Se il mio bell’idolo Talor rammento!

Ma come?! Benché di fronte a quella carica di erotismo ch’è Uberto, lei sta dunque pensando a un altro, a Malcolm («il mio bell’idolo»), all’amichetto d’infanzia con cui raccoglieva i fiori nel prato? È forse un’imperizia del librettista, distrattosi momentaneamente? Pare infatti davvero curioso che Elena sappia infiammarsi per il fidanzatino solo al cospetto d’un altro uomo, d’un vero uomo… O piuttosto dovremmo concludere che lei (un soprano) si sforza di confermare in cuor proprio piena fedeltà al compagno imberbe dei giochi adolescenziali (un contralto en travesti), mentre suo malgrado sta scoprendo il vero amore di fronte alla virilità dell’uomo maturo (un tenore di grande prestanza canora). Sembra insomma di assistere a una rappresentazione scenica del passaggio epocale dal casting settecentesco verso «una compagnia alla moderna»18, dove il tenore assumerà definitivamente il ruolo di amoroso che era stato del musico (castrato o donna che fosse)19. Nemmeno l’orecchio più attento arriverà comunque a carpire le parole di quel terzo e quarto verso di Elena, i versi cioè che la nobildonna veneziana riteneva inutili e che in questo caso contengono però la chiave di lettura dell’intera strofa. Senza di quelli, il significato dell’esclamazione di Elena cambia di segno:  l’«estasi» che la rapisce non le viene più da un ricordo

18 Lettera di Alessandro Lanari a Donizetti, Venezia, 25 febbraio 1837, in: Jeremy Commons, Una corrispondenza tra Alessandro Lanari e Donizetti, in: Studi donizettiani 3 (1978), pp. 9–​74: 42. 19 Cf. Marco Beghelli, Il ruolo del musico, in: Franco Carmelo Greco/​Renato Di Benedetto (edd.), Donizetti, Napoli, l’Europa, Napoli (Edizioni Scientifiche Italiane) 2000, pp. 321–​333.

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lontano (come vorrebbe il librettista), ma è prodotta dalla flagranza presente, dal hic et nunc (come ci dice il compositore); è un’eccitazione erotica suscitata dall’uomo in carne ed ossa che ha davanti, e non già da quello tutto ideale chiuso nella sua mente. La musica non sonorizza il casto pensiero rivolto a un amore lontano, bensì un orgasmo in diretta, scaturito sia in lui sia in lei, contemporaneamente:  è questo ciò che percepisce l’ascoltatore, di qualunque lingua e nazione, perché a parlare non sono le parole ma la musica. La posposizione ingannevole dell’elemento linguistico chiarificatore («se rammento il mio bell’idolo» rimandato al terzo e quarto verso) conosce altri casi importanti nel repertorio operistico, forieri di altrettanti equivoci di comunicazione, proprio perché di ogni passo musicale –​dice ancora Stendhal –​l’ascoltatore è abituato a prendere solo «il primo verso, che definisce la passione o la sfumatura del sentimento dipinto dalla musica»20: Alfredo De’ miei bollenti spiriti Il giovanile ardore Ella temprò col placido Sorriso dell’amore!

Per tutti, questa è l’aria dei bollenti spiriti, esternazione in musica di testosterone latino che alimenta il più virile ardore giovanile; tutti trascurano infatti il verbo «temprò», incaricato di darci la chiave di lettura opposta, ma taciuto fino al terzo verso: secondo il poeta, i bollenti spiriti di Alfredo sono dunque ormai svaporati, ammansiti dall’incontro con il vero amore, placido e sorridente. Una corretta interpretazione di quest’aria è dunque l’esecuzione estatica e sensualissima registrata il 1° maggio 1906 da Fernando De Lucia e Carlo Sabajno (un caposaldo della prassi esecutiva verdiana), piuttosto che quelle veementi ed esagitate di quasi tutti i moderni tenori e dei rispettivi direttori, infilatisi in una progressiva accelerazione sempre più affannosa (i bollenti spiriti! il giovanile ardore!!), fin sostituendo al pizzicato dei violini previsto in partitura un’esecuzione con l’arco, più maschia e soprattutto più agevole a quelle velocità esagerate.

20 Stendhal, Vie de Rossini, p. 90 («A Vicence, je vis qu’on le parcourait la première soirée, pour prendre une idée de l’action; à chaque morceau on lisait le premier vers qui nomme la passion ou la nuance de sentiment que la musique doit peindre. Jamais, durant les quarante représentations suivantes, il ne vint à l’idée de personne d’ouvrir ce petit volume couvert de papier d’or» [cap. 3: L’italiana in Algeri]).

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Intendiamoci, non è sempre colpa degli esecutori. A  volte sono gli stessi autori che giocano con i sentimenti dei personaggi, contraddicendo in musica le loro parole, per smascherarli: forse che Alfredo sta mentendo a sé stesso? non sarebbe il primo. Le menzogne psicologiche denunciate dai compositori sono tante, dalla finta quiete di Oreste nell’Iphigénie en Tauride di Gluck («Le calme rentre dans mon cœur»), alla finta serenità di Sara in Roberto Devereux di Donizetti («Io?.. no… Son lieta appieno.»), alla finta gioia di Leonora nella Forza del destino di Verdi («Gonfio di gioia ho il cor!..»), confutate dai rispettivi creatori musicali con la reiterazione del semitono dolente o di altre espressioni lamentose (di nuovo, strutture sonore che producono significati21). Nella cabaletta conclusiva di Anna Bolena Anna Coppia iniqua, l’estrema vendetta Non impreco in quest’ora tremenda:

l’equivoco fra una maledizione scagliata a tutta forza ovvero trattenuta con non minore fierezza e spirito di volontà nasce ancora una volta dalla posizione alquanto avanzata della parola chiave:  la negazione «non», che nella realizzazione musicale finisce in quinta battuta, quando cioè l’impronta emotiva dell’aria ha già penetrato tutto l’uditorio. Ben prima che il «non» venga finalmente pronunciato dal personaggio (ed anche percepito da ogni singolo spettatore?), la musica di Donizetti era infatti esplosa con un tipico accompagnamento ‹a polacca›, da cabaletta infuocata, e con quegli altrettanto tipici slanci vocali, su e giù per l’intera gamma, che interpretano al meglio il sentimento sotteso a parole fortissime quali «iniqua» ed «estrema vendetta»  –​ parole anch’esse tipiche di un retorica verbale stereotipata. Lo sciorinamento di un siffatto repertorio melodrammatico –​verbale e musicale insieme –​soffoca così il fugace avverbio negativo che pretenderebbe di annullarne la portata con un semplice monosillabo. Il risultato, per chi ascolta, è dunque opposto a quello previsto dal librettista. La discrasia fra parole e musica inganna fin gli addetti ai lavori: il trattato di canto di Manuel García jr., nel capitolo dedicato all’espressione canora dei sentimenti, indica proprio la cabaletta finale

21 Cf. Marco Beghelli, Le bugie di Oreste, in: Claudio Del Monte/​Vincenzo Raffaele Segreto (edd.), Christoph Willibald Gluck nel duecentesimo anniversario della morte, Parma (Grafiche Step Editrice) 1987 (Quaderni del Teatro Regio  19), pp. 435–​445, e Marco Beghelli, L’emblema melodrammatico del lamento: il semitono dolente, in: Fabrizio Della Seta et al. (edd.), Verdi 2001. Atti del convegno internazionale/​Proceedings of the International Conference (Parma/​New York/​New Haven, Comitato Nazionale per le Celebrazioni Verdiane, 24 gennaio–​1° febbraio 2001), Parma (Comitato Nazionale per le Celebrazioni Verdiane)/​Firenze (Olschki) 2003, pp. 241–​280.

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di Anna Bolena fra gli esempi di «Imprécation»22 (là dove il verbo imprecare era invece utilizzato dal librettista non nel significato di ‹inveire›, ma nell’accezione aulica di ‹pregare perché si avveri una cosa spiacevole›). La donna del lago: atto secondo. Una serie di timori impedisce a Elena di lasciarsi andare al nuovo sentimento per Uberto, pur rammaricandosene: Elena E il mio rigor contento   Renderti... oh Dio! non sa? Uberto Ah! basta al mio tormento   Destar la tua pietà.

Giunge non visto Rodrigo, che osserva quel quadretto idilliaco ‹friggendo› in silenzio (parole in parentesi, fra sé): Rodrigo (Misere mie pupille! Che più a mirar vi resta? Oh gelosia funesta! Oh ria fatalità!)

mentre Elena e Uberto si autocommiserano in altrettanti ‹a parte›: a2

(Qual pena in me già desta La mia fatalità.)

Il libretto suggerisce insomma al compositore un piccolo concertato a tre voci (ovvero due più una), in tempo sospeso, fatto di pensieri interiori; Rossini sta al gioco, ma dopo solo otto battute (mis. 227–​234) utilizza le stesse parole per far cantare tutt’altro (mis. 234–250):

Esempio 2:  Gioachino Rossini, La donna del lago, n. 9: «Terzetto», batt. 227–​250.

22 Manuel García jr., École de Garcia. Traité complet de l’art du chant. En deux parties: première partie, deuxième édition; seconde partie, première édition, 2 voll., vol. 2, Paris (Chez l’Auteur) 1847, p. 55.

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Esempio 2 (continuazione).

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Esempio 2 (fine).

Ciò che l’orecchio sente è un improvviso scoppio di accuse reciproche fra i due uomini, attacchi e contrattacchi ‹a tono› (la stessa musica passa da una bocca all’altra): girandole di note si rincorrono, montando come un’onda in crescita ed esplodendo al loro culmine in uno sfolgorante fuoco d’artificio ( f ), ridiscendendo poi per ricominciare; i rivali hanno sguainato le spade canore, affilate come Do acuti, e le affondano ripetutamente nel petto dell’avversario (mis. 236, 240, 244, 248). Quelle sciabolate vocali sono metafore di eroismo, la sonorizzazione del machismo –​o, con un icastico neologismo, del celodurismo (qualcuno ha paragonato la condotta vocale di simili scontri canori alle cornate fra rinoceronti per garantirsi la supremazia sul branco, il dominio sul territorio, l’esclusività della femmina). E tutto ciò a dispetto del libretto originario, che prevedrebbe invece la sospensione della comunicazione interpersonale fino a quando Rodrigo, «scoprendosi, e dirigendosi ad Uberto», lo affronterà chiedendogli perentoriamente «Parla… Chi sei?» La musica riscrive insomma il dramma, anticipando di due minuti le scintille prodotte dagli occhi rivali che s’incrociano: l’impasse emotiva lascia il posto anzitempo a un furioso duello canoro fra i contendenti, sotto gli occhi attoniti dell’agognata preda. I versi, già uditi linearmente, perdono ora ogni senso, ripetuti sotto una musica che dice tutt’altro: la tenera comprensione di Uberto nei confronti di Elena incapace di concedersi («Ah! basta al mio tormento | Destar la tua pietà») assume inopinatamente l’intonazione di uno scatto d’ira verso il rivale, e il rapporto dialettico fra le parole dette e quelle invece pensate («Qual pena in me già desta | La mia fatalità») decade miseramente sotto una musica identica per entrambe le espressioni. Verdi avrebbe chiesto al librettista di turno una quartina in più; Donizetti se la sarebbe scritta da solo; Rossini si è distratto? e i suoi interpreti non hanno trovato il tutto assurdo? («Ai cantanti […] disse: ‹Delle parole fate quel che vi pare, ma solo non dimenticate di farvi abilmente applaudire prima di tutto per le brillanti volate e le acrobazie melodiche›»23). Non ci 23 Wagner, Oper und Drama, p.  65 («Den Sängern, die zuvor auf dramatischen Ausdruck eines langweiligen und nichtssagenden Worttextes studieren mußten, sagte er: ‹Macht mit den Worten, was ihr Lust habt, vergeßt aber vor allem nur nicht, für lustige Läufe und melodische Entrechats euch tüchtig applaudieren zu lassen›»).

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meraviglieremmo se García avesse rubricato «Qual pena in me già desta» fra gli accessi d’ira… Quelle parole desemantizzate vengono travolte da strutture musicali che le annullano frantumandole in fonemi, testo che il canto fagocita come la mantide religiosa divora il maschio che l’ha fecondata: Il canto scavalca il testo, lo espelle, lo distrugge: la musica fa il dramma da sé sola. La vicenda trae tutta la sua virulenza dal ritmo [musicale], e non si può raccontarla, o spiegarla per mezzo di parole, mentre si capisce in un lampo attraverso l’esecuzione sonora.24

Cosa dunque percepisce di quel passo l’ascoltatore casalingo di dischi? Un coreo­ grafo, abituato a tradurre la musica in immagine, la leggerebbe senza meno come un folle scontro fra nemici. Un regista d’opera dovrà ascoltare le parole o il canto? (Rileggi Nietzsche!) Quello che udiamo non è più uno scontro fra personaggi ma fra tenori: tenori che storicamente hanno preso il nome dei divi rivali Andrea Nozzari e Giovanni David alla prima apparizione dell’opera, e che in tempi moderni sono stati Chris Merritt e Rockwell Blake, Gregory Kunde e Juan Diego Flórez, o quant’altre coppie di artisti avvicendatisi nei due ruoli. Una volta di più, l’opera all’italiana si dimostra essere un dramma di voci che s’incontrano e si scontrano impugnando le armi della retorica musicale, e canora nello specifico: «Le voci sono i veri ruoli; i personaggi sono soltanto dei costumi delle voci»25. Se due voci non s’intrecciano mai, per tutta l’opera, in un duetto d’amore intessuto musicalmente con tutti i crismi, il pubblico finirà per dubitare che i rispettivi personaggi si amino veramente, per quanto possano esserselo detto in versi. Tanto accade assistendo all’Otello rossiniano, dove il Moro e Desdemona non riescono a trovare un momento d’intimità per sciogliersi in una melodia comune, abbracciati vocalmente come due veri amanti: non si abbandonano mai a una di quelle caratteristiche frasi ‹a 2› affettuosamente cantabili, in cui le voci frizionano tra loro, si confondono una nell’altra, si accarezzano procedendo parallelamente per terze sovrapposte (la minor distanza fisicamente consentita ai due corpi canori dal linguaggio armonico-​tonale), attardandosi in metaforiche volute vocali operanti come petting sonoro, prolungato ed estenuante, anche per l’orecchio voyeuristico dello spettatore26. 24 Bruno Barilli, Il trovatore, in: Tempo illustrato (17 ottobre 1940), ora in: Luisa Viola/​Luisa Avellini (edd.), Il paese del melodramma, Torino (Einaudi) 1985, p. 92. Evidentemente, le espressioni suggerite all’autore dall’opera di Verdi valgono altrettanto per questo passo rossiniano. 25 Harold S. Powers, Il «Do del baritono» nel «gioco delle parti» verdiano, in: Gianfranco Folena et al. (edd.), Opera & libretto, vol. 2, Firenze (Olschki) 1993, pp. 267–​281: 276. 26 Cf. Marco Beghelli, Duettar d’amore, in: Alberto Caprioli (ed.), Poesia romantica in musica, Bologna (Bononia University Press) 2005, pp. 117–​132.

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Al contrario, nessuno dubiterà dell’odio che contrappone Otello a Rodrigo, proprio perché espresso a chiare note (più ancora che a chiare lettere o a chiare immagini), in un fulminante duello vocale fra tenori anch’esso («Ah vieni, nel tuo sangue | Vendicherò le offese»), e anch’esso condotto a suon di Do acuti coi quali i rivali in amore si affrontano alla pari, trattenuti a fatica dall’amata comune Desdemona. Difficile prevedere chi vincerà poi lo scontro in arme, laddove l’esito è invece subito fatto chiaro nell’analoga scena di Armida: ripetendo in controffensiva la frase di Rinaldo, il paladino Gernando non svetterà fino al Do come il rivale; la sua stoccata di risposta risuona ‹appena› La… Col solo lessico musicale, Rossini ci anticipa metaforicamente che chi ha la ‹spada› più corta soccomberà di certo nello scontro27. Duelli di voci, amplessi di voci… Nell’opera italiana non è importante ciò si dice con le parole, ma ciò che si fa con il canto. La musica arriva all’ascoltatore, la parola non sempre: «conta ciò che si vede ed è, nella sua visione, sonorizzato, non ciò ch’è pronunziato e decantato» a parole28. La voce canora risulta insomma carica di un potere performativo paragonabile al gesto visivo nella danza, dove la parola è peraltro del tutto assente; e lo scarso valore semantico attribuito alla parola nell’opera è stato da sempre rimarcato con esecuzioni in lingue estranee all’uditorio di riferimento, senza che ciò abbia mai impedito un’adeguata recezione del testo operistico nella sua peculiare essenza sonora e drammaturgica, di una drammaturgia peculiarmente musicale e specificatamente vocale. Il moto d’ira come l’effusione amorosa, il pianto come il riso, il giuramento come la maledizione arrivano al pubblico solo se divengono un gesto canoro, se cioè –​al di là delle parole proferite –​piegano la voce e la sua linea melodica alle inflessioni necessarie per ‹fare› in musica quell’azione, quell’affetto. Tutto ciò fu ben chiaro anche a Rossini, che ci giocò da par suo, nonostante la pretesa astrattezza ideale della musica che egli propugnava. Nella prima recensione nota di una sua opera, quella bolognese all’Equivoco stravagante (1811), il giornalista sosteneva che in tale bizzarra partitura alcune parole «cantando producono un’impressione da non tollerare, sebbene la si tolleri leggendo»29: è la conferma che, sin da giovane, Rossini sapeva intervenire con la musica sulla portata semantica delle parole, attribuendo loro anche significati imprevedibili (nella fattispecie, contenuti equivocamente 27 Cf. Saverio Lamacchia, L’acrobatica scrittura vocale di Rossini: oltre i limiti abituali dei cantanti?, in: Bollettino del Centro Rossiniano di Studi 45 (2005), pp. 27–​ 48: 41. 28 Lorenzo Bianconi, Introduzione, in: id. (ed.), La drammaturgia musicale, Bologna (Il Mulino) 1986, pp. 7–​51: 34. 29 Francesco Tognetti, «L’equivoco stravagante», poesia del Sig. Gaetano Gasbarri. Musica del Sig. Maestro Gioachino Rossini, in: Redattore del Reno. Parte Letteraria e di Amena Lezione 43/​29 (ottobre 1811), p. 169.

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stravaganti e goliardici)30. In vecchiaia si divertirà a musicare decine di volte una medesima quartina metastasiana (per canto e pianoforte): Mi lagnerò tacendo Della mia sorte amara; Ma ch’io non t’ami, o cara, Non lo sperar da me!

Talora la sua musica coopera al senso delle parole, talvolta lo amplifica facendoci toccare con mano la disperazione dell’uomo abbandonato dalla sua amata, talaltra si pone in posizione di neutrale distacco emotivo, oppure assume toni ridanciani del tutto inappropriati al testo verbale, attivando così uno sperimentalissimo ‹esercizio di stile› musicale con un secolo di anticipo su Queneau31. In tutti i casi la musica esprime un proprio ‹senso›, al di là del ‹senso› espresso dalle parole. Il testo diviene così un pretesto per lavorare sulle strutture musicali: repertori stilistici (topoi) che, consolidandosi, diventano familiari e riconoscibili (luoghi comuni), fino a collegarsi per convenzione a significati esterni alla musica (simboli sonori). Tutti distinguiamo per il diverso stile una melodia aristocratica settecentesca da una melodia popolare novecentesca. Tutti intuiamo l’andamento marziale di una fanfara o quello intimistico di un prelu­ dio religioso, a cui sono anche collegati per convenzione timbri specifici (le trombe da un lato, l’organo dall’altro), tempi specifici (scattanti o trattenuti), giri melodici specifici (ora esuberanti, ora posati), ecc. Sono ‹modelli culturali› antichi ma ancora presenti nella società moderna –​e riconosciuti come tali –​quale retaggio lasciatoci dalla vecchia Europa32, ‹prototipi sonori› carichi di un senso comune emergente33, percepito dai più inconsapevolmente (o, meglio, preconsciamente) durante l’ascolto: Each musical topos has associations both natural and historical, which can be expressed in words, and which were tacitly shared by the eighteenth-​ century audience. Because of their connections with certain universal habits of human

30 Come ciò avvenisse, lo si può leggere in Marco Beghelli (ed.), L’equivoco stravagante, Pesaro (Fondazione Rossini) 2014 (I libretti di Rossini 20), p. XXIXsqq. 31 Il riferimento è ovviamente a Raymond Queneau, Exercices de style, Paris (Gallimard) 1947, 21963, 31973. 32 Cf. Ruth F. Benedict, Patterns of Culture, Boston/​MA (Houghton Mifflin) 1934; trad. it. Modelli di cultura, Milano (Feltrinelli) 1962. 33 Cf. fra gli altri Eleanor Rosch, Prototype Classification and Logical Classification: The Two Systems, in: Ellin Kofsky Scholnick (ed.), New Trends in Conceptual Representation: Challenges to Piaget’s Theory?, Hillsdale (Erlbaum) 1983, pp. 73–​ 86, e più in generale Georges Kleiber, La sémantique du prototype: catégories et sens lexical, Paris (Presses Universitaires de France) 1990.

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Marco Beghelli

behavior, these topoi are also largely in the possession of the opera-​going audience today, although modern listeners may not be aware of the source of their particular perceptions.34

A contatto con le parole, tali topoi musicali instaurano rapporti di ‹concorrenza›, nel duplice significato del termine: concorrono solidali al medesimo obiettivo semantico del testo verbale, oppure se ne allontanano, assumendo posizioni di neutralità o, al capo opposto, di concorrenziale rivalità, in atteggiamento antifrastico, contrario cioè al progetto semantico dell’altro medium, producendo fin casi di vera e propria ‹ironia›35. Un’ironia che può assumere anche i toni della tragedia. La donna del lago: epilogo. Coerentemente, Rossini sosterrà la sua controlettura psicologica fino in fondo: il libretto dell’opera giunge al termine nel modo più tradizionale, facendo morire Rodrigo, riappacificando gli animi dei clan opposti e conducendo Elena e Malcolm alle sospirate nozze con la benedizione del padre e di re Giacomo, ora disposto a farsi magnanimamente da parte; ma Rossini non ci sta, e gioca un’ultima carta musicale, inattesa. Sopraffatta da tante emozioni, Elena prorompe infatti in un rondò che a parole dice essere di gioia, ma che suona in musica quasi di pazzia: «Ah! chi sperar potea | Tanta felicità!» ripete lei senza sosta in un vortice di note; ma ogni volta stenta a pronunciare l’ultima parola, che giunge quasi in sordina all’orecchio dell’ascoltatore («tanta… felicità»), mentre il coro, per un cinico gioco di rime («Cessi di stella rea | La fiera avversità!») le fa eco commentando insistentemente «avversità! avversità!»:

34 «Ogni topos musicale porta in sé associazioni sia naturali sia storicizzate, che possono venire espresse a parole e che erano tacitamente condivise dal pubblico del secolo XVIII. A causa delle loro relazioni con certe abitudini universali del comportamento umano, questi topoi sono ampiamente in possesso anche agli spettatori teatrali d’oggidì, sebbene gli ascoltatori moderni possano non essere consapevoli della fonte delle loro percezioni individuali.» Wye Jamison Allanbrook, Rhythmic Gesture in Mozart: «Le nozze di Figaro» & «Don Giovanni», Chicago/​London (The University of Chicago Press) 1983, p. 2sq. 35 Intesa nel senso classico, come assunzione del linguaggio opposto a quello richiesto dalla situazione; cf. Heinrich Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik: eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philologie, München (Max Hueber Verlag) 1949, zweite wesentlich erweiterte Auflage, München (Max Hueber Verlag) 1963, p. 80, § 232; trad. it. Elementi di retorica, Bologna (Il Mulino) 1969, p. 128sq.; «Die ironia […] ist die Benutzung des parteiischen Vokabulars der Gegenpartei im festen Vertrauen darauf, daß das Publikum die Unglaubwürdigkeit dieses Vokabulars erkennt, wodurch dann die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei um so mehr sichergestellt wird».

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Esempio 3:  Gioachino Rossini, La donna del lago, n. 13: «Rondò Elena», batt. 150–​154.

È dunque «felicità» o «avversità», per Elena, ricongiungersi definitivamente a Malcolm invece di trascorrere il resto della vita con quell’Uberto che tanto l’ha turbata, rivelatosi ora essere addirittura il suo re? Lei potrà ben pronunciare ripetutamente «felicità», ma se tale parola fatica a uscirle di bocca, causa una pausa musicale proditoriamente inserita da Rossini, lo spettatore potrebbe non crederle, e il sottofondo corale che insiste su «avversità» finisce allora per funzionare come il lamento reiterato in orchestra che, nei vari altri casi sopra esposti, contraddice le parole falsamente serene del personaggio. Contro ogni indicazione del libretto, la musica inscena dunque la silenziosa tragedia della donna strappata al suo lago virginale, una tragedia che si consuma ‹ironicamente›, stagliandosi sul lieto fine generale: fra il giovanotto cui la lega un’amicizia d’infanzia protratta nel tempo e il maturo re di Scozia entrato d’improvviso nella sua vita facendola fremere quant’altri mai, Elena non avrebbe ora più dubbi; ma è troppo tardi… Il delirio, evidenziato da un anomalo comportamento vocale al di là delle parole espresse, è ormai l’unico asilo in cui rifugiarsi.

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Marco Beghelli

Palinodia Οὐκ ἔστʹ ἔτυμος λόγος οὗτος (Στησίχορος, Παλινῳδία)

Fra le tante realizzazioni sceniche della Donna del lago, divenuta ormai titolo di repertorio, la produzione di Damiano Michieletto presentata al Rossini Opera Festival di Pesaro nel 2016 ha sposato proprio questa lettura, fino in fondo, visualizzandola nei dettagli. La sfuggevolezza semantica della musica si presta dunque a continue riletture, talvolta sfocianti in vere e proprie forzature drammaturgiche: gli stessi segni musicali possono essere letti anche in senso opposto, con l’ausilio di pochi gesti, sguardi e movimenti che il regista è in grado di produrre con facilità. Il tema con variazioni di Angelina con cui si conclude La Cenerentola è allora leggibile sia come finale lieto di una situazione dolorosa, la liberazione da un incubo (così ha funzionato per due secoli di vita dell’opera), sia come tragico turbamento psicologico causato dallo shock di un’improvvisa ascesa sociale (così ad alcuni piace rappresentarlo oggi). Analogamente, la fatica nel pronunciare la parola «felicità» può davvero denotare in Elena una gioia che toglie il fiato, molto realisticamente, senza che nessuno si senta in obbligo di stravolgere il finale dell’opera, da lieto a tragico. E il terzetto di voci che prende corpo attorno alle parole «Misere mie pupille» può trovare una sua piena giustificazione anche con le parentesi del ‹fra sé› predisposte dal librettista: pur agitati da passioni opposte, i personaggi dell’opera possono ben assumere le stesse melodie, perché esprimenti con egual forza lo scompiglio sentimentale dei singoli interlocutori, accomunati da un tragico destino collettivo sotto una superficie che apparentemente li contrappone. La ripetizione insistita delle parole, che costituisce una caratteristica precipua dell’opera italiana d’inizio Ottocento, può anche essere letta non come un discredito gettato sul testo verbale, bensì quale artificio retorico per valorizzarlo, contribuendo di ripetizione in ripetizione a renderlo più comprensibile e a intensificarne la portata, con l’ulteriore aiuto offerto ieri dalla lettura del libretto cartaceo in sale teatrali semi illuminate, oggi dalla sua proiezione digitalizzata sull’arco scenico. Ed anche l’Otello e la Desdemona di Rossini non sembreranno allora più sentimentalmente così estranei fra loro come la fiducia eccessiva riposta sulla sola musica potrebbe arrivare a farci credere. Forse che Isabella e Lindoro non si amano perché Rossini ha loro negato un duetto d’amore nell’Italiana in Algeri? Al contrario, proprio la mancanza

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di comunicazione diretta giustifica drammaturgicamente, nei confronti del pubblico, l’insorgere di equivoci, malintesi, sospetti di tradimento, in Otello come in Isabella. Rossini insensibile alla parola, dunque? O Rossini ricreatore della parola?

Michele Girardi

«Et vive la musique qui nous tombe du ciel». Spazio scenico e drammaturgia nell­’opera dell’Ottocento1 I. «Tuba mirum spargens sonum»: Mahler, Verdi Hörner in möglichst großer Anzahl geblasen in weiter Entfernung aufgestellt

Langsam

Lange

Lange (Echo)

3

(etwas schwächer) (wieder stärker)

(verklingend)

Ob.

Langsam

3

3

3

3

3

3

3

3

3

3

3

3

Esempio 1:  Gustav Mahler: dal cielo.

1 Questo contributo riprende, aggiornandolo nel testo, nelle conclusioni, e aggiungendo l’ultima parte dedicata a Jenůfa, il mio saggio «Et vive la musique qui nous tombe du ciel!». L’espace sensible sur la scène du XIXe siècle, in: Héloïse Demoz/​ Giordano Ferrari/​Alejandro Reyna (edd.), L’espace «sensible» de la dramatur­ gie musicale, Paris (Harmattan) 2018, pp. 37–​58 (ringrazio i curatori e la casa editrice per aver concesso il permesso per questa versione riveduta e ampliata). Dedico queste pagine a Jürgen Maehder, pioniere degli studi su questa tematica, e autore di un saggio al quale sono, e non solo io, debitore da sempre: «Banda sul palco» – Variable Besetzungen in der Bühnenmusik der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts als Relikte alter Besetzungstraditionen?, in: Dietrich Berke/​ Dorothée Hanemann (edd.), Alte Musik als ästhetische Gegenwart. Kongreß­ bericht Stuttgart 1985, Kassel (Bärenreiter) 1987, vol. 2, pp. 293–​310; segnalo ulteriori contributi specifici, in un panorama bibliografico ancora piuttosto magro e un po’ invecchiato: Rey M. Longyear, The «banda sul palco»: Wind Bands in Nineteenth-​Century Opera, in: Journal of Band Research 13 (1978), pp. 25–​40; Carl Dahlhaus, La musica di scena come spezzone di realtà e come citazione, in: id., Drammaturgia dell’opera italiana, in: Lorenzo Bianconi/​Giorgio Pestelli (edd.), Storia dell’opera italiana, vol. 6: Teorie e tecniche. Immagini e fantasmi, Torino (EDT/​Musica) 1988, pp. 79–​162: 113–​116; Luca Zoppelli, Stage Music in Early Nineteenth-​Century Italian Opera, in: Cambridge Opera Journal 2/​1 (1990), pp. 29–​39; Michele Girardi, Per un inventario della musica in scena nel teatro verdiano, in: Studi verdiani 6, Parma 1990, pp. 99–​145; per inquadrare il problema nell’ambito della narratologia resta indispensabile Luca Zoppelli, L’o­ pera come racconto. Modi narrativi nel teatro musicale europeo dell’Ottocento, Venezia (Marsilio) 1994.

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Michele Girardi

La musique tombe du ciel2, dunque, e non soccorre solo la gitana che sta danzando per Don José, nell’atto secondo di Carmen, oppure condanna i crimini degli inquisitori di fronte al popolo spagnolo che ode la voce dal Cielo, nel finale dell’atto terzo del Don Carlos, augurare la pace per le anime dei martiri condannati al rogo dal Sant’Uffizio. E la musique tombe du ciel non soltanto nel teatro musicale dell’Ottocento, ma ovunque un’idea drammatica o narrativa sostenga la musica. L’idea di uno spazio acusticamente ‹sensibile› ben oltre il dominio ricettivo tradizionale del pubblico non mette radici solamente sulla scena, e trova soluzioni clamorose, ad esempio, nel Tuba mirum della Grande messe des morts di Hector Berlioz (1837), con i quattro gruppi di strumenti a fiato collocati nei punti cardinali3. Memore del compositore francese, Verdi, a sua volta, ha creato un effetto spaziale celeberrimo nel Tuba mirum della sua Messa da requiem (n. 2, Dies irae), collocando quattro trombe al di fuori dello spazio visivo, che fanno eco alle trombe in orchestra: 4 Tr. in orchestra I

a due

Due trombe in lontananza e invisibili

a due

a due

Altre due trombe in altra parte in lontananza e invisibili

//

sola

Esempio 2:  Verdi: il giudizio universale4.

2 Cf. Gustav Mahler, Sinfonia n. 2, Wien (Universal Edition) 1972, V, p. 140. 3 Cf. Hector Berlioz, Grande messe des morts, partitura, London et al. (Eulenburg) 1969, II, p. 19. Negli esempi musicali che trascrivo le altezze sono espresse in suoni reali. 4 Giuseppe Verdi, Messa da requiem, study score from the critical edition, ed. David Rosen, Chicago/​London (The University of Chicago Press)/​Milano (Ricordi) © 2016, p. 38.

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«Et vive la musique qui nous tombe du ciel»

Mahler, che conosceva bene la Messa da requiem di Verdi, ha scritto anch’egli un Tuba mirum evocando la natura nel giorno del giudizio, e descrisse questo passo in un programma del 1901: Der «Große Appell» ertönt, die Trompeten der Apokalypse rufen: –​mitten in der grauenvollen Stille glauben wir eine ferne, ferne Nachtigall zu vernehmen, wie einen letzten zitternden Nachhall des Erdenlebens! Leise erklingt ein Chor der Heiligen und Himmlischen: «Auferstehn, ja auferstehn wirst du!»5

1 Trb.

In weiter Entfernung

Schnell Näher Sehr Langsam Sehr Entfernt

3

3

Cor. Tp.

Im Orchester

3

Ott.

Langsam

Nicht schleppen

Fl.

3

(wie eine Vogelstimme)

Leicht und duftig gespielt

3

Leicht und duftig gespielt

Esempio 3:  La natura addolcisce un ‹Tuba mirum›6.

Gli ottoni e timpani collocati da Mahler in un luogo lontanissimo che interagiscono con flauto, ottavino e percussioni dell’orchestra sul palco, alludono a un mondo che trascende l’azione visibile, e deriva dalla conquista di quello spazio ‹sensibile›, in particolare nel teatro musicale, che trova soprattutto in Francia, fin dall’era napoleonica, un terreno molto fertile. Spazio che viene identificato in primo luogo dalle abitudini dell’ascoltatore: a cominciare dalla Dafne di Marco da Gagliano (1608) l’orchestra venne collocata davanti al palcoscenico, e da quel momento lo sviluppo drammatico di un’opera risultò il prodotto di una visibile interazione fra strumenti e cantanti in palcoscenico. Per recepire un luogo differente è dunque necessaria un’ulteriore fonte sonora rispetto all’orchestra in buca, nascosta, o visibile (e in tal caso frammento di ‹realtà›), ma che simboleggi comunque uno spazio diverso da quello del palcoscenico. Come nell’esempio del Trovatore che avanza Michel Leiris, dove Leonora stessa, sola in scena, identifica il coro interno quale presagio di morte («Quel suon, quelle preci solenni, funeste, | Riempion quest’aere di

5 6

Richard Specht, Gustav Mahler, Berlin/​Leipzig (Schuster & Loeffler) 1922, p. 214. Mahler, Sinfonia n. 2, V, p. 185.

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Michele Girardi

cupo terror!…», IV/​1)7. Questa condizione permette inoltre lo svolgimento sincronico di due eventi sempre in relazione reciproca, in cui spesso quello fuori scena contribuisce a rafforzare la presa drammatica dell’azione principale, come la corrida che si svolge dietro gli spalti del circo nell’atto quarto di Carmen, che irrompe più volte nell’azione principale eccitando Don José e dandogli una motivazione ulteriore per uccidere. Più spesso lo spazio identificato da una fonte sonora diviene causa di ulteriori sviluppi altrimenti imprevedibili, causando le reazioni degli interpreti, o anche comporta un’identificazione fra il punto di vista del personaggio e del destinatario. Pubblico in sala e cantanti in scena percepiscono infatti un evento esterno in tempo reale su cui converge temporaneamente l’asse della narrazione, che può essere visibile ai personaggi: prima che entri in palcoscenico, nella parte quarta di Nabucco, la platea non vede il corteo che sfila in tempo di marcia funebre accompagnando Fenena al supplizio, ma il protagonista, affacciandosi alla finestra, sì, e per questo ritroverà la ragione precedentemente smarrita. Si produce un effetto analogo anche se si fa musica di scena, ad esempio quando Alfredo intona il suo brindisi nell’atto primo della Traviata («Libiam ne’ lieti calici»), ma l’effetto ha una portata simbolica ridotta.

II. Fanfare: Rossini, Wagner, Verdi Intendo tracciare una breve panoramica e discutere alcuni casi specifici che riguardano la creazione di spazi sensibili nell’opera dell’Ottocento dove le esigenze dello spettacolo si fanno a mano a mano sempre più impegnative e impongono un rapporto fra musica e scena in continuo assestamento, per chiudere a cavaliere fra Otto e Novecento, lì dove si aprono spazi nuovi per gli artisti, anche in relazione alle mutate condizioni della mise en scène. Partirei da Parigi, cioè dalla capitale dello spettacolo ottocentesca, e da un caso emblematico. Si tratta di teatro francese, anche se l’autore è l’italianissimo Gioachino Rossini e l’ipotesto è del tedesco Schiller. L’impianto spettacolare di Guillaume Tell segue infatti le consuetudini parigine, nelle quali ha larga parte l’impiego di musica dans les coulisses (e sur le théâtre o sur la scène) proprio per contestualizzare uno spazio ulteriore rispetto a quello visibile. Rossini e i suoi librettisti potenziarono il modello, aggiungendo nuovo senso alla drammaturgia. Nella trama la componente ‹politica› riveste un peso maggiore rispetto a quella amorosa, e anche la felicità nel mondo degli affetti è subordinata al raggiungimento della libertà da parte di un popolo oppresso. Tutta l’opera converge verso questo obiettivo, che viene raggiunto 7

Il trovatore, dramma in quattro parti, poesia di Salvadore Cammarano, musica di Giuseppe Verdi, Milano (Ricordi) 1853; cf. Michel Leiris, L’Opéra, musique en action, in: L’Arc 27 (1965), pp. 279–​285.

«Et vive la musique qui nous tombe du ciel»

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clamorosamente nel finale e celebrato da uno dei cori più famosi ed emozionanti di ogni tempo, in cui il sereno dopo la tempesta simboleggia l’affrancamento dalla tirannide. Ma uno spazio sensibile, destinato a manifestarsi più volte nel corso dell’azione, si fa largo sin dall’atto primo (scena quarta), dopo che il vecchio Melcthal ha benedetto le nozze di tre nuove coppie. Rimasto solo, turbato, suo figlio Arnold riflette sul suo amore funesto per la principessa Mathilde d’Asburgo, quando viene interrotto da una fanfara di quattro corni: Allegro Cors I et II (Mi )

Cors III et IV (Mi )

Ces 4 Cors sont sur le théâtre

8

Arnold Mais quel bruit?

Mais quel bruit?

Esempio 4:  I corni del Tiranno8.

Si tratta di un segnale, che fa supporre uno spazio al di là del palcoscenico. Potrebbe provenire da una partita di caccia qualsiasi, ma il tenore lo identifica senza ambiguità, come farà poi anche Guillaume nel duetto successivo (I/​4)9: Mais quel bruit? des tyrans qu’a vomis l’Allemagne Le cor sonne sur la montagne. Gesler est là; Mathilde l’accompagne; Il faut encor la voir, entendre encor sa voix; Soyons heureux et coupable à la fois!10

Quello spazio sonoro ha una funzione drammatica precisa, dunque: ricorda al giovane svizzero che la sua terra è in ostaggio nelle mani di un tiranno, e che lui stesso ama una nemica, alla quale potrebbe sacrificare l’ideale di una patria e di un popolo liberi dal giogo. Non solo, ma lo scorcio libera ulteriore senso drammatico, perché si scontra frontalmente con un’altra musica per i quattro corni fuori scena udita nella prima scena dell’opera, un brano 8 Gioachino Rossini, Guillaume Tell, partitura, Paris (Troupenas) 1829, p. 118. 9 Rossini riprende il medesimo passaggio dell’esempio 4 nel duetto n. 2, e il suono viene con maggior forza associato al tiranno («Guillaume: C’est Gesler», cf. Guillaume Tell, partitura, pp. 142–​143). 10 Guillaume Tell, opéra en quatre actes, paroles des MM. de Jouy, Hippolyte Bis, musique de M. Rossini, Paris (Imprimérie de Dubuisson & C.) 51829.

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Michele Girardi

ben più complesso ed elaborato, e denso di riferimenti. Gli ottoni, in eco, intonano il Ranz des vaches, una melodia che «faisoit fondre en larmes», come scrisse Rousseau nel suo Dictionnaire, «déserter ou mourir ceux qui l’entendoient, tant qu’il excitoit en eux l’ardent desir de revoir leur pays»11: Andantino Ces 4 Cors sont sur la scène

Allegretto

Cr IV Cr IV

3

Cr I

Cr III

Cr III 3

3

3

3

Cr II

3

3

3 3

3

3

3

3

3

3

3

3

3

3

3

Cr III

3

Cr IV

3

Cr II Cr I 3

3

3

3

3

3

Esempio 5:  Ranz des vaches12.

Anche questo spazio sensibile, luogo dell’ideale, viene identificato dal coro degli svizzeri che si accingono a festeggiare, dopo aver udito il Ranz des vaches (I/​1): On entend des montagnes Le signal du repos; La fête des campagnes Abrège nos travaux.

Un suono bivalente, quello dei corni del Tell: da una parte il tiranno, che di qui in poi gli strumenti seguiranno fino alla fine, dall’altra la meta di una pace serena, senza conflitti, nelle campagne. L’esempio del Guillaume Tell fu a sua volta contagioso: ben due capolavori di Wagner e Verdi sfruttano lo spazio acustico esterno, in questi casi per ambientarvi battute di caccia che esercitano un forte impatto sulla vicenda principale. Al principio dell’atto secondo di Tristan und Isolde, Wagner inscena una fanfara di sei corni che gestisce con un virtuosismo impressionante (si veda il pedale inferiore dei timpani nell’esempio 6), creando

11 Jean-​Jacques Rousseau, Dictionnaire de musique, Paris (chez la Veuve Duchesne) 1768, p. 317; il riferimento trova riscontro nella seconda quartina del coro: «Cette fête champêtre, | Qu’ignore l’œil du maître, | Nous fera reconnaître | Le doux pays natal». 12 Guillaume Tell, partitura, p. 72.

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«Et vive la musique qui nous tombe du ciel»

un effetto di allontanamento mediante una dissolvenza sonora. L’ansia di Brangäne si contrappone alla smania di Isolde che, a sua volta, ascolterà il cinguettio dei clarinetti, con violini e viole mentre la voce dei corni si affievolisce: (gedämpft) Cr. I

Cr. II-III

Tp.

Cr. IV pizz.

Cb. Cr. I-III

3

(immer entfernter)

3

(Auf dem Theater)

Cr. VI

(immer entfernter)

Brangäne

(Sie lauscht)

du wähnst.

Ich



re der Hör

ner

// Cr. I-III

Tp.

Tp.

Cr. IV Cr. I e IV

Cr. I 3

3

3

3

3

3

(sehr fern) Brangäne

3

3

3

Cr. IV

3

3

3

Cl.

3

(Isolde lauscht) 6

6

6

6

Schall

Esempio 6:  La caccia s’allontana13. 13 Richard Wagner, Tristan und Isolde, partitura, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1860, pp. 138–​140: 139; «Brangäne: Dich täuscht des Wunsches | Ungestüm, | Zu vernehmen, was du wähnst. (Sie lauscht). | Ich höre der Hörner Schall. Isolde: (wie­ der lauschend) Nicht Hörnerschall | Tönt so hold; | Des Quelles sanft | Rieselnde Welle | Rauscht so wonnig daher. | Wie hört’ ich sie, | Tosten noch Hörner?» In: Richard Wagners Gesammelte Schriften und Briefe, ed. Julius Kapp, vol. 4, Leipzig (Hesse & Becker) [1914], p. 37.

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Insieme ai corni si distanzia anche Re Marke, e così potrà aver luogo l’appuntamento con Tristan, a cui anela la protagonista con tutte le sue forze. Ne nascerà non solo il clou dell’intera opera, ma l’idillio più famoso del teatro musicale ottocentesco, e tra i più importanti di ogni tempo. Le sonorità di una caccia che aprono il Don Carlos (nella versione in cinque atti), anch’essa mimata acusticamente da sei corni, sono l’ambiente naturale in cui si svolge invece un idillio mancato, fra il protagonista e Éli­ sabeth de Valois smarritasi nella foresta di Fontainebleau14. Le «fanfares dans les coulisses» sono collocate in stereofonia per metà a sinistra e per l’altra metà a destra: mettono a fuoco i movimenti di due cori di cacciatori al di fuori del palcoscenico, i quali emergono in opposizione antifonale con l’orchestra che, marziale, mima il passaggio di Élisabeth col suo seguito, intenta a dispensare monete ai poveri nel bosco. Anche qui il suono diminuisce fino a perdersi, lasciando spazio al canto solitario e amoroso del principe infelice. Immerso nelle sue incertezze, egli perde il contatto con la realtà garantitogli dalla traccia sonora dei cacciatori, che riascolta per l’ultima volta prima di trovarsi di fronte alla principessa, perdutasi anch’essa nella foresta: i due celebrano per qualche istante uno straziante sogno d’amore, per poi ritrarsi nel dolore sempiterno quando Élisabeth viene proclamata moglie di Philippe II e regina. Anche in questo frangente la funzione dello spazio acustico è decisiva per lo svolgimento del dramma, visto che ne racchiude le indispensabili premesse, e sarebbe stata ancor più forte se nella prova generale a Parigi non fosse stato eliminato il dialogo fra Élisabeth e le donne del coro di boscaioli che, all’apertura del sipario, s’intrecciava alla fanfara e al coro di cacciatori15. Per la salvezza del suo popolo affamato dall’inverno e stremato dalla guerra, che invoca la pace per sopravvivere, la principessa accetterà poco dopo la mano di Philippe.

III. Eventi simbolici: Halévy, Wagner, Verdi Nei casi appena esaminati, il codice operistico impone le sue norme con autorevolezza, per la natura emblematica dei suoni impiegati, e in generale  –​dal tam-​tam per l’elemento soprannaturale, come nella scena delle apparizioni del Macbeth e nel finale del Don Carlos, all’arpa per serenate e preghiere, al corno come strumento da caccia ecc. Ma il suono degli strumenti esercita sempre una funzione simbolica, che talvolta offre associazioni

4 Cf. Giuseppe Verdi, Don Carlo, partitura, Milano (Ricordi) [1886], pp. 1–​9, 15. 1 15 Cf. Ursula Günther, La genèse de «Don Carlos», opéra en cinq actes de Giuseppe Verdi, représenté pour la première fois à Paris le 11 mars 1867, in: Revue de musicologie 58/​1 (1972), pp. 16–​64; 60/​1–​2 (1974), pp. 87–​158. Si attende ancora un’edizione critica del Don Carlos, sempre più urgente.

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semantiche inedite. La scena iniziale della Juive (1835), capolavoro di Fromental Halévy, spalanca un orizzonte fosco sul fanatismo religioso grazie a uno spazio sensibile che si trova dentro al palcoscenico, ma non visibile, e alle qualità timbriche dello strumento che lo simboleggia. Si tratta di un interno affacciato su un esterno nella grande piazza di Costanza, dove si celebra lo storico concilio (1414–​1418) che annienterà Jan Hus. Un araldo, riferendosi al miracolo delle nozze di Cana, proclama «Vers le milieu du jour et sur les grandes places | Jailliront à grands flots des fontaines de vin!» (I/​2)16: immediatamente Ruggiero, il prevosto esaltato di Costanza, si rende conto che c’è qualcuno che lavora nei paraggi. Il rumore proviene dalla casa dell’ebreo Éléazar, collocata alla sinistra dello spettatore, come si vede nel bozzetto [Tavola 1], un luogo di blasfemia, dove si tempra l’oro anche nei giorni delle feste comandate: (Enclumes sur le théâtre)

Ruggiero

et

mais! grand Dieu! qu’en tends-je

et d’où pro vient

ce bruit

é - tran - ge

Esempio 7:  Il suono ‹ebraico›17.

Il suono viene da incudini percosse dietro la facciata della bottega, che sinora erano state utilizzate come strumenti musicali da Auber nell’Opéra comique Le maçon (1825). Col loro timbro Halévy volle simboleggiare il lavoro della comunità israelitica, e l’estraneità alle regole dei cristiani, fieramente rivendicata dal protagonista Éléazar.

16 La Juive, paroles de M.  E. Scribe, musique de M.  F. Halévy, Livret, Paris (Jonas) 1835. 17 Fromental Halévy, La Juive, partitura, Paris (Schlesinger) [1835], I, pp. 38–​39. Nella tavola 1, tratta dalla Mise en scène et Décorations de «La Juive», Paris (Duverger) 1835, si vede la scena della première, nella tavola 2 si riproduce la pianta dell’atto primo nella mise en scène di Palianti; sull’argomento cf. Arnold Jacobshagen, Analyzing mise-en-scène. Halévy’s «La Juive» at the Salle Le Pelletier, in: Annegret Fauser/Mark Everist (edd.), Theater, Music and Cultural Transfer (Paris 1830–1914), Chicago/IL (University of Chicago Press) 2009, pp. 176–194.

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Tavola 1:  1er Acte de «La Juive», scena di Édouard Desplechin (Paris, 1835).

Tavola 2:   Mise en scène (atto I) per la ripresa della Juive all’Opéra nel 1868, nella Collection de mises en scène rédigées et publiées par M. Palianti.

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L’incudine sarebbe poi stata sfruttata da Verdi per sonorizzare il mondo dei gitani nel Trovatore, ma l’impiego più importante, e al tempo stesso più imbarazzante per le implicazioni ‹ideologiche›, lo si deve a Wagner. Nell’en­ tr’acte del Rheingold che accompagna la discesa negli inferi di Wotan e Loge (scene 2–​3) il compositore distribuì dietro le quinte ben diciotto incudini di diverse taglie per rappresentare il lavoro dei ‹nani› che popolano il Nibelheim. L’effetto è grandioso, specie quando il tintinnio invade lo spazio acustico (esempio 8), ma il riferimento al topos creato da Halévy è inevitabile (visto che anche nel regno di Alberich si lavora l’oro): 18 Ambosse hinter der Scene 9 kleinere

3 kleinere 3 kleinere 3 kleinere (rechts)

(links)

(im Hintergrund)

3

3

3

(rechts, links, im Hintergrund)

3

3

3

2 grössere 2 grössere 2 grössere

(von einander entfernt) (rechts)

1 ganz grosser

(links)

(hinten)

1 ganz grosser

3

3

3

3

3

3

3

3

3 6 grössere

(von einander entfernt, links, hinten)

3 grössere

(rechts)

(im Hintergrund, rechts, links)

(im Hintergrund)

1 ganz grosser (links)

Esempio 8:  Altri ebrei al lavoro18.

Quando si scorrono le didascalie non ci possono essere dubbi a riguardo della connotazione negativa di questo passo, se si guarda alla destinazione nel ventre della terra («Schwefeldampf», «schwarzem Gewölk», ecc., come si legge nel libretto della prima assoluta): Der Schwefeldampf verdüstert sich zu ganz schwarzem Gewölk, welches von unten nach oben steigt; dann verwandelt sich dieses in festes, finstres Steingeklüft, das sich immer aufwärts bewegt, so dass es den Anschein hat, als sänke die Szene immer tiefer in die Erde hinab.19

Wagner crea in tal modo un legame intertestuale preciso che attesta il suo antisemitismo anche mediante l’arte: in virtù del sillogismo sonoro, dietro agli spregevoli nibelunghi si celano gli ebrei.

18 Richard Wagner, Das Rheingold, partitura, Mainz (B. Schott’s Söhne) [1873], p. 158 (solo le incudini). 19 Richard Wagner, Das Rheingold, Vorspiel zu der Trilogie Der Ring des Nibelun­ gen, Mainz (B. Schott’s Söhne) 1869, p. 40.

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Nella categoria degli strumenti impiegati in uno spazio sensibile al di là del palcoscenico come emblemi musicali, normalmente le trombe danno veste sonora a delle battaglie, oppure celebrano momenti solenni, soprattutto di trionfo. Nell’atto terzo di Otello Verdi in apparenza seguì questa prassi, che realizza un maggior grado di parentela con la realtà, mentre sfruttò gli ottoni, invece, anche per mettere in scena un movimento interiore dell’animo del protagonista, che soccombe ai fasti di una cerimonia, distrutto dalla gelosia. Nella scena quinta il Moro assiste, nascosto, al colloquio tra Jago e Cassio.

Figura 1: Verdi, Disposizione scenica per l’opera «Otello», p. 70.

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Mentre quest’ultimo mostra il fazzoletto sottratto a Desdemona, improvvisamente s’ode l’inizio di una fanfara, che le parole di Jago immediatamente denotano come «Il segnale che annuncia l’approdo | Della trireme veneziana» (III/​5)20. Cassio parte e Jago rimane solo con Otello a decidere i dettagli dell’uccisione di Desdemona e del suo presunto amante. Tutta la scena a due è accompagnata da una fanfara affidata a dodici trombe, che connota, grazie alla speciale posizione degli strumenti voluta da Verdi nella Disposizione scenica, tre altri luoghi nello spazio oltre il palcoscenico che raffigura «La gran sala del Castello»: un punto lontano (A) di dove si suppone arrivi la nave e da cui si udranno anche le voci dei marinai (bassi) e il colpo di gran cassa che simula il cannone (F), un punto da cui rispondono le trombe del castello (B)  e un altro punto (C)  più vicino al coro (D)  che accoglie l’arrivo dei compatrioti dagli spalti. Dopo aver delineato queste tre dimensioni, i gruppi si riuniscono per produrre un effetto di avvicinamento nello spazio («Le dodici trombe riunite dovranno collocarsi molto innanzi a destra, possibilmente presso il verone, onde risulti così spiccato un grande aumento di sonorità», recita la Disposizione scenica: le posizioni si vedono nella fig.  1)21, piazzandosi tutte dietro al verone (E)  di dove la loro funzione proseguirà dopo l’entrata in scena dei dignitari veneziani. Tutto questo movimento si svolge dietro le quinte, e in scena entrano solamente quattro figuranti che fingeranno di suonare la tromba nei momenti di dialogo fra il salone e l’esterno del castello. L’importanza drammaturgica di questa musica in scena è massima, e se ancora una volta le istanze del momento pubblico tornano alla ribalta, le cause della tragedia stanno tutte nell’animo di Otello. Il suono delle trombe interrompe lo sviluppo di questa continuità ossessiva, segnalando l’approssimarsi di un momento ufficiale: per riprendere la dignità che si addice alla sua carica di governatore di Cipro il protagonista dovrà ricomporsi da un gravissimo turbamento privato. La musica, in un quadro realistico di vera fanfara, dovrebbe peraltro limitarsi ai suoni della serie armonica, restando nell’ambito degli accordi perfetti nella tonalità di Do maggiore, taglio indicato per le trombe, invece uno scivolamento al Si all’unisono introduce le parole di Otello «Come la ucciderò?» (III/​6). Il Moro si reca a incontrare gli ambasciatori, mentre la fanfara s’unisce all’orchestra e al coro che entra in scena insieme a Montano, Lodovico e agli altri patrizi. Ma il protagonista non è più in grado di contenere le proprie reazioni, insulta Desdemona, e 20 Arrigo Boito, Otello. Dramma lirico in quattro atti, musica di Giuseppe Verdi, libretto, Milano (Ricordi) 1887. 21 Disposizione scenica per l’opera «Otello» di Giuseppe Verdi, compilata e regolata secondo la messa in scena del Teatro alla Scala da Giulio Ricordi (1887), Milano (G. Ricordi & C.) [1888], p. 71.

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di fronte all’orrore generale esclama «Tutti fuggite Otello!»: la frase, esito estroverso di un violento moto dell’anima, è connotata dagli ottoni dietro le quinte con un accordo di settima diminuita che risolve sulla tonica in secondo rivolto. Questo passaggio descrive il travaglio del protagonista, e anche in seguito la fanfara continuerà ad esercitare una duplice funzione, denotando l’atmosfera di generale tripudio e al tempo stesso connotando la tempesta interiore di Otello fino all’allegoria finale del trionfo di Jago: 4 trombe

3

di dentro - Lontano 3

3

3

3

3

4 tromboni

Jago

(Il

mio

ve

len

la

vo ra.)

Coro (interno)

Vi

va O tel lo!

Fag., Trbn., Vlc.

Cb.

Esempio 9:  Il veleno di Iago al lavoro22.

Verdi seppe dunque indirizzare l’evoluzione implacabile della tragedia verso la risoluzione finale sfruttando le potenzialità di un effetto segnaletico che si proietta sulla scena, ma traducendolo nella rappresentazione di un moto interiore dell’animo. Il problema dello spazio scenico occupò la fantasia creativa di Wagner anche nella tarda maturità. L’episodio dell’Agape sacra, che chiude l’atto primo di Parsifal (1882), supera ogni suo sforzo precedente, poiché il musicista aspira a rappresentare concretamente un rito sospeso nell’eternità

22 Giuseppe Verdi, Otello, partitura, Milano (Ricordi) © 1913, IV, p. 459.

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temporale. Mentre si muovono verso il castello, Parsifal osserva con stupore: «Ich schreite kaum, | Doch wähn’ ich mich schon weit», e Gurnemanz gli risponde:  «Du siehst, mein Sohn, | Zum Raum wird hier die Zeit»23. Nell’entr’acte la scena si trasforma a vista e Parsifal «vernimmt wunderbare Klänge. Lang gehaltene u.  anschwellende Posaunentöne, denen aus weiter Ferne ein sanftes Geläute wie von Krystallglocken antwortet», scrive il compositore nell’abbozzo in prosa del 186524. Sei tromboni e sei trombe in for­ tissimo da dietro la sala del santuario annunciano il rito dell’ultima cena, mentre rintoccano le campane. Così entriamo con l’eroe nel tempio, dove l’azione stessa si fa cerimonia, e per sua fisionomia abolisce il tempo. Auf dem Theater 6 Tr.

3 Trbn. T. 3 Trbn. B.

Cassa rullante

dim. Campane

Esempio 10:  Un viaggio verso l’eternità25.

Nella ritualizzazione il dramma e la musica tendono pertanto a farsi spa­ zio, come dice Gurnemanz, nella forma del tableau vivant, mentre visione e sonorità vengono saturate. La cupola del Festspielhaus gioca un ruolo importante, perché assorbe il suono che viene dal basso, e rimanda in un 23 Richard Wagner, Parsifal. Ein Bühnenweihfestspiel, libretto, Mainz et  al. (B. Schott’s Söhne) 1877. 24 Cf. Richard Wagner, Das Braune Buch. Tagebuchaufzeichnungen 1865 bis 1882, ed. Joachim Bergfeld, Zürich (Atlantis) 1975, 28. Aug. [1865], pp. 57–​62: 60. 25 Richard Wagner, Parsifal, partitura, Mainz et al. (B. Schott’s Söhne) s.a., p. 214sq. (solo la musica in scena).

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amalgama di suggestione straordinaria le voci dei bambini piazzati a metà e in alto del padiglione. Nel riverbero verso l’alto, le frequenze basse si smorzano per prime, mentre nel registro acuto permane un residuo palpitante, tecnica che vuol imitare il suono nello spazio di una cupola di ampie dimensioni (fig.  2). Considerata come evento drammatico-​musicale, la disposizione dei cori invisibili nel Parsifal potenzia un effetto di lontananza già sperimentato, soprattutto nel Grand opéra francese e nell’opera romantica tedesca, da Cherubini a Spontini, da Weber a Meyerbeer, ma soprattutto è parte essenziale dell’illusione musicale, fondendo esperienze spaziali e temporali in un intreccio di grande fascino.

Figura 2: Wagner, Parsifal, finale I (foto di scena dalla première, 1882).

IV. Visioni e realtà visionarie: Massenet e Janáček Dodici anni dopo Parsifal e sette dopo Otello, Massenet produce la prima versione di Thaïs, che perfezionerà nel 1898, aggiungendo un quadro e ristrutturando gli atti. L’opera mette a fuoco il tema del peccato e della carnalità, caro alla fin de siècle, a confronto col fanatismo religioso. Motore dell’azione, infatti, è un cenobita esaltato, Athanaël, che sconvolge la vita della protagonista, affermata sacerdotessa di Venere nella ‹mitica› Alessandria d’Egitto in era ellenista, ricca, còlta e decadente. Preoccupata per la

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caducità della sua bellezza, l’ammaliatrice viene persuasa dal monaco che potrà trovare il vero amore eterno solo tra le braccia di Dio e percorre con avidità, sino alla morte precoce, una strada lastricata di cilicio e di stenti, lasciandosi alle spalle specchi e alcove. Troppo tardi il prete si arrende alla passione e rinnega con forza la sua fede, dopo aver finalmente compreso che non era la missione di pastore d’anime a spingerlo verso Thaïs. Il tema, scabroso e blasfemo è fra i prediletti del compositore francese, molto interessato alla sensualità e allo scontro fra Sacro e Profano, e gli sollecita un’inventiva drammaturgica ancor più fertile del consueto, dove gli spazi sensibili dell’azione vengono moltiplicati. È quanto accade nel primo quadro dell’opera, in cui Massenet rappresenta una visione di Athanaël a cui conferisce un ruolo strutturale nel racconto, facendola riapparire nel quadro successivo –​ma stavolta in scena, in un teatro ‹vero›. Siamo nella Thébaïde, dove dimora la comunità dei cenobiti, e il protagonista, dopo aver attaccato duramente la «prêtresse infâme –​du culte de Vénus», si assopisce. Ma il suo sonno è agitato, come fosse colto da un incubo. Vede con orrore Thaïs seminuda che danza in un teatro di Alessandria, suscitando il compiacimento degli spettatori. Leggiamo la didascalia del libretto (I/​1): (Nuit presque noire. Après un instant de calme et de béatitude, au milieu des ténèbres, une blancheur se fait; dans un brouillard apparaît l’intérieur du théâtre, à Alexandrie; foule immense sur les gradins. En avant se trouve la scène sur laquelle Thaïs, a demi-​ vêtue, mais le visage voilé, mime les amours d’Aphrodite. –​Dans le théâtre d’Alexandrie, immenses exclamations d’enthousiasme très prolongées.  –​Effet extrêmement lointain. –​On peut distinguer, mais vaguement cependant, le nom de Thaïs hurlé par la foule. –​Les acclamations augmentent jusqu’à la fin de la vision, la mimique s’accentuant de plus en plus. –​La vision disparaît subitement. Le jour revient. –​Aurore).26

Ma come venne realizzata questa visione nel 1894? Nella mise en scène si può leggere la piantazione, e la descrizione di un magico gioco di sipari che si alzano e chiudono27: Rideau (pantalon) qui représente le théâtre d’Alexandrie Praticable d’où va apparaître Thaïs Rideau qui tombe pour cacher la Vision Toile de fond qui représente le Désert

26 Thaïs, comédie-​lyrique […] poème de Louis Gallet […] musique de Jules Massenet, Paris (Calmann-​Levy) 1894. 27 Il diagramma è tratto da «Thaïs» […] Livret de mise en scène, F-​Pbh T 8 (1), che si conserva nella Bibliothèque Historique de la Ville de Paris. Cf., in proposito, Serena Labruna, Alessandria d’Egitto: luogo del ‹caos›. La de-​costruzione dello spazio scenico in «Thaïs», «Maria Egiziaca» e «Maria d’Alessandria», tesi di dottorato, Università degli studi di Venezia Ca’ Foscari, 2019, pp. 1–​33, 136–​155.

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La partitura costruisce lo spazio sensibile del sogno premonitore grazie a un ensemble cameristico posto dietro le quinte (flauto, corno inglese, clarinetto, arpa, armonium), che sprigiona una sonorità lieve come una sorta di sipario sonoro, mentre in scena «dans un brouillard apparaît l’intérieur du théâtre». Anche gli applausi scroscianti devono essere percepiti come ovattati, concorrendo a determinare un «effet extrêmement lointain». Dans le théâtre d’Alexandrie: Immenses exclamations d’enthousiasme très prolongées, effet extrèmement lointain.

Fl.

Cl.

On peut distinguer, mais vaguement cependant, le nom de Thaïs hurlé par la foule

Poco a poco più appassionato

Cor Angl.

3

3

3

3

3 3

3

3 3

3

Harpes

3

3

3

3 3

3 3

3

3

3

3

3 3

3 3

3

Harm.

Poco a poco più appassionato

Esempio 11:  Una visione ‹freudiana›28.

Massenet evoca uno spazio lontano acusticamente perché viene vissuto dal protagonista solamente nel sonno, ma che deve essere visibile:  la visione di Athanaël è in realtà una profezia, visto che alla fine dell’atto primo, la protagonista sfida il monaco, e «se dispose à reproduire la scène des amours d’Aphro­ dite». Il parallelismo è studiato per produrre un effetto di déjà vu, perché la danza di Thaïs avrà luogo realmente, e gli strumenti che formavano l’ensemble precedente poi saranno in buca. Col sogno di Thaïs si avvia alla fine un’epoca, l’Ottocento, nella quale i musicisti, coi librettisti e gli uomini di spettacolo, hanno esplorato a largo raggio le possibilità offerte da luoghi sonori che dischiudono nuovi spazi per la mente dell’ascoltatore. Se l’episodio appena commentato prelude già alle tecniche che il cinema svilupperà nel Novecento, val tuttavia la pena di discutere un ultimo caso che ricade nella tipologia degli eventi simbolici, anche se propone una trama all’insegna di istanze realiste.

28 Jules Massenet, Thaïs, partitura, Paris (Heugel) © 1894, I, p. 30sq.

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Il preludio di Jenůfa, capolavoro di Leoš Janáček (1904, rev. 1908) è dominato da una sequenza di figure ostinate che ribadiscono ossessivamente il Do, su cui si appoggiano un’assillante seconda minore di clarinetto e viola (metafora del dolore sin dagli albori dell’opera) e un motivo dei violini ristretto nell’ambito della quarta giusta Do - F ​ a. Con pochi tocchi, a sipario chiuso, Janáček descrive la qualità ‹morale› della sua tranche de vie: l’ambiente del mulino dominato dai vincoli familiari, e chiuso nelle proprie regole fino a soffocare ogni illusione, viene ritratto nel movimento per piccoli ambiti e nel circolare ossessivo del Do, fissato anche dal pedale doppio dei corni. Ma soprattutto, in un’opera che esalta la costellazione di timbri in funzione drammatica29, si fa largo lo xilofono, che nelle prime ventitré battute esegue una sequenza ostinata in ottavi (Do3, quasi ai limiti gravi della propria tessitura), imprimendo al discorso musicale un carattere nervoso, come di una pulsazione ossessiva e sotterranea:

Esempio 12:  Il suono dell’ossessione30.

Di qui in poi piazzato fuori scena, lo xilofono, trait d’union fra diverse scene dell’atto iniziale (tacerà nei seguenti, come un personaggio che rientra nelle quinte), esercita un ruolo molteplice: è mìmesi del ruotare vorticoso delle pale del mulino sull’acqua là dove l’autore prescrive che il suono, sceso di qualche gradino ancora nel grave (La2 - Sol2) debba provenire da dietro l’edificio che

29 Si pensi al violino solo, che alla levata del sipario contrasterà l’ossessione, alzando la sua voce nei cieli fino al Re6; cf. Leoš Janáček, Jenůfa, versione di Brno 1908, edd. Sir Charles Mackerras/​John Tyrrell, Wien (Universal) © 1993, p. 6sq. 30 Ibid.,  p. 1.

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campeggia sul palco (I/​1, «na scéně ve Mlýně»)31 e al tempo stesso inesorabile agente temporale, ma anche raffigurazione sonora del coltello come un sinistro scintillio, al quale verrà prontamente associato quando il fattore Stárek affilerà la lama smussata con la quale Laca (I/​2, e qui la nota è ancora Do), sfregerà la protagonista, al termine di una narrazione stringente32. Dopodiché lo strumento tace per riapparire dopo il grande sfogo corale nella canzone nostalgica, avviata da nonna Buryja sul finire della scena quinta, quasi a rispondere ai versi intonati dal popolo del mulino, un lascito di saggezza contadina ch’è anche, al tempo stesso, una sorta di anticipazione della peripezia e un monito diretto a Jenůfa e Števa, in aperta lite per le intemperanze del giovane irresponsabile; ma quell’osservazione varrà anche, e soprattutto, per la coppia che dovrà ancora nascere, fra la giovane e Laca (il nodo sciolto dopo la confessione di Kostelnička nell’atto conclusivo): «Każdý párek si musí svoje trápení přestát» («Ogni coppia deve sempre sopportare le sue disgrazie»). Il battito dello xilofono torna all’origine, Si (= Do), intrecciandosi a lacerti significativi della melodia della canzone, e seguita a pulsare quando Jenůfa trepidante si rivolge a Števa nella scena successiva, per raccomandargli di non far infuriare la matrigna specie dopo che lo hanno scartato dal servizio militare, permettendo così a lei di tener viva la speranza di coprire la propria colpa: è incinta di lui, e il matrimonio costituisce la sola via d’uscita per lei –​«Nevím, nevím, nevím, nevím, co bych udělala kdybys ty mne včas nesebral» («Io non ho idea, nessuna idea, nessuna idea su ciò che farò se tu non mi sposassi in tempo»). Qui non rappresenta più un’arma, bensì detta un presagio di sventura: SCENA VI Xil.

dim. •

JENUFA

Ste Fg., Vlc.

[svoje trá pení pre stát.]

Cb.

dim.

Esempio 13:  Ogni coppia deve sempre sopportare le sue disgrazie33.

31 Ibid., pp. 32–​47. 32 Ibid., pp. 48–​56. 33 Ibid., pp. 161–​162.

vo,

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A coronamento di questa strategia, il Si ostinato dello xilofono torna a cavallo fra due scene, la sesta e la settima. Števa si è appena congedato da Jenůfa sciogliendo un inno enfatico alla sua bellezza, e subito due battute del suono metallico proveniente dal mulino puntano i riflettori su Laca, che butta il manico di frusta che stava intagliando e s’avvicina alla ragazza con il coltello in mano (I/​7). Lo scambio è duro, e il giovane ne esce umiliato nuovamente; nel momento in cui si avvicina a lei la pulsazione dello xilofono (stavolta mezzo tono sotto, Si), torna a farsi sentire, e pone in enfasi la frase che il giovane rivolge alle guance di Jenůfa, poc’anzi lodate da Števa «Tenhle křivák by ti je mohl pokazit. Ale zadarmo ti tu voničku nedám!» («Questo coltello potrebbe rovinartele. Ma non avrai i fiori per niente!») –​, metonimia della sua bellezza. Qui si chiarisce la funzione dell’ostinato nell’evoluzione del dramma e, al tempo stesso, si esaurisce il suo compito per lasciar posto all’evento, cioè lo sfregio, che scioglie negativamente questo primo nodo dell’azione: Allegro

Xil.



LACA

Ten hle krivák

(Blíži se k Jenufe, v pravici drži vonicku a krivák, zimnicne rozcilen.)

3

by ti je mohí

3

po

ka

zit.

A

le

zadar mo ti tu

vo

nic

ku

ne dám.

Fl. Vlc, Vle

Vl., Cl.

Esempio 14:  Brilla la lama del coltello34.

Alla luce di queste apparizioni, emerge l’originalità di Janáček, che impegna sì un timbro su parecchi fronti, apparentemente per provocare la sensazione di una tensione generica, con tratti quasi onomatopeici, e con risvolti simbolici –​ brillante come la lama del coltello, ossessivo come il moto circolare della pale d’un mulino, o come il ticchettio di un orologio che scandisce il tempo –​, ma che in realtà gli affida anche una funzione strutturale di carattere narrativo. Quello xilofono denuncia una concausa della tragedia che si dipanerà sotto i nostri occhi nell’ambiente sociale che soffoca i protagonisti (è un grande tema

34 Ibid., p. 197sq.

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di Janáček, tornerà a giganteggiare in Kát’a Kabanová). Questo ambiente, rigurgitante sensi di colpa è causa di svariate frustrazioni, specie di Laca: nelle sue mani prende la forma di un coltello che determinerà non solo la sorte della protagonista, sottraendole traumaticamente quella bellezza in grado di scardinare le barriere sociali, ma anche quella delle persone che la circondano, a cominciare dalla matrigna Kostelnička, che combatte i pregiudizi di cui è vittima imbracciando le stesse armi, e uccidendo il figlio della colpa. Lo xilofono di Jenůfa suggella idealmente la fine di un’epoca, l’Ottocento, nella quale i musicisti, insieme ai loro librettisti e agli uomini di spettacolo, hanno esplorato a largo raggio le possibilità offerte da luoghi sonori che dischiudono nuovi spazi per la mente dell’ascoltatore. Ogni effetto, dal più semplice al più complesso mira a conseguire un livello di illusione sempre maggiore, rimanendo all’interno del codice operistico, dove ogni mimesi non può fare altro che connotare un’azione o uno spazio simbolico. Al di là vi può essere solo la rottura dell’impianto narrativo che il codice stesso presuppone, e la moltiplicazione di spazi, sonori e visivi, in una nuova maniera di impostare il racconto operistico.

Matthias Brzoska

Meyerbeer at the Bay Area. Meyerbeeriana in Stanford und Berkeley Im Januar 1945  übergab der Musikliebhaber und Autographensammler George T.  Keating seine umfangreiche Sammlung von autographen Partituren und Erstausgaben der Bibliothek der Universität Stanford in Palo Alto1. Gemeinsam mit dem Bibliothekar Nathan van Patten erweiterte er die Sammlung noch bis 1953. Die Sammlung erhielt den Namen »Memorial Library of Music« zum Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Absolventen der Universität. Der gedruckte Katalog, der 1950 erschien und heute im Internet abrufbar ist, ist zwar bibliophil gedruckt und gebunden, bibliographisch aber extrem fehlerhaft2. Lange vor Gründung des heutigen musikwissenschaftlichen Seminars war in Stanford keine Fachkompetenz vorhanden; auch von Patten war zwar Bibliothekar, aber kein Musikwissenschaftler. Daher hat schon Otto E. Albrecht in seiner Rezension mehr als 170 teilweise krasse Fehler nachgewiesen3. Man behilft sich bis heute mit einer Kopie, die Richard G.  King, damals Doktorand der Musikwissenschaft, 1985 handschriftlich ergänzt und korrigiert hat4. Dieses Exemplar liegt im Lesesaal und ist bislang das einzige Werkzeug, um die Sammlung zu erschließen. Erst im Zuge der Digitalisierung der Bestände, die der aktuelle Kurator Ray Heigemeier betreut, werden die inkorrekten Katalogisate berichtigt und in den elektronischen Katalog eingearbeitet. Dies gab den Anlass, den Bestand an Meyerbeeriana quellenkritisch zu prüfen. Der Katalog listet zu Meyerbeer insgesamt sieben Einträge mit den Ordnungszahlen 738–​744 auf. Unter dem Eintrag 738 befinden sich Korrekturfahnen mit vielen autographen Korrekturen zur Kantate À la patrie für vierstimmigen Männerchor, zwei Tenor-​Solisten und zwei Bass-​Solisten. Der Eintrag ist insofern fehlerhaft, als er den Druck als »first edition« bezeichnet und auf ca. 1860 datiert, ohne zu erwähnen, dass es sich um die französische Ausgabe der Kantate »Dem Vaterland« handelt, die bereits 1842 in Berlin gedruckt worden war

Mimi Tashiro, The Memorial Library of Music of Stanford, in: Notes 75/​2 (2018), pp. 237–​260. 2 Nathan van Patten, A Memorial Library of Music at Stanford University, Stanford/​ CA 1950. Otto E. Albrecht, Review, in: Notes 8/​4 (1951), pp. 706–​709. 3 Tashiro, The Memorial Library of Music, p. 258. 4 1

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und 1861 für die zweisprachige Ausgabe von Brandus & Dufour lediglich übersetzt wurde. Die Ordnungsziffer 739 gehört laut Katalog zu einem Klavierauszug der Huguenots von 1836, der jedoch zum Zeitpunkt der Konsultation der Sammlung (März 2019) unauffindbar war. Das in diesen Klavierauszug ursprünglich eingelegte Autograph des Klavierliedes Le jardin du cœur ist allerdings unter der eigenen Ordnungsziffer 740 vorhanden. Es handelt sich um ein sauber geschriebenes Autograph des kurzen Liedes von 1½ Seiten Länge, das auf gerahmte Albenblätter notiert wurde. Das Titelblatt trägt die Aufschrift »Le Jardin du Coeur. | Paroles de Henri Blaze | Musique de Giacomo Meyerbeer«. Das Autograph ist signiert mit »Giacomo Meyerbeer, 16. Xbre 47« (Octobre 47). Das Lied wurde 1839 in einer deutschen Fassung als Der Garten des Herzens mit einem Text von Wilhelm Müller vertont. Mit der Ziffer 741 ist ein Klavierauszug der Oper Le pardon de Ploërmel (1859) versehen. Er trägt die Widmung »Seinem langjährigen, vielgeliebten Freund Herrn Wilhelm Speier zur Erinnerung an Meyerbeer.« Wilhelm Speier war ein Frankfurter Musikkritiker, der im Auftrag Meyerbeers die Frankfurter Produktionen von Meyerbeers Opern überwachte. Ein ursprünglich eingelegter Brief (741 A) an den englischen Theaterdirektor Frederic Gye, geschrieben in Spa am 4. September 1859, bezieht sich auf die Erstaufführung des Werkes in englischer Sprache an Covent Garden. Meyerbeer hatte sich vertraglich zusichern lassen, dass die Rolle der Dinorah mit Louise Pyne besetzt wird. Da er in der Presse gelesen hatte, dass diese Sängerin die Rolle nicht übernehmen werde, erinnert er Gye daran, dass dieser die Oper ohne diese Sängerin nicht aufführen dürfe. Der Brief ist in Briefwechsel und Tagebücher5 publiziert und muss daher hier nicht ausführlicher kommentiert werden. Unter der Ordnungsziffer 742 befindet sich eine Orchesterpartitur der Oper Le prophète von 1849 in der Sammlung. Auffällig ist, dass die Partitur die sonst im Anhang wiedergegebene nachkomponierte Arie der Berthe nicht enthält, wohl aber die Instrumentationsalternativen für Theater, die keine Orgel und keine Bassklarinette haben. In diese Partitur war ein undatierter Brief (742 A) an den englischen Musikkritiker George Hogarth eingelegt, der im Katalog auf »ca. 1850« datiert wird, in der Ausgabe des Briefwechsels aber präzise auf den 29.6.1855 datiert ist6. Hogarth war von 1850 bis 1864 Sekretär der Royal Philharmonic

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Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, vol. 7, ed. Sabine Henze-​ Döhring, Berlin (de Gruyter) 2004, p. 463sq. Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, vol. 6, ed. Sabine Henze-​ Döhring, Berlin (de Gruyter) 2002, p. 569.

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Society und hatte Meyerbeer zum Konzert am 4. Juli 1855 eingeladen. Meyerbeer nahm diese Einladung an, lehnte aber den Besuch einer Probe ab, da er selbst mit Proben zu seiner Oper L’étoile du nord beschäftigt war7. Unter der Ziffer 743 ist ein Klavierauszug der Oper Robert le diable (1831) im Bestand. Im Katalog ist verzeichnet, dass ursprünglich ein Brief an den französischen Maler Jean Auguste Dominique Ingres eingelegt war (743 A). Bei diesem Brief liegt indes noch ein weiterer undatierter Brief an einen unbekannten Adressaten, der im Katalog nicht verzeichnet ist. Er sei hier wiedergegeben: Mon cher Monsieur, une affaire tout à fait imprévue me force de sortir dans ce moment sans que je m’y [sc. puisse] attendrir. Je suis très obligé de manquer à notre Rendez-​vous. Si ce n’était pas trop abuser de votre complaisance et que vos occupations vous le permissent j’oserais de vous prier de repasser après onze heures, car je serais alors certainement rentré. Agréez Monsieur les expressions de mes sentiments le plus distingués. Meyerbeer Vendredi

Der bislang unpublizierte Brief an Ingres hat folgenden Wortlaut: Cher et illustre maitre! à peine arrivé à Paris, je me suis empressé de Vous rendre mes devoirs et de vous remettre la lettre ci-​jointe de notre Académie royale des beaux arts de Berlin, qui a voulu se procurer l’honneur de posséder l’illustre maitre Ingres parmi ses associés étrangers, et vous a nommé à l’unanimité à cette place dans les dernières élections. J’en suis fier et heureux pour notre académie, cher et illustre confrère. Ne vous ayant pas trouvé à Paris, j’ai remis la lettre de l’académie et ces lignes au Concierge qui m’a promis de vous les faire passer à votre séjour actuel. Veuillez présenter mes civilités empressées à Madame Ingres et daignez me croire pour la vie Votre Admirateur dévoué Meyerbeer Ce 6. 8h dans la loge du concierge de l’Institut.

Der Brief lässt sich relativ einfach datieren, da Ingres 1843 als auswärtiges Mitglied in die Preußische Akademie der Künste gewählt wurde8. Meyerbeer kam Ende September 1843 in Paris an9. Da er angibt, seiner Verpflichtung Cf. ibid. p. 862sqq. 7 8 https://​www.adk.de/​de/​akademie/​mitglieder/​suche.htm?we_​objectID=53357 (15.3.2020). 9 Die Presse gibt unterschiedliche Daten Ende September an, siehe: Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, vol. 3, edd. Heinz Becker/​Gudrun Becker, Berlin (de Gruyter) 1975, p. 765sq.

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kurz nach der Ankunft nachgekommen zu sein, kann es sich bei dem angegebenen 6. nur um den 6. Oktober 1843 handeln. Der Name Ingre [sic] taucht zwei Monate später im Taschenkalender vom 7. Dezember 1843 auf10. Erst in den Jahren 1853/​54 sind weitere Kontakte zwischen Meyerbeer und Ingres durch Taschenkalender-​Eintragungen belegt11. Unter der Ordnungsziffer 744 ist die zweifellos originellste Quelle katalogisiert: das Manuskript der Festkantate Zur Feier des 15. Juni 1810 zum 51. Geburtstag von Abbé Vogler, verfasst von dessen drei Schülern Meyerbeer, Carl Maria von Weber und Johann Baptist Gänsbacher. Es handelt sich um eine sehr sauber geschriebene Reinschrift, ob diese allerdings, wie im Katalog angegeben, ein Autograph Meyerbeers ist, scheint eher fraglich, da der Schreibduktus dieser Reinschrift sich deutlich von der flüchtigeren Notationsweise anderer Autographen Meyerbeers unterscheidet. Auch ist die in der Kopfzeile der Nummern befindliche Angabe »komp. Von M. Beer« bzw. »Johann Gaensbacher« keine Signatur. Die Kantate ist überschrieben: Zur Feier des 15ten Juni 1810 Ihrem theuersten Lehrer gewidmet Von seinen Schülern Meyer Beer, J. Gaensbacher, C.M.v. Weber

Hierbei sind die Namen der drei Autoren in Form eines Dreiecks angeordnet. Aus einem Bericht, den Carl Maria von Weber am 22. Juni 1810 in der Rheinischen Correspondenz publizierte12, ist bekannt, dass Weber den Text verfasste. Von den fünf Nummern (vierstimmiger Eingangschor, Tenorsolo, Terzett für zwei Tenöre und Bass, Duett für Sopran und Alt, sowie vierstimmiger Schlusschor, sämtlich mit Klavierbegleitung) verfasste Gänsbacher nur das Tenorsolo, die anderen vier Nummern komponierte Meyerbeer. Der Text der Kantate ist folgender (ohne Wiederholungen): No. 1 Chor comp von M. Beer Willkommen theurer Vater hier in Deiner Kinder Reihen, Wo alle eng vereinigt Dir die wärmste Liebe weihen, Wo alle von einem Wunsche nur beseelt, Daß dieser Tag Dir oft mit neuer Kraft gestählt Verherrlicht wiederkehre.

10 Ibid., p. 765. 11 Cf. Meyerbeer, Briefwechsel, vol. 6, p. 916 (Register). 12 Wiedergegeben in Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, vol. 1, edd. Heinz Becker/​Gudrun Becker, Berlin (de Gruyter) 1960, p. 593.

Meyerbeer at the Bay Area. Meyerbeeriana in Stanford und Berkeley 183 No. 2 Solo (Tenore) comp. von Johann Gaensbacher Gebannt von Deinen Namen steht der Ruhm in ewigen Zeiten Wenn Deine Asche längst verweht Wird noch er sich verbreiten. Von Dir verband sich so noch mir Das Wissen mit dem Genius Drum Harmonie und Melodie eint sich bei Dir zu gleichem Guss und mehr als alles dies vereint den Mensch, der in dem Künstler wohnt und der als Vater, als Lehrer, als Freund in jedem Herzen thront, der keinem, der sich liebend naht mit Stolz von sich verscheucht der gern sein Wissen früh und spat, dem Wissbegiergen reicht und der als Vater, und der als Lehrer und der als Freund hochauf in jedem Herzen thront. No. 3 Terzetto (T 1, T2, B) comp. von M. Beer Oh möchte Gott es doch verleihen, daß uns die Kraft gegeben dereinst als würdige Schüler Dein zu Deinem Ruhm zu leben. Oh möchte Gott es doch verleihn, daß wir zu Deinem Ruhm leben, Gott, oh Gott verleih es doch! No. 4 Duetto (S., A.) comp. von M. Beer Die Dankbarkeit nur thut es kund, dies kleine Kind der Liebe und froh ertönt uns aller Mund erfüllt von diesem Triebe. Aus aller Mund ertönet froh erfüllt von diesem Triebe und froh ertönet aller Mund Die Dankbarkeit nur thut es kund. No. 5 Chor (SATB mit Klavierbegl.) comp. von M. Beer Willkommen theuerer Vater hier in Deiner Kinder Reihen von einem Wunsche nur beseelt Daß dieser Tag sich mehre Dir oft mit neuer Kraft gestählt Verherrlicht wiederkehre Daß dieser Tag mit neuer Kraft gestählt Dir oft Verherrlicht wiederkehre.

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Die Kompositionsidee des Eingangschores ist vom Kontrast zwischen dem onomatopoetischen Quart aufwärts und Oktav abwärts-​Sprung auf »Will-​ kom-​men«, der Dreiklangsmelodik in Vierteln auf »Willkommen theurer Vater hier« und der Skalenbewegung in Achteln auf »in Deiner Kinder Reihen«, welche in madrigalesker Manier das ›Gewimmel‹ der Kinderreihen andeutet. Auf »verherrlicht wieder-​« setzt Meyerbeer eine kleine »stringendo il tempo«-​Stretta, die in den zweieinhalb Takte gehaltenen ff-​Spitzenton f  auf »kehre« mündet; an dieser Stelle beschleunigt sich auch die Klavierbegleitung auf Sechzehntel. Nach wechselnden f-​p (dolce) Wiederholungen endet der Satz mit einer Wiederaufnahme des onomatopoetischen »Willkommen«-​Rufes, womit das Stück in sich auch eine Bogenform erfährt. Gaensbachers allerdings sehr textreiches Solo lässt keine übergreifende Gliederung erkennen, sondern ist durchkomponiert. Die Vertonung richtet sich kleinteiliger nach dem Wortsinn; etwa indem er lange Noten auf »verbreiten« setzt, eine Kadenz auf »Harmonie«, ein Melisma auf »Melodie«, eine Verzierung auf »Künstler« usw. Dem Terzett der drei Schüler verleiht Meyerbeer religiöse Couleur, indem er es mit einem choralartigen Klaviersatz einleitet, dann aber quasi ›im alten Stil‹ a cappella fortführt. Das Andantino des Sopran-​Alt Duettes schließt kontrastierend attacca subito an das Männerterzett an. Die Kompositionsidee dieses »kleinen Liedes« ist hier in der Verdichtung greifbar: Zu Beginn wechseln die Einwürfe der beiden Solistinnen sich ab; anschließend singt eine jeweils zu Haltetönen der anderen; nach drei Takten gegenläufiger Achtelskalen folgt eine viertaktige Doppelkadenz, die in eine Art von Kurz-​Stretta in ff-​Stakkatoschlägen mündet, die wie ein Nachhall unbegleitet im pp wiederholt werden. Der Schlusschor setzt wiederum attacca ein und ist textlich wie musikalisch eine Variante des Eingangschores, so dass das kleine Werk eine geschlossene Bogenform aufweist. Obgleich es sich nur um ein Gelegenheitswerk Meyerbeers handelt, zeigt sich doch hier bereits, dass Meyerbeer textorientierte Strukturideen entwickelt und diese auch umzusetzen weiß. Insbesondere die karikierende Miniatur einer großen Duettform im Sopran-​Alt-​Andantino zeigt, dass er mit dem Formenkanon der Oper vertraut war und damit spielen konnte. Insgesamt zeigt sich bereits eine bemerkenswerte musiktheatralische Begabung des 19-​ jährigen Kompositionsschülers. Waren die Meyerbeeriana der Memorial Library der Universität Stanford, von denen einige ja auch bereits publiziert sind, der Forschung grundsätzlich bekannt, so trifft dies für die Quellen im Bestand der Universität Berkeley nicht zu. Ich danke an dieser Stelle meiner Kollegin Mary Ann Smart, die mich auf diese Quellen hingewiesen hat.

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Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Bibliothek unter der Signatur MS 1351 eine italienische Kopistenabschrift der Cavatine »Se il fatto barbaro« aus der Oper Costanza e Romilda verwahrt, deren Quellenwert begrenzt ist. Bedeutend wichtiger ist ein bislang unbekannter Vertragsentwurf zu dem Vertrag, den Meyerbeer am 14. Mai 1831 mit Louis Véron über die Uraufführung der Oper Robert le diable abschloss.13 Er ist zusammen mit einem Begleitbrief Meyerbeers an seinen Anwalt Isaac Adolphe Crémieux, der allerdings Rätsel aufgibt, unter der Signatur MS 1367 katalogisiert. Dieses Dokument wurde von John H.  Roberts, dem vormaligen Bibliothekar der Musikbibliothek, »kurz vor seiner Pensionierung im Jahr 2007 angeschafft«, vor allem, um sein Verschwinden in Privatbesitz zu verhindern, »in der Hoffnung, einen Studenten dafür interessieren zu können, was jedoch nie geschah«14. Der Vertragsentwurf lautet wie folgt: Entre les soussignés Verron en la qualité de Directeur et entrepreneur de l’Opéra à partir du premier juin 1831: et Jacques Meyerbeer comme auteur de la musique de Robert-​le-​Diable d’autre part a été convenu ce qui suit: M. Verron déclare qu’il reconnait comme valable et obligatoire pour lui les divers traités passeés [à] savoir: 1er L’un du 29 Xbre 1829 entre l’ancienne administration de l’Opéra, MM Meyerbeer, Scribe et Germain Delavigne, 2ième un autre traité du 6 mars 1831 entre les membres de la commission de surveillance de l’Opéra, M. Verron et M. Meyerbeer. En vertu de ces traités aucun nouvel ouvrage ne pourra être monté à l’Opéra avant que l’opéra de Robert –​le –​Diable ait été représenté. Cependant M. Verron croit très utiles à ses intérêts de pouvoir passer auparavant un nouvel opéra en 2 actes de Ms. Scribe et Auber, et un ballet nouveau en 3 actes de Ms Scribe et Corally. M. Meyerbeer, malgré les pertes immenses de temps et des dépenses qui ont résulté pour lui d’avoir laissé passer depuis un an par complaisance la Bayadère et Euryanthe avant son ouvrage, consent encore cette fois-​çi sur les désirs de M. Verron de laisser passer avant Robert-​le-​Diable le dit opéra nouveau en 2 actes et le dit ballet nouveau en 3 actes, mais sous les conditions suivantes: Art. 1er L’opéra nouveau sera représenté au plus tard le ... juin et le ballet au plus tard le ... juillet.

13 Wiedergegeben in: Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, vol. 2, edd. Heinz Becker/​Gudrun Becker, Berlin (de Gruyter) 1970, p. 613sqq. 14 Laut Korrespondenz mit dem Verfasser, E-​Mails vom 3.4. und 4.4.2019.

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Art. 2 Chaqu’un de ces deux ouvrages qui ne sera pas en scène au jour fixé par l’article 1er, quelqu’en soit la raison, (sans excepter les cas de maladie ou tout autre cas fortruit) ne pourra plus être représenté qu’après Robert –​le –​Diable. Art. 3 En cas ou Monsieur Verron n’exécuterait pas strictement l’article deux, il sera obligé de payer un dédit de trente mille francs à Monsieur Meyerbeer, sans que cela portat en rien préjudice aux droits que conserverait toujours Robert –​le –​Diable de passer immédiatement après les deux ouvrages nouveaux en question. Art. 4 (en marge: Meditez surtout la rédaction de cet article cher fortuné) Les répétitions des Chœurs et Chanteurs pour Robert-​le-​Diable commenceraient le … juin. M. Verron sera tenu de payer à M. Meyerbeer un dédit de 500 Francs par jour pour chaque jour de retard ainsi que pour chaque interruption de répétition, si cette interruption était causée par la représentation d’un autre ouvrage, car à partir du juin nul autre ouvrage (soit opéra ou ballet quelconque) autre que Robert-​le-​ Diable pourra être répété jusqu’à ce que celui-​ci soit en scène. Art. 5 Si M.  Meyerbeer après avoir entendu de nouveau Madame Devrient, la croit convenable pour le rôle d’Alice dans son Opéra, M.  Verron s’oblige à l’engager pour cet objet, pourvu qu’elle ne demande pas plus que 25 mille Francs par an et se contente d’une année d’engagement. Art. 6 Si M. Meyerbeer ne croit pas convenable Mme Devrient pour son opéra, ou si elle ne veut pas accepter l’engagement, M. Verron s’oblige de s’arranger avec Mme Damoreau de manière à ce que son congé ne commence que deux mois après la 1iere représentation de Robert–​le–​Diable. Art. 7. M. Taglioni montera les danses de Robert-​le-​Diable, Mlle Taglioni dansera le rôle de Léa et la distribution des rôles de chant reste fixé définitivement conformément à la feuille ci-​annexée signée par M. Verron et Meyerbeer et ne pourra être changée que d’un commun accord entre M. Verron et M. Meyerbeer. Art. 8 Les travaux des décorations, costumes et copies de musique de Robert-​le-​Diable continueront et M. Verron s’oblige à les faire terminer le … septembre à temps pour que Robert-​le-​Diable puisse être représenté qu’il accepte pour terme de rigueur. M. Meyerbeer s’oblige également de ne pas prolonger des répétitions musicales au delà de trois mois à dater de la 1ière répétition sauf le cas de retard indépendant de la volonté tel que maladies de Chanteurs ou autre cas fortuite. Art. 9 M. Verron déclare qu’en la qualité de directeur et entrepreneur de l’Opéra à partir du 1er juin il a le droit de conclure le présent traité et de le faire exécuter sous sa propre responsabilité sans autre approbation de qui que ce soit. En cas que la commission de surveillance de l’Opéra ou une autre autorité supérieure éleverait des difficultés sur la validité ou l’exécution de ce traité en entier ou en partie M. Vérron déclare que cela le regardera tout seul d’applanir ces difficultés et que cela ne le déchargera nullement des obligations qu’il a contracté envers M. Meyerbeer par ce présent traité.

Meyerbeer at the Bay Area. Meyerbeeriana in Stanford und Berkeley 187 Art. 10 En cas de contestation il sera libre à chacune des parties intéressés de recourir aux tribunaux pour l’exécution de ce traité. Fait double etc.

Der Vertragsentwurf zeigt, dass Meyerbeer seine Forderungen weitestgehend durchsetzte, denn der definitiv geschlossene Vertrag unterscheidet sich nur durch juristische Präzisierungen, das Einsetzen der noch offenen Daten und diverse redaktionelle Korrekturen wie u.a. die richtige Schreibweise von Vérons Namen, der in Meyerbeers Entwurf konsequent falsch geschrieben ist. Diese weitgehende Autonomie des Komponisten in der Vertragsgestaltung ist umso bemerkenswerter, als er zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges französisches Werk geschrieben hatte. Meyerbeer hat seinen Vertragsentwurf offenkundig an seinen Anwalt Isaac Adolphe Crémieux gesandt, um ihn prüfen zu lassen. Dies zeigt sich u.a. an der Randnotiz zum Artikel 4, der den Anwalt anweist, diesen Paragraphen besonders zu prüfen, da es hier um Konventionalstrafen ging, die Véron im Falle von verspätetem Probenbeginn zahlen musste. Diesen Umstand scheint auch der Begleitbrief nahezulegen, der bei dem Vertragsentwurf beigefügt ist. Er lautet folgendermaßen: J’arrive à l’instant des eaux d’Ems ou j’avais mené ma pauvre femme très malade. J’y ai rencontré Madame Nathan (?) de Metz qui m’a chargé de mille compliments pour vous et Madame Crémieux. Je ne resterai guerre qu’aujourd’hui et demain ici, devant prendre les bains de mer à Dieppe. Mais même dans ce court espace de temps j’aurai besoin de vos savans conseils, mon illustre ami, pour des difficultés qui peut-​ être s’éléveront entre M. Véron et moi par rapport au traité ci-​joint. Veuillez, cher et savant maitre, lire et bien pondérer ce traité, surtout les articles quatrième et neuvième, sur les interpretations desquels j’aurai plusieurs questions à vous adresser. Veuillez avoir l’extrème complaisance de me garder le plus profond secret sur cette consultation et même sur mon séjour actuel à Paris, car je ne verrai que vous avant mon départ de Paris. Vous aviez eu autrefois la bonté de me dire que entre 4 et 5 heures vous seriez tous les jours visible pour moi. Est-​ce que cette permission subsiste toujours? Alors je viendrais aujourd’hui à 4 heures demander vos conseils et vous répéter de vive voix les assurances de la haute estime et amitié de Votre tout dévoué Meyerbeer

Der Brief ist von John H.  Roberts als Begleitbrief erworben worden und möglicherweise schon in der Kanzlei von Crémieux dem Vertrag zugeordnet worden. Auf den ersten Blick scheint er auch dazu zu passen, denn Meyerbeer bittet auch hier um besondere Prüfung der Artikel 4 und 9. Das scheint zu der Randnotiz des Artikels 4 zu passen, in der ebenfalls um besondere

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Prüfung gebeten wird. Allerdings passen sämtliche räumliche und zeitliche Angaben nicht zum Jahr des Robert-​Vertrags 1831. Meyerbeer sei, wie er schreibt, nur für ein bis zwei Tage auf der Durchreise in Paris, habe zuvor seine Frau nach Bad Ems gebracht und wolle anschließend zur Kur nach Dieppe, wo er Bäder im Meer nehmen müsse. Diese Angaben passen sämtlich nicht zum Jahr 1831, in dem Meyerbeer ständig in Paris wohnte. Es gibt nur einen einzigen Vertrag, zu dem die geschilderten Umstände passen: Den Vertrag über die Rückerstattung einer Konventionalstrafe von 30.000 Francs, die Meyerbeer Véron am 30.  September  1833 wegen der verspäteten Abgabe der Partitur der Huguenots bezahlen musste, und deren Rückerstattung er 1834 als Vorbedingung für die Aufführung der inzwischen vollendeten Oper ansah. Dieser Vertrag wurde nach zähen und ermüdenden Verhandlungen, an denen neben Meyerbeers Sekretär Louis Gouin auch Crémieux beteiligt war, schließlich am 29. September 1834 abgeschlossen15. Meyerbeer hatte im August 1834 eine Kur in Bad Schwalbach gemacht und seine Frau Minna war ihm aus Baden in das nur 40 Kilometer entfernte Bad Ems gefolgt, wo sie ebenfalls zur Kur weilte. Die Eheleute hatten sich gegenseitig besucht und sich schließlich in Singhofen getrennt, das zwischen beiden Orten liegt16. Am 28. August reiste Meyerbeer nach Paris, wo er am 31. ankam17. Am 1. September 1834 teilt Meyerbeer seinem Sekretär Louis Gouin mit, dass er nur einige Tage in Paris bleiben wolle, da er auf Anordnung seiner Ärzte die Meerbäder in Boulogne nehmen müsse18. Am 5. September teilte er seiner Frau mit, dass er entschieden habe, »übermorgen [d.h. am 7.] auf jeden Fall nach Boulogne zu gehen und die Sache, wenn sie nicht entschieden ist, in Crémieux’s Hände zurückzulassen«19. Dass Meyerbeer in dem Brief an Crémieux nicht Boulogne, sondern Dieppe als Badeort nennt, muss kein Widerspruch sein, denn auch nach seiner Rückkehr am 27. September aus Boulogne äußert Meyerbeer gegenüber seiner Frau den Plan, »vielleicht in Dieppe Wannenbäder zu nehmen«20; offenbar waren die beiden etwa 130 km entfernten Badeorte für ihn gleichwertige Alternativen für seine Kuraufenthalte. –​Vermutlich hat Meyerbeer den Vertragsentwurf kurz nach seiner Ankunft Ende August an Crémieux gesandt. Letztlich wurde der Vertrag dann erst zwei Tage nach seiner Rückkehr unterzeichnet. Eine weitere der Forschung bislang unbekannte Quelle ist der fast vollständige Korrektur-​Fahnenabzug des Klavierauszugs der Oper Le prophète, 15 Wiedergegeben in: Meyerbeer, Briefwechsel, vol. 2, p. 664sqq. 16 Cf. Brief Meyerbeers an Minna Meyerbeer, ibid., p. 384sq. 17 Cf. Brief Meyerbeers an Minna Meyerbeer vom 31.8.1834, ibid., p. 387sq. 18 Brief vom 1.9.1834, ibid., p. 388. 19 Brief vom 5.9.1834, ibid., p. 389. 20 Brief vom 28.9.1834, ibid., p. 396.

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der unter der Signatur M 1503 M 35 P 7 1848 Music Case X verwahrt wird. Er erschien 1849 bei Brandus. Er ist allerdings über den Bibliothekskatalog nicht auffindbar; es bedurfte der Recherche mehrerer Bibliothekare, um ihn aufzufinden. Diese Quelle schließt eine wichtige Lücke: Bei der Neuausgabe der Oper war nur ein Korrekturabzug der Akte I–​III sowie der Einzelausgabe der Nummer 27 aus dem V. Akt bekannt21. Diese bekannten Korrekturfahnen enthalten jedoch nur wenige Korrekturen mit roter Tinte, während der nun in Berkeley aufgefundene Korrekturabzug sehr viele autographe Einträge sowohl mit schwarzer als auch mit roter Tinte aufweist. Meyerbeer führte diese Korrekturen im Juni und Juli 1849 durch22. Der Klavierauszug wurde schon vor 1964 von dem langjährigen Musikbibliothekar Vincent Duckles erworben und in der Lehre verwendet; John H.  Roberts erinnert sich, im Frühjahr 1964 eine Seminararbeit darüber geschrieben zu haben23. Die Quelle enthält folgenden handschriftlichen Titel in deutscher Sprache: »Korrektur-​Autograph von Giacomo Meyerbeer: Klavierauszug mit französischem Text vom Prophet mit zahllosen Notenverbesserungen und Bemerkungen.«

Im Anschluss werden die Seitenzahlen benannt: Der 1. Akt (Seiten 1–​51) ist vollständig. Vom II. Akt sind die Seite 52 und die Seiten 77–​109 (Schluss) erhalten; es fehlen die Seiten  53–​76. Der III. Akt (Seiten 110–​230) ist wieder vollständig. Vom IV. Akt sind die Seiten 231–​266 und 271–​316 (Schluss) erhalten, es fehlen nur die vier Seiten 267–​270, Der V. Akt (Seiten 317–​380) ist wieder vollständig.

Die Korrekturen des I. Akts und der ersten Seite des II. Akts sind in roter Tinte ausgeführt und betreffen Erfahrungen aus der Pariser Uraufführungsproduktion. So werden grundsätzlich die Metronomisierungen nachgetragen, darauf weist auch ein Tagebucheintrag vom 1.  Juli  1849 hin24. Viele Korrekturen betreffen die Regieanweisungen oder die Positionierung von Sängern wie die Festlegung, dass die drei Anabaptisten auf einem Hügel und mit segnenden Gebärden auftreten sollen (Anfang No. 3, Seite  15); auch wird die Position der Klarinetten im einleitenden Klarinettendialog »dans les coulisses« und »dans l’orchestre« erst jetzt festgelegt, vorher stand nur »en 21 Cf. Giacomo Meyerbeer, Le prophète (Giacomo Meyerbeer Werkausgabe 14), ed. Matthias Brzoska, München (Ricordi) 2011, Kritischer Bericht, p. 5. 22 Cf. Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, vol. 5, ed. Sabine Henze-​ Döhring, Berlin (de Gruyter) 1998, pp. 3–​38. 23 Laut Korrespondenz mit dem Verfasser, E-​Mail vom 3.4.2019. 24 Cf. Meyerbeer, Briefwechsel, vol. 5, p. 22.

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echo« bei der entfernteren Klarinette (Seite 2). Andere Einträge betreffen die Größe von Buchstaben wie z.B. »Gravez Pressez un peu en gros caractères« (Seite 16). Andere Korrekturen betreffen Phrasierungsbögen (Seite 7), Bindebögen (Seite 16) oder Tonhöhenkorrekturen (Seite 17), die Dynamik wie z.B. »Effacez p« (Seite 29) oder den gesungenen Text, z. B. die Anweisung, dass die Solisten »Suivons-​nous, amis« singen sollen, während das Volk »Suivons les amis« singt (Seite 31); auf Seite 23 werden die fehlenden Stimmbezeichnungen (1ières Sopranos, 2e Sopranos usw.) und auf Seite 47 die fehlende Nummernbezeichnung des Finales nachgetragen. Die Korrekturen des II. Akts sind sehr viel geringer und zudem in schwarzer Tinte ausgeführt. Sie betreffen fast nur die Regieanweisungen und einzelne Tonhöhenfehler (Seite 82); manchmal werden eher Fragen formuliert wie »ces mesures sans accpt ne sont pas du même mouvement que les précédentes, ne faut-​il pas l’indiquer?« (Seite  107) bzw. »Ceci n’est-​il pas plus lent aussi?« (Seite  108). Erkennbar sind diese Korrekturen in einem anderen Arbeitsstadium entstanden, da die Metronomisierungen noch fehlen, möglicherweise vor einem genaueren Korrekturgang. Die Korrekturen des III. Akts entsprechen wieder dem ausführlicheren Arbeitsstadium des I. Akts. Sie sind in Rot, gelegentlich aber auch in Schwarz ausgeführt. Wieder sind die Metronomisierungen durchgängig in Rot nachgetragen. Sehr oft werden Bindebögen korrigiert (entweder eliminiert oder nachgetragen, z.B. auf den Seiten 117, 119, 120, 124, 125) und die Dynamik wird präzisiert (Seiten 159, 171, 188, 192, 210). Ein sehr interessanter Fall ist das Vorkommen sowohl von schwarzen wie roten Korrekturen auf der Seite 193. Hier kann man klar erkennen, dass Meyerbeer zunächst den schwarzen Korrekturgang ausgeführt hat: Er ergänzte zunächst die Dynamikanweisung »Un peu moins serré« sowohl in den Noten wie auch am Rand in schwarzer Tinte und korrigierte »serré« dann mit roter Tinte in »vite«. Dieser Befund korreliert mit der Arbeitsweise an der Partitur, in der auch die roten Korrekturen später ausgeführt wurden als schwarze Korrekturen. Gleichzeitig notierte er am Rand die Anweisung »Gravez ceci en gros caractèeres«. Auf S. 187 wird ein Tonhöhenfehler in schwarzer Tinte in Tonbuchstaben »Mi Fa Mi Re« und anschließend in roter Tinte nochmals in Noten notiert. Auf Seite 196 wird der Hinweis auf das Leitmotiv »Mouvement de la Pastorale du 2nd acte« nachgetragen. Diese Leitmotivstelle, die im Verlauf der Komposition erst gegen Ende überhaupt eingefügt wurde und u.a. eine dann wieder verworfene Instrumentierung mit dem neu erfundenen Saxophon erfuhr25, wurde auch im Klavierauszug sehr gründlich redigiert.

25 Cf. Matthias Brzoska, »…eine Oper aus dem Kopf…«. Giacomo Meyerbeers Grand Opéra »Le prophète« (1849). Dramatische Konzeption und edierte

Meyerbeer at the Bay Area. Meyerbeeriana in Stanford und Berkeley 191

(Seiten 196–​200). Auf Seite 213 wurde in der Prière des Jean ein fehlender Takt nachgetragen. Der IV. Akt hat ähnlich intensive Korrekturen erfahren. Auf dem ersten Blatt (Seite 231) steht der Vermerk in schwarzer Tinte »Epreuve revue par M. Garaudé«. Alexis Albert Garaudé, Korrepetitor an der Opéra-​Comique, der später auch den Klavierauszug von Meyerbeers L’étoile du nord erstellte, war also auch schon an der Arbeit am Klavierauszug des Prophète beteiligt. Grundsätzlich erfolgte der Nachtrag der Metronomisierungen wieder in roter Tinte. In der Eröffnungsnummer (No. 21 Entracte et Chœur des Bourgeois) wird noch eine Textänderung der Uraufführung nachvollzogen (Seiten 235–​236):  Der Satz »des princes electeurs a prononcé la chute et pour leur successeurs il a nommé des chefs anabaptistes qui vont le proclamer en face du soleil Empereurs d’allemagne« wird durch den deutlich kürzeren Satz »qui vient, pour nous damner, dans nos murs, va, dit-​on, se faire couronner comme Roi des anabaptistes« ersetzt, was dann auch zum Strich einiger Takte führt. In der Complainte (No. 22)  und dem folgenden Duo (No. 23) wird mehrfach die Dynamik korrigiert (Seiten 237, 242, 243, 259). Im Marche du Sacre (No. 24) wird die Regieanweisung gekürzt. Im Chœur d’Enfants (Seite 273) wird die Taktart zu 2/​4 geändert; am Beginn der Couplets der Fidès wird das Vorzeichen eliminiert, weitere Änderungen betreffen Tonhöhenkorrekturen. Auf Seite 295 wird eine Textänderung im Chor vorgenommen und ein Crescendo eingefügt. Auf den Seiten 300–​307 werden zahllose Änderungen an Dynamik und Phrasierung und vereinzelt auch an Tonhöhen vorgenommen. Auf Seite 307 wird eine Anweisung für Jeans Gestik gestrichen. Der Abschnitt »L’Exorcisme« (Seiten 308–​310) erfährt ebenfalls viele Korrekturen der Dynamik und Rhythmik, auf Seite 313 wird die Stimmführung im Chor geändert. Der V.  Akt ist ebenfalls fortlaufend mit Korrekturen in schwarzer und roter Tinte versehen. Im einleitenden Rezitativ betreffen die Korrekturen Textierungsfehler und Tonhöhen sowie Regieanweisungen. In der Cavatine wird auf Seite 323 ein »ad libitum« in die Kadenz eingefügt. In der Air (Seite 325) wird das Tempo zu »un peu moins vite« korrigiert. In der Kadenz wird der abschließende Hochton im Kleinstich als Variante eingefügt (Seite 330). Auf Seite  339 werden in den Singstimmen Akzente ergänzt, und auf Seite  341 wird die Phrasierung geändert. Auf Seite  343 wird die Dynamik und auf Seite 345 der Tonhöhenverlauf im Bass korrigiert. Im Finale (Seite 365) wird die Überschrift »Finale a) Bacchanale:  Chœur dansé« in schwarzer Tinte eingefügt, in roter gestrichen und dann in schwarzer Tinte anders formatiert

Werkgestalt, Paderborn (Schöningh) 2014 (Nordrhein-​Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste, Vorträge G 442).

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erneut eingefügt. Auf Seite 375 wird ein Vorzeichen getilgt und auf den Seiten 378–​379 eine fehlende Phrase im Alt nachgetragen. Insgesamt zeigt der Korrekturabzug, dass Meyerbeer seine Oper gründlich und akribisch korrigierte und dabei insbesondere Erfahrungen aus den ersten Aufführungen der Oper einfließen ließ. Auch wenn nicht alle der Meyerbeer-​Quellen, die in den Bibliotheken der Bay Area erhalten sind, von allererstem Rang sind, so sind sie doch geeignet, neue und teilweise überraschende Facetten zu Leben und Werk des Komponisten aufzuzeigen. Die frühe Geburtstagskantate Meyerbeers offenbart bereits ein bemerkenswertes musikdramatisches Talent und eine beachtliche konzeptionelle Kompetenz des 19-​jährigen Komponisten. Dass er die Verträge, die er mit der Opéra schloss, offenkundig selbst entwarf, war so nicht bekannt, und dass er seine Vorstellungen bereits bei seiner ersten französischen Oper Robert le diable durchsetzen konnte, zeigt nicht nur, dass Meyerbeer bereits aufgrund seiner italienischen Opern hohes Renommée genoss, sondern auch, wie dringend die Opéra um 1830 auf neues Repertoire angewiesen war. Konnte Aubers La muette de Portici als Oper mit stummer Hauptfigur aus naheliegenden Gründen nicht gattungsprägend werden, so war Guillaume Tell von Rossini und de Jouy das Werk von Vertretern der älteren Generation, deren ästhetische Vorstellungen nicht der von den spektakulären und melodramatischen Effekten der Vorstadttheater geprägten Publikumserwartung entsprach. Der Korrekturabzug des Klavierauszugs des Prophète endlich schließt eine wichtige Lücke in der Philologie zu diesem Werk. Meyerbeers akribische Arbeitsweise war zwar grundsätzlich bekannt, auch wusste man, dass er gleichzeitig mit der Partitur auch den Klavierauszug sehr gründlich revidiert hat. Dass diese Korrekturfahnen erhalten blieben, ist gleichwohl eine wichtige Entdeckung, die es nunmehr gestattet, den Arbeitsprozess detailliert nachzuvollziehen. Hierbei zeigt sich, dass konkrete Merkmale der Uraufführungsproduktion wie etwa die Positionierung der Klarinetten im Vorspiel, bestimmte Regieanweisungen und generell sämtliche Metronomisierungen erst nach der ersten Aufführungsserie festgelegt worden sind. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig die Produktionsumstände für die Werkgestalt einer Grand opéra waren. Nicht nur das Livret de mise en scène, das bei Le prophète erstmals zeitgleich mit dem Probenprozess erstellt wurde, sondern auch der Klavierauszug war ein wesentliches Mittel, weitgehende Identität späterer Inszenierungen mit der Pariser Uraufführung herzustellen und somit eine weltweite Homogenität der Aufführungspraxis zu erreichen –​ein Prinzip, das erst im Zeitalter des Films technisch vollständig umsetzbar wurde.

Peter Ross

Modellhaftes Komponieren in Verdis Opern. Versbedingte rhythmische Muster im Frühwerk und deren Verdrängung1 I. Vom ›Gattungswerk‹ zum ›Individualwerk‹ Wenn man die Entwicklungstendenzen in Verdis Opernschaffen auf einen Nenner zu bringen sucht, der möglichst umfassend die diversen Aspekte eines musikalischen Bühnenwerks berücksichtigt, dann lässt sich der stattfindende Prozess unter Verwendung zweier polarer Termini als ein Vorgang charakterisieren, der beim ›Gattungswerk‹ seinen Ausgang nimmt und in Richtung eines ›Individualwerks‹ fortschreitet. Soll der erste Begriff besagen, dass das einzelne Werk schon entscheidend durch gattungsimmanente Merkmale im Sinne von Modellen vorgeprägt ist, aus denen sich das je Spezifische ableitet, so der andere Begriff im Gegenfall, dass eine individuelle, weithin von Gattungsvorstellungen losgelöste Ausprägung erfolgt, die aus einer besonderen, werkimmanenten Merkmalskonfiguration hervorgeht. Hingegen gilt vor allem für Verdis frühe Opernproduktion und bedingt auch für seine mittleren Werke, dass auf formaler Ebene die Vertonungspraxis wesentlich durch ein modellhaftes Komponieren gekennzeichnet ist. Diese Charakteristik ist einmal bereits bei der Mikrostruktur gegeben, da sich die musikalische Phrasenbildung in der Regel an den vorliegenden Versmetren orientiert2 und diese in versspezifische rhythmische Muster transformiert. Ein modellhaftes Komponieren erstreckt sich darüber hinaus aber auch auf größere Formzusammenhänge wie zum Beispiel auf Chor-​und Ariensätze mit gleichartigem situativen Kontext, in denen sich dann textlich wie musikalisch festumrissene Topoi spiegeln. Von den Ausnahmen abgesehen, etwa tanzgenerierten rhythmischen Modellen, die sich mitunter über die vorgegebene Versstruktur hinwegsetzen3, 1 Folgender Beitrag basiert auf einem Vortrag, der 2001 auf Einladung Jürgen Maehders im Rahmen eines Verdi-​Symposiums in Berlin (Staatsoper Unter den Linden) stattfand. Während der gemeinsamen Studien-​und Assistentenjahre mit dem Jubilar an der Universität Bern war die Thematik um den italienischen Vers und dessen Vertonung Gegenstand fortwährender Diskussion. 2 Cf. für eine Aufstellung und Beschreibung der in Verdis Opern verwendeten Verse: Rita Garlato, Repertorio metrico verdiano, Venezia (Marsilio) 1998. 3 Drei Beispiele mögen belegen, wie ein präformiertes rhythmisches Modell –​in diesem Fall der Mazurka –​zu abtaktigen Vertonungen gegen den Sprach-​und

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besteht allgemein ein enger und gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen dem Vers und dessen Vertonung. Dieser Zusammenhang entsteht, indem das metrische Muster des Verses –​das Abfolgeschema von Hebungen und Senkungen –​nach festem Regelsystem in ein rhythmisches Vertonungsmuster umgewandelt wird, das dann als weithin gleichförmiger Phrasenbau der Vokalebene als Basis dient. Bei diesem Transformationsprozess übernehmen zwei musikalische Betonungsmittel –​Taktposition und Tondauer –​wesentlich die Funktion, eine Differenzierung zwischen Hebungen und Senkungen des Verses so zu bewirken, dass erstere gegenüber letzteren musikalisch hervorgehoben sind, eben durch die stärkere Taktposition und allermeist auch die längere Tondauer4. Weitere musikalische Betonungsmittel können noch hinzutreten, die meist wiederum additiv eingesetzt werden. Dazu zählen Betonungen in diastematischer Hinsicht (Tonhöhenakzente), Harmoniewechsel, instrumentatorische und dynamische Effekte. Taktposition und Tondauer stellen jedoch insofern die beiden Primärfaktoren der Akzentuierung dar, als sie nicht nur punktueller Hervorhebung dienen, sondern auch ausgehend von der Vokalebene, bei welcher der Kompositionsprozess mit geringen Ausnahmen ansetzt5, grundlegend über die Strukturierung des zeitlichen Kontinuums bestimmen. Bei der Umwandlung von Versakzentschemata in Vertonungsmuster spielen ferner Modifikationsmittel eine

Versakzent (›Akzentfehlern‹) führen kann: »La tomba è un letto« (Luisa Miller, III, Luisa), »La donna è mobile« (Rigoletto, III, Duca), »Abbietta zingara« (Il trovatore, Introduzione, Ferrando). 4 Cf. Peter Ross, Studien zum Verhältnis von Libretto und Komposition in den Opern Verdis, Diss. Universität Bern 1979, Bern (Gnägi) 1980, vor allem die ausführliche Darstellung eines deduktiven Verfahrens, das die Gesetzmäßigkeiten des Transformationsprozesses am Beispiel des Senario doppio aufweist (pp. 156–​200), was über eine Einteilung musikalischer Phrasen nach ihrem bloßen Erscheinungsbild entschieden hinausgeht. Für ein derartiges Beispiel seltener Abweichung steht das Kompositionsprinzip 5 im Duett Rigoletto/​Sparafucile, indem das Orchester als Melodieträger eintritt und den periodischen Phrasenbau gewährleistet, so dass die Vokalstimmen, von ihrer konstruktiven Funktion befreit, nun deklamatorisch frei in den Orchestersatz einmontiert werden können und im Unterschied zum gewohnten strophischen Wechselgesang ein wirklich dialogisierendes Duett entsteht. Das Verfahren lässt sich auch unmittelbar in Rigoletto an Verdis Arbeitsprozess und seinen Skizzen zur Partitur nachweisen. Über dem strukturbildenden Element der Introduktion, einem Galopp der Banda interna, kann Verdi die ursprünglichen deklamatorischen Phrasen verschieben, und dieser Vorgang ist etwa an den Textstellen »Lo ignora.« (Duca) und »Quante beltà!…« (Borsa) zu beobachten (L’abbozzo del »Rigoletto« di Giuseppe Verdi, Milano 1941, Ristampa anastatica:  Bologna [Arnaldo Forni] 1978).

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wesentliche Rolle, denn mit ihnen erweitert sich der Spielraum rhythmischer Modelle beträchtlich. Hierbei handelt es sich um die Synkopierung (Verschiebung von Tondauern auf unbetonte Silben), die Melismatik (Aufspaltung von Silben in mehrere Noten) und die Spezzatur (Aufbrechung von Melodien durch Pausen).

II. Das synkopierte Ottonario-​Modell der Cabaletta Um den Charakter des modellhaften Komponierens und die damit im Regelfall einhergehende enge Beziehung zwischen einer Versart und deren Vertonung optisch sinnfällig zu machen, eignet sich kaum ein anderes Beispiel besser als jenes Synkopenmodell, das Verdi im Zeitraum weniger Jahre in geradezu stereotyper Form dreimal bei Baritoncabaletten verwendet, denen ein Ottonario zugrunde liegt. Es handelt sich um die Cabaletten Ezios (Attila, 1846) und Seids (Il corsaro, 1848) sowie diejenige Macbeths als in den Cabaletten eher seltene Variante in Moll (Macbeth, erste Fassung der Oper, 1847).

Notenbeispiel 1:  a. Ezio (Attila, II) –​b. Seid (Il corsaro, III) –​c. Macbeth (Macbeth, III).

Die rhythmische Gestaltung der Phrasen ist von geradezu frappierender Gleichartigkeit. In allen drei Fällen wird der Ottonario in eine zweitaktige Phrase im 4/​4-​Takt eingepasst und rhythmisch auf dieselbe Weise umgesetzt, wobei die stark abgestufte Verteilung der Tondauern auf die einzelnen Silben zwischen halber Note und Sechzehntel ins Auge fällt. Doch die besondere rhythmische Charakteristik entsteht vor allem durch die Synkopierung im Phraseninnern. Wenn zunächst nur die vordere, aus vier Silben und Noten bestehende Phrasenhälfte ins Auge gefasst wird, fällt auf, dass gegenüber den beiden auf die vierte, leichte Zählzeit fallenden Anfangssilben, die einen doppelten, mit einer punktierten Achtel und folgender Sechzehntel im Notenwert

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differenzierten Auftakt bilden, die Silben drei und vor allem vier extrem gedehnt sind, für sich allein drei Viertel des Taktraums beanspruchen. Durch diese Längendifferenzierung zwischen allen Silben erhält das rhythmische Muster bereits eine prägnante Kontur. Doch seine außerordentliche Schärfe gewinnt es erst durch die Vornahme der Synkopierung, nämlich die Tondauerverschiebung von dem am Taktbeginn positionierten Versakzent der dritten Silbe auf die nachfolgende Senkung. Denn die Divergenz zwischen den beiden Akzentuierungsmitteln, ihre Aufspaltung, indem die Betonung durch die stärkere Taktposition der Vershebung zwar erhalten bleibt, die Hervorhebung durch die Tondauer jedoch auf die folgende Senkung übertragen und zudem noch mit der Vortragsbezeichnung marcato verstärkt wird, führt zu einer extremen Reibung im Taktgefüge. Mit geringen Abweichungen in der Cabaletta Macbeths, die vor allem durch Auflösung einer Sinalefe auf fünfter Silbe verursacht sind, tritt dieselbe rhythmische Gestaltung nochmals in der zweiten Phrasenhälfte bei den Silben fünf bis acht auf und verschärft mit dieser Wiederholung die Reibung bis in die Phrasenkadenz hinein. An Schroffheit ist der rhythmische Charakter der Gesamtphrase kaum zu übertreffen. Das Modell des synkopisch vertonten Ottonario wird bereits vor Verdi verwendet. Friedrich Lippmann verweist in seiner großen, mehrteiligen Untersuchung Der italienische Vers und der musikalische Rhythmus schon auf dessen Verwendung vor allem bei Donizetti6, führt in seinem umfangreichen Katalog musikalischer Phrasen allerdings noch kein Beispiel für das Settecento an. Erwähnt wird das synkopische Modell auch schon von Abramo Basevi in seiner Studie aus dem Jahre 1859 über Verdis Opern mit Bezug auf Ezios Cabaletta »È gettata la mia sorte« und folgendermaßen kommentiert: È questo un ritmo che presta al canto molta energia, e produce un effetto brusco, per l’accento che riceve la nota nel secondo quarto della battuta, che è uno de’ così detti quarti deboli. Il raccogliere la forza nel punto ove l’orecchio è abituato a trovare debolezza, è un mezzo adoprato anche da altri maestri, per dare al canto cotale aspetto di energia, che rappresenta assai bene l’animo agitato da qualche veemente passione.7

6

7

Friedrich Lippmann, Der italienische Vers und der musikalische Rhythmus. Zum Verhältnis von Vers und Musik in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts, mit einem Rückblick auf die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, II. Teil, in: id. (ed.), Studien zur italienisch-​deutschen Musikgeschichte IX, Köln (Arno Volk) 1974 (Analecta musicologica 14), pp. 324–​410: 369, Beispiel 268. Abramo Basevi, Studio sulle opere di Giuseppe Verdi, Firenze (Tipografia Tofani) 1859, Ristampa: Bologna 1978, p. 116.

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Verdi bedient sich beim Ottonario noch drei weitere Male des Synkopenmodells, in I masnadieri (1847) für die Cabaletten Carlo Moors »Nell’argilla maledetta« und Amalias »Carlo vive?… oh caro accento« sowie in La battaglia di Legnano (1849) für das Duett Arrigo/​Rolando »Ben vi scorgo nel sembiante«. Der Toposcharakter dieser synkopischen Ottonario-​Vertonung vermittelt sich geradezu drastisch im Höreindruck, wird aber auch an einer optischen Gegenüberstellung der Beispiele, die bei Verdi erscheinen, in aller Deutlichkeit sichtbar:

Notenbeispiel 2:  a. Ezio (Attila, II) –​b. Macbeth (Macbeth, III, 1847) –​c. Carlo Moor (I masnadieri, I) d. Amalia (I masnadieri, II) –​e. Seid (Il corsaro, III) –​ f. Rolando (La battaglia di Legnano, II).

Selbstverständlich steht dem Modell im Rahmen von Basevis allgemein umschriebener »veemente passione« mit der Variation anderer musikalischer Gestaltungsmittel ein breiteres Ausdrucksspektrum offen. Insbesondere wenn Tempo und Instrumentation differieren und wenn etwa an die Stelle des aufpeitschenden Polacca-​Rhythmus in Ezios Cabaletta eine durch nachschlagende Akkorde federnde Achtelbegleitung in Amalias Cabaletta tritt, kann der Spielraum vom auftrumpfenden Gestus eines Feldherrn, der einen

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entscheidenden Entschluss gefasst hat, bis zum ekstatischen Jubel einer Frau auf die Nachricht reichen, dass der totgeglaubte Geliebte noch am Leben sei. Dennoch steht das Modell mit seinem überaus markanten, forciert wirkenden Rhythmus für Verdis Tendenz, in den frühen Opern –​zumal in Sätzen mit schnellem Tempo wie der Cabaletta –​krasse Effekte einzusetzen. Dieses stereotype Synkopenmodell ist für den plakativen Kompositionsstil der vierziger Jahre charakteristisch, und so wirkungsvoll es im Einzelfall sein mag, erstarrt es bei gehäufter Anwendung rasch zur Formelhaftigkeit. Nicht von ungefähr ist der Ottonario sincopato in Verdis Werken nur im Zeitraum weniger Jahre bis 1850 in Gebrauch und kommt danach nicht mehr zur Anwendung8.

III. Situativ bedingte Vertonungsmodelle Eine besondere Bedeutung in der italienischen Literatur kommt dem Endecasillabo zu, und dies gilt auch im Rahmen der Librettistik, vor allem durch seine Verwendung in Rezitativen, gemeinsam mit Settenari, beide in reimloser Form (Versi sciolti) eingesetzt9. In gereimter Form tritt er in den Libretti hingegen selten im frühen Ottocento auf –​Lippmann führt nur wenige Beispiele an10. Umso erstaunlicher ist, dass der gereimte Endecasillabo schon in Verdis frühen Werken erscheint und zudem in einem spezifischen situativen Kontext:  Er ist an die Sphäre des Sakralen und Numinosen gebunden, im Weiteren auch des Übersinnlichen, und er bleibt überdies beschränkt auf Szenen mit Chorgesang11. Im Frühwerk Verdis ist zunächst der Inno »Te, Dio, lodiam, te confessar n’è vanto« in Giovanna d’Arco zu nennen. Es handelt sich hier um einen mehrstimmigen, gemischten Chorsatz a cappella, der in unmittelbarer Bindung an die Liturgie zu vernehmen ist, nämlich aus dem Innern der Kathedrale von Reims anlässlich einer Königskrönung. Im zweiten Bild des Prologs von Attila erklingt abermals eine Lobpreisung Gottes, in diesem Fall für die Errettung der Flüchtlinge von Aquileia aus einem Sturm, von Eremiten angestimmt (Bassi I/​II, »Qual notte! –​Ancor fremono 8 Noch bei der Neufassung von Simon Boccanegra beklagt sich Verdi über den doppelten Auftakt mit Punktierung bei der Vertonung des Ottonario: »quelle maledette due note in levare« (Mario Medici/​Marcello Conati [edd.], Carteggio Verdi-​Boito, Parma [Istituto di Studi Verdiani] 1978, vol. 1, p. 25). 9 Cf. zur Geschichte des Elfsilblers in der italienischen Literatur und zu dessen Verscharakteristik in der Librettistik, besonders in den Opern Verdis: Anselm Gerhard, Der Vers als Voraussetzung der Vertonung, in: id./​Uwe Schweikert (edd.), Verdi Handbuch, Stuttgart/​Weimar (Metzler), Kassel (Bärenreiter) 22013, pp. 201–​ 222 (Endecasillabo, pp. 207–​210). 10 Lippmann, Der italienische Vers, pp. 406–​410. 11 Cf. Ross, Das Verhältnis von Libretto und Komposition, pp. 56–​58; später auch Gerhard, Der Vers als Voraussetzung der Vertonung, p. 209sq.

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l’onde al fiero«). Als drittes Beispiel kann, wiederum in Attila, der Chor der Priesterinnen im Finale secondo »Chi dona luce al cor? … Di stella alcuna« angeführt werden, und im Weiteren können darunter auch die numinosen Prophezeiungen der Hexen an Banco verstanden werden (»Men sarai di Macbetto e pur maggiore!«) sowie der Dialog Macbeths mit ihnen in der Gran scena delle apparizioni (»Che fate voi misterïose donne?«). Der gereimte Endecasillabo reicht als Verstopos für religiöse Szenen auch noch in die späteren Opern Verdis hinein und findet mit den Fernchören in Stiffelio (»Non punirmi, Signor, nel tuo furore«) und Il trovatore (»Miserere d’un’alma già vicina«)12 sowie den Anrufungen der vorbeiziehenden Pilger in La forza del destino (»Padre Eterno Signor…  –​Pietà di noi.«) und der Priester aus dem Untergrund in der Gerichtsszene von Aida (»Spirto del Nume, sovra noi discendi!«) eine Fortsetzung. Gerade in diesen Fällen wird der Charakter der Anrufung in Form eines Bittgebets deutlich. Die musikalische Gestaltung geschieht in allen Fällen auf gleiche oder zumindest ähnliche Weise:  Die genannten Beispiele für den Chor stehen vor allem im 4/​4-​Takt und sind abtaktig, die Vertonung erfolgt syllabisch und homophon in den Fällen eines mehrstimmigen Satzes, typisch ist der deklamatorische Charakter, ein geringer melodischer Ambitus sowie häufige Tonrepetition13. Erst im Libretto von Aida gewinnt der gereimte Endecasillabo jenseits der religiösen Sphäre an allgemeiner Bedeutung, erstaunlicherweise auf Anregung des experimentierfreudigen Komponisten14, der in dem Langvers mit seinen größeren Reimabständen Möglichkeiten zu einer fließenden, prosanäheren Vertonung sieht, wohl aber auch die Aufwertung der Librettistik durch die höchste literarische Wertschätzung dieses Verses im Auge hat: »Io qui avrei amato il gran verso, il verso di Dante, ed anche la terzina«15. Nach diesen 12 Im Libretto zur Uraufführung lautet dieser Vers noch aus Zensurgründen »Ah! Pietade d’un’alma già vicina.« 13 Nur der Chor der Priesterinnen in Attila weist diese charakteristischen Merkmale nicht auf. Muzio vermutet in diesem Chor »una musica greca« (Brief vom 30. März 1846, in: Giuseppe Verdi nelle lettere di Emanuele Muzio ad Antonio Barezzi, ed. Luigi Agostino Garibaldi, Milano [Treves] 1931, p. 237). 14 Verdis Wunsch nach metrischen Innovationen wird nirgends so deutlich wie in den Briefen an Antonio Ghislanzoni, seinen Librettisten für Aida, etwa mit der für ihn typischen Erwartungshaltung: »Una romanza con versi novenari? Che diavolo ne salterebbe fuori?« oder »E provi un po’ a fare un verso lungo ed uno corto; per esempio, un ottonario e un quinario […] Vedremo che diavolo ne salterà fuori.« (I copialettere di Giuseppe Verdi, [edd.] Gaetano Cesari/​Alessandro Luzio, Milano 1913, ristampa: Bologna [Forni] 1968, pp. 660 und 662sq.). 15 I copialettere di Verdi, p. 665. Verdis Hinweis auf Dante und die Terzina tritt dann nochmals auf, für den Priesterchor und die Reaktion von Amneris: »Endecasillabi. Terzina dantesca« (p. 666).

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Experimenten wird erst mit Arrigo Boito der Endecasillabo selbstverständlicher Bestandteil des Versrepertoires in den beiden Spätwerken Verdis. In Otello begegnet er in vielfältigster Form, in gereimten oder reimlosen Passagen, oft auch in heterometrischer Konstruktion, verbunden mit Settenari und gelegentlich Quinari. In Falstaff hingegen, in dem durch eine personenspezifische Versverwendung weithin größere Formkomplexe entstehen  –​wie im Fall des ›Titelhelden‹ mit dem Settenario doppio16 –​besteht ein vollständiger Verzicht auf Versi sciolti: das gesamte Libretto ist ausnahmslos gereimt. Eine gewisse Affinität zur religiösen und übersinnlichen Sphäre besteht auch bei dem ansonsten weitgehend unspezifisch eingesetzten Settenario und zeigt sich bereits bei einem frühen Beispiel im ersten Akt von I lombardi (siehe Notenbeispiel 3). Ähnlich der Szene von Giovanna d’Arco in Reims klingt aus dem Innern der Mailänder Kirche Sant’Ambrogio der Gesang von Nonnen (»A te nell’ora infausta«) nach außen. Und abermals in ähnlicher Situation, wie der schlafenden Giovanna d’Arco im Prolog der Oper ein »Coro di Spiriti eletti« erscheint (»Sorgi! I celesti accolsero«)17, findet sich dieser Topos der Geistererscheinung –​ausdrücklich auch im Nummernverzeichnis als »Visione« bezeichnet –​bereits in I lombardi (IV/​1). Im Traum wird Giselda von einer »visione di spiriti celesti« überrascht, und im weiteren Verlauf des Chorsatzes tritt auch hier das typische rhythmische Modell auf (»Vieni, che il ben dividere«). Die Vertonung eines Settenario nach demselben ›liturgischen‹ Muster kommt dann auch in Attila vor. Zu einer Prozession von Frauen und Kindern mit Papst Leo an der Spitze, die dem Hunnenheer vor Rom entgegenzieht, erklingt der Chorgesang »Vieni, le menti visita«. Bei dessen zwei Settenario-​Quartinen handelt es sich um Auszüge aus dem Pfingsthymnus »Veni creator spiritus« (Beginn und ausgewählte Textpassagen), die vom Libretto zensurbedingt in italienischer Übertragung angeführt werden. Doch die Traditionslinie reicht von Verdis frühen Opern noch weiter bis zu seinem letzten Werk. In einer gleichsam exorzistischen Szene, die Boito für das Schlussbild von Falstaff konstruiert, treibt er sein Spiel mit einer Litaneiparodie, greift allerdings, da es sich um einen quasi-​liturgischen Wechselgesang handelt, in diesem Fall auf den doppelten Settenario zurück, den Alessandrino. Er teilt dann dessen Halbverse zwischen den Frauen Alice, 16 Cf. Ross, Das Verhältnis von Libretto und Komposition, p. 273sq. Falstaffs auch durch den Vers bestimmte Personencharakteristik führt dazu, dass das gesamte erste Bild aus Alessandrini (doppelten Settenari) besteht, da sich die beiden Diener  –​wie später auch andere Dialogpartner  –​seiner Sprechweise anzupassen suchen. 17 Dieser »Coro di Angeli« erscheint in fast identischer Wiederholung nochmals, als Giovanna im Duett mit Carlo ermahnt wird, nicht irdischen Gelüsten zu folgen (»Guai se terreno affetto«).

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Meg und Quickly einerseits und Falstaff andererseits auf –​im Übrigen im Anfangsvers mit dem stupenden Wortspiel der Anrufung »Domine fallo casto« und Falstaffs ›Respons‹ »Ma salva mi l’addomine«18. Die Gemeinsamkeiten bei dieser Art der Vertonung des Settenario, die zudem substanziell mit den beim Endecasillabo beobachteten Merkmalen übereinstimmen, lassen keinen Zweifel am rhythmisch-​melodischen Modell, an dem sich diese musikalischen Phrasen orientieren, dem Vorbild des liturgischen Gesangs.

Notenbeispiel 3:  a. Coro di claustrali, soprani I (I lombardi alla prima crociata, I) –​ b. Coro di spiriti celesti, soprani I (I lombardi alla prima crociata, IV) –​c. Coro di angeli (Giovanna d’Arco, Prologo) –​d. Vergini e fanciulli (Attila, Finale primo) –​ e. Alice, Meg, Quickly (Falstaff, III/​2).

IV. Der Inno di guerra Ein weiterer, nunmehr textlich wie musikalisch festumrissener Topos, der in Verdis Frühwerk mehrfach auftritt, ist der auch offiziell einmal im Nummernindex eines Klavierauszugs so bezeichnete »Inno di guerra«19. Das unmittelbare Vorbild für Verdi dürfte dabei der berühmte Kriegsgesang 18 Cf. Dietmar Holland, Die Welt ist ein Irrenhaus oder: Die Obertöne Shakespeares, in: Attila Csampai/​Dietmar Holland (edd.), Giuseppe Verdi, »Falstaff«. Texte, Materialien, Kommentare, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1986, pp. 9–​31: 22sq. 19 I lombardi alla prima crociata, IV: »Scena, Inno di Guerra e Battaglia«.

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»Guerra! guerra! Le Galliche selve« aus Vincenzo Bellinis Norma abgegeben haben. Dieser Chor erklingt im zweiten Akt der Oper, nachdem Norma die Gallier zum bewaffneten Kampf gegen die Besatzungsmacht der Römer aufgerufen hat. Nicht zufällig liegt dem Chor ein Zehnsilbler mit anapästischem Rhythmus zugrunde –​also festen Betonungsstellen auf dritter, sechster und neunter Silbe. Dieser Decasillabo, der den Beinamen »manzoniano« trägt, verfügt zumal als längerer Vers über eine größere Spannkraft als etwa ein trochäischer Ottonario, da sich bei ihm der Akzent erst nach zwei Senkungen anschließt, während der Achtsilbler aus viermaliger Abfolge von Hebung und Senkung besteht, mithin einen abfallenden Rhythmus hat. Trotz seines sehr ausgeprägten Bewegungscharakters erzeugt der Decasillabo in der Vertonung, vor allem in Abhängigkeit vom Tempo, sehr unterschiedliche Wirkungen20. Zu den feierlich getragenen, pathetischen Decasillabo-​Chören in meist extrem langsamen Tempi, wie sie in Nabucco (»Va pensiero sull’ali dorate«), I lombardi (»O Signore, dal tetto natio«) und Ernani (»Si ridesti il Leon di Castiglia«) erscheinen, bilden die Kriegshymnen, die galoppartig vertont sind, mit ihren ausgesprochen schnellen Tempi den stärksten Kontrast. Ihre Ausdruckscharakteristik besteht primär in einer ungehemmten Wildheit, die Bellini in seinem Kriegsgesang noch durch die ungewöhnliche Vorgabe »Allegro feroce« hervorzuheben sucht. Bei Verdi kommt eine solche Kriegshymne erstmals in I lombardi alla prima crociata vor, zunächst im zweiten Akt als gemeinsamer Aufruf der Kreuzritter zum Kampf gegen die Muselmanen auf den Decasillabo »Stolto Allhà!… sopra il capo ti piomba«. Das Stück erscheint dann, musikalisch nahezu identisch und nun als »Inno di guerra« bezeichnet, nochmals im Finalakt mit neuem Text. Dieser lautet »Guerra! guerra! S’impugni la spada«, beginnt also mit demselben zweimaligen Schlachtruf »Guerra!« wie der Chor in Norma. Die Hymne, ein Allegro vivace im 4/​4-​Takt, wird von den Solisten Giselda, Arvino, Pagano und dem gemischten Chor vorgetragen. Das nächste Mal begegnet der typische Rhythmus der Kriegshymne am Beginn des Finale secondo von Attila, wo er allerdings nur den Mittelteil eines Lobgesangs auf Wotan bildet, und zwar zum Text »Allo squillo che al sangue ne invita«. Die kriegerische Atmosphäre teilt diese Szene mit derjenigen in I lombardi, und in Attila ist ebenso die Rede von Trompeten, doch kommen sie hier auch real zum Einsatz, bis der bereits erwähnte Prozessionsgesang »Vieni, le menti visita« dem martialischen Gebrüll ein jähes

20 Cf. Peter Ross, Amelias Auftrittsarie im »Maskenball«. Verdis Vertonung in dramaturgisch-​textlichem Zusammenhang, in: Archiv für Musikwissenschaft 40 (1983), pp. 126–​146 (vor allem: 135–​140).

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Ende bereitet –​zweifellos eine der stärksten Kontrastwirkungen, die Verdi je in seinen Opern erzielt hat. Der Topos des Inno di guerra wird auch auf szenische Situationen übertragen, die nicht mit großen Heerscharen oder unmittelbar mit militärisch organisierten Kollektiven von Kriegern oder Soldaten in Zusammenhang stehen. Im Finale secondo von I masnadieri ruft der Räuberhauptmann Moor seine Gefährten zum Kampf gegen die Soldaten auf, die ihr Lager umstellt haben. Daraufhin stimmen alle zur Demonstration ihrer Solidarität einen Inno di guerra mit der charakteristischen homophonen und damit wuchtigen Setzweise an. Der Galoppcharakter der Kriegshymne tritt in diesem Fall durch das Prestissimo-​Tempo besonders stark hervor. Im Übrigen besteht auch hinsichtlich der szenisch-​musikalischen Vorbereitung der Hymne eine deutliche Parallele zu Attila. In beiden Fällen setzt das Finale mit einer raschen Auftrittsmusik ein, und dann kommt es nur zu einem knappen Dialog zwischen Protagonist und Chor, bevor nach einem Trompetenstoß die Kriegshymne losbricht. »Su, fratelli! corriamo alla pugna« lautet der Beginn der Hymne in I ma­ snadieri, die von Andrea Maffei verfasst wurde, der ansonsten als Librettist kaum in Erscheinung trat, als Übersetzer in seiner Zeit aber berühmt war. Bereits in diesem Vers finden sich wesentliche Textkennzeichen des Inno di guerra vereint, nämlich der Appellcharakter der Sprache, die Imperativform, verbunden mit einem Verb der Bewegung, die Betonung von Solidarität und Kampfbereitschaft. Neben einem Vokabular, das unter Bedrohung und Schmähung des Feindes um die Begriffe Rache und Vernichtung, Blut und Tod einerseits, um Triumph und Ruhm andererseits, kreist, verbinden diese Merkmale in gewissem Maße alle vier Hymnen über die verschiedenen Autoren  –​Romani, Solera und Maffei  –​hinweg. Dabei ist diese Sprache nach Stil und Inhalt grundsätzlich nicht verschieden von der sonstigen Dichtung, die mit politischer Zielrichtung im Umfeld des Risorgimento entsteht. Als in Mailand im März 1848 die Revolution ausbricht, sich die Stadt in den »Cinque giornate« gegen die österreichische Fremdherrschaft erhebt, verfasst Andrea Maffei im Auftrag der neuen provisorischen Regierung einen »Inno popolare«, der als Flugblatt gedruckt in Umlauf gebracht wird21. Dieses Gedicht besteht wie die Mehrzahl der Hymnen in den Libretti ebenfalls aus Decasillabi und zeigt das aus dem Inno di guerra vertraute Bild. Es droht dem Feind mit einer »vendetta tremenda«, beschimpft seine »infami ma­ snade« und sein »sangue esecrato«, mit dem der Durst des langen Leidens

21 Ein Wiederabdruck des aus sechs Quartinen bestehenden Gedichts in:  Marta Marri Tonelli, Andrea Maffei e il giovane Verdi, Riva del Garda (Museo Civico Riva del Garda) 1999, p. 190.

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gestillt würde. Es lässt das italienische Schwert (»acciar«) auf die Köpfe der österreichischen Hydra niedergehen, und es ruft alle Italiener zur Solidarität auf: »O fratelli, vi unite ai fratelli!«. Außerdem sind in Maffeis Gedicht gewisse Anklänge spürbar an Alessandro Manzonis Ode »Marzo 1821«, die ebenfalls in Decasillabi gefasst und Theodor Körner gewidmet ist, dem »poeta e soldato della indipendenza germanica«22. Die textliche Traditionslinie des Inno di guerra weist über die Librettistik hinaus und zurück auf ältere Wurzeln in der italienischen Versdichtung. Der Ausdruckscharakter der Kriegshymne ist gewiss entscheidend mitgeprägt durch das rasche Tempo, den homophonen Chorsatz und die akkordisch massive Orchesterbegleitung im Fortissimo mit meist hervorstechendem Blechbläserklang. Doch das grundlegende Element bleibt die Verwendung eines anapästischen Decasillabo mit einer spezifischen rhythmischen Umsetzung. Bei der Arbeit an Aida stellt Verdi in einem Brief an den Librettisten Ghislanzoni einmal fest, dass der Decasillabo in Allegro-​Sätzen eine allzu hüpfende Wirkung habe (»troppo saltellante«)23. Das gilt für den Fall, wenn das Akzentmuster gleichmäßig umgewandelt wird, symmetrisch in dem Sinne, dass alle Versakzente denselben Notenwert und zugleich einen größeren als die Senkungen erhalten. Dieser Bewegungscharakter ändert sich jedoch völlig, wenn etwa eine Gewichtsverlagerung auf den Phrasenkopf erfolgt, der Versakzent auf dritter Silbe stark gedehnt, derjenige auf sechster Silbe aber entsprechend verkürzt mit den Senkungen nivelliert wird. Verdi beschreibt die Wirkung dieser Vertonungsart mit dem Bild eines Hammers (»come un martello«) und nennt sie schreckerregend24. Diese asymmetrische Vertonung mit dem wuchtigen, hammerartigen Phrasenkopf setzt er dann auch für den Priesterchor in der Gerichtsszene ein: »Radamès, è deciso il tuo fato«. Ein gleichartiger Vorgang wie beim Martello-​Modell geschieht nun beim Inno di guerra, bei dem das symmetrische Grundmuster ebenfalls in ein asymmetrisches, anfangsbetontes Muster umgewandelt wird. In diesem Fall werden die beiden Senkungen am Versbeginn vom Notenwert her wie ein Akzent behandelt und von einer Achtelnote zur Viertelnote gedehnt25. So 22 Cf. Michele Scherillo (ed.), Le tragedie, gl’inni sacri e le odi di Alessandro Manzoni, Milano (Hoepli) 1907, pp. 497–​500. 23 I copialettere di Verdi, p. 665. 24 »[…] quell’accento a tre a tre percuoterebbe come un martello e diventerebbe terribile« (ibid.). 25 An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass aus Teilen von rhythmischen Modellen Kombinationen entstehen können. Ein Beispiel ist Attilas Anfangsphrase der Decasillabo-​Cabaletta »Vanitosi!… che abbietti e dormenti« im Duett mit Ezio (Attila, Prologo). Hier entsteht ein asymmetrisches Mischmodell, das den starken Phrasenbeginn des Ottonario sincopato kombiniert mit dem Martello-​Modell und seinen kürzeren, durch Triolierung zusammengepressten Noten der folgenden

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entsteht auch hier mit der Asymmetrie ein äußerst kraftvoller Phrasenkopf, dessen Energie in den drei Beispielen von Verdi noch durch die Tonrepetition und deren buchstäblich ›hämmernde‹ Wirkung sowie zusätzliche Akzentuierungen mit einem Marcato-​Zeichen verstärkt wird. Dass es sich beim Inno di guerra musikalisch um einen stark ausgeprägten Topos handelt, erweist sich an der unmittelbaren Gegenüberstellung der vier Beispiele:

Notenbeispiel 4:  a. Coro, Soprani (Bellini, Norma, II) –​b. Coro, Soprani (I lombardi alla prima crociata, IV) –​c. Coro, Tenori I (Attila, Finale I) –​d. Carlo, Rolla (I masnadieri, Finale secondo).

Der Inno di guerra findet sich in dieser plakativen Form nicht mehr in Verdis späteren Werken. Nur ein Abkömmling in stärker verarbeiteter Form erscheint nochmals im ersten Akt von Aida. Die Stretta dell’Introduzione »Su! del Nilo al sacro lido« weist bereits die typischen Textkennzeichen auf, den Appellcharakter (»Su!… accorrete«), den Kriegsruf (»guerra«) und die Drohung an den Feind (»morte allo stranier«). Der frühere Galopp ist nun mit einem gemäßigteren Tempo, einem Allegro maestoso, zu einem Marsch mutiert. In diesem Fall handelt es sich zwar um einen Ottonario, doch liegt im ersten Vers eine sich durch die Melismatik ergebende gleichsam zehnsilbige

Silben, bevor die Phrase mit der extrem gedehnten halben Note auf der zweiten, leichten Zählzeit des folgenden Takts gleichsam explodiert:

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Melodie vor, da die Silben fünf und sechs (»sacro«) jeweils auf zwei Noten aufgespalten sind26.

Notenbeispiel 5:  a. Il Re (Aida, I) –​b. Amneris (Aida, I).

Wie die früheren Vertonungen der Kriegshymne verfügt das rhythmische Muster über einen gedehnten Phrasenkopf, und auch hier sind die Noten zusätzlich mit einem Marcato-​Zeichen versehen. Das eigentliche rhythmische Modell des Inno di guerra tritt dann aber erst mit dreimaliger Wiederholung innerhalb eines Più-​mosso-​Abschnitts auf, der von dem Guerra-​Ruf durchdrungen ist. Dieser Abschnitt im Fortissimo in beschleunigtem Tempo bildet den Kulminationspunkt der Hymne, aber hier liegen im Libretto zwei Endecasillabi vor, die nach den vorherigen Ottonari den Abschluss der Szene bilden. Bemerkenswert ist, wie Verdi mit dem Problem szenisch-​musikalischer Einheit angesichts der beiden abweichenden Elfsilbler umgeht:  Er verfährt willkürlich mit den beiden Versen. Den ersten Elfsilbler zergliedert er in zwei Teile (»guerra, guerra, sterminio« und »sterminio all’invasor«) und fügt diese Textpartikel dann recht freizügig in das rhythmische Modell ein. Den zweiten Vers (Tutti: »Va’, Radamès, ritorna vincitor!«) verkürzt er dann zur griffigen Formel »Ritorna vincitor!«. Zunächst handelt es sich um einen Ausruf von Amneris, aber dann stimmen alle Anwesenden ein –​sogar Aida, selbstvergessen im allgemeinen Freudentaumel der Hoffnung auf einen Sieg des Feldherrn Radamès. So entsteht eine denkbar enge Verbindung zur folgenden Soloszene Aidas, ihrer Romanza, wenn sie den Ausruf »Ritorna vincitor!« nochmals erschreckt wiederholt, nun erst im Bewusstsein, dass sich ihr Siegeswunsch gegen Vater und Volk richtete.

26 Dieses Ottonario-​Beispiel zeigt, wie bedeutsam das Modifikationsmittel der Melismatik für die Vertonungspraxis ist, da die Aufspaltung einzelner Silben auf mehrere Noten zu einer gewissen Durchlässigkeit der Verse bei der Anwendung rhythmischer Modelle führt.

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V. Metrische und rhetorische Akzente Die Verwendung von rhythmischen Modellen in Verdis Opern kann, wie festzustellen war, von sehr unterschiedlicher Dauer sein:  Der Topos des Otto­ nario sincopato bei Cabaletten bleibt auf einen engen Zeitraum beschränkt, während das Modell des Inno di guerra in verarbeiteter Form noch in einem viel späteren Werk auftritt. Ganz allgemein lässt sich ein zunehmender Bedeutungsverlust des Verses für Verdis Vertonungsprozess beobachten. Dieser begnügt sich kaum noch mit der Umsetzung eines abstrakten Versakzentschemas in rhythmische Muster, womit dann ein gleichförmiger Bau der musikalischen Phrasen und in deren Aneinanderreihung ein regelmäßiger Verlauf gewährleistet ist. Allerdings kommt es erst unter dem Einfluss des kongenialen Librettisten Boito in den beiden Spätwerken Verdis –​und besonders in Fal­ staff –​zu entscheidenden, zuvor nur im Ansatz mit Aida verwirklichten Entwicklungen27. Selbstverständlich bleiben im Spiel mit liturgischen Vorbildern wie dem erwähnten »Domine fallo casto«, auch im Rückgriff auf literarische Traditionen wie im Fall von Fentons Sonett »Dal labbro il canto estasïato vola«28 oder bei der Verarbeitung volkstümlicher Melodien wie mit Falstaffs »Quand’ero paggio«29 festere, geschlossene Strukturen bewahrt. Doch vor allem in Dialogszenen kommt es zu einer freieren Gestaltung der musikalischen Phrasen, indem nicht die Verse, sondern die semantischen Einheiten des Textes und einzelne prägnante Wortakzente zu den bestimmenden Faktoren der Vertonung werden. In diesen Fällen kommt es gewissermaßen zur Vertonung von einem Textinhalt und nicht von einer Textform, die ohnehin durch ihre lockere Struktur keine Grundlage mehr bietet für eine Konstruktion, wenn etwa Enjambements vorliegen wie am Beginn des Gartenbildes von Falstaff in drei Endecasillabi Alices:  »Dunque:  se m’acconciassi a entrar ne’ rei | Propositi del

27 Cf. das Kapitel Sperimentalismo verdiano, in:  Paolo Fabbri, Metro e canto nell’opera italiana, Torino (EDT) 1907, pp. 147–​153; Luca Zoppelli, Verdi als Librettist: »Aida«, Form und Metrum, in: Gerhard/​Schweikert, Verdi Handbuch, pp. 195–​197; Alessandro Roccatagliati, Verdis Libretti –​Verdische Librettistik, in: Markus Engelhardt (ed.), Giuseppe Verdi und seine Zeit, Laaber (Laaber) 2002, pp. 145–​167. 28 Cf. Wolfgang Osthoff, Il Sonetto nel »Falstaff« di Verdi, in: Giorgio Pestelli (ed.), Il melodramma italiano dell’Ottocento. Studi e ricerche per Massimo Mila, Torino (Einaudi) 1977, pp. 157–​183. 29 Vorbild ist das bekannte, in der Wahl kaum zufällig englische Volkslied An English Country Garden (»How many kinds of sweet flowers grow | In an English country garden.«).

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diavolo, sarei | Promossa al grado di Cavalleressa!«30 Diese kurze Passage von wenigen Takten –​Alices stolze Botschaft an die anderen Frauen, nachdem sie Falstaffs Brief erhalten hat, sie könne in den Adelsstand aufsteigen –​ eignet sich in besonderem Maße zur Illustration eines weithin neuartigen Kompositionsstils. Zunächst über einer gleichmäßigen, raschen Orchestermelodie im Tarantella-​Stil entfaltet sich hier in vier vom Umfang her unregelmäßigen Abschnitten eine lebendige Schilderung, die alle in der Sprache vorliegenden Aussagen mitsamt ihren affektiven Regungen einfängt und zu einer Einheit formt trotz der Diversität der Elemente. Die vier Stufen führen in einer Steigerung vom Gestus einer kurzen, entschiedenen Ankündigung (»Dunque:«  –​Quintfall von der Dominante in die Tonika, gleichsam das Auskomponieren eines Doppelpunkts) über einen längeren spannungsvoll schwebenden Konditionalsatz (»se m’acconciassi«  –​Tonrepetition auf der Dominante) sowie einen Spannungsanstieg (»sarei promossa al grado«  –​ aufsteigender Quartgang in größeren Notenwerten) bis zum triumphierenden Höhepunkt im das Rätsel auflösenden Schlusswort (»Cavalleressa!«)31. Für die Komposition maßgeblich sind hier die unregelmäßigen Sinneinheiten des Textes sowie einzelne Wortbetonungen, die als rhetorische Akzente hervorgehoben werden32, und damit verliert sich die Periodik und nehmen die Vokalphrasen einen natürlichen Tonfall an. Das frühere Prinzip der Versvertonung wird verdrängt durch eine flexiblere, prosanahe Sprachvertonung auf der Grundlage rhetorischer Akzente.

30 Zitiert nach dem Libretto der Uraufführung, mit leicht veränderter Schreibweise in der Partitur: Arrigo Boito, Falstaff, commedia lirica in tre atti, musica di Giuseppe Verdi, Milano (Ricordi) 1893, p. 20. 31 Näheres dazu: Ross, Das Verhältnis von Libretto und Komposition, pp. 300–​ 302. –​Im Wesentlichen handelt es sich hier um ein Vertonungsverfahren, das schon im Duett zwischen Rigoletto und Sparafucile Anwendung fand, nämlich den deklamatorisch freien Einbau von Gesangsstimmen in den strukturbildenden Orchestersatz (cf. Anm. 5). 32 Selbstverständlich liegt in Alices Aussage der entscheidende rhetorische Akzent auf »cavalleressa«. Die Funktion und Bedeutung rhetorischer Akzente wird jedoch an der extremen Dehnung der Konjunktion »se« auf einen ganzen Takt mit dem Ziel eines Spannungsaufbaus besonders deutlich. Als rein metrischer Akzent betrachtet, hätte die unscheinbare Silbe diese außerordentliche Wertigkeit niemals erreichen können.

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«Voir la nuit, entendre le silence»:  Hector Berlioz e le notti mediterranee I. A Mantle of Sound for the Night è il titolo di un testo, esemplare per l’ap­ proccio analitico e interdisciplinare, consacrato da Jürgen Maehder ad alcuni aspetti salienti della tecnica compositiva di Tristan und Isolde1. Fra i passaggi esaminati spicca l’alba di Brangäne nel secondo atto, con la sua rete di figu­ razioni pseudopolifoniche a gerarchia variabile, metricamente indipendenti l’una dall’altra e rispetto alla struttura ritmica della voce, che avviluppa il canto del personaggio invisibile, en coulisse. Opportunamente, Maehder nota come questo passo sia concepito per generare una sorta di sospensione dello scorrimento temporale; grazie alla combinazione di una scarsa direzionalità armonica con una sovrapposizione di frammenti melodici indipendenti e sfa­ sati sul piano metrico –​tali dunque da obliterarsi a vicenda –​si crea in effetti una sorta di sospensione nirvanica durante la quale si consuma l’unione amo­ rosa di Isolde e Tristan (simbolicamente, poiché secondo la didascalia essi sono «abbandonati sul sedile fiorito, capo appoggiato a capo»). Che il momento dell’estasi erotica passi per l’obliterazione temporale è pratica ricorrente nella musica occidentale: Lully utilizzava l’effetto ipnotico del basso di passacaglia, Messiaen sfrutterà gli effetti incantatori generati dalla radicale rimozione delle gabbie metriche precostituite. L’alba di Brangäne coglie l’obiettivo con la mas­ sima efficacia e con una sottigliezza compositiva ammirevole. Il passo, però, ha un’ulteriore funzione drammaturgica, a nostro avviso non meno importante. Quella folla di voci apparentemente irrelate che si muovono separatamente in tutte le direzioni incarna un dispositivo di semio­ tica teatrale legato a un altro aspetto essenziale della scena, non meno ricco in risonanze simboliche: la sua ambientazione notturna. Lo studio del teatro musicale ha recentemente tentato di approfondire un concetto proposto anni fa, da Michel Leiris, e legato anche a riflessioni di tipo antropologico e psicologico:  quello di «spazio sensibile»2. Nella prefazione a

1 2

Jürgen Maehder, A Mantle of Sound for the Night, in: Arthur Groos (ed.), Richard Wagner: «Tristan und Isolde», Cambridge et al. (Cambridge University Press) 2011, pp. 95–​119. Michel Leiris, L’opéra, musique en action, in:  id., Brisées, Paris (Mercure de France) 1966, pp. 279–​285.

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una recente silloge di studi sull’argomento, Héloïse Demoz, Giordano Ferrari e Alejandro Reyna propongono d’intendere la scena non come un luogo neutro, ma appunto come un «espace sensible» in cui «l’action et la musique ne se constituent pas dans mais avec»3. È significativo che fra i contributi ivi citati a fondamento della problematica stia un noto studio di Jürgen Maehder4, che all’epoca della sua comparsa contribuì a incoraggiare le riflessioni riguardanti il trattamento scenico e spaziale di quella che trent’anni dopo  –​con termine mutuato dagli egemonici film studies  –​si definirebbe forse «diegetic music», oppure (più legittimamente) «musique intradiégétique», e che allora preferi­ vamo definire «musica di [oppure: in] scena»5. Esse indagavano quei fenomeni sonori aventi uno statuto musicale all’interno del mondo rappresentato, che dunque si suppongono prodotti (e uditi) in quanto musica dai personaggi della finzione:  serenate, marce, musiche cerimoniali etc. Fra le varie funzioni della musica di scena c’è appunto quella legata allo spazio: prodotti sul palcoscenico o dietro le quinte, questi eventi musicali richiamano l’attenzione dello spettatore sull’ampiezza e sulla disposizione spaziale del mondo rappresentato, facendo interagire la resa denotativa della spazialità con i valori simbolici veicolati dal suono. Tre decenni dopo, questo filone di ricerca ha ancora molto da offrire, come dimostra lo studio di Michele Girardi pubblicato in questo stesso volume. Meno studiata mi pare invece la resa connotativa della dimensione ambien­ tale, intesa come esperienza sensoriale del luogo che circonda il personaggio, e che contribuisce a determinarne lo stato psicofisico. Non solo, dunque, l’uso di suoni reali per delimitare e cartografare lo spazio, ma un dispo­ sitivo di semantica sonora per definirne la natura plurisensoriale nelle sue diverse componenti percettive. Grazie alla musica, infatti, è possibile rendere la percezione soggettiva dell’ambiente in cui si svolge l’azione, oppure sug­ gerire allo spettatore la sua natura e la sua rilevanza espressiva6. I dispositivi Préface, in: Héloïse Demoz/​Giordano Ferrari/​Alejandro Reyna (edd.), L’espace «sensible» de la dramaturgie musicale, Paris (L’Harmattan) 2018, pp. 9–​23: 10. 4 Jürgen Maehder, «Banda sul palco» –​Variable Besetzungen in der Bühnenmusik der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts als Relikte alter Besetzungstraditionen?, in: Dietrich Berke/​Dorothee Hanemann (edd.), Alte Musik als ästhetische Gegenwart: Bach, Händel, Schütz. Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongreß Stuttgart 1985, Kassel (Bärenreiter) 1987, vol. 2, pp. 293–​ 310. 5 Cf. Michele Girardi, Per un inventario della musica in scena nel teatro verdiano, in: Studi verdiani 6 (1990), pp. 99–​145; Luca Zoppelli, Stage Music in Early Nineteenth-​Century Italian Opera, in:  Cambridge Opera Journal 2 (1990), pp. 29–​39. Cf. Luca Zoppelli, L’opera come racconto. Modi narrativi nel teatro musicale 6 europeo dell’Ottocento, Venezia (Marsilio) 1994, pp. 123–​132 («Ambiente e per­ cezione dello spazio»). 3

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semantici utilizzati sono di natura vuoi imitativa (suoni reali:  frammenti musicali, segnali, Naturlaute nel senso esteso del termine), vuoi iconica (voca­bolario topico per la resa, ad esempio, di fenomeni naturali come la brezza, lo scorrere dell’acqua ecc.), vuoi pantomimico-​ gestuale (disegni musicali che alludono alla presenza e al movimento di agenti animati), vuoi emotivo-​reattiva (il tremolo d’orrore che segnala un sotterraneo cupo, oppure gli ampi pedali armonici che trasmettono  –​nella Sinfonia pastorale  –​le «angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen»). Sono dispositivi correntemente uti­ lizzati nella musica strumentale, specie in quella a programma, ma anche a teatro, poiché non c’è scenotecnica –​né climatizzazione –​in grado di ricre­ are l’impressione, poniamo, delle brezze, dei rivi mormoranti e della frescura che definiscono un locus amoenus7:  donde la rilevanza esemplare di passi operistici come «Plus j’observe ces lieux» (Lully, Armide) o «Che puro ciel» (Gluck, Orfeo ed Euridice). Nell’ambito delle evocazioni teatrali di spazi sensibili, un posto di rilievo spetta a quelle di ambienti notturni. Sebbene in palcoscenico l’oscurità non sia quasi mai totale ed effettiva, una scena notturna deve fare a meno dell’apporto simbolico rappresentato dal dettaglio dalle componenti visive, e necessita dunque di essere diversamente definita (le scene di prigione, guarda caso, hanno sempre goduto di preludi particolarmente lunghi ed espressivi: è ancora il caso all’inizio del second’atto di Fidelio); e d’altronde, uno degli elementi fondamentali della percezione sensoriale dello spazio notturno è proprio il fatto di indovinare, immaginare ciò che non si vede, ma cui la musica può alludere. Si noti che in questi casi il confine fra imita­ tivo, iconico ed espressivo è spesso fluttuante, e la fluttuazione è calcolata proprio per generare l’incertezza propria di simili stati percettivi: l’assolo di tuba contrabbasso nel preludio del secondo atto di Siegfried allude anche (suono di natura) al russare di una creatura mostruosa, specie verso la fine, ma gioca al tempo stesso con riferimenti gestuali ed espressivi di vario genere. La notte di Tristan appartiene invece –​nonostante le risonanze metafisi­ che e schopenhaueriane –​a una categoria tutta particolare, anzi a un vero e proprio topos musicale ottocentesco, quello della notte incantata, che funge da sfondo attivo, avvolgente, a un momento di estasi amorosa. Meglio se estiva, mediterranea (non ovviamente nel caso di Tristan: ma questa Corno­ vaglia profuma quasi di Meridione), tropicale, brulicante di profumi, suoni, fruscii. La natura essenzialmente sensuale dell’esperienza erotica –​difficile,

7 Cf. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern (Francke) 1948, p. 200sqq.

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o imbarazzante, da trasmettere in forma teatrale  –​si estende a una sorta d’intensificazione percettiva che investe il totale sensoriale; in un certo senso, l’esasperazione della percezione sensoriale rimpiazza e designa, nel processo comunicativo, l’esperienza erotica stessa. Queste notti, dunque, si caratterizzano per uno sfondo atmosferico-​musicale indistinto ma attivo, in cui si moltiplicano le fasce di figurazioni circolari da sempre associate alla descrizione di movimenti liquidi o ariosi, i suoni di natura, i tocchi ico­ nici, e tutta una folla di gesti musicali brevi o brevissimi che l’ascolto può interpretare come micro-​agencies, segni di presenze che apportano vita allo spazio oscuro. La fascinazione per l’esotico farà poi moltiplicare, nel teatro musicale del secondo Ottocento, queste notti tropicali abitate da una folla di micropolifonie. Per fare solo qualche esempio:  lo sfavillio discreto dei Sol isolati degli archi (notte stellata, splendore di luna riflesso nelle acque del Nilo) e solo di flauto connotato etnicamente –​tale dunque da suggerire una musica intradiegetica –​, poi ridotto a trilli e arabeschi elementari, infine coro dietro le quinte, per l’inizio del terz’atto di Aida: e l’ironia amara di un incontro fra amanti che è forse un addio, o peggio. La trama avvolgente di tocchi orchestrali che sonorizza la «nuit d’ivresse» in cui Nadir, nei Pêcheurs de perles, canta la propria romanza «Je crois entendre encore». I gesti indi­ stinti dei legni nel preludio del second’atto di Samson et Dalila, e ovviamente il tappeto lussureggiante di figurazioni orchestrali che accompagna la scena di seduzione («Mon cœur s’ouvre à ta voix»; ovviamente influenzata, a sua volta, da Tristan).

II. Nel catalogo delle opere di Hector Berlioz la musica strumentale è in netta minoranza, ma è su di essa che, storicamente, si è concentrata l’attenzione della critica e del pubblico. Lo si deve forse al fatto che qui vengono in primo piano certe caratteristiche dell’arte del compositore, come le irregolarità fra­ seologiche, l’orchestrazione anticonvenzionale e provocatoria, le tecniche di spazializzazione del suono, e naturalmente la complessità e la mutevolezza del rapporto con la fonte letteraria. Sebbene, di partitura in partitura, que­ sti parametri siano costantemente ridiscussi, al punto da rendere difficile non solo una definizione di genere, ma la stessa linea di confine fra musica vocale e strumentale, scenica o da concerto, si fa spesso ricorso a una for­ tunata espressione, secondo la quale nel Berlioz da concerto si potrebbe vedere una sorta di «teatro immaginario»8. La definizione è assai felice, ma

8 Cf. Fabrizio della Seta, Italia e Francia nell’Ottocento, Torino (EDT) 1993, p. 145sqq.

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bisognerebbe precisarla chiedendosi cosa s’intende esattamente per «tea­ tro» –​o meglio, quale potesse essere l’idea di teatro elaborata e introiettata, negli anni della formazione culturale e sentimentale, da un artista nato e cre­ sciuto in un borgo collinare del Delfinato, il cui rapporto con la letteratura teatrale era quello di un lettore, non di uno spettatore. (Più tardi, a Parigi, Berlioz scoprirà il teatro vero: ma la sua sensibilità era già nettamente defi­ nita). Un lettore, dunque: che si sofferma su certi passi, li mette in risonanza con la propria esperienza personale, li rivive nell’immaginazione, li estrapola quasi dal continuum drammatico, e lascia campo a libere associazioni con pagine di altra origine. Anche in seguito, il suo modo di fruire la lettera­ tura, epica o drammatica, resterà quello dell’adolescenza:  concentrarsi su un momento, una situazione, un’impressione; investirlo del proprio vissuto, spingendo al massimo l’identificazione emotiva e situazionale; sentirlo come un tableau sensoriale complesso, legato a un’ambientazione spaziale e a una molteplicità d’impressioni sonore; costruire una rete di legami, non già nello svolgimento lineare dell’opera stessa, ma, trasversalmente, con altri passi di altre opere e di altri autori. Ciò significa che, paradossalmente, il tea­ tro ‹vero› di Berlioz non è meno ‹immaginario› dell’altro: le sue opere per la scena dànno talora l’impressione di incarnare una serie di nodi mentali, basati ciascuno su una rete incrociata di riferimenti letterari ed esperienziali, non strettamente funzionali allo svolgimento del dramma né alla definizione della costellazione di personaggi, ma di natura autonoma e trasversale. La messa in musica per la scena, insomma, non è tanto la rappresentazione sonora di un evento, quanto una sorta di ri-​proiezione soggettiva di un com­ plesso poetico-​emotivo ed esperienziale, scenicamente situato –​ma del quale la musica, narrativamente, è chiamata a evocare il non rappresentato o rap­ presentabile9. In questo senso, desidero richiamare l’attenzione sul trattamento sonoro, e in particolare sui modi della scrittura orchestrale, di alcuni celebri passi berlioziani, uno da concerto e due per la scena, ma in realtà  –​per l’ap­ punto –​tutti immaginari e narrativi, e nei quali si tratta di evocare lo spazio

9 Cf. Matthias Brzoska, Und Berlioz erzählt… Epische Konzeption und musikalische Konstruktion im Œeuvre von Hector Berlioz, in: Thomas Betzwieser et al. (edd.), Bühnenklänge. Festschrift für Sieghart Döhring zum 65. Geburtstag, München (Ricordi) 2005, pp. 117–​125; id., «Le public n’a point d’imagination». Genre dramatique, genre épique chez Meyerbeer et Berlioz, in: Joël-​Marie Fauquet/​Cathe­ rine Massip/​Cécile Reynaud (edd.), Berlioz, textes et contextes, Paris (Société française de Musicologie) 2011, pp. 71–​79; Violaine Angers, Le représenté et le ressenti: «Les Troyens» de Berlioz, ou une dramaturgie du ‹personnage-​point de vue›, in: Georges Zaragoza (ed.), Berlioz, homme de lettres, Neuilly (Editions du Murmure) 2006, pp. 63–​79.

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scenico invisibile della notte mediterranea, come preludio a un momento di estasi erotica. Il movimento lento della «sinfonia drammatica» Roméo et Juliette è forse il cuore dell’opera:  di certo ebbe un impatto profondo, tra gli altri, sullo stesso Wagner, che l’intese a Parigi nel 1839, e se ne ricorderà proprio per Tristan. La didascalia precisa che la notte è serena, e che la scena si svolge nel giardino dei Capuleti, «silencieux et désert». Si sentono, «derrière la scène», i giovani Capuleti che escono dalla festa, «en chantant des réminiscences de la musique du bal». Poi torna la quiete, che prepara l’arrivo di Roméo e lo sviluppo della «Scène d’amour» che in qualche modo sintetizza i due grandi dialoghi notturni fra gli amanti (II/​1 e III/​5) presenti nel testo di Shakespeare. È possibile ricostruire con una certa precisione le caratteristiche di questa notte incantata, così come se l’immaginava Berlioz, poiché egli stesso (con la collaborazione di Émile Deschamps) la descrive nel testo poetico delle «Strophes» cantate da una voce solista nel «Prologue» della partitura: Premiers transports que nul n’oublie! Premiers aveux, premiers serments De deux amants Sous les étoiles d’Italie; Dans cet air chaud et sans zéphyrs Que l’oranger au loin parfume, Où se consume Le rossignol en longs soupirs!

Notte stellata, aria calda e immobile, profumo di fiori d’arancio: quest’im­ maginario trascende le indicazioni di Shakespeare (a parte ovviamente l’u­ signolo, evocato in V/​3), e a dire il vero non è neppure troppo credibile come descrizione di una notte veneta, tantomeno nel cuore della «piccola era glaciale» europea. Berlioz, evidentemente, ha bisogno di mobilitare il topos di un’Italia mediterranea, «wo die Zitronen blühn», per la semplice ragione che l’immaginario di una notte palpabile, attraversata da una folla di presenze viventi, sonore, atmosferiche e olfattive, era per lui indissolubile dall’incanto della scena amorosa, specie nel quadro di un testo shakespea­ riano. Alla base del passo troviamo dunque un pattern cullante di barca­ rola, in 6/​8; il ritmo armonico è piuttosto lento. I secondi violini ripetono, una volta per battuta, e tre battute su quattro, un breve Naturlaut, una specie di fremito; i primi violini una concisa configurazione melodica ascen­ dente includente un trillo, per poi passare a delle semiminime isolate, che si ripetono all’ottava inferiore. Corno inglese e primo clarinetto suonano assieme delle cellule di una (quattro ottavi) o due note, seconda discendente; quest’ultima iniziante sull’ultimo ottavo di battuta. La trama sonora è dun­ que basata su piccoli tocchi subtematici, alcuni dei quali potrebbero alludere a un canto d’uccello, ma senza oltranza descrittiva: il fine sembra quello di

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creare una sonorità complessa e abitata, che attira l’attenzione dell’ascolta­ tore sullo sfondo ambientale. In un articolo del 1876 il compositore Ernest Reyer racconta della pas­ sione di Berlioz, durata una vita intera, per il romanzo Paul et Virginie (1788) di Jacques-​Henri Bernardin de Saint-​Pierre, e descrive un esemplare annotato che il collega più anziano gli ha lasciato dopo la morte. Berlioz sembra essersi soffermato in particolare su un passo del testo di Bernardin, che descrive l’incanto di una notte all’Île de France, nell’Oceano Indiano: Il faisait une de ces nuits délicieuses, si communes entre les tropiques et dont le plus habile pinceau ne rendrait pas la beauté. La lune paraissait au milieu du firmament entourée d’un rideau de nuages que ses rayons dissipaient par degrés. Sa lumière se répandait insensiblement sur les montagnes de l’île et sur leurs pitons, qui brillaient d’un vert argenté. Les vents retenaient leurs haleines. On entendait dans les bois, au fond des vallées, au haut des rochers, de petits cris, de doux murmures d’oiseaux qui se caressaient dans leurs nids réjouis par la clarté de la nuit et la tranquillité de l’air. Tous, jusqu’aux insectes, bruissaient dans l’herbe. Les étoiles étincelaient au ciel et se réfléchissaient au sein de la mer, qui répétait leurs images tremblantes. Virginie parcourait avec des regards distraits son vaste et sombre horizon […]

«Fils de Shakespeare!», annota alla fine del passo10. Si sa che Berlioz si rap­ portava ai testi letterari in modo sincretico, operando delle fusioni virtuali fra passi che nella sua immaginazione tendevano a confondersi e sovrapporsi. «Fils de Shakespeare», dunque, non è per lui solo un’esclamazione ammira­ tiva, ma anche il segno che nella sua mente il passo si legava a un complesso situazionale e semantico associato all’opera del drammaturgo britannico. Che il giardino di palazzo Capuleti possa aver preso a prestito, nella sua immaginazione, il clima e l’incanto di Mauritius (come si chiama oggi l’Île de France), è provato da un passo parallelo in cui Berlioz, esattamente allo stesso modo, trapianta Paul et Virginie nell’Italia di Shakespeare. Come già notato da Reyer, diverse immagini-​chiave del testo di Bernardin concorrono a formare il testo del Duo-​Nocturne (No. 8) di Béatrice et Bénédict, cantato da Héro e Ursule: Nuit paisible et sereine! La lune, douce reine, Qui plane en souriant, L’insecte des prairies, Dans les herbes fleuries En secret bruissant, Philomèle Qui mêle

10 L’articolo, originariamente pubblicato nel Journal des débats, si legge in: Ernest Reyer, Quarante ans de musique, Paris (Calmann-​Levy) 1909, pp. 190–​195.

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Aux murmures du bois Les splendeurs de sa voix; L’hirondelle Fidèle Caressant sous nos toits Sa nichée en émois; Dans sa coupe de marbre Ce jet d’eau retombant Écumant; L’ombre de ce grand arbre, En spectre se mouvant Sous le vent; Harmonies Infinies, Que vous avez d’attraits Et de charmes secrets Pour les âmes attendries!11

Anche in questo caso (sebbene l’ambientazione siciliana della commedia renda lo charme mediterraneo un po’ più verosimile) il testo non ha un cor­ rispettivo diretto in Much Ado about Nothing, la fonte dell’opera; e, a volerla dire tutta, questo numero sembra nascere da un bisogno evocativo più che drammatico (non si tratta di un duetto d’amore, ma di un duetto per voci femminili –​una fanciulla e la sua dama di compagnia –​in cui entra in gioco l’attesa per il compimento dell’unione amorosa di Héro con Claudio, ed è posto a conclusione del primo atto). Prova comunque che nella mente di Berlioz questo tipo d’immaginario sensoriale è indissolubile da un’idea di poesia che egli associa da un lato a Shakespeare, dall’altro all’Italia. Quanto al trattamento musicale, è assai simile a quello della «Scène d’amour», sempre su una base di barcarola, arricchita da numerosi tocchi subtematici. Il testo poetico ci permette ora di identificare con chiarezza la dimensione allusiva implicita in quest’orchestrazione puntillistica: si veda, in particolare, la serie di cellule ripetute di due crome alla stessa altezza, pp, all’oboe I, situate proprio laddove il testo evoca l’immagine dell’insetto che emette un suono indistinto in mezzo all’erba fiorita. Virtuosismo semantico-​musicale, certo, ma anche e soprattutto segnale di una presenza multipla che rende abitato lo spazio notturno.

11 Riproduco la disposizione metrica fornita da Berlioz nella sua lettera «À MM. Les membres de l’Académie des beaux-​arts» (11 settembre 1861), inclusa in Hec­ tor Berlioz, À travers chants. Études musicales, adorations, boutades et critiques [1862], Lyon (Symetrie) 2013, pp. 268–​285: 279sq.

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III. Béatrice et Bénédict viene alla luce fra 1860 e 1862, a latere rispetto al grande cantiere dei Troyens; e se il monumentale capolavoro tragico non deriva il proprio soggetto direttamente da Shakespeare, lo convoca per via di fusione, operata in questo caso fra i due massimi numi del pantheon lettera­ rio di Berlioz, Virgilio e Shakespeare. Come è noto, il finale dell’atto IV –​il duetto d’amore fra Didone e Enea, nell’incanto della notte mediterranea –​è frutto di un trapianto di passi attinti al Merchant of Venice: «une scène volée à Shakespeare», scrive Berlioz a un amico, «et Virgilianisée». Poi continua: C’est Shakespeare qui est le véritable auteur des paroles et de la musique. Il est singulier qu’il soit intervenu, lui le poète du Nord, dans le chef-​d’œuvre du poète romain. Virgile avait oublié cette scène. Quels chanteurs que ces deux!!!!....12

Si notino, rispetto al soggetto delle nostre riflessioni, due punti: l’idea che l’origine nordica di Shakespeare non precluda la sua intima affinità con un mondo latino, mediterraneo, e l’impressione che la scena notturna della commedia contenga già in sé la propria musica. In effetti, se un’affermazione di questo tipo può facilmente suonare come un semplice topos ammirativo, Berlioz sembra anche alludere al fatto che il tessuto musicale nasce diret­ tamente dalle immagini e dai suoni di natura suggeriti. Ora, il duetto d’a­ more propriamente detto è preceduto da uno straordinario pezzo d’assieme, il settimino, la cui funzione  –​ancora una volta  –​è nulla sul piano dello svolgimento evenemenziale, ma fondamentale per fissare l’ambiente:  una profonda, incantata evocazione atmosferica della notte sulle coste africane: Tout n’est que paix et charme autour de nous! La nuit étend son voile et la mer endormie Murmure en sommeillant les accords les plus doux.

Scrivendo alla principessa Sayn-​Wittgenstein, il 13 febbraio 1857, Berlioz descrive il brano in termini sinestesici (impossibile non pensare alle Fleurs du mal di Baudelaire, pubblicate pochi mesi dopo): Il me semble qu’il y a quelque chose de nouveau dans l’expression de ce bonheur de voir la nuit, d’entendre le silence et de prêter des accents sublimes à la mer som­ nolente.13

«Voir la nuit» e «entendre le silence» mi paiono definizioni eccellenti del dispositivo di amplificazione percettiva che conferisce allo spazio notturno una dimensione «sensibile». La tecnica utilizzata è la stessa degli altri brani

12 Lettera a Toussaint Bennet, 11 giugno 1856. Hector Berlioz, Correspondance générale, vol. 5 (1855–1859), ed. Pierre Citron, Paris (Flammarion) 1989, p. 317. 13 Ibid., p. 429.

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esaminati in precedenza: tempo di barcarola, lentezza ipnotica del concer­ tato, attraversato da misteriose ombreggiature armoniche, straordinario tessuto di sonorità orchestrali. Ancora una volta, le presenze invisibili che definiscono la profondità della notte sono designate da tocchi strumentali di grande originalità: non c’è dubbio, ad esempio, che gli «accenti sublimi del mare sonnolento», ovvero il lento infrangersi (solo parzialmente regolare sul piano metrico) della risacca sulle coste, corrispondano ai rintocchi sottovoce della gran cassa, che si compongono in un arcano, solenne respiro della natura. C’è anche, in questa notte tunisina, un elemento di rappresentazione sen­ soriale dello spazio che Berlioz omette di citare nella lettera alla principessa, ma che non è difficile reperire all’ascolto: come nella notte tropicale di Paul et Virginie, le stelle scintillano in cielo –​e forse anche si riflettono in seno al mare. Lo scintillio delle stelle, infinito e persistente, è qui rappresentato dalle terzine (Un Do, quinto grado, ribattuto a mo’ di pedale acuto per tutto il numero, solo a tratti in oscillazione col sesto grado abbassato) di ottavino, flauto I, clarinetto I e corno III. Già abbastanza iconica per conto proprio, la figurazione acquista evidenza semantica grazie al chiaro rimando inter­ testuale alle terzine dei legni che illustrano il cielo stellato nel finale della Nona Sinfonia di Beethoven, là dove (bb. 650–​654) si evocano le stelle sopra le quali dovrebbe vivere il Creatore: «über Sternen muss er wohnen». Così, oltre a Shakespeare, Berlioz riesce a «Virgilianiser» anche Beethoven, ricom­ ponendo la totalità del suo pantheon artistico. Gli insetti, la risacca, le stelle, forse l’usignolo, e certo gli sguardi celati e i fremiti indistinti di mille presenze nascoste dal mantello della notte: appare chiaro che le suggestive scelte di costruzione del tessuto orchestrale com­ piute da Berlioz in questi passi derivano spesso da un’oltranza descrittiva, da una jouissance iconica senza pari. È possibile che il procedimento appaia sospetto a qualche occhiuto hanslickiano per il quale l’asemanticità del lin­ guaggio musicale è la sua principale lettre de noblesse. In realtà, i vocaboli adoperati (o addirittura inventati) per l’occasione da Berlioz assolvono a una funzione simbolica ben più ampia, quella di arricchire la limitatezza mate­ riale della scena con la dimensione esperienziale di una totalità percettiva. Lo spazio notturno non serve solo a nascondere gli amanti sotto un mantello discreto: è anche una dimensione sensoriale dell’amore.

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Die Bürden des Wettbewerbs. Adrien Barthe und sein Don Carlos In den letzten Jahrzehnten sind in der Erforschung und Wiederentdeckung zahlreicher französischer Musiker aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch abseits der ›großen Namen‹ bedeutende Fortschritte erzielt worden. Vor allem dem Centre de musique romantique française im Palazzetto Bru Zane verdanken wir kritische Editionen und Tonträgerersteinspielungen wichtiger Werke von Komponisten wie Ernest Alder (1853–​1904), Pierre de Bréville (1861–​1949), Arthur Coquard (1846–​1910), Théodore Dubois (1837–​1924), Benjamin Godard (1849–​1895), Xavier Leroux (1863–​1919), Émile Paladilhe (1844–​1926) oder Fernand de la Tombelle (1854–​1928), die bis dahin kaum noch bzw. gar nicht mehr im Musikleben präsent waren. In dieser Reihe einstmals illustrer Musiker wäre Adrien Barthe (eigentlich Gratien Norbert Barthe, 1828–​1898) zweifellos ebenfalls ein würdiger Repräsentant1. Mit dem Komponisten Barthe, zu dessen Werken noch keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen vorliegen, hat sich bislang allenfalls die Bizet-​Forschung beschäftigt, denn die Karrieren beider Musiker kreuzten sich mehrmals an entscheidenden Punkten. Barthe gewann 28-​jährig 1854 den Prix de Rome; das Wunderkind Bizet kam bereits mit 19 Jahren 1857 zu den gleichen Ehren. Bizet traf etwa zur selben Zeit in der Villa Medici ein, als Barthe Rom verließ. 1858 konkurrierten Barthes und Bizet als einzige Kandidaten in der Endausscheidung um den renommierten und hoch dotierten Prix Edouard Rodrigues der Académie française. Bis zuletzt hatte Bizet gehofft, dass die angebliche Faulheit seines Konkurrenten diesen von einer Kandidatur abhalten würde:  »J’espère en sa paresse«, schrieb Bizet im September 1858 an seine Eltern2. Kurze Zeit später musste er vermelden:  »Barthe concourt. C’est dangereux.« Während Bizet sein auch heute noch populäres Te Deum eingereicht hatte, schickte Barthe sein Oratorium

1 Außer in der Musikabteilung der Bibliothèque Nationale befinden sich Teile des handschriftlichen Nachlasses von Barthe sowie eine Sammlung seiner gedruckten Kompositionen in der Sibley Music Library (Ruth T. Watanabe Special Collections) der Eastman School of Music, University of Rochester/​NY (US-​R). Cf. den Anhang des vorliegenden Beitrags. 2 Dieses und das folgende Bizet-​Zitat nach Hervé Lacombe, Georges Bizet. Naissance d’une identité créatrice, Paris (Fayard) 2000, p. 216.

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Judith (1858) ins Rennen. Die prominent besetzte Jury der Académie française (bestehend aus Ambroise Thomas, Michele Carafa, Daniel François Esprit Auber und Hector Berlioz) entschied sich einstimmig zu Gunsten von Adrien Barthe3. 1864 beteiligte sich Barthe erneut an einem bedeutenden Kompositionswettbewerb, nämlich jenem, den das Théâtre-​Lyrique für ehemalige Rompreisträger ausgeschrieben hatte, und der mit einer Opernpremiere an diesem seinerzeit herausragenden Pariser Musiktheater dotiert war. Auch hierbei erzielte Barthe gegen eine beachtliche Konkurrenz einstimmig den ersten Preis; das prämierte Werk, La fiancée d’Abydos (Libretto von Jules Adenis) brachte es in zwei aufeinander folgenden Spielzeiten auf insgesamt immerhin 19 Aufführungen. Die Weltausstellung von 1867, aus deren Anlass Giuseppe Verdis Don Carlos zur Uraufführung gelangen sollte, war auch für den Opernkomponisten Barthe von Bedeutung, lieferte sie doch den Rahmen für einen weiteren Kompositionswettbewerb für die Oper Le roi du Thulé (nach einem Libretto von Louis Gallet und Edouard Blau). Im Unterschied zu den früheren Gelegenheiten musste sich Barthe jedoch diesmal mit dem vierten Platz unter 42 Bewerbern zufriedengeben, hinter dem Überraschungssieger Diaz de la Peña, dem Zweitplazierten Massenet sowie Ernest Guiraud4. Wie es scheint, wurde Barthe schließlich zum Opfer seiner eigenen, ebenso ambitionierten wie realitätsfernen Karriereplanung: Noch als beinahe Vierzigjähriger suchte er das berufliche Fortkommen durch Wettbewerbserfolge abzusichern, ein mühevoller Marsch durch die Institutionen, der sich letztlich als Sackgasse erweisen sollte. Zugleich bietet seine Laufbahn ein bemerkenswertes Fallbeispiel für die dynamische Entwicklung des institutionalisierten Musikwettbewerbwesens im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Da es Barthe nicht gelang, sich als Opernkomponist dauerhaft durchzusetzen, verlegte er sich zunehmend auf die Unterrichtstätigkeit; 1887 erhielt er eine Professur für Harmonielehre am Pariser Konservatorium und veröffentlichte aus dieser Position heraus mehrere musiktheoretische Werke5. Zu seinem 3 »La section est unanime à déclarer supérieure, la composition de Mr Barthe.« Cf. Minute du rapport de l’Académie des beaux-​arts concernant le Prix Rodrigues, 18. September 1858, Institut de France, Archives de l’Académie des beaux-​arts, Carton 5 E 41, zit. nach Lacombe, Georges Bizet, p. 771. 4 Cf. Lesley A. Wright, Barthe, in: The New Grove Dictionary of Opera, ed. Stanley Sadie, London (Macmillan) 1992, vol. 1, p. 334. 5 Adrien Barthe, Quatre-​vingt-​dix Leçons d’harmonie, basses et chants d’examen et de concours, avec leurs réalisations, 2 voll., Paris (Alphonse Leduc) 1897; sowie verschiedene Beiträge zu den Recueils des leçons d’harmonie données aux concours pour les emplois de chef et sous-​chef de musique dans l’armée, Paris (Evette & Schaeffer) 1891, 1896 und 1898; Recueil de 50 leçons d’harmonie (basses et chants donnés), ed. Albert Lavignac, Paris (Lemoine et fils), 1890; Collection complète

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nicht übermäßig umfangreichen kompositorischen Werk zählen neben der Rompreis-​Kantate Francesca de Rimini (1854), dem Te Deum (1855) und dem Oratorium Judith (1857/​58) insgesamt sechs Opern, zahlreiche Chor-​ und Kammermusikwerke, zwei-​und vierhändige Klaviermusik sowie Lieder und weitere Vokalwerke6. Von seinen Opern komponierte Barthe indes die allermeisten für die Schublade. Sein erstes Bühnenwerk, die Opera semiseria Teresa e Claudio, wurde in italienischer Sprache 1855 während seiner Zeit in der Villa Medici in Rom komponiert. Hierauf folgte Don Carlos (1856–​1859), der zu wesentlichen Teilen ebenfalls noch in Rom entstand. Nach der preisgekrönten Oper La fiancée d’Abydos, die als einzige aufgeführt wurde, komponierte Barthe die erwähnte Wettbewerbsarbeit Le roi de Thulé (1868–​1869) und schließlich zwei weitere Opern, deren autographe Partituren ebenfalls in der Musikabteilung der Bibliothèque Nationale aufbewahrt werden:  Le novice (1876–​ 1877) und den nicht datierten Einakter Le retour. Dass ein Komponist ohne entsprechenden Auftrag und ohne eine realistische Aufführungsperspektive eine Oper nach der anderen schrieb, wäre in Italien in dieser Zeit kaum vorstellbar gewesen. In Paris aber war dies gerade in jenen Jahren nicht ungewöhnlich. So arbeitete beispielsweise auch Barthes zeitweiliger Rivale Bizet in jungen Jahren an insgesamt sieben nicht aufgeführten Werken, und selbst ein vergleichsweise bestens etablierter Komponist wie César Franck brachte es mit Stradella (1841), Le valet de ferme (1853), Hulda (1879–​1885) und Ghiselle (1888–​1890) auf vier abendfüllende Opern, von denen keine einzige zu Lebzeiten ihres Schöpfers je gespielt wurde7. Aus Barthes Opernschaffen soll im Folgenden lediglich ein Werk aus naheliegenden Gründen näher betrachtet werden: Don Carlos8. Zehn Jahre vor Verdis Oper nach Schillers Tragödie entstanden, war Barthes zweite Oper keineswegs die älteste französische Don-​ Carlos-​ Vertonung. Mehrfachvertonungen bedeutender literarischer Stoffe waren in der Oper des 18.

des leçons d’harmonie augmentée de nombreuses leçons écrites spécialement pour cet ouvrage par Ad. Barthe, Bazille, Chapuis, Delibes, Dubois, Duprato, Fauré, Franck, Guilmaut, Guiraud, Lenepveu, Leroux, Marty, Massenet, Pessard, Samuel Rousseau, Taudou, Vidal, Widor, 3 voll., Paris (Lemoine) 1900. 6 Cf. hierzu den Anhang dieses Beitrags. Zu Francks Opernschaffen cf. Arnold Jacobshagen, »Pièce absolument impos7 sible« –​César Francks »Hulda«, in: Peter Jost (ed.), César Franck. Werk und Rezeption, Stuttgart (Franz Steiner) 2004, pp. 202–​216. 8 Der vorliegende Beitrag geht auf einen bislang unpublizierten Vortrag zurück, den der Verfasser auf dem von Klaus Hortschansky 2004 an der Universität Münster veranstalteten Symposium »Die Macht der Musik einst und heute –​Giuseppe Verdis Don Carlos als Medium gesellschaftsrelevanter Aussagen« hielt.

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wie auch noch des 19. Jahrhunderts ein weit verbreitetes Phänomen. Zwar hatte sich –​zumindest in Frankreich –​bereits in der Epoche Jean-​Baptiste Lullys nicht nur die Auffassung, sondern auch die zeitweise streng reglementierte Praxis etabliert, dass ein bestimmtes Sujet in jeweils nur einer einzigen Vertonung auf der Bühne der Pariser großen Oper erscheinen durfte9, doch wurde seit der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts wiederholt von diesem Grundsatz abgewichen, wofür die Neuvertonung von Philippe Quinaults Libretto Armide durch Christoph Willibald Gluck im Jahre 1777 zweifellos das prominenteste Beispiel darstellt10. Für die italienische Oper insbesondere des 18. Jahrhunderts waren Parallelvertonungen ohnehin eine Selbstverständlichkeit, wofür vor allem die dutzendfachen musikalischen Bühnenversionen einzelner Libretti Pietro Metastasios besonders evidente Beispiele liefern. Im 19. Jahrhundert änderte sich diese Lage zunächst nur graduell. Dass gerade Giuseppe Verdis Opern für diesen allmählichen Wandel als exemplarisch gelten können, erklärt sich aus der spezifischen historischen Situation ihrer Entstehungszeit und dem gleichzeitigen Prozess der Repertoire-​bzw. Kanonbildung im Bereich des Musiktheaters, ein Prozess, bei dem sich Verdi bis heute als der weltweit am meisten gespielte Bühnenkomponist und zugleich als derjenige mit den meisten Werken des internationalen Kernrepertoires behauptet hat. So waren es gerade die beispiellosen Erfolge zahlreicher Opern Verdis, die dem Prozess fortwährender Neuvertonungen ein Ende setzten und ihre Sujets für andere Komponisten gewissermaßen unantastbar machten. Zudem fällt in die Produktionsspanne des Verdi’schen Œuvres auch in Italien –​mit erheblicher Verspätung besonders im Vergleich zu Frankreich –​die Etablierung eines modernen Urheberrechts, was die Möglichkeiten einer Zweitnutzung bereits vertonter Opernstoffe –​ zumindest solcher von zeitgenössischen Autoren –​drastisch einschränkte11. Daher handelt es sich bei den Parallelversionen der auch von Verdi in Musik gesetzten Stoffe fast immer um ältere Gestaltungen eines bestimmten Sujets, 9 Im Jahre 1714 wurde die erneute Vertonung eines bereits an der Pariser Oper gespielten Werkes ausdrücklich untersagt. Cf. Règlement au sujet de l’Opéra (19.11.1714), Nachdruck in: Jacques Bernard Durey de Noinville, Histoire du théâtre de l’Académie Royale de Musique, Paris (Duchesne) 1757, Reprint Genève (Minkoff) 1972, vol. 1, pp. 127–​131. 10 Hierzu u.a. Mario Armellini, Le due Armide: Metamorforsi estetiche e drammaturgiche da Lully a Gluck, Florenz (Passigli) 1991; Dörte Schmidt, »Armide« hinter den Spiegeln. Lully, Gluck und die Möglichkeiten der dramatischen Parodie, Stuttgart/​Weimar (Metzler) 2001. 11 Cf. Michael Walter, »Die Oper ist ein Irrenhaus.« Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert, Stuttgart/​Weimar (Metzler) 1997, pp. 204–​251. Pariser Urheberrechtsprozesse sind analysiert bei Christian Sprang, Grand Opéra vor Gericht, Baden-​Baden (Nomos) 1993.

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und nur in wenigen Ausnahmefällen haben Komponisten eine bereits von Verdi vertonte Vorlage später erneut für eine Oper bearbeitet12. Unter den wissenschaftlichen Studien zum Phänomen der Mehrfachvertonungen sind im Falle Verdis die Arbeiten von Markus Engelhardt hervorzuheben, dem wir neben einer vergleichenden Studie zu Un giorno di regno, Ernani, Attila und Il corsaro weitere Untersuchungen zu Opern nach Schillers Die Jungfrau von Orléans und Shakespeares Macbeth verdanken13. Engelhardts komparatistisches Forschungsinteresse galt vor allem der Erhellung von Sujettraditionen sowie stilkritischen Fragestellungen. Unstrittig ist, dass die älteren Vertonungen für Verdis Opernschaffen keine oder jedenfalls keine wesentliche Rolle spielten: Es ist recht unwahrscheinlich, dass Verdi jemals eine von ihnen zu Gehör oder zu Gesicht bekam, und noch unwahrscheinlicher ist es, dass er hiervon besonders beeindruckt gewesen wäre. Doch selbst wenn man für Verdis Werk ein so hohes Maß an künstlerischer Autonomie postulieren mag, dass sich im Falle des Don Carlos ein Vergleich seiner Monologszene König Philipps mit derjenigen seines relativ obskuren Zeitgenossen Vincenzo Moscuzza aus dem Jahre 1862 vielleicht nicht unbedingt aufdrängt, so ist es doch andererseits nicht minder evident, dass Verdis Li­ brettisten wie auch diejenigen seiner Zeitgenossen gemeinsam an spezifischen Konventionen des Musiktheaters teilhatten, die wiederum für die Schöpfer der jeweiligen Dramenvorlagen keine Rolle spielen konnten. So dürfte Johannes Streichers überraschende Feststellung, dass mehrere der offenbar weitgehend unabhängig voneinander entstandenen Don-​Carlos-​Opern mit 12 Eine besonders bemerkenswerte Ausnahme bildet Macbeth:  Auch nach Verdi wurde diese Shakespeare-​Tragödie u.a. noch von Karl Gottfried Wilhelm Taubert (1857), Lauro Rossi (1877), Ernest Bloch (1910), Nicholas Comyn Gatty (1920), Lawrence Arthur Collingwood (1934), Alexander Goedicke (1944), Edward M. Goldmann (1961), Sidney Halpern (1965), Herman David Koppel (1970), Antonio Bibalo (1990), Jan Sandström (2001), Salvatore Sciarrino (2002) und Paul McIntyre (2005) vertont. Cf. Markus Engelhardt, Macbeth: Chélard (1827/​28) –​ Verdi (1847/​65) –​Taubert (1857), in: Sieghart Döhring/​Wolfgang Osthoff (edd.), Verdi-​Studien. Pierluigi Petrobelli zum 60. Geburtstag, München (Ricordi) 2000, pp. 107–​128; sowie Arnold Jacobshagen, Macbeth, in: Christian Buhr/Michael Waltenberger/Bernd Zegowitz (edd.), Mittelalter-Rezeption im Musiktheater. Ein stoffgeschichtliches Handbuch, Berlin (De Gruyter) 2021, pp. 71–81. 13 Cf. Markus Engelhardt, Verdi und andere. »Un giorno di regno«, »Ernani«, »Attila« und »Il corsaro« in Mehrfachvertonungen, Parma (Istituto Nazionale di Studi Verdiani) 1992; id., »Macbeth«: Chélard (1827/​28) –​ Verdi (1847/​65) –​ Taubert (1857); id., Zwischen »bellico« und »soprannaturale«. »Die Jungfrau von Orleans« in den Vertonungen von Nicola Vaccai und von Giuseppe Verdi, in: Daniela Goldin Folena/​Wolfgang Osthoff (edd.), Verdi und die deutsche Literatur. Tagung im Centro tedescho di studi veneziani, Venedig 20.–​21. November 1997, Laaber (Laaber-​Verlag) 2002, pp. 39–​54.

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Jägerchören beginnen14, die Berechtigung solcher Strukturvergleiche zwischen den einzelnen Libretti bestätigen, auch wenn die literarischen Modelle Schillers oder auch Alfieris keine unmittelbaren Anhaltspunkte für einen solchen Werkbeginn liefern. Vielmehr bildet die Jagd gerade in der Exposition einer Oper als einer Theaterform der gleichsam »reinen Gegenwart«15, in der die visuelle Informationsvergabe eine zumindest ebenso große Rolle spielt wie die sprachliche, die exemplarische Manifestation eines fürstlichen Privilegs und somit ein besonders probates Mittel zur Verdeutlichung des herrschaftlichen Rahmens der nachfolgenden Bühnenhandlung. Wie Markus Engelhardt hervorgehoben hat, liegen »im Titel identischen oder verwandten Opern, der Erwartung widersprechend, vielfach andere Sujets zugrunde«16. Ähnliche Konfusionen begegnen auch im Falle von Don Carlos, wie eine Beschäftigung mit den verschiedenen so titulierten Bühnenwerken offenbart. Das älteste unter dem Titel Don Carlos in einschlägigen Bibliographien verzeichnete musikalische Bühnenwerk, Don Carlos ou La belle invisible, ist ein Pasticcio des Chevalier Lenoir-​Duplessis aus verschiedenen italienischen Opern. 1778 kam es am Théâtre des Elêves de l’Opéra zur Aufführung, einer Probebühne nicht etwa für den sängerischen, sondern für den tänzerischen Nachwuchs17. Dieser Sachverhalt sowie die Untertitel deuten darauf hin, dass es sich um die Ballettadaptierung einer dreiaktigen Comédie lyrique von Pierre-​Louis Moline aus dem Jahre 1767 handelt, Carlos ou la belle insensible18.

14 Diejenigen von Antonio Buzzolla (Elisabetta di Valois, Venedig 1850) und Serafino Amedeo De-​Ferrari (D. Carlo, Genua 1854) sowie auch die wesentlich veränderte zweite Fassung der Oper von De-​Ferrari (Filippo, Genua 1856). Cf. Johannes Streicher, Schiller e il »Don Carlos« nell’opera italiana prima di Verdi, in: Folena/​ Osthoff, Verdi und die deutsche Literatur, pp. 217–​247: 241. 15 Cf. Carl Dahlhaus, Dramaturgie der italienischen Oper, in: Lorenzo Bianconi/​ Giorgio Pestelli (edd.), Geschichte der italienischen Oper, vol. 6, Laaber (Laaber) 1992, pp. 75–​145: 102. 16 Engelhardt, Verdi und andere, p. 8. Dies gilt beispielsweise für die zahlreichen Corsaro-​Operntitel, von denen etliche mit Byrons Verserzählung und somit dem Sujet der Verdi’schen Oper in keinerlei Beziehung stehen. 17 Cf. Clarence D. Brenner, A Bibliographical List of Plays in the French Language 1700–​1789, n. 9133, Berkeley/​CA (University of California Press) 1947, p. 101. Fétis und Stieger geben dagegen 1780 als Aufführungsjahr an. Cf. François-​Joseph Fétis, Biographie universelle des musiciens et bibliographie générale de la musique, vol. 3, Paris (Didot) 21862, p. 81; Franz Stieger, Opernlexikon, Titelkatalog vol. 1, Tutzing (Schneider) 1975, p. 338. 18 Brenner, A Bibliographical List of Plays, n. 9127, p. 101; Nicole Wild/​David Charlton (edd.), Théâtre de l’Opéra-​Comique Paris. Répertoire 1762–​1972, Liège (Mardaga) 2005, p. 226.

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Anders verhält es sich dagegen bei dem ebenfalls nicht überlieferten Li­ bretto Dom Carlos von François Pierre Auguste Léger und Dutremblay, das in der Vertonung von Prosper Didier Deshayes am 11. Januar 1800 in der Opéra-​Comique (Salle Favart) uraufgeführt wurde19. Bereits die Gattungsbezeichnung »Fait historique en deux actes« deutet auf die Identität der Titelfigur mit dem historischen spanischen Infanten hin. Der Komponist dieser verschollenen Oper, Prosper Didier Deshayes, war mit einigen seiner musikalischen Bühnenwerke durchaus erfolgreich:  Mehrere seiner Partituren wurden gedruckt, darunter insbesondere Zélia nach Goethes Stella (1791), was als möglicher Hinweis auf eine eventuelle Vertrautheit des Künstlers mit der zeitgenössischen deutschen Literatur gedeutet werden könnte20. Allerdings haben sich von Deshayes’ Don-​Carlos-​Oper mit Ausnahme der Nennung des Titels und seiner Autoren in zeitgenössischen Theateralmanachen keine weiteren Quellen erhalten21. Wahrscheinlich ist, dass das Stück weder Schiller noch Alfieri folgt (der erst 1802 ins Französische übersetzt wurde), sondern einer der drei prominenten zeitgenössischen französischen Versionen des Stoffes, dem Drama Don Carlos von Pierre François Alexandre Lefèvre (1783), dem Portrait de Philippe II roi d’Espagne von Louis Sébastien Mercier (1785) sowie der Tragödie Philippe II von Marie Joseph de Chénier (um 1790). Sodann vergingen rund vierzig Jahre, ehe es wieder musiktheatralische Bearbeitungen des Stoffes zu verzeichnen gab, dafür aber kamen nun innerhalb der beiden nächsten Jahrzehnte eine ganze Reihe weiterer Opern über diesen Stoff zur Aufführung. Den Anfang machte hierbei der auf Schiller basierende Don Carlos von Eugen Nordal (Linz 1843)22, ehe es im folgenden Jahr zu einer Don-​Carlos-​Premiere an einem Opernhaus internationalen Ranges kam, Her Majesty’s Theatre in London. Das Libretto von Leopoldo 19 Prosper Didier Deshayes wird in der Literatur bisweilen irrtümlich mit dem Tänzer und Choreographen Jacques-​François Deshayes identifiziert. 20 Patrick Taïeb, L’adaption de »Stella« en opéra-​comique: »Zélia« (1791). Un aspect de la réception de Goethe en France, in: Herbert Schneider (ed.), Studien zu den deutsch-​französischen Musikbeziehungen im 18. und 19. Jahrhundert. Bericht über die erste gemeinsame Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung und der Société française de musicologie Saarbrücken 1999, Hildesheim u.a. (Olms) 2002, pp. 240–​265. 21 Cf. Arthur Pougin, L’Opéra-​Comique pendant la Révolution. De 1788 à 1801. D’après des documents inédits et les sources les plus authentiques, Paris (Savine) 1891, Reprint Genf (Minkoff) 1973, p. 250. 22 Dieser Titel ist lediglich verzeichnet bei Hugo Riemann, Opern-​Handbuch. Repertorium der dramatisch-​musikalischen Litteratur, Leipzig (Hermann Seemann Nachfolger) 1887, vol. 1, p. 692, sowie Stieger, Opernlexikon, Titelkatalog vol. 1, p. 338.

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Tarantini vertonte der Dirigent und Theaterdirektor Michele Costa, derselbe Künstler also, der mehr als dreißig Jahre später auch die Londoner Erstaufführung von Verdis Don Carlos leiten sollte. Den Erfolg der Oper Costas belegt die Existenz eines gedruckten Klavierauszuges23. Mit den italienischen Don-​Carlos-​ Opern vor Verdi und insbesondere ihren Libretti hat sich Johannes Streicher in einem grundlegenden Beitrag umfassend auseinandergesetzt24. In Italien kamen im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts demnach vier verschiedene Werke zur Uraufführung, Don Carlo (Mailand 1847) von Giorgio Giachetti und Pasquale Bona, Elisabetta di Valois (Venedig 1850) von Francesco Maria Piave und Antonio Buzzolla, D. Carlo (Genua 1854) von Giovanni Pennacchi und Serafino Amedeo De Ferrari sowie schließlich Don Carlo Infante di Spagna (Neapel 1862), auf das bereits von Costa für Covent Garden vertonte Libretto von Leopoldo Tarantini, nun mit neuer Musik von Vincenzo Moscuzza. Wie Streicher detailliert darlegen konnte, basieren drei der italienischen Gestaltungen primär auf Schiller, während für Piaves Libretto Alfieri als Modell diente. Daneben legt die Chronologie der italienischen Libretti die Vermutung nahe, dass zumindest für einige unter diesen neben Schiller und Alfieri eine weitere Quelle in Betracht kommt, nämlich das 1846, also ein Jahr vor der ersten italienischen Don-​Carlos-​Oper, in Paris uraufgeführte Drama Philippe II, roi d’Espagne von Eugène Cormon. Cormon schrieb insgesamt mindestens 135 dramatische Werke, darunter mehr als 30 Opernlibretti. Das bekannteste Libretto aus seiner Feder ist jenes zu Les pêcheurs de perles von Georges Bizet (1863), seinerzeit erfolgreich waren beispielsweise auch Le chien du jardinier (Musik von Grisar, 1855) oder Les dragons de Villars (Musik von Maillart, 1856). Bemerkenswert ist ferner Cormons Zusammenarbeit mit Offenbach (Robinson Crusoe, 1867)  und dem späten Auber (Le premier jour de bonheur, 1868, und Rêve d’amour, 1869). Dass neue Pariser Bühnenproduktionen, gerade solche der Boulevardtheater wie in diesem Falle dem Théâtre de la Gaîté, kurze Zeit später in Italien als Vorlagen für Opernlibretti dienten, war bekanntlich eine übliche Praxis25. Cormons Stück ist eine freie Bearbeitung Schillers, und es liegt nahe, dass seine Version zur Aufwertung von Schillers

23 Harry Beard widmete dieser Version bereits 1971 eine rezeptionsgeschichtliche Studie, in der die gleichzeitige Verwendung von Alfieri wie auch von Schiller herausgestellt wird. Cf. Harry Beard, »Don Carlos« on the London Stage, in: Atti del II congresso internazionale di studi verdiani, Parma (Istituto di Studi Verdiani) 1971, pp. 59–​69. 24 Cf. Streicher, Schiller e il »Don Carlos«, pp. 217–​247. 25 Cf. Sebastian Werr, Musikalisches Drama und Boulevard. Französische Einflüsse auf die italienische Oper im 19. Jahrhundert, Stuttgart/​Weimar (Metzler) 2002, insb. pp. 33–​39.

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Handlungsschema gegenüber demjenigen Alfieris als Opernvorlage in Italien beigetragen haben könnte. Cormons Philippe II wurde erst im Jahre 1977 von Marc Clémeur als eine wichtige Quelle für Verdis Don Carlos entdeckt26. Während das eigentliche Drama Philippe II als »imité de Schiller« kenntlich ist, ist der Prolog L’étudiant d’Alcala, der in seinen Handlungsmotivationen nahezu vollständig dem Fontainebleau-​Akt bei Verdi entspricht, eine Erfindung Cormons. Wie zwei Dossiers aus den Archives Nationales belegen, war Cormon von 1859 bis 1870 als directeur de la scène an der Opéra beschäftigt, also auch noch zur Zeit der Premiere von Verdis Don Carlos27. Cormon war also persönlich am Produktionsablauf der Oper beteiligt, für deren ersten Akt sowie für weitere Schlüsselszenen er die Vorlage geliefert hatte. Hervorzuheben ist auch, dass Cormon zahlreiche seiner Libretti gemeinsam mit anderen Autoren schrieb, darunter auch mit Verdis späterem Librettisten Joseph Méry, mit dem er 1860 die Opéra comique La comète de Charles-​ Quint verfasste. Dass es gerade ein Stück über Karl V. war, an dem Cormon und Méry gemeinsam arbeiteten, sollte besonders zu denken geben. Tatsächlich fügen sich die engen persönlichen Beziehungen der Pariser Librettisten untereinander, ihre sonstigen Theaterfunktionen und ihre Zusammenarbeit mit den einzelnen Komponisten in ein äußerst facettenreiches Bild der Produktionsweise des zeitgenössischen Opernbetriebs, der auf einem dichten Beziehungsgeflecht der beteiligten Künstler basierte. Vor diesem Hintergrund ist auch der in der Forschung bislang völlig unbeachtete Don Carlos von Adrien Barthe von Interesse, wenngleich sich aufgrund der geringen Zahl verfügbarer Quellen hier nur vorläufige Ergebnisse formulieren lassen. Die Entstehung dieser Oper hängt eng mit den Bestimmungen des Prix de Rome zusammen, die vorsahen, dass die Preisträger während ihres Aufenthalts in der Villa Medici der Académie française jährlich eine Sendung mit Kompositionen vorzulegen hatten, die so genannten »envois«28. Den Akten des Institut de France zufolge komponierte Barthe 1856 die beiden ersten Akte des Don Carlos. Im April 1857 wurden sie in der Villa Medici ausgestellt und im Juni 1857 nach Paris versandt. Gemäß ihres Kompositionsdatums bildeten diese Teillieferungen der Oper die »envois« des Jahres 1856, d.h. des zweiten Jahres von Barthes Aufenthalt in der Villa 26 Cf. Marc Clémeur, Eine neuentdeckte Quelle für das Libretto von Verdis »Don Carlos«, in: Melos/​Neue Zeitschrift für Musik 3 (1977), pp. 496–​499. 27 Archives Nationales, Série AJ13 475 und 1010B. Cf. Brigitte Labat-​Poussin, Archives du Théâtre National de l’Opéra (AJ13 1 à 1466). Inventaire, Paris (Archives Nationales) 1977, p. 489. 28 Zur Geschichte und den Regularien des Prix de Rome im 19. Jahrhundert cf. Julia Lu/​Alexandre Dratwicki (edd.), Le Concours du prix de Rome de musique (1803–​1968), Lyon (Symétrie) 2011.

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Medici29. Die heute in der Bibliothèque Nationale aufbewahrte autographe Partiturreinschrift ist jedoch späteren Datums: Der dritte Akt wurde erst am 6. September 1859, also rund zweieinhalb Jahre später vollendet30. Demnach betrachtete Barthe den Don Carlos also keineswegs nur als Pflichtaufgabe gegenüber der Académie, sondern überarbeitete das Werk nach seiner Rückkehr intensiv und strebte ganz offensichtlich an, mit diesem Werk als Opernkomponist in Paris zu debütieren. Die autographe Reinschrift der Partitur31 enthält außerdem nachträglich hinzugefügte Kürzungen und Aufführungsangaben, die darauf hindeuten, dass Barthe das Werk im Hinblick auf eine konkrete Bühnenfassung einrichtete, deren szenische Realisierung jedoch nicht zustande kam. Doch welches der Pariser Theater hätte hierfür in Frage kommen können? Dass das Werk in der vorliegenden Form jemals an der Opéra zur Aufführung hätte kommen können, scheint schon aufgrund der dreiaktigen Anlage und der geringen literarischen Ausarbeitung nahezu ausgeschlossen. Vieles spricht hingegen dafür, dass Barthe eine Aufführung am Théâtre-​Lyrique anstrebte, demjenigen Haus, das damals jungen Opernkomponisten die relativ besten Aufführungschancen bot, und an dem tatsächlich einige Jahre später Barthes nächste Oper La fiancée d’Abydos in Szene gehen sollte32. Weder die Akten des Instituts noch die Reinschrift der Partitur des Don Carlos geben einen Hinweis darauf, wer das Libretto schrieb oder ob Barthe es womöglich selbst verfasst hat. Auffallend ist jedoch, dass das Libretto von ungewöhnlicher Kürze ist und die komplizierte Intrigenhandlung auf wenige Schlüsselszenen von großer bildhafter Wirkung reduziert. Mit großer Sicherheit ist zudem davon auszugehen, dass gesprochene Dialoge zwischen die musikalischen Nummern hätten treten sollen, für die jedoch bisher keine Quellen nachgewiesen werden konnten. Auch Barthe stand als Vorlage seiner Oper neben Schiller offenbar das Schauspiel von Eugène Cormon zur Verfügung. Bereits in der Figurenkonstellation herrscht eine bemerkenswerte Ökonomie der Mittel. Das Stück beschränkt sich auf insgesamt sieben Darsteller, darunter lediglich drei große Rollen mit eigenen Solonummern, nämlich Carlos, Elisabeth und Philipp.

29 Institut de France, Archives de l’Académie des beaux-​arts, 5 E 41 (1857). Die beiden »envois« des ersten Jahres waren das Te Deum und die Opera semiseria Teresa e Claudio, dasjenige des dritten Jahres das Oratorium Judith. 30 Paris, Bibliothèque Nationale Département de Musique, Fonds du Conservatoire, Ms 3149. 31 F-​Pn Ms 3149 [1]‌(Akte I und II) und Ms 3149 [2] (Akt III). 32 Cf. Thomas J. Walsh, Second Empire Opera. The Théâtre Lyrique Paris, 1851–​ 1870, London (Calder) 1981, p. 319.

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Die erste beschriebene Seite des Partiturautographs präsentiert eine Übersicht der Dramatis personae: Personnages Le Roi Carlos (son fils) Posa (ami de Carlos) Domingo = Grand Inquisiteur La Reine Marie (dame d’honneur) Gil Perez (Soldat) Coryphées

Basse 1er ténor 2me ténor Baryton 1er Soprano 2me Soprano Basse Chœurs

Bereits an diesem drastisch reduzierten Personenverzeichnis lässt sich ablesen, dass das Stück keinesfalls für die Pariser Opéra, sondern nur für ein kleineres Theater in Betracht kommen konnte. Die Prinzessin Eboli ist völlig eliminiert, wodurch die verschiedenen Verwechselungs-​und Briefintrigen entfallen und die Handlung drastisch vereinfacht wird. Bemerkenswert ist auch die Identifizierung des Großinquisitors mit Domingo, ein Kunstgriff, den auch Méry und Du Locle einsetzten, indem sie den bei Schiller erst am Schluss auftretenden Inquisitor um die Funktion des Beichtvaters aufwerteten. Ebenfalls zu Beginn des Manuskripts findet sich eine Übersicht der neun  Musiknummern des ersten und zweiten Aktes, die weiteren fünf Nummern sind zu Beginn des zweiten Bandes des Partiturautographs verzeichnet, welcher den dritten Akt umfasst: 1er Acte

N°. 1

N°. 2 N°. 3 N°. 4 2me Acte N°. 5 N°. 6 N°. 7 N°. 8 N°. 9 3me Acte N°. 10 N°. 11 N°. 12 N°. 13 N°. 14

Introduction. Chœur –​Scène –​Ballade –​Scène du Crieur –​Reprise du 1er Chœur Récit & Air (Carlos) Scène & Air (Carlos, Posa, Domingo) Finale (Chœur du peuple & chœur des prêtres) Entracte Chœur (suivantes) Air de la Reine /​Chœur d’hommes (dans les coulisses) /​Scène Quintette [Finale] Intrada Air–​Basse Sextuor–​voix d’hommes Symphonie Grand Duo–​ténor & soprano [Carlos, la Reine]

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Der ohne Ouvertüre einsetzende erste Akt umfasst lediglich vier Musiknummern, von denen jedoch die Introduktion und das Finale sehr umfangreich sind. In dem von Fromental Halévy erstellten Gutachten der Académie française heißt es über diesen ersten Akt: Nous sommes heureux de voir se jeune pensionnaire justifier la bonne opinion que l’Académie avait conçue de lui. Nous avons remarqué dans le 1r acte un chœur d’ouverture plein de vigueur et de caractère; une ballade qui a de la couleur; un air pour ténor d’un sentiment de mélancolie; et dans le final un chœur de prêtres d’un style noble et élevé.33

Die Introduktion beginnt mit einer groß angelegten Kirchenszene, einem Szenentypus, für den sich zahlreiche Modelle aus der Grand opéra anführen lassen34. Im gegebenen Falle ähnelt die Ausgangssituation jener von Halévys La Juive (1835):  Die Türen der Kirche sind geöffnet, und während aus dem Innern des Kirchenschiffes ein vierstimmig gesetztes Gloria in excelsis deo mit Orgelbegleitung erklingt, jubiliert die auf dem Vorplatz sowie auf den Treppenstufen disponierte Menge in Erwartung des für den nächsten Tag angesetzten Autodafés. Die Gestaltung dieser Eröffnungsszene ist zugleich auf die erste Szene des zweiten Aktes von Cormons Schauspiel zu beziehen: Dort stehen die spanischen Granden am Fenster des königlichen Palastes und schauen hinaus zu den Vorbereitungen für das Autodafé, wo sich ebenfalls bereits eine gewaltige Menschenmenge versammelt hat. Bei Barthe sind die Kirchenszene und die Vorbereitungen zum Autodafé nicht die einzigen multimedialen Attraktionen dieses ausgedehnten Introduktionstableaus. Auf die einleitenden Chöre folgt traditionell die Solonummer einer Nebenfigur, hier die Ballade des Gil Perez über das Erscheinen des Geists Karls des V., ein Stück vom Typus der Schauerballade. Diese Ballade greift die Mercado-​Episode am Schluss von Schillers Drama auf und ähnelt der Erzählung Elisabeths aus dem fünften Akt von Cormons Drama, in der die Königin den Aberglauben des Volkes über »le spectre de Charles-​Quint« schildert.

3 Institut de France, Archives de l’Académie des beaux-​arts, 5 E 41 (1857). 3 34 Zu diesem Szenentypus siehe die umfassende Studie von Robert Schuster, Die kirchliche Szene in der Oper des 19. Jahrhunderts, Sinzig (Studio) 2004, insb. pp. 211–​409.

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Barthe, Don Carlos I/​3

Schiller, Don Carlos V/​6

Gil Perez Quand de la nuit le sombre voile S’étend sur le palais des rois Lorsque le ciel est sans étoiles Que minuit sonne aux vieux beffrois On voit se soulever la pierre Aux caveaux de l’Escurial Et … dans une pâle lumière Surgir le spectre impérial ! Tremblez ! tremblez ! A ce fatal présage tremblez ! Le ciel est en courroux ! Tremblez ! tremblez ! Car ce fatal présage Annonce le courroux du ciel.

Mercado Schon längst Geht eine Sage, wie Sie wissen, daß Um Mitternacht in den gewölbten Gängen Der königlichen Burg, in Mönchsgestalt, Der abgeschiedne Geist des Kaisers wandle. Der Pöbel glaubt an dies Gerücht, die Wachen Beziehen nur mit Schauer diesen Posten. Wenn Sie entschlossen sind, sich dieser Verkleidung zu bedienen, können Sie Durch alle Wachen frei und unversehrt Bis zum Gemach der Königin gelangen, Das dieser Schlüssel öffnen wird. Vor jedem Angriff Schützt Sie die heilige Gestalt. Doch auf Der Stelle, Prinz, muß Ihr Entschluß gefaßt sein. Das nöth’ge Kleid, die Maske finden Sie In Ihrem Zimmer. Ich muß eilen, Ihrer Majestät Antwort zu bringen.

Cormon, Philippe II roi d’Espagne V/​4 La Reine Horreur! … Oh ! … merci mon Dieu ! … vous m’avez permis d’arriver à temps pour épargner un crime au roi … au père un remords éternel ! (Mouvement d’incrédulité de don Carlos.) Ecoutez-​moi, Carlos, il le faut … car les momens sont précieux et la crainte, l’anxiété, brisent mes forces ! … (La voix de la reine trahit la plus violente émotion.) Depuis la mort de Charles-​Quint, le bruit s’est répandu parmi le peuple que l’on voit errer, dans cette tour, vers minuit et sous l’habit d’un moine de Saint Just, l’ombre du défunt empereur. Cette croyance superstitieuse est partagée par les troupes et surtout les soldats wallons. Ils n’occupent ce poste qu’avec effroi et aucun d’eux n’oserait arrêter dans sa marche le spectre de leur empereur révéré. –​Voilà mon seul espoir.

Die einprägsame h-​Moll-​Melodie der Ballade des Gil Perez wird, einer alten, aus der Opéra comique herrührenden Tradition folgend, an späterer Stelle im Verlauf des Werkes erinnerungsmotivisch wiederkehren. Als dritter In­ troduktionsblock folgt die Ankündigung des Cortège sowie auch eines Stierkampfes, zeigt also, stärker noch als bei Verdi, das Bemühen, ein spanisches Lokalkolorit zu verankern, eine Tendenz, die sich darüber hinaus auch in dem Air basque aus dem ersten Entracte offenbart35. Die Aussicht auf den 35 Da Barthe aus Bayonne (Pyrénées Atlantiques) stammt, dürfte ihm die Folklore des Baskenlandes auch persönlich sehr vertraut gewesen sein. 1898 erschien zudem im Verlag Leduc sein Zyklus von vierhändigen Klavierstücken unter dem Titel Pays basque. Esquisses musicales.

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Stierkampf lässt die einleitende Freude wiederkehren, so dass Barthe nun auf die Musik des Eingangschores zurückgreifen und so die Introduktion in einen traditionellen Chorrahmen stellen kann. Auf diese zu einem großen Introduktionskomplex zusammengefassten Massenszenen folgt  –​nach den Regeln einer auf Kontrasten basierenden Dramaturgie  –​eine Soloszene des Don Carlos, deren Text (»Seul, enfin !…«) große Ähnlichkeit zum Beginn von Cormons Drama Philippe II roi d’Espagne aufweist (»Seul! … je suis bien seul!«). Hieran schließt sich in Barthes Oper die Begegnung mit Posa an, ehe die Freunde von den Spionen des Königs gestellt werden. Bereits hier werden bei Barthe die Figur des Domingo und des Großinquisitors miteinander identifiziert. Auf die Frage: »Moine, qui donc es-​tu?« reißt der Angesprochene seine Kapuze herunter und erwidert:  »Je suis l’inquisition«, wobei zu den getragenen Tonwiederholungen der Bassstimme ein lediglich mit Posaunen und Ophikleide besetzter choralartiger Bläsersatz über einem chromatisch absteigenden Bass erklingt, eines von vielen Beispielen dafür, wie Barthe –​französischer Operntradition entsprechend –​Klangfarben und spezifische Instrumentationen zur Figurencharakterisierung einsetzt. Diese buchstäbliche Enthüllung Domingos ist der Auslöser eines kontemplativen Ensembles, das das Zentrum des Aktes bildet. Die melancholische Arie der Königin im zweiten Akt mit dem zwischen den beiden Tempi in der Ferne vorbeiziehenden Hirtenchor gemahnt an das entsprechende Modell aus Berlioz’ Harold en Italie (1834) und zugleich an den Operntopos der zerstörten Idylle, wie wir ihn beispielsweise aus Meyerbeers Le prophète (1849) oder der im Jahr der Vollendung von Barthes Komposition uraufgeführten Oper Le pardon de Ploërmel (1859) desselben Komponisten kennen36. Barthes Finale des zweiten Aktes, in dem Posa bei der Königin von Philipp überrascht und zur Aushändigung des Degens aufgefordert wird, folgt der entsprechenden Szene bei Cormon, die dort den Schluss des vierten Aktes bildet37.

36 Cf. Marta Ottlovà, Oper und Traum: »Le Pardon de Ploërmel«, in: Sieghart Döhring/​Arnold Jacobshagen (edd.), Meyerbeer und das europäische Musiktheater, Laaber (Laaber) 1998, pp. 127–​133. 37 Über den zweiten Akt heißt es in Halévys Gutachten: »Le 2me acte débute par un chœur de femmes, léger et gracieux, et se termine par un quintetto, bien developpé et traité, avec talent. L’andante maestoso, surtout, est remarquable par l’intérêt et la bonne disposition des parties vocales. Bien écrit, instrumenté avec soin, indiquant un vif intérêt scénique, cet ouvrage, malgré quelques parties un peu prétentieuses, nous donne les plus grandes espérances pour l’avenir de M. Barthe.« Archives de l’Académie des beaux-​arts, 5 E 41 (1857).

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Nachdem der erste und der zweite Akt die Soloszenen für Carlos und Elisabeth präsentiert hatten, steht im dritten erwartungsgemäß jene des Königs im Mittelpunkt. Ganz anders als Verdi komponiert Barthe an dieser Stelle indes eine eher konventionelle Rachearie (»Ils m’ont osé braver. | Une jalouse rage éclate dans mon cœur«)38. Auf die Solonummer folgt ein Sextett für überwiegend tiefe Männerstimmen, wobei neben den Bässen des Königs und Domingos die vier Mönche der Inquisition hinzutreten, die ähnlich wie die drei Wiedertäufer aus Meyerbeers Prophète zu einer semichorischen Kollektivfigur von äußerst bedrohlicher Statur zusammengefasst sind. In diesem sehr umfangreichen dreisätzigen Sextett (Maestoso  –​Andante maestoso  –​ Allegro agitato) arbeitet Barthe wiederum intensiv mit Kombinationen tiefer Bläserstimmen. Besonders charakteristisch für das ganz auf Bildhaftigkeit hin ausgerichtete Werk ist die nachfolgende Nummer 12, eine ausgedehnte »Symphonie«, die vor allem das melodische Material der Schauerballade aus der Introduktion aufgreift. In diesem großen pantomimischen Tableau werden jene Begebenheiten visualisiert, von denen bei Schiller und Cormon nur berichtet wird: Zunächst begegnen wir den abergläubischen Wachen, die sich um Mitternacht vor dem Geist des Kaisers fürchten, und sodann folgt tatsächlich das szenische Erscheinen des Geistes in Gestalt des verkleideten Don Carlos, der die Wachen in die Flucht schlägt und so zum abschließenden Grand Duo mit Elisabeth zusammenfinden kann, eine Schlussszene, die sich ganz eng an jene bei Schiller anlehnt. Über Adrien Barthes bisher völlig unbekannten Don Carlos konnte hier nur ein erster Bericht gegeben werden, der zweifellos manche Fragen offenlassen muss. Dessen ungeachtet ist der Vergleich von Verdis Oper mit derjenigen Adrien Barthes in vieler Hinsicht aufschlussreich. Tatsächlich präsentiert uns Barthe eine komprimierte, aber schlüssige Bühnenversion, die unter Verzicht auf wesentliche Teile der komplizierten Intrigenhandlung stattdessen mit spektakulären Massenszenen wie der Introduktion im offenen Kirchenschiff, der Gestaltung einer effektvollen Schauerballade und schließlich der vorgetäuschten Geistererscheinung des Kaisers vor allem effektvolle Bildwirkungen erzielt und im Falle einer szenischen Realisierung den zeitgenössischen Publikumserwartungen vermutlich durchaus gerecht geworden wäre. So sehr gerade das Thema Verdi und Schiller die Kommentatoren immer wieder aufs Neue beflügelt haben mag, so lässt sich gerade im Vergleich mit einer gewissermaßen traditions-​und erwartungskonformen Opernrealisierung wie derjenigen von Adrien Barthe die opernhistorische Ausnahmestellung von Verdis Don Carlos erst wirklich ermessen. 38 Eine ähnlich altmodische Gestaltung begegnet bereits am Ende des II. Aktes, wo sich der angebliche göttliche Zorn in einer Gewittermusik entlädt (»L’orage se déchaîne, et sa perte est certaine«).

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Anhang: Kompositionen von Adrien Barthe39 Opern Teresa e Claudio (1855), F-​Pn Don Carlos (1857), F-​Pn La fiancée d’Abydos (1865), F-​Pn Le roi de Thulé (1868), F-​Pn Le novice (1877), F-​Pn Le retour,  F-​Pn Vokalwerke Chœur de chasse, pour 4 voix d’hommes et baryton solo (1852), F-​Pn Francesca de Rimini, cantate pour le Prix de Rome (1854), F-​Pn Adieu, chœur pour 4 voix et ténor solo (1854), F-​Pn Te Deum (1855),  F-​Pn Judith, oratorio (1857/​58),  F-​Pn Les Thyolliers, chanson bayonnaise, arrangée à 2 voix (1869), F-​Pn Cantique de communion, à 4 voix, orgue (1888), F-​Pn Ca. 40 Lieder (1878–​1889), US-​R Kammermusik Fugue à 4 voix (1854),  F-​Pn Duo concertant, pour piano et violon sur des airs italiens (1876), F-​Pn Aubade, quintette pour flûte, hautbois, clarinette, cor et basson (1884), F-​Pn Passacaille, quintette pour flûte, hautbois, clarinette, cor et basson (1899), F-​Pn 6 Pièces pour piano et hautbois (1889),  F-​Pn Solo de concours pour trombone et piano (1889),  F-​Pn 6 Pièces pour violon et piano,  F-​Pn Klavierwerke Cavatine, transcrite pour piano (1866), F-​Pn Fantaisie brillante sur la Fiancée d’Abydos (1866), F-​Pn Valse pour piano à 4 mains (1883), US-​R Polka pour piano (1884), US-​R

39 Quellen:  https://​catalogue.bnf.fr (10.6.2020); https://​www.esm.rochester.edu/​ sibley/​specialcollections/​findingaids/​barthe (10.6.2020); Wright, Barthe.

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Aubade, pour piano à 4 mains (1888), F-​Pn Pays basque. Esquisses musicales, pour piano à quatre mains (1898), F-​Pn Tarentelle, pour piano à 4 mains, F-​Pn Trois pièces pour piano (1892), F-​Pn

Gabriella Biagi Ravenni

Giacomo Puccini ‹preoperistico› 1870–​1885* Questo contributo intende sistematizzare, per così dire, le conoscenze acquisite recentemente sul giovane Puccini, il Puccini ‹preoperistico›, confrontandole con quanto, tra fatti e aneddoti, le biografie tradizionali ci avevano tramandato. Il periodo considerato è compreso tra il 1870, anno che compare sul frontespizio di Sonate per organo, e il 1885 nel corso del quale, tra l’allestimento scaligero (24 gennaio) e quello al Teatro comunale di Bologna (5 novembre) Le Villi conobbe una significativa diffusione, legando definitivamente il nome di Puccini alla produzione operistica. Le Villi del resto coronano, in un certo senso, il lungo apprendistato di Puccini, prima a Lucca poi a Milano.

I.  Aida a Pisa, 1876 Una lettera autobiografica che Puccini scrisse nell’ottobre 1897 a Eugenio Checchi  –​che si apprestava a scrivere un articolo/​reportage sulla composizione di Tosca1  –​servirà da filo conduttore. Questo l’esordio:  «La mia infanzia è l’infanzia di tutti –​ti dico solo che ero refrattario alla musica, e fu a 17 anni che udendo l’Aida a Pisa mi sentii aprire lo sportello musicale»2. Checchi ricavò molte informazioni dalla lettera3, ma non citò esattamente

* Pubblico in questo saggio la versione scritta della relazione presentata al Convegno internazionale di studi Puccini 1870–​1885. L’organo, il quartetto, l’orchestra, l’opera (25 novembre 2018, Teatro Valli, Reggio Emilia, nell’ambito di Focus Puccini), con molti aggiornamenti, necessari per le fonti e notizie nuove emerse nel frattempo, augurandomi che sia gradito all’amico Jürgen, che ha sempre manifestato interesse per la documentazione d’archivio. –​Nel saggio sono impiegate le seguenti sigle: D-​Sschickling, Stuttgart, Collezione privata di Dieter Schickling; I-​La, Lucca, Archivio di Stato; I-​Las, Lucca, Archivio Storico Comunale; I-​Li, Lucca, Istituto musicale «L. Boccherini»; I-​Lmp, Lucca, Museo di Casa Puccini; I-​TLp, Torre del Lago Puccini, Museo di Casa Puccini. 1 Cf. Eugenio Checchi, Giacomo Puccini, in: Nuova antologia 32/​23 (1 dicembre 1897), pp. 470–​481. 2 Lettera n. 118 (1897.10.1-​.a) in: Giacomo Puccini, Epistolario II 1897–​1901, edd. Gabriella Biagi Ravenni/​Dieter Schickling (Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini), Firenze (Olschki) 2018, p. 93sq. 3 La lettera fu custodita con cura da Checchi che, solo in occasione del successo de La fanciulla del West a New York, la pubblicò integralmente, ma operando qualche censura:  Eugenio Checchi, Una lettera di Giacomo Puccini. La vera

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quella frase, forse perché non sarebbe stato facile trovare una spiegazione all’affermazione più forte, «ero refrattario alla musica». Scrisse: «l’Aida del Verdi è stata la prima opera che Giacomo sentì nel teatro di Pisa, e che gli aprì, come egli stesso afferma, lo sportellino musicale nel cervello», aggiungendo un particolare –​«la prima opera» –​che Puccini non avrebbe potuto scrivere. L’episodio dell’Aida a Pisa (Teatro nuovo, stagione di quaresima, debutto l’11 marzo 1876)  diventerà un topos delle prime biografie. Fu Edmondo De Amicis il primo a riprenderlo in un «lungo e importantissimo articolo» pubblicato da La Prensa di Buenos Aires: Fu la musica di Verdi che d’un tratto fece fiorire il talento musicale del giovane Puccini. Aveva diciassette anni quando ebbe la combinazione d’udire per la prima volta Aida in Pisa, eseguita da un assieme di buoni artisti. Provò una scossa profonda, sentì un tumulto di idee, sentì una febbre, non mai ancora provata, di desideri e di speranze che da quel giorno non lo abbandonò mai più. E quel giorno appunto decise del di lui avvenire.4

Carlo Paladini parla del giovinetto lucchese che un bel giorno pel Monte di san Giuliano era andato a Pisa pedibus calcantibus per udire l’Aida eseguita –​se lo rammenta bene anche adesso –​ da un assieme di buoni artisti. Provò una scossa profonda, sentì un tumulto d’idee, sentì una febbre, non mai ancora provata, una febbre di desideri e speranze, che da quel giorno non lo abbandonò più. Fu la musica di Verdi che d’un tratto lo appassionò pel teatro…5

Fraccaroli amplia e fiorisce: A Pisa si rappresentava l’Aida, e il ragazzotto volle andare a sentirla. L’Aida! Se ne parlava tanto, da tutti, e lui era quel po’ po’ di musicista che suonava tutti gli organi delle chiese di Lucca e del contado doveva essere uno dei pochi che ancora non conoscevano la popolarissima opera di Verdi? Il viaggio in ferrovia costava troppo, ma la voglia d’andar a sentire l’Aida era grande. In ferrovia neanche a pensarci: dove trovare poche lire necessarie, poche ma indispensabili? Puccini ebbe un’idea:  il buon Dio ha dato agli uomini le gambe, con supplemento di relativi piedi, appunto per camminare, no? E allora? Allora Puccini andò a Pisa a piedi, per il monte di San Giuliano. Impressione enorme. Mi raccontava più tardi:  Ne rimasi sbalordito, direi quasi spaventato. Un uomo poteva scrivere un’opera di quella mole? E con tanto splendore di armonie? E con tale miracolo di potenza?

Bohème –​Torre del Lago –​La romanza del paletot, in: Giornale d’Italia 10/​348 (12 dicembre 1910), p. [3]‌. 4 Alcuni brani sono riportati in: Edmondo De Amicis, Giacomo Puccini, in: Gazzetta musicale di Milano 55/​22 (31 maggio 1900), pp. 298–​300. Carlo Paladini, Giacomo Puccini, in: Musica e musicisti 58/​2–​5 (febbraio –​ aprile 5 1903), pp. 75–​82, 161–​168, 265–​274, 361–​366: 82.

Giacomo Puccini ‹preoperistico› 1870–1885

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Mi pareva di sognare. Mi parve che non si potesse fare niente di più grande, di più spettacoloso. E anche mi parve che non ci fosse al mondo niente di più bello che potere scrivere un’opera per il teatro. Affascinare il pubblico commuoverlo esaltarlo mettersi dinanzi alle moltitudini e dire: vi voglio dare le emozioni che voglio io che sento io voglio farvi piangere e farvi appassionare come piango e mi appassiono io. E farvi ridere, se voglio. Comandarvi come la tastiera di un organo. A notte alta fece ritorno a piedi senza accorgersi della fatica. Era sconvolto…6

Il racconto negli ultimi due si è caricato dunque di un particolare stuzzicante: Puccini sarebbe andato a Pisa pedibus calcantibus! Sui giornali lucchesi si trova la notizia di un treno speciale organizzato dall’impresa del teatro di Pisa7. Il viaggio di per sé assurge a mito, ancora di più se compiuto a piedi, come fa rilevare Alexandra Wilson: Puccini’s youthful walk from Lucca to Pisa in an evening to hear a performance of Aida in 1876 –​an anecdote of questionable plausibility imbued by biographers with the aura of a sacred pilgrimage –​was frequently compared to Bach’s famous 260-​mile walk from Arnstadt to Lübeck to hear Buxtehude, or Wagner’s journey to hear Beethoven’s Eroica symphony.8

Perché proprio quell’Aida a Pisa fece «aprire lo sportello musicale» al giovane Puccini, che a Lucca frequentava il Teatro del Giglio e gli altri teatri9? Negli annunci della stagione di quaresima sui giornali di Pisa si parla di 16 rappresentazioni di Aida, di regola ogni sabato, domenica, martedì e giovedì, ma il successo fu tale che si proseguì, fino alle due recite straordinarie del 16 (Pasqua) e 17 aprile. Si sa che il cast era buono –​Franceschina Tabacchi (Aida), Maria Destin (Amneris), Enrico Barbacini (Radames), Leopoldo Borgioli (Amonasro)10 –​e pare che il direttore Ettore Contrucci fosse stato Arnaldo Fraccaroli, Giacomo Puccini si confida e racconta, Milano (Ricordi) 1957, p. 24sq. 7 La provincia di Lucca 6/​23 (25 marzo 1876), p. 3; 6/​24 (30 marzo 1876), p. 3. Nel primo articolo si legge: «Giovedì sera [23] un buon numero di lucchesi si recarono a Pisa in treno speciale per udire l’Aida, e verso le 2 di notte fecero ritorno». 8 Alexandra Wilson, The Puccini Problem: Opera, Nationalism and Modernity, Cambridge (Cambridge University Press) 2007, p. 27. 9 Non è difficile immaginare che gli insegnanti di Puccini, impiegati nell’orchestra del teatro, potessero favorire l’ingresso degli allievi. A proposito della Vestale di Mercadante (Teatro Pantera, 1875) Puccini scriverà all’avvocato G. de Napoli, responsabile dell’Associazione civica Saverio Mercadante, di averla vista quando era studente e di averne avuto una viva impressione: lettera del 9 aprile 1910, citata in: Julian Budden, The Musical World of the Young Puccini, in: William Weaver/​ Simonetta Puccini (edd.), The Puccini Companion, New York/​London (Norton) 1994, pp. 39–​60: 50. 10 Completavano il manifesto: Raimondo Mailini (Ramfis), Angelo Mancini Silveri (Re), Pietro Marcugini (Messaggero), maestro dei cori (54 coristi) Enrico Simi, coreografo Giuseppe Bini, pittore scenografico Agostino Lessi, vestiarista Sartoria 6

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imposto da Verdi e Tito I Ricordi11. Le recensioni mettono particolarmente in evidenza la messa in scena: «L’esecuzione è stata buonissima ed inappuntabile […] la messa in scena è splendida, bellissimi eleganti e ricchi i vestiari; belle le scene e le decorazioni; bene eseguito tutto quello che riguarda il macchinista»12 e la direzione di Contrucci13. Di ottimo allestimento parlano anche i giornali lucchesi: Non c’è che dire, i Pisani la sanno lunga. Tutti gli anni al loro principale teatro hanno preso a dare spettacoli monstre, da gran città; i forestieri vi accorrono da ogni parte ed il Teatro Nuovo fa la fortuna di Pisa. […] L’esecuzione dell’opera se non perfetta, buona può dirsi certo; la mise en scène è splendida, splendidissima. […] Ieri sera [26] vi sono stati tre pezzi bissati fra i quali la famosa marcia delle trombe lunghe e per conseguenza esercito e suonatori appena oltrepassata la porta di Tebe hanno dovuto tornarsene indietro per rientrare poi nuovamente in città.14

A Pisa, al Teatro Nuovo, Puccini assisté dunque a uno spettacolo di livello inconsueto, tale da esercitare una fascinazione che i tanti spettacoli cui aveva assistito a Lucca non avevano esercitato.

II. Gli studi a Lucca Si era aperto uno sportello, ma fino ad allora era stato davvero refrattario alla musica? Forse refrattario alla predestinazione –​molti anni fa ho parlato di «peso della tradizione»15  –​di diventare un bravo maestro di cappella di provincia? In quell’anno scolastico 1875/​76 Puccini era iscritto all’Istituto musicale Pacini, nelle classi di Armonia teorica e pratica (Carlo Giorgi), Organo (Carlo Giorgi), Composizione e contrappunto (Carlo Angeloni). Era il dodicesimo anno del suo percorso formativo lucchese scolastico, ne seguiranno altri quattro. Nella tav. 1 una sintesi di tutto il percorso:

teatrale italiana, fornitore delle calzature Francesco Sacchi, attrezzista Antonio Stocchi, direttore del meccanismo Giovanni Mugnaini, parrucchieri Fratelli Marzoli, orchestra di Pisa potenziata da professori di altre città, bandisti e trombettieri (30) diretti da Alessandro Nuccorini, corifei, comparse e paggi (100), impresario Luciano Marzi. Di Enrico Barbacini e Maria Destin i giornali sottolineavano, erroneamente ma efficacemente, la partecipazione alla prima assoluta di Aida al Cairo. 11 Gino dell’Ira, Il firmamento lirico pisano, Pisa (Grafica Zannini) [1983], p. 404. 12 La provincia di Pisa 12/​21 (12 marzo 1876), p. 4. 13 La provincia di Pisa 12/​22 (16 marzo 1876), p. 3: telegramma di congratulazioni a Contrucci da parte di Ricordi. 14 La provincia di Lucca 6/​24 (30 marzo 1876), p. 2. 15 Gabriella Biagi Ravenni, Il peso della tradizione: i Puccini, dinastia di compositori lucchesi, relazione per «Le dirò con due parole». Giornata internazionale di studi, Centro studi Giacomo Puccini, Lucca, Teatro del Giglio, 26 maggio 1997.

’67– ’68

’69– ’70

Pianoforte (Giovannetti)

’70– ’71

’71– ’72

Pianoforte (Giovannetti)

’72–’73

Organo 2) (Magi)

Armonia pratica (Magi)

Armonia teorica (Angeloni)

Vocalizzo e concerto (Angeloni)

Violino e viola (Michelangeli)

’68–’69

’74–’75

’75–’76

’76– ’77

I premio Composizione e contrappunto

’77–’78

’78– ’79

1) Iscritto il 5 dicembre 1864. «Passato all’Istituto Musicale», luglio 1868. Non si conoscono nel dettaglio le discipline musicali studiate. 2) «Non ammesso [alla scuola d’organo dell’Istituto Musicale] perché non fatto 1° Anno Armonia Prattica». Fortunato Magi abbandonò l’insegnamento a dicembre 1872.

Menzione onorevole Composizione e contrappunto

Composizione e contrappunto (Angeloni)

Organo (Giorgi)

Armonia teorica e pratica (Giorgi)

’73–’74

Menzione onorevole Composizione e contrappunto

’66– ’67

Riconoscimenti

’65– ’66

I premio I Armonia teorica premio e pratica Organo

1)

1864– ’65

Premi scolastici

Istituto Musicale

Scuola Nerici

anno scolastico

Tav. 1.  La formazione musicale di Giacomo Puccini: scuole, materie, maestri ’79– ’80

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Gabriella Biagi Ravenni

Dopo la morte prematura di Michele Puccini (23 gennaio 1864), si era reso necessario pensare all’istruzione del piccolo Giacomo: nel dicembre di quello stesso 1864 Giacomo fu iscritto alla Scuola musicale privata di un allievo di Michele: Luigi Nerici, organista, compositore, maestro di cappella, oggi conosciuto soprattutto come autore di un’importante Storia della musica in Lucca. In quella scuola Giacomo apprese i ‹principi elementari di musica› saldamente intrecciati con la pratica vocale16. Dopo tre anni poté essere iscritto all’Istituto musicale Pacini direttamente nel corso medio, iniziando dalla classe di violino e viola di Augusto Michelangeli17. Iter costellato da primi premi (in armonia teorica e pratica, organo e composizione e contrappunto) e menzioni onorevoli (due in composizione e contrappunto)18. A premi e menzioni vanno aggiunti i numerosi certificati e/​o attestati rimasti19. Il più antico, rilasciato dall’Istituto, reca la data del 3 dicembre 1872: L’alunno dell’Istituto musicale Pacini in Lucca Giacomo del fu Prof. Michele Puccini ha frequentato sempre con lode e intelligenza le scuole di Principij elementari, solfeggio, Concerto e Pianoforte. Ed ha superato il Primo anno di Armonia teorica, e mezz’anno di Armonia prattica, pei quali studj dimostra una non comune attitudine [cancellato: intelligenza]. Prof. di Armonia prattica. Prof. Di Arm[onia] teorica Maestro di Piano-​Forte Fortunato Magi Carlo Angeloni Alessandro Giovanetti.20

16 Nel dicembre 2013 la direzione dell’Archivio di Stato di Lucca dette la notizia, ricavata dall’ordinamento dell’Archivio Tucci. 17 Cf. Luigi Nannetti, La formazione musicale di Giacomo Puccini, in: Gabriella Biagi Ravenni/​Giulio Battelli (edd.), Puccini e Lucca. «Quando sentirò la dolce nostalgia della mia terra nativa», catalogo della mostra (Lucca, Palazzo Guinigi, 14 giugno–​22 dicembre 2008), Lucca (Maria Pacini Fazzi) 2008, pp. 99–​130: 99. Nannetti per questa notizia si rifà alle ricerche di Marco Tovani, di cui vedi Giacomo Puccini studente della classe di violino, in: Ravenni/​Battelli, Puccini e Lucca, scheda 2/​4, p. 226. 18 Per il primo premio per la scuola d’organo (1875) cf. Natale Gallini, Gli anni giovanili di Giacomo Puccini, in: L’approdo musicale 2/​6 (1959), pp. 28–​52: 29; cf. la riproduzione in: Ravenni/​Battelli, Puccini e Lucca, p. 104. Per gli altri riconoscimenti cf. Giulio Battelli, Giacomo Puccini all’Istituto Musicale «G. Pacini», in: Gabriella Biagi Ravenni/​Carolyn Gianturco (edd.), Giacomo Puccini. L’uomo, il musicista, il panorama europeo, atti del convegno internazionale di studi su Giacomo Puccini nel 70° anniversario della morte (25–​29 novembre 1994), Lucca (Libreria Musicale Italiana) 1997, pp. 3–​21: 12; e Nannetti, La formazione musicale di Giacomo Puccini. 19 Cf. Nannetti, La formazione musicale di Giacomo Puccini, p. 102 e le schede 3/​8 e 3/​10 a cura di Sara Matteucci, in: Ravenni/​Battelli, Puccini e Lucca, p. 233. 20 I-​Lmp, dono Mandoli, che ne comprende un altro analogo, rilasciato il 29 luglio 1874.

Giacomo Puccini ‹preoperistico› 1870–1885

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ed è sottoscritto dai suoi insegnanti, compreso lo zio materno, Fortunato Magi21. Dei cosiddetti principi elementari di musica faceva parte la pratica vocale:  come voce bianca Giacomo iniziò verosimilmente a partecipare ai tanti servizi musicali liturgici e più in generale alle esecuzioni musicali che si avvalevano dei bambini della Scuola Nerici. Una delle occasioni più rilevanti fu la partecipazione di una delegazione lucchese, con un gruppo di ragazzi «Soprani, e Contralti della Città di Lucca Istruiti dal Sig[no]re M.° Fortunato Magi e Direzione dell’Ill.mo Sig[no]re Marchese Tucci Girolamo»22 alla cerimonia funebre per Gioachino Rossini, il 14 dicembre 1868, in Santa Croce a Firenze: fu eseguito anche il Requiem di Mozart. Mentre la presenza nel coro delle voci bianche della Scuola Nerici è soltanto verosimile, quella tra i soprani del primo coro per i servizi liturgici della Santa Croce23 del 1868  è documentata:  Giacomo ricevette un compenso, £ 2.80, come tutti gli altri bambini24. Quell’anno furono eseguite musiche di Fortunato Magi (primo vespro e mottettone), Andrea Bernardini (messa), Massimiliano Quilici (secondo vespro), oltre a una «grandiosa Sinfonia» di Magi la mattina del 14 settembre. Partecipavano ai servizi musicali molti degli insegnanti di Giacomo, passati, presenti e futuri:  Luigi Nerici (ispettore), Nicolao e Girolamo Tucci25 (assistenti), Carlo Giorgi (organista)

21 Su Fortunato Magi (Lucca, 1839 –​Venezia, 1882) rinvio alla mia voce in: Dizionario biografico degli italiani, Roma (Istituto della Enciclopedia Italiana) 2006, vol. 67, pp. 404–​406. 22 I-​La, Archivio Tucci, Scuola Nerici 338 (registrazioni di eventi musicali in cui si esibivano gli alunni della Scuola Nerici), p. 335. Luigi Ferdinando Casamorata, direttore del Conservatorio di Firenze, scrisse al Sindaco di Lucca il 15 dicembre complimentandosi per la partecipazione di Magi (I-​Las, Protocollo generale del 1868, n. 8117). 23 La festività dell’Esaltazione della Santa Croce è la festività principale a Lucca, molto rilevante anche per la musica, protagonista nei primi vespri (13 settembre), nella messa e nei secondi vespri (14 settembre), e, almeno dal XVIII secolo, realizzata da organici vocali e strumentali imponenti, suddivisi in due gruppi legati ai due organi affrontati della cattedrale di San Martino. Oltre ai brani liturgici, i servizi erano arricchiti da mottetti per voce solista (i cantanti presenti nella contemporanea stagione lirica al teatro pubblico, poi Teatro del Giglio) e da concerti per strumento solista. 24 Cf. I-​Las, Protocollo generale del 1868, n. 5888 (7 settembre), Ruolo presuntivo del personale e della Spesa per la esecuzione delle grandiose Musiche di S. Croce in Lucca anno corr[en]te. Cf. Gabriella Biagi Ravenni, L’organo nella tradizione professionale dei Puccini, in: Fabrizio Guidotti (ed.), Giacomo Puccini organista. Il contesto e le musiche, Firenze (Olschki) 2017, pp. 9–​24: 22. 25 I marchesi Tucci coadiuvavano il Nerici nella scuola, di cui poco tempo dopo diventarono co-​titolari.

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Gabriella Biagi Ravenni

e Augusto Michelangeli (primo violino e concertista). Si tratta della prima prestazione professionale conosciuta di Puccini. Documentata anche la presenza, con la stessa paga, ma questa volta come contralto26, nel coro per la Santa Croce del 1869, che vide l’esecuzione, il 14 settembre, della Petite messe solennelle di Rossini nella versione per soli, coro, organo e orchestra diretta da Fortunato Magi. L’insolita programmazione musicale, a opera di Magi e verosimilmente di Massimiliano Quilici, comprendeva anche, prima della messa, la Sinfonia a piena orchestra sui motivi dello «Stabat» di Rossini di Saverio Mercadante (1858) e, ad apertura dei primi vespri (il 13 settembre), una non meglio specificata «Gran sinfonia» di Mozart, oltre al consueto «Concerto a piena orchestra eseguito da Augusto Michelangeli». Si trattò di un grande progetto, con grandi masse (più di 200 esecutori) e importanti solisti, che richiese un forte impegno economico, che vide un’imponente partecipazione di pubblico (in chiesa venivano montate anche tribune per posti distinti) grazie anche alla pubblicità, e che meritò recensioni (su Gazzetta musicale di Milano e Boccherini)27. Scriveva del resto Carlo Paladini: «Lo zio Magi […] lo conduceva seco ai servizi religiosi della città e della campagna […]. Giacomo aveva un po’ di voce, voce di gola. Lo zio Magi volle che cantasse da contralto e lo espose perfino agli onori e ai pericoli del solista. Lo zio dirigeva e il nipote gli cantava vicino»28 aggiungendo il particolare dei calci negli stinchi che gli avrebbe affibbiato ad ogni stonatura, calci che sarebbero rimasti ben impressi nella memoria di Giacomo. La partecipazione ai servizi liturgici della Santa Croce continuerà, prima nel coro, poi come assistente (1872–​1874)29, poi come organista supplente dal 187830 al 1883. Nel 1882, organista supplente, fu anche molto probabilmente l’organista nel Faust di Gounod al Teatro del Giglio per la stagione estiva/​autunnale, iniziata il 26 agosto. Il coinvolgimento nell’organico dell’allestimento operistico si ricava dall’autorevole richiesta del sindaco di Lucca alle autorità militari di consentire a Giacomo «addetto ai servizi della Cappella Comunale e del Teatro come suonatore d’organo» di partecipare

26 Cf. I-​Li, Archivio, Ruolo del Personale e della Spesa per l’esecuzione della Messa di Rossini, che verrà eseguita la mattina del 14 settembre p.v. per la Festa della S.ta Croce, varie redazioni. 27 Cf. Gabriella Biagi Ravenni, «L’imperatore della Musica Italiana GIOVACCHINO ROSSINI» a Lucca, in: Codice 602 9 (2018), nuova serie, pp. 67–​85. 28 Paladini, Giacomo Puccini, p. 79. 29 I-​Las, Protocollo generale del 1872, n. 7085. Cf. scheda 3/​5 di Sara Matteucci in: Ravenni/​Battelli, Puccini e Lucca, p. 232. 30 La prima occorrenza: I-​Las, Protocollo generale del 1878, n. 7647. Cf. scheda 3/​11 di Sara Matteucci in: Ravenni/Battelli, Puccini e Lucca, p. 232.

Giacomo Puccini ‹preoperistico› 1870–1885

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«in abito borghese […] nelle ore in cui è libero dalle esercitazioni militari» alle musiche, pena «un gran danno per le musiche sacre e teatrali». La contiguità tra cattedrale di San Martino e Teatro del Giglio di solito rendeva possibile approfittare dei cantanti ingaggiati dal teatro per farli esibire come solisti a Santa Croce, in questo caso serviva un passaggio nella direzione inversa, considerata l’importante presenza dell’organo nella partitura del Faust31. Già, l’organo: all’Istituto musicale Pacini Puccini frequentò la classe d’organo dal 1872/​73 al 1876/​77, prima con lo zio Fortunato Magi (soltanto fino alla fine del 1872, per l’abbandono del Magi di tutti gli incarichi lucchesi)32 e poi con Carlo Giorgi. La nuova notizia dell’impiego come organista titolare presso la chiesa di San Girolamo dal gennaio 1873 (14 anni) fino a tutto il 1882 (24 anni)33 impone di dare per certo che Puccini abbia avuto qualche insegnante d’organo prima dell’iscrizione all’Istituto. Per individuare l’inizio della formazione musicale di Giacomo Puccini non si può fare a meno di citare ancora una volta l’episodio riportato come un virgolettato da Arnaldo Fraccaroli: Mio padre –​dice il maestro –​mi accompagnava spesso con sé quando saliva a provare l’organo della cattedrale, e anche in casa mi portava davanti alla tastiera. Ma siccome io non ero pronto a toccare i tasti, egli vi metteva sopra delle monetine di rame. E io subito a correre con le manine e raccoglierle, e intanto le dita battevano sulla tastiera, e l’organo emetteva i suoni, e io senza saperlo cominciavo a prendervi confidenza e a suonare.34

L’episodio ha in sé una valenza fortemente simbolica, ed è nel segno della trasmissione del mestiere ‹lungo li rami› da padre in figlio, com’è naturale in una dinastia di musicisti. E dopo? Forse lo zio Magi, forse il Nerici alla Scuola Nerici? o entrambi? All’organo di San Girolamo (un organo Pucci, trasferito a Piano di Conca nel 1989) Puccini sedeva regolarmente ma «quel po’ po’ di musicista che suonava tutti gli organi delle chiese di Lucca e del contado», per dirla con Fraccaroli, sedeva, tra gli altri, sicuramente anche a quelli di S.  Pietro Somaldi (dove ha lasciato una firma), di Farneta (altra firma, individuata da Liuwe Tamminga, datata 24–​25 dicembre

31 Cf. Fabrizio Guidotti, L’organista Giacomo Puccini nei documenti d’archivio, in: id., Giacomo Puccini organista, pp. 25–​54: 42sq. 32 Può essere qualcosa più che una coincidenza il fatto che Albina Magi nel 1873 abbia fatto istanza al Ministero della Pubblica Istruzione per ottenere «un posto di studii nel Collegio di Musica di Napoli»: cf. Ravenni/​Battelli, Puccini e Lucca, scheda 2/​27, p. 230. 33 Cf. Guidotti, L’organista Giacomo Puccini, pp. 31–​41. 34 Fraccaroli, Giacomo Puccini si confida, p. 20.

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1879), e Mutigliano (chi non ricorda la lettera in cui scrive: «Sono amico di Zola, Sardou, Daudet; chi l’avrebbe detto eh? al guitto organista di Mutigliano?!…»35?). Secondo la tradizione familiare la pratica dell’organo era parte irrinunciabile dell’addestramento per diventare maestro di cappella, quindi anche compositore.

III. Il catalogo In anni recentissimi, il catalogo delle composizioni di Giacomo Puccini si è molto arricchito, grazie soprattutto al ritrovamento di composizioni strumentali, per lo più collocabili nel periodo che stiamo considerando. Al periodo lucchese risalgono 14 composizioni per pianoforte36, probabilmente le primissime, individuate da Virgilio Bernardoni e da chi scrive nell’Archivio Puccini di Torre del Lago37. Seguono o si affiancano le musiche per organo38, 18 recuperate (in fotocopia) dal discendente di quel Carlo della Nina cui Puccini le aveva affidate/​donate/​vendute, 27 in collezioni private lucchesi e 12 nell’Archivio Puccini di Torre del Lago, individuate da Virgilio Bernardoni e da chi scrive; in tutto 57 brani completi più 4 non completi. Altre composizioni ‹nuove› risalgono al periodo milanese. Dall’Archivio Puccini di Torre del Lago sono emerse anche alcune composizioni per quartetto d’archi (a parti reali o raddoppiate), tra cui un Allegretto. Movimento di Gavotta in la maggiore. La riconsiderazione, alla luce dell’esame di tutte le nuove fonti, ha consentito l’inserimento nel catalogo pucciniano anche

5 Lettera n. 46 (1897.05.01_​05.a) in: Puccini, Epistolario II, p. 35sq. 3 36 Cf. Giacomo Puccini, Composizioni per pianoforte, ed. critica di Virgilio Bernardoni, in preparazione (Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, II/​2.2). L’edizione comprenderà anche un altro brano per pianoforte, Lento e armoniosamente, risalente al 1904, emerso di recente da una collezione privata ed eseguito da Simone Soldati in prima esecuzione il 5 maggio 2018 nell’ambito del Lucca Classica Music Festival. 37 L’apertura al pubblico (2017 e 2019) dell’Archivio Puccini di Torre del Lago (I-​TLp), oggi di proprietà della Fondazione Simonetta Puccini per Giacomo Puccini, ha segnato l’apertura di incredibili opportunità di ricerca. 38 Cf. Guidotti, Giacomo Puccini organista; Giacomo Puccini, Composizioni per organo: sonate, versetti, marce, ed. critica in prima edizione di Virgilio Bernardoni, Stuttgart (Carus) 2018 (Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, II/​2.1). Le composizioni per organo sono state eseguite da Liuwe Tamminga in prima esecuzione in tre concerti alla cui organizzazione ha partecipato il Centro studi Giacomo Puccini: 5 maggio 2017 (Lucca Classica Music Festival), 25 novembre 2018 (Focus Puccini, Teatro Valli, Reggio Emilia) e 5 maggio 2019 (Lucca Classica Music Festival).

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di un Preludio e Fuga conservato alla Biblioteca statale di Lucca, fino a ora attribuito a Michele Puccini, il fratello di Giacomo39. L’inserimento di 75 nuove composizioni nel catalogo delle opere di un compositore è da considerare un vero evento, un arricchimento felice e inconsueto che impone una riflessione aggiornata. Il fondamentale catalogo pucciniano di Dieter Schickling40, che dall’epoca della pubblicazione è punto di riferimento imprescindibile per ogni studioso che sia interessato alle fonti, ne uscirà arricchito e rinnovato. Precedenti ritrovamenti non avevano di fatto incrementato il numero complessivo delle composizioni. Nel 2014 la Fondazione Giacomo Puccini acquisì una collezione in cui erano presenti anche 5 fogli autografi di musica, che furono oggetto di studio da parte del Centro studi Giacomo Puccini:  in particolare Virgilio Bernardoni, chi scrive e Dieter Schickling vi individuarono i frammenti di due composizioni inedite. La ricomposizione con altre fonti già note (ma in precedenza non correttamente identificate) e la successiva edizione (e ricostruzione del Trio) da parte di Virgilio Bernardoni hanno reso possibile l’esecuzione di Scherzo e Trio per orchestra41 e di Ad una morta per baritono e orchestra (29 novembre 2014, Lucca, Teatro del Giglio, Orchestra del Teatro Carlo Felice, baritono Massimo Cavalletti, direttore Giuliano Carella). Allo Scherzo è stato per il momento attribuito lo stesso numero di catalogo SC 34 dello Scherzo per quartetto d’archi, così come al Trio il numero SC 52 per coincidenza con un abbozzo già noto. La lirica Ad una morta per baritono e orchestra è versione per orchestra della omonima lirica per baritono e pianoforte SC 41. I ritrovamenti successivi hanno causato invece un consistente incremento. Nel suo catalogo Schickling aveva assegnato prudentemente i numeri da 9 a 29 a «Student compositions for piano and organ», sulla base della letteratura e del catalogo di un’asta Sotheby’s del 1988 che si riferivano ai brani affidati/​donati/​venduti da Puccini all’allievo Carlo Della Nina. Prudentemente,

39 Cf. Giacomo Puccini, Musica da camera per archi, ed. critica di Virgilio Bernardoni, in preparazione (Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, II/​3). La prima esecuzione assoluta di entrambi i brani da parte del Quartetto della Scala era prevista per il 2 marzo 2020 al Teatro alla Scala; il concerto è stato rinviato a data da destinarsi per l’emergenza sanitaria. 40 Dieter Schickling, Giacomo Puccini. Catalogue of the Works, Kassel (Bärenreiter) 2003 (d’ora in avanti Schickling-​Catalogue), da cui deriva la sigla SC. Il Centro studi Giacomo Puccini ha varato un progetto di revisione e di edizione digitale del catalogo, con la supervisione di Dieter Schickling. 41 Per la discussione sulle fonti e sulla loro ricomposizione cf. Giacomo Puccini, Composizioni per orchestra, edd. critiche di Michele Girardi/​Virgilio Bernardoni/​ Dieter Schickling, Stoccarda (Carus) 2015 (Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, II/​2.1), pp. XIVsq. e 139sq.

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perché il catalogo Sotheby’s elencava ‹solo› 17 brani, assegnandoli all’organo o al pianoforte. Schickling aveva, ancora prudentemente, lasciato vuoti i numeri da 57 a 59, contemplando la possibilità di un ulteriore incremento di titoli (in tutto 24 numeri di catalogo a disposizione di eventuali ritrovamenti). Alla parafrasi su «Questa o quella per me pari sono» dal Rigoletto (di cui il catalogo Sotheby’s conteneva una riproduzione parziale) Schickling aveva assegnato il numero Appendix II.1, classificandolo tra gli arrangiamenti. Ma ora l’esame dell’intera composizione impone di considerarlo come un lavoro originale, e quindi di inserirlo a pieno titolo nel catalogo42. Non è questa l’occasione per affrontare una discussione sulla ‹qualità› di questa produzione giovanile di Puccini, che comunque è quantitativamente rilevante e che illumina di luce nuova la sua formazione. Molte di queste composizioni sembrano legate alla scuola, altre alle attività professionali che Puccini svolgeva a Lucca, come quella di organista e di pianista accompagnatore43, e all’addestramento alla futura posizione di maestro di cappella. A  questo proposito, il 16 aprile 1877 Puccini aveva ricevuto una vera e propria abilitazione a esercitare il mestiere a Lucca, con l’affiliazione alla Compagnia di Santa Cecilia, ottenuta per acclamazione44.

42 Vari quindi i problemi da affrontare per la revisione del catalogo, tra cui la scelta dei criteri da usare per l’aggiunta di brani totalmente nuovi, o per segnalare ‹diverse versioni› di una composizione (vedi l’esempio dello Scherzo e Trio e di Ad una morta: versioni diverse, o composizioni distinte?). Intrecciato al problema di trovare nuovi numeri di catalogo (i brani ritrovati sono circa il triplo dei numeri disponibili) c’è anche quello della collocazione temporale, essendo il catalogo ordinato cronologicamente. 43 I giornali locali registrano l’esibizione del 7 maggio 1876 nel saggio degli allievi dell’Istituto Pacini, in duo col violinista Vittorio Vallini e all’harmonium per un Salve Regina di Carlo Carignani (La provincia di Lucca 6/​35 [6 maggio 1876]). Nel 1878: in marzo a Buggiano, Villa Bruno, col violinista Napoleone Torselli (La nuova Valdinievole 3/​8 [2 marzo 1878]); in aprile al Teatro del Giglio, ancora con Torselli, e Maria Leopoldina Paolicchi, futura moglie di Leopoldo Mugnone: «Sedeva al Piano il giovine Maestro Puccini, che accompagnò tutti i pezzi con rara abilità» (La provincia di Lucca 8/​13 [25 aprile 1878]). Vedi anche il ricordo, virgolettato, delle «prime redditizie attività musicali» di Puccini (che avrebbe aggiunto «pur avendo altre aspirazioni»): oltre all’organo, con relative lezioni, la formazione di un «concertino per andare a suonare in qualche sala da ballo», che iniziò presto un servizio serale al caffè Buon Gusto (Lucca, via Fillungo) e, d’estate, al Casinò di Bagni di Lucca, in: Gustavo Giovannetti, Giacomo Puccini nei ricordi di un musicista lucchese, Lucca (Libreria Editrice Baroni) 1958, pp. 139–​141. 44 Guidotti, L’organista Giacomo Puccini, p. 52sq.

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IV. Composizioni del periodo lucchese Si prova a proporre un catalogo aggiornato e ordinato cronologicamente, con i numeri del Schickling-​Catalogue per le composizioni presenti; si danno informazioni relative alle composizioni fin qui non trattate o si propongono datazioni, se diverse da quelle del Schickling-​Catalogue, al quale si rinvia implicitamente per ogni altra informazione. Composizioni per pianoforte (1870–​1875?) Sonate per Organo –​SC 9–​29; SC Appendix II.1 (1870–​1880?) A te –​SC 8 (1873–​1880) Le datazioni proposte dai vari studiosi sono comprese tra il 1875 e il 1881, ma in genere c’è concordanza sul ritenere questa lirica una delle prime composizioni, se non la prima in assoluto. «Si tratta chiaramente del lavoro di uno studente [… scritto] nel linguaggio languidamente dolciastro di Angeloni»45. La datazione proposta fa riferimento agli anni in cui Puccini era nella classe di composizione di Carlo Angeloni. Preludio a orchestra –​SC 1 (5 agosto 1876) Alla partitura fin qui conosciuta, di proprietà del Comune di Lucca ed esposta in I-​Lmp, che ha consentito la prima esecuzione conosciuta46 nonché la pubblicazione di studi ed edizioni critiche47, se ne affianca ora un’altra, corredata delle parti d’orchestra, conservata in I-​TLp (fascicolo 72). La partitura di Torre del Lago è completa mentre quella di Lucca manca di una pagina. La presenza di parti staccate fa ipotizzare un’esecuzione, in anni vicini al completamento della partitura, che finora non ha trovato riscontro. La data, presente in entrambe le partiture, è verosimilmente quella del completamento. Mottetto per S. Paolino –​SC 2 (1877) Il Mottetto ebbe quattro esecuzioni ravvicinate, il 29 aprile 1877, il 12 luglio 1877, il 12 luglio 1878 e il 12 luglio 1880, ed è la prima composizione pucciniana a essere recensita sui giornali lucchesi. «Domenica 29 aprile gli Alunni dell’Istituto Pacini dettero l’annuale saggio di studi. […] Eccomi all’ultimo che 45 Julian Budden, Puccini, trad. Gabriella Biagi Ravenni, 2002, Roma (Carocci) 2005, p. 21; edizione originale: Puccini. His Life and Works, Oxford/​New York (Oxford University Press) 2002. 46 Lucca, Orchestra Filarmonica della Scala, direttore Riccardo Muti, 6 ottobre 1999. 47 Preludio a orchestra di Giacomo Puccini. Facsimile del manoscritto, ed. Michele Girardi, in: Studi pucciniani 4, Firenze (Olschki) 2010, pp. 105–​122 (a Girardi si doveva la trascrizione fatta per l’esecuzione del 1999). Due le edizioni di riferimento: Giacomo Puccini, Preludio a orchestra SC 1, ed. Michele Girardi (con la ricostruzione di Wolfgang Ludewig), Stoccarda (Carus) 2004, e id., Composizioni per orchestra.

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però sta tra i primi. Il sig. Giacomo Puccini. Sissignore è proprio lui! Non lo credereste, e pure è così. Egli diresse48 l’esecuzione di un suo Mottetto per baritono che gli meritò gli applausi generali, e che lo presentò al pubblico come un giovane di molto senno. Si abbia i miei vivissimi rallegramenti e voi tutte per parte vostra fate altrettanto che credete li spendete per un giovane bravo e che promette di farsi migliore. Sig. Puccini che le pare non è mica cattiva?»49. I figli d’Italia bella («Cessato il suon dell’armi») –​SC 3 (1877) La data si ricava dalle notizie relative all’Esposizione provinciale organizzata a Lucca nel 1877, in occasione della quale fu bandito «un concorso di composizione vocale e strumentale a piena orchestra», cui Puccini partecipò con questa cantata. La data non è presente né sulla partitura d’orchestra50, adespota come da bando, né nella serie (incompleta) delle parti. La lettera del 21 luglio 1877 di Puccini e Carlo Carignani alla Commissione del concorso51 è successiva alla pubblicazione dei risultati del concorso. Anche in questo caso la presenza di parti staccate fa ipotizzare un’esecuzione a Lucca, che finora non ha trovato riscontro. Marcia per organo (12 aprile 1878) Sul frontespizio dell’autografo: «Marcia | Per Organo | di Giacomo Puccini | Lucca | 12/4/7»52. 48 È l’unica menzione della direzione da parte dell’autore: forse si dava per scontato? Nell’estate del 1892 sembra che Puccini abbia diretto la banda di Livorno per l’inaugurazione dell’Eden Montagne Russe (5 luglio): cf. Renato Bovani/​Rosalia del Porto, ‹E lucea… lo schermo›. Giacomo Puccini e il ‹cinema delle origini›, in: Pier Marco De Santi (ed.), Puccini al cinema, catalogo della mostra, Torre del Lago, 28 giugno–​30 settembre 2008, Firenze (Aska-​Mediateca regionale Toscana) 2008, pp. 49–​63: 51 e 62. Nelle lettere si trovano atteggiamenti contrastanti, da un rifiuto dell’offerta di dirigere il Capriccio sinfonico a Venezia («In quanto a dirigere è impossibile perché non sono in Grado sarei un gran cane!», 1893.02.25.a inedita) al proposito opposto, ma non mantenuto, per La bohème a Vienna («a settembre a Vienna dirigerò io per la Ia volta», 1897.07.30.a, lettera n. 84 a Eugenio Checchi, in Puccini, Epistolario II, p. 64sq.). 49 Mefistofele 1/​19 (3 maggio 1877), p. 3. Per altre recensioni cf. Teatro del Giglio (ed.), Puccini oltre la scena. Giacomo Puccini, messa a 4 con orchestra, mottetto per San Paolino, Lucca, Cattedrale, 28 novembre 1999 (Progetto Puccini nel Novecento), Appendice. 50 Per il ritrovamento della partitura nella biblioteca dell’Istituto musicale Boccherini di Lucca e per il suo confronto con il set di parti conservate in I-​TLp, cf. Gabriella Biagi Ravenni, Biblioteca di Casa Puccini. Tra inventari, acquisizioni, vendite, donazioni, dispersioni e ricomposizioni, in: Marica Bottaro/​Francesco Cesari (edd.), Viaggi italo-​francesi. Scritti ‹musicali› per Adriana Guarnieri, Lucca (LIM) 2020, pp. 193–​219: 215–​219. 51 Lettera n. 1 (1877.07.21.a) in: Giacomo Puccini, Epistolario I 1877–​1896, edd. Gabriella Biagi Ravenni/​Dieter Schickling, Firenze (Olschki) 2015, p. 3sq. 52 Per informazioni su questa composizione cf. Virgilio Bernardoni, Il compositore e il ‹Maestro›, in: Guidotti, Giacomo Puccini organista, pp. 55–​72: 56 e Catalogo tematico delle «Sonate per Organo» di Giacomo Puccini, ibid., pp. 97–​117: 116.

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Credo –​SC 4 (8 luglio 1878) La data, presente nella partitura autografa, è quella del completamento. Il Credo ebbe due esecuzioni ravvicinate, il 12 luglio 1878 e il 12 luglio 1880. La prima fu così recensita: «La musica sacra eseguita nella Chiesa di S. Paolino la mattina del 12 corrente era tutta composta dagli Allievi dell’Istituto Musicale Pacini. […] Il Credo è di nuova fattura del sig. Puccini: è un pezzo scritto con molto senno, e dove spicca un bello strumentale; vi sono dei pensieri originali, e l’incarnatus et crucifixus non si giudicherebbero opera di maestro esordiente, ma di provetto scrittore. Il Puccini, se si darà con assiduità ed amore all’arte, siamo convinti che riuscirà a buon esito»53. Vexilla a 2 voci –​SC 7 (1878?) Se si considera affidabile quanto racconta Adolfo Betti, ovvero che Puccini compose questo inno su richiesta di suo padre Adelson «for one of the forth­ coming festivities»54 di Bagni di Lucca, la datazione ipotizzata da Kaye sembra coerente con l’età e lo spostamento da Lucca a Bagni di Lucca. Prime fantasie, valzer –​ SC 5 (1879?) Il titolo di questa composizione, con l’indicazione dell’anno 1879, compare in molti programmi della Banda Comunale di Lucca, a partire almeno dal 1891. Non è noto se il brano fosse stato composto espressamente per banda. Messa a 4 voci con orchestra –​SC 6 (12 luglio 1880) Due le esecuzioni nel 1880: l’11 luglio all’Istituto Pacini una selezione (Kyrie, Gloria e Agnus Dei) e il 12 in San Paolino con il Mottetto55. Il 22 novembre 53 La provincia di Lucca 8/​22 (13 luglio 1878), p. 3. 54 Michael Kaye, The Unknown Puccini: A Historical Perspective on the Songs, Including Little-​Known Music from «Edgar» and «La Rondine» with Complete Music for Voice and Piano, New York/​Oxford (Oxford University Press) 1987, p. 13sq. La liturgia del tempo prevedeva l’esecuzione del Vexilla non solo per il venerdì santo, ma anche per le feste dell’Invenzione (4 maggio) e dell’Esaltazione della Santa Croce (14 settembre). 55 «È consuetudine che per la festa di san Paolino in Lucca, che cade a’ 12 luglio, si eseguisca una Messa musicata da qualche Alunno del nostro Istituto […]. Quest’anno il giovane prescelto è stato Giacomo Puccini, figlio di quel Michele che fu maestro lodato e scrittore di musica sacra rinomatissimo, uno de’ pochi eletti ingegni che onorarono Lucca, e l’arte. La Messa del giovane maestro, sebbene eseguita mediocremente dalla nostra Cappella che non fece tutte quelle prove che son necessarie per bene interpretare un nuovo componimento, s’ebbe l’approvazione di tutti gl’intelligenti e gli amatori di musica sacra, e il Puccini può andar contento dell’opera sua. È un lavoro di lena e di studio, quale difficilmente può dare un giovane per saggio del suo corso scolastico. Bene è architettata la distribuzione delle parti, armonico lo insieme, spontanea la melodia, variato ed efficace lo strumentale. Tra’ pezzi meglio condotti e di sicuro effetto, sono da ricordarsi il Kyrie, il Qui tollis e l’Agnus Dei, non che il Mottetto, lavoro già eseguito in un

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1881 furono eseguiti un Kyrie e un Gloria di Puccini nel servizio patronale della Compagnia di Santa Cecilia56, alla quale era stato ammesso fino dal 1877: difficile pensare che non fossero quelli della Messa SC 6. Il 29 settembre 189757, nella messa pontificale (composita, more antico) per San Michele i lucchesi ascoltarono Gloria, Sanctus e Agnus Dei (non si può fare a meno di chiedersi se qualcuno abbia notato che l’Agnus Dei era stato trasposto nel II atto di Manon Lescaut).

V. Puccini studente a Milano Come tutti sanno, la formazione di Puccini proseguì a Milano, dal novembre 1880. Ritorniamo al nostro filo conduttore, la lettera del 1897 a Eugenio Checchi: Andai a Milano e mi presentai al corso di contrappunto facendo vedere i contrappunti e la messa tutti [composti] a Lucca sotto l’Angeloni e ottenni il lascia passare al conservatorio –​ Bazzini e Ponchielli furono i miei Maestri –​Però da Ponchielli poco o nulla conclusi perché le lezioni che portavo erano le vecchie che servirono per Bazzini –​Una fuga mi serviva 3 o 4 volte spostandola di Tono –​così si faceva tutti –​Era tanto distratto il buon Ponchielli! Finalmente mi feci fuori con un Capriccio sinfonico che ottenne un gran successo: sino alle ultime prove Ponchielli interpellato da Bazzini diceva che avevo fatto un pasticcio dove non ci si capiva nulla –​(portavo la mia composizione a pezzetti) invece all’esecuzione ottenni un esito grandissimo, raro –​58

precedente esperimento e applaudito sempre. Nella Messa del giovane maestro Lucchese vi sono difetti? Ve ne sono, e tutti quelli proprii di chi muove i primi passi nell’arte: non sempre quella continuità di stile, che costituisce l’uno nel vario; non sempre quella castigatezza di forma così cara in componimento sacro. La sovrabbondanza a senso mio è il difetto principale che si riscontra nella prima parte del gloria; tecnicamente ben condotta la Fuga, ma non di sicuro effetto. Benedette fughe!.. I pregi superano però di gran lunga i difetti: il che c’è arra sicura della bella carriera che può fare il Puccini, se saprà coltivare il suo ingegno e amar l’arte sublime cui si è dato, non come un mezzo qualunque di guadagno, ma come culto di quella religione del bello e del buono che educa la mente, ingentilisce il cuore, e il cui fine dev’esser quello di farsi interprete sincera del pensiero dominante dell’età nostra. L’arte che non è del suo tempo è arte morta!»; Il progresso 5/​20 (18 luglio 1880), p. 3. Per altre recensioni cf. Teatro del Giglio, Puccini oltre la scena. 56 Guidotti, L’organista Giacomo Puccini, p. 53. Sul frontespizio della cosiddetta copia Vandini della Messa (6.C.1) Puccini ha scritto di suo pugno titolo, autore e data: «Lucca 1881»: c’è forse un collegamento con l’esecuzione per Santa Cecilia? 57 Sara Matteucci, Lucca, 1896–​1900: le prime di «Bohème» e «Tosca», in: Istituto storico lucchese (ed.), Giacomo Puccini nei teatri del mondo. Cronache dalla stampa periodica, atti del convegno internazionale di studi (Lucca, 11–13 dicembre 2008), 3 voll., Lucca (San Marco Litotipo) 2013, vol. 3, pp. 77–​167: 86. 58 Questa e la seguente citazione: Checchi, Una lettera di Giacomo Puccini, p. [3]‌.

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La lettera è particolarmente ricca di dettagli sulla vita milanese: Ritornando indietro e cioè all’epoca della Bohème ante e post Villiana ti dirò che con Mascagni si era legati a giorno e… a notte perché a volte mi veniva a trovare alle 4 della mattina d’inverno sempre in miseria si mangiava a chiodo –​ci fu un’epoca che per mangiare, io e altri due miei compagni, si impegnava giornalmente chi un ombrello chi il paltò –​Però esteriormente si faceva buona figura –​Il mio povero fratello [Michele] era il servo di casa e tutto chic con una vecchia valigia inglese andava a comprare 10 kili di legna pareva che tornasse da Londra quando rientrava –​ Per portare a cena una ballerina che onoravo del mio me impegnai il paltò, era di dicembre –​3 mesi di Alaska senza l’oro –​ All’epoca delle Villi c’era una fiaschetteria famosa (un vero antro) chiamata l’Aida59 dove vi convenivano tutti i cantanti i più fischiati e la maggior parte erano toscani –​ Era all’Aida che seralmente facevo i miei pasti anche con Pietro –​ Pagavo a mese, ma dopo finiti gli studi la tenue pensione che avevo dalla congregazione di carità di Roma, terminò60 –​e mi trovai senza un becco di un soldo –​Non avevo Piano in casa anzi ne avevo perché stavo al 4°! brrr! All’Aida avevo 300 lire da pagare di lesso e fagioli. Mi si guardava come uno scioano –​non ordinavo più! mi veniva gettato davanti un pezzo di carne che credo di ippopotamo e 32 o 34 fagiuoli poco cotti che erano il solo pianoforte che risuonava in camera alla notte successiva! Vennero le Villi e pagai il conto con un biglietto da 1000! Fu una delle mie più grandi soddisfazioni. Io non so dirti altro perché non riesco a ricordarmi tanti dettagliuzzi che sono successi nell’epoca diremo Bohemiana –​

Comprensibile che nel 1897 Puccini definisse quel periodo «epoca della Bohème», decisamente profetico invece il titolo apposto a un quaderno conservato in I-​TLp:  «Bohème | La vie de | Bohème | 1881 | Registro Spese | G  –​C  –​M | BBB GP»61. Nel quaderno, accanto alla registrazione di ogni spesa, Puccini aggiunge l’iniziale del nome di chi l’ha sostenuta:  G per se stesso, M per il fratello Michele, C per il cugino Carlo Adelchi Biagini. La registrazione non è né sistematica né continua:  alcune spese sono sicuramente del 1881, come quella per l’ingresso all’Esposizione nazionale, altre del 1884, come si deduce dalla scritta «Milan 1884», ma non è da escludere che Puccini abbia registrato anche qualche spesa sostenuta a «Lucques 1881» o «Lucques 1884». Da considerare che Michele fu ammesso al Conservatorio di Milano nel novembre 1884 e d’altra parte che la coabitazione col cugino Carlo 59 «Da trattoria Aida con una penna infame che non scrive»:  lettera n.  27 (1883.07.21.b), in: Puccini, Epistolario I, p. 30. 60 La pensione in realtà era cessata dopo il primo anno di studi, poi era stato Nicolao Cerù a dare 100 lire mensili a Giacomo, probabilmente soltanto fino al diploma milanese, luglio 1883. 61 Cf. la riproduzione della copertina in: Leopoldo Marchetti (ed.), Puccini nelle immagini, Milano (Garzanti) 1949, ristampa 1968, n. 111.

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sembrava fino a ora circoscritta soltanto alle prime settimane milanesi nel 1880. Nell’accumulazione delle annotazioni non mancano appunti musicali, o meglio motti scritti in musica, ma per lo più si tratta di acquisti di generi di prima necessità –​panna, burro, pane, zucchero, riso, fagioli, formaggio grattato, spirito, anguilla marenata, uva, francobollo –​o di spese ineludibili –​«Conservatorio Tassa Matricola», parrucchiere, affitto camera, legna –​con qualche concessione alle spese voluttuarie –​bibite al caffè, sigari. C’è anche un’aringa il giorno di Tutti i Santi, 1 novembre! Puccini registra regolarmente l’acquisto del giornale Il Secolo, e una volta il biglietto per andare al Teatro Fossati con Michele.

VI. Composizioni del periodo milanese Si prova a proporre un catalogo aggiornato e ordinato cronologicamente, con i numeri del Schickling-​Catalogue per le composizioni presenti; si danno informazioni relative alle composizioni fin qui non trattate o si propongono datazioni, se diverse da quelle del Schickling-​Catalogue, al quale si rinvia implicitamente per ogni altra informazione. Cadenza e Basso in sol maggiore per quartetto (1880–​1881?) Cadenza e Basso in re maggiore per quartetto (1880–​1881?) Le due composizioni, individuate da Virgilio Bernardoni e dalla scrivente in I-​TLp, sembrano risalire al periodo in cui Puccini era allievo di Bazzini. Tre Minuetti –​SC 61 (1880–​1884) La collocazione negli ultimi mesi del 1884 della prima edizione (per quartetto d’archi e nella riduzione per pianoforte a 4 mani di Guglielmo Andreoli) presso la casa editrice Pigna di Milano è dato acquisito da tempo62, più recente l’evidenza della loro ideazione sul finire degli anni lucchesi63. Del resto proprio nelle dediche tutte lucchesi (Vittoria Augusta di Borbone, Principessa

62 Cf. Michele Girardi, Giacomo Puccini. L’arte internazionale di un musicista italiano, Venezia (Marsilio) 1995, p. 92 e nota 45 (segnalazione di Julian Budden). Cf. poi: Schickling-​Catalogue, p. 153. 63 Il 18 settembre 1881 in un concerto della Società Orchestrale Boccherini fu eseguito da un’orchestra d’archi un minuetto, forse il Minuetto n. 1, che sarà riproposto dalla Società nel 1892, cf.: Marco Tovani, La Società del Quartetto e la Società Orchestrale Boccherini, in: Ravenni/​Battelli, Puccini e Lucca, pp. 64–​ 71: 69–​71, e Marco Tovani, Puccini e Lucca 1874–​1893, in: Istituto storico lucchese, Giacomo Puccini nei teatri del mondo, pp. 7–​76: 12 e 52. Erano già state segnalate parti «for performances with string orchestra» per i minuetti nn. 1 e 2 in: Schickling-​Catalogue, p. 149sq. Cf. anche: Dieter Schickling, Giacomo Puccini. La vita e l’arte, trad. Davide Arduini, Ghezzano (Felici) 2008, p. 60sq.; edizione originale: Giacomo Puccini. Biografie, Erweiterte Neuausgabe, Stuttgart (Carus e Reclam) 2007.

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di Capua64, Augusto Michelangeli65 e Carlo Carignani66) «sta la chiave della similarità dei Minuetti: tutti e tre possono essere considerati l’omaggio di Puccini al figlio più illustre di Lucca, Luigi Boccherini»67. Una cartolina postale del 13 giugno 1884 ad Alfredo Soffredini fotografa la fase conclusiva, prima della stampa: «Mando subito i miei debolissimi minuetti me ne manca uno che manderò da Milano nel prossimo luglio»68. Deve averlo fatto veramente, prima di chiudere i rapporti con Alessandro Pigna, nel cui negozio aveva fatto assumere il fratello Michele nel maggio precedente. Scriveva alla mamma: «Michele sta bene e la saluta. Dal Pigna ce lo lever[e]‌i perché è diventato insopportabile, causa il mio contratto con Ricordi69 e Michele si trova poco bene»70. Melanconia –​SC 38 (19 giugno 1881) Nell’intestazione dell’autografo, custodito in I-​ TLp, Puccini ha inserito tutte le informazioni:  titolo («Melanconia!...»), autore del testo («Parole di A.  Ghislanzoni»), data («Milano 19 Giugno 1881»), dedica, successivamente cancellata («Alla Gentile Signorina xxx umilmente offre xxx Giacomo Puccini»); in calce all’ultima pagina, dopo la firma, aggiunge: «Lucca Milano 188*»71. Fuga –​SC 30 (1881–​1882?) Adagio –​SC 31 (1881–​1882?) Fughe –​ SC 42–​49 (1881–​1883?) 64 La Principessa di Capua, che risiedeva a Lucca, poteva diventare (forse lo era già) una mecenate per Puccini: la riduzione –​per pianoforte solo –​del primo minuetto SC 61.C.1 sembra la bozza di una copia per dedica, fatta preparare e controllata dall’autore (e riduttore?), ma mai consegnata alla dedicataria. 65 Michelangeli aveva coinvolto il giovane Giacomo nelle attività della Società Orchestrale Boccherini. Nel materiale superstite della Società (Biblioteca statale, Lucca) in molte partiture d’orchestra e in molte parti staccate si riconosce la mano del giovane Puccini, in veste di copista! Virgilio Bernardoni riconosce anche nell’attacco dello Scherzo SC 24 una similarità con una composizione di Ranieri Cagnacci, ivi conservata: Puccini, Composizioni per orchestra, p. XIV, nota 19. 66 A proposito di Carignani è superfluo ricordare che erano amici d’infanzia e compagni di studio, a partire dalla Scuola Nerici. 67 Budden, Puccini, p. 63. 68 I-​Lmp, inedita. 69 Pochi giorni prima, l’8 giugno, era stata data la notizia ufficiale dell’acquisto dei diritti de Le Villi e dell’incarico a Puccini e Fontana per una seconda opera: Schick­ ling, Giacomo Puccini, p. 60. 70 Lettera n. 64 (1884.07.08.a) in: Puccini, Epistolario I, p. 53. 71 La prima edizione in: Giacomo Puccini, Liriche per canto e pianoforte, ed. critica di Riccardo Pecci, in preparazione (Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, III/​3).

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Quartetto –​SC 50 (1881–​1883?) Adagetto –​SC 51 (1881–​1883?) Preludio e Fuga (1881–​1883?) L’attribuzione a Giacomo Puccini di questa composizione, precedentemente attribuita al fratello Michele, è stata possibile grazie all’approfondimento dell’iter formativo come compositore e grazie al confronto della grafia con quella delle altre fonti giovanili emerse di recente. Scherzo –​SC 56 (aprile 1882) La partitura autografa per quartetto, in I-​TLp, restituisce la scrittura originale e consente la datazione precisa. Finora la composizione era collocata nel 1883, per la data presente nell’unica fonte conosciuta, una riduzione (non completa) per pianoforte a quattro mani fatta da Michele Puccini: «Lucca Ottobre –​Novembre 1883». Forse con l’incarico al fratello per una riduzione Puccini voleva disporre di un altro spartito da proporre a un editore. Preludio sinfonico –​SC 32 (15 luglio 1882) La data è quella della prima esecuzione: per le recensioni si rinvia all’ampia silloge in Michael Elphinstone72. Ah se potesse –​SC 33 (luglio 1882?) Scherzo –​SC 34 (dicembre 1882?) Per il recente ritrovamento della versione per orchestra vedi supra. Unidentified stage work –​SC 35 (fine 1882?) Salve Regina –​SC 39 (1882?) Accertata la composizione di Melanconia nel 1881, decade l’ipotesi formulata in Schickling-​Catalogue di una composizione di tutte e quattro le liriche su testo di Ghislanzoni nella primavera del 1883. Sembra plausibile la datazione proposta da Kaye. Allegretto. Movimento di Gavotta (1882?) Trio in fa –​SC 52 (1882–​1883?) Per la ricostruzione della partitura dall’abbozzo, vedi supra. Per la correlazione con lo Scherzo SC 34, si propone una datazione più circoscritta. Fuga reale –​SC 36 (1883, prima metà?) Fuga reale –​SC 37 (5 aprile 1883)

72 Michael Elphinstone, Le prime musiche sinfoniche di Puccini: quanto ne sappiamo, in: Quaderni pucciniani 3 (1992), pp. 115–​162: 128–​132.

Giacomo Puccini ‹preoperistico› 1870–1885

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Storiella d’amore –​SC 40 (primavera 1883?) Ad una morta –​SC41 (primavera 1883?) Per il recente ritrovamento della versione per orchestra vedi supra. Fuga –​SC 53 (inizio estate 1883) Capriccio sinfonico –​SC 55 (14 luglio 1883) La data è quella della prima esecuzione:  celebre la recensione di Filippo Filippi73.

VII. Aprirsi una strada Gli anni milanesi non furono soltanto anni di formazione e di bohème, ma anche anni di autopromozione. La strada da percorrere era anche quella di contatti diretti con gli editori74, con proposte coerenti con le loro prassi editoriali, con il miraggio di un contratto per un’opera lirica. Un primo risultato fu la pubblicazione di Storiella d’amore sul periodico di Edoardo Sonzogno, con questa presentazione: L’odierno numero della Musica Popolare contiene un lavoro del giovane maestro Giacomo Puccini, uno dei più distinti allievi usciti in quest’anno dal Conservatorio di Milano, e noto già favorevolmente nel mondo musicale per una sua pregevolissima composizione istrumentale eseguita con grande successo nell’ultime accademie date al nostro massimo istituto di musica. Egli nacque a Lucca nel 1859 [sic] ed è figlio del maestro Michele, un distinto contrappuntista. Nella sua famiglia d’arte musicale vi è coltivata da cinque generazioni, sì che in Lucca il dire «Puccini» è come dire «compositore». Il Puccini Giovanni [sic] studiò musica dapprima coll’Angeloni, nella città natia, e dopo col Bazzini e Ponchielli, in Milano; scrisse una messa a quattro parti con orchestra, eseguita con plauso nella cattedrale [sic] di Lucca, e altre minori composizioni da camera. Dal suo ingegno l’arte può sperare molto.75

Il riferimento al Capriccio sinfonico è evidente, mentre non è dato sapere di quali altre «minori composizioni da camera» si parli. Nelle lettere conosciute non c’è traccia di contatti con Sonzogno, mentre è più volte nominata Giovannina Lucca, fin dalla prima lettera alla mamma da Milano:  «Sono stato dal sarto a provarmi il vestito ed è bellissimo:  I pantaloni costano £ 30 di staccatura. Quando sarà finito andrò dalla Sig: Lucca mi ci vogliono le scarpe fine per ora son molto taneo»76 e in quella di poco successiva alla

3 Cf. Eugenio Gara (ed.), Carteggi pucciniani, Milano (Ricordi) 1958, p. 5sq. 7 74 Di un precoce contatto epistolare con Giulio Ricordi rimane una busta vuota: «Cav. Giulio Ricordi /​Stabilimento Musicale /​Milano», timbro postale di partenza 11 febbraio 1880 (inedita, D-​Sschickling). 75 La musica popolare 2/​40 (4 ottobre 1883), p. 159. 76 Lettera n. 2 (1880.11.10.a), in: Puccini, Epistolario I, p. 4sq.

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sorella Ramelde: «Dalla Lucca non ci è da sperare nulla in quanto al teatro perché ci ha le grinfie Ricordi e Lei è in tizza con lui»77. Con Giovannina Lucca riprenderà i contatti dopo l’esecuzione del Capriccio sinfonico, per propiziare la pubblicazione di una riduzione per pianoforte a 4 mani, che effettivamente uscirà nel marzo del 1884, a opera di Giuseppe Frugatta, con dedica al Principe Carlo Poniatowski. Della terza pubblicazione, presso Alessandro Pigna, si è già detto. Merita però riportare qualche frase della recensione: I tre minuetti in la per quartetto d’archi, sono lavori graziosissimi, pieni di buon gusto e di finezza. In essi, come in tutte le composizioni di questo giovane maestro, oltre i soliti pregi di armonizzazione e buona disposizione di parti, ecc. vi si riscontrano quella eleganza di pensiero e quella fluidità che rendono la musica così simpatica. […] A divulgarli maggiormente il Signor Pigna ha avuto la felice idea di pubblicarli ridotti a quattro mani dall’egregio maestro Guglielmo Andreoli, uno fra i più distinti compositori della giovane schiera, ed uno fra i più cari amici del Puccini e nostro.78

Conviene ora tornare un po’ indietro: dopo l’esecuzione del Capriccio sinfonico Puccini si era trattenuto a Milano, per intessere o approfondire rapporti (con Giovannina Lucca come già detto, con Ricordi, oltre a Ponchielli, grazie al quale incontrerà Fontana) poi ai primi di agosto era rientrato a Lucca dove si era messo al lavoro a Le Willis, senza tralasciare di portarsi avanti su altri fronti. Può essere utile rileggere qualche passaggio della lettera a Ponchielli con cui chiedeva aiuto per avere la partitura del Capriccio sinfonico depositata presso il conservatorio, necessaria per la pubblicazione della riduzione presso la casa editrice Lucca: Le assicuro che quantunque lontano non mi dimentico mai di Lei e delle sue gentilezze a mio riguardo, e desidero vivamente che presto mi sia dato poterla rivedere: ed anzi me Le raccomando di cuore perché qui a Lucca non ci è da far niente79 ed io ho invece necessità di trovar da fare. […] Le sarei anche molto obbligato se volesse favorirmi l’indirizzo di F. Fontana avendone bisogno per la correzione di alcuni luoghi del lavoretto che sto facendo.80

Già, il lavoretto, ovvero finalmente Le Willis. Riprendiamo la lettera a Checchi: Dopo vennero le Villi che finii perché la mia povera mamma colle preghiere e il continuo starmi addosso me le fece terminare –​Io non volevo finirle perché mancavano 15 giorni al termine 31 dicembre 93 e ci avevo ancora un Atto da fare e da

7 Lettera n. 5 (1880.12.08.a), ibid., p. 8sq. 7 78 La musica popolare 3/​12 (15 dicembre 1884), p. 192. 79 In una lettera precedente, a un destinatario non identificato probabilmente residente in Brasile, aveva scritto: «in’Italia ci è da far poco o niente» (lettera n. 13, 1881.11.0-​.a, Puccini, Epistolario I, p. 17sq.). 80 Lettera n. 33 (1883.10.29.a), ibid., p. 34.

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strumentare anche il I°81 –​le finii al 30 dicembre a mezzanotte! Sai la storia delle Villi –​

Nel 1884 Puccini sta quasi sempre a Milano, aspettando l’esito del Concorso Sonzogno e di nuovo occupandosi del suo futuro. L’anno è scandito da momenti importanti –​la prima assoluta de Le Willis (31 maggio), il concerto a Torino con l’esecuzione del Capriccio (6 luglio), la prima della versione in due atti ancora a Torino (27 dicembre) –​e da un grave lutto, la morte della mamma Albina (17 luglio).

VIII. 1885 Eccoci arrivati al 1885, che si può considerare un anno di svolta. L’anno si apre con la prima scaligera de Le Villi (24 gennaio) e si chiude con un allestimento a Bologna (5 novembre). La prima lettera conosciuta di quell’anno è indirizzata a un destinatario particolare, Narciso Gemignani, il marito di Elvira Bonturi con cui, proprio in questo 1885, Puccini intreccerà la relazione che lo accompagnerà per il resto della vita. La lettera testimonia un sincero rapporto di amicizia tra i due e anche un rapporto di lavoro: Gemignani si apprestava a presentare al Comune di Lucca un progetto per la stagione lirica e aveva chiesto a Puccini un parere sui titoli e sui cantanti, e Puccini risponde con puntualità e professionalità, dopo una premessa che diremmo sorprendente: «Per le Villi niente tu lo sai per 1000 ragioni e poi te lo cantai a voce qui a Milano nel mese scorso. Dunque non pensiamoci più»82. Ne avevano parlato a febbraio, durante le recite alla Scala? Ma quali sono le «1000 ragioni» per cui Puccini era contrario? Qualche tempo dopo ne scriverà a Fontana: «In quanto a dare le Villi a Lucca, non me ne interessa un bel niente: m’intendo io nelle mie ragioni. Una ragione principale è che non ci è orchestra e non c’è dote per farla venire, e poi altre ragioni etc. etc.»83 Evidentemente una rappresentazione a qualunque costo non era quello che voleva, già molto esigente e desideroso della perfezione come sarà sempre, nonostante fosse all’inizio della carriera di operista. Nelle biografie non c’è uniformità nell’indicazione dell’inizio della relazione tra Puccini ed Elvira, che ora possiamo collocare con certezza proprio

81 La memoria lo tradisce: la scadenza per la presentazione della partitura era il 31 dicembre 1883, e in quel momento l’opera era in un solo atto, come del resto richiedeva il bando del concorso Sonzogno. 82 Lettera n. 77 (1885.03.11.a) in: Puccini, Epistolario I, p. 63. Sul progetto di Narciso Gemignani cf.: Gabriella Biagi Ravenni, Giacomo Puccini al Teatro del Giglio, in: Ravenni/​Battelli, Puccini e Lucca, pp. 169–​188. 83 Lettera n. 82 (1885.04.28_​30.a) in: Puccini, Epistolario I, p. 65sq.

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nel 1885:  il carteggio tra i due, custodito in I-​TLp84, ha inizio nel giugno di quell’anno, quando Elvira viveva ancora col marito ed era incinta del figlio Renato, che nascerà l’11 novembre. Il carteggio si infittisce in ottobre/​ novembre, quando il compositore era a Bologna per l’allestimento delle Villi, e già si delineano alcuni comportamenti che ritroveremo in futuro: Puccini assorbito dal lavoro, Elvira gelosa e possessiva. Non mancano gli auguri per il prossimo parto. Del resto che il legame fosse iniziato prima della nascita di Renato Gemignani si ricavava già da una lettera a Fontana, nella quale la notizia relativa a Elvira precede i ragionamenti sulle Villi: «Avrai saputo parto felice mia Elvi […] domanda un po’ a Ricordi se è vero che si daranno le Villi \Willy/​anche a Trieste oltre Venezia –​e domanda se a Firenze ci è speranza»85. Chiudiamo con poche frasi dell’ultima lettera dell’anno:  «Lavoro con assai accanimento e ho messo da qualche giorno in opera i tuoi consigli sani circa l’amorrre. Elvira ti saluta tanto. Il mago86 debuttò a Perugia nella Favorita e andò bene. […] Egregi coniugi Fontana, io vi rivedrei tanto volentieri, ma ho un berino, così buono e bello che mi dispiace a lasciarlo per ora. Chi sta bene non si muova!»87

84 È in corso, ad opera di chi scrive e di Dieter Schickling, la schedatura delle lettere di Puccini presenti I-​TLp, elencate in modo sommario nell’inventario. Al momento ne sono state già individuate più di mille, quasi tutte nuove per la ricerca. Per questo il piano di lavoro del progetto Epistolario del Centro studi Giacomo Puccini è stato rimodulato, e anche il piano dell’opera dell’Epistolario per l’Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini. 85 Lettera n. 93 (1885.11.17.a) in: Puccini, Epistolario I, p. 72, pubblicata senza testo, su richiesta di Simonetta Puccini. 86 Soprannome di Narciso Gemignani, marito di Elvira, baritono dilettante. 87 Lettera n. 96 (1885.12.29.a), ibid., p. 74sq.

Arthur Groos

Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat: Bohemian Nostalgia and the Remembrance of Things Past The Bohemia celebrated in literature and music of the last century and a half occasionally seems easier to locate than describe1. Scholars trace its origins to Paris in the second third of the nineteenth century, to the milieu frequented by Murger and Champfleury, Baudelaire and Nadar, as well as the anonymous cast of struggling artists, impoverished students, and working-​ class grisettes that formed the basis of every-​day bohemian existence2. But Théodore Barrière’s and Henry Murger’s play, La vie de bohème (1849)3, and the ensuing novel, Scènes de la vie de bohème (1851), also lay claim to a territory much vaster than the Latin Quarter, “bornée au Nord par l’espérance, le travail et la gaieté; au sud, par la nécessité et le courage; à l’ouest et à l’est, par la calomnie et l’Hôtel-​Dieu”4. This extended Bohemia can exist anywhere and anytime, usually in opposition to conventional bourgeois society. Most bohemians engage in acts of gentle resistance to society’s pursuit of money, jobs, and status, practicing a gratuitous subversion of the social order: sleeping late, dressing outrageously, not paying bills − things some older people like to recall about themselves but find so annoying in their children. The apparent opposition between bohemians and bourgeoisie obscures the fact that their relationship is usually sequential. Most inhabitants of Bohemia eventually become members of middle-​class society. Although the

1 This study was originally presented at various symposia in anticipation of a 1996 centennial volume on La bohème by G. Ricordi that never materialized. Some material, shared at that time with Michele Girardi, has appeared in his Giacomo Puccini: L’arte internazionale di un musicista italiano, Venice (Marsilio) 1995, pp. 109–​147; and especially the expanded Puccini: His International Art, trans. Laura Basini, Chicago/IL (University of Chicago Press) 2000, pp. 99–​144. 2 Cf. Jerrold Siegel, Bohemian Paris:  Culture, Politics, and the Boundaries of Bourgeois Life, 1830–​1930, New York (Viking) 1986, esp. pp. 3–​30; Helmut Kreuzer, Die Bohème: Beiträge zu ihrer Beschreibung, Stuttgart (Metzler) 1968. 3 On Murger, cf. esp. Robert Baldick, The First Bohemian:  The Life of Henry Murger, London (Hamish Hamilton) 1961. 4 Théodore Barrière/​Henry Murger, La vie de bohème, Paris (Dondey-​Dupré) s.a. (Bibliothèque dramatique 25), p. 13.

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unfettered nature of early adulthood  –​the lack of money, clothes, status, family obligations –​permits them to seem disinterested in this world, their indifference often masks a secret desire for the settled existence they publicly disdain. No sooner does Murger’s Rodolphe come into 500 francs, for example, than he announces his desire to renounce Bohemia and dress like everyone else. By the end of the novel Marcel has been admitted to the Salon, liquidated his debts, and established himself with “un atelier sérieux”5; Schaunard and Rodolphe have achieved critical success in their respective worlds of music and letters; Colline has inherited something and made an advantageous marriage, giving musical soirées with little cakes. At the same time, the transition from bohemian to bourgeois life also shifts the desires of these newly-​made citizens backwards to the world they left behind. Murger’s narrator laments the transitory nature of bohemian existence, which the final chapters make explicit, expanding the loss from young love to youth itself6. The last chapter, “La jeunesse n’a qu’un temps”, features a song by Marcel confirming the sense of loss by putting his farewell to Musette into nostalgic verse: Adieu, va-​t’en, chère adorée, Bien morte avec l’amour dernier; Notre jeunesse est enterrée Au fond du vieux calendrier. Ce n’est plus qu’en fouillant la cendre Des beaux jours qu’il a contenus, Qu’un souvenir pourra nous rendre La clef des paradis perdus.7

Murger’s novel thus elevates the transition from Bohemian to middle-​class life to a tragic myth –​the loss of a paradise encompassing young love and even youth itself. It is tempting to view this stance as something typically modern, reflecting a secularized world without a heaven or afterlife that directs its longing retroactively into the past8. This kind of longing seems particularly intense for experiences that have been irretrievably lost: childhood and innocence, youth and first love. The force of the latter in Murger’s novel derives partly from the universality of the loss, partly from their defining influence on the adult sense of self, and partly from the powerful effects of Henry Murger, Scènes de la vie de bohème, Paris (Lévy) 1861, p. 302. 5 6 The relationship between the bohemian life and youth is implied by Murger’s nearly simultaneous Scènes de la vie de jeunesse, Paris (Lévy) 1851. 7 Murger, Scènes, 1861, p. 304. 8 Cf. Malcolm Chase/​Christopher Shaw, The Dimensions of Nostalgia, in: eid. (edd.),  The Imagined Past:  History and Nostalgia, Manchester/​New  York (Manchester University Press) 1985, pp. 1–​17.

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memory and nostalgia, which both narrow and magnify the freedom of student days or the intensity of young love. The consciousness of loss invests the past with a poetic intensity unmatched by the prosaic course of later adulthood. Murger captures this double bind of longing and distance with a balance of nostalgia and irony. When Rodolphe suggests to Marcel that they dine in their old restaurant, where they will be hungry when they have finished, he declines with the admission that he is now too comfortable to relive the past in any literal sense: “Je veux bien consentir à regarder le passé, mais ce sera à travers d’une bouteille de vrai vin, et assis dans un bon fauteuil”9. As I hope to suggest in the following essay, Puccini and his librettists appropriate and enlarge on this stance, using the “piccole cose” of the Bohemians’ lives as vehicles of memory and nostalgia, making their opera not only a powerful evocation of lost love and lost youth, but also of things past, reflecting the fin-​de-​siècle’s awareness of itself as a transition to the modern era.

I. Transitions and Nostalgia  n urban ambience is far more central to La bohème than to Verdi’s La traA viata, which also derives from a mid-​nineteenth century novel set in Paris and also features a consumptive heroine10. But whereas love in La traviata flourishes in the idyllic countryside or is rekindled by thoughts of fleeing Paris, it is completely imbricated in city life in La bohème. Indeed, city life in Act II foregrounds urban local color to something approaching the agency of a character, moving outside the Café Momus to a public space teeming with students and bourgeoisie. Acts I and IV detail the cold, bare garrets of student lodgings for which the Latin Quarter was renowned. Act III, invented by Luigi Illica, expands the city to the border of the Latin Quarter at the Barrière d’Enfer, where peasant vendors arrive for market, suggesting timeless connections to Murger, Scènes, 1861, p. 304. 9 10 Cf. Arthur Groos/​Roger Parker, Giacomo Puccini: “La bohème”, Cambridge et al. (Cambridge University Press) 1986, pp. 31–​79; the emendations in Jürgen Maehder, Paris-​Bilder: Zur Transformation von Henry Murgers Roman in den “Bohème”-​ Opern Puccinis und Leoncavallos, in: Jahrbuch für Opernforschung 2 (1986), pp. 109–​176 (translated as Imagini di Parigi, in: Nuova rivista musicale italiana 24 [1990], pp. 403–​455); and “Quest’è Mimì, gaia fioraia”: Zur Transformation der Gestalt Mimìs in Puccinis und Leoncavallos “Bohème”-​Opern, in: Ursula Müller/​Ulrich Müller (edd.), Opern und Opernfiguren: Festschrift für Joachim Herz, Anif/​Salzburg (Müller-​Speiser) 1989, pp. 301–​320; and the overviews in Girardi, Puccini, and Julian Budden, Puccini: His Life and Works, Oxford (Oxford University Press) 2002, pp. 131–​180. Drafts of the genesis have been edited, along with the libretto, by Virgilio Bernardoni, Verso “Bohème”: Gli abbozzi del libretto negli archivi di Giuseppe Giacosa e Luigi Illica, Florence (Olschki) 2008 (Centro Studi Giacomo Puccini: Studi e Documenti 1).

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a pastoral countryside in the distant mists. Here, bohemian Paris is poised at a point of transition from an idyllic connection with a rural past to the rapid expansion and industrialization of a modern city that soon made it, in Walter Benjamin’s memorable phrase, the capital of the nineteenth-​century. Similarly, Puccini’s characters are poised at a transition from bohemian youth to adulthood. Marcello, whose love of Musetta has been punctuated by her regular absences, is already aware that his sojourn in Bohemia is coming to an end. His response to her reappearance in Act II, an aside in the libretto usually unnoticed in the histrionic outburst caused by her shoe, reveals him to be proleptically self-​conscious11: (La giovinezza mia non è ancor morta, nè di te morto è il sovvenir… se tu battessi alla mia porta t’andrebbe il mio core ad aprir!)

Indeed, Giacosa and Illica have translated his valedictory song in the last chapter of Murger’s novel, investing him at the beginning of the opera’s action with a knowledge of the passing of love and youth that his forebear attains only at the end of the novel: Non, ma jeunesse n’est pas morte, Il n’est pas mort ton souvenir; Et si tu frappais à ma porte, Mon cœur, Musette, irait t’ouvrir.12

Rodolfo and Mimì, in contrast, now in the first stages of the love story, seem oblivious to the events that will envelop them. As is the case with Marcello, however, the opera soon inscribes the themes of lost love and lost youth into their own series of farewells, which involve a highly important item of apparel. That series begins with Mimì’s aria at the end of Act III, after a violent coughing fit reveals her presence to Rodolfo and Marcello. Aware from the conversation that her consumption is terminal, Mimì determines to return to her previous life in terms recalling her autobiographical aria in Act I, using the metaphor of returning to her nest: D’onde lieta al tuo grido d’amore uscì, torna sola Mimì al solitario nido. Ritorna un’altra volta a intesser finti fior. Addio, senza rancor.13

1 The libretto will be cited according to Bernardoni, Verso “Bohème”, here p. 237. 1 12 Murger, Scènes, 1861, p. 303. 13 Bernardoni, Verso “Bohème”, p. 250sq.

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Example 1:  Act III, Mimì breaks up with Rodolfo.14

14 This and the following examples are taken from Giacomo Puccini, La Bohème, piano-vocal score, Milan (Ricordi) 1898.

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The heroine’s vocal line, introduced by a reprise of the motif used for her entrance (“Mi chiamano Mimì”) [see Ex. 1], suddenly rises in dynamic level and becomes agitated at the end of the third line in spite of its attempt to avoid emotion by referring to herself in the third person. In fact, Mimì’s mention of her own name and its accompanying reminiscence motif are punctuated by an enharmonic variant of the Tristan chord, which also interrupts her entrances in Acts I and III. On those earlier occasions, this chord accentuates a coughing fit, the associations of its harmony shadowing the heroine’s consumptive affliction15. Here, however, the Tristan chord represents no obvious symptom; rather it emphasizes that Mimì’s character and her terminal illness have become indistinguishable. She will not live to long for a lost youth, and this first farewell is already haunted by the specter of her own mortality. Since only a few possessions in their apartment tie her to Rodolfo, she asks him to gather them for a porter to retrieve. As the imperatives “ascolta” and “bada” reveal, the list begins with generic personal items, but then focuses on the bonnet purchased the previous Christmas Eve, which Mimì leaves behind as a memento of their love, her voice gaining emotional intensity as it moves to Andantino mosso with a delicate accompaniment for flutes and clarinets [See Ex. 2]: − Ascolta, ascolta. Le poche robe aduna che lasciai sparse. Nel mio cassetto stan chiusi quel cerchietto d’oro, i nastrini e il libro di preghiere. Involgi tutto quanto in un grembiale e manderò il portiere... − Bada sotto il guanciale c’è la cuffietta rosa. Se… vuoi… serbarla a ricordo d’amore… − Addio, senza rancore.16

15 Cf. Arthur Groos, TB, Mimì, and the Anxiety of Influence, in: Studi pucciniani 1 (1998), pp. 67–​81 (esp. p. 70sqq.). 16 Bernardoni, Verso “Bohème”, p. 251.

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Example 2:  Act III, Mimì leaves her night-​cap with Rodolfo.

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The emotion attached to this small piece of apparel is suggested by a brief harmonic detour as Mimì pauses to recall the pillow and then the bonnet17, which occurs to the theme with which it was introduced in Act II (Rehearsal number 4, measure 14sq.), and also by the vulnerability –​marked “animando e crescendo” –​ with which she now offers it to Rodolfo three times (“se vuoi”), after which her melody again swells with emotion, rising dynamically from the initial pppp to f, and a high B flat and A flat on “ricordo” and “amor” respectively. “Ricordo” is also harmonized as an E-​flat minor seventh chord, poignantly deploying its instability to inflect the remembrance of love, and preparing the duet in which hero and heroine bid “Addio” to remembered details of their life together. The second major farewell to love, the nostalgic duet for Rodolfo and Marcello at the beginning of Act IV, takes up  –​indeed, wallows in  –​the absence of Mimì and Musetta in their lives, making loss of love the focus of an elegiac retrospective, which now expands –​as at the end of Murger’s novel –​to include lost youth as well. The moment derives from a conversation in the penultimate chapter, in which the friends, chilled to the bone, consign the remains of their past loves to the fire. As they come to the end, Marcel finds a faded bouquet and, profitant d’un moment où il croyait n’être pas aperçu par Rodolphe, il glissa le bouquet dans sa poitrine [...] Et comme il jetait un regard furtif sur Rodolphe, il vit le poëte qui, arrivé à la fin de son auto-​da-​fé, mettait sournoisement dans sa poche, après l’avoir baisé avec tendresse, un petit bonnet de nuit qui avait appartenu à Mimi.18

Puccini and his librettists adopt Murger’s metaphor for the roommates’ discussions as “duos de souvenirs”, taking the opportunity to link Mimì’s separation from Rodolfo at the end of Act III with his remembrances here: the two moments, each set as a 4/​4 Andantino mosso, are also connected by Mimì’s boudoir cap. As Rodolfo’s nostalgia expands from “giorni lontani e belli” with Mimì to include the end of his youth in the first section of the duet, he retrieves this intimate item of apparel, redolent with sensual memories of her body [See Ex. 3]: Rodolfo (Mimì ne andasti e più non torni. O giorni lontani –​e belli, piccole mani –​odorosi capelli, collo di neve! O gioventù mia breve! Sto poche morte cose –​a riguardare. Foglie di rose già poste a segno di pagine care. Questa piccola fiala

17 Cf. Girardi, Puccini: His International Art, p. 135: “The break is slight, but suggests a sense of a hesitation, as if something is suddenly remembered”. 18 Murger, Scènes, 1861, p. 289.

Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat che olezzi un giorno ed or veleni esala. E tu, cuffietta lieve, ch’ella sotto il guancial partendo ascose e tutta sai la breve nostra felicità, vien sul mio cuore! Sul mio cuor morto, poich’è morto amore.)19

Example 3:  Duet Rodolfo-​Marcello. 19 Bernardoni, Verso “Bohème”, p. 256sq.

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Puccini re-​arranges Giacosa’s verses20 and even deletes the middle stanza of Rodolfo’s text, in order to proceed directly from the realization of lost youth to the bonnet as the embodiment of his loss. In accordance with the tendency of nostalgia to be simple, reiterative, and often fetishistic, Puccini sets the friends’ musings in a simple lyric prototype ABA structure in C major, with their shared melodic lines often differing minimally. The first section concentrates on Rodolfo’s invocation of lost love and youth; the second section turns to Marcello’s aside while Rodolfo retrieves the bonnet; Rodolfo’s reprise of the initial section returns to the bonnet, invoking and personifying it as the repository of his loss, much as Colline will do shortly in “Vecchia zimarra”. The bonnet figures prominently in a third farewell in Act IV shortly after “Sono andati?”, when Mimì ominously corrects Rodolfo’s simile of her beauty from fair as a dawn to fair as a sunset, and the accompaniment recalls the dirge-​like ostinato pattern first heard during his description of her illness in Act III (“Mimì è tanto malata”, Rehearsal number 19). Mimì’s consciousness of her imminent death frames the entire scene, which consists largely of verbal and musical reminiscences of the lovers’ shared past, beginning with her autobiographical “Mi chiamano Mimì”. Rodolfo’s response that his swallow has returned to her nest is accompanied by music also heard initially in that aria (“Vivo sola, soletta”), gently pointing out the discrepancy between her departure for her own roost at the end of Act III and their love-​nest here in the garret, a point he emphasizes by retrieving the bonnet, to the accompaniment of the motif introduced at its purchase in Act II [See Ex. 4]: Rodolfo (intenerito e carezzevole) Tornò al nido la rondine e cinguetta. (si leva di dove l’aveva riposta, in sul cuore, la cuffietta di Mimì e glie la porge) Mimì (raggiante) La mia cuffietta. (tende a Rodolfo la testa, questi le mette la cuffietta. Mimì rimane colla testa appoggiata sul petto di lui)21

20 Cf. Peter Ross, Der Librettovers im Übergang vom späten Ottocento zum frühen Novecento, in: Lorenza Guiot/​Jürgen Maehder (edd.), Tendenze della musica teatrale italiana all’inizio del Novecento. Locarno […] 1998, Milano (Sonzogno) 2005, pp. 19–​54. 21 Bernardoni, Verso “Bohème”, p. 265.

Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat

Example 4:  Act IV, Rodolfo returns the night-​cap.

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By this point, the bonnet has gradually expanded its contextual range of signification from Murger’s nostalgic themes of lost love at the end of Act III and lost love and youth at the beginning of Act IV to the larger issue of the heroine’s prematurely brief life, underscored by the extensive use of reminiscence music, as Rodolfo puts her to bed for the last time.

II. Bonnets and Coats  imì’s bonnet, however, is not the only item of apparel in a larger nexus M relating people and things during the opera. Colline’s coat also becomes the vehicle for a retrospective farewell, his “Vecchia zimarra” in Act IV. Both articles of clothing have important consequences for understanding the opera’s historical nostalgia, not just for Murger’s lost love and lost youth, but also for a past age, evoking fin-de-siècle anxieties over the rapid pace of industrialization and technological change, and their impact on society. In order to understand their function, we need to return to Murger and nineteenth-​century Parisian culture for a brief excursus. In the literature of Parisian life in the 1830s and 1840s, threadbare coats and bonnets, respectively, often identify the poor students/​artists and grisettes who flocked to the Latin Quarter because of its cheap rents. The initial chapters of Murger’s Scènes present both Schaunard and Colline as having capacious but extraordinarily old and worn coats with pockets large enough to house a small library. Colline sports a nut-​brown great coat, worn to the nub22, and is so consistently identified with the small library stashed in his pockets that it has “abysses” in which he can keep some thirty volumes23. Alfred de Musset’s Mimi Pinson, the best-​known grisette story of the period24, frames a portrait of the most famous Parisian working-​girl before Murger’s Mimi (the coincidence of names is not fortuitous) with an ekphrasis

2 Cf. Murger, Scènes, 1861, p. 32. 2 23 Ibid., p. 73sq. 24 For contemporary representations of grisettes, cf. Paul de Kock (1834), ‘Les grisettes’, in: Henri Martin (ed.), Nouveau tableau de Paris au xixme siècle, Paris (Madame Charles-​Béchet) 1834, vol. 2, pp. 169–​179; Jules Janin, La grisette, in: Les français peints par eux-​mêmes, Paris (Curmer) 1840, vol. 1, pp. 9–​16; Honoré de Balzac, La grisette, in: id., Œuvres complètes de Honoré de Balzac, edd. Marcel Bouteron/​Henri Longnon, 40 voll., Paris (Conard) 1938, vol. 2, p. 277sqq. On the grisette stories of the period and Mimi Pinson in particular, cf. Jutta Lietz, Studien zu den Novellen Alfred de Mussets, Hamburg (Romanisches Seminar der Universität Hamburg) 1971 (Hamburger Romanistische Dissertationen 8), pp. 23–​52.

Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat

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of her bonnet25. But a bonnet for street wear like Mimi Pinson’s does not figure in La bohème. Instead, Murger’s Mimi and her operatic counterpart have a “bonnet de nuit” or boudoir-​cap that is not a marker of class but an eroticized love-​token, a reflection of the bohemian validation of sexuality as a central element of individual subjectivity. In a later reminiscence, Murger associates a grisette’s change of partner with the change in the color of her “bonnet de nuit”, reflecting a vogue for giving this intimate article of apparel as a present at the beginning of a new relationship26. Given the centrality of love to the bohemian sense of identity, it is not surprising that the bonnet also becomes a memento, eliciting an emotional response when Rodolphe spies it protruding from a pillow after breaking up with Mimi, or when they spend a last night together. Bohemian apparel may have other implications not immediately obvious to modern audiences. One such implication derives from the limited wardrobes of the last century: poorer members of both sexes will have had little more than a single change of clothing, and will have worn it for a longer period of time, making each item of apparel a constant and thus distinctive feature of their appearance. While Mimi Pinson pawns her only dress to help a friend, Marcel’s suit in Murger’s novel is so old it has been named “Mathusalem”, and Colline’s coat is said to have been “construit par les Romains”27. Even if purchased second-​ hand these items of clothing are unique because of their long-​term imbeddedness in the life of the individual who wears them. Colline’s coat not only proclaims but is the man: it –​not Colline –​is known to all the stall-​keepers from the Pont de la Concorde to the Pont Saint Michel28. Moreover, the fact that the bohemians’ clothes are obsolete in a period of rapid change in the fashion industry lends them an appearance of opposition to the hectic pace of bourgeois life and consumerism that is later evoked in “Vecchia zimarra”. Given the prominence of Colline’s coat and Mimi’s bonnet in Murger’s novel, it comes as a surprise to discover that the operatic Colline does not yet have his characteristic item of apparel in Act I when he enters the garret with his load of books tied up in a handkerchief. Instead, he acquires the coat at the same time that Mimì receives her bonnet, at the beginning of Act II. And inasmuch as Colline’s coat and Mimì’s bonnet do not appear at all in 25 Cf. Œuvres complètes de Alfred de Musset, 10 voll., Paris (Charpentier) 1866, vol. 7, p. 245sq. 26 “Leur cœur était certainement moins fortifié qu’une citadelle, leur bonnet chan­ geait souvent la couleur”, in: Paul Ginisty (ed.), Scènes de la vie de bohème, Paris (Garnier) s.a., p. lxiii. 27 Murger, Scènes, 1861, p. 264. 28 Cf. ibid., p. 33.

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the Christmas Eve celebration in Murger’s chapter “Un Café de la Bohème”, the decision by Puccini, Illica, and Giacosa to create a joint originary scene for these two items of clothing seems carefully planned, anticipating their prominent return in Act IV29. Puccini even rearranges the introductory sequence of activities, having Marcello ogle passing women after Colline and Rodolfo and Mimì have simultaneously made their purchases. And whereas Colline’s coat is old and threadbare, a typical purchase of bohemian economy, Mimì’s new bonnet de nuit is a luxury item of bedroom apparel, the purchase of which at the milliner’s announces the couple’s decision to become lovers30. Because the gift of a boudoir cap marks such an important decision at the beginning of their relationship, Rodolfo’s introduction of Mimì to his friends outside the Café Momus articulates a bohemian economy of love in which she provides the poetry to inspire the poet, now fully in vein after having been unable to write for his fashion magazine in Act I: Il suo venir completa la bella compagnia, perch’io son il poeta essa la poesia.31

Immediately after ordering their meal, the discussion turns from Mimì to her new bonnet and its significance. This lyrical interlude is a later addition, first performed in Palermo in 189632, making it something of a post hoc summary of the opera. Responding to Marcello’s question about her gift, Mimì describes the purchase in detail, inadvertently revealing the metonymy of her desire for the bonnet and love by adding her own hesitant response to Rodolfo’s economics of love as an intimate form of readership [See Ex. 5]. Puccini’s setting of lines 1–​3, 4–​5, and 5–​6 to three phrases with the same opening melody underlines the identity: Mimì Una cuffietta a pizzi, tutta rosa, ricamata; coi miei capelli bruni ben si fonde. Da tanto tempo tal cuffietta è cosa desiata!... Ed egli ha letto quel che il core asconde… Ora colui che legge dentro a un cuore sa l’amore ed è… lettore.33

29 Indeed, in a draft from late 1893, Illica and Giacosa have Colline enter the Latin Quarter with his coat, and he buys a runic grammar –​a motif taken from Murger. Bernardoni, Verso “Bohème”, p. 134. 30 Cf. ibid., p. 223. 31 Ibid., p. 228. 32 Cf. Dieter Schickling, Giacomo Puccini: Catalogue of the Works, Kassel et al. (Bärenreiter) 2003, p. 215. 33 Bernardoni, Verso “Bohème”, p. 229sq.

Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat

Example 5:  Act II, Mimìs night-​cap.

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Example 5 (continued).

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This confession provokes a disagreement between Marcello and Rodolfo that recalls their final exchange in Murger’s novel, but pointedly reverses both the sequence of speakers and their shift from nostalgia to cynicism: Marcello (guardando Mimì) O bella età d’inganni e d’utopie! Si crede, spera, e tutto bello appare! Rodolfo La più divina delle poesie è quella, amico, che c’insegna amare!34

More importantly, it contravenes the belief of Murger’s characters that poetry is a kind of shroud or coffin for love once it is dead. For Puccini’s Rodolfo, rather, the “bella età” of youthful utopias includes the poetry that not only keeps love alive, but also teaches us to love. Thus the bonnet Rodolfo buys for Mimì the evening they meet becomes invested not only with the associations of their falling in love and the course of their relationship, but also implicates bohemian love in making the world seem enchanted  –​creating what Rodolfo calls the “giorni belli” in his Act IV duet. Similarly, Colline’s “Vecchia zimarra” –​a late addition in the genesis of the opera –​evokes another kind of utopia, the “giorni lieti” of student days. His valediction expands the theme of loss to bid farewell to Bohemia itself, to the communal wholeness of disinterested opposition to the rich and powerful and the rapidly changing forces driving society at large [See Ex. 6]: Vecchia zimarra, senti, io resto al pian, tu ascendere il sacro monte or devi. Le mie grazie ricevi. Mai non curvasti il logoro dorso ai ricchi, ai potenti, né cercasti le frasche dei dorati gingilli. Passar nelle tue tasche come in antri tranquilli filosofi e poeti. Ora che i giorni lieti fuggir, ti dico addio, fedele amico mio.35

The mock-​ tragic text extrapolates from Murger’s suggested identity of Colline and his coat, exaggerating details from the novel such as the reference to the state-​run pawn-​shop, Le Mont-​de-​Piété (“il sacro monte”), or 4 Ibid., p. 230. 3 35 Ibid., p. 264.

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the metaphor of pockets deep as cellars or abysses (“antri”). Several counterintuitive elements of Puccini’s setting also draw attention to the mock nature of a farewell to a piece of apparel: the designation “ALL.tto MOD.to e TRISTE”, the rising vocal line for “io resto al pian”, and the hovering around a single pitch for “ascendere il sacro monte or devi”.

Example 6:  Act IV, Colline, “Vecchia zimarra”.

Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat

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Example 6 (continued).

At the same time, “Vecchia zimarra” also has serious implications related to the tragedy that follows. Some elements of its setting –​the key of C sharp minor, its ostinato rhythms, patterns of descent –​are clearly related to the

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sphere of Mimì and her illness. Indeed, the placement of Colline’s farewell to his coat immediately before Mimì’s “Sono andati?” and the ensuing return of her bonnet recall the simultaneous purchase of both items of clothing the previous Christmas Eve. The parallelism returns emphatically at the conclusion of the opera:  when Rodolfo discovers that Mimì is dead and throws himself on her lifeless body, the orchestra blares out the music originally heard to “fingevo di dormire” in “Sono andati?” and, as the curtain descends, the music cadences in “Vecchia zimarra”, the rising and falling figuration in the strings that ends the reminiscence of “Sono andati?” leading into a similar pattern that began and concluded Colline’s aria [See Exx. 7a and 7b].

Example 7a:  Act IV, Colline, end of aria.

Example 7b:  End of opera.

Mimì’s Bonnet and Colline’s Coat

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The collocation of these two distinct phrases has engendered a discussion, driven by the heated controversy about the presence or lack of semantic significance for such reminiscences in Puccini endings, most notably Joseph Kerman’s notorious accusation that the orchestra “screams the first thing that comes into its head” at the end of Tosca36. One implicit assumption seems to be that the death of Mimì should in some way be the principal focus of the conclusion37. However, in the absence of both character and text, the presence of a solfeggio pattern in the orchestral reminiscence of “Sono andati?” might also suggest a musical allusion to the past rather than the heroine38. After all, the opera is not entitled Mimì but La bohème, and the relative emphasis of individual and social elements constituted a major point of contention during the genesis of the libretto. Luigi Illica’s agitated letter of protest of February 1894 to Giulio Ricordi about Puccini’s unilateral attempt to make Mimì more innocent and her death more passive and pathetic, more Traviata-​like, argues for the libretto’s complexity and its fidelity to a more modern concept of bohemian love and its imbrication in modern urban life39. In fact, Colline’s “Vecchia zimarra” is only the first and most obvious link in a chain of symbolic exchanges of artifacts connecting the death of Mimì to the fates of all the bohemians: while Rodolfo returns the bonnet to the dying heroine, and even puts it on her, Musetta sells her earrings to buy Mimì a muff, and Colline in turn gives Musetta the proceeds from the sale of his coat. The loss that this small community of bohemians experiences thus expands from the death of Mimì to the quotidian experiences and artifacts with which their lives were intertwined. The heroine’s demise exerts a disenchanting effect on the world around her, made visible in the contrast between the pale moonlight that illuminated her face at the end of Act I  and the harsh sunlight that now falls on her corpse40, and made audible in

36 Joseph Kerman, Opera as Drama, Berkeley/​Los Angeles (University of California Press) 1988, p. 15; Roger Parker, Ghosts from Christmas Past nella “Bohème” di Leoncavallo, in: Jürgen Maehder/​Lorenza Guiot (edd.), Ruggero Leoncavallo nel suo tempo, Milan (Sonzogno) 1993, pp. 71–​81, esp. p. 76sqq. 37 Cf. esp. the detailed comparison by Allan W. Atlas, Mimì’s Death: Mourning in Puccini and Leoncavallo, in: Journal of Musicology 14 (1996), pp. 52–​79. 38 Cf. Nicholas Baragwanath, The Italian Traditions and Puccini: Compositional Theory and Practice in Nineteenth-​Century Opera, Bloomington/​IN (Indiana University Press) 2011, p. 269sq. I am indebted to him for drawing my attention to the solfeggio pattern. 39 Cf. Eugenio Gara (ed.), Carteggi pucciniani, Milan (Ricordi) 1958, p. 99sq. 40 The connection is suggestively made by William Ashbrook, The Operas of Puccini, Ithaca/​NY (Cornell University Press) 1985, p. 56.

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Rodolfo’s lapse from a singing to a speaking voice41. As that lapse suggests, their communal loss leaves them in a disenchanted present, deprived of the poetry that once filled their vie de bohème. Part of the appeal of La bohème might be located in this larger sense of loss evoked by Colline’s farewell and Mimì’s death. Its valedictory nostalgia for an imagined past is anything but simple and reductive in the conventional sense, but –​paradoxically –​comprises a basic feature of the work’s modernity. Here a comparison with La traviata again may be helpful. Violetta’s death also involves an artifact, the portrait she gives to Alfredo. But although this image is of Violetta’s past, its ultimate function is for the future; it directs memory not backwards but ahead as an image of one “chi nel ciel tra gli angeli prega per lei, per te”42. This redemptive construction of time permits catharsis, but excludes nostalgia. The ‘past’ that accuses Violetta of transgressions against the bourgeois moral code is not an object of longing, but something to be left behind after intense suffering. The nostalgia of La bohème, in contrast, involves a different and far more secular relationship to the past. Here material objects do not point to any future, but become a talismanic link to something private and irretrievably lost, an integral element in the subject’s grounding of the self. Juxtaposing the loss of a cherished possession and the loss of a beloved person may seem strange today. But the association of “Vecchia zimarra” and “Sono andati?” at the end of La bohème might make us wonder whether the technological progress that increased our individualized sense of death as a morbid singularity has not also decreased our connections to individual artifacts, which have lost their uniqueness in an age of mechanical reproduction and planned obsolescence43. Nostalgia for the aura inherent in things abounds in fin-​de-​siècle Italian culture. Guido Gozzano celebrates the “dolce tristezza” of looking backward through a prematurely lost youth (he died of tuberculosis at age thirty-​ three), evoking a lost past reified in objects (La signorina Felicita) and in

41 This passage was originally sung “con voce strozzata dallo sgomento, quasi parlato” before becoming spoken in later editions. The problem is traced by Giangiorgio Satragni, Parola cantata e parola declamata de “La bohème” di Puccini, in: Nuova rivista musicale italiana 34 (2000), pp. 7–​25. 42 Giuseppe Verdi, La traviata (Le opere de Giuseppe Verdi 19), ed. Fabrizio Della Seta, Milan (Ricordi) 2001, p. 391. 43 It is probably not fortuitous that Walter Benjamin, who famously raised this issue in a seminal essay, also considered Die Bohème as one of the principal elements of nineteenth-​century Paris. Cf. Walter Benjamin, Das Passagen-​Werk, ed. Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1983, p. 1220. It is mentioned by Maehder, Paris-​Bilder, p. 109sq.

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old photographs (L’amica di nonna Speranza). Giuseppe Giacosa imbeds the conflicts of his bourgeois characters in familiar objects and spaces, using them to foreground the heroine’s connectedness to her domestic space in Tristi amori (1887), or to dramatize in Come le foglie (1900) a financially ruined family’s inability to adjust to a simpler life and find poetry even in prosaic things, “trovare la poesia nelle cose prosaiche”44. It does not seem fortuitous that Giacosa, Illica, and Puccini  –​writing for a prima assoluta in Turin, the most highly industrialized city in Italy –​ backdated their opera beyond even Murger’s Scènes de la vie de bohème (1849–​1851) to a restoration Paris of ca. 1830, just as railroad and industrial expansion was about to change forever the easy connection between rural and urban life, a connection celebrated in the opening of Act III at the Barrière d’Enfer, with its tinkling of carters’ bells and cracking of whips, and peasant women declaring their wares. La bohème looks back to a world still filled with a plenitude of pastoral and artiginal products, ranging from farm produce to the panoply of delectables and artifacts that dazzle audiences at the opening of Act II. Significantly, the only member of the bohemians with regular employment is the artisan Mimì. More precisely, she is a seamstress –​the largest occupational group in mid-​century Paris, but an occupation soon to be devastated by the mechanization and rationalization of the garment industry. Mimì’s death and Colline’s “Vecchia zimarra” thus involve a farewell not only to love and youth, but also to an age in which artifacts still had an individual aura rooted in the uniqueness of their production and the lives of the people who used them. In the transition between two centuries, Puccini, Giacosa, and Illica moved Italian opera towards the uncertainties of a new age with a subject that looked backwards to an older period still within living memory, representing the “piccole vite” of bohemian Paris and their “piccole cose” with lyrical affection and a touch of ironic distance. Having lived through the end of the next fin-​de-​siècle, we experience this “temps perdu” through an even greater sense of rupture, often recovering it only through the mediation of artworks that are themselves a century old: Gozzano’s reflections on an old photograph45, Proust’s celebration of a madeleine soaked in lime-​blossom tea, and –​ La bohème’s recreation of youthful love and loss on the margins of existence, and at the threshold of modernity.

44 Giuseppe Giacosa, Teatro, 2 voll., ed. Piero Nardi, Verona (Mondadori) 1968, vol. 2, p. 532. 45 Guido Gozzano, L’amica di nonna Speranza, in: id., Poesie e prose, ed. Alberto de Marchi, Milan (Garzanti) 1961, p. 53.

Virgilio Bernardoni

Paralipomeni del rimario pucciniano Versi e rime sono stati strumenti usuali nella scrittura di Giacomo Puccini e fino a sessant’anni fa erano oggetto d’attenzione di memorialisti e biografi1. L’inclinazione poetica è anche sufficientemente attestata nelle prime edizioni allargate della corrispondenza2, tanto che Giorgi Magri ha potuto incorniciare con una poesia originale ogni capitolo della biografia del maestro3. Oggi, grazie all’edizione in corso dell’Epistolario completo, pubblicato nell’Edizione Nazionale delle Opere, e grazie alla comparsa nel mercato antiquario di parecchi inediti, siamo a conoscenza di un numero ragguardevole di rime autografe, che documentano in modo pressoché continuo l’applicazione di Puccini in questo campo della scrittura. Si danno quindi le condizioni per presentare una selezione rappresentativa degli inediti, insieme a una parte dei testi noti, in una sorta di rimario pucciniano esemplare. È assai probabile che Puccini abbia acquisito la consuetudine alla rima in famiglia, attraverso i calembours e i giochi in versi praticati nell’adolescenza con la sorella Ramelde, di un anno più giovane di lui. Poi, nell’età adulta, questa forma di scrittura diventò uno strumento linguistico corrente della comunicazione privata e, di conseguenza, una variante di registro del genere al quale egli si è dedicato in modo pressoché esclusivo: la lettera. Semplificando, si può dire che nelle rime di Puccini si riscontrano tre diversi livelli di scrittura. Il primo, riconducibile alla comunicazione epistolare, sono le lettere stese completamente in versi, come per esempio le corrispondenze di lavoro inviate a Luigi Illica e a Giulio Ricordi durante la genesi di Bohème4. Gli altri

1 Cf. in particolare: Arnaldo Fraccaroli, Giacomo Puccini si confida e racconta, Milano (Ricordi) 1957, pp. 12, 113, 269; Carlo Paladini, Giacomo Puccini, con l’epistolario inedito, ed. Marzia Paladini, Firenze (Vallecchi) 1961, nn. 7, 13, 35, 38 alle pp. 123–​124, 130–​131, 149–​150, 152, e Pietro Panichelli, Il «pretino» di Giacomo Puccini racconta, Pisa (Nistri-​Lischi) 1940, p. 228. La monografia di Claudio Sartori, Puccini, Milano (Accademia) 1961, raccoglie nell’appendice Versi di Giacomo Puccini (pp. 345–​360) un’antologia di una trentina di testi in forma poetica, mescolando alla rinfusa lettere in versi, poesie originali e testi poetici non originali, ma utilizzati da Puccini nelle proprie rime per canto e pianoforte. 2 Cf. Eugenio Gara (ed.), Carteggi pucciniani, Milano (Ricordi) 1958, e Arnaldo Marchetti (ed.), Puccini com’era, Milano (Curci) 1973. 3 Cf. Giorgio Magri, Puccini e le sue rime, Milano (Borletti) 1974. 4 Cf. i nn. 304 e 402 in: Giacomo Puccini, Epistolario I 1877–​1896, edd. Gabriella Biagi Ravenni/​Dieter Schickling, Firenze (Olschki) 2015.

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due –​rapportabili invece a una prevalente intenzionalità poetica –​sono le comunicazioni in cui il gioco letterario della versificazione è preminente sulla funzione epistolare (rientrano in questa categoria i versi spediti alla sorella Ramelde, qui riprodotti al n. 44) e le vere e proprie poesie indipendenti, che spesso Puccini allegava alla corrispondenza come omaggio o come augurio per il destinatario (un corrispettivo letterario degli omaggi musicali presenti nel catalogo delle opere minori, ampiamente illustrato nella presente antologia). Poiché anche i componimenti poetici del secondo e del terzo tipo il più delle volte sono rivolti a un destinatario –​e in qualche caso l’autore li include nel corpo stesso delle sue lettere –​a caratterizzarli è soprattutto l’invenzione immaginifica ora giocosa, ora ironica, ora caricaturale, ora auto-​ riflessiva, per la quale esulano dalla finalità spicciola della trasmissione di informazioni di circostanza, di lavoro o di altra natura. Quest’ultimo tipo di rime contribuisce in modo efficace a delineare la personalità inconfondibile di scrittore di Puccini o –​come l’ha definita recentemente Mario Pozzi –​di «giocoliere verbale». L’intenzione poetica, infatti, esalta i tratti più rilevanti della sua scrittura: lo stacco fraseologico secco, l’uso rarefatto degli articoli e di altre particelle, gli slittamenti continui dall’italiano letterario ai più diversi registri –​ora scherzoso e ironico, ora furiosamente iracondo, ora giocosamente ingiurioso –​e le invenzioni linguistiche a raffica, di soprannomi, di verbi o di aggettivi derivati da sostantivi, di vocaboli creati per fusione di parole, di avverbi ricavati da termini di qualsiasi tipo5. Anche in seguito alle nuove acquisizioni il primo pezzo ‹poetico› noto rimane quello indirizzato a Ramelde nel febbraio 1886 ed è un atto di sottomissione all’abilità della ‹poetessa› di famiglia; all’epoca Puccini aveva ventisette anni compiuti e l’ostentazione della modestia parrebbe far parte della finzione ‹letteraria›: Risponder non dovrei con versi eppur lo faccio tanta è la sfacciataggine del boia d’un poeraccio. Competer teco, o vate, difficile è l’impresa per ovazion patate si rischia di buscar. Visto che in oggi splende un sol di primavera, visto che il cielo è limpido

5 Cf. Mario Pozzi, Puccini scrittore in prosa e in verso. Una lettura del primo libro dell’Epistolario di Giacomo Puccini, in: Giornale storico della letteratura italiana 135/649 (2018), pp. 127–​136.

Paralipomeni del rimario pucciniano

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verde come la cera (?!) mi son fatto coraggio. Rame gentil vorrai sembrando essere in maggio un raglio perdonar.6

Il più tardo è in una lettera a Renato Simoni datata 17 ottobre 1924, un mese e dodici giorni prima di morire, e si tratta di uno schizzo venatorio rapidissimo7. Sulla base dei testi autografi noti, fra lettere e componimenti poetici, ho potuto contare più di 160 scritti metrici in rima. Una ventina, del tipo della versificazione ‹poetica›, sono conservati dal 2007 fra i manoscritti del Fondo Bonturi-​Razzi della Biblioteca statale di Lucca, raccolti da Ida Bonturi –​sorella di Elvira Puccini e cognata di Giacomo –​e dal marito Giuseppe Razzi. Una selezione corposa di testi provenienti da questo fondo è qui pubblicata per la prima volta8. Il Puccini poeta manifesta una consapevolezza ambigua delle proprie qualità. Per nominare i giochi verbali in rima, che solo in via eccezionale egli dovette considerare invenzioni letterarie, usa forme riduttive come ‹versi› e ‹rime› e per qualificarli formula espressioni come «versi | quasi dispersi | per far qualcosa»9 oppure «versi … versati da una brocca fessa», addirittura «ragli». Ciononostante, però, nei testi non mancano riferimenti espliciti a forme poetiche, quali l’ottava, l’ode, il carme (impiegato in genere per i componimenti a carattere augurale o celebrativo), l’anacreontica (termine chiamato in causa in modo appropriato per un’invenzione linguistica frivola, inviata a Giulio Ricordi, da Vienna al tempo della prima

A Ramelde Puccini, 4 febbraio 1886. Edizione in: Epistolario I, n. 97, p. 75sq. 6 7 Cf. Gara, Carteggi pucciniani, n. 901, p. 556sq. 8 Escludendo i quarantacinque testi qui editi, i volumi I e II (1897–​1901) dell’Epistolario, edd. Gabriella Biagi Ravenni/​Dieter Schickling, Firenze (Olschki) 2015 e 2018, propongono altri 28 testi in rima del periodo 1886–​1901 (vol. 1, nn. 97, 223, 255, 270, 280, 304, 357, 366, 383, 402, 485, 506, 507, 509, 534, 588; vol.  2, nn.  49, 51, 104, 110, 113, 135, 363, 387, 618, 694, 705, 843). Per gli anni successivi se ne trovano diciassette in: Marchetti, Puccini com’era (nn. 265 –​più una quartina alla nota 1 –​343, 344, 367, 368, 369, 371, 382, 390, 394, 449, 450, 451, 465, e altri due nei facsimili riprodotti alle pp. 311 e 312), undici nell’Appendice al volume di Sartori, cinque nei Carteggi pucciniani e dodici sparsi in altre pubblicazioni; ai quali vanno aggiunti quarantaquattro testi inediti. Uno, la cui fonte è sconosciuta, si trova nel primo articolo in cui si descrive l’attitudine poetica pucciniana (Ottorino Modugno, Il poeta futurista Giacomo Puccini, in: Il progresso 35/53 [31 dicembre 1910]). Il totale ammonta a centodiciassette testi, che diventano centosessantadue sommando i componimenti qui pubblicati. 9 Lettera a Ramelde del 31 ottobre 1909, in: Marchetti, Puccini com’era, n. 369.

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locale di Bohème)10; si trova anche un poemetto ripartito in prologo e atto primo11. Il ritmo fluente del verso e la sequenza martellante delle rime danno l’impressione di produzioni estemporanee. Tuttavia, qualche componimento steso in più redazioni (cf. i nn. 4 e 39) e con varianti (n. 39) attesta un lavoro di rifinitura che va oltre la pura improvvisazione. Così come gli utilizzi ‹pubblici› dei medesimi testi a lunga distanza d’anni e le riprese tematiche variate da un componimento all’altro (e fra rime e lettere) testimoniano il work in progress a vasto raggio del Puccini scrittore. Puccini scrive i testi in rima per un numero ristretto di persone. Innanzi tutto, nella corrispondenza con i famigliari e con i loro congiunti inclini a corrispondere con lui nella medesima forma, come la sorella Ramelde, appunto, e dopo la sua morte, le sue figlie Albina, Nelda e Adelaide (detta Nina) o come il nipote Carlo Marsili. Poi nella corrispondenza con i colleghi musicisti coi quali è in maggiore confidenza –​uno di loro era Arturo Buzzi Peccia, compagno di studi al Conservatorio di Milano  –​e con gli amici intellettuali di vario indirizzo, come Alfredo Caselli, Arnaldo Fraccaroli, il ‹professore› Carlo Paladini. Utilizza frequentemente le rime anche nell’ambito della comunicazione professionale: con Giulio Ricordi, editore-​ collaboratore-​padre, anch’egli incline a corrispondere in rima (con lui tenta perfino di esprimersi in latino), e con i poeti funzionali con cui collabora per i libretti delle opere teatrali e ai quali è legato da rapporti amichevoli (Luigi Illica prima, in un caso Giuseppe Giacosa, in seguito Giovacchino Forzano e, nell’ultimo periodo, Giuseppe Adami e Renato Simoni). In un caso soltanto si cimenta in via eccezionale con un poeta ‹puro› –​Renato Fucini (cf. il n. 26) –​mai però si espone con Pascoli o d’Annunzio. Qualcuno, da lui istigato al dialogo in versi, invece, ha evitato l’invito in modo esplicito, come lo scrittore e giornalista Eugenio Checchi: «ti ringrazio col cuore assai commosso [Puccini gli aveva inviato due quartine augurali per l’anno  1895], ma non creder con questo ch’io ti voglia rispondere coi versi e colle rime. Sei troppo avvezzo a star coi librettisti, e puoi dir quel che vuoi, ma non mi buggeri»12. In genere, la ‹poeticizzazione› del testo è esclusiva delle corrispondenze con italofoni. Però, non è assente neppure nelle relazioni con gli amici stranieri, come l’inglese Sybil Seligman e l’austriaco Angelo Eisner, in relazione con la cerchia di musicisti, impresari e direttori teatrali viennesi. Le quarantacinque rime ‹poetiche› qui raccolte forniscono un insieme di ciò che il maestro Puccini faceva rientrare sotto la categoria di «versi 0 Lettera a Ricordi del 21 settembre 1897, in: Puccini, Epistolario II, n. 104, p. 77sq. 1 11 Cf. la lettera a Alfredo Caselli dell’ottobre-​novembre 1891, in: Puccini, Epistolario I, n. 223, pp. 168–​172. 12 In: Puccini, Epistolario I, p. 370, nota alla lettera 507.

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a tempo perso»:  salvo rarissime eccezioni (cf. il n.  37), dilettantismi nelle rime sonanti (ma anche ricerche di sonorità particolari nell’uso non isolato delle rime unisone), negli schemi fissi della quartina di metri parisillabi, nella forma squadrata di quartine o terzine. L’intero repertorio mostra una varietà di registri ‹poetici› nei quali si rispecchiano i principali registri ‹prosodici› della corrispondenza pucciniana: il fatto quotidiano, la descrizione di ambienti e cose, l’omaggio, il corteggiamento, il gioco, l’invettiva personale, e altro ancora. Di loro, le rime esibiscono il ricorso all’immaginario mitologico (cf. i nn. 5, 16, 38 e 41) o biblico (n. 9) o epico (n. 6), sovente giocato con ironia e gusto del ribaltamento blasfemo. Azzardando una sorta di classificazione tipologica, si possono distinguere produzioni in veste di filastrocca infantile (i nn. 1 e 2), di bozzetto giocoso (due casi sono la poesia intitolata Le galline, al n. 27, e il quadretto curioso che rende un piccolo dramma d’aia nel n.  28) e di bozzetto sibillino e un poco nonsense, che fa il paio coi giochi di parole prosodici di più ardua interpretazione (n. 30). Un tipo ricorrente è il ritratto (talvolta una vera e propria caricatura) svolto sui tratti fisici e del carattere dei soggetti descritti, che ha una variante nell’invettiva (n.  31) e nell’insulto personale; come quello che colpisce tanto più aspro nel ritmo brevissimo di una petizione di scuse (n. 32). L’altro genere prediletto è il ‹carme› d’omaggio scanzonato e irriverente. Può essere in tono ironico, come nel pezzo intitolato Nozze di latta (n. 11), scritto nel giugno 1902, nel quale s’accumulano una serie di lazzi affettuosamente scherzosi sull’età avanzata degli sposi: due personaggi che vivevano a Torre del Lago, il nobile (decaduto) Eugenio Ottolini Balbani e la signora Ida. Oppure può essere nel tono coprologico della poesia n. 20 che inneggia alla «cacca di Lucca», inviata come pezzo augurale a più persone (nel capodanno 1899 a Ramelde, ma pare anche a Caselli con la dedica, dopo la firma, «ai miei lucchesi per gli auguri del 1899» e in anni successivi recapitata anche a un altro amico, Ferruccio Giorgi). Puccini l’aveva presentata alla sorella come «ottava sublime», insieme alla seguente raccomandazione: «Devi dire al Sindaco che la faccia incidere sotto le logge», intendendo del Palazzo Pretorio in Piazza S.  Michele. Il carme intitolato Miserie della vita, e sottotitolato Dal monte dei Sagrati (n.  18), procede invece per rovesciamento continuo d’immagini e concetti che prendono le mosse dalle descrizioni idilliache dell’ambiente e dagli elogi dell’interlocutore. Il pezzo risale all’estate 1898, quando Puccini e famiglia avevano trascorso un periodo a Monsagrati, vicino a Lucca, nella villa del marchese Raffaello Mansi, e riflette l’acrimonia per la richiesta di un affitto valutato troppo esoso (dal medesimo argomento si veda anche il n. 19). Miserie della vita applica in modo sistematico la tecnica dell’antitesi, secondo una costruzione retorica che è tipica delle invenzioni pucciniane ‹sperimentali› in forma di paroliberi. Un esempio

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si legge in quella sorta di diario del viaggio di piacere in Egitto che i Puccini fecero nel febbraio 1908, con navigazione turistica sul fiume Nilo, fotografia a dorso di cammello con le piramidi di Gizeh sullo sfondo e visita a Luxor. Giacomo lo riepiloga con una filza interminabile di sostantivi, disposti in un crescendo d’enfasi emotiva bruscamente annullato dalla trivialità del verbo. Le piramidi, il cammello, le palme, i turbanti, i tramonti, i cofani, le mummie, gli scarabei, i colossi, le colonne, le tombe dei re, le feluche sul Nilo, che non è altro che la Freddana ingrandita, i fez, i rabuch, i mori, i semimori, le donne velate, il sole, le sabbie gialle, gli struzzi, gl’inglesi, i musei, le porte uso Aida, i Ramseti I, II, III etc, il limo fecondatore, le cateratte, le moschee, le mosche, gli alberghi, la valle del Nilo, l’ibis, i bufali, i rivenditori noiosi, il puzzo di grasso, i minareti, le chiese copte, l’albero della Madonna, i vaporini di Cook, i micci, la canna da zucchero, il cotone, le acacie, i sicomori, il caffé turco, le bande di pifferi e tamburoni, le processioni, i bazar, la danza del ventre, le cornacchie, i falchi neri, le ballerine, i dervisci, i levantini, i beduini, il Kedive, Tebe, le sigarette, i narghilé, l’aschich, bachich, le sfingi, l’immenso Ftà, Iside, Osiride, m’hanno rotto i coglioni e il 20 parto per riposarmi.13

La ‹rima› è anche il mezzo col quale Puccini –​schivo e reticente, nonostante il piglio all’apparenza guascone e spavaldo  –​parla di se stesso e delle cose segrete che lo riguardano. Innanzi tutto, vanno lette in quest’ottica le numerose rime in cui emergono i suoi sentimenti verso i luoghi e i paesaggi (cf. i nn. 21–​26). Nelle due quartine in endecasillabi datate 1 marzo 1902, invece, esalta in termini panico-​mitici il mito della (sua) velocità (n. 41). In un testo dell’anno seguente dal titolo emblematico, Ecce homo (n. 37), si abbandona a una riflessione cupa e pessimista sull’inanità dell’essere. Questo componimento è nato in uno dei momenti peggiori della biografia pucciniana: si era poco dopo l’incidente automobilistico nel quale aveva riportato una brutta frattura a una gamba che lo aveva costretto a parecchi mesi d’immobilità (l’incidente d’auto, un fatto ancora eccezionale, era stato oggetto di grande attenzione pubblica, con articoli e fotografie su molti giornali nazionali e stranieri) e poco prima che esplodesse l’affaire sentimental-​erotico –​il cosiddetto ‹caso Corinna› –​che avrebbe messo in subbuglio la sua vita privata. Fra l’altro, Ecce homo segna un gran salto di stile per un dilettante di poesia che si trastullava in modo giocoso con i ritmi saltellanti dei versi parisillabi e con le sonorità eclatanti della rima baciata. Il punto di maggior perfezione nello stile e nella tecnica, però, il ‹poeta› Puccini lo raggiunge in un componimento della fine del 1920, intitolato Scirocco o anche Spleen maremmano dell’ultimo dell’anno 1920 (n.  39), nel

13 Lettera alla sorella Ramelde del 18 febbraio 1908, in: Marchetti, Puccini com’era, n. 345, p. 340.

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quale proietta la desolazione dell’animo con una serie quasi ermetica di immagini dell’ambiente circostante14. Fu scritto l’ultimo giorno dell’anno, alla Torre della Tagliata: una costruzione austera con muri in pietre di età romana che sorgeva in Maremma, in un luogo spopolato sul mare all’altezza di Orbetello, che Puccini aveva acquistato per le proprie battute di caccia, e dove più spesso era costretto a periodi di solitudine assoluta, poiché i familiari si rifiutavano di abitare un luogo tanto inospitale. Da qualche tempo la pigrizia si era impadronita di lui e aveva passato mesi e mesi del 1920 senza mettere mano alla musica. Perfino la solitudine tanto apprezzata ora gli scatenava un insopportabile mal di vivere; tanto che qualche giorno prima si era confidato con un amico: «Fuori del mondo solo come un romito. Faccio la scuola del suicidio!»15 Ciononostante, poche settimane dopo, con vena poetica altrettanto felice, era già emotivamente pronto per schizzare un bozzetto affettuoso di vita sociale in una lettera di ringraziamento per una serata in casa di Angelo Magrini, l’industriale di Forte dei Marmi che è stato fra gli amici più intimi nell’ultima parte della vita del maestro (n. 40). Due componimenti, infine, offrono un consuntivo del Puccini uomo e artista. «Il Debussy fa male» (n.  36) è un’occasione per affermare in pillole i propri convincimenti estetici. «Non ho un amico» (n. 45) è l’amaro bilancio esistenziale che restituisce il senso di nostalgica inquietudine che è stato uno dei tratti caratterizzanti della sua personalità.

Nota editoriale I componimenti in versi qui di seguito pubblicati sono stati trascritti dagli originali, osservando la punteggiatura e l’uso della lettera maiuscola/​minuscola a inizio verso. Si sono sciolte tutte le abbreviazioni e i numeri si sono scritti per esteso in lettere. Sono state rispettate anche le ripartizioni originali dei versi in distici, terzine, quartine; ripartizioni editoriali analoghe –​benché non presenti negli autografi  –​sono state introdotte senza farne menzione in tutti i casi in cui sono suggerite in modo implicito dalla scansione delle rime. Quando leggibili, le varianti d’autore –​di parole, di versi, di dettato complessivo –​sono segnalate nelle note a piè pagina. La realizzazione di questo contributo è stata facilitata dalla catalogazione sistematica delle lettere e degli altri scritti di Puccini realizzata da Dieter Schickling, dal supporto copioso di fonti e informazioni fornitomi da Gabriella Biagi Ravenni, dalle intuizioni e dai suggerimenti esperti di Peter Ross. A loro un ringraziamento amichevole. 14 Lettera a Simoni del 31 dicembre 1920, in: Gara, Carteggi pucciniani, n. 785, p. 500. 15 Lettera a Schnabl del 18 dicembre 1920, ibid., n. 66, p. 109.

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1 Peretolino bevi del vino Porcelloncino di porta rossa salta la fossa bada alla scossa Fiorentinuccio bello l’astuccio mettici un luccio Cioncio sdrenito sei inviperito pien di prurito.16 2 Dice al gallo la gallina tu se’ strano stamattina Dice la chiappa all’anca fermati tu se’ stanca Dice il giardino all’orto non vedi hai l’occhio morto Dice il piano alla salita fermo lì, trippa fiorita Dice il piccione al pollo sei vecchio francobollo Dice la bocca ai denti: che inutili pendenti! Dice la pesca al fico Cristo! Che tronco antico La bietola al popone come tu sei biancone Dice la lancia al brando smetti sei venerando Il fior dice agli steli hai bianchi tutti i peli e il medico alla pazza la moglie è più ragazza

16 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​2. Trascrizione dal facsimile. «Concio» è il soprannome affibbiato da Puccini al nipote Gastone, figlio della cognata Ida Bonturi e di Giuseppe Razzi.

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E il pescator con lenze sei un vecchio di licenze Imperatori e papi figlio tu sei dei Lapi e grida il porcellino smettila poverino.17 3 Bianca e rossa, tonda e fresca il carnato l’hai di pesca Rossa e bianca, fresca e tonda ondulata testa bionda Manca il verde alla bandiera la tua età che è Primavera! Torre del Lago 18 –​ 3 –​  90118 4 A G. Razzi Bianco vegliardo della porta nostra l’età ti grava sopra la cappella Fluente barba come neve in mostra giri pel mondo colla figlia bella Carico d’anni e giovine di cuore noi ti crediamo per non dispiacerti Cerchi l’inganno nel celarti l’ore ma fede nascitura tiene il Berti19 5 Nettuno avea la barba fluente bionda e lunga barba che non mi garba barba che ha la funga Razzi dei Lapi figlio l’avea come Nettuno

7 Autografo: ibid., ms 3710/​19. Trascrizione dal facsimile. 1 18 A Bianca del Prete. Autografo: transitato nel mercato antiquario nel 2017. Edizione in: Epistolario II, n. 744, p. 531. 19 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​13. Trascrizione dal facsimile. Altra copia ibid., ms 3687/​59. In 3710/​13 il penultimo verso in un primo tempo come «cerchi l’inganno nel celare il tempo».

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cioè color del tiglio ora è contraria al bruno L’età matura ognora fa biancheggiar il petto così tutto scolora e questo è gran difetto –​20 6 Alto –​ smilzo –​ spilungone barba rada gambe strane voce bassa, ditalone sembra il re delle banane Tanta altezza e quel biondame gratta corde alle madame che si svengono al suonino bettegon d’un mandolino Alto sonante a penna tremolando Mi sembra il cavallon del grande Orlando –​! 5.V.0521 7 È dolce, è carino, è ridente, cammina un po’ stanco, elegante, dipinge, va a caccia indolente ma monta a cavallo prestante. Se passa fra mezzo alla gente sia in furia, sia trista o festante oh lui non s’accorge di niente! ore 24 del 1.12.0722 8 A Raff. Franceschini Descrive, esalta tiri a destra a manca Parla di Cecco cecco e d’Ermetino Biagineggiando in casa mena l’anca grinzoso il mento, l’occhio verdolino 0 Autografo: ibid., ms 3710/​20. Trascrizione dal facsimile. 2 21 Autografo transitato dal mercato antiquario nel 2019. Trascrizione dal facsimile. 22 A Giuseppe della Gherardesca. Autografo: Archivio Antinori. Trascrizione dal facsimile. Edizione in: Maurizio Sessa, «Andrò nelle Maremme». Puccini a caccia tra Bolgheri e Capalbio nelle lettere inedite a Giuseppe della Gherardesca e Piero Antinori (1903–​1924), Lucca (Maria Pacini Fazzi editore) 2019, n. 33, p. 222sq.

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Gambe di merlo, colorito moro Ha il sottopanno liscio come smalto Morsa è la mano, diti brunitoro Ha i denti fermati coll’asfalto Buono di cuore, tutto bamborine Non spegne il lume, pensa al Tarabori Baffi col cacio, inceronato il crine È un po’ in pensiero per i suoi tumori23 9 Tutta pitiggini piè con caliggini unghie da vizio chioma palmizio Piedi di Carlo là sulle mura nei denti il tarlo sta con bravura gambe colonne voce da foro cazzo d’Aronne testa di moro Fu per morire povero ometto or davver smetto vado a dormire.24 10 Donna ideal che a lato dello sposino biondo ché spesso andate a fondo nelle question d’amore, voglio inviarti o Carla il mio saluto amico Vorrei scrivere un plico 23 Autografo: Celle, Museo Puccini, Fondo Giaccai. Trascrizione dal facsimile. Per Tarabori cf. Puccini, Epistolario I, n. 519, nota 1. Poesia dedicata al cognato Raffaello Franceschini, coniuge della sorella Ramelde, probabilmente databile nei primi mesi del 1902, quando Raffaello subì un impegnativo intervento chirurgico. 24 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​8 r. Trascrizione dal facsimile. Doppio ritratto di Ramelde e Raffaello Franceschini, chiamati in causa con alcuni degli epiteti fissi che Giacomo era solito riservare loro (cf. il ritratto famigliare «Son tre ma sembra sei» pubblicato in: Marchetti, Puccini com’era, n. 265, p. 261sq.).

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sulle virtù preclare onde la tua persona nata sopra l’Olona è adorna tutta quanta vorrei come alla Santa Maria fra le Marie cantar le litanie e dondolando incensi in men che non si pensi affumicarti tutta così saresti brutta nascosta agli occhi miei e non vedrei più i nei che abbellano il tuo viso che sembra un paradiso tale da far peccare i santi e i cherubini gli uccelli e pesci in mare e Giacomo Puccini25 11 Nozze di latta Lui tutto grinze smilzo e barcollante Lei spelacchiata gialla e tracotante Parla una lingua, non si sa di dove S’annacqua le patate quando piove Lui colla coscia al vento batte la strada Lei marcia dietro a lui come una spada Si sposan dopo quindici o vent’anni ora che sono pieni di malanni Lei ha una bocca come una rimessa per riporci i blasoni di contessa. Lui ha niente al piano, tutto al Monte degli Ottolin Balbani è vero Conte. Nozze di latta son pari e patta Avanzo d’uomo Larva di donna Gambo di pomo Piazza Colonna! Giugno 90226 25 A Carla Righetti, moglie di Tito Ricordi, incluso nella lettera a Tito Ricordi del 23 novembre 1897. Edizione in: Puccini, Epistolario II, n. 135, p. 106. 26 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, 3710/​16, dove è associata a una busta che reca la scritta «Sor Giulio | Poesia nozze» e nel timbro

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12 La giornata di Giacosa è una lunga e strana cosa che sia fredda, che sia afosa sia giuliva o permalosa dura un’epoca vistosa!27 13 A lui che dall’alto ci domina…! Ode Al sommo sta qual picco ergendo la persona sua di micco Oh guai se lui straricco! d’un salto sarebbe a Salonicco Deve restar seduto davanti al sor Tornaghi che sta muto Proibito è lo starnuto E ancor se fuma, mai non lascia sputo.28 14 Lungo qual pioppo aprico si slancia su nei cieli parrebbe un fico antico se fosse senza peli 3.3.90429 15 Caro Morlacchi, (czeco slovacchi Lombardi e Macchi suole con tacchi farina a sacchi) gli avvisi attacchi «Giacomo Puccini –​Torre del Lago –​Pisa» e la data «29 12 03». Trascrizione dal facsimile. Gli sposi sono identificabili in Eugenio Ottolini (il ‹Sor Eugenio› della poesia n. 28) e in sua moglie Ida. 27 Versi inclusi in una lettera a Giulio Ricordi, da Torre del Lago, senza data. Autografo:  Milano, Archivio storico Ricordi. Trascrizione dal facsimile. Edizione in: Sartori, Puccini, p. 352. 28 A Armando Morlacchi, come è confermato dai versi aggiunti a seguire, a mo’ d’invio: «Caro Morlacchi | Sale e tabacchi | Gioco di scacchi | Lombardi e Macchi!». Autografo: transitato nel mercato antiquario nel 2019. Trascrizione dal facsimile. 29 Autografo transitato dal mercato editoriale nel 2019. Trascrizione dal facsimile.

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tutti d’intorno perché a Livorno coi dolci suon vi andrà Manon! Ha lei pensato uomo barbato che i vecchi canti dai cani tanti verranno emessi? Protagonista con voce mista? Mi rassicuri e se ne curi perché a Livorno non voglio scorno Pensi al tenore al direttore e tutti quanti siano coi guanti 25.1.2130 16 Quel servitore della de Grey ha del calore di Gressoney Niente capisce ma non è sordo tiene le bisce vicine al bordo E la sibilla grida un po’ forte sudore stilla chiude le porte Verso l’Alambra andremo uniti sigari ed ambra noi fumerem. E quell’Elvira col mantellone di quella pira sembra cantar –​ 30 A Armando Morlacchi. Autografo: transitato nel mercato antiquario nel 2019. Trascrizione dal facsimile.

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Anche pavone grida a quel filo gran confusione senza capir31 17 Quest’è l’imagine di Kocco Taglia prence di vaglia del Corotan Tu che sei poppica come una quaglia tesa la maglia sembri guerrier Il padre grinzico dal mento a scaglia pare sgaraglia vestito ben –​ Nina pittricola col piede in paglia sovente raglia se vuol cantar Solo la Neldola con gola abbaglia gli occhi a mitraglia del pesciatin –​ Confetti e cupole vecchi palazzi stemmi ed arazzi ma in salamoja sei da gran pezza Porca Pistoja maledizion! 15.IV.1132

31 A Sybil Seligman. Autografo: transitato nel mercato antiquario nel 2016. Trascrizione dal facsimile. 32 Poesia inviata ad Albina Franceschini, da Milano, in data 15 aprile 1911, con disegno-​ritratto all’altezza del primo verso. Autografo:  Biblioteca della Yale

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18 Miserie della vita Carme: dal monte dei sagrati! Oh come bello è il loco che a noi piace sì poco è verde fresco il sito ci viene il sobbollito gli augelli svolazzanti i fiori sfavillanti gli orecchi e gli occhi nostri son pieni di quei mostri Ci stiamo bene, anzi un monumento al Mansi di pietra stercoreica con orinali intorno –​ Viva il tranquillo forno dove coatti al cellulo vivrem fino a domenica Viva il fattor geniale colla fattoressina viso da contessina culo come orinale Qui la cicale stride l’acqua scorre tranquilla ci vorrebbe quest’anguilla per pagar l’affitto: anzi ti vò ’n culo caro Manzi33 19 Oh come è fresco il loco comodo per cremare A me costa ben poco ma preferisco il mare Dicono che a restarci vengon l’idee sublimi meglio i fossacci marci falaschi, rane, limi –​

University, Fondo Beinecke. Trascrizione dal facsimile. Edizione con imprecisioni nell’impianto metrico in: Marchetti, Puccini com’era, n. 395, p. 397sq. 33 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​11. Trascrizione dal facsimile.

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Torre che sei al di là come t’apprezzo adesso qui ci divento lesso! Beviam del ratafià! Qui coi liquori in bocca scordo gli affanni, ansi ne beverò una brocca brindando al signor Mansi A lui che dona ville con facil mano aprica vorrei con dell’ortica vorrei con cento spille fargli solazzo al culo chiamato cacapransi evviva il signor Mansi vorrei com’una spilla se ti intrippi queste anguilla te ne accorgi per davver! O tinchine o scalbatrine o anguillette o bei luccini ci vedremo spero presto telo dice un galantuomo che si chiama GPuccini Monte dei moccoli 21. luglio. 9834 20 «Ottava sublime su Lucca» Cacca di Lucca è sempre senza pecca anche se è fatta in fretta da baldracca sia gialla, nera o rossa come lacca cacca di Lucca è sempre senza pecca. Sia secca, a oliva cucca o a fil di rocca o fatta a neccio come fa la mucca il suo profumo acuto mai ci stucca cacca di Lucca è proprio senza pecca.35

4 Autografo: ibid., ms 3710/​22. Trascrizione dal facsimile. 3 35 Inclusa nella lettera d’auguri a Ramelde Puccini di fine dicembre 1898. Edizione in: Puccini, Epistolario II, n. 349, p. 263. Pare sia stata inviata anche a Caselli con

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21 Il pallone, l’aeroplano qui, a Milano vo’ veder. Ecco come il ritardo gatto pardo capitò. Ma “domenea” vengo al Bozzo, rulla il mozzo dei motor. Viva il lago dolce svago, viva il lago solo amor…36 22 Sarà la Fedra che vi trattiene sarà il lavoro che ancor non viene sarà quel sangue che per le vene vivo sobbalza per Maddalene? Il fatto è questo: v’aspetto invano segno che state bene a Milano Sorrisi e sguardi strette di mano di donne e mastri come l’Alfano. Io più non vado nella Maremma aspetto voi con molta flemma La vita è buona ma manca l’Emma simbol di donna, di donna stemma. la dedica «ai miei lucchesi per gli auguri del 1899» e più tardi all’amico Ferruccio Giorgi con lettera del 22 agosto 1920 (cf. Gabriella Biagi Ravenni/​Daniela Buonomini, «Caro Ferruccio…». Trenta lettere di Giacomo Puccini a Ferruccio Giorgi (1906–​1920), in: Gabriella Biagi Ravenni/​Carolyn Gianturco (edd.), Giacomo Puccini. L’uomo, il musicista, il panorama europeo, Lucca (LIM) 1997, p. 188). Puccini la presenta alla sorella Ramelde con la seguente raccomandazione: «Devi dire al Sindaco che la faccia incidere sotto le logge», intendendo del Palazzo Pretorio di Lucca. 36 A Antonio Bettolacci. Edizione in: Aldo Valleroni, Puccini minimo, Ivrea (Priuli & Verlucca) 1983, p. 210. La data proposta in questa edizione –​23 agosto 1905 –​è assai improbabile, poiché quel giorno e per le due settimane seguenti Puccini era in navigazione di ritorno dall’America del Sud.

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Domani è giorno di quel Forzano che il bel ricatto scrisse con mano Tito non viene verrà Cantù Se voi verrete vi do del tu 17.III.91537 23 Basta, basta di Milano me ne torno a Viareggio dove vivo meno peggio dove almeno son lontano dalla Scala, da Ricordi dai cantanti e loro affini là sul mare, là fra i pini –​ Cardellini merli e tordi cantan lieti in primavera i motivi di Puccini melodiando fino a sera La salute non ci perde vivacchiando là fra il verde E se sono stufo e pago me ne fuggo a Tor del Lago Basta basta di Milano per me è troppo fuor di mano 13. feb: 192238 24 Chi con comodo villeggia anche in fondo al mondo nuovo trova l’ovo e non la scheggia –​ Io che in terra solitaria mi recai per trar solazzo come un pazzo persi l’aria –​ Qui respiro della bruma ma non ho sul cor l’Etruria come furia che mi ruma –​ mangio e vado –​bevo e rido parlo e scrivo –​leggo e suono resto in tono e tutto sfido –​ 37 A Giuseppe Adami. Autografo: Milano, Collezione Rota-​Adami. Trascrizione dal facsimile. 38 A Sybil Seligman. Trascrizione dal facsimile. Edizione in trad. inglese in: Vincent Seligman, Puccini Among Friends, New York (Macmillan) 1938, p. 340.

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Da che vien quest’allegrezza mi par d’essere un cammello un vitello di dolcezza? Vien, che i liberi confini or circondano il mio mondo senza il pondo di M……39 25 Squarcio lirico dedicato al limo odoroso O limo verdeggiante e pien d’insetti cibo squisito all’animale nero, tu nell’estate incagli i bei barchetti strisciando sulle tavole di pero. Nella stagion del freddo ondeggi il crine a destra ed a sinistra come ossesso, si tuffan le graziose folaghine mangiandoti di gusto come il lesso. A volte il bertibello invade il campo e la tinchina viscida ci resta, tu con carezze rapide qual lampo rallegri la bestiola tanto mesta. Se all’aria esposto mandi grato odore, odor che i miei polmoni restan ebbri, qualcuno poi, davver calunniatore, ardisce dir che fai venir le febbri. Febbri maligne, tifo, perniciose son tutte storie inver da lavativo; c’è chi ha interesse a dir di queste cose, e chi sarà costui? sarà il Del Vivo. Intanto stiamo bene tutti quanti. Gianni, Ginori, Orlando, Noi, Mazzini. Sapete voi chi ha i polsi calanti? Color che per star ben non han quattrini!40 26 La folaga s’approccia tra l’una e l’altra nota

39 A Alfredo Vandini. Trascrizione dal facsimile. Edizione in: Remo Giazotto, Puccini in casa Puccini, Lucca (Akademos) 1992, p. 272. 40 A Giovacchino Mazzini. Edizione in:  Mario Puccioni, Cacce e cacciatori in Toscana. Ricordi e confessioni, Firenze (Vallecchi) 1934, p. 45sq.

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tra l’una e l’altra goccia (piove) corro, entro in barca e… bum!41 27 Le galline Fan l’ovo accoccolate ponzano e ponzano e a forza di cantate ci dan cibo a mattinate Di penne avvolte e creste ti sembran gatti pardi e invece sono meste come lo fu Leopardi Ma poi tanto è lo stesso siano qui o in un altro posto finiscon cotte a lesso oppur girate arrosto.42 28 Mi mangiano la carne che cosa devo farne? Ma io con questo pazzo ammazzo ammazzo ammazzo! E tutto il burro sparve io quelle nere larve no, no, non le strapazzo ammazzo ammazzo ammazzo! Fan guerra nel giardino m’affaccio pian pianino ed io fo loro il lazzo ammazzo ammazzo ammazzo! Il sor Eugenio è triste perché pietanze miste vorrebbe far col morto ucciso in mezzo all’orto Colei che larva pare non fa che lagrimare vuol bene agli occhi d’oro specie se fanno il coro 41 Quartina conclusiva della lettera a Renato Fucini del 21 novembre 1908. Autografo: Firenze, Biblioteca Riccardiana, Cart. Fucini 8/​52. Trascrizione dal facsimile. 42 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​9. Trascrizione dal facsimile.

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ma io con questo pazzo ammazzo ammazzo ammazzo!43 29 La Musa È moglie del Muso È sapida d’uso conosce anche il buso s’addentra in astruso –​ Se canta Caruso non sembra un intruso in luogo ben chiuso –​ ma dritta qual fuso debella l’ottuso con soffio diffuso –​ non lascia deluso se anche è un sopruso Lo sposo alla musa non è che una scusa non volli dir prima ma fu per la rima.44 30 Qual sitibonda quercia si specchia nel prepuzio colla gua[l]‌drappa guercia leggendo Aldo Manuzio così pieno di mirti il crine dei soffitti come per proibirti lodar palazzo Pitti insieme al coriolato prendere e poi ridare come il cacodilato fa bene al mal di mare.

43 Autografo: ibid., ms 3710/​3. Trascrizione dal facsimile. Versione iniziale, cancellata, del primo verso della seconda quartina: «Mi mangiano del burro». Id. per il primo verso della quarta quartina: «Il sor Eugenio piange». 44 Autografo: transitato nel mercato antiquario nel 2007. Trascrizione dal facsimile.

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Segno di casta vita l’andar verso Molfetta coll’anima ammuffita di chi la fa l’aspetta.45 31 È inutil che tu pensi tanto non ci riesci tu hai coglion melensi roba da dare ai pesci ci voglion palle dure e resistenti a venti le barbe sieno scure occhi vivaci e ardenti Ma per parlare più corto: non occhi a pesce morto46 32 Sguardi incerti verdi inerti perché soffri fiorentino? La Natura fu un po’ dura –​ Deh perdona deh condona al malato di diabete il suo verso a tempo perso Tu sei offeso vecchio obeso? e il buon giorno non lo dai passi liscio pien di piscio T’ho colpito ci hai patito? 45 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​21. Trascrizione dal facsimile. 46 Autografo: ibid., ms 3710/​6. Trascrizione dal facsimile. Il destinatario implicito di questa invettiva è Giuseppe Razzi.

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mi dispiace poveraccio pieghi il collo francobollo?47 33 «Ai banchettanti» Finitela porconi mangiate a crepapelle mi son rotto i coglioni vi vengan cacarelle Mangiaste la scialappa credo le salireste perché quando vi scappa allentate le creste Finitela porconi Salitele le scale or bastano i bocconi smettete il carnevale48 34 Gira e rigira con baldo aspetto il Pagni vile si batte il petto Impugna il vetro si versa il Whisky diventa tetro sembra che fischi Già imbianca il cielo siamo olivastri S’invoca il pelo siamo pilastri Convien calmarci cessar la bega non c’è che farci? sì c’è la sega! Ma dopo poi si resta male

7 Autografo: ibid., ms 3710/​15. Trascrizione dal facsimile. 4 48 Autografo: ibid., ms 3710/​17. Trascrizione dal facsimile.

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come due buoi nel mar glaciale Chiudo il poema gridando evviva l’aria è di crema vò nella stiva –​49 35 Ad un poeta simile la mia risposta langue Farem tutto il possibile perché non scorra sangue Penso di far qualcosa per esser maritale… D’accordo colla sposa dò un calcio all’orinale50 36 Il Debussy fa male a scriver quelle lettere già siamo in carnevale la mascarata va –​ Nascosto fra le rime c’è che non vuol sentire il pubblico alle prime l’intrigo notaril –​ Vuol delle melodie dei fatti commoventi non note centoventi per un accordo sol –​ La musica francese non desta fanatismo perché coll’onanismo s’è soli per goder Dunque sta zitto e purgati stilla le note e spremi

49 Rima inclusa nella lettera a Plinio Nomellini del 5 maggio 1900, da Torre del Lago. Autografo: Stuttgart, Collezione privata di Dieter Schickling. 50 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​12. Trascrizione dal facsimile.

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cerca col pugno i temi noi ci freghiam di te. 3.2.1051 37 Ecce Homo Affaticati pur che arrivi, arrivi! Logorati per te per chi ti è caro opra di braccia, corri il mondo, scrivi nuota a salvarti, nuota verso il faro Febbre, tormenti, mai raggiunto bene! Gioie che sono stigmate dolenti amore, gloria, affetti! Quante pene pria d’arrivare al fine quanti stenti E il mondo è lì col suo cinismo eterno Non curante le botte che sopporta nasce e trapassa tutto! Sol lo scherno riman per noi che siam natura morta! Affaticati pur che arrivi o forte della sapienza al colmo e di fortuna Arrivi, arrivi… al tuo guancial di morte! Altri s’avanzan già per la laguna! 4.903 –​Torre del Lago52 38 Cadde la sera verde lasciando sul suol fecondo pleiade vasta di merde come Oreste al partenone assiso ritratto a nudo sopra marmo liscio si bagna con l’etera in guado fiso bevendo a larghi sorsi biondo piscio Tale la sorte di chi ama e gode di chi spera a morte!53 51 A Antonio Bettolacci. Autografo: Roma, Biblioteca Nazionale Centrale, A.152.9, n. 276827. Trascrizione dal facsimile. 52 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​14. Trascrizione dal facsimile. 53 A Giuseppina Boari. Autografo: Lucca, Museo di Casa Puccini, Fondo Marsili. Trascrizione dal facsimile. Puccini scrive questi versi di traverso sulla facciata a fronte di un foglio in cui si legge il frammento di una scena drammatica (un abbozzo teatrale? o di un libretto d’opera?) scritto da un’altra mano, che potrebbe essere di Gabriele d’Annunzio. Una terza mano ha scritto l’indirizzo sul retro del foglio.

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39 Alla Tagliata Scirocco!… Spleen maremmano dell’ultimo dell’anno 1920 O falsa primavera di maremma!!!…… Planan pel cielo i falchi ad ali tese Pecore a branchi e vacche tutta flemma disseminate fino a Maccarese. Voraci corvi spolpano carogne; dai paduli vicini odor di fogna! Mare che tronchi ed alghe lascia a riva e avanzi di tragedie della stiva. Boschi di cerri, sondri e di mortelle, marruche che ti strappan via la pelle!…… Oggi scirocco marcio, fiacca schifa!!…… lontan grugna il cignal, stride la fifa. E quei cavalli stanchi sul margine dei fossi? Com’è pesante l’aria! Come ti stronca gli ossi! O amici state attenti alla malaria!!!!……54

54 Il testo fu inviato a Renato Simoni in data 31 dicembre 1920. Dattiloscritto originale: Milano, Biblioteca Teatrale Livia Simoni, Museo Teatrale alla Scala. Trascrizione dal facsimile. Edizione in: Gara, Carteggi pucciniani, n. 785, p. 500. Prima stesura del penultimo verso: «come ti stanca gli ossi!» La versione seguente, ridotta, che si legge in due copie manoscritte datate 28 (autografo transitato nel mercato antiquario nel 2007) e 29 dicembre 1920 (autografo: Biblioteca della Yale University, Fondo Beinecke), è pubblicata in: Sartori, Puccini, p. 358: O falsa primavera di maremma!!!…… Planan pel cielo i falchi ad ali tese Pecore a mille e vacche tutte flemma disseminate fino a Maccarese, boschi di lecci e sondri e di mortelle, marruche che ti strappan via la pelle, cavalli stanchi su pei morti fossi, branchi di corvi spolpatori d’ossi.    Oggi scirocco marcio,     come è pesante l’aria!     O amici state attenti alla malaria!

Il 13 gennaio 1921 Puccini riprendeva alcune immagini di Scirocco nella lettera in versi in cui chiedeva a Carlo Paladini di occuparsi della vendita della Torre della Tagliata: «Son partito di maremma, | dalla falsa primavera, | dove vacche tutta flemma | van su e giù da mane a sera» (cf. Paladini, Giacomo Puccini, n. 38, p. 152).

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40 O dolce sera in casa dei Magrini! Al fuoco sotto lampade a bilancia stan la signora Erminia e il suo Angiolino con Cecco irsuto e il prete colla pancia, Gigi il tremoto e il follettin Carlino. Entra la Pia con passo silenzioso, porta caffè rosóli e sigarette Suonan all’uscio: è il Pea che malizioso sorride a tutti i successor di Frette.55 … c’è anche la Dama sopra una poltrona… … non è vestita in gonne e corsettini… … non è onesta, non è porcellona… Tranquilla sor Erminia, è a quadrettini… E Cecco ed Angiolino sgranan gli occhi, avidamente allungano le dita, dopo che l’hanno presa sui ginocchi, si sfogano con farci la partita. E a fine d’anno a voi chiesi ristoro fiaccato dalla landa maremmana! Trovai di gentilezze tale un coro, ché vi rimasi fino alla Befana. 15.1.192156 41 Mandolinando lungo un fresco fiume lancio le gambe a passi da gigante Va la corrente ma ci passo avante e fo morir d’invidia anche le schiume Se tira vento, il vento si vergogna come bufera abbatto campi e boschi Perfino la giraffa ha gli occhi foschi Pegàso fè sua morte nella fogna 1/​3  -​90257

5 Qui Puccini collega l’annotazione «L’antico proprietario del villino». 5 56 Inviata a Erminia Magrini il 15 gennaio 1921. Autografo: Biblioteca della Yale University, Fondo Beinecke. Trascrizione dal facsimile. Edizione in: Panichelli, Il «pretino» di Giacomo Puccini racconta, p. 228, in: Magri, Puccini e le sue rime, p. 203 e in: Sartori, Puccini, p. 358sq. 57 A Antonio Bettolacci. Autografo: transitato dal mercato antiquario nel 2019. Trascrizione dal facsimile.

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42 Se teco dell’amor venissi all’atto che ti direi che non t’avesser detto, che ti farei che non t’avesser fatto?58 43 Le mie pinelle son di carta pesta purtroppo è ver ché tutto in noi s’intrista ma quelle di certune (oh cosa mesta) son ossi o porcellana del dentista59 44 Vecchia carcassa, eccoti l’effigie dell’avanzo di gioventù passata, pur troppo, come il manzo d’estate lasciato senza cuocere mezza giornata addio dolce sirocchia si questa è la capocchia di Giacomo Puccini che uno lo tienghi e l’altro lo strini. Torre del Lago 27 Ottobre 189460

58 Autografo: Lucca, Biblioteca statale, Fondo Bonturi-​Razzi, ms 3710/​8 v. Trascrizione dal facsimile. 59 A Ramelde Franceschini. Autografo: Celle, Museo Puccini. Trascrizione dal facsimile. Edizione in: Guglielmo Lera, Celle dei Puccini. Guida al Museo, Lucca (Promolucca) 1995, n. 14, p. 62. 60 Poesia scritta su un fotoritratto inviato alla sorella Ramelde. Autografo: Celle, Museo Puccini. Edizione in: Puccini, Epistolario I, n. 485, p. 353. Puccini ha poi ripreso il distico finale nella firma di un pezzo per pianoforte, intitolato Torre del Lago, con data 1904: «Giacomo Puccini | che uno le prenda | e l’altro lo strini».

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45 Non ho un amico mi sento solo anche la musica triste mi fa –​ Quando la morte verrà a trovarmi sarò felice di riposarmi –​ Oh com’è dura la vita mia eppure a molti sembro felice ma i miei successi? Passano e… resta ben poca cosa –​ Son cose effimere la vita corre, va verso il baratro chi vive giovane si gode il mondo ma chi s’accorge di tutto questo? Passa veloce la giovinezza e l’occhio scruta l’eternità –​ 3.3.2361

61 Facsimile dell’autografo in: Leopoldo Marchetti (ed.), Puccini nelle immagini, Milano (1968), n. 308. Trascrizione dal facsimile. Edizione (con diverse imprecisioni) in: Sartori, Puccini, p. 359.

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Giacomo Puccinis Trittico: Drei Einakter und die Krise der Oper nach Wagner Wer gegen Ende des 19. und am Anfang des 20.  Jahrhunderts in Europa Opern komponierte, tat dies zumindest unausgesprochen, wenn nicht gar ausdrücklich in einer Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners. Das galt selbst für offene Wagner-​Gegner wie Giuseppe Verdi, erst recht aber für leidenschaftliche Wagner-​Anhänger insbesondere in der jüngeren Generation. Sie sahen sich konfrontiert mit der Doktrin der Bayreuther Nachlassverwalter unter Anführung von Cosima Wagner, dass neue ernsthafte Opern nach dem Werk des Meisters eigentlich überhaupt nicht mehr möglich seien. Daran hielten sich nicht nur so bedeutende Wagner-​Verehrer wie Anton Bruckner oder Gustav Mahler, sondern immerhin auch der Wagner-​Gegner Johannes Brahms, während der vom Bayreuther Lehramt gerade noch geduldeten Gattung der Märchenoper nur ein bescheidener Beitrag im Werk des Wagner-​Sohns Siegfried vergönnt war. Die einzige prominente Ausnahme blieb hier bis heute Hänsel und Gretel des Wagner-​Adepten Engelbert Humperdinck. Daneben gab es natürlich manche Versuche, die übermächtigen Vorbilder Wagners auf der Opernbühne zu überwinden und epigonale Plattitüden zu vermeiden. In Frankreich geschah dies vor allem in einer modernen Weiterentwicklung der schon sehr viel älteren Opéra comique mit ihren teilweise gesprochenen Texten, von Georges Bizets Carmen, Jacques Offenbachs Les contes d’Hoffmann und einigen sehr erfolgreichen Opern Jules Massenets bis zu Claude Debussys Pelléas et Mélisande, in Deutschland mit den Einaktern Feuersnot, Salome und Elektra von Richard Strauss, der erste eine groteske Satire inklusive Wagner-​Parodien, die beiden anderen alptraumhafte Skandalstücke mit einem enormen orchestralen Aufwand, der darin selbst Wagners späte Werke in den Schatten stellte, denen sie musikalisch gleichwohl nicht ganz fern standen. Die Entwicklung in Italien ist schwerer zu beschreiben. Die um 1860 geborenen Musiker waren durchweg Wagnerianer und befanden sich damit in ausdrücklicher Distanz zur Generation ihrer Väter und Großväter, zu Verdi ebenso wie erst recht zu populären Opernkomponisten wie Rossini, Donizetti, Bellini, Mercadante. Dabei kannten sie das Werk des Deutschen zunächst fast alle eher aus den gängigen öffentlichen Kontroversen als aus eigener Anschauung: in den 70er und frühen 80er Jahren gab es in Italien kaum ein Dutzend Aufführungen von Wagner-​ Opern, überwiegend von

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Lohengrin, von den späten Werken überhaupt keine1. Allerdings waren gegen Ende dieses Zeitraums alle Stücke als Klavierauszüge mit italienischem Text verfügbar, eine gerade im Fall von Wagner bescheidene, aber für Musiker die damals gängige und praktisch einzige Möglichkeit, sich mit einem neuen Werk vertraut zu machen. Alle diese Klavierauszüge erschienen im Mailänder Verlag Lucca, der in Italien die Rechte an Wagners Werken besaß. Dessen Eigentümerin Giovannina Lucca war mit Wagner befreundet und propagierte sein Werk nachdrücklich. Damit befand sie sich in klarem Gegensatz zu Verdis Hausverlag Ricordi, der publizistisch alles tat, um seinem wichtigsten Autor und dessen italienischer Tradition nicht nur in Italien, aber zumindest dort, den Vorrang zu verschaffen. Einige mehr oder weniger miteinander zusammenhängende Ereignisse im Jahr 1883 trugen dazu bei, die Opernszene in Italien mittelfristig erheblich zu verändern. Nur wenige Wochen nach Wagners Tod in Venedig begann Mitte April die Italien-​Tournee eines kompletten deutschen Ensembles unter Leitung des Impresarios und Leipziger Operndirektors Angelo Neumann, das unter erheblichem logistischen Aufwand zum ersten Mal den kompletten Ring des Nibelungen auf Deutsch innerhalb eines Monats in fünf italienischen Städten aufführte:  Venedig, Bologna, Rom, Turin, Triest2. Das von überschwänglicher Begeisterung bis zu höhnischer Ablehnung reichende Presse-​Echo richtete die öffentliche Aufmerksamkeit erneut auf den deutschen Theaterrevolutionär, und zwar gerade auf sein in Italien bis dahin fast unbekanntes Hauptwerk. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wurde ihm insbesondere vorgeworfen, mit seinem Vorrang des Orchesters gegenüber den Sängern fundamentale Regeln der Operntradition zu missachten, womit natürlich die italienische Oper des 18. und 19. Jahrhunderts gemeint war. Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass im selben Monat der dritte und neben Ricordi und Lucca weniger bedeutende Mailänder Musikverlag Sonzogno (er wurde vor allem erfolgreich durch den Erwerb der Rechte an neuen französischen Opern) in seiner Zeitschrift Il teatro illustrato einen an junge italienische Musiker gerichteten Wettbewerb ausschrieb, dessen Ziel das gerade Gegenteil von Wagners Riesen-​Epos war:  eine Oper in einem Akt, deren Gegenstand idyllisch, ernst oder heiter sein dürfe (»idilliaco, serio o giocoso«)3. Es ist gewiss nicht weit hergeholt, darin unausgesprochen antiwagnerische Überlegungen zu sehen, angeregt oder zumindest beflügelt durch 1 Cf. Ute Jung, Die Rezeption der Kunst Richard Wagners in Italien, Regensburg (Bosse) 1974, vor allem pp. 183–​187. 2 Cf. ibid., pp. 171–​180. 3 Zitiert nach Mario Morini/​Piero Ostali jr., Cronologia della Casa Musicale Sonzogno, in: Mario Morini et al. (edd.), Casa Musicale Sonzogno. Cronologie, saggi, testimonianze, Milano (Sonzogno) 1995, vol. 1, pp. 293–​424: 305.

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die öffentlichen Reaktionen auf die italienische Ring-​ Tournee. So heißt es in der Ausschreibung, die Musik der einzusendenden Partituren müsse erfüllt sein von der guten Tradition der italienischen Oper, allerdings ohne den Fortschritt der zeitgenössischen nationalen und ausländischen Klangkunst zu missachten (»La musica dovrà essere inspirata alle buone tradizioni dell’opera italiana, ma senza rinunciare ai portati della scienza dei suoni contemporanea, così nostrale che straniera«)4. Die im Sonzogno-​Wettbewerb verlangte knappe Erzählform des Einakters war im 19.  Jahrhundert zwar nicht neu, hatte aber eine ganz andere Tradition. Nahezu ausschließlich fand sie sich in Werken des komisch-​ volkstümlichen Genres, etwa der spanischen Zarzuela und der Pariser Operette, vor allem in den frühen Stücken Offenbachs, und bei deren ersten Wiener Nachfolgern wie Franz von Suppé. Idyllisch oder ernst im Sinn von Sonzognos Ausschreibung waren Operneinakter dagegen praktisch noch nie gewesen. Inhaltlich stellte diese Ausschreibungs-​Anforderung sie gleichsam auf die Höhe von Wagner, formal übte sie aber insgeheim Kritik an dessen exorbitanten Längen. Wir mit unserer großen alten Operntradition, so hieß die Botschaft, wollen der Welt beweisen, dass es auch nach Wagner möglich ist, bedeutende Werke gänzlich anderen Charakters zu schreiben. Bei den jungen italienischen Komponisten und Musikstudenten, die überwiegend vom selben Problem umgetrieben wurden, blieb das nicht ohne Wirkung. Sollte sich hier eine mögliche Lösung anbieten? Einer von ihnen und bald der wichtigste war Puccini. Wenige Wochen nach der Sonzogno-​Ausschreibung und der Ring-​Tournee beendete er sein Studium am Mailänder Konservatorium. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er kurz zuvor den Zyklus ganz oder teilweise gesehen hat: Bologna etwa war mit der Bahn von Mailand aus leicht zu erreichen. Allerdings gibt es dafür keinen Beleg, und Puccini hat den Ring bei seinen drei Bayreuth-​Besuchen (1888, 1889 und 1912) nicht gesehen und ihn auch nie unter den von ihm besonders geliebten Werken Wagners genannt  –​das waren Tristan und Isolde, Die Meistersinger von Nürnberg und Parsifal, interessanterweise aber auch nicht der in Italien vergleichsweise populäre Lohengrin. Seit Beginn seines Studiums hatte Puccini sich um einen engeren Kontakt mit Giovannina Lucca bemüht, der Statthalterin Wagners in Italien –​vergeblich, und auch nach dem Examen fühlte er sich zu wenig von ihr unterstützt5. Jedenfalls folgte er kurz darauf ziemlich spontan dem Rat seines Kompositionslehrers

4 Ibid., p. 306. 5 Siehe Puccinis Briefe von Ende Juli 1883 in: Giacomo Puccini, Epistolario I 1877–​ 1896, edd. Gabriella Biagi Ravenni/​Dieter Schickling, Firenze (Olschki) 2015, nn. 26–​30.

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Amilcare Ponchielli, sich an Sonzognos Wettbewerb zu beteiligen. Ponchielli stand gewissermaßen für eine mittlere Position:  Er war kein Wagner-​Fan, aber auch kein entschiedener Wagner-​Gegner. Vor allem aber war er einer der fünf Juroren des Wettbewerbs, und er vermittelte Puccini gleich auch einen in der modernen italienischen Oper erfahrenen Librettisten, Ferdinando Fontana, dessen übrige Texte samt ihren Vertonern heute allerdings völlig vergessen sind. Puccini beschäftigte die Komposition seiner in dieser Zusammenarbeit entstandenen ersten Oper Le Villi für den Rest des Jahres, buchstäblich bis zum letzten Abgabetermin, dem 31. Dezember 1883. Obwohl sie im Wettbewerb keinen Preis erhielt, fanden sich ein paar Privatleute, die mit Spenden eine Aufführung finanzierten. Diese erzielte einen für den fast unbekannten Newcomer bemerkenswerten Erfolg und konnte sogleich noch dreimal wiederholt werden. Daraufhin erwarb der Verlag Ricordi die Publikationsrechte an dem neuen Stück, drängte aber Puccini, es so zu erweitern, dass es zweiaktig und abendfüllend werden möge, was jedoch nur teilweise gelang6. Schon die Art der Präsentation bei der Uraufführung hatte eines der gravierenden Probleme der ›neuen‹ Gattung Einakter gezeigt: den Villi voraus ging die ausgewachsene vieraktige Oper Ruy Blas von Filippo Marchetti, und es folgte noch ein Ballett namens La contessa d’Egmont. Das heißt:  Aller Erfolg genügte nicht, um einen Einakter für sich allein stehen zu lassen, für einen ganzen Opernabend brauchte er irgendeine Ergänzung. Dieses Schicksal widerfuhr sogar dem bald berühmtesten und bis heute bei weitem erfolgreichsten Stück der Gattung, Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana. Es gewann den zweiten Sonzogno-​ Wettbewerb von 1888–1890 und sah sich bald an Ruggero Leoncavallos verhältnismäßig kurze Pagliacci (1892) gekoppelt wie an einen siamesischen Zwilling. Solche Widrigkeiten taten der zunehmenden Attraktivität des Wettbewerbs jedoch keinen Abbruch:  Die Zahl der Einreichungen vervielfachte sich, von 20 auf bereits 60 beim dritten Wettbewerb 1890–​1893, 237 gar 1902–​1903 beim vierten und letzten (der allerdings nicht auf italienische Teilnehmer beschränkt war). Anhaltenden Erfolg hatte außer dem Paar Mascagni/​Leoncavallo letzten Endes keines dieser Stücke. Ein Blick auf Puccinis Villi mag helfen, die historischen Bedingungen der Einakter-​Konjunktur in Italien am Ende des 19.  Jahrhunderts und einige ihrer musikdramatischen Kriterien besser zu verstehen. Zunächst fällt die

6 Zur ursprünglichen Form von Le Villi siehe Dieter Schickling, Die Urfassung von Giacomo Puccinis »Le Villi« –​Eine Rekonstruktion, in: Marco Capra (ed.), Una piacente estate di San Martino. Studi e ricerche per Marcello Conati, Lucca (LIM) 2000, pp. 307–​314.

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äußerste Knappheit des Stücks auf. In seiner rekonstruierbaren Urfassung dürfte es nicht mehr als 45 Minuten gedauert haben, davon fast eine Viertelstunde reine Orchestermusik, nämlich die Präludien zur ersten und zweiten Szene und eine zweiteilige Zwischenaktmusik, die die beiden zeitlich Monate auseinander liegenden Bilder miteinander verbindet. Auffälligerweise gibt es keine einzige Arie, nicht einmal für Sopran und Tenor (beide hat Puccini später nachkomponiert). Nur der Bariton hat eine Soloszene mit kurzen Ansätzen zu einer Arie im Stil des mittleren Verdi, die aber nicht ausgeführt wird. Ansonsten gibt es nur handlungsbedingte Chor-​und Dialogszenen. Das ist das Wagner geschuldete Konzept eines Musiktheaters jenseits der verachteten Belcanto-​Tradition. Am deutlichsten wird das im vergleichsweise großen Umfang der rein orchestralen Stücke, vor allem im ausdrücklich »Parte Sinfonica« genannten Intermezzo, wie es von nun an geradezu verbindlich für die moderne italienische Oper wird –​es erscheint bald in den enorm erfolgreichen Kurz-​Werken Cavalleria rusticana und Pagliacci ebenso wie in Puccinis eigener Manon Lescaut, ja sogar noch in Madama Butterfly. In der zeitgenössischen Kritik wurde das durchaus als Annäherung an den deutschen sinfonischen Zeitgeist empfunden, obwohl doch die Kürze der Stücke alles andere als wagnerisch war. Die jungen italienischen Komponisten haben aber vielleicht gerade darin einen Ausweg gesehen: mit Wagners musiktheatralischen Mitteln zu arbeiten, aber zugleich die pure Kopie des Vorbilds formal zu vermeiden. Das mag das anfangs zwar geringe, aber über die Jahre wachsende Interesse an Sonzognos Einakter-​Wettbewerb erklären, obwohl die dabei entstehenden Stücke im Theateralltag durch ihre geringe Dauer manche Probleme verursachten. Puccini hat in den folgenden 30 Jahren keine Einakter mehr komponiert, und die Villi wurden trotz der noch lange selbst außerhalb Italiens anhaltenden Mode nicht allzu oft aufgeführt, wenn auch sogar auf Deutsch, Polnisch und Englisch7, und natürlich immer in Kombination mit anderen Stücken. Puccini scheint bald die Lust an seinem Erstling verloren zu haben, nach dem Beginn des Erfolgs von Manon Lescaut (1893) hat er, soweit wir wissen, keine der wenigen Vorstellungen der Villi mehr gesehen. Aber der Gedanke an die in der Einakter-​Idee subversiv enthaltene Möglichkeit der Wagner-​ Rezeption unter gleichzeitiger Überwindung Wagners arbeitete anscheinend in ihm weiter. Immer wieder tauchen in den folgenden scheinbar regelkonformen abendfüllenden Opern dramaturgische Elemente des Einakters auf. In Manon Lescaut wird die Geschichte des Liebespaars in einzelne Situationen fragmentiert, ein ganzer geplanter und teilweise schon komponierter

7 Cf. Alfred Loewenberg, Annals of Opera 1597–​1940, London (Calder) 31978, col. 1112.

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Akt wird gestrichen, was den Charakter von Diskontinuität verstärkt. In La bohème, die aus drei zeitlich ziemlich weit voneinander entfernten Handlungsteilen besteht, werden die vier Akte nicht als solche bezeichnet, sondern als »quadri«, »Bilder« (im Doppelsinn von Gemälden und Theaterszenen), was ihre Aufspaltung in erzählerische Einzelstücke unterstreicht. Madama Butterfly leitet sich ab von einem Theaterstück in einem Akt, aus dem in der Oper nach allerlei komplizierten Umwegen bei der Entwicklung des Li­ brettos zwei Akte werden, zwischen denen drei Jahre liegen und die man als aufeinander folgende Einakter verstehen könnte und nicht eben als eine kontinuierliche Erzählung im traditionellen Sinn. Aber Puccini kam bald auch im engeren Sinn auf die Einakter-​Idee zurück. Unmittelbar nach dem Uraufführungsfiasko von Madama Butterfly in Mailand und der zweiten, erfolgreichen Inszenierung in Brescia erwähnte er in einem Brief8 unter möglichen neuen Stoffen nebenbei die Novellen von Maxim Gorki. Seit er sie über ein Jahr zuvor zum ersten Mal gelesen hatte9, waren sie ihm offenbar gegenwärtig geblieben. Jetzt sah er darin die Möglichkeit, das Tragische und Gefühlvolle mit dem Komischen zu mischen (»il tragico e sentimentale mescolati al comico«)  –​das klingt sehr nach dem »idilliaco, serio o giocoso« des Sonzogno-​Wettbewerbs, nun aber (wie bei Wagner) nicht mehr getrennt, sondern miteinander vereint, allerdings in verschiedenen Umgebungen (»ambienti differenti«) spielend. Was auf den ersten Blick schwer zu verstehen ist, enthüllt sich beim zweiten als eine für Puccini ganz neue Idee: Er dachte an drei Einakter verschiedenen Charakters an einem Abend. Davon erhoffte er sich Unerhörtes:  »anelo qualcosa di grande, di nuovo, di emozionante e di non mai visto«. Zunächst überraschend ist, dass er dabei ein bestimmtes historisches Ambiente ausdrücklich ausschloss: »Al medioevo non credo«. Vordergründig lässt sich das lesen als eine vorsorgliche Abwehr gegen den Adressaten des Briefs, Valentino Soldani, der Puccini zur Komposition eines seiner historischen Dramen überreden wollte, insbesondere über die heilige Margherita von Cortona, die vor ihrem Eintritt ins Kloster in ihrer Jugend jahrelang eine Liebesbeziehung mit einem verheirateten Adligen unterhalten und ihm einen Sohn geboren hatte –​der Gedanke an Puccinis künftige Suor Angelica liegt auf der Hand. Doch die Mittelalter-​Abneigung mag noch einen weiteren Grund haben. Im November 1900 war in Genua die Oper Medio evo latino des jungen aus Argentinien stammenden Ettore Panizza (geboren 1875) uraufgeführt worden, der bald danach eine internationale Karriere als Dirigent begann und

8 Am 28. Juni 1904 an Valentino Soldani, in: Eugenio Gara (ed.), Carteggi pucciniani, Milano (Ricordi) 1958, n. 387. 9 Cf. ibid., n. 310, im März 1903 an Luigi Pieri.

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als solcher nicht nur von Puccini geschätzt wurde. Davor hatte er vier Opern komponiert, die aber alle bald in Vergessenheit gerieten. Von der Uraufführung der zweiten Oper Panizzas, eben Medio evo latino, nahm Puccini beiläufig Kenntnis10, weil der Librettist dieser »trilogia« sein damals engster Mitarbeiter Luigi Illica war. Er hat die Aufführung sicher nicht gesehen, aber sehr wahrscheinlich zumindest das gedruckte Libretto gelesen, wenn nicht gar den ebenfalls bei Ricordi erschienenen Klavierauszug. Medio evo latino ist das einzige mir bekannte Beispiel eines Opernabends aus drei Einaktern, lange vor Puccinis Trittico. Illica nennt diese Idee in seinem Vorwort zum Libretto »audace forse, non strana, e per virtù della sua audacia appunto (giova confessarlo?) tentata«. Aus dem Konzept ergebe sich die Form der Trilogie in ihren drei Teilen: »Le Crociate, –​l’Italia; Le Corti d’Amore,  –​la Francia; L’Inquisizione,  –​la Spagna«. Diese Idee ist in der Operngeschichte tatsächlich kühn, aber ihre Ausführung hält damit nicht Schritt. Die drei Teile, die jeweils rund zweihundert Jahre voneinander entfernt spielen, sollen dem Titel entsprechend zusammen so etwas wie ein Panorama des Mittelalters in den drei ›lateinischen‹ Ländern zwischen 1000 und 1500 darbieten. Das geschieht jeweils in einer einzigen Szene, aber mit Personen, die über die Einzelteile hinweg in sehr verwandten Konstellationen erscheinen, zweckmäßigerweise passend zur üblichen Sängerbesetzung der italienischen Opernkompanien: Sopran –​Tenor –​Bariton, in den Nebenrollen ergänzt durch Mezzosopran und Bass, und immer ist auch ein Chor dabei. Das Ganze wirkt wie auf dem Reißbrett konstruiert, es gibt keine individualisierte Charakterisierung von Personen, anstelle einer wirklichen Handlung werden szenische Tableaus aneinander gefügt, die dem Komponisten die Bildung klassischer Musiknummern erlauben, gleichförmig in allen drei Teilen. Vergleicht man das Libretto von Medio evo latino mit dem von Illica und Giuseppe Giacosa nur wenig früher fertiggestellten zu Tosca, so lässt sich die enorme Bedeutung ermessen, die die intensive Einmischung des Komponisten für die Qualität von Illicas Libretti gehabt haben mag: Ohne Puccini (Giacosa beschränkte sich vor allem auf die elegante Versifizierung von Illicas Text-​Entwürfen) waren sie von eher dürftiger Qualität, Dutzendware im wahrsten Sinn des Wortes. Es war allein Puccini, der aus dem Vielschreiber Illica den Librettisten machte, dessen Name man heute noch kennt. Und das liegt nicht nur an Puccinis Musik, sondern auch an seinem dramaturgischen und literarischen Instinkt, mit dem er sehr schnell begriff, dass Illicas

10 Giacomo Puccini, Epistolario II 1897–​1901, edd. Gabriella Biagi Ravenni/​Dieter Schickling, Firenze (Olschki) 2018, n. 689, Ende November 1900.

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bescheidener Formalismus für die in dem Konzept des Drei-​Einakter-​Abends liegenden Möglichkeiten ganz unzureichend war. Dennoch war es naheliegend, dass Puccini nach Madama Butterfly zunächst mit Illica über seine jüngste Idee diskutierte. Dessen Arbeitsweise war ihm schließlich seit mehr als einem Jahrzehnt vertraut, und er hatte mit ihm zusammen vier erfolgreiche Opern hintereinander geschaffen. Der Vorschlag eines möglichen Sujets aber kam von Puccini, nicht von Illica: Erzählungen von Maxim Gorki, neueste Literatur aus Russland, entstanden in den neunziger Jahren und erst kürzlich in verschiedenen Sammlungen auf Italienisch erschienen. Im September 1904 tauchten in der Korrespondenz konkrete Titel auf: La zattera (deutscher Titel Die Holzflößer), 26 panattieri oder 26 per una (Sechsundzwanzig und eine), Lo zingaro (wahrscheinlich Makar Tschudra), Kan e suo figlio (Der Chan und sein Sohn), Konovalov11. Offenbar blieb das Projekt noch eine ganze Weile in der Diskussion, zeitweise auf zwei Titel eingeschränkt, aber verbunden mit Puccinis Wunsch, Gorki direkt um einen dritten Vorschlag zu bitten. Selbst der meist eher skeptische Giacosa fand Gefallen an der Idee. Schließlich aber scheiterte das Gorki-​Triptychon aus zwei Gründen: Giacosa, den Puccini als unersetzlich für eine Zusammenarbeit mit Illica ansah, erkrankte schwer (er starb im September 1906), und von Giulio Ricordi, dem auch als fachliche Autorität übermächtigen Verleger, kam ein »quasi veto«12, vielleicht nicht nur gegen den revolutionären Schriftsteller Gorki, sondern wohl auch wegen des geringen Erfolgs von Illica/​Panizzas Vorläufer-​Stück. Es ist bemerkenswert, dass Puccini dennoch lange an das Projekt dachte und sich viele Jahre später wieder daran erinnerte13. Sicher faszinierten Puccini an den Erzählungen Gorkis auch die gesellschaftlich bis hin zur Strafbarkeit fragwürdigen Inhalte: eine Frau zwischen mehreren Männern sehr verschiedenen Alters, sexueller Missbrauch, Verführung, auch einer Minderjährigen. Das passt zu anderen Projekten, mit denen Puccini sich in der Zeit nach der ja nicht ganz unähnlichen Madama Butterfly beschäftigte:  Conchita nach dem Roman La femme et le pantin (1898) von Pierre Louÿs oder Oscar Wildes nur aus einer Szene bestehendes Dramenfragment A Florentine Tragedy, beide ebenfalls wohl nur als Teile eines Opernabends gedacht, also zu dem Einakter-​Projekt gehörend. Puccini hat diese über recht lange Zeit verfolgten Projekte schließlich verworfen.

11 Cf. Gara, Carteggi pucciniani, nn. 394–​399; Puccinis Schreibung der italienischen Titel ist hier nach den Brief-​Originalen in der Biblioteca comunale Passerini Landi, Piacenza (I-​PCc), korrigiert. 12 Unveröffentlichter Brief Puccinis an Illica vom 29.11.1905, I-​PCc. 13 Unveröffentlichter Brief an Illica vom 26.2.1913, I-​PCc.

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Vielleicht fürchtete er dann doch das gesellschaftlich Anrüchige. Offenbar hat ihn auch geschreckt, dass die aktuelle Skandaloper Salome, deren amerikanische Erstaufführung während seines Aufenthalts im Januar 1907 in New York stattfand, in den prüden Vereinigten Staaten sofort danach abgesetzt wurde. Puccinis eigene Opern, die dieser Phase der Stoffsuche folgten, La fanciulla del West und La rondine, berühren zwar ebenfalls die Ränder gesellschaftlich üblicher Sexualbeziehungen, meiden jedoch letzten Endes derartig skandalöse Verhältnisse. Es bleibt interessant genug, dass Puccinis Interesse an einem Einakterabend sich aber nicht allein auf Thematisches bezog, vielleicht nicht einmal in erster Linie. Der Abschied von den Gorki-​, Louÿs-​und Wilde-​Stoffen war angeblich vor allem äußerlichen Erwägungen geschuldet: »non trovai pratica la cosa –​3 cose differenti che poi sarebbero state eseguite dai med[esi]mi artisti toglieva l’illusione e nuoceva alla verità rappresentativa«14. Dennoch blieb der Gedanke virulent und löste sich schließlich ganz von der Vorstellung eines irgendwie manifesten inhaltlichen Zusammenhangs. Als Puccini nach der langen Beschäftigung mit der Komposition und den ersten Aufführungen der Fanciulla del West und der weitgehenden Fertigstellung von La rondine sich nach einem neuen Stoff umzusehen begann, stieß er ganz unerwartet auf ein einaktiges Bühnenstück, das das alte Projekt wieder zum Leben erweckte:  La houppelande von Didier Gold. Puccini sah das Stück vermutlich 1912 im Pariser Théâtre Marigny. In den bisher bekannten Briefen wird es zum ersten Mal im Jahr darauf gegenüber Illica erwähnt, da schon unter Nennung einer Ergänzung:  »che ne dici di due opere una comica e una apache  –​da eseguirsi in una sera?«15. Drei Tage später ist sein Vorschlag für die komische Oper, nach dem Stück La comédie de celui qui épouse une muette von Anatole France, offenbar nach Einwänden Illicas schon wieder verworfen, dagegen besteht Puccini auf La houppelande (»insisto«), jetzt von ihm außer als »apache« auch noch charakterisiert als »Grand Guignol«16. Beide Bezeichnungen treffen die Sache übrigens nicht wirklich: »apache« meint eine Art Gaunersprache, eine Verballhornung zum Zweck der Unverständlichkeit für Außenstehende –​Golds Text ist so nicht zu charakterisieren, Puccini meint wohl einfach eine ›niedere‹ volkstümliche Umgangssprache. Und »Grand Guignol«, zur Gattungsbezeichnung gewordener Name eines legendären Pariser Kleintheaters, bedeutet ein schockieren

14 An Carlo Clausetti, 19.3.1907, Gara, Carteggi pucciniani, n. 501, hier wiedergegeben nach dem Original im Musée des lettres et manuscrits, Paris. 15 Unveröffentlichter Brief vom 6.2.1913, I-​PCc. 16 Gara, Carteggi pucciniani, n. 619, 9.2.1913, an Illica.

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wollendes Schauer-​oder Horrorstück, was Golds Drama ebenfalls nicht gerecht wird. Viel eher steht La houppelande in der Tradition des französischen Naturalismus, und das ist für Puccini neu genug, es genügte jedenfalls, damit das neue Einakter-​Projekt mit der zu Il tabarro italianisierten Houppelande am Beginn zum Hauptwerk Puccinis für die nächsten Jahre wurde. Am schwierigsten erwies sich dabei von allem Anfang an (und wie schon zu den Gorki-​Zeiten) die Suche nach ein bis zwei Stücken, die den Tabarro ergänzen könnten. Dabei fällt auf, dass es Puccini wieder fast überhaupt nicht um die Inhalte solcher Ergänzungsstücke ging, sondern eher um ihre dramaturgische Rolle. Zwar nannte er schon ganz zu Anfang zwei konkrete Ideen: »ho forse combinato le 3 opere –​Una è l’Houppelande di Gold –​un’altra con d’Annunzio e una 3a (comica) con Tristan Bernard […] sono da rappresentarsi tutte le 3 a una sera«17. D’Annunzio sollte einen nicht näher beschriebenen Einakter in ›hohem Stil‹ beisteuern18. Auch von der komischen Oper Tristan Bernards ist nichts Genaues bekannt, von einem »orco« (Ungeheuer) ist dabei die Rede, was Puccini angeblich allzu sehr an die Ähnlichkeit mit Hänsel und Gretel erinnerte, doch sie sprechen auch über »una novella africana, con un esploratore«19. Aber beide Autoren lieferten in den folgenden Monaten nichts, und auch mehrere Versuche mit möglichen Librettisten für den Tabarro scheiterten zunächst. Sie reichten von Puccinis Neffen Carlo Marsili (1884–​1946), eher einem Hobby-​Schriftsteller (im Hauptberuf war er Bankdirektor), bis zu dem prominenten Politiker und Literaten Ferdinando Martini (1841–​1928), zu der Zeit im einstweiligen Ruhestand20. Puccini störte sich vor allem an der gehobenen Sprache, die die ins Auge gefassten Librettisten ablieferten, ganz in der italienischen Tradition, die einen Operntext in Versen verlangte, und zwar nach den strengen Regeln der für literarische Laien, aber auch für die Zuhörer im Theater schwer 7 Am 26.6.1913 an Sybil Seligman, im Original unveröffentlicht, Privatbesitz. 1 18 »Pensi alla cosa alta in un atto?«, 3.6.1913 an D’Annunzio; Gara, Carteggi pucciniani, n. 625. 19 Anfang Juni 1913 an Tito Ricordi, veröffentlicht in Giacomo Puccini, Epistolario, ed. Giuseppe Adami, Milano (Mondadori) 1928, n. 159. In einem seiner Bücher über Puccini (Milano 1935) ergänzte Adami, bei dem Forschungsreisenden habe es sich um einen unter schwarze Kannibalen geratenen Europäer gehandelt und die Geschichte habe »Bianco e Negro« geheißen (p. 155sq.). Die Kannibalen hätten darauf verzichtet, ihn zu verspeisen, weil sie ihn lieber öffentlich gegen Geld in einem Käfig zeigen wollten. Ob das zutrifft, sei angesichts der häufigen Unzuverlässigkeit Adamis dahingestellt. 20 Zur (kurzen) Zusammenarbeit mit Martini siehe Dieter Schickling, Ferdinando Martini librettista e collaboratore di Puccini, in: Studi pucciniani 2/​2000, pp. 205–​ 219.

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nachvollziehbaren italienischen Metrik21. Puccini hatte diese Regeln gegen heftige Proteste vor allem Giacosas immer wieder in seinem Komponieren missachtet, etwa durch Auslassung, Hinzufügung oder Änderung einzelner Wörter, ja ganzer Verszeilen. Jetzt aber, angesichts eines so ›niederen‹ Stoffs schienen sie ihm erst recht absurd. Als er das Libretto schließlich von dem in diesem Metier ganz unerfahrenen Dramatiker Giuseppe Adami schreiben ließ, verwendete dieser zwar noch Verse, aber ohne sich an ihre klassische Struktur zu halten. Ein Kenner wie Peter Ross spricht in diesem Zusammenhang von einem »absolut unbekümmerte[n] Umgang des Librettisten mit den Versarten, die er gegen alle Regeln der Metrik umstandslos miteinander kombiniert«22. Es ist offensichtlich, dass Puccini diese »Demontage der Versstruktur« (Ross) nicht nur duldete, sondern wohl sogar ausdrücklich wünschte. Sie war für ihn ein weiterer Schritt weg von den Konventionen der italienischen Oper, allerdings ohne die eigentlich naheliegende Konsequenz, auf jegliche Versstruktur zu verzichten und Prosatexte zu komponieren. Dabei sind seine Librettisten auch in den noch folgenden Stücken geblieben, ohne Zweifel mit Billigung Puccinis, dessen häufig zu beobachtende Unentschlossenheit sich auch hier zeigt: ein bisschen Revolution ja, aber möglichst nicht allzu deutlich. Die Suche nach Stücken, mit denen Il tabarro sich zu einem vollen Abend ergänzen ließe, blieb weiter schwierig. Zur Vereinfachung dachte Puccini auch schon einmal an einen kürzeren Zweiakter, nach dem Didier Gold selbst suchen wollte, aber auch Giovacchino Forzano, der künftige zeitweilige Lieblingslibrettist23, und eine Idee zumindest steuerte auch Adami bei24. Doch noch wenige Tage vor Vollendung der Tabarro-​Partitur schrieb Puccini an Sybil Seligman: »Cerco un soggetto in un atto –​qualcosa di speciale di poetico di Elevato –​voi avete niente alla vista?«25 Zwei Monate später aber teilte er seiner Schwester Otilia mit, er habe einen Vertrag abgeschlossen über »una piccola opera veramente graziosa e interessante che si chiama

21 Eine übersichtliche Darstellung bietet Anselm Gerhard, Traditionsverbunden und respektlos: Puccinis Umgang mit den metrischen Konventionen der Libretto-​ Sprache, in: Richard Erkens (ed.), Puccini Handbuch, Stuttgart/​Kassel (Metzler/​ Bärenreiter) 2017, pp. 96–​115. Genauer dazu Peter Ross, Der Librettovers im Übergang vom späten Ottocento zum frühen Novecento, in: Lorenza Guiot/​Jürgen Maehder (edd.), Tendenze della musica teatrale italiana all’inizio del Novecento. Locarno […] 1998, Milano (Sonzogno) 2005, pp. 19–​54. 22 Siehe Anmerkung 21. 23 Siehe Brief an Tito Ricordi vom 20.3.1916, Gara, Carteggi pucciniani, n. 686. 24 Siehe Brief an Tito Ricordi vom 26.11.1916, ibid., n. 697. 25 Unveröffentlichter Brief vom 17.11.1916, zitiert nach dem Original (Privatbesitz).

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Suor Angelica«26. Damit wird, Anfang Januar 1917, zum ersten Mal der Titel genannt, den das zweite Stück des Trittico trägt. Vermutlich ging es darum auch schon einen Monat früher, als Puccini den künstlerischen Direktor des Verlags Ricordi fragte, was Tito Ricordi »del soggetto con Forzano« gesagt habe27. Es ist erstaunlich, dass nach der jahrelangen vergeblichen Suche und inmitten weiterbestehender Zweifel innerhalb weniger Tage bereits ein Vertrag über ein Fortsetzungsstück geschlossen wurde, wobei unklar bleibt, ob es sich um einen Vertrag zwischen Puccini und Ricordi oder nur zwischen Puccini und Forzano handelte28. Ebenso erstaunlich ist, dass Puccini sehr kurze Zeit nach dem ersten Entwurf und nur auf der Basis eines ersten Li­ brettotexts mit der Komposition begann29, und das bei einem Stoff, zu dem es, soweit wir wissen, keine literarische Vorlage gab, an der Puccini sich bisher immer hatte orientieren können. Mag sein, dass die lange Suche ihn erschöpft hatte. Mag sein, dass das Klostermilieu ihn schon länger faszinierte, weil eine seiner Schwestern darin lebte, oder dass er Forzano auf das Thema von Soldanis Margherita da Cortona hingewiesen hatte –​wir wissen es nicht. Jedenfalls war das alles andere als seine übliche Arbeitsweise, und dafür gibt es keine einfachen Erklärungen. Nicht weniger erstaunlich ist, dass fast zum selben Zeitpunkt auch schon das dritte Stück feststand, Gianni Schicchi. Die erste uns bekannte ausdrückliche Erwähnung dieses Titels findet sich in einem Brief vom 1. März 1917 an den Ricordi-​Manager Carlo Clausetti30, wonach Puccini einen szenischen Entwurf (»la tela«) bereits in wenigen Tagen erwarte. Doch sogar schon zwei Monate früher, am 4. Januar, also praktisch gleichzeitig mit der Festlegung auf Suor Angelica als zweites Stück, steht in einem Brief:  »Presto ritornerò al mio bozzo a lavorare ad una piccola opera con sfondo scenico 26 Unveröffentlichter Brief vom 10.1.1917, Original in der Biblioteca Comunale Forteguerriana, Pistoia. 27 Unveröffentlichter Brief an Clausetti vom 11.12.1916, Original I-​Mr. 28 Sicher wird der Briefwechsel zwischen Puccini und Forzano auch darüber Auskunft geben, wenn er einmal zugänglich sein wird. Die vielen Briefe Puccinis befanden sich mindestens bis zum Tod Forzanos 1970 in einem Schrank in seinem Arbeitszimmer, wo er sie wenige Jahre zuvor in einem Fernsehinterview stolz präsentierte. Briefe Forzanos sind in größerer Zahl im Archiv der Villa Puccini in Torre del Lago erhalten, das auch nach dem Tod der Puccini-​Enkelin Simonetta (2017) nur teilweise zugänglich und längst nicht vollständig erschlossen ist (mündliche Auskunft von Manuel Rossi, der eine erste Übersicht über das Archiv erstellt hat). Forzanos gelegentliche Zitate daraus, vor allem in seinem Buch Come li ho conosciuti, Torino (ERI) 1957, sind äußerst dürftig und wenig zuverlässig. 29 So im unveröffentlichten Brief an Clausetti vom 3.3.1917, Original I-​Mr. 30 Unveröffentlichtes Original in I-​Mr.

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del 200 [des 13. Jahrhunderts]«31. Damit kann eigentlich nichts anderes als Gianni Schicchi gemeint sein, da Suor Angelica zeitlich vierhundert Jahre später angesiedelt ist. Forzano behauptete, diese Idee stamme von ihm, und er habe sie Puccini schon Jahre früher vorgeschlagen32. Das ist nicht ausgeschlossen, ändert aber nichts daran, dass Puccini erst Anfang 1917 definitiv festlegte, welche drei Stücke seinen Einakter-​Abend bilden sollten. Selbst da hatte er jedoch auch noch ganz andere Überlegungen, etwa die sonderbar klingende Idee, Il tabarro zusammen mit Le Villi aufzuführen, anscheinend weil er hoffte, den von ihm geschätzten Bariton Titta Ruffo für die Rolle des Michele gewinnen zu können33. Zusammenfassend zeigt sich ein beharrliches, wenn auch kompliziertes Konzept, dessen Kern der Gedanke eines Opernabends aus drei Einaktern war. Es lässt sich allerdings daran zweifeln, dass Puccini dabei immer eine feste theatralische Struktur im Sinn hatte. So wehrte er sich zwar öfters gegen Wünsche von Theatern, nur eines oder zwei der drei Stücke zu spielen, aber schon lange vor der Uraufführung gestand er dem Verlag insgeheim die Vereinbarung solcher Varianten zu: »Io sono per le 3 opere in una sera almeno la prima o le 3 prime –​dopo alternino pure«34. Und so wurde es selbst in Italien nicht selten praktiziert: Anfang 1924 spielte zum Beispiel die Mailänder Scala Gianni Schicchi zusammen mit Richard Strauss’ Salome. Man muss schon ein hartgesottener Opernfan sein, um an einer solchen Kombination Gefallen zu finden. Wenn es Puccini wichtig gewesen wäre, hätte er sicher Möglichkeiten gehabt, derartige Praktiken zu unterbinden. Das Gleiche gilt für die nicht immer sichere Reihenfolge der Stücke. Als die Leipziger Oper Puccini um Zustimmung zu einer Änderung bat (Suor Angelica  –​Gianni Schicchi –​Il tabarro), schrieb er: »non mi dispiace questa disposizione […] Farei così anche alla Scala Genn. [im Januar in der Scala]«35. Dort geschah es dann tatsächlich so, wenigstens ab der dritten Vorstellung36.

31 Unveröffentlichter Brief an Peleo Bacci, Original in der Biblioteca Comunale degli Intronati, Siena. 32 Cf. Forzano, Come li ho conosciuti, p. 14sq. 33 So im Brief an Alfredo Vandini vom 11.1.1917, Gara, Carteggi pucciniani, n. 702. 34 Unveröffentlichter Brief an Clausetti vom 17.5.1918, I-​Mr. 35 Unveröffentlichter Teil eines Briefs an Clausetti vom 28.5.1921, I-​Mr. 36 Cf. Carlo Gatti, Il Teatro alla Scala nella storia e nell’arte (1778–​1963), Milano (Ricordi) 1964, p. 281sq. Laut der Ausgabe von Ricordis Monatszeitschrift Musica d’oggi vom Februar 1922, p. 57, geschah die Änderung der Reihenfolge schon in der zweiten Vorstellung, und zwar aus Umbesetzungsgründen wegen der Indisposition einer Sängerin; aber, so fährt der Bericht fort, diese Reihenfolge solle vielleicht definitiv werden.

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Auch der gleichsam einheitsstiftende Gesamttitel Il trittico hat seine eigene problematische Geschichte. Er wurde anscheinend von Tito Ricordi vorgeschlagen37 und zunächst von Puccini nicht geliebt38, der sich nach einigen anderen Varianten aber schließlich damit abfand und dafür plädierte, die drei Klavierauszüge zumindest gleichzeitig zu publizieren, »staccati ma riuniti in una elegante busta«39, während der Verlag und auch Forzano wohl zunächst getrennte Ausgaben bevorzugten. Die Diskussion darüber zog sich über Wochen hin40. Am Ende bestand der Kompromiss darin, dass die Klavierauszüge zunächst in einem gemeinsamen Band erschienen, der aber auf der Titelseite nur mit den drei Einzeltiteln bezeichnet war. Bald darauf, nach 1920, gab es schon keine gemeinsamen Ausgaben mehr. Der Begriff Il trittico wurde nur für Aufführungen verwendet, nie in den Druckausgaben. Und sogar schon auf dem Programmzettel für die Uraufführung taucht er nicht auf, da ist nur von »Giacomo Puccini’s three one-​act operas« die Rede. Es bleibt also wenig, wenn man nach einer Gemeinsamkeit der drei Stücke des Trittico fragt oder gar nach einer höheren Einheit ihrer Inhalte. Vielmehr besteht der Sinn dieses Opernabends gerade in der Disparatheit seiner Teile. Er verweigert die zusammenhängende Erzählung einer Geschichte, verzichtet selbst auf geringste Anknüpfungen zwischen den drei Geschichten und positioniert sich so als Gegenentwurf zum fragwürdig gewordenen Totalitätsanspruch der konventionellen Handlungsoper, wie sie in Wagners Ring des Nibelungen mit seiner Ausdehnung einer einzigen Geschichte auf mehrere Tage ins Extrem geführt wurde. Dass Puccini jahrzehntelang dieses Gegen-​Konzept zu realisieren trachtete, weitab von den meisten Arbeiten seiner Zeitgenossen, zeigt, wie intensiv er eine mögliche Zukunft der Oper nach der kaum mehr zu überbietenden wagnerischen Hypertrophie reflektierte, selbst wenn er das programmatisch so nicht hätte ausdrücken können. Wohl deshalb kam er mit seinem nächsten strukturell eher konventionellen Werk, Turandot, auch nach langen Jahren der Arbeit nicht zu Ende, vielleicht gerade weil er das historische Problem intuitiv erkannte, ohne eine Lösung parat zu haben. Betrachtet man die spätere Entwicklung der Oper, so lässt sich kaum sagen, dass das Bewusstsein für ihre Krise nach Wagner eine sehr große Zahl der neu entstehenden Werke geprägt hätte. Vielmehr behielt die traditionelle 37 Kopie des unveröffentlichten Briefs an Puccini vom 5.2.1918 in den Copialettere Ricordi, a. 1917/​18, vol. 5, n. 463 (I-​Mr). 38 Kopie des unveröffentlichten Briefs an Puccini vom 25.2.1918, ibid., a. 1917/​18, vol. 6, n. 235 (I-​Mr). 39 Unveröffentlichter Brief an Clausetti vom 16.3.1918, I-​Mr. 40 Davon zeugen zahlreiche unveröffentlichte Briefe Puccinis an Clausetti in I-​Mr zwischen Februar und Juni 1918.

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›Erzähloper‹ ihre Rolle als vorherrschende Form, nicht nur bei den erfolgreicheren Komponisten wie Richard Strauss. Nur wenige musiktheatralische Werke des 20. Jahrhunderts sind aus einem dem Konzept des Trittico vergleichbaren theoretischen Ansatz entstanden und besitzen deshalb einen ähnlich diskontinuierlichen Charakter. Alban Bergs Wozzeck und Lulu gehören dazu, Arnold Schönbergs Moses und Aron oder Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten, die drei Bühnenwerke Luigi Nonos (Intolleranza 1960, Al gran sole carico d’amore, Prometeo) und die je einzigen Stücke fürs Theater von Olivier Messiaen (Saint François d’Assise) und Helmut Lachenmann (Das Mädchen mit den Schwefelhölzern), letzten Endes auch Karlheinz Stockhausens ins 21.  Jahrhundert hineinreichender gigantischer Siebenteiler Licht, recht eigentlich eine unverblümte Anspielung auf Wagners Ring-​Zyklus. Es sind die interessantesten Stücke aus den letzten hundert Jahren, und Puccinis Trittico ging ihnen als eine Art geheimer Ahnherr voraus.

Markus Engelhardt

»Ci vorrà una ripresa di popolo«. Eine Hymne auf die Hauptstadt der Siegermacht Italien: Puccinis Inno a Roma Das Regno d’Italia Vittorio Emanueles III. war ›verspätet‹ in den I. Weltkrieg gezogen. Zunächst erklärtermaßen neutral, dann den Dreibund aufkündigend und sich Frankreich und England anschließend, hatte es im Mai 1915 seinem Bundesgenossen Österreich-​ Ungarn den Krieg erklärt, Hauptkriegsziel:  der ethnisch-​sprachlich begründete Anschluss Südtirols, Istriens und Dalmatiens an das ›Mutterland‹ zur territorialen Komplettierung der nationalen Einheit im Norden. Nach dem Zusammenbruch Österreichs bei Vittorio Veneto konnte sich Italien im Herbst 1918 dem Kriegsende nahe wähnen. Als Siegermacht und als gelte es, das Land und zumal dessen Hauptstadt entsprechend einzustimmen, vergab Roms Bürgermeister Prospero Colonna den Auftrag zu einer Hymnendichtung, die zu diesem Zeitpunkt noch von Pietro Mascagni vertont werden sollte. Mit dieser Auftragsdichtung, Alla madre immortale (»O Roma divina che speri«), des patriotisch-​monarchistischen Lyrikers, Librettisten, Schauspiel-​ und Drehbuchautors Fausto Salvatori auf die Stadt Rom und der unsterblichen Mutter und ihrer Söhne Verdienste, datiert ist sie mit »22. Mai des Jahres 1918 des Heiligen Krieges der Befreiung«1, beginnt die Geschichte des Inno a Roma. Sie wird sich zu einer ›spannenden‹ Geschichte einer umstrittenen Gelegenheitskomposition entwickeln, allerdings nicht mit Mascagni, sondern mit Giacomo Puccini als Autor. Akribisch und  –​jedenfalls vom Anspruch her  –​letztgültig rekonstruiert hat sie 1975 der Musikkritiker Arnaldo Marchetti, und zwar auf der Grundlage vor allem der hierzu im römischen Archivio Capitolino erhalten gebliebenen Korrespondenz des Gabinetto del Sindaco2. Die moderne Puccini-​Forschung hat die Komposition registriert3 und sie in jüngster Zeit in gleich zwei kritischen Neuausgaben

1 »Il XXII Maggio dell’anno della Guerra Santa di Liberazione MCMXVIII«, Arnaldo Marchetti, Tutta la verità sull’»Inno a Roma« di Puccini, in: NRMI 9 [1975], pp. 396–​408: 398. 2 Cf.  ibid. 3 90 Inno a Roma, in: Dieter Schickling, Giacomo Puccini: Catalogue of the Works, Kassel et al. (Bärenreiter) 2003, p. 371sqq.

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vorgelegt4. Absicht des vorliegenden Nachtrags, sicherlich nicht des letzten zu Puccinis Inno a Roma, ist ein Rekurs auf die Entstehung der Komposition, zu der neue Quellen vorgestellt, bekannte neu bewertet werden. Der am 11. November 1918 nahe der nordfranzösischen Stadt Compiègne zwischen den Westmächten Frankreich und Großbritannien und dem Deutschen Reich geschlossene Waffenstillstand beendete die Kampfhandlungen des I. Weltkriegs. Italien konnte sich zu dieser Zeit noch in der Gewissheit wähnen, gute Gründe zu haben, Siegeshymnen anzustimmen, denn von den nachträglichen Enttäuschungen der Kriegsziele durch die Verhandlungen in Paris war noch nichts zu ahnen. Im Januar 1919 jedenfalls wurde im Gabinetto des römischen Bürgermeisters Salvatoris Dichtung wieder hervorgeholt, nun mit der festen Absicht, Giacomo Puccini für deren Vertonung zu gewinnen5. Auf die Avancen Colonnas reagierte Puccini, dessen »antico compagno e commilitone«6, sehr zögerlich, und zwar aus einem sachlichen Grund: Salvatoris Dichtung funktionierte musikalisch nicht, entsprach dem volksnahen Ton nicht, der dem Komponisten für den gegebenen Zweck vorschwebte7. Salvatori aber legte nach und lieferte einen zweiten Text, eine Dichtung im Stile des Carmen saecolare, mit dem einst Horaz 17 v. Chr. dem von Kaiser Augustus ausgerufenen Anbruch des ›goldenen Zeitalters‹ Roms ein poetisches Denkmal gesetzt hatte8.

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5 6 7 8

Michael Kaye, The Unknown Puccini. A Historical Perspective on the Songs, Including Little-known Music from »Edgar« to »La Rondine«, with Complete Music for Voice and Piano, New York/​Oxford (Oxford University Press) 1987 (mit Ausführungen zum Inno a Roma auf pp. 127–​141 und der Musik gemäß Nachdruck der Ausgabe Sonzogno 1923 auf pp. 136–​141); sowie Giacomo Puccini, Canti. Musica per voce e pianoforte, in Zusammenarbeit mit der Fondazione Puccini und dem Centro studi ›G. Puccini‹, Lucca, ed. Riccardo Pecci, Echterdingen (Carus) 2010, pp. 64–​71, mit kritischem Bericht, p. 86sq. Beide Neuausgaben kennen die autographe Partitur nicht bzw. nur in Teilen. Salvatori hatte im Jahr zuvor im Begleitschreiben zu seiner Dichtung noch den Vorschlag gemacht, den mit der Vertonung derselben zu betrauenden Komponisten durch einen Wettbewerb zu bestimmen. Cf. Marchetti, Tutta la verità, p. 397sqq. Brief Colonnas an Puccini vom 20. März 1919, zit. nach ibid., p. 401. Puccini an Prospero Colonna am 16. März 1919: »Ho letto i versi e ti dico la verità non mi sembrano del tutto adatti, cioè non sono di quel carattere popolare come, a mio avviso, avrebbero dovuto essere.« Zit. nach ibid., p. 400. Wenn ihm von Horaz’ Gedicht auch aktuelle italienische Übersetzungen zugänglich waren, etwa die Mario Rapisardis von 1883 (aufgenommen in den fünften Band von dessen Opere complete, Catania 1897), so darf man doch feststellen, dass Salvatori etwas in seiner Bildersprache, Rhetorik wie auch in der metrischen Gestaltung sehr ›Individuelles‹ zustande gebracht hat.

»Ci vorrà una ripresa di popolo«

Fausto Salvatori, 1919 I. Roma divina, a te sul Campidoglio Dove eterno verdeggia il sacro alloro, A te, nostra fortezza e nostro orgoglio, Ascende il coro. Salve, Dea Roma! Ti sfavilla in fronte Il sol che nasce sulla nuova Storia. Fulgida in arme, all’ultimo orizzonte, Sta la Vittoria. Sole che sorgi libero e giocondo Sul Colle nostro i tuoi cavalli doma: Tu non vedrai nessuna cosa al mondo Maggior di ROMA.9

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Horaz, um 17 v. Chr.

Phoebe silvarumque potens Diana, lucidum caeli decus, o colendi semper et culti, date quae precamur tempore sacro, quo Sibyllini monuere versus virgines lectas puerosque castos dis, quibus septem placuere colles, dicere carmen. Alme Sol, curru nitido diem qui promis et celas aliusque et idem nasceris, possis nihil urbe Roma visere maius.

Mit »Roma divina, a te sul Campidoglio« suchte Salvatori –​die drei Endecasillabi mit nachfolgendem charakteristischem Halbvers der Sapphischen Strophe nachahmend –​Anschluss an politische Huldigungsdichtung der römischen Antike. Dieser sein zweiter Versuch zusammen mit einem erneuten, äußerst schmeichelhaften und leidenschaftlich werbenden Begleitschreiben Bürgermeister Colonnas10 überzeugt Puccini, er sagt die Komposition des Inno a Roma zu. Carissimo don Prospero, sto impazzendo… ma l’inno lo farò! Se non andrà, lo cestinerete. Oltre i ragazzi (oh, la tirannia della tessitura!) ci vorrà una ripresa di popolo e io direi di istruire un certo numero di soldati. Se il canto della 3a strofa [»Sole che sorgi«] sarà preso al volo, come spero, dopo una volta o due, il popolo lo potrà cantare. Fra pochi giorni ho speranza di spedirti la musica.11

Zitat des Inno a Roma hier und im Folgenden nach der vom Dichter autorisierten und signierten Version in La Tribuna vom 20. April 1919, p. 4. Der mit zwei weiteren Folgen aus drei Strophen [II., III., s.u.] komplettierten Textwiedergabe geht dort folgende Information voraus: »L’inno a Roma | di PUCCINI e SALVATORI | Per cortese concessione del Poeta siamo in grado di offrire ai nostri lettori il testo integrale de ›L’inno a Roma‹ di Fausto Salvatori, musicato da Giacomo Puccini e che verrà eseguito il 21 corrente [21. April 1919] per la celebrazione del Natale di Roma al Teatro Costanzi, cantato da 500 soldati della ›Brigata Re‹«. 10 Colonna an Puccini am 20. März 1919: »Mio buono ed illustre Amico, ho ricevuto la tua lettera [vom 16. März 1919, cf. Anm. 7] e mi affretto a farti dolce violenza, inviandoti questi nuovi versi nei quali l’amico Salvatori ha popolarizzato il Carme Secolare [sic] con una nota solenne di romanità. E allora te ne prego, non negare il tuo geniale concorso, tu, che rinnovando il mito di Orfeo, con la dolcezza della tua lira, hai saputo incantare il mondo degli spiriti. E poi ormai troppo la fama vola… Tutti attendono le tue note.« Zit. nach Marchetti, Tutta la verità, p. 401. 11 Puccini an Colonna am 23. März 1919, zit. nach ibid. 9

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In der Ewigen Stadt, Hauptstadt der aus dem Krieg siegreich hervorgegangenen Nation Italien, wird eine vom Sindaco persönlich initiierte Hymne erklingen, dargeboten von einem Chor unter anderem von Soldaten und bekräftigt vom Refrain der Bevölkerung –​ihr Autor der international reüssierende italienische Opernkomponist Giacomo Puccini:  eine Sternstunde nationaler Euphorie und Selbstbestätigung ist zu erwarten. Ohne Hymnen –​auf den König, auf Mitglieder der königlichen Familie, auf Italien, auf glorreiche Städte und zumal auf Rom12, auf geschichtliche Ereignisse und Größe, auf Siege, kriegerische Erfolge und ihre Urheber, auf die Heimat und so weiter –​ist das Regno d’Italia als Klangbild kaum vorstellbar. Mit ihrer feierlich beschwörenden bis martialisch drohenden Rhetorik gehören sie zum festen Bestand der sich vom Marsch bis zum Requiem auffächernden primären staatstragenden musikalischen Gattungen. Sie transportieren Memoria und verschaffen der jungen Nation gerade auch als symbolkräftige Verklärung von deren verdienstvoller Vorgeschichte (Risorgimento) historische Legitimation. Dem öffentlichen Zeremoniell verleihen sie sakrale Würde und sie sind Teil einer zunehmend politisch und militärisch ritualisierten bürgerlichen Lebenswirklichkeit. Ihre bekenntnishaften affirmativen Züge befördern im Moment der Huldigung das kollektive Zusammengehörigkeitsgefühl, wie sich in ihnen andererseits in Momenten des Dissenses machtvoll Opposition artikulieren kann.

›Location‹ und Aufführungsformat Die Entstehung von Puccinis Rom-​Hymnus begleiteten verschiedene Planungen, was den Ort von dessen erster Aufführung anbelangt. Salvatori wurde ursprünglich um einen Inno a Roma gebeten, den man von Grundschülern einstudieren und dann bei feierlichen Zeremonien hätte singen

12 Hymnen auf Rom als bevorzugtes Objekt patriotischer Verherrlichung und geschichtsträchtiges Symbol nationaler Größe und Geschlossenheit hatten im Regno d’Italia Hochkonjunktur: Inno di Roma (Musik: Gaetano Capozzi), Inno a Roma (Musik: Paolo Manica, op. 80), A Roma (Text: Giuseppe Ricca Salerno, 1870), A Roma. Canto patriottico. Inno e Marcia trionfale a Garibaldi (Musik: M. Kamerone, um 1870), A Roma risorta (Musik: Francesco Viviani, 1870), In Roma a Roma (Text: Fausto Tiberto, 1874), Roma intangibile: inno nazionale (Text: Giuseppe Aurelio Costanzo; Musik: Luigi Ricci, 1894; weitere Vertonung: Giulio Nillorema, vor 1910), Inno a Roma (Text: Giovanni Cicconetti; Musik: Bernardino Lanzi, op. 194, ca. 1901), Inno a Roma (Text: Enrico Golisciani; Musik: Giovanni Tarditi, 1907, »eseguito per le feste centenarie della nascita di Giuseppe Garibaldi per incarico del Comitato parlamentare«), Inno a Roma (Text: Giovanni Pascoli, 1913), Inno a Roma (Text: Giosuè Carducci; Musik: Arrigo Cappelletti, um 1926) u.v.a.m.

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lassen sollen13. Anfang 1919, nach Monaten der Quarantäne des Projektes, wurde Bürgermeister Colonna, nun in direkter Verhandlung mit Puccini, konkreter:  Ihm schwebte ein morgendlicher Schülerchor auf dem Palatin vor, gefolgt von einer Darbietung am Abend im Teatro Costanzi14. Anfang März kamen der sog. Geburtstag Roms am 21. April und der feierliche Einzug von Fahnen aus der Zeit des Risorgimento in die Universität ins Spiel und Colonna bat Puccini, die für die Schülerchöre zur Einstudierung der Hymne erforderliche Zeit zu bedenken15. Bei Ankunft der von Puccinis Dirigenten-​ Freund Icilio Sadun ausgeführten Reinschrift der Komposition in Rom und ihrer Weiterleitung zur Instrumentierung an Alessandro Vessella bestätigt Colonna am 10. April eine Aufführung an Roms Geburtstag, dem 21. April, allerdings nun auf dem Palatin16. Am 15. präzisiert er telegraphisch »lunedì 21 Villa Umberto ore 17,30«17, um weitere drei Tage darauf, wiederum per Telegramm, eine Nachfrage Puccinis zur Anzahl der Ausführenden wie folgt zu beantworten: Carissimo Giacomo, gli esecutori saranno circa 4.000 e cioè 500 soldati, le maestre giardiniere, le alunne delle scuole normali, gli alunni e alunne delle classi IV –​V –​VI elementare, le masse corali del ›Costanzi‹, la banda municipale e tutte le musiche militari di Roma, compresa la fanfara dei R. R. Carabinieri, per la quale sono state fatte fare apposite e speciali trombe.18

Schließlich wurde für die »grande festa« mit Puccinis Inno zur »Natale di Roma« am 21. April die Piazza di Siena ausgegeben19. Diese allerdings fiel 13 Francesco Di Benedetto, Assessor für Öffentliche Bildung (Pubblica Istruzione), im Namen des Bürgermeisters von Rom, Don Prospero Colonna, am 22. April 1918 an Fausto Salvatori (Marchetti, Tutta la verità, p. 397). 14 Brief Colonnas vom 26. Februar 1919 an Puccini, ibid., p. 400. 15 »Ecco di che si tratta: al Natale di Roma, che cadrà il 21 aprile, noi vogliamo dare quest’anno [1919] una specialissima solennità e abbiamo deciso che in tale memorabile data avvenga l’ingresso trionfale nell’Alma Mater delle gloriose bandiere risorgimentali. Vorremmo in tal giorno far cantare agli alunni delle nostre scuole l’›Inno a Roma‹ da te musicato e poiché per quei benedetti figlioli occorrerà un po’ di tempo per imparare a memoria l’›Inno‹, ti sarei veramente obbligato se potessi dare assicurazioni che la tua inesauribile vena melodica ti ha già ispirato le note per l’attesa tua nuova composizione.« Zit. nach ibid. 16 Ibid., p. 402, cf. auch unsere Ausführungen hierzu in diesem Beitrag. 17 Zit. nach ibid. Sowohl Villa Umberto I, der damals größte öffentliche Park Roms, wie seine Piazza di Siena sind offenbar Teile der heutigen Parkanlage Villa Borghese. 18 Brief Colonnas an Puccini vom 18. April 1919, zit. nach ibid., p. 403. 19 »Quest’anno il Natale di Roma sarà solennemente festeggiato. I palazzi capitolini saranno adorni degli storici arazzi e tutte le scuole comunali avranno vacanza. Le guardie municipali indosseranno l’alta tenuta. Nel pomeriggio avrà luogo la grande festa in Piazza Siena. La cerimonia, che questo anno assumerà un altissimo

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buchstäblich ins Wasser eines heftigen Wolkenbruchs, der kurz nach dem Eintreffen der Limousine mit Erbprinz Umberto und seinen Schwestern einsetzte. Am 1. Juni endlich wurde die Komposition zum ersten Mal dargeboten. Das war der Nationalfeiertag (wie jedes Jahr am ersten Juni-​Sonntag) zum Gedenken an die Verfassung, also das sogenannte Albertinische Statut von 1848. Eingebettet war die Aufführung in eine »grande festa ginnastica« im Stadion von Rom. Für sie hatten sich 5.000 Männer »da ogni parte d’Italia«, darunter besonders erwähnt Mannschaften aus den ›terre redente‹, aus Zara, aus Triest, aus dem Trentino und mehrere aus dem Veneto, militärisch-​ sportlich ertüchtigt, um nun vor der königlichen Familie20 und einem mehrere Tausend Zuschauer zählenden Publikum in »esercizi collettivi« noch einmal zu glänzen. Der ganzseitigen Reportage in La Tribuna vom 2. Juni »La celebrazione dello Statuto a Roma. Reali tra gli eroi e le loro famiglie« mit gesondertem Bericht »La grande festa ginnastica« entnehmen wir:

significato patriottico, si svolgerà alle ore 17. Prenderanno parte ai cori i bambini e le bambine della IV, V e VI elementare, le alunne delle nostre scuole normali, le maestre giardiniere, 500 soldati scelti nelle varie armi, la massa corale del Teatro ›Costanzi‹, le musiche riunite di Roma compresa la fanfara dei carabinieri che sarà provvista di trombe speciali. Le prove sono state eseguite ieri mattina al Teatro ›Adriano‹ e sono riuscite molto bene. Dirigerà tutto il programma il maestro Vessella: i cori sono stati ordinati da maestro D. Miniello. Sarà eseguito l’Inno a Roma del maestro Puccini, la cui attesa è veramente grande. Lunedì [21. April] mattina alle ore 10 verrà anche inaugurato il nuovo ponte Sublicio alla Marmorata. […]«, La Tribuna (20. April 1919), p. 4. Direkt darunter der Bericht La prova generale dell’»Inno a Roma«: »Stamane [20. April] alla presenza del Sindaco Colonna, dell’assessore Di Benedetto, del Direttore generale delle scuole primarie e di varie altre autorità civili, in prevalenza scolastiche, ha avuto luogo al teatro Adriano la prova generale del magnifico ›Inno a Roma‹, versi di Fausto Salvatori e musica di Giacomo Puccini. Le alunne delle scuole normali, le maestre giardiniere ed i soldati erano disposti nell’anfiteatro e nel loggione; le musiche riunite sotto la direzione del maestro Vessella sul palcoscenico. Superfluo dire che la prova generale è riuscita magnificamente, al di là della stessa aspettativa, e tale successo, siamo sicuri, sarà confermato lunedì prossimo [21. April] a piazza di Siena dove per iniziativa dell’assessore Di Benedetto sarà data la eccezionale festa per la celebrazione del Natale di Roma. Tanto al maestro comm. Vessella, direttore delle masse orchestrale e corale, quanto di [sic] maestri cav. Alaleona, cav. Mantica e cav. Giannetti, istruttori dei cori in poche lezioni, gli autori espressero vive congratulazioni per la bella riuscita della prova generale.« 20 Wiederum der Erbprinz, Principe di Piemonte Umberto, sowie dessen ältere Schwestern Prinzessin Jolanda und Mafalda, erneut also keine Gegenwart des Königspaares.

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Accompagnate dalle bande militari di presidio e da quella municipale, con un coro di cinquemila voci, viene eseguito l’attesissimo ›Inno a Roma‹ di Fausto Salvatori e Giacomo Puccini. Una lunga ovazione ha coronato quest’ispirato brano di poesia e di musica, che è piaciuto assai al pubblico.21

Widersprüchlich sind die Hinweise auf das Teatro Costanzi, das im Februar bereits als Ort für eine abendliche Ripresa des Inno ins Auge gefasst und von Il Giornale d’Italia am 20. April für den nächsten Abend im Rahmen einer Galavorstellung von Verdis Aida angekündigt wurde22. Wie wir gesehen haben, wusste auch La Tribuna bei der Veröffentlichung des Hymnentextes am 20. April von einer Aufführung im Costanzi tags darauf. Am 22. April berichtete dasselbe Blatt, die Musiker der Theaterorchester Roms seien tags zuvor für höhere Löhne in den Streik getreten (»Gli spettacoli senza musica per lo sciopero dei musicisti«23). Das Costanzi, von diesem Ausstand sicher am härtesten getroffen, war zur Schließung gezwungen, so dass die geplante festliche Inhouse-​Ripresa von Puccinis Hymne offenbar nicht zustande kam, geschweige denn besagte Gala-​Vorstellung der Aida24. Am 27. April wurde der Ausstand für beendet erklärt. Wiederum La Tribuna entnehmen wir die Ankündigung der Eröffnung der Primavera-​Stagione des Costanzi: Domani, sabato [3. Mai], si riaprirà il Costanzi per una nuova stagione lirica, che promette di essere proseguimento di quella brillantissima, terminata due settimane or sono in seguito alla nota agitazione dei professori d’orchestra. Si darà la Bohème […]. Domenica [4. Mai] l’Aida.25

Für uns ist es vorrangig festzustellen, dass Puccini mit dem Costanzi für die Ripresa seines Inno nicht einverstanden war. Für diesen Aufführungsort hätte es einer speziellen Instrumentierung bedurft und auch gab es für jenen Effekt dort nicht die hinreichende Voraussetzung, auf den er bei seiner

21 La Tribuna vom 2. Juni 1919, p. 2. »L’Inno a Roma, diretto da Alessandro Vessella«, schwärmte der Messaggero vom selben Tag, »suscita una fremente manifestazione di entusiasmo popolare. L’inno pucciniano svolge un ritmo sonoro di grandissimo effetto, gagliardo e gentile insieme, un’ispirazione musicale italianissima che la folla plaude convinta e commossa.« Zit. nach Marchetti, Tutta la verità, p. 404. 22 Cf. Kaye, The Unknown Puccini, p. 130. 23 La Tribuna (22. April 1919), p. 2. Julian Budden, Puccini. His Life and Works, New  York/​Oxford (Oxford University Press) 2002, p.  418, kolportiert einen »lightning strike« (Blitzschlag). 24 Diese gleichwohl verzeichnet bei Vittorio Frajese, Dal Costanzi all’Opera: cronache, recensioni e documenti, 4 voll., vol. 4: Cronologia completa degli spettacoli (1880–​1960), Rom (Edizioni Capitolium) [1977], Indici, p. 132. 25 La Tribuna vom 3. Mai 1919, p. 3.

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Hymne besonders setzte, den Masseneffekt: »prego non ripetere ›Costanzi‹ perché senza mia strumentazione e senza grandi masse non riuscirà bene«26.

›Eine schöne Schweinerei‹ Seinen Beitrag zu einer der musikalischen Leitgattungen des Regno d’Italia hat Puccini vertraulich als »una bella porcheria«27 bezeichnet. Auf dem im Museo di Roma aufbewahrten Autograph28 ist trotz versuchter nachträglicher Tilgung durch aufwendige Bleistiftübermalungen noch immer sein Stoßseufzer »Fine dell’Inno a Roma con relativo strapazzo però« zu lesen29. Handelte es sich um einen Fehltritt, von Puccini eigentlich nicht gewollt und ihm eher peinlich? In der seriösen Forschung teilen viele Autoren Puccinis Reserven, ja distanzieren sich noch entschiedener. Gründe hierfür sind besagter Vermerk auf dem Autograph30, die relativ lange Zeit von mehreren Jahren zwischen Aufführung und erster Veröffentlichung im Druck, die Tatsache, dass der Inno von Sonzogno und nicht von Puccinis bevorzugtem Verleger Ricordi herausgegeben wurde, und vor allem dessen spätere Vereinnahmung durch Faschismus und Nationalsozialismus. So resümiert Julian Budden in seiner Puccini-​Monographie einen knappen Exkurs zum Inno a Roma mit folgenden Worten: Nevertheless its martial character combined with the composer’s name kept it in circulation during the Fascist era. It was published by the Casa Sonzogno in 1923, Ricordi having understandably turned it down. Gigli recorded it in 1937; and in 1942, its text translated into German, it entered the corpus of Nazi war-​time propaganda –​a fate it richly deserved.31

26 Telegramm Puccinis vom 20. April 1919, zit. nach Marchetti, Tutta la verità, p. 403 (falsche Datierung »10. April« bei Kaye, The Unknown Puccini, p. 130, folgend korrigiert). 27 Brief Puccinis vom 26. März 1919 an die in Mailand weilende Gattin Elvira (zit. nach Marchetti, Tutta la verità, p. 402). 28 Italien, Rom, Museo di Roma [keine RISM-​Sigle]. Die Quelle war vorübergehend unter MRP 245–​249 inventarisiert (so auch bei Schickling), sie trägt als endgültige Signatur MR 1940. 29 So Marchetti, Tutta la verità, p. 402. Meine Bemühungen um Entzifferung der Quelle konnten diese Lesart nicht bestätigen. Unzweifelhaft hingegen steht das Wörtchen »però« in Klammern und ist mit einem Ausrufungszeichen versehen, könnte also Ausdruck einer Selbstbestätigung sein: Trotz der Strapazen ist etwas Annehmbares, Beachtliches entstanden. 30 Dieser wurde in der Folge als Elaborat, das Puccini offenbar wenig bedeutete, Icilio Sadun überlassen: »Sadun lo vuole lo prenda«, so sein weiterer Vermerk auf dem Autograph. 31 Budden, Puccini, p. 418.

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Ein besonders sprechendes Dokument für den Inno a Roma als »canzone fascista« ist seine Verquickung mit Redeoriginalen Benito Mussolinis am Ende des Films Camicia nera (1933) des Puccini-​Librettisten Giovacchino Forzano. Im Ventennio wurde die Komposition, die wohlgemerkt vor diesem entstanden ist, bei zahllosen Kundgebungen gesungen und in einschlägige Liedsammlungen aufgenommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhob ihn das Movimento Sociale Italiano (MSI) zu seiner Hymne; Auftritten des Neofaschisten Giorgio Almirante verlieh er eine klangliche Aura mit hohem Wiedererkennungswert auf nationalen Kongressen des von diesem gegründeten und lange Jahre geführten MSI. Verständlicherweise gab es denn auch in der öffentlichen Diskussion große Vorbehalte, als Andrea Bocelli Puccinis Inno a Roma 2017 in einem öffentlichen Konzert im römischen Kolosseum zum Besten gab. All das hat freilich keinen wissenschaftlichen Erkenntniswert, der uns Puccini als Autor des Inno a Roma näherbringen könnte. Von größerer Bedeutung erscheinen uns jene Elemente der Entstehung der kleinen Komposition, die unbestreitbar Puccinis Engagement für ein überzeugendes künstlerisches Resultat und eine erfolgreiche Performance belegen. Er hat dieses Engagement in seinen Selbstäußerungen minimiert, in Wahrheit aber war es auch Jahre nach der römischen Uraufführung nicht erloschen. Als sich Prinzessin Jolanda von Savoyen 1922, sie wird zur Widmungsträgerin des Inno di Roma erkoren werden, gelegentlich der Ablehnung von dessen Veröffentlichung durch das Verlagshaus Ricordi nach dem weiteren Schicksal der Komposition erkundigte, registrierte Puccini das mit folgenden Worten: Per l’Inno a Roma nessuno ne parla più neppure l’editore neppur l’autore. Solo la dolce principessa se ne rammenta! Ed io le sono grato di questo. Scriverò a Sonzogno perché me ne mandi una bozza  –​non potè stampare al pubblico perché mancavano strofe di poesia –​e mai fù domandato al poeta Salvadori [sic] di completarle –​ma bisogna bene ch’io trovi il modo di servire il desiderio gentile dell’augusta ricordatrice.32

Die kompositionstechnische Herausforderung Auch wenn es keine sinnvolle Erklärung dafür gibt, warum Puccini gelegentlich von deren Drucklegung geraume Zeit nach der Uraufführung der Meinung war, seiner Hymne für Rom fehlten noch immer Strophen und Salvatori sei nie gebeten worden, diese nachzuliefern, so ist doch überhaupt interessant, dass ihm vor allem Textprobleme in Erinnerung geblieben waren.

32 Brief Puccinis an Maria Bianca Ginori-​Lisci vom 22. Februar 1922, zit. nach Kaye, The Unknown Puccini, p. 131.

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Die autographe Partitur (S 90.B.1) enthält den Text der ersten drei Strophen, wie wir ihn oben in Gegenüberstellung mit dem Carmen saeculare Horaz’ zitiert haben. Es gibt keine instrumentale Vorbereitung, die Komposition (Vorzeichen von Ges-​Dur, marziale, 4/4-​Takt, M. M. = 100, »allegro« zu »marziale«, »vibrato con energia« zu »energico« korrigiert) beginnt mit dem Gesang und den Worten »Roma divina«. Vor der dritten Strophe, dem erstmaligen »Sole che sorgi libero e secondo« finden sich zwei Überklebungen mit fünf Instrumentaltakten als Überleitung zu besagtem erstmaligem ›Kehrvers‹ »Sole che sorgi« (dieser mit Vorzeichen Des-​Dur, »dolce«, 4/​4-​ Takt). Mehr Text überliefert S 90.B.1 nicht und wir sehen, dass der Anschluss des von durchgestrichenen Skizzen getrennten und auf einer neuen Seite anhebenden Kehrverses »Sole che sorgi« einige Manipulationen erforderlich gemacht hat. Puccinis Autograph ist eine bis auf die zweite und zusätzliche Signatur »Torre del Lago G Puccini« durchwegs in Bleistift gefertigte Arbeitsskizze. Ungeachtet aller Ausstreichungen, Korrekturen, Unklarheiten überliefert sie eine komplette Komposition der (wenn auch nicht vollständig unterlegten) ersten drei Strophen der Dichtung Salvatoris in musikalisch unterschiedlicher Gestalt. Der römische Bürgermeister Colonna als Auftraggeber erhielt davon eine Reinschrift, die, wie wir bereits erwähnt haben, von dem mit Puccini befreundeten Dirigenten aus Viareggio, Icilio Sadun33, angefertigt worden war und die Alessandro Vessella für die Instrumentierung zum Zwecke der ersten Aufführung gedient haben dürfte. Schicklings Katalog gibt diese Kopie 90.C.1 als vermisst an. Wir halten es allerdings für sehr wahrscheinlich, dass sie existiert, und zwar in Form der Handschrift Vessella Mss.Vess. 420 in der Biblioteca di Archeologia e Storia dell’Arte zu Rom. Vessella Mss.Vess. 420 (mutmaßlich also Schicklings ›missing link‹ 90.C.1) hat Puccini in Händen gehabt, denn er hat sie auf der ersten Seite mit Korrekturanweisungen versehen. Diese waren allerdings, das muss einschränkend festgestellt werden, nicht für Vessella, sondern ausdrücklich für »Salvadori«, also Fausto Salvatori, bestimmt: Inno a Roma | G Puccini | marzo 1919 | (Per l’amico Salvadori) | N.B. | 1o occorre cambiare (per gli accenti) | i due ultimi versi della 2a strofa | Benedici l’aratro e il gregge (Pausa) | Folto che pasce | (specialmente questo) | 2o e anche nella 3a strofa

33 Dessen Frau übrigens, die Altistin Matilde Blanco Sadun, war in der Opernspielzeit 1918/​19 am Teatro Costanzi in Rom engagiert (Eboli, Carmen, Amneris) und auch Mitwirkende der dortigen europäischen Erstaufführung von Puccinis Trittico (La Frugola, La zia principessa).

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| la giovinezza florida e antica (nella musica qui c’è una pausa) | età che muore | 3o anche il verso: | Tornano alle tue case | i reggimenti (non torna bene per l’accento).

Vessella Mss.Vess. 420 könnte seinerzeit begleitet worden sein von einem Schreiben Puccinis an Colonna, das mit Torre del Lago, 7. April 1919 datiert ist und das offensichtlich nicht in die von Marchetti 1975 ausgewertete Korrespondenz aus dem Gabinetto del Sindaco zum Inno a Roma eingegangen ist (wohl weil es Colonna ebenfalls weitergereicht hat): Carissimo don Prospero –​ Grazie d’aver affidato la strumentazione dell’Inno di Roma al mo Vessella. Vorrai far notare a Salvadori che bisogna cambiare qualche accento e per conseguenza anche qualche parola alla 2a e 3a ripetizione dell’Inno. Basta canticchiarlo per trovare dove le parole non stanno a posto. Non so se tu rimarrai contento di questa musica –​se lo‌ho inteso di fare una cosa popolare e a ritmo di marcia –​Se non lo credi all’altezza cestinalo pure –​io non me ne ho a male –​ ma caso mai lo si eseguisse, raccomando grandi masse e di Bande e di Cantori. mi dicesti 5000 ragazzi? va bene – ma per la ripresa finale a coro di Popolo, occorre istruire un buon numero di persone –​Soldati –​e anche coro di ragazze delle scuole che potrebbero queste cantare insieme ai ragazzi tutto l’inno. Se eseguito con tempo dignitoso |M:100| e con grandi masse io ritengo che farà buon effetto –​ Comunque fa tu –​gradirò sapere l’impressione delle prime prove. Con affettuosi saluti credimi sempre Tuo Giacomo Puccini34

Auf Vessella Mss.Vess. 420 und vielleicht auch auf diesen Brief bezog sich wohl Colonnas Empfangsbestätigung und Dank an den Komponisten vom 10. April 1919: Caro Puccini, ho ricevuto la musica dell’Inno, e per la tua cortesia e sollecitudine ti ringrazio assai. L’ho ascoltata al pianoforte e mi è piaciuta moltissimo. Ho trasmesso la partitura con i tuoi suggerimenti al Maestro Vassella, il quale si è messo subito al lavoro, in modo che possa essere possibile di far cantare al Palatino l’inno il 21 aprile, in occasione del Natale di Roma. Cordialmente Prospero Colonna.35

Die von Puccini auf der Reinschrift sowie in dem oben zitierten Brief vom 7.  April vorgetragenen Wünsche textlicher Änderungen wurden in Rom gebührend berücksichtigt, Vessella Mss.Vess. 420 weist entsprechende Korrekturen, Ergänzungen und Umstellungen auf. Nach Rom übersandt worden war sie mit folgender Textierung:

34 Ich danke Peter Ross, der mich auf diesen Brief aufmerksam gemacht und ihn mir als Digitalisat überlassen hat. 35 Zit. nach Marchetti, Tutta la verità, p. 402

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Markus Engelhardt

[I.] Roma divina, a te sul Campidoglio36 Dove eterno verdeggia il sacro alloro37 A te fortezza nostra e nostro orgoglio38,   Ascende il coro. Salve, Dea Roma! Ti sfavilla in fronte39 Il sol che nasce su la nuova storia. Fulgida in armi, all’ultimo orizzonte40   Sta la Vittoria. Sole che sorgi libero e giocondo, Sul colle nostro i tuoi cavalli doma41: Tu non vedrai nessuna cosa al mondo   Maggior di Roma. [II.] Per tutto il cielo è un volo di bandiere E la pace del mondo oggi è latina. Il tricolore canta sul cantiere,   Su l’officina. Madre che doni ai popoli la legge Eterna e pura come il sol che nasce, Benedici l’aratro antico e il gregge   Che folto pasce. Sole che sorgi libero e giocondo, Sul colle nostro i tuoi cavalli doma: Tu non vedrai nessuna cosa al mondo   Maggior di Roma.

36 Großschreibung statt »campidoglio« gemäß einer mit Bleistift korrigierenden Hand (A), möglicherweise die des Dichters Salvatori. 37 Über dem Pentagramm des Gesangs von A »gia il sa cro al-​« zur Präzisierung der Verschleifung »gia il«. 38 Über dem Pentagramm des Gesangs von A anstelle des ursprünglichen »nostra fortezza«. 39 Über dem Pentagramm des Gesangs von A zunächst wiederum erst mit Bleistift, dann mit roter Tinte »O Roma salve«. 40 Im Text durch A ein weiteres »o« nach »ultimo« zur Präzisierung der Verschleifung. Am Rande der drei Takte mit diesem Vers die auf die analogen Verse der Strophen 2 und 3 bezogene Anweisung des Komponisten »X | cambiare | per gli accenti | nella 2a e 3a | strofa«. 41 Im Text durch A Streichung »i« und dessen Ergänzung unmittelbar nach »nostro« zur Präzisierung der Verschleifung.

»Ci vorrà una ripresa di popolo«

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[III.] Benedici il riposo e la fatica Che si rinnova per virtù d’amore; La giovinezza florida e l’antica   Età che muore42. Madre di messi e di lanosi armenti; D’opere schiette e di penose scuole Tornano lieti a te i reggimenti43       E sorge il sole. Sole che sorgi libero e giocondo, Sul colle nostro i tuoi cavalli doma44: Tu non vedrai nessuna cosa al mondo   Maggior di Roma.

Dieses ist von wenigen Ausnahmen abgesehen der Wortlaut des Hymnentextes, wie er von La Tribuna am 20.  April  1919, also am Tag vor dem dann von Wolkenbrüchen vereitelten ersten Uraufführungstermin, dem Geburtstag Roms (21. April), veröffentlicht worden war45. Eine der Ausnahmen betrifft die zweite Strophe der ersten Dreistropheneinheit. Hier stellt sich die Frage, warum die schöne durch rote Tinte festgelegte Alternative »O Roma, salve!« statt »Salve, Dea Roma« nicht berücksichtigt wurde und man sich auch später gelegentlich der Druckausgaben Sonzognos des auf einem flüchtigen Sechzehntel verkümmernden »Dea« nicht erbarmt hat. Auch bleibt es in den Druckausgaben bei dem von Puccini ausdrücklich monierten »Tornano alle tue case i reggimenti« mit der sperrigen Schwerpunktbildung auf der zweiten Silbe von »al-​le«. Immer vorausgesetzt, dass es sich bei Vessella Mss.Vess. 420 um die von Schick­ ling vermisste Reinschrift Saduns C 90.C1 handelt, so ist festzuhalten, dass sie textliche und kompositorische Elemente enthält, die in der autographen Erstschrift C 90.B1 noch nicht vorhanden sind. Dem Autograph C 90.B1 lässt sich wie gesagt nur die erste Strophenfolge ([I.]) entnehmen. Im Takt ihrer Schlussnote erscheinen bereits die ersten Noten für den Wiederbeginn mit der zweiten Strophenfolge ([II.]). Vessella Mss. Vess. 420 hingegen enthält wie oben erläutert nach den offenbar in Rom vorgenommenen Korrekturen und Ergänzungen

42 Diese Strophe, als letztgültig in roter Tinte nach offenbar mehreren Versuchen und Tilgungen, zur Berücksichtigung als zweite Strophe (»2a«). 43 Diese Lösung in roter Tinte anstelle der ursprünglichen Lesart »tornano alle tue case i reggimenti« mit »3a« als letzte Strophe ausgewiesen, obwohl über der »2a« »Benedici l’aratro« etc. stehend. Über Klavierbegleitung von A in Bleistift Variante »or s’apron le tue case ai reggimenti«. 44 Im Text durch A Streichung »i« und dessen Ergänzung unmittelbar nach »nostro« zur Präzisierung der Verschleifung. 45 Cf. Kaye, The Unkown Puccini, p. 132sq.

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alle drei Strophenfolgen ([I.], [II.] und [III.]). Mss. Vess. 420 hat nun auch die uns aus den Sonzogno-​Ausgaben und den diesen folgenden modernen kritischen Ausgaben bekannte dreitaktige instrumentale Einleitung und eine Entsprechung in den Takten des ersten Wiederholungsendes, das zunächst für alle drei Strophenfolgen gelten sollte (»Ia, IIa, IIIa Volta«). Da es keine Voraussetzung für eine »IVa Volta« des daran anschließenden zweiten Wiederholungsendes gab, wurde dort »IVa« durch »IIIa« ersetzt und in der Klammer des ersten Wiederholungsendes »IIIa« getilgt, sie gilt ja tatsächlich auch nur der Wiederholung der ersten ([I.]) und zweiten Strophenfolge ([II.]). Die zweite Wiederholungsklammer enthält den Abschluss der dritten Strophenfolge ([III.]) und eine einfache diatonische Modulation zum »Sole che sorgi«, also der in allen drei Strophenfolgen im gleichen Wortlaut refrainartigen Schlußstrophe, nun nicht mehr »dolce«, sondern im Fortissimo bekräftigt von »Popolo« und »Ragazzi«. In ihm, dem gewissermaßen zusätzlichen Gesang des ›Refrains‹ durch das Kollektiv »Sole che sorgi«, erfüllt sich die Komposition. Hier erst, sozusagen in der Coda, nimmt sie wirklich hymnische Gestalt an, und es wird endlich die Tonika (Ges-​ Dur) ausgesungen, die über alle Strophenfolgen hinweg spannungsvoll zurückgehalten wurde, über die jeweils ersten dominantischen Strophen I./​1, II./​ 1 und III./​1 (Vorzeichen Ges-​Dur, aber nach Des-​Dur gewendet), die kadenzierenden Binnenstrophen I./​2, II./​2 und III./2, die auf der Subdominantparalle As-​Dur enden als V. Stufe für den Refrain »Soli che sorgi« I./​3, II./​3 und III./​3, dieser mit den Vorzeichen von Des-​Dur, bevor er nach besagten zwei Modulationstakten der Wiederholungsklammer 2 im Tutti des »Popolo« und der »Ragazzi« und nun bei seinem vierten Male endlich in der Grundtonart des Stückes Ges-​Dur (mit deren Vorzeichen) erklingt. Julian Budden konnte dieser Konzeption nichts abgewinnen: Puccini was surely right in thinking poorly of his composition. In form and character it follows the pattern laid down by Sousa and followed by Elgar in his Pomp and Circumstances marches: ternary, with a quit episode that is thundered out in full panoply by way of coda. The difference here is that there is no reprise of the original idea. The episode, first heard in the dominant, is immediately repeated fortissimo in the home key. For this a memorable tune is essential; and that is precisely what Puccini fails to provide. The melody hangy pointlessly about the fifth degree of the scale, and no amount of trumpets flourishes can give it any significance. Of all Puccini’s non-​theatrical compositions the Inno a Roma is the most inept.46

Puccini hat sich abfällig über seinen Inno a Roma geäußert, das stimmt, aber dieser lag ihm offenbar mehr am Herzen, als er nach außen hin bekundet hat. Die »original idea« wird nicht »immediately repeated fortissimo in the home key«. Sie erklingt dreimal auf der Dominante; »banda« und offenbar auch »con cassa grande« hat Puccini fallengelassen, »dolce« soll der

46 Budden, Puccini, p. 418.

»Ci vorrà una ripresa di popolo«

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Refrain dreimal zu hören sein, gewissermaßen als Andeutung zunächst und mehr im Sinne eines Versprechens, das dann durch seine finale Bekräftigung »Sole che sorgi« in der Tonika-​Coda des »Popolo« und der »Ragazzi« eingelöst wird (»trombe lunghe squilli ffo« fordert Puccinis Autograph). Eine Beteiligung des Publikums an seinem Inno a Roma hat Puccini offenbar sehr beflügelt. Der Bürgermeister dachte, wie wir gesehen haben, zunächst an »ragazzi delle Scuole«47. Puccini griff diese Idee auf, ging aber einen Schritt weiter: »Oltre i ragazzi […] ci vorrà una ripresa di popolo e io direi di istruire un certo numero di soldati.«48 Der wiederkehrende Vers »Sole che sorgi« sollte ein oder zweimal von den ausführenden Sängern »ragazzi« und »soldati« und dann nochmals vom »popolo«, vom Publikum gesungen werden: »Se il canto della 3a strofa sarà preso al volo, come spero, dopo una volta o due, il popolo lo potrà insieme cantare.«49 Dass die Menge in den Gesang einstimmt, erweist sich als eigentliche ›challenge‹ des Inno a Roma. Vessella Mss.Vess. 420, die mutmaßliche Reinschrift Saduns, bricht nach Wiederholungsklammer 2 zunächst ab, zum nachfolgenden Kehrvers »Sole che sorgi« nun durch das Kollektiv und auf der Tonika der eigens vorgezeichneten Tonart Ges-​Dur wird die Reinschrift erkennbar neu aufgenommen. Sie weist hier einen Bruch, einen neuralgischen Punkt auf. An die Weiterführung der ursprünglichen Paginierung hat der Schreiber bei Fortsetzung seiner Arbeit mit dem vierten Kehrvers »Sole che sorgi« für das Publikum nicht gedacht. Möglicherweise betreffen diese Feststellungen bedeutungslose Äußerlichkeiten, vielleicht aber ist die kollektive Bekräftigung des Refrains die ›raison d’être‹ dieser Komposition und ihres auf die Masse setzenden Effekts. Am 15. April hakt Puccini nochmals nach und lässt sich die enorme Anzahl der Ausführenden bestätigen. Tags darauf noch ein konkreter Vorschlag, der den Effekt garantieren soll: […] direi di pubblicare, in un foglietto da distribuire al pubblico, i versi di Salvatori e il refrain con note musicali ad un solo rigo, così il popolo potrà cantare, insieme ai soldati nel finale, detto refrain. […] È inutile che ti trascriva la musica; da Vessella puoi far scrivere il rigo musicale colle parole: ›Sole che sorgi libero‹, ecc.50

Ein Hymnus für Schüler und Soldaten, in den das Publikum einstimmen soll, ein Hymnus nicht für das Opernhaus und elitäre Kreise, sondern ein Hymnus für die Massen unter freiem Himmel. Das war die kompositionstechnische

47 Brief Prospero Colonnas an Puccini vom 26. Februar 1919, Marchetti, Tutta la verità, p. 400. 48 Brief Puccinis an Colonna vom 23. März 1919, ibid., p. 401. 49 Wie Anm. 48. 50 Brief Puccinis an Colonna vom 16. April 1919, Marchetti, Tutta la verità, p. 402sq.

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Markus Engelhardt

Herausforderung, der sich Puccini gestellt, ihr sich jedenfalls nicht verweigert hat. Seinem Inno a Roma das Fehlen eines »essential tune« anzulasten, ist abwegig. Der Hauptgedanke des wiederkehrenden und sich im Tutti des Publikums erfüllenden »Sole che sorgi« musste ergreifend, aber auch einfach genug sein, damit die Menge gerne und ohne große Mühe einstimmen konnte, das beschäftige Puccini und dieses Problem suchte er zu lösen. Es als verdientes Los von Puccinis Inno a Roma hinzustellen, dass er reichlich Verwendung in faschistischer Zeit und in Nazideutschland gefunden hat, ist geradezu absurd. Er ist eine Komposition auf die Hauptstadt der aus dem großen Krieg siegreich hervorgegangenen Nation Italien, auf die Hauptstadt des Regno d’Italia, mit einem Mitglied der königlichen Familie, Prinzessin Jolanda, als Widmungsträgerin und er ist eine Komposition, die es durchaus verdient, als Zeugnis einer nicht unbedeutenden Epoche der italienischen Musik gewürdigt zu werden.

Ivana Rentsch

Gesang –​ »Gesangsprechen« –​ »Sprechgesang«: Engelbert Humperdincks Königskinder zwischen Melodram und Oper Das Problem der deutschen Oper ist die deutsche Sprache  –​darüber war man sich bereits im 18. Jahrhundert einig. Im Gegensatz zum leidenschaftlichen Italienisch, der Sprache des Gesangs schlechthin, gehört das spröde Deutsch laut Johann Friedrich Reichardt allein dem »Verstand« an1. Entsprechend bestehe die Schwierigkeit deutscher Opern in der unvermeidlich mangelhaften Musikalität der Libretti sowie in der klimabedingten Eigenheit, dass der »kältere nachsinnende Deutsche« nur durch »Ueberzeugung in die Leidenschaft andrer« versetzt werden könne2. Viel erklärender Text sei also nötig, der jedoch unmöglich durchgehend als Rezitativ abgesungen werden solle, da die deutschen Worte »in dem erborgten musikalischen Gewande gar beleidigend unwahr und armselig« einhergingen3. Zusätzlich erschwert wurde die unglückliche Ausgangslage schließlich dadurch, dass es keine genuin deutsche Gesangspraxis gab, die den sprachlichen Eigenheiten gerecht geworden wäre und stattdessen eine italienische Technik vorherrschte. Dass jedoch die deutsche Sprache dem perlenden Belcanto nicht gewachsen war und die italienische Virtuosität auf Kosten deutscher Textverständlichkeit teuer erkauft werden musste, setzte dem konstatierten Übel die Krone auf. Eine unmusikalische Sprache, umständlich lange Worte, das ›kalte‹ Temperament des Publikums, lange Erläuterungen und eine inadäquate italienische Gesangspraxis –​vor diese Schwierigkeiten sah sich nicht nur Johann Friedrich Reichardt in seiner Abhandlung Ueber das deutsche Singeschauspiel von 1782 gestellt4. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ziehen sich besagte Klagen wie ein roter Faden durch die deutsche Operngeschichte:  So kommt das im späten 18.  Jahrhundert entstehende deutsche Singspiel ebenso einer aus der Not geborenen Gattung gleich  –​charakterisiert durch die Vermeidung ›armseliger‹ Rezitative und unverständlicher virtuoser Arien –​, wie das Gesangsideal von Richard Wagners Musikdramen

1 Johann Friedrich Reichardt, Ueber das deutsche Singeschauspiel, in: Musikalisches Kunstmagazin 1/​4 (1782), p. 161sq. 2 Ibid. 3 Ibid., p. 161. 4 Ibid., pp. 161–​164.

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oder Engelbert Humperdincks Opern nicht aus dem Problemfeld der deutschen Sprache herausgelöst werden können.

I. Melodramatisches Sprechen Den im 19. Jahrhundert womöglich radikalsten Schritt auf der Suche nach einer Stimmbehandlung, die dem deutschen Musiktheater gerecht wird, tat Engelbert Humperdinck in der ersten Fassung seiner Königskinder von 1897. Er stellte das Bühnenwerk in die Tradition des Melodrams, jener Gattung also, die zu einer instrumentalen Komposition nur Deklamation, nicht aber Gesang vorsieht. Allerdings bediente sich Humperdinck des Melodrams nicht ohne eine entscheidende Innovation, die er selbst als »gebundenes Melodram« bezeichnete: In den zur Musik rezitierten Texten legte er sowohl die rhythmischen Werte als auch die ungefähre Tonhöhe der Partien fest. Zu diesem Zweck erfand Humperdinck sogenannte »Sprechnoten«, die dazu bestimmt waren, »Rhythmus und Tonfall der gesteigerten Rede (Melodie des Sprachverses) mit der begleitenden Musik in Einklang zu setzen« (siehe Abbildung)5. Obwohl Humperdinck explizit darauf hinwies, dass die Notation nur »als ein Fingerzeig dienen« sollte, um die annähernde Tonhöhe anzuzeigen, so offenbart sich in der Erwartung, dass die Rhythmen »ziemlich genau« einzuhalten sind6, eine unverkennbare Tendenz zur Musikalisierung der Deklamation.

Abbildung: Engelbert Humperdinck, Königskinder (Melodram von 1897), »Zur Einführung«.

Engelbert Humperdinck, Zur Einführung, in: id., Königskinder. Ein Märchen in drei Akten, Melodram, Partitur, Leipzig (Max Brockhaus) 1897. 6 Brief Engelbert Humperdincks an Ernst von Possart vom 25. Juli 1895 aus Marienberghausen, zitiert nach Eva Humperdinck, Die Entstehung des Melodram »Königskinder« von Engelbert Humperdinck im Spiegel seines Briefwechsels, in: Andrea Korte-​Böger (ed.), Engelbert Humperdinck. Zum 70. Todestag, Siegburg (Rheinlandia) 1992, p. 34. 5

Gesang – »Gesangsprechen« – »Sprechgesang«

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Der Grund, warum Humperdinck nach dem durchschlagenden Erfolg von Hänsel und Gretel mit den Königskindern nicht von Beginn an eine weitere ›Märchenoper‹ komponierte und sich stattdessen einem gleichsam avantgardistischen ›gebundenen Melodram‹ zuwandte, war zunächst ein rein praktischer: Elsa Bernstein hatte unter dem Pseudonym Ernst Rosmer ein Schauspiel verfasst, zu dem sie sich von Humperdinck Schauspielmusik erbat. Keine Oper also, sondern nur ein paar instrumentale Zwischenmusiken für die Theaterbühne sollte der Komponist zu den Königskindern beisteuern. Dass Humperdinck seine Aufgabe keineswegs als Gelegenheitsarbeit erachtete und sich das Projekt zunehmend weg vom Sprech-​und hin zum Musiktheater entwickelte, lag einerseits an seiner mehrfach geäußerten Begeisterung über Bernsteins Königskinder-​Schauspiel, andererseits aber auch an den musikalischen Ansprüchen, die das Publikum an den berühmten Opernkomponisten stellte –​Ansprüche, derer er sich durchaus bewusst war: Wieviel Zeit bleibt mir für die Ausarbeitung der Musik? […] Nach meinen großen Erfolgen habe ich jetzt noch mehr Veranlassung, darauf zu sehen, daß ich nichts Minderwertiges zu Tage fördere, oder ich müßte denn unter einem fremden Namen als Componist figurieren. Nun, das hängt ja auch mit von der Ausdehnung ab, die der Musik dabei eingeräumt werden soll.7

Humperdincks Bestreben, der Musik ein weit über bloße Zwischenspiele hinausreichendes Gewicht zu verleihen, lag durchaus im Interesse der Autorin, die sich »das Ganze eingesponnen und durchsponnen von Musik« vorstellte8. Als nach zweijähriger Arbeit im Januar 1897 schließlich die Uraufführung der Königskinder in München stattfand, wurde dem Publikum ein Werk präsentiert, das die ganze Palette sprachlicher Deklamation vom gesprochenen Dialog bis zum gesungenen Lied ausschöpfte, mit der eigentlichen Innovation als Zwischenstufe: besagtem »Sprechgesang« über einem auskomponierten Orchestersatz. Obwohl die Schauspieler von den musikalischen Anforderungen gänzlich überfordert waren, erwiesen sich die Königskinder als überraschend großer Erfolg, wurde das Werk doch in einem Zeitraum von nur zwei Jahren auf über 70 Bühnen gespielt9.

7 Brief Engelbert Humperdincks an Heinrich Porges vom 28. Dezember 1894 aus Frankfurt, ibid., p. 19. 8 Brief Elsa Bernsteins an Engelbert Humperdinck vom 29. Dezember 1894 aus München, ibid., p. 21. 9 Siehe Otto Besch, Engelbert Humperdinck, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1914, p. 65.

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II. »Gebundenes Melodram« Angesichts der kompromisslosen Fokussierung auf die sprachliche Deklamation, mit der Humperdinck an den Kern des deutschen Gesangs gerührt hatte, zerfiel das Publikum in zwei Lager –​begeisterte Anhänger und vehemente Gegner. Eine der schärfsten Kritikerinnen des neuen ›Sprechgesangs‹ war Cosima Wagner. Da sie mit Humperdinck befreundet war –​der in Bayreuth mit Richard Wagner zusammengearbeitet und ihren Sohn Siegfried Wagner unterrichtet hatte –​, lag ihr offensichtlich viel daran, ihn vom melodramatischen ›Irrweg‹ abzubringen. Nun aber das Problem des gesprochenen Tones oder des gesungenen Wortes? Davon habe ich gar nichts gemerkt, die Schauspieler haben geschrieen, so daß ich am Schluß nichts mehr verstand, weil mein Ohr das Schreien nicht verträgt. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt: Hat hier Freund Humperdinck Noten gesetzt oder nicht? Und dieses Suchen und Nicht-​Finden war recht qualvoll.10

Zehn Tage später hatte Cosima Wagner schließlich eine Lösung für das ›gebundene Melodram‹ gefunden: »Nein, nicht verbrennen, sondern –​Sondern! Ich meine so: Der jetzige Erfolg scheint mir nicht von Dauer sein zu können, und dann können Sie auftreten, Frau Bernstein ersuchen, einen Operntext aus dem Stück zu machen«11. Genau dies, nämlich die Umarbeitung der Königskinder zu einer Oper, sollte Humperdinck wenige Jahre später in Angriff nehmen. Dass sich hierbei die Gelegenheit bot, die musikalischen Teile des nach 1900 weitgehend vergessenen Melodrams in ein neues Werk hinüberzuretten, dürfte die Entscheidung begünstigt haben. In jedem Fall ist für die zweite Fassung der Königskinder aufschlussreich, dass Humperdinck zwar starke Kürzungen an den gesprochenen Dialogen vornahm, die vertonten Abschnitte hingegen nur subtil bearbeitete und zum musikalischen Gerüst der Oper machte –​ein Gerüst, in das sich die weiten neukomponierten Teile nahtlos einfügen. Während also die reinen Sprechtheater-​Passagen abgestreift wurden, avancierten die ›gebundenen‹ melodramatischen Nummern zum Ausgangspunkt für eine deutsche Oper. Dass Humperdinck die Musik aus den melodramatischen Abschnitten zu großen Teilen in die Oper übernahm, mag naheliegend erscheinen. Überraschend ist jedoch, dass er an den betreffenden Stellen neben dem Orchesterpart sogar die –​zuvor in ›Sprechnoten‹ niedergeschriebene –​Deklamation 10 Brief von Cosima Wagner an Engelbert Humperdinck vom 28. Januar 1897 aus München, in: Eva Humperdinck (ed.), Engelbert Humperdinck in seinen persönlichen Beziehungen zu Richard Wagner, Cosima Wagner, Siegfried Wagner, dargestellt am Briefwechsel und anderen Aufzeichnungen, vol. 2, Koblenz (Görres) 1997, p. 22. 11 Brief von Cosima Wagner an Engelbert Humperdinck vom 7. Februar 1897 aus Bayreuth, ibid., p. 26.

Gesang – »Gesangsprechen« – »Sprechgesang«

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wiederverwendete. Vielerorts unterscheiden sich die notierten Gesangslinien nur in der Form ihrer Notenköpfe, kaum jedoch in Tonhöhe oder Rhythmus von der melodramatischen Vorlage (siehe Notenbeispiele 1a und 1b).

Notenbeispiel 1a:  Engelbert Humperdinck, Königskinder (Melodram von 1897), I. Akt, Nr. 3, T. 24–​3612. 12 Humperdinck, Königskinder (Melodram), p. 7.

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Notenbeispiel 1b:  Engelbert Humperdinck, Königskinder (Oper von 1910), I. Akt, 1. Szene, T. 8 nach Z. 17 bis T. 10 nach Z. 1813.

13 Engelbert Humperdinck, Königskinder. Märchen-Oper in drei Aufzügen, Leipzig (Max Brockhaus) 1910, p. 25sq.

Gesang – »Gesangsprechen« – »Sprechgesang«

Notenbeispiel 1b (Fortsetzung). 

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Dass die melodische Differenz zwischen Deklamation und Operngesang minimal ist, offenbart, wie nahe in Humperdincks Verständnis die melodramatische Rezitation dem deutschen Gesang ist. Da der Unterschied ein nur gradueller ist, bedurften die übernommenen Passagen keiner tiefgreifenden Bearbeitung, sondern ließen sich fast unverändert in die Oper integrieren. Die Singstimme ist untrennbar an die Prosodie der gesprochenen Sprache gekoppelt, weshalb sich die Sänger im Grunde an der Deklamation des Schauspiels orientieren müssen. Dank der Entstehungsgeschichte der Königskinder vom Theaterstück zum ›gebundenen Melodram‹ und schließlich zur Oper –​was einer Musikalisierung in zwei Stufen gleichkommt –​lässt sich die Verankerung von Humperdincks Gesangsideal im Sprechtheater deutlich verfolgen. Nicht das ›gebundene Melodram‹ an sich war seiner Meinung das Problem der ersten Fassung gewesen, sondern die Besetzung durch überforderte Akteure: »Ich glaube, dass das mir vorschwebende Ideal vollkommen erreicht werden wird, wenn statt Schauspielern in Zukunft gebildete Sänger den neuen Stil zur Geltung zu bringen haben«14.

III. »Gesangsprechen« –​ »Sprechgesang« Humperdinck setzte den deutschen Gesang in direkte Beziehung zur Theaterdeklamation, was er allerdings nicht als revolutionären Akt verstanden wissen wollte, sondern vielmehr der Tradition Richard Wagners angehörig. Zwar hatte Wagner selbst das »sogenannte Melodrama als ein Genre von unerquicklichster Gemischtheit verworfen«15, für Humperdinck spielte dieses vernichtende Urteil jedoch insofern keine Rolle, als er Wagners Kritik ausschließlich auf das rhythmisch unkoordinierte Nebeneinander von Deklamation und Musik bezog –​ein aufführungspraktisches Problem, das er mit dem ›gebundenen Melodram‹ als gelöst erachtete16. Dass dieses wohl nicht ganz in Wagners Sinn gewesen wäre, zeigt unter anderem die vehemente Ablehnung von Cosima Wagner, der erklärten Hüterin des Bayreuther Vermächtnisses. Der entscheidende Punkt aber, in welchem Wagners und Humperdincks Ideal des deutschen Gesangs tatsächlich zusammenfallen, ist die angestrebte Verschmelzung von sängerischer und schauspielerischer Deklamation zu einem ›Sprechgesang‹.

14 Brief Engelbert Humperdincks an Arthur Seidl vom 12. Dezember 1900 aus München, in: Humperdinck, Die Entstehung des Melodram »Königskinder«, p. 155. 15 Richard Wagner, Dichtungen und Schriften. Jubiläumsausgabe in zehn Bänden, ed. Dieter Borchmeyer, Frankfurt am Main (Insel) 1983, vol. 7: Oper und Drama, p. 122. 16 Brief Engelbert Humperdincks an Arthur Seidl vom 12. Dezember 1900 aus München, in: Humperdinck, Die Entstehung des Melodram »Königskinder«, p. 155.

Gesang – »Gesangsprechen« – »Sprechgesang«

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Unsere moderne Oper geht einen Weg, der zum Melodram führen muß. […] Mir war eigentlich Richard Wagner in den ›Meistersingern‹ vorbildlich, der aus dem Gesange heraus Beckmesser in Gesangsprechen übergehen läßt, wenn ich auch dieses Ziel in umgekehrter Weise verfolge und die Sprache sich zum Sprechgesange erheben lasse.17

Versucht man zu rekonstruieren, was genau unter Wagners »Gesangsprechen« oder Humperdincks »Sprechgesang« zu verstehen ist, muss man sich vergegenwärtigen, auf welche Aufführungspraxis die Komponisten mit ihren Forderungen reagierten. Trotz des einseitigen Dringens auf schauspielerische Deklamation bestand ihr Ziel nämlich keineswegs darin, das Singen zugunsten eines melodischen Sprechens aufzugeben –​vielmehr sollte es von der italienischen Operntradition befreit werden18. Analog dazu, wie bereits Johann Friedrich Reichardt im späten 18. Jahrhundert geklagt hatte, dass die deutsche Sprache nicht für den Belcanto tauge, konstatierte fast 100 Jahre später auch Wagner:  »Mit dieser Sprache verbunden ist der italienische ›Canto‹ unausführbar, und wir müssen ihm, sei der auch noch so süß und reich, wie er unseren Schwelgern dünken mag, durchaus entsagen«19. Dass die Opernpraxis allerdings weit davon entfernt war, dem italienischen Gesangsideal zu ›entsagen‹, war der eigentliche Grund für Wagners und auch Humperdincks unnachgiebiges Pochen auf Deklamation. Das »Verderbnis namentlich der deutschen Oper« war in beider Augen20, dass sich das Musiktheater unter dem italienischen Einfluss gänzlich vom Schauspiel abgesondert habe:  Die Bühnenwerke fokussierten sich nur noch auf die Primadonna und den Primo uomo, die mangels sinnvoller Dialoge in einer »sowohl der Stupidität wie der Virtuosität geweihten Absonderung lebten […]. Was dagegen von Worten und Sprache für den reinen Gesang übrigblieb, ward endlich zu dem Kauderwelsch, das wir heutzutage in der Oper zu hören bekommen«21. Eine ähnlich vernichtende Beschreibung des gängigen Opernsängers findet sich auch in den Klagen von Julius Hey, dem Verfasser der wirkmächtigen

17 Brief Engelbert Humperdincks an Theodor Distel vom 2. November 1898 aus Boppard, ibid., p. 144. 18 Zu Richard Wagners Gesangsideal siehe Arne Stollberg, »…daß ich ihn unter dem Singen wirklich und deutlich sprechen ließ«. Richard Wagner als Gesangspädagoge, in: Claudio Bacciagaluppi et al. (edd.), Zwischen schöpferischer Individualität und künstlerischer Selbstverleugnung. Zur musikalischen Aufführungspraxis im 19. Jahrhundert, Schliengen (Edition Argus) 2009 (Musikforschung der Hochschule der Künste Bern 2), pp. 49–​64. 19 Richard Wagner, Über Schauspieler und Sänger (1872), in: id., Dichtungen und Schriften, vol. 9: Beethoven. Späte dramaturgische Schriften, p. 234. 20 Ibid., p. 231. 21 Ibid.

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pädagogischen Schrift Deutscher Gesangs-​Unterricht. Lehrbuch des sprachlichen und gesanglichen Vortrags (1884) und Mitarbeiter Wagners bei der Uraufführung des Ring des Nibelungen 1876: Wo trifft man heute Sänger mit ausreichender Intelligenz, Stimmschulung und der Fähigkeit, eine Verszeile mit richtiger, verständlicher Aussprache und dramatisch belebtem Ausdruck zu singen?! Das ist ein qualvolles Ringen, Quetschen und Knödeln zum Erbarmen! Ich habe schon jede Hoffnung aufgegeben, jemals Leistungen an unseren Bühnen zu begegnen, die mich auch nur halbwegs befriedigen könnten!22

In den kritischen Augen Heys, Wagners und Humperdincks war die völlige Konzentration auf eine mit der deutschen Sprache unvereinbare Virtuosität dafür verantwortlich, dass der Text und mit ihm das Drama aus dem Blickfeld der Sänger gerückt sei. Wenn also Wagner einen »ehrlichen deutschen Sing-​Schauspieler«23 herbeisehnt und Humperdinck einen »intelligenten Sänger« für einen »neuen Stil« fordert24, bedeutet dies keineswegs das Ende des Gesangs in der Oper. Dass die wiederholt formulierte Forderung nach deutlicher Artikulation dennoch wie ein Aufruf zum Gesangsverzicht klingt, erklärt sich letztlich dadurch, dass der Ruf nach einer Aufwertung der Konsonanten vor dem Hintergrund einer auf Vokalisen fußenden italienischen Virtuosität gänzlich gesangsfremd wirken musste. Der »Sprechgesang« ist folglich nicht als reine Deklamation misszuverstehen, sondern als ein Gesang, der die ›unmusikalischen‹ Konsonanten nicht unter den Tisch fallen lässt –​ein Gesang also, der dem Italienischen zugunsten des Deutschen entsagt.

22 Hans Hey (ed.), Richard Wagner als Vortragsmeister 1864–​1876. Erinnerungen von Julius Hey, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1911, p. 21. 23 Wagner, Über Schauspieler und Sänger, p. 233. 24 Brief Engelbert Humperdincks an Arthur Seidl vom 12. Dezember 1900 aus München, in: Humperdinck, Die Entstehung des Melodram »Königskinder«, p. 155.

Lucinde Braun

»… ich brauche ein Sujet nach der Art von Cavalleria rusticana«1 – Čajkovskij und das Fin de siècle In ihrer großen Studie über den Umgang mit der musikalischen Klassik in der Sowjetunion hat Marina Raku reichhaltiges Material zur Rezeption von Čajkovskijs Musik zusammengetragen2. Nach der Oktoberrevolution, so zeigt ihre Untersuchung, galt der einstige Vorzeigekomponist des Zarenreichs als Inkarnation einer überwundenen Epoche, mit der man nichts mehr zu tun haben wollte. In den von Raku analysierten Rezeptionszeugnissen der 1920er Jahre bescheinigte man Čajkovskij einen Hang zu einem »düsteren Pessimismus der Seele«3. Unter den Prämissen eines marxistischen Geschichtsbildes versinnbildlichten seine Opern  –​allen voran Evgenij Onegin und Pikovaja dama –​den Niedergang der einst herrschenden gesellschaftlichen Klasse. Diese décadence im buchstäblichen Sinn habe Čajkovskij ästhetisch überhöht, ohne sie mit einem angemessenen politischen Bewusstsein kritisch zu reflektieren. Michail Pekelis, einer der Vertreter des Russischen Verbandes proletarischer Musiker (RAPM), schrieb 1924: Als reines Produkt des aristokratischen, adligen Milieus konnte [Čajkovskij] seiner Natur nach den Sinn und die Bedeutung neuer Ideen nicht erfassen. [...] Verurteilt von der Geschichte, die zu einer höheren Form in der ökonomischen Einrichtung der Gesellschaft strebte, schied der Adel aus dem Leben und goß seine Gefühle in Trauer und Ausweglosigkeit, in die melancholischen Dämmerungen der Sonnenuntergänge. Im Bereich der Musik hat P. I. Čajkovskij diese Epoche besonders deutlich und tiefsinnig zum Ausdruck gebracht.4

»… мне нужен сюжет вроде Сельской чести«. Aus Čajkovskijs Brief an Vladimir Davydov, Klin, 11. April 1893, in: Petr I. Čajkovskij, Polnoe sobranie sočinenij. Literaturnye proizvedenija i perepiska, vol. 17, Moskau (Gosudarstvennoe muzykal’noe izdatel’stvo) 1981, p. 79. 2 Cf. Marina Raku, Muzykal’naja klassika v mifotvorčestve sovetskoj ėpochi, Moskau (Novoe literaturnoe obozrenie) 2014, pp. 564–​659. »В мрачном пессимизме души Чайковско […].« Leonid Sabaneev, Istorija russkoj 3 muzyki, Moskau (Rabotnik prosveščenija) 1924, p. 51, zitiert nach Raku, Muzykal’naja klassika, p. 569. 4 »Будучи целостным созданием аристократической, дворянской среды, он не мог по этой своей природе воспринять смысла и значения новых идей. […] Обреченное историей, выдвинувшей более высокую форму экономического устройства общества, дворянство уходило из жизни, преломляя свои переживания сквозь тоску 1

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Die Rehabilitierung des Komponisten unter den Vorzeichen des Stalinismus hatte eine Kehrtwende zur Folge, die Čajkovskijs Musik wieder legitimierte, jedoch um den Preis einer nahezu totalen ideologischen Vereinnahmung. Es erfolgte eine Umdeutung, die aus Čajkovskij den großen Klassiker machte –​ das Russisch-​Nationale und der sogenannte psychologische Realismus wurden nun in den Vordergrund gerückt5. Nicht nur konkrete historische Fakten wie die Zusammenarbeit mit den Kaiserlichen Theatern oder der Kaiserlichen Russischen Musikgesellschaft (IRMO), die Beziehungen zum Zarenhof und anderen Angehörigen der Zarenfamilie mussten ebenso wie religiöse Anspielungen systematisch aus den Quellenpublikationen getilgt werden. Es fehlte auch ein offener Blick auf die ästhetischen Strömungen der Zeit, denen Čajkovskij verpflichtet gewesen war; der internationale Raum, in dem er sich immer bewegt hatte, wurde ignoriert; man verschloss die Augen vor seiner Homosexualität, die zweifellos prägend für sein Selbstverständnis und seine Lebenswirklichkeit war. Die ideologisch begründeten Konzepte blieben auf lange Zeit wirksam und schufen in der Sowjetunion mit der Zeit Fakten, die nur schwer zurechtzurücken sind. In der russischen musikwissenschaftlichen Forschung nach der Perestroj­ka bildete die Wiedergewinnung eines adäquaten historischen Kontextes für Čajkovskij ein zentrales Anliegen6. Gelehrte wie Arkadij Klimovickij charakterisierten ihn als Vorläufer und Wegbereiter des russischen Symbolismus, der wichtigsten ästhetischen Strömung im Russland der Jahrhundertwende, deren beeindruckende Erzeugnisse erst gut hundert Jahre später als ›silbernes Zeitalter‹ der russischen Kultur gewürdigt werden konnten7. Auch безысходности, грусть закатных сумерек. И П.И. Чайковский –​ значительный и глубокий выразитель этой эпохи в сфере музыки.« Michail Pekelis, P. I. Čajkovskij, in: Muzykal’naja nov’ 11 (1924), p. 36sq. (zitiert nach Raku, Muzykal’naja klassika, p. 568). Der damalige Jargon lässt sich nur mit sprachlichen Anpassungen ins Deutsche übertragen. Siehe auch zahlreiche ähnliche Bewertungen bei Raku, Muzykal’naja klassika, pp. 568–​571. 5 Cf. hierzu die ausführliche Darstellung bei Raku, Muzykal’naja klassika, pp. 634–​ 655. Dazu gehören groß dimensionierte Projekte wie die Neue Akademische Gesamtaus6 gabe seiner Werke, die Neuausgaben der Briefwechsel mit Nadežda von Meck und dem Verleger Petr Jurgenson in ungekürzter und reich kommentierter Form sowie die Publikation unzensierter Briefe in dem Sammelband Neizvestnyj Čajkovskij (Polina Vajdman [Ed.], Moskau [Muzyka] 2009). Cf. auch Grigorij Moiseev, P. I. Čajkovskij und der Großfürst Konstantin Nikolaevič Romanov. Zur Geschichte einer Wechselbeziehung, in: Tschaikowsky-​Gesellschaft. Mitteilungen 22 (2015), pp. 3–​36. 7 Die in den 1980–​90er Jahren verstreut publizierten Aufsätze liegen mittlerweile in einem Sammelband vor, cf. Arkadij I. Klimovickij, Petr Il’ič Čajkovskij. Kul’turnye predčuvstvija. Kul’turnaja pamjat’. Kul’turnye vzaimodejstvija, Sankt

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Čajkovskijs Auseinandersetzung mit religiösen Themen regt heute zu neuen Fragestellungen an, insbesondere wenn es um seine letzte Oper Iolanta geht8. Trotz dieser Ansätze kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass gerade der Blick auf das Opernschaffen des Komponisten bisher nur partielle Erkenntnisse hervorgebracht hat9. Dies mag generell mit der Sonderstellung der Opernforschung, ihrem methodologisch komplexen Gegenstand und ihren noch verhältnismäßig jungen Traditionen zu tun haben. Ein Problem für die Einordnung Čajkovskijs in das Operngeschehen seiner Zeit besteht zweifellos darin, dass man sich dabei nicht auf eine innerrussische Perspektive beschränken darf, sondern dass das gesamteuropäische Tableau dieser Gattung einbezogen werden muss. Denn der Komponist selbst hat aus seiner randständigen russischen Position heraus aktuelle Tendenzen aus sämtlichen wichtigen Opernzentren registriert –​offener und breiter in seiner Wahrnehmung als die meisten seiner westeuropäischen Kollegen. Sowohl in den italienischen Opernhäusern, die Čajkovskij auf seinen Reisen kennenlernte, als auch in seinem russischen Umfeld konnte er so beobachten, dass das internationale System der italienischen Oper sich seit den 1870er Jahren in einer tiefen Krise befand. In den 1880er Jahren gab es kaum impulsgebende neue Werke aus Italien, die wie einst im Stande gewesen Petersburg (Petropolis) 2015 (siehe auch die Besprechung von Lucinde Braun, in: Tschaikowsky-​Gesellschaft. Mitteilungen 23 [2016], pp. 93–​97). Ausführlich diskutiert wurden die Bezüge zur symbolistischen Dichtung dann auch von Simon Morrison in seiner Monographie Russian Opera and the Symbolist Movement, Berkeley/​CA (University of California Press) 2002, pp. 45–​114. 8 So befasst sich Antonina Makarova in ihrer Disseration mit der Bedeutung von Mysterienspiel und Geistlicher Oper für Čajkovskijs Schaffen: Misterial’nye proobrazy v opernom tvorčestve P.I. Čajkovskogo. Dissertacija kandidata iskusstvovedenija, Ekaterinburg 2017, http://​www.magkmusic.com/​docs/​dissov/​makarova/​ dissertacija-​makarova.pdf (4.8.2020). Ein Büchlein wie Galina Sizkos Duchovnyj put’ Čajkovskogo (s.l. [Fond fon Mekk] 2019), in dem versucht wird, eine Zusammenschau von Čajkovskijs Auseinandersetzung mit der orthodoxen Welt seiner Zeit zu geben, zeigt, dass die Bedeutung religiöser Themen für Čajkovskij noch lange nicht ausdiskutiert ist. Nicht zufällig weist die kürzlich vorgelegte Neuedition seiner Liturgie (Mitropolit Hilarion [ed.], Liturgy of St John Chrysostom for four-​part mixed choir, Op. 41 (ČW 77). 1878, Čeljabinsk/​Mainz [MPI/​Schott] 2018) im Kommentar beträchtliche Lücken auf, zu deren Schließung grundlegende Forschungen zur Werk-​und Editionsgeschichte ebenso wie zur Tradition der geistlichen Musik in Russland erforderlich wären. 9 In Dorothea Redepennings sachkundiger, auf der Basis einer langjährigen Beschäftigung mit der russischen Musikgeschichte verfassten Biographie (Peter Tschaikowsky, München [C. H. Beck] 2016) etwa bleiben Čajkovskijs Opern vergleichsweise blass konturiert. Cf. hierzu auch die Besprechung durch die Autorin dieses Beitrags in: Tschaikowsky-​Gesellschaft. Mitteilungen 23 (2016), p. 102sq.

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wären, die Theater zu füllen10. Mit Unverständnis registrierte Čajkovskij zugleich den wachsenden Erfolg der Wagner’schen Musikdramen11. War schon die Veranstaltung der Festspiele in Bayreuth, die er als Berichterstatter miterlebte, in ihrer breiten gesellschaftlichen Resonanz für ihn nicht recht nachvollziehbar, so ließ ihn der aufkeimende Wagnérisme in Frankreich im Verlauf der 1880er Jahre am Urteilsvermögen der Franzosen zweifeln12. Seine Vorstellungen von bühnentauglichen Szenen und menschlich bewegenden Dramenstoffen hatten mit denjenigen Wagners nichts gemeinsam, obwohl oder vielleicht gerade weil ihm die Idee eines musikalischen, an einer hochwertigen literarischen Vorlage ausgerichteten Dramas ebenfalls am Herzen lag. Bemüht um einen eigenen Zugang zur Operngattung, wandte sich Čajkovskij mehr und mehr dem französischen Musiktheater zu, das ihm aufgrund seiner tiefen Verwurzelung in der französischen Sprache und Kultur und seiner Begeisterung für die exquisite französische Schauspielkunst besonders nahe stand13. Ein oft hervorgehobenes Schlüsselerlebnis war 1875 die Bekanntschaft mit Georges Bizets Carmen gewesen. Aber auch die ersten erfolgreichen Opern Jules Massenets weckten sein Interesse und regten ihn zu eigenen Werken an14. Anhand von zwei Beispielen soll im Folgenden gezeigt werden, in welchem Maße Čajkovskijs Schaffen in seiner reifen Lebensphase Berührungspunkte zur westeuropäischen Fin de siècle-​Oper aufweist –​einem Bereich, der nicht nur einst von Sowjetideologen als politisch rückständig verworfen wurde, sondern dessen ästhetischer Wert auch in der internationalen Musikforschung erst allmählich in vollem Umfang erkannt wird15. Das erste Beispiel ist der in der Čajkovskij-​Biographik noch kaum angemessen beachtete Versuch, eine französische Oper für eine Pariser Bühne zu komponieren –​ein Herzenswunsch des Komponisten, den dieser im September 1885 in seinen allerersten Briefen an seinen neuen französischen Verleger Félix Mackar zur

10 Siehe zur Lage der italienischen Oper in Russland in der Ära Albert Vizentinis,​ Lucinde Braun, Studien zur russischen Oper im späten 19. Jahrhundert, Mainz et al. (Schott) 1999, pp. 47–​64. 11 Cf. Thomas Kohlhase, Čajkovskijs Wagner-​Rezeption, in:  Tschaikowsky-​ Gesellschaft. Mitteilungen 4 (1997), pp. 70–​96. 12 Cf. Lucinde Braun, »La terre promise«  –​Frankreich im Leben und Schaffen Čajkovskijs, Mainz et al. (Schott) 2014, p. 367. 13 Cf. ibid., pp. 11–​46. 14 Cf. Esti Sheinberg/​Marina Ritzarev, »The Infinite Grace of Jesus«: Massenet’s »Marie-​Magdeleine« and Tchaikovsky’s Blessed Tears, in: Music & Letters 91 (2010), pp. 171–​197. 15 Hier ist insbesondere auf die breitgefächerten Forschungen Jürgen Maehders hinzuweisen.

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Sprache gebracht hatte16. Dieses Projekt, das im Juni 1886 seinen Anfang nahm17, sei hier daher als besonders intensives Eintauchen in die Sphäre der französischen Fin de siècle-​Oper skizziert. Verschiedene Quellen haben sich zu diesem nie vollendeten Opernprojekt erhalten, die erst vor kurzem von Luis Sundkvist entdeckt und veröffentlicht worden sind:  eine umfassende Korrespondenz des Komponisten mit Léonce Détroyat und Louis Gallet sowie zwischen den beiden Librettisten, das von Détroyat vorgelegte Szenarium der auf drei Akte geplanten Oper und der von Gallet in Verse gefasste I. Akt18. In seinen Briefen an Détroyat erörterte Čajkovskij zunächst ausführlich seine Wünsche bezüglich eines passenden Opernstoffs. Sein französischer Partner hatte ihm mehrere, vorzugsweise russische Sujets vorgeschlagen, die Čajkovskij nicht nur aufgrund ihrer für einen Einheimischen absurden lokalhistorischen Details abgelehnt hatte19. Die letztlich getroffene Entscheidung, die ausdrücklich auf den Vorstellungen des Komponisten basierte, zielte auf ein Sujet, das sich mit seinem Konflikt von sinnlich-​erotischer und asketisch-​reiner Liebe zwischen der indischen Kurtisane Sadia und dem buddhistischen Mönch Sourya als Schwesterwerk zu Opern wie Massenets Le roi de Lahore oder Hérodiade interpretieren lässt. Wie Luis Sundkvist rekonstruiert hat, geht das Sadia-​Libretto keineswegs auf Johann Wolfgang von Goethes Ballade Der Gott und die Bajadere zurück, wie bisher immer angenommen wurde, sondern stützt sich auf die Erzählung La courtisane et le pieux bouddhiste aus der Sammlung Contes et légendes de l’Inde ancienne par Mary Summer, avec une introduction par Ph. Ed. Foucaux (Paris, 1878), die Gallet  als Quelle vorgeschlagen hatte20. Es handelt sich also um keine durch den Namen des großen deutschen Klassikers geadelte Goethe-​Oper, sondern um ein typisches Erzeugnis französischer Librettistik, dessen erste ihm vorliegende Resultate Čajkovskij in höchsten Tönen gelobt hatte21. Als ein Beispiel dafür, was Čajkovskij gerne in Musik setzen wollte, möge das Szenarium des II. Akts der Oper dienen:

16 Cf. Braun, »La terre promise«, p. 263. 17 Cf. ibid., p. 262. 18 Cf. Luis Sundkvist, Čajkovskijs Opernprojekt »Sadia« (»La courtisane«) nach einer französischen Textvorlage von Louis Gallet und Léonce Détroyat, in:  Tschaikowsky-​Gesellschaft. Mitteilungen 21/​1 (2014), pp.  56–​108; Louis Gallet/​Léonce Détroyat, Szenarium zu Čajkovskijs Opernprojekt »Sadia« (»La courtisane«) (Übertragung und Kommentar von Luis Sundkvist), in: Tschaikowsky-​Gesellschaft. Mitteilungen 21/​1 (2014), pp. 120–​132. 19 Cf. Sundkvist, Čajkovskijs Opernprojekt »Sadia«, pp. 61–​67. 20 Cf. ibid., pp. 77–​81. 21 Cf. Braun, »La terre promise«, p. 273.

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Le décor représente l’intérieur de la cour du Palais de Sadia. Une colonnade dans le fond, avec terrasse donnant sur le Gange. –​Au-​delà du fleuve, des plaines fertiles avec maisons de campagne, jardins, etc… Scène 1ère Sadia, seule. Elle est étendue sur une couche de soie et de duvet de cygne. Un esclave l’évente avec un grand éventail. Sa toilette est des plus lascives, ses cheveux superbes tombent épars sur ses épaules. Elle se soulève soudain sur sa couche et renvoie l’esclave. Je ne sais que j’éprouve. Je n’ai jamais eu qu’insolence et dédain pour tous les hommes. Et celui-​là, ce mendiant s’est emparé de moi tout entière. Il tient ma pensée captive; mon âme inquiète semble n’être plus qu’à lui seul. Son manteau d’étoffe grossière m’apparaît plus beau, plus éclatant que les plus belles soies couvertes des plus riches parures, etc… Mais Mahra ne revient pas… Elle est allée s’assurer si je le verrai ce soir à ma fête. Viendra-​t-​il? Scène 2e Arrivée de Mahra. À la vue de Mahra, Sadia s’est levée précipitamment Que tu as tardé!... L’as-​tu vu? Viendra-​t-​il? Il viendra. Que les Dieux soient loués! Dans un instant, il sera près de toi. Duo de deux femmes. Sadia Ah! Mahra, tu ne peux comprendre ce que j’éprouve… C’est une passion insensée que je sens naître en moi. Jamais je n’ai vu être vivant ayant une démarche si superbe. Devant lui, mon front se courbe comme devant un Dieu. Mahra Prends garde, ces amours sont funestes aux femmes comme toi… Sourya, c’est ainsi qu’on le nomme, est venu dans ces contrées enseigner à tous l’obéissance envers les Dieux et la chasteté. Aucune courtisane ne pourra le tenter. Les Apsaras du Mont-​Mérou perdraient leurs peines à vouloir séduire ce zélé néophyte. Sadia Tout cela me ravit et m’enchante. Ma passion ne fait que grandir quand j’écoute  ce que tu dis de lui. Mahra L’amour est mort en lui! Sadia Est-​ce que les passions meurent dans le cœur des hommes… Elles sommeillent. Mahra Essaie donc de les réveiller chez lui. Sadia, exaltée J’essaierai. Oui, je veux essayer. Et crois-​tu donc qu’il puisse résister à Sadia éperdue, frémissante, appelant la volupté!

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Non! non! Il oubliera et son maître et la loi. Il succombera entre les bras de la courtisane qui l’aime. Ensemble, entre les deux femmes.22

Mit dem geplanten Werk hätte sich Čajkovskij direkt in die französische Décadence-​Oper eingeschrieben. Dem Bild, das man üblicherweise mit dem russischen Opernlyriker verbindet, hätte Sadia eine völlig neue Facette hinzugefügt. Die Gestalt der verwöhnten indischen Bajadere, die den keuschen Sourya zu verführen hofft, dann aber durch die Liebe zu ihm eine Umkehr erlebt und in einer Schlussapotheose mit ihm in den Himmel erhoben wird, hat wenig gemein mit einer Tat’jana oder Liza23. Dass Čajkovskij sich für diese Thematik so sehr erwärmt hatte, lässt jedoch verwandte Momente in seinen vollendenten Opern schärfer hervortreten –​Momente, die bisher nicht als zentrale Motive seines Schaffens bewertet worden sind24. Sich im Pariser Opernbetrieb einen Platz zu erobern, erwies sich letztlich als unlösbare Aufgabe. Ungünstig wirkte sich dabei aus, dass Čajkovskij seit Mitte der 1880er Jahre von seinem zunehmenden Erfolg in Russland überrascht wurde. Zar Alexander III. wünschte seine Werke in Petersburg zu sehen25. Nach der prunkvollen Inszenierung von Evgenij Onegin im Jahre 1885 an dem von der italienischen Operntruppe übernommenen Bol’šoj teatr gaben die Kaiserlichen Theater in rascher Folge das Ballett Spjaščaja krasavica, die Oper Pikovaja dama und schließlich das Doppelwerk Iolanta und Ščelkunčik bei ihm in Auftrag –​alles Werke, deren Sujets und Szenarien in enger Absprache mit der Theaterdirektion festgelegt worden waren. Für Sadia blieb Čajkovskij keine Zeit. Da seine beiden französischen Mitarbeiter ihm auch keine Perspektive für eine Aufführung auf einer Pariser Bühne nennen konnten, schlief das Projekt 1891 allmählich ein26. Eine überraschende Nachfrage des Komponisten im Sommer 1892 veranlasste Gallet zur Fertigstellung des gesamten Librettos. Es gelangte jedoch nie in die Hände Čajkovskijs und ist bisher nicht aufgefunden worden27.

22 Gallet/​Détroyat, Szenarium zu Čajkovskijs Opernprojekt »Sadia«, p. 125sq. 23 Cf. zu den aus Aleksandr Puškins Werken stammenden Frauengestalten und zu ihrer Ausdeutung bei Čajkovskij die Monographie Kadja Grönkes, Frauenschicksale in Čajkovskijs Puškin-​Opern –​Aspekte einer Werke-​Einheit, Mainz et al. (Schott) 2002. 24 Gedacht ist hier vor allem an die Gestalt der Jungfrau von Orléans mit ihrem Konflikt zwischen religiösem Auftrag –​die nationale Mission spielt in Čajkovskijs Oper eine untergeordnete Rolle –​und irdischer Liebe und an die kurtisanenartige Gastwirtin Nastas’ja in Čarodejka. 25 Cf. Braun, Studien zur russischen Oper, pp. 163–​165. 26 Cf. Sundkvist, Čajkovskijs Opernprojekt »Sadia«, p. 100sq. 27 Cf. zur interessanten Nachgeschichte des Projekts, ibid., pp. 104–​106.

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An dieser Stelle nimmt die zweite Episode dieses Beitrags ihren Anfang. Um sie zu verstehen, ist eine Nahaufnahme notwendig, denn für den Opernkomponisten Čajkovskij hatte sich die Situation erneut gewandelt. Nicht nur hatte sich die anfängliche Begeisterung der Franzosen für seine Person und sein Werk nach einem kurzen Wirbel verflüchtigt28. Auch der Erfolg an den Kaiserlichen Theatern schien plötzlich nicht von der erhofften Dauer. Hatte Pikovaja dama in den Spielzeiten 1890/​91 zwölf und 1891/​92 siebzehn Aufführungen erzielt (für russische Verhältnisse eine hohe Anzahl), stand sie in der folgenden Saison plötzlich nur dreimal auf dem Programm29. Da der Komponist an den Einnahmen der Vorstellungen beteiligt war, hatte dies spürbare finanzielle Folgen30. Nachdem auf dem Höhepunkt der Saison keine seiner Opern gegeben worden war, wartete Čajkovskij ungeduldig auf Aufführungen. So schrieb er seinem Bruder am 28. Januar 1893: »Nach Petersburg fahre ich zur Fastenzeit, um das Geld zu holen. In finanzieller Hinsicht ist dieses Jahr schlecht für mich. Wird man denn auch zur Fastnacht nichts von mir geben?«31 Zu den erhofften Vorstellungen kam es indessen nicht, so dass der Komponist am 6. Mai 1893 auch gegenüber Jurgenson klagte, dass »in finanzieller Hinsicht […] das Jahr für mich sehr schwer gewesen ist«32. Welche Konsequenzen ergaben sich daraus? Čajkovskijs Rolle als ökonomischer Akteur, der seine Werke im Laufe seines Lebens immer besser zu vermarkten verstand und mit wachsendem Ruhm auf beträchtliche wirtschaftliche Erfolge blicken konnte, hat erst kürzlich Philip Bullock nachgezeichnet33. Aus dieser lesenswerten Analyse ist in unserem Kontext vor allem der Befund von Interesse, dass auch Čajkovskijs Einnahmen aus dem Verkauf seiner gedruckten Werke 1890 einen Gipfel erreicht hatten, dann aber drastisch einbrachen –​in einem Moment, als zudem die langjährige Mäzenin des Komponisten, Frau von Meck, ihre regelmäßigen Zahlungen einstellte34. 28 Cf. Braun, »La terre promise«, pp. 147–​157. 29 Cf. Braun, Studien zur russischen Oper, p. 390. 30 Cf. etwa die Aufstellungen von Einnahmen durch die Kaiserlichen Theater in Briefen Jurgensons, Petr I. Čajkovskij/​Petr I. Jurgenson, Perepiska, vol. 2, Moskau (Jurgenson) 2013, p. 420sq. 31 »В Петербург приеду к посту за деньгами. Плох для меня этот год в денежном отношении. Неужели и на масленице ничего моего не дадут?« Brief an Modest Čajkovskij, Kamenka 28. Januar 1893, in: Čajkovskij, Literaturnye proizvedenija i perepiska, vol. 17, p. 27. 32 »С денежной точки зрения […] год вышел для меня очень тяжелый.« Brief an Petr Jurgenson, Sankt Petersburg 6. Mai 1893, in: Čajkovskij/​Jurgenson, Perepiska, vol. 2, p. 468. 33 Cf. Philip Bullock, Chaikovsky and the Economics of Art Music in Late Nineteenth-​ Century Russia, in: The Journal of Musicology 36 (2019), pp. 195–​227. 34 Ibid., pp. 202, 206.

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Dass sich seit 1892 auch die Zusammenarbeit mit den Kaiserlichen Theatern wenig positiv entwickelte, ist bisher nicht beachtet worden35, trug aber sicher zusätzlich dazu bei, dass Čajkovskij sich gezwungen sah, seine künstlerische Arbeit gezielt auf ihre Wirtschaftlichkeit hin auszurichten. In dieser Phase scheint der Besuch einer Aufführung von Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana zum Schlüsselerlebnis geworden zu sein36. Bei einem Aufenthalt in Warschau, wo er ein Konzert mit eigenen Werken leitete, erhielt der russische Musiker zum ersten Mal Gelegenheit, den Einakter zu sehen. Zwei Tage nach der Warschauer Aufführung am 10. Januar 1892 berichtete er in einem Brief an Nikolaj Konradi: Schon den dritten Tag bin ich in Warschau. Ich finde diese Stadt nicht so sympathisch wie viele andere. Im Sommer ist sie übrigens schön. Die Proben sind im Gange; das Orchester ist hier schlechter als mittelmässig. Ich verbringe die Zeit mit einem meiner früheren Schüler, dem berühmten Geiger Barcewicz und in der Familie Friede. Diese Familie zeichnet sich durch ungewöhnliche Herzlichkeit und Gastfreundschaft aus; überhaupt sind alle ihre Mitglieder sehr sympathisch. Heute werde ich dort das neue Jahr erwarten. Am Abend bin ich gewöhnlich im Theater. Die Oper ist hier nicht schlecht. Gestern sah ich zum ersten Mal die unvermeidliche Cavalleria Rusticana. Diese Oper ist in der Tat bemerkenswert, namentlich wegen ihres gelungenen Sujets. Vielleicht kann Modja auch ein derartiges Sujet ausfindig machen.37

35 Wie Bullock schreibt, ist dieser Quellenbereich noch nicht hinlänglich erforscht. Er selbst gibt hierzu daher nur einige Anhaltspunkte, cf. ibid., p. 209sq. 36 Čajkovskijs Verhältnis zu Mascagni ist auf der Website Tchaikovsky-​research.net mit zahlreichen Belegen dargestellt, die überdies Zugang zu Brieftexten und Sekundärliteratureinträgen auf diesem bestens ausgestatteten Portal gewähren, cf. http://​ en.tchaikovsky-​research.net/​pages/​Pietro_​Mascagni (4.8.2020). 37 »Нахожусь уже третий день в Варшаве. Не нахожу, подобно многим, этот город особенно симпатичным. Впрочем, он особенно хорош летом. Репетиции мои идут; оркестр здесь более чем второстепeнный, и устаю я гораздо больше, чем как этo бывает в столицах. Провожу время с бывшим учеником моим, знаменитым скрипачом Барцевичем, а также с семейством певицы Фриде. Семейство это отличается необыкновенным радушием, хлебосольством и общей симпатичностью всех его членов. Сегодня буду встречать у них Новый год. По вечерaм бываю в театре. Опера здесь очень недурна. Вчера видел в 1-​й раз пресловутую ›Сельскую честь‹. Эта опера в самом деле очень замечательна и особенно по удивительно удачному выбору сюжета. Вот пусть-​ка Модя мне подыщет сюжет в этом роде.« Brief an Nikolaj Konradi, Warschau 12. Januar 1892, in: Petr I. Čajkovskij, Polnoe sobranie sočinenij. Literaturnye proizvedenija i perepiska, vol. 16a, Moskau (Gosudarstvennoe muzykal’noe izdatel’stvo) 1978, p. 303sq. Deutsche Übersetzung nach Modest Tschaikowsky: Alexander Erhard/​Thomas Kohlhase (edd.), Das Leben Peter Iljitsch Tschaikowskys. Deutsch von Paul Juon, vol. 2, Mainz (Schott) 2011, p. 539.

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Die Charakterisierung des Einakters als »пресловутый« (von Paul Juon mit »unvermeidlich« übersetzt, aber wohl besser mit »berühmt-​berüchtigt« wiederzugeben) lässt vermuten, dass dem Werk kein besonders guter Ruf vorauseilte. Der lebendige Eindruck jedoch widerlegte die negativen Presseurteile, die Čajkovskij offenbar bekannt waren. Er zeigte sich so begeistert, dass er sofort den Wunsch äußerte, sein ihm als Librettist zur Seite stehender Bruder Modest (Modja) möge einen ähnlichen Opernstoff für ihn suchen. Wie stark die Oper ihn faszinierte, beweist ein etwas späterer Brief an ebendiesen Bruder, in dem bereits vom zweiten Besuch einer Cavalleria rusticana-​Vorstellung in Warschau die Rede ist38. Auch längerfristig hielt Čajkovskij an seiner speziellen Entdeckung Mascagnis fest. In einem Zeitungsinterview vom 12. November 1892 trug er seine Ansichten über den damaligen Stand des Musiklebens an eine breitere Öffentlichkeit. Hier holte er weiter aus und erläuterte, weshalb er den überwältigenden Erfolg von Mascagnis Oper nicht nur einer geglückten Werbekampagne zuschrieb: Die Musik in Italien befand sich noch in der jüngsten Zeit auf einem ausgesprochenen Tiefstand. Offensichtlich sind wir jetzt Zeugen ihres beginnenden Wiedererwachens. Eine ganze Schar junger Talente macht inzwischen von sich reden, von denen Mascagni gerechterweise die größte Aufmerksamkeit erheischt. Völlig verfehlt sind Ansichten, die den gewaltigen, geradezu märchenhaften Erfolg dieses jungen Komponisten auf eine geschickte Reklame zurückführen. Für ein talentloses und nur für den Augenblick bedeutsames Werk kann man werben, wie man will, ohne auch nur das geringste zu erreichen. Auf gar keinen Fall würde man das gesamte europäische Publikum dazu bringen, in frenetische Beifallsstürme auszubrechen. Mascagni ist offensichtlich nicht nur überaus begabt, sondern auch ein ausgesprochen kluger Mann. Er hat verstanden, dass gegenwärtig für die Kunst überall die Zeichen auf Realismus und Annäherung an die Lebenswahrheit stehen, dass die Wotane, Brunhilden und Fafners in der Seele des Hörers eigentlich keine lebendige Resonanz mehr finden und dass der Mensch mit seinen Leidenschaften und Kümmernissen uns verständlicher ist und näher als alle Götter und Halbgötter Walhallas. In seiner Stoffwahl geht Mascagni nicht nach einem Instinkt vor, sondern lässt ein tieferes Verständnis für die Bedürfnisse heutiger Hörer erkennen. Er vermeidet es auch, so vorzugehen wie einige italienische Komponisten, die möglichst wie Deutsche aussehen wollen und sich gleichsam schämen, Kinder ihres Vaterlandes zu sein. Mascagni illustriert mit typisch italienischem Sinn für das Plastische und Schöne die von ihm gewählten Lebensdramen, so dass im Ergebnis etwas so Sympathisches

38 Cf. den Brief an Modest Čajkovskij, Warschau 15.  Januar  1892, in:  Petr I. Čajkovskij, Polnoe sobranie sočinenij. Literaturnye proizvedenija i perepiska, vol. 16b, Moskau (Gosudarstvennoe muzykal’noe izdatel’stvo) 1979, p. 13; deutsche Übersetzung: Tschaikowsky, Das Leben Peter Iljitsch Tschaikowskys, vol. 2, p. 539.

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und Attraktives herauskommt, dass sich das Publikum dem nicht mehr entziehen kann.39

Die von Čajkovskij verwendeten Schlagwörter erinnern in ihrem sehr allgemein bleibenden Inhalt deutlich an seine Äußerungen über Bizets Carmen. Auch Cavalleria rusticana ist ihm sympathisch, weil normale Sterbliche mit ihren Gefühlen und Konflikten im Mittelpunkt stehen. Hierfür verwendet er den sonst selten von ihm eingesetzten Begriff des ›Realismus‹. Mit dem Hinweis auf die »italienische Plastizität und Schönheit« greift Čajkovskij ebenfalls auf Schlagwörter zurück, mit denen er gerne operierte, ohne indessen konkretere Anhaltspunkte für die damit verbundenen Konzepte zu liefern40. Es dürfte sich auch bei Mascagni um die Einbeziehung geschlossener musikalischer Formen und ein Festhalten am Belcanto handeln –​zwei Aspekte, die Čajkovskij in Pikovaja dama und Iolanta wieder ganz bewusst in das Zentrum seiner Werkanlage gerückt hatte. In einem in Odessa publizierten Interview vom 13. Januar 1893 wiederholte der zu Mascagni befragte Komponist die schon bekannten Aussagen in Kurzform, fügte jedoch einen lobenden Hinweis auf die gekonnte Orchestrierung hinzu –​angesichts der wenig

39 »До самого последнего времени искусство в Италии находилось еще в большем упадке. Но мы, повидимому, присутствуем при заре восрождения его. Появилась целая плеяда молодых талантов, и из них Масканьи обращает на себя, по всей справедливости, наибольшее внимание. Напрасно думают, что колоссальный сказочный успех этого молодого человека есть следствие ловкой рекламы. Сколько ни рекламируй произведение бездарное или имеющее лишь мимолетное значение, ничего не сделаешь и уж никак не заставишь всю европейскую публику просто захлебываться от фанатического восторга. Масканьи, очевидно, человек не только очень даровитый, но и очень умный. Он понял, что в настоящее время посвюду веет духом реализмa, сближения искусства с правдой жизни, что Вотаны, Брунгильды и Фафнеры не вызывают, в сущности, живого участия в душе слушателя, что человек с его страстями и горестями нам понятнее и ближе, чем боги и полубоги Валгаллы. Судя по выбору сюжетов, Масканьи действует не в силу инстинкта, а в силу глубокого понимания потребностей современного слушателя. При этом он не поступает, как некоторые итальянские композиторы, старающиеся по возможности более походить на немцев и как будто стыдящиеся быть детьми своего отечества; он с чисто итальянскою пластичностью и красивостью иллюстрирует избираемые им жизненные драмы, и в результате получается произведение почти неотразимо-​ симпатичное и привлекательное для публики.« Beseda s Čajkovskim v nojabre 1892 g. v Peterburge, in: Petr I. Čajkovskij, Muzykal’no-​kritičeskie stat’i, Moskau (Gosudarstvennoe muzykal’noe izdatel’stvo) 1953, p. 369sq. Deutsche Übersetzung nach Ernst Kuhn (ed.), Tschaikowsky aus der Nähe. Kritische Würdigungen und Erinnerungen von Zeitgenossen, Berlin (Ernst Kuhn) 1994, p. 223. 40 Cf. Braun, »La terre promise«, pp. 359–​368.

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präzisen Äußerungen immerhin ein kleiner Anhaltspunkt dafür, dass auch die Orchestersprache des jungen Italieners von ihm registriert worden war: Die Oper ist sehr gut, aufrichtig geschrieben, mit einem überaus interessanten Sujet. Der Autor der Oper, Mascagni, ist ein talentierter Mensch. Er versucht nicht nachzuäffen wie andere junge Komponisten. Er schreibt mit großer Begeisterung, hat sich ein passendes Sujet ausgewählt, die Orchestrierung ist höchst modern und brillant, er meidet Routine, –​das alles zusammen trägt zum Erfolg seiner Oper beim Publikum bei.41

Dass die Formel aus Realismus gepaart mit italienischem Gespür für Form und Kantilene einen so überwältigenden Publikumserfolg hervorgebracht hatte, scheint Čajkovskij animiert zu haben, sich wieder selbst der Oper zuzuwenden. Nachdem die Kaiserlichen Theater kein verlässlicher Partner schienen, wird ihm die Ausbreitung privater Opernunternehmen im Zarenreich nicht entgangen sein, deren weiteren Aufstieg im Verlauf der 1890er Jahre er nicht mehr miterleben konnte42. Die Anfänge dieser Entwicklung waren ihm bestens bekannt. Im Mai 1892 unterstützte er den Kiewer Sänger und Regisseur Ippolit Prjanišnikov, den er sehr schätzte, bei seinem Versuch, eine genossenschaftlich organisierte Oper auf die Beine zu stellen, indem er sich als Dirigent für mehrere Vorstellungen zur Verfügung stellte43. Auf den aufstrebenden kleineren Bühnen im Zarenreich, aber auch weltweit versprachen Werke vom Zuschnitt der neuen veristischen Opern am ehesten Aufführungszahlen, die Čajkovskijs Kasse hätten füllen können44. Als er im Frühjahr 1893 ernsthaft begann, nach einem Stoff Ausschau zu halten, kam er immer wieder auf Mascagni zurück. So erläuterte er seinem Neffen, dass er einem vom Bruder Modest verfassten Libretto Nal’ i Damajanti wenig abgewinnen könne: »Ich finde, er hat das Libretto sehr kunstvoll gemacht, mir selbst ist das Sujet aber nicht besonders nach dem Herzen. Es

41 »Опера очень хорошая, написана искренне, сюжет весьма интересный. Автор оперы, Масканьи, талантливый человек. Он не старается, по примеру других молодых композиторов, обезьянничать. Он пишет с большим одушевлением, сюжет выбран им весьма удачно, оркестровка –​ вполне современная, блестящая, рутины он избегает, –​ все это вместе взятое и способствует успеху его оперы в публике.« Interview in Odesskij listok, 13. Januar 1893, zitiert nach: Grigorij Moiseev, Odesskie gastroli v zerkale pressy. Dva zabytych interv’ju P. I. Čajkovskogo, in: Muzykal’naja akademija 3 (2010), p. 123. 42 Seit 1896 sollte Nikolaj Rimskij-​Korsakov von Savva Mamontovs Privatoper profitieren, cf. Braun, Studien zur russischen Oper, pp. 92–​96. 43 Cf. ibid., p. 79sq. 44 Cf. zu den nicht unerheblichen Einnahmen aus Opernvorstellungen außerhalb der russischen Hauptstädte Petersburg und Moskau, Bullock, Chaikovsky and the Economics of Art Music, p. 212sqq.

»… ich brauche ein Sujet nach der Art von Cavalleria rusticana«

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ist zu weit vom Leben entfernt. Ich brauche ein Sujet in der Art von ›Bauernehre‹ [d.i. die Rückübersetzung des russischen Titels von Cavalleria rusticana, L.B.].«45 Und auch gegenüber dem Bruder benannte er Carmen und Cavalleria rusticana als modellhafte Werke, an denen dieser sich orientieren solle:  »Um Gottes willen suche oder erfinde einmal möglichst kein phantastisches Sujet, sondern etwas in der Art von ›Carmen‹ oder ›Cavalleria rusticana‹«46. In die gewünschte Richtung begab sich der Komponist schließlich mit einem eigenhändigen Entwurf zu einem Opernszenarium nach George Eliots Mr Gilfil’s Love Story, den er im Sommer 1893 skizziert haben dürfte47: II. Akt:  1. Bild  –​verschiedene Szenen 1)  zwischen dem Captain und der Braut; 2) zwischen Tina und dem Captain; 3) zwischen Tina, der Braut, dem Captain und Gilfil, in denen ihre Wechselbeziehung erläutert wird sowie die Eifersucht Tinas, die Eifersucht der Braut, die unangenehme Lage des Captains, dessen Gesundheit sich immer mehr verschlechtert, die Unverschämtheit Tinas, die zur Erklärung mit dem Lord führt, der beschließt, sie mit Gilfil zu verheiraten, das Leiden und die Eifersucht Gilfils usw. All das soll im Park stattfinden. 2. Bild. Abend im großen Saal des Schlosses. Tina wird aufgefordert zu singen. Sie singt die zweite Arie aus dem I. Akt, wird aber so davon mitgerissen, dass sie zur allgemeinen Überraschung (so ähnlich wie in ›Adrienne Lecouvreur‹) wirklich den Captain angreift, unerwartet einen Dolch ergreift und ihn auf ihn wirft; doch in dem Moment, in dem sie zu ihm hinläuft, stößt der Captain einen Schrei aus und stirbt. Allgemeiner Schrecken, Verzweiflung. Tina fällt in Ohnmacht. III. Akt. Tina, die sich bei Dorcas verbirgt, ist in einem Zustand der Apathie. Gilfil tritt auf, glücklich, sie gefunden zu haben und gleichzeitig betrübt über ihre Lage. Ein Versuch, mit ihr zu sprechen, bleibt erfolglos. Der Lord und die Lady in Trauer tauchen ebenfalls auf. Nach mehreren kurzen Szenen, in denen sich alles aufklärt, was passiert war, versucht Gilfil Tina ihre erste Arie in Erinnerung zu rufen. Sie

45 »Я нахожу это либретто очень искусно сделанным, но мне этот сюжет не особенно по сердцу. Слишком далеко от жизни; мне нужен сюжет вроде Сельской чести.« Brief an Vladimir Davydov, Klin, 11. April 1893, in: Čajkovskij, Literaturnye proizvedenija i perepiska, vol. 17, p. 79; deutsche Übersetzung: Tschaikowsky, Das Leben Peter Iljitsch Tschaikowskys, vol. 2, p. 602. 46 »Ради Бога, поищи или изобрети сюжет и по возможности не фантастический, что-​нибудь вроде Кармен и Сельской чести.« Brief an Modest Čajkovskij, Klin, 17. April 1893, Čajkovskij, Literaturnye proizvedenija i perepiska, vol. 17, p. 85; deutsche Übersetzung: Tschaikowsky, Das Leben Peter Iljitsch Tschaikowskys, vol. 2, p. 603. 47 Die Datierung beruht auf Angaben seines Freundes, des Musikkritikers German Laroš, cf. German Laroš, Na pamjat’ o P.I. Čajkovskom, in: Vospominanija o P.I. Čajkovskom, Moskau (Muzyka) 1973, p. 412; deutsch von Ernst Kuhn in: Hermann Laroche, Peter Tschaikowsky. Aufsätze und Erinnerungen, Berlin (Ernst Kuhn) 1993, p. 169.

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lauscht ihm, beginnt zu singen, weint dann, kommt zu sich, und alles endet glücklich, wenn auch mit einem Schatten von Trauer. Sie wird Gilfils Braut, gibt ihm aber nur Hoffnung, dass sie ihn lieben wird.48

Richard Taruskin hat diesen Entwurf in einer ausführlichen Analyse mit der Romanvorlage abgeglichen49. Er arbeitet hier vor allem die Parallelen zwischen Eliots Werk und den Libretti von Evgenij Onegin und Pikovaja dama heraus, die den Komponisten zweifellos an dem Text gefesselt hatten. Ausführlich stellt Taruskin außerdem die der Vorlage inhärenten musikalischen Szenen vor, die um die weibliche Hauptfigur, das aus Italien stammende und mit einer schönen Stimme begabte Waisenmädchen Caterina (Tina), kreisen und –​wie aus dem Szenarium erkennbar –​für die (nicht überlieferte) Exposition im I.  Akt und den II.  und III.  Akt angewendet werden sollten. Auch Taruskin erwähnt in diesem Kontext Čajkovskijs Begeisterung für Mascagni, die ihm jedoch in deutlich negativer Sicht als Indiz für die Konventionalität des Komponisten Čajkovskij dient50 –​Überlegungen, die schließlich zu einer der Schlüsselthesen Taruskins führen, der Charakterisierung des Musikers

48 »2-​е действие. Картина 1-​я –​ различные сцены 1) между капитаном и невестой; 2) между Тиной и Капитаном; 3) между Тиной, Невестой, Капитаном и Гильфилем, из коих выясняются их взаимные отношения, ревность Тины, ревность Невесты, ложное положение Капитана, здоровье коего все ухудшается, дерзость Тины, вызывающая объяснения с Лордом, решающим выдать ее за Гильфиля, страдание и ревность Гильфиля и т. д. Все это должно происходить в парке. –​Картина II-​я. Вечер в большом зале замка. Тину просят петь. Она поет вторую из арий 1-​го действия, но так увлекается, что к удивлению всех (вроде того, как в ›Adrienne Lecouvreur‹), в самом деле нападает на Капитана, неожиданно выхватывает кинжал и бросается на него, но в ту минуту, как она подбегает, Капитан испускает крик и умирает. Общий ужас, отчаянье. Тина падает в обморок. –​Действие III. Тина, скрывающаяся у Доркас, в состоянии отупения. Является Гильфиль, счастливый, что нашел ее, и вместе опечаленный ее положением. Попытка говорить с ней безуспешна. Лорд и Леди в трауре тоже являются. Гильфиль, после разных кратких сцен, из коих разъясняется все, что случилось, пытается напомнить ей первую арию. Она прислушивается, начинает петь, потом плачет, приходит в себя, и все кончается хотя и благополучно, но с оттенком грусти. Она делается невестой Гильфиля, но лишь дает ему надежду полюбить его.« Polina Vajdman/​Ljudmila Korabel’nikova/​Valentina Rubcova (edd.), Tematiko-​bibliografičeskij ukazatel’ sočinenij P. I. Čajkovskogo, Moskau (Jurgenson) 2006, p. 794. Deutsche Übersetzung nach: Ada Ajnbinder, Großbritannien im Leben und Schaffen Čajkovskijs –​Nach Dokumenten aus dem persönlichen Archiv des Komponisten, in: Tschaikowsky-​Gesellschaft. Mitteilungen 21/​1 (2014), p. 25sq. 49 Richard Taruskin, Defining Russia Musically: Historical and Hermeneutical Essays, Princeton/​NJ (Princeton University Press) 1997, pp. 239–​249. 50 Ibid., p. 247.

»… ich brauche ein Sujet nach der Art von Cavalleria rusticana«

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als einer ästhetisch immer noch oder wieder dem 18. Jahrhundert verpflichteten Gestalt. Diese Stellungnahme, die eine ausführliche Diskussion verdienen würde, ist ein sprechendes Beispiel dafür, wie eine in sich völlig stimmige und brillant angelegte Konzeptualisierung stattfindet, die ohne eine Kenntnis aktueller Opernforschung auskommt. Zu den anzuzweifelnden Prämissen zählt etwa die Unterschätzung der Vorbildrolle, die das italienische Musiktheater für Čajkovskij besaß51. Auch ließe sich ergänzen, dass gerade die Eskalationsszene im Szenarium zu Mr Gilfil’s Love Story (II. Akt, 2. Bild) sich weit von Eliots Konzeption entfernt. Erkennbar sollte die Handlung hier in Momenten der Gewalt kulminieren, wie man sie aus veristischen Opern kennt. Čajkovskij selbst hatte Ähnliches bereits in den Suizidszenen von Pikovaja dama angelegt, die –​von Puškins Vorlage abweichend –​ beide auf seine Intervention hin zu Stande gekommen waren. Interessant ist auch der Umstand, dass die dramaturgische Idee sich an dieser Stelle am Modell von Eugène Scribes Adrienne Lecouvreur orientiert, an jener berühmten Szene im IV. Akt, in der die Titelheldin den Monolog aus Phèdre rezitiert. Dass Čajkovskij, im Übrigen auch ein Verehrer Jean Racines, auf diese Szene aus Scribes Stück anspielt, zeigt zum einen, wie eng er mit dem Repertoire des französischen Theaters vertraut war. Zum anderen, dass er aus diesem Wissensfundus Anregungen aufzugreifen verstand, die die Präsentation einer spannungsgeladenen Eifersuchtsszene ermöglichten, die keine bloße Kopie von Carmen oder Cavalleria rusticana gewesen wäre, sondern die bekannte Grundkonstellation in einem neuen Gewand präsentiert hätte. Es ist nicht die Aufgabe eines wissenschaftlichen Aufsatzes zu spekulieren, wohin die Suche nach einem passenden Opernsujet hätte führen können, wenn der Komponist im Herbst des Jahres 1893 nicht so unerwartet aus dem Leben gerissen worden wäre. Gezeigt werden sollte mit diesem Beitrag jedoch, dass bei der Beschäftigung mit Čajkovskijs Opern nicht nur seine hinlänglich erfasste Grand opéra-​Rezeption von Interesse ist, die vor allem bei den frühen Werken relevant ist, dann aber erkennbar an Bedeutung

51 Cf. Taruskins Kapitel »Italyanshchina« und sein Resümee zur Situation Ende des 19. Jahrhunders, ibid., p. 234sq. Zur Bedeutung italienischer Arienformen für Čajkovskij cf. Lucinde Braun, Das »pezzo concertato« in Čajkovskijs Opern, in: Tschaikowsky-​Gesellschaft. Mitteilungen 6 (1999), pp. 17–​26; Referat ead., Belcanto und klassische Einfachheit:  Zur Bedeutung der »solita forma« in Čajkovskijs »Pikovaja dama«, Internationale Tagung Čajkovskij-​Analysen –​ neue Strategien, Methoden und Perspektiven, Tübingen 7. bis 9. Juni 2018 (Publikation in Vorbereitung).

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verliert. Neue Einsichten in das von Čajkovskij angestrebte Musiktheater verspricht in Zukunft die Einbeziehung der französischen und italienischen Fin de siècle-​Oper, deren Erforschung sich nicht zuletzt dem Engagement des mit diesem Band geehrten Jubilars verdankt.

Lesley Wright

Werther’s Genesis: Insights from Massenet’s Autograph Composing Score Shortly before the Opéra-​Comique presented Werther for the first time (16 January 1893), Robert Charvay interviewed Massenet for L’Écho de Paris. Asked about the genesis of his opera, Massenet seemed to answer, but in truth concealed more than he revealed. He stated that it was in 1885, after he had finished Le Cid, that Georges Hartmann suggested the subject to him, that he had then requested a scenario from his publisher/​librettist, and that Hartmann, Paul Milliet and Édouard Blau worked together to present him with a first draft just a few days later, whereupon he began to work: Je me mis donc au travail... Mes premières mesures, je les écrivis au printemps de 1885 et je notai les dernières à la fin de l’hiver 1886... Près de deux années de labeur!...   La partition fut gravée de suite... Je songeai alors à chercher mon interprète principale, celle qui devait incarner l’héroïne du drame... Une cantatrice de tout premier ordre s’offrit d’abord à ma pensée... Mme Caron. Quelques semblants de pourparlers s’engagèrent à ce moment avec Carvalho... Ils n’eurent pas le temps d’aboutir. L’Opéra-​Comique, à cette époque, passa successivement entre les mains intérimaires de MM. Jules Barbier et Paravey.1

Addressing himself to the general public, Massenet greatly simplified what had really transpired. He failed to mention that the idea for Werther was quite possibly Paul Milliet’s and dated from early 18792. He also ignored Milliet’s numerous earlier drafts3, and diplomatically passed over his dissatisfaction with this collaborator’s efforts as well as the tension created when

1 Robert Charvay, Conversation avec J. Massenet, in: Supplément illustré de l’Écho de Paris (Jan. 1893), p. 5. 2 Cf. Paul Milliet, Werther, in: L’Art du théâtre 3/​31 (July 1903), pp. 106–​108: 107. 3 Milliet left his Werther drafts to the Société des auteurs et compositeurs dramatiques (F-​Psc). On Milliet cf. also Jean-​Christophe Branger, Tra Goethe e il 1789: “Werther”, un “drame lyrique” composto sotto il segno della Rivoluzione francese, in:  Fondazione Teatro la Fenice di Venezia (ed.), Werther (program book), Venice (VeneziaMusica e dintorni) Jan. 2019, pp. 83–​91: 84. Available online at https://​www.teatrolafenice.it/​wp-​content/​uploads/​2019/​05/​werther.pdf (27.7.2020). Branger points out that Milliet’s social prominence may have induced Hartmann to hold off on asking Blau to help rework the libretto for Massenet and that Milliet also saved Hartmann from bankruptcy in July 1887.

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Édouard Blau was added to the team4. He skipped over the unwillingness of Opéra-​Comique director Léon Carvalho to place such a dark work on his stage, though Massenet talks about this in his memoirs5, where he also claims that he had played through the score for Carvalho on 25 May 1887, the very day of the devastating and murderous fire that destroyed the second Salle Favart. This myth and other inaccuracies (largely from Massenet and Milliet) have muddied the understanding of Werther’s genesis. Recent publications that use Massenet’s letters and the press have done much to clarify that process6, but until now, readings in the autograph short score have been inaccessible, and its contents provide a treasure trove of information. In 1953 this autograph manuscript was described as follows: Werther, drame lyrique en 3 actes et 4 tableaux. J. Massenet. 186 leaves. 35.5 by 25.5 cm. Music on recto only of irregularly numbered leaves. First draft (voice and piano) of the opera. At end: Paris. lundi 14 mars 1887. J. Massenet. Many dates throughout. First performed:  February 16, 1892 in Vienna. Former owner:  Sybil Sanderson. Mrs. Marion Sanderson Nall.7

Massenet gave this Werther manuscript to the beautiful American soprano Sibyl Sanderson, who was his Esclarmonde, his Thaïs, and, in 1893, his Charlotte, for a performance of Werther in Nice8. Held by the family for decades, it disappeared after its sale in 19749. Prior to the auction, however,

4 In his edition of Massenet’s memoirs (Jules Massenet, Mes souvenirs et autres écrits, ed. Jean-​Christophe Branger, Paris (Vrin) 2017, p. 143, n. 341), Branger remarks that Massenet’s friend Julien Torchet reacted to Milliet’s snide comment in 1903 about capricious changes imposed by Hartmann: “Non, non, non: Hartmann n’y était pour rien. Les vers de Milliet n’y plaisaient pas à Massenet; voilà toute la vérité (ne pas oublier que Milliet, s’étant fâché avec Hartmann, se venge après sa mort)”. 5 Cf. ibid., p. 144. Carvalho died in 1897. 6 Cf. Patrick Gillis, Genèse de “Werther”, in: L’Avant-​Scène Opéra 61,​ed. 2 (1994), pp. 69–​73, and Branger, Tra Goethe e il 1789, pp. 83–​91. In addition, the author’s critical edition of Werther (Bärenreiter, in preparation) includes a detailed investigation into the genesis and sources. 7 Otto E.  Albrecht, A Census of Autograph Music Manuscripts of European Composers in American Libraries, Philadelphia/​PA (University of Pennsylvania Press) 1953, n.  1195, p.  185. Marion Sanderson Nall was the sister of Sibyl Sanderson. 8 For information on Sanderson, cf. Jack Winsor Hansen, The Sibyl Sanderson Story:  Requiem for a Diva, Pompton Plains/​NJ (Amadeus Press) 2005, and Karin Henson, Photographic Diva: Massenet, Sibyl Sanderson and the Soprano as Spectacle, in: Opera Acts: Singers and Performance in the Late Nineteenth Century, Cambridge (Cambridge University Press) 2015, pp. 88–​121. 9 Cf. Autographs, Travel and Americana, Literature, Fine Books and Hebrew Books, Sotheby Parke Bernet Inc., New York, 15 October 1974, lot 16.

Werther’s Genesis: Insights from Massenet’s Autograph Composing Score 375

the score was microfilmed, and a paper wrapper on the microfilm states that it is a “reproduction by the Library of Congress photoduplication service”; also written in pencil are “Music Microfilm Archive” and “Serial # 4852”. While a decades-​old, black-​and-​white microfilm cannot provide all the information available from a manuscript10, Massenet’s practice of recording dates and places plus references to revisions, family occasions, current events, and even the weather fills in details of the biography and genesis in 1886–​1887, and, of course, the music itself sheds light on the compositional process. The manuscript is written in black ink on 24-​staff paper. The manuscript foliation, beginning again in each act, is placed in the upper-​right corner. Multiple foliations indicate revisions to a few scenes, but because Massenet customarily used only the recto, he was also able to remove problematic passages entirely. The occasional bis page may also point to revision. The exception to this is Massenet’s use of 12bis, for he scrupulously avoided the number thirteen. A limited number of corrections/​revisions in black ink or pencil are also visible, some of them on collettes. A few annotations appear to have been directed toward the copyist who used this composing score to copy the text, vocal lines, and stage directions into most of the autograph orchestral manuscript, housed at the Bibliothèque-​Musée de l’Opéra in Paris (F-​Po, Rés. 542 [1–​3])11. The final layer of the short score conforms rather closely with the first layer of the autograph orchestral score. Related to this, in the composing manuscript is another set of folio numbers placed above the staves. In Massenet’s hand, they are in black ink or pencil and correspond with through-​foliation that is also found in the autograph orchestral score. In addition, Massenet entered numerous pencil annotations about orchestration in and around the accompaniment, and most often adhered to these ideas when he was writing out the orchestral score from 15 March to 2 July 1887. This manuscript differs at times from the first-​edition piano vocal score in its figuration, voicing, and use of register. Though it was apparently not used for Hartmann’s engraving of the piano-​vocal score in 1887, another series of page/​folio numbers (notated in pencil) is visible throughout, marking off 6-​ to-​9-​measure sections of music and usually placed above the uppermost staff

0 I am very grateful to have had access to the collection of Sibyl Sanderson’s family. 1 11 For example, in Act I (f. 32), Massenet puts a box in pencil around the stage direction “Werther est resté muet et interdit en regardant Charlotte, et quand la jeune fille se tourne vers la glace pour mettre son écharpe, il saisit le plus jeune des enfants et l’embrasse. –​L’enfant a peur de cet élan de tendresse.” He then writes this instruction in pencil: “Avis: faire tenir cette indication dans la page 117.” (This text appears in a copyist’s hand on f. 117r of the autograph orchestral manuscript.)

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of the system. The series likely corresponds to the formatting of a lost source, but does not align with pagination in the published piano-​vocal score. The composing manuscript has been placed in a light-​colored binding. On the front is a black rectangular label, stamped (probably in gold) WERTHER, and, under this, an ornamental figure and MANUSCRIT. Below the label is a handwritten quote from Goethe’s novella:  “Lettre LVI. [3]‌septembre.  –​ Quelquefois je ne puis comprendre comment un autre peut l’aimer, ose l’aimer, quand je l’aime si uniquement, si parfaitement; quand je ne connais rien, ne possède rien qu’elle. Gœthe.” While he was writing Werther, Massenet had in his possession the Nouvelle édition of Werther, in the translation by Philippe-​François Aubry (Paris:  Didot jeune, MDCC LXCVII [sic]). He gave this volume to Sibyl Sanderson’s mother. Still part of her family’s archives, it has the following autograph dedication: à Madame Sanderson _​_​ Lorsque, en 1886, j’écrivis les dernières pages de la partition de “Werther” c’est toujours en relisant le poëme de Goethe que j’achevai cet ouvrage –​et c’est ce livre qui est resté pendant trois années près de moi –​ Je vous offre ce livre avec l’expression de mes sentiments les plus attachés. J. Massenet Paris 1891 décembre

A brief newspaper clipping about Sanderson as Charlotte (13 February 1893, Nice) has been pasted onto the upper left corner of this manuscript (f. 1), partially covering razored text. The clipping reads: “A signaler le très grand succès de Werther dans lequel Mmes Sybil Sanderson et Albouy, MM. Cossira et Boyer se sont surpassés, devant un auditoire princier qui ne leur a pas ménagé ses bravos enthousiastes.”12 At the lower left Massenet added “(1885–​86–​87)” and then at the bottom, centered, this comment: “1ère audition le 16 septembre 1887  à 1h 1/​2”. Nothing indicates where the hearing, four months after Massenet’s presentation to Carvalho, took place or who was present. Logical choices would be the authors, and perhaps Jules Barbier (soon to be named interim director of the Opéra-​Comique), who would list Werther first among the works that he had planned to stage, until concerns in the Société des Auteurs et Compositeurs dramatiques about the

12 Several Parisian papers carried small notices of the Nice performance. Cf., for example, Le Capitaine Fracasse (pseud. of Auguste Germain), Gazette théâtrale, in: L’Écho de Paris (17 Feb. 1893).

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potential for conflict of interest forced the eminent librettist to withdraw his candidacy for the directorship of the Opéra-​Comique in December 188713.

Act I. La Maison du Bailli Foliation and musical numbers   f. 1 Prélude   f. 3 Le Bailli et Les Enfants: Noël! Noël! (f. 4)   f. 6 [bis] (skipped in microfilming? part of children’s chorus missing)   f. 7 Johann, Schmidt: Bravo pour les enfants!         f. 14 collette 1.5 mm. for Johann “Toujours il”   f. 19 Werther: Je ne sais si je veille –​   f. 20 O nature pleine de grâce   f. 34 O spectacle idéal d’amour   f. 44 Albert: Quelle prière de reconnaissance   f. 47 Clair de lune   f. 49 Charlotte, Werther: Il faut nous séparer –​Ah! pourvu que je voie ces yeux   f. 51  (Werther): Mon âme a reconnu votre âme   f. 52 (Charlotte): Vous avez dit vrai   f. 54 (Charlotte): Si vous l’aviez connu   f. 56 (Werther): Rêve, Extase!

ACT I Massenet’s annotations14 f. 1 -​Werther-​| drame lyrique en 3 actes | et 4 tableaux. | J. Massenet [upper right corner, signature in pencil] 1885-​86-​87 [bottom left corner, in pencil, circled] 1ère audition le 16 septembre 1887 à 1h 1/​2. [bottom center] f. 3 Versailles, | 9 juin/​86. | matin/​retouches, cette nuit –​il pleut toujours [lower right corner and lower margin, circled] retouches le Dimanche, 13 fevr/​87. | départ pour Gand (Cid)15 [below previous annotation]

3 Cf. Jules Prével, Courrier des théâtres, in: Le Figaro (26 Dec. 1887). 1 14 Massenet used pencil for his orchestration notes but black ink (unless otherwise mentioned) for his other annotations. Vertical strokes | indicate line breaks for the purpose of these transcriptions; slanted strokes /​were used by Massenet himself. 15 Cf. Nicolet (pseud. shared by Edouard Noël and Edmond Stoullig), Courrier des spectacles, in: Le Gaulois (19 February 1887) (from the Courrier de Bruxelles). This insertion gives 16 February as the date of this Le Cid performance.

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f. 7 Versailles, | Mardi 8 juin/​86. | matin. | (il pleut depuis | 5 jours!…) [lower right corner and lower margin, circled] f. 17 Versailles, Mercredi 9 juin/​86 | journée [lower margin, circled] f. 18 Paris. | Mardi matin/​15 juin/​86. | 6h. [lower left corner, circled] f. 38 Paris Jeudi 17 juin/​86. | toujours triste temps. | matin. [lower left corner and lower margin, circled] f. 48 Paris-​Mardi matin | 22 juin/​86. | temps d’hiver depuis 3 semaines!.. | la 37ème du Cid a eu lieu vendredi 18. [lower left corner, circled] retouches:  Vendredi matin 25 fevr/​87. | la 57ème du Cid a lieu demain samedi. [lower margin, below other annotation, circled] f. 55 Paris | Mercredi | 23 Juin/​86. matin. | expulsion des princes | votée hier16 [lower left corner and lower margin, circled] f. 60 (fin du 1er acte) [lower right corner, below music] Paris Mercredi 23 Juin/​86. [lower margin below other annotation, circled]

On 31 May 1886, Massenet’s older brother Léon Massenet de Marancourt died in Paris. The only member of the family to attend the funeral, Massenet was exhausted after this event17. On 1 June 1886, he wrote to his daughter Juliette (then eighteen) that he was “mécontent du deuxième acte de Werther” and “découragé de tout”, and that he needed to leave Paris for calmness18. Annotations in his manuscript indicate that he did indeed go to Versailles, where he wrote out the beginning of Act I. He completed the act in Paris by 23 June 1886 (the next year he would make revisions on 13 and 25 February 1887 to the opening scene and the love duet). The speed of this process makes it likely Massenet was working from sketches and drafts. In fact, in May 1886, he implied that composition was well under way: Ce sera un drame lyrique très simple, sans chœurs, sans mise en scène, à deux personnages. Des comparses seulement, avec eux. Assez court, d’ailleurs, ce drame: quatre tableaux. Et je le caresse particulièrement parce que j’ai réalisé en lui ce qui a toujours été mon rêve en musique: la vérité.19

16 With the law of 22 June 1886 (abrogated in June 1950), the Republican government voted to expel the princes of houses that had previously ruled France (Bonaparte, Orléans, Bourbon). 17 Cf. Anne Massenet, Massenet and His Letters: A New Biography, trans. Mary Dibbern, Hillsdale/​NY (Pendragon Press) 2017, p. 78. 18 Cf. Gillis, Genèse de “Werther”, p. 71. 19 Maurice Français, Les opéras de demain, in: Le Voltaire (23 May 1886).

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Julien Torchet, a friend of Massenet’s, asserts that the principal idea for the celebrated love duet at the end of the Act I was completed before the sojourn in Versailles. It exists as a brief piano piece Massenet dedicated to Hartmann in April 188620. His publisher/​librettist is supposed to have asked him to reserve it for a lyric work21. Another Massenet contemporary gives even more prominence to the love duet as a germinal number in Werther. Massenet’s former student and Milliet’s colleague at the weekly periodical Le Monde artiste22, Charles Malherbe, claims Massenet received the libretto, completely versified, in January 1886 and decided to begin composition with the love duet because of the difficulty and importance of the scene; “après une telle épreuve, il pouvait aller jusqu’au bout sans faiblir”23. Nothing in the composing manuscript sets this section apart, however. Malherbe also asserts that the composer spent July and August 1886 in Versailles composing his drame lyrique24. When the Opéra-​Comique revived Werther in 1903, Milliet would wax eloquent about Massenet’s idyllic lodgings that summer at a hotel in Versailles (arranged for by Hartmann), and the natural beauty that surrounded and inspired the composer during the months he communed with Goethe and wrote his score25. While these images and time line may have captured the imagination of the public, Massenet returned to Paris by 15 June, where he finished Act I, supervised revisions to Act II of the libretto and served on the Prix de Rome jury (25–​26 June). (His student Augustin Savard won the grand prize.) On 5 July Massenet was again a jury member, this time for the harmony concours at the Conservatoire. The next day he sent a letter to his daughter in Étretat: “Tu sais que si ne n’avais des

20 Cf. “Improvisation”, D-B Mus. ms. autogr. Massenet 5, m. 1942–​1202, dated and signed 8 avril/​86, J. Massenet, and dedicated to Georges Hartmann (“à mon ami et interprête Georges Hartmann pianiste”). I would like to thank Jean-​Christophe Branger for sharing this material. 21 Cf. Julien Torchet, Musique, in:  La Semaine française 16/​6 (19  April  1903), pp. 248–​253: 252. 22 In 1892 Milliet was music critic for Le Monde artiste under the pseudonym Tic-​ Tac; he also became the owner/​director of this weekly periodical. On the first folio of his copy of proofs for the Werther piano-​vocal score (F-​Po, G-​clef 2117 (2), Charles Malherbe collection), he pencilled in the dates “Déc. 1885/​Janvier 1886”, presumably referring to the completion of his version of the libretto. He also adds “Reçu la partition le 8 mai 1888”. 23 Charles Malherbe, “Werther”, in: Le Monde artiste 32/​8 (21 February 1892), pp. 167–​171, and 32/​9 (28 February 1892), pp. 194–​198: 197. 24 Ibid., p. 197. 25 Milliet, Werther, p. 108.

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occupations et mon W. je serais si seul ici –​rien ne m’engage à me distraire. Il fait chaud…”26. Shortly thereafter he left for the Normandy coast.

ACT II. Les Tilleuls Foliation and musical numbers, evidence of revision f. 1

Prélude last system crossed out and replaced with a 8 mm. collette f. 2 3, f. 3 4, f. 4 5  indicate that the Prélude was shortened f. 2 Johann, Schmidt: Vivat Bacchus! semper vivat f. 11 Albert, Charlotte: Voici trois mois que nous sommes unis ff. 15–​16 Werther: Un autre est son époux! –​ J’aurais sur ma poitrine la plus divine f. 18  final section of J’aurais sur ma poitrine f. 19  collette extends music for Werther’s exit by 3 mm. f. 20  6 mm. collette, Albert’s entrance ff. 21–​22 Albert, Werther: Mais celle qui devint ma femme –​ Vous l’avez dit: mon âme est loyale f. 26 Sophie: Du gai soleil plein de flamme f. 28  end of page 2 mm. collette Albert to Sophie “Va porter ton bou-​” f. 29 Albert: Nous parlions du bonheur ff. 35–​36 Werther, Charlotte: Ah! qu’il est loin ce jour –​ N’est-​il donc pas dʹautre femme f. 36  1.5 mm. collette for “N’est-​il donc pas d’autre femme” f. 40  2 mm. collette for “Oui! ce qu’elle m’ordonne…pour son repos…” f. 41  2 mm. collette extends Animé passage after “Je le ferai!” f. 42 Werther: Lorsque l’enfant revient d’un voyage f. 45  collette adds one m. for “le cortège s’appro-​”

ACT II Massenet’s Annotations f. 1 Etretat. | (Maison Lepoittevin) | dimanche 11 juillet/​86. | 6h matin. (lower left corner and left margin, circled) f. 11 Etretat. | lundi 12 juillet/​86. | journée (lower left corner and lower margin, circled) f. 15 Etretat. | lundi 12 juillet/​86 soir (lower left corner, circled) f. 16 Etretat 13 Juillet/​86 | 6h du matin | retouches le 11 février/​87. | matin (lower left corner and lower margin, circled) f. 24 Etretat-​mercredi 14 Juillet/​86. | depuis 6h du matin –​Gde pluie | tempête au loin (lower left corner and lower margin, circled)

26 Anne Bessand-​Massenet, Coup d’oeil dans la correspondance, in: L’Avant-​Scène Opéra 61, ​ed. 2 (1994), pp. 66–​68: 66.

Werther’s Genesis: Insights from Massenet’s Autograph Composing Score 381 f. 25 14 Juillet/​86. | (mer superbe-​) dans la journée. | H.  est à Pourville.27 (lower left corner and lower margin, circled) f. 32 Etretat | Jeudi 15 Juillet/​86. | depuis 6h du matin. | très beau temps. (lower left corner and lower margin, circled) f. 38 Etretat | Vendredi 16 Juillet/​86 | 6h du matin. (lower left corner and lower margin, circled) f. 48 (fin du 2d acte.) (centered, below music) Etretat. | Vendredi 16 Juillet/​86. | journée. (lower right corner, circled).

Once at the seaside resort Étretat28, Massenet moved quickly ahead on Werther. As implied in his 6 July letter to Juliette, he had likely been sketching/​drafting Act II in Paris, despite his various other duties, for dates in the composing manuscript fall between 11 and 16 July 1886. He later made revisions to Werther’s solo number “J’aurais sur ma poitrine” (on 11 February 1887)29. Massenet returned to Paris in mid-​July, and must have shown/​played through his second act for Hartmann, for he writes to Juliette on 17 July that his publisher/​librettist was very happy with the second act30. Three days later he writes to her again complaining about the city:  “Je n’ai jamais trouvé Paris aussi maussade, aussi malsain, aussi attristant. Je ne sais si je réussirai le troisième acte dans ces conditions-​là.”31 Even if Act III was not yet progressing as he would have liked, Massenet had a stay in Paris because he was on the Conservatoire’s juries for Chant (men’s and women’s), Piano (men’s), and Harpe on 22, 23, and 24 July. Then on 27 and 30 July he served on the juries for the Opéra-Comique and Opéra competitions respectively. After this, he would depart for Étretat.

7 Massenet is likely referring to Hartmann. 2 28 The Maison Lepoittevin was possibly the villa that had belonged to Eugène Lepoittevin (1806–​1870), a well-​known landscape painter. 29 Several folios (ff. 16–​18) from this earlier version of Werther’s air were reused when Massenet was sketching Thaïs (Cf. F-​Pn J. Massenet, MS 4232). 30 Cf. Gillis, Genèse de “Werther”, p. 71. 31 Ibid.

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ACT III 1er tableau Charlotte et Werther /​2d tableau La Mort de Werther Foliation and musical numbers, evidence of revision32 f. 1 Prélude collette in last system 6 mm. ff. 2–​3 Charlotte: Qui m’aurait dit la place –​Ces lettres!… ces lettres! je les relis sans cesse! f. 11 collette 3.5 mm. (Charlotte: “Enfant!..”) f. 12 Sophie, Charlotte: Mais… souffres-​tu? –​Non, ce n’est rien f. 12bis (Sophie): Ah! Le rire est béni f. 14 2 collettes 1+3 mm. (“l’aurore!… c’est un oiseau”) f. 17 (Charlotte): Les larmes qu’on ne pleure pas f. 21 collette 7mm, Charlotte calls Sophie back, S. leaves) f. 22 Charlotte: Seigneur Dieu! J’ai suivi ta loi! f. 23-​23bis  (most text replaced; earlier text crossed out) ff. 26–​27 Werther, Charlotte: Oui! c’est moi! –​Pourquoi cette parole amère? f. 32 (Werther): ‘Pourquoi me réveiller! ô souffle du printemps?’ f. 35  Ciel! ai-​je compris? f. 40 (Charlotte): Non, vous ne me verrez plus! 2mm. collette after “Pardon!” f. 43 41 (earlier pagination not crossed out) f. 43bis f. 45 Werther: Prends le deuil, ô nature! f. 46bis A  lbert, Charlotte: “Werther est de retour” missing from microfilm f. 50 (2d tableau) | La Mort de Werther) ff. 57–​58 Charlotte, Werther: Non! non! c’est impossible –​Qui parle? f. 60 collette adds 1 m. to right of system 3 f. 61 (Charlotte): Oui!… du jour même où tu parus f. 61 collette adds 2 mm (Charlotte: “oui.. du jour même où tu parus devant mes”) f. 63 62 (earlier pagination not crossed out) f. 66 collette 6mm. (Les Enfants: “Noel!” Charlotte: “Dieu!..ces cris joyeux!. ce rire en ce mo-​”) f. 68 65 67 Offstage chorus of Les Enfants f. 69 66 68 f. 70 67 69 f. 73 (Werther): Là-​bas, au fond du cimetière f. 66 76 74 f. 77 75 Les Enfants: Noël! Noël! Jésus vient de naître f. 78 76

32 Act III, tableau 2 of the short score also has a secondary pencil foliation (1–​96) that corresponds to black ink foliation in the upper left corner of each folio of the orchestral autograph.

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ACT III Massenet’s annotations f. 1 Etretat. | Samedi 7 aout/​86. | retouches 7 sept: " [86] (lower left corner and margin, circled)   " [retouches] 9 avr:[?]‌/​87 (lower margin)  " [retouches] 10 mai:/​87 (lower margin) lundi 16 mai /​87. | 60ème du Cid à l’Opéra (lower margin, to right of other annotations and circled) f. 15 Etretat, lundi 9 aout/​86 | 8h matin (lower left corner and margin, circled) f. 33 Etretat. | Vendredi 13 août/​86 | 5h du matin | temps gris-​froid. (lower left corner and lower margin, circled) f. 45 revu le 29 avril/​87 | Paris. (centered in lower margin and circled) f. 49 fin du 3me acte | (s’enchaînant[?]‌au 4ème) (centered below music on last staff and in lower margin, crossed out) Etretat, samedi 14 aout/​86. | retouches, 8 sep: /​86. Etretat. | très beau temps. 43ème Cid à l’Opéra (lower right corner and lower margin, circled) f. 50 4ème Acte (centered, top of folio, crossed out) (2d tableau) (added below cross-​out) Etretat, mardi 14 7bre/​86 | matin, très beau temps | Gde chaleur (lower left corner and lower margin, circled) f. 60 Etretat. | Mercredi 25 7bre/​86 (lower left corner and lower margin, circled) temps sombre subit. (left bottom margin) f. 64 Paris | dimanche | 22 mai/​87. (lower left corner, circled) f. 71 Paris - lundi 23 mai/​87. | matin. (lower left corner) Note de l’op: comique | dans le Figaro, annonçant | le refus de Werther –​ | sous le prétexte que Charlotte | ne peut épouser Werther!!! (underneath annotation, circled) f. 76 (fin de Werther) | (refaite 29 fois [?]‌) (underneath music, centered) Paris. lundi (14 mars | 1887) (lower left corner) Samedi dernier | 57ème et dernière (?) | du Cid à l’Opéra | ? (bracketed, lower left corner and lower margin) la 60ème a eu lieu le 16 mai/​87. (ma fille malade). (circled and below other comment about Le Cid) L’instrumentation | terminée à Trouville | le samedi 2 Juillet/​87. | 11h du matin. (lower left center, circled)

Massenet wrote up Act III, tableau 1, from 7 to 14 August but would not work again on Werther for several weeks. Poems by the young Thérèse Maquet (1858–​1891), “Le Rire” and “Les Larmes”, are already present for

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Sophie’s and Charlotte’s airs, though no acknowledgment of her contribution is made in the autograph manuscripts or later published sources33. Jean-​ Christophe Branger has suggested that Massenet refrained from publishing the two pieces, “presque un diptyque”, because he had already inserted these “mélodies indépendantes” into Werther34. In Paris Massenet played through the third act for his colleagues on 16 August; they were pleased35. And he went that evening to congratulate Rose Caron, who returned to the Opéra as Chimène in Le Cid. Before he left with Hartmann for Bayreuth the next day36, he penned a note to his daughter, asking that she or her mother send him a letter in Munich: “J’ai du mal à me mettre en train, ce qui ne veut pas dire dans le train. Je compte donc sur une lettre de Maman ou de toi à Münich, poste restante.”37 Given that summer’s schedule for Parsifal, Massenet would have attended the 20 August performance. Two days later Albert Bataille reported that he had seen Massenet, Hartmann, and other notables of the French music world in Bayreuth38. In 1893, Théodore de Wyzewa claimed Massenet had been seated next to him and had exclaimed after hearing Parsifal: “‘Ah! il me tarde de rentrer à Paris pour brûler mon Werther.’”39 Massenet’s friends told de Wyzewa that this was just an excess of enthusiasm typical of the composer. Underneath the surface, they said, Massenet was calm and prudent, with a clear idea of where he was going. They maintained that “son souhait de brûler Werther, à ce compte, aurait simplement signifié que Parsifal ne lui avait pas déplu”.

33 I would like to thank Jean-​Christophe Branger for directing my attention to these poems, which may be found in Thérèse Maquet, Poésies posthumes, Paris (A. Lemerre) 1892. Though Maquet’s contributions passed largely unnoticed, L. Blasini, reviewing the first performance of Werther in Marseilles (Chronique musicale, in: Petites annales de Provence 1/​33 (2 December 1894), p. 16) describes her as the fourth librettist. 34 Cf. Jules Massenet, Quatre mélodies oubliées, ed. Jean-​Christophe Branger, Lyon (Symétrie) 2019, p. ii. 35 Cf. Gillis, Genèse de “Werther”, p. 71. 36 Cf. Panserose (pseud. of Louis Besson), Courrier des théâtres, in: L’Événement (17 August 1886). 37 Bessand-​Massenet, Coup d’oeil, p. 67. 38 Cf. Albert Bataille, Retour de Bayreuth: “Parsifal” & “Tristan”, in: Le Figaro (27 August 1886; report dated 22 August). 39 Théodore de Wyzewa, M. Jules Massenet, in: Le Figaro (16 January 1893). De Wyzewa gives the date August 1888.

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A large French contingent went on to Munich to hear the Ring cycle conducted by Hermann Levi40. There were two cycles there, one on 23, 25, 27, and 29 August and another on 12, 15, 17, and 19 September41. Victor Wilder said he had encountered Massenet in Munich and that the composer “pa­raissait froid pour l’Or du Rhin et pour la Valkyrie, mais en revanche il délirait d’enthousaisme à Siegfried”42. Given the chronology in his composing score, Massenet must have attended the first cycle, and, confirming what he wrote in his memoirs, this would also have left time for him to visit Wetzlar with Hartmann  –​where Goethe had met the real Charlotte (Charlotte Buff, later Buff-​Kestner) –​before he returned to Normandy. Once back in Étretat, Massenet revised Act III, tableau 1, on 7 and 8 September. (He revised it again in April and May 1887, shortly before he played the score for Carvalho.) He also wrote up Act III, tableau 2 (now Act IV) in September. He seems to have struggled with this tableau, though not necessarily because of seeing Parsifal. He had always understood that an effective ending was crucial to the work’s viability onstage. Just after he had come up with his ideas for the final scene (“la voix de Sophie les cris des enfants pendant l’agonie de W. sans un mot ou presque rien, des lambeaux de phrase”), he wrote to one of his librettists suggesting changes: “Je vois que je n’aurais pas de sitôt ce quatrième acte car il faut qu’il soit réussi.”43 The dates still visible in the last tableau begin with 14 September (almost a week after he had finished revising Act III, tableau 1)  and end with 25 September (on f. 60). There is no evidence here that Massenet burned any part of his score, even if de Wyzewa’s memory of an off-​hand effusion in Bayreuth is accurate. On the last folio of his manuscript, however, Massenet writes “refaite 29 fois”. Foliation still present proves at least three reworkings, with some changes to the final scene taking place on 22–​23 May 1887 (possibly after the meeting with Carvalho?). Tell-​tale multiple foliations indicate revisions/​ cuts surrounding the duet passage “O sublime caresse”; probably at the suggestion of the first Werther, Ernest Van Dyck, Massenet removed and

40 Cf. Julien Tiersot, Lettres du pays de Wagner, in:  Le Ménestrel 52/​39 (29 August 1886), p. 313sq. (report dated 23 August). 41 Cf. Georges Rolle, Théâtres et concerts, in: Paris (17 August 1886). 42 Victor Wilder, L’opéra et le drame lyrique (I), in: Gil Blas (22 September 1886). 43 Cf. Musique, vente aux enchères publiques, Alde (Paris), 17 June 2016, p. 102 (Item n. 244). I would like to thank Vincent Giroud for drawing my attention to this sale.

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reduced vocal parts here before publication of the Werther scores in 189244. On f. 76, Massenet also adds the date he completed one version of the score (Monday, 14 March 1887); and from the autograph orchestral manuscript, we learn that he began his orchestration of the Act I Prélude the next day. One annotation in Act III indicates that Massenet was astonished, and probably quite annoyed, by an insertion in Le Figaro on 23 May 1887. In the final scene, below Charlotte’s words “Ses yeux se ferment! … sa main se glace” (Act III, tableau 2, f. 71), he writes the following:  “Paris-​lundi 23 mai/​87. matin. Note de l’op: comique dans le Figaro, annonçant le refus de Werther  –​sous le prétexte que Charlotte ne peut épouser Werther!!!” Actually what the Figaro published was couched in polite and highly formal language, which was then repeated, more or less, by at least a half dozen other papers over the next few days: Il pourrait se faire que le Werther de M.  Massenet ne fût pas représenté à l’Opéra-​Comique. Comme il n’est pas vraisemblable que Charlotte épouse Werther à la fin du troisième acte, on craindrait, croyons-​nous, que la teinte générale de l’ouvrage ne parût un peu sombre au public de la salle Favart.45

That summer Massenet gave a different explanation to an unnamed correspondent, describing a scenario in which he is the dominant figure: Depuis le 25 mai date de l’incendie, rien de décidé pour l’Opéra-​Comique, Werther n’y aurait pas été représenté car je veux une scène appropriée à mon ouvrage qui exige qu’on me laisse faire tout ce que je demanderai; la mise en scène des personnages est spéciale et c’est moi qui désire m’en occuper.-​-​Désir incompatible avec certaine direction!...46

At the end of his short score, Massenet has also included the date that he completed his orchestration of the full score (Saturday, 2 July 1887, at Trouville, at 11 a.m.)47. Any frustration he may have felt while finalizing the closing 44 Cf. Jean-​Christophe Branger/​Malou Haine (edd.), Ernest Van Dyck et Jules Massenet: un interprète au service d’un compositeur, Paris (Vrin) 2014, p. 62 and Illustration 34. 45 Jules Prével, Courrier des théâtres, in: Le Figaro (23 mai 1887). 46 Cf. Jean-​ Christophe Branger, “Manon” de Jules Massenet, Metz (Éditions Serpenoise) 1999, p. 81 and n. 169 (cited from Lettres autographes et manuscrits de musiciens, catalogue de vente, n. 90 (1957?), M. Lolié (1957?), Massenet to an unnamed correspondent, from Trouville, 14 July 1887. Massenet’s eventual involvement in the 1893 Opéra-​Comique staging was extensive. Cf. F-​Po, Werther, Livret de mise en scène, Rés. 2566. 47 Massenet puts an even more precise completion date on f. 690 of the orchestral autograph score: “Trouville s/​m. Samedi 2 juillet 1887. Temps splendide | 11h 1/​4 matin. | 11, rue de la Chapelle, Ninon, Juliette, M. Léon Bessand.”

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scene does not seem to have carried over into the orchestration process, which proceeded smoothly and rapidly. His pencil annotations do not indicate whether he went straight through the composing score noting ideas for orchestration or whether he proceeded section by section; however, the correlation between his jottings and the instruments actually used is quite strong. Sometimes they are general ideas, as in Sophie’s “Du gai soleil” (Act II, ff. 25–​ 28), where Massenet simply indicates “bois” and “cordes” in alternation. As a shorthand for heavy brass, he often writes “tromb.” or “trombones”, but not infrequently chooses French horns over trombones in his final version. In a few instances, he refers to his own earlier orchestration for recurring passages. For example, in Act III on f. 1, he writes: “voir début orch 1er acte”. In other spots he leaves decisions for later on. In the letter scene (Act III, f. 3), where Charlotte sings “ces lettres” Massenet writes “cordes”; then “Ah! je les relis sans cesse” is unaccompanied, but for the next chord Massenet specifies “cors bouchés | clar. ou sax | cor anglais?”. The autograph orchestral score (f. 418)  includes the muted horns, but for woodwind color, Massenet has turned to clarinets only. For Werther’s entrance in Act III (f. 25), Massenet writes, immediately after Charlotte’s “Ciel!…Werther!..”: “division quatuor voir prélude” and “4 cors, sax, bassons, cor an[g.]” These are exactly the instruments Massenet uses, though he adds upper woodwinds and timpani to the orchestral score (f. 508) as well. An experienced and meticulous craftsman, he had probably thought about specific timbres and instrumental combinations as he was sketching and drafting. The autograph manuscript examined here, which is also the earliest complete score of Werther, preserves much that has remained in place. But Massenet would continue to tinker with his drame lyrique after the first hearing on 16 September 1887, after the Viennese premiere on 16 February 1892, after the Parisian premiere on 16 January 1893, and even later, until the work was thoroughly established in the repertory. Smaller revisions were often concentrated in solo pieces, but in this late nineteenth-​century style so dependent on precise notation to sculpt nuanced phrases for maximum expressiveness and accurate declamation, their collective importance helps fine-​tune the opera’s emotional impact. As he first began to think about Werther, Massenet had written that “cet ouvrage (tout spécial) est destiné à me satisfaire, d’abord”48; still, his goal must also have been to write a work whose memorable scenes of intimacy and passion would speak to the public. Given Werther’s continuing presence in the international repertory, it is fair to suggest that he amply succeeded, which raises interest in finding out how he did so.

48 Jules Massenet, autograph letter to Paul Lacombe, 25 September 1880, Bibliothèque municipale de Carcassonne (F-​CC).

Olaf Enderlein

Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration − Die Italien-​Reise von Strauss und Hofmannsthal als Movens für die Entstehung der Oper Die Frau ohne Schatten Das Jahr 1913. Es ist das Jahr, welches in Anbetracht der langwierigen Werkgenese der Oper Die Frau ohne Schatten gleichsam als »Schicksalsjahr« bezeichnet werden kann1. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Einrichtung des Librettos, doch auch im Hinblick auf die musikalische Eingebung sollte die Italien-​Reise von Komponist und Dichter im Frühjahr 1913 entscheidende Impulse für die Ausgestaltung der Frau ohne Schatten geben. Zur Erinnerung: Die Uraufführung der Erstfassung der Ariadne auf Naxos war ein halbes Jahr zuvor, am 25. Oktober 1912, in Stuttgart über die Bühne gegangen, die Komposition des nachfolgenden Werkes, das Ballett Josephslegende, war bereits in Arbeit. In jener Zeit also, da die Frau ohne Schatten nach wie vor nur als Vorhaben existierte, mit anderen Worten an ein Libretto von Hofmannsthal noch nicht zu denken war, sollte die Italien-​Reise im März/​April 1913 den maßgeblichen Anstoß zu dessen definitiver Ausarbeitung geben. Erst aufgrund der Gespräche und Gedanken während jener dreiwöchigen Reise vermochte Hofmannsthal nach seiner Rückkehr mit der vollständigen Niederschrift des Librettos zu beginnen und schließlich die Reinschrift zur 1. Szene des I. Aufzuges bis zum Jahresende zu verfassen2. Doch zunächst die 1 Wenngleich die erste Idee zur Oper höchstwahrscheinlich auf das Jahr 1909 zurückgeht, arbeitete Hofmannsthal das Libretto dennoch nicht sofort aus, sondern folgte stringent einem Plan, der vor allem zum Ziel hatte, den Komponisten im Hinblick auf dessen musikalische Stilistik zu beeinflussen und demzufolge die Frau ohne Schatten nachrangig zu behandeln; cf. Olaf Enderlein, Auf dem Wege zur Oper »Die Frau ohne Schatten«. Aspekte der Einflussnahme Hofmannsthals auf Werkgenese und Werkgestalt, in: Gernot Gruber/​Oswald Panagl (edd.), Mythos –​ Metamorphosen –​ Metaphysik, Heidelberg (Winter) 2016, pp. 57–​82. Vergleiche hierzu den Vermerk von Strauss auf einer Postkarte des Castello Piccolomini della Triana a Pienza: »Auf der Italienreise mit Hugo von Hofmannsthal, wo die Frau ohne Schatten geplant wurde.« In: Richard Strauss e l’Italia, Katalog zur Ausstellung der Biblioteca Nazionale Universitaria, Torino 2.2.-​17.3.2018, Torino (Allemandi) 2018, p. 84. 2 Hierbei handelt es sich um das Typoskript 10t1, respektive den am 28.12.1913 an Strauss abgesendeten Typoskriptdurchschlag 10t1Hh; cf. Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke – Kritische Ausgabe, vol. 25.1 (Operndichtungen 3.1), edd. Hans-Albrecht Koch et al., Frankfurt am Main (S. Fischer) 1998, p. 170.

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Olaf Enderlein

Ausgangsbedingungen: Strauss hatte am 6., 13. und 15. April 1913 in Rom drei Konzerte zu dirigieren3. Im Brief vom 1. März 1913 an Hofmannsthal kündigte er seine beabsichtigte Reise nach Italien an und fügt hinzu: Wollen Sie mitkommen: Sie machen nur die Reise selbst mit, haben im übrigen volle Freiheit, wenn wir Lust haben plaudern wir –​Schweigen und nachdenklich Genießen sehr erwünscht […] Jeder lebt auf eigene Rechnung, Hotelwahl nach Belieben –​kurz, absolute Ungebundenheit.4

Offensichtlich zeitgleich beabsichtigte Hofmannsthal eine Reise zu Rudolf Borchardt nach Monsagrati, um daran anschließend an die Riviera und sodann an die Côte d’Azur weiterzureisen, wo er mit Sergej Djagilev über die Realisierung der Josephslegende zu sprechen gedachte. Wenngleich man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, Strauss plante von Beginn an, ausschließlich zu zweien zu fahren, also ohne die jeweiligen Ehepartner, gaben am Ende seine gegenüber Hofmannsthal erst spät vorgebrachten Gründe hinsichtlich des Mangels an Platz und Komfort den Ausschlag5, dass auch der Dichter schließlich alleine reiste. Das Typoskript zur 2. Szene des I. Aufzuges erhielt Strauss jedoch erst Ende März 1914; cf. Olaf Enderlein, Die Entstehung der Oper »Die Frau ohne Schatten« von Richard Strauss, Frankfurt am Main (Peter Lang) 2017 (Perspektiven der Opernforschung 25), p. 176, zur 1. Szene pp. 113–​116. 3 Ursprünglich geplant waren nur zwei Konzerte (6. und 13. April); cf. Willi Schuh (ed.), Richard Strauss –​Hugo von Hofmannsthal –​Briefwechsel, Zürich (Atlantis) 51978, pp. 217–​229. Das dritte Konzert wurde des Erfolges wegen kurzfristig angesetzt: »Graf San Martino hat mich beschworen, noch ein drittes Concert zu geben, welches ich […] sofort Dienstag, 15., folgen lassen werde.« Cf. Brief an Pauline Strauss vom 8. April 1913, in: Franz Grasberger (ed.), Der Strom der Töne trug mich fort –​ Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing (Schneider) 1967, p. 206. Die drei Konzerte fanden im Augusteo statt, dem einstigen Mausoleo di Augusto. Der Rundbau diente ab 1780 zunächst als Amphitheater (Anfiteatro Corea) der Darbietung von Spektakeln und ab 1870 –​nach einem Umbau zu einer 3500 Plätze umfassenden Konzerthalle –​zuerst unter dem Namen Anfiteatro Umberto I als Veranstaltungsort für Konzerte, Theater und Attraktionen. Das Augusteo war von 1908 bis 1936 Spielstätte des Orchestra dell’Accademia di Santa Cecilia. Aufgrund der Pläne Mussolinis zur Neugestaltung dieses Ortes wurde das traditionsreiche Gebäude im Jahre 1938 abgerissen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass in den Jahren 1907 und 1910 Gustav Mahler für jeweils zwei Konzerte als Dirigent im Augusteo auftrat und mit Ausnahme des 4. Satzes seiner Fünften Symphonie gleichwohl sämtlich fremde Werke dirigierte. Schuh, Briefwechsel, p. 217. 4 5 »Das Auto ist leicht und kleiner, d.h. kürzer als gewöhnlich: ich muß viel Zubehör, Reifen, Schläuche, Werkzeug und Ersatzteile mitschleppen […]. Hinten am Auto hat nur mein Autokoffer Platz. Ich muß Sie selbst schon bitten, sich auf einen Handkoffer und Tasche, die vor uns beide im Wagen gerade Platz haben,

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Um nach Italien zu fahren, standen seinerzeit vor allem zwei Möglichkeiten zur Disposition: die Reise mit der Eisenbahn und jene mit dem Automobil6. Das noch relativ junge Automobil galt damals als Symbol der modernen Welt sowie des unaufhaltsamen technologischen Fortschritts und schien zugleich Raum und Zeit überwinden zu können. Eine frühe Eloge findet sich im Manifeste du Futurisme von Filippo Tommaso Marinetti. Dort heißt es in These Nr. 4: Nous déclarons que la splendeur du monde s’est enrichie d’une beauté nouvelle: la beauté de la vitesse. Une automobile de course avec son coffre orné de gros tuyaux, tels des serpents à l’haleine explosive... une automobile rugissante, qui a l’air de courir sur de la mitraille, est plus belle que la Victoire de Samothrace.7

zu beschränken. Noch eine Dame, und sei sie noch so bescheiden im Gepäck, unterzubringen, ist ganz unmöglich, da Mäntel und Decken auch noch Platz beanspruchen. […] und mühsam zusammengepfropft reisen ist eine Marter und kein Vergnügen und nimmt jede Bewegungsfreiheit.« Schuh, Briefwechsel, p. 225. 6 Während die Querung des Alpenhauptkammes über den Brenner mittels der Brennerstraße (der antiken Via Raetia) bereits seit dem 3. Jahrhundert möglich war –​ eine Route, die im Jahre 1786 auch Johann Wolfgang von Goethe nutzte –,​war eine Reise mit der Bahn von Innsbruck bis nach Bozen oder sogar nach Verona erst durch den Bau der Brennerbahn ab 1867 möglich geworden. Mit der Mittenwaldbahn war ab 1912 sodann auch eine Zugverbindung zwischen Garmisch und Innsbruck gegeben. Zur Zeit dieser Reise –​es war die Ära der Luxuszüge –​ verkehrte zwischen Berlin und Verona täglich der Nord-​Süd-​Brenner-​Express. Er benötigte für die Strecke von insgesamt 1150 Kilometer etwa 19½ Stunden. Le Figaro (Paris, 20. Februar 1909), p. 1, coll. 1–​3. Druck unter dem Titel Le 7 Futurisme. Der Erstdruck erschien bereits wenige Wochen zuvor: Enquête internationale sur le vers libre et manifeste du futurisme par F. T. Marinetti, Milano (Éditions de »Poesia«) [Januar] 1909. Vergleiche hierzu auch die Verherrlichung der Industrialisierung und deren Errungenschaften in These Nr. 11. Im Zusammenhang mit dem Enthusiasmus für Automobile sei auf eine erstaunliche Koinzidenz verwiesen: Zwei der zu Lebzeiten sowohl künstlerisch wie auch finanziell erfolgreichsten Komponisten, Richard Strauss und Giacomo Puccini, teilten –​wenngleich es zu keiner gegenseitigen Wertschätzung der Kompositionen kam –​zumindest eine Vorliebe: die für Automobile als Form der modernen Fortbewegung. Puccini siedelte nach den Erfolgen mit Manon Lescaut (1893) und La Bohème (1896) im Jahre 1900 nach Torre del Lago in eine neugebaute Villa um. Von seinen beachtlichen Tantiemen konnte er zugleich der Passion für Autos nachgehen (»Amo la caccia, adoro l’automobile: e a questo e a quella nelle solitudini di Torre del Lago serbo intera la mia fede.« In: Luigi Alberto Villante, I progetti di Giacomo Puccini, in: La Stampa [11. Februar 1905]). Sein erstes Automobil erwarb Puccini im Jahre 1901. Im Sommer 1922 unternahm er eine ausgedehnte Autoreise durch Europa: eine Fahrt von nahezu 3000 Kilometern von Lucca durch Österreich und Deutschland nach Den Haag und zurück über die Schweiz nach Viareggio. Am 4. November 1924 saß Puccini ein letztes Mal am Steuer seines damals neuesten Automobils. Die Fahrt ging von Viareggio über Torre del Lago zum Bahnhof von

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Olaf Enderlein

Dass das Reisen per Automobil gleichwohl auch zur Kunst erhoben werden konnte, bekundete zuvor Otto Julius Bierbaum aufgrund einer im Jahre 1902 mit einem 8-​PS-​Cabriolet der Adlerwerke und in Begleitung seiner Frau unternommenen viermonatigen Fahrt von Berlin nach Sorrent und zurück bis Stein am Rhein. Im Vorwort seines Reisebuches hebt er im Gegensatz zu Marinetti allerdings nicht die Geschwindigkeit, sondern die Empfindsamkeit hervor: Mit offenen, wachen, allen Erscheinungen des Lebens, der Natur zugewandten Sinnen reisen, nenne ich empfindsam reisen, und dieses Reisen allein erscheint mir als das wirkliche Reisen wert und dazu angetan, zur Kunst erhoben zu werden. […] und ich hoffe, daß dieses Buch meine Leser davon überzeugen wird, daß wir jetzt im Automobil das Mittel an der Hand haben, die Kunst des Reisens aufs neue zu pflegen und noch weiter zu führen, als es ihr in der Zeit der Reisekutschen beschieden gewesen ist, denen unsre Vorfahren Genüssen zu verdanken gehabt haben, wie sie der Eisenbahnreisende nicht einmal ahnt.8

Pisa, um von dort aus mit dem Zug die Reise nach Brüssel anzutreten –​es sollte seine letzte Fahrt am Steuer eines Automobils werden. Auch Strauss konnte aufgrund zunehmender Erfolge als Dirigent und als Komponist, vor allem jedoch durch den monetären Erfolg der Oper Salome (1905), sich eine repräsentable Villa in Garmisch bauen lassen, die er im Jahr 1908 bezog. Auch Strauss nutzte gleichermaßen das Auto als Beförderungsmittel sowohl für berufliche Reisen wie auch Erholungsreisen. Seinen ersten Wagen erwarb er im Jahre 1907. Eine erste größere Reise per Automobil unternahm Strauss mit seiner Frau Pauline im Mai des Jahres 1912 nach Italien: Von Garmisch über Innsbruck, Bozen nach Venedig und retour nach Garmisch. Doch im Gegensatz zu Puccini fuhr Strauss seine Autos nicht selbst. Von wenigen Ausnahmen abgesehen überließ er das Steuern stets seinem Chauffeur. Obgleich Puccini anfänglich ebenso einen Chauffeur beschäftigte, legte er jedoch frühzeitig darauf wert, selbst am Steuer zu sitzen. Auch ein am 25. Februar 1903 sich ereignender Unfall –​Puccini allerdings war bei dieser Fahrt nur Beifahrer –​mochte seiner Begeisterung für Automobile keinen Abbruch tun. Ganz im Gegenteil dazu Strauss, der nach einem eher unerheblichen Unfall das Steuern aufgab (»Ich hab grad an was anderes gedacht«; cf. Kurt Wilhelm, Richard Strauss persönlich –​Eine Bildbiographie, München (Kindler) 1984, p. 189). 8 Otto Julius Bierbaum, Eine empfindsame Reise im Automobil. Von Berlin nach Sorrent und zurück an den Rhein in Briefen an Freunde geschildert, Berlin (Julius Bard) 1903, p.  III. Allerdings wurde diese Reise mit gestelltem Fahrzeug (die Höchstgeschwindigkeit betrug 35 km/​h) und Chauffeur durchgeführt. Sie stellt höchstwahrscheinlich die erste privat durchgeführte Querung der Alpen mit einem Automobil über den Gotthardpass dar. Bierbaum, ein Zeitgenosse von Strauss, war Schriftsteller, Journalist sowie Redakteur und verfasste unter anderem die Libretti zu den Opern Lobetanz und Gugeline von Ludwig Thuille. Strauss vertonte von Bierbaum insgesamt sechs Gedichte: op. 29,1–​3 (TrV172), o. op. 90 (TrV175), op. 39,2 (TrV189) und op. 48,1 (TrV202), darunter Traum durch die Dämmerung, Schlagende Herzen und Freundliche Vision.

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Der Romantizismus Bierbaums hinsichtlich von Fahrten auf überwiegend unbefestigten Straßen sowie vereinzelter Übergriffe von Landleuten mag hierbei etwas hochgegriffen erscheinen. Obgleich Hofmannsthal ursprünglich mit der Eisenbahn anreisen wollte –​ er selbst war nicht motorisiert –, fand die Italien-​Reise von Strauss und Hofmannsthal letztendlich mit dem Auto statt. Denn nur eine Fahrt mit dem Auto bot die gewünschte Freiheit, die erforderliche Flexibilität sowie die Möglichkeit des intensiven Erlebens. Und damit steht diese Reise, die zugleich Bildungsreise zu den Kunst-​und Kulturstätten Italiens ist, noch immer in der Tradition der Italienreisen des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Art des Reisens, des »empfindsamen Reisens«, wie sie Bierbaum verherrlichte, deckte sich im Wesentlichen mit der Auffassung des Reisens bei Hofmannsthal9, hingegen blieb das vom Dichter idealisierte »Lebendige« nurmehr Sehnsucht, da die Moderne sich nicht nur in der Überwindung großer Distanzen, sondern auch in der Schnelligkeit der Fortbewegung widerspiegelte. So galt es, bei dieser Reise das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden10. Gleichermaßen mit dem eigentlichen Anlass seiner Reise deckte sich das ebenso konkrete Anliegen von Strauss, mit Hofmannsthal das nächste gemeinsame Werk planen und gestalten zu wollen: Es wäre hübsch, und gerade jetzt wäre mal ein längeres und ungestörtes Zusammensein und Ausarbeiten der Frau ohne Schatten sehr gut. Vielleicht könnten Sie bis dahin mit der Arbeit soweit sein, daß Gedankenaustausch darüber von Nutzen. Bitte geben Sie mir sofort Nachricht, ob sie mitkommen wollen. Sie könnten in Ala, Verona, oder wo Sie wollen, ins Auto einsteigen: am 30. März!11

9 »Die hübsche Art zu reisen, die empfindsame, die des Sterne und des Rousseau, ist uns verlorengegangen. Das war noch eine Reise nach Stimmungen. Man reiste sehr langsam, im humoristischen Postwagen oder in der galanten Sänfte; man hatte Zeit, um in Herbergen Abenteuer zu erleben und wehmütig zu werden, wenn ein toter Esel am Wege lag; man konnte im Vorbeifahren Früchte von den Bäumen pflücken und bei offenen Fenstern in die Kammern schauen; man hörte die Lieder, die das Volk im Sommer singt, man hörte die Brunnen rauschen und die Glocken läuten. Unser hastiges ruheloses Reisen hat das alles verwischt, unserem Reisen fehlt das Malerische und das Theatralische, das Lächerliche und das Sentimentale, kurz alles Lebendige.« Cf. Hugo von Hofmannsthal, Südfranzösische Eindrücke, in: id., Sämtliche Werke –​Kritische Ausgabe, vol. 32 (Reden und Aufsätze 1), edd. Hans-​Georg Dewitz et al., Frankfurt am Main (S. Fischer) 2015, p. 62. 10 Nach Aussage von Strauss ging die Idee, die Reise nach Rom in Begleitung von Hofmannsthal durchzuführen, auf einen Vorschlag seiner Frau Pauline zurück: »[Hofmannsthal] ist rasend intelligent und cultiviert und riesig anständig und feinfühlend: ich danke Dir herzlich, daß Du mir die Idee eingegeben hast, ihn auf die Reise mitzunehmen. Wenn Du schon wirklich nicht mitfährst, was mir natürlich immer das Liebste ist, allein reise ich jetzt nicht mehr gern.« Cf. Grasberger, Strom der Töne, p. 204 (Brief an Pauline Strauss vom 4. April 1913). 11 Schuh, Briefwechsel, p. 217 (Brief vom 1. März 1913).

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Die Absicht des Komponisten, ein zukünftiges Werk zu planen noch bevor ein Bestehendes abgeschlossen war, entsprang seinem Schaffensdrang, stets ein Werk in Arbeit haben zu wollen. Für Strauss war es absehbar, im darauffolgenden Jahr, das heißt nach Fertigstellung der Partitur zur Josephslegende, ohne Arbeit zu sein. Dementsprechend drängte er nun den Dichter, der, man mag es kaum vermuten, erstaunlicherweise auf den Wunsch des Komponisten einging: Aber doch möchte ich diesmal sehr gerne ja sagen. Denn wirklich ist das Szenarium zu der Frau ohne Schatten in mir so ausgebildet und fixiert, daß es sich schon darüber reden ließe und dieser Kontakt (der bei allen früheren Arbeiten gefehlt hat), diesem unseren gemeinsamen Hauptwerk (als solches schwebt es mir vor) sehr zugute kommen könnte.12

»Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen«13. Und man sollte meinen, Gleiches müsse für die Reise von Strauss und Hofmannsthal gelten. Gleichwohl ist davon nur Weniges bekannt; und im Gegensatz zu anderen seiner Reisen hat der Dichter hierüber keinen literarischen Essay verfasst14 − gewiss des allzu persönlichen Charakters der Reise wegen. Die überlieferten Details der Reise entstammen den Schreibkalendern von Strauss, dem Briefwechsel zwischen Strauss und Hofmannsthal sowie den Briefen beider an Dritte. Anhand dieser Quellen lässt sich die endgültige Reiseroute vergleichsweise verlässlich rekonstruieren. Der entsprechende Reiseverlauf ist in der nachstehenden tabellarischen Übersicht wiedergegeben15.

2 Ibid., p. 220sq. (Brief vom 5. März 1913). 1 13 Bierbaum beginnt seinen Reisebericht mit dem Zitat von Matthias Claudius aus Urians Reise um die Welt; cf. Matthias Claudius, Sämtliche Werke, ed. Jost Perfahl, München (Winkler) 1976, p. 345sq. Das als Satire sowie zugleich Parodie (»verzählen« im Sinne von »fabulieren«, aber auch »falsch zählen«) auf damalige Reiselust und Reiseliteratur entstandene Gedicht von Claudius wurde im Jahre 1793 von Carl Friedrich Zelter, 1805 von Ludwig van Beethoven (op. 52, Nr. 1) und 1848 von Ludwig Berger (op. 46, Nr. 7) vertont. 14 Die überlieferten literarischen Reise-​Essays Hofmannsthals lauten: Südfranzösische Eindrücke (1892), Sommerreise (1903), Augenblicke in Griechenland (1917), Reise im nördlichen Afrika (1925), Sizilien und wir (1925). 15 Die Zwischenstationen, teils der Besichtigungen, teils erforderlicher Pausen wegen, wurden soweit belegbar ebenso verzeichnet. Cf. Schuh, Briefwechsel, pp. 217–​229; Franz Trenner, Richard Strauss –​Chronik zu Leben und Werk, ed. Florian Trenner, Wien (Richard Strauss) 2003, p. 345sqq. Bedauerlicherweise ist die Hofmannsthal-​ Brief-​Chronik in diesem Zusammenhang fehlerhaft, zumal sie offensichtlich die Ergebnisse der Strauss-​Chronik nicht verwerten konnte; cf. Martin E. Schmid (ed.), Hugo von Hofmannsthal Brief-​Chronik, Regest-​Ausgabe, 3 voll., Heidelberg (Winter) 2003, vol. 2, coll. 1551–​1554.

Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration

Datum

Reiseverlauf

Kommentar

28.3.

Abreise Hofmannsthals von Rodaun nach Verona

Hofmannsthal nachmittags in Verona

29.3.

13.10 Uhr Abfahrt Strauss von Berlin nach Verona

30.3.

9.58 Uhr Ankunft Strauss in Verona 11.00 Uhr Abfahrt via Villafranca, Mantua, Carpi 14.00 Uhr Ankunft in Modena 16.00 Uhr Ankunft in Bologna

Zusammentreffen mit Hofmannsthal Insgesamt ca. 130 km

9.00 Uhr Abfahrt via Faenza 13.00 Uhr Ankunft in Rimini 17.00 Uhr Ankunft in Pesaro

Insgesamt ca. 220 km Abendspaziergang am Strand

10.00 Uhr Abfahrt nach Urbino 13.00 Uhr Ankunft Via Passo del Furlo nach Gubbio und Perugia 18.00 Uhr Ankunft

Insgesamt ca. 150 km

2.4.

14.00 Uhr Abfahrt nach Orvieto 16.00 Uhr Ankunft

Insgesamt ca. 80 km

3.4.

11.00 Uhr nach Viterbo, Ankunft 12:00 Uhr 14.00 Uhr Weiterfahrt nach Roma 16.30 Uhr Ankunft

Insgesamt ca. 130 km

4.4.

12.30 Uhr 1. Probe; 20.30 Uhr 2. Probe

5.4.

12.30 Uhr Generalprobe

6.4.

16.00 –​17.45 Uhr Strauss dirigiert 1. Konzert

31.3.

1.4.

H I N R E I S E

7.4. 8.4. 9.4. 10.4.

R O M A

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Hofmannsthal erzählt den Entwurf der Oper16

Ausflug via Tivoli nach Subiaco und Palestrina Abreise von Hofmannsthal nach Lucca

Hofmannsthal in Monsagrati

20.30 Uhr Probe

11.4. 12.4. 13.4.

16.00 Uhr Strauss dirigiert 2. Konzert

14.4.

Zwei Proben

15.4.

21.00 Uhr Strauss dirigiert 3. Konzert

16 Cf. Grasberger, Strom der Töne, p. 205 (Brief an Pauline Strauss vom 5. April 1913).

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Olaf Enderlein

16.4.

17.4.

18.4. 19.4.

20.4.

R Ü C K R E I S E

10.00 Uhr Abfahrt Strauss via Viterbo nach Pienza 15.00 Uhr Ankunft

Insgesamt ca. 190 km

14.00 Uhr Abfahrt Strauss nach Lucca Abreise Hofmannsthal aus Monsagrati nach Lucca 18.30 Uhr Ankunft Strauss in Lucca

Insgesamt ca. 180 km Zusammentreffen mit Hofmannsthal

10.30 Uhr Abfahrt via Massa nach Parma

Insgesamt ca. 200 km

10.45 Uhr via Verona, Trient nach Bozen

Strauss erwägt »im Mondschein zwischen San Michele und Bozen« zur Charakterisierung der Feen-​/​Menschenwelt Ariadne-​ respektive Elektra-​Orchester17 Insgesamt ca. 280 km

10.15 Uhr Abfahrt über Innsbruck nach München 18.30 Uhr Ankunft

Hofmannsthal reist nur bis Innsbruck Insgesamt ca. 280 km (Innsbruck 130 km)

Der ursprüngliche Plan von Strauss, die Autofahrt ab Ala beginnen zu wollen, wurde aufgrund des Einwandes von Hofmannsthal, die Fahrt von dort nach Bologna sei zu langwierig18, aufgegeben und das Zusammentreffen beziehungsweise der Beginn der Autoreise nach Verona vorverlegt. Demzufolge führte die Reise mit dem Wagen von Strauss, einem Mercedes-​Knight Phaeton19, von Verona über Bologna–​Pesaro–​Perugia–​Orvieto innerhalb von fünf Tagen nach Rom, da Strauss dort spätestens am Abend des 3. April eintreffen musste. 17 Cf. Schuh, Briefwechsel, p. 232 (Brief Hofmannsthal an Strauss vom 3. Juni 1913). 18 » […] Ala–​Bologna (mit Zollstation ½ bis 1½Stunden!) eine starke Leistung […] Namentlich, weil man durch so viele Ortschaften und Städte durch muß.« Ibid., p. 225 (Brief Hofmannsthal an Strauss vom 11.3.1913). Strauss, der damals aus Berlin anreiste, ließ schließlich, dem Rat Hofmannsthals folgend, nach Verona sowohl sein Auto vorab per Bahn schicken als auch seinen Chauffeur vorausreisen (Brief an Hofmannsthal, Ende März 1913; ibid, p. 228). N.B. Das vormals Österreichische Venetien fiel im Jahre 1866 an Italien und somit wurde Ala zum Grenzbahnhof. 19 Der Wagen von Strauss, ein Mercedes Typ 16/​40 PS, hatte eine Länge von 4,7 m, eine Breite von 1,7  m sowie ein Leergewicht von 1750  kg und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 80  km/​ h; cf. Mercedes-​ benz-​ publicarchive.com (1.8.2020). Vergleiche hierzu das Photo in Wilhelm, Strauss, p. 187.

Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration

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Die Hinreise von nahezu 800 Kilometer wurde in Etappen von 80 bis hin zu 220 Kilometern pro Tag bewältigt. Die Fahrt von Rom zurück erfolgte zunächst über Pienza nach Lucca  –​dort stieg Hofmannsthal wiederum zu –​und sonach in direkter Route über Parma–​Verona–​Bozen nach Innsbruck, von wo aus Hofmannsthal nach Rodaun weiterreiste sowie schließlich nach München. Für die binnen fünf Tagen bewältigte Rückreise von annähernd 1200 Kilometer wurden Etappen von 130 bis hin zu 280 Kilometern (Verona–​Bozen) pro Tag absolviert, da Strauss beabsichtigte, am 19., spätestens jedoch am 20. April in München einzutreffen20. Am Ende verbrachten Strauss und Hofmannsthal insgesamt 13 Tage miteinander: Fünf Tage Hinreise, vier Tage Rom und Umgebung sowie vier Tage Rückreise. An wie vielen der zahlreichen gesellschaftlichen Verpflichtungen, welche Strauss für den Rom-​Aufenthalt erwähnt, auch Hofmannsthal teilgenommen hat, lässt sich nur vermuten. Ebenso muss unaufgeklärt bleiben, ob Strauss einige der von ihm erwähnten Besichtigungen alleine vornahm oder ob er hierbei vom Dichter begleitet wurde. Fest steht, dass dieser erst am 8. April Richtung Lucca (Monsagrati) abreiste und somit zwei Tage länger in Rom weilte, als von ihm anfänglich vorgesehen21. Auch bleibt ungewiss, ob infolgedessen Hofmannsthal am 6. April das erste der drei von Strauss in Rom dirigierten Konzerte besucht hat. Ungeachtet der vorab erwähnten Ungewissheiten kann die Italien-​Reise von Strauss und Hofmannsthal insgesamt als eine Fahrt ohne Hindernisse und Schwierigkeiten bewertet werden. Während der gemeinsam verbrachten Zeit muss es zu zahlreichen Unterredungen gekommen sein, in denen auch die Frau ohne Schatten besprochen wurde, denn die Aussage von Strauss:  »Hofmannsthal und ich haben sehr schön zusammengearbeitet, unser ruhiges Zusammensein wird gute Früchte tragen: sein neuer Entwurf verspricht Außerordentliches!«22 lässt keine andere Schlussfolgerung zu.

20 Cf. Grasberger, Strom der Töne, p. 206 (Brief an Pauline Strauss vom 8. April 1913). 21 Ursprünglich plante Hofmannsthal bereits am 6. April per Bahn nach Lucca abzureisen; cf. Schuh, Briefwechsel, pp. 224, 227 (Briefe vom 11. und 14. März 1913). Dennoch sind die Angaben widersprüchlich: »[…] hoffe, den 8ten oder 9ten bei Ihnen zu sein […]«; Brief an Borchardt vom 5. März 1913, in: Gerhard Schuster (ed.), Rudolf Borchardt –​Hugo von Hofmannsthal Briefwechsel, München/​Wien (Hanser) 1994, p. 144. Das Ziel seiner Reise war Monsagrati. Rudolf Borchardt bewohnte dort von 1912 bis 1925 die Villa Mansi bei San Martino in Freddana; cf. Andreas Beyer, Ist das die Villa? Rudolf Borchardt in der Villen-​Landschaft, in: Ernst Osterkamp (ed.), Rudolf Borchard und seine Zeitgenossen, Berlin (de Gruyter) 1997, p. 200. 22 Grasberger, Strom der Töne, p. 204 (Brief vom 5. April 1913).

398

Olaf Enderlein

Außerdem hatte Strauss in seinem letzten Brief an den Dichter vor der Reise bereits angedeutet: »Ich freue mich sehr auf ein gemütliches Zusammensein mit Ihnen und hoffe, dass ich mich auch als ›Mitarbeiter‹ auf dieser Reise bewähre. […] Bringen Sie schon fertige Entwürfe zur Frau ohne Schatten mit?«23 Zur Zeit dieser Reise existierten von Hofmannsthal zur Frau ohne Schatten ausschließlich handschriftliche Notizen. Eine Libretto-​Niederschrift  –​ auch einzelner Szenen oder gar einzelner Passagen –​lag noch nicht vor. Den Stoff und seine Gliederung aber mochte der Dichter wahrscheinlich schon in Gänze im Kopf gehabt haben. Ob es einen, wie Strauss mutmaßte, schriftlichen Entwurf gegeben haben mag, oder ob Hofmannsthal aus seinen bis dato verfassten Notizen oder überwiegend frei vortrug, muss dahin gestellt bleiben. Die denkwürdige Erzählung des Stoffes der Frau ohne Schatten durch den Dichter am 5.  April in Rom − nach Strauss des »fertigen Entwurfs« − dürfte mit Sicherheit eine ausführliche Erzählung der vollständigen Handlung aller drei Akte gewesen sein, basierend auf den Notizen, welche Hofmannsthal seit Februar 1911 kontinuierlich niedergeschrieben hat24. Innerhalb der in der Kritischen Ausgabe überlieferten Textgenese findet sich zwischen den Notizen N124 und N125 eine augenfällige Zäsur. Diese lässt sich sowohl aufgrund der vorhandenen Vermerke zu Ort und Datum ihrer Entstehung als auch der Tatsache wegen ersehen, dass die Notizen N125 bis N132 Bestehendes zu nahezu allen Szenen der drei Akte des Librettos auf einer höheren Ebene formulieren und reflektieren. Diese acht Notizen enthalten neben ergänzenden oder optionalen Versen ebenso Reflexionen und intertextuelle Kommentare. Sie vervollständigen und veranschaulichen die bereits erstellten Notizen beziehungsweise das von Hofmannsthal imaginierte Libretto. Jene acht während der Reise angefertigten Notizen dürften ebenso als Reflexion auf den Gedankenaustausch Hofmannsthals mit Strauss einerseits sowie mit Borchardt und Rudolf Alexander Schröder andererseits entstanden sein. Nicht zuletzt aufgrund der Angabe von Ort und Datum lassen sich die Notizen N125 bis N132 mehrheitlich dem Italienaufenthalt im April 1913 wohl zuordnen, deren tatsächliche Aufeinanderfolge jedoch ist nicht mit Gewissheit rekonstruierbar25.

23 Schuh, Briefwechsel, p. 228sq. (Brief von Ende März 1913). 24 Die erste Notiz zum Werk (N1) trägt das Datum 25. Februar 1911; cf. Hofmannsthal, Sämtliche Werke –​Kritische Ausgabe, vol. 25.1 (Operndichtungen 3.1), p. 178sq. 25 Die Notizen N125 bis N132 wurden gemäß der Abfolge des dramatischen Handlungsgeschehens angeordnet; cf. HSW, vol. 25.1, pp. 248–​253. Dieser Sachverhalt liegt nahe, gleichwohl scheint die Reihenfolge allein deshalb zweifelhaft, weil die

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Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration

Notiz

Ort /​Datum

Inhalt Akt, Szene

Korrelation

Alternative Reihenfolge

N125 Monsagrati 16. April 1913

I, 1

N127

7

N126 Monsagrati April 1913

I, 1; I, 2

N100; N113

5

N127 Monsagrati April 1913

I, 1

N89; N90

6

N128 Einfälle von der Reise in Italien April 1913

II, 5; II, 3

N121; N118

8

N129 [N.N.]

III, 1

N113

3

N130 Monsagrati April 1913

III, 1

N113

4

N131 Italien April 1913

III, 1–​4

N123

1

N132 [N.N.]

II, 4

N120

2

Einer während der Italien-​Reise künstlerisch höchst inspirierenden Zeit folgte im Anschluss an die Rückkehr nach Rodaun eine tour de force im Hinblick auf die Einrichtung des Librettos. Hofmannsthal begab sich während der drei anschließenden Monate gleichsam in Klausur, um die Niederschrift zum Libretto der ersten beiden Akte beinahe durchgängig auszuarbeiten26. Strauss vereinte während der Italien-​Reise gleichermaßen das Berufliche mit dem Privaten. Wie stets, führte der Komponist auch auf dieser Reise ein Taschen-​Skizzenbuch mit sich; dabei handelt es sich um das Skizzenbuch Tr2927. Um den von der Wiener Konzerthausgesellschaft an ihn ergangenen Notiz N125 als einzige ein genaues Datum aufweist. Inwieweit etwa die Notizen N126, N127 und N130 ungeachtet ihrer Datierung mit »April 1913« in den Aufenthalt von Monsagrati fallen oder doch bereits vorher (29. März bis 7. April 1913) oder danach (17.–​20. April 1913) angefertigt wurden, bleibt ebenso Hypothese wie die Tatsache, dass die Notiz N128 vermutlich erst nach der Reise formuliert worden sein könnte. Somit ist eine Reihenfolge, die möglicherweise nicht dem Handlungsablauf, sondern der Inspiration folgt, denkbar, aber nicht belegbar. 26 »Ich habe mich, durch Euren Beifall, den Ihr dem erzählten Märchen gabt, ermutigt, in die dramatische Ausführung frech hereingestürzt.« Schuster, Rudolf Borchardt, p. 151 (Brief an Borchardt vom 6. Mai 1913). Die Niederschrift zur 1. Szene des I. Aufzuges ist mit 29. April 1913 datiert, während der Monate Mai und Juni 1913 entstanden sonach die ersten Fassungen des Textes zur 2. Szene und zum II. Aufzug; cf. HSW, vol. 25.1, pp. 165–​169. 27 Skizzenbuch Tr29 (= RSQV ID q13029), Richard-​Strauss-​Archiv Garmisch. Zur Arbeitsweise von Strauss sowie zur Terminologie der Skizzen cf. Enderlein, Die Entstehung, p. 50sqq., p. 91sqq.

400

Olaf Enderlein

Auftrag erfüllen zu können, ein Werk zur feierlichen Eröffnung des Wiener Konzerthauses beizusteuern28, nutzte Strauss diese Reise offenkundig auch zum Komponieren, denn im Skizzenbuch Tr29 sind neben umfangreichen Skizzen zum Festlichen Präludium zugleich auch Vorskizzen zur Frau ohne Schatten enthalten. Dass diese Skizzen während der Italien-​ Reise ausgearbeitet wurden, bekräftigt sowohl eine auf Seite  89 mit »Die Glocken in Perugia« betitelte Skizze als auch der Sachverhalt, dass im hinteren Drittel des Buches Skizzen zu beiden Werken sich mehrfach überschneiden. In dem Maße, wie die entspannte Atmosphäre während der Reise inspirierend auf den Dichter wirkte, vermochten die Gespräche mit Hofmannsthal, vor allem aber dessen Erzählung der Oper beim Komponisten die musikalische Eingebung – wie schon einmal zuvor29 – unmittelbar auszulösen. Diese zeigt sich in 25, in der nachfolgenden Übersicht verzeichneten Vorskizzen, welche sich auf insgesamt 15 Seiten des Skizzenbuches verteilen.

28 Hierbei handelt es sich um das Festliche Präludium op. 61 (TrV 229). Strauss stand dabei unter Zeitdruck: »Wollte Gott, es gingen aus meinem Hirnkasten auch schon einige musikalische Ideen ab. Aber der Winter ist eine schlechte Zeit zum Komponieren, besonders für Leute, die nicht komponieren können, wenn ihnen nichts einfällt.« Brief von Strauss an Karparth vom 1. Dezember 1912, cf. Günter Brosche (ed.), Richard Strauss –​Ludwig Karparth. Briefwechsel 1902–​ 1933, in: Richard-​Strauss-​Blätter 6 (1975), p. 4. Ob Strauss mit dem Skizzieren möglicherweise zuvor in Berlin begonnen hat, lässt sich nur vermuten. Abschluss der Partitur am 11. Mai 1913, Uraufführung in Wien am 19. Oktober 1913. 29 Im Rahmen eines Treffens mit Strauss am 4. April 1911 in Wien erzählte Hofmannsthal zum ersten Mal den Stoff zur Frau ohne Schatten. Die beim Komponisten damals spontan einsetzende Inspiration zeigt sich in ersten, im seinerzeit verwendeten Skizzenbuch Tr15 (= RSQV ID q13015) aufgezeichneten Vorskizzen; cf. Enderlein, Die Entstehung, p. 368sq. und p. 648sq.

Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration

Lfd. Seite, Nr. Zeile

Inhalt

Akt, Kommentar Szene

1

74, 1–​8

Die Fee. Andante mosso [Die Kaiserin] I, 1

2

74, 9–​10 [Fortspinnung zu Skizze 1]

I, 1

Nachträglich angefertigt

3

75, 1

III, 1

Übernommen

4

75, 9–​10 gemessen

5

76, 1–​6

[N.N.]

6

77, 1–​6

dimin[uendo]

7

78, 1–​6

[N.N.]

8

79, 1–​6

[N.N.]

III

Teil-​Übernahme

9

80, 1–​6

Steigerung

III

2. Entwurf (cf. Skizze 11)

Auf geh nach oben, der Weg ist frei!

Später aufgezeichnet

Cf. Skizze 2 Verworfen III, 4

Übernommen Verworfen

10

80, 7–​10 Gut u. steigerungsfähig

III, 4

3. Entwurf (cf. Skizze 11)

11

81, 1–​6

Schöne Melodie

III

1. Entwurf

12

85, 1–​4

Pythia (gut)

I /​III

Übernommen

13

85, 6–​7

[»Der Amme Hohn –​Motiv«]

I

Übernommen

14

90, 1–​6

gut als Fortsetzung

I

3. Entwurf (cf. Skizze 22)

15

90, 7–​8

[N.N.]

16

91, 1–​2

[»Thema der Kaiserliebe«]

I

1. Entwurf (cf. Skizze 22)

17

91, 3–​6

[»Thema der Kaiserliebe«]

I

2. Entwurf (cf. Skizze 22)

18

91, 7–​10 [»Thema der Kaiserliebe«]

I

Fortsetzung zu Skizze 21

19

92, 1–​2

[Kadenz-​Entwurf]

20

92, 4–​9

[»Thema der Kaiserliebe«]

21

92, 9–​10 [Variante Fortsetzung]

22

93, 1–​10 gut [»Thema der Kaiserliebe«]

I

4. Entwurf

23

94, 6–​7

I

Übernommen

24

94, 6–​10 breiter Gesan[g]‌[»Thema der Kaiserliebe«]

I

5. Entwurf (cf. Skizze 22)

25

95, 1–​6

I–​III

Cf. Skizze 23

gut [»Motiv der Versteinerung«]

[Modulationen zum »Motiv der Versteinerung«]

401

Verworfen

Verworfen I

Fortsetzung zu Skizze 22 Cf. Skizze 22

402

Olaf Enderlein

Das Skizzieren der Frau ohne Schatten erfolgte dem Anschein nach im Anschluss beziehungsweise stellenweise parallel zur Ausarbeitung des Festlichen Präludiums. Es folgt der Inspiration, nicht dem dramatischen Geschehen der Oper oder gar der Seitenfolge des Skizzenbuches. Inwiefern Strauss damit erst am 5. April, also zum Zeitpunkt der Erzählung Hofmannsthals, oder aufgrund vorangegangener Gespräche möglicherweise bereits früher begann, bleibt hypothetisch. Aufgrund fehlender Datierungen oder nützlicher Hinweise ist eine faktische Abfolge der Skizzen kaum möglich30. Innerhalb der Vorskizzen finden sich sowohl Motivskizzen als auch Entwürfe längerer Themen, die über mehrere Perioden ausgearbeitet beziehungsweise hinsichtlich einer beabsichtigten Durchführung oder Steigerung sequenziert werden. Dem Ersteinfall folgt gelegentlich eine mehrmalige Ausarbeitung oder Variierung, bei der die Suche nach einer den Komponisten überzeugenden Gestalt unübersehbar ist. Vereinzelt werden Skizzen betitelt, bewertet oder zuweilen eine bestehende Textzeile vertont, wodurch belegt ist, dass Hofmannsthal wiederholt vorformulierte Verse in seine Erzählung des Stoffes integrierte. Im Folgenden werden die wichtigsten Vorskizzen zur Frau ohne Schatten aus dem Skizzenbuch Tr29 erstmalig in diplomatischer Transkription dargeboten sowie im Hinblick auf ihre Gestalt und Verwendung beschrieben. Jenes im Inhaltsverzeichnis von Strauss zuerst angeführte »Thema der Fee« (Skizze 1)  antizipiert bereits erkennbar das spätere »Thema der Kaiserin«. Anstelle des Quintfalls fis-​dis-​h zu Beginn wird der ursprüngliche Ausgangston fis in der endgültigen Fassung hingegen erst als Zielton einer aufsteigenden Undezime cis-​fis-​gis-​fis erreicht, um danach unter Beibehalten der fallenden Terz fis-​dis in den rhythmisch identischen Aufwärtsgang einzutreten, indem die durchschrittene Oktave h-​h des Erstentwurfes hochtransponiert und mit dem Finalton fis überdies zu einer kleinen Dezime (dis-​fis) erweitert wird.

Skizze 1, T. 1–3: Partitur I, T. 47–49:   30 So entstand das Inhaltsverzeichnis auf der Rückseite des Frontdeckels zusammen mit der Vorskizze »Die Fee« auf Seite 74 zu einem späteren Zeitpunkt als die nachfolgenden Skizzen. Weil innerhalb des auf der Reise mitgeführten Schreibkalenders die Eintragungen ab dem 13. April von Bleistift nach Tinte wechseln, ist es durchaus denkbar, dass zu diesem Zeitpunkt auch die vorgenannten Einträge erfolgten.

Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration

403

Zwei der Skizzen exponieren vorzeitig Musik zum III. Aufzug. So ist jene für die »Stimme von oben« (Skizze 3) offenbar eine durch die vorgetragene Textzeile ausgelöste Eingebung. Vom Fehlen des Wortes »Mann« abgesehen, besteht der Unterschied einzig im Wechsel des zweiten und dritten Tones und somit der Abfolge der Intervalle (↓3-​-​↑2+-​↑4 anstatt ↓2+-​↓2-​-​↑5). Skizze 3: Partitur III, T. 217sqq.:  

Des Weiteren liegt in Skizze 6 schon Musik aus dem späteren Ausklang der Oper aufgezeichnet vor. Wenngleich von den insgesamt skizzierten 20 Takten am Ende nur die ersten neun Takte übernommen werden, bleibt der Ersteinfall im Wesen unverändert (Partitur III, Takt 2064–​2072).

Skizze 6, T. 1–9:



Die Kadenzierung über einen CV-​Akkord in Takt 5 nach C und Takt 9 nach D7 wird in der endgültigen Fassung auch für Letztere nach C abgeändert. Eine innerhalb der nachfolgenden elf Takte der Vorskizze notierte Sequenzierung von c absteigend nach c wurde, da redundant und retardierend, verworfen und durch das zweimal erklingende »Thema der Kaiserin« ersetzt. Unter den Vorskizzen befinden sich bereits auch die Entwürfe einiger wichtiger Motive. Jenes in Skizze 23 notierte »Motiv der Versteinerung« erscheint mit dessen charakteristischer absteigender Intervallfolge, dem Tritonus am Ende, schon in seiner endgültigen Gestalt.

Skizze 23:



404

Olaf Enderlein

Aus zwei, ursprünglich der Figur der Amme zugeordneten Themen, werden Komponenten separiert und später mit zum Teil nur geringfügigen Änderungen gesondert verwertet: Aus dem mit »Pythia« benannten Entwurf (Skizze 13)  wird das Kopfmotiv (Takt  1–​2) als »Menschen-​Motiv«, aus Skizze 8 das Kopfmotiv (Takt 2–​5) als »Motiv der verratenen Mutterschaft« und aus Skizze 13 deren Sequenzierung (Takt 3–​6) als »Pythia-​Thema« verwendet. Letzteres wird künftig erst innerhalb der Klimax des zweiten Monologs der Kaiserin eingesetzt.

Skizze 13: Partitur I, T. 68–70: Skizze 8, T. 1–4: Partitur I, T. 1920sqq.: Partitur III, T. 1493sqq.:  

Die erste der beiden umfänglichen Melodieskizzen, das »Thema der Selbstüberwindung«, besteht in dessen dritter Fassung (Skizze 10) aus drei, später auch gesondert verwendeten Komponenten (Takt 1–​27). In der 2. Szene des III. Aufzuges erklingen zunächst das Kopfmotiv (Takt 1–​4) und dessen Fortführung (Takt 5–​11) geringfügig modifiziert und nach D-​Dur transponiert. Partitur III, T. 788sqq.: Skizze 10, T. 1–11: Partitur III, T. 795sqq. (Hrn., Vcl.):  

Das vollständige Thema einschließlich der Sequenzierung (Takt  11–​ 27) erklingt –​mit verbreitertem Kopfmotiv und nun nach H-​Dur transponiert –​ sodann erstmalig im Schlussteil der Tempelszene (»Sind das die Cherubim […]«, Partitur III, Takt 1628–​1658).

Reisen als Impuls künstlerischer Inspiration

405

Skizze 10, T. 5–27:



Eine nahezu exakte Wiederholung dieser 27-​taktigen Passage ‒ nunmehr in C-​Dur und zugleich als Steigerung ‒ erklingt schließlich zu Beginn des Schlussquartetts in der 4. Szene des III. Aufzugs (»Schatten zu werfen, beide erwählt […]«, Partitur III, Takt 1927–​1956). Jene von Strauss mit »gut«, später im eigens erstellten Verzeichnis dann mit »lange Melodie A-​Dur, sehr gut« bewertete Vorskizze enthält das »Thema der Kaiserliebe« (Skizze 22). Von diesem Entwurf werden in der endgültigen Fassung insgesamt 25 der 37 skizzierten Takte verwendet und unter Übernahme der in Skizze 24 geformten definitiven rhythmischen Gestalt des Themenkopfes sowie nach c-​Moll transponiert im II. Aufzug vollständig eingesetzt (Einleitung zur 2. Szene). Skizze 22, T. 1–15:

Partitur II, T. 791–802 (Vcl.): Skizze 22, T. 16–25:  

Betrachtet man die vorstehenden Ergebnisse, kann die Bilanz der Italien-​ Reise für beide Autoren zweifellos als ertragreich bewertet werden. Während der Dichter aus über Hunderten von Notizen erst eine dramatische Form zu gestalten und Verse zu formen hatte, konnte der Komponist quasi in statu nascendi beginnen –​unabhängig vom Ablauf der Handlung. Die insbesondere beim Komponisten einsetzende Inspiration führte nicht zuletzt der Erzählung des Stoffes durch Hofmannsthal wegen zu mehrheitlich prägnanten Eingebungen, welche  –​zumeist nur unwesentlich umgearbeitet  –​ Eingang in die Partitur fanden. Bemerkenswert an den im Hinblick auf die Werkgenese frühzeitig erstellten Vorskizzen ist die Tatsache, dass ungeachtet der an Ihnen vorgenommenen Modifikationen und einer nicht gesicherten Reihenfolge der Ersteinfall in der Regel dem Kontext seiner Verwendung wie auch seiner endgültigen Gestalt entspricht. Das effiziente Arbeiten mit den Einfällen, das heißt das Ausformen, das Variieren und schließlich auch das

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Olaf Enderlein

Verwerten, geben ein Zeichen davon, wie intensiv und zugleich wirkungsvoll Strauss mit dem elaboriertem Material gearbeitet hat und wie sehr er auf seines Erachtens gute Einfälle nicht verzichten wollte, auch wenn die spätere Verwertung einzelner Komponenten mitunter nur eine unbedeutende Ergänzung des Tonsatzes bedeuten mochte. Dementsprechend ist die Zahl der nicht verwerteten Vorskizzen bezeichnenderweise gering geblieben. Inwieweit und in welcher Form das Skizzieren oder Ausarbeiten einiger Entwürfe oder Variierungen erst nach der Reise stattgefunden hat, kann nachträglich kaum entschieden werden, da Strauss im Gegensatz zu Hofmannsthal seine Vorskizzen nicht datierte. Die Italien-​Reise des Jahres 1913 erwies sich sowohl für Hofmannsthal als auch für Strauss nicht nur als Impuls, sondern auch als Movens in Bezug auf Eingebung und Ausformung des Materials. Sie markiert in dieser Hinsicht den entscheidenden Wendepunkt innerhalb der Werkgenese der Frau ohne Schatten. Seltsamerweise sollte diese erfolgreiche Form der Kollaboration in Anbetracht einer zweieinhalb Jahrzehnte umspannenden Künstlergemeinschaft eine Ausnahme, ein Einzelfall bleiben.

Johannes Streicher

Neapolitanische (und römische) Skrupel anno 1925: Drei Briefe von Ermanno Wolf-​Ferrari an Raffaello de Rensis Obgleich seit etwa zwanzig Jahren das öffentliche Interesse an Ermanno Wolf-​Ferrari wieder zugenommen hat  –​wohl auch, weil um die Jahrtausendwende Sly (1927) erst von José Carreras in Zürich (1998), Washington (1999), Barcelona sowie Turin (2000) und dann von Plácido Domingo in New  York (2002) und Rom (2003) einem breiteren Publikum präsentiert wurde  –​, obwohl man sich also heute in der internationalen Rezeption nicht nur auf die Goldoni-​Bearbeitungen beschränkt, sondern durchaus auch andere Facetten seiner Kunst goutiert (zumal dank Friedrich Haiders reger Dirigiertätigkeit), hat die kritische Aufarbeitung seines Œuvres damit noch nicht schrittgehalten. Was die Dokumentation seiner Persönlichkeit durch sein eigenes Wort betrifft, so ist bisher, neben den mehr aphoristischen Bemerkungen, die während des Zweiten Weltkrieges mit einem Vorwort von Giovanni Gentile erschienen1, und einigen verstreut publizierten Briefen, lediglich eine einzige Briefedition erstellt worden:  die durch Mark Lothar herausgegebenen Briefe aus einem halben Jahrhundert2. Es bleibt zu hoffen, dass die im Familienbesitz in Venedig erhaltenen Briefe früher oder später den Weg an die Öffentlichkeit finden. Von den noch anzunehmenden Funden an unvermuteten Orten einmal abgesehen, ist es geplant, die Briefe Wolf-​Ferraris an seinen Biographen Raffaello de Rensis (1879–​ 1970) herauszugeben. Dabei handelt es sich um ein Konvolut von etwa neunzig Briefen und Karten, die von 1912 bis 1948 reichen und in dem der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom angegliederten Istituto Italiano per la Storia della Musica (I-​Riis) verwahrt werden, wo der Großteil des Nachlasses des Kritikers erhalten ist. Das In­ stitut ist 1938 auf Veranlassung von de Rensis gegründet worden, um Editionen italienischer Klassiker zu erstellen (u.a. erschienen bzw. erscheinen dort kritische Ausgaben von Carlo Gesualdo da Venosa, Giacomo Carissimi, 1

2

Ermanno Wolf-​Ferrari, Considerazioni attuali sulla musica, Siena (Ticci) 1943, vol. 4 der Reihe »Problemi di Estetica«, wobei die ersten Bände Sebastiano Arturo Luciani (Il cinema e le arti), Giulio Cogni (Le forze segrete della musica) und Nicola Moscardelli (Punti cardinali) zu verdanken waren. Ermanno Wolf-​Ferrari, Briefe aus einem halben Jahrhundert, München/​Wien (Albert Langen/​Georg Müller Verlag) 1982.

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Johannes Streicher

Alessandro Scarlatti, Luigi Boccherini und Niccolò Paganini) und seiner editorischen Großtat, der ersten vollständigen Palestrina-​Ausgabe, die ab 1939 von Raffaele Casimiri betreut, ab 1949 von Lavinio Virgili und Knud Jeppesen fortgesetzt, ab 1955 von Lino Bianchi geleitet und schließlich 1999 von Giancarlo Rostirolla abgeschlossen wurde, den erforderlichen institutionellen würdigen Rahmen zu verleihen. Raffaello de Rensis war als Chefredakteur der Wochenschrift Musica hervorgetreten, welche er von 1907 bis 1915 in Rom herausgab (ab 1916 erschien sie unter anderer Leitung noch bis 1930), bevor er von 1915 bis 1925 als Musikkritiker der römischen Tageszeitung Il Messaggero sowie von 1926 bis 1934 in gleicher Funktion beim Giornale d’Italia wirkte. Daneben publizierte er eine Reihe von Broschüren und Büchern musikhistorischen Inhalts, die breit gefächerte Interessen von Ercole Bernabei (Rom 1920) bis Arrigo Boito (dem er zwischen 1927 und 1943 fünf selbständige Veröffentlichungen widmete), von Franco Faccio (Mailand 1934)  bis Francesco Cilea (Palmi 1950)  und Ottorino Respighi (Turin 1935) dokumentieren; seine Monographie über Beniamino Gigli (Rom 1933) erschien 1936 in deutscher Übersetzung bei Hugendubel in München, sein Büchlein über Respighi 1957 in französischer Bearbeitung bei Gessler in Sion. Mitte der Dreißiger-​ Jahre entwuchs der Freundschaft zwischen Wolf-​ Ferrari und de Rensis der Wunsch, eine Monographie über ersteren vorzulegen, die –​wie mir eine der beiden Töchter des Kritikers, Franca de Rensis, die Witwe Boris Christoffs, freundlicherweise in einem Kolloquium vor fünfzehn Jahren bestätigte  –​in der Hauptsache als transkribierte ›oral history‹ im römischen Studio des Journalisten in Via Clitunno entstand, wobei der Komponist im Lehnsessel saß und seine Erinnerungen Revue passieren ließ, worauf die Authentizität des Buches beruht, das nur in einzelnen Details dann nochmals korrigiert und überarbeitet wurde. Es erschien 1937 unter dem Titel Ermanno Wolf-​Ferrari. La sua vita d’artista bei Treves in Mailand und stellt nach wie vor eine der Hauptquellen für die Beschäftigung mit dem Deutsch-​Italiener dar; erst 1941 publizierte Alexandra Carola Grisson eine Autorisierte Lebensbeschreibung bei Gustav Bosse in Regensburg, deren überarbeitete zweite Auflage 1958 im Amalthea-​Verlag in Zürich herauskam. Die hier ausgewählten Briefe stammen aus dem Jahre 1925, als Wolf-​ Ferrari und de Rensis noch keine Duzfreunde (das sollte sich erst 1931 ergeben), sich aber offenbar schon sehr sympathisch waren, weshalb der Komponist den Kritiker darum bat, bei der wohl schon seit längerem anvisierten Lösung eines Problems mitzuhelfen, das ihm zu schaffen machte. Trotz des enormen Publikumserfolgs der Oper Der Schmuck der Madonna3 3

I gioielli della Madonna waren in der deutschen Fassung am 23. Dezember 1911 an der Kurfürsten-​Oper in Berlin uraufgeführt worden, wo sie es zu siebzig (!) Aufführungen brachten.

Neapolitanische (und römische) Skrupel anno 1925

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in den letzten Vorkriegsjahren, bei dem es sich  –​gleich den Anfangsjahren der Rezeption der Salome  –​wohl eher um einen ›succès de scandale‹ gehandelt haben dürfte, der in diesem Fall dann jedoch bald verpuffte4, standen einer dauerhaften Verbreitung des Werks einige von einem Teil der (katholischen) Öffentlichkeit für anstößig gehaltene Details im Wege, die Wolf-​Ferrari in einer zweiten Fassung zu glätten trachtete. Als Berater auch hinsichtlich Fragen des neapolitanischen Lokalkolorits wandte er sich daher an den vermeintlichen Neapolitaner de Rensis, der seine Mitarbeit in einem erhaltenen Antwortbrief in Aussicht stellte. Bevor Wolf-​Ferrari noch Anstalten machen konnte, eine Zweitfassung in Angriff zu nehmen, wurden die Gioielli in den Spielzeiten 1925/​26 und 1926/​27 an der Metropolitan Opera in New  York noch ein Dutzendmal mit Maria Jeritza und Giovanni Martinelli gegeben, dann jedoch –​trotz der Ausarbeitung einer schließlich am 23.  Dezember  1933 in Hannover über die Bühne gegangenen Neufassung des Werks –​sollten I gioielli della Madonna erst 2016 wieder in einem deutschen Theater erklingen, und zwar in Freiburg im Breisgau. In der Zwischenzeit hatte es lediglich vereinzelte Produktionen gegeben, so 1937 in Wien (elf Aufführungen bis 1940), 1953 in Rom, 1976 konzertant in London (BBC), 1981 in Wexford, 2010 konzertant in New York (Teatro Grattacielo), 2013 in London (Opera Holland Park) und 2015 in Bratislava, weshalb –​wenn auch die Gründe für Wolf-​Ferraris Skrupel von 1925 vielleicht aus heutiger Sicht nicht mehr vollständig nachzuvollziehen sind –​seine Bemühungen um eine Zweitfassung wohl als gescheitert angesehen werden müssen.

4 In der Spielzeit 1912/​13 wurde Der Schmuck der Madonna in 33 deutschsprachigen Theatern insgesamt 165mal gegeben; cf. Josef-​Horst Lederer, Verismo auf der deutschsprachigen Opernbühne 1891–​1926, Wien et al. (Böhlau) 1992, pp. 228–​229. Daneben kam das Werk 1912 in Chicago, London, New York, Philadelphia und Prag sowie 1913 in Boston, Budapest, Genua, Kopenhagen, Paris und Stockholm heraus.

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Johannes Streicher

1.  Ermanno Wolf-​Ferrari an Raffaello de Rensis5 Hohenbrunn 70 München Baviera 9 Maggio 1925 Carissimo Sign. de Rensis! Il Sign Belli6 mi scrive invitandomi a venire a Roma per i Rusteghi7, e mi dice che anche Ella mi scriverà in proposito. Mi sembra più facile dire il doloroso «No» precorrendo la Sua lettera e dicendolo anche a Lei, quindi Le scrivo subito –​e Le mando, assieme, il mio ritratto, sperando di raddolcire, così, un poco questa mia risposta. Motivi: a) che non posso nemmeno ora interrompere il mio lavoro, che ò dovuto lasciar riposare 3 mesi in causa della première degli Amanti Sposi a Venezia e poi a Dresda8; b)  –​che ho veramente paura di abbandonarmi troppo alle gioje che possono produrmi i successi dei lavori, oramai, per me, vecchi; e precisamente perché non li sconfesso, anzi li amo assai, per cui mi riportano per simpatia allo stato d’animo di quando li feci, inchiodandomi in un passato, oramai, non più … presente, come tutti i passati. Mi dà malinconia, lo crede? Arrivano tardi oramai questi successi, perché spronano, ma allettano piuttosto al … non far più niente. E non sono affatto un pensionato della musica. Devo quindi, in certo modo, fuggire i miei lavori passati se non mi voglio perdere come si perde una mosca nel miele. –​c) –​La spesa. Non rida, ma io con questi viaggi ho finito ogni volta col rimetter tutto quello che guadagnavo: così fu a Venezia, così fu a Dresda, così fu nelle tournée. Ella non mi crederà, ma con tutti i miei «allori» –​sono sempre uno che deve andare adagio a spendere. Caro amico: non fui mai di moda né lo sarò; i miei lavori si scoprono e poi si ricoprono –​e ora che potrei goder qualche cosa, ho bisogno di pace pace pace e null’altro visto che mi incammino verso l’ottantina, come sa; perché presto saranno 509 e non ho che trent’anni da vivere, questo si capisce10.

Autographer zweiseitiger Brief (I-​Riis). 5 6 Vermutlich Adriano Belli (1877–​1963), Advokat, Musikkritiker und Gründer (1947) des Teatro Lirico Sperimentale in Spoleto, mit dem de Rensis befreundet war. 7 I quattro rusteghi waren am 2. Mai 1925 am Teatro Costanzi (dem heutigen Teatro dell’Opera) wiederaufgenommen worden. 8 Gli amanti sposi waren am 19. Februar 1925 am Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt worden; am 2. April folgte die deutsche Erstaufführung als Das Liebesband der Marchesa unter Fritz Busch in Dresden. 9 Wolf-​Ferrari wurde am 12. Januar 1876 geboren. 10 Er sollte jedoch bereits –​erst zweiundsiebzigjährig –​am 21. Januar 1948 sterben.

Neapolitanische (und römische) Skrupel anno 1925

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Ma verrò a Roma senza strepiti, non appena avrò finito questo benedetto istrumentale della Veste di Cielo. A Roma ci vedremo allegramente e faremo delle chiacchiere ecc ecc. Nevvero? Un piacere vorrei chiederle. Se Ella conoscesse costì qualche corrispondente di giornali importanti di Berlino, e sapesse che è ben disposto per la mia musica, potrebbe Ella animarlo a fargli mandare qualche trafiletto sui Rusteghi, o meglio su il complesso dei miei successi italiani sui suoi giornali tedeschi? Qui, non so perché, non sanno nulla, né nulla riportano, su ciò che mi succede in Italia. Proprio il contrario di ciò che succedeva una volta, quando le opere furoreggiavano qui e in Italia nulla ne trapelava. Possibile che continui sempre quest’altalena? Addio addio, scusi l’egoismo. Sono condannato a vivere sempre dentro a questa pelle; non è che l’ami, ma non ne posso uscire. È una noja essere sempre la stessa persona. E non mi serve che questo male non sia il mio soltanto … Me ancora! Sempre dev E. Wolf-​Ferrari Ella ha tempo assai a rispondermi. Se lo farà presto, sarà meglio, perché riceverò la Sua carissima in una età ancora giovanile.

2.  Ermanno Wolf-​Ferrari an Raffaello de Rensis11 Hohenbrunn 70 München 5 Giugno 1925 Carissimo Sign. de Rensis! Grazie mille per la buona lettera del 28! Come vede, Le rispondo subito, perché … Ella tocca un tasto che m’interessa molto: quello d’un opera [sic] nuova al Costanzi l’anno prossimo. Non vorrei che dopo aver rifiutato, per ragioni non volontarie certo, il piacere di venirmi a godere a Roma il successo dei Rusteghi mi toccasse, invece, andarci per godermi un mezzo successo o peggio. Parlo appunto degli Amanti Sposi. In quest’opera Goldoni non c’è; e siccome oramai, nei Rusteghi è impossibile distinguere quale parte di successo tocchi a lui e quale a me, data la fusione assoluta dei due (–​ci «vogliamo bene» –​), non mi stupirebbe che il pubblico romano avvezzo oramai a questa fusione, trovandomi solo, senza di «lui», rimanesse sconcertato e deluso. Non amo i successi di stima. Metto quindi le mani avanti e dico: adagio cogli Amanti Sposi a

11 Autographer zweiseitiger Brief (I-​Riis).

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Roma dopo due anni di Rusteghi12. Piuttosto … non sarebbe il caso di tentare i Giojelli [sic] della Madonna, che sono tanto differenti? Qui confronti non se ne possono fare, perché è tutto un mondo diverso13. Ora Lei è, credo, Napoletano e vive a Roma14. Due cose bellissime per potermi dire altre due bellissime cose. Cioè: come crede Ella che questo soggetto imperniato tutto su un sacrilegio (–​punito infine, è vero, ma sempre assai forte –​) possa venire accettato a Roma, centro del Cattolicesimo? Badi che a Vienna15 e qui a Monaco, centri neri, l’opera fu ritenuta impossibile per ragioni religiose16 –​e ciò, mentre io credevo invece che la punizione che Gennaro infine infligge a sé stesso fosse lì a dimostrare che il sacrilego … non sono io. Questa sarebbe la prima domanda e la prima, dunque, delle bellissime cose da me chieste. La seconda è questa. Nell’epoca del mio ostracismo ricordiano, quando in Italia le opere mie erano taciute in modo assai … positivo, e i Giojelli piacevano fuori d’Italia17, non so di dove e da chi propalata, si mise fuori la voce che quest’opera offendesse … Napoli. Sa perché? Perché vi sono certi camorristi … nell’opera, ben inteso. –​Ma questi camorristi non fanno nulla di male, cioè meno ancora dei contrabbandieri nella Carmen (–​osteggiata in Ispagna, olim –​per ragioni simili, quasiché l’opera di Bizet volesse darla ad intendere che tutti gli Spagnoli sono contrabassisti … pardon! contrabandisti –​allora … sempre «bandisti»?) –​Basta. Lei che può saperlo, mi dica:  che c’è di vero? Vuole farsi mandare un libretto da Casa Sonzogno o meglio uno spartito addirittura e dirmi se, secondo Lei, c’è roba che bisognerebbe cambiare, sia nelle didascalie, sia nel testo, per non offendere nessuno al mondo? Noti che io ho fatto l’opera con l’entusiasmo di chi ammira Napoli e v’è stato con passione; che il libretto lo feci fare da Golisciani che era di Napoli, anima docilissima –​e che credevo in verità di andar sicuro così e non sbagliare il colore locale. Veda Lei. Dicono che ho fatto una Napoli di maniera, da cartolina illustrata ecc. ecc. Certo che bisognava servirsi degli elementi di colore e che la «fotografia» non

12 Die römische Erstaufführung der Rusteghi hatte am 27. Dezember 1923 stattgefunden; im Juni 1924 folgte ein Galaabend: cf. Kurt London, Opern-​Abende in Italien. (Aus einem musikalischen Reisetagebuch), in: Allgemeine Musik-​Zeitung 51/​22–​23 (Juni 1924), p. 393sqq.: 397. 13 Zu allen diesbezüglichen Fragen cf. Prisca Salib, Ermanno Wolf-​Ferrari. «Der Schmuck der Madonna»: Eine veristische Oper?, Tutzing (Hans Schneider) 2009. 14 Raffaello de Rensis wurde 1879 in Casacalenda (Campobasso) in der heutigen Region Molise geboren, die sich 1963 von den Abruzzen abspaltete. 15 Der Schmuck der Madonna sollte erst am 19. März 1937 an der Wiener Staatsoper gegeben werden, in der Neufassung von 1933. 16 In München ist die Oper bis heute nie gespielt worden. 17 Siehe Anmerkung 4.

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sarebbe stata, in teatro, d’effetto. Poi il [sic] Napoli sentimentale e delicato che conoscono soltanto i Napoletani, perché l’anno [sic] nel cuore, quello non lo può musicare neanche Dio in modo da farlo sentire a chi non è Napoletano. –​Ho forse errato nel far quell’ambiente non essendovi nato. Ma deve non tentarsi mai in Italia l’opera per questo? –​Potrebb’essere una sorpresa grande, quest’opera. È teatralissima.  –​Io Le sarei assai grato se Ella, sincero com’è, mi dicesse se, secondo Lei bisognerebbe cambiare qualche cosa sia nel testo, sia nelle didascalie, sia per evitare cose che urtano ambizioni, sia per altre cose, forse di carattere sessuale. Si potrebbe evitare la parola camorra, e ridurre o tagliare delle didascalie troppo erotiche. Golisciani era vecchio e … impotente, immagino18; per cui esagerava in parole erotiche che … nulla contano di vitale. –​Quello che è certo fin d’ora è che io non farei l’azione in epoca d’oggi, ma la porterei indietro al principio del 1800 o, se crede, magari nell’epoca spagnolesca (che ne dice di quest’ultima idea?). So che l’editore Weinberger sarebbe disposto di rifare l’edizione piano e canto con le modificazioni necessarie. –​Sarebbe disposto Ella al caso, di voler fare questo lavoro critico? Io gliene sarei gratissimo e certo non intendo che Ella deva perdere del tempo; Ella, se crede, avrà la bontà di volermi fissare il giusto compenso. Si tratterebbe non di versi, s’intende; ma di tagli nelle didascalie, o affermazioni, o consigli ecc. ecc. Solo nell’ultimo atto, nell’inno della camorra bisognerebbe forse cavare la parola coltello e metterci qualche cosa d’altro. Perché il fatto di rimandare indietro l’opera all’epoca spagnolesca o anche meno in là, non basta a far superare i pericoli della parola Camorra19. Avrà la bontà di volermi rispondere in proposito? Al caso, mettiamoci subito all’opera. Le va? Tanti saluti affettuosi dal Suo dev affm amico E. Wolf-​Ferrari Grazie per l’interessamento riguardo ai giornali tedeschi. Finora non ne so nulla.

8 Der Librettist Enrico Golisciani lebte von 1848 bis 1918. 1 19 Cf. Matteo Sansone, La malavita nell’opera: »A basso porto«, »I gioielli della Madonna«, in: Gaetano Pitarresi (ed.), Francesco Cilea e il suo tempo. Atti del convegno internazionale di studi (Reggio Calabria 2000), Reggio Calabria (Edizioni del Conservatorio di Musica F. Cilea) 2002, pp. 369–​384.

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3. Raffaello de Rensis an Ermanno Wolf-​Ferrari20 24 giugno [19]25 Carissimo Maestro, rispondo alla sua del 5 scorso e mi scusi se le infliggo la lettura delle mie prime esercitazioni dattilografiche. Ho già proposto alla impresa del Costanzi la rappresentazione di una sua opera e la scelta cadrebbe precisamente sui Gioielli della Madonna, sebbene si sia accennato alla possibilità di dare il battesimo a Veste di cielo21. Prima che io sostengo a spada tratta i Gioielli, desidero leggere sia il libretto che lo spartito, ma la Casa Sonzogno è così accidiosa (per non dir altro) che raramente mi decido a chiederle un’opera. Immagini che Ricordi ha messo a mia disposizione tutto il catalogo, e non le celo che io ne approfitto, sebbene con discrezione. La nuova amministrazione Sonzogno non mi sembra migliore delle precedenti ….. di ciò ad altra occasione. In ogni modo, scriverò oggi stesso all’avv. Gherardi ed oserò chiedere …. Sarò lieto di studiarmi il suo dramma musicale nella quiete d’una villetta balneare e, con tutta schiettezza, nel suo interesse e in quello dell’arte, le esprimerò le mie impressioni e conclusioni. Specialmente nell’attuale momento politico22 bisogna sopprimere ed attenuare tutto ciò che possa eccitare la sensibilità …. sensibilissima dei fascisti, difensori dell’orgoglio nazionale e del sentimento religioso. Non so quanto in ciò vi sia di sincero; ma è un fatto da cui sarebbe stolto prescindere. Quanto al compenso per la mia fatica non è neppure a parlare se dovesse uscire dalla sua tasca; lo accetterei se l’impegno se lo assumesse l’editore. In ogni modo, stia tranquillo che il lavoro di revisione e di rettifica sarà fatto con amorevole attenzione. Terrò conto di quanto mi scrive nella sua lettera e di altro che eventualmente sorgesse nella mia mente. Ho conosciuto il pittore Pieretto Bianco23 ed abbiamo parlato molto di lei. Anche l’amico Belli, che mi fiancheggia, la saluta caramente. Stia sano, lavori e sempre avanti…. Con affetto

0 Durchschlag eines Typoskripts (I-​Riis). 2 21 Das Himmelskleid wurde dann am 21. April 1927 am Münchner Nationaltheater unter Hans Knappertsbusch uraufgeführt. 22 Benito Mussolini hatte am 3. Januar 1925 im Parlament die politische Verantwortung für den Mord am Gewerkschaftsführer Giacomo Matteotti (1885–​1924) übernommen, was von den Historikern übereinstimmend als der Beginn der faschistischen Diktatur gewertet wird. 23 Eigentlich Pietro Bianco Bortoluzzi (1875–​1937), Maler und Bühnenbildner.

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Dopo questo mio sforzo di meccanica, mi convinco che un posticino di dattilografo non potrà mancarmi, quando mi mancherà l’esercizio giornalistico, che diventa sempre più … antipatico.

4.  Ermanno Wolf-​Ferrari an Raffaello de Rensis24 16 Luglio 1925 Carissimo Signor de Rensis! Congratulazioni vivissime per il brillante esito dei Suoi studî dattilografici, e, (scherzi a parte) sentiti ringraziamenti per la Sua buona lettera. –​Nel frattempo ho avuto agio di meditare sulle Sue parole riguardo all’attuale momento politico e finisco col desiderare in modo assoluto che … i Giojelli per ora non si dieno. Sento che anche il più lontano dubbio che potesse sorgere qualche malinteso pubblico mi riesce talmente insopportabile anche solo a fantasticarvi su, che, francamente, desidero evitarmi questo affanno affatto inutile, data la mia completa innocenza in proposito e l’antichità dell’opera. Ho atteso tanto. Posso attendere ancora. E poi, dato che, purtroppo il mio lavoro all’istrumentale della Veste di Cielo procede adagio, (troppo adagio), chi mi garantisce che i Giojelli, se si facessero l’anno prossimo, non finiscono a coincidere ancora in un’epoca nella quale, al solito, non potessi muovermi? Perché è inutile: finché non ho finita quest’opera non avrò requie né potrò godere di nulla. Quindi lasci di raccomandare opere mie al Costanzi; non occorre che se ne facciano … finché non avrò terminata l’opera. Frattanto però La prego di fare ugualmente quel lavoro di critica dei Giojelli, del quale io La pregavo. Quello occorre in ogni modo e, prima o poi, i Giojelli si dovranno ben dare, per cui i ritocchi al libretto sia riguardo alla «moralità» che alla «religione» che all’«orgoglio nazionale» restano necessarî ed utili sempre ed anzi val meglio il farli ponderatamente e con calma. Ci scriveremo a proposito. Nevvero? E non badi se il compenso venga dalla mia tasca o da quella dell’editore. Questo (quello di Vienna) dice che gli bastano le spese della nuova edizione; quindi i ritocchi sono a mio carico. Ma Ella è troppo buono a farsene uno scrupolo. Non ammetterei mai che Ella dovesse sacrificare il Suo tempo ed io scroccarvi su. Grazie anche della notizia del Giornale di Vienna. Ella è veramente buono. Saluti, prego, il Comm Belli e Pieretto Bianco, se lo vede. A  quest’ultimo sono debitore di una lettera da molto tempo. Gliela scriverò non appena

24 Autographer vierseitiger Brief, mit Briefkopf »E.W.F./​München-​Hohenbrunn 70« (I-​Riis).

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potrò esprimermi su argomenti che, all’istante, non devo, per prudenza, toccare. Ma fra poco potrò permettermi di farlo e gli scriverò. A lei ancora tante grazie, buon mare e bagni e mi creda sempre, nella speranza di vederci il prossimo inverno a Roma (anche senza teatri) con tanti saluti suo aff dev E. Wolf-​Ferrari

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Rodolfo Valentino und die Tiller Girls gehen in die Oper. Die Darstellung der »neuen Frau« und des »neuen Mannes« in Neues vom Tage von Marcellus Schiffer und Paul Hindemith »Schöne Berlinerin, du hast bekanntlich alle Vorzüge. Du bist tags berufstätig und abends tanzbereit. […] Mit der Geschwindigkeit, in der deine Stadt aus klobiger Kleinstadt sich ins Weltstädtische mausert, hast du Fleißige schöne Beine und die nötige Mischung von Zuverlässigkeit und Leichtsinn, von Verschwommenheit und Umriss, von Güte und Kühle erworben.«1 »Lorenzo sei der schönste Mann, den sie je gesehen hätten, bestätigten sämtliche Freundinnen […]«.2

Das Bühnenwerk Neues vom Tage von Paul Hindemith und Marcellus Schiffer gilt als prominentes Beispiel einer Zeitoper. Der Begriff dient als Kategorie zur Beschreibung von Musiktheaterstücken der Zwischenkriegszeit, vorwiegend aus den 1920er Jahren, die zeittypische Aspekte aus dem Alltagsleben in die Handlung, die Bühnenausstattung und oft auch in die Komposition einbezogen haben3. In Neues vom Tage wären dies beispielsweise

Franz Hessel, An die Berlinerin, in: id., Schöne Berlinerinnen. Frauenporträts, Berlin (Ebersbach & Simon) 2015, p. 9. 2 Inger-​Maria Mahlke, Archipel, Reinbek (Rowohlt) 2019, p. 389 3 Cf. Thomas Koebner, Die Zeitoper in den zwanziger Jahren. Gedanken zu ihrer Geschichte und Theorie, in: Dieter Rexroth (ed.), Eroberungen und Erfahrungen. Zu Paul Hindemiths Schaffen in den Zwanziger Jahren, Mainz (B. Schott’s Söhne) 1978 (Frankfurter Studien. Veröffentlichungen des Paul-​ Hindemith-​ Instituts Frankfurt/​Main 2), pp. 60–​66; Mathias Hansen, »Neues von heute und morgen«. Zeitoper –​Hindemith –​Schönberg. Ein revisionsbedürftiges Thema, in: Hindemith-​Jahrbuch. Annales Hindemith 25 (1996), pp. 142–​157; Stanley Sadie, Zeitoper, in: id./​Christina M. Bashford (edd.), The New Grove Dictionary of Opera, London/​New York (MacMillan Press) 1998, p. 1221; Nils Grosch, Die Musik der Neuen Sachlichkeit, Stuttgart/​Weimar (Metzler) 1999; id., Zum Musiktheater der Neuen Sachlichkeit, in: Udo Bermbach (ed.), Oper im 20. Jahrhundert. Entwicklungstendenzen und Komponisten, Stuttgart/​Weimar (Metzler) 2000, pp. 130–​154; Nils Grosch (ed.), Aspekte des modernen Musiktheaters in 1

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Schreibmaschinen in einem Großraumbüro, ein Hotelbadezimmer mit Warmwasserversorgung, eine Signalglocke für den Hotelservice, eine Theaterklingel, moderne Massenmedien und eine Kabarettrevue. Beschränkt sich die Definition für Zeitoper allerdings auf solche vordergründigen Phänomene, auf »Requisiten«, wie dies Ernst Krenek im Zusammenhang mit seiner Oper Jonny spielt auf (Leipzig 1927) bemängelte4, so bleiben die Beobachtungen letztendlich an der Oberfläche. Aufschlussreicher ist dagegen eine Untersuchung theaterästhetischer Ansätze und musikalischer Stilelemente im Werk. Im Fall von Neues vom Tage wurde dies etwa mit Blick auf Modetänze und Jazzeinflüsse bereits teils vorgenommen5. Im vorliegenden Aufsatz interessiert indes ein Aspekt des Phänomens Zeitoper, der bislang lediglich sporadisch beleuchtet wurde: Am Beispiel von Neues vom Tage soll dargelegt werden, wie dieses Werk gesellschaftliche Veränderungen als Handlungselemente aufgreift und wie diese mit den Mitteln des Musiktheaters verhandelt werden. Der Fokus wird dabei auf die veränderten Geschlechterrollen und deren soziale Dynamiken in der Weimarer Republik gerichtet, die mit den Schlagwörtern »neue Frau« und in jüngster Zeit auch mit »neuer Mann« beschrieben worden sind6. Den rechtlichen der Weimarer Republik, Münster/​München (Waxmann) 2004; Hanns-​Werner Heister, Versachlichung und ›Zeitoper‹, in: Siegfried Mauser (ed.), Musiktheater im 20. Jahrhundert, Laaber (Laaber) 2006 (Geschichte der Oper 4), pp. 262–​281; Elisabeth Schmierer, Zeitoper, in: ead./​Arnold Jacobshagen (edd.), Sachlexikon des Musiktheaters, Laaber (Laaber) 2016, p. 628. 4 Cf. Ernst Krenek, »Jonny spielt auf« (1927/​28), in: id., Im Zweifelsfalle. Aufsätze über Musik, Wien et al. (Europaverlag) 1984, p. 17: »Man betrachte die technischen Dinge im Jonny doch einfach als Requisiten, nicht mehr und nicht weniger als die Postkutsche in Fra Diavolo oder die Lanzen und Schwerter im Lohengrin. […] Ich kann nur die Naivität dieser Beurteiler bewundern, die im Jonny eine epochemachende Gestaltung des berühmten Zeitgeistes sehen, weil eine Eisenbahn auf die Bühne kommt oder weil eine Arie durchs Radio übertragen wird.« Cf. Nils Grosch, Ernst Kreneks »Jonny spielt auf« und der Mediencharakter der Zeitoper, in: Peter Csobádi et al., Alban Bergs »Wozzeck« und die Zwanziger Jahre, Anif/​ Salzburg (Müller-​Speiser) 1999, pp. 521–​532. Cf. Susan C. Cook, Opera for a New Republic. The »Zeitopern«, of Krenek, Weill, 5 and Hindemith, Ann Arbor/​London (UMI) 1988, pp. 41–​55, sowie pp. 59–​65; Ulrich Lenz, »America forever!« Amerika-​Boom und Jazz-​Rausch in Deutschland der 1920er-​Jahre, in: Bettina Brandl-​Risi et al. (edd.), Kunst der Oberfläche. Operette zwischen Bravour und Banalität, Leipzig (Henschel) 2015, pp. 58–​69. 6 Cf. Doris Feldmann/​Ina Habermann, Geschlechterrolle, in: Renate Kroll (ed.), Metzlers Lexikon Gender Studies/​Geschlechterforschung, Stuttgart/​Weimar (J. B. Metzler) 2002, p. 158sq.; Renate Brosch, Neue Frau/​New Woman/​Femme nouvelle, in:  ibid., p.  291sq.; Dagmar von Hoff, Performanz/​Repräsentation, in: Christina von Braun/​Inge Stephan (edd.), Gender@Wissen. Ein Handbuch der

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Rahmen für diese gesellschaftlichen Veränderungen stellten das neu eingeführte Frauenwahlrecht und die prinzipielle Gleichstellung von Mann und Frau in der Weimarer Republik dar7. Es liegt auf der Hand, dass für solch eine Untersuchung lediglich die erste Fassung von Neues vom Tage von Interesse ist, die am 8. Juni 1929 an der Berliner Kroll-​Oper als »Lustige Oper in zwei Akten« zur Uraufführung kam, nicht jedoch jene zweite, vom Komponisten aus zeitlicher Distanz grundlegend überarbeitete Fassung aus dem Jahr 19548. Dreh-​und Angelpunkt der Handlung von Neues vom Tage ist das Thema Scheidung. Tatsächlich war die hohe Zahl an Ehescheidungen in den 1920er Jahren ein neues Phänomen. Bereits zu Beginn der Weimarer Republik setzte eine regelrechte Scheidungswelle ein9. Dies lag nicht nur an den naheliegenden Folgen der vormals impulsiv geschlossenen Kriegsehen, die erst nach der Rückkehr des Mannes von der Front im Nachkriegsalltag den Bewährungstest bestehen mussten, sondern auch daran, dass die Frauen während der Kriegsjahre gezwungen waren, alleine für den Unterhalt zu sorgen. Diese

Gender-​Theorien, Köln/​Weimar/​Wien (Böhlau) 2005, pp. 162–​179; Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1987, pp. 101–​106; Kristine von Soden/​Maruta Schmidt (edd.), Neue Frauen –​Die zwanziger Jahre, Berlin (Elefanten-​Press) 1988; Katharina Sykora et al. (edd.), Die Neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg (Jonas) 1993; Katharina Hottmann, »Wie schön ist unser Herr Hermann heute abend [sic]«. Musik und Männerkörper in Zeitopern der 1920er Jahre: »Intermezzo«, »Jonny spielt auf« und »Neues vom Tage«, in: ead./​Sabine Meine (edd.), Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, Schliengen (Edition Argus) 2005, pp. 148–​173. 7 Cf. Friedrun Bastkowski et al. (edd.), Frauenbewegung und die »Neue Frau« 1890–​1933, Frankfurt am Main (Historisches Museum Frankfurt) 1980 (Frauen­ alltag und Frauenbewegung im 20. Jahrhundert 2), pp. 85–​86; Marion Röwekamp, »The double bind«. Von den Interdependenzen des Frauenwahlrechts und des Familienrechts vor und nach 1918, in: Hedwig Richter/​Kerstin Wolff (edd.), Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburg (Hamburger Edition) 2018, pp. 99–​121. Cf. Paul Hindemith, Neues vom Tage, Klavierauszug von Franz Wilms, Mainz (B. 8 Schott’s Söhne) 1954; Annegrit Laubenthal, Neues vom Tage, in: Carl Dahlhaus et al. (edd.), Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, vol. 3, München/​Zürich (Piper) 1989, pp. 70–​72. 9 Cf. Astrid Eichstedt, Irgendeinen trifft die Wahl, in: Soden/​Schmidt, Neue Frauen, p. 11; Martin Trageser, »Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit.« Die Zwanziger Jahre im Spiegel des Werks von Marcellus Schiffer (1892–​1932), Berlin (Logos) 2007, p. 266; Ulrich Fischer, Recht und Geschäft als Opernsujet. Zur »Lustigen Oper« »Neues vom Tage«, in: Hindemith-​Jahrbuch. Annales Hindemith 34 (2007), pp. 84–​94.

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Erfahrung machte sie souveräner als vor dem Weltkrieg. Davon berichtet eine erstmals 1932 veröffentlichte Untersuchung des Berliner Instituts für Sexualforschung, das von Magnus Hirschfeld gegründet wurde. In einer der Veröffentlichungen des Instituts heißt es: Ein Großteil der Frauen war wirtschaftlich bis zu einem gewissen Grade selbständig geworden, die Not der Zeit hatte ihnen Beamtenmützen auf den Kopf gestülpt und an der Granatendrehbank waren sie den Bügeleisen und den Kochtöpfen entwöhnt worden. Sie hatten eigenes Geld, eine männliche Nonchalance gewonnen, es auch auszugeben und nicht mit dem Groschen des Haushaltsgeldes zu rechnen. Sie hatten gehungert in der ewigen Kohlrübensymphonie und hatten sich in allen möglichen Surrogaten über das Magenknurren hinweggetäuscht, aber sie hatten etwas gewonnen, eine ganz ungeheure Selbständigkeit. Der ganze patriarchische Ehetrieb mit der Hegemonie des Mannes war in ein traumhaftes Nichts zurückgesunken, und die Frau stand ohne Anlehnungsbedürfnis fest auf ihren Füßen.10

Diese Autonomie im Erwerbsleben führte tendenziell zu einem neuen Rollenverständnis der Frauen, das für die Männer nicht selten eine große Herausforderung darstellte: Das Selbstbewußtsein der arbeitenden Frau war enorm gewachsen und hatte in ihr unzweifelhaft viel vom Vorkriegsweibchentum zerstört. Der oft kriegszermürbte Mann fand eine energischere Frau vor, als er verlassen, und oft genug war sie ihm inzwischen in jeder Beziehung über den Kopf gewachsen. Konfliktstoff genügend, um einen Zermürbungskampf verständlich zu machen, auch überall da, wo erotische Momente nicht oder nur wenig mitspielten.11

Die Oper Neues vom Tage beginnt in medias res im ersten Bild des ersten Teils mit einem Konflikt zwischen Eheleuten. Dieser Streit des verheirateten Paars Laura und Eduard gestaltet sich als Parodie eines Liebesduetts: Statt Bekundungen der Zuneigung werden ausschließlich Beschimpfungen ausgetauscht12. Das Ganze kulminiert in der Drohung Eduards, Laura zu erschießen, ein Handlungselement, das damals durchaus realitätsnah war: Tatsächlich gab es gerade in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg eine große Verbreitung von Handfeuerwaffen und damit einhergehend eine hohe Zahl an Tötungsdelikten in der Ehe13. Paul Hindemith und

10 Jakob Richard Spinner, Ehekrisen und Ehereform, in: Magnus Hirschfeld (ed.), Zwischen zwei Katastrophen (früher: Sittengeschichte der Nachkriegszeit), Hanau (Verlag Karl Schustek) 21966 (Sittengeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts 2), p. 515. 11 Ibid.,  p. 516 12 Cf. Paul Hindemith, Neues vom Tage. Lustige Oper in drei Teilen. Text von Marcellus Schiffer, Erster Teil (Paul Hindemith Sämtliche Werke I,7-​1), Mainz (Schott) 2003, p. 27sqq. 13 Cf. Spinner, Ehekrisen, p. 517sq.

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Marcellus Schiffer hatten diesen Topos bereits als zentrales Handlungselement im Vorgänger-​Werk von Neues vom Tage, im »Sketch mit Musik« Hin und zurück (Baden-​Baden 1927) behandelt: Hier mündet ein Ehestreit tatsächlich in einen Mord durch Erschießen14. In Neues vom Tage hat der Ehemann Eduard dagegen die Folgen einer solchen Tat vor Augen und widersteht dem Impuls, den Streit mit einem Revolver zu beenden. Stattdessen kommen beide Ehepartner zum Entschluss, sich scheiden zu lassen. Musikalisch wird dies als Umbruch und Auflösung der vormals nervös sich steigernden Passage gestaltet, die sich nun zu einem choralartigen Satz transformiert. Über einem lässig beschwingten Rhythmus eines Foxtrotts heben Melismen in der Gesangsmelodik die Begriffe »Scheidung« und »scheiden« wie Erlösungsformeln hervor15. Tradierte musikalische Idiome werden somit zur Zeichnung einer Alltagssituation des modernen Lebens eingesetzt, ein Spiel mit Fallhöhe, das auf komische Wirkung abzielt:  Ein emotional verdichtetes Duett zwischen Frauen-​und Männerstimme wird für einen Alltagskonflikt mit kruden Beschimpfungen eingesetzt, ein Formtypus aus der Sakralmusik in Verbindung mit einem Modetanz für die pragmatische Entscheidung zu einem juristischen Akt, um die Ehe zu beenden16. Diese Art sarkastisch pointierter Darstellung mittels Parodien und karikierender Überzeichnungen hatte der Librettist Marcellus Schiffer, eine zentrale Gestalt der Berliner Kabarettszene, bereits Jahre zuvor vielfach in musikalischen Revuen erprobt, um aktuelle Zeitphänomene humoristisch aufs Korn zu nehmen, etwa in der Zusammenarbeit mit dem Komponisten Mischa Spolianksy17. Paul Hindemith hatte seinerseits bereits eine Menge Erfahrung mit musikalischen Parodien und dem humorvollen Spiel mit Fallhöhen18. Diese Herangehensweise im Bereich des Musiktheaters, die Pathos und psychologische Zeichnung bewusst vermeidet, aus einer distanzierten Perspektive beobachtet und mit Mitteln der Satire den Gegenstand kritisch

14 Cf. Cook, Opera, p. 154sq.; Rudolf Stephan, Hin und zurück, in: Dahlhaus et al., Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, vol. 3, p. 69sq. 15 Cf. Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. 31sqq., sowie p. 34sqq. 16 Cf. Cook, Opera, p. 160sqq. 17 Cf. ibid., pp. 33–​35. Viktor Rotthaler, Ich hab’ –​ich bin –​ich wär. Ein Marcellus-​ Schiffer-​Mosaik, in: id. (ed.), Marcellus Schiffer. Heute nacht oder nie. Tagebücher, Erzählungen, Gedichte, Zeichnungen, Bonn (Weidle) 2004, pp. 18–​36; Nils Grosch, »Bilder, Radio, Telephon«. Revue und Medien in der Weimarer Republik, in: id., Aspekte des modernen Musiktheaters, pp. 159–​174; Carolin Stahrenberg, Hot Spots von Café bis Kabarett. Musikalische Handlungsräume im Berlin Mischa Spolianskys 1918–​1933, Münster et al. (Waxmann) 2012. 18 Cf. Giselher Schubert, Paul Hindemith konzis, Mainz (Schott) 2016, pp. 35–​39.

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hinterfragt, entspricht den zeitgenössischen Tendenzen der Neuen Sachlichkeit, wie sie damals auch in der Bildenden Kunst und im Film zu beobachten sind19. Schiffer und Hindemith haben somit in Neues vom Tage aktuelle Topoi ihrer Zeit mit den entsprechenden aktuellen künstlerischen Mitteln auf die Opernbühne gebracht. Um die Handlungselemente, die dem Alltag ihrer Zeit entlehnt waren, möglichst überzeugend zu behandeln, soll Marcellus Schiffer für das Libretto von Neues vom Tage einen Rechtsanwalt konsultiert haben: Die juristischen Details sollten korrekt dargestellt werden20. In Neues vom Tage suchen die scheidungswilligen Eheleute Laura und Eduard einen rechtlich verbindlichen Trennungsgrund. Sie finden ihn im Ehebruch, der in der Weimarer Republik tatsächlich der häufigste Scheidungsanlass war21. Aus diesem Grund konsultieren sie das fiktive »Büro für Familienangelegenheiten G.m.b.H.« In dieser Firma sind »Tippfräulein« als Angestellte beschäftigt22, in Neues vom Tage nicht zuletzt ein Hinweis auf die materiellen Voraussetzungen für die hohe Zahl an Scheidungen: Frauen waren im Verlauf der 1920er Jahre prinzipiell nicht mehr vom Ehemann als Versorger abhängig, da nun viele im Gegensatz zu ihren Müttern selbst einem Beruf nachgingen. Nachdem in der Weimarer Republik die Hyperinflation ab November 1923 eingedämmt und schließlich durch Kredite im Rahmen des sogenannten Dawes-​Plans 1924 die deutsche Wirtschaft nach US-​Vorbild neustrukturiert wurde, eröffneten sich erweiterte Erwerbsfelder für Frauen23. Aufgrund einer neu eingeführten

19 Cf. Cook, Opera, pp. 27–​33; Rainer Metzger, Kultur und Kultur der Oberfläche: Neue Sachlichkeit, in: id./​Christian Brandstätter (edd.), Berlin. Die Zwanzigerjahre. Kunst und Kultur 1918–​1933, München (DTV) 2006, pp. 179–​251; Giselher Schubert bezeichnet im Vorwort der Partitur von Neues vom Tage die Oper sogar als »Hauptwerk der ›neuen Sachlichkeit‹«, cf. Giselher Schubert, Einleitung, in: Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. XI; id., »Neue Sachlichkeit« in der Oper. Notizen zu einigen Frauengestalten Hindemiths, in: Carmen Ottner (ed.), Frauengestalten in der Oper des 19. und 20. Jahrhunderts (mit besonderer Berücksichtigung der deutschsprachigen, italienischen und französischen Oper). Symposion 2001, Wien/​München (Doblinger) 2003, pp. 136–​140. 20 Cf. Cook, Opera, p. 158. 21 Cf. Spinner, Ehekrisen, p. 520sq. 22 Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. 115sqq. 23 Cf. Ulrich Kluge, Die Weimarer Republik, Paderborn et al. (Schöningh) 2006, pp. 83–​148; Neil MacGregor, Deutschland. Erinnerungen einer Nation, München (C. H. Beck) 2015, pp. 461–​476; Mel Gordon, Sündiges Berlin. Die zwanziger Jahre: Sex, Rausch, Untergang, Wittlich (Index) 2011, p. 30sq.; Maren Lickhardt, Kriegsfolgen und Neuorientierung: Geld und Geschlecht, in: Niels Werber et al. (edd.), Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart (J. B. Metzler) 2014, pp. 419–​443.

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Rationalisierung der Arbeitsweisen und Verwaltungsmethoden und der damit einhergehenden ›Taylorisierung‹, somit Aufsplitterung der einzelnen Tätigkeiten, ergaben sich vermehrt Arbeitsplätze für Ungelernte, wie der Soziologe und Journalist Siegfried Kracauer in seiner erstmals 1929 abgedruckten Abhandlung Die Angestellten darlegte24. Für Frauen, die damals in der Regel eine schlechtere Ausbildung als Männer hatten, bot diese Innovation im Verwaltungs-​und Handelssektor die Chance, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen, etwa als Büroangestellte oder als Verkäuferin in einem der neuen Warenhäuser, in Berlin etwa Wertheim am Potsdamer Platz oder Karstadt am Hermannplatz. In diesen damals neuartigen Angestelltensektor führt das dritte Bild aus Neues vom Tage mit dem Chor der »Tippfräulein«. Die Angestelltenschicht der Weimarer Republik bringt indes auch einen neuen Typus von Mann hervor, in Neues vom Tage personifiziert durch den »schönen Herrn Hermann«. Unterstrichen wird diese Charakterisierung im Chor der »Tippfräulein« aus dem dritten Bild mit den Worten »Wie schön ist unser Herr Hermann heute Morgen«25, eine Anspielung auf die erste gesungene Textzeile in Richard Strauss’ Oper Salome (Dresden 1905):  »Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht.«26 Die Melodie bei Hindemith orientiert sich sogar zu Beginn in ihrer Kontur an der Referenzstelle bei Strauss  –​in Variation:  Statt der großen Sext abwärts (eis-​gis) in der Partie des Narraboth beginnt der Choreinsatz der Tippfräulein mit einer kleinen Sext abwärts (e-​gis). Der anschließende chromatisch geprägte Aufwärtsgang bei Strauss wird bei Hindemith gespiegelt als Abwärtsgang. In der Regieanweisung von Neues vom Tage wird das Erscheinungsbild des schönen Herrn Hermann charakterisiert als »blond, rosig, trägt ein Schnurrbärtchen und lächelt unentwegt freundlich«27. Dies entspricht dem Bild des typischen männlichen Angestellten der Weimarer Republik –​modebewusst, sportlich, schlank, agil, Gesundheit und Jugend ausstrahlend  –​, wie ihn Siegfried Kracauer in Die Angestellten beschreibt, wenn er feststellt: »Eine moralisch-​ rosa Hautfarbe  –​diese Begriffskombination macht mit einem Schlag den Alltag transparent, der von Schaufensterdekorationen, Angestellten und illustrierten Zeitungen ausgefüllt ist«28. Es ist nicht bekannt, ob die 4 Cf. Siegfried Kracauer, Die Angestellten, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 152017. 2 25 Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. 119. 26 Richard Strauss, Salome. Drama in einem Aufzug nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung in deutscher Übersetzung von Hedwig Lachmann op. 54. Studienpartitur (Richard Strauss Werke, Kritische Ausgabe I,3a), edd. Claudia Heine/​ Salome Reiser, Mainz et al. (Schott et al.) 2019, p. 1. 27 Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. 119. 28 Kracauer, Die Angestellten, p. 24.

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Autoren von Neues vom Tage, Schiffer und Hindemith, Siegfried Kracauers 1929 vor der Buchpublikation vorab als Artikelserie in der Frankfurter Zeitung veröffentlichte Ausführungen kannten, zudem war die Oper zu diesem Zeitpunkt schon fertiggestellt, doch die Übereinstimmung ist frappierend. Andere Quellen zeichnen ein ähnliches Erscheinungsbild. Der Schriftsteller Stefan Zweig schreibt in seinen Erinnerungen polemisch:  »[…] die jungen Männer wiederum rasierten sich die Bärte, um mädchenhafter zu erscheinen«29. Solch eine Kritik an einer optischen ›Feminisierung‹ von Männern zieht sich auch durch den Diskurs über das zeitgenössische Kino: Männer fotografiere man »wie Mädchen«, den Hollywood-​ Schauspieler Ramón Novarro präsentiere man »als Puppe«, heißt es in einer zeitgenössischen Publikation30. Tatsächlich hat das neue Ideal des schönen Mannes, wie es sich in Westeuropa in den 1920er Jahren verbreitet, seinen Ursprung nicht zuletzt in der frühen Filmindustrie der USA. So titelt im Dezember 1926 die als »Illustriertes Familienblatt« herausgegebene Zeitschrift Wiener Bilder mit einer Profilfotografie des jungen Hollywood-​Stars Gilbert Roland und der Schlagzeile »Der schönste Mann der Welt«31. Der damals 23-​jährige Schauspieler wurde von Hollywood als Nachfolger des im August 1926 mit nur 31 Jahren verstorbenen Filmidols Rodolfo Valentino aufgebaut. Valentino verkörperte das Ideal, dem die Angestelltenschicht der 1920er Jahre im Erscheinungsbild nacheiferte. Die Filmproduzenten kalkulierten Valentinos optische Wirkung ein, etwa in exotistisch ausgestatteten Filmen wie The Sheik (1921) und The Son of the Sheik (1926)32. Im Zuge dieses neuen Männerbildes umwarb die Kosmetikindustrie die Männer, und selbst ein berühmter Vertreter des für Virilität stehenden damaligen Modesports Boxen (den

29 Stefan Zweig, Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt am Main (Fischer) 2006, p. 341sq. 30 Cf. Hans Richter, Filmgegner von heute  –​Filmfreunde von morgen, Berlin (Hermann Reckendorf) 1929, p. 105; Anton Kaes, Der Traum vom Kino. Zur Filmtheorie in der Weimarer Republik, in: Kunst-​und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland/​Deutsche Kinemathek (edd.), Kino der Moderne. Film in der Weimarer Republik, Katalogkonzept Kristina Jaspers/​Annika Schaefer, Dresden (Sandstein) 2019, p. 144. Bei Richter wird Novarro fälschlicherweise als »Navarro« bezeichnet. 31 Wiener Bilder. Illustriertes Familienblatt 31/​49 (5.12.1926), p. 1. 32 Cf. Renate Berger, Rodolfo Valentino. Biografie, Hamburg (Europäische Verlagsanstalt) 2003, p. 94; Miriam Hansen, Babel and Babylon. Spectatorship in American Silent Film, Cambridge (Harvard University Press) 1991, pp. 243–​268; Kenneth Anger, Sich an Valentino erinnern, heißt Valentino entdecken, in: id. (ed.), There is a New Star in Heaven. Valentino: Biographie, Filmographie, Essays, Berlin (Volker Spiess) 1979, pp. 7–​10.

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übrigens auch Hindemith betrieb) wie Max Schmeling posierte mit makellos glatter Haut, ohne Anzeichen von Körperhaar33. Seit dem bürgerlichen Zeitalter hatte die Kategorie des schönen Mannes, der sich für ein attraktives Äußeres pflegt, weitgehend als deviant, als anrüchig gegolten. Diese Kategorie war in diffamierender Absicht als ›unmännlich‹ markiert und mit Homosexualität in Verbindung gebracht worden. So lässt etwa Heinrich Heine in Die Bäder von Lucca (1830) die Figur des Hirsch/​Hyazinth vor dem Hintergrund der verbissen geführten literarischen Polemik mit dem homosexuellen Dichter August Graf von Platen sagen: »Ja, ich muß gestehen, ich sehe nicht so viel Schönes am männlichen Geschlecht, daß man sich darin verlieben sollte«34. Katharina Hottmann hat in ihrer gendertheoretischen Analyse einiger Aspekte in Neues vom Tage betont, dass das Herausstellen des schönen Mannes bei Herrn Hermann überraschte, weil »es der geläufigen Zuordnung von Frau/​Körper im Gegensatz zu Mann/​Geist« widersprach, tradierten Kategorien, »denen zufolge das bürgerliche Zeitalter die Schönheit dem weiblichen als dem eigentlich ›schönen‹ Geschlecht zuschrieb, dem männlichen hingegen eher die Attribute von Stärke, Durchsetzungskraft und Geist zuteilte«35. Nun ist in Neues vom Tage der schöne Herr Hermann als Leiter des fiktiven »Büros für Familienangelegenheiten G.m.b.H.« spezialisiert auf erotische Situationen, um einen Scheidungsgrund zu liefern, indem er mit der scheidungswilligen Ehefrau in flagranti angetroffen wird. Somit liefert er bezahlte Liebesdienste, wenn auch in der Regel vorgetäuschte. Damit drängt sich ein weiterer zeittypischer Topos der 1920er Jahre auf: der Gigolo. Gigolos oder »Eintänzer« wurden gegen Bezahlung bei Tanzveranstaltungen eingesetzt. Kriegsbedingt waren viele Männer im Feld geblieben oder versehrt, insofern fehlte es den Frauen an Tanzpartnern. Dass die Existenz als Gigolo durchaus eine Option für Männer war, um in prekären Zeiten Geld zu verdienen, hat auch Christopher Isherwood in seinem autobiografisch geprägten Roman Goodbye to Berlin geschildert:  So zieht Fritz Wendel,

33 Cf. Helen Barr, Cherchez l’homme! Männerbilder in illustrierten Zeitschriften der 1920er-​Jahre, in: Änne Söll/​Gerald Schröder (edd.), Der Mann in der Krise? Visualisierungen von Männlichkeit im 20. und 21. Jahrhundert, Köln/​Weimar/​ Wien (Böhlau) 2015 (Literatur –​Kultur –​Geschlecht. Studien zur Literatur-​und Kulturgeschichte 68), pp. 37–​51; Paul Hindemith, »Das private Logbuch«. Briefe an seine Frau Gertrud, edd. Friederike Becker/Giselher Schubert, Mainz/​München (Schott/​Piper) 1995, p. 44. 34 Heinrich Heine, Die Bäder von Lucca. Die Stadt Lucca, Stuttgart (Reclam) 2007, p. 67. 35 Hottmann, »Wie schön …«, pp. 149 und 151; cf. Vivian Liska, Schönheit, weibliche, in: Kroll, Metzlers Lexikon Gender Studies, p. 350.

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ein Bekannter des Ich-​Erzählers, angesichts schlecht gehender Geschäfte in Betracht, womöglich als Gigolo Geld zu verdienen: »Or I pull off a new deal in the next month or I go as a gigolo«36. Gemeint ist dies nicht als zynische Koketterie, sondern durchaus als realistische Option. Nicht selten bot der Gigolo seinen Körper nicht nur für Tanzvergnügen feil, sondern auch als Sexualobjekt. In einer Zeit, in der gerade zu Beginn der Weimarer Republik eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte, war diese Form heterosexueller männlicher Prostitution verbreitet, auch unter ehemaligen Offizieren ohne Anstellung, die geübt in den Manieren des Ballsaals waren37. Im Jahr der Uraufführung von Neues vom Tage, 1929, entstand der berühmte Schlager »Schöner Gigolo, armer Gigolo«38. Darin wird von einem Kriegsveteranen gesungen, der sich als Gigolo verdingt. Die Verkörperung dieses Männertyps in enganliegender Uniform, der Erfolg bei fremden Frauen verbuchen kann, hatte Jahre zuvor schon der aus Österreich stammende Schauspieler und Regisseur Erich von Strohheim in Hollywood mit Blind Husbands (1919) und Foolish Wives (1920/​21) auf die Kinoleinwand gebracht  –​Auftritte, die kontrovers diskutiert wurden39. Rodolfo Valentino wurde sogar nachgesagt, er habe vor seiner Filmkarriere tatsächlich als Gigolo gearbeitet40. Das Ehepaar Laura und Eduard sowie der schöne Herr Hermann scheinen als Opernpersonal in Neues vom Tage somit exemplarisch für bestimmte Zeitphänomene der Weimarer Republik zu stehen. Sind sie aber tatsächlich überzeugende Personifizierungen der »neuen Frau« und des »neuen Mannes«? Die erwähnten Gesichtspunkte deuten darauf hin. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch Risse im Bild. Neues vom Tage erzählt vor allem von der Überforderung bei der Performanz der neuen Geschlechterrollen, was in der Oper einen Großteil der Komik ausmacht. 36 Christopher Isherwood, Goodbye to Berlin, Stuttgart (Reclam) 1994, p. 40. 37 Cf. Bruno Vogel, Geschichte der Prostitution nach 1919, in: Hirschfeld, Zwischen zwei Katastrophen, p. 427; Eichstedt, Irgendeinen trifft die Wahl, p. 13; Mel Gordon, Sündiges Berlin, p. 33. 38 Cf. François Genton: Lieder, die um die Welt gingen: deutsche Schlager und Kulturtransfer im 20. Jahrhundert, in: Olivier Agard/​Christian Helmreich/​Hélène Vinckel-​Roisin (edd.), Das Populäre. Untersuchungen zu Interaktionen und Differenzierungsstrategien in Literatur, Kultur und Sprache, Göttingen (V&R unipress) 2011, p. 198sq.; Jürgen Arndt, Unter Kitschverdacht: »Just a Gigolo«. Ein europäischer Schlager im Herzen des Jazz, in: Jazzforschung /​Jazz Research 36 (2004), pp. 133–​142; Hans-​Jürgen Schaal (ed.), Jazz-​Standards. Das Lexikon, Kassel (Bärenreiter) 32004, p. 269sq. 39 Cf. Norbert Grob, Schwarze Flecken, flirrendes Weiß, in: id./​Wolfgang Jacobsen/​ Helga Belach (edd.), Erich von Strohheim, Berlin (Argon) 1994, pp. 9–​165. 40 Cf. Berger, Rodolfo Valentino, p. 12sq. sowie pp. 25 und 96.

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Die Überforderung der scheidungswilligen Laura wird in der ironisch-​ distanziert betitelten Nummer Duett Kitsch deutlich herausgestellt: In einem Museum soll ein erstes Treffen mit Herrn Hermann stattfinden, um einen Scheidungsgrund zu liefern, eine gestellte amouröse Szene zwischen dem bezahlten Liebhaberdarsteller und der Kundin41. Laura gelingt es jedoch nicht, zwischen der bloßen Geschäftsabwicklung und einer Liebesaffäre zu trennen. Entlarvend ist bereits ihre erste Reaktion: Der bestellte Herr Hermann gefällt ihr optisch nicht42. Aus dieser Enttäuschung und dem Unwillen, sich auf die Situation einzulassen, ergibt sich die Komik dieser Szene. Musikalisch wird mit Stilzitaten eine Parodie auf die emotionalen Überwältigungsstrategien in Liebesduetten aus dem romantischen und spätromantischen Opernrepertoire geboten43. Dieser musikalische Satz wird mittels Montagetechnik mehrfach durch kurze Rezitative zertrennt, motiviert durch das fehlende Einlassen Lauras in die fingierte Liebesszene. Sie unterbricht mehrfach die Aktion, weil sie Zweifel anmeldet: Wenn Herr Hermann »Ewig Geliebte!« ausstößt, wirft sie ein: »Nein, nicht so lange!«44 Wenn er leidenschaftlich hervorbringt: »Kaum kann ich widerstehen«, reagiert sie mit der Frage: »Gehört das auch dazu?«45 Kurz vor der Klimax innerhalb der musikalischen Steigerung bemerkt sie: »Gehört auch dieses Geschwätz dazu?«46 Lauras Gatte Eduard hat bei dieser Geschäftsabwicklung, so die Verabredung, lediglich die Aufgabe, das vermeintliche Liebespaar im Museum anzutreffen und den Scheidungsgrund festzustellen. Dies könnte einvernehmlich und sachlich geschehen. Doch Eduard ist ebenfalls mit der Situation überfordert und kann nicht zwischen der Dienstleistung und einem tatsächlichen Seitensprung seiner Frau unterscheiden. Auch ihm gefällt Herr Hermann nicht, er ist ihm zu attraktiv:  »Den Scheidungsgrund hab ich mir anders vorgestellt […] mit keinerlei Veranlassung zur Eifersucht«47. Eduards Irritation und Verunsicherung schlägt bald um in rasende Wut. Der Fluss seiner

41 Cf. Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, pp. 150–​170. 42 Cf. ibid., p. 148sq. 43 Cf. Alfred Einstein, Neues vom Tage [Uraufführungskritik], in: Berliner Tageblatt (10. Juni 1929), cit. in: Hans Curjel, Experiment Krolloper 1927–​1931, ed. Eigel Kruttge, München (Prestel) 1975, p. 268; Cook, Opera, p. 163; Hansen, »Neues von heute und morgen«, p. 153sq.; Wolfgang Rathert, Hindemiths Bühnenwerke der zwanziger Jahre und die »Verhaltenslehren der Kälte«, in: Dominik Sackmann (ed.), Hindemith-​Interpretationen. Hindemith und die zwanziger Jahre, Frankfurt am Main et al. (Peter Lang) 2007, p. 77. 44 Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. 152sq. 45 Ibid., p. 162sq. 46 Ibid., p. 168sq. 47 Ibid., p. 171sq.

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Gesangspartie wird mehrfach von Pausen unterbrochen als Ausdruck dafür, wie ihn der Zorn überwältigt. Dreimal heißt es als Regieanweisung:  »Die Sprache versagt ihm«48. Schließlich wird er handgreiflich: Er versucht, seinen vermeintlichen Widersacher zu ergreifen, schleudert einen Sessel nach ihm und packt schließlich eine Venus-​Statue, mit der er auf Herrn Hermann zielt, ohne ihn jedoch zu treffen49. Eduard versagt offenbar auf ganzer Linie als Kandidat für einen »neuen Mann«. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Stimmfächer im Personenverzeichnis von Neues vom Tage50. Demnach ist die Partie des Eduard für Bariton geschrieben. Oft wird in Opern die ältere oder zumindest reifere männliche Figur mit einem Bariton besetzt. Beispiele dafür wären die Titelpartien in Giuseppe Verdis Rigoletto, Simon Boccanegra und Falstaff, zudem Giorgio Germont in Verdis La traviata, Sharpless in Madama Butterfly sowie Jack Rance in La fanciulla del West von Giacomo Puccini oder Simone in Alexander Zemlinskys Eine florentinische Tragödie. Auch Paul Hindemith hat die Titelpartien seiner Opern Cardillac (Dresden 1926) und Mathis der Maler (Zürich 1938) für einen solchen »Kavalierbariton« komponiert51. Ein Librettodetail bestätigt, dass in Neues vom Tage Eduard als relativ reifer Mann angelegt ist. Im Terzett auf dem Standesamt (I/​2), einer zugespitzten Verballhornung moderner Bürokratie, wird für das Scheidungsverfahren nach Dokumenten gefragt. Dabei ist auch die Rede von einem »Militärpaß«52. Dieser Terminus wurde vor 1919 gebraucht. Danach hieß dieses Dokument Wehrpass. Nach der Pariser Friedenskonferenz 1919 mit dem Friedensvertrag von Versailles durfte das Deutsche Reich nur noch maximal 100.000 Soldaten in der Reichswehr aufstellen, deren Mitglieder sich für mehrere Jahre verpflichteten53. Eduard ist zum Zeitpunkt der Handlung von Neues vom Tage offenbar Zivilist, ansonsten wäre er nach

8 Ibid., pp. 173sq. und 176. 4 49 Cf. ibid., p. 178sqq. 50 Cf. ibid., p. 2. 51 Cf. Elisabeth Schmierer, Bariton, in: ead. (ed.), Lexikon der Oper. Komponisten –​ Werke –​ Interpreten –​ Sachbegriffe, Laaber (Laaber) 2002, p. 171; Rudolf Kloiber et al. (edd.), Handbuch der Oper, München/​Kassel et al. (DTV/​Bärenreiter) 112006, p. 909sq. 52 Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, Terzett, T. 157sq., p. 95. 53 Cf. Hans Mommsen, Militär und zivile Militarisierung in Deutschland 1914–​ 1938, in: Ute Frevert (ed.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart (Klett-​Cotta) 1997, pp. 265–​276; Matthias Rogg, Der Soldatenberuf in historischer Perspektive, in: Sven Bernhard Gareis/​Paul Klein (edd.), Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, Wiesbaden (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2 2006, p. 446.

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seinem Wüten im Museum nicht in einem zivilrechtlichen Verfahren verurteilt worden. Seine Militärzeit muss somit vor 1919 liegen. Ein weiteres Indiz untermauert diese Annahme: Eduard macht auf dem Standesamt die Angabe »Johannes, Hieronymus, aus Mÿslowitz, fünften Juli achtzehnhunderfünfundneunzig«54. Dies ist offenbar sein Geburtsdatum, Myslowitz, polnisch Mysłowice, sein Geburtsort in Schlesien, und die beiden Namen sind möglicherweise seine weiteren Vornamen. Somit wäre Eduard während des Ersten Weltkriegs zweifelsfrei wehrpflichtig gewesen und zum Zeitpunkt der Opernhandlung 34 Jahre alt, schließlich spielt bei einer »Zeitoper« die Handlung in der Gegenwart, somit im Uraufführungsjahr 1929. Die Partie des laut Libretto »rosigen«, schönen Herrn Hermann ist dagegen für Tenor geschrieben, somit für die Figur des jüngeren Mannes. Aber verkörpert er konsequent den Typus des »neuen Mannes«? Katharina Hottmann kommt in ihrer Untersuchung zu diesem Schluss:  »Der vermarktete Körper des schönen Herrn Hermann gehört wohl einem ›neuen Mann‹, macht diesen jedoch ebensowenig zu einer Identifikationsfigur […]«55. Detailbefunde im Libretto und in der Musik lassen allerdings eine andere, differenziertere Lesart zu: Die Auftrittsarie des Herrn Hermann im dritten Bild des ersten Teils, eingeleitet von einem expressiven Cellosolo, zielt auf spätromantisches, expressives Opernpathos. Dies ist  –​im Gegensatz zum Duett Kitsch  –​keine professionell fingierte Ausstellung, sondern eine ehrliche Selbstäußerung von Emotionen. Denn er bekennt: »Mein Herz nimmt zuviel Teil am Schicksal der Klienten«56. Damit ist speziell die weibliche Kundschaft gemeint. Schließlich verliebt sich Herr Hermann regelmäßig in die Damen, für die er den Scheidungsgrund liefern soll:  zunächst in Frau M. und bald darauf in Laura. Gegen Ende von Neues vom Tage, nach dem Skandal im Hotelbadezimmer aus dem zweiten Teil, nimmt er sich im dritten Teil der Oper für seine zukünftigen Geschäfte vor: »Mein Herz, mein Herz bleibt nun gänzlich aus dem Spiel«57. Der schöne Herr Hermann scheint also zwar äußerlich der Mode eines »neuen Mannes« zu folgen, innerlich ist er jedoch ein Romantiker und scheitert letztlich an den »Verhaltenslehren der Kälte«58, an der sachlich-​pragmatischen Haltung der Neuen Sachlichkeit,

Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. 91. Hottmann, »Wie schön …«, p. 170sq. Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, p. 124sq. Paul Hindemith, Neues vom Tage. Lustige Oper in drei Teilen. Text von Marcellus Schiffer, Zweiter und Dritter Teil (Paul Hindemith Sämtliche Werke I,7-​2), Mainz (Schott) 2003, p. 165sqq. 58 Cf. Helmut Lethen, Verhaltenslehren der Kälte, Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1994; Rathert, Hindemiths Bühnenwerke, pp. 56–​61 sowie pp. 71–​82. 54 55 56 57

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auch in Liebesdingen, die seine Epoche von ihm als erfolgsorientiertem Dienstleister in »Familienangelegenheiten« fordert. Bleiben als weitere Hauptfiguren der Oper noch das Paar Herr und Frau M., die zu betrachten wären. Sie gehen im Gegensatz zu Laura und Eduard unbeschadet aus den Verwicklungen der Handlung von Neues vom Tage hervor. Offenbar sind sie jünger als Laura und Eduard:  Sie haben erst kürzlich geheiratet, kommen gerade aus den Flitterwochen. Dies hindert sie jedoch nicht daran, nach dem Vorbild von Laura und Eduard kurzer Hand die Scheidung einzureichen59  –​das neue Tempo der Epoche wird in diesem hanebüchenen Handlungsstrang bewusst auf die Spitze getrieben. Tatsächlich gelingt es dem Ehepaar M.  auch, sich ohne Komplikationen sogleich scheiden zu lassen. Beide sind es zudem, die Laura und Eduard den entscheidenden Ratschlag geben, sich an das »Büro für Familienangelegenheiten G.m.b.H« und damit an den schönen Herrn Herman zu wenden60. Nach der Scheidung bestimmt weiterhin ein schnelles Tempo die Beziehungsdynamik: Frau M. geht bald eine Affäre mit dem schönen Herrn Hermann ein. Als diese Liaison schließlich wegen dessen Zuneigung zu Laura zerbricht, verheiraten sich Frau und Herr M. erneut. Diese beiden verfügen offenbar über die finanziellen Mittel, sich die Kosten für eine Scheidung und Wiederverheiratung inklusive zweiter Hochzeitsreise leisten zu können, während Laura und Eduard am Ende auf einer Revuebühne Geld verdienen müssen, um sich überhaupt die Trennung erlauben zu können. Das Ehepaar M. gehört dagegen zum Publikum, das sich dieses urbane Freizeitvergnügen finanziell gönnen kann. Die Charakterisierung des Ehepaars M. in Neues vom Tage zeigt: Beide sind in ihrem Handeln viel wendiger und flexibler als Laura, Eduard und der schöne Herr Hermann. Herr M. und Frau M. haben weniger Schwierigkeiten, mit dem neuen Tempo der Epoche mitzuhalten. Tatsächlich war diese gesteigerte Geschwindigkeit auch in privaten Beziehungen ein wesentlicher Aspekt der gesellschaftlichen Umbrüche in der Zeit der Weimarer Republik. Wie sich das Tempo des Alltags mit der Hyperinflation 1923 veränderte, schildert der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig. Er hielt sich zu dieser Zeit in Deutschland auf. In seinen Memoiren Die Welt von Gestern berichtet er über das rasante Tempo der Geldentwertung61. Zweig hebt hervor, dass es vor allem die Jugend war, der es gelang, Vorteile aus der Situation zu schlagen: »Halbwüchsige

59 Cf. Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, pp. 51–​60. 60 Ibid., p. 86sq. 61 Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, p. 356.

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Jungen, die eine Kiste Seifen im Hafen vergessen gefunden, sausten monatelang in Autos herum und lebten wie Fürsten, indem sie jeden Tag ein Stück verkauften, während ihre Eltern, einstmals reiche Leute, als Bettler herumschlichen«62. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Erinnerungen des deutschen Publizisten Sebastian Haffner, der die Phase der Hyperinflation als Jugendlicher wachen Auges miterlebte. Er beschreibt diese Jahre als eine beispiellose Verschiebung sozialer Koordinaten, bei denen sich die bisherigen materiellen Verhältnisse zwischen den Generationen oft umkehrten: Den Alten und Weltfremden ging es am schlechtesten. Viele wurden zum Betteln getrieben, viele zum Selbstmord. Den Jungen, Flinken ging es gut. Über Nacht wurden sie frei, reich, unabhängig. Es war eine Lage, in der Geistesträgheit und Verlaß auf frühere Erfahrung mit Hunger und Tod bestraft, aber Impulshandeln und schnelles Erfassen einer neuen Lage mit plötzlichem ungeheurem Reichtum belohnt wurde.63

Haffner erkennt in den neuen Verhältnissen deutlich einen Einfluss auf die Paarbeziehungen, eine Einschätzung, die wie zugeschnitten auf das Ehepaar M. in Neues vom Tage ist: Ja, die Liebe selbst hatte einen inflationären Charakter angenommen. Die Gelegenheit mußte ergriffen werden; die Masse mußte sie bieten. Der ›neue Realismus‹ der Liebe wurde entdeckt. Es gab einen Ausbruch sorgloser, hektischer, fröhlicher Leichtlebigkeit. Typisch folgten Liebesaffären einem extrem schnellen Lauf ohne Umwege. Die Jungen, die in jenen Tagen lieben lernten, übersprangen die Romantik und umarmten den Zynismus.64

Dieser ökonomische Triumphzug der Jugend setzte sich nach dem Wirtschaftsaufschwung Mitte der 1920er Jahre fort. Siegfried Kracauer stellt in seiner Abhandlung Die Angestellten sarkastisch fest: »[…] so ist doch heute tatsächlich die Altersgrenze im Geschäftsleben stark nach unten gerückt, und mit vierzig Jahren sind viele, die noch munter zu leben glauben, wirtschaftlich leider schon tot«65. Um die Typologisierung des Ehepaars M. in Neues vom Tage noch konturierter zu fassen, sind weitere Details im Libretto und in der Partitur von Interesse. Bezeichnend ist etwa ein Vergleich der Reaktionen Lauras, des schönen Herrn Hermanns und von Frau M. auf die Vorgänge im

62 Ibid., p. 356. 63 Sebastian Haffner, Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–​1933, Stuttgart/​München (DVA) 2001, p. 57. 64 Ibid., p. 57sq. 65 Kracauer, Die Angestellten, p. 44; cf. auch p. 51sq.

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Hotelbadezimmer zu Beginn des zweiten Teils von Neues vom Tage: Wenn Frau M.  ihre Affäre, den schönen Herrn Hermann, mit ihrer Freundin, Laura, dort antrifft (Szene 5, Rundgesang. Terzett), kommt sie nach anfäng­ licher Empörung rasch darüber hinweg. Sie ist es, die in dieser Szene den Refrain anstimmt, der als Motto für die neuartige unbekümmerte Einstellung zur Liebe dienen könnte:  »Es ist zu ertragen, man kann’s überwinden, zweifellos läßt sich Angenehmeres denken«66. Herr Hermann und Laura übernehmen diesen Re­frain67, den Frau M.  zuerst als Parole ausgegeben hat. In der musikalischen Gestaltung ergibt sich ein ähnlicher Befund:  Frau M.  nimmt zu Beginn dieser Szene zwar teil am dramatischen Arioso-​Tonfall von Laura und Herrn Hermann, hat sogar eine kurze Koloratur auf dem Schlüsselwort »Scheidungsgrund«68, etabliert jedoch für den Rest der Passage mit dem erwähnten Refrain des Rundgesangs einen schwungvollen, liedhaften Gesangsstil ohne dramatische Arienelemente. Sobald die Hotelangestellten ins Badezimmer treten, wo sich Laura und Herr Hermann mehr oder weniger unbekleidet befinden, macht sich bei diesen beiden das Gefühl der Scham breit, musikalisch in einem ausgedehnten Ensemble um den Signalbegriff »peinlich« überspitzt ausgestellt, so dass die Ironie bei dieser Darstellung unverkennbar ist69. Laura schämt sich angesichts ihrer Nacktheit in der Badewanne (»Wie peinlich für mich, vor so viel Leuten nackt im Bad.«), melodisch gefasst in eine stilisierte Exklamation mit kleiner Sext aufwärts (cis–​a) und absteigendem

66 Hindemith, Neues vom Tage, Zweiter und Dritter Teil, p. 23sqq. 67 Ibid., pp. 25–​33. 68 Cf. ibid., p. 36. 69 Das Skandalpotenzial dieser Szene –​eine Frau nackt in der Badewanne auf der Opernbühne, die eine Arie singt –​wurde durch dieses ausgiebige Herausstellen des »Peinlichen« bereits satirisch zugespitzt, ungeachtet der Tatsache, dass Grete Stückgold, die Sängerin der Laura in der Uraufführungsproduktion an der Berliner Kroll-​Oper, ein hautfarbenes Trikot trug. Einige Jahre später ging die NS-​ Propaganda dieser Szene in ihrem anti-​modernen Fanatismus geradezu reflexhaft auf dem Leim und erklärte die behauptete Nacktheit im Nachhinein tatsächlich zum Skandal. Joseph Goebbels echauffierte sich bei einer Hetzrede im Berliner Sportpalast am 6. Dezember 1934 über Neues vom Tage und speziell über »nackte Frauen auf der Bühne in obszönsten und kitschig-​gemeinsten Szenen im Bade […]«. Cf. Curjel, Experiment Krolloper, p. 267; Cook, Opera, p. 163sqq.; Eckhard John, Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918–​1938, Stuttgart/​Weimar (Metzler) 1994, p. 352; Laubenthal, »Neues vom Tage«, p. 72; Rotthaler, Marcellus Schiffer, p. 39; Hottmann, »Wie schön …«, p. 172sq.; Fischer, Recht und Geschäft, p. 71sq.; Günther Metz, Der Fall Hindemith. Versuch einer Neubewertung, Hofheim (Wolke) 2016, p. 21sqq. und p. 59sq.

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Terz-​und Sekundgang. Der schöne Herr Hermann schämt sich aufgrund des Umstands, dass er als Eindringling im Badezimmer ertappt wurde (»Wie peinlich für mich, man überrascht mich anders, als ich es erwartete«)70. Frau M. ist es dagegen offenbar gleichgültig, dass fremde Menschen Zeugen ihres privaten Zwists werden, sie äußert lediglich ›neusachlich‹ allgemeine Bedenken (»Wie peinlich für das Personal, hier Zeuge zu sein«)71, was antizipierend die folgenden Äußerungen der Hotelangestellten zusammenfasst. Für die Charakterisierung des Ehepaars M. sind auch die Stimmlagen der beiden Partien relevant:  Die Partie des Herrn M.  ist, wie die des schönen Herrn Hermann, für Tenor gesetzt. Er dürfte wie jener ebenfalls ein jüngerer Mann sein, was mit den Befunden aus der Handlung übereinstimmt. Frau M.  ist für Mezzosopran geschrieben, was überrascht, denkbar wäre etwa auch ein leichter Sopran oder eine Soubrette, passend für das Ehepaar M. als das ›leichte Paar‹ gegenüber dem ›hohen Paar‹ Laura und Eduard. Mit Mezzosopranen sind beispielsweise berühmte »Hosenrollen« besetzt: Cherubino aus Wolfgang Amadé Mozarts Le nozze di Figaro, Hänsel aus Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel, als Dramatischer Mezzosopran Octavian in Richard Strauss’ Der Rosenkavalier und die Partie des Komponisten in Ariadne auf Naxos, ebenfalls von Strauss. Zudem ist die Titelpartie in Georges Bizets Carmen ein Mezzosopran, ebenfalls die Partie der Dalilah in Samson et Dalilah von Camille Saint-​Saëns. Hier verbinden sich Stereotype des Exotismus und der Femme fatale72 –​beide gleichermaßen als bedrohlich für traditionelle Männlichkeit empfunden. Nicht verschwiegen werden sollten zudem als Gegenbeispiele die Sopranfächer, die Titelpartien aus Giuseppe

70 Hindemith, Neues vom Tage, Zweiter und Dritter Teil, p. 50sq. 71 Ibid., p. 52sq. 72 Zu Femme fatale cf. Sigrid Nieberle, Weiblichkeitsbilder, in: Annette Kreutziger-​ Herr/​ Melanie Unseld (edd.), Lexikon Musik und Gender, Kassel/​Stuttgart (Bärenreiter/​Metzler) 2010, pp.  515–​517; Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1979, pp. 43–​159; Gail Finney, Women in Modern Drama. Freud, Feminism, and European Theater at the Turn of the Century, Ithaca/​London (Cornell University Press) 1989, pp. 55–​102; Elisabeth Bronfen, Liebestod und Femme fatale. Der Austausch sozialer Energien zwischen Oper, Literatur und Film, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2004; Melanie Unseld, »Man töte dieses Weib!« Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende, Stuttgart (Metzler) 2001, pp. 70–​72 und pp. 161–​298; ead., Schwestern im Geiste? Zur musikalischen und ideengeschichtlichen Konzeption von Leoš Janačeks »Emilia Marty« und Alban Bergs »Lulu«, in: Kathrin Beyer/​Annette Kreutziger-​Herr (edd.), Musik. Frau. Sprache. Interdisziplinäre Frauen-​und Genderforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover, Herbolzheim (Centaurus) 2003, pp. 189–​202.

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Verdis La traviata, Giacomo Puccinis Manon Lescaut und Richard Strauss’ Salome sowie Emilia Marti in Věc Makropulos von Leoš Janáček, die alle Aspekte einer Femme fatale in sich vereinen73. Nichtsdestoweniger hat die Besetzung mit Mezzosopran eine gewisse Tradition in der Oper, sowohl der Femme fatale als auch für Gender-​Bending, somit für das Androgyne, alles wesentliche Momente der »neuen Frau« der 1920er Jahre. Bliebe noch die Frage zu klären, ob sich die aus dem Libretto abgeleitete Charakterisierung des Ehepaars M.  auch in der musikalischen Gestaltung ihrer Partien niederschlägt. Der erste Auftritt des Ehepaars M. im ersten Bild des Ersten Teils (Quartett) geht in ihren Partien über den Konversationsstil eines modernen Arioso mit Tonrepetitionen und Fortschreitungen weitgehend in Sekund-​und Terzintervallen innerhalb eines relativ kleinen Ambitus nicht hinaus74. Wenn beide ihren Streit beginnen, übernehmen sie bald den Tonfall von Laura und Eduard, deren Duett vom Anfang sie in gekürzter Form wiederholen75. Ein eigenständiges Duett hat das Ehepaar M.  im zweiten Bild des ersten Teils mit »Wir sind geschieden, glücklich geschieden«76. Das bewegte Duett verläuft in den Gesangspartien weitgehend in regelmäßigen Achteln, im Unisono gesungen, »wie siamesische Zwillinge«77, mit vielen Tonrepetitionen oder kleinen Intervallen, geradezu schlicht liedhaft, mit sporadisch auftretenden kurzen Koloraturen auf den zentralen Begriffen »geschieden« und »Scheidung« sowie mit größeren Tonsprüngen auf dem Attribut »glücklich«. Dieses Duett könnte in seinem Gepräge auch aus einem Kabarett oder einer Revue stammen. Ähnliches lässt sich auch im Duett »Glücklich verheiratet« des Ehepaars M. im neunten Bild des dritten Teils der Oper beobachten, erneut unisono gesetzt, etwas langsamer, vorwiegend durchgehend in Viertelnoten verlaufend78. Allerdings ist hier eine Transformation in der musikalischen Gestaltung zu beobachten:  Nach kurzen ariosen Soloeinlagen im Mittelteil verbreitern sich die Notenwerte der Gesangspartien auf Halbe, bis die Bewegung auf Orgelpunkten endet. Tatsächlich kündet hier der gesungene Text von einem Gesinnungswandel des Ehepaars M., wenn es nunmehr heißt: »Warum sich noch einmal in Neues stürzen? Wir lieben uns, wir kennen uns von früher. Dein, dein, diesmal für ewig«79. Also selbst das so moderne Paar M.  hat demnach offenkundig eine Sehnsucht nach 3 Cf. Kloiber et al., Handbuch der Oper, pp. 59–​63, p. 653sqq. sowie p. 902sqq. 7 74 Cf. Hindemith, Neues vom Tage, Erster Teil, pp. 39–​42. 75 Cf. ibid., pp. 43–​46 sowie pp. 48–​60. 76 Cf. ibid., pp. 79–​83. 77 Rathert, Hindemiths Bühnenwerke, p. 78. 78 Hindemith, Neues vom Tage, Zweiter und Dritter Teil, p. 177sqq. 79 Ibid., pp. 180–​183.

Rodolfo Valentino und die Tiller Girls gehen in die Oper

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Beständigkeit und Entschleunigung, hier sinnfällig im allmählich gedrosselten Tempo des Duetts umgesetzt. Sind die »neue Frau« und der »neue Mann« laut Neues vom Tage somit modische Chimären, Ideale, die sich in der Lebensrealität nicht einlösen? Bezeichnenderweise werden Herr M.  und Frau M.  in Neues vom Tage nicht mit vollen Namen bezeichnet, sondern nur mit der Abkürzung ihres Nachnamens. Damit wird bereits die Entindividualisierung und Selbstentfremdung dieser Figuren angedeutet. Herr M. und Frau M. können als typologisierte Repräsentanten jener uniformen Masse, jener »industrialisierten Reservearmee der Angestellten« gelesen werden, wie sie Siegfried Kracauer in Die Angestellten als neues gesellschaftliches Phänomen der »Proletarisierung der Angestellten« im Wirtschaftsleben der Weimarer Republik beschrieben hat80. In Neues vom Tage erhält die Uniformität, die Konturlosigkeit dieser neuen Gesellschaftsschicht im Chor der anonym bleibenden »Tippfräulein« im dritten Bild des ersten Teils eindrucksvoll eine musikalische Entsprechung mit stilisierter Maschinenmusik, die eine synchron verlaufende Geräuschkulisse aus Schreibmaschinen evoziert81. Solch eine maschinenhafte Uniformität hat Siegfried Kracauer bereits 1927, zwei Jahre vor der Uraufführung von Neues vom Tage, in seinem Essay Das Ornament der Masse am Beispiel der Chorus Line zeitgenössischer Tanzrevuen untersucht, exemplifiziert in der damals berühmten, auch in Berlin gastierenden Revuetanzgruppe Tiller Girls, und diese als Sinnbild der Rationalisierung durch das »Taylor-​System« in der modernen Arbeitswelt gedeutet82. Es sollte sich bestätigen, dass solch ein »Ornament der Masse« keineswegs ein Ausdruck der Befreiung war. Später bemerkte Wolfgang Jansen: Wie die kapitalistische Gesellschaft sich also nur auf der Erscheinungsebene demokratisierte, emanzipierte sich auch die Frau nur oberflächlich, da sie günstigenfalls die Abhängigkeit vom Ehemann vertauschte mit der vom Unternehmer. Die Tillergirls [sic] veranschaulichten das vorläufige Scheitern der Emanzipation.83

Eine treffende Beobachtung, die sich im Fall von Neues vom Tage nicht nur auf die von ihrem Chef, dem schönen Herrn Hermann, hingerissenen »Tipp­

80 Kracauer, Die Angestellten, p. 13. Cf. Stefan Bodo Würfel, Vom ›Kunstbolschewismus‹ zur ›konservativen Revolution‹. Das kulturpolitische Panorama der Weimarer Republik, in: Csobádi et al., Alban Bergs »Wozzeck« und die Zwanziger Jahre, p. 423. 81 Cf. Cook, Oper, p. 161sq.; Hottmann, »Wie schön …«, p. 171. 82 Cf. Kracauer, Das Ornament der Masse, in: id., Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 122014, pp. 54 und 338. 83 Wolfgang Jansen, Glanzrevuen der zwanziger Jahre, Berlin (Edition Hentrich) 1987, p. 125sq.

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fräulein« anwenden lässt, sondern auch auf die lediglich vordergründig so modern anmutenden Exemplare der »neuen Frau« und des »neuen Mannes« in den Hauptpartien. Bezüglich des Aspekts Gender haben Schiffer und Hindemith somit bei ihrer Zeitkritik in ihrer Oper eine scharfsinnige und sehr differenzierte Bestandsaufnahme der Gesellschaft der Weimarer Republik vorgelegt. Inwiefern diese Analyse ihrer Epoche bereits auf die unheilvolle Uniformität der Massen während der bald anbrechenden NS-​Zeit hindeuten könnte, wäre Gegenstand einer weiteren Studie.

Michael Wittmann

Das goldene Kalb (1934/​35), Ballett in drei Bildern und einem Nachspiel. Musik: Emil Nikolaus von Reznicek; Szenario: Viggo Cavling Emil Nikolaus von Reznicek (1860–​1945) ist vor allem als Komponist von Opern und Orchesterwerken in Erinnerung geblieben. Weniger bekannt ist, dass er sein umfangreiches Schaffen (soweit heute bekannt) 1934/​35 mit einem abendfüllenden Ballett Das goldene Kalb abgeschlossen hat, das bis heute auf seine Uraufführung wartet1. Freilich ist dies so überraschend nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass Reznicek dem Ballett in vielen seiner Opern eine prominente Rolle eingeräumt hat. Reznicek erhielt mit etwa zehn Jahren den ersten Klavierunterricht, der sich ganz am Beispiel der Wiener Klassik orientierte2. Bald meldete sich bei ihm auch die musikalische Inspiration, und er begann zu fantasieren und zu improvisieren. Eine neue musikalische Welt eröffnete sich ihm, als ein Onkel ihm am Klavier das Lohengrin-​Vorspiel Richard Wagners zu Gehör brachte. In seinen Memoiren3 von 1940 erklärt er, dass dieses Erlebnis in ihm erstmals den Wunsch geweckt habe, selbst Komponist zu werden. Gegen alle Widerstände des Elternhauses hat er sich dann auch durchgesetzt und nach

1 Es gibt briefliche Indizien, dass Reznicek nach 1940 daran dachte, noch einmal ein größeres Werk zu schreiben. Bis zu seinem Schlaganfall an Weihnachten 1943 wäre er dazu wohl auch in der Lage gewesen. Da seine Manuskripte aber im Herbst 1943 requiriert wurden und nach dem Krieg nur teilweise wieder aufgetaucht sind, muss diese Frage derzeit unbeantwortet bleiben. 2 Zu biographischen Details cf. Michael Wittmann, Emil Nikolaus von Reznicek –​ Bausteine zu seiner Biographie, Wedemark (H. M. Fehrmann) 2018 (Reznicek-​ Studien 3). 3 Nach seinem achtzigsten Geburtstag 1940 hatte er ein Verlagsangebot angenommen und im Sommer diese Memoiren verfasst. Den Zeitumständen geschuldet, musste er dabei manche Einzelheit verschweigen. Dennoch wurde das Buch vom Propagandaministerium nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Es bildete dann aber die Grundlage für Felicitas von Rezniceks 1960 erschienener Biographie ihres Vaters Gegen den Strom, die bis heute wesentlich das Bild Rezniceks prägt. Problematisch daran ist, dass Felicitas v. R. ihre Vorlage ungeprüft übernommen hat, ohne die zeitbedingten Verkürzungen zu revidieren. Insofern bildet diese Biographie nicht den ganzen Reznicek ab, sondern nur die (um 1940 opportune) Selbststilisierung Rezniceks. (Eine kritische Edition ist in Vorbereitung.)

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Studien bei Wilhelm Mayer in Graz (1878–​1881) im Frühjahr 1882 in Leipzig einen akademischen Abschluss in Komposition gemacht. Er begann eine Kapellmeisterlaufbahn, neben der er seine erste Oper Die Jungfrau von Orleans (Prag 1887)  nach Schiller komponierte, die fest in der Tradition Wagners steht (aber nur bedingt als Musikdrama anzusprechen ist). Schon in diesem Opernerstling gibt es –​Meyerbeer lässt grüßen –​ein Ballett toter Nonnen. In seiner Bearbeitung von Albert Lortzings erster Oper Andreas Hofer (Mainz 1886) hatte er aus eigenem Antrieb ein kurzes Bauern-​Ballett eingefügt (mit einer Zither in prominenter Rolle). Auch die folgenden Opern Satanella (Prag 1888)  und Emerich Fortunat (Prag 1889)  verfügen über umfangreiche Ballettnummern. Die 1892/​93 komponierte Donna Diana hat zwar kein eigenes Ballett, ist aber über weite Strecken von Tanzmusik (Walzer) durchdrungen4. In den Opern Till Eulenspiegel (Mannheim 1902)  und Ritter Blaubart (Darmstadt 1920) verzichtete Reznicek auf eine Balletteinlage, dafür erhält eine solche sowohl in Holofernes (Berlin 1922) als auch in Satuala (Leipzig 1927) eine dramaturgisch bedeutsame Rolle, wobei im Holofernes ein altorientalisches Gelage und in Satuala ein hawaiianisches Fest auf die Bühne kommen. Bei dieser Gelegenheit konfrontiert Reznicek denn auch einen symphonischen Hula mit den Jazzklängen einer amerikanischen Marineband5. Benzin von 1928 bringt als Zeitoper kein Ballett, sondern eine Einlage rhythmischer Gymnastik (als Fox-​Trott)6; Der Gondoliere des Dogen (Stuttgart 1931) enthält als Intermezzo sinfonico einen venezianischen Karnevalsumzug und Das Opfer (1932, noch unaufgeführt) enthält in den Wirtshausszenen beständig zeitgenössische Tanzmusik. Zwischen diesen Balletteinlagen in Opern entstand 1924 die Tanz-​Sinfonie, die im Vorhinein sowohl für den Konzertsaal wie auch die Bühne gedacht war. Tatsächlich kam die Bühnenversion als Marionetten des Todes in der Choreographie von Ellen von Cleve-​ Petz und unter der Leitung von Adolf Busch am 7. Januar 1927 in Dresden

4 Die gedruckten Werke Rezniceks (einschließlich der zugehörigen Libretti) sind auf IMSLP im Netz bequem abrufbar. 5 Die Premiere der Satuala folgte unmittelbar derjenigen des Jonny spielt auf. Beide Opern wurden im Völkischen Beobachter wegen ihrer Jazzeinlage verrissen. Rezniceks Enkeltochter Leonore (*1924) war eine begeisterte Anhängerin des Jazz. In einem Interview für den NDR erklärte sie in den 1970er Jahren, dass sie dies von ihrem Großvater geerbt habe, der immer die neusten Jazznoten auf dem Flügel liegen hatte und ihr daraus vorspielte. 6 Emil Nikolaus von Reznicek, Benzin, Klavierauszug/​Partitur, erschienen in der Editio Reznicek, Wedemark (Editio Reznicek nn. 1044 und 1045) 2017.

Das goldene Kalb (1934/​35)

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zur Uraufführung (gekoppelt mit Strauss’ Josephslegende). Reznicek hatte dazu eigens den dritten Satz Walzer gegen einen Ländler ausgetauscht7. Reznicek hatte also durchaus schon Erfahrung mit Ballettmusiken, als ihm im Frühjahr 1934 überraschend das Szenario Das goldene Kalb von Viggo Cavling angeboten wurde. Dass er dieses dann auch zur Vertonung angenommen hat, dürfte indes noch einen weiteren Grund gehabt haben: 1912 hatte er die Sinfonische Dichtung Der Sieger  –​ein sinfonisch-​satyrisches Zeitbild geschrieben, die zu seinen Hauptwerken gezählt werden muss. Der Mittelteil dieser dreiteiligen Komposition, ein Scherzo, trägt die Überschrift Der Tanz um das goldene Kalb. Und da Reznicek die Tendenz hatte, Themen, die ihm am Herzen lagen, mehrfach aufzugreifen8, bot sich ihm mit diesem Ballett-​Szenario die Möglichkeit, neuerlich zum Zeitgeschehen Stellung zu beziehen. Reznicek schreibt dazu in seinen Erinnerungen: […] Längere Zeit vorher hatte mir die Reichsmusikkammer den Entwurf zu einem abendfüllenden Ballett »Das goldene Kalb« von Viggo Cavling, dem Chefredakteur der Zeitschrift »Politiken« in Kopenhagen zur Ansicht geschickt, mit dem Vorschlag, es zu vertonen. Das Stück gefiel mir sehr gut und nach meiner Rückkehr ging ich an die Arbeit. Das Ballett hat 3 Bilder und ein Nachspiel. 1. Bild Der alte reiche Scheik eines Beduinenstammes sitzt in der Wüste und wartet auf die Rückkehr seiner Krieger. Die kommen von einem Raubzug mit den geraubten Weibern, die jetzt an die Krieger verauktioniert werden sollen und an ihnen vorbei tanzen. Jeder bekommt eine. Nur die schöne Myra steht noch da und wartet auf ihren Gamaliel. Der tanzt mit ihr und will sie dann mitnehmen. Aber da tritt der alte Scheik dazwischen und gegen sein Gold kann Gamaliel nicht aufkommen. Selbst Myra ist davon geblendet. Da erscheint Zarathustra. Er hebt drohend seine Hand gegen den Scheik und hetzt die Krieger gegen ihn auf. Aber der Alte streut Goldströme aus und Zarathustra geht traurig ab. 2. Bild Florenz. Schatzkammersaal im Palast des Mediceers Lorenzo il Magnifico. Die morgenländische Prinzessin erscheint, mit ihr ein junger Ritter. Der Herzog stellt ihr seinen Sohn, den schwächlichen, degenerierten Lorenzo, als ihren Bräutigam vor. Sie liebt aber den jungen Ritter. Der Herzog merkt das und winkt den Hofdamen, die kostbare Kleider, Schals und Fächer der Prinzessin zu Füßen legen. Dann öffnen sie die Türen der Schatzkammern, die in Gold und Silber strahlen und aus denen die Juwelen, herrlich angezogene Jungfrauen, deren jede einen anderen

7 Cf. dazu das Vorwort zur Edition von Ernster Walzer in der Editio Reznicek, Wedemark (Editio Reznicek n. 1009) 2016. 8 So hat er das Thema des Friedens 1914 in seinem Werk Frieden –​Eine Vision Ende der 1920er Jahre mit den beiden komplementären Kantaten Vom ewigen Frieden und Der steinerne Psalm neuerlich behandelt. Und die Oper Benzin ist vom Plot her ein zeitgemäßes Remake von Donna Diana.

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Edelstein darstellt, herausgetanzt kommen. Die Prinzessin ist geblendet. Zarathustra erscheint, zieht den jungen Ritter in den Vordergrund und deutet auf ihn. Sie schüttelt leise den Kopf. Zarathustra betrachtet sie tief betrübt. Der Ritter ersticht sich. Da erwacht die Prinzessin aus der Verzauberung und sie stürzt sich über die Leiche. Alle andern außer Zarathustra ergreifen die Flucht. Der schaut mit verschränkten Armen zu. Draußen dreht sich eine gespenstische Menge im fahlen Schein um das goldene Kalb. 3. Bild Unsere Zeit. Karneval in Monte Carlo. Platz vor dem Casino. Der amerikanische Milliardär Annixter, seine Tochter Alice, der etwas angejahrte Marquis und der junge Steuermann der Dampfjacht Annixters treten auf. Die beiden jungen Leute sind (natürlich) verliebt. Aber Annixter will seine Tochter als Marquise sehen. Die beiden Alten setzen sich an einen Tisch. Die beiden Jungen tanzen einen Tango. Der Marquis will dem Steuermann zeigen, wie man es machen soll, und tanzt ihm die Zipperlein-​Polka vor. Allgemeine Heiterkeit. Annixter läßt durch einen Diener eine Roulette auf den Tisch stellen. Der Marquis holt den Steuermann und ladet ihn ein zu pointieren. Annixter macht den Croupier. Der Junge verliert sein ganzes Geld an den Marquis und stürzt verzweifelt hinaus. Alice sieht ihm traurig nach. Der Carnevals-​Aufzug zieht vorüber. Wiener Walzer, Can-​Can. Annixter hat Champagner bestellt und will die Verlobung seiner Tochter mit dem Marquis verkünden. Da erscheint Zarathustra. Diesmal greift er ein und hebt seinen Stab. Gewitter und Sturm. Alles flieht. Zarathustra nimmt die beiden jungen Menschen an die Hände und führt sie hinaus. Verwandlung (Gebet des Zarathustra) Nachspiel Zarathustras Berg. Reigen der Kinder und Mütter. Hornsignal. Zarathustra geleitet das junge Paar herein und stellt es vor. Dieses tanzt einen Liebeswalzer und kniet dann vor Zarathustra nieder, der es segnet. Nymphen, Satyrn, andere Liebespaare. Allgemeiner Reigen. Huldigung für Zarathustra, der nun feierlichen Schrittes nach vorne geht und alleine tanzt. Allgemeiner Jubel. Vorhang Die vier Hauptparthien der ersten drei Bilder sollen womöglich mit denselben Personen besetzt werden, die reichlich Gelegenheit hätten, ihr darstellerisches und tänzerisches Können zur Diskussion zu stellen. Was mich anbelangt, so habe ich die Resultate meiner sechzigjährigen dramatisch-​ musikalischen Erfahrung, deren Existenz selbst von meinen eifrigsten Gönnern noch nicht abgestritten wurde, verschwenderisch über das Werk ausgegossen. Die Ballettmeisterin resp. der Ballettmeister der beiden in Betracht kommenden Berliner Theater haben sich noch restlos für die Aufführung ausgesprochen. Trotzdem kam es noch nicht dazu. Ich kann mir das nur so erklären, daß der Kostenpunkt (der ja zweifellos bei einer erstklassigen Aufführung erheblich wäre) das Haupthindernis war. Jedenfalls hatte man, wie immer bei solchen Gelegenheiten, noch keine Ahnung von all den Wenns und Abers, die sich später einstellten. Ich hatte nur den

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unbeugsamen Willen, den Stoff, der mich sehr interessierte (mein erstes Ballett!) zu meistern und rechtzeitig damit fertig zu werden. Denn die Zeit war kurz.9

Wie Reznicek andeutet, gelangte er eher zufällig an das Szenario von Viggo Cavling (1887–​1946). Dieser war als Schriftsteller tätig, schrieb Romane und Erzählungen, auch Drehbücher für Stummfilme, eine Einführung in die Philosophie Schopenhauers und war ein ausgesprochener Experte für Ballettkunst. Aus seiner Feder stammt ein 1941 erschienenes Ballettbuch; zudem entwarf er selbst Ballett-​Szenarien. Das bekannteste ist Tycho Brahes Traum, das 1925 von Hakon Borresen vertont wurde. Zudem war er auch bei der dänischen Tageszeitung Politiken, dort aber für das Feuilleton, tätig10. Der erwähnte langjährige Chefredakteur war dessen Vater Henrik Cavling (1858–​1933), der dem Blatt seine liberale Ausrichtung gab und nach dem der bis heute prestigeträchtigste dänische Journalistenpreis benannt ist11. Offenbar kam es im deutschen Reichspropagandaministerium zu dieser Verwechselung, als dort im Frühjahr ein Herr von Koch im Auftrag Cavlings vorstellig wurde und um Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten deutschen Komponisten zur Vertonung dieses Szenarios ansuchte. Sicherlich fühlte man sich durch dieses Ansinnen des ›vermeintlichen‹ Chefredakteurs einer prominenten liberalen Zeitung geschmeichelt und beauftragte die Reichsmusikkammer mit der Suche nach einem geeigneten Komponisten12. Dort dürfte das Szenario in die Hände von Richard Strauss gelangt sein, der, mit Reznicek gut befreundet, wohl sofort an dessen Sieger dachte und das Szenario an Reznicek weitergab. Dieser hatte Anfang 1934 gerade den riesigen Erfolg seiner Neubearbeitung der Donna Diana erlebt und plante, ein neues Orchesterstück zu schreiben. Diesen Plan änderte er, nachdem er Cavlings Szenario erhalten hatte. Für die Arbeit an dem Ballett setzte er acht Monate an, für die er mit 500,–​RM pro Monat entlohnt werden wollte13. Die Akten des Propagandaministeriums zeigen, dass man das Projekt zwar fördern, aber nicht finanzieren wollte. Als Ausweg fand das Ministerium die Lösung, dass die Reichsmusikkammer die Komposition vorfinanzieren

Emil Nikolaus von Reznicek, Memoiren, Manuskript, Privatbesitz, ff. 155–​158. 9 10 Seltsamerweise scheint Viggo Cavling (auch in Dänemark) kein Gegenstand der Forschung zu sein. Die folgenden Daten ergeben sich aus der Recherche in einschlägigen Bibliothekskatalogen und dem Artikel Viggo Cavling im Store norske leksikon, abgerufen am 2.2.2020 unter https://​snl.no/​Viggo_​Cavling. 11 Cf. Hakon Stangerup, Henrik Cavling og den moderne avis, Kopenhagen (Gyldenda) 1968. 12 Henrik Cavling war am 7. August 1933 verstorben. 13 Brief Berufsstand der Komponisten bei der Reichsmusikkammer an Propaganda­ ministerium vom 20.  Juni  1934; zitiert nach Prieberg-​Archiv, Akte Reznicek, Blatt  6–​7.

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sollte, indem diese Reznicek am 29.  Juli  1934 einen Kredit in Höhe von 4000,-​RM gewährt, der aus den zu erwartenden Aufführungstantiemen zurückgezahlt werden sollte. Da das Werk aber niemals aufgeführt wurde, blieben die Unkosten letztlich an der Reichsmusikkammer hängen14. Reznicek machte sich also ans Werk und vertonte das Szenario wie geplant im Herbst/​Frühjahr 1934/​35. Parallel dazu liefen die Vorbereitungen für das 1.  Internationale Musikfest des Ständigen Rates, das im Sommer 1935 in Hamburg stattfand. Dort sollte das Ballett seine Uraufführung erleben, der eine weitere Aufführung an der Berliner Staatsoper folgen sollte15. Diese hatte das Werk für die Saison 1935/​36 denn auch unter dem Titel Zarathustra angekündigt16. Dazu ist es aber nicht gekommen. Richard Strauss hatte, Reznicek blind vertrauend, der Aufführung in Hamburg zugestimmt und fiel dann aus allen Wolken, als Reznicek ihm ankündigte, dass das Werk abendfüllend sein werde. Der Praktiker Strauss tadelte in einem Brief Reznicek für diese Konzeption, darauf hinweisend, dass in heutiger Zeit niemand mehr außerhalb der Sowjetunion abendfüllende Ballette aufführen würde. Es wurde überlegt, ob man eine Teilaufführung vornehmen könne, was sich aber als schwierig erwies, da das Stück quasi durchkomponiert ist, so dass man daraus nicht einfach eine herkömmliche Ballettsuite extrahieren kann. Strauss selbst hätte einer kompletten Aufführung letztlich zugestimmt, doch der Hamburger Intendant Strohm lehnte (17. Februar 1935) aus Kostengründen ab. Schließlich wurde an seiner Stelle in Hamburg Manuel de Fallas Ballett Der Dreispitz, gekoppelt mit Musik von Zoltán Kodály und Julius Weismann, gegeben17. Aber auch die Pläne einer Inszenierung an der Staatsoper Berlin wurden auf Eis gelegt. Ein Versuch Cavlings, das Stück in Kopenhagen herauszubringen, blieb ebenfalls erfolglos. Danach versuchte Reznicek das Werk für das Musikfest des Ständigen Rates in Stockholm (Februar 1936) vorzuschlagen, doch entschied sich Kurt Atterberg als Organisator dann für Rezniceks Einakter Spiel oder Ernst18. 14 Zu diesem Vorgang cf. die Akten im Deutschen Bundesarchiv R 55/​20181, vol. 16, Blatt 95–​100. 15 Cf. hierzu den Briefwechsel Reznicek-​Strauss vom Frühjahr 1935, in: Gabriele Strauss/​Monika Reger, Ihr aufrichtig Ergebener. Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, vol. 2, Berlin (Henschel) 1998 (Veröffentlichungen der Richard-​Strauss-​Gesellschaft 15), pp. 170–​182. 16 Ankündigung einer Aufführung an der Staatsoper Berlin unter dem Titel Zarathustra in der Neuen Zeitschrift für Musik (März 1935), p. 322. 17 Cf. Neue Zeitschrift für Musik (Juli 1935), p. 755. 18 Cf. dazu den Brief Rezniceks an die Universal Edition vom 15. März 1935 (UE-​ Archiv Wien): Cavling habe dazu auf eigene Kosten eine Kopie von Partitur und Klavierauszug von Reznicek erbeten und auch erhalten. Da Reznicek sein eigenes Exemplar für eine deutsche Bühne brauche [also wohl für die Staatsoper Berlin],

Das goldene Kalb (1934/​35)

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Man hört von dem Stück erst wieder, als 1940 zu Rezniceks achtzigstem Geburtstag die UE eine Broschüre veröffentlichte, die ein Verzeichnis seiner gedruckten und ungedruckten Werke, darunter auch Das goldene Kalb, enthielt. Die deutsche Oper in Prag forderte daraufhin die Partitur an, konnte sich aber ebenfalls nicht zu einer Produktion entschließen19. 1943 wurde diese schließlich zusammen mit Rezniceks übrigen Manuskripten durch das Amt Rosenberg requiriert und in ein Bergwerk in der Lausitz verbracht. Dort fiel es am Ende des Zweiten Weltkrieges in die Hände der Sowjetarmee, die es erst 1957 an die Österreichische Nationalbibliothek in Wien übergab20. Eine seinerzeit von Rezniceks Tochter Felicitas geplante Edition

bat er nun die UE um die möglichst rasche Anfertigung einer Lichtpause für Atterberg. –​Aus dem gleichen Brief ergibt sich übrigens auch, dass sich zwischenzeitlich die NS-​Kultusgemeinde Berlin dafür interessiert hatte, die Drucklegung des Werkes zu übernehmen. Hinter dieser Organisation steckte das Amt Rosenberg, in dem man Reznicek nach dem Erfolg der Donna Diana III und seiner Berufung in den Komponistenausschuss der Reichsmusikkammer Anfang 1935 für einen Parteigänger der NSDAP hielt. In der Hauszeitschrift des Amtes, der von Herbert Gerigk redigierten Die Musik, erschien denn auch eine Würdigung zu Rezniceks 75. Geburtstag im Mai 1935 und ausführliche Berichte über das bevorstehende Hamburger Musikfest. Dieser Flirt war jedoch nicht von langer Dauer, denn nach dem Musikfest erschien eine vernichtende Kritik, die sich vor allem an dem undeutschen (d.i. internationalen) Charakter des Musikfestes festmachte und wofür Reznicek die Verantwortung zugeschoben wurde. Mit erstaunlicher Konsequenz wurde in Die Musik bis zum Kriegsende jedwede Reznicek-​Aufführung bzw. die Musikfeste des Ständigen Rates ignoriert. Und als Fritz Zaun, ein alter Freund Rezniceks, diesen 1938 in seiner Eigenschaft als Rektor der HdK Berlin für den Reichskultursenat, der ein Steckenpferd von Rosenberg war, vorschlug, wurde dieser Vorschlag nicht angenommen. Mit dieser Entwicklung wurde Reznicek/​Ständige Rat zugleich in den Kleinkrieg zwischen Propagandaministerium und Amt Rosenberg hineingezogen: Bis zum Jahr 1940 hatte das Ministerium stets ein offenes Ohr für die Anliegen des Ständigen Rates. Die Revanche kam im Herbst 1943, als das Amt Rosenberg Rezniceks Manuskripte beschlagnahmte, um sie in einem Bergwerk vor Luftangriffen in Sicherheit zu bringen, eine ›Ehre‹, die keinem anderen deutschen Komponisten zuteil wurde. (Ironischerweise blieb Rezniceks Wohnung vom Bombenkrieg verschont, wohingegen Teile des ausgelagerten Manuskriptbestandes bis heute verschollen sind.) 19 Cf. dazu die Briefe UE/​Reznicek vom 30. April, 2. Mai und 26. Juli 1940 (UE-​ Archiv Wien). 20 Erhalten sind in der Österreichischen Nationalbibliothek (A-​Wn): Mus. Hs. 29 574 (Partitur); Mus. Hs. 29 598 (Klavierparticell, unvollständig); Mus. Hs. 29 599 (Szenario –​Rezniceks Arbeitsexemplar, wie von Cavling eingereicht); Mus. Hs. 34 603 (Szenario –​Endfassung). Nicht erhalten ist der von Reznicek erwähnte Klavierauszug. Auch die an Cavling (nach Kopenhagen) und Atterberg (nach Stockholm) versandten Kopien sind derzeit verschollen.

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des Werkes im Mannheimer Musikverlag kam über eine Ankündigung nicht hinaus21. Erst 2019 sind Partitur und Aufführungsmaterial in der Edition Reznicek (Musikverlag H. M. Fehrmannn, Wedemark) im Druck erschienen22. In seinen zitierten Ausführungen suggeriert Reznicek, dass eine Aufführung seinerzeit an den hohen Kosten gescheitert wäre, stellt diese Aussage aber sogleich wieder in Frage. Wenn man mit der ironischen Art Rezniceks vertraut ist, weckt diese Formulierung sofort Argwohn; und der jetzt mögliche Blick in die Partitur verstärkt diesen Eindruck noch sehr. An sich wird in dem Szenario ja eine ganz einfache Geschichte erzählt:  Ein junges Paar kommt nicht zusammen, weil ein wohlhabender Alter die Braut mit seinem Reichtum blendet. Diese Realität wird in drei historisch greifbaren Stationen durchdekliniert: In der Wüste Sinai 2000 v. Chr., im Florenz der Medici und in Monte Carlo 1935. Zarathustra beobachtet diese Vorgänge mit Traurigkeit, greift aber erst in der Jetztzeit ein. Gleich einem Deus ex machina entführt er das junge Paar in die Gefilde der Seligen. Daraus ergibt sich die Struktur des Ballettes in drei Bildern und einer Apotheose, die von der Ebene der historischen Realität in die Vision einer Zukunft führt, in der die Macht des Geldes gebrochen sein wird. Vergegenwärtigt man sich die politische Situation in Deutschland im Frühjahr 1934, so wird unmittelbar verständlich, warum dieses Szenario im Propagandaministerium Begeisterung auslösen musste: Das Werk lässt sich leicht als Verherrlichung des jungen NS-​Staats deuten, der mit der Geschichte brechen und mit dem Heilsversprechen der Volksgemeinschaft ein neues Gesellschaftsmodell entwickeln wollte. Und die Figur des Zarathustra hätte man mit Adolf Hitler gleichsetzen können, der sein Volk mit Willen und Zauberkraft in paradiesische Zustände entrückt. Die Apologie Zarathus­tras wäre dadurch zu einer Apologie Adolf Hitlers geworden. Wobei man vermutlich im Propagandaministerium an eine Komposition dachte, die den Anfang von Richard Strauss’ Zarathustra an Bombast noch übertreffen würde. Genau diese Erwartung hat Reznicek nicht nur nicht erfüllt, sondern in ihr Gegenteil verkehrt.

21 Diese Ankündigung findet sich in einer neuerlichen UE-​Broschüre aus Anlass von Rezniceks 100. Geburtstag 1960. Der Mannheimer Musikverlag ist seitdem durch verschiedene Hände gegangen und gehört jetzt zu Ricordi. Eine im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek angezeigte Edition (Partitur und Stimmen) ist wohl seinerzeit im Vorgriff auf diese geplante Ausgabe erfolgt, die dann aber niemals getätigt wurde. Das Ricordi-​Archiv in Mailand besitzt lediglich eine Photokopie des unvollständigen Particells aus der ÖNB (A-​Wn Mus. Hs. 29 598). 22 Editio Reznicek n. 1033, Wedemark 2019 (Partitur und Stimmen).

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Tatsächlich war Reznicek faschistisches oder nationalsozialistisches Denken wesensfremd. Schon auf Grund seiner eigenen tschechisch-​ rumänischen Abstammung lag ihm jede Form von Rassismus fern. (In seiner Oper Satuala billigt er den polynesischen Ureinwohnern Hawaiis sogar die moralische Überlegenheit gegenüber den US-​amerikanischen Besatzern zu.) Als Österreicher war Frankreich für ihn kein Erbfeind, sondern eine große Kulturnation, die er bewunderte und deren Sprache er fließend beherrschte. Vor allem aber war er mit einer Frau verheiratet, die nach damaliger Ter­minologie als Halbjüdin galt, was nach den ersten Rassegesetzen zu einem Problem für die Familie wurde, insofern immer die Gefahr einer Ent­deckung dieser Abstammung bestand und die Familie in dieser Hinsicht auch erpresst wurde23. Nicht zuletzt war er überzeugter Pazifist, der diese Überzeugung auch in seinen Kompositionen Der Friede –​Eine Vision (1914) und Vom ewigen Frieden (1930) thematisiert hatte. 1918 begrüßte er die Russische Revolution24 und 1929 widmete er seinen Steinernen Psalm den »Werktätigen aller Völker und Länder«. Seine idealistische Gesinnung zeigt sich (1932) schließlich auch in der bis heute unaufgeführten Oper Das Opfer, die ebenfalls mit einer Vision endet: Ein Unschuldiger wird vor einem Landgericht zum Tode verurteilt, dafür aber vor der Himmelspforte mit offenen Armen empfangen25. Kurzum: Man darf Reznicek abnehmen, dass er den Schluss des Goldenen Kalbs eben nicht im Sinne einer NS-​ Propaganda aufgefasst hat, sondern als Fortsetzung eines Themas, das ihn auch früher schon beschäftigt hatte (vor allem als Explikation des Mittelsatzes Der Tanz um das goldene Kalb aus Der Sieger). Hinzu kommt, dass die drei vorangehenden Bilder in Epochen angesiedelt sind, für die Reznicek in seinem vorangehenden Schaffen bereits die passende musikalische Charakteristik gefunden hatte. Das erste Bild erfordert eine Art von orientalischem Exotismus, wie ihn schon Richard Strauss in der Salome entworfen hatte. Reznicek konnte hier auf seine eigenen Erfahrungen in Holofernes zurückgreifen. Für das zweite Bild griff er auf Gondoliere des Dogen und Polizei zurück, in denen er stilisierte Barockmusik komponiert

23 Cf. hierzu die 1978–​1980 verfassten Memoiren von Felicitas von Reznicek, Ich war dabei (Typoskript). Ein Exemplar hinterlegt im Münchner Institut für Zeitgeschichte (Edition in Vorbereitung). 24 So Carl Flesch in seinen Erinnerungen eines Geigers, Freiburg im Breisgau/​Zürich (Atlantis) 1960. 25 Von dieser Oper schreibt Reznicek in seinen Memoiren, dass er sich »noch nicht getraut habe, diese jemandem zu zeigen. Vielleicht in 50, 100 oder 1000 Jahren«. (Das dürfte wohl eine der Spitzen gewesen sein, die das Propagandaministerium zum Verbot bewog.)

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hatte, und für das Monte-​Carlo-​Bild auf die Unterhaltungsmusik des 19. und 20. Jahrhunderts (Walzer, Galopp, Can-​Can bzw. Jazz-​Tänze), die er unter anderem in seinen beiden Operetten Die verlorene Braut (1909) und Die Angst vor der Ehe (1912) bzw. Benzin (1929) oder Das Opfer (1932) verwendet hatte. Die Faszination durch das Sujet bedeutet freilich nicht, dass Reznicek blind gewesen wäre für die Absichten des Propagandaministeriums und die Gefahr einer nationalsozialistischen Deutung. Das zeigt sich besonders deutlich in einem Eingriff in das Szenario:  Cavling hatte das erste Bild selbstverständlich in den biblischen Kontext der Geschichte um den Auszug der Israeliten aus Ägypten angesiedelt. Reznicek hat diese Angabe auf Cavlings Typoskript abgeändert und die Handlung ausdrücklich in die Zeit um 2000 v.  Chr. verlegt und die Handelnden explizit als Beduinen bezeichnet26. (Da man damals Regieanweisungen noch nicht als belanglose Zutat verstand, war damit klar, dass es gerade nicht um Juden ging. Denn es wäre ja leicht gewesen, dem alten Scheich, Lorenzo di Medici und dem amerikanischen Millionär Annixter ein jüdisches Aussehen zu verleihen.) Musikalisch sind diese drei Bilder sehr ähnlich aufgebaut: Am Anfang steht jeweils ein langes Vorspiel, das bei geschlossenem Vorhang auf das kommende Bild einstimmt. Die Handlung wird durch illustrative Musik vorangetrieben, in die größere szenische Momente eingestreut werden. Im ersten Bild ist dies das Erscheinen des Goldenen Kalbes und der Kriegstanz der Jünglinge. Der zweite Akt ist als Festakt angelegt. Lorenzo di Medici gibt ein Fest, auf dem er eine orientalische Schönheit mit seinem tolpatschigen und geistig zurückgebliebenen Sohn verkuppeln will. Als Blendmittel dazu dient ihm, der Braut einen Blick in seine Schatzkammer zu ermöglichen. Hier hat Reznicek in Abweichung vom Szenario ein Ballett im Ballett eingefügt: Aus der Schatzkammer treten als Edelsteine verkleidete Tänzerinnen auf, die den Tanz der Edelsteine aufführen, der musikalisch das Zentrum des zweiten Bildes darstellt. Das Monte-​Carlo-​Bild schließlich spielt vor dem Café de Paris gegenüber dem Casino zur Karnevalszeit. Den Anfang bilden moderne Jazztänze, zu denen das junge Paar tanzt. Der Gegenspieler, der alte Marquis, wird durch die Zipperlein-​Polka vorgestellt und lächerlich gemacht. Dann verführt der Brautvater den Matrosen zum Glücksspiel, wodurch dieser all sein Geld verliert. Eine Militärkapelle marschiert über die Bühne und führt einen Blumenkorso an, dem ausgelassen Menschen folgen, die Walzer und Galopp tanzen. Schließlich will

26 Diese Bearbeitung der originalen Vorlage wird dokumentiert eben durch das Typoskript (A-​Wn Mus. Hs. 29 599).

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der Brautvater die Verlobung seiner Tochter mit dem Marquis verkünden, dann aber greift Zarathustra ein. Zum geschlossenen Vorhang erklingt als Verwandlungsmusik das Gebet des Zarathustra und der Vorhang öffnet sich zum idyllischen Schlussbild. Die Abfolge dreier musikalisch-​ stilistisch divergierender Bilder birgt naturgemäß die Gefahr der unverbindlichen Beliebigkeit. Reznicek sorgt daher für die Kohärenz der Partitur, indem er drei Leitmotive einbaut, die überdies für die inhaltliche Deutung des Stückes von zentraler Bedeutung sind. Nie direkt zitiert, aber immer präsent ist der Luther-​Choral Ein feste Burg ist unser Gott. Der Tanz um das goldene Kalb bzw. um das Geld wird dadurch als Irrweg und teuflische Versuchung gebrandmarkt, und Zarathustra, der dies traurig durch die Jahrhunderte beobachtet, erscheint mit seinem Eingreifen nicht als Verfechter eines Übermenschentums, sondern als Humanist. Das zweite Leitmotiv ist das Zarathustra-​Motiv, das immer mit dessen Erscheinen verbunden ist und aus dem sich das Zwischenspiel vom dritten Bild zur Apotheose ableitet. Es ist ein düsteres Motiv in der Bassklarinette, das die Trauer Zarathustras über die Verblendung und Verführbarkeit der Menschen ausdrückt. Mithin das genaue Gegenteil eines heroischen Helden und martialischen Führers. Diese beiden Motive gliedern auch das erste Bild, das Reznicek im Übrigen tatsächlich gänzlich neu komponiert hat. Im zweiten Bild tritt als drittes Leitmotiv das Kinderlied Kuckuck, Kuckuck ruft’s aus dem Wald hinzu. Mit diesem Motiv tritt der kindliche und kindische Sohn des Lorenzo di Medici auf, der damit zugleich als lächerliche, aber auch unschuldige Person charakterisiert wird. Der Bösewicht ist Lorenzo, der in kalter Berechnung die orientalische Schönheit mit dem Glanz seiner Juwelen verführt und dann dem ausgetricksten Ritter formvollendet einen mit Diamanten besetzten Dolch überreicht, mit dem dieser sich auch pflichtschuldigst ersticht. Das musikalische Hauptstück, der Tanz der Juwelen, ist dabei die vollständige Zwischenaktmusik aus Der Gondoliere des Dogen, in sich eine barocke Suite in sechs Sätzen mit einer eingängigen Furlana, die hier schon im Vorspiel zum zweiten Bild erklingt und auch im weiteren Verlauf immer wieder zitiert wird, wodurch auch das zweite Bild musikalisch kohärent wirkt. Das dritte Bild ist episodischer angelegt: Am Beginn spielt als Bühnenmusik die Jazzband des Café de Paris Modetänze der 1930er Jahre (Rumba, Fox-​Trott, Boston etc.). Diese hat Reznicek aus seinen damals noch unaufgeführten Opern Benzin und Das Opfer übernommen. Es folgt die Militärkapelle, die mit einem Marsch den Blumenkorso anführt. Dabei handelt es sich um den seinerzeit ebenfalls unveröffentlichten Marsch von 1915, den Reznicek inoffiziell seinen Hindenburgmarsch nannte. Man kann darin eine subtile musikalische Umdeutung des pazifistischen Mottos »Schwerter zu Pflugscharen« sehen. Es folgt der Karnevalszug mit Tanzenden, die die älteren Tänze Walzer, Galopp,

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Can-​Can etc. bevorzugen. Diese Abschnitte hat Reznicek aus seiner 1913 mit wenig Erfolg uraufgeführten Operette Die Angst vor der Ehe übernommen. Als dann der Millionär die Verlobung seiner Tochter ankündigen will, greift Zarathustra ein, und in bester Opernmanier bricht ein Gewitter mit Sturm los und die Bühne verdunkelt sich. Das schon erwähnte Gebet des Zarathustra bildet die Überleitung zur Schlussidylle. Diese wird wieder von den erwähnten Choralanklängen bestimmt, zu denen nun die Fortsetzung des Kinderliedes Lasset uns singen, tanzen und springen, Frühling wird es nun bald hinzutritt, und die die Apotheose weitgehend bestimmt. Das ist die perfekte Illustration zu den auf der Bühne tanzenden Kindern. Aber es ist eben auch typisch Reznicek’scher Hintersinn. Denn das Volkskinderlied ist eben kein Volkslied, sondern stammt aus der Feder von Hoffmann von Fallersleben. Und der war bekanntlich ein Dichter des Vormärz. Als solcher kannte er die Schriften Ludwig Börnes natürlich genau. Sein Frühling ist eben nicht der klimatische Frühling, sondern der Völkerfrühling der Revolution von 1830. Recht eigentlich macht Reznicek damit klar, dass seine Vision nicht national-​sozialistisch, sondern immer noch universal-​ sozialistisch ist, so wie er 1914 im Frieden postuliert hatte: »Brüder laßt den Krieg nicht mehr herein, Arbeit soll die Losung sein«. Und in Anbetracht der spielenden Kinder erhellt sich auch die düstere Miene Zarathustras. Ganz zum Schluss tanzt er sein Solo. Und was tanzt er: Tango! (Siehe Abbildung auf der folgenden Seite.)

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Abbildung: Partitur, p. 67.

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Ein Tango tanzender Zarathustra dürfte so ziemlich das Letzte gewesen sein, was sich das Propagandaministerium von seinem Auftrag erhofft hatte. Und vermutlich war es ein Glück für Reznicek, dass die Aufführungspläne der Berliner Staatsoper stillschweigend in der Versenkung verschwanden. Eine Aufführung hätte gewiss Unwillen erregt und den Verdacht auf Reznicek gelenkt27. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende:  1943 wurden, wie schon erwähnt, Rezniceks Manuskripte, darunter das Goldene Kalb, requiriert. Erst 1957 wurde die Partitur wieder zugänglich, als diese von den Sowjets der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien übergeben wurden. Cavling konnte also nach 1945 nicht mehr mit einer Aufführung seiner Schöpfung rechnen. Ganz abgesehen von der Frage des nicht greifbaren Materials wäre in dem durch die deutsche Okkupation geprägten Dänemark, dessen Öffentlichkeit bis in die 1970er Jahre stramm antideutsche Gefühle pflegte, die (aufwendige) Produktion eines deutschen Komponisten auch politisch nicht durchsetzbar gewesen. Cavling machte sich also nach der Befreiung daran, noch einmal nach einem Komponisten Ausschau zu halten, der das Szenario vertonen wollte. Da er schon als junger Journalist in Paris gelebt und beste Beziehungen nach Frankreich hatte, fand er diesen in dem in Paris lebenden russisch-​ukrainischen Exilanten, Pianisten und Komponisten Kostja Konstantinoff (1903–​1947). Dieser hatte, da jüdischer Abstammung, die Besatzungszeit im Untergrund überlebt und setzte nun seine Karriere, unter anderem mit Tourneen nach Nord-​und Südamerika, fort. Dabei arbeitete er auch an dem Ballett Das goldene Kalb, dessen Uraufführung durch das Ballett der Königlichen Oper in Kopenhagen für die Saison 1947/​48 angekündigt wurde. Die Ausstattung sollte der ebenfalls in Paris lebende russische Exilmaler Serge Ivanoff (1893–​1983) übernehmen. Das Archiv der Königlichen Oper besitzt denn auch zahlreiche Entwürfe Ivanoffs sowie den Klavierauszug von Konstantinoffs Ballett. Dieser kam jedoch am 20. Mai 1947 bei einem Flugzeugabsturz in Maryland in den USA ums Leben, bevor er die Orchestration vollenden konnte28. Richard Strauss’ Beobachtung zur Unaufführbarkeit abendfüllender Ballette gilt heute noch mehr als in den 1930er Jahren. Insofern ist wohl an eine szenische Aufführung von Rezniceks Werk derzeit nicht zu denken. Aber da 27 Tatsächlich erregten dann ja auch seine Memoiren Verdacht, und ausweislich der GEMA-​Einnahmen ging die Zahl der Reznicek-​Aufführungen nach 1940 deutlich zurück. 28 Für die freundliche Hilfe bei der Klärung der Nachkriegsentwicklung und der Quellenbestände in Kopenhagen sei Jens Peder Jörgensen, dem früheren Bibliothekar und Archivar der Königlichen Oper Kopenhagen, an dieser Stelle sehr herzlich gedankt.

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Moden ja kommen und gehen, muss das nicht für immer so bleiben. Sollte eine solche Aufführung einmal wieder in den Bereich des Möglichen rücken, wäre es eine schöne Idee, die Musik Rezniceks mit den Entwürfen Ivanoffs zu kombinieren. Das wäre nicht nur eine späte Anerkennung der Arbeit jener Künstler, sondern würde durch die Frühlingsthematik des Schlussbildes auch die Möglichkeit eröffnen, dieser Vision eine zeitaktuelle ökologische Deutung zu geben.

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Sándor Veress, Térszili Katicza (1941–​1942)1 In den Jahren 1941–​1942 entwarfen der Choreograph Aurél von Milloss (1906–​1988), der Maler István Pekáry (1905–​1981) und der Komponist Sándor Veress (1907–​1992) das Ballett Térszili Katicza2. Milloss hatte den Wunsch, dem russischen Feuervogel und dem spanischen Dreispitz ein spezifisch ungarisches Ballett zur Seite zu stellen, und fragte Bartók nach einem Komponisten, der dazu fähig sei. Bartók verwies ihn an Veress, der bei ihm an der Akademie studiert hatte, sein Assistent bei der Volksmusikforschung war und gerade sein Zweites Streichquartett komponierte3. Von Bartóks eigenen Balletten war dabei offenbar nicht die Rede. Man kann nur vermuten, dass Milloss eine folkloristische Dimension wünschte, in die weder der Holzgeschnitzte Prinz noch der Wunderbare Mandarin gehörten. Dies würde bedeuten, dass Veress, der kein ›naiver‹ Komponist war –​József Ujfalussy nannte ihn einen »poeta doctus«4 –​, sich vor eine bestimmte Aufgabe gestellt sah, deren Grenzen er einhalten musste. So entstand in Zusammenarbeit mit Béla Paulini das Ballett A Csodafurulya (Die Wunderschalmei), das 1938 in Budapest und 1939 in London mit Erfolg aufgeführt wurde. Die Aufführung dieses Balletts am Teatro delle Arti in Rom im November 1940 unter der musikalischen Leitung von Fernando Previtali war Anlass, ein zweites, größer angelegtes Ballett zu planen: Térszili Katicza. Grundlage des Librettos ist das ungarische Märchen Térdszéli/​Térd­ szíli Katica [sic], wie es 1915 in Nagyszalonta/​Salonta nach der Erzählung des 75-​ jährigen János Kertmegi aufgezeichnet und 1925 von Zsigmond Szendrey veröffentlicht wurde5. Es könnte sein, dass Zoltán Kodály einen 1 Für vielfältige Hilfe und Mitarbeit bei der Auswertung verschiedenster Dokumente danke ich Claudio Veress und Dr. Heidy Zimmermann. 2 Sándor Veress, Térszili Katicza. Balletto giocoso in un atto da una fiaba ungherese su libretto di Aurelio M. Milloss e István Pekári, Klavierauszug, Milano (Edizioni Suvini Zerboni) 1961. Aufführungsmaterial erhältlich. Das Partiturautograph und weiteres Material heute in der Paul Sacher Stiftung Basel. Das gültige Werkverzeichnis von Veress in: Komponisten der Gegenwart, München (edition text+kritik) 1992sq., 21. Nachlieferung (2001), pp. C–​K. 3 Aurél M.  Milloss, Sándor Veress:  una parola nuova anche per il balletto, in: Schweizerische Musikzeitung 122 (1982), pp. 238–​241. Max Uwe Stieren, Aurél M. Milloss und Sándor Veress, in: Andreas Traub (ed.), Sándor Veress. Fest­ schrift zum 80. Geburtstag, Berlin (Haseloff) 1986, pp. 193–​216. 4 Traub, Sándor Veress. Festschrift zum 80. Geburtstag, p. 12. 5 Alle Angaben verdanke ich Judit Gulyás und Claudio Veress. Die Veröffentlichung:  Szendrey Zsigmond (ed.), Nagyszalontai Gyüjtés, Budapest 1924,

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Hinweis gegeben hat, da er damals Volkslieder und -​erzählungen in Salonta sammelte. Der Inhalt des Märchens ist folgender:  Térdszíli Katica, die bei ihrer alten und kranken Mutter lebt, ist im ganzen Land dafür bekannt, dass sie jeden hintergehen kann. Der König fordert sie auf, dies auch in seinem Schloss zu versuchen. Die Mutter bittet Katica, sie möge ihr von des Königs Gebäck, seinem Wein und seinen Äpfeln etwas holen. Katica geht dreimal zum Schloss und täuscht zuerst den Koch, dann den Kellermeister und schließlich den Gärtner. Sie stiehlt das Gewünschte und hinterlässt jedes Mal ein Verslein: Itt vótam, mán itt vótam, Rajtad mos mán kifogtam, Kis Térdszíli Katica, Imre kiráj bánata, Ha nëm tetszik, tígy rúlla.

Ich war hier, Ich foppte dich, Die kleine Térdszíli Katica, König Imres Quälgeist. Magst du es nicht, so tu etwas!

Der König wird darüber gallig, und kein Arzt kann ihm helfen. Katica verkleidet sich als Arzt und schreibt vor, den König mit Salz und Pfeffer zu überschütten und in eine Ochsenhaut zu wickeln. Salz und Pfeffer beißen den König derart, dass er aus dem Saal läuft. Katica verschwindet und hinterlässt ihr Verslein. Nun ist der König wütend. Er lässt Katica von Soldaten herbringen, um sie zu töten. Katica nimmt eine lebensgroße Strohpuppe mit, in die sie Honig gefüllt hat, und legt sie in das Bett des Königs. Er kommt und ersticht die Puppe mit dem Schwert. Als er den Honig kostet, sagt er: »Wenn ich gewusst hätte, dass dein Blut so süß ist, hätte ich dich nicht getötet«, und er bedenkt, dass er selber Katica zu dem Unfug angestiftet habe. Nun kriecht die lebendige Katica unter dem Bett hervor, und der König heiratet sie sofort. Bei der Umarbeitung zum Libretto streichen die Autoren die Figur der Mutter und fügen die Figuren des Hauptmanns und des Prinzen hinzu. Dann verändern sie Charaktere und Handlung, wobei wohl auch Anregungen aus der Commedia dell’arte eingeflossen sind.

pp. 202–​205. Der Text liegt in einer ungedruckten englischen Übersetzung von Judit Gulyás vor.

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Abbildung 1:  Brita Appelgren (Térszili Katicza) und Julius Mengarelli (Hauptmann) in der Uraufführung (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress).

Abbildung 2:  Bühnenbild von István Pekáry für die Uraufführung (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress).

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Man wird hier ein Interesse von Milloss vermuten dürfen, der einen bühnentauglichen, teilweise komisch-​ drastischen Handlungsverlauf gestalten wollte. Man darf wohl sagen, dass gerade dies bei A Csodafurulya fehlt. Die Charakteristik der Personen stellt sich wie folgt dar: Térszili Katicza ist das schönste und klügste Mädchen im Königreich, der König ein alter zorniger Tyrann, sein Vertrauter, der Hauptmann, ein böser Trunkenbold, der Prinz gutherzig, aber machtlos. Das Schloss am Hauptplatz eines sagenhaften ungarischen Dorfes ist umgeben von Weinkeller, Backofen, Apfelbaum und einem Kerker. Der gedruckte Klavierauszug umfasst 16 Nummern mit dem folgenden Handlungsablauf6: I Introduzione –​97 Takte /​2 Minuten Die Diener des Königs arbeiten rings um das Schloss, während Katicza mit ihren Freundinnen eine lebensgroße Puppe bastelt. Der Hauptmann kommt und macht ihr einen Antrag. Er wird abgewiesen und sinnt auf Rache. II Danza di Katicza e di suoi amici –​235 Takte /​3,5 Minuten Dorfleute kommen zu dem Spiel mit der Puppe. Da ruft der Hauptmann den König. III Pantomima, Bis – 43+24 Takte /​1,5 Minuten Der König bricht das Fest ab und bestraft Katicza als Urheberin des Lärms mit Prügel. König und Hauptmann gehen in das Schloss zurück. IV Intermezzo –​44 Takte /​2,5 Minuten V Danza del Principe –​56 Takte /​2 Minuten Der Prinz, der von fern zugesehen hat, nähert sich Katicza, tröstet sie und muntert sie mit einem ungarischen Hoftanz auf. VI Passo a due –​132 Takte /​2 Minuten Der Prinz und Katicza tanzen miteinander. VII Scena tra Katicza e il Capitano –​103 Takte /​2 Minuten Der Hauptmann kommt zurück. Katicza geht jetzt zum Schein auf ihn ein. Dorfleute kommen hinzu. VIII Pantomima –​42 Takte /​1 Minute Erfreut stiehlt der Hauptmann des Königs Wein, Äpfel und Brot. Was er nicht selber einstecken kann, verteilt er unter die Leute. IX Danza d’insieme, Trio –​214 Takte /​2,5 Minuten Alle tanzen. Katicza und ihre Freundinnen verprügeln den betrunkenen ­Hauptmann.

6 Grundlage ist die im Klavierauszug mitgeteilte Inhaltsangabe. Die Angaben zur Spieldauer sind teilweise gerundet. In den autographen Quellen (s.u.) ist ab Nr. III eine abweichende Zählung der Stücke dokumentiert; sie wird hier aber nicht mitgeteilt, um Verwirrung zu vermeiden. Allein der gedruckte Klavierauszug ist verbindlicher Bezugspunkt.

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X Grande scena del Re –​108 Takte /​1,5 Minuten Der König erscheint zum zweiten Mal wegen des Lärms. Der Hauptmann schiebt alle Schuld auf Katicza, und der König lässt sie einsperren. Den Schlüssel zum Kerker gibt er dem Hauptmann. XI Pantomima –​134 Takte /​3,5 Minuten Es wird Abend. Der Hauptmann schläft ein, und der Prinz tritt auf. Er findet Katicza und befreit sie. In den Kerker legen sie die Puppe und locken den schlaftrunkenen Hauptmann hinein. XII Danza di Katicza –​ XIII Passo a due –​177 und 98 Takte /​3,5 Minuten Katicza tanzt zuerst allein, dann mit dem Prinzen. Sie verschwinden in der Morgendämmerung. XIV Scena al mattino –​76 Takte /​2 Minuten Am Morgen bemerken die Diener vom Hof den Diebstahl von Wein, Äpfeln und Brot und melden es dem König. Dieser erscheint zum dritten Mal, und da er nun seinen Zorn an niemandem auslassen kann, trifft ihn gleichsam der Schlag. XV Pantomima –​63 Takte /​2 Minuten Katicza erscheint verkleidet als wundertätiger Arzt und kuriert den König durch Prügel. Dann öffnet sie ihm die Augen, indem sie auf den Hauptmann mit seinen gefüllten Taschen deutet und dann ihre Verkleidung abstreift. Der König bestimmt, dass der Hauptmann im Kerker bleibt, und der Prinz, der gerade hinzukommt, darf Katicza heiraten. XVI Danza finale –​259 Takte /​3 Minuten Alle feiern ein frohes Fest.

Veress, der Ende 1939 trotz des drohenden Krieges und unter Verzicht auf eine mögliche Laufbahn in England nach Ungarn zurückgekehrt war, lebte in den Jahren 1940–​1942 während insgesamt rund zehn Monaten in Rom7. Unterstützt durch zwei aufeinanderfolgende Stipendien des ungarischen Religions-​und Bildungsministeriums, die ihm  –​so die offizielle Sprachregelung –​zur Verfolgung musikethnographischer und musikpsychologischer

7 Zur Biographie von Veress: Demény János, Veress Sándor –​ Életmű-​vázlat, in: Berlász Melinda/​Demény János/​Terényi Ede (edd.), Veress Sándor. Tanulmányok, Budapest (Zeneműkiadó) 1982, pp. 12–​57, insbes. p. 28sq. (der Text liegt in einer ungedruckten Übersetzung von Gizella Betzel-​Doráti vor). Andreas Traub, Sán­ dor Veress, Lebensweg –​Schaffensweg, in: Traub, Sándor Veress. Festschrift zum 80. Geburtstag, pp. 22–​97. Zu bislang unbekannten biographischen Details von Veress’ Rom-Aufenthalten der Jahre 1940/41 und 1942, die u.a. anhand von Neuzugängen zur Musiksammlung der Budapester Széchényi-Bibliothek (OSZK) aus dem Nachlass des Bruders Endre Veress erschlossen werden konnten, cf. Claudio Veress, Auswandern – wohin, wann, wie? Zur Vorgeschichte von Sándor Veress’ Emigration, in: Ulrich Tadday (ed.), Sándor Veress, München (edition text+kritik) 2021 (Musik-Konzepte 192/193), pp. 9–27, insbes. p. 10sq.

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Forschungsanliegen gewährt wurden8, wohnte er im Collegium Hungaricum (= Regia Accademia d’Ungheria), und es bestand der vage Plan einer Berufung an die Accademia Nazionale di Santa Cecilia als Lektor für ungarische Volksmusik und Musikgeschichte. Ende November 1942 kehrte er nach Budapest zurück. Das wichtigste künstlerische Erlebnis dieser Zeit sei, so sagte Veress mehrfach, die Aufführung des Wozzeck von Alban Berg unter der Leitung von Tullio Serafin und in der Inszenierung von Milloss gewesen9. Er habe alle Proben und Aufführungen erlebt. Auch dies ist zu bedenken: In den Jahren 1943–​1944 komponierte Veress den Sancti Augustini Psalmus contra par­ tem Donati mit dem Textbeginn »Omnes qui gaudetis de pace, modo verum iudicate«10. Man wird deshalb das eher leichtfüßige Ballett grundsätzlich im doppelten Kontext mit Wozzeck und dem Psalmus sehen müssen, um dem Künstler und Menschen Veress annähernd gerecht zu werden. Für die Saison 1942–​1943 war in Budapest die Uraufführung von Tér­ szili Katicza geplant, doch verweigerte die ungarische Regierung Milloss, der damals in Rom lebte, die Einladung zur Mitwirkung11. Daraufhin untersagte Veress eine Aufführung und begründete dies in einer öffentlichen »Erklärung« im Magyar Nemzet am 12. September 1943: Weil im soeben erschienenen Programmplan des Opernhauses unter den in der Saison 1943–​1944 vorzustellenden Werken mein Ballett Térszili Katicza erneut vorkommt, es jedoch aus den unten skizzierten Gründen voraussichtlich auch dieses Jahr nicht zu seiner Aufführung kommen wird, erachte ich es als notwendig, um Missverständnisse zu vermeiden, Folgendes festzuhalten:

8 Cf. dazu die beiden Stipendienbestätigungen des Religions-​und Bildungsministeriums vom 21.11.1940 und 22.7.1941 (Széchényi-Nationalbibliothek, Musiksammlung) sowie den Schlussbericht Veress’ zuhanden des Ministeriums vom 2.6.1943 (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress). 9 Konrad Vogelsang, Alban Bergs »Wozzeck« in Rom 1942, in: Die Musikforschung 42 (1989), pp. 150–​154. 10 Andreas Traub, Sándor Veress –​»Sancti Augustini Psalmus contra partem Donati«, in: Musica sacra 108 (1988), pp. 201–​205. 11 Schon im Frühjahr 1942 war es zwischen Milloss und der Budapester Oper zu Friktionen gekommen, weil die ungarische Regierung eine geplante Aufführung von Strawinskys Sacre du printemps kurzfristig aus politischen Gründen verboten hatte: Ungarn war am 27. Juni 1941 auf Seiten Nazi-​Deutschlands in den Krieg gegen die Sowjetunion eingetreten, was zur Folge hatte, dass Aufführungen von Werken russischer Autoren aus Sicht der ungarischen Kulturpolitik generell nicht mehr opportun waren. Milloss trat zwischen Ende April und Ende Juni 1942 dennoch in Budapest auf –​allerdings mit Beethovens Die Geschöpfe des Prometheus. Siehe dazu die Briefe Sándor Veress’ aus Rom an Enid Veress-​Blake in Budapest vom 5.4.1942, 17.4.1942, 24.4.1942 und 23.6.1942 (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress).

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  1. Über die Aufführung des Werkes hat das Königlich-​Ungarische Opernhaus mit mir weder letztes Jahr noch dieses Jahr offiziell verhandelt. Ich selbst erfuhr jeweils nur aus den Zeitungen, dass die Direktion des Opernhauses mein Ballett auf sein Programm gesetzt hatte.   2. Es ist wahr, dass im Rahmen von privaten Gesprächen mit meinem hochgeschätzten Freund, Herrn Chefregisseur Gusztáv Oláh, manchmal die Rede von der Möglichkeit einer Aufführung meines Stücks war, ich betonte aber auch bei unserem letzten Treffen, dass ich die Aufführung des Balletts nur bei Mitwirkung des Choreographen des Königlichen Opernhauses von Rom, Aurél Milloss, als Mitautor wie auch als Choreograph und als Darsteller der Hauptrolle erlauben würde.   3. Meines Wissens hatte das Opernhaus geplant, im Hinblick auf den Frühling letzten Jahres bzw. die Saison dieses Herbsts die Einstudierung von mehreren ausländischen und ungarischen Neuproduktionen und für den Tanz in den Hauptrollen Aurél Milloss zu verpflichten. Die Verpflichtung des weltberühmten ungarischen Künstlers blieb leider nur ein schöner Plan. Gewisse Kreise haben das geplante Gastspiel von Milloss verhindert, obwohl Milloss durch sein sechsjähriges Wirken nicht nur für sich selbst und für das Ballett von Rom höchstes künstlerisches Ansehen erworben hat: Er war immer auch ein begeisterter Verfechter von ungarischen Interessen, sowohl auf der künstlerischen Ebene wie auch in seinen Äusserungen, wozu ich als guter Kenner der römischen Verhältnisse sehr viele konkrete Beispiele vorbringen könnte, wenn mich der Raummangel nicht daran hindern würde. Es ist sehr bedauerlich, dass Milloss seine ausserordentliche Begabung und sein Wissen nicht der heimatlichen Tanzkultur zur Verfügung stellen kann, obwohl dies seiner alten Sehnsucht entspräche; schade ist dies in erster Linie zweifellos nicht für ihn, der letztes Jahr nach seiner Darstellung von Petruschka vom sehr anspruchsvollen Publikum der römischen Oper 37 (!) Mal vor den Vorhang gerufen wurde und der die heutige Saison mit einer Gagenerhöhung von 50% beginnt, vielmehr ist dies ein schwerer Fehler unserer Kunstpolitik. Bei unseren ungesunden öffentlichen Angelegenheiten betreffend Kunst, wo die wesentlichen Fragen meistens nach Nebengesichtspunkten entschieden werden, wo sowohl die Programmpolitik wie auch die Produktionen durch seit Jahren zunehmende Stagnation und Niveausenkung charakterisiert sind, bildet das Opernballett keine Ausnahme. Dies ist umso trauriger, als an sehr begabten und über eine gute technische Ausbildung verfügenden Absolventen der Opernballettschule kein Mangel herrscht. Da es aber für unsere jungen Künstler bei den heutigen Verhältnissen keine Möglichkeit gibt, zum Studieren ins Ausland zu gehen, wäre es umso notwendiger, dass sie unter der Führung eines Künstlers mit echt europäischem Horizont ihre Kenntnisse erweitern, an ihrem Geschmack feilen und sich auf die Zeit vorbereiten könnten, in der mit der Öffnung der Grenzen der beginnende freie künstlerische Wettbewerb eine derartige Verschiebung des Gleichgewichts hervorrufen wird, dass –​falls der gegenwärtige Zustand sich nicht ändert –​die zu Hause kritiklose, durch ständiges Selbstlob verblendete, einst an Traditionen so reiche Truppe plötzlich in eine sehr schiefe Lage gerät. In der Kunst des XX. Jahrhunderts gehört das Ballett zu jenen Gattungen, die Wesentlichstes geleistet und grösste Entwicklungsschritte durchlaufen haben. Viele grosse Schöpfungen der heutigen Musik entstanden auf direktem Weg über die Tanzbühne. Blättern wir hingegen in den Programmen des ungarischen Opernhauses der letzten zwanzig Jahre, wie viele Tanzkompositionen finden wir von denjenigen Werken, die

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heute schon zu den ständigen Repertoirestücken der besseren Opernhäuser gehören? Welches Licht wirft dies auf die hier wirkenden Choreographen, und wie rechtfertigen sie die nicht zu füllende Lücke von 20 bis 30 Jahren, die sie in der ungarischen Tanzgeschichte und mittelbar in der Geschichte der ungarischen Musikkultur verursachten? Es genügt nur, darauf hinzuweisen, dass der markanteste Vertreter des heutigen Balletts und generell der heutigen Musik, Strawinsky, noch heute nur durch den 1912 geschriebenen Petruschka vertreten ist, um den letztes Jahr in der Scala in Mailand mit riesigem Erfolg aufgeführten Wunderbaren Mandarin von Bartók gar nicht zu erwähnen. Was die Tanzproduktionen betrifft: Wer jemals Gelegenheit hatte, die berühmten europäischen Compagnien –​das römische Ballett, das Tanzcorps der Pariser Oper, das russische Ballett, das schwedische Ballett oder das Ensemble des Londoner Sadler’s Wells –​zu sehen und ihre Kunst zu geniessen, kann die heutigen Aufführungen der Oper von Budapest nicht ohne Kritik als Kunst hinnehmen. Dies sind Tatsachen, über die man nicht dauernd hinwegsehen kann und –​ den Kopf in den Sand der provinziellen Selbstzufriedenheit steckend –​zulassen, dass die Zeit an uns vorbeigeht, weil es hier um viel mehr geht als um den Tanz in seiner engeren Bedeutung. Zum Schluss zu meinem Ballett zurückkehrend, möchte ich nur noch erwähnen, dass es statt der geplanten, aber wegen der aussergewöhnlichen Umstände an den Frühlingsfestspielen in Florenz nicht realisierten Aufführung –​falls die Kriegsumstände es nicht erneut verhindern –​im Dezember dieses Jahres unter der Leitung von Tullio Serafin im Opernhaus von Rom aufgeführt werden wird. Sándor Veress.12

Nach dem hier zuletzt erwähnten (gescheiterten) Vorhaben einer römischen Uraufführung unter Serafin kam es erst 1947 wieder zum Plan einer Premiere, und zwar erneut in Budapest. Veress schreibt am 15. Juli 1947 aus London an seine Frau, dass er Milloss am 10. August zu einem mehrtägigen Treffen erwarte: »And we have to go over Térszili and make final arrangements for the Budapest première and maybe for other places too. It is possible he can place it here too and that would be fine of course«13. Das Treffen mit Milloss ist allerdings bislang nicht bezeugt. Eine Premiere in Budapest in der Saison 1947/​1948 wäre in eine faszinierende Konstellation zu der Uraufführung des Sancti Augustini Psalmus am 19. Februar 1948 unter der Leitung von László Somogyi gerückt.

12 Zitiert bei Demény, Veress Sándor  –​ Életmü-​vázlat, p.  30. Ich danke Christa Markovits für die Übersetzung des ungarischen Originals, das sich als Typoskriptdurchschlag in der Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress, befindet (Abt. Textmanuskripte, Térszili Katicza). 13 Andreas Traub/​Claudio Veress, Sándor Veress 1947 in England, in: Anselm Gerhard/​Doris Lanz (edd.), Sándor Veress, Komponist –​Lehrer –​Forscher, Kassel et al. (Bärenreiter) 2008, pp. 206–​222: 218.

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Die Uraufführung des Balletts fand schließlich am 16. Februar 1949 an der Königlichen Oper Stockholm statt. Dirigent war Herbert Sandberg, und Brita Appelgren tanzte die Katicza.

Abbildung 3:  Aurél von Milloss, Sándor Veress und Herbert Sandberg anlässlich der Stockholmer Uraufführung (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress).

Am 19. März folgte die zweite Aufführung im Teatro dell’Opera in Rom. Dirigent war Giuseppe Morelli, und Mirdza Kalnins tanzte die Katicza. Die Reise nach Stockholm wurde für Veress zum ersten Schritt ins Exil: Die schwere Frage, die man sich wiederum stellen musste, lautete:  Bleiben oder nicht bleiben? […] Mit diesen Gedanken bestieg ich am 6. Februar 1949 den Nachtzug nach Prag, um von dort per Flugzeug nach Stockholm zu gelangen. […] Nach der Uraufführung flog ich mit Milloss nach Rom, wo das Stück durch das römische Ballett an sieben Abenden prachtvoll dargeboten wurde.14

14 Traub, Sándor Veress, Lebensweg –​Schaffensweg, p. 53. Andreas Traub, Sándor Veress und das Exil –​von der »Transsylvanischen Kantate« (1936) zur »Elegie« (1964), in: Peter Csobádi et al. (edd.), Das (Musik-​)Theater in Exil und Diktatur, Anif/​Salzburg (Müller-Speiser) 2005, pp. 533–​540.

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Veress blieb in Rom und erlebte von dort den Rajk-​Prozess in Ungarn15. Das bewog ihn, ›für immer‹ in die Emigration zu gehen. In dieser Situation vermittelte Ottó János Gombosi einen Lehrauftrag für das Wintersemester 1949–​1950 an der Universität Bern, nachdem er selber im Sommersemester 1949 den dort vakanten Lehrstuhl für Musikwissenschaft vertreten hatte16. So wurde Bern zum Wohnsitz von Veress in der zweiten Hälfte seines Lebens. Das Ballett wurde wieder aufgeführt am 25. Juni 1959 beim Maggio Musicale Fiorentino. Dirigent war Ferruccio Scaglia; die Katicza tanzte Carmen Panader. Für diese Aufführung änderte Milloss die Choreographie an einigen Stellen; so erweiterte er den Pas de deux (Nr. VI) zu einem Pas de six. Die nächste Aufführung fand am 19. November 1962 an der Staatsoper Wien statt. Dirigent war Ernst Märzendorfer, und die Katicza tanzte Traude Brexner. Veress war anwesend und schrieb: »Tanz und Bühnenbild (Pekáry) waren besonders gut, Orchester und Dirigent leider weniger«17. Im September 1996 folgte die CD-​Einspielung durch das Nordungarische Sinfonieorchester Miskolc unter János Mészaros18. In der Paul Sacher Stiftung in Basel liegt folgendes Material: 1. Die autographe Partitur (479 Seiten), Besetzung des Orchesters:  3 Flauti, 3° anche Flauto piccolo, 3 Oboi, 3° anche Corno inglese, 2 Clarinetti in Sib, Clarinetto basso in Sib, 2 Fagotti, Contrafagotto  –​6 Corni in Fa, Tromba piccola in Re, 3 Trombe in Do, 3 Tromboni, Tuba –​Timpani, Triangolo, Tamburo piccolo, Tamburo grande, Piatti, Gran Cassa –​Arpa –​ Archi. (Später kommt noch Silofono hinzu, dessen Klang den Beginn von Nr. XV charakterisiert.)

15 Der Prozess begann im September, am 22. September erfolgte das Todesurteil und am 5. Oktober die Hinrichtung, cf. Jörg K. Hoensch, Geschichte Ungarns 1867–​1983, Stuttgart (Kohlhammer) 1984, p. 193sq. 16 Thomas Schacher, 75 Jahre Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern 1921–​1996, Bern (Institut für Musikwissenschaft) 1996, p.  37. Zur Folgezeit: Doris Lanz, Ein gewundener Weg zur Passhöhe, in: Gerhard/​Lanz, Sándor Veress, Komponist –​Lehrer –​Forscher, pp. 241–​277. 17 Zitiert bei Demény, Veress Sándor –​ Életmű-​vázlat, p. 30. 18 Sándor Veress, Térszili Katicza (1942/43) – Sinfonia Minneapolitana (2. Sinfonie, 1952/53), Musikszene Schweiz, ed. Migros-Genossenschafts-Bund, Kultur und Soziales, CD 6130, Zürich 1996.

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Abbildung 4:  Beginn der autographen Partitur (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress).

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Die Partitur weist zahlreiche Kürzungen, teils durch Zusammenkleben von Blättern, auf. Dazu kommen viele Überklebungen. Die Problematik sei an nur zwei Beispielen angedeutet. Nr. I hatte zuerst 131 Takte. Veress strich T. 83–​ 131 aus und komponierte einen kürzeren Schluss (T. 83–​97). Dabei entspricht T. 84–​85 dem T. 83 des Klavierauszuges. Dann antwortet den Großterzrufen ais-​fis ein e-​c in den Timpani, und dieser Terzrufwechsel wird über bleibendem Klangfundament bis zum Schluss im Diminuendo weitergeführt. Nr. III hat 79 Takte und das folgende Bis 61 Takte (dabei entsprechen T. 52–​61 den T. 17–​24 des Klavierauszuges) und zudem die Überschrift Zsák-​csárdás. Es handelte sich also wohl um mehr als den bloßen Abgang der Figuren. Aus dieser Partitur kann ihrer Konstitution nach durchaus dirigiert worden sein. 2. Eine weitere Partitur ist aus Photographien aus dem Autograph und neu geschriebenen Blättern zusammengestellt und wiederum mit zahlreichen Kürzungen und Überklebungen versehen. Sie ist in neun Teile abgeteilt (1 Nr. I–​II, 2 Nr. III–​IV, 3 Nr. V–​VI, 4 Nr. VII–​IX ohne Trio, 5 Trio von Nr. IX und X, 6 Nr. XI–​XII, 7 Nr. XIII, 8 Nr. XIV–XVI bis T. 26, 9 Nr. XVI ab T. 27). Aus dieser Partitur kann keinesfalls dirigiert werden. Sie ist allein ein Dokument der vielfältigen Bearbeitungen des Werkes. Ohne Kenntnis der choreographischen Überlegungen werden sich die einzelnen Korrekturen wohl kaum schlüssig deuten lassen.

Abbildung 5:  Beginn des autographen Klavierauszuges (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Sándor Veress).

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3. Drei Klavierauszüge sind vorhanden. Der erste, vollständig autographe ist datiert: Rom, März 1942 –​Budapest, März 1943. Der zweite wurde von Mária Méhely, der Mutter des Komponisten, geschrieben. Der dritte ist anfangs autograph; bei Nr. VI beginnt die Handschrift der Mutter. Alle drei Klavierauszüge weisen zahlreiche Korrekturen auf. 4. Eine Mappe enthält –​nicht sehr viele –​Skizzen, von denen einige auch zu anderen Werken gehören könnten. Sie müssen noch identifiziert werden. 5. Vorhanden sind ferner Abzüge der gedruckten Streicherstimmen und Korrekturlisten, die noch zugeordnet werden müssen. Veress beachtete stets sehr genau, für wen oder für welchen Zweck er komponierte. So sind die weitgehend diatonische Melodik und geradtaktige Metrik der Ballettmusik weit entfernt vom Tonsatz des Zweiten Streichquartetts. Mittel der couleur locale sind die Hinweise auf den Palotás bei Nr. V und den Gyors-​csárdás bei Nr. VI, und zu Beginn der Scena al mattino (Nr. XIV) bildet Veress unverkennbar den Hahnenschrei ab. Zwei melodische Gestalten geben die Möglichkeit, den Rahmen von Térszili Katicza zu überschreiten. Das Inter­ mezzo (Nr. IV) wird von einer fallenden Melodie geprägt, die auf g ansetzt und die Intervallstruktur Halbton  –​Ganzton  –​Ganzton  –​Halbton  –​Ganzton  –​ Halbton hat. In der Pantomima (Nr. XI) erscheint sie auf h ansetzend und um einen Ganzton verkürzt als Konsequenz eines zum as aufsteigenden Gestus: Intermezzo, Nr. IV



Pantomima, Nr. XI



Diese Melodie erscheint schon in A Csodafurulya in dem auf den Feentanz folgenden Recitativo, zu dem im Partiturautograph vermerkt ist: »La seconda fata vuole sedurre il pastore –​La terza fata vuole sedurlo lo stesso –​Il pastore resiste alla seduzione. Le fate sono tristi.«19 Derselbe Gestus eröffnet auch 19 Gedruckte Partitur (Fassung für großes Orchester, Wien [Universal Edition] 1947), T. 320 und 325. Partiturautograph (Originalfassung für kleines Orchester, 1938) in der Paul Sacher Stiftung Basel, T. 317 und 322.

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die Heinz Holliger gewidmete Passacaglia concertante für Oboe und Streich­ orchester (1961)20. Etwas verändert erklingt er im Zentrum des Threnos in memoriam Béla Bartók (1945). In das weitere Umfeld der Wendung gehören Gestalten, bei denen der anfängliche Halbtonschritt umgekehrt ist, also steigend erklingt wie im ersten Satz des Streichtrios (1954) und im Mittelsatz des Klaviertrios (1963). Durch diese Stellen ist ein Ausdrucksfeld angedeutet, das die beiden Ballettszenen prägt. Die Scena tra Katicza e il Capitano (Nr. VII) eröffnet Veress mit einem zwölftönig-​zwölfstufigen Gestus:



Dieser Gestus taucht in der Pantomima (Nr. VIII) und der genannten Panto­ mima (Nr. XI) wieder auf. Er erlaubt eine doppelte Blickrichtung: Zum einen ist er einer der Ansatzpunkte für die Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik, die Veress nach dem Schritt ins Exil für zwingend erforderlich hielt. Zum anderen beginnt die Gestalt mit einer ›lydischen‹ Fünftongruppe, und man kann ihr durch Umstellung der Töne 9–​11 eine ›phrygische‹ Fünftongruppe gegenüberstellen. Dass dies keine Willkür ist, zeigt sich in T. 13–​25, in denen Veress den Tonsatz von T. 1–​12 vertikalsymmetrisch an der Achse a spiegelt. Nun beginnt der Gestus ›phrygisch‹, und man kann die entsprechende ›lydische‹ Gruppe bilden. Das Spiel mit dieser elementaren intervallischen Polarität ist bei Veress mehrfach zu beobachten, etwa im Finale der II. Partita (1936), das in die Sonata per orchestra (1953) einging. Térszili Katicza steht in einer Reihe mit Werken, mit denen Veress bewusst und verantwortungsvoll als ungarischer Komponist auftreten wollte, in gezielter Konsequenz seiner musikpädagogischen Arbeit, die von einer Gesellschaftsutopie getragen war21. Anfang 1940 vollendete er die Erste Sin­ fonie, die durch ein gravierendes Missverständnis zur Japanischen Sinfonie und damit genau der Absicht, mit der sie konzipiert war, entzogen wurde. 1943 folgte der Sancti Augustini Psalmus, der ein ›ungarischer Psalm‹ war, da Veress nicht den lateinischen Text, sondern die Übersetzung von Mihály

20 Sándor Veress, Passacaglia concertante per oboe e orchestra d’archi, Milano (Edizioni Suvini Zerboni) 1962: Erster Teil, T. 21–​23, cf. auch dritter Teil, T. 9. Andreas Traub, Die »Passacaglia concertante« von Sándor Veress, in: Die Musik­ forschung 37 (1984), pp. 122–​130. 21 Sándor Veress, Folk music in musical and general education, in: Andreas Traub (ed.), Sándor Veress, Aufsätze, Vorträge, Briefe, Hofheim (Wolke) 1998, pp. 35–​39.

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Babits zugrunde legte. Der Threnos in memoriam Béla Bartók von 1945 war die Klage um den hervorragenden ungarischen Komponisten überhaupt. Zugleich wandte sich Veress in den Cinque canti su testi di Attila József dem bedeutendsten Lyriker seiner Zeit zu. 1948 folgte das wohl heikelste Werk dieser Gruppe, die Respublica nyitány (Respublica Ouvertüre) zusammen mit einem unvollendet gebliebenen Chorwerk auf eine Dichtung von Petőfi, konzipiert für das Jahrhundert-​Gedenken an 184822. Durch die zentrale Fuge widerspricht das Werk aber der damals offiziellen Kunstdoktrin, und es schließt nicht triumphal, sondern leise und zögernd. Die Fuge knüpft übrigens deutlich an den Kopfsatz der Ersten Sinfonie an. So verschieden diese Werke in Konzeption und Ausarbeitung auch sind, sie bilden doch einen inneren Zusammenhang, vor dem man die Stationen des Lebensweges von Veress sehen muss: die Rückkehr nach Ungarn –​die Berufung zum Nachfolger von Kodály (1943)  –​der Eintritt in die KP und die kulturelle Aufbauarbeit nach dem Krieg –​der Aufenthalt in England (1947) –​der Gang ins Exil, dessen erster Schritt wiederum mit der Uraufführung von Térszili Katicza verknüpft ist.

22 Claudio Veress, Komponieren im Zeichen skeptischer Parteilichkeit, in:  Gerhard/​Lanz, Sándor Veress, Komponist –​Lehrer –​Forscher, pp. 36–​76, insbes. pp. 50–53.

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Resisting Through Music Theater at Ravensbrück: Germaine Tillion’s Le Verfügbar aux Enfers as a (Virtual) Musical Work1 From October 1943 to April 1945, French ethnologist Germaine Tillion (1907–​2008) was detained at Ravensbrück, a women’s concentration camp, with a group of fellow members of the French Résistance. There, she continued to engage in various forms of resistance, using her research skills to gather crucial information about the Nazi concentration camp system and helping her fellow inmates maintain morale not only by disseminating this information, but also by inventing and sharing jokes as often as she could, even in the hardest moments2. The play with music Le Verfügbar aux Enfers is without doubt the most intriguing product of Tillion’s efforts to resist dehumanization through knowledge and humor. Written in the fall of 1944, Le Verfügbar is  –​at least in part  –​a collective work:  Tillion penned it while hiding in a packing case with the complicity of fellow prisoners, who also contributed ideas for the songs. When Tillion was liberated by the Swedish Red Cross in April 1945, she managed to smuggle the manuscript out of the camp, along with a coded list of the camp officials’ names and photos of the horrible medical experiments the Nazis conducted at Ravensbrück on Eastern European inmates3. The work was then kept a

1 This article (a preliminary version of which was presented at the 2017 Annual Meeting of the American Musicological Society) stems from an interdisciplinary team research project I conducted at Université de Montréal from 2013 to 2018 with principal investigator Philippe Despoix (comparative literature). For further work by our team, cf. Marie-​Hélène Benoit-​Otis/​Philippe Despoix (edd.), Mémoire musicale et résistance. Autour du “Verfügbar aux Enfers” de Germaine Tillion, special issue of Revue musicale OICRM 3/​2 (2016); Philippe Despoix/​ Marie-​Hélène Benoit-​Otis/​Djemaa Maazouzi/​Cécile Quesney (edd.), Chanter, rire et résister à Ravensbrück. Autour de Germaine Tillion et du “Verfügbar aux Enfers”, Paris (Seuil) 2018. 2 Cf. for instance Julien Blanc, Humour et résistance chez Germaine Tillion. Rire de (presque) tout, in:  Despoix et  al., Chanter, rire et résister à Ravensbrück, pp. 37–​53. 3 Cf. Germaine Tillion, Ravensbrück, Paris (Seuil) 1988, p. 30sq.

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secret for decades, and was only published in 2005, over 60 years after its creation4. Le Verfügbar aux Enfers is a highly unusual piece, in several respects: written under inconceivably hard circumstances, it nevertheless describes life in the camp from a humorous perspective, thus helping the inmates resist despair by distancing themselves from their miserable life conditions. The genre coined by Tillion herself, “opérette-​revue” (operetta-​revue)5, reveals the work’s hybrid nature without entirely doing justice to its structure that combines spoken (prose) dialogue, versified monologues, and passages sung “to the tune of” well-​known songs of the period (especially the 1930s). Setting new, often parodic texts to preexistent melodies was a common creative strategy in the camps: the songs written by Aleksander Kulisiewicz (1918–​1982) in Sachsenhausen, for instance, are for a good part based on well-​known popular and folkloric tunes, as well as on military marches from the late 19th and early 20th centuries6. But beyond the immediate context of the camps, Le Verfügbar aux Enfers is also heir to a much older tradition. In a recent publication, Andrea Loselle suggested that Le Verfügbar (as well as Charlotte Salomon’s Leben? oder Theater? Ein Singespiel) can be seen as a modern version of the 18th-​century song play, a genre that included dialogues, dances and songs on pre-​existing melodies7. In this article, I would like to pursue this idea, but on the very cultural grounds that nourished Tillion’s and her fellow inmates’ musical and theatrical imagination:  the French popular stage. There, in the fairs and boulevard theaters of the 18th, 19th and early th 20  centuries, one finds several popular genres whose hybrid structure might have constituted a source of inspiration for Le Verfügbar. The earliest is the 4 Germaine Tillion, Le Verfügbar aux Enfers. Une opérette à Ravensbrück, facsimile and transcription with an introduction by Tzvetan Todorov and Claire Andrieu, Paris (La Martinière) 2005. On the long process that led to the work’s publication in 2005 and to its first performance in Paris in 2007, cf. Nelly Forget, Témoignage sur l’improbable parcours d’un manuscrit. “Le Verfügbar aux Enfers”, in: Despoix et al., Chanter, rire et résister à Ravensbrück, pp. 95–​106. 5 On the first page of the manuscript, the title Le Verfügbar aux Enfers is immediately followed by the words “opérette-​revue en 3 actes”; cf. Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, p. 11. 6 A selection of these songs was published by Barbara Milewski and Brett Werb in the CD (with accompanying leaflet) Aleksander Kulisiewicz, Ballads and Broadsides: Songs from Sachsenhausen Concentration Camp 1940–1945, United States Holocaust Memorial Museum USHMM 0004, Washington 2008. 7 Andrea Loselle, Performing in the Holocaust. From Camp Songs to the Song Plays of Germaine Tillion and Charlotte Salomon, in: The Space Between 6/​1 (2010), pp. 13–​38.

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vaudeville, a comic theatrical and musical genre in which timbres –​ or pre-​ existing melodies –​were sung to new, mostly parodic texts. As is the case in Le Verfügbar aux Enfers, the use of well-​known tunes in the vaudeville allowed to create an imaginary community by evoking a musical memory shared by all participants, actors/​singers and audience members alike8. The vaudeville gave rise to new, also hybrid popular genres. The most important for our purposes is the revue, which is explicitly included in the subtitle “operetta-​revue” chosen by Tillion. Very present on the French popular stage in the 19th and 20th centuries (and even still today), the revue is a theatrical genre that reflects on current social and political events through a series of sketches and songs sung to well-​known tunes ranging from popular songs to opera arias. Both the vaudeville and the revue include music without necessarily using a score; all musical interventions function according to the principles of oral tradition9, the melodies being identified in the text by mentions of the type “Air: Le Temps des cerises”10. Seen in this context, Le Verfügbar seems less unusual: rather, it appears as a new form of vaudeville or revue, two genres that Tillion probably encountered in her frequentation of Parisian theaters and of the well-​known cabaret Le Bœuf sur le toit11. Like a vaudeville or a revue, Le Verfügbar aux Enfers uses music in an inherently oral way: in the manuscript, that does not contain a single note of music, the songs are simply marked by a red vertical line in the margin. (The same visual indication is used for a declaimed passage that parodies La Fontaine’s fable “La mort et le bûcheron”12, but the

8 Cf. Herbert Schneider, Vaudeville, in: MGG Online, ed. Laurenz Lütteken, 2016, https://​www.mgg-​online.com/​mgg/​stable/​48276 (May 4, 2020); Barbara T. Cooper, Playing It Again. A Study of Vaudeville and the Aesthetics of Incorporation in Restoration France, in: Nineteenth-​Century Contexts: An Interdisciplinary Journal 13/​2 (1989), pp. 197–​210. 9 Cf. for instance Romain Piana, La revue de fin d’année. Journal-​vaudeville, in: Élisabeth Pillet/​Marie-​Ève Thérenty (edd.), Presse, chanson et culture orale au XIXe siècle. La parole vive au défi de l’ère médiatique, Paris (Nouveau monde éd.) 2012, pp. 273–​292. 10 This particular example stems from a revue presented in Lyon in 1907: cf. Paul Lacoste, Allons! Viens donc! au guignol du passage de l’Argue. Revue de fin d’année en 3 actes et 4 tableaux, Lyon (Imp. éd. Godemard) 1907, p. 7. 11 On Tillion’s cultural life in the pre-​war years, cf. Christophe Maudot, Les soirées d’une étudiante en ethnologie à Paris (1926–​1934) et l’opérette-​revue “Le Verfügbar aux Enfers” (Ravensbrück, octobre 1944), in: Les armes de l’esprit, Germaine Tillion 1939–​ 1954, Besançon (Musée de la Résistance et de la Déportation) 2015, pp. 79–​86. 12 Cf. Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, p. 144sqq.

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Prologue, that is also versified, does not bear any visual marking13.) For around half of the songs, the original melody is identified in a footnote stating, for example, “Air de Mon ange qui veillez sur moi” or “Air scout”14. In almost half of the cases, however, there is no such indication; and even when there is, the information provided in the footnote does not always suffice to single out the exact source of the melody (there being, for instance, far more than only one scout song in circulation in pre-​war France). In addition, sung passages in Le Verfügbar aux Enfers are mostly fragments that do not always correspond perfectly to their original source’s prosody, and the manuscript does not provide any details as to how the music relates to the text. In other words: the work relies entirely on the prisoners’ memory for its musical conception and realization. The 26  melodies Tillion and her companions recalled  –​more or less completely, and with various degrees of accuracy  –​thus form the core of a virtual ‘score’ that, in turn, can only be fully understood in relation to its original musical sources. These sources, that first had to be reconstructed, stem from an extremely diverse repertory, ranging from opera and operetta arias to popular ‘hits’, folklore, scout songs, radio advertisements, and even saucy songs that circulated both in brothels and at weddings15. In this article, I will explore a few musical passages of Le Verfügbar in relation with their original sources, in order to show how central music is in the conception and dramaturgy of Tillon’s operetta-​revue. I argue that in addition to being both a literary work and a historical source that provides crucial 13 Cf. ibid., p. 16sqq. The Prologue’s intertextual sources are not as clear as the aforementioned fable’s, but they are undoubtedly literary rather than musical. Cf. Ariane Santerre, L’intertextualité dans “Le Verfügbar aux Enfers” et d’autres témoignages concentrationnaires. Une comparaison entre les périodes d’incarcération et d’après-​guerre, in: Benoit-​Otis/​Despoix, Mémoire musicale et résistance, pp. 55–​77. 14 Cf. Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, p. 92sq. and pp. 132–​134, respectively. 15 The research team “Mémoire musicale et résistance dans les camps” I led with Philippe Despoix (cf. note 1) has produced a comprehensive list of the original musical sources of Le Verfügbar aux Enfers. Cf. Groupe de recherche “Mémoire musicale et résistance dans les camps”, Sources musicales et phonograhiques du “Verfügbar aux Enfers”, in: Despoix et al., Chanter, rire et résister à Ravensbrück, pp. 191–​238; a digital version of this data collection is available at https://​omekas.crialt-​intermedialite.org/​s/​memoire-​musicale-​resistance-​camps/​page/​accueil (April 5, 2021). Our team’s work completes the repertory of musical sources that accompanied the publication of Tillion’s operetta-​revue: cf. Nelly Forget, Références musicales, in: Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, pp. 220–​224 (for a more complete list, cf. the later paperback edition of Le Verfügbar: Nelly Forget, Références musicales, in: Germaine Tillion, Une opérette à Ravensbrück, Paris [Points] 2007, pp. 121–​127).

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‘insider’ information about daily life at Ravensbrück (two aspects that have been clearly highlighted in previous research16), Le Verfügbar aux Enfers can also be viewed as a full-​fledged musical work –​or, at least, as a virtual one. My argument unfolds in two parts: first, I will show that music (and more specifically musical memory) is crucial to the work’s peculiar humor, and thus to its function as a work of resistance. Second, I will demonstrate that even in the absence of an actual score, musical form does exist in Le Verfügbar aux Enfers, and can be analyzed through the prosody of the lyrics written by Tillion and her fellow inmates to the music of well-​known songs and arias.

Music, humor, and resistance in Le Verfügbar aux Enfers The humor of Le Verfügbar aux Enfers relies on two distinct strategies of distanciation: one is literary, the other musical. The first strategy pertains to the narrative mode chosen by Tillion. In the operetta-​revue, a male speaker describes, as if presenting a very formal conference paper, a newly discovered ‘animal’ called Verfügbar. In the concentration camp jargon, the word Verfügbar (German for “available”) was used to designate an inmate who was not working in a specific commando; Verfügbar inmates could thus be assigned any task, especially the hardest. Tillion and her group of French Résistantes made every effort to remain in the Verfügbar category: that way, they could avoid contributing to German industry, as would happen in most commandos (some of which even had to build weapons for the Wehrmacht). In Le Verfügbar aux Enfers, the speaker, who presents himself as a “naturaliste” (biologist), describes how a Verfügbar is ‘born’ in detention, and how the ‘animal’ evolves in its natural habitat, the concentration camp. Through this pseudo-​scientific discourse, Tillion manages to describe her

16 Cf. for instance Donald Reid, Germaine Tillion, Lucie Aubrac, and the Politics of Memories of the French Resistance, Newcastle/​UK (Cambridge Scholars Pub.) 2007; Claire Audhuy, Le théâtre dans les camps nazis. Réalités, enjeux et postérité, Ph.D. Diss., Université de Strasbourg, 2013; Sylvie Brodziak, Rires de femmes à Ravensbrück. “Le Verfügbar aux Enfers” de Germaine Tillion, in: Violaine Houdat-​ Merot (ed.), Rires en francophonie, Amiens (Encrage Université) 2013, pp. 135–​154; Claire Andrieu, “Le Verfügbar aux Enfers”. Une lecture historique, in: Les armes de l’esprit, pp. 71–​77; Ana Brinca, Reading Germaine Tillion’s Operetta “Le Verfügbar aux Enfers” as a Testimony of Women’s Differential Experience in Ravensbrück, in: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music 48/​1 (2017), pp. 101–​131; Mechthild Gilzmer, “Lachen trotz Tod und Teufel” mit einer Operette im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, in: Katharina Meiser/Sikander Singh (edd.), Narren, Clowns, Spaßmacher. Studien zu einer Sozialfigur zwischen Mittelalter und Gegenwart, Hannover (Wehrhahn Verlag) 2020, pp. 243–252.

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fellow inmates’ and her own terrible existence in a distanciated manner, producing comic effects verging on the absurd. The second humor strategy in Le Verfügbar aux Enfers –​and, for the purposes of this article, the most important –​relies on music. All pre-​existing melodies used in Tillion’s operetta-​revue are parodied, and their texts distorted to become ironic descriptions of everyday life at Ravensbrück. This, of course, happens mostly though the modification of lyrics; but the very fact that Tillion and her fellow inmates chose to include songs in their work (instead of writing an entirely spoken play) points to specifically musical motivations. The vast majority of the melodies included in Le Verfügbar are ‘hits’ that remain in the listener’s memory for a long time, even when heard only once or twice (and for the most part, they were heard very often in the pre-​war years, notably on the newly popularized radio). Experiments in music psychology have shown that a melody helps remember the text to which it is sung, especially when repeated (as is the refrain of a song)17. In Le Verfügbar aux Enfers, music thus plays the role of a memory marker; so much so, in fact, that one might wonder if Tillion and her fellow inmates would have remembered the texts they chose to parody, had they not been songs18. The same applies to the new texts invented for Le Verfügbar:  singing them to well-​known tunes with ‘earworm’ qualities was –​and still is –​a very effective strategy to better remember them19. The discrepancies between an original piece of music and its parody are particularly striking when the source is a sentimental popular song –​a repertory that is substantially represented in Le Verfügbar aux Enfers20. In Act II, for instance, the Verfügbar characters describe their hard work maintaining the camp’s roads in a series of three ‘road songs’ sung at the request of the ‘naturaliste’. The last of these songs is based on a tango by Henry Himmel, 17 Cf. for instance Wanda T.  Wallace, Memory for Music. Effect of Melody on Recall of Text, in: Journal of Experimental Psychology. Learning, Memory, and Cognition 20/​6 (1994), pp. 1471–​1485. 18 The inclusion in Act II of a parody of La Fontaine’s fable “La mort et le bûcheron” only apparently contradicts this hypothesis: in this case, the poetic meter replaces the melody as a memory marker. 19 Cf. Kay Kaufman Shelemay, Musique et mémoire, in: Jean-​Jacques Nattiez (ed.), Musiques. Une encyclopédie pour le XXIe siècle, vol. 3: Musiques et cultures, Arles/​Paris (Actes Sud/​Cité de la musique) 2005, p. 316. 20 8 of the 26 musical passages in Le Verfügbar are parodies of popular songs (performed at the time by singers such as Tino Rossi, Lys Gauty, and Edith Piaf); 8 more are based on traditional and/​or folkloric songs such as “Au clair de la lune”; cf. Sources musicales et phonograhiques du “Verfügbar aux Enfers”, pp. 191–​238.

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popularized in the 1930s by Tino Rossi in a French version entitled “Il pleut sur la route” (“It’s raining on the road”). The lyrics describe how the narrator waits in vain for his beloved on a rainy night: Il pleut sur la route Le cœur en déroute Dans la nuit j’écoute Le bruit de tes pas Mais rien ne résonne Et mon corps frissonne L’espoir s’envole déjà Ne viendrais-​tu pas?21

In Le Verfügbar aux Enfers, this highly sentimental text is altered to describe the characters’ longing for the end of a 12-​hour work shift. This eagerly awaited moment is designated by the neologism “schlousser”, an invented French verb built on the German substantive “Schluss” (i.e. “end”, in this case of the inmates’ work day). Tillion’s version of “Il pleut sur la route” is thus based on a radical semantic shift, a love song being transformed into an ironic description of Ravensbrück’s terrible everyday life through the use of the camp’s peculiar jargon: Il pleut sur la route À travers les gouttes, Dans la nuit j’écoute Si ça ne schlousse pas. Mais rien ne résonne, Et mon cœur frissonne. À chaque bruit mon cœur bat : Ça ne schloussera donc pas!22

Another example of comic effect obtained through the distortion of a well-​ known song can be found later in Act II. After their three “road songs”, the Verfügbar begin collectively fantasizing on food –​an ever-​present preoccupation in a concentration camp. They then come back to the sad reality of the camp, in which most of their daily diet consists of a meagre turnip soup. This gives way to a highly ironic song that describes the camp’s ever-​present

21 “It’s raining on the road | The heart failed | At night I listen | For the sound of your footsteps | But nothing resonates | And my body shivers | Hope is already flying away | Wouldn’t you come?” Robert Chamfleury (French lyrics) and Henry Himmel (music), Il pleut sur la route (Auch in trüben Tagen), Paris (Éditions H. Benjamin) 1935. 22 “It’s raining on the road | Between the drops | At night I listen | If it doesn’t schluss. | But nothing resonates | And my heart shivers. | At every noise, my heart beats: | Will it never schluss?”. Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, p. 140sq.

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turnip soup using the melody of a radio advertisement that praised a coffee ersatz popular in the 1930s, the “chicorée Williot”: Ça vient d’la cuisine C’est quelque chose que vous aimez C’est embaumé, c’est parfumé Ça flatt’ les narines Et chaque fois qu’vous en buvez Vous déclarez : Quell’ qualité! Et la bonn’ combine C’est pas d’manquer d’en ajouter dans vot’ café Pour vot’ santé Cette chose super fine Je l’dis bien haut c’est de la chicorée Williot, Williot!23

In this case, too, Tillion took the original lyrics as a starting point, giving them an ironic turn by praising the repugnant turnip (“rutabaga”) as “a super refined thing” (“cette chose super fine”) whose name is repeated four times, like a leitmotiv: Ça vient d’la cuisine C’est quelque chose qu’on fait cuire pour not’ repas, Rutabaga! On gonfle ses narines Il n’y a pas d’doute ça en est ou ça en s’ra Rutabaga! Et la bonn’ combine Vous aurez plein vot’ Schüssel pour vot’ repas Rutabaga! Cette chose super fine J’le dis tout bas ça sera du rutabaga!24

These two very different examples show how, at the level of the individual song, the humor of Le Verfügbar aux Enfers rests on the dissonance between the original sources and Tillion’s distorted versions, well-​known melodies functioning as memory markers that evoke life before (or outside) the camp.

23 “It’s coming from the kitchen | It’s something you like | It’s fragrant, it’s perfumed | It flatters the nostrils | And every time you drink it | You exclaim: What a quality! | And the good trick | Is not to forget to add it to your coffee | For your health | This super refined thing | I say it out loud: it’s the chicorée Williot, Williot!” Jack Auldebine, Ça vient de la cuisine!, one step chanté, Chicorée Williot, [s.l.] [s.a.]. 24 “It’s coming from the kitchen | It’s something that’s being cooked for our meal | Turnip! | We take a deep breath | No doubt, that’s what it is, or will be | Turnip! | And the good trick | Is that we’ll have a full Schüssel [bowl] of it for our meal | Turnip! | This super refined thing | I say it under my breath it will be turnip!”. Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, pp. 162–​165.

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But this kind of humor is not limited to parodies of well-​known songs: music itself is also caricatured in Le Verfügbar aux Enfers. The most obvious instance of this is the reference to Offenbach’s Orphée aux Enfers in the title of Tillion’s work. Interestingly, Offenbach’s operetta is never directly quoted in Le Verfügbar, but its model is never far, starting with the very genre –​operetta-​revue –​Tillion coined for the piece. Just like Orphée aux Enfers is a free parody of Gluck’s Orphée et Eurydice, Le Verfügbar aux Enfers can be seen as an even freer parody of Orphée aux Enfers, or, maybe more accurately, as the pastiche of a parody. Several elements of Orphée aux Enfers are indirectly evoked in Le Verfügbar aux Enfers. In Act I, the Verfügbar characters chant “nous sabotons” (“we sabotage”) to a rhythm designated in the stage directions as “air des lampions”25 (that is, a “long-​brief-​brief-​long” scansion) –​the same rhythm the gods use in Act II of Orphée aux Enfers when they rebel against Jupiter’s authority chanting “plus de nectar!” (“no more nectar!”)26. At the end of Act III, the choir of the Verfügbar sings a distorted version of a well-​known saucy song, while ballet dancers execute a “French can-​can” that might constitute an implicit reference to the famous can-​can (“Galop infernal”) Offenbach composed for Orphée aux Enfers27. The connection becomes even more compelling when one considers the fact that in Tillion’s operetta-​revue, this can-​can is immediately preceded by a full-​fledged parody of Gluck’s “J’ai perdu mon Eurydice” –​an aria that is also famously pastiched in Offenbach’s Orphée aux Enfers. The parody of “J’ai perdu mon Eurydice” that appears in Le Verfügbar aux Enfers is particularly revealing. In this song, the narrator deplores the loss, not of a loved one, but of an Innendienst (literally: “interior service”), a sick note that allowed its bearer to be freed from the obligation to work outside the block. Here, too, the semantic shift is radical: the beloved Eurydice is replaced by a simple piece of paper –​a crucial one, of course, that could make the difference between life and death in the difficult context of the camps, but still a piece of paper. The comic effect of this song –​which would otherwise be quite tragic –​relies not only on this important transformation of the text, but also on the fact that through the use of “J’ai perdu mon Eurydice”, Tillion parodies an entire repertory (otherwise completely absent from Le Verfügbar aux Enfers):  serious 18th-​century opera. By using such

5 Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, p. 46sq. 2 26 Cf. Sources musicales et phonograhiques du “Verfügbar aux Enfers”, p. 200sq. 27 Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, p. 200sq.; Sources musicales et phonograhiques du “Verfügbar aux Enfers”, p. 234.

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‘high-​brow’ music to evoke a simple piece of paper, Tillion distorted not only a specific aria, but also an entire genre; here, the comic clash takes place not only between the original lyrics and their modified version, but also between the new lyrics and the music itself.

Prosody as a marker of musical form Tillion’s parody of “J’ai perdu mon Eurydice” also neatly illustrates my second point: despite the absence of musical notation in the manuscript of Le Verfügbar aux Enfers, the work does possess its own musical form, distinct from that of the songs on which it is based. This new form can be deducted by analyzing the prosody of Tillion’s texts: through a careful comparison with the poetic meter of the original sources’ lyrics, it becomes possible to determine the melodic contour, and hence the general musical form of every sung piece in the operetta-​revue. In contrast to many other concentration camps where music was present in the inmates’ daily life28, there was no orchestra at Ravensbrück (let alone scores, records, or a radio), and musical practice in the camp was strictly controlled: in principle, only the German songs imposed by the guards were authorized29. Tillion and her fellow inmates thus relied exclusively on their memory to reconstruct the text and melody of the songs used in the operetta-​ revue. As can be expected in such a situation, most of the songs were remembered incompletely and/​or imperfectly. Very often, only the refrain of a song appears in Le Verfügbar aux Enfers30  –​sometimes even in a fragmentary form, as is for example the case of the aforementioned tango “Il pleut sur la route”31. Overall, over a third of the sung passages in Le Verfügbar are

28 Cf. Jean-​Jacques Van Vlasselaer, La musique dans les camps de concentration nazis, in: Jean-​Jacques Nattiez (ed.), Musiques. Une encyclopédie pour le XXIe siècle, vol. 1: Musiques du XXe siècle, Arles/​Paris (Actes Sud/​Cité de la musique) 2003, pp. 195–​212. 29 Cf. Gabriele Knapp, Frauenstimmen. Musikerinnen erinnern an Ravensbrück, Berlin (Metropol) 2003, in particular pp. 30–​38. 30 It is for example the case of the Act I songs “Mon papa est venu me chercher”, based on the refrain of the fox-​trot Mes parents sont venus me chercher (1922), and “Blokova qui veillez sur nous”, which distorts two instances of the (varying) refrain of the slow-​fox Mon ange (1939). For further details, cf. Sources musicales et phonograhiques du “Verfügbar aux Enfers”, especially pp. 195sq. and 209sq. 31 In Tillion’s version of “Il pleut sur la route”, the last stanza of the original refrain is omitted. Further examples of partial refrains in Le Verfügbar aux Enfers include the Act I song “Nous ne sommes pas ce que l’on pense”, that uses only the first four lines of the refrain of the aria “Je ne suis pas ce que l’on pense” from Oscar Straus’ operetta Trois valses (1937), as well as the two truncated refrains that conclude the

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fragments; and even when an entire song seems to be present, imperfections in the inmate’s musical memory often produce new, unexpected musical forms. “J’ai perdu mon Inedienst”32 is an example of this. At first glance, Tillion’s parody of “J’ai perdu mon Eurydice” seems to be complete:  it comprises three full-​fledged stanzas, the first and last of which take up the famous refrain of Gluck’s aria –​thus producing a classic ABA form. [A] J’ai perdu mon Inedienst, Rien n’égale mon malheur, Sort cruel, quel supplice, Rien n’égale mon malheur. [B] Inedienst! Inedienst! Mortel silence, Vaine esp[é]rance! Quelle souffrance Torture mon cœur. [A]‌ J’ai perdu mon Inedienst, Rien n’égale mon malheur. Sort cruel, quel supplice! Je succombe à ma douleur À ma douleur, à ma douleur…33

The parallel between the original aria and its distorted version would be perfect, were it not for the fact that Gluck’s “J’ai perdu mon Eurydice” is not built on an ABA form: rather, it is a rondo that comprises not one, but two contrasting sections (ABACA). In Tillion’s version, Gluck’s B section (“Eurydice! Eurydice! Réponds! Quel supplice!” etc.) is entirely omitted, along with one of the repetitions of the A section34. This omission becomes apparent through an analysis of the poetic meter in Tillion’s text; here, the words’ rhythm provides the key to a new, considerably simplified musical form.

musical interventions of Act III: Vive les étudiants, ma mère (an undated saucy song) and La marche des cambrioleurs (a song from 1898). On these songs, cf. Sources musicales et phonograhiques du “Verfügbar aux Enfers”, especially pp. 213sq. and 239sqq. 32 In Le Verfügbar aux Enfers, the word “Innendienst” is consistently spelled “Inedienst”. 33 “I lost my Innendienst | Nothing equals my sorrow. | Cruel fate, what a torture, | Nothing equals my sorrow. | Innendienst! Innendienst! | Mortal silence | Vain hope! | What a suffering | Tortures my heart. | I lost my Innendienst | Nothing equals my sorrow. | Cruel fate, what a torture! | I succumb to my pain | To my pain, to my pain…” Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, pp. 192–​195. 34 For a visual representation of this, cf. Sources musicales et phonograhiques du “Verfügbar aux Enfers”, p. 237.

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Another –​even more striking –​example of this kind of formal transformation appears in Act II. There, an exceptionally long song (six stanzas encompassing four pages of Tillion’s manuscript35) parodies a duet from Reynaldo Hahn’s 1923 operetta Ciboulette, entitled “Nous avons fait un beau voyage” (“We had a nice trip”). In the original duet, the main character Ciboulette and her friend Duparquet travel from Paris to the countryside, encountering fabulous things and people they describe in a variety of metaphors. In Le Verfügbar, this duet serves as a pretext for a long imaginary trip through all regions of France, during which the Verfügbar characters describe in great detail the culinary specialties that can be enjoyed in every region. The result is an extraordinary collective fantasy dictated by the prisoners’ obsession for food, as well of course as by an intense nostalgia for their lost motherland. Combined, these two motivations  –​patriotism and hunger  –​were so powerful that Tillion’s and her fellow inmates’ culinary imagination literally burst the form of Hahn’s duet. The new form of “Nous avons fait un beau voyage” (as it appears in Le Verfügbar aux Enfers) can only be reconstructed through a detailed study of the modified text’s prosody –​for in Ciboulette, the structure of “Nous avons fait un beau voyage” has little to do with the strophic form suggested by Tillion’s six numbered stanzas. Hahn’s original duet is an enlarged ternary form that can be summarized by the schema ABC ABC A  + coda:  the same music (in three sections) is repeated twice (with different words), followed by a repetition of the initial section (A) concluded by a coda. This relatively complex form is built on a tonal structure that, compared to most other musical sources of Le Verfügbar aux Enfers, seems exceptionally elaborate:  A begins in B-​ flat major and moves to the dominant, F major; B returns to the main key and modulates first to D minor, then to C  minor; C starts in C minor with a motive that recalls the opening of A, and then modulates back to B-​flat major; and finally, the coda confirms the tonic. For an amateur musician relying exclusively on her memory, rendering the entire duet is an impossible challenge, both due to the complexity of the musical form and to modulations that are far from easy to negotiate a cappella (even for a trained musician, which Tillion and her fellow inmates were not). It thus does not come as a surprise that of all musical passages in Le Verfügbar aux Enfers, “Nous avons fait un beau voyage” is by far the one that

35 Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, pp. 154–​161. (In the 2005 edition of Le Verfügbar aux Enfers, the odd pages show facsimiles of Tillion’s manuscript, while the even pages are transcriptions; this is why the present reference encompasses eight pages for four pages of manuscript.)

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differs the most from its original source. A prosodic analysis of the six strophes that constitute the new song shows that Tillion and her fellow inmates remembered Hahn’s music in a very fragmentary way: they retained only the A section (that starts in B-​flat major and concludes in F major), as well as the beginning of B (stopping after the modulation to D minor). In Tillion’s text, nothing corresponds to the end of Hahn’s B section, nor to C. This sequence –​a complete A  followed by a truncated B  –​is exemplified here with the first strophe of Tillion’s text, compared to the first ABC sequence in the original libretto by Robert de Flers and Francis de Croisset: “Nous avons fait un beau voyage” (Hahn, Ciboulette)

“Nous avons fait un beau voyage” (Tillion, Le Verfügbar aux Enfers)

[A]‌Nous avons fait un beau voyage! Nous arrêtant à tous les pas Buvant du cidre à chaqu’ village… Cueillant dans les clos des lilas

Nous avons fait un beau voyage, Dédaignant autos et wagons, Un tuyau comme tout bagage, Toujours vers l’ouest, nous voguons…

[B]‌Nous avons rencontré Des dindons emphatiques Des lapins prolifiques Des chapons vieux garçons Nous avons rencontré Des oies très distinguées Des poules intriguées Et des chœurs de pinsons!! Nous avons rencontré Monsieur l’maire et l’curé La mercièr’ et son frèr’ Le r’ceveur et sa sœur

Nous avons dégusté Du beurre et du pâté, D’la crème en Normandie, Et du fromage en Brie… À Riec, savourons Coquilles et belons, Bénissant Mélanie Et sa tabl’ bien garnie…37

[C]‌Nous avons fait un beau voyage! C’est le premier jour du printemps Les oiseaux se mett’nt en ménage Chacun voudrait en faire autant36

36 “We had a nice trip, | Stopping at every step | Drinking cider in every village… | Picking lilac in the fields. | We met | Emphatic turkeys | Prolific rabbits | Old bachelor capons | We met | Very distinguished geese | Intrigued hens | And choirs of finches!! | We met | The mayor and the priest | The haberdasher and her brother | The collector and his sister | We had a nice trip! | It’s the first day of spring | The birds are moving in together | Everyone would like to do the same!” Robert de Flers and Francis de Croisset (libretto), Reynaldo Hahn (music), “Nous avons fait un beau voyage”, duet from Ciboulette, Paris (Salabert) 1923. 37 “We had a nice trip, | Disdaining cars and waggons | A pipe being our only luggage, | Always westbound, | we navigate… | We have tasted | Butter and pâté |

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In this strophe –​as in the five that follow –​, Tillion’s text closely matches Hahn’s A  section and the first 16 measures of his B section, the prosody fitting the melodic line perfectly. In fact, the new text as it appears in Le Verfügbar remains so close to its model that it is impossible not to identify the music that underlies it  –​and with it the new strophic form of “Nous avons fait un beau voyage”, in which the ‘A + partial B’ structure described here occurs six times, making the transformed song significantly longer than the original duet. This massive transformation of Hahn’s musical form can be explained by several factors: the imperfect musical memory of a group of non-​musicians deprived of any access to scores or recordings is of course an important one, as is –​as we have seen –​their unleashed culinary imagination. Tillion’s formal alterations to “Nous avons fait un beau voyage” also make the song particularly difficult to perform:  in her artificially created strophic form, each stanza ends in suspension on a highly inconclusive D minor harmony, making the return to B-​flat major for the beginning of the next strophe (or the end of the song) very uneasy38. But in the context in which Le Verfügbar aux Enfers was written, this difficulty did not matter: far from planning a performance (let  alone a public one), Tillion and her fellow inmates were creating an inherently virtual musical work that allowed them to nurture shared musical memories not through actual sonic rendition, but thanks to their joined imagination.

Conclusion As virtual as it is, music remains an essential component of Le Verfügbar aux Enfers. The text’s impact as a work of resistance rests on the extraordinarily vivid –​albeit imperfect –​musical memory that lies at the heart of its structure and humor. In Le Verfügbar, Tillion did not only parody the lyrics of well-​known songs to obtain specific comic effects: she also used music itself,

Cream in Normandie | Cheese in Brie… | In Riec, let’s enjoy | Shells and seafood | Blessing Mélanie | And her well-​served table…” Tillion, Le Verfügbar aux Enfers, p. 154sq. 38 Several solutions to this problem have been offered in the various performances of Tillion’s operetta-​revue that took place since 2007 (on these performances, cf. Cécile Quesney, Mettre en scène “Le Verfügbar aux Enfers” (2007–​2017), in: Despoix et al., Chanter, rire et résister à Ravensbrück, pp. 157–​173). For an analysis of the first staged version (as adapted by composer Christophe Maudot) and an alternative solution, cf. Christophe Gauthier, Reconstruire les numéros chantés du “Verfügbar aux Enfers”. Le cas de l’air de Rosine, in: Benoit-​Otis/​ Despoix, Mémoire musicale et résistance, pp. 99–​116.

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both as sonic phenomenon and as genre, to reflect ironically on her and her fellow inmates’ desperate situation at Ravensbrück. Analyzing the music of Le Verfügbar aux Enfers requires specific tools very similar to the methods currently developed by scholars studying scoreless music genres from the 19th and 20th centuries, such as the vaudeville and the revue39. Through a reconstruction of the original musical sources of Tillion’s operetta-​revue and an analysis of how these sources were adapted to create new musical forms, it becomes possible to see Le Verfügbar as a kind of music theater in which sound underlies the entire work in a virtual form, playing a role all the more central as it always remains elusive.

39 Until recently, these genres had been studied almost exclusively from a theatrical perspective. On the specifically musical reconstitution of a Second Empire revue, see Richard Sherr, Comets, “Calembours”, Chorus Girls. The Music of the revue de fin d’année for the Year 1858 at the Théâtre des Variétés: A Preliminary Evaluation, in: Michela Niccolai/​Clair Rowden (edd.), Musical Theatre in Europe 1830–​1945, Turnhout (Brepols) 2017, pp. 23–​48.

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«L’urgenza corale» di Ildebrando Pizzetti Nella sua messa a fuoco della maturità raggiunta da Pizzetti con Dèbora e Jaéle, indicando i referenti della sua concezione estetica (canto gregoriano, madrigalismo di Gesualdo, Monteverdi e Frescobaldi, vocalismo di Bellini, drammatismo di Verdi, i modelli di Wagner, Musorgskij, Debussy del Pelléas et Mélisande, ecc.), Gavazzeni, precisando che «non si parla di influenze, ma di conoscenze», ha indicato come al centro di tali «commistioni» si ponga «l’urgenza corale: che è urgenza di sentimento poetico e di linguaggio musicale insieme»1. Ciò precorreva in parte il concetto di «neomadrigalismo», che in un noto articolo del 1957, sarebbe stato coniato da Massimo Mila, assicurando una nozione radicatasi stabilmente nel delineamento della storia della musica italiana del Novecento2, al cui centro era riconosciuta la posizione del compositore parmense. In verità, tale nozione in certo qual modo era stata anticipata qualche anno prima (e proprio nel capitolo «I cori di Pizzetti») da Brunello Rondi: Come mai la musica contemporanea ha ritrovato il gusto, il bisogno dei cori? Anzitutto perché la musica contemporanea ha avuto un ritorno alla polifonia, al contrappunto. E perché questo ritorno al contrappunto? La musica contemporanea è disintegrazione dello spirito romantico, è analisi d’un’immensa crisi: il contrappunto, che permette di separare gli impulsi, di serrare dei contrasti e far massa anche unicamente di contraddizioni, sembrò l’ideale mezzo per questa analisi. […] Nasceva così, nell’impeto di questa nuova polifonia vocale, un nuovo barocco.3

1 Gianandrea Gavazzeni, La musica e il teatro, Pisa (Nistri-​Lischi) 1954, p. 90. 2 «Il madrigalismo drammatico è il filone aureo della nuova musica italiana. Le singole affermazioni che sulle prime parevano casi isolati e eccezionali, si appoggiano ormai le une sulle altre, si convalidano a vicenda e costituiscono una fisionomia originale del nostro costume musicale moderno» (Massimo Mila, Cronache musicali 1955–​1959, Torino [Einaudi] 1959, p. 222). 3 Brunello Rondi, La musica contemporanea, Roma (Edizioni dell’Ateneo) 1952, p. 80. Il concetto era nell’aria al punto che lo stesso Gavazzeni l’aveva prefigurato anni prima: «In tutto il dilagare corale della musica italiana di oggi c’è un presupposto che riguarda l’autore della Messa di Requiem e delle Due canzoni corali. Per l’umanesimo della polifonia, sì, ma anche per i soggetti poetici portati alla luce nel musicare le parole dei testi […] Persino certa coralità di Pizzetti e di Dallapiccola viene di lì. La trenodia caselliana della Donna serpente non denuncia altra origine» (Gianandrea Gavazzeni [ed.], Ildebrando Pizzetti, «L’oro»: guida all’opera con due saggi critici, Milano [Istituto d’Alta Cultura] 1946, p. 22sq.). Comunque tale aspetto era in un certo senso stato registrato già alla fine degli anni Venti: «La composizione corale, trascurata per circa due secoli, sta riacquistando il favore

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E sulla stessa base, nonché stimolati da Gavazzeni, saremmo indotti a dar credito a Fedele D’Amico che già in un suo articolo del 1940 aveva focalizzato l’attenzione sulle sue estrinsecazioni corali, stabilendo un rapporto di equivalenza tra Pizzetti e coro, simile ai binomi Chopin e pianoforte, e Ravel e orchestra4: «Se ne hanno le prove ogni volta: nelle tante composizioni a sole voci, in quelle per coro e orchestra, nelle occasioni operistiche»5. Sotto la guida di Giovanni Tebaldini il giovane Pizzetti non fu semplicemente avvicinato a Palestrina, Lasso, Victoria, Monteverdi, assimilati in un quadro di esercitazioni didattiche, ma ne derivò una concezione della musica identificata nella vocalità secondo un principio che l’avrebbe indotto a generalizzare ciò che avrebbe riscontrato nella melodia belliniana: Vocalità, canto, è, insomma, una qualità tutta interiore dell’espressione musicale: è emozione, umanità e dunque, implicitamente, essenzialità... la bellezza del canto puro, del canto veramente vocale è nello spirito e nel perché della cosa, ed è una bellezza che si sente.6

Da ciò si può capire come il primato della vocalità, che portò il compositore a distinguersi dai colleghi della ‹generazione dell’Ottanta› che modellavano

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dei compositori. Fenomeno di grandissima importanza, dal quale si ha diritto di trarre i più lieti presagi per l’avvenire […] La via è tracciata, le prime e più gravi difficoltà son già superate ed una coralità nuova, veramente novecentesca, e non per ciò dimentica del passato lontano, esiste e germoglia e freme ansiosa, scuote acque stagnanti, affiora, fiorisce» (Ettore Desderi, La musica contemporanea, Torino [Fratelli Bocca Editori] 1930, pp. 79, 99). Fedele D’Amico, Nota sulla lirica di Pizzetti, in: La Rassegna Musicale 13/​9–​10 (settembre/​ottobre 1940), pp. 382–​385. In tempi successivi egli avrebbe ribadito il concetto in modo più articolato: «Il canto di Pizzetti, in realtà, non veniva dall’ope­ra, veniva dall’Italia, ma da un’Italia antica, dall’Italia polifonica. Lui aveva un naturale sentimento della polifonia, della polifonia di Palestrina, di Monteverdi. E allora che cosa fa la polifonia –​la polifonia in senso italiano, non nel senso di Bach: sono tutti frammenti di melodia, pieni di fascino, che sono legati a una parola, a due parole, e compongono tutte queste interiezioni fino a creare un divenire melodico più ampio. La radice è qui, e infatti il terreno assolutamente nativo di Pizzetti era quello della polifonia vocale. Non che Pizzetti abbia scritto per tutta la vita polifonia vocale, ma ha scritto un numero di pezzi per coro a cappella relativamente brevi, che sono fondamentali, parla la sua lingua, è lui, e come Chopin suonava il pianoforte, Pizzetti ‹suonava› il coro a cappella» (Fedele D’Amico, Commemorazione di Ildebrando Pizzetti, in: Gian Paolo Minardi [ed.], Pizzetti oggi. Atti del convegno, Parma 21–​22 dicembre 2002, Parma [Contrappunti, Teatro Regio] 2006, p. 11). Gianandrea Gavazzeni, Pizzetti, dopo la morte, in: Nuova Rivista Musicale Italiana 2/​4 (luglio/​agosto 1968), p. 708. Ildebrando Pizzetti, Intermezzi critici, Firenze (Vallecchi) 1921, p. 63sq.

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il loro linguaggio su base strumentale, non coincidesse più col senso con cui tale primato si era imposto nella tradizione melodrammatica. A  quest’ultima, che praticava l’espressione vocale come manifestazione humana, era estranea la dimensione mundana che la polifonia vocale della tradizione rinascimentale trasmetteva, come metafora di un ordine cosmico dettato al di là di ciò che è possibile controllare attraverso l’esperienza. Il canto in Pizzetti sviluppa sempre questa valenza mistica che lo pone fuori delle coordinate del tempo e dei sentimenti. Non si tratta infatti di misurare il valore della sua musica in base al ricalco del modello antico, bensì di stabilire come elementi di scrittura antica si siano coagulati in una forma espressiva significativa e coerente. Il primo assaggio è rappresentato dalle musiche di scena per La nave di D’Annunzio (1905–​1907), tragedia marinara di remota cristianità in cui il canto piano, chiamato in causa per ragioni di verosimiglianza storica, è all’ori­gine di soluzioni stilistiche di nuovo conio, palesemente infedeli e purtuttavia in grado di riprodurre la tensione ascetica del mitico canto dei seguaci di Cristo. Benché risolta in modo schematico non conoscendo adeguata traslitterazione dalla scrittura neumatica (Pizzetti alterna con una certa rigidità la proporzione ternaria e quella binaria), la dimensione melismatica delle parti vocali nell’essenzialità di rapporti che evitano pesantezze di raddoppi e paludamenti innalza l’ascolto ad arresa spiritualità. Motivo di riflessione semmai dovrebbe essere la rinuncia alla pura monodia nel quadro delle giustificazioni direttamente fornite dal compositore: Io dunque ho composto le melodie de la Nave nei modi dimenticati della musica liturgica primitiva, che è quanto dire nei modi della musica greco-​latina. E ho scelto per ogni caso il modo in che comporre la melodia, che avesse l’ethos più rispondente al significato, all’espressione del testo poetico.7

La difficoltà di accedere a un’arcaica melopea, che rimaneva un’ipotesi, era aggravata dal fatto di snaturarla nei rapporti polifonici in cui la loro fisionomia, indipendentemente dalla presunta autenticità, muta fatalmente di senso. Ecco quindi la necessità di far intervenire il denominatore soggettivo a conciliare l’inconciliabile, a identificare il modo di calarsi nella storia (nell’allusione, nella corrispondenza, nella ricerca di relazione, in uno spazio tanto più suggestivo quanto più carico di ambiguità). Non è il luogo stilistico remoto che questa musica è interessata a definire bensì la distanza da esso. Lo possiamo rilevare nell’intervento corale nel «Primo episodio» («Nembo sull’estuario»), dove sulla scena predisposta dal poeta  –​«Odesi rombare il nembo su l’Estuario […] giungono dai canali lontani voci indistinte di 7

Ildebrando Pizzetti, La musica per «La nave» di Gabriele D’Annunzio, in: Rivista Musicale Italiana 14/​4 (1907), p. 857sq.

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naviganti […] Giunge anche, nelle pause, lo strepito della cròtola di faggio che chiama i Cristiani alla preghiera: fievoli giungono anche lembi di canti corali dalla Basilica, dal Catecumenio, dagli Oratorii»8 –​il compositore, prima di assegnare il testo al «coro virile» («Regnum tuum, regnum omnium»), lo fa precedere da un’esclamazione disposta su una quinta («Ohe!») assegnata al «coro marino» (tenori e bassi) che interviene in seguito a intermittenza, come fosse un’eco primordiale in cui il canto principale è chiamato a specchiarsi9. Non è il caso quindi di parlare di ‹neoclassicismo› per Pizzetti, essendo tale condizione legata al delineamento di un apparato di formule immaginarie direttamente annesse alla moderna sensibilità. Stravinsky, come pure Hindemith, operava con una presa di possesso dell’altrui e dell’altrove, con un atto che potremmo definire di colonialismo culturale esercitato nelle coordinate del tempo anziché dello spazio. Stravinsky si annette il passato dopo averlo dissacrato, Pizzetti lo sacralizza semplicemente. La verità storico-​estetica dei modi greci in fondo non gli importava poiché, se svelata, avrebbe perso quell’aura di mistero che viceversa gli interessava in quanto impenetrabile. Eccolo quindi impegnato a estendere l’alone di ineffabilità preteso da una musica di cui è esaltata la valenza simbolistica. La grecità musicale di Pizzetti è in effetti di tipo decorativo, Liberty più che neoclassica, di linee che solcano la superficie più che di volumi che organizzano plasticamente lo spazio. Lo rivela anche la scelta di fare a meno degli archi nell’assetto strumentale, considerando solo i fiati, le arpe e la percussione, simbolicamente deputati a evocare arcaiche sonorità. L’intensità di questa emozione fu tale per cui in Fedra (1909–​1912) la «Trenodia per Ippolito morto» che apre il terzo atto a sipario chiuso sospende il meccanismo convenzionale della teatralità, esautorando l’orchestra e sfociando nella stupenda pagina a cappella dove il coro, in spoglia dimensione vocale, riscopre la ritualità della morte. Poco importa se l’avvio monodico dei tenori svela l’ipoteca del canto gregoriano in un orizzonte dove la precisione dei modelli è annullata dall’imprecisione del loro uso. Allo stesso modo quando le altre voci entrano a tessere la tela del quadro polifonico non è più la fedeltà a una musica d’epoca ad essere in questione, bensì la ricerca di una nobiltà d’espressione adeguata alla grandezza e al significato dell’evento ferale. Lo soccorre quindi la figuratività polivocale rinascimentale, nel regolato fluire di linee sonore in grado di prescrivere il comportamento agli agenti sulla scena irretiti all’interno di un quadro retorico. Il lamento che procede a ondate, facendo circolare nella struttura a

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Gabriele D’Annunzio, La nave, Milano (Fratelli Treves Editori) 1908, p. 96. Ildebrando Pizzetti, Musiche per «La nave», partitura, Milano (Ricordi) 1968, p. 25sqq.

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dialogo la formula della consolazione («O Giovinezza piangi […] È morto Ippolito»), all’evidente funzione purificatrice del rito affianca il recupero di atti retorici derivati dalla tradizione madrigalistica, quale la figurazione melismatica sulla parola chiave («piangi») ripercossa più volte allo scopo di assicurare evidenza emblematica a una necessità espressiva rifuggente dal tratto realistico. Benché sul finire della scena la melopea di Etra (personaggio teatralmente agente) scoppi nell’empito passionale, il recupero di simili gesti prescrittivi assume un significato particolare alla luce di cosa fosse diventato l’atto espressivo nell’opera in versione veristica. La linea ‹nazional popolare› del teatro musicale italiano a quel livello aveva portato alle estreme conseguenze il meccanismo di riconoscimento nel gesto sonoramente esibito dall’attore-​cantante senza più mediazione, condizione a cui altre tradizioni operistiche si erano preoccupate di reagire in nome di più intrinsechi valori drammatici. L’operazione teatrale di Pizzetti giunge a spostare l’asse dello sviluppo con il ritardo di almeno una generazione, riportandosi al livello di Debussy che aveva combattuto il «romantisme culotté» di Charpentier e l’opera stessa che come genere aveva abolito l’espressione del sentimento per sostituirlo con «le sentiment lui-​même»10. Cercando in Palestrina «l’émotion [qui] n’est pas traduite (comme cela est devenu depuis) par des cris, mais par des arabesques mélodiques»11 il musicista francese suggeriva in un certo senso la via dell’epurazione dalle scorie sentimentali a un Pizzetti il quale si trovò a condividere la stessa soluzione dell’evocazione del Paradiso nel quinto atto del Martyre de Saint Sébastien, affidandosi alla pura polifonia vocale, replicata significativamente nell’elevatezza dell’episodio a cappella di Fedra. La polivocalità di Pizzetti, fin qui oscillante tra spunti di disparata derivazione in un discorso a valenza simbolistica dove la figura sonora risulta chiamata ad agire come metafora di una sua lontana ed imprecisata condizione, a un certo punto tenta di abbreviare le distanze e di usare la trama vocale come una rete per catturare ciò che musicalmente è possibile rappresentare del reale. Solo allora è lecito parlare di madrigalismo in senso proprio, di un modo d’essere in musica che al di là dell’epoca in cui delineò la sua aristocratica cornice trasmise la nozione di immagine musicale, di una musica capace di piegare la serrata logica del contrappunto alla necessità di una scansione temporale variabile capace di dar forma a figure in grado di resistere allo scorrere del tempo, anzi di presentarsi come momenti di tempo rappreso. Pizzetti al di là di una coralità fin qui più mottettistica che madrigalistica, la

10 Claude Debussy, Lettres 1884–​1918, ed. François Lesure, Paris (Hermann) 1980, p. 40. 11 Ibid.,  p. 41.

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cui portata allusiva era affidata all’insieme dell’intreccio più che alla nettezza dei particolari, a un certo punto scopre l’efficacia del tempo fermato, della focalizzazione del dettaglio. È una dimensione in cui viene meno il rapporto col soprannaturale, profana dimensione in cui la visione laica della vita si fa avanti con tutti i suoi allettamenti. Nella fierezza della sfida all’assoluto, esaltante la relatività delle cose terrene in cui è maturato il fiore del genio italiano rinascimentale, Pizzetti è indotto a riconoscere l’italianità della sua ispirazione. Le Due canzoni corali del 1913 ne sono la prima testimonianza dove se apparentemente la provocazione è ancora quella di un ellenismo austeramente riverito (i testi provengono da poesie popolari greche tradotte da Niccolò Tommaseo) la sensibilità che vi domina non ha più bisogno di far riferimento a modi greci supposti. L’impianto dei brani è chiaramente madrigalistico:  il secondo soprattutto (La rondine) sprizza forza icastica da ogni battuta in un testo che la musica illumina sulle parole chiave:  il tremolare del mare, il canto degli uccelli risolto in svettanti figure che si rincorrono tra le voci, l’inflessione cromatica rispondente al codice della dolcezza («il dolce aprile giunse»). La fedeltà stilistica è invero dubbia: vi sono figure provenienti dalla monodia secentesca più che dal madrigale polifonico, così come lo spunto cromatico menzionato, capace di diramarsi in relazioni armoniche di complessità sconosciuta anche a Gesualdo. L’assenza di ricalco stilistico è quindi tanto più significativa quanto più l’assetto compositivo stabilisce una relazione diretta con la pratica rinascimentale, evidente nella brevità delle ‹invenzioni› e soprattutto nell’organizzazione musicale del testo, frazionato in segmenti posti in contrapposizione in modo da alternare moto veloce a momenti placidi. L’assimilazione del modello non comporta una resa al precedente storico:  non solo il carattere della scrittura pizzettiana non è sacrificato, ma v’è affermata la sua libertà formale che si concede alla fine la ripresa variata di un episodio dell’inizio («Marzo nevoso»), secondo un procedimento estraneo alla pratica madrigalistica. Il primo canto (Per un morto) dal testo più marcatamente ellenico, evita di indulgere nella funebre cerimonialità per cogliere del testo il riferimento più fiammeggiante: il canto di lavoro che conclude la pagina («Issa! Molla!») spicca per forza immaginifica e gesto essenziale. Mai più a Pizzetti riuscì la replica del perfetto equilibrio tra modernità di concezione e confronto col passato, come nelle Due canzoni corali del 1913. Tuttavia l’ispirazione madrigalistica continuò ad agire in profondità nei cori dei suoi lavori teatrali12. In proposito occorre però precisare che, se 12 Essendone stato allievo è probabile che Desderi si riferisse principalmente a Pizzetti con questa riflessione: «I musicisti contemporanei, finalmente, trattano il coro come parte attiva e integrante della scena, come ‹personaggio› infine, vivo e operante, multianime, dinamico, fremente. E, per conseguenza, come qualcosa di

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per lui il riferimento rimase il dramma antico, egli non giudicò mai i cori greci all’altezza delle esigenze drammatiche. Già trattando dell’Armida in un articolo del 1911, riguardo al luogo comune secondo cui «le arie di Gluck, sì monodiche che corali […] fanno pensare alle parti corali della tragedia greca», egli constatava: Ma sì le arie dell’opera in musica come i cori greci sono stazioni del dramma: espressioni bellissime e commoventi fin che si vuole, ma espressioni puramente liriche, fuori dell’azione, antidrammatiche.13

In Fedra il coro delle supplici è dimostrativo già nel suo primo apparire. Non solo esso dialoga con un singolo personaggio (Etra) alla funesta comparsa delle navi con le vele nere al ritorno dalla guerra, ma, distribuito su tre voci, lascia che si muovano come singole monodie, distinte e contrapposte, intrecciandosi in alternanza senza una vera e propria sovrapposizione. Con ciò esse risultano direttamente integrate nell’azione e lo saranno anche nelle scene successive. Uguale situazione è determinata nell’atto secondo, questa volta con le fanti, ancor più incalzanti nella moltiplicazione di voci in parti distintamente profilate, con un esito originale che non ha precedenti come coro in azione (con funzione diversa quindi dalla «Trenodia per Ippolito morto»). Nell’atto terzo è il coro degli efebi a stimolare la narrazione di Eurito, dove il compositore non si accontenta di tradurre le incitazioni corali previste da D’Annunzio («Narra», «Prosegui»), ma introduce una forma di interpunzione vocale fatta di esclamazioni («Oh») e di passaggi di commento mormorante («a bocca chiusa»). Per quanto ancora marginale, il ruolo del coro vi è chiaramente profilato come un fattore essenziale non solo dello svolgimento drammatico ma anche della teatralizzazione. Tale funzione è messa a punto nella più matura Dèbora e Jaéle (1915–​ 1921), dove il declamato pizzettiano in cui si esaurisce tutta la caratterizzazione (assumendo il tono «di una lettura drammatica, in quanto tutta la rappresentazione, il suo dibattito ideale e sentimentale, i suoi caratteri individuali e collettivi, s’ascoltano evocati da un’unica voce che li interpreta, li dispone e li dirige» impone la sua logica anche nei cori: «Anche lì è spesso quell’unica voce a fingere un’animazione molteplice riecheggiando su piani e su registri diversi»14. Il coro dei vecchi che vi appare nel primo atto è la musicalmente autonomo, vario, agile, vibrante […] I cori dei drami lirici d’oggi vivono d’una vita tutta loro propria, agiscono con una indipendenza ed una ricchezza di movimenti in confronto delle quali quelle del periodo precedente possono quasi apparire statiche» (Desderi, La musica contemporanea, p. 82). 13 Ildebrando Pizzetti, Musicisti contemporanei. Saggi critici, Milano (Fratelli Treves Editori) 1914, p. 266sq. 4 Piero Santi, Il mondo della »Dèbora«, in: La Rassegna Musicale 32/​2–​3–​4 (1962), 1 p. 168.

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dimostrazione che proprio la rinuncia del compositore a collocare il coro nella posizione giudicante, esterna all’azione ma integrandolo alla stessa, lo eleva a primaria funzione dialettica nello svolgimento scenico. I  vecchi ancora assonnati si pongono in dialogo con Jèsser il pazzo che vede un minaccioso fuoco immaginario, innalzando una preghiera di perdono che è anche un lamento sulla loro condizione. Il relativo impianto è polifonico, ma non segue modelli d’alcun genere. Il richiamo alla polifonia rinascimentale sarebbe generico, sopravanzato piuttosto dall’influsso di Musorgskij (Boris Godunov) e di Ernest Bloch (Macbeth)15. Semmai, nel fervore con cui Gavazzeni ha manifestato la sua ammirazione per il compositore parmense, il riferimento ai modelli dell’epoca d’oro della polifonia è proposto in chiave ideale, come ispirazione, testimoniato dal giudizio sul coro che accoglie l’apparizione di Dèbora: Il coro «O Madre, tu lo sai come nemici ci tratta il nostro Dio» afferma con ancora maggiori ragioni d’autonomia, con ispirazione polifonica di indimenticabile accento, le ragioni risolutive della musica e il loro dominio su tutte le altre materie. L’idea religiosa e morale sta alla musica, nel caso presente, con lo stesso rapporto che in un mottetto di Palestrina.16

Lo definirebbe meglio l’aggettivo ‹polivocale›, nel senso di affermare un’evidente libertà combinatoria che a volte riunisce le voci, talvolta le riduce a una sola, le combina in alternanza dialogica, distribuisce il testo tra l’una e l’altra, opponendole anche ai personaggi, com’è il caso del Cieco di Kinnèreth evocante i prodigi della profetessa a cui i vecchi reagiscono intonando un ringraziamento a Dio abbozzato in polifonia ritualmente definita dall’impianto imitativo. A un certo punto vi appare anche un «coro interno» che da lontano segnala l’attacco dei Cananei agli Israeliti, incrementando la teatralità attraverso la spazialità acustica. In seguito è un costante confronto tra coro di popolo e singoli personaggi, in articolate contrapposizioni di volumi sonori differenziati, innescanti una dinamica spettacolare complementare alla linearità del declamato caratterizzante i singoli ruoli spesso a rischio di monotonia. In questo senso l’equilibrio fra le varie componenti assicura al primo atto una riuscita esemplare, oltreché originale nella concezione. Nel secondo atto il ruolo del coro è ridotto all’identificazione dei capitani e delle guardie di Sìsera, spiccando nell’invocazione a Bàal, solennemente omoritmica. Nel terzo è funzionale agli israeliti inseguitori dello sconfitto Sìsera, incalzanti incombendo con l’interiezione «oèoh» distribuita nelle varie parti, e, sempre in una messa a fuoco preoccupata più dell’effetto rappresentativo

15 John C. G. Waterhouse, The Emergence of Modern Italian Music (up to 1940), unpublished PhD. thesis, Merton College, Oxford/​UK 1968, p. 285. 16 Gavazzeni, La musica e il teatro, p. 129sq.

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che dell’adeguamento a un canone stilistico, troneggiando alla fine in un alleluiatico innalzato a celebrare la vittoria intonando ritmicamente un melisma orientaleggiante. Pure Lo straniero (1922–​1925) si conclude in modo simile, con un coro alleluiatico commentante il sacrificio del protagonista, con un melisma nelle voci femminili rimandante a esotica ornamentazione alternato all’omoritmica scansione funebre delle voci maschili, riunendole infine in un intreccio innalzante il messaggio di speranza. Soprattutto nel primo atto il compositore sperimenta combinazioni multiple in cui il coro si aggiunge ai numerosi personaggi in scena, a costituire un quadro collettivo e differenziato, in cui, nell’opporre e nell’intrecciare le varie componenti, Pizzetti dispiega un vasto quadro d’azione. Gli è affidata la funzione di allargare l’orizzonte, facendo pervenire dalle voci fuori scena il canto dei vignaioli, mentre esso diventa incalzante con partecipazione attiva alla vicenda, interloquendo con i dialoganti attraverso semplici interiezioni (l’intervento «È vero» commentante l’elogio dello Straniero tessuto da Hanòch), contrastando Scedeùr nel rivoltarsi al re in seguito alla sua decisione di destinare la figlia Maria in moglie allo Straniero, contribuendo a spingere al massimo la tensione fino al gesto d’ira di Scedeùr trattenuto in extremis dall’infierire su di lui. Nella confessione pubblica dello Straniero di essere figlio di un re ma anche parricida (indotto all’atto fatale per sottrarre una fanciulla al sacrificio impostole per placare una rovinosa guerra), l’orrore del racconto sollecita la partecipazione del coro con commenti e interiezioni che teatralizzano la narrazione. L’atto si conclude sul coro commentante il giudizio di Hanòch che condanna lo Straniero ad essere bandito, diviso fra un coro maschile severamente austero e un attonito coro femminile paralizzato in eterei melismi. Nel secondo atto il coro addobba scenograficamente il finale, manifestandosi dapprima da lontano come popolo dei Moabiti alla caccia dello Straniero in fuga, poi protagonista del suo linciaggio movimentato insieme con gli altri personaggi in irruenti slanci esclamativi. In Fra Gherardo (1925–​1927), l’opera in cui l’orchestra assume un ruolo più diretto (dove «in diversi luoghi la rappresentazione prende voce sinfonica»17), il coro rimane sempre sullo sfondo, intermittente a ricordare che il ruolo degli individui non può prescindere dalle responsabilità collettive, giungendo a spiccare in vario modo. Waterhouse ha addirittura parlato di «Risorgimento-​type chorus» a proposito del ritmo baldanzoso con cui Pizzetti nel secondo atto sostiene il furore del popolo incitato da Gherardo contro le angherie delle autorità18. Il più originale è costituito dalla «lauda 17 Gianandrea Gavazzeni, Altri studi pizzettiani, Bergamo (Stamperia Conti) 1956, p. 261. 18 Waterhouse, The Emergence of Modern Italian Music, p. 295.

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sacra» nel primo atto intonata dai flagellanti dapprima in forma monodica, poi in un addensamento di voci sempre più marcato che, più che fondersi in armonioso impianto polifonico, si presenta come una somma di voci distinte («Chi confessa il suo peccato dal Signore è perdonato»). È l’atto terzo a riservare al coro una funzione primaria, agendo nel primo quadro come «voci dall’esterno», imponendosi nel secondo come presenza di popolo, tumultuosa ma anche teneramente partecipe nel sostenere la madre nell’abbraccio al figlio morto nella rivolta, coro che scandisce le preghiere finali sovrapposte («Kyrie eleison» e «Sancta Maria, ora pro nobis») in rassegnata sottomissione al destino. Nell’Orseolo (1931–​ 1935), durante lo svolgimento dell’azione vera e propria, il ruolo del coro è meno spiccante. Sennonché, a richiamare la vicenda alla condizione di Venezia di metà Seicento, provvedono i due intermezzi, ciascuno dei quali situato al centro dei due atti estremi (il primo e il terzo), ai quali il compositore ha riservato un ampio e differenziato assetto corale. Negli atti il confronto si svolge aspramente tra i personaggi protagonisti: «dramma di interni» l’ha definito il Gatti19. Nel primo la voce del coro proviene marginalmente da lontano (fuori scena). Nel secondo è addirittura assente. Solo nel terzo atto, per necessità rituale, il coro prende alla fine il sopravvento come grande affresco della celebrazione della vittoria di Venezia sui turchi in un cadenzato procedere processionale. Viceversa con geniale intuizione Pizzetti riserva ai due intermezzi la funzione di allargare lo sguardo al contesto ambientale della città, attribuendone compito esclusivo al coro. Nei due casi la scena si svolge sulla Riva degli Schiavoni. Nel primo è contestualizzato il passaggio notturno degli uomini diretti all’Arsenale, destinati a partire per la guerra. Apre la sfilata un primo coro di maschere che si richiamano al carnevale, seguiti dal secondo coro di soldati a cui si sostituisce il coro del popolo in ammirazione, in gruppi vocali che si oppongono e si intrecciano, dove la mascherata fornisce il colore locale con una caratterizzazione resa possibile dalla tessitura prevalentemente a tre voci, snella, spesso omoritmica e ridotta a frasi brevi predisposte al dialogo. Non è difficile sorprendervi il richiamo alla «comedia harmonica» come «spettacolo [che] si mira con la mente, dov’entra per l’orecchie e non per gl’occhi»20 teorizzata da Orazio Vecchi nel prologo de L’amfiparnaso, e ancor più ad Adriano Banchieri per l’assetto a tre voci. Tale madrigalismo teatralizzato si conferma nell’altro intermezzo dove, accolti i soldati a cui ha arriso la vittoria nella guerra in oriente, sfila la processione al seguito del

19 Guido M. Gatti, Ildebrando Pizzetti, Milano (Ricordi) 1954, p. 41. 20 Orazio Vecchi, L’Amfiparnaso, trascrizione Bonaventura Somma, Roma (Edizioni De Santis) 1953, p. XI.

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doge e del patriarca diretta a Santa Maria della Salute per il rito solenne di ringraziamento. Qui si succedono e si sovrappongono quadri di vita popolare: i giocatori che altercano, una madre che narra ai bambini la millenaria storia della città, la folla che si pigia per vedere meglio, una baruffa fra gente di rioni diversi, un bozzettismo vocale che nella leggerezza e nell’ingenuità ricalca la vivezza delle commedie madrigalesche del Banchieri. Finché, allo squillare delle trombe che annunciano l’avvicinarsi della processione, l’agitazione si placa e tutti si inginocchiano a intonare un inno («Venezia, Regina del Mare») che ritrova la nobiltà della polifonia di gloriosa memoria. L’ammiccamento alle esperienze vocali del passato non è mai programmatico in Pizzetti per la ragione di sentirsi egli organico a una illustre tradizione. Lo dimostrano alcune realizzazioni non a caso connesse con l’esperienza corale, in primis le musiche per La rappresentazione di Santa Uliva (1933) basata su un testo del XVI secolo, che ha fatto affermare a Gatti: «L’ignoto autore cinquecentesco ha trovato un fratello nel novecento che ha sentito quelle espressioni ingenue non con l’intelligenza di un letterato ma con l’anima di un poeta»21. Qui il compositore si è calato nella dimensione antica, alla ricerca di un’espressione originaria al limite del candore. L’assetto dei cori, a tre voci, la simmetricità della fraseologia, l’accoppiamento di due voci procedenti per terze rimandano esplicitamente all’impianto popolaresco, d’altra parte richiamato dalle situazioni evocate (i bevitori, i cacciatori, i mietitori), in cui spicca la «Chiamata alla battaglia» esemplata sulle soluzioni descrittive di Janequin, Werrecore e compagni nell’illustrare in termini sonori le contese armate del loro tempo. In modo meno evidente tale arcaicità si era presentata nella Sacra rappresentazione di Abram e d’Isaac (1926), dove comunque proprio all’inizio l’intervento dell’«Angelo annunziatore» nei termini di un cantastorie assume l’intonazione ‹stornellante› di impronta popolare, ribadita nella conclusione dove il coro risponde a tono. Il mondo popolare sarà evocato anni dopo nella selvatica campagna abruzzese della dannunziana Figlia di Iorio (1953–​ 1954), in particolare nell’iniziale cerimonia di nozze, nella ritualità di un quadro di vita contadina musicalmente ispirato all’elementarità, opera tuttavia in cui la dimensione del collettivo assegnata ai cori dei mietitori, delle parenti, dei pellegrini, rimane un contorno distinguendosi per i tratti documentaristici (nel riporto di litanie tradizionali, ecc.) senza assurgere alla sostenutezza della dimensione tragica delle opere precedenti. Un’ambientazione popolana troviamo pure ne Il calzare d’argento (1959–​ 1960 su libretto di Riccardo Bacchelli) dove la dimensione corale è un flusso costante, fin dall’apertura sulla «Fiera di Lucca» in cui artigiani e mercanti

21 Ibid.,  p. 67.

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gareggiano nell’attirare i clienti con i loro gridi –​di nuovo un calco della commedia madrigalesca –​e dove Giuliano il giullare, è chiamato a intrattenere il pubblico con un canto stornellante, in pratica una delle rare forme chiuse nel tessuto aperto della scrittura pizzettiana. In forma corale il popolo è particolarmente presente in questa «commedia musicale», interagente soprattutto nel processo al cantastorie per il furto del prezioso calzare e nella scena del «miracolo» in cui è intonato il miserere a 6 voci. La centralità del coro è affermata nel finale, che innalza il commosso saluto collettivo alla partenza di Giuliano come solenne «coro di lode al Volto Santo, che è l’inno della fede di Pizzetti nell’amore delle creature»22. Ma la linea della coralità fu proseguita anche negli ambiti compositivi di Pizzetti in cui l’impronta madrigalistica era in qualche modo inevitabile. Nelle Tre composizioni corali a 5 voci (1942–​1943) ritroviamo le prevedibili coincidenze stilistiche tra testo e musica: in Cade la sera è l’insistita discesa cromatica sulle parole «si fa più dolce», lo «stormire» fissato in una somma di figure alate, in «Vae nobis» di Recordare è la lacerata divaricazione espressiva degli intervalli. Sennonché l’organicità ‹laica› del modello rinascimentale vi è persa di vista nella congiunzione madrigale-​mottetto che in due casi, oltre a rifarsi al latino di testi biblici (Ululate, Recordare), introduce passaggi di intonazione recitativa chiesastica, l’imprecisato gregorianismo di frasi che liberamente mescolano unità binarie e ternarie, inquadrati in una forma più accidentata per l’irregolarità delle battute e la diversificazione della scrittura richiamata alla garanzia dell’unico denominatore possibile, quello individuale-​soggettivo per il quale il rapporto con la storia torna ad essere esclusivamente idealistico, sganciato da rapporti cronologici. La costanza del ricorso a detto modello in tarda età darà luogo ancora a Due composizioni corali (1961) su poesie di Saffo in versione italiana. Benché la denominazione di ‹madrigale› vi risulti evitata, il compositore si sentiva probabilmente attratto proprio dalla capacità di coagulare una ricchezza di vividi momenti di vissuto in una struttura capace di obbedire alla forza astraente di un equilibrio di voci in cui è esaltata l’unicità del molteplice, il senso dell’ordine cosmico emanato dalle piccole cose. L’anziano musicista può dunque concedersi ne Il giardino di Afrodite agli spunti di gioia di vivere, dell’immersione nella fisicità del reale senza subirne il ricatto: la somma di fugaci evocazioni –​«Un boschetto di meli […] Mormora fresca l’acqua […] Stormiscono le fronde […]»23 –​è ciò che di più madrigalistico un 22 Massimo Mila, Giuliano figlio di due padri, in: L’Espresso (2 aprile 1961), ripubblicato in: Renato Garavaglia/​Alberto Sinigaglia (edd.), Massimo Mila alla Scala. Scritti 1955–​1988, Milano (Biblioteca Universale Rizzoli) 1989, p. 149. 23 Ildebrando Pizzetti, Due composizioni corali a sei voci sole, partitura, Milano (Ricordi), pp. 1–​4.

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testo possa offrire e che il musicista sottolinea con richiamo alla tradizione, senza perdere di vista il senso della polifonia in cui confluiscono tali schegge di tempo fermato, assaporato senza che ne venga preclusa la scansione. Il fascino del madrigale sta in verità nell’aristocraticità del punto di osservazione, capace di rilevare ogni sollecitazione proveniente dal testo, reagente a ogni minima vibrazione del quadro evocato senza con ciò rimanerne coinvolto. Le immagini che sfilano davanti agli occhi nella concezione madrigalistica non lasciano traccia, una cancella l’altra come in un esercizio di rappresentazione del reale colto nel particolare e mai nella globalità proprio per evidenziarne la relatività rispetto al senso di assoluto, che viceversa promana dalla raffinata costruzione polifonica il cui costante flusso non è se non la metafora del primato del procedere ineluttabile del tempo. Nel madrigale l’atto mimetico non giunge mai a delineare una sufficiente coerenza realistica. La rappresentazione vi è data per intermittenze come in un film cadenzato dalla successione di fotogrammi fissi, procedimento entrato giustamente nella grammatica cinematografica come mezzo antidescrittivo chiamato in causa per mettere in questione l’esattezza dell’osservazione, accentuata nella relatività del punto di vista soggettivo dove la capacità radiografante della messa a fuoco mostra ciò che l’occhio di primo acchito non riesce normalmente a vedere, trasformando l’apparenza del reale nella sua metafora. Nel madrigale il tempo scorre facendo affiorare le immagini e nel contempo riassorbendole, senza offrire possibilità di ripresa poiché ciò significherebbe far leva sulla memoria del già udito e fermare la sua logica ineluttabile. Era questa la garanzia di cui necessitava Pizzetti, preoccupato di epurare il linguaggio da ogni divagazione che perdesse di vista la funzione trascendente del fare artistico e la disciplina monacale che ne derivava a livello di espressione nel senso dell’«arte del togliere invece che del mettere» di cui parlò Mila a proposito dei Quattro pezzi sacri di Verdi che nella rinuncia al paludamento sentimentale considerava premessa del ‹neomadrigalismo› posteriore24. In questo senso il ‹neomadrigalismo› pizzettiano si colloca in primo piano come risposta alla denuncia dell’‹immoralità› del costume melodrammatico portata avanti dalla ‹generazione dell’Ottanta› e, nella sua forte tensione spiritualistica, non a caso si estende al campo propriamente religioso com’è rivelato dalla Messa di requiem (1922). Anche lì la scelta del coro a cappella non era obbligata: il fatto di aver adottato tale impostazione espungendo la prevedibile presenza dell’orchestra non corrispondeva al cedimento verso una forma di accademismo ma a una ritrovata dimensione di autenticità:

24 Massimo Mila, L’arte di Verdi, Torino (Einaudi) 1980, p. 272.

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Privato dell’orchestra e ridotto alle sole voci, il compositore è costretto a disfarsi di quell’ascetica disciplina vocale che, nel teatro, gli è imposta dalla sua dottrinaria concezione del dramma musicale. Qui le voci, non essendoci strumenti d’orchestra che possano farlo in vece loro, cantano davvero, e ritrovano il segreto d’una vocalità italiana antichissima, non ancora contaminata dalle civetterie melodrammatiche, e stretta invece alle vecchie radici indigene del gregoriano e della lauda.25

Paradossalmente Pizzetti risulta assai meno accademico là dove avrebbe potuto più facilmente esserlo, nello stile di chiesa la cui via gli era tracciata da innumerevoli operazioni manieristiche e dove egli aggira il tranello teso in virtù della forte motivazione morale che lo induce a calarsi nel modello alternativo non per mimarlo come vuoto gesto bensì assumendolo come nuova pelle. È in fondo come se la dimensione trascendente, acquisita grazie all’assunto della pura polivocalità, esimesse il compositore dall’esigerla agli altri livelli dell’espressione che in tal modo gli lasciano grande spazio di libertà e di invenzione. Un morfema come può essere un melisma vi appare per richiamare la coscienza all’epoca dove musica e liturgia facevano tutt’uno, ma non per riprodurre passivamente un modulo bensì per collocarlo in un tipo di frase libera di concedersi all’empito del significato delle parole alzando la temperatura del pathos. Il rapporto tra declamato e linea fluente in cui si scioglie il pizzettiano «Libera me» riproduce lo stesso equilibrio negli stessi termini che Verdi già nella Messa da requiem aveva stabilito tra severità dottrinale e tensione emotiva umanamente individuale. È in fondo lo stesso rapporto che nella forma madrigalistica si instaura tra il controllato quadro complessivo e l’energia icastica liberata nel dettaglio, anche se nel vasto affresco del «Dies irae» Pizzetti va oltre il semplice nesso morfologico tra parola e segno musicale. Qui l’imperversare dell’idea di morte riguarda l’intero arco di sviluppo del brano. Al tema della sequenza gregoriana intonato dai bassi si accompagna un vocalizzo che attraversa la pagina come un brivido: se, per il tratto cromatico che la regge mirante all’effetto lamentoso, tale esclamazione («Oh!») funge da procedimento madrigalistico, la sua portata va tuttavia oltre il livello della Tonmalerei. Riemergente in modo costante nelle varie voci come specchio del tema del «Dies irae», la sua ossessiva presenza obbedisce a un’esigenza di teatralizzazione, non solo al principio dell’illustrazione della parola ma anche a quello di un eccitamento drammatico che investe l’intero pezzo, tendente a prevalere sull’equilibrio tra le linee prescrittivamente dettate26. Non per niente nel «vocalizzo tra orientaleggiante

25 Mila, Cronache musicali, p. 161. 26 Lo stesso vocalizzo con funzione esclamativa è introdotto nell’intervento corale della tarda cantata Filiae Jerusalem, adjuro vos, 1966 (Ildebrando Pizzetti, Filiae Jerusalem, adjuro vos, partitura, Milano [Ricordi] 1984, pp. 15–​17).

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e popolaresco» il Mila non solo vi ha ravvisato reminiscenze verdiane del Requiem ma anche dell’Aida27. Se la critica che aveva valutato le sue prime canzoni corali come capolavori di una nuova concezione non mancò di lamentarne la scarsa divulgazione28, ciò consentiva loro di battere una via in cui prospettare un ideale fuori del tempo, talmente fuori da non dover nemmeno tener conto di una prassi esecutiva della musica profana polifonica cinquecentesca in Italia allora quasi totalmente inesistente. Di quel riferimento non poteva che sussistere l’idealizzazione e il grado nobile del consumo che concedeva all’artista libertà di scelta stilistica, per cui non è un caso che proprio in questo campo d’azione apparentemente motivato da ragioni restaurative siano maturate le sue ipotesi di scrittura più audaci. In verità, facendo risalire l’idea drammatica del suo teatro ai principi fondativi dell’antica tragedia nell’esemplarità didascalica del suo messaggio morale, anche la produzione scenica di Pizzetti si colloca fuori del tempo. Significativo è il caso di Ifigenia (1950), soggetto aulico apparentemente il più lontano dalla destinazione radiofonica che l’ha originato, in cui il compositore ritrova la ieratica severità delle sue prime prove. Semmai la coralità che innerva questa tragedia, forse indotta dalla destinazione a un pubblico allargato, si concede a un ternario ritmo danzante nel coro femminile della prima parte e a un calcato passo marziale nel coro maschile all’inizio della seconda, ammiccando alla contemporaneità nell’epilogo dove il coro, facendosi carico delle ferite non ancora rimarginate della guerra mondiale, fonde la multipla interrogazione fatale in varie lingue («Pourquoi? Porque? Warum? Why? Quare?») in una polifonia echeggiante remoti melismi. Per cui non è forse un caso che nell’ultimo suo lavoro teatrale egli sia tornato alla matrice ellenica della civiltà, di una tragicità formulata nella dimensione archetipica di un patrimonio di valori che continua a sovrastarci, con «una tetragona impermeabilità al moto del tempo, vantando la fedeltà al proprio ideale artistico»29. La scelta del soggetto (Clitennestra, 1964–​1965), fosco e truce ma sostanzialmente umano, l’ha predisposto a un significato universale. Non solo il coro (in modo determinante nel primo atto) vi figura come interlocutore costantemente partecipe alla vicenda, ma gli è assegnato ancora il compito di tracciare in termini sonori il quadro collettivo destinato a ricavarne insegnamento. Non per niente al termine degli atti, quasi a

27 Mila, Cronache musicali, p. 162. 28 Cf. Roberto Zanetti, La musica italiana nel Novecento, 3 voll., Busto Arsizio (Bramante Editrice) 1985, vol. 1, p. 341. 29 Massimo Mila, Vuol fermare il tempo con la musica, in: L’Espresso (14 marzo 1965), ripubblicato in: Garavaglia/​Sinigaglia, Massimo Mila alla Scala, p. 212.

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ricollegarsi al suo esito in Fedra, esso è chiamato a elevare una trenodia che, nell’imponente lamento per la morte di Agamennone, nel primo atto sfocia in un gigantesco vocalizzo sull’esclamazione «Oh!» diramata nelle varie voci con venature cromatiche in libera imitazione, ponendoci davanti a un processo di astrazione su un fondo di tradizione.

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Theater aus Musik: die Callas-​Giulini-​Visconti-​Traviata Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich war überwältigt von der Schönheit, die ich vor mir sah. Die gefühlvollste, die exquisiteste Ausstattung, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Jedes Detail von Lila De Nobilis außergewöhnlichen Bühnenbildern und Kostümen ließ mich spüren, dass ich buchstäblich in eine andere Welt ging, in eine Welt von unbegreiflicher Unmittelbarkeit. Die Illusion von Kunst –​oder auch nur von Künstlichkeit, denn das Theater ist eine Welt der Künstlichkeit –​löste sich auf. Mich überfiel, wann immer ich diese Produktion dirigierte, stets dieselbe Empfindung –​über zwanzigmal in zwei Spielzeiten. Für mich begab sich die Wirklichkeit auf der Bühne. Was hinter mir war, das Publikum, das Auditorium, die Scala selbst, all das schien mir künstlich. Nur das, was auf der Bühne atmete, war Wahrheit –​war das Leben selbst.1

In diese Worte fasste Carlo Maria Giulini den überwältigenden Eindruck einer Opernaufführung, an deren Zustandekommen er als Dirigent maßgeblichen Anteil gehabt hatte, die nun aber, zum autonomen Werk geworden, ihren Mitschöpfer selbst in den Bann zog. Die Rede ist von einer »Legende« in der Inszenierungsgeschichte des musikalischen Theaters, der Callas-​ Giulini-​Visconti-​Traviata. Erstmals in Szene gegangen am 28.  Mai  1955 im Mailänder Teatro alla Scala, markierte sie nicht nur einen Höhepunkt in den Karrieren dieser drei Künstler, sondern bedeutete darüber hinaus eine Sternstunde der Kunstform Oper überhaupt, deren ästhetische raison d’être hier auf das Vollkommenste eingelöst erschien. So jedenfalls lautete in seltener Einmütigkeit das Urteil der Zeitgenossen, in deren Enthusiasmus

1

Jürgen Kesting, Maria Callas, Düsseldorf (Claassen) 1990, p. 79; das Originalzitat bei John Ardoin/​Gerald Fitzgerald, Callas. The Art and the Life/​The Great Years, New York et al. (Thames and Hudson) 1974, p. 115: »My heart skipped a beat. I was overwhelmed by the beauty of what stood before me, the most emotional, exquisite décor I have seen in my entire life. Every detail of Lila De Nobili’s extraordinary sets and costumes made me feel I was materially entering another world, a world of incredible immediacy. The illusion of art –​or should I say artifice, for theater is artifice –​vanished. I had the same sensation every time I conducted this production –​over twenty times in two seasons. For me, reality was onstage. What stood behind me, the audience, auditorium, La Scala itself, seemed artifice. Only that which transpired on stage was truth –​life itself.«

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sich nur wenige kritische Stimmen mischten, die Anstoß nahmen am Ausdrucksrealismus des Regisseurs und der Sängerdarstellerin. Seitdem hat diese Aufführung nichts von ihrem nachgerade mythischen Ruf eingebüßt, im Gegenteil: Mit zunehmender Distanz zum Ereignis nahmen die Erkenntnis seiner Außerordentlichkeit und die Einsicht in seine Unwiederholbarkeit nur noch weiter zu2. Um die Mitte der 1950er Jahre kreuzten sich an der Mailänder Scala die Wege dreier bedeutender Persönlichkeiten der Musik-​und Theaterszene jener Zeit, deren gemeinsames Wirken die öffentliche Auseinandersetzung mit der Gattung Oper und ihre gesellschaftliche Wahrnehmung auf Jahre hinaus bestimmte. Maria Callas, seit 1950 an der Scala tätig, wo sie sich innerhalb weniger Jahre ein Rollenrepertoire von staunenerregender Vielseitigkeit erarbeitet hatte, befand sich damals auf der Höhe ihrer stimmlichen Möglichkeiten, ohne indes ihr darstellerisches Potential bereits voll ausgeschöpft zu haben. Carlo Maria Giulini, der 1952 an der Scala debütiert und schnell eine Spitzenposition unter den zahlreichen hervorragenden Dirigenten des Hauses errungen hatte, entwickelte bald eine von gemeinsamen künstlerischen Überzeugungen getragene Zusammenarbeit mit der Callas, die 1954 in Glucks Alceste ihr erstes Resultat zeitigte. Beiden zur Seite trat, ebenfalls 1954, der renommierte Theater-​und Filmregisseur Luchino Visconti, unter den dreien der älteste und auf dem Gebiet der Oper ein Seiteneinsteiger. Sein viel beachtetes Entree auf Italiens führender Musiktheaterbühne hatte er mit Spontinis La vestale, seiner ersten Opernarbeit überhaupt und ausdrücklich ausgewählt für die Callas in der Titelrolle, dirigiert freilich nicht von Giulini, sondern von Antonino Votto. Auf den Weg zur Oper gefunden hatte Visconti durch den für ihn unauslöschlichen Eindruck der Stimm-​und Bühnenpräsenz der Callas, die er erstmals bei einer Parsifal-​Aufführung in Rom 1949 erfahren und sogleich den Wunsch nach gemeinsamer künstlerischer 2

Zur Callas-​Giulini-​Visconti-​Traviata und zum Umfeld dieser Inszenierung cf. Ardoin/​Fitzgerald, Callas, pp. 114–​137; Luchino Visconti, Il mio teatro, edd. Caterina D’Amico De Carvalho/​Renzo Renzi, Bologna (Cappelli) 1979, vol. 1, pp. 48–​61; Gianni Rondolino, Luchino Visconti, Turin (UTET) 1981 (La vita sociale della nuova Italia 30), 22003, pp. 347–​355; Jacques Lorcey, Maria Callas d’art et d’amour, Paris (PAC Edition) 1983, pp. 222–226; Jürgen Kesting, Maria Callas, pp. 78–​84; Christina Gastel Chiarelli, Musica e memoria nell’arte di Luchino Visconti, Mailand (Archinto) 1997, pp. 42–​46; Martin Monastier, Maria Callas: Le livre du souvenir, Paris (Édition Sand) 1985, p. 89sqq.; Michael Brix (ed.), Maria Callas. Aufführungen/​Performances, München/​Paris/​London (Schirmer/​Mosel) 1994, pp. 108–​129 (Photo-​Dokumentation); Stelios Galatopoulos, Maria Callas. Sacred Monster, London (Fourth Estate) 1998, pp. 184–​189; Gunna Wendt, Maria Callas oder Die Kunst der Selbstinszenierung, München (Henschel) 2006, pp. 93–​96.

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Arbeit geweckt hatte. Als diese nach mehrfachen vergeblichen Anläufen endlich zustande kam, revanchierte sich Visconti, indem er seinem Idol in fünf Einstudierungen bis 1957 (allesamt an der Scala) jene darstellerische Finesse einer genuin musikdramatischen Gestaltung der Rollencharaktere zu erwerben half, die ihr bis dahin abging. Nach La vestale setzten Callas und Visconti noch in derselben Saison ihre Zusammenarbeit mit zwei weiteren Produktionen fort: zunächst mit Bellinis La sonnambula, dirigiert vom jungen Leonard Bernstein, schließlich mit Verdis La traviata, bei der Giulini als musikalischer Leiter erstmals die künstlerische Partnerschaft mit Callas und Visconti einging. Es sollte zugleich das letzte Mal gewesen sein, denn während sich zwischen Giulini und Visconti von nun an eine intensive Zusammenarbeit herausbildete, die auch eine weitere Traviata zeitigte (London 1967), ist es zu einer Einbeziehung der Callas in diese Produktionen aufgrund ihrer damals einsetzenden Stimmkrise nicht mehr gekommen. So bleibt denn die Mailänder Traviata das einzige Zeugnis dieser singulären künstlerischen Symbiose, eines –​wie Jürgen Kesting sich ausdrückte –​»labour of love«3: 4 Aufführungen 1955, 17 weitere 1956 bei der Wiederaufnahme in der folgenden Spielzeit, die letzten beiden dirigiert von Antonio Tonini. Die Callas stand an der Spitze eines vorzüglichen Sängerensembles mit Giuseppe Di Stefano (Alfredo) und Ettore Bastianini (Père Germont) in den männlichen Hauptrollen. Den Alfredo übernahm ab der zweiten Aufführung Giacinto Prandelli, bei der Wiederaufnahme und in allen weiteren Aufführungen Gianni Raimondi; seine Partner als Père Germont waren neben Bastianini noch Aldo Protti, Carlo Tagliabue und Anselmo Colzani. Bedauerlicherweise existiert von dieser Jahrhundertinszenierung keine Videoaufzeichnung (ebenso wenig von allen anderen Musiktheater-​ Produktionen Viscontis); erhalten sind lediglich Tonmitschnitte von der Premiere und der Wiederaufnahme am 19.  Januar  1956, von letzterer sogar nur ausschnittsweise. Dennoch lässt sich auch von der szenischen Seite der Aufführung ein Eindruck gewinnen aufgrund von Bühnenbild-​und Kostümentwürfen der Ausstatterin Lila De Nobili und zahlreicher (teils noch unveröffentlichter) Live-​und Standfotos des damaligen Scala-Hausfotografen Erio Piccagliani. Ein Regiebuch Viscontis hat sich nicht erhalten und viel spricht dafür, dass ein solches auch nie existiert hat. Die Durchsicht der nachgelassenen Materialien der Operninszenierungen Viscontis, aufbewahrt im »Fondo Luchino Visconti«4, führt nämlich zu dem Ergebnis, dass der Regisseur nur in Ausnahmefällen  –​etwa bei Spontinis La vestale oder Strauss’ Salome

3 Kesting, Maria Callas, p. 163. 4 Der Fondo Luchino Visconti wird aufbewahrt innerhalb der Fondazione Istituto Gramsci, Via Portuense, 95c –​00153 Roma.

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(Spoleto 1961) –​vereinzelte Skizzen von Bewegungsabläufen, vorzugsweise für Massenszenen, angefertigt, in keinem Falle jedoch die szenischen Vorgänge auch nur annähernd vollständig schriftlich fixiert hat. Im Falle der Mailänder Traviata fehlen derartige Skizzen gänzlich; das überlieferte Material besteht zum überwiegenden Teil aus Fotos, dazu einigen wenigen Eintragungen im Libretto und im Klavierauszug (beide sind Teil des Bestands) sowie aus wenigen weiteren Dokumenten, auf die noch einzugehen sein wird. Quellencharakter im Hinblick auf die Szene kommt den ausführlichen Beschreibungen zu –​teils in Kritiken, teils in Berichten und Interviews der Beteiligten, darunter vor allem von Giulini sowie von Piero Tosi, einem engen Mitarbeiter Viscontis und Ausstatter von dessen Sonnambula-​Inszenierung, die wenige Wochen zuvor am selben Haus in Szene gegangen war, sowie zahlreicher weiterer Bühnen-​und Filmproduktionen des Regisseurs. Aus dem weitgehenden Fehlen schriftlicher Quellen zu Viscontis Mailänder Traviata auf eine oberflächliche Arbeitsweise des Regisseurs zu schließen, wäre freilich verfehlt. Das Gegenteil ist richtig: Aufzeichnungen fehlen deshalb, weil die Protagonisten der Einstudierung –​Regisseur, Dirigent und Hauptdarstellerin –​ihre Aufgaben als Teamwork verstanden und in intensiven Konzeptgesprächen bis ins Detail perfekt aufeinander abstimmten, so dass es einer schriftlichen Fixierung der Ergebnisse nicht mehr bedurfte. Zur Fama dieser außergewöhnlichen Einstudierung gehört nämlich auch die Art und Weise ihrer Erarbeitung, die sich die Beteiligten nicht vom Theaterbetrieb diktieren ließen, sondern in gemeinsamer künstlerischer Verantwortung selbst festlegten. Vor allem Giulini hat darüber wiederholt berichtet, nicht ohne hinzuzufügen, dass seine spätere weitgehende Abkehr von der Oper nicht in dieser selbst begründet war, sondern im Opernbetrieb, der ihm später kaum mehr jenes partnerschaftliche Arbeiten ermöglichte, wie er es bei der Mailänder Traviata auf so beglückende Weise erfahren habe. Callas, Visconti und er hätten vor dem Beginn der Proben zwei Wochen ausschließlich am Rollenprofil Violettas gearbeitet, weil nur so das perfekte Zusammenspiel von Wort, Musik und Aktion gewährleistet gewesen sei, auf dem das Gelingen einer Opernaufführung beruhe5. Sein ästhetisches Credo beschreibt Giulini an anderer Stelle so:  »Die Arbeit an der Oper ist eine 5 Zu der Zusammenarbeit mit Callas und Visconti anlässlich der Mailänder Traviata hat sich Giulini mehrfach geäußert, so im Gespräch mit Elvio Giudici, in: Musica 13/​55 (Apr.–​Mai 1989), pp. 16–​25: 24 »[…] per la Traviata della Scala, la Callas, Visconti ed io abbiamo studiato solo il personaggio di Violetta per due settimane di fila nella sala gialla. E solo dopo sono iniziate le prove. In quelle condizioni, la responsabilità dello spettacolo è davvero del direttore: altrimenti le variabili indipendenti sono troppe, e il caso ha troppa parte nella riuscita.« Im Gespräch mit Gerald Fitzgerald (Ardoin/​Fitzgerald, Callas, p. 117) beschrieb

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Arbeit des Durchdringens, nicht allein des musikalischen Textes, sondern auch der Rolle und ihres Innenlebens.« Und weiter: »[…] das sichtbare Ereignis muss in absolutem Einklang mit dem Hörereignis stehen. Deshalb ist es notwendig, dass zwischen Dirigent und Regisseur ein völliges Einverständnis darüber besteht, wie der Musik, wie dem Komponisten zu dienen sei.« Der Musik und ihrem Schöpfer gebühre mithin in der Oper der Primat, wofür die Sängerdarstellerin Maria Callas gleichsam als Person einstehe: »Die Callas war überragend und besaß die Fähigkeit, auf natürliche Weise diese verschiedenen Aspekte der szenischen Deutung [i.e.: der Musik] zu vereinen. Sie selbst war die Oper.«6 Um Giulinis künstlerische Position, die so gut wie ohne Abstriche auch diejenige Viscontis und der Callas war, in ihren Konsequenzen zu verstehen, muss bedacht werden, dass hier nicht allgemein von »Musiktheater«, sondern sehr spezifisch von »Oper« –​italienischer zumal –​die Rede ist, mit deren Wirkungsästhetik ein Inszenieren neben der Musik oder gar gegen die Musik schlechterdings unvereinbar erscheint. Wenn Giulini die Konvergenz von Musik und Szene nach Maßgabe der ersteren einfordert, so meint er damit freilich nicht einen mechanistischen Parallelismus, wie etwa das »Mickey Mousing« in der Filmmusik, aber auch nicht eine introvertierte Dominanz der Musik, die sich im Kreisen um sich selbst gegenüber der Szene abschottet. Was vom Regisseur im Zusammenwirken mit dem Dirigenten und Darsteller gefordert wird, ist vielmehr das Ausloten der dramatischen Dimension der Musik. Diese aber besteht, wie schon Carl Dahlhaus7 richtig erkannt hat, nicht aus einem geschlossenen System musikalisch-​sprachlicher

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Giulini die gemeinsame Arbeit als Inszenieren aus der Musik heraus folgendermaßen: »We three arrived at her characterization, with a complete rapport between words, music, and action. Visconti –​apart from the fact he is a genius of the theatre –​has incredible sensitivity to romantic Italian opera. Each of Maria’s gestures he determined solely on musical values. We concentrated much attention on Violetta’s state of mind, trying to penetrate the psyche of this fragile feminine creature. In doing this, we discovered a thousand delicate nuances. I’m sure that anyone who saw Maria in this Traviata could no more forget her than forget the beauty of Greta Garbo in Camille. One was upset, moved.« Musica 1/​4 (Dez. 1977), p. 162sq.: »Il lavoro dell’opera è un lavoro di penetrazione, non solo del testo musicale, ma del personaggio e di quanto gli sta intorno.« –​»[…] il fatto visivo deve essere in assoluto accordo col fatto uditivo. Perciò è necessario che fra direttore d’orchestra e regista ci sia un’intesa assoluta su come servire la musica, come servire l’autore«. –​»La Callas era grandissima e possedeva la capacità di sintetizzare naturalmente questi diversi aspetti dell’interpretazione scenica. Lei stessa era il melodramma.« Carl Dahlhaus, Zur Methode der Opern-​Analyse, in: Musik und Bildung. Zeitschrift für Musikerziehung 12/​9 (September 1980), pp. 518–​523.

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und szenischer Zeichen, das es bloß sichtbar zu machen gelte, entfalten doch diese Zeichen, weit entfernt davon, in einem eindeutigen Verhältnis zueinander zu stehen, einen verwirrenden »Beziehungszauber« –​Dahlhaus bedient sich ausdrücklich der Formulierung Thomas Manns zur Charakterisierung der Leitmotivik Wagners –, einen »Beziehungszauber«, der sich als sperrig gegenüber einer starren Übersetzung in Bühnenvorgänge erweist, diesen jedoch einen Bezugsrahmen vorgibt. Für dessen Ausfüllung besitzt der Interpret ein hohes Maß an Freiheit, deren kreativer Gebrauch freilich nur dann gelingen kann, wenn auf der Grundlage einer vollständigen Beherrschung des Metiers Fantasie und kulturelles Bewusstsein in einen konstruktiven Dialog treten. In dieser Hinsicht erwiesen sich Callas und Visconti als kongeniale Partner, und was Letzteren und sein Verhältnis zur Oper betrifft, so wurde dieses –​wiederum von Giulini –​auf den Punkt gebracht, wenn er formuliert: Luchino Visconti ist –​wegen seiner Vertrautheit mit der Oper und seiner musikalischen Kenntnisse –​derjenige Regisseur, der von Grund auf den Unterschied zwischen der Regie im Sprechtheater und derjenigen in der Oper begriffen hat. In der Oper  –​anders als es im Sprechtheater der Fall ist  –​bestimmt der Komponist in vollständiger Weise den Charakter der Figuren, indem er durch die Musik ihren Seelenzustand ausdrückt, durch den Rhythmus die Zeitabfolgen der Handlung, durch die Lautstärken die Lebendigkeit des Geschehens. [...] Mit Visconti zusammenzuarbeiten, war wundervoll, weil sich eine intensive gemeinsame Arbeitsbeziehung entwickelte; und deshalb haben wir uns nicht vorgenommen, etwas Neues und Verschiedenes um jeden Preis zu machen, sondern einfach das Beste, im Mittelpunkt unserer Arbeit standen stets Mozart oder Verdi.8

Im Rückblick auf seine Arbeit mit der Callas hat Visconti zwar deren Ausnahmeerscheinung als Gesangsschauspielerin herausgestellt und darauf hingewiesen, dass er mit ihr –​und auf dem Felde der Oper allein mit ihr –​wie mit einer Schauspielerin habe arbeiten können, aber nur um zugleich die Eigengesetzlichkeit der Oper gegenüber dem Sprechtheater zu unterstreichen: »Es ist wohlbekannt, dass die Oper eine Art von Dehnung der Gefühle, der Gesten, der Stellung usw. erfordert. Mit der Callas kann man all das mit 8

Luchino Visconti e il suo lavoro, Mailand (Electa) 1981, p. 11: »Luchino Visconti –​anche per la sua abitudine al melodramma e per la sua conoscenza della musica –​è il regista che ha capito fino in fondo la differenza tra la regia nel teatro di prosa e quella nel teatro d’opera. Nel teatro d’opera infatti –​diversamente da quanto accade nel teatro di prosa –​il compositore determina in maniera assoluta il carattere dei personaggi esprimendo con la musica il loro stato d’animo, con il ritmo i tempi dell’azione, con i suoi ›forte‹ e ›piano‹ la dinamica del dramma. […] Lavorare con Visconti era stupendo, perchè si instaurava un rapporto di collaborazione profonda: e poichè non ci proponevamo di fare qualcosa di nuovo e di diverso a tutti i costi, ma semplicemente di fare il meglio, al centro del nostro servire c’erano sempre Mozart o Verdi.«

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der größten Leichtigkeit erreichen, weil sie es zustande bringt mit Beherrschung, Feinheit und außerordentlichem Geschmack […]«9. Hält man sich an die überlieferten Dokumente, so scheint dies in der Mailänder Traviata auf beispielhafte Weise geglückt zu sein, sind doch hier im gemeinsamen Ringen um das Ziel, den Ausdruck der Musik in Gesten und Bewegungen sichtbar werden zu lassen, Lösungen gefunden worden, die selbst noch in der bloßen Beschreibung und in der Fixierung auf den im Foto erfassten Moment eine Ahnung von der überwältigenden, aber auch verstörenden Kraft des musikalischen Dramas vermitteln. Was letztere betrifft, so gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass Visconti einen Inszenierungsstil pflegte, den man aus der Sicht der Zeitgenossen als »Regietheater« avant la lettre bezeichnen könnte. Auch wenn Visconti sich streng am Stück orientierte, mithin Werk-​und nicht Konzeptregie praktizierte, so stellten doch manche seiner Ideen, mochten sie auch auf das Genaueste aus der Musik heraus entwickelt worden sein, einen Bruch mit den Seh-​und Empfindungsgewohnheiten des damaligen Publikums dar, die denn auch von diesem nicht immer auf Anhieb akzeptiert worden sind; für einen Teil desselben und für einige Kritiker war die Aufführung gar, wie Gianni Rondolino sich ausdrückt, »un vero e proprio scandalo«10. Da umgekehrt die musikalische Darstellung die Szene gleichsam in sich aufgesogen hat, lässt auch sie sich nie losgelöst von der Szene verstehen, auch wenn diese –​und darin liegt das Problem für den heutigen Betrachter –​wegen des Fehlens einer Videoaufzeichnung nur noch mittelbar erfasst werden kann. Der Versuch, über die Musik ein Bild von der dramatischen Totale der Aufführung zu gewinnen, muss gleichwohl unternommen werden, denn die überlieferte Tonspur entfaltet ihre Bedeutung nur als integraler Bestandteil des Dramas. Eine Grundsatzentscheidung freilich hatten die Ausführenden vorab zu treffen, und für sie zeichnete Visconti verantwortlich:  die Versetzung der Handlung um ein halbes Jahrhundert in die Belle Époque, und es kennzeichnet die Arbeitsweise des Regisseurs, dass er seine Idee nicht von außen in das Team einbrachte, sondern aus diesem selbst bezog. Die Belle Époque war nämlich auch die Zeit des Wirkens der beiden bedeutendsten Darstellerinnen der »Kameliendame« im Schauspiel:  Sarah Bernhardt und Eleonora Duse, 9 »Si sa bene che il melodramma richiede una specie di dilatazione dei sentimenti, dei gesti, degli atteggiamenti, ecc. Con la Callas si può arrivare a tutto ciò con molto facilità, perchè lei vi è portata, però con un controllo, con una finezza, con un gusto straordinario […]« (Visconti racconta: La Callas e la recitazione nel melodramma, in: Visconti, Il mio teatro, vol. 1, p. 24). 10 Rondolino, Luchino Visconti, p. 352. Zu den prominentesten Kritikern zählte Teodoro Celli vom Corriere Lombardo (Nachdruck seiner Rezension in: Visconti, Il mio teatro, vol. 1, pp. 54–​59).

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als deren Nachfolgerin in der Oper Visconti von Anfang an Maria Callas vor Augen stand. Das Nebeneinander von Lebensrausch und dem Wissen um seine Vergänglichkeit –​der ursprüngliche Titel von Verdis Oper bezeichnete die Gefühlspole lapidar als »Amore e morte« –​ließ sich, so sah es Visconti, in keinem Ambiente so sinnfällig in Szene setzen wie in der »Gewächshausatmosphäre« der Pariser Salons des Fin de siècle. Den perfekten szenischen Rahmen dazu schuf die von Visconti in die Inszenierung eingebrachte Ausstatterin Lila De Nobili, ihm von gemeinsamen Arbeiten für das Schauspiel bestens vertraut. Ihre malerisch empfundenen, mit trompe l’œil-​Effekten spielenden Szenerien und raffiniert-​üppigen Kostüme –​eklektisch zwischen Realismus, Impressionismus, Neorokoko sowie Elementen zeitgenössischer Industriearchitektur vermittelnd  –​evozierten eine magische Kunstwelt, in den Worten Sandro Sequis:  einen »unvergesslichen Traum von der Belle époque«11. Der Theater-​und Filmregisseur Visconti sah sich hier ganz in seinem Element, bot sich ihm doch die Gelegenheit, Verdis »Kameliendame« zugleich als individuelle Tragödie wie als gesellschaftliches Drama zu gestalten. Im Traviata-​ Nachlass Viscontis finden sich zwei Bilddokumente, die einen erhellenden Einblick in die Werkstatt des Regisseurs gewähren:  eine verblichene »cartolina illustrata« mit der Aufschrift »Fumoir oriental«, darstellend ein üppig im Stil des Fin de siècle ausgestattetes Rundzimmer mit Kuppel und einem Sofa samt Baldachin mit dem handgeschriebenen Vermerk am unteren Rand: »Hinweis für Lila De Nobili –​etwa in dieser Art könnte ich mir den blauen Salon im Hause Floras vorstellen«12; weiterhin ein großformatiges Foto mit der Aufschrift: »Der Karneval von Paris. Wagen des Fetten Ochsens«13, darstellend einen von mehreren Pferdegespannen gezogenen Prunkwagen mit dem Abbild des Ochsen, umgeben von kostümierten Personen. Um hier den Bezug zur Oper herstellen zu können, muss man deren Text im Detail gegenwärtig haben: Im unsichtbaren Chor-​Bacchanale des letzten Aktes, das wie eine Vision vergangener Freuden von der Straße her ins Zimmer der sterbenden Violetta hineintönt, heißt es: »Pariser, macht Platz dem Festzug des Fetten Ochsen«14. Dabei handelt es sich um einen traditionellen Ritus der Pariser Karnevalsumzüge, für Visconti mithin, wie auch der »blaue Salon«, ein Element der »couleur locale« der Handlung, das er in die Recherchen zur Vorbereitung seiner Inszenierung einbezog. Im 11 Kesting, Maria Callas, p. 80, cf. Ardoin/​Fitzgerald, Callas, p. 115: »an unforgettable dream of the belle époque.« 12 »Appunto di Lila De Nobili –​volerei un po’ così il salottino bleu della casa di Flora.« 13 »Le Carneval de Paris. Char du Bœf Gras.« 14 »Parigini, date passo al trionfo del Bue grasso.«

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Folgenden soll auf der Grundlage der überlieferten Quellen an drei dramaturgisch zentralen Szenen der Oper gezeigt werden, auf welche Weise aus den Intentionen des Regisseurs einerseits, des Dirigenten und der Sängerdarstellerin andererseits, das musikalische Drama entstand. Zu Recht wird in Traviata-​Analysen Violettas »Scena ed Aria« am Ende des I. Aktes (in der Partitur ausdrücklich als dessen »Finale« bezeichnet) eine dramaturgische Schlüsselstellung zuerkannt, entfaltet diese doch an unerwartetem Ort –​in der Tradition des Melodramma käme dafür eher die hier fehlende Auftrittsarie (»Aria di sortita«) in Frage  –​das Spannungspotential von Violettas Charakter als Innen-​und Außenansicht ihrer Person: der liebebedürftigen »einsamen Seele« (»anima solinga«) einerseits, der öffentlichen Figur der Kurtisane andererseits. Im Formschema der zweisätzigen Arie, bestehend aus Andantino und Allegro brillante-​Cabaletta, lässt Verdi die gegensätzlichen Welten von Violettas Existenz aufeinanderprallen mit dem Kunstgriff, durch Alfredos Stimme in der Cabaletta zwischen ihnen eine fragile Verbindung herzustellen. Behält am Schluss des I. Aktes die Kurtisane das letzte Wort, so am Schluss der Oper die selbstlos Liebende, freilich im Angesicht des Todes, der von Beginn an seinen Schatten auf Violettas Leben geworfen hat15. Dies ist zweifelsohne die Grundidee der Oper, die eigentlich von keiner Inszenierung verfehlt werden kann; was die vorliegende gegenüber anderen heraushebt, ist der besondere Akzent auf dem Motiv des Todes, die atmosphärische Dichte, mit der Musik und Szene die Aura von Vergänglichkeit einfangen, wobei der Farbenreichtum der Callas-​Stimme, ihr melancholischer Grundton, für den Dirigenten wie den Regisseur eine perfekte Vorgabe bildete. Leider findet sich unter den Aufführungsfotos Piccaglianis keines von Violettas »Scena ed Aria« im I. Akt. Einen Ersatz dafür bietet Piero Tosis Beschreibung, die eine Reihe von aufschlussreichen Details enthält: Nachdem die Gäste gegangen waren, sah der verlassene Raum aus wie ein Friedhof –​die großen Blumenarrangements nicht mehr frisch, der Tisch ein Schlachtfeld, Servietten und Fächer auf dem Boden, die Stühle verrückt. Dann kam die Zofe Annina herein, um den Kronleuchter und die Kerzen auszulöschen, während sich Callas am Kamin niedersetzte, eingehüllt in eine Stola und nur von den Flammen erleuchtet. Und während sie ihren Schmuck ablegte und die Spangen aus dem Haar nahm, das auf ihre Schultern niederfiel, sang sie ›Ah, fors’è lui‹. Für das Cabaletta-​ Finale aufstehend, ging sie auf den Tisch zu, setzte sich nieder, warf den Kopf zurück und schleuderte ihre Schuhe von den Füßen  –​das Bild von Zolas Nana.

15 Zur »Scena ed Aria« Violettas allgemein cf. Sieghart Döhring, Szene in der Musik und Musik in der Szene. Zur Musikdramaturgie der italienischen und französischen Oper im 19. Jahrhundert, in: Musik und Bildung 12 (1980), pp. 523–​529: 523–​526.

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Dann unterbrach Alfredos Stimme ihren Gesang. Es ist ein Klang, den sie nicht versteht. Klingt er in ihrem Herzen, ihrer Vorstellung? Oder ist er wirklich? Vergeblich sucht sie nach der Stimme, eilt zur Veranda. Man konnte in diesem Augenblick ihren Herzschlag spüren.16

Der Auftritt der Zofe Annina am Beginn der Szene, von Verdi nicht vorgesehen, ist von zeitgenössischen Betrachtern gelegentlich als ablenkende Regiezutat moniert worden. Erst recht hat das Abstreifen der Schuhe am Beginn der Cabaletta so manchen Kritiker verstört, der darin einen in seiner Krassheit der Gattung Oper unangemessenen Realismus erblickte. Dem heutigen, an ganz andere Freiheiten von Regisseuren gewöhnten Betrachter fällt es schwer, diese Argumentation nachzuvollziehen, jedoch sollte man versuchen, das dahinterstehende Anliegen zu würdigen, nämlich der Oper als Theater aus Musik unter allen Umständen gerecht zu werden und sie nicht dem Realismus von Sprechtheater und Film auszuliefern, als dessen Repräsentanten man Visconti ansah. Tatsächlich hätte eine derartige Versuchung gerade bei diesem Regisseur nahegelegen, jedoch bewahrte ihn davor sein profundes Werkverständnis, verbunden mit untrüglichem Stilgefühl. Die realistischen Zutaten dienten ihm nie als Selbstzweck, sondern als Veranschaulichung seelischer Vorgänge durch szenische Bilder. In der Tat erweist sich gerade darin Viscontis interpretatorische Subtilität, seine Fähigkeit zur szenischen Pointierung der musikalischen Aussage. Beispielhaft deutlich wird dies am Abstreifen von Violettas Schuhen. Mag die Bewegung auch nicht unmittelbar aus der Situation motiviert und erst recht nicht direkt »vertont« sein, so entspricht sie doch gestisch wie bedeutungsmäßig der Musik, indem sie deren plötzliches emotionales Umkippen mit einem überraschenden optischen Zeichen versieht. Dafür findet sich sogar ein musikalischer Hinweis im Abbrechen der melodischen Linie kurz vor dem Schluss des Ritornells (ein von Verdi vielfach stereotyp angewandter Effekt, so auch bereits zuvor in Alfredos und Violettas »Brindisi«, der an

16 Kesting, Maria Callas, p. 82. Cf. Ardoin/​Fitzgerald, Callas, p. 119: »After the guests departed, the abandoned room looked like a cemetery –​the great floral arrangements no longer fresh, the table a mess, napkins and fans on the floor, chairs in disorder. Then the maid Annina entered to extinguish the chandelier and candles as Callas huddled by the fireplace, wrapped in a shawl and lit only by the flames. Removing her jewels and the pins from her long hair, which fell to her shoulders, she sang ›Ah, fors’è lui.‹ Rising for the cabaletta finale, ›Follie! Follie!‹ she moved to the table, sat, threw back her head, and kicked off her shoes –​the image of Zola’s Nana. Then the voice of Alfredo interrupts her song. It is a sound she doesn’t understand. Is it in her heart, her mind? Or is it real? Vainly she searches for the voice, running toward the veranda. You could feel her heartbeat at that moment.«

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dieser Stelle dramatisch absolut treffend erscheint). Darüber hinaus aber liegt in der Geste noch eine inhaltliche Tiefendimension, insofern sie den äußeren Vorgang ins Seelische öffnet: als einen symbolischen Akt des Entblößens (Violetta tatsächlich auszuziehen, blieb heutigen Regisseuren vorbehalten) und damit als Verweis auf die Entäußerung ihrer Existenz hin zu den »immer neuen Vergnügungen« (»diletti sempre nuovi«), von denen die nachfolgende Cabaletta handelt. Diesen Widerstreit der Gefühle musikalisch zu vermitteln, ist im Melodramma vorrangig Aufgabe des Sängerdarstellers, und die Callas wird ihr mit dem dunklen Glanz ihrer an Klangfarben überreichen, einer Fülle von Ausdrucksnuancen mächtigen Stimme vollständig gerecht. Das Orchester bleibt dabei stets im Hintergrund, unterstützt den Gesang, ohne durch aufgesetzte Affekte Aufmerksamkeit zu erzwingen, setzt dabei aber doch spezifische Akzente. Unmittelbar vor dem Beginn des Andantino, über der Generalpause nach Violettas Frage:  »Und konnte ich sie [= die Freude, geliebt zu werden] verachten um der schalen Verrücktheiten meines Lebens willen?« (»E sdegnarla poss’io per l’aride follie del viver mio?«), findet sich im Klavierauszug der Arbeitsmaterialien der handschriftliche Vermerk Viscontis:  »äußerst fragend  –​szenisch« (»molto interrogativo  –​scenicamente«), offenbar der Hinweis auf eine gestisch-​mimische Ausfüllung dieses Augenblicks der Stille vor Violettas Rückblick auf ihr bisheriges Leben. Die gleich danach einsetzenden Pianissimo-​Streicherakkorde, die Violettas »Ah, fors’è lui« begleiten, erhalten dadurch, dass sie von Giulini hier nicht –​ wie vorgeschrieben  –​staccato artikuliert werden, unerwartetes Gewicht, und verleihen, zusammen mit den Bläsereinschüben an den Phrasenenden, der Passage insgesamt den Charakter lastender Schwere. Dazu passt, dass die Gesangsstimme nach Coda und Kadenz auf dem vorgeschriebenen f   –​ anstelle des zumeist interpolierten f   –​schließt. Dem im Tempo di mezzo aufbrechenden Affektkontrast bleiben Dirigent und Sängerin zwar nichts schuldig, dennoch vermeiden sie in der Cabaletta absichtsvoll jeden Anflug fröhlicher Unbeschwertheit. An den Salonton eines Chopin’schen Walzers, den Dieter Schnebel mit dem Stück assoziiert17, wird man hier trotz perfekter Triller und Skalen keinesfalls erinnert. Das verhältnismäßig langsame Tempo (langsamer als in früheren Callas-​Interpretationen dieser Szene) und die straff akzentuierten, fast stampfenden Bässe demaskieren Violettas forciert zur Schau gestellte Lebenslust als Eskapismus.

17 Dieter Schnebel, Die schwierige Wahrheit des Lebens –​zu Verdis musikalischem Realismus, in: Heinz-​Klaus Metzger/​Rainer Riehn (edd.), Giuseppe Verdi, München (edition text + kritik) 1979 (Musik-​Konzepte 10), pp. 51–​111: 82sq.

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Dramatisches Zentrum von La traviata ist unbestritten das große Duo zwischen Violetta und dem Vater Germont im 1. Bild des II. Aktes. In ihm vollzieht sich die Peripetie der Handlung, insofern Violetta unter dem Druck der Vorhaltungen von Alfredos Vater von einem Leben an der Seite des Geliebten  –​für sie jetzt die einzig wirkliche Form von Leben  –​Abschied nimmt. Damit zahlt sie den Preis für ihre frühere Kurtisanen-​Existenz, in die sie nun notgedrungen für die kurze ihr noch verbleibende Lebenszeit zurückkehrt, obwohl diese für sie in einem tieferen Sinne Nicht-​Leben und damit die seelische Vorwegnahme ihres körperlichen Todes bedeutet. Von diesem Grundverständnis der Charaktere her lässt sich die dramaturgische Bedeutung der Szene kaum missverstehen. Für ihre vollständige Entschlüsselung kommt es indes darauf an, Violettas Wandlung als einen Prozess begreifbar zu machen und seine Stationen textlich-​musikalisch genau zu verorten: von stolzer Selbstbehauptung (»Donna son io, signore, ed in mia casa«) über verzweifeltes Aufbäumen (»Non sapete quale affetto«) und unterdrückten Schmerz (»Così alla misera«) bis zum schließlichen Absinken in Resignation (»Dite alla giovine«). Zur Darstellung dieser Entwicklung hat Verdi die traditionelle Duettform aufgelöst und in eine neuartige Episodenstruktur überführt, die sich erst zum Schluss hin –​als Violettas Entscheidung gefallen ist  –​wieder dem Schema annähert. Der Umschlag wird zwar vorbereitet, vollzieht sich dann aber momenthaft:  Es ist der Augenblick eines kurzen Innehaltens, in dem die zuvor aufgebaute seelische Spannung in sich zusammenfällt und dem Gefühl der Ergebenheit ins Schicksal Platz macht. Wenn Violetta sich »weinend« (»piangendo«) an Alfredos Vater wendet, dieser möge seiner Tochter, der »giovine bella e pura«, von ihrem Opfer berichten, dann ist die Entscheidung gefallen. Die Wende lässt sich also musikdramatisch präzise lokalisieren, nämlich auf Violettas »Ah!«-​Seufzer: ein unbegleitet gleichsam im Raum schwebendes b mit Fermate, ein wahrhaft subtiler Effekt, der Verdi als Schilderer der menschlichen Seele ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Studiert man die überlieferten Dokumente der Mailänder Traviata von 1955, so wird deutlich, dass das Inszenierungsteam eben diesen Sachverhalt genau erkannt hat und umzusetzen bemüht war. Anders als Violettas Arie am Schluss des I. Aktes ist ihr Duett mit Germont aus dem 1. Bild des II. Aktes von Piccagliani in einer Reihe von Fotos dokumentiert worden. Schauplatz ist nicht, wie vorgeschrieben, der Gartensaal von Violettas Landhaus, sondern der Garten selbst mit dem Haus im Hintergrund, farblich durch helle Blau-​und Grüntöne als Ausdruck naturhafter Idylle vom Schwarz und Dunkelrot des Dekors und der Kostüme in den umgebenden Gesellschaftsszenen wirkungsvoll abgesetzt. Die Fotoserie beginnt mit dem Auftritt Callas’/​Violettas in einem Kostüm der Sarah Bernhardt und fixiert sodann Momente aus dem Dialog zwischen Violetta und Germont, der in dieser Inszenierung nicht als unnahbarer Alter, sondern als emotionale Wärme vermittelnder Mann in

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den besten Jahren dargestellt ist. Im oben beschriebenen Schlüsselmoment des Gesprächs sitzt Violetta in einem Gartenstuhl, Germont dicht hinter ihr in einem ebensolchen, für Violetta unsichtbar, so dass seine Stimme für sie aus dem »Off« zu kommen scheint, gleichsam als Sprecherin ihres seelischen Alter Ego. Alle Interaktion zwischen den Personen ist vermieden, nur Gestik und Mimik Violettas geben Zeugnis von dem ungeheuren seelischen Geschehen, das sich in ihrem Innern vollzieht. Vorrangiger Ausdrucksträger ist auch hier die Gesangsstimme, in erster Linie diejenige Callas’/​Violettas, die den prozesshaften Verlauf der seelischen Entwicklung in allen seinen Stadien abbildet. Giulini erinnert sich: Indem Callas jedes vokale, musikalische und dramatische Ausdrucksmittel, das ihr zu Gebote stand, einsetzte, offenbarte sie ganz und gar Violettas Fähigkeit, sich zu vergeben, ihre unendliche Bereitschaft, sich einem anderen zu schenken –​bis hin zu dem Punkt, sich selber vollständig zu opfern und die einzige Liebe, die sie je gekannt hat, aufzugeben.18

Nun da der Entschluss zum Opfer gefasst ist, hat die Stimme sich aller äußeren Wirkungsmittel entledigt, ist nur noch »Körper«. Ohne jeden affektiven Drücker gleitet sie vom ausschwingenden b in die Phrase des »Dita alla giovine« und zeichnet deren melodischen Bogen nach: ganz instrumental, dem Klang einer Oboe ähnlich, und zugleich reiner Ausdruck, mithin ein Exempel für Belcanto. Und in der Wiederholung, assistiert von kurzen Einwürfen Germonts, gelingt der Sängerin das Kunststück, ihre Stimme einerseits nochmals zurückzunehmen, andererseits am Scheitelpunkt des melodischen Bogens dynamisch leicht anzuheben und damit die Phrase insgesamt zu intensivieren. Ob und wenn ja, welchen Anteil an diesem Interpretationskonzept der Dirigent gehabt hat, ist nicht bekannt, jedenfalls unterstützt er es orchestral auf ebenso subtile wie wirkungsvolle Weise. So schärft er die Kontraste zwischen den von Violetta und den von Germont stimmlich dominierten Partien mit klangfarblichen und rhythmischen Mitteln, indem er Germonts Hinweis auf den von Violetta erbrachten »sacrifizio« durch Hervorhebung der Cellostimme eindunkelt und der »Dite alla giovine«-​Phrase in der Begleitung durch Akzentuierung der unbetonten Taktteile einen Gegenimpuls zukommen lässt, womit er vorwegnimmt, was Verdi dann bei der Wiederholung der Phrase durch eine punktierte Figur direkt auskomponiert. Wenn man

18 Kesting, Maria Callas, p. 82, cf. Ardoin/​Fitzgerald, Callas, p. 123: »Callas, using every vocal, musical, and dramatic device at her command, fully revealed Violetta’s capacity to give her infinite ability to dedicate herself to another –​even to the point of making a complete sacrifice of herself of leaving the only true love she has ever known.«

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will, mag man hierin das musikalische Symbol für einen stockenden Herzschlag erblicken. Mit welcher Subtilität die Callas in Violettas Charakter jenen Moment tiefster seelischer Erschütterung, als sie ihr Leben ihrer Liebe opfert, Klang werden lässt, zeigt ein winziges, dabei höchst eindringliches, im Wortsinn »sprechendes« Detail. Wenn Violetta Germont auffordert, seiner Tochter, der »giovine bella e pura«, ihren Verzicht auf Alfredo mitzuteilen, verzögert die Callas für einen Sekundenbruchteil den Einsatz des b auf der ersten Silbe von »pura«, gleichsam als ginge Violetta –​der Kurtisane –​das Wort »rein« nur stockend über die Lippen. Dabei erfährt der musikalische Fluss, ohne als solcher unterbrochen zu werden, eine momenthafte Binnenspannung als »Abdruck« psychischer Befindlichkeit:  Der Gedanke an die Unschuld von Germonts Tochter lässt Violetta die eigene Kurtisanenexistenz als schuldhaft bewusst werden und ihr »Opfer« als einen Akt der Buße empfinden. An Augenblicken wie diesem wird schlaglichtartig deutlich, was es heißt, in der Oper die Musik dramatisch ›zum Sprechen‹ zu bringen, und man könnte daher geneigt sein, darin ein besonders glänzendes Zeugnis der Arbeit am Werk von Regisseur, Dirigent und Sängerdarstellerin zu erblicken. Der tatsächliche Hergang war jedoch ein anderer:  Zwar dürfte es im Verlauf der Konzeptgespräche auch um dieses Detail von Violettas Rollenprofil gegangen sein, die Idee selbst aber stammte, wie die Callas 1968 im Interview mit Lord Harewood mitteilte, von dem Dirigenten Tullio Serafin, ihrem künstlerischen Mentor. Mit ihm erarbeitete sie in Florenz 1951 ihre erste Traviata, und wahrscheinlich bereits damals gab Serafin ihr diesen interpretatorischen ›Tipp‹, den die Callas  –​jedenfalls soweit sich dies anhand von Tondokumenten überprüfen lässt –​in allen ihren späteren Darstellungen dieser Rolle umgesetzt hat. Möglicherweise war auch Serafin nicht der Urheber des Einfalls, sondern lediglich der Vermittler weit älteren gesangsdarstellerischen Traditionswissens, das freilich erst in der besonderen personellen Konstellation dieser Mailänder Einstudierung seine optimale Wirkung entfalten konnte. Für den gesamten III. Akt und damit auch für die Schilderung von Violettas Ende existieren an Bilddokumenten außer Gesamtansichten der Szene lediglich Standfotos; für Live-​Aufnahmen im Detail war die Bühne zu dunkel. Wir sind also, was die optische Seite der Inszenierung betrifft, fast vollständig auf Beschreibungen angewiesen. Aus diesen geht hervor, dass Visconti zu Beginn des Aktes den sozialen Aspekt von Violettas Niedergang herausgehoben hat: Möbelpacker tragen stumm ihre Habseligkeiten aus dem Zimmer, auch noch, als sie sich schon aus ihrem Bett erhebt, in den Worten Tosis: »[…] wie eine Tote, wie eine verfallene Figur aus einem Wachsmuseum  –​nicht länger menschliches Wesen, sondern ein lebender Leichnam. Und sie sang mit einem Faden von Stimme, so schwach, so krank, so herzanrührend […].«

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Und weiter:  »Und in jeder Geste der Callas steckte der Tod.«19 Besonders bewegend muss ihr Spiel gewesen sein, als Violetta nach der Wiederbegegnung mit Alfredo mit diesem fortgehen will und beim Versuch, sich anzukleiden, einen vergeblichen Kampf mit Mantel, Hut und Handschuhen führt. Insbesondere der Hut war Anlass zu kritischen Kommentaren20, und auch die Callas selbst scheint dieser Inszenierungsidee mit Skepsis gegenübergestanden zu haben, jedenfalls wird berichtet, dass sie gelegentlich scheinbar zufällig, tatsächlich wohl absichtlich, den Hut habe vom Kopf gleiten lassen. Über die Theaterwirkung des Requisits kann man streiten, nicht hingegen über seine Bedeutung im Handlungskontext, denn selbstverständlich ist der Hut, wie auch die übrigen Kleidungsstücke, ein Symbol für die Reise, die Violetta anzutreten im Begriff ist, ihre letzte Reise –​in den Tod. Dafür haben Callas und Giulini im Verlauf des Aktes immer neue musikalische Darstellungsmittel gesucht und gefunden, stimmlich vom erstickten Sprechen (beim Lesen des Briefes von Germont) über alle Zwischenstufen deklamierenden und ariosen Gesanges bis zum langgezogenen ›Schrei‹ (das über fast zehn Sekunden ausgehaltene g vor »Gran Dio! morir sì giovane«), orchestral in der Ausnutzung des gesamten dynamischen und klanglichen Spektrums vom subtilen Valeur bis zum entfesselten Ausbruch als Ausdruck puren Schreckens angesichts des Todes, etwa in den Schlusstakten. Um die Stimme so zu formen, man kann auch sagen: so zu deformieren, dass sie wie ein »Faden« wirkt (Verdi selbst hat für das a am Schluss von »Addio del passato«, übrigens nicht zum ersten Mal in seinen Opern, ebendies vorgeschrieben: »un fil di voce«), hat die Callas hart gearbeitet, worüber sie sich in Interviews mehrfach ausgelassen hat, und sie ist mit ihren Bemühungen, wie spätere Aufführungen erweisen, über die Ergebnisse von 1955/​56 sogar noch hinausgegangen. Die Gestaltung der Todesszene durch Callas/​Visconti muss in der bannenden Kraft der Darstellung von außerordentlicher Wirkung gewesen sein. Ein letztes Mal Tosi: Nachdem sie ihr Schicksal schließlich angenommen und Alfredo ein Medaillon mit ihrem Portrait gegeben hat, sprach Violetta ihre berühmten Schlusszeilen. Strahlend lächelnd sagte sie Alfredo, dass ihre Schmerzen aufgehört haben, dass ihre alte Kraft wiedergekehrt, dass neues Leben in ihr erwacht sei –​und starb mit den Worten:  ›Oh, Freude!‹, ihre großen Augen weit geöffnet mit einem empfindungslosen

19 Kesting, Maria Callas, p. 83, cf. Ardoin/​Fitzgerald, Callas, p. 137: »[…] like a cadaver, some decadent manikin from a wax museum –​no longer a human being, but a living corpse. And she sang with a thread of a voice, so weak, so ill, so touching […] In Callas’s every gesture, death seemed imminent.« 20 Teodoro Celli, einer der Visconti kritisch gegenüberstehenden Rezensenten, überschrieb seine Besprechung im Corriere Lombardo mit: »Violetta è morta in cappotto e cappello«.

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Starren ins Publikum, und als der Vorhang fiel, starrten ihre toten Augen weiter leer in den Raum. Für einen Moment hat die gesamte Zuschauermenge Alfredos Schrecken und Schmerz gespürt –​auch sie hatte den Tod gespürt.21

Wie zuvor Violettas Ankündigung ihres Opfers gegenüber Germont (s.o.), so erfährt auch ihr Tod eine ausdrucksmäßige Verdichtung durch einen dezenten interpretatorischen Eingriff in die Musik. Auf dem letzten der Worte, mit denen die Sterbende in ekstatischem Jubel ihre Wiedergeburt feiert –​»gioia« (»Freude«) als in höchster Erregung (»agitatissimo« heißt es kurz zuvor) ausgestoßener Schrei –​, ›kappt‹ die Sängerin den Schlusston as, als breche Violetta im Augenblick des Todes die Stimme. Zweifellos hat Verdi dies so nicht vorgeschrieben: Aus der Komposition geht vielmehr hervor, dass Violetta ihr letztes Wort noch zu Ende bringen und erst danach der Tod eintreten solle, wenn sie »auf das Sofa zurückfällt« (Regieanweisung: »ricade sul canapè«). Dennoch erscheint die in Mailand gefundene Lösung nicht als Verfälschung, vielmehr als Verdeutlichung von Verdis Intention, insofern der Umschlag von »Verklärung« in den »Tod«, den die Augenzeugen –​gleichsam als Repräsentanten der »Gesellschaft«  –​teils sachlich konstatieren (Arzt), teils schockhaft erleben (Annina, Alfredo, Germont), hier in die Erfahrung des leidenden Individuums selbst hineingenommen wird: Violettas »Freude« zerbricht buchstäblich wie ihre Stimme, zurück bleibt allein der »Schmerz« der Lebenden (»Oh mio dolor!«). Das radikale Ausdrucksstreben, mit dem Callas und Visconti die ästhetischen Grenzen des Melodramma ausloteten, wohl auch hin und wieder überschritten, hat auch Giulini erstmals Wege beschreiten lassen, die ihm bis dahin noch fremd gewesen sind. Dies erweist ein Vergleich der Traviata-​ Mitschnitte von 1955/​56 mit anderen Opernaufnahmen von ihm aus den 1950er Jahren, deren federnde Gespanntheit und rhythmischen Elan man hier vergeblich sucht. Obwohl Giulini ein breites Repertoire pflegte, das sich bis ins Musiktheater des 20. Jahrhunderts hinein erstreckte (seine erste Oper an der Scala war de Fallas La vida breve), galt er damals doch vorzugsweise als Rossini-​und Mozart-​Spezialist. Während des langen Wiederaufnahmezyklus der Traviata 1956 brachte er, ebenfalls mit der Callas, Rossinis Barbiere de Siviglia auf die Bühne der Scala, und noch um 1960 nahm er Mozarts Don 21 Kesting, Maria Callas, p. 83sq. Cf. Ardoin/​Fitzgerald, Callas, p. 137: »After accepting her fate and giving Alfredo a locket containing her portrait, Violetta spoke the famous concluding lines. Radiantly, she told Alfredo that her pains had ceased, that her old strength had returned, that new life was being born, and, on the words ›Oh, joy!‹ she died, her great eyes wide open, fixed in a senseless stare into the audience. As the curtains fell, her dead eyes continued to stare blankly into space. For once, an entire audience shared Alfredo’s shock and grief. They too had felt death.«

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Giovanni und Le nozze di Figaro in stilistisch modellhaften Interpretationen für die Schallplatte auf; Le nozze dirigierte er dann auch im Rahmen einer Visconti-​Inszenierung in Rom 1964. Demgegenüber erscheint La traviata das erste markante Zeugnis einer Neuausrichtung des Opernrepertoires Giulinis, in dessen Zentrum während der folgenden Jahrzehnte immer stärker Verdi rücken sollte, später und mit zunehmender Distanz vom Opernbetrieb hauptsächlich auf der Schallplatte. Überblickt man Giulinis gesamtes interpretatorisches Œuvre, so erkennt man im Traviata-​Dirigat von 1955 mit den verhaltenen Tempi und der betont klanglichen Ausrichtung einen Vorboten seines Spätstils, der auf dem Gebiet der Oper aus den bekannten Gründen zunehmend seltener manifest wurde (zuletzt 1982 bei der Tripel-​Produktion des Falstaff in Los Angeles, London und Florenz). Ganz offensichtlich hat die Erfahrung der Zusammenarbeit mit Callas und Visconti Giulinis Ästhetik nachhaltig verändert und in ihm ein Bild von der Oper entstehen lassen, dessen künstlerische Ansprüche in der Theaterpraxis umzusetzen, ihm künftig nur noch in Ausnahmefällen realisierbar erschien. Auch in Viscontis Schaffen nahm die 1955er Traviata eine Schlüsselstellung ein als definitive Bekräftigung seiner Hinwendung zum Melodramma in der künstlerischen Symbiose mit Maria Callas. Für den aristokratischen Linken und Exponenten einer kulturellen Erneuerung Italiens bedeutete dies eine prägende Erfahrung, die auch nach dem Ende seiner Zusammenarbeit mit Callas (in Donizettis Anna Bolena und Glucks Iphigénie en Tauride, beide Mailand 1957) weiterwirkte bis zu seiner letzten Operninszenierung (Puccinis Manon Lescaut, Spoleto 1973) und selbst in seinen Theater-​und Filmproduktionen Spuren hinterlassen sollte. Seine Historienfilme Senso (1954), mit den fulminanten Trovatore-​Einblendungen am Beginn, und Il gattopardo (1963) sind in ihrer Ästhetik verkappte Opern, so sehr sie auch dramaturgisch die Gesetzmäßigkeit ihres Mediums wahren. Visconti war zu klug, als dass er sich von seiner Liebe zur Oper hätte dazu verleiten lassen, die Gattungen zu vermischen und die strikte Trennung der Ästhetiken von Film und Theater  –​und innerhalb dessen wiederum von Sprech-​und Musiktheater –​als Grundlage seines künstlerischen Credos aufzugeben. In den Jahren seiner Scala-​Produktionen für die Callas interessierte sich Visconti außerdem für Fragen der Tanzästhetik und erarbeitete für Hans Werner Henze das Szenario für dessen Maratona di danza-​Ballett, eine Tätigkeit, die auch auf seine Operninszenierungen abgestrahlt hat, man denke nur an die Ausrichtung seiner Sonnambula-​Regie am romantischen Ballett. Ein manieristisch-​historisierender Zug, oft in der Form eines Spiels mit Zitaten, kennzeichnet alle Opern-​und viele Theater-​und Filmproduktionen Viscontis und macht deutlich, dass er sich als Neuerer auf dem Boden der Tradition verstand. Ebendies begründete seine künstlerische Affinität mit Callas als Wiederentdeckerin des Belcanto aus dem Geiste einer aus aktuellen Erfahrungen

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gespeisten Expressivität. Visconti hat La traviata noch zweimal inszeniert, wobei er mit Erfolg bestrebt war, neue Bild-​und Formsprachen für seine in den Grundzügen gleichgebliebene Sicht auf Verdis Oper zu entwickeln: für Spoleto 1963, hier auch als sein eigener Bühnenbildner (mit Robert La Marchina als Dirigent und Franca Fabbri in der Titelrolle), durch eine subtil ausbalancierte Lichtregie; schließlich für London 1967 (mit Giulini am Pult und Mirella Freni als Violetta) durch eine formstrenge Lesart, für die ihm Nato Frascas Bühnenbilder und Vera Marzots Kostüme im kühlen Schwarz-​Weiß mit Anleihen beim Art nouveau und der manieristischen Bildsymbolik den geeigneten Rahmen schufen. Studiert man die überlieferten Dokumente von diesen Inszenierungen, so kann man sich freilich des Eindrucks nicht erwehren, den auch einige zeitgenössische Kritiken artikulierten, als sei Visconti hier allzu forciert auf der Suche nach Neuem, als inszeniere er –​trotz seines staunenerregenden Einfallsreichtums letztlich vergeblich –​gegen die von ihm selbst geschaffene Legende an, zu der die Mailänder Traviata bereits damals geworden war. Prägende Wirkung besaß diese Einstudierung nicht zuletzt für Maria Callas: als sängerischer und schauspielerischer Erfahrungsfundus, aus dem sie für alle späteren Rolleninterpretationen schöpfte, in Sonderheit natürlich diejenigen Violettas, die allesamt in das Jahr 1958 fielen. In New York, Lissabon und London brachte sie unter wechselnden Dirigenten (Fausto Cleva, Franco Ghione, Nicola Rescigno) ihr interpretatorisches Konzept in ältere, wenig aussagekräftige Inszenierungen ein. Die erhaltenen Tondokumente (Mitschnitte gibt es aus Lissabon und London, aus Lissabon auch kurze Videofragmente) sowie Kritiken und Beschreibungen lassen erkennen, dass die Callas auf der Grundlage des Mailänder Modells um stetige Verfeinerung ihrer Rollendarstellung bemüht war und dabei um der Ausdruckswahrheit willen auch sängerische Gefährdungen in Kauf nahm. Bedauern muss man, dass sich von der überhaupt letzten Callas-​Traviata (Dallas 1958, wiederum mit Rescigno als Dirigent) offenbar keinerlei Audio-​und Videozeugnisse erhalten haben, denn für diese Inszenierung hatte der Regisseur Franco Zeffirelli ein neuartiges ›filmisches‹ Konzept entworfen, mit dem er seine eigene spätere Verfilmung der Oper (mit Teresas Stratas in der Hauptrolle) vorweggenommen und zahlreiche spätere Inszenierungen beeinflusst hat: die Handlung als ›Erinnerung‹ der sterbenden Violetta, dargestellt als Rückblende auf die Stationen ihres Lebens22. In den späten 1960er Jahren, als die Callas an 22 Besonders die ›Inszenierung‹ des Vorspiels hat unter späteren Regisseuren Schule gemacht, cf. die Beschreibung Zeffirellis (Zeffirelli –​The Autobiography of Franco Zeffirelli, London [Weidenfeld and Nicolson] 1986; deutsch: Zeffirelli. Autobiographie, München/​Zürich [Piper] 1987, p. 219): »Wenn ich die Idee, La traviata mit dem Ende beginnen zu lassen, mir gutschreiben kann, dann ist die Verwirklichung

Theater aus Musik

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ihrem Bühnen-Comeback arbeitete, zeichnete sich neben anderen Projekten auch eine neue Traviata ab, und zwar in der einstigen Mailänder Konstellation: Eine Schallplatteneinspielung der EMI unter Giulini und eine Neuinszenierung mit Visconti an der Pariser Opéra gediehen 1967 bzw. 1968 bis zur Vertragsreife, erwiesen sich aber angesichts von Callas’ damaligen stimmlichen Problemen letztlich als nicht realisierbar. Als Künste des Ephemeren bedürfen Theater und Musiktheater, um weiterleben zu können, der beständigen Erneuerung, jedoch ist der einzelne Interpret dazu nur in Grenzen befähigt, gibt es doch für ihn einen je eigenen Rahmen des Möglichen, den überhaupt auszuschöpfen bereits eine Lebensleistung darstellt. Für La traviata ist dies Visconti dank der einmaligen künstlerischen Konstellation in der Zusammenarbeit mit Callas und Giulini –​ eines kairós der Musiktheatergeschichte –​auf Anhieb gelungen, und das Ergebnis musste in dieser Form unwiederholbar bleiben. Dass von der Inszenierung nur fragmentarische Zeugnisse erhalten geblieben sind, mag man bedauern, aber vielleicht ist es gerade ihr nur noch schattenhafter szenischer Umriss  –​geeignet die Phantasie zu beflügeln, statt ihr die Fesseln des Wirklichen anzulegen  –​, der den Blick lenkt auf die Musik und ihre überragenden Interpreten, die in dieser Inszenierung auf beispielhafte Weise die Szene freigesetzt, sie in einem tieferen Sinne überhaupt erst geschaffen haben: als Theater aus Musik.

dieser Idee einzig allein Jean [Rosenthal] zu verdanken. Sie beleuchtete die ersten Augenblicke so, daß Maria in einem fahlen Glimmen dalag, wie in einem Grab, die Augen im Schatten, so daß sie wie ein Leichnam aussah. Sobald jedoch der Ball beginnt, kann sie aufspringen, in einem Gewand, das jetzt kein Totenhemd mehr ist, sondern ein wunderschönes Kleid aus weißem Brokat. Diese Verwandlung war atemberaubend –​eine romantische Erzählung, umgesetzt in eine religiöse Erfahrung.«

Albert Gier

»euch ist bekannt es, /​es gilt Cervantes«1. Miguel de Cervantes als Bühnenfigur in Oper, Operette und Musical In der Rangliste der beliebtesten Protagonisten des Musiktheaters nehmen Dichter und Schriftsteller keinen der vorderen Plätze ein, aber einschlägige Beispiele lassen sich doch finden. Abgesehen von Dante Alighieri, der –​ein einmaliger Sonderfall  –​zugleich Verfasser und (fiktiver) Protagonist seiner Divina Commedia ist2, scheinen sich Komponisten und Librettisten zum einen für Autoren zu interessieren, in deren Biographie eine allgemein bekannte Liebesgeschichte vorkommt, wie die (angebliche) Beziehung zwischen Torquato Tasso und Eleonora, der Schwester des Herzogs von Ferrara, die Thema von Gaetano Donizettis Oper Torquato Tasso ist (Libretto Jacopo Ferretti, 1833), oder die Ses[s]‌enheimer Idylle Goethes mit Friederike Brion, die Franz Lehár und seine Textdichter Ludwig Herzer und Fritz Löhner-​Beda zum »Singspiel« Friederike inspirierte. Zum anderen bevorzugt das Musiktheater offensichtlich Dichter, deren Werk in einer besonders engen Beziehung zu ihrer Biographie steht –​sei es, dass die Nachwelt den Autor kurzschlüssig mit einer seiner Figuren identifiziert wie Beaumarchais, der der Communis opinio der Nachwelt zufolge Figaro ›war‹3, sei es, dass behauptet wird, er hätte (Mit-​)Erlebtes gleichsam Johann Strauss, Das Spitzentuch der Königin. Operette in drei Akten. Text: Heinrich Bohrmann, Richard Genée, Julius Rosen und O.F. Berg. RV 508 A/​B/​C. Kritische Gesamtausgabe, ed. Michael Rot, Wien (Strauss Edition) s.a., darin Textbuch, pp. 522–​611, hier II[. Akt], 4[. Szene], n. 7, p. 560sq.; nach dieser Ausgabe wird im folgenden zitiert (Verweise im fortlaufenden Text auf Akt, Szene und Seite). 2 Cf. Albert Gier, Dante Alighieri und »Die Göttliche Komödie« im Musiktheater, in: Ivana Rentsch/​Walter Kläy/​Arne Stollberg (edd.), Dialoge und Resonanzen. Musikgeschichte zwischen den Kulturen. Theo Hirsbrunner zum 80. Geburtstag, München (edition text + kritik) 2011, pp. 35–​52. –​Mit Dante allenfalls vergleichbar ist Petrarca, dessen Canzoniere vorgibt, die Liebe des Dichters zu einer realen Dame zu spiegeln; im 19. Jahrhundert wird der Dichter mindestens dreimal auf die Opernbühne gebracht (in wenig erfolgreichen Werken), cf. Martin Bruns, Pe­ trarcas Lyrik in der Musik, in: Reiner Speck/​Florian Neumann (edd.), Francesco Petrarca 1304–​1374. Werk und Wirkung im Spiegel der Biblioteca Petrarchesca Reiner Speck, Köln (DuMont) 2004, pp. 169–​183: 182. Cf. den Titel der Biographie von Manfred Flügge, Figaros Schicksal. Das Leben 3 des Pierre-​Augustin Caron de Beaumarchais, München (dtv) 2001. Der Ursprung des Missverständnisses liegt offensichtlich im großen Monolog in La folle journée 1

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Albert Gier

eins zu eins in sein Werk übertragen, was in den Augen von Leuten, die nicht wissen, dass die erfundenen Geschichten die besten sind, ein Qualitätskriterium darstellt: Boccaccio, so erklärt das Double des Dichters in der gleichnamigen Operette von Franz von Suppé (Buch Friedrich Zell und Richard Genée), erfindet die Novellen seines Decameron nicht:  »Ich erlausche, ich erlebe sie.«4 Die ›Erzählungen‹, die der fiktionalisierte E.T.A. Hoffmann in Jacques Offenbachs Contes d’Hoffmann (Text Jules Barbier und Michel Carré, 1881) einem Publikum von Studenten vorträgt, beruhen, so wird vorgegeben, auf seinen eigenen Erfahrungen mit Frauen5. Das vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete biographistische Verständnis von Literatur, das immer problematisch ist, erweist sich bei einem Werk wie dem Don Quijote des Cervantes als verhängnisvoll: Es handelt sich um eine Parodie der im 16. und frühen 17.  Jahrhundert vielgelesenen Ritterromane. Diese Romane sind ihrerseits allegorisch zu verstehen. Um ein sehr einfaches Beispiel zu geben:  Im Lancelot-​Roman von Chrétien de Troyes (ca. 1180)  muss der Protagonist, um ins Land Gorre (das Totenreich) zu gelangen, eine Schwertbrücke überwinden, am anderen Ufer scheinen ihn zwei wilde Löwen zu erwarten. Lancelot achtet nicht darauf, dass er sich an Händen und Füßen verletzt, während er auf der scharfgeschliffenen Schneide entlangkriecht; wenn er sie überwunden hat, sind die Löwen verschwunden6. Der Sinn ist offensichtlich:  Wer ein großes Ziel erreichen will, muss Risiken eingehen und darf nicht wehleidig sein; und was bedrohlich erscheint, erweist sich nicht selten als harmlos, wenn man sich nicht einschüchtern lässt und beherzt darauf zugeht.

(V/​3), wo sich Figaro als ein Mann vieler Berufe zu erkennen gibt, wie es auch Beaumarchais war. –​Zu Auftritten des Autors Beaumarchais auf der Opernbühne (ausschließlich in jüngster Zeit) cf. Albert Gier, Gesellschaftskritische (Unter-​)Töne? Zum Bedeutungsgehalt und Bedeutungswandel der Figaro-​Libretti, in:  Isolde Schmidt-​Reiter (ed.), Zwischen Revolution und Bürgerlichkeit. Beaumarchais’ Figaro-​Trilogie als Opernstoff, Regensburg (ConBrio) 2019, pp. 17–​56: 39–​43. 4 Fr(iedrich) Zell und Richard Genée, Boccaccio. Komische Operette in drei Aufzügen. Musik von Franz von Suppé, ed. Georg Richard Kruse, Leipzig (Reclam) s.a., I/​9, p. 30; dazu Albert Gier, »Boccaccio, der die abscheulichen Novellen schrieb«. Der »Decameron« in Oper und Operette, in: Ingrid Bennewitz (ed.), Giovanni Boccaccio. Italienisch-​deutscher Kulturtransfer von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Bamberg (University of Bamberg Press) 2015, pp. 285–​317: 302. E.T.A. Hoffmann tritt im Musiktheater häufiger auf, z.B. auch in der Operette 5 Die lockende Flamme von Eduard Künneke (Buch Paul Knepler und Ignaz Welleminsky, 1933). 6 Cf. Mario Roques (ed.), Les romans de Chrétien de Troyes édités d’après la copie de Guiot (Bibl. Nat., fr. 794), vol. 3: Le Chevalier de la Charrete, Paris (Honoré Champion) 1969, vv. 3005–​3123.

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Der begeisterte Leser Don Quijote versteht diese allegorische Bedeutung nicht und nimmt die Abenteuer wörtlich, die seine geliebten Romane schildern. Er erwartet, in seiner Heimat, der Mancha, auf Schritt und Tritt Rittern, Prinzessinnen, Riesen, Zauberern etc. zu begegnen. Wenn der Erzähler ihn mit ganz gewöhnlichen Leuten konfrontiert, die in seinen Romanen nicht vorkommen, macht er Don Quijotes Fehlinterpretation manifest und schafft Situationen von unwiderstehlicher Komik. An der Figur des Protagonisten wird exemplarisch falsches Verhalten vorgeführt. Sollte hier und da Selbsterlebtes oder Gesehenes eine Anregung gegeben haben, dann wäre das, selbst wenn es sich nachweisen ließe, nur von anekdotischem Interesse, denn der Autor gestaltet die einzelnen Episoden jedenfalls so, wie es seine Versuchsanordnung erfordert. Der episodenreiche Roman, der auch mehrere Binnenerzählungen enthält, hat den Stoff zu einer Fülle von Werken des Musiktheaters geliefert7. Dagegen wurde der Autor Cervantes eher selten auf die Bühne gebracht8. Dabei wird er einerseits mit seiner Figur Don Quijote identifiziert, andererseits soll gezeigt werden, dass Figuren und Situationen des Don Quijote unmittelbar aus dem ›Leben‹ gegriffen seien. Das soll hier an dreieinhalb Beispielen demonstriert werden.

Johann Strauss, Das Spitzentuch der Königin Die Librettisten des siebten Bühnenwerks von Johann Strauss9 versetzen ihren Cervantes nach Lissabon10 ins Jahr 1580. Er hat hier eine doppelte Mission zu erfüllen: einerseits die Macht des schurkischen Regenten zu brechen, der

7 Christoph Strosetzki listete 2000 im Artikel Cervantes in der MGG2, Personenteil, vol. 4, coll. 588–​596: 590–​593, knapp über 80 Opern, Operetten, Singspiele etc. für die Zeit 1680–​1992 auf; etwa ebenso viele bei Alexander Reischert, Kom­ pendium der musikalischen Sujets. Ein Werkkatalog, Kassel (Bärenreiter) 2001, pp. 309–​315, für die Zeit 1680–​1989/​91. –​Cf. auch Begoña Lolo (ed.), Cervantes y el Quijote en la musica. Estudios sobre la recepción de un míto, s.l. (Centro de Estudios Cervantinos) 2007. 8 Strosetzki, Cervantes, col. 595, nennt in seiner »Auswahl« der »Vertonungen über Cervantes« [sic] ein halbes Dutzend Bühnenwerke vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. 9 Meist werden Heinrich Bohrmann und Richard Genée als Textdichter genannt; die neue Strauss-​Gesamtausgabe fügt zwei weitere Namen hinzu, cf. Strauss, Das Spitzentuch der Königin. […] Text: Heinrich Bohrmann, Richard Genée, Julius Rosen und O.F. Berg. 10 Es scheint möglich, dass Cervantes 1580 Lissabon besucht hat, aber Beweise gibt es dafür nicht, cf. José Manuel Lucía Megías, La madurez de Miguel de Cervantes. Una vida en la corte (1590–​1604), Madrid et al. (edaf) 2016, p. 52.

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nicht bereit ist, seinen Platz für den neunzehnjährigen König zu räumen, zweitens König und Königin endlich zusammenzuführen und sie zuletzt wieder zu vereinen, nachdem der junge Herrscher seine Gemahlin, die er (nicht völlig zu Unrecht) der Untreue verdächtigt, ins Kloster verbannt hat. Der als einziger namenlos bleibende11 König weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem aus Donizettis Dom Sébastien, roi du Portugal bekannten Dom Sebastião I. auf, aber die Handlung ist fiktiv12. Der Regent Graf Villalobos will Portugal, so erfahren wir im ersten Akt, »an Spanien hinüberspielen« (I/​5, p. 528; I/​12, p. 537); in der Tat kam es 1580, als die Dynastie Avis zwei Jahre nach Sebastiãos Tod ausstarb, zur Personalunion von Portugal mit Spanien unter König Philipp II. –​Villalobos kann sein Ziel nur erreichen, wenn die Ehe des Herrscherpaars kinderlos bleibt; deshalb hat er den König einerseits zum Schlemmer und Weiberhelden erzogen und ihm andererseits eingeredet, er müsse sich von der angeblich herrschsüchtigen Königin fernhalten (I/​15, p. 541). Die einsame, unglückliche Königin fühlt sich zu Cervantes hingezogen, dem seine satirischen Dichtungen zu einer gewissen Popularität verholfen haben13. Damit rückt der Dichter ins Zentrum der Figurenkonstellation: Der

11 Im Personenverzeichnis (p. 523) wird auch seine Gemahlin nur als »die Königin« bezeichnet, aber beim Wiedersehen im dritten Akt nennt der König sie »Maria« (III/​7, p. 600). 12 Das erste Zensurlibretto (zu den –​in der Edition synoptisch wiedergegebenen –​ Textbuch-​Quellen cf. p. 522) gibt als Zeit der Handlung 1570 an (p. 523); da war Sebastião (1554–​1578) sechzehn Jahre alt und übte seit zwei Jahren die Herrschaft aus. Im zweiten Zensurlibretto ist 1570 durchgestrichen und durch 1580 ersetzt, da war der König schon seit zwei Jahren tot (er fiel während seines unseligen Kreuzzugs nach Marokko). Anders als in der Operette war Sebastião nicht verheiratet; es gibt auch kein historisches Vorbild für die Figur des Regenten, die Regentschaft übte bis 1568 sein Großonkel aus, der als Dom Henrique I. (1578–​ 1580) auch sein Nachfolger wurde. –​Der historische Cervantes diente 1570 in der spanischen Marine (eine in der Seeschlacht von Lepanto 1571 erlittene Verletzung war die Ursache, dass seine linke Hand gelähmt blieb), wurde später von Mauren gefangengenommen und war 1580 noch Sklave in Algier. 13 Während der Tanzlektion (Finale Nr. 5, p. 550) schreibt sie auf das titelgebende Spitzentuch eine Liebeserklärung an den Dichter, den der König kurz vorher zu ihrem Vorleser ernannt hat; Cervantes verliert das Tuch, es fällt dem Regenten in die Hände (II/​14, p. 578). Wenn der König vor den Cortes statt der von Villalobos vorbereiteten Rede, die das Mandat der Regentschaft noch einmal verlängern sollte, eine von Cervantes verfasste (I/​9, p. 536) vorliest, in der er sich für großjährig erklärt (Finale Nr. 14, p. 585), präsentiert ihm der Regent das Tuch, der König erkennt die Schrift der Königin und hält sie für untreu (Finale Nr. 14, p. 586). Hier liegt eine Unstimmigkeit vor: Verfasser der Rede ist wie gesagt Cervantes. Die Verschwörer hatten gehofft, die Königin würde ihren Mann dazu bringen können, den Regenten zu verabschieden (cf. I/​9, p. 534); nachdem das Herrscherpaar endlich

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König interessiert sich für ihn, denn er hat ihm einen Dienst erwiesen: Als der Herrscher im Morgengrauen aus dem Haus des Regenten kam, mit dessen junger Frau er ein Verhältnis hat, überließ ihm Cervantes Mantel und Maske und ermöglichte ihm so, unerkannt zu entkommen (I/​3, p. 527). Zugleich ist der Dichter das Ziel der erotischen Wünsche der frustrierten Königin. Deren Vertraute Irene ist seine Geliebte, am Ende ist von baldiger Heirat die Rede (III/​10, p. 609). Der Regent wiederum sieht in Cervantes, dessen Spott er fürchtet, nicht nur eine Bedrohung seiner Herrschaft, er verdächtigt ihn auch, der Liebhaber seiner Frau zu sein, da er den König, der den Mantel des Dichters trug, mit diesem verwechselt hat (I/​6, p. 529). Der Cervantes der Librettisten hat mit seinem Vorbild keinerlei Ähnlichkeit, er erscheint als eine Art Eulenspiegel-​Gestalt, die dem Regenten einen Streich nach dem anderen spielt: Mit jungen Malern bringt er ihm im Morgengrauen eine Katzenmusik (I/​2, p. 525). Er spielt den Narren, wenn ihn auf Wunsch des Königs eine »ärztliche Kommission«14 untersucht, um seine Harmlosigkeit festzustellen, und gibt vor, sich für einen Menschenfresser zu halten, um dem Regenten Angst einzujagen (II/​7 Ensemble Nr. 9, pp. 566–​ 568). Verkleidet als englischer Gesandter drangsaliert er den Regenten und Sancho, den Präzeptor des Königs (II/​14 Terzett Nr. 12, pp. 575–​577)15. Bei dem Volksfest, das anlässlich eines Jagdausflugs des Hofes arrangiert wird, soll ein »Stiergefecht« stattfinden; da kein Stier aufzutreiben ist, steckt Cervantes (verkleidet) als Ersatz den Regenten und Sancho in eine Ochsenhaut und macht sie lächerlich (III/​9, p. 604). Das Buch, aus dem Cervantes der Königin vorliest, ist der Don Quijote (25 Jahre vor der Veröffentlichung des ersten Teils). Sancho, der Präzeptor, wird als »Vorbild von Sancho Pansa« (I/​1, p. 524), der Kriegsminister Marquis Villareal als »Vorbild des Don Quixote« bezeichnet (II/​4, p. 559)16; zueinander gefunden hat (II/​11, p. 572sq.), ist das offenbar gelungen. Vor den Cortes erkennt der König nun aber die Schrift der Königin durch den Vergleich mit seinem Redemanuskript (Finale Nr. 14, p. 586); man muss also annehmen, sie hätte das Manuskript des Cervantes noch einmal abgeschrieben, warum aber hätte sie das tun sollen? –​Die Unbestimmtheit der königlichen Liebeserklärung ermöglicht es Cervantes (Finale Nr. 19, p. 610), sie umzudeuten, den Verdacht des Königs zu zerstreuen und das Paar wieder zu versöhnen: »›Eine Königin liebt dich! | Doch du bist kein König!‹ | ›Drum sei es‹, meint die Königin, | Das war allein der Worte Sinn!« 14 In Wirklichkeit handelt es sich um die verkleidete Irene und die Freunde des Dichters. 15 Der einzige Zweck dieser Szene scheint, Cervantes Gelegenheit zu geben, das Spitzentuch zu verlieren. 16 Cf. im Lied Nr. 8 (II/​5, p. 562) die ziemlich oberflächlichen Portraits der beiden Romanfiguren, die der König angeblich aus dem Manuskript des Cervantes zitiert.

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Sancho ist sehr dick, der Minister hager, und eine Ritterrüstung trägt er auch, aber was den Charakter angeht, haben beide mit den Figuren des Cervantes nichts gemeinsam: Sancho ist ein –​wenn auch konfuser –​Gelehrter ohne einen Hauch von Sanchos Bauernschläue17, Villareal ein Feigling (II/​4, p. 559sq.), was man von Quijote nun wahrlich nicht behaupten kann. Die rein äußerlichen Ähnlichkeiten sind trivial und ziemlich uninteressant. Von Irene wird Cervantes als »Pionier des Fortschrittes« gerühmt (II/​2, p.  557), was für das 17.  Jahrhundert eine anachronistische Kategorie ist. Der Regent hasst, die Librettisten schätzen ihn, weil er Kritik an den Herrschenden übt –​und da muss man sich fragen, ob auch nur einer der beteiligten Autoren den Don Quijote jemals Ganz gelesen hat: Cervantes wäre nie eingefallen, »das Ministerium | Ganz unglaublich dumm« zu nennen (I/​6, p. 554) oder aufzudecken, »daß viele Kanonen gar ka Loch haben« und das Haushaltsdefizit schwindelnde Höhen erreicht hat (II/​5, p.  564), sein Roman zielt auf viel Allgemeineres (Überzeitliches)18. Um dem bürgerlichen Publikum zu gefallen, machen die Autoren die Mächtigen lächerlich, und um es sich mit den Herrschenden nicht zu verderben, gestalten sie ihre Kritik viel zu grobschlächtig, als dass sich jemand dadurch getroffen fühlen könnte. Das zwingt sie dazu, den Autor Cervantes klein zu machen und sein Werk zu trivialisieren.

Eberhard Schmidt, Bolero Eine Figur, die sich mit Miguel de Cervantes identifizieren lässt, begegnet auch in der fast völlig vergessenen Operette Bolero (Berlin 1952)  von Eberhard Schmidt (1907–​1996)19. Sein Name fehlt in den großen Musik­

17 Sancho wurde von Alexander Girardi gespielt; seine Liebe zur Marquise de Villareal liefert eine Art Running Gag: Die beiden unterhalten seit achtzehn Jahren eine geheime verliebte Korrespondenz, aber er hat sie ebenso lange nicht »gesehen«, denn er ist sehr kurzsichtig, und die Etikette verbietet ihm, bei Hof seine Brille zu tragen. Geplante Rendez-​vous werden immer wieder verhindert bzw. gestört. Wenn er sie endlich einmal aus der Nähe sieht (III/​3, p. 594sq.), muss er feststellen, dass sie in der langen Zeit doch etwas älter geworden ist, und ergreift die Flucht. 18 Zeitgenossen, auch einfache Leute stellt Cervantes allenfalls in seinen Theaterstücken dar, cf. William Byron, Cervantes. Der Dichter des »Don Quijote« und seine Zeit, München/​Zürich (Piper) 1982, p. 319sq. 19 Zum Komponisten cf. den biographischen Artikel in: https://​www.bundesstiftung-​ aufarbeitung.de/​wer-​war-​wer-​in-​der-​ddr-​%2363;-​1424.html?ID = 3073 (1.8.2020); das Buch stammt von Otto Schneidereit, der sich als Dramaturg, Regisseur, Musikschriftsteller und in den 1950er Jahren auch als Librettist (neben Bolero zwei Bücher für Guido Masanetz) um die Operettenpflege in der DDR verdient gemacht hat (cf. https://​de.wikipedia.org/​wiki/​Otto_​Schneidereit, 1.8.2020).

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enzyklopädien; Schmidt war Kommunist (Mitglied der KPD seit 1932, der SED seit 1946)  und kämpfte seit 1936 im Spanischen Bürgerkrieg. 1941 wurde er von der französischen Vichy-​Regierung an Deutschland ausgeliefert und verbrachte die Jahre bis zu seiner Befreiung 1945 im KZ Sachsenhausen. Neben politischen Kampfliedern gehören zu seinem Œuvre u.a. zwei Operetten sowie ein »Sing-​und Tanzspiel«. Im Vorwort zum Libretto der Operette Bolero20 erläutert Schneidereit21, er habe »eine Episode aus dem Leben des Dichters Cervantes, und zwar jene Nacht, in der er den Plan zum Don Quijote faßte«, dramatisieren wollen; »auf den dringenden Rat erfahrener Dramaturgen hin«22 machte er aus Cervantes allerdings einen fiktiven Dichter »Don Manuel de Garcia«. Bolero ist in reizvoller Weise geprägt durch die Verwendung spanischer Melodien und Rhythmen, die Schmidt wohl während des Bürgerkriegs 1936–​1939 kennengelernt hatte. Die Handlung steht in Einklang mit dem offiziellen Geschichtsbild der DDR in den 1950er Jahren. Kurioserweise geht es auch hier um ein Spitzentuch:  Wir sind im Jahr 159923. Die Bewohner des Dorfes Argamasilla in der Mancha werden vom Landesherrn, dem Herzog von Alba, und seinen Helfern unterdrückt und ausgebeutet. Die junge Daraxa, deren Vorfahren Mauren waren24, hat von ihren Eltern außer einer bescheidenen Hütte nur besagtes Spitzentuch geerbt, das sich seit Generationen im Familienbesitz befindet. Es weckt die Begehrlichkeit des Markgrafen von Saria, der auf der Durchreise in Argamasilla Station macht und das Tuch bei Daraxa gesehen hat. Da sie es nicht verkaufen will, beauftragt er seinen

20 UA 15.9.1952 im Berliner Metropoltheater. Für eine Kopie der Gesamtaufnahme von März 1953 (Deutsches Rundfunk-​Archiv) danke ich meinem Freund Oswald Panagl (Salzburg). –​Oswald Panagl hat der Operette auch eine hervorragend dokumentierte, umfassende Studie gewidmet, die leider noch nicht publiziert ist (Getanzter Klassenkampf. Eberhard Schmidts »Bolero« [1952] –​ein Prototyp der sozialistischen Operette), die er mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat und auf der die folgenden Ausführungen basieren. 21 Zitiert bei Panagl, Getanzter Klassenkampf. 22 Ibid. 23 Die Datierung ergibt sich daraus, dass die unmittelbar bevorstehende Hochzeit König Philipps III. mit Margarethe von Österreich (April 1599) erwähnt wird. –​ In der ersten Fassung seines Operettenbuchs, Berlin (Henschel) 31955, p. 562, schrieb Schneidereit, die Handlung spiele »gegen Ende des 16. Jahrhunderts«; in der zweiten Fassung von 1964 (zitiert bei Panagl, Getanzter Klassenkampf) spricht er dagegen von »einem Sommerabend um das Jahr 1800 in der Altstadt von Granada«. 24 Unter Philipp III. wurden die christlich getauften Mauren (Morisken) 1609 aus Spanien vertrieben.

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Sekretär25, es ihm zu beschaffen, der sich mit drei ortsansässigen Schurken verbündet, darunter der Alcalde und der Gastwirt. Ein »Fremder«  –​der Dichter Manuel de Garcia –​, der sich für Daraxa interessiert, kann sie nicht schützen. Die drei stehlen ihr das Tuch, aber in höchster Not kommt ihr das ganze Dorf zu Hilfe. Dieser Übermacht muss der Markgraf nachgeben, der »Fremde« und Daraxa werden ein Paar26. Nachdem der Gastwirt Antonio ihm erklärt hat, mit Büchern nichts anfangen zu können  –​»Kunst ist nichts für arme Leute«  –​, fragt sich der Dichter in seinem folgenden Solo: »Die Kunst –​die Welt –​warum sind das zwei so verschied’ne Dinge?«, um im Sinne des sozialistischen Realismus gut dialektisch die Überlegung anzuschließen: »Die Kunst –​die Welt –​vielleicht sind es zwei Worte für das gleiche? Für wen erklingt mein Lied? Für jeden, der es hört!« Nachdem er die Solidarität der Dorfbewohner erfahren hat –​ die Bauern und die Weber ziehen an einem Strang –,​verspricht er, ein Buch zu schreiben, » in dem ihr alle vorkommt, in dem ihr lebt und aus dem ihr sprecht«, die Bauern, die Handwerker, der Schankwirt und der Bettler. Schneidereit hat seinem Dichter letztlich den Namen Cervantes entzogen, ihm aber dessen Biographie gelassen: An einer Stelle erklärt García, er sei viel in der Welt herumgekommen, habe jahrelang in Italien gelebt und sei als Sklave in Algier in Ketten gelegen. Auch ohne den expliziten Hinweis auf Cervantes im Vorwort zum gedruckten Libretto27 musste der belesene Zuschauer erkennen, wer gemeint ist. Um den Don Quijote in die Ahnenreihe der Literatur des sozialistischen Realismus einordnen zu können, muss man die Literatursatire natürlich ausblenden –​Cervantes wandte sich in erster Linie an die vermögende und besitzende Minderheit, die die zeitgenössischen Ritterromane kannte –​, die lange Titelliste der Bücher Don Quijotes z.B., die im sechsten Kapitel des ersten Romanteils einem Autodafé zum Opfer fallen, hätte die Bewohner von Argamasillas mit Sicherheit gelangweilt und ratlos gemacht. Der Kunstgriff, gleichsam die Initialzündung für die Entstehung des Romans zu zeigen, ist allerdings sehr geschickt; auf diese Weise wird der Roman weit weniger grob verzeichnet als in dem Libretto, das Johann Strauss vertonte.

25 Ursprünglich ebenfalls eine historische Figur, der Dichter Lope de Vega; Schneidereit änderte den Namen dann zu Bellardo (Panagl, Getanzter Klassenkampf). 26 Die Inhaltsangabe folgt der Textfassung der Aufnahme von 1953. In der zweiten Fassung seines Operettenbuches (zitiert bei ibid., cf. Anmerkung 23) resümiert Schneidereit eine revidierte Fassung, die in manchen Details von der ursprünglichen abweicht. 27 Zit. ibid., cf. Anmerkung 20.

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Mitch Leigh, Man of La Mancha Das »Musical Play« Man of La Mancha28 (UA New  York 1965)  ist das bekannteste und erfolgreichste musikalische Bühnenwerk, das den Dichter Cervantes auftreten lässt. In seiner Vorrede (pp. vii–​ix) erläutert der Autor, das Leben des Dichters habe ihn mehr gereizt als der Roman, den zu dramatisieren ohnehin unmöglich sei, weil die Biographie des Cervantes »a catalogue of catastrophe« (p. vii) sei. Freilich übertreibt die biographische Vorbemerkung (p. v) die Katastrophen: Es ist von fünf, vielleicht sogar sieben Gefängnisaufenthalten die Rede, gesichert sind nur drei (zwei offenbar sehr kurze, 1588  –​cf. not.  23  –​und 1592, der dritte, von drei Monaten, 1594, vermutlich wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder29). An Werken neben dem Quijote werden nur ungefähr vierzig Komödien erwähnt, »none of which was successful« (p. v), nicht aber die beiden anderen Romane und die in Spanien sehr einflussreichen30 Novelas ejemplares. Wasserman erteilt Tendenzen der zeitgenössischen Avantgarde (absurdes Theater etc.) eine Absage und bekennt sich zur Unzeitgemäßheit seines Stücks: »Man of La Mancha must seem hopelessly naïve in its espousal of illusion on man’s strongest spiritual need, the most meaningful function of his imagination« (p. ix). Cervantes ist verhaftet und in Sevilla ins Gefängnis eingeliefert worden. Er soll vor dem Inquisitionstribunal erscheinen, weil er darauf bestand, von den Mönchen des Klosters La Merced Steuern zu kassieren (p. 9)31; einer der Gefangenen wirft ihm daraufhin vor: »I charge you with being an idealist, a bad poet, and a honest man« (p. 9), der Dichter bekennt sich schuldig. Eine Regieanweisung charakterisiert ihn: Miguel de Cervantes is tall and thin, a man of gentle courtliness leavened by humour. He is in his late forties but his dominant qualities are childlike –​ingenuousness, a grave and endless curiosity about human behavior, candor which is very

28 Dale Wasserman, Man of La Mancha. A Musical Play. Music by Mitch Leigh. Lyrics by Joe Darion, New York (Random House) 1966. Verweise auf die Seitenzahlen dieser Ausgabe im fortlaufenden Text. 29 Dazu Lucía Megías, La madurez de Miguel de Cervantes, pp. 328–​336. 30 Cf. D[ietrich] B[riesemeister], Novelas ejemplares, in: Kindlers neues Literatur­ lexikon, ed. Walter Jens, vol. 3, München (Kindler) 1989, pp. 827–​830: 829. 31 Wasserman vermengt hier offenbar zwei Ereignisse aus dem Leben des Dichters: Als Steuereintreiber in Écija wurde er wegen seines rigorosen Vorgehens gegenüber der Kirche 1588 vom Erzbischof von Sevilla exkommuniziert und in Castro del Rio für kurze Zeit inhaftiert (cf. Lucía Megías, La madurez de Miguel de Cervantes, pp.  285–​288; https://​sevilla.abc.es/​provincia/​sevi-​documentos-​ acreditan-​excomunion-​cervantes-​celo-​recaudatorio-​ecija-​201604220733_​noticia. html, 1.8.2019); der Gefängnisaufenthalt in Sevilla hatte andere Gründe, s.o.

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nearly self-​destructive. He has, too, the child’s delight in play-​acting, but since he is actually a trained actor, when called upon to perform he translates his delight into stylish verve and gusto.32

Kindliche Naivität, fast selbstzerstörerische Ehrlichkeit, Spaß an Rollenspielen –​das sind Eigenschaften, die man auch bei Don Quijote findet. Die Identität des Autors mit seiner Figur wird dadurch deutlich, dass Cervantes in den folgenden Spielszenen die Rolle des fahrenden Ritters übernimmt. Die anderen Gefangenen pflegen Neuankömmlinge auszurauben; für den Inhalt seiner Theaterkiste mit Kostümen etc. glauben sie Verwendung zu haben, das Manuskript seines Romans findet der Governor, der das große Wort führt, wertlos, er will es ins Feuer werfen (p. 8). Der Dichter erreicht, dass er –​mit den Gefangenen als Mitspielern –​Szenen aus seinem Buch aufführen kann. Diese Szenen sind durchgehend gesungen, in den gesprochenen Szenen im Gefängnis gibt es nur Inzidenzmusik. Erwartungsgemäß spielt die Parodie der Ritterromane im Musical keine Rolle. Es wird eine Reihe der bekanntesten Szenen aus dem ersten Teil des Romans nachgestellt, natürlich der Kampf gegen die Windmühlen (p. 14sq.), der allerdings hinter der Bühne stattfindet; erst nach seiner Niederlage tritt der Ritter in lamentablem Zustand wieder auf. Aus dem zweiten Romanteil (capp. 11–​15) ist nur der Kampf mit dem »Spiegelritter« übernommen, allerdings mit entgegengesetztem Ausgang: Im Roman besiegt der Ritter von der traurigen Gestalt seinen Gegner, hier hält der »Spiegelritter« (Sansón Carrasco, der hier der Verlobte von Don Quijotes Nichte ist) ihm »the mirror of reality« vor, woraufhin der Verblendete erkennt, was er in Wirklichkeit ist: »A madman dressed for a masquerade!« (p. 69sq.). Damit ist er von seinem Wahn geheilt, aber es ist klar, dass sein Leben zu Ende geht33. An einer Stelle sagt Quijote: »Facts are the enemy of truth« (p. 40). Er träumt sich eine bessere Realität: When life itself is lunatic, who knows where madness lies? Perhaps to be too pratical is madness. To surrender dreams –​this may be madness. To seek treasures where there is only trash. Too much sanity may be madness. And maddest of all, to see life as it is and not as it should be.34

32 Wasserman, Man of La Mancha, p. 4. 33 Im Roman von Cervantes (vol. 2, cap. 66) tritt Sansón Carrasco Don Quijote ein zweites Mal, als »Ritter des weißen Mondes« entgegen und besiegt ihn, was die Heilung bewirkt, die im Musical –​durchaus überzeugend –​durch die Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild ermöglicht wird. 34 Wasserman, Man of La Mancha, p. 61.

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Am deutlichsten kommt das in der berühmtesten Nummer des Stücks zum Ausdruck, wenn Quijote Aldonza erklärt, was eine Quest, die Suchwanderung der Ritter, ist: To dream the impossible dream, To fight the unbeatable foe, To bear the unbearable sorrow, To run where the brave dare not go. […] And the world will be better for this, That one man, scorned and covered with scars, Still strove with his last ounce of courage, To reach the unreachable stars!35

Die Suchwanderung ist ein typisches Märchenelement. Wasserman hat Quijote einem Märchenhelden angenähert (der er bei Cervantes selbstverständlich nicht ist): Wie die Königskinder in Engelbert Humperdincks Märchenoper wird er verlacht, verprügelt, muss Entbehrungen erdulden und behält zuletzt gegen alle Wahrscheinlichkeit doch recht. Das beweist seine »Dulcinea«, die vulgäre Kellnerin und Hure Aldonza, die die Männer verachtet, die sie bezahlen: One pair of arms is like another, I don’t know why or who’s to blame, I’ll go with you or with your brother, It’s all the same, it’s all the same!36

Wenn der Ritter sie Dulcinea nennt, ist sie ratlos. Später schickt er Sancho mit einem Brief zu ihr (den der Knappe auswendig gelernt hat, weil er nicht lesen kann), auf seine Bitte um ein Liebespfand schickt sie ihm »the filthy tattered dishcloth she has been using« (p. 34), das er voll Ehrfurcht empfängt (p. 40). Nachdem Quijote ihr den Sinn der Quest erklärt hat, wird sie von einem der Maultiertreiber, der ungeduldig ist, weil sie ihn hat warten lassen, geohrfeigt (p. 50); der Ritter attackiert ihn mit seiner Lanze, die Freunde des Burschen kommen ihm zu Hilfe, Aldonza ergreift für den Ritter Partei: »I said let him be! He’s worth a thousand of you!« (p. 51). Diese Wandlung kommt einigermaßen überraschend; sie kämpft an seiner Seite (mit der flachen Seite seines Schwerts), und sie triumphieren. Kurz danach wird sie von den Maultiertreibern gefesselt und weggeschleppt (p. 57sq.); man kann annehmen, dass sie sie vergewaltigen. Wenn sie zurückkommt, ist sie so zynisch wie eh und je: »You have shown me the

35 Ibid., p. 49sq. 36 Ibid.,  p. 19.

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sky, but what good is the sky | To a creature who’ll never do better than crawl?« Sie ist und bleibt »only Aldonza the whore!« (p. 67). Das ist allerdings nicht das letzte Wort: Wenn Quijote auf dem Sterbebett liegt, dringt sie ins Krankenzimmer ein; er erkennt sie nicht, sie fleht ihn an, sich zu erinnern: »you spoke to me and everything was –​different!« (p. 77). Daraufhin vollzieht sich eine Wandlung: Er steht vom Bett auf, Alonso Quijana wird noch einmal zu Don Quijote, dann bricht er zusammen und stirbt. Aldonza will jetzt »Dulcinea« heißen, und sie tröstet Sancho: »Don Quixote is not dead. Believe, Sancho, believe« (p. 81). Im Roman ist der Schluss diametral entgegengesetzt: Alonso Quijana hat seinen Frieden mit der Welt gemacht, die Narrheit liegt hinter ihm, und er kann ruhig sterben. Seit dem frühen 19. Jahrhundert hat sich die Sicht auf Don Quijote ähnlich radikal verändert wie die auf Don Juan: Für die frühe Neuzeit war der Ritter wesentlich eine lächerliche Figur, so wie Don Juan nichts als ein Wüstling war; erst die Romantik wurde empfänglich für die Größe, die im auf die Spitze getriebenen Individualismus, der Maßlosigkeit beider Figuren liegt. Hier knüpft Wasserman an, allerdings ist sein versöhnlicher Schluss ein bisschen simpel. Der Governor verabschiedet Cervantes, dessen Verhandlung vor dem Inquisitionstribunal bevorsteht, mit dem Satz: »I think Don Quixote is brother of Don Miguel« (p. 82). Das mag für den Protagonisten des Romans richtig sein –​für den Don Quijote des Musicals stimmt es mit Sicherheit nicht mehr.

Walter Steffens, Two Cells in Sevilla, or: Don Quixote is Hungry Anfang November 2016 wurde in Houston und beim Festival Hill at Round Top TX zweimal die Kammeroper Two Cells in Sevilla von Walter Steffens, auf ein Libretto seines Sohnes Marec Béla Steffens, aufgeführt; am 16. Mai 2018 entstand eine Tonaufnahme37. Das kurze Vier-​Personen-​Stück im Konversationston (Spieldauer knapp 40 Minuten) ist ein literarisch-​musikalischer Spaß: Da am Ende die spanische Armada für den Krieg gegen England gerüstet wird, ist die Handlung auf Anfang 1588 zu datieren. Miguel de Cervantes sitzt in Sevilla im Schuldgefängnis, das dem Kloster gegenüberliegt, in dem der junge Tirso de Molina lebt. Zwischen beiden Gebäuden liegt die Küche, die sowohl die Gefangenen wie die Mönche versorgt. Die junge Köchin lässt 37 Walter Steffens/​Marec Béla Steffens, Two Cells in Sevilla. Don Quixote Is Hungry. A Chamber Opera, CD NV6174, Navona Records 2018. Der vollständige Text von Two Cells ist abrufbar unter https://​navonarecords.com/​catalog/​nv6174/​ assets/​two-​cells-​in-​sevilla-​-​-​text.pdf (30.8.2019). Verweise auf die Seitenzahlen dieser Ausgabe im Text.

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die beiden bei »watery broth« (p. 2) darben. Sie wünscht sich einen Mann, der sie verwöhnt, ihr teure Geschenke macht und sie ausführt: »A man who acts like in romance!« (p. 3); ihm würde sie das köstlichste Essen kochen, die beiden Zellenbewohner sind für sie uninteressant. Natürlich sind die beiden mit der Verpflegung unzufrieden und beschwören die »fairy in charge of [their] stomachs« (p.  2sq.), besser für sie zu sorgen. Da sie einen Ritterroman liest und sich einen »errant knight« als Liebhaber wünscht (p.  3), sieht Cervantes seine Chance:  Er beginnt, eine Geschichte niederzuschreiben, die von einem solchen fahrenden Ritter handelt, die Abschnitte, die er vorliest, sind dem ersten Kapitel des Don Quijote entnommen. Die junge Dame ist entzückt, jetzt »Dulcinea del Toboso« zu heißen, und beginnt, für den Autor ein gutes Essen zu kochen (p.  5). Es scheint sie auch nicht weiter zu stören, dass ihr Ritter nicht sehr tapfer ist und »in pretty much every adventure he gets a hell of a beating« (p. 5). Cervantes erklärt Tirso, der sich darüber wundert, er verstünde nichts von den Frauen: »They admire the shining armour, but they fall for the underdog« (p. 5). Tirso hält mit der Geschichte eines »don« dagegen, der das Mädchen lieben, ihr zärtliche Komplimente machen und sie nachts in ihrem Zimmer besuchen wird; sie fürchtet, ihr strenger Vater würde das nicht zulassen, aber Tirso deutet an, dass der »don« ihm einfach die Kehle durchschneidet (p. 6). Allerdings ist der Liebhaber nicht treu, er hat eine Affaire nach der anderen (p. 6). Die Köchin verlangt, dass er dafür bestraft wird, Tirso verfällt schließlich darauf, dass der Übermütige die Statue des ermordeten Vaters zu sich zum Essen einladen könnte; bei seinem Gegenbesuch auf dem Friedhof wird die Statue ihn unter Blitz und Donner in die Hölle schleppen! Das gefällt der jungen Frau, und die eigentlich für Cervantes bestimmte Mahlzeit wandert daraufhin zur anderen Seite (p. 7). Die Chronologie wird hier fröhlich durcheinandergewirbelt. Cervantes könnte 1588 den Stoff des Don Quijote –​der erste Teil erschien wie bereits erwähnt 1605 –​allenfalls schon mit sich herumgetragen haben, aber Tirso ist 1580 oder 1581 geboren, sein Burlador de Sevilla wurde 1630 veröffentlicht und 1634 uraufgeführt. Die Geschichte bekommt dann eine überraschende Pointe: Der Diener von Cervantes (der wohl als Vorbild für Sancho Pansa zu denken ist) überreicht der Köchin einen Brief, der »a long way from abroad« gekommen ist (p. 8); es handelt sich um das Schreiben, das Falstaff in den Merry Wives of Windsor (II/​1), die nun wiederum 1597 uraufgeführt wurden, mit genau identischem Wortlaut an Mrs. Page und Mrs. Ford adressiert! Wenn der dicke Ritter schreibt »you are not young«, ist das zwar erstens nicht besonders schmeichelhaft, und zweitens stimmt es nicht, denn dem Personenverzeichnis zufolge handelt es sich bei der Köchin um »a young girl«. Trotzdem, und darin liegt die Komik, ist die Empfängerin hingerissen;

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folglich dürfen sich offenbar weder Cervantes noch Tirso mehr irgendwelche Hoffnungen auf gute Verpflegung machen. Vom Diener erfährt die Köchin, dass in Wirklichkeit nicht John Falstaff, sondern »another Englishman« den Brief geschrieben hat:  »They call him William Shakespeare« (p.  8). Sie brennt darauf, seine Bekanntschaft zu machen und für ihn zu kochen: »He’ll have tapas and paella, and no more fish and chips« (p. 8). Tirso und Cervantes wollen dem Engländer, oder der Einfachheit halber gleich ganz England, den Krieg erklären (p. 8sq.); da trifft es sich gut, dass gerade Soldaten für die Armada angeworben werden! Alle drei Männer machen sich auf, um gegen die englischen ›Häretiker‹ zu Felde zu ziehen; so kann die Köchin das ausgezeichnete Essen, das sie zubereitet hat, selbst verzehren und dabei die Manuskripte lesen, die ihre beiden hungrigen Kostgänger ihr dagelassen haben: The Ingenious Gentleman Don Quixote of La Mancha und Don Juan. The Trickster of Seville and the Stone Guest (p.  9)  –​ offenbar sind die Bücher, die die Autoren kurz vorher zu schreiben begonnen haben, jetzt schon fertig! Natürlich erfährt man aus diesem Libretto nicht das geringste über die Persönlichkeit des Dichters Cervantes; auch die Gleichsetzung des Autors mit seiner Figur, die der Titel vornimmt, ist fragwürdig, denn dass der eher asketische Don Quijote nach Käse, Chorizo, Schinken und Wein schreien sollte (p.  2), kann man sich nur schwer vorstellen. Der Reiz des Unternehmens liegt einerseits im freien Spiel der Zeit und Raum überwindenden Phantasie, andererseits in der Zitatmontage. Die Verwendung von Cervantes-​(und Tirso-​)Zitaten ermöglicht es, den komischen Stilbruch des Romans zu imitieren: Der Quijote des Cervantes wie der Cervantes von Marek Béla Steffens sprechen eine Bauernmagd, bzw. eine Köchin, mit den Formeln höfischer Galanterie an. Die Literaturkenner unter den Zuschauern werden daran ihr Vergnügen haben.

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Die Ästhetik des Wartens –​Modelle stillgestellter Zeit in Toshio Hosokawas Musiktheater Hanjo1 Das Warten –​als ein in sich gespannter, auf Erfüllung gerichteter Zustand –​ bildet ein universales Thema:  einen Zeiten und Räume umfassenden, geschichtsmächtigen Topos, gestaltet sowohl in östlicher als auch in westlicher Kunst. So kennt etwa die europäische Operntradition das Warten auf den Geliebten, auf den Moment der Rache, auf Erlösung oder den Tod. Was ein solches Warten begründen mag –​die Erfahrung existentiellen Mangels und eben daher die Sehnsucht nach ›Heilung‹ –​verweist auf einen Ursprungsmythos menschlicher Seinsverfassung, auf jenen Eros des ›Einswerdens‹, wie ihn Platon in seinem Symposion, in der Rede des Aristophanes, entfaltet hat. Besonders in gegenwärtiger Kunstproduktion und Geisteswissenschaft rückt das Warten in den Fokus des Interesses. Beispielhaft zeigen dies mehrere einschlägige Publikationen2 sowie die Ausstellung Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit, die 2017 in der Hamburger Kunsthalle gezeigt wurde3. Nach Roland Barthes ist das Warten oft weiblich konnotiert4. Hier­auf verweist bereits die Gestalt der Penelope in Homers Odyssee, einem Gründungstext europäischer Literatur. Das Warten ist ein ambivalentes Phänomen, das immer schon quasi postdramatische Züge trägt:  Die äußere Handlung erscheint statisch, wie eingefroren, umso mehr jedoch erwächst

1 Der vorliegende Aufsatz bildet die geringfügig modifizierte Fassung eines Vortrags, den ich bei der IMS (International Musicological Society) 2017, 20th Quinquennial Congress, in Tokyo gehalten habe. Die Sektion »20th-​Century Music: The Composer’s Aesthetics and Craft« leitete Jürgen Maehder, weshalb dieser Text ihm in besonderer Weise verbunden ist. 2 Cf. Daniel Kazmaier et al. (edd.), Warten als Kulturmuster, Würzburg (Königshau­ sen & Neumann) 2016; Timo Reuter, Warten: Eine verlernte Kunst, Frankfurt am Main (Westend Verlag) 2019; Christoph Singer et al. (edd.), Timescapes of Waiting: Spaces of Stasis, Delay and Deferral, Leiden (Brill | Rodopi) 2019. 3 Cf. den Katalog zur 2017 ausgerichteten Ausstellung der Kunsthalle Hamburg: Brigitte Kölle/​Claudia Peppel (edd.), Die Kunst des Wartens, Berlin (Klaus Wagenbach Verlag) 2019. 4 Cf. Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1988, p. 27sq.; Daniel Kazmaier et al., Warten als Kulturmuster, p. 11.

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eine Dynamik im Inneren des wartenden Subjekts5. So vermag sich im Zustand des Wartens ein weiter innerer Raum aufzuspannen, welcher eine gewandelte Zeitwahrnehmung, ein sensibilisiertes Naturerleben sowie eine gesteigerte emotionale Erfahrung erlaubt. Empfindung und Reflexion können sich bis zu jenem »stream of consciousness« verdichten, den eine komplexe Überblendung von Zeitformen charakterisiert. Aus solcher Perspektive wäre das Warten keine verlorene, vielmehr eine gleichsam freigelegte Zeit6. Im Anschluss an die Tradition des Nô-​Theaters wird in den musiktheatralen Werken Toshio Hosokawas (*1955) der Topos des Wartens –​genauer: der wartenden Frau –​immer wieder aufgegriffen. Das gilt insbesondere für seine 2004 uraufgeführte Oper Hanjo, die auf einem Theaterstück Yukio Mi­ shimas (1925–​1970) beruht. Der Frage, wie sich das Warten in dieser Oper konkretisiert, soll im Folgenden nachgegangen werden. *** Das Nô-​Spiel Hanjo ist von Zeami geschaffen worden, der um 1400 die Kunstform des Nô-​Theaters begründete. Yukio Mishima hat dieses traditionelle Stück im Jahr 1955 neu gestaltet und hierbei bedeutsame Veränderungen vorgenommen; dadurch wird dieses Nô-​Spiel –​schon auf der Ebene des Librettos –​einem ›neuen Blick‹ ausgesetzt. Hanako, eine verlassene Geisha, wartet auf einen jungen Mann namens Yoshio, mit dem sie bei einer früheren Begegnung die Fächer getauscht hat: als Symbol unverbrüchlicher Liebe und Versprechen des Wiedersehens. An einem nicht näher bezeichneten Bahnhof wartet Hanako nun Tag für Tag auf Yoshio. Darin ganz aufgehend, hat sie schließlich den Verstand verloren. Durch einen Zeitungsbericht erfährt Yoshio hiervon. Es gelingt ihm, in Hanakos Zimmer vorzudringen; diese aber verweigert jetzt die Identifikation, verneint, dass er Yoshio sei. Sie will weiter warten.

Fülle des Wartens Anders als in Zeamis gleichnamigem Nô-​ Stück erscheint in Mishimas Adaption von Hanjo das Warten radikal geworden. Gleich bei ihrem ersten 5 Cf. Regine Elzenheimer, Pause. Schweigen. Stille. Dramaturgien der Abwesenheit im postdramatischen Musik-​Theater, Würzburg (Königshausen & Neumann) 2008. 6 Im gegenwärtigen Diskurs deutet sich die Möglichkeit an, das Warten nicht mehr primär als eine verlorene Zeit, sondern als einen Entfaltungs-​und Erfahrungsraum zu begreifen; cf. etwa den Begleittext zur Hamburger Ausstellung Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit: »Begreift man Warten als geschenkte Zeit, kann es zu einem Raum ungeahnter Möglichkeiten werden, einem Freiraum für Reflexion, Kreativität oder Entschleunigung.« http://​www.hamburger-​kunsthalle. de/​ausstellungen/​warten (29.08.2019).

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Auftritt reflektiert Hanako ihr Warten, hebt es in eine existentielle Dimension, indem sie es als gesteigertes, die Begrenzungen der Individualität übersteigendes Dasein erfährt: Today I waited again at the station, all day long, all day long. I think that I’ve come to life through waiting for him. [...] My body is filled with waiting. Don’t they say that human beings go on living by waiting and making other people wait? If you gave your whole life to waiting, how would it be? Is this my body? Am I an unshut window? An unshut door?7

Hervor tritt eine Paradoxie: Das Warten ist Nicht-​Aktion, aber für Hanako fängt das Leben mit dem Warten überhaupt erst an. Diesen Zustand, der gemeinhin als mit einem Mangel behaftet gilt –​als langweilig, unproduktiv, als nutzlos verstreichende Zeit –​, empfindet Hanako als Fülle, als Ermöglichungsgrund ihrer Selbstwerdung. In der Schluss-​Szene wird sie ihre gesamte Existenz dem Warten widmen: Ihr Sein ist nun jenes Warten. Die Problematik, welche Mishimas Hanjo-​Adaption im Spannungsfeld von Warten und Nicht-​Warten-​Können in den Blick nimmt8, erscheint heute  –​im Zeitalter permanenter Beschleunigung zum Zweck einer omnipräsenten, umfassenden Verfügbarmachung –​noch aktueller als in den 1950er Jahren9. Im originalen Nô-​Stück Zeamis findet Hanakos Warten ein glückliches Ende im Zusammenfinden der Liebenden. Bei Mishima dagegen fehlt ein solcher Schluss. Das Warten verabsolutiert sich, d.h. es löst sich –​nach der gescheiterten Wiederbegegnung mit Yoshio –​von seinem personalen Objekt10. 7 © 2003–​04, Schott Music Co. Ltd., Tokyo. Based on HANJO, a Nō play by Yukio Mishima, translated by Donald Keene, Copyright 1957 by Yukio Mishima and Donald Keene, published by Alfred A. Knopf, Inc. 8 Während Hanako für das Warten plädiert (»That’s what waiting is… waiting, waiting… and soon the day ends. I wait. I wait… and today has grown dark too«), artikuliert Jitsuko parallel ihr Nicht-​warten-​wollen: »You wait. I’m not waiting for anything. I wait for nothing.« 9 Der geschichtliche Hintergrund dieser Adaption Mishimas ist die rasante wirtschaftliche Entwicklung in Japan nach dem II. Weltkrieg; kennzeichnend wird eine Beschleunigung gesellschaftlicher und technologischer Prozesse und –​damit einhergehend –​die Erfahrung zunehmender Entfremdung (im Zeichen einer ›Maschinenwelt‹ und einer wachsenden zeitlichen Verdichtung der Lebensprozesse). Eine Abwehr solcher Tendenzen wird etwa darin spürbar, dass der Schriftsteller Osamu Dazai (1909–​1948) zur gleichen Zeit eine kleine Erzählung mit dem Titel »Warten« veröffentlichte (1954). Im Jahr 1952 erschien zudem Samuel Becketts Theaterstück En attendant Godot. Im objekt-​und richtungslosen und daher absurd gewordenen Warten stellt sich die Frage nach der modernen menschlichen Existenz überhaupt. Offensichtlich tritt die Frage nach dem Warten gerade im Zeitalter von Beschleunigung und vorwärtstreibender Dynamik immer drängender hervor. 10 Das Warten im emphatischen Sinne fängt –​so Maurice Blanchot –​überhaupt erst dann an, wenn es zum absichtslosen Geschehen geworden ist: »Wartete man auf

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Herkömmliche Liebe erscheint transzendiert:  Hanakos »allzu starke Liebe weist«, so Mishima, »über den realen Geliebten hinaus«, ihre mania11 eröffnet ihr vielmehr eine andere Sphäre: »Die Protagonistin ist eine Art Gottheit geworden, die eben durch den Wahnsinn aus der Welt, in der die anderen Figuren leben, in die Höhe geflogen bzw. in die Tiefe versunken ist«12. Das zur fundamentalen Haltung gewordene Warten verlangt nach einer spezifischen Gestaltung von Raum und Zeit in der Musik. Damit sind zugleich zentrale ästhetische Fragestellungen der musikalischen Moderne berührt. In seinem grundlegenden Aufsatz über »Paradoxien musikalischer Temporalität« kennzeichnet Christian Utz die ›Emanzipation‹ des Klangs und der Zeit als zentrale Tendenzen einer neuen, nicht mehr tonal gebundenen Musik. Dem korrespondiert eine »Ästhetik der Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit«13. Eine spezifische Vorstellung aufgehobener Zeit zeige sich exem­ plarisch bei Bernd Alois Zimmermann; statt den Zeitverlauf schlichtweg zu negieren, strebe er eine –​paradox anmutende –​ »Überwindung der Zeit durch höchste Organisation der Zeit«14 an.

Vergegenwärtigungen des Wartens in Hosokawas Hanjo Das Moment einer stillgestellten Zeit wird im Warten Hanakos unmittelbar thematisch. Die Vorstellung des Statischen konkretisiert sich kompositorisch in weiträumig ausgefalteten, untereinander verwandten harmonischen Kon­ stellationen, welche die jeweiligen Szenen grundieren. Das zeigt sich beispielhaft schon in jener Szene, in der Hanako erstmals auftritt und einen Dialog mit ihrer Beschützerin Jitsuko beginnt. Gesangs-​und Orchesterstimmen bewegen sich im Wesentlichen innerhalb der Konstellation fis-​a-​c-​es, die eine

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etwas Bestimmtes, so wartete man schon etwas weniger.« Maurice Blanchot, Warten Vergessen, trans. Johannes Hübner, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1964, p. 17. Die mania ist ein Zustand, durch den, wie Platon im Phaidros entfaltet, der Mensch –​spezieller: der Dichter –​etwas Göttliches empfangen kann; cf. Platon, Phaidros, in: id., Werke in acht Bänden, vol. 5, ed. Gunther Eigler, trans. Friedrich Schleiermacher, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1981, pp. 1–​193. Yukio Mishima, Hanjo ni tsuite [Über »Hanjo«] (1957), in: id., Mishima Yukio Zenshu, vol. 27, Tokyo (Shinchosha) 1975, p. 541sq.; aus dem Japanischen von der Verfasserin. Christian Utz, Paradoxien musikalischer Temporalität in der neueren Musikgeschichte. Zur Konstruktion von Klanggegenwart im Spätwerk Bernd Alois Zimmermanns im Kontext der Präsenzästhetik bei Giacinto Scelsi, György Ligeti, Morton Feldman und Helmut Lachenmann, in: Die Musikforschung 68 (2015), pp. 22–​52: 22. Ibid., p. 24sq.

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Kleinterzschichtung15 bzw. eine Verschränkung zweier Tritonus-​Intervalle im Kleinterz-​Abstand (c-​fis, es-​a) darstellt (Notenbeispiel 1a); auffassen lässt sich diese Konstellation als milder dissonierende Variante jenes »Mutterakkords« (c-​fis, des-​g), dem in Hosokawas Komponieren zentrale Bedeutung zukommt (Notenbeispiel 1b).

Notenbeispiel 1a

Notenbeispiel 1b

Die vier Töne fis-​a-​c-​es bilden gewissermaßen einen Zusammenschluss von ›Haupttönen‹, was an ein Gestaltungsprinzip von Hosokawas Lehrer Isang Yun anknüpft16. Diese vier ›Haupttöne‹ werden je subtil verlebendigt, und zwar durch Artikulationsformen, die an traditionelle ostasiatische Musik erinnern, wie z.B. Mikroglissandi und eine reich gestufte Ornamentik (Notenbeispiel 2)17. Der hieraus resultierende Prozess vollzieht sich in einem Kontinuum zwischen Sprechen, Sprechgesang und kantabler Gestaltung, so 15 In traditioneller Terminologie heißt dieser Klang »verminderter Septakkord«, doch wird er in Hanjo nicht mehr leittönig-​dominantisch –​im Sinne einer Auflösungstendenz –​aufgefasst, sondern losgelöst von jeder durmolltonalen Funktion und Strebetendenz; der Klanggehalt des verminderten Septakkords erscheint so gewissermaßen absolut gesetzt. 16 Wichtige Artikulationsformen des ›Tons‹ sind bei Yun zumal die differenziert gestalteten Ein-​und Ausschwingvorgänge; cf. Walter Gieseler et  al. (edd.), In­strumentation in der Musik des 20. Jahrhunderts: Akustik –​Instrumente –​ Zusammenwirken, Celle (Moeck) 1985, p. 95. 17 So werden klanglich-​melismatische Ereignisse in die basale Hauptton-​Struktur eingelassen. Es zeigen sich ebenso engräumig-​chromatische, melismatisch kreisende Bewegungen (z.B. in der Partie der Bassflöte, ab »one day«; cf. die mittlere Akkolade) wie plötzlich auffahrende Gesten, so dass sich die zugrunde gelegte Klangkonstellation von innen her vielfach beleben kann. Dass die Rhythmik Schwerpunkte vermeidet, entspricht dem Eindruck eines schwebenden Klangbilds. –​Den Notenbeispielen liegt aus Platzgründen der Klavierauszug von Hanjo zugrunde; die Partitur ist bei Schott als Leihmaterial erhältlich. Eine DVD ihrer Hanjo-Produktion von 2011 hat mir freundlicherweise die Staatsoper Berlin zur Verfügung gestellt, wofür ich mich sehr herzlich bedanke.

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dass vielfältige Schattierungen zwischen erzählendem Duktus und expressivem Ausruf verwirklicht werden können. So deutet sich eine dreitönige, wiederum aus dem »Mutterakkord« abgeleitete Melodieformel aus Quinte und Tritonus zunächst nur vage und schattenhaft im Geflecht von Orchester und Stimme an, um dann plötzlich –​im zart expressiven Ruf »Yoshio« –​in hoher Lage aufzuleuchten (c-​g-​fis; Notenbeispiel 2, T. 52).

Notenbeispiel 2:  Szene 3, T. 41–​52, © 2003–​04, Schott Music Co. Ltd., Tokyo.

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Notenbeispiel 2 (Fortsetzung).

Der Orchestersatz bildet quasi eine klangliche Umhüllung des Gesangs. Hervorgehoben wird  –​als ein integraler Bestandteil der Basiskonstellation –​die Kleinterzfolge es-​c. An den Rändern des Oktavraums spannt sich zunächst der Ton es aus, dann das c. Allein schon dadurch, dass dieses elementare Intervall sich ins Unendliche zu dehnen scheint, kann etwas wie imaginäre Räumlichkeit und Aufgehobensein der Zeit evoziert werden. Dem Klanggeschehen gibt weiterhin eine ebenso elementare wie expressive melodische Chiffre Kontur. Sie erklingt in den Geigen zur Frage »If you gave your whole life to waiting, how would it be?« (Notenbeispiel 3). Einmal mehr stellt sich eine Paradoxie ein:  Während die Chiffre strukturell eine vollständig chromatische, abwärts gerichtete Skala darstellt (den Oktavraum von c ausfüllend), wirkt sie als klangliche Erscheinung in sich kreisend, indem sie sich, Flageoletts einbeziehend, über die Oktavlagen hin auffächert und schließlich zum Ausgangston zurückkehrt. Diese ganz dem Wort ›Warten‹ zugehörige Chiffre erklingt in Hanjo an zentralen Stellen der Handlung  –​in der Auftrittsszene Hanakos und in der Schluss-​Szene. Dadurch erlangt sie eine fast schon leitmotivische, sowohl strukturell als auch semantisch bedeutsame Funktion, welche im Sinne des für Hanako gleichsam universal werdenden, das ganze Leben bestimmenden Wartens angesprochen werden kann.

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Chikako Kitagawa

Notenbeispiel 3:  Szene 3, T. 74sqq., © 2003–​04, Schott Music Co. Ltd., Tokyo.

Zur musikalischen Struktur des Schlusses Der Schluss der Oper, der das Warten Hanakos gleichsam ins Absolute überführt, ist in Analogie zur Auftrittsszene dieser Figur gestaltet. Auf der Basis eines langgehaltenen Orgelpunkts bewahrt sich wiederum eine bestimmte harmonische Konstellation, die nun jedoch verdichtet erscheint:  Sie beruht –​ in skalischer Anordnung –​auf der Folge c, des, es, e, fis, g, einem Komplex, welcher ganz am Ende nur mehr die Grenztöne glissandierender Flageoletts markiert und sich so ins Geräuschhafte auflöst (Notenbeispiel 4).

Notenbeispiel 4:  Szene 6, Schluss, © 2003–​04, Schott Music Co. Ltd., Tokyo.

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In Anlehnung an Hosokawas eigene Terminologie lässt sich die genannte Struktur als ein erweiterter »Mutterakkord«18 bezeichnen (Notenbeispiel 5a); das heißt, dass in jenen »Mutterakkord« die Halbtonverbindung es-​e als zentrales Intervall eingefügt wird. Es entsteht ein regelmäßiges Alternieren zwischen Halbton und Ganzton in spiegelsymmetrischer Anordnung, eine Schwebe somit schon auf struktureller Ebene (Notenbeispiel 5b). Die konkrete Klanggestalt, die diese sechstönige Struktur entfaltet, zeigt den Charakter des in sich Kreisenden, rhythmisch Schwerelosen; so kann suggestiv der Eindruck einer schon aufgehobenen Zeit erweckt werden.

Notenbeispiel 5a

Notenbeispiel 5b

Gleichzeitig bildet dieser in sich kreisende Verlauf ein subtil prozessuales Geschehen. Denn aus jener dichten, vom Halbton geprägten harmonischen Konstellation blendet sich mehr und mehr die leere Quinte c-​g hervor, bis sie schließlich allein –​ins pianissimo ›verschwebend‹ –​übrig bleibt. Die Musik mündet in ein elementares, archetypisches Intervall, das, indem es zeitlich weit zurückweist, zugleich etwas wie räumliche Ferne zu evozieren vermag19. Für Hanako eröffnet sich so –​im schwebenden Zustand des Wartens –​ein Raum des Schweigens und der Stille. Die klingende musikalische Gestalt löst sich mehr und mehr auf: Der in eine Vokalise überführte Gesang und die zart glissandierenden Streicher-​Flageoletts bilden gleichsam ein Hörbarmachen von Stille (Notenbeispiel 6, siehe auch Notenbeispiel 4).

18 Cf. Christian Utz, Neue Musik und Interkulturalität. Von John Cage bis Tan Dun, Stuttgart (Steiner) 2002 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 51), p. 313sqq. 19 Cf. Martin Zenck, Dal niente –​Vom Verlöschen der Musik. Zum Paradigmenwechsel vom Klang zur Stille in der Musik des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, in: MusikTexte 55 (1994), pp. 15–​21, insbesondere p. 20sq.

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Notenbeispiel 6:  Szene 6, ab T. 59, © 2003–​04, Schott Music Co. Ltd., Tokyo.

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Notenbeispiel 6 (Fortsetzung).

Wesentlich erscheint hierbei, dass das Konstruktive –​anders als in vielen europäischen Konzeptionen neuer Musik  –​nicht primär gesetzt wird. Es bildet sozusagen nur mehr einen Orientierungsrahmen, worin sich die Musik frei verströmen kann. Diese Art kompositorischer ›Offenheit‹ erinnert an eine Äußerung Adornos, die darauf abzielt, dass das kompositorische Subjekt gewissermaßen als ein Medium wirken möge; so soll das Subjekt »der Musik dorthin nachhorchen, wohin sie von sich aus will«20. Vorrangig ist in 20 Theodor W. Adorno, Form in der neuen Musik, in: id., Gesammelte Schriften, vol. 16: Musikalische Schriften I–​III, ed. Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1978, pp. 607–​627: 626; cf. Roland Willmann, Die Musik und die Herrlichkeit. Ein ästhetisch-​analytischer Versuch, in: Rainer Kampling (ed.), Herrlichkeit. Zur Deutung einer theologischen Kategorie, Paderborn (Ferdinand Schöningh) 2008, pp. 297–​322: 313sq.

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einer solchen Konzeption das kompositorische Ohr: eine Klangimagination, die im Falle Hosokawas stets auf die Stille rückbezogen bleibt.

Visualisierung des Wartens Calixto Bieitos Hanjo-​Inszenierung, aufgeführt in einer alten Fabrikhalle während der Ruhrtriennale 2011, stiftet eine traumhaft irreale Atmosphäre, die zugleich durch Verlassenheit gekennzeichnet erscheint. Räumliche Weite wird suggeriert, indem sich Bahnschienen gegenläufig erstrecken:  sowohl in Richtung des Zuschauerraums als auch zur Hinterbühne hin. Gleichzeitig jedoch deutet ein auf die Bahnschienen gefallener Baum an, dass hier lange kein Zug mehr gefahren ist: als sei der Ort von der Welt abgeschnitten, gewissermaßen ein ›Unort‹ geworden. Über den Figuren schwebt Nebel, der sich kaum verzieht, was wiederum dem Eindruck des Statischen entspricht. Hanako bewegt sich langsam –​tastend und stockend –​auf den Schienen, im Versuch, schwankend Balance zu finden. Sinnfällig wird so eine zerbrechlich und gefährdet anmutende Existenz in der fortwährenden Situation des Wartens (siehe Abbildung).

Abbildung: Hanjo [Szene 3] in der Inszenierung von Calixto Bieito (Ruhrtriennale 2011); Foto: Ursula Kaufmann 2011.

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*** Hosokawas Oper Hanjo, die den Gestus des Wartens ins Zentrum rückt, ist hineingestellt in ein kulturelles und gesellschaftliches Umfeld, das in einem radikalen Sinne durch Beschleunigung gekennzeichnet ist. Genau diesem Phänomen widmet sich das gleichnamige Standardwerk des deutschen Soziologen Hartmut Rosa21. Das kulturelle Selbstverständnis der Moderne ist nach Rosa »als Reaktion auf eine veränderte Erfahrung von Zeit und Raum«22 zu interpretieren. Im Begriff der Beschleunigung benennt er eine universale, alle Lebensbereiche erfassende, mehr und mehr anwachsende Dynamik, der sich niemand entziehen kann. Beschleunigung sei »das zentrale Merkmal der Veränderung der Temporalstrukturen und als solche eine grundlegende strukturformende und kulturprägende Kraft in der Moderne«23. Im Zeichen allgegenwärtiger Beschleunigung scheint das Warten nur mehr ein defizienter Modus von Lebens-​und Welterfahrung zu sein. Rosas Augenmerk gilt dem fundamentalen Paradoxon, das sich im Rahmen dieser Prozesse ausprägt: Was intentional –​im Zuge allseitiger Technisierung –​auf Zeitgewinn ausgerichtet ist, bewirkt gerade umgekehrt eine wachsende Zeitnot, welche die Gefahr von Überforderung und Entfremdung in sich birgt. Gerade in diesem Problemzusammenhang hat Kunst die Chance, gleichsam Einspruch zu erheben respektive Gegenmodelle einer erfüllten, »kairologischen« Zeit zu entwerfen, wie dies Christian Hörmann ausgeführt hat24; die Begegnung mit Kunst könnte so die Fähigkeit einüben, im Sinne jener »Resonanzen« zu interagieren, welche nach Rosa Auswege aus der Beschleunigungsdynamik offerieren25. In Hanjo wird gerade dem Warten eine daseins-​und welterschließende Kraft zugesprochen. Denn eine solche Grundhaltung gewährt der Figur der Hanako die Möglichkeit sich zu öffnen, gewissermaßen durchlässig zu werden für eine gesteigerte Erfahrung von Welt und Sein; möglich wird es ihr insbesondere, im Modus des Wartens die Komplexität ihres psychischen Erlebens zu entfalten26. Das artikuliert sich darin, dass Hanako sich als 21 Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2005, 112016. 22 Ibid.,  p. 71. 23 Ibid.,  p. 51. 24 Christian Hörmann, Begegnungen mit dem Unaussprechlichen. Musik-​Erfahrung und kairologische Rationalität, Ostfildern (Matthias Grünewald Verlag) 2010. 25 Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin (Suhrkamp) 2016. 26 Cf. die Erfahrungen, die Maurice Blanchot mitteilt: »Nur Warten schenkt Wachsamkeit. Die leere Zeit, ohne Vorsatz, sie ist das Warten, das Wachsamkeit schenkt. […] Dank der Wachsamkeit verfügt er über das Unendliche des Wartens, das ihn an die äußerste Grenze trägt, die nie sich erreichen läßt, und ihn für das Unerwartete offen macht.« (Blanchot, Warten Vergessen, p. 36sq.)

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ein »nicht geschlossenes Fenster«, als »nicht geschlossene Tür« empfindet. Solche Offenheit für das Unverfügbare, Nicht-​Vorhersehbare bildet nach Rosa eine Eigenschaft, die im Prozess umfassender Beschleunigung verloren gegangen ist. Gegenkräfte sucht Rosa im »Resonanz«-​Konzept zu mobilisieren. Dieses Konzept weist zurück auf die traditionelle japanische Ästhetik des ma27, die wesentlich eine Ästhetik des Raumlassens darstellt und als solche im Komponieren Hosokawas neu produktiv gemacht wird.

27 Toshio Hosokawa, Stille und Klang, Schatten und Licht –​Gespräche mit Walter-​ Wolfgang Sparrer, Hofheim (Wolke) 2012; cf. Chikako Kitagawa, Die Ästhetik der Lücke. Resonanzen des Nô-​Theaters im Musiktheater Toshio Hosokawas, in: Günther Heeg (ed.), Recycling Brecht: Materialwert, Nachleben, Überleben, Berlin (Theater der Zeit) 2018, pp. 156–​166.

Perspektiven der Opernforschung Herausgegeben von Jürgen Maehder und Jürg Stenzl Band

1 Jürgen Maehder/Jürg Stenzl (Hrsg.): Zwischen Opera Buffa und Melodramma. 1994.

Band

2 Kii-Ming Lo: »Turandot« auf der Opernbühne. 1996.

Band

3 Markus Engelhardt (Hrsg.): in Teutschland noch gantz ohnbekandt. Monteverdi-Rezeption und frühes Musiktheater im deutschsprachigen Raum. 1996.

Band

4 Arne Langer: Der Regisseur und die Aufzeichnungspraxis der Opernregie im 19. Jahrhundert. 1997.

Band

5 Arnold Jacobshagen: Der Chor in der französischen Oper des späten Ancien Régime. 1997.

Band

6 Martin Schüssler: Karol Rathaus. 2000.

Band

7 Eckhard Weber: Manuel de Falla und die Idee der spanischen Nationaloper. 2000.

Band

8 Robert Lang: »Neapolitanische Schule«. Lokalstilistische Ausprägungen in der Oper des Settecento. 2001. Ab Bd. 9 herausgegeben von Jürgen Maehder und Thomas Betzwieser

Band

9 John D. Drysdale: Louis Véron and the Finances of the Académie Royale de Musique. 2003.

Band

10 Christian Kipper: Musikalische Aktion in der Opera buffa: Il mercato di Malmantile von Carlo Goldoni. 2003.

Band

11 Hendrik Schulze: Odysseus in Venedig. Sujetwahl und Rollenkonzeption in der venezianischen Oper des 17. Jahrhunderts. 2004.

Band

12 Pietro Massa: Carl Orffs Antikendramen und die Hölderlin-Rezeption im Deutschland der Nachkriegszeit. 2006.

Band

13 Ute Brüdermann: Das Musiktheater von Luciano Berio. 2007.

Band

14 David Charlton/Katharine Ellis (eds.): The Musical Voyager: Berlioz in Europe. 2007.

Band

15 Silke Meier: Manita en el suelo von Alejandro García Caturla und Alejo Carpentier. 2008.

Band

16 Saskia Maria Woyke: Pietro Andrea Ziani – Varietas und Artifizialität im Musiktheater des Seicento. 2008.

Band

17 Swantje Gostomzyk: Literaturoper am Ende des 20. Jahrhunderts. Eine interdisziplinäre Studie am Beispiel der Opern von Detlev Glanert. 2009.

Band

18 Jadwiga Makosz: Die Oper Król Roger von Karol Szymanowski. 2010.

Band

19 Richard Erkens: Alberto Franchetti – Werkstudien zur italienischen Oper der langen Jahrhundertwende. 2011.

Band

20 Marie-Hélène Benoit-Otis: Ernest Chausson, Le Roi Arthus et l’opéra wagnérien en France. 2012.

Band

21 Maria Birbili: Die Politisierung der Oper im 19. Jahrhundert. 2014.

Band

22 Chikako Kitagawa: Versuch über Kundry. Facetten einer Figur. 2015.

Band

23 Jens Dufner: Æeneas i Carthago von Joseph Martin Kraus. Oper als Spiegelbild der schwedischen Hofkultur. 2015.

Band

24 Diau-Long Shen: E. T. A. Hoffmanns Weg zur Oper. Von der Idee des Romantischen zur Genese der romantischen Oper. 2016.

Band

25 Olaf Enderlein: Die Entstehung der Oper Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss. 2017.

Band

26 Dana Pflüger: Musik und Handlung. Die Funktionen der Musik in Oper, Film und Schauspiel mit einer exemplarischen Betrachtung von Albert Lortzings Werken. 2018.

Band

27 Thomas Betzwieser / Richard Erkens / Arnold Jacobshagen / Peter Ross (Hrsg.): Libretto – Partitur – Szene. Studien zum Musiktheater. Festschrift für Jürgen Maehder zum 70. Geburtstag. 2021.

www.peterlang.com